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Westdeutsche Zeitschrift
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Geschichte und Kunst.
Dr. Fp Hettner Or> K. Lamprecht
in Trirr, in Hoiiiu
«f iil I i^srii 11 ST VII f.
TRIER.
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ISS!).
Y^]^\. hl Mk.
Inhalt.
Limes • Studien. I. Allgemeines. Der Taunus - tamos. Von A. Ilammcran.
S. 287.
Vier Ringwälle im Ilunsrück. Von Friedr. Kofier in Darmstadt. (Hierzu
Tafel 16 u. 17). S. 311.
Fund römischer Münzen zu Ettelbrück. Von Prof. van Werveke in Luxem-
burg. S. 318.
Die ursprüngliche Fassung des Trierer Silvester-Privilegs. Von H. V. Sauer-
land in Trier. S. 335.
Neue Beiträge zur Geschichte der Kii*chen - Visitation im Bistum Münster.
1571—1573. Von Custos Dr. P. Bahlmann in Münster in W. S. 352.
In Sachen von Dietsch : ^ Evangelische Kirche von Metz. Von F. Dietsch,
evangel. Pfarrer in Metz, imd Dr. Wolfram in Metz. S. 387 u. 391.
Rec^nsionen :
Jahrbuch der Gesellschaft für Lothringische Geschichte und
Altertumskunde. 1. Jahrg. 1888 — 89. — Angezeigt von H. V.
Sauerland in Trier. S. 399.
Vom Korrespondenzblatt sind ausgegeben die Nrn.
1 bis 11, Nr. 12 nebst Register liegt bei.
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Die Germanen in ihrem Verhältnis zu den
Nachbarvölkern.
Von Prof. Rad. Henning in Strassburg.
Die Rolle, welche einem Volke innerhalb der Geschichte zufällt,
wird bedingt einerseits durch die Kraft und Eigenart der ihm inne-
wohnenden Begabung, andererseits durch die äusseren Umstände, unter
denen es emporwächst, und den Wirkungskreis, welcher ihm offen steht.
Wer würde es glauben, wenn nicht die Wissenschaft es lehrte, dass
die Germanen mit den Griechen und Römern, mit den Kelten und Slaven
nahezu von denselben Anfängen ausgegangen *sind und dass sie alle erst
im Laufe der späteren Entwickelung in so verschiedener Weise sich
entfaltet haben. . Deshalb wird es für die wirkliche Erkenntnis des alt-
germanischen Volkslebens unumgänglich nötig, den äusseren Einflüssen
und den umgebenden Verhältnissen eine besondere Aufmerksamkeit
zu widmen.
Die Bedeutung dieser Aufgabe wird uns recht lebendig durch den
zweiten Band von Müllenhoffs deutscher Altertumskunde, der wesentlich
auf Grund der antiken Zeugnisse die Nord- und Ostnachbam der Ger-
manen, sowie die Kelten und Germanen behandelt*). Er entrollt ein
Bild von der Urgeschichte und dem Charakter der Nord- und Ost-
völker, durch welches es möglich wird, die Stellung, welche die
Germanen neben ihnen einnahmen, genauer zu bestimmen, und ebenso
erscheinen die Kelten nunmehr in einem ganz anderen, näheren Zu-
sammenhang mit unseren Vorfahren als wie man ihn herkömmlich an-
zunehmen pflegte. Diese Resultate, die in der schweren Rüstung gründ-
*) Deutsche Altertumskunde von Karl Mullenhoff. Zweiter Band. Mit
vier Karten von Heinrich Kiepert Berlin 1887.
Westd. Zeitachr. f. Gesch. n. Kaust. VIII, L 1
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511921
2 K. Henning
liebster Gelehrsamkeit auftreten, zusammenzufassen, mit ihnen sich aus-
einanderzusetzen und soweit es geht sie zu vervollständigen und weiter
zu bilden, wird eine Pflicht für Jeden, der an diesen Dingen Anteil
nimmt. Ihr wQnschen auch die nachfolgenden Zeilen zu dienen.
Dass die ersten Nachrichten der Römer und speziell des Tacitus
über die Ostgermanen und deren Nachbarstamme auf dem Wege des
Bemsteinhandels gewonnen sind, wird durch die litterarischen Zeugnisse
und die archäologischen Funde in gleichem Masse erwiesen. Der uralte
Zwischenhandel, der lange Jahrhunderte hindurch die Mittelmeerlander
mit dem Ostseebecken verbunden hatte, Hess im Süden dennoch keine
wahrnehmbare Kenntnis jener entlegenen Gegenden entstehen. Die
letztere wird deutlich erst um die Mitte des ersten Jahrb. erworben,
und gleichzeitig verkünden auch an der Ostsee die Produkte der römi-
schen Industrie, welche in rasch sich erneuernder Folge massenhaft zu
Tage treten, eine neue Aera der Handelsbeziehungen.
Aber ein neuer Weg nach dem Norden wurde gleichwohl nicht
erschlossen, denn die Expedition des römischen Ritters, der als der
erste namhafte Römer unter Nero von Carnuntum aus die Bernstein-
kttste aufsuchte, benutzte zweifellos dieselben Yerkehrsstrassen, welche von
Alters her wie noch zur Zeit des Plinius von Venetien aus durch Pannonien
zu den Germanen führten (NH. 37, 43). Sie müssen von jeher in der
Nähe von Carnuntum die Donau überschritten haben, denn von hier aus
gingen die geradesten Wege, einerseits über die östlichen Alpenpässe nach
dem Süden, andererseits an der March oder Waag entlang in das Ge-
biet der Weichsel. Wie sich die alte Route dann weiter fortsetzte,
kann im Grunde nicht fraghch sein, denn da sie sich der Küste
und zweifellos auch der Weichsel zugewendet hat, so kann sie von der
oberen oder mittleren Warthe aus, über die Quellflüsse der Netze fort,
den Strom nur bei seiner grossen Beugung nach Norden, unweit von
Thom und Bromberg erreicht haben. Grade hier in dem Vorlande der
Weichsel, in den Kreisen von Inowrazlaw bis Posen sind die ältesten
römischen Funde so zahlreich, dass wir fast mit Notwendigkeit zu jener
Annahme gedrängt werden. Und weiter kann die Handelsstrasse, nach
Ausweis der Funde, auch nicht über die Weichsel fort direct in das
Samland geführt, sondern sie muss sich an der linken Seite des Flusses
entlang gezogen und etwa bei Danzig das Meer erreicht haben. In
dieser Reihenfolge werden wir uns auch die I^agerung derjenigen Völker,
welche Tacitus Germ. 43 in grader Richtung von Sbden nach Norden
aufzählt, zu denken haben.
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Die Germanen in ihrem Verhältnis zu den Nachbarvölkern. 3
Ein vollständiges Verzeichnis der ältesten römischen Funde aus
dem östlichen Deutschland wird hierüber sicherlich genauere Aufschlüsse
erbringen. Für Westpreussen liegt bereits die sorgfältige Arbeit von
Lissauer*) vor, auf Grund welcher wir die örtliche Verteilung der äl-
testen römischen Münzen (bis z. J. 98) kurz ins Auge fassen wollen.
Danach sind in Westpreussen und den umliegenden Grenzgebieten an
2000 römische Münzen gefunden, welche von Augustus bis in den An-
fang des 3. Jahrh. reichen, also ziemlich genau bis zu demjenigen Zeit-
punkte, wo die Gothen ans ihren alten Sitzen auswandern^. Von da
ab, bis etwa zum Jahre 406, sind nur ganz wenige (18) Exemplare
entdeckt, während sich mit dem 5. Jahrh. auf Grund erneuter Bezie-
hungen nach dem Südosten hin die südländischen Münzen wiederum be-
trächtlich mehren. Von den ältesten 2000 bilden 1134, von Nero bis
Septimius Severus reichende Denare einen Depotfund, der in preussisch
Görlitz, weitab von allen sonstigen Funden, in einer Gegend gemacht
ist, welche später aus einer grossen Waldwildnis bestand*) und viel-
leicht schon früher die alten Sitze der Gothen im Osten abschloss. Sie
können daher schwerlich für ihre nähere Umgebung ein Zeugnis ab-
legen ; alle Übrigen aber liefern ein verwertbares Material, aus welchem
wir das Verbreitungsgebiet der älteren Münzen studieren können,
wobei es nicht darauf ankommt, ob dieselben allein, oder zusammen mit
späteren Münzen auftreten.
Nun scheinen in der That die Münzen des 1. Jahrh. eine be-
stimmte Linie inne zu halten. Voran steht im Süden der Kreis Ino-
wraziaw. Aus dem Orte selber stammen die einzigen Münzen der Re-
publik (Lissauer S. 145), aus dem nahegelegenen Gonski zwei Silber-
denare des Augustus, aus Myskowo, Kreis Samter, eine Münze des
. Claudius (S. 147), aus Siedlimowo, Kreis Ino wraziaw ein kleiner Depot-
fund von 79 Münzen, von denen 20 dem Vespasian angehören (68 —
79), welche jedenfalls noch aus dem Reiche ausgeführt sein müssen, als
von ihnen eine überwiegende Anzahl in Umlauf war. Ihnen schliessen
sich 2 Münzen von Domitian, 3 von Nerva etc. (S. 146) aus demselben
') Lissauer, die prähistorischen Denkmäler der Provinz Westpreussen.
Leipzig 1887.
') Wenn in Pommern die römischen Verbindungen noch länger ununter-
brochen fortdauern (vgl. d. Verzeich, d. Münzen in den Balt. Studien 1877,
S. 209 f. und Katalog d. Berl. Ausst. 1880, S. 326), so steht dies im Einklang
mit der Thatsache, dass die Rugier länger als die Gothen in ihrer alten
Heimat zurückblieben.
*) Toppen, bist, comparative Geographie von Preussen S. 9.
1*
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4 K. Hennkg
Fände an. Ein anderer Domitian ist in Kobelnica, in demselbeft Kreise
(S. 145) za Tage gekommen. Die Weichsel Qberschreiten die Münzen
des 1. Jahrh. in dieser Gegend nur an solchen Stätten, welche unmit-
telbar am rechten Ufer liegen: bei Wabcz, Kreis Kulm, mit einem
Vespasian und Titus (S. 147), bei Graudenz mit einem Domitian und Vitel-
lius; im Übrigen setzt sich die Reihe auf dem linken Ufer ungefähr in der
Richtung auf Danzig hin fort, über Rogalin, Kr. Flatow, mit einem
Vespasian vom J. 75 (S. 154), Stockmühle, Kr. pr. Stargard, mit einem
Yespasianus (S. 156), Goschin, Kr. Danzig, mit einem Depotfund von
700 Münzen von Nero bis auf Caracalla (S. 158). Sie endet hier in
St. Albrecht bei Danzig mit einer Anzahl der ältesten Münzen: mit 4
von Augustus und Agrippa, von denen 2 im Jahr 15 vor Chr. geprägt
sind, 1 Germanicus, 1 Qaudius, 1 Nero nebst verschiedenen späteren
(S. 159). Auch an ihrem unteren Laufe wird die Weichsel grade
nur an dem alten 'Überfahrtsorte Willenberg mit 1 Vespasianus (S. 149)
überschritten, während sich im Osten von Danzig noch die Funde von
Gischkau, Kr. Danzig, mit 2 Domitian (S. 159), Lauenburg mit 1 Nero
(Halt. St. S. 211), Stolp mit 1 Nero und Domitian (B. St. S. 218),
Malchow, Kr. Schlawe, mit 1 Nero (S. 162), Rügenwalde mit 1 Ves-
pasian (B. St. S. 211), Strussow, Kr. Bütow, mit 1 Vespasian (S. 163)
und Tiezow, Kr. Beigard, mit 1 Domitian (S. 162) anschliessen. So
tritt die Zeit des Vespasian, welche wohl die ersten festeren Verbin-
dungen entstehen liess, auch von selten der Münzen her, bedeutsam in
den Vordergrund.
Für Ostpreussen entbehren wir zur Zeit noch eine vollständige
Zusammenstellung der Münzfunde ^) und ebenso für das russische Bal-
tikum. Wie weit sich aber 3chon in früher Zeit die Handelsverbin-
dungen zur See ausdehnten, lehrt der Umstand, dass die ältesten römi-
schen Münzen in den baltischen Provinzen auf der Insel Oesel gefunden
sind (1 Augustus aus der letzten Zeit, 1 Tiberius, 1 Claudius etc.) ^).
Über die Wege, welche von der Weichsel nach dem Süden führten,
mögen dereinst die Münzen aus Posen und Schlesien genauere Auskunft
erbringen, doch darf als einer der ältesten hier in Betracht kommenden
Funde derjenige von Polnisch Wartenberg in Schlesien ') gelten. Das
.oben angedeutete Bild wird sich in den Einzelheiten sicher noch ver-
») Für die Umgegend von Tilsit vgl. Zeitschr. f. Ethnologie 1880, S. 132 f.
•) Kruse, Necrolivonica S. 3—6. Prof. Virchow hatte die Güte, das
hier nicht vorhandene Buch für mich einzusehen.
^ Friedläoder, Zeitschrift fi^r Ethnologie IV, 162 f.
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Die Germanen in ihrem Verhältnis zu den Nachbarvölkern. 5
schieben, in der Hauptsache aber kaum verändern, da es mit denjenigen
Ergebnissen, welche wir den gleichzeitigen litterarischen Nachrichten der
Römer entnehmen, übereinstimmt.
Dass die Letzteren nicht an der BernsteinkOste selber, sondern
bei den benachbarten Germanen eingezogen sind, bestätigt sich Zug um
Zug. So können nur südgermanische Besucher der grossen Upsala-Feste
den wunderbar gefärbten Bericht über die Suiones heimgebracht haben,
den Tacitus reproduciert : von dem Reichtum, den der, wie es scheinen
musste, so volkreiche Stamm entfaltete, von der unbeschränkten Macht
des Königs, den die Fremden allein 'in seiner festlichen Herrlichkeit^
und als den Verwalter und Schirmer des Festfriedens kennen lernten, sodass
sie seine Machtbefugnis, alle Waffen unter Verschluss zu behalten, als
eine dauernde, rechtliche Institution ansehen konnten. Nor sie können
den Römern die benachbarten Nationen geschildert und sie ihnen mit
deutschen Namen als Eisten, Finnen und Wenden bezeichnet haben, da
die Völker selber sich niemals so nannten. So legen die antiken Be-
richte fast immer auch ein Zeugnis ab über die Beziehungen, welche
die Germanen mit jenen Völkern unterhielten.
Als die Ostgrenze der Germanen steht im Allgemeinen die schon
dem Agrippa bekannte Weichsel fest. Nur am unteren Laufe der-
selben reichten nachweislich die Gothen darüber hinaus, welche nach
der Angabe des Marinus-Ptolemaeus nördlich vom Bug, innerhalb der
grossen Beugung der Weichsel gesessen haben müssen. Dass ihre ältere
Heimat indessen nicht auf der östlichen, sondern auf der westlichen
Seile des Stromes zu suchen ist, lässt sich nach der Gesamtconstellation
der germanischen Völker kaum bezweifeln. Die archäologischen Funde
zeigen auf dem rechten Ufer zwischen der Weichsel, Ossa und Drevenz,
eine grosse Dichtigkeit und reichen hierein eine Zeit zurück, welche den
ersten römischen Einwirkungen jedenfalls um Jahrhunderte vorausliegt,
aber sie setzen trotz einzelnen unterscheidenden Merkmalen (wie dem
fast gänzlichen Fehlen von Gesichtsumen) doch nur diejenige Typen,
welche auf der linken Seite an den Strom herantreten, unmittelbar fort.
Eine der alten Verkehrsstrassen scheint in der Nähe von Bromberg den
Strom zu überschreiten,- wo heute die Ortschaft Fordon d. h. 'Furten*
liegt, deren Name in dem Suffixe einen merkwürdig vollen Laut bewahrt.
Und wenn man der Verteilung der Funde, die allerdings in voller Über-
einstimmung mit den natürlichen Lebensbedingungen steht, nur irgend-
wie trauen dürfte, würde man zunächst auch hier im Kulmerlande die
Wiege der auf dem rechten Ufer sich zu enger Stammesgemeinscbaft
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6 R. Henning
zusammenscbliessenden Gothen suchen. Wie sich von hier ihr Reich
und mehr wohl noch ihr Name ausgedehnt hat, lässt sich im Einzelnen
nicht verfolgen. Doch wissen wir, dass die weiter abwärts, zwischen
den Mündungen und Werdern der Weichsel angesessenen Skiren und
Gepiden, welche letzteren auch durch ihreu Namen ^Gii)edaujos^ als
Wasserlandbewohner gekennzeichnet sind, von ihnen bestimmt getrennt
waren.
Die Ostseite der Germanen jenseits der unteren Weichsel nahmen
von Anfang an die Volkschaften der Eisten (Aestiorum gentes), die Vor-
fahren der späteren Preussen, Litthauer und Letten ein, und zwar waren
die speziellen Nachbarn der Gothen die Galinden, deren alter Name
heute noch in der Landschaft Galindien, westlich vom Spirdingsee,
fortlebt. Ob er ursprünglich eine weitere Ausdehnung gehabt und wie
Müllenhoff annimmt, bis an die samländische Küste gereicht hat, müssen
wir dahingestellt sein lassen. Ein Ortsname Gallingen (Galinden, Gal-
linden) *) findet sich noch südlich der mittleren Alle, aber weiter in
den Norden hinauf scheint keine Spur zu führen. Im Jahre 973, und
dies ist das älteste Zeugnis für die Anwesenheit der Preussen, er-
wähnt Ibrahim-ibn-Jacub die 'Brüs' bereits als die am Meere woh-
nenden nördlichen Nachbarn der Slaven ®). Auf der Karte des Marinus-
Ptolemaeus stehen im Norden der Gothen die Venedai, welche Müllenhoff
von hier entfernt, da die 'Wenden' nach altem deutschem Sprachge-
brauche die Slaven sind, welche zu jener Zeit in dieser Gegend unmög-
lich gesessen haben können. Dass bei Ptolemaeus in der That ein
Missverständnis im Spiele war, zeigen deutlich genug die Vcnedika Ore,
welche die Venedai von den Gothen trennen sollen, während iu Wirk-
lichkeit hier keine solchen Gebirge vorhanden sind und der Name über-
haupt nur auf die Waldaihöhen bezogen werden kann. Im Zusammen-
hang hiermit werden auch wohl die Phinnoi erst an die Weichsel
gekommen sein. Freilich würde man den Grund der ganzen Verschie-
bung gerne noch genauer erkennen. Oder sollte der Name, der in
fast übereinstimmender Lautform noch für mehrere andere Stämme wie-
derkehrt, an der Ostsee auch unabhängig von den slavischen "Wenden"
existiert haben? Den nach Heinrich dem Letten um 1200 von der
Windau vertriebenen Wendi, nach denen später die Stadt Wenden zube-
nannt wurde, scheint wenigstens nichts Slavisches anzuhängen. Über die Be-
deutung des Namens werden wir später eine Vermutung zu äussern haben.
^) Nesselmann, Thesaurus linguae prussicae S. 42.
•) Geschichtschreiber der deutschen Vorzeit 18 (1882), S. 141.
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Die Gerroauen in ihrem Verhältnis zu den Nachbarvölkern. 7
Die Grenze zwisclieo Germanen und Eisten muss zwischen Weichsel
and Pregel gesucht werden ; man würde an die Sorge (Sirgune) oder Pas-
sarge (Serie) denken, wenn diese Namen, welche einen Grenzfluss anzu-
deuten scheinen , noch der vorslavischen Zeit angehören ^**). Östlich
derselben lag aber noch ein anderer Fluss im Gesichtskreise der Gothen,
der bei Plinius Guthalus oder Guttalus genannt wird. MüUenhoff sucht
in ihm mit Recht den Pregel, nur wird man bezweifeln dürfen, ob die
Gothen damit den Pregel in seiner heutigen geographischen Ansetzung,
oder nicht vielmehr die ihnen näher liegende Alle nebst dem untersten
Teil des Pregel meinten. Ein Zusammenhang mit dem Namen der Alle wäre
aber nur denkbar, wenn Guth-alus keine Ableitung, sondern ein Com-
positum oder doch später missverständlich als ein solches angesehen wäre.
Dass die Kenntnis des eistischen Landes in kurzer Zeit eine so
vollständige wurde, wie es in Betreff des slavischen nicht annähernd der
Fall war, geht aus den Berichten deutlich hervor, und dies kann auf
keinem Zufall beruhen. Vielmehr müssen die Beziehungen zwischen
den Germanen und Eisten viel geregeltere gewesen sein als zwischen
den Germanen und Slaven. Tacitus nimmt zwar nur im Allgemeinen auf
die Volkschaften der Eisten Bezug, aber Marinus-Ptolemaeus nennt sechs
Stämme und vier ins Meer fliessende Flüsse, so dass das ganze Land
bis an den finnischen Meerbusen hin bereits im Gesichtskreis der Ger-
manen gelegen haben muss (vgl. oben S. 4). Wir vei*stehen dies auch
sehr wohl, denn was die letzteren dort suchten, können uns noch die Ver-
hältnisse der Hansazeit lehren, aus der nicht weniger als einige fünfzig
vei-schiedene Sorten z. T. hochnordischer Pelzwerke als Handelsobjekte
dieser Gegenden erwähnt werden ^^). Diese Gegenstände werden schon
früher aus dem Norden bezogen und von der Ostsee zugleich mit dem
Bernstein weiter nach dem Süden befördert sein. In eine viel ältere Zeit
als das erste Jahrb. darf man den überseeischen Verkehr mit den Eisten
aber nicht hinaufrücken, da in den Ostseeprovinzen von einem Bronze-
alter im strengen Sinne des Wortes nicht die Rede sein kann.
Was Tacitus über den Bernstein mitteilt, stammt nun freilich nicht
ans einer mündlichen Quelle, sondern ist dem Plinius entnommen, der
sowohl über den Ostsee- wie über den schon von Pytheas besprochenen
^°) Toppen S. 12. 15. Lctto-slavisches 'serg', zu dem auch das deut-
sche 'Sorge' gestellt wird, bedeutet 'bewachen, behüten' (Miklosich, Etymol.
Wörterb. S. 293. Kurschat S. 371).
") Über die Namen der Pelztiere uud die Bezeichnungen der Pclz-
werksorten zur Hansazeit handelt Dr. Ludwig Stieda in Königsberg (1888).
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8 R. Henning
Nordsee-Bernstein handelt (N. H. 37, 42 J.). Deshalb ist es nicht nur
unrichtig, dass die Ästier denselben ^glaesum' genannt, sondern auch
fraglich, ob das letztere Wort, welches an der Nordsee aufkam, Ober-
haupt fflr den samländischen Bernstein gegolten hat. Eine gemeinger-
manische Bezeichnung fflr den Succenit gab es schwerlich, wie schon das
altnordische Vafr^ erweist, die Eisten aber nannten ihn gentaras, und
dieser Name ist als ein Knlturwort weiter ins Slavische (jantarr) und
Magyarische (gyantär, gyanta) und vielleicht auch ins Germanische ge-
drungen. Wenigstens wflrde sich so das in deutschen Namen mehrfach
als erstes Kompositionsglied vorkommende Genta-, hochd. Gendi-, Gent-,
für das ich im Germanischen schlechterdings keine Anknüpfung finde, in
einfacher Weise erklaren. Und zwar würde der älteste Zeuge, der Van-
dale Gento'^, noch auf gentdr(az) zurückgeführt werden können (vgl.
ahd. Waccho neben wacchar), während für die späteren Belege eine ähn-
liche Verkürzung des Stammes vorausgesetzt werden müsste, wie sie im
Deutschen Sig- neben Sigis-, Sigur- vorliegt.
Die übrigen Angaben des Tacitus dagegen beruhen deutlich auf
Erfahrungen oder Erkundigungen, die 'an Ort und Stelle' gemacht sind.
Der südländische Reisende, der auf den Unterschied der germanischen
un,d eistischen Sprache achtete und den Charakter der letzteren damit
meinte verdeutlichen zu können, dass er sie der britannischen näher
stellte, muss dieselbe wenigstens einmal gehört haben. Und wer sich
sagen liess, dass die Eisten noch die Sitten und Gebräuche der Sueben
hätten, kann diese in Bezug auf die äussere Kultur im Ganzen richtige
Angabe auch nur in einer Gegend erhalten haben, wo beide Völker
sich berührten. Mehr als ein Hörensagen steckt aber schwerlich da-
hinter, denn dem wirklichen Beobachter würde die vollkommen verschie-
dene Grundlage, auf der sich das Leben beider Nationen entwickelte,
nicht entgangen sein.
**) Wrede, die Sprache der Vandalen, S. 65. Einen vermutlich fränki-
schen Gendirih und einen oberdeutschen Gentfrid erwähnt das Verbrüde-
rungsbuch von St. Peter, einen Gentigerius aus Luxeuil das Reicheuauer
Verbrüderungsbuch (211, 26), eine Genthildis das Polyptychon Irminonis. Der
Zusammenhang zwischen gentaras und hochd. Gendi-, Gent- lässt sich durch
die Annahme erklären, dass Gento ebenso für Gentho steht wie Fantinus für
Fanthinus, Fritigemus für Frithugernus etc., so dass das Wort bereits vor
der Lautverschiebung entlehnt wäre (vgl. auch lit. Gudas neben gothischem
Gutans, Gutos), da man nicht gut an Urverwandtschaft denken kann. Woher
nhAT stammt das von Nemnich (Allgemeines Polyglottenlexikon der Katur-
4, 1397) angeführte 'Kentner* als Name des Bernsteins? Aus
I. gentarum schwerlich.
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Die Germanen in ihrem Verhältnis zu den Nachbarvölkern. 9
Denn im Gegensatz zu dem freien Germanen, der die tägliche
Arbeit im Grande als nnwQrdig verschmähte and sjch mehr und mehr
mit dem Ideale eines grossen üeldentames erfüllte, das er mög-
lichst aach in seinem Leben zu verwirklichen suchte, sass der fried-
fertige Eiste, dem Ackerbau and sonstiger mQhsamer Thätigkeit er-
geben, daheim 'an seiner Scholle haftend und niemals weiter strebend,
so dass er am Ende den Abbrach und die Beschränkung seiner Stam-
mesart auf allen Seiten zu betrauern hatte'. Im Übrigen aber setzte
er sein Heil auf die gläubige Verehrung der Götter, in dei-en Idolen
er einen stärkeren Schutz als in den Waffen zu besitzen wähnte. Wenn
die letztere Erklärung auch sicherlich nur dem Stilbedürfnis des Tacitus
entstammt, so kann die ruhige gottergebene Sinnesart des Volkes, welche
ihm von seinen deutschen Nachbarn den Namen der Aestier, d. h. 'die
Achtbaren' oder 'Ehrwürdigen' (goth. Aistius oder Aisteis, zu aistan
'achten' gehörig) eintrug, nicht bezweifelt werden. Heilige Eber-
bilder als Amulete mit sich zu tragen, war bei ihnen eine weitverbrei-
tete Sitte, und diese kann, wie MüUenhoff mit Recht bemerkt, einzig
und allein den Anlass dazu gegeben haben, dass die römischen Bericht-
erstatter sie zu besonderen Verehrern der grossen Göttermutter machten,
deren Anhänger in Rom durch ähnliche Abbilder sich kenntlich machten.
Auch an wirklichen Überresten dieser Sitte dürfte es nicht ganz fehlen.
Den in der Nähe von Danzig gefundenen Bernsteineber, den Virchow
als solchen bestimmte, wird man unbedenklich in diesen Zusammenhang
rücken dürfen, aber alsdann auch die Konsequenz nicht abweisen können,
dass die gleichartigen Amulete, der in der Nähe von Stolp gefundene
Bär und das merkwürdige Tier aus Driesen gleichfalls hierher gehören,
mag man sie nun als eistische Originalarbeiten oder als germanische
Nachahmungen betrachten^'). Denn dass die Eisten nur Eber und nicht
aach andere Tierbilder getragen, ist man durch die Stelle des Tacitus
wohl nicht zu glauben genötigt.
