Volksabstimmung - Fünf Jahre danach: Minarettverbot gilt nicht absolut
Volksabstimmung
Fünf Jahre danach: Minarettverbot gilt nicht absolut
Heute vor fünf Jahren votierten 57,5 Prozent der Stimmbürger für ein Verbot von Minaretten. Wie das Bundesgericht heute auf ein Baugesuch reagieren würde, ist dennoch ungewiss.
Dennis Bühler
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Ende 2009 durften sich die Mitglieder des Egerkinger Komitees innert weniger Wochen zum zweiten Mal als Sieger fühlen: «Minarettverbot» wurde zum Wort des Jahres gewählt. Es habe, wie das Wort Müesli, das Potenzial, sich als neuer Sprachexport helvetischen Ursprungs zu etablieren, schrieb die Jury. Das Minarettverbot war weltweit in aller Munde, und – im Unterschied etwa zur «Ventilklausel», die gleichzeitig zum Unwort des Jahres erkoren wurde – mehrheitlich positiv konnotiert. Während die Empörung in muslimischen Ländern gross war, spielte man mancherorts in Europa mit dem Gedanken, es der Schweiz gleichzutun und den Bau neuer Minarette zu untersagen.
In die Tat umgesetzt wurde dieses Vorhaben aber nirgendwo – der vermeintliche Exportschlager verkam zum Ladenhüter. Stattdessen verboten Belgien und Frankreich das öffentliche Tragen der Burka, der Kanton Tessin zog im September 2013 nach. Das Egerkinger Komitee, Erfinder der Minarettinitiative, dürfte ab kommendem Frühjahr Unterschriften für ein nationales Verhüllungsverbot sammeln.
Ressentiments geschürt
Auf die Frage, welche Folgen das Minarettverbot in den fünf Jahren seiner Existenz gezeitigt hat, gibt es eine einfache und eine etwas komplexere Antwort. Die einfache: Es ist seither kein neues Minarett gebaut worden. Ob ohne Verbot eines gebaut worden wäre, ist allerdings fraglich – so wichtig sind Minarette für Muslime offenbar nicht. Die kompliziertere: Die Verfassungsbestimmung hat Ressentiments geschürt. «Sie hat eine Stimmung geschaffen, die Vorbote anderer Abstimmungen wie jener über die Ausschaffungsinitiative oder jener über die Masseneinwanderungsinitiative war», sagt Staatsrechtsprofessor Markus Schefer von der Universität Basel.
Das Bundesgericht hat sich seit 2009 nie inhaltlich zu Minaretten äussern müssen. Wie die Lausanner Richter entscheiden würden, wenn eine Baubewilligung für ein Minarett letztinstanzlich auf ihren Schreibtischen landet, ist deshalb ungewiss. «Nur weil das Minarettverbot in der Bundesverfassung festgeschrieben ist, gilt es nicht absolut», sagt Schefer.
Kein fünftes Minarett geplant
Erläuterungen der Bundesrichter im Zusammenhang mit der Ausschaffungsinitiative legen nah, dass auch das Minarettverbot mit anderen Verfassungsbestimmungen wie der Religionsfreiheit abgewogen werden müsste, sagt Schefer. Der Professor vermutet, dass die Bundesrichter versuchen würden, Verstösse gegen die kommunalen Bau- und Zonenordnungen geltend zu machen. Gelänge dies nicht, wäre denkbar, dass sie das Baugesuch abweisen, um einen Entscheid des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Strassburg zu provozieren.
Saïda Keller-Messahli, Präsidentin des Forums für einen fortschrittlichen Islam, ist überzeugt, dass das Bundesgericht «dem zwingenden Völkerrecht zum Durchbruch verhelfen würde». Pläne für den Bau eines weiteren Minaretts sind aber auch ihr nicht bekannt. In absehbarer Zeit dürfte es damit so oder so bei bloss vier Schweizer Minaretten bleiben.