Etwas anders freilich scheint Ibrahim in seinem Reisebericht, den
") Zeitschrift für Ethnologie, Verhandl. 1884, S. 566 ff 1887, 401 ff
Über die Zeitstellung dieser Tierfiguren ist nichts Sicheres bekannt. Man
pflegt dieselben wegen der aus Punktreihen bestehenden Verzierung, die auch
auf den an der Bernsteinkäste ausgebaggerten . Stücken wiederkehrt, der ueo-
lithischen Periode zuzurechnen. Aber entsprechende Verzierungen finden sich
auch noch auf späteren Denkmälern, z. B. den Gesichtsumen. Die beachtens-
werte Geschicklichkeit, welche in der Bearbeitung dieser Bernsteinamulete
hervortritt, wird auf dem Hintergrunde eines weitverbreiteten Kultusgebrauches
noch besonders begreiflich.
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10 R. Henning
MüUenhoff noch nicht benutzte, die Brus zu schildern, indem er erzählt:
'Sie wohnen am Meere und haben eine besondere Sprache ; die Sprache
ihrer Nachbaren verstehen sie nicht. Sie sind bekannt wegen ihrer
Tapferkeit. Wenn ein feindliches Heer in ihr Land kommt, warten
sie nicht auf einander bis sie beisammen sind, sondern jeder geht auf
den Feind los und haut mit seinem Schwert [gemeint ist jedenfalls die
Keule] auf ihn ein, bis er tot ist. Häufig kommen nämlich die Rns
(Nordmänner) von Westen her zu Schiff, um in ihrem Lande zu plündern'.
Aber dies planlose sich Entgegenstellen, das etwas Fatalistisches an sich
hat, beweist wiederum nur den Mangel jeder kriegerischen Organi-
sation und derjenigen Institutionen, welche die Germanen so stark
machten.
Bei dieser Eigenart des merkwOrdigen Volkes begreifen wir, wes-
halb die Eisten es in der Geschichte niemals zu einer wirklichen Macht-
entfaltung gebracht haben. Von der alten Basis ihrer Ausbreitung,
welche Müllenhoff mit Recht im Nordwesten des grossen Sumpfgebietes
am Pripet sucht, haben sie das freie Land zwischen den Germanen,
Slaven und Finnen, von der unleren Weichsel bis au den finnischen
Meerbusen allmählich besetzt, wo ihr Name von den Germanen noch
im 9. Jahrhundert in seinfer alten Anwendung gebraucht wird,
während er hier von den wirklichen Finnen, den Esten, niemals accep-
tiert wurde.
In welchem Umfange die Kenntnis des nördlichen Europa den
Römern durch die Germanen erschlossen wurde, lehrt am besten die
Betrachtung der Finnen, über welche mit Tacitus eine zusammenhän-
gende und zugleich so umfassende Tradition anhebt, dass sie notwendig
längere Beziehungen zwischen jenen Völkern voraussetzt. Alle Namen,
welche das Altertum für die Finnen kennt, richtige und falsche, sind
deutsche. So die taciteischen Sitones 'die Sitzenden', welche angeblich von
einer Frau beherrscht wurden und somit die germanische Uindeutung der
Kainulaiset d. h. 'Nieder- oder Flachländer' in Quenans oder Quenos
(zu germ. qeno 'Frau*) bereits voraussetzen. Gleichzeitig taucht bei
Tacitus aber noch eine andere Benennung, der Name der Fenni, auf^
d. h. nach MüUenhoffs schöner Deutung 'die Beflügelten' (vgl. niedd.
finne, ags. fin 'Feder', lat. pinna), der im Lande selbst nicht volkstüm-
lich ist, sondern den Bewohnern desselben nur von den Germanen nach
ihren Schneeschuhen beigelegt sein kann und der so ihr historischer
Gesamtname wurde.
Im Gegensatz zu den späteren Autoren, welche fast nur über die
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Die GennsDen in ihrem Yerbältnis zu den Nachbarvölkern. H
skadioavischen Finnen berichten, weiss Tacitas eine Gesamtcbarakteristik
des Volkes zu entwerfen, welche die primitive Kultur desselben in so
warheitsgetreuen Farben malt, dass sie auch heute noch auf einzelne
St&mme desselben volle Anwendung findet. Wenn seine Gewährsmänner
ihm erzählten, dass die Finnen keinen Ackerbau, noch auch Häuser,
Pferde und Waffen — 'den Stolz der Germanen' — kannten, dass sie
von der Jagd lebten, welche Männer und Weiber gemeinsam betrieben,
dass Gras und Kräuter ihnen als Nahrung, Felle als Bekleidung, der
Erdboden als Lager diente, dass ihre einzige Wohnung und Zuflucht
gegen die wilden Tiere und Regen ein Geflecht von Ästen und Zweigen
sei, so durfte ihm dies, deu Eisten und Germanen gegenüber, als ein
Beispiel niedrigster Armut und nach seiner ethischen Zurechtl^ung zu-
gleich von höchster Bedürfnislosigkeit erscheinen; wir aber können an
diesen Berichten insofern noch die Herkunft kontrolleren, als sie deut-
lich nur das Sommerleben des Volkes berücksichtigen, während die win-
terlichen Zustände : die wärmere Behausung und andere Dinge, die lange
dunkele Zeit und die fürchterliche Kälte, welche den späteren Bericht-
erstattern so merkwürdig erschienen, völlig übergangen werden. Die
Nachrichten sehen ganz so aus, als ob sie von den Germanen, sei es
nun von den seemächtigen Suiones oder den Ostgermanen selber, auf
ihren sommerlichen Seefahrten erworben sind. In welcher Gegend
dies geschah, ob in Skadinavien oder an und hinter dem finnischen
Meerbusen, lässt sich zwar nicht ausdrücklich erhärten, doch spricht
der Zusammenhang entschieden für die letztere Annahme. Jedenfalls
lagen dem Tacitus über die Finnen zwei verschiedene Berichte vor,
die er nicht zu kombinieren wusste. Der erste (Kap. 45 Schluss) **),
der sich auf die Quänen zu beiden Seiten des botnischen Meerbusens
bezog, bringt es nicht Über eine missverstandene Notiz hinaus, und
der Umstand, dass sie als Sueben und Nachbarn der Suiones aufge-
führt werden, weist deutlich auf die S. 5 charakterisierte Quelle
hin. Dagegen hat man ihm die Tennorum nationes' offenbar auch als
Bewohner des Binnenlandes genannt, da er sie nach den Peucini und
^*) Ob die Umstellung von Kap. 45 (Schluss), welche Müllenhoff mit
Eutschiedenheit befürwortet, richtig ist, möchte ich bezweifeln, weil die Quänen
dem Tacitus nicht als Anwohner des Oceans, sondern des Binnen (Quft!n-)sees
geschildert sein werden. Da diese richtige Angabe aber nicht zu dem Bilde
passte, welches man in Rom von der nördlichen Oekumene hatte, begnügte
er sich damit, diese nördlichste Völkerschaft nach den Suiones und Aestii in
äusserlicher und notdürftiger Weise nachzutragen.
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12 R. Henning
und Veneti in einem besonderen Anlaufe erledigt, und auf sie allein
bezieht sich die Ilauptschilderung in Kap. 46.
Im sechsten Jahrhuudert, wo neue Beziehungen zwischen den
Skadlnaviern und den Gothen in Italien mehrfach hervortreten, wer-
den die Nachrichten spezieller. Cassiodor und Procop sind die Haupt-
zeugen und ihre Berichte stimmen sehr genau überein, obwohl keiner
den anderen ausschreibt, so dass man eine ziemlich feste Gestalt der
damals erworbenen Kenntnisse voraussetzen darf. Dieselben reichen
bereits bis in den höchsten Norden, bis über den 68" hinaus, wo die
langen (40tägigen) Nächte beginnen, von denen bei Tacitus erst eine
märchenhafte Kunde hervorleuchtet. Die Reihe der späteren Autoren
über die nordischen Finnen eröffnen Paulus Diaconus und König Alfred,
und merkwürdiger Weise kommen erst bei ihnen zwei der unentbehr-
lichsten Besitztümer des Volkes, das Renntier und die Schneeschuhe,
zum Vorschein. Aber noch sie stehen ebenso wie die letzten Gewährs-
männer, Adalbert und Adam von Bremen, innerhalb derselben alten
Tradition. Noch bei Adam beginnt ebenso wie bei Tacitus und in
der nordischen Mythologie hinter den Finnen die Welt der Fabelwesen.
Für das Märchen von dem Frauenlande, von welchem dem Tacitus erzählt
wurde, ist ein weiterer später Gewährsmann Ibrahim oder vielmehr König
Otto, denn es heisst in dem Reiseberichte Kap. 7: *Von den Russen
(d. h. Nordmänner) gegen Abend liegt die Stadt der Frauen. Diese
besitzen Äcker und Sklaven. Von ihren Sklaven werden sie schwanger,
und wenn eine von ihnen einen Knaben gebiert, tötet sie ihn. Sie reiten
zu Pferd, führen selbst Krieg und sind voll Mut und Tapferkeit. Ibrahim-
ibn-Jakub der Jude sagt: der Bericht über diese Stadt ist wahr. Otto,
der römische König, hat es mir selbst erzählt'. An der hinzugetretenen
Ausschmückung, welche ähnlich bei Alfred und Adam wiederkehrt,
erkennen wir die ununterbrochen fortwaltende mündliche Tradition.
An den Finnen hat unsere Altertumskunde ein näheres Interesse,
weil ihre Geschichte sich wiederholt mit den Anfängen der slavischen,
eistischen und ostgermanischen Völker berührt, und weil ihre Sprache
und Kultur gar manche Zeugnisse altgermanischen Lebens wie Ver-
steinerungen in sich einschliesst. Von fremder Abkunft müssen sie,
gleich den Ariern, vor oder neben der nördlichsten Gruppe derselben,
aus Asien herübergekommen sein. Die auch heute noch nicht völlig
beseitigte Annahme, dass sie ursprünglich einen grösseren Teil des mitt-
leren Europa nördlich der Alpen eingenommen hätten, findet weder in
den historischeu, noch in den anthropologischen und archäologischen
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Die Germanen in ihrem Verhältnis tu den Kachbarvulkem. 13
Verhältnissen irgend welche Stütze. Wo sie zuerst mit den Germanen
zusammentrafen, ist zweifelhaft: im Innern von Russland war es schwerlich
der FaU, da hier die Eisten und Slaven immer eine trennende Schicht
zwischen Beiden gebildet haben müssen. Dagegen sind die Beziehungen
in Skadinavien uralt, und hier sind die Finnen deutlich von den
Germanen zurückgedrängt worden. Wie weit sie anfänglich bis in den
Süden der Halbinsel reichten, beweist der Name einer Wildnis in Schonen,
welche von den Dänen und Gauten nur nach ihnen Tinnwildnis' oder
Tinnwald' zubenannt sein kann. Die Vermutung MüUenhoffs, dass die
Nordländer sogar den Namen Scadinavia von den Finnen übernommen
hätten, hat eine geringe Stütze, obwohl nicht zu verkennen ist, dass
die Riesentochter Skadi, die Mutter des Sseming (Sseming von altn. Samr
Tinnef, welche nach Finnenart auf Schneeschuhen im Gebirge haust
und sich mit dem Wanengotte Niord vermählt, hernach aber aus Sehn-
sucht nach den Bergen es bei ihm am Strande nicht mehr auszu-
halten vermag, in der nordischen Mythologie als eine Repräsentantin
des Finnentums dasteht. Die ältesten Berichterstatter, an ihrer Spitze
der Gewährsmann des Cassiodor, der, wie Müllenhoif vermutet, kein
Anderer als König Rodwulf von Norwegen war, setzen die südliche
Grenze der Finnen bereits jenseit des Waener Sees, in die Grenzmarken
von Norwegen und Schweden, von wo ihnen bis in den Norden ein un-
geheures Revier offen stand.
Trotz dieser nächsten Nachbarschaft dürfen die wichtigen Kultur-
beziehungen zwischen den Germanen und Finnen, welche sich beson-
ders an der Hand der finnischen Lehn werte verfolgen lassen, nicht
hier, sondern nur in einer Gegend gesucht werden, von wo die Ent-
lehnungen nocli bis zu den Wolgafinnen gelangen konnten. Das letz-
tere war sicherlich nur von der Ostsee aus möglich, an deren Küsten
bis ins Innere des Meerbusens hinein germanische Ansiedelungen be-
standen, die teils wohl zu blossen Handelszwecken dienten, teils offenbar
eine gewisse Oberhoheit über die umwohnenden Völker ausüben sollten.
Sie erstreckten sich wohl nicht nur über die finnischen, sondern
ebenso wie in der späteren normannischen Zeit, über die eistischen
Küsten, und man mag die grossen schiffsförmigen Steinsetzungen an den
letzteren, welche ihre nächsten Verwandten in Westpreussen und beson-
ders in Schweden finden, immerhin als ein Zeugnis dafür betrachten.
Speciell erinnert die Art, wie bei ihnen Vorder- und Hintersteven an-
gedeutet sind, an die Beschreibung, welche Tacitus den Schiffen der
Suiones widmet: 'forma navium eo differt, quod utrinque prora paratam
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14 R* Henning
semper appulsui frontem agit' **). Auch von sprachlicher Seite her würde
die Auffassung, dass die Ostsee im Mittelpunkt des Kulturverkehres zwi-
schen den Germanen und Finnen stand, eine starke Stfltze erhalten,
wenn die Annahme von Budenz, dass ein grösserer Teil der lappische»
Lehnworte nicht direkt ans dem Germanischen, sondern erst aus dem Fin-
nischen herübergenommen sei, als zutreffend betrachtet werden darf ^^).
Es kommt hinzu, dass Thomsen, der in seiner klassischen Schrift ^[Ther
den Einfluss der germanischen Sprachen auf die finnisch-lappischen' die
sichere Basis für die Beurteilung aller dieser Verhältnisse gelegt hat,
hervorhebt, dass auch das Lithauische einen sehr grossen Einfluss auf
den ganzen finnischen Stamm ausgeübt hat (S. 126). Weitere Aufklä-
rung hierüber zu erhalten, wäre von dem grössten Werte, denn es fehlt
nicht an Anzeichen dafür, dass die gesamte baltische Kultur während der
ersten Jahrhunderte unserer Zeitrechnung in einem sehr nahen Connex
gestanden hat.
Auf diese Periode weist uns mit Bestimmtheit die älteste Schicht
der Lehnworte, welche ihrer hohen Altertümlichkeit halber nicht später
gesetzt werden kann. Im Laufe jener Zeit müssen die Berührungen
ungemein intensive geworden sein, denn die Worte — es sind im
Ganzen über 500 nachgewiesen — schliessen fast alle Gebiete des mati»-
riellen und inneren, des öffentlichen und häuslichen, des kriegerischen
und friedlichen Lebens in sich. Ein charakteristisches Beispiel für die
Art dieser weitreichenden Beziehungen mag uns die Betrachtung des
finnischen Hauses liefern ^^).
Dass die Finnen ursprünglich keine gezimmerten Häuser kannten,
bezeugen nicht nur die Nachrichten der Alten, sondern in Übereinstim-
mung mit diesen auch die Thatsachen selber. Die Stangengerüste, von
denen die Römer hörten, bestehen ebenso wie die alten unterirdischen
Wohnungen in ihren Resten noch heute, bei den Wolgafinnen wie bei
den Lappen, und sie haben in der sonstigen finnischen Architektur ihre
deutlichen Spuren zurückgelassen. Daneben aber müssen alle Finnen
bereits in einer frühen Zeit ein wirkliches Holzhaus kennen gelernt haben,
denn es findet sich nahezu in derselben Form bei den Ceremissen, Mord-
^^) Vgl. ündset, Das erste Auftreten des Eisens S. 167.
'") J. Budenz, Über die Verzweigung der ugriscben Sprachen in Bez-
zenhergers Beiträgen 4, 243 ff.
") Einen genaueren Einblick in diese Dinge ermöglicht uns das umfas-
sende Werk von Heikel, die Gebäude der Ceremissen, Mordwinen, Esten und
Finnen. Helsingfors 1888. Doch vergl. auch Retzius, Finnland, übers, von
Appel (1885) S. 62—101.
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Die Germanen in ihrem Verhältnis zu den Nachharvölkern. 15
winen, Esten und Finnen wieder. Es besteht ans dem viereckigen
Hanptranm mit dem platten Herd in der Mitte oder gewöhnlicher noch
mit dem grossen Backofen im Hintergründe, sowie aus einem am Giebel
gelegenen Vorraum, welcher, besonders wenn weitere Konstruktionen
hinzutreten, leicht fortfällt. Bei der grossen Einfachheit der Anlage
lässt sich die Herkunft derselben aus der Form nicht bestimmen, doch
berührt sie sich näher mit dem skadinavischen Hanse als mit dem
russischen. Mit dem ersteren stimmt der karelische und der eine Typus
des einfachsten estnischen Hauses völlig überein, während der andere
estnische Typus und das ceremissische Haus sich nur durch die wie es
scheint speciüsch finnische Stellung des Ofens unterscheiden. Im rus-
sischen Hanse aber ist nicht nur die Stellung des Ofens, sondern auch
die daran geknüpfte Raumabsonderung eine eigentümliche.
Bestimmtere Anhaltspunkte ergeben die sprachlichen Benennungen.
Das eigentliche Wort für das finnische Stangenzelt ist die Kota, da
auch im Tatarischen kotara eine Hütte von Filz bezeichnet. Dasselbe
ist in alle umliegenden Sprachen gedrungen: ins Slavische, liithauische
und — nach der ersten Lautverschiebung — ins Nordgermanische, wo
e& selbst noch im Angelsächsischen vorhanden ist. Ein zweites finnisches
Wort von weiterer Verbreitung ist die Pirte (pirtti), welches im Kare-
lischen bis hoch in den Norden hinauf die alten Rauchstuben, also schon
ein gezimmertes Haus, bezeichnet. Dasselbe Wort findet sich im JA-
thanischen wieder, wo pirtis 'das Badehaus, die Badestube' und in preus-
sich Lithauen die Tlachsbrechstube' bezeichnet. Dasselbe ist zweifellos
von eistischer Herkunft, da es im lithauischen periu 'Jemand baden,
mit dem Badequast schlagen' seine sprachliche Anlehnung findet ^^.
Dem Wortsinn nach mit pirtis nahezu identisch ist eine andere Benen-
nung, von allen die weitestverbreitete: topa = althochd. stuba, nord.
stofa 'die Stube, heizbares Gemach, Badezimmer', slav. istüba, izba, lit.
stuba, welche letztere, wie Thomsen vermutet, speziell dem finnischen
topa zu Grande liegt. Sie wird eine ursprünglich deutsche sein und,
wie Martin bemerkt hat *•), zu germ. stiuban 'stieben, stäuben' gehören,
so dass die 'Stube' ursprünglich ein Ort ist, wo es (von Wasserdämpfen)
stiebt. Danach dürfte die Sitte der Dampfbäder, welche Ibrahim schon
im 10. Jahrb. erwähnt und welche bei den Finnen noch heute in der
ursprünglichsten Weise fortgeübt wird, die Finnen auch zu ihrem ersten
regulären Wohnhause verhelfen haben.
**) Kurscbat, IJthanisch-deutsches Wörterbuch S. 315 und 306.
") Badenfahrt von Thomas Miirner (Strassburg 1887), S. XI.
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16 E. HenDing
Ein ähnlicher Zusammenhang wie für das Wohnhaas lässt eich
für andere Gebäude dieser Yölkergruppe nachweisen. Die hübschen
zweistöckigen Kleiderspeicher der Ceremissen erinnern allzusehr an die
finnisch-karelischen Luhtispeicher, als dass man beide nicht in denselben
Zusammenhang einordnen sollte. Woher aber die letzteren stammen,
lehrt nicht niir ihr Aussehen, sondern auch ihr Name, denn luhti ist
wieder eine alte Entlehnung des nordischen lopt. Bei den Wolgafinnen
treffen wir dagegen dasselbe Wort (kl&t) wie bei den Eisten (lit. kletis
*ein kleines Yorratshäuschen, das zugleich das Schlafgemach für die
Mädchen enthält^ und Slaven (kleti "domus, cavea*), das mit dem goth.
hleithra (hlethra) und hleis 'Hütte, Zelt' wurzelverwandt sein wird, so dass
es ebenso wie vielleicht hochd. stadal, lit. stadala 'Stall', slav. stodolja
VaöÄriwm' in eine frühe Zeit zurückreicht.
Den östlichen Völkern gemein ist endlich noch die 'Riege'. Bei
den Woten ist rihi 'die Stube', bei den Esten rehetuba gleichfalls eine
schlechtere Stube. Den Letten aber hiessen nach einer Quelle v. J. 1702
rygen 'hart beigelegene kleine ebenmässig gebaute Scheunen, worinnen
sie ihr Korn zu trucknen pflegen' ^^. Das Wort ist ein deutsches und
gehört speziell zu schwed. rl Trockenstange', das auch im Finnischen
als ria 'Darre' vorliegt.
So sind die Namen der Kote, Pirte, Stube, Klete, Riege allen
oder mehreren der baltischen Völker gemein, und wie die Namen über-
einstimmen, werden es im Ganzen auch wohl die durch sie bezeichneten
Gebäude gethan haben.
Auch das alte eistische Haus lässt sich auf Grund des nunmehr
vorli^enden Materiales seiner Grundlage und seiner speziellen Fortent-
wicklung noch leidlich genau bestimmen. Dass die estnischen Häuser,
welche Heikel in so dankenswerter Weise uns vorführt, keine finnischen,
sondern im Grunde alte eistische Anlagen sind, kann, glaube ich, keinem
Zweifel unterliegen. Schon der äussere Eindruck stimmt gar nicht zum
Finnischen. 'Die verhältnismässig niedrigen Wände, die zum Teil aus
Holz gezimmert, zum Teil aus Sandstein zusammengefügt sind, tragen
ein ungemein grosses, schweres und in den Giebeln abschüssiges Strohdach',
ganz so wie uns dies auch für die lithauischen Häuser vom Jahre 1500
bezeugt ist^^). Aber auch die innere Anlage gehört offenbar zu dem-
selben Typus, wie Bezzenberger ihn für das preussische Lithauen er-
'^^) Bezzenberger, Über das littauische Haus, Altpreussische Monats-
schrift XXUI, S. 44, vgl. Brückner, Litu-slavische Studien I, 125.
»*) Bezzenberger S. 38.
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Die Germanen in ihrem Verhältnis zu den Nachbarvölkern. 17
forscht hat. Dies gilt nicht nur für die gewöhnlichen Formen wie
Bezzenberger Fig. 1 etc. (vgl. Heikel S. 162. 185. 188 etc.), son-
dern anch fOr die scheinbar so besonderen nnd umfassenderen Kon-
straktionen ans Gilge und Inse (Bezzenb. Fig. 21 u. Nachtrag S. 629 ff.,
Fig. I — III), welche in ganz analoger Form wie in Preussen am
finnischen Meerbusen wiederkehren (Heikel 166, vgl. S. 200). Diesel-
ben sind, wie Oberhaupt wohl das fortentwickelte eistische Haus, ent-
standen aus dem alten einfachen Wohnbaus und der liart beigelegeneu*
Riege, welche beide zu einer einheitlichen Anlage vereinigt wurden.
Dabei hat die Riege als Flur oder Scheune zugleich die Funktionen der
Vorhalle, oder, wie die estnischen Finnen sie nennen, des 'Stangen-
flures' (Heikel S. 169) übernommen, die in Preussisch Lithauen nicht
mehr vorhanden ist, wohl aber in den estnischen Badestuben und den
sonstigen Häusern. Bald stellt sie sich als ein eigener Vorbau dar, bald
ist sie völlig in das Haus hineingebaut. Damit erhalten wir für das
eistische Haus nahezu dieselbe Grundform, wie für das skadinavlsche,
hinterpommersche, polnische und russische ''). Auch die Art, wie das
einfache eistische Haus sich vergrössert, findet in Westpreussen und
Hinterpommem gewisse Analogieen, während sie in Russland in anderer
Weise stattfindet.
So tritt in Bezug auf das Wohnen eine gewisse Gleichartigkeit
der baltischen Kultur hervor, welche sich auch noch in anderen Dingen
geltend gemacht haben wird, und wir werden es nunmehr begreiflich
^) Die obige Darlegung begründet eine wesentliche Modifikation meiner
früheren Ausfiihrungen (Das deutsche Qaus S. 82 ff.). Über das russische Haus,
das uns Heikel kennen lehrt, war damals ein überaus geringes, über das eis-
tische Haus gar kein Material vorhanden. Andererseits aber eigiebt sich für
die thatsächliche Existenz deijenigen Typen, aufweiche ich die östliche
Bauart zurückführte, eine weitgehende Bestätigung. Weshalb auch die Vor-
haUe am Giebel ein so regelmässiger Bestandteil gerade der ältesten Anlagen
ist, begreift sich, wenn man bedenkt, dass die alten deutschen und ebenso
die eistischen Häuser (Bezzenberger S. 38) ihr Licht mittels eines im Dach
angebrachten Fensters erhielten, so dass ein geschützter Vorraum, von dem
aus man direkt ins Freie sehen konnte, eine Art Bedürfnis wurde. Im Laufe
der späteren Entwickelung ist derselbB in der Regel ebenso fortgefallen wie
am griechischen Hause. Als ich die Vorhalle auf Grund der homerischen
Gedichte und der alten Tempelarcbitektur für einen wesentlichen Bestandteil
des altgriechiscben Hauses erklärte, wurde mir, wie es schien, treffend ent-
gegengehalten, dass das peloponnesische Bauernhaus eine solche überhaupt
nicht kenne. Erst die Ausgrabungen Schliemanns haben mir wieder Recht
gegeben.
WMtd. Zeitacbr. 1 OMoh. n. Konit VUI, I. 2
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18 R. Henning
finden, dass die Berichterstatter des Tacitas die Aestii im Gegensatz
zn den Finnen noch zu den Sueben meinten rechnen zu dürfen. Aber
bald nach dieser Zeit sind auch die Finnen durch die Germanen und
Eisten für die baltische Kultur gewonnen worden. Und von da ab
datiert deutlich ein neuer grosser Aufschwung dieses Volkes, so dass es
bald nach der lettischen 'Seite hin erobernd auftreten konnte.
Dieses Verhältnis zwischen den Finnen und Eisten ist verschieden
beurteilt worden. Thomsen und MOllenhoff fassen auf Grund der histo-
rischen Nachrichten die ältesten Vorgänge in einheitlicher Weise so,
dass den Eisten bis in das neunte Jahrhundert das ganze Gebiet bis
an den finnischen Meerbusen gehört habe und dass sie später von den
nachrückenden Finnen, auf die hier auch ihr Name (Esten) überging,
ebenso zurückgedrängt wurden, wie dies an der südlicheren Küste vor-
übergehend durch die Liven und Kuren geschah. Andere dagegen
haben vermutet, dass die Eisten schon bei ihrer ersten Ausbreitung von
Süden her in dieser Gegend Finnen getroffen und mit ihnen eine Art
Mischrace gebildet hätten, in der die Finnen ebenso die Herren ge-
wesen,, wie dies später mit den Deutschen der Fall war^ dass sie all-
mählich aber in einem heute noch wahrnehmbaren Prozesse wieder von
den Letten mehr oder weniger verdrängt und aufgesogen seien *^). Der
Name der Esten, der freilich kein volkstümlicher geworden ist, liefert
gewiss ein entscheidendes Zeugnis für die einstige Anwesenheit des eisti-
schen Stammes. Nur bleibt zu beachten, dass die heutige geographische
Abgrenzung von Estland z. T. eine willkürliche ist, und dass das letz-
tere ehemals noch die ganze nördliche Hälfte von J^ivland mit umfasste,
so dass es fraglich bleibt, ob derselbe ursprünglich mehr die Gegend
am rigischen oder am finnischen Busen bezeichnet hat. Die Fortdauer des
Namens aber würde sich bei einer alten Volksmischung am besten erklären.
") Graf Sievers und Virchow m der Zeitschrift für Ethnologie 1877,
Verh. S. 367; über die physische Beschaffenheit der Finnen und Letten vgl.
Virchow ebenda und den Schlusssatz S. 437 : 'Die Bevölkerung von Livland und
Kurland erscheint nicht nur jetzt, sondern schon in den alten Gräbern so
verschieden in ihrem physischen Verhalten von der Hauptmasse der Finnen
und so verwandt dem, was wir bis jetzt von Letten und Lithauem wissen',
vgl. 1878 Verh. S. 141 ff. Für die Entdeckung, dass die alten Aestii Finnen
seien, während doch die Alten beide Völker nicht nur dem Namen, sondern
auch dem Volk^cbarakter nach deutlich genug unterscheiden, wird im Lit-
teraturblatt fUr germ. und roman. Philologie 1888 Nr. 10 von einem Recen-
senten MüUenhoffis Leskien als Gewährsmann angeführt. Auf die Beweis-
führung darf man gespannt sein.
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Die Germanen in ihrem Verhältnis zu den Nachbarvölkern. 19
'Schon zn derselben Zeit, in der die Finnen zu ihrer grössten
Machtentfaltang gelangten, war ihnen im Rflcken ein mächtiger Gegner
entstanden, der vom Binnenlande aus sich einen Zugang zum Meere zu
eröfi&ien strebte: die Slaven. Die erste Etappe in dem Vordringen der-
selben ist die Besetzung resp. Neugrttndung von Novgorod am Bmensee,
welches als äusserstes Emporium der Ostseeschiffahrt Ton Nordländern und
deutschen Hansafahrem in gleicher Weise aufgesucht wurde. Damit war
die Waldaihöhe, die Ore Venedika, die alte natürliche Grenze, welche
die Finnen oder, nach slavischer Bezeichnungsweise, die Tschuden' von
den Slaven schied, überschritten. Im Binnenlande lässt sich das Anwachsen
der Slaven nicht so genau verfolgen, obwohl es ein noch gewalt-
sameres gewesen sein muss. Denn es kann keiner Frage unterliegen,
dass den Finnen einst das weite Gebiet nördlich der Wolga und selbst
noch südlich derselben in der grossen Beugung des Stromes gehört hat.
Dies erweisen nicht nur die heute sich hier noch fristenden Volksreste,
deren alter Zusammenhang unverkennbar geblieben, obwohl ihre äussere
Gemeinschaft gelöst ist, sondern auch der Name des Flusses selber, der
in der alten Welt zuerst unter finnischer Bezeichnung bekannt geworden ist.
Die Römer und Griechen des ersten Jahrhunderts nannten ihn Ra, wie
heute noch die Mordwinen Rau oder Rawa, und wahrscheinlich ist hier-
mit bereits der "Oapo^ (für Täo^) des Herodot identisch. So waren
die Finnen nicht allzuweit entfernt von dem Kulturgebiet des Pontus,
und einige Zeugnisse für den Einfluss desselben mögen sich aus dem
heutigen Volksleben noch gewinnen lassen*'*), aber ein widriges Ge-
schick hat hier ihrer Existenz ein Ziel gesetzt und sie nahezu an
den äussersten Rand der bewohnbaren Erde zurückgewiesen.
Nachdem die Heimat der Eisten und Finnen festgestellt ist, be-
stimmen sich die Ursitze der Slaven von selber; sie lagen im Gebiet
des mittleren und oberen Dniepr und wurden im Süden durch die step-
penbewohnenden Skythen vom schwarzen Meere getrennt, während sie
im Osten von den Skythen und Finnen und von den letzteren auch im
ganzen Norden an der Wolga entlang bis an die Waldaihöhe umschlossen
wurden. Von da ab bis an die Beresina und das grosse Sumpfgebiet
grenzten die Eisten, so dass die Slaven erst im Süden der Sümpfe sich
bis an die Karpathen und die Weichsel heran erstrecken konnten. Dass
die Weichsel der Grenzfluss zwischen den Germanen und Slaven war,
**) Die Giebel Verzierung auf den Häusern der Ceremissen, welche Heikel
S. 41 abbildet, ist deutlich nicht das einfache Sonnenbild, sondern der von
einem Strahlenkranze umgebene Kopf des Sonnengottes.
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20 ^- Henning
wird von den Alten mehr oder weniger ausdrücklich angenommen.
Diese Auffassung scheint auch der Name des Stromes zu bestätigen.
Die von den Autoren aberlieferten Formen sind Yistula und Yiscula
(Yisclus), welche letztere eine in römischem oder griechischem Munde
vorgenommene Umformung von Yisla darstellt. Denn bei den Germanen
bestanden die beiden Formen Yistla und Yisla neben einander, wie die
angelsächsischen Namen Yistlewudu "Weichselwald' und Wislamude
^WeichselmQnde' erweisen. Die neuhochd. Weichsel ist aus der zuerst
im 16. Jahrh. belegten niederd. Wixel hervorgegangen, welche ebenso
wie Meixner neben Meissner aufzufassen ist. Die eistische Wysla dürfte
aus dem Slavischen entlehnt sein und vielleicht einen älteren Namen
(Wanda 'Wasser') verdrängt haben. Dagegen besteht das Wort im
Slavischen heute noch in allgemeinerer Anwendung: Das polnische
Yolk in Galizien und dem Königreich Polen nennt jedes fliessende Wasser
Wisla, besonders wenn es von Flussüberschwemmungen spricht ^% Aller-
dings ist die Wurzel wis-, weis- auch im Germanischen nachweisbar,
jedoch mit dem Unterschiede, dass sie hier mehr das stehende Gewässer
bezeichnet (nordisch weisa ist *Pfuhr oder 'stehendes Wasser', hochd.
wisa *Wiese' ein Wasserland), und dieser Umstand macht einen slavi-
schen Ursprung wohl wahrscheinlicher, obwohl eine Sicherheit hierüber
nicht zu erreichen ist.
Welche slavischen Stämme sich mit den Germanen zunächst be-
rührten, bleibt uns verborgen, wie denn überhaupt kaum ein einziger
sicherer Stammesname aus alter Zeit zum Yorschein kommt. Diejenigen,
welche Ptolemaeus anführt, beruhen entweder auf einem Missverständnis
oder sind eher wohl noch als Lückenbüsser auf die leere Karte gesetzt,
denn sie wiederholen mit geringen Yariationen nur bekannte deutsche
Namen, welche jenseit der Weichsel wiederkehren. Dass die Grewährs-
männer des Geographen über die> Slaven schlechter als über die Eisten
unterrichtet waren, ist sehr wahrscheinlich, doch darf nicht übersehen
werden, dass die Unkenntnis sich zum Teil aus der eigentümlichen
Urverfassung der Slaven erklärt, welche nicht in grösseren Stammes-
und Gauverbänden g^liedert waren, sondern sich in viele kleine Sippen
zersplitterten, so dass aus der Menge der noch unruhig hin und her
wogenden kleinen und kleinsten Yerbände dem fernen Beobachter in der
That keine berühmten Namen, welche eine weitere Geltung beanspruchen
konnten, zu Ohren kommen mochten. Dass die betreifende Gegend
**) Zeitschrift für vergl. Sprachforschung 28, 212. Wysa heisst auch
ein Nebenfluss des Bober.
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Die Germanen in ihrem Verhältnis zu den Nachbarvölkern. 21
schon in frühester Zeit hinreichend bewohnt war, lehren die gerade
zwischen dem Bug und der Weichsel ziemlich dicht gruppierten Erdfnnde.
Das ganze Volk heisst bei den Germanen von Alters her die
Menden', eine Bezeichnung, welche die Römer und Griechen von ihnen
flbernahmen. Das Wort ist kein slavisches und wird deshalb mit Recht
allgemein fOr ein germanisches gehalten. Über die Bedeutung desselben
spricht MüUenhoff sich nicht aus, was wohl als ein Zeichen dafür gelten
darf, dass er die Erklärungen von Grimm und Zeuss nicht für richtig
hält. Tacitus schreibt den Namen Yeneti, dem ein germanisches
Wenethos (Winithos), sowie das nieder- und hochdeutsche Winitha, Winida
entspricht, die übrigen Zeugen Venedi, Venadi, womit wiederum angels.
Vinedas zu vergleichen ist. Danach haben wir Winethos (Winedos) und
Wenathos (Wenados^. als die zu Grunde liegenden Formen zu betrachten,
und düifen die Kombination mit dem Verbum Venden' auch aus sprach-
lichen Gründen von der Hand weisen. Das Wort muss notwendig
mittels -ath, -ith von einem Stamme win- abgeleitet sein. Zeuss er-
innert dabei an goth. viiya 'Weide', versieht seine Erklärung *die Wei-
denden' indess selber mit einem Fragezeichen (Die Deutschen S. 67).
Das goth. vinja steht im Germanischen nicht- ganz vereinzelt da: es
liegt in dem alemannischen Ortsnamen Artiovinia (für Hartiowinia) 'Berg-
weide' einer St. Gallischen Urkunde v. J. 754, dem Substantivum
winne 'pastum' und dem Verbum winit 'depascit' vor*^. Aber auch Winitha
tritt in den Ortsnamen verschiedentlich und unter Umständen auf, welche
an einen direkten Zusammenhang mit den Wenden nicht gut denken
lässt, so in dem westfälischen Winide, in Winidun, einer Wüstung bei
Corvey, in Winnithi aus Lippe-Detmold, Winithen bei Gandersheim,
Winden in Nassau etc. *'). Aus Schwaben und Bayern ist eine ganze Reihe
einschlägiger Ortsnamen zu verzeichnen, wie derjenige von Althenwini-
den, einer Wüstung bei Schwäbisch-HaU, Winidowa, der Würmsee etc.,
aber hier wäre ein Zusammenhang mit dem Namen der Vindelici (vergl.
auch den Lacus Venetus) immerhin denkbar. Nicht wenige der einschlägigen
Orte sind Wüstungen oder Rodeland. Sie alle für slavische Ansiedelungen
oder Zwangskolonieen zu halten, dazu gehört ein starker Glaube. Eher
könnte man sich vorstellen, dass winith- auch unabhängig von dem
Slavennamen noch eine selbständige Anwendung gestattete. Der zu
«•) Graff, Althochd. Sprachschatz 1, 882.
") Vgl. die Belege bei Förstemann, Altd. Namenbuch 2, 1619 f. und
2^088 S. 646 f. Weiteres Material aus Hessen bei Arnold, Ansiedelungen S.
488 ff., aus Schwaben bei Bacmeister, Alem. Wanderungen S. 160 t
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22 ^ Henning
Grunde liegende Wortstamm ist im Deutschen nicht mehr erhalten, da-
gegen wohl in den östlichen Sprachen. Im Slavischen bedeutet vnnu, vonu,
das sich aus winu entwickelt hat^^) Haussen, hinaus', im Preussischen
winna "heraus' und is-winadu 'auswendig'*^. Von win- 'aussen, draussen'
würde Win-aths, Win-iths, abgesehen von dem Deklinationsthema, ebenso
abgeleitet sein, wie goth. fram-aths 'fremd' von fram 'fort, von her', und
das goth. winja "Weide' könnte sich erklären als das ausserhalb des (je-
meindeackers liegende Weideland. Danach wären die Wenden von den
Germanen als 'die draussen Wohnenden' benannt: eine sehr natürliche Be-
zeichnung für die Leute jenseit der Grenze und zugleich eine so allgemein
gültige, dass man es nicht für ausgeschlossen halten darf, dieselbe habe
auch für die Eisten mitangewendet werden können. In dieser Weise
wtlrde sich die Gonfusion bei Ptolemaeus (S. 6) am Einfachsten erklären.
Das Land, in dem die Slawen sich zu einer festen Nationalität
herausbildeten, war ein vollständiges Binnen- und Flachland: Im Innern
ohne Mannigfaltigkeit und sonderliche Verschiedenheiten, nach seinem
Umfang aber mindestens ebensogross, als der von den Germanen vor
ihrem ersten gewaltsamen Vordringen bewohnte Raum. Wie das Volk
sich äusserlich noch innerhalb seiner ursprtlnglichen Grenzen hielt, so
stand es auch seiner Entwicklung nach den Urzuständen sehr nahe.
Wir beobachten nichts von den Anfängen eines wirklichen politischen
Lebens, weder auf monarchischer, noch auf demokratischer Grundlage,
sondern ein Gemisch sich widersprechender Neigungen, eine Tendenz zur
Unbotmässigkeit und doch wieder zur Unterwürfigkeit gegen den ersten
Besten. Ohne einen anderen wirksamen Zusammenhalt als dei^enigen
der Familie, bewahrt es noch eine grosse Beweglichkeit der Siedlung
und wechselt häufig die Wohnsitze. In Streif- und Beutezügen wohl
geübt, erschien es den Germanen, gegenüber den friedfertigen Eisten, als
ein Räubervolk. An offenem und ebenem Felde zum Kampfe sich zu
stellen, war nicht seine Gewohnheit, denn bei dem führerlosen Zustande
und dem Hasse, der die kleinen Verbände gegeneinander erfüllte, hatten
sie nicht gelernt, gemeinsame Schlachtordnungen zu bilden, und nach
einheitlichem Plane zu operieren. Inbezug auf Verträge erschienen
sie unzuverlässig und unter sich wenig einhellig^; dabei waren sie
") Miklosich, Altslovenische Lautlehre S. 109 f. Etymologisches Wör-
terbuch S. 396.
'") Nesselmann, Thesaurus linguae prussicae S. 206.
^ In späterer Zeit wurde die königliche Macht auch bei den Slaven eine
grössere, aber noch Ibrahim hat von dem kriegerischsten Stamme, den Bul-
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Die Germanen in ihrem Verhältnis zu den Nachbarvölkern. 23
zahlreich und von ärmlichster Lebensweise, gegen Hitze, Frost, Nässe,
Nacktheit und Hunger abgehärtet, und an Kummer gewöhnt, aber von
weicher Gemütsart, dennoch, wie ihre Greschichte beweist, befähigt sich
im Kampf ums Dasein zu behaupten.
Diese Charakteristik lässt sich aus den einzelnen Zagen, welche
die alten Autoren berichten, zusammensetzen; eine weitere Bestätigung
und Vervollständigung derselben dürfte sich bei den Slaven ebenso wie
bei den Eisten aus der Sprache ergeben, wenn man einmal den Wort-
schatz derselben nach' sachlichen und psychologischen resp. moralischen
Kategorieen geordnet hat. So werden diejenigen Vorstellungen und
Eigenschaften, welche sie von den Germanen unterschieden, bestimmter
hervortreten. Aber andererseits gilt es auch, die ältere Grundlage, welche
der späteren Sonderentwicklung zur Voraussetzung dient, nach Mög-
lichkeit zu rekonstruieren. Auch hierfür ist das sprachliche Material
von Belang, denn wenn wir auch an keine eistisch-slavisch-germanische
Grundsprache glauben, so sehen wir doch, dass diese Stämme für ge-
wisse Gegenstände und Anschauungen, welche z. T. neu in ihren Ge-
sichtskreis traten, dieselben Worte hatten, sei es nun, dass sie von den
Ariern allein dieselben beibehielten, oder neu gebildet haben. Durch
die Zusammenstellung derselben erhalten wir eine leise Ahnung davon,
wie sich der Horizont und das Leben dieser aus Asien herübergewan-
derten Stämme in dem europäischen Binnenlande anders gestaltete.
Da sehen wir, wie sie neben dem hellen oder sttlrmischen Wetter
(hochd. wetar, slav. vedrü, lit. gödrus) ein neues Wort für die Dunkel-
heit prägten, das sie vom Erlöschen und Hinsterben des Lichtes entnahmen
(deutsch merkva-, slav. mraku Dunkelheit' gegenüber lit. merkti 'die
Augen schliessen^, mit dem die Germanen auch das grosse Waldgebirge
Mitteldeutschlands als Mirkwawidu "Dunkelwald' kennzeichneten; sehen
ferner, wie sie den harten gefrorenen oder kömigen Erdboden (slav.
gruda, lit. grödas, nord. griot, hochd. grioz), den Moosbruch (hochd.
fani, preuss. pannean) und den Letten (hochd. letto, preuss. laydis),
aus dem sie ihre Grefässe, Napf (hochd. hnapb, slav. konobu) und Tiegel,
(slav. skrada, mhd. schart) anfertigten, gemeinsam benannten; wie von
Bäumen (lit. medis, altnord. meidr) und Pflanzen die Esche (slav. jasika,
lit. usis, hochd ask), die Espe (hochd. äspa, preuss. abse, lett. apse,
slav. os-ina). Lehne (hochd. lln-boum, nord. hlynr, slav. klenu, lit.
garen, zu berichten, Venu sie nicht unter einander uneinig wären infolge der
mannigfaltigen Verzweigung ihrer Stämme und Zersplitterung ihrer Geschlechter,
würde sich kein Volk auf Erden an Macht mit ihnen messen können' (K. 10).
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24 R- Henning
klevas 'Ahorn') und Schlehe (hochd. «leha, slav. sliva) neu in ihren
Gesichtskreis treten. Sie gaben der Vieh- (nord. naut, gewöhnKch im
Plural, hochd. nöz, slav. nuta) und Rossherde (nord. stöd, hochd.
stuot, slav. Stade, zem. stodas) spezielle Namen, benannten den ge-
schnittenen Eber (Borg) und den Schwan (hochd. albiz, slav. lebedl).
Für Wohnung (goth. salithvo, slav. selitva) und Obdach (hochd. skirm,
slav. cremü) hatten sie ausser verschiedenen Entlehnungen gemeinsame
Worte. Auf lebhafteren Betrieb der Bienenzucht (vgl. hochd. bia, bine
und lit. bitis) deutet das Wachs (hochd. wahs, slav. vosku, lit. vas-
kas), auch die Art der Ernährung neben dem altererbten Meth das
Bier (germ. alu, lit. alus, slav. olu), das Fett (nord. Tstur, preuss.
instran) und die Yerba kauen (hochd. chiuwan, slav. ziva, lett. zods
'Kinnbacken') und verschlucken (hochd. swelgan, lit. välgyti). Eine
Anzahl von Werkzeugen war ihnen gemein: der Pfeil (hochd. strala,
slav. ströla), die Axt (hochd. barta, slav. brady), . ein Instrument zum
Aushöhlen oder Meissein (delban, slav. dlfiba, preuss. dalptan), sowie
die (aus zwei Steinen bestehende) Handmflhle (goth. qaimus, slav. zruny,
zema, lit. gema 'Mahlstein', Plnr. 'Handmflhle'). Man wusste den Teig
zu säuern (nord. dregg 'Hefe', hochd. trestir 'Bodensatz', preuss. dragios,
slav. drozdijf 'Hefe^ und zu kneten (chnetan, slav. gneta, preuss. gnode
'Backtrog'), verfertigte Stricke (hochd. seito, slav. seti, lit. s^tas) und
Seile (seil, slav. silo), knüpfte Maschen (maska, lit. mezgu 'verknüpfen'),
verarbeitete Garn (slav. vorbu 'Haspel', deutsch warf 'Aufzug des Ge-
webes' lit. v^rpti 'spinnen' und slav. pasmo 'Anzahl GarnflEkden', deutsch
fasa 'Faser, Franse') und verstand zu färben (angels. deägan, lit. dazas
'Färbestofi*, slav. dagatfi 'bunt'). Man kannte Gold und Silber, aber
noch kein Eisen und auch die Schlacke (deutsch sintar, slav. s^ra
'geronnene Flüssigkeit') hatte einen weiteren Sinn.
Auf dem moralischen Gebiete tritt die trübe Seite des Lebens
merklich in den Vordergrund: dies bezeugen die Worte für Hunger
(hochd. ilgi, slav. lakati neben alükati und lit. alkti 'hungern'), Qual
(quäla, lit. gela 'Schmerz', slav. zali 'Leid'), schwach (got. lasiws, slav.
losl 'mager' und altsächs. I6v 'schwach', lit. laibas 'zart, dünn*), nackt
(deutsch bar, lit. basas, slav. bosü 'barfuss'), lahm (lam, slav. lomiti
'brechen', also wohl 'gebrechlich'), blind (blind, lett. bleust 'nicht recht
sehen', blinda *ein Unstäter', slav. bl^a 'errare'), übel (germ. balw,
slav. bolu 'krank*), Kränkung (härm, slav. sramä 'Scham*), Schande
(h6na 'Schmach', litt, kauns 'Schande'), Weh (kara 'Wehklage', slav.
gorje 'Weh'), elend (got. vainags, lett. vaina 'Sehuld', vainigs 'schuldig*)
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Die Germanen in ihrem Verhältnis zu den Nachbarvölkern. 25
und Verstössen (nord. vargr, lit. vargas "Elend, Not*), — neben denen
die Bezeichnungen fOr freudige Zustände wie ahd. scem 'Scherz' (slav.
skrenja) das einzige, welches Schmidt neben goth. galeikan "Gefallen
finden' (lit. linksmas "froh', slav. liza ^Nutzen') anfahrt, sehr schwach
vertreten sind. Für den Krieg scheint kein einziges specielles Wort
da zu sein, wohl aber mehrere auf Raub- und Beutezage anwendbare:
schleichen (slichan, ags. slincan, lit. slinkti ^kriechen, schleichen^ slav.
slaku ^Spur, Schleichweg'), gleiten (ags. slidan, slav. sl^u ^Spur', lett.
siede ^Geleise', lit. lendu, linsti ^kriechen'), und kriechen (smiugan "sich
hinein schmiegen', lit. smunka ^herabgleiten', slav. smucati ^kriechen,
schlapfen') vgl. Procop BG. 2, 26. Die Germanen und Eisten teilen
einige Worte fOr körperliche Bedrückung : schlagen (beätan, lit. baudzu
^züchtigen') und kneifen (knipen, lit. gnypti), die Slaven und Germanen
fOr moralische Schwächen: goth. blandan ^sich vermischen', slav. bl^da
'irren (auch geschlechtlich)'; goth. liuts 'heuchlerisch', slav. luditi
'täuschen'; goth. liugan, slav. lügati 'lügen'; deutsch gelf "Prahlerei',
slav. goluf "Betrüger'; goth. dulgs, slav. dlügu "Schuld' '').
Dies Bild, das uns die Kargheit und Not des Daseins mit unver-
kennbaren Farben malt, enthält schlechterdings nichts was das Anbrechen
einer höheren Entwicklung bekundete, wenn auch das tägliche Leben die
Menschen zu mancher neuen Geschicklichkeit drängte. Und doch haben
die Crermanen im Laufe der Jahrhunderte eine neue Bahn beschritten.
Ihr Leben erfüllte bei aller Trägheit ein leidenschaftlicher Drang, der
nur noch mehr anwachsen musste, je weniger er sich den nächst-
liegenden Aufgaben zuwendete, und ihre Phantasie leitete ein idealer
Zug, der sie zu einer Weltauffassung von unleugbarer Grösse und Hoheit
gelangen liess. Sie entfalteten ein reges öffentliches Leben, indem sie im
Gegensatz zu den Slaven über die kleinen Verbände hinweg das Los des
Einzelnen von der Gau- oder Stammesverwaltung, die letztere aber doch
wieder von der Yolksgemeinde abhängig machten. Sie erwiesen sich den
äusseren Einflüssen zugänglich und erwarben dadurch ein höheres Mass
von Kultur; ihr Reichtum wuchs und damit der Sinn für Schönheit
und Glanz des Lebens. So stellt sich in ihrer Mythologie neben die
alte Dynastie des Äsen ein neues Göttergeschlecht, die Wanen, schöner
und reicher und neue Segnungen spendend. Doch die Entwicklung blieb
") Das Verzeichnis geht aus von den Wortlisten bei Joh. Schmidt, die
Verwandtschaftsverhältnisse S. 36 ff. und benutzt daneben für das Slavische
das etym. Wörterbuch von Miklosich, für das Eistische dasjenige von Kurschat.
Auf die diakritischen Lautzeichen musste meistens verzichtet werden.
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26 H. Henning
keine friedliche : mit dem Gewahrwerden ihrer Macht und dem Drängen
der inneren Verhältnisse wird die Leidenschaft des Krieges geweckt^
and kein Wagnis ist ihnen za gross, um dadurch die Gunst des Ge-
schickes zu prOfen. In diesem Stadium lernen die Römer sie kennen
und vielfach bewundem, während sie die Zustände der Slaven noch
so kümmerlich schildern, wie sie uns, nach den Zeugnissen der
Sprache, schon in den frühesten Zeiten erscheinen. Dabei waren die
Slaven im Rücken der Germanen gewaltig angewachsen und harrten
nur der Gelegenheit, sich weiter auszudehnen. Diese wurde ihnen
ohne Anstrengung und Krieg zu Teil, als ihre Nachbarn die alte Hei-
mat verliessen.
Die Besiedlung des alten Germaniens, bis zur Elbe hin, durch die
Slaven geht Hand in Hand mit dem schrittweisen Auswandern der
deutschen Stämme. Die Ersten, welche ihre Sitze räumen, sind um das
Jahr 170 ein Teil des lugischen Wandilier und die gothischen Tai-falen
d. h. die Bewohner der dakischen Ebene. Um 240 bricht alsdatin
die Masse der Gothen auf, denen die Gepiden und später die
Heruler nach dem Pontus zu nachrücken. Im Gegensatz zu ihnen
schlugen die Burgunden eine westliche Richtung ein, indem sie noch in
demselben Jahrhundert sich den aus dem Eibgebiet über den Limes sich
ausbreitenden Westgermanen anschlössen. Länger blieben die Rügen
und Skii-en, hinter denen wieder nordische Heruler auftreten, zurück,
denen nunmehr das ganze Land bis ans Gebirge hin offen stand« Aber
schon im 5. Jahrh. sind sie südwärts der Karpathen mit dem Reich
des Attila vereinigt, und mit dem Untergang des letzteren beginnt hier
der Zerfall der Ostgermanen.
Über das Nachrücken der Slaven schweigen die geschichtlichen
Quellen, doch lassen sich gewisse Berührungen zwischen beiden Stämmen
noch verfolgen. Um das Jahr 400, oder wenig später, müssen die Slaven
am Zoptenberge noch germanische Silinge getroffen haben, da sie von
ihnen den Namen Slezi entnahmen. Wie im Norden an der Weichsel-
mtUidung noch später das Mischvolk der Yiduvarier vorhanden war,
werden auch anderwärts vereinzelte Gruppen der alten Bewohner
zurückgeblieben sein, welche erst allmählich in Slaven umgewandelt
wurden. Denn von ihnen übernahmen die Slaven eine Reihe von Fluss-
nnd Ortsnamen, welche sie teils unverändert beibehielten, teils, wie die
Namen der Oder und Moldau, ihrer Sprechweise anpassten. In ihrer
Vorstellung haben die deutschen Stämme und die ehemaligen Besitzer
des Landes thatsächlich bis in das 6. Jahrhundert hinein das Land
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Die GcrmaDen in ihrem Verhältnis zu den Nachbarvölkern. 27
zwischen Weichsel nnd Elbe noch als germanisch betrachtet. Die goth-
ischen Geographen Italiens, Cassiodor nnd der Kosmograpb von Ravenna,
halten immer noch die Weichsel als die Westgrenze der Slaven fest,
der Bericht des Prokop über den Zug des Herulerhaufens, der von der
Theissebne nach dem fernen Thale aufbrach, kennt wohl auf beiden
Seiten der Karpathen die zahlreichen Völkerschaften der Sklavenen und
Anten und von da bis zu den Warnen am Ocean Sriel ödes Land',
aber keine Wenden. Ebenso bleiben die letzteren in den Wanderungssagen
der Langobarden unberficksichtigt, und in dem angelsächsischen Liede
von Vidsid, welches noch einmal die Erinnerungen ans der alten Heimat
etwa bis zum Jahre 570 zusammenfasst, gelten immer noch dieselben
Stämme, wie froher, als die Herren des Landes.
Aus dieser abereinstimmenden Auffassung erhellt, dass die Germanen
das grosse Ostland noch in alter Weise als ihr rechtmässiges Eigen-
tum ansahen, obwohl in Wirklichkeit nur geringe Reste von ihnen zurück-
geblieben waren und das weite Land entweder wüst dalag oder bereits
von den Slaven in Besitz genommen war.
Merkwürdigerweise tritt aber gerade während dieser Zeit, wo die
Entvölkerung bereits begonnen hatte, noch ein neuer Name auf von so
umfassender Anwendung, wie kein anderer aus früherer Zeit, der auch
von allen Ostgermanen und den anwohnenden Völkern als die einheit-
liche Benennung des ganzen Gebietes zwischen Elbe und Weichsel
angenommen wurde. Er lautet: Manringa-land nnd wird in dieser
Form von den gothischen, langobardischen und angelsächsischen Autoren
erwähnt. Mit keinem der alten Völkemamen ist er zu kombinieren,
nnd er muss schon eine besondere Entstehung gehabt haben. Richtig
bemerkt Müllenhoff, dass er trotz seiner Allgemeinheit erst aufgekommen
sein könne, seitdem das Ostland mehr und mehr von den Germanen
aufgegeben wnrde. Der Sinn desselben erschien ihm rätselhaft, doch
meinte er, dass wohl irgend eine spöttische oder verächtliche Bedeutung
darin liegen müsse. In der That giebt uns der germanische Sprach-
schatz keine Aufklärung, die einzige Beziehung, welche Mtdlenhoff bei-
zabringen wusste, ist das altnordische myrr 'Ameise' (*mauri-), aber der
Vermutung, dass Mauringaland ein übervölkertes Land anzeige und
von den Ausgewanderten nach dem Gleichnis eines Ameisenhaufens be-
nannt sei, scheint er selber nicht recht zu trauen. Trotzdem kann der
deutsche Charakter des Wortes keinem Zweifel unterliegen, da es nicht
nur in den Personen-, sondern auch in den Ortsnamen bei allen be-
teiligten Völkern nachzuweisen ist. In Deutschland gehört Maar-, Mauro,
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28 R- Henning
Maaring, MOring zu den verbreitetsten Namen**), ebenso treffen wir
anter den Bnrgnnden in Frankreich einen Manrgutus 'Manrgothe'**)
wie anderwärts einen Maarwalch 'Maurwelschen', ausserdem einen Mau-
ringus und eine Mauringa**). Unter den Ortsnamen gehören hierher
die althochdeutschen Morungen, MOringen u. s. w. So dürfen wir
schliessen, dass jedenfalls im Ostgermanischen und Suebischen ein Wort-
stamm vorhanden war, der diesen Namen zu Grunde liegt, aber
als selbständiges Wort verloren gegangen ist. Doch haben ihn viel-
leicht die benachbarten eistischen und slavischen Sprachen bewf^rt.
Im Eistischen giebt es ein Substantivum manras, welches im Littau-
ischen ^ntengran in stehendem sumpfigem Wasser', im Lettischen 'das
Gras am Hause, ums Haus herum, dann Rasen überhaupt' bezeich-
net**), und das alte Wörterbuch von Stender definiert es noch be-
sonders als das 'Gras, das bei einem wüsten Gebäude wächst'*^).
Auch auf Wegen wachsende Pflanzen, wie Wegetritt, werden durch
Zusammensetzung mit maura- gebildet. Im Slavischen gilt das lautent-
sprechende murava in der Verbindung mit trava 'Gras' gleichfalls für
'das um die Häuser und an den Wegen wachsende Gras und dann
überhaupt für Rasen'*'). Wenn nun dasselbe Wort einst auch im
Deutschen gebräuchlich war, so würde ähnlich wie Holting Jemanden be-
nennt, der im Holze lebt, so Mauring Jemanden kennzeichnen, der an
einem Orte wohnt oder sich niederlässt, wo das unbebaute und ungenutzte
Land mit einer solchen wild wuchernden Grasnarbe überzogen ist, wie sie
an den Wegen und um verlassene Wohnungen hervorspriesst. Damit
gewinnen wir zugleich die treffendste Illustration für 'das viele verlassene
Land', das die Heruler von den Karpathen bis zu den Warnen an der
Ostsee zu durchwandern hatten, und aus der poetisch malenden Bezeich-
nung tritt uns ein Bild öder Verlassenheit einstmals dicht bevölkerter
Gebiete entgegen, wie es in einem Worte kaum anschaulicher gegeben
werden konnte.
Jahrhunderte hindurch, vom dritten bis tief in das sechste, wird
dieser Name den thatsächlichen Verhältnissen entsprochen haben, bis sich
die ins Land strömenden Slaven immer mehr verdichteten. Die aner-
") Förstemann I, 924 f. U, 1075 f
»») Libri Confratemitatum Aug. 370, 33, vgl. 1, 78, 3 M(ori)got.
«) Aug. 348, 2. 374, 26.
^) Kurschat, Littauisch-deutsches Wörterbuch S. 246, Ulmann, Letti-
sches Wörterbuch 1, 153.
M) Lettisches Lexikon (Mitau 1789) S. 167.
*^ Miklosich, Etymologisches Wörterbuch S. 204.
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Die Germanen in ihrem Verhältnis zu den Nachbarvölkern. 29
kannten nnd durch kein Hindernis mehr zurückgehaltenen Besitzer
wurden die letzteren aber erst durch ein bedeutsames historisches Er-
eignis, welches sich im siebenten Jahrzehnt des sechsten Jahrhunderts
vollzog. Nachdem um 530 die gewaltsame Ausbreitung der Slaven gegen
Südwesten begonnen hatte, vermochte Justinianus ihnen hier nur einen
Damm entgegenzusetzen, indem er im Jahre 558 die am Horizonte neu
auftauchenden Avaren auf die Bulgaren und Anten hetzte. Durch den
Erfolg gestärkt, wuchsen aber auch sie zu einer Macht empor, mit der
die Herren des damaligen Europa zu rechnen hatten. Schon standen
sie im Osten des fränkischen Reiches an der Elbe, wo Sigibert von
Austrasien sie eine Zeit lang mit wechselndem Glück bekämpfte und
schliesslich auf gütlichem Wege entfernte, indem er ihnen mit Hülfe
seines Schwagers, des Langobarden Alboin, den festen und unabhängigen
Besitz von Dacien und Pannonien garantierte. Freilich mussten zu diesem
Zwecke die dort angesessenen stammverwandten Gepiden geopfert werden,
aber Alboin, vor dessen Augen schon längst Italien wie eine lockende
Beute lag, entschloss sich dazu, um sichere Verhältnisse und für den
Notfall noch einen Bundesgenossen in seinem Rücken zu lassen. Auch
die von dem Ansturm der Avaren niedergeworfenen Eibgermanen oder
Mordschwaben hielten es nunmehr an der Zeit, ihre Existenz in Sicher-
heit zu bringen; da die ihnen zunächst verwandten Langobarden ihre
alten Sitze geräumt hatten, mussten sie sich notwendig wieder einem
grösseren Verbände anschliessen, sie thaten es, indem die Mehrzahl von
ihnen mit Alboin nach Italien zog, während die Übrigen sich unter dem
Schutze Sigiberts auf dem jenseitigen Ellbufer ansiedelten. So war nun-
mehr durch die Folgen jener verhängnisvoUen Abmachung den im Süden
zmtweise zurückgewiesenen Slaven in dem ganzen Gebiete zwischen Weichsel
und Elbe jedes Hindernis aus dem Wege geräumt. Die in der Heimat
noch verharrenden deutschen Yolksreste aber, jedes Schutzes beraubt,
mussten ihrem Schicksal verfallen, und Ostdeutschland ist für lange ein
slavisches Land geworden.
Das Bild der keltischen Völker, welche im Westen und Süden
des alten Germaniens sassen, ist von MüUenhoff nicht so ausgezeichnet
worden, wie dasjenige der östlichen Nachbarn. Diese Aufgabe würde
den Rahmen der „deutschen Altertumskunde'^ vollends gesprengt haben,
und kann der keltischen Philologie zugewiesen werden. Trotzdem erregen
die Kelten unser besonderes Interesse, da lange Jahrhunderte hindurch, bis
die Römer als neue weltbeherrschende Macht an den Grenzen (Jermaniens
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30 R Henning
auftreten, kein anderes Volk von ähnlichem Einflass aaf die Germaneo
gewesen ist. Wahrend die letzteren den Ostvölkem gegenaber eine
höhere Entwicklungsstufe einnahmen, sind den Germanen einst die Kelten
die Vertreter der fortgeschrittenen südländischen Kultur geworden.
Länger als ein halbes Jahrtausend vor dem Auftreten der Ostvölker
bewegen sich die Kelten, oder wie die Römer sie nannten, die Gallier
im Licht der Geschichte. Am Endpunkte ihrer Wanderung, an den
Ktksten des atlantischen Meeres angelangt, drängen sie gewaltsam, eine
neue, breitere Grundlage fQr ihre Existenz zu gewinnen. Die erste
Richtung, in welcher sie sich ausdehnen, geht nicht' nach dem Süden,
sondern nach dem Nordwesten, nach Britannien und Irland, welche von
ihnen wohl ihre erste Bevölkerung erhielten. Eine vorkeltische Namen-
schicht oder sonstige Spuren, welche auf andere Bewohner hindeuteten,
haben sich dort nicht nachweisen lassen, dagegen kennt schop der alte
Periplus des 6. Jahrh. vor Christus die keltischen Namen für Aibion
und Irland. Hierhin können sie aber nur gekommen sein aus dem
Gebiete zwischen dem Rhein und der Loire, wo jedenfalls ihre ältesten
Sitze in Westeuropa zu suchen sind. In den Besitz des sadlichen Galliens
teilten sich mit ihnen zwei andere Völker. Im Südwesten wohnten noch
im 6. Jahrh. bis an die Garumna und darüber hinaus die Dragani,
die nördlichste^ Ausläufer des grossen iberischen Stammes. Über die
Herkunft der Iberer fehlt es bisher an jeglicher Sicherheit, nur das
lehrt uns ihre Sprache, die in dem Idiom der Basken einen fortlebenden
Nachklang hinterlassen hat, dass sie mit den Ariern in keiner näheren
Verwandtschaft standen. Ob sie ursprünglich einen grösseren Teil des
südwestlichen Galliens innehatten, mögen vielleicht noch die Ortsnamen
ergeben. Jedenfalls fand in dieser Gegend ihr erstes feindliches Zusammen-
treffen mit den Kelten statt, welches den letzteren den Wog über die
Pyrenäen eröffnete. Der erste, der von ^Kelten' im Süden des Gebirges
berichtet, ist Herodot. Noch grösser war das Gebiet, welches die Ligurer
innehatten. Zwar wenn der Periplus gegenüber der britannischen Küste
den 'caespes Ligurum' nennt, so kann dies unmöglich auf Wahrheit
beruhen, sondern nur dadurch entstanden sein, dass der Name ^ehe von
Kelten in Westen und Nordwesten die Rede war, einmal eine viel
grössere unbestimnlte Ausdehnung gehabt hat' (DA. I, 96). Dagegen
gehörte den Ligurem sicher das ganze Land um die Rhone von den
Sevennen bis an die Westalpen und jenseit derselben, ausser dem südlichen
Ktkstengebiet, noch die weite Ebene nördlich vom Po bis zu den Venetem.
Dies in viele kleine Stämme zerteilte Volk, das im Gegensatz zu den
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Die Germanen in ihrem VerhÄltnis zu den Nachbarvölkern. 31
Kelten einen zarten, aber doch z&hen Körperbau hatte and an die
ärgste Not und Anstrengung gewöhnt war^^), lag schon der Beobachtung
der Römer naher, aber der alte Cato, 'der erste und einzige, der der
Verzweigung des ligurischen Yolksstammes redlich nachgeforscht und
sich ernstlich bemaht hat, darüber ins Reine zu kommen' erfuhr Ton
ihnen doch Nichts als trügerisches Gerede, wie sein derber UnwiUe
beweist, mit dem er die ganze Nation unwissend und lügnerisch schilt.
Ihre eigentliche Heimat werden wir an den Südalpen zu suchen
haben, da sie allem Anschein nach ihre nächste Anlehnung an den alten
Völkern Norditaliens fanden, mit denen sie auch wohl eine verwandte
Sprache redeten.
Den an der Westseite der Alpen angesessenen liigurern galt der
zweite südliche Verstoss der Gallier, der ihnen zuerst wohl das Land
an der Rhone und später bei dem grossen Siegeszug, der um das Jahr
400 die Gallier über die Alpen bis nach Rom führte, die ganze lom-
bardische Ebene entriss. Nur an der Meeresküste und in den hohen
Bergen, wo sie zur Zeit der Augustus noch in dichten Massen bei-
sammen sassen, vermochten sie sich länger zu halten.
Mit der Ankunft der Gallier in Italien fällt, wie MüUenhoff
annimmt, die erste Kunde über die nördliche Gebirgswelt bei den süd-
lichen Völkern zusammen. Der eine alte Name für dieselbe ist aller
Wahrscheinlichkeit nach jetzt bekannt geworden; er bezieht sich auf
das ganze nördliche Vorland der Alpen, einschliesslich der süddeutschen
Gebirge, und wird zuerst von Aristoteles als Arkynia, von den späteren
Griechen als Orkynia oder Erkynia Ore (Hercynia silva) erwähnt. Die
Herleitung dieses Namens von gallischem ar-, er-cunu Erhebung' ist
seit Zeuss fast allgemein angenommen, und' wenn man neuerdings da-
gegen eingewendet hat^^), dass die Vorsetzpartikel vielmehr ara- oder
eri- hätte lauten müssen, so vermag dies die sehr einleuchtende Ety-
mologie noch nicht zu erschüttern. Dass Zeuss die Frage seinerseits
erwogen, zeigt seine Bemerkung: 'praepositio are- . . . , discernenda a
particula inseparabili ar-, er-' etc.*^) etc., und erst der Einspruch eines
wirklichen Keltologen könnte hier von Belang sein. Bis dahin bleibt
za erwägen, dass in den arischen Sprachen neben den längeren Partikel-
formen mehrfach auch die kürzeren vorhanden sind. So stehen sich im
^ Vgl. die Zeugnisse bei Nissen, Italische Landeskunde I, 468 ff.
'^) Mach, Hercynia in der Zeitschrift für deutsches Altertum 32, 454 ff.
Der Aufsatz ist übrigens vor dem Erscheinen von MiÜlenhoffs Buch geschrieben.
*«) Gram Celt.«, S. 866.
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32 B
Giieditfcbeo ana- and an- Toih ) seit aher Zdt ge^eofiber. uid don leUtera
eatspndbit schon «ItffüfarJif« an- (in dea NaMo ANYALOXNACY^^),
fo da» etwas AhnKches auch wold bei ar-, er- nö^idi sein wird.
Die Herleitiing too gotlüsdien furgnni 'Berg too Ercjnia imd
onprflnglidieiii Perknnia, aof die es Modi ankommt, hat doch
ihre grossen Bedenken. Ob aDe anlautenden galliscbai P, wdche
die Namen bei den alten SchriftsteDem and auf den Steinen, ron Ober-
itaHen bis Britannien, schon anf dner sdomdftren Entwk^dong bemhen,
Termag ich nidit zn sagen. Ab&r dem Sinne nach scbdnt mir
die Dentnng nicht ganx befriedigend xn sein. Dom Perkonia wflrde
bis anf das Genas genan mit dem Namen des arisdien Donnei^ttes
(ind. Paijanja, lith. Perkanas, nord. FicM^yn) übereinstimmen, was die
Deotong eher erschwert als erleichtert, da an dne onabhftngige Doppd-
büdnng kaom za denken ist, and sonst wohl ein einzdner Berg, anf
dem der Donnergott besonders verehrt warde, schweiüch aber eine ganze
Gebirgswdt nach demselben zabenannt werden konnte.
Dieser gallischen Bezeichnang steht schon in froher Zdt eine
andere gegenüber, welche speziell den SOdrand des Gebirges im Ange
zn haben schdot : der Name Alpia ( Albia), wdcher aber erst seit dem
Übergange Hannibals aber die Alpen in der Form Alpes allgemein an-
genommen wird and den anderen von Ercjnia nnnmehr znrflckdrängt.
Die Herknnft dessdben Iftsst sich nicht sicher bestimmen, doch ist, wie
MOUenhoff wohl mit Recht annimmt, ligarischer Ursprang am wahr-
schdnlichsten. Die Yorstellang von dem Gebirge sdber kann sich im
Süden erst sehr allmählich gefestigt haben ; Herodot, der den Istros bei
der Iberern entspringen l&sst, hat von ihm noch keine Ahnang, doch
leuchtet aas der Thatsache, dass er aas dieser Gregend einen Flass
Alpis (neben Karpis) anführt, bereits die Thatsache der Benennnng
selber hervor.
Die Gallierzfige sind für die deutschen Verhältnisse von be-
sonderem Belang, denn sie liefern uns die ältesten Daten, die für
unsere Geschichte überhaupt noch erreichbar sind. Die Berichte der
Alten laufen, wenn man ihnen auf den Grund geht, alle darauf hinaus, dass
der Einfall der Gallier in Italien ungefähr gleichzeitig um das Jahr 400
durch verschiedene Pässe der Westalpen erfolgte. Die galliscbe und
speziell mailändische Darstellung, welche dem Livius durch einen Griechen
des 1. Jahrh. (Timagenes?) übermittelt wurde, enthält ausserdem noch
eine Reihe spezieller Angaben, welche trotz ihrer sagenhaften Einkleidung
*^) laschrift von Antun, Bezzenbergers Beiträge 11, 130.
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Die Germanen in ihrem Verhältnis zu den Nachbarvölkern. 33
eines historischen Kernes nieht ermangeln. Danach hob die Bewegung
im Herzen von Gallien, bei den Bitorigen, an and verbreitete sich tlber
die umliegenden Völker, von denen ein Teil unter Bellovesus nach Italien,
der andere unter Sigovesus nach den fruchtbarsten (xegencjen des hercy-
nischen Waldes aufbrach. Der erste Teil dieser Sage findet darin eine
Bestätigung, dass von den Namen derjenigen Stämme, welche in Italien
sesshaft wurden, diejenigen der Cenomani, Lingones, Boji und Seno-
nes auch zwischen dem Liger und der Sequana vorkommen. Denn
wenn die Benennung Cenomani, d. h. die Temwohnenden'*^, auch
selbständig an verschiedenen Orten auftreten könnte, so machen doch
die zur Zeit des Cäsar in Gallien gleichfalls benachbarten Senones und
Lingones, sowie die Tradition der Insubrer den Zusammenhang völlig
sicher. Fraglich kann nur erscheinen, ob die alte Überlieferung
Becht hat, wenn sie in jener Gegend Galliens zugleich auch den Ur-
sprung der ganzen Bewegung sucht. MüUenhoff meint es mit Be-
stimmtheit verneinen zu müssen. Für ihn liegt der gemeinsame Aus-
gangspunkt beider Züge überhaupt nicht in Gallien, sondern nahe den
germanischen Grenzen, etwa am Mittelrhein, von wo sich der erstere
nach Gallien und schliesslich nach Italien, der andere nach der oberen
Donau, und später den Ostalpen und der Balkanhalbinsel zugewendet
habe (S. 268 vgl. schon DA. I, 187). Eine Stütze findet diese An-
nahme darin, dass wenigstens einer der Stämme, der bojische, von dem
wir später noch einen Teil im mittleren Deutschland finden, an beiden
Zügen beteiligt war, und dass sich auf diese WTeise zugleich der Ver-
bleib der alten keltischen Bevölkerung auf dem später germanisch
gewordenen Gebiete erklärt. Aber andrerseits verlangen auch die Hinder-
nisse, welche ihr im Wege stehen, eine fortgesetzte Prüfung.
Dass der Übergang über die Westalpen nicht ganz das Resultat
einer allmählich fortschreitenden Gebietserweiterung war, lehrt allerdings
die drohende Stellung, welche die kriegerischen Scharen schon auf gal-
lischem Boden Massilia gegenüber einnahmen. Wie lange die Bewegung
bereits einen solchen Charakter hatte, danach forschen wir vergeblich.
Der Umstand aber, dass die an der Invasion beteiligten Stämme nicht
dem Grebiet der Rhone, sondern einem nördlichem angehörten (S. 259),
hat kaum etwas zu bedeuten, denn diejenigen Gallier, welche den
Ligurem und den Westalpen zunächst wohnten und von denen in Italien
keine Spur warnehmbar wird, waren Gebirgsvölker, die Bewohner der
heutigen Auvergne. Gebirgsvölker pflegen aber erfahrungsgemäss mehr
*2) Glück, Die keltischen Namen S. 59. Zeuss-Ebel S. 773 Anm. 2.
Wtttd. Zeitodur. t Getoh. o. Kunst. VIII, L ^
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34 R- Henning
Sesshaftigkeit zn entwickeln, als die Bewohner der Ebene. Ebenso
war, wenn man von der antiken Tradition ausgeht, der Weg in jedem
Falle ein gleich natargemässer. Denn auch, wenn sich zwischen der
Loire and Seipe eine mächtige Yölkergnippe loslöste and dem Sadosten
zuwendete, so konnte sich diese nicht zwischen die drei im Saden zu-
sammentreffenden Gebirgszüge von Hochfrankreich hinein begeben, son-
dern musste im Norden derselben bleiben, bis bei den Aeduem die
Saone und später die Bhone ihrer Wanderung die Richtung gab. Dagegen
wOrde es bei Müllenhoffis Annahme sehr auffallend erscheinen, wie die
vom Rhein heranziehenden Scharen teilweise bis in das Herz von Gallien
und, wenn man die Cenomani mit berücksichtigt, fast bis in die Nähe
des Oceans vordringen konnten, denn sie fanden hier sicherlich kein
freies Land, sondern dichtbevölkerte Gebiete. Sogar die natürliche Lage der
Dinge scheint der antiken Tradition zu Hülfe zu kommen. Denn den be^
den Galliern vorhandenen Drang nach weiterer Ausdehnung erweist schon
der iberische Zug, mit dem die einmal in Gang gekommene Bewegung
sich schwerlich erschöpft hatte. So scheint der zweite, mächtigere, gegen
Südosten gerichtete Verstoss nur als die Konsequenz und das Seiten-
stück jenes früheren. Sogar die alte römische Tradition, dass der Süden
mit seiner entwickelteren Industrie und reichen Produkten die Barbaren
mächtig gelockt habe, behält einen guten Sinn, denn die Erd- und
Seefunde, welche dem Jahre 400 vorausliegen, lassen erkennen, wie
sehr gerade Oberitalien dasjenige Kulturland war, dem die umwoh-
nenden nördlichen Völker damals das Aufblühen einer eigenen Kunst
und eines höheren Wohllebens verdankten. So wird die Aufmerksamkeit
der Gallier schon lange Zeiten hindurch nach dem Südosten hinge-
richtet gewesen sein, und der ganze Vorgang bekommt einen natur-
gemässen und leicht verständlichen Charakter. Dass lebhafte Handels-
beziehungen schliesslich zu einer Wanderung führen, ist eine öfters
wahrnehmbare Thatsache.
Für den Sigovesuszug haben wir leider keine speziellen Angaben,
doch wird die mailändische Tradition über ihn ebensowenig eine reine
Erfindung sein als über den Zug des Bellovesus. Dass in alter Zeit
aus dem Innern Galliens heraus eine starke Bewegung nach Osten hin
sich geltend gemacht hat, ist wohl nicht zu bezweifeln. Von den vier
Stämmen der Aulerci, welche Caesar anführt*"), wohnen drei von der
^) Die 4 Stämme standen ursprünglich wohl in demselben Verhältnis
zu einander wie die 4 Gaue der Helvetier, von denen der eine (der Tiguriner)
später an dem Kimbemzuge teihiahm. Bei den 4 Gauen der Helvetier ver-
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Die Germanen in ihrem Verhältnis zu den Nachbarrölkern. 35
unteren Seine bis an die Sarthe, der vierte, die Aulerci Brannovices,
zwischen Saone und Loire, unweit von Lyon, und Müllenhoff wird voU-
kommen recht haben, nur in anderm Sinne als er meinte, wenn
er bemerkt, dass die letzteren noch die Richtung der Bewegung gegen
die Rhone andeuten mögen (S. 259). Auch die ihnen benachbarten
Sequani zwischen Saone, Doubs und Jura können ihren Namen doch
nur von der gallischen Sequana erhalten haben. Ebenso stehen die
Helvetii oder richtiger Elvetii in Sadwestdeutschland und der Schweiz
nicht ohne Anknüpfung da, denn der Stamm ihres Namens ist offenbar
identisch mit demjenigen der Helvii oder richtiger Elvii (Glück S. 112),
von welchem er eine Ableitung enthält. Wenn die letzteren zur !Zeit
des Caesar zwischen den Sevennen und der Rhone wohnten, so sassen
sie auf altligurischem Boden und sind hierher eingewandert, von wo,
würde sich allerdings nur durch die Erkenntnis ihrer Ursitze bestimmen
lassen. Nun liegt es sehr nahe, den Namen der Elvii ^^) mit demjenigen
des Elaver (Allier), des Nebenflusses des Liger zu verbinden, da in einer
Anzahl keltischer Dialekte in der Nähe von Liquiden der Zwischen-
vokal später ebenso wie im Germanischen vorhanden ist (Zeuss S. 165 f.).
Danach würden die Elvii ursprünglich nördlich von der Arvernem, im
Süden der Biturigen und Aeduer, gesucht werden können, so dass sie
dem Centrum der Auswanderung und zugleich den Elvetiem beträchtlich
näher kämen. Die Tylangii, welche der Periplus als die nördlichsten
bekannten Anwohner der Rhone, etwa an der Stelle der späteren Allo-
broges erwähnt, identificiert Zeuss mit den Tulingi, welche Caesar als
nördliche Nachbarn der Helvetii nennt. Müllenhoff berücksichtigt die-
selben hier nicht (doch vgl. DA. I, 196), weil er sie vieUeicht mit Recht
fÄr Ligurer hält, aber er geschweigt auch der Turones, welche nach
der Karte des Marinus-Ptolemaeus etwa zwischen den Schwarzwald und
Main kommen würden. Ihr Name ist schwerlich deutsch, sondern findet
an den gallischen Turones an der Loire eine Anlehnung. Auch auf
der schwäbischen Hochebene, zwischen dem Main und der oberen Donau
bis zu den Campi am bayrischen Wald (Müllenhoff S. 330), müssen sich
noch während der Zeit der römischen Herrschaft verschiedene keltische
weist Mommsen (Hermes 19, 316 ff.) auf die Tetrarchien der asiatischen Ga-
later, er vermutet in dieser Einteilnng eine aUgemeiner gültige Form der
keltischen Stammes Verfassung.
**) In Pannonien, Noricum, Oberitalien ist ELVIVS, ELVIA etc. auf
Steinen mehrfach belegt, aber nicht, wie es scheint, in Britannien. Auch das zu
Grunde liegende Wort 'suchen wir im Britannischen und Irischen vergebens'
(Glück S. 112).
3*
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36 R. Henning
Gemeinden gehalten haben, von denen bei Ptolemaens II, 11, 22 f.
noch einige Namen wiederkehren. Die TOVTONI, welche der Milten-
berger Grenzstein zu Tage gefördert hat, können ihres Namens halber
gleichfalls nicht als Deutsche, sondern nur als Gallier aufgefasst werden
(vgl. die unter den Galatem erwähnten Ambitouti, Toutobodiaci etc.)**).
Wann die erwähnten Verschiebungen stattfanden und in welchem
Masse sie als gleichaltrig gelten dürfen, lässt sich zwar nicht bestimmen,
aber wenn unsere Vermutung in Betreff der Elvetier berechtigt ist, so
muss sie bei diesem Stamme doch mindestens im zweiten Jahrhundert
V. Chr. abgeschlossen gewesen sein. Diese Annahme wird durch die
alten Funde aus den Schweizer Seen nur bestätigt: denn zwischen
der wesentlich von Süden her beeinflussten Stein- und Bronzezeit
der Pfahlbauten und der sich daran anschliessenden gallischen La T6ne-
periode, welche an den Seen sicherlich schon im 2. Jahrh. v. Chr. be-
stand, hat nicht nur, was am wenigsten bedeutet, die gesamte Kultur
und Art der Ansiedelung (Aufgeben der Pfahlbauten etc.) sich gründlich
geändert, sondern allem Anschein nach auch die Bevölkerung selber ge-
wechselt. Aus den vorhandenen Überresten, besonders den Schädeln, hat
man gefolgert, dass Mie Basse von La T6ne' eine andere sei als die-
jenige der alten Pfahlbauten**). Welcher Art diese Wandelungen ge-
wesen sein können, darauf einzugehen ist hier nicht der Ort. Es würde
sich dabei um die Urbevölkerung von Süddeutschland handeln und vor
allem auf die Räter einzugehen sein, welche auch Müllenhoff unberück-
sichtigt lässt, die aber, wie man wohl annehmen darf, einstmals am
Nordabhange der Alpen eine ähnhche Stellung einnahmen wie die Ligurer
im Süden des Gebirges.
*^) Korrespondenzblatt des Gesamtvereines der deutschen Geschichts-
und Altertumsvereine 1878, 68 f. und Mommsen S. 85 f. Wollte man für
die Ausfüllung der Initialen C A H nach alten Namen aus diesem Gebiete
suchen, so hätte man zunächst an die auf der Karte des Ptolemaeus anter
den Turonoi stehenden Kuriones und (ac?) Chaituoroi zu denken. Unterhalb
Miltenberg liegt Heide-bach (Henbach), .aber der Zusammenhang bleibt pro-
blematisch. Oder will Jemand, kühn genug, auch die TOTPUNOl in
TOTTONOI emendieren? Jedenfalls ist es mit dem MERCVPJVS TOVRENOS
(Brambach Nr. 1830) Nichts, wie die mir von Herrn Zangemeister freundlichst
mitgeteilte Lesung ergiebt.
*«) Virchow, Zeitschrift für Ethnologie 16, Ber. S, 168 ff., vgl. S. 174:
'Diese kurzköpfigen Schädel fügen sich ohne Zwang dem an, was wir von
keltischen Schädeln, namentlich aus dem Süden von Frankreich, kennen, ins-
besondere den Schädeln aus der Auvergne, also aus Gegenden, wo die Gal-
lier am wenigsten mit nordischen Elementen vermischt worden sind' und S. 1 76.
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Die Germanen in ihrem Verhältnis zu den Nachbarvölkern. 37
So muss es mindestens als sehr fraglich gelten, ob im Süden
der Donau in unmittelbarer Fortdauer der Verhältnisse, welche durch
die erste Einwanderung in Europa geschaffen wurden, noch Kelten sess-
haft blieben. Die allgemeineren Erwägungen könnten eher darauf deuten,
dass sie aus Gallien, wo der Herd der keltischen Nationalitätsbil-
dung zu suchen ist, durch eine rückläufige Bewegung wieder dahin
gelangt sind. Ein Zeugnis für das weitere sich Fortschieben der Stämme
nach dem Osten hin würde man besitzen, wenn diejenigen Latovici,
welche im 1. Jahrh. n. Chr. in Krain sesshaft sind (M. S. 263), mit
deiyenigen Latovici, welche Caesar unter den Nachbarn der Helvetier
nennt, in altem völkergeschichtlichem Zusammenhange stünden. Aber
Latovici bedeutet "Sumpfbewohner' (Glück S. 115), und wenn dieser
Name in dem Gebirgslande von Krain auch unmöglich aufgekommen
sein kann, so wissen wir doch nicht, wohin wir ihn zurückzuverlegen
haben, und ob er nicht eine selbständige Bildung ist. Merkwürdiger
Weise scheint auch der Name der Tulingi (Tylangii?) im fernen Osten
nochmals zum Vorschein zu kommen : ein Teil der Galater, der unter
Brennus in Griechenland einfiel, gründete im dritten Jahrhundert am
Hämus die Königsstadt Tyle (Polyb. 4, 46) oder Tylis (Steph.) und
scheint danach Tyleni (Trogus Pomp.) zubenannt zu sein (Müllenhoff
S. 271 Anm.). Doch auch diese Benennung wird einen rein landschaft-
lichen Charakter haben und 'Hügelbewohner' anzeigen (vgl. irisch tulach
^Anhöhe', griech. xOXtj, xuXo^ 'Wulst, Schwiele', Stockes in Bezzenbergers
Beiträgen 11, 78, doch auch Zeuss^ S. 22), so dass sie in diesem
Zusammenhange gleichfalls nicht in Betracht kommt.
Ein festeres Besultat kann nur die Betrachtung der Kelten-
gruppen des nördlichen Germaniens erbringen. Unter ihnen treten uns
zwei Namen entgegen, welche dahin führen mtlssen, die ganze Frage in
dem einen oder dem anderen Sinne zu entscheiden: die Volcae Tecto-
sages und die Boji. Dass diejenigen Volcae Tectosages, welche nach
Caesar die fruchtbarsten Gegenden um den hercynischen Wald ein-
genommen hatten, mit den in Südgallien angesessenen Volcae Tecto-
sages gleichen Stammes waren, kann wohl keinem Zweifel unterliegen.
Die Frage bleibt nur: wo ist ihre gemeinsame Heimat zu suchen?
Müllenhoff setzt dieselbe in die Main- und Wesergegenden, wo thatsäch-
lich sehr früh Volcae gesessen haben müssen, und lässt einen Teil des
Stammes von hier an die untere Rhone und das Meer gelangen (S. 278).
Dass die südgallischen Volcae nicht die Urbewohner ihrer späteren Heimat
sind, ist allerdings sicher, da dies Gebiet einstmals den Iberern und
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38 H. Henning
Ligorern gehörte. Doch fand bereits Hannibal bei seinem Übergang
über die Pyrenäen zwischen den Sevennen und der Rhone die Yolcae
Aremorici and Yolcae Tectosages vor. Diese ihre alte SteUung macht
es überwiegend wahrscheinlich, dass sie infolge der grossen gegen
Italien gerichteten Völkerbew^^iDg) welche die Lignrer aas dem Gebiete
der Rhone fort an die Berge herandrängte, ihre südlicheren Sitze ge-
wonnen haben. Später, nachdem die Verhältnisse sich wieder zarecht
gerückt hatten, können sie kaam noch aas weiter Feme hierher ge-
drangen sein, vidmehr müssen sie schon ursprünglich im Bereich derjenigen
Einflüsse sich befanden haben, welche von dem grossen Invasionszage
ausgingen. Da der letztere aber, wie wir in Übereinstimmung mit der
gesamten Überlieferung durchaus meinten annehmen zu müssen, sich
im Herzen von Gallien vorbereitete, so können die Yolcae damals auch
nicht im hercynischen Wald and woid überhaupt nicht auf der rechten
Seite des Rheines gesessen haben. Noch weniger ist dies für den grossen
Stamm der Boji glaubhaft, der an der Eroberung Norditaliens mit
beteiligt war.
So fUlt, wenn Mollenhofiis Ansicht über die Herkunft des Belle-
yesuszuges unhaltbar ist, zagleich seine Vermutung über diejenige des
Sigovesuszuges, denn beide stehen in unlösbarem Zusammenhange, und
es kann nur die umgekehrte Ansicht, welche den Ursprung der Be-
wegung in Gallien sucht, das Richtige treffen. Sie lässt sich noch
durch eine weitere Beobachtung verstärken.
In Südgallien sind die nächsten nördlichen Nachbarn der Volcae
Tectosages die Elvii, von denen wir annahmen, dass sie ursprün^ich
am Elaver wohnten. Nun können in sprachlicher Hinsicht, wie schon
Müllenhoff anmerkte, nicht die Elvii von den Elvetii, sondern nur um-
gekehrt die Elvetii von den Elvii abgeleitet werden, so dass wir schon
ans diesem Grande die Elvetii für deigenigen Zweig zu halten haben, der
sich durch Fortwanderung von dem alten Verbände losgelöst hat. In
der Feme aber, in Westdeutschland, sind, wenn man von den kleinen
and z. T. blos geographischen Namen absieht, die Elvetii wiederum in
ähnlicher Weise die Nachbam der Volcae, wie dies im südlichen Gallien
mit den Elvii der Fall ist, so dass die Vorgeschichte beider Zweige doppelt
verknüpft ist. Und wenn an dem Zusammenhange der alten Tjlangii bei
Lyon mit den Tulingi des Cäsar etwas sein soUte, würde auch hier die
alte geographische Nachbarschaft noch wieder zum Durchbruch kommen ^^).
*^ Ob man es als einen Zufall betrachten will oder nicht, wenn zwei
gleichnamige Städte wie die in der Maingegend, im Gebiet der Volcae, gele-
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Die Germanen in ihrem Verhältnis zu den Nachbarvölkern. 39
So spricht die Lagemng der Völker durchaus dafür, dass die
8t&mme der Boji, Volcae, Tarones, Elvetii in einer grossen gemeinsamen
Bewegung aus dem Innern Galliens nach dem Nordwesten hin ausge-
wandert sind. Ob sie schon ursprünglich die östlicheren waren und
deshalb diese Richtung einschlugen, oder ob sie, was nach dem Er-
örterten gleichfalls denkbar ist, als die ersten sich erhoben und vor
den hohen Bergen zurückschreckend eine bequemere Richtung erwählten,
80 dass sie ihren Nachbaren die Bahn nach dem Süden voUends öff-
neten, lässt sich nicht entscheiden. Dass beide Gruppen aber ungefähr
um dieselbe Zeit ihre Heimat verliessen, wird sich sogleich noch heraus-
stellen. Dass die Bewegung nach zwei Seiten gerichtet war, ist nicht
befremdlich und findet eine Analogie in der späteren germanischen
Völkerwanderung, welche sich in eine südöstliche und eine südwestliche
Hauptströmung zerteilt. Wieweit die ihrem Ursprünge nach gallische
La T^ne-Kultur, welche um diese Zeit sich über Europa zu erstrecken
anfängt, mit den völkergeschichtlichen Ereignissen zusammenhängt, bleibt
noch zu untersuchen.
Ob man als das Ziel der ostwärts gerichteten Wanderung mit der
mailändischen Tradition den hercynischen Wald oder mit dem Vokontier
Trogus Illyrien annehmen will, ist im Grunde gleichgültig, denn beide
Ansichten sind offenbar dem späteren Stande der Dinge entnommen.
Ursprünglich mag überhaupt keine bestimmte Gegend vorgeschwebt haben,
denn die Balkanhalbinsel trat den Auswanderern wohl erst mit der
grösseren Nähe lockender vor Augen.
Bald nach dem Jahre 400 müssen die ersten Scharen an den
Ostalpen, wo noch Herodot von keinen Kelten weiss, angekommen sein,
da sie schon vor 360 mit den an der dalmatischen Küste angesessenen
Ardiäem in Kämpfe verwickelt sind, und i. J. 334 bereits an d^
Donaumündung bei Alexander keltische Gesandte vom Ister her er-
scheinen. Mit dem Jahre 281 beginnen sodann die grossen Heeres-
zflge der Galater ins Innere der Halbinsel und bald auch nach Klein-
asien. Hier tritt uns der Name der Volcae Tectosages entgegen, welche
wahrscheinlich i. J. 220 die Meerenge überschreiten, in Asien sich an-
siedeln und daselbst nach einer Verfassung leben, welche sich mit der hel-
vetischen jedenfalls sehr nahe berührte. Sie werden bereits zu dem grossen
Heere der Brennus gehört haben, das um 279 bis in das Herz von
genen Segodunum und Devona ähnlich benachbart im Norden der südgallischen
Volcae vorkommen, muss anheim gegeben werden. Auch ein Lugidunon lag
wohl im mittleren Wesergebiet; etwa Olden-Lügde (Lugithi) bei Pyrmont?
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40 H. Henning
Griechenland vordrang. Dass sie hier im Osten neue Ankömmlinge
waren, ist wohl ebenso sicher als die Annahme, dass nicht schon ein
grosser Teil von ihnen zu einer Zeit, als sich ihnen grade auf der
Balkanhalbinsel ein neues Ziel ihrer WOnsche eröffnete, etwa nach der
Niederlage bei Delphi, mit Weib und Kind wieder umkehrte und sich
bis an die Rhonemflndungen durchschlug, so dass Hannibal ihn dort als
einen ansehnlichen Stamm vorfinden konnte. Damit sind wir aber ge-
zwungen, die Heimat der Volcae Tectosages, die ursprünglich einen ein-
heitlichen Stamm gebildet haben müssen, ebenso jenseit des Rheines zu
suchen, wie dies bei den ßojern nötig ist, die sowohl an dem Bello-
vesus- wie an dem Sigovesuszuge sich beteiligten. Während aber die
Volcae Tectosages teilweise in Deutschland sesshaft wurden, teilweise
sich dem galatischen Zuge anschlössen, scheint der Zweig der Bojer sich
alsbald über die Donau in Böhmen, das von ihnen seinen Namen er-
hielt, angesiedelt zu haben. Hier traf sie der Stoss der Kimbern, den
sie tapfer aushielten, während ihre Macht später besonders durch die Marko-
mannen gebrochen wurde, so dass ihre Reste an verschiedenen SteUen
rettende Unterkunft suchen mussten. Im Osten von ihnen hielten sich
noch im ersten Jahrhundert die keltischen Cotini um die Eisengruben
des mährischen Grebirges, auf deren Ausbeutung sie sich verstanden.
So war im Beginn unserer Zeitrechnung fast die gesamte deutsche
Südgrenze von Kelten bewohnt, während die letzteren im Westen von
Anfang an die Nachbaren und teilweise die Vorgänger der Germanen
waren. Unter diesen Galliern aber müssen im Gefolge der ersten grossen
Bewegungen manche neue Verschiebungen eingetreten sein. Nachdem die
Wanderung aus dem Innern GaUiens aufgehört hatte, werden die um-
wohnenden Stämme naturgemäss in das frei gewordene Terrain nachgerückt
und die dahinter gesessenen Nachbaren diesen gefolgt sein. Mit diesem
Prozesse wird am besten die Entleerung des alten rechtsrheinischen Kelten-
landes kombiniert. Immer mehr Gallier drängten im Läufe der Zeiten
über den Nieder- und Mittelrhein und räumten den Germanen das
Hügelland bis zur Weser hin, so dass zur Zeit des Caesar nur noch
die Menapii auf dem rechten Ufer zurückgeblieben waren. So springt
bei dem zweifellos näheren Zusammenhange der rechts- und linksrhei-
nischen Gallier, welche sich langsam nach Westen vorschoben, auch
noch die Thatsache hervor, dass zu beiden Seiten des Mittelrheins kaum
ein genügender Raum frei gewesen ist, aus dem sich eine so mächtige
Bewegung wie diejenige der beiden grossen Gallierzüge hätte ent-
wickeln können. Demnach werden wir in Übereinstimmung mit der alten
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Die Germanen in ihrem Verhältnis zu den Nachbarvölkern. 41
Überliefemng wieder anzanehmsD haben, dass die Yolcae und Boji sich
zwar zu einer sehr frühen Zeit, aber doch erst, nachdem sie bereits in
die Wanderung hineingerissen waren, an den germanischen Sfldgrenzen
niederliessen, wo sie aufs Neue mit den stammverwandten Urbewohnem
der rechten Rheinseite in nähere Berührung kernen.
Das Gebiet, welches im Westen der Germanen einst von Kelten
bewohnt wurde, hat Müllenhoff an der Hand der Flussnamen fest um-
grenzt, und wir können seine Resultate dahin zusammenfassen, dass
das ganze Bergland zwischen der Weser, der Lippe, dem Rhein und
Main einstmals keltisch war. Zweifellos deutsch sind noch die
Hauptströme des alten Suebenlandes : die Oder, welche erst in slavischem
Munde aus dem altüberlieferten Viaduas, d. h. 'die Jagende', entstellt
wurde; die Elbe (Albi), 'der Fluss' oder eigentlich 'die hellschimmemde';
die Havel (Habula), 'die viele Behälter umfassende'; die Spree (Spravia?),
'die in Armen verzweigt sich ausbreitende'; die Moldau (Waldahwa),
'das Waldwasser'; die Saale, 'der Salzfluss'; die Weser (Wisuri
Gen. Wisurjos), 'die Wiesenreiche oder Wiesenschaffende'; die Fulda
(Fuldaha), 'das Bodenwasser'. Aber die ganze Reihe der rechten Neben-
flüsse des Rheines: die Lippe (Lupia), die Ruhr (Rura), die Erabscher
(Ambiscara), die Sieg (Sigina), die Lahn (Logana), trägt ebenso wie der
Rhein (Reinos), der Main (Moinos) und der zwischen ihnen gelegene Taunus
ein durchaus keltisches Gepräge. Wie weit die fremden Benennungen
gingen, zeigt am deutlichsten vielleicht die Menge kleinerer Flussnamen,
welche mit dem arischen akua zusammengesetzt sind, welches im Deut-
schen regulär zu ahwa, aha, im Keltischen ebenso gesetzmässig zu
apa, hochdeutsch zu affa wurde. Dieselben treffen genau mit dem
durch die grossen Flussnamen begrenzten Gebiet zusammen, und gehen
im Osten noch ein Stück darüber hinaus, indem sie zugleich das Gebiet
der Leine mit umfassen. Auch die Ortsnamen zeigen noch in den alten
Urkunden vielfach ein keltisches Gepräge; wie dicht dieselben an der
Lahn, am Yogelsberg und Taunus zusammenliegen, wurde an anderer
Stelle gezeigt ^^). Merkmale über die Herkunft der hier angesessenen
Stämme enthalten die Namen natürlich nicht. Doch weist der Umstand,
dass die meisten keltischen Benennungen zwischen Weser und Rhein,
welche auch anderwärts nachweisbar sind, grade auf der linken belgischen
Rheinseite sich wiederfinden (vergl. die Ruhr als Nebenfluss der Maas,
die Nida als Nebenfluss der Saar und eine Reihe anderer bei Müllen-
^) Korrespondenzblatt für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte
1882 S. 176.
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42 t^ Henning
hoff), am Ehesten darauf hin, dass die Kelten dieses germanischen
Gebietes mit den Beigen am nächsten zusammenhingen, so dass die
von Caesar und Tacitus behauptete nähere Verwandtschaft der rechts-
ond linksrheinischen 'Germanen^ sowie die gleichartige Annahme der
Druiden nach Timagenes (M. S. 166) auch von dieser Seite her eine ge-
wisse Unterstatzung findet.
Die grosse Menge keltischer Namen, welche in dieser Gegend
noch bis auf den heutigen Tag fortdauern, macht es zu einer
sicheren Thatsache, dass das nordwestliche Deutschland seine ältesten
Bewohner nicht durch eine starke und plötzliche Entleerung verloren
hat, sondern dass hier in ganz anderer Weise als später im germanischen
Osten ein langsames und ruhiges Yorwärtsracken der Bevölkerung statt-
fand, bei dem eine weitgehende Überlieferung der alten lokalen Be-
nennungen möglich wurde. Wenn man sieht, wie unbedeutend vielfach
diese keltischen Flüsschen und Orte sind, so muss man gradezu eine
Zeit friedlichen Zusammenwohnens und Sichdurchdringens beider Nationen
annehmen. Diese Berührung konnte sich um so natflrlicher vollziehen,
als diese keltischen Stämme in ihrer Lebensweise und Verfassung den
Germanen um Vieles näher standen als dies bei den sadlichen Galliern
der Fall war. Für die an den Ardennen angesessene Völkergruppe der
(Armani, wdche (ebenso wie diejenige der Aulerci) nach Caesar d. b. G.
II, 4 aus vier Stämmen bestand, den Condrusi (neben denen IV, 32
noch die Segni auftreten), Eburones, Caeroesi, Paemani, ist dies noch
aus späterer Zeit deutlich erkennbar, denn auch bei ihnen war das
Königtum dem Volke gegenüber machtlos, und von grossen Adelsge-
schlechtern ist nicht die Rede, und gleich ihren deutschen Nachbaren
scheinen auch sie noch keine Städte gebaut zu haben (M. S. 202 f.).
So begreift es sich, dass den Deutschen das Bild der Kelten, als
einer anders gearteten und von ihnen gründlich verschiedenen Nation
nicht hier im Westen, sondern an einer andern Stelle zuerst so bestimmt
entgegentrat, dass sie das ganze Volk mit dem Namen desjenigen Stammes
bezeichneten, von dem sie diese Anschauung entnahmen. Es ist das,
wie Mtülenhoff erwies, der Stamm der Volcae, den wir als einen
der hauptsächlichsten Teilnehmer der grossen Wanderung erkannten und
von dem noch in späterer 2^it ein Teil am oberen Main und der
oberen Weser gesessen haben muss, bevor er in Böhmen einzog. Die
erste Berührung zwischen beiden Stämmen muss aber schon in eine weit
frühere Zeit zurückreichen, denn nur so versteht es sich, dass der Name
der Volcae die gemeingermanische Benennung für alle Welschen hat
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Die Germanen in ibrem Verhältnis zu den Nachbarvölkern. 43
werden können: althochd. Walh, Walah, ags. Wealh etc. entspricht
Laat fOr Laut einem vor- oder frahgermanischen Wolkos.
Die weite Ansdehnong der Yolcae an den ZoflOssen der Weser,
oder YieUeicht auch nur das weite Hineindrängen derselben in teilweise
bereits germanisches Gebiet, wird durch folgende Beobachtung bestätigt.
In zahlreichen Ortsnamen alter und neuer Zeit lebt in Sflddentsch-
land der Name Walah, der später die Romanen mit umfasste, fort.
In Norddeutschland aber scheinen wenigstens die alten Zeugnisse ein
ganz bestimmtes Verbreitungsgebiet zu besitzen, welches im Sflden etwa
dort anfängt, wo in alter Zeit die Volcae sassen und welches sich dann
an der Weser und ihren Zuflüssen weit nach dem Norden, bis an das
friesische Oebiet heran streckte.
Die in den älteren Urkunden erwähnten Ortschaften sind etwa
die folgenden. In der Nähe von Marburg liegt ein Walahanger, öst-
lich davon bei Neustadt Walhen, bei Fulda Walahdorf, weiter östlich
unter dem Thüringer Wald Walahburi und Walahrameswinida im Grab-
feld, nördlich von Kassel an der Diemel Wallithi, an der Weser und
Ostlich davon bis zum Harz (Melibocus): Walesborec, Walestorpe, Wala-
bnsa, Waliereshusen, weiter nördlich über dem SoUing Walliwiscon und
Wahibroch. Von hier setzt sich die Reihe in einem westlichen und
östlichen Ausläufer fort. An der oberen Ems liegt Walegardon, bei
Monster Walahdorf, nördlich von Osnabrück Walishem und Walonhurst
mnd noch weiter hinauf Walahheim; nach der Leine zu Walahusa,
Walaburgun, Walesrothe, die letzteren beiden südlich von Hannover, und
Wallanstedi, pag. Walothungen bei Hildesheim, östlich vom Harz liegt
Walahpah bei Aschersleben, ein gleichnamiger Ort weiter nördlich an
der Aller und noch unweit der Havelmündung Walahesleba. Im Süden
von Magdeburg liegen Walbeke und Wakhesdorf, südlich von Erfurt
Walahesleba und Walehinga.
Dieser Anzahl, welche sich noch vermehren lässt, stehen aus der
Gegend zwischen Rhein, Lippe, Main und der Wasserscheide der Weser-
zoflüsse sehr wenige, wie Walchesdorf bei Idstein in Nassau, gegenüber.
Der überwiegende Teil der Belege liegt auch nicht im Innern des alten
Keltenlandes, sondern zieht sich um die äusseren Grenzen herum und
ist dort am dichtesten, wo sich Deutsche und Welsche am meisten
berührten, d. h. an der mittleren Weser und den Zuflüssen derselben.
Wenn auch verschiedene der nachweisbaren Namen vpn den Germanen
aof ihren Siedelungen weiter getragen sind, so lassen sich doch be-
stimmte Ausbreitungslinien erkennen und dieselben stimmen mit den
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44 ^' Henning
von MQllenhoff angenommenen Grenzen zwischen beiden Nationen so voll-
ständig aberein, dass kaum noch an einen Zufall gedacht werden kann.
Eine weitere Bestätigung für unsere Auffassung dürfen wir den
anthropologischen Thatsachen entnehmen. An einem sehr umfassenden
Material hat Virchow die Wandlungen verfolgt, welche mit der Farbe
der Haare, Haut und Augen vom Norden nach dem Süden zu sich
vollzieht. Es ergab sich, dass die blonde und lichte Zone, welche in
dem intact germanischen Friesland dominiert, sich nach Süden zu
immer mehr in eine dunklere verwandelt, und es darf wohl als ein
sichres Resultat betrachtet werden, dass diese landschaftliche Abstufung
auf alten Thatsachen des Völkerlebens, also auf Mischung beruht
Besonders stark tritt in Norddeutschland die Mischung mit dunklen
Elementen in dem soeben erörterten Gebiet hervor. 'Im Herzen von
Deutschland, von Sachsen-Ck)burg-Gotha und den anstossenden Teilen
von Thüringen beginnend, erstreckt es sich die Weser herauf, und durch
das östliche Hessen bis in die Provinz Hannover und Westfalen, mit
verschiedenen Ausläufern sich fortsetzend. Dass in diesen Gebieten die
Durchdringung der blonden germanischen Rasse mit brünetten, keltischen
Elementen am vollständigsten war', wird mit Recht gefolgert**), und
man darf hinzufügen, dass hier auch die archäologischen Funde der
La T^ne-Periode, sowie die zweifellos keltischen Regenbogenschüsselchen,
die noch bei Marburg in grosser Zahl sich fanden, zum Teil stark ver-
treten sind. Auch die einzige grosse Burganlage aus keltischer Zeit ist
auf dem kleinen Gleichberge an der oberen Werra gefunden.
Dass die Berührung mit den fremden Völkern die grossen
Wanderungen der deutschen Stämme mit hat vorbereiten helfen, kann
wohl keinem Zweifel unterliegen. Auch die Bastarnen folgten nur dem
alten Anreize der südländischen Kultur, der vom Pontus her sich geltend
machte, als sie im Jahre 180 v. Cbr. oder doch wenig früher aus den
Weichselgegenden nach dem Südosten hin aufbrachen. Diese Beziehungen
finden in den archäologischen Verhältnissen, ich erinnere an den
Goldfund von Vettersfelde, schon jetzt einen unverkennbaren Anhalt, und
sie werden dereinst sicherlich noch bestimmter hervortreten. Im Übrigen
lässt sich die Bedeutung des Zuges für die ostgermanischen Völkerver-
hältniss^ bei dem Mangel einschlägiger Nachrichten schwer abmessen.
Wir wissen nicht einmal genau, von wo er ausging. Müllenhoff nimmt
*^) Siehe den Gesamtbericht im Korrespondeozblatt der deutschen Ge-
sellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte 1885 S. 89—100,
bes. S. 98. — Der klassische Zeuge über die Haarfarbe dieser Germanen ist
Posidonius bei Diodor (Müllenhofr S. 181).
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Die Germanen in ihrem Verhältnis zu den Nachbarvölkern. 45
an, dass er von der oberen Weichsel her kam, wo die Bastarnen auch
später noch an der Ostseite der Karpathen entlang ihren Stammesgenossen
nahe blieben. Aber da im alten Heimatlande niemals von Bastarnen
die Rede ist, so bleibt die Sache unsicher. Der Umstand, dass in der
Inschrift von Olbia Skiren als Teilnehmer des Zuges genannt werden,
erweist jedenfalls, dass die Bewegung sich über mehrere Stämme, bis
an das Meer hin erstreckte, und der Name Bastarnen könnte ganz gut
damals erst gewissermassen ad hoc geprägt sein ^^). Sicher erscheint nur,
dass die Bewegung aus dem Binnenlande kam und dass das Gebiet
zwischen Weichsel und Bug, wo Ptolemaeus nur verwirrende Namen
hinzusetzen weiss, damals den Germanen offen stand, so dass die letzteren,
von den Slaven ungehindert und an ihnen vorüber ohne Widerstand
bis an die Peripherie der alten Kulturwelt gelangen konnten.
Reichlicher fliesst die Überlieferung über die zweite grosse Süd-
wärtsbewegung germanischer Stämme. Trotzdem ist es erst dem Scharf-
sinne Müllenhoffs gelungen, den Zug der Kimbern und Teutonen in
das rechte Liiht zu stellen. Zunächst kam es darauf an, die antiken.
Nachrichten selber auf ihren Ursprung hin genau zu prüfen. Es ergab
sich, dass dieselben in zwei Gruppen zerfallen, von denen die eine
durch die Erzählung des Plutarch in Marius, die andere durch den ver-
lorenen Bericht des Livius, auf den fast alle späteren Autoren zurück-
gehen, repräsentiert wird. Beide aber schöpfen wieder aus derselben
Quelle, aus dem Geschichtswerk des Rhodiers Posidonius, des Fort-
setzers des Polybius uud Zeitgenossen des Pompejus Auf ihn geht fast
Alles zurück, was das Altertum von den Kimbern und Teutonen wusste.
Immer mehr bewährt es sich, wie sehr die vielseitige Thätigkeit dieses
Griechen, der an Umfang des Wissens und Genauigkeit der Forschung
einzig dasteht, der 'unstreitig der erste und bedeutendste Schriftsteller
seiner Zeit' war 'und auch als solcher von den Besten seiner Zeit-
genossen anerkannt' wurde, noch die gesamte spätere Forschung be-
herrscht. Da er um das Jahr 90 seine Materialien gesammelt haben
wird, stand er den historischen Ereignissen, welche er beschrieb, sehr
nahe und konnte über sie die besten Erkundigungen einziehen. Den
Rechenschaftsbericht des Feldherm Catulus scheint er benutzt zu haben
und den Schauplatz der Teutonenschlacht hat er von Massilia aus selber
*^) Littauisch bastaüs bedeutet 'sich umhertreiben', aber wo fände für
den Stamm im Germanischen sich eine Entsprechung? Die Bedeutung würde
eine ganz ähnliche wie diejenige des Kimbemnamens sein, vgl. Strabo p. 298 :
öioTi li]CTifiiiol ovzfg Tial nluvritf^ oi Kiftßifoi und Müllenh. S. 117.
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46 H. Henning
besucht. Seine Meinung zu erkennen und seine Darstellung, soweit es
angeht, zu reconstruieren, wird die Hauptaufgabe des Geschichtschrei-
bers, die MOllenhoff bis in die Einzelheiten hinein erledigt. Von sonstigen
unabhängigen Quellen kommen nur noch die römischen Annalisten in
Betracht, welche Livius gelegentlich neben Posidonius benutzt haben wird.
Die erste historische Thatsache, welche wir erfahren, ist die, dass
der erste Ansturm der Barbaren noch im hercynischen Wald die Bojen
traf, von den letzteren aber zurQckgeschlagen wurde. Alsdann beh<
die Wanderung, welche die Scharen durch Pannonien Aber die Donau
bis in die Ostalpen, und von dort, nachdem die Römer bei Noreia eine
kräftige Schlappe erlitten, nach Gallien fahrt, längere Zeit noch einen
vagen Charakter, der deutlich erkennen lässt, dass es den Germanen
anfänglich gar nicht auf Italien ankam. Es sind fast durchaus gallische
Gebiete, in denen sie plaudernd und Wohnsitze suchend umherziehen, bis
sie, immer aufs Neue beunruhigt und durch wiederholte Siege aber die
Römer gestärkt, ihre ganze Macht gegen Italien entfalten und nun je
in einer mörderischen Schlacht von Marius und Catulus fast gänzlich
aufgerieben werden.
Die Richtung, welche die Bewegung gleich anfänglich annimmt,
zeigt, dass die auswandernden Schareo im Eibgebiete den germanischen
Boden verliessen. Es fragt sich, ob noch bestimmtere Zeugnisse vor-
handen sind, welche uns aber ihre Herkunft Auskunft zu geben ver-
mögen. Die aberlieferten Namen sagen verhältnismässig wenig. Der-
jenige der Teutonen muss zwar als alt gelten, da er bereits dem Pytheas
von den Galliern für die Anwohner des Oceans genannt wurde, aber er
ist nicht deutsch, sondern keltisch, so dass es sehr fraglich ist, ob er
jemals von den Deutschen anerkannt wurde. Dagegen findet der Name
der Ambronen, des streitbarsten Teiles der teutonischen Yolksmasse,
auch innerhalb des Deutschen eine sichere Anknüpfung, nur lässt er
sich nicht lokalisieren, da er an verschiedenen Stellen vorkommt. Der
Name der Kimbern endlich, der nach den Angaben der Alten 'Räuber*
bedeutet haben soll, lässt sich in entsprechender Weise nicht aus dem
Germanischen, dagegen wohl aus dem Keltischen herleiten, so dass er
schwerlich eine alte deutsche Stammesbezeichnung war, sondern erst in
der Fremde aufgekommen sein wird. Dagegen dürften die Personen-
namen nur in leichter Weise durch gallische Lautgebung entstellt sein.
In den Berichten der Alten ist daa Sagenhafte von den begrün-
deten Thatsachen oft ebenso wenig zu unterscheiden, wie dies bei den
früheren Ereignissen der Fall ist. Schon von den Galliern, die in
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Die QermaoeD in ihrem Verhältnis zu den Nachbarvölkern 47
Italien einfielen, hiess es — im Widerspruch mit anderen Berichten — ,
sie seien vom Ocean nnd den änssersten Enden der Welt hergekommen,
und das n&mlicbe verlautet später von den Galatern. Deshalb ist in
jedem Falle Vorsicht geboten, wenn dieselbe Version, nur etwas vervoll-
ständigt inbetreff der Kimbern nnd Teutonen wieder zum Vorschein kommt.
Wie schon Ephorus berichtete, dass 'den Kelten durch Wasser und die
Fluten des Oceans grösserer Verlust entstehe, als durch Krieg', wusste
man auch bei ihnen hinzuzufügen, dass eine grosse Flut sie aus ihrer
Heimat vertrieben habe, und diese Ansicht ist das ganze Altertum hin-
durch die populäre geblieben. Auch dem Posidonius kam sie zu Obren,
aber sie schien ihm nicht ganz glaubhaft, so dass er ihr sein eigenes
Urteil entgegensetzte. Leider lässt die verderbte Strabostelle (p. 102)
nicht genau erkennen, worauf es hinauslief. Mallenhoff meint, dass er
hier die ganze Sage geleugnet habe, während von anderer sachkundiger
Seite hervorgehoben wurde ^^), der Zusammenhang der Stelle weise darauf-
hin^ Posidonius werde die Möglichkeit erwogen und zugestanden haben,
dass zwar nicht eine starke Flut, wohl aber eine plötzliche Erhebung des
Meeres (auf Grund einer Erhebung des Meeresbodens) eine Wirkung,
wie die in der Sage vorausgesetzte, allerdings hervorbringen könne.
"Weiter werden wir aber auch keinen Schritt gehen dürfen. Denn in
der Schrift itepi 'QxeovoO, woher die Stelle stammt, mag es sich nur
um eine naturwissenschaftliche Diskussion über Möglichkeit und Unmög-
lichkeit gehandelt haben, zu eigen gemacht hat Posidonius sich jene
Auffassung schwerlich, denn sie stünde im Gegensatz zu der andern
anzweideutigen Posidoniusstelle bei Strabo p. 292 f., wo der Flutsage
gegenüber auf den räuberischen Charakter der Kimbern verwiesen wird,
von denen schon früher ein Teil in die Mäotis gekommen sei, welche
nach ihnen den Namen des kimmerischen Bosporus erhalten habe. Und
im elften Kapitel des Marius, das Plutarch, wie Müllenhoff erweist, mit
Ausnahme einer thörichten Interpolation ganz der ethnographischen Ein-
leitung des Posidonius zum Kimbemkriege entnahm, in welcher der
Autor sich doch am thatsächlichsten ausgesprochen haben wird, steht
nichts von der Flut, wohl aber ausdrücklich: 'man wusste nicht, was
für Leute sie seien oder von wo sie ausgerückt waren, die jetzt wie
ein Wetter über Gallien und Italien hereinbrachen'. Was Posidonius
seinerseits über die Herkunft der Nordleute mitteilt, trägt in den
positiven Angaben so sehr den Stempel der Wahrheit und ist in den
") B(trge)T im Litterarischen Gentralblatt 1888 Nr. 10,
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48 R. Henning
daran geknüpften Kombinationen trotz aller Unzulänglichkeit der Kennt-
nisse so vemOnftig und zugleich so echt posidonisch, dass wir darin
notwendig seine wohlQberlegte Ansicht wieder erkennen müssen. Danach
gab es im Norden ein Land KeXTtxif), das sich von dem äusseren Meere
und den Strichen unter dem Bärenkreise gegen Sonnenaufgang und die
Mäotis wende und an Skythien über dem Pontus stosse. Die Bewohner
seien ein Misch volk, die man Keltoskythen nennen könne. Auswandernd,
nicht auf einmal und in einem Ruck, und nicht in ununterbrochenem
Zuge, sondern bei guter Zeit in jedem Jahr immer weiter vorwärts
schreitend, hätten sie mit Krieg in langen Zeiten das Festland durch-
zogen; den Hellenen seien sie zuerst als Kimmerier bekannt geworden.
Die grösste und streitbarste Menge aber sei am äusseren Ocean zurück-
geblieben und bewohne dort ein Land, schattig und waldreich und der
Sonne überall wenig zugänglich wegen der Tiefe und Dichtigkeit der
Wälder, die sich südwärts bis zu den hercynischen erstrecken, und wo
der Pol sich schon dem Scheitelpunkte annähei-t (und die Tage und
Nächte zu un verhältnismässiger Länge und Kürze anwachsen?). Von
dort seien die Barbaren gegen Italien herangerückt. So giebt Posido-
nius wohl eine einfache, wahrhafte und treffende Schilderung der Heimat
der Nordleute, aber erwähnt mit keinem Worte der Schrecken des
Oceans und lässt es auch dahingestellt, "Wo zwischen dem Ocean und
dem hercynischen Walde die spezielle Heimat der Teutonen und diejenige
der Kimbern zu suchen sei. Dass irgend einer seiner Nachfolger
noch mehr oder etwas Besseres über die Herkunft der Nord-
leute gewusst habe, ist nach dem Stand der Dinge absolut
nicht anzunehmen.
Wenn aber Jahrzehnte nach den historischen Ereignissen im Süden
keine genaue Kunde vorhanden war, sollte dieselbe noch nachträglich
erworben sein ? Es wäre dies nur möglich, wenn die Römer später in
Germanien wirklich noch Kimbern und Teutonen getroffen hätten, was
schon wegen des fremden Ursprungs der Namen kaum anzunehmen ist.
In der That sehen wir auch, dass die Geographen sich zwar bemühen,
diesen Stämmen, von denen es hiess, dass sie vom äussersten Ocean
gekommen, Wohnsitze zuzuweisen, aber doch nur aufs Ungefähre und
nicht in übereinstimmender Weise. Pomponius Mela schiebt die Kim-
bern in das noch unerschlossene Germanien jenseit der Elbe und die
Teutonen gar nach Skadinavien. Und ungefähr ebendahin scheint sie die
Weltkarte des Tiberius gesetzt zu haben. Erst unter Augustus werden die
Kimbern, hinter deren Namen derjenige der Teutonen immer mehr
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t)ie öennanen in ihrem Verhältnis zu den Nachharvölkem. 49
zurücktritt, fest lokalisiert, und zum GlQck l&sst sich auch noch er-
kennen, wie dies geschah. Als nämlich Augustns im J. 4 n. Chr. von
der Eibmündung aus eine Flotte in die Ostsee schickte, welche über
Kap Skagen hinaus bis auf die Höhe von Samsöe und Seeland vor-
drang, also so weit wie keine andere römische Flotte vorher und nach-
her, kehrte dieselbe hier, wo die gelehrte Spekulation ungefähr die
Heimat der alten Widersacher Roms hinsetzte, nicht unverrichteter Sache -
um, sondern man beschloss, wie dies sich in der Politik des Augustus
auch sonst wiederholt, dem populus Romanus ein handgreifliches Zeug-
nis für die Wiederherstellung seiner verletzten Majestät vorzufQhren:
man brachte eine Gesandtschaft zu Wege, die gewiss unter sehr an-
nehmbaren Bedingungen und den angeblich heiligsten Kessel des Volkes
mit sich bringend, in Rom wegen der früheren Frevel um Verzeihung
zu . bitten hatte. Erst durch diesen Staatsakt ist die von einer Reihe
namhafter ingväonischer Völker bewohnte jütische Halbinsel, deren ger-
manischer Name Tastris war, officiell eine Chersonesos Kimbrike ge-
worden. Die Volkschaft der Kimbern aber, die bei der anwachsenden
geographischen Kenntnis auf derselben keinen rechten Platz fand und
welche Strabo noch zwischen Rhein und Elbe suchte, musste in den
äussersten nördlichen Winkel derselben geschoben werden, so dass Ta-
.citus alle Ursache hatte, seinem Verlegenheitsbericht hinzuzufagen, dass
der einst so mächtige Stamm der Kimbern jetzt sehr klein geworden
sei. Dass irgend einem Römer hier im Norden noch wirkliche ""Kimbern'
gezeigt oder im Ernste genannt seien, ist aus den erwähnten Gründen
sehr unwahrscheinlich. Die echten deutschen Namen ihrer Feinde haben
die Römer mit Ausnahme etwa der Ambronen wohl niemals zu hören
bekommen. Der einzige zuverlässige Gewährsmann aber ist und bleibt
Posidonius, der die Heimat der Nordleute vom Ocean bis an den her-
cynischen Wald reichen lässt.
Wenn nun die Teutonen die alten Anwohner des Oceans waren
und hier schon dem Pytheas von den Galliern genannt wurden, so
bleiben für die Kimbern in der That nur die südlicheren Striche um
die mittlere Elbe übrig. Durch diese ihre Lage kamen sie naturge-
mäss in das Vordertreffen der Bewegung und, unmittelbar an der Grenze
wohnhaft, drängten sie zuerst darüber hinaus.
Dies Ereignis aber war für die germanische Geschichte ein weit
bedeutungsvolleres, als die historischen Berichte es uns ahnen lassen.
Bis dahin hatte der hercynische Urwald die Germanen überhaupt von
dem Süden abgesperrt. Ihre ganze frühere Entwickelung gravitierte
Wettd. Zeitschr. f. Gesch. u. Knnit. VHI, I. 4
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50 ^ Henning
nach dem Norden hin. Ans dem reichbewegten See- und Handelsleben
am die Ostsee erbiahte die erste klassische Zeit der Grermanen and#die
Besiedelang Skadinaviens ds^ als das äussere Merkmal und Resaltat
derselben betrachtet werden. Im Süden aber sind die (jermanen, dies
darf man nun wohl behaupten, für ein neues Stadium ihrer Geschichte
hauptsächlich durch die Kelten vorbereitet worden. Ihr Zusammenleben
mit dem der südländischen Kultur näher stehenden und bereits in die
Weltgeschichte verflochtenen Volke konnte auf sie nicht ohne Einfluss
bleiben, und wir verstehen es nunmehr doppelt gut, dass gerade an der
Weser und den Zuflüssen derselben, wo die Volcae 'die Welschen'
benachbart wohnten, ihr Blick nach den, wie es erscheinen mnsste, glück-
licheren Femen des Südens in so bestimmender Weise geöffnet wurde. Bei
dieser Auffassung verliert der Kimbern- und Teutonenzug den scheinbar
ihm innewohnenden Charakter der Plötzlichkeit, denn er ist thatsächlich
im Laufe vielleicht von Jahrhunderten vorbereitet worden, und das Un-
gestüm und die ungeheure Volksmacht, welche dahinter steht, zeigt uns,
wie gewaltig die Bewegung im eigenen Lande angewachsen war. In
der That schoss dieselbe weit über das nächste Ziel hinaus und ver-
lor, durch keine Erfahrung gezügelt, Ziel und Schranken. Aber für
die Teilnahme an den Geschicken des Südens und damit für ein neues
Stadium ihrer Kultur waren die Germanen ein für alle Mal gewonnen,
wenn auch das Resultat der ganzen Entwickelung ein anderes wurde,
als wie sie es in ihrem rasenden Eifer vorweg nehmen wollten. Im
alten Heimatlande aber zuckte die Bewegung noch lange nach, und
nach zwei Menschenaltern beginnen die Söhne dieser selben Gegend
unter Ariovist mit dem Caesar ein neues Ringen.
Aber nicht nur in diesen grossen und an das helle Licht der
Geschichte tretenden Ereignissen offenbart sich die Anziehung, welche
der Süden bereits über die Deutschen auszuüben begann. Seinen Lockun-
gen ist in den ersten Jahrzehnten des Jahrhunderts gar manches Einzel-
leben zum Opfer gefallen. Zwar suchten die Sueben, die Gefahr er-
kennend, die fremden Händler fem zu halten und die grösste Reizung,
den Wein, überhaupt nicht über die Grenzen zu lassen (d. b. G. IV,
2. 3), doch blieben der Versuchungen immer noch genug. Falsche Vor-
spiegelungen, Gewalt, und nicht zum Wenigsten der Trieb der eigenen
begehrlichen Wünsche hat so manchen stolzen Sohn des Nordens vom
Freien zum Sklaven gemacht und in den Fechterschulen des Südens
oder auf den Gutem der Reichen sein Leben enden lassen. Nach
Deutschland und Gallien war ebenso wie nach den anderen Barbaren-
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t)ie Germanen in ihrem Verhältnis zu den Nachbarvölkern. 51
ländern des Nordens von Rom aus ein fester Sklavenhandel organisiert,
und das Unwesen wachs so mächtig an, dass darüber der Sklavenkrieg
entbrannte. Diese Verhältnisse haben den Römern zweifellos eine bessere
Kunde von den Deutschen gebracht, als die Kimbern- und Teutonen-
züge. Nunmehr lernten sie die Deutschen definitiv von den Galliern
unterscheiden, und ein neuer Name kam für die ersteren auf, den
Posidonius um das Jahr 80 noch nicht gehört: derjenige der Germanen,
den die Römer zu allgemeiner Geltung erhoben. Die alten Deutschen
haben ihn niemals auf sich angewendet. Das Wort ist kein deutsches,
sondern ein keltisches und die Benennung nachweislich nicht auf der
rechten, sondern auf der linken Rheinseit« entstanden. Nach der An-
sicht der Römer soll ihn zuerst eine Gruppe von Galliern, welche siegreich
über den Rhein drang (die Tungem), bekommen haben, und diese sollen
ihn wieder unberechtigter Weise und wie ein Schreckmittel gegenüber
den Feinden auf alle hinter ihnen wohnenden deutschen Stämme ausge-
dehnt haben. In Wirklichkeit hat sich die Sache wohl einfach so ver-
halten, dass der Name aus irgend einem Grunde für diejenigen Stämme
in der Nähe der Deutschen aufkam, für welche noch Caesar ihn kennt,
und dass er alsdann von den Galliern oder auch blos von den römischen
Händlern am Rhein auf die hinter jenen angesessenen Deutschen über-
tragen wurde, die sich, abgesehen von der Sprache, von ihnen wohl
nicht zu wesentlich unterschieden. Je mehr der Name für die belgi-
schen Stämme zwischen Maas und Mosel ausser Gebrauch kam, desto
besser konnte er für die Deutschen als ein unterscheidender Gesamt-
name gebraucht werden.
Wie die germanischen Verhältnisse durch die Berührung mit der
römischen Kultur noch einmal eine mächtige Beeinflussung von aussen
her erfahren, bevor die grosse Bewegung im Innern des Landes anhob,
ist hier nicht zu verfolgen. Die alten Beziehungen aber schwinden
immer mehr dahin: der einst so enge Zusammenhang mit dem Norden
wird gelockert, das grosse Ostland preisgegeben, das keltische Sfid-
deutschland, das dazu berufen schien, die Kultur des Südens und des
Nordens zu vermitteln, der Schauplatz immer neuer Umwälzungen. Der
Zug nach dem Süden scheint die deutsche Geschichte zu beherrschen.
Und doch beruht die spätere Entwickelung einzig und allein auf der
zähen Volkskraft der im Norden zurückgebliebenen Elemente, die in-
zwischen durch harte Arbeit mit dem Boden der alten Heimat für immer
fest zusammenwuchsen.
4*
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Die Neckar-Mümlinglinie von Schlossau an bis zur
hessischen Grenze unweit Wörth a. M.
Von Friedr. Kofler in Dannstadt.
(Hierzu Tafel 1 n. 2.)
A. Die Kastelle nnd Türme.
Im östlichen Teile des Odenwalds erliebt sich ein langgestreckter Berg-
rücken, der, im Badischen beginnend, über Ober-Scheidenthal, Schlossau,
Würzberg etc. in nördl. Hichtung nach dem Maine zieht und in der Nähe
von Eisenbach und Wörth endet. Er bildet auf seiner Höhe fast durchweg
ein schmaleres Plateau, von dessen Rande aus zahlreiche Quellen nach dem
Neckar, der Mümling und dem Maine durch reizende Thäler abfliessen. Auf
einer Strecke von 35—40 km Länge zeigt er kaum merkliche Erhebungen.
Vom Maine aus steil aufsteigend, erreicht er südlich von Würzberg mit 540 m
seine bedeutendste Höhe, welche er auf einer grossen Strecke nördlich und
südlich dieses Punktes nur wenig ändert. Diesem Höhenrücken entlang zieht
eine alte Strasse vom Neckar zum Maine, welche die ^Hohestrasse"
genannt wird, und in welche von Westen her verschiedene „alte*' oder
„hohe*' Strassen einmünden, von denen die von Eberbach aus in die Nähe
von Würzberg führende die bedeutendste ist. östlich von Lützel-Wiebels-
bach teilt sich diese Strasse; der eine Arm zieht durch die Seckmaurer Ge-
markung in östlicher Hichtung nach dem Maine^ während der andere, dem
Höhenrücken in nördlicher Hichtung weiter folgend, und nach und nach
thalabwärts führend die Mümling überschreitet und sich nach Mömling wendet,
wo sie sich aller Wahrscheinlichkeit nach mit der alten Breuberger Strasse
vereinigt, welche dem jenseitigen Höhenrücken folgend östlich von Wenig-
Umstadt dem Maine zustrebt.
An der „hohen Strasse'' beobachtete man schon vor langer Zeit
römische Kastelle und andere römische Anlagen, die bereits zu Anfang dieses
Jahrhunderts Graf Franz zu Erbach - Erbach und Geh. Staatsrat Knapp in
Darmstadt zum Gegenstand eingehender Studien machten und der letztere
in seinem Buche: „Römische Denkmale des Odenwalds", Darmstadt 1812
(2. Auflage von Scriba 1854) berichtet. Knapp war der Meinung, dass die
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Die Neckar-Mümlinglinie von Schlossau an bis zur hess. Grenze. 53
Römer diese Linie von Befestigungen augelegt hätten, um sich den Besitz
des Geländes in dem Winkel zwischen dem linken Ufer des Mains und dem
rechten Ufer des Kheins zu sichern.
Als der Gesamt- Verein der deutschen Geschichts- und Altertumsvereine
seine Aufmerksamkeit der Erforschung des Pfahlgrabens zuwandte, wurde
auch die befestigte Linie im Odenwald, die sog. Mümlinglinie besonders be-
rücksichtigt, ihre genaue Untersuchung beschlossen und dazu nicht unbe-
trächtliche Mittel ver willigt, die noch durch Beiträge des badischen und hes-
sischen Staates erhöht wurden. Diese Untersuchungen waren einer badischen
and einer hessischen Kommission übertragen worden, welch letztere sich aus
den Herren Gustav Dieffenbach und Hobert Schaefer zusammensetzte. Leider
besitzen wir bis zum heutigen Tage über diese Untersuchungen nur Berichte,
welche Herr E. Wömer im Jahre 1880, als dieselben gerade stattfanden, in
der Darmstädter Zeitung veröffentlichte.
Die MümUng- oder Neckar-Mümling-Linie bildet in v. Gohausens Werk
„der römische Grenzwall in Deutschland*' einen besonderen Abschnitt (VI
S. 26 ff.), ans dem ich Nachfolgendes mitteile:
„Parallel dem sog. würtembergischen Pfahlgraben, von Lorch an der
Bems bis nach Miltenberg am Main, lässt sich hinter diesem mit etwa 20 km
Abstand eine zweite Linie erkennen, welche durch das Thal der Hems mit
der bayerischen Teufelsmauer verbunden ist. Sie beginnt am Einfluss der
Kems in den Neckar unterhalb Cannstadt, folgt nur als nasse Grenze dem
FIuss ober Heilbronn und Wimpfen bis Gundelsheim und verlässt den Neckar
hier, wo er sich westwärts wendet, übersteigt die Höhe, geht über den Stock-
brunner Hof nach Neckarburken, wo sie bei dem Kastell „Burg" die Elz
überschreitet, um jenseits die Wasserscheide bis zu ihrem Auslauf am Maine
nicht zu verlassen **.
„Dieser letzte Teil der militärischen Linie ist auf seiner ganzen, über
50 km betragenden Länge von Neckarburken bis zum Main nur durch
Kastelle und Warttürme, Hain* und Hönhäuser genannt, bezeichnet. Denn
die Wälle und Gräben, welche Knapp (Komische Denkmale im Odenwald)
noch den Römern zuschrieb, haben sich bei näherer Betrachtung als kurze,
mittelalterliche Abschnitte, Landwehren und Wildheege ergeben, sowie das,
was er für Grabmäler und Verbrennungsplätze ansah, in Wirklichkeit Turm-
reste und Hügel für Feuersignale waren, wie beide nebeneinander auf der
Tngansäule dargestellt sind. Dennoch folgen wir seiner Aufzählung und
sorgfältigen Untersuchung und fugen nur das bei, was aus Zeitungsberichten
seitens einer badischen Kommission durch Herrn K. Christ und einer hes-
sischen, bestehend aus den Herren G. Dieffenbach und H. Schaefer, durch
Herrn E. Wörner 1880 bekannt geworden ist".
Es werden dann die Werke aufgezählt und kurz beschrieben; den
Schluss des Abschnittes bildet eine kurze Besprechung des Zweckes dieser
Linie von Befestigungen, die wir ebenfalls hier folgen lassen.
„Es ist immer verfänglich den Römern unsere Absichten, unsere Be-
dürfnisse unterzuschieben und daraus auf ihre Absichten zu schliessen. Wenn
wir aber mit Recht dem Kaiser Trajan, 98—117, den Grenzwall von Lorch
bis Miltenberg zuschreiben und aus Inschriften wissen, dass derselbe wenigstens
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54 Fr. Kofler
noch bis 232 n. Chr. in den Händen der Römer war, und wenn wir in gleicher
Weise annehmen können, dass die Mümlinglinie in der Zeit von Hadrian nnd
von Antoninus pius 117 — 161 angelegt worden ist, also gleichzeitig mit jenem
Grenz wall, dem Pfahlgraben, bestand, so kann ihr Zweck weder eine Grenz-
demarkation, dazu ihr in der That auch Wall und Graben fehlen, noch die
Abwehr eines äusseren Feindes gewesen sein, sondern wir müssen bei den
schwierigen Strassenverbindungen zwischen dem Rhein und dem Pfahlgraben
und inmitten einer rohen, schwer zu überwachenden Waldbevölkerung an-
nehmen, dass die Mümlinglinie eine Anzahl von Etappen, sowie in ihrer
Längenrichtung eine gesicherte Truppen-, Boten- und Signal Verbindung war
und sein sollte. Dass die Römer in der That auch in dieser Weise und nicht
durch Wälle verbundene Befestigungen angelegt haben, wissen wir durch
Procop (de aedificiis IV, 6), welcher sagt, dass der Kaiser (Trajan) Ver-
schanzungen bald auf dem rechten, bald auf dem linken Donauufer errichtet
habe, welche manchmal nur aus einzelnen Türmen (monopyrgia) bestanden,
die nur für wenige Soldaten bestimmt gewesen seien^.
In den „Neuen Studien über den römischen Grenzwall in Deutschland",
Bonner Jahrb. LXXX, vom Jahre 1885, bespricht Professor E. Hühner S. 51
ebenfalls die Mümlinglinie, kann aber nicht mehr bieten, als Herr v. Cohausen
gegeben hat und sieht der Aufnahme dieser Linie mit ihren Kastellen und
Wachttürmen durch die badischen und hessischen Antiquare entgegen.
Auch heute hat Herr Dieffenbach, — Herr Schaefer ist uns kurz nach
1880 allzufrüh durch den Tod entrissen worden — , trotz mehrfach an ihn
ergangener Mahnungen noch immer keinen Bericht erstattet, und wir sind bei
unseren Studien noch inmier auf die Nachrichten der Darmstädter Zeitung
angewiesen.
Es ist dies ein Übelstand, dem ich dadurch abzuhelfen suchte, dass ich
die Erforschung der hessischen Mümlinglinie selbst in die Hand nahm und
eine möglichst genaue kartographische Aufnahme derselben besorgte. Ich
verwandte dazu das Frühjahr 1887 und den Herbst 1888.
Das Grossherzogl. Ministerium hatte die Güte, mir auf meine Bitte hin
seine Unterstützung in der Weise zuzusagen, dass die Oberförstereien und
durch diese die Forstwarte angewiesen wurden, meine Forschungen allerwärts
nach Kräften zu unterstützen.
Die erste Tour machte ich grösstenteils in der angenehmen Begleitung
Sr. Erlaucht des Land- und Weg-kundigen Grafen Ernst zu Erbach-Erbach.
Die Untersuchungen begannen an der hessisch-badischen Grenze, in der Nähe
von Schlossau.
Schon am ersten Tage überzeugte ich mich, dass man mit der alten
Annahme, dass die Kastelle und Türme dieser Linie (befestigte Strasse, wie
man es gerne nannte) etwa 1000 m auseinanderlägen, vollständig brechen
müsse, da ich fand, dass alle Anlagen in der Nähe von Schlossau durch
Terrainverhältnisse und nicht durch ihre gegenseitige Entfernung geboten
waren, ganz so wie die Anlagen in der Nähe des Pfahlgrabens, wo wir die
Kastelle und Türme an Thalübergängen, alten Strassen und Wegen oder an
hoch gelegenen Punkten angelegt finden. So liegt z. B. das kleine Kastell D
der Knappschen Karte (vgl. Cohausen S. 38), von dem die nächste Station
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Die Neckar-Mümlinglinie von Schloseau an bis zur hess. Grenze. 55
„auf der Zwing" nur 692 Schritt entfernt ist, ebenfalls nur 665 Schritt von
der Signalstation auf dem Rothenberg entfernt und es kommen also auf 1267
Schritt oder 1000 m Entfernung 1 Kastell und zwei Signalstationen. Es
mosste doch ein Grund vorliegen, weshalb man die mittlere Entfernung auf-
gab und beinahe in Bufweite von dem Kastelle Stationen errichtete. Die
Sache erklärte sich bei genauerer Besichtigung des Terrains. Bei der Zwing
(nicht Ltting! wie der hess. Bericht sagt), ist die Breite des Höhenrückens
ausserordentlich gering und lässt ausser der Strasse nur Raum für ein klei-
neres Kastell. Auf beiden Seiten fällt das Gelände nach Thälern ab, die hier
einen wenig beschwerlichen Übergang vom Euterbachthal in das Amorbacher-
thal bilden, den unser kleines Kastell D überwacht oder sperrt Von dem
KasteUe, namentlich aber von dem Beobachtungsposten am Rothenberg aus,
überblickt man vorwärts das kleine Kehrthal, ein Seitenthälchen des Amor-
bacher- oder Kirchzeller Thaies, aber nicht dieses selbst; auf dem Punkte
jedoch, wo dies geschieht, da steht 592 Schritt von dem Kastelle entfernt der
Beobachtungsposten „in der Zwing". Das Kastell war also durch den Über-
gang'), die Turmanlagen durch den Einblick in das Amorbacher- und Kehr-
thal bedingt.
An den so gewonnenen Anschauungen festhaltend, suchte ich die be-
festigten „Plätze und Signalstationen" nicht mit Hülfe der Knappschen Karte
oder des hess. Berichtes, sondern an allen denjenigen Stellen, wo das Terrain,
die alten Strassen- und Wegübergänge, ihre Anlage zu bedingen schienen und
war dann so glücklich. Vieles berichtigen und ergänzen zu können. Den Be-
richt über meine Wahrnehmungen lasse ich hier folgen.
Nordwestlich von Schlossau, an einer Einsenkung, über die ein Weg
vor dem Thalo der Teufelsklinge von Wald-Auerbach hinab nach Emsthal
führt, liegt am östlichen sanften Hange des Rothenbergs das Kastell
„Schlossau" (A der Knappschen Karte), das vor einigen Jahren durch den
badischen Verein unter Leitung der Herren Geh. Rat E. Wagner und Kreis-
richter Gonrady ausgegraben ward. Dasselbe hat eine Länge von 79 mi
eine Breite von 75 m, die Mauerdicke 90—120 cm (vgl. Westd. Koit. HI,
Nr. 91). Knapp berechnete jede Seite des Kastells zu etwa 100 Schritt Bei
den Ausgrabungen wurden Ziegel der Leg. XXH und der Leg. VHI AVG
gefunden.
Aus diesem Kastelle stammen die Fragmente Brambach 1734, 1—3,
femer die Inschriften 1732 und 1733.
Decker erwähnt femer (Archiv für hess. Gesch. VI, 540) ein dreieckiges
Basrelief mit verschiedenen Figuren und den dazwischen stehenden Buchstaben
D M,
welches ebenfalls daselbst gefunden ward.
Aus demselben Kastelle mag auch der Votivaltar Brambach 1738 stam-
men, welchen Decker in dem nahe gelegenen Steinbach fand.
„Sowohl in Schlossau, als auch in Steinbach", sagt Decker S. 542,
^Mrissen die dortigen Einwohner auch noch von anderen grösseren, mit In-
1) Ef itt dAituiUr nicht der heutig«, soudern der ursprüngliche rerstauden.
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56 Fr. Kofler
Schriften versehenen Steinen zu erzählen, welche früher aus den dasigen
Feldern ausgegraben worden sind**.
Auch Wirt Nerbel aus Schlossau will im Kastelle einen mit einer In-
schrift versehenen Stein gefunden haben, auf welchem ein Mann mit einem
Schwerte abgebildet war. Der Stein wurde zerschlagen und eingemauert.
Wie ich in Schlossau hörte, sollen auch in einem kleinen Obst- und
Grasgarten in Schlossau durch die Herren Wagner und Conrady Steine mit
Inschriften gefunden worden sein.
Die ersten Wachttürme westlich von Schlossau mussten auf der Höhe
des Rothenbergs zu suchen sein, von wo aus man nicht nur die ganze
Gegend um Schlossau her, sondern auch einen grossen Teil des nach Erast-
thal ziehenden Thaies überblickt. Spuren derselben waren nicht zu finden,
doch erzählten mir die im Felde arbeitenden Landleute übereinstimmend, dass
auf der höchsten Höhe des Bergrückens, nicht weit vom Rande des Waldes
und noch innerhalb desselben, zugerichtete Steine wären gefunden und abge-
fahren worden. Hügel wären nicht bemerkbar gewesen, die mussten wohl
schon in früherer Zeit beim Ackerbau abgetragen worden sein, denn es sei
der Wald erst vor einigen Jahrzehnten angelegt worden.
In diesem Herbste fand ich daselbst im Walde, in der Nähe eines
alten Weges, die spärlichen Überreste eines mit einem Graben umgebenen,
jetzt mit Dorngestrüpp bewachsenen Hügels und hörte von einem Waldar-
beiter, dass die Herren Wagner und Conrady etwa 30—35 Schritt davon ent-
fernt hätten eingraben lassen.
Von dieser Stelle sagt Knapp § 12, 22 : „Hier soll der Sage nach ehe-
dem ein kleiner Turm, mit mehreren Inschriften versehen, gestanden sein.
Zur Erleichterung des Feldbaues und zum Gebrauch beim Bauwesen sind
alle Steine nach und nach weggeführt worden, so, dass mau ausser einigen
nach römischer Art zugerichteten Steinen, welche in den nächsten Mauern an
den Feldern zerstreut liegen, keine Spur mehr von diesem Turm bemerkt**.
Die Entfernung von dem Kastelle beträgt gegen 1000 Schritt.
Nordwestlich davon liegt dicht an der hohen Strasse das jetzige
Schlossauer Parkthorhaus. Geht man von hier 890 Schritt auf der Strasse
abwärts, so gelangt man an der Grenze vom Rothenberg und Schimpfs
Dickung, 68 Schritt rechts von der Strasse, an eine Gruppe von drei Hügeln,
welche in der Richtung von OSO. nach WNW. in 40 und 20 Schritt Ent-
fernung von einander liegen. Alte Karten zeigen hier noch das Forsthaus
Schlossauer Thor und die Bezeichnung der Turmstellen mit Römergrab. Die
Hügel wurden vor 3—4 Jahren von Seiten des badischen Vereins unter-
sucht und jn den zwei östlich gelegenen Turmfundamente gefunden, die in
sehr schöner Weise ausgebessert und mit Rasen überdeckt wurden, um sie
vor weiterem Yergange zu schützen. Die Masse ergaben für den östlichen
6,10 im Quadrat, für den anderen 6,15 : 6,25, die Mauerstärke betrug 90 cm.
Das frisch aufgeschichtete Mauerwerk zeigt noch an vielen Stellen Spuren des
alten Mörtels ; herumliegende Ziegelstücke zeigen, dass die Türme mit Ziegeln
gedeckt waren, welche den Stempel Leg. YIU Aug. trugen. Das Westd.
Korr. UI, Nr. 91, S. 83 berichtet weiter von 3 zerbrochenen Sandsteinstätuen
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Die Neckar-Mümlingliuie von Schlossau an bis zur hess. Grenze. 57
und einem Inschriftstein, Abbild, der ersteren auf Taf. lY u. Y der Westd.
Zeitschr. lY. Die Entfernung der Türme von Beobachtungsposten 1 beträgt
1064 Schritt.
Folgt man der Strasse 665 Schritt abwärts, so gelangt man auf einen
schmalen Gebirgssattel, der zwei tiefeingeschnittene Thäler, das Kehr- und
Wassergrund-Thal von einander scheidet und die Zwing genannt wird.
Dicht dabei steht eine alte Buche, welche die Stelle bezeichnet, wo der
Förster Seitz ermordet wurde, weshalb die Örtlichkeit auch „an der Seitz-
Buche'' genannt wird. Der schmale Gebirgsrücken wird fast vollständig aus-
gefüllt durch die Strasse und ein kleines links daran liegendes Kastell, dessen
Grösse Knapp zu 29 Schritt im Quadrat angiebt. Obgleich es dicht am Wege
liegt, scheint es von der hess. Kommission nicht bemerkt worden zu sein.
Es ist beinahe gänzlich ausgebrochen, nur unter den Wurzeln einiger alter
Bäume haben sich Mauerreste erhalten. Die freigewordenen Fundamentein-
schnitte messen 13,60 : 12,80 m, die Mauerbreite beträgt etwa 1 m und die
Ecken sind mit 4 M Radius abgerundet Über den Namen „Zwing" geht im
Yolksmund die Sage, dass die Rumer hier von unseren heidnischen Yorfahren
seien bezwungen worden.
70 Schritt nordwestlich vom Kastell wird die hohe Strasse von der
aus Kailbach nach Emstthal fülirenden Chaussee gekreuzt und nach weiteren
490 Schritt bemerkt man rechts im Walde, 59 Schritt vom Wege, einen
trichterförmig durchwühlten Hügel von 12,30 m Dm. und 1 m Höhe, der von
einem 2 — 2V« m breiten seichten Graben umgeben ist. Die hess. Kommis-
sion bezeichnet diesen Hügel als in der „Luing** (wohl ein Druckfehler!)
liegend. Die Mauerreste, welche die beiden Herren hier gesehen haben,
konnten von mir nicht aufgefunden werden. Dass der Hügel aller Wahr-
scheinlichkeit nach ein Turmfuudament umschloss, beweist der Umstand, dass
11 Schritt südöstlich von diesem noch ein anderer ganz flacher und mit einem
breiten Graben umgebener Hügel liegt, welcher ebenfalls der hess. Kommis-
sion entgangen ist. Knapp, dessen Karte jedoch zwischen Schlossau und
Hesselbach etwas unzuverlässig ist, zeichnete an dieser Stelle Turm- und Be-
gleithügel ein. Der kurze Abstand von dem Kastelle D erklärt sich dadurch,
dass man von hier aus das ganze Amorbächerthal überblickt
Dem Wege nach Wald-Leiningen nun noch 240 Schritt folgend und
ihn bei einer Biegung, die er nach rechts macht und wo ein von der
Kirschenbaumklinge kommender Weg in ihn einmündet, überschreitend, ge-
langt man auf einen alten Waldweg, den ich für die alte hohe Strasse halte,
and auf diesem 450 Schritt weiterschreitend, an dem SO. -Abhänge des
Hohwaldes, wenige Schritte links vom Wege, au eine Gruppe von 3 Hügeln,
welche von SO. nach NW. in einer Linie liegen. Der untere, südöstliche
misst 12,40 m im Dm., seine Höhe 1,30 m, die Breite des ihn umgebenden
Grabens 5,3 m. 16 m von dem Rande seines Grabens entfernt beginnt
der Graben des zweiten Hügels. Derselbe ist seicht, hat 8 m Br. und
nmgiebt einen erhöhten Raum von 11,80 m Dm. Dicht am Rande seines
Grabens erhebt sich der dritte Hügel zu 1 m H. mit ll,öOm Dm. Behauene
Steine, welche auf demselben liegen, weisen auf Mauern hin, die auch in dem
mittleren Hügel stecken mögen. Yon hier aus schweift der Blick hinab nach
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58 Fr. Kofler
dem Wald-Leininger Thal und dem Amorbacher Thale entlang nach den
Ufern des Mains.
In nordwestlicher Richtung weiterschreitend gelangt man nach 518
Schritt auf die Spitze des Hohwaldes und daselbst an die Trümmer eines
kleinen viereckigen Gebäudes von 5,20 m im Quadrat. 20 m weiter nörd-
lich steht mau an dem Rande eines Sandsteinbruches. Die hess. Kommission
hörte, dass diese Trümmer einem Wachthause angehörten, das für Jagd-
pächter erbaut worden sei und erkannte in einer Trümmermasse, welche die
Römerkanzel genannt wird, einen alten Steinbruch, der wahrscheinlich ange-
legt worden sei, um das Material für das Wachthaus zu gewinnen.
Wir haben seither gesehen, dass die verschiedenen Beobachtungsposten,
wie wir sie insgesamt nennen wollen, da angelegt sind, wo das Terrain ihre
Anlage bedingte. Fasst man das Terrain allein ins Auge und sieht von der
beliebten Entfernung von 1000 Schritt oder Meter ab, so muss man den
nächsten Posten auf der Spitze des Hohwaldes suchen, da man von dem
Posten am Süd-Ost-Hange des Hohwaldes weder über den Rücken desselben
hinwegsehen noch Zeichen nach der Nord-West-Seite geben konnte. Nirgends
aber finden wir auf der Höhe Anhaltspunkte für eine solche Anlage ausser
auf der Spitze bei jenem Trümmerhaufen, der in seinen Fundamenten ein
übereinstimmendes Mass mit vielen Wachttürmen der Linie und ähnlich zu-
gerichtete Steine zeigt. Ausserdem wurde mir versichert, dass in jenem
Walde, der Sr. Durchlaucht dem Fürsten von Leiningen gehört, die Jagd
noch nie verpachtet war, dass aber im Jahre 1848 an dieser Stelle Ober
alten Fundamenten eine Hütte aus Holz errichtet worden sei zum Schutze
der Förster, die hier gegen Wilddiebe auf der Lauer lagen. Wir nehmen
also auch hier einen Wachtposten an, den dritten in nordwestl. Richtung von
dem kleinen Kastell D auf der Zwinge aus und sehen in dem Fundamente
den Überrest des Turmes, dessen Begleithügel jedenfalls an der Stelle des
Steinbruches gelegen war. Knapp, der in seinem Buche die unten am Hoh-
berge gelegene „Jägerwiese* fälschlich die Zwing nennt, fand hier („an dem
zunächst bei der Zwing auf der Seite nach Schlossau hin gelegenen Grabe")
emen leider zerbrochenen Stein mit der Inschrift Brambach Nr. 1736, der sich
jetzt im Parke zu Eulbach befindet.
Weitere 528 Schritt am steilen NW.-Hange des Hohberges abwärts
bringen uns auf die Jägerwiese, wo nach Knapp, Zusätze S. 159, nicht nur
zwei römische halbrunde Deckelsteine zu Thürpfosten, sondern auch ein
Basrelief, welches einen römischen Soldaten vorstellt, der an seiner linken
Seite einen Schild trägt und zwei Steine, auf welchen zwei Yexilla abgebildet
sind, gefunden wurden (Decker im Archiv VI, 537). Es war mir anfangs
nicht möglich auf der Jägerwiese irgend welche Spuren römischer Be-
festigungen zu entdecken, obschon der alte Übergang aus dem Waldleininger-
in das Euterthal solche voraussetzen liess.
Bei der letzten Tour nach der Mümlinglinie, die ich speziell zu dem
Zwecke unternahm, um in der Gegend von Hesselbach meine Notizeu wieder-
holt zu prüfen, unterwarf ich die Jägerwiese nochmals einer eingehenden
Besichtigung. Zu meiner grossen Überraschung fand ich ausser einem 83 cm
langen, 59 cm breiten und 32 cm dicken, mit einer Falze versehenen Thür-
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Die Neckar-Mümlinglinie von Schlossau an bis zur hess. Grenze. 59
oder Thorstein, den ich schon früher beobachtet hatte, auf dem Abhänge
der Jägerwiese auch noch verschiedene keilförmig behauene Steine, die von
oben herabgerollt sein mussten. Der Forstwart, Herr Hemberger, sagte mir,
dass der nach Hesselbach zu gelegene Teil der Jägerwiese „der Hausplatz"
genannt werde, weil hier früher ein Hans gestanden habe und dass die Steine
recht gut von dort stammen könnten. War dies der Fall, so mussten doch
die nach römischer Art zugerichteten Steine einem römischen Bauwerk ent-
nommen sein. Nach langem Sueben fand ich auf dem kleinen Plateau eine
Stelle, die möglicherweise noch feste Mauern bergen konnte. Hier Hess ich
einen Arbeiter eingraben und fand sofort 8 keilförmig behauene Sandsteine,
von denen der letzte zusammen mit anderen Steinen noch in starkem Mörtel-
verbande auf einer Rollschicht sass. Der Mörtel war von eigentümlich roter
Farbe und hatte das Aussehen von verwittertem Sandstein. Mit Salzsäure in
Berührung gebracht brauste er jedoch stark auf und bildete Blasen. Knapp
giebt § 16 eine Beschreibung von eigentümlichen Gräben, welche das kleine
Plateau der Quere nach durchschneiden. Er fand, dass dieselben ausgemauert
und mit Gesimsen und Zinnen versehen gewesen waren und ahnte nicht, dass
er die Mauern des Kastelies vor sich hatte, welches er gerade an dieser Stelle
suchte. Die Entfernung dieser Gräben von einander, 25 Schritt, giebt uns die
Länge des seither noch nicht gekannten Kastelles auf der Jägerwiese, das der
badische Verein, auf dessen Gebiet es liegt, gewiss genauer untersuchen wird.
Der Doppelgraben, der sich nicht auf der Schlossauer Seite des Pla-
teaus befindet, wie Knapp irrtümlich sagt, sondern auf der Hessclbachischen,
ist nach der Zerstönmg des Kastells entstanden und ist der Grenzgraben
einer bis jetzt noch nicht genau bestimmten Waldmark.
Bei der Jägerwiese treffen wir wieder auf die hohe Strasse, kreuzen
dieselbe und steigen drüben auf einem alten Pfade, dem „Kahlebuckel^, hinan.
Nach 402 Schritt stossen wir, links vom Pfade, der jetzt vielfach bepflanzt
ist, dicht an der badisch-hessischen Grenze, auf 3 Hügel, welche in der
Richtung von S. nach N. in einer Linie Heiden. Der mittlere derselben trägt
auf der Spitze den Grenzstein. Die beiden südlichen sind je mit einem
seichten Graben von 2,50 m Breite umgeben und haben gleich gi'osse Durch-
messer von 15 m; der nördliche hat 83 cm H. und 11,40 m Dm. Dieser
HQgel ist gänzlich durchwühlt und scheint Turmfundamente enthalten zu
haben, während bei dem mittleren ein vom Rande nach der Mitte geführter
Einschnitt nur Erde und Steine zeigt. Die Entfernung zwischen Hügel 1 und
2 beträgt 4,40 m, zwischen 2 und 3 dagegen 12 m.
Folgen wir dem alten neben der Grenze herlaufenden Wege, über-
steigen später den Parkzaun, so bringen uns 740 Schritt in den Walddistrikt
Hohebuckel und daselbst zu zwei Hügeln, welche in der Richtung von S.
nach N. 13,60 m auseinander liegen. Der südliche hat bei 1,15 m H. einen
Dm. von 13,90 m und ist von einem seichten 1,80 m breiten Graben umgeben.
Unter seiner Oberfläche dürften die Fundamente eines Turmes sich erhalten
haben. Der nördliche Hügel hat einen Dm. von 12,70 m, der ihn umgebende
Graben misst 4,50 m in der Breite. Die hess. Kommission fand diese Hügel nicht.
Von diesem hohen Standpunkte aus schweift der Blick hinüber nach
Hesselbach, das wir auf einem 120 Schritt westlich von diesen Hügeln ge^
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60 Fr. Kofler
legenen Wege nach 812 Schritt erreichen, während die alte hohe Strasse, die
wir im Walde verlassen und verloren hatten, jedenfalls östlich vom Orte
vorüberzieht. Vielleicht stimmt hiermit die Aussage eines Bauersmannes, der
östlich von Hesselbach auf einem Acker Steinpflaster gefunden haben will.
Hesselbach mit seinem Kastelle, G der Knappschen Karte, liegt in einer nach
SW. abfallenden flachen Mulde, die den Anfang des engen Höllthales bildet,
das bei Kailbach sich mit dem Euterthale vereinigt, vor der Mulde nach
Osten hin, liegt ein kleines Bergplateau. Merkwürdigerweise ist hier im
Gegensatz zu fast allen Kastellen die Lage desselben nicht so gewählt, dass
man von der Stelle aus das vorliegende Gelände überblickt, also auf dem
Plateau selbst, sondern hinter demselben in der flachen Mulde bei den letzten
Häusern auf der Ostseite von Hesselbach. Drei Seiten des Kastelles sind
durch Trümmerhaufen gekennzeichnet, die auf der Südseite desselben noch
1—1.50 m emporragen; die Mauern der vierten Seite konnten überall mit
dem Sondiereisen erreicht werden. Eine Aufnahme der Befestigung war
hierdurch leicht ermöglicht. Sie ergab: Länge von W. nach 0. 79,30, von
S. nach N. 67,70 m, die Ecken, welche von zwei Punkten gemessen werden
konnten, scheinen mit 7,50 m Radius abgerundet zu sein, (alle Masse von
der Mitte der Trümmerhaufen aus gemessen). An der Ostseite, wo der Wall-
gang anscheinend gut erhalten ist, wurde derselbe gemessen und auf der
Sohle 7,70, oben 3 m Breite gefunden. Auf der Ost- und Südseite sind noch
deutlich Eingänge zu erkennen. Bei der ersten liegt er genau in der Mitte,
bei der zweiten 46 m von der SW.-Ecke. An der letzteren Stelle sollen vor
noch nicht langer Zeit grosse schön profilierte Steine ausgebrochen worden
sein. Die hess. Kommission traf bei ihren Untersuchungen nur auf der Süd-
seite festes Mauerwerk und konnte sich deshalb nicht von dem Vorhanden-
sein eines römischen Kastelles überzeugen. Knapp sagt § 19, 33 die Feld-
kultur habe hier dem Altertumsforscher wenig übrig gelassen, die Südseite
sei von allen Seiten noch am besten erhalten und wäre einer genauen Unter-
suchung wert. Die Mauer bestehe daselbst aus grossen behauencn Steinen
zum Teil abgeschrägt, zum Teil mit Gesimsen versehen und sei ohne Kalk-
verbindung aufgeführt. Dem Letzteren scheint der Umstand zu widersprechen,
dass die hess. Kommission dort röm. Mauerwerk vorfand und dass sich
fast überall kleine Quarzkieselchen zeigen, die einst Teile des Mörtels bil-
deten. Da in jener steinreichen Gegend nur die behauenen Steine Wert
haben, so wurden diese beim Abbruch weggeführt und die Kommission fand
daher auf 3 Seiten nur lose Steine. Knapp erwähnt unter den Fundstücken
einen in Stein gehauenen Menschenkopf, sodann ein in senkrechter Stellung
„in das Fundament der Mauer eingemauertes Messer^.
Bei der Anlage des Weges, welcher jetzt auf der Süd- und Ostseite
das Kastell umgiebt und dicht wider den Mauern desselben herläuft, mithin
nicht die alte „hohe Strasse" sein kann, wurden, wie uns die Landleute er-
zählten, eine Menge Steine am Kastell ausgebrochen und zum Strassenbau
verwendet. Unter diesen will man auch solche mit Schriftzeichen und röm.
Zahlen gesehen haben.
Im Inneren des Kastelles, etwa dem Eingang an der Südseite gegen-
über, fand ich mit dem Sondiereisen auf eine grössere Strecke hin unter dem
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Die Neckar-Mümlinglinie von Schlossaa an bis zur hess. Örenze. 61
Ackerboden Saudsteine, auf der Oberfläche aber kleine Scherben römischer
Gefässe, Dinge» welche an dieser Stelle einen festen Bau voraussetzen.
Nördlich vom Kastelle, in der Richtung der alten, nicht der jetzigen
hohen Strasse, suchte ich vergeblich nach den Besten eines Beobachtungs-
postens, und erst nach 2540 Schritt fand ich im Walddistrikt „Yogelbaum-
heck" auf einer kleinen Erhebung über dem Yierthal 2 Hügel. Die Terrainver-
hältnisse sowohl wie die Entfernung von dem Kastelle würden noch 2 Be-
obachtungsposten bedingen, und zwar a) auf der langen Erde und b) am
Winterrain an der Grenze vom Saufeld. Es finden sich dort viele zusam-
mengetragene Sandsteinhügel, die wohl verraten, dass vor. der letzten Wald-
bepflanzung Kulturarbeiten waren vorgenommen worden, aber nicht, dass sie
Überreste röm. Wachttürme seien. Ich habe den Forstwart in Hesselbach,
Herrn Hemberger, beauftragt darauf zu achten, ob nicht an irgend einer
Stelle zugerichtete Steine gefunden werden.
Ich möchte nicht unerwähnt lassen, dass mir unten am östlichen Hange
des Rückens, jenseits der jetzigen hohen Strasse, eiue Stelle gezeigt wurde,
wo ein Bauersmann Mauerwerk gefunden haben wollte und mir gefrittete und
verglaste Steine zu Gesicht kamen. Der Platz liegt aber mehrere hundert
Schritt abseits und ist seiner tiefeu Lage wegen zum Beobachtungsort völlig
ungeeignet.
Die beiden Hügel auf der Yogelbaumhecke, welche von der hessischen
Kommission waren übersehen worden, liegen 92 Schritt westlich von der
heutigen hohen Strasse und in gleicher Richtung mit derselben. Der süd-
liche hat bei 13 m Dm. eine H. von 75 cm, der nördliche 1 m H. und 11 m
Dm. Ihre Entfernung von einander beträgt 23 m. Beide enthalten Steine,
der nördliche einige zugerichtete und es dürfte wohl in diesem das Turm-
fhndament zu suchen sein.
1100 Schritt auf beinahe ebenem Wege bringen uns an die bayerische
Grenze, wo wir, bereits auf bayerischem Gebiete, 62 Schritt rechts vom Wege
und 40 Schritt von der Grenzschneise wiederum zwei Hügel antreffen, die
beide angegraben sind. Der südliche hat einen Dm. von 12,40 m und einen
ihn umgebenden seichten Graben von 3,90 m Br. 25 m von ihm entfernt
li^ der nördliche, der ein Turmfundament umschliesst, dessen Grössenver-
hältnisse sich auf etwa 3,90 m im Lichten bestimmen lassen. Auf diesem
Hügel und um denselben herum liegen noch mancherlei profilierte Steine,
unter anderen auch das Stück eines Thürpfostens. Als ich die Stelle vor
einigen Tagen wieder besuchte, fand ich, dass viele der behauenen Steine
waren abgefahren worden. Der Walddistrikt benennt sich im „unteren See-
schlag'' und es liegen die Hügel direkt über dem unteren Seethal, izu dem
in wenig Entfernung ein Wasserlauf abwärts führt.
Nach etwa 300 Schritt führt rechter Hand ein Weg ab nach Wald-
leiningen. Wir überschreiten denselben und folgen der hohen Strasse weitere
970 Schritt in den Distrikt „oberer Seeschlag'', wo wir etwas nördlich von
einem alten, aus einem mit dem Euterthale zusammenhängenden Thälchen
aufwärts kommenden und die hohe Strasse kreuzenden Pfade rechter Hand
ganz dicht am Wege einen weiteren Beobachtungsposten in Form zweier Hügel
antreffen. Der südliche hat 13,40 m Dm., der nördliche, bei dem man noch einen
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62 Fr. Kofler
seichten Graben wahrnimmt, 11 m. Auf beiden zeigten sich zdgerichtete
Steine, doch scheint nur der nördliche, welcher angegraben ist, Turmfnnda-
mente zu bergen. Etwa 2000 m westlich von diesen Hügeln liegt das Dorf
Bullau. Hier wurde im Jahre 1519 eine in die Kapelle des Dorfes einge-
mauerte Ära mit Inschrift gefunden und von dem Grafen Georg Ludwig von
Erbach-Fürstenau später dem Museum zu Mannheim geschenkt. Ebendaher
soll auch der Viergutteraltar stammen, welcher im Gräflichen Parke zu Eul-
bach aufgestellt ist. Knapp S. 48.
In und um Bullau ist bis jetzt keine Spur einer rumischen Anlage ge-
funden worden und es liegt der Gedanke nahe, dass diese Steine von dem
Kastelle bei Würzberg hierher gebracht wurden.
Die hess. Kommission fand nun noch 2500 m von der ersten Station
im Bayerischen einen weiteren Beobachtungsposten. Auf der bayerischen
Generalstabskarte gemessen ist dies etwa die Stelle, wo dieselbe die Bezeich-
nung „Römergrab" enthält, und der Walddistrikt den Namen Sack trägt. Die
Entfemtmg zwischen den Stationen im Sack und im oberen Seeschlag war
eine so bedeutende und die Terrain Verhältnisse zugleich derartige, dass man
etwa mitten zwischen denselben noch einen Beobachtnngsposten annehmen
mussto. Es war mir im vergangenen Jahre nicht geglückt, diesen zu finden,
ich hatte aber verschiedenen Leuten eine gute Zahlung versprochen, wenn
dieselbe aufgefunden würde und sie wurde in diesem Herbste nachgewiesen.
Früher zog die hohe Strasse nicht in der Richtung des jetzigen Weges,
sondern sie lief von dem letzten Posten im oberen Seeschlag ans dem Rücken
einer Erhebung hinan, welche „das Gescheid" genannt wird, und von dort in
gerader Richtung weiter nach Norden, wo sich die neue Strasse mit ihr vereinigt.
Ihre Entfernung von der jetzigen beträgt 150 Schritt. 130 Schritt östlich
von ihr auf der Höhe des Gescheids und dicht bei dem Drei-See-Thal liegen
in 7 Schritt Entfernung von einander zwei mächtige Hügel, von denen der
im Innern ausgebrochene südliche, Turmfimdamente geborgen haben mag»
während der nördliche als Begleithügel anzusehen i.^t. Man erreicht diese
Hügel, wenn man von dem Posten im oberen Seeschlag 1092 Schritt auf der
jetzigen hohen Strasse wandert und dann rechts in den Wald einbiegend etwa
280 Schritt weit östlich geht, oder wenn man von der Stelle aus, wo der
Weg von Eutergrund nach Breitenbuch die hohe Strasse kreuzt, etwa noch
190 Schritt südlich, auf der hohen Strasse wandert und dann links in die
Waldungen geht.
Der Wachtposten im Walddistrikt „Sack" liegt 45 Schritt rechts vom
Wege und besteht aus zwei beinahe abgetragenen Hügeln, von denen der
südliche ein Turmfundament getragen haben mag. Der nördliche zeigt einen
flachen Graben und liegt 320 Schritt von der hess. Grenze. Nahe dabei
hatte ich im vergangenen Jahre im dichten Fichtendickicht zwei fast ganz
abgetragene Hügel gesehen, welche 8 m auseinanderlagen, es war mir aber
in diesem Herbste nicht geglückt sie wieder aufzufinden. Die Entfernung
von dem Wachtposten im Gescheid beträgt 1105 Schritt
Verfolgt man die Strasse von der hessischen Grenze ab, wo der Weg von
Eutergnmd nach dem östlichen Teile des lang gestreckten Dorfes Würzberg
dieselbe kreuzt, noch 784 Schritt weiter nördlich, also 1102 Schritt von dem
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Die Keckgr4[ümling1tnie von ^chlossau an bis zur Hess. Grenze. 6B
letzten Posten (die hess. Kommission zählt 1200 Meter), so zeigen sich an
Waldes Rand, 60 Schritt rechts von unserem Wege, die hohen Wallreste des
Wflrzberger Kastelles, I der Knappschen Karte, welches von ihm auf
287 Frankf. Schuh Länge und 259 Schuh Breite bestimmt wird. Der ausge-
brochenen und verschleiften Mauern wegen ist die Aufnahme des Kastelles,
das mit Holz bestanden ist, eine recht schwierige. Meine Masse ergaben
72 : 65 m. Grabenbreite : 6 m, Radius mit dem die Ecken abgerundet : 10 m ;
Orientierung NNW. nach SSO.
„Genau in der Mitte jeder der vier Seiten des Kastells waren ebenso-
viele Thore angebracht, in deren Bauart sich aber kein Unterschied fand.
Sie waren sämtlich 12 Schuh weit und, allem Anscheine nach, ausgepflastert.
An den Durchschnitten, welche sie verursachten, hatten die Mauer und der
Wall, nach einer senkrechten Basis von 1 Schuh, eine Abdachung. Die zwei
untersten Reihen der Thormauersteine, welche man noch in ihrer ursprüng-
lichen Lage fand, bewiesen diese Angabe** . . .
„In dem Mittelpunkte des Kastells ist eine runde Vertiefung, die man
für nichts anderes, als für einen verschütteten Ziehbrunnen halten kann').
Übrigens hat man vergeblich gehoift bei der Untersuchung des inneren Raumes
dieser Yerschanzung Spuren von Gebäuden u. s. w. z\\ finden Die
gaDze Ausbeute bestand nur in Stücken von grossen und kleinen Gef&sson,
worunter mehrere von terra sigillata waren; sodann in einigen Resten glä-
serner Gefässe und in einem eisernen Pfeile. Wahrscheinlich würde man
glücklicher gewesen sein, wenn nicht das Innere des Kastells schon sehr oft
mit Frucht bebauet, und dabei von allem, was der Kultur hinderlich sein
konnte» gereinigt worden wäre,** Knapp S. 37 ff.
Fassen wir die Knappsche Beschreibung S. 37 fg. kurz zusammen, so
hatte das Kastell eine Mörtel- und eine Trockenmauer. Zwischen Aussen-
seite der Mauern und Graben lief eine Berme hin, während sich an die In-
nenseite der Mauern ein breiter Wallgang anlehnte. In hohem Grade merk-
würdig bleibt die auffallige Beschaffenheit der Mauern.
Das Kastell „Heunehaus** (Hainhäusel der Generalstabskarte) ist so
gel^;en, dass es den Übergang aus dem Watterbachthal in das Euterthal deckt.
Decker, Arch. f. hess. Gesch. etc. VI S. 535 ff. nimmt an, dass das
Hainhäusel die Vullineburch sei, welche in der Grenzbeschreibung der von
Eginhard 819 an das Kloster Lorsch geschenkten Michelstädter Mark erwähnt
wird und von der es heisst, dass die Grenze daselbst „per unam portam intro,
per altram foras** gegangen sei. Wir werden später auf diese Grenzbeschreibung
zurückkommen, ich möchte aber jetzt schon die Aufmerksamkeit darauf lenken.
Vor der SO.-Ecke nach Süden zu liegen in 70 Schritt Entfernung die
Trümmer eines Baues mit Heizvorrichtungen, von Knapp § 30 S. 45 als Bad
bezeichnet Ähnliche Gebäude finden sich bei oder vor den meisten römischen
Kastellen. Vgl. über diese Bäder Hammerans Abhandlung, Westd. Korrbl. lY
Nr. 111 und S. v. Rössler, Westd. Zeitschr. IV S. 353. Knapp berichtet an
obiger Stelle, dass man bei Nachgrabungen eine Ziegelplatte mit dem Stempel
Coh, XXim V(öluntariomm), Brambach Nr. 1393, aufgefunden habe.
2) Man sieht, wenn man in der Vertiefung die Steine wegr&umt, deutlich die müde
Steinxetinnif det ßruuuena.
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64 Pr. Kofier
Der nächste Beobachtungsposten liegt 1176 Schritt von dem Hain-
häusel entfernt auf einer Anhöhe an der sog. Rothen-Buchc, dicht hinter dem
Würzberger Gemeindeforsthaus und etwa 150 Schritt östlich der heutigen
hohen Strasse. Er besteht aus den Resten zweier fast ganz abgetragener
Hügel, welche von Mitte zu Mitte gerechnet 25 m auseinander lagen. Sie
sind so stark zerstört und ihre Form ist seit 2 Jahren durch Abraum der
benachbarten Felder auch noch so sehr verändert, dass ihr einstiger Umfang
nicht mehr gemessen werden kann. Der nördliche soll nach dem Berichte
der hess. Kommission Fundamente eines Turmes enthalten haben. Beide sind
mit einem flachen Graben umgeben.
1160 Schritt weiter nördlich liegt in der Nähe des Würzberger Kirch-
hofes ein Dreieckspunkt, genannt: „Einhäusel'*. Hier erreicht der Höhenzug,
auf dem wir seither gingen, die grösste Erhebung. Wir suchten östlich
davon, an einer Stelle, wo man das ganze nach Osten gelegene Gelände über-
blickt, nach Mauerresten und fanden dort ausgepflügte Asche, Sandsteine und
zahlreiche Scherben thönemer Gefässe. Der Platz liegt etwas über 100 Schritt
von der hohen Strasse. Die hess. Kommission nahm die „Station** etwa 130
Schritt westlich von der Sandgasse an, wo vor „mehreren Jahren Mauerwerk
aosgegraben" wurde und fand dort zugehauene Steine, Mörtel und Scherben.
Der Ort dürfte circa 200 m von der durch mich angenommenen Stelle ent-
fernt sein. Da er unten am Hange liegt, scheint er sich zum Beobachtungs-
posten wenig zu eignen. In seiner Nähe wurde schon öfter Mauerwerk aus-
gebrochen ; auch liegen dicht dabei die „Maueräcker **, die ihren Namen wohl
Resten von Mauern verdanken dürften, die unter der Ackeroberfläche liegen.
Von dem Kirchhofe aus bringen uns 790 Schritt zu dem westlichen
Ende von Würzberg an das Wirtshaus mit dem Namen „zur Römerburg", den
auch ein etwa 100 Schritt weiter nordwärts gelegener Dreieckspunkt trägt.
Nicht der Name, sondern Terrainverhältnisse Hessen mich annehmen, dass
hier einst ein Beobachtungsposten gestanden habe, in der Nähe des alten
Weges, der von dem oberen Erbacher Thale aus über Würzberg in das
Watterbacher Thal führt. Trotz eifrigen Suchens konnte jedoch keine Spur
desselben entdeckt werden. Doch trafen wir die Überreste eines gesteinten
Weges, der wohl einst von der Mangelsbach durch Würzberg nach Erbuch
führte.
Von dem Kirchhofe bei Würzberg bis nach Eulbach fand die hess.
Kommission keinerlei Anlagen mehr, wohl einfach aus dem Grunde, weil sie
die alten Terrain- und Strassenverhältnisse nicht berücksichtigend auf der
jetzigen hohen Strasse weiter ging und in deren Nähe Umschau hielt. Der
alte Strassenzug läuft aber östlich des heutigen, beinahe am Rande des Eul-
bacher Forstes. In der Nähe desselben, 1370 Schritt von dem letzterwähnten
trigonometrischen Punkte entfernt, liegt der Dreieckspunkt „Mangelsbach**,
der uns zuerst Anlass zur Untersuchung gab. Der Dreiecksstein sitzt daselbst
innerhalb fester Mauern von anscheinend 4,50 m im Quadrat, der Boden ringsum
ist etwas erhöht und zeigt Sandsteine und Mörtelbrocken. 16 m südlich ist
eine Stelle, auf der sehr viele Sandsteine umherlagen, die im vorhergegangenen
Herbste ausgepflügt worden waren. Beim Eingraben fanden wir reichlich Asche
und Sandsteine, darunter auch einen behauenen, von der Form wie solche bei den
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Die Neckar-Mumlinglinie von Schlossau an bis zur hess. Grenze. 65
Turmfundamenten vorkommen. Eine alte Frau aus der Mangelsbach erzählte,
dass sie sich aus ihrer Jugendzeit her eines steinernen Turmes erinnere, den
man (wahrscheinlich bei der Landesvermessung) wohnlich eingerichtet habe.
E^ wäre dies nicht unmöglich, da, wie Knapp 1812 erzählt, damals noch viele
Turme, er glaubte es seien Gräber, in ihrem Mauerwerk erhalten waren.
Der einmal eingeschlagenen Richtung weiter folgend, wobei man das
nahe Parkgatter überklettern muss, gelangt man nach 1080 Schritt in dem
Eulbacher Wildpark, Distrikt Heumatte, etwa 140 Schritt von dem Wege»
an einen mit Fichten besetzten runden Hügel von 13 m Dm., der von einem
3,50 m breiten Graben umgeben ist und sehr viele Steine birgt, während der
Wiesengrund, auf dem er sich erhebt, frei von Steinen ist. Etwa 12 m da-
von entfernt ist auf der Wiese noch eine andere, etwas erhöhte Stelle, wo
vir in frisch aufgewühlten Maulwurfshaufen zahlreiche Mörtel- und Ziegel-
stückchen, sowie kleine Gefässscherben fanden. Die Aussage des im nahen
Eulbach wohnenden Herrn Wildmeister Dick, dass hier früher Geräteschuppen
gestanden hätten, ändert nichts an der Annahme, dass der Hügel zu einem
rum. Beobachtungsposten gehörte, da er in Form und Lage den Anforderungen
hierzu entspricht, sie wird aber auch widerlegt durch die Mitteilung der
sehr alten Leute in der Mangelsbach, welche die Schuppen nicht hier,
sondern in dem nahen Walde stehen sahen und die Stelle genau bezeichneten.
Ich sehe in dem mit einem Graben umgebenen Hügel den Begleithügel eines
Turmes, der 10—12 m davon in der Wiese gelegen haben mag.
Bei der Durchsicht des sog. Eulbacher Katalogs, der eine Beschreibung
sämtlicher von Sr. Erlaucht dem Grafen Franz von Erbach an der hohen
Strasse entdeckten Altertümern enthält, erfuhren wir, dass der im Eulbacher
Parke wieder aufgerichtete Turm (hier Grab genannt) samt dem dabei ge-
fundenen Inschriftsteine, Brambach Nr. 1392, in der Nähe von Eulbach Stein
nach Stein abgebrochen und hierher versetzt worden sei. Ein Vergleich dieser
Stelle mit Knapp § 61 ergab, dass der Turm (Grab wie er es nennt) da ge-
lten habe, wo der Walddistrikt „die Heumatte" an die Würzberger Felder
anstösst, dicht neben der von Eulbach nach Würzberg führenden Strasse.
Es ist hier nicht von dem zuvor von mir erwähnten Beobachtungspunkte auf
der Heumatte die Bede, sondern von einer Stelle, die 795 Schritt weiter süd-
lich liegt und gegen 280 Schritt nördlich von dem Dreieckspimkte Mangels-
bach, den ich oben zu den Beobachtungsposten gezählt hatte. Auf näheres
Befragen hörten wir in der Mangelsbach, dass sich dort ein Römergrab be-
fände, das vor langen Jahren untersucht worden sei. Inmitten eines Fichten-
dickichts fanden wir einen aus Erde imd Steinen bestehenden Hügel von
18,66 m L., 14,30 m Br. und ca. 60 cm H., mit abgerundeten Ecken, der
anscheinend von einem 3,50—3,80 m br. Graben umgeben ist, also Ähnlich-
keit mit einem kleinen Kastelle hat. Untersuchungen waren bei dem dichten
Bestände nicht möglich. Einige Einschnitte, welche von dor Seite her ge-
macht wurden, zeigten nur lose aufeinander geworfene Steine ohne Mörtel.
Ehe weitere Untersuchungen stattgefunden haben, lässt sich schwer bestimmen,
ob der Beobachtungsposten hier oder bei dem Dreieckspunkte Mangelsbach
gelegen, oder ob sich trotz der Nähe von Eulbach hier ein kleines Kastell
Westd. Zeiuohr. f. Qeioh. a. Kamt. YHI, I. ^
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66 Fr. Kofler
befunden habe, das in seinen mutmasslichen Grösseuverhältnissen mit dem
Kastell auf der Zwing und bei Breitenbrunn übereingestimmt hätte.
909 Schritt nördlich von dem Posten auf der Wiese in der Heumatte
liegt beim Übergang aus dem Emstbach in das Watterbachthal auf einer
nach Osten sanft geneigten Ebene das Kastell Eulbach, M der Knappschen
Karte, dessen einstiger Umfang sich noch deutlich in der Wiese erkennen
lässt. Knapp giebt die Grösse desselben zu 156 Frkf. Fuss L. und 140
Fuss Br. an, also 44,51 m : 39,94 m. Nach den Bodenerhebungen zu schliessen
müsste es bedeutend grösser gewesen sein, denn ich mass 94 : 90 Schritt
Knapp sagt Seite 52, dass das Kastell zu seiner Zeit ganz mit Dammerde
bedeckt gewesen sei. Als diese abgeräumt war, „fand man von den Funda-
mentsteinen der Wallmauer, an der dem Feinde entgegenstehenden Ostseite,
noch zwei Reihen, an den übrigen aber nur eine Lage unverrückt''. . . .
„Es hatte nur ein Hauptthor, und zwar mitten m der dem Feinde zugekehrten
Seite; einige Unterbrechungen der Fundamentsteine an der südlichen Seite
machen es möglich, dass auch hier ein Ausgang war, aber mit Gewissheit
Hesse sich dieses nicht mehr entscheiden; an den übrigen Seiten war zuver-
lässig kein Thor angebracht". „An dem 9 Schuh (2,56 m) weiten Thore fand
man die beiden untersten Reihen der Steine, welche die rechte Thorwand
bildeten, beinahe noch alle ganz unverrückt, und von jenen der linken Thor-
wand zwar wenigere, aber doch einige. Es wurde sogleich ein genauer
Grundriss aufgenommen und das Thor alsdann in dem Eulbachor Garten mit
grösster SorgMt aufgestellt. . . . Übrigens war an diesem Kastelle die öst-
liche, dem Feinde zugekehrte Seite, ebenfalls mit mehr Sorgfalt gebaut, als
die anderen. Zu beiden Seiten des Hauptthores waren 15 Schuh lange An-
laufsteine angebracht, welche da, wo sie sich endigten, mit den anstossenden,
senkrecht stehenden Steinen eine kleine Yerkröpfung bildeten. (Dies würde
beinahe der Grösse kleiner Türme entsprechen !) So weit diese Anlaufsteine
reichten, war das Kastell mit dreigliedrigen, übrigens aber nur mit zweiglied-
rigen Gesimssteinen an der Ostseite geziert Ob die anderen Seiten ebenfalls
Gesimse hatten, ist noch unentschieden, weil der ganze eingeebnete Graben
vor der Wallmauer nicht überall untersucht werden konnte. Deckelsteine von
Zinnen, eine Lanze und eine wohlerhaltene Silbermünze von Domitian, nebst
vielen Stücken grosser und kleiner irdener Gefässe, worunter mehrere schön
gearbeitete von feiner terra sigiUata sind, fanden sich in dem Graben an
der Ostseite".
Noch heute lässt sich der das Kastell umgebende Graben erkennen;
die Abrundung desselben auf der Innenseite weist auf 10 m Radius. Die Ent-
fernung des Kastells von der ehemaligen hohen Strasse beträgt 120 Schritt,
in westl. Richtung.
Nach Aussage des Herrn Wildmeister Dick wurden bei dem Abriss
und Wiederaufbau der bei seiner Wohnung befindlichen Ökonomiegebäude,
ca. 100 Schritt vor der Ostecke des Kastells, bedeutende Mauerzüge, sowie
Ziegel und Backsteinplatten in Menge gefunden. Es stimmt dies mit dem
überein, was Scriba in den Zusätzen zu Knapps Werk S. 162 sagt : „Bei dem
römischen Kastell zu Eulbach wurden bei einer späteren Ausgrabung ausser
einer ziemlichen Anzahl von gebrannten Steinen, denen ähnlich, wie sie früher
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Die Neckar-Mumlinglinie von Schlossau an bis zur hess. Grenze. 67
in den Bädern zu Würzberg und dem Hainhaus ausgegraben wurden, auf-
gefunden, was die Vermutung zulässt, dass auch dieses Kastell sein eigenes
Bad gehabt habe«".
Dass die alte „hohe**, oder Vielbrunner Strasse, welche, wie schon
bemerkt, 120 Schritt westlich von dem Kastelle hinläuft, eine lange Strecke
neben dem Parkzaune hinzieht und sich nach tlOO Schritt etwa mit dem heu-
tigen Yicinalwege vereinigt, wirklich die alte hohe Strasse sei, möchte ich
stark bezweifeln. Allem Anscheine nach vereinigte sich die hohe Strasse
erst mit dem Yicinalwege bei dem Beobachtungsposten „Steinhaufen", von
dem wir später hören werden und lief also von Eulbach an genau in nörd-
licher Richtung weiter.
Geht man vom Eulbacher Kastelle aus auf diesem Wege 860 Schritt
in nördlicher Richtung, so bemerkt man links, jenseits des Parkgatters, im
Walddistrikt „Kutschenweg** zwei Hügel, den ersten Beobachtungsposten nörd-
lich des Kastelles. Der südliche Hügel, welcher ausgebrochen ist, scheint ein
Tnrmfundament von 5,20 — 5,50 m im Quadrat geborgen zu haben ; der zweite,
in geringer Entfernung nördlich liegende misst 11,30 m im Durchmesser, 50
cm in der Höhe, ist mit einem ilachen 3,70—4 m breiten Graben umgeben
und besteht aus Erde und Steinen.
Scriba berichtet in den Zusätzen zu Knapp S. 163 u. 164, dass bei
Anlage eines neuen Vicinalweges von Eulbach in der Richtung nach Viel-
brunn, zwischen Eulbach und der lichten Platte, hinter der sog. Molkenwiese
(d. i. auf der vorher erwähnten Stelle am „Kutschen weg", Mauerüberreste
eines römischen Grabes oder Wachtturmes aufgedeckt worden seien, und
dass man unter den daselbst ausgebrochenen Steinen die Fragmente des
Cohortensteines (Brambach 1394) aufgefunden habe, der in die Erbachsche
Sammlung gelangte.
Von hier aus hält es schwer, die alte hohe Strasse und den nächsten
Beobachtungsposten zu finden, der im Waldbezirk „lichte Platte" 390 Schritt
von dem heutigen Wege liegt und 845 Schritt von dem Posten am Kutschen-
weg entfernt ist. Am leichtesten ist er aufzusuchen, wenn man von Eulbach
aus der heutigen Strasse bis zum nächsten Parkthorhause folgt und den dort
links abgehenden Weg einschlägt, der nach 390 Schritt auf die Stelle führt
Er besteht aus zwei Hügeln, von denen der südliche Spuren eines Turm-
fundamentes zeigt, das erst kürzlich, um Steine für Wegebauten zu gewinnen,
ausgebrochen ward. Bei dieser Gelegenheit wurden folgende Bruchstücke
eines Inschriftsteines gefunden, die in der Gräfl. Erbachschen Sammlung
aufbewahrt werden.
R
Nr. 6 ist etwas dünner in der Schrift
5*
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68 Fr. Kofler
30 Schritt weiter, also nach N. zu und durch den besagten Waldweg
von ihm geschieden, liegt der zweite Hügel von 12,60 m Dm., der mit einem
flachen Graben umgeben ist
Der Bequemlichkeit wegen gehen wir nun nicht im dichten Walde
weiter, sondern betreten bei dem Parkthor- oder Jägerhause wieder den Eul-
bacher Yicinalweg. Auf diesem in nordwestlicher Richtung weiter schreitend,
gelangen wir in 1030 Schritt Entfernung (die direkte Entfernung dürfte etwa
nur 800—850 Schritt betragen) vom Jägerhause, im Walddistrikt „Stein-
haufen" (Strickhermwald der hess. Kommission), da wo sich meiner Meinung
nach die alte hohe Strasse mit dem jetzigen Weg vereinigen muss, an den
dritten Beobachtungsposten nördlich vom Kastelle Eulbach. Er besteht zur
Zeit nur noch aus einem aus Erde und Steinen aufgetragenen Hügel von
1,10 m H. und 10,30 m Dm. Der flache Graben, welcher ihn umgiebt, hat
4,30 m Br. Es ist der Begleithügel eines Turmes, welcher bei Anlage des Yipi-
nalweges in die Baulinie fiel und abgetragen wurde. Die beiden letzten Posten
gestatten Einblick in Seitenthäler des Walbem-Thales.
Der folgende Beobachtungsposten liegt 756 Schritt von diesem entfernt
in dem Distrikt „Hamede", d. h. Heumade, und 52 Schritt westlich vom Wege,
über dem Hange des Walberntbales. Er besteht ebenfalls nur noch aus
einem Hügel von 12,60 m Dm., umgeben von einem tiefen 5,70 m breiten
Graben. Ein Turmhügel, der 35 Schritt weiter südlich und nur 36 Schritt
vom Wege stand, wurde von dem Eigentümer, Bürgermeister Schäfer in Viel-
brunn, abgetragen. Der grosse Abstand zwischen diesen Hügeln, sowie die
Mitteilung, dass Schäfer zwei Hüjirel abgetragen habe, lassen mich annehmen,
dass der Posten aus 3 Hügeln bestand.
Nach kurzer Zeit verlassen wir den Wald und betreten nun das freie
Feld oberhalb Vielbrunn. Dort sollen 835 Schritt von dem letzten Posten
und 48 Schritt links vom Wege zwei dicht beisammenliegende Hügel abge-
tragen worden sein. Eingrabungen , welche ich an der mir bezeichneten
Stelle machte, förderten viele Steine und Mörtelbrocken, aber keine Turm-
fiindamente zu Tage. Die Hügel standen am Übergange aus dem Kimbacher
in das Vielbrunner Thal.
212 Schritt weiter nördlich kreuzt der Weg, welcher von Kimbach nach
Vielbrunn führt, die hohe Strasse und 745 Schritt weiter nördlich liegt im
Walddistrikte „Oberhaspel", dicht am Wege ein flacher Hügel, den ein Graben
von 6 m Br. umgürtet. Südlich davon, beinahe am Grabeurand lag einst ein
zweiter Hügel, der beim Strassenbau geebnet wurde und jedenfalls ein Turm-
fundament enthielt, von dem noch Steine und Mörtel im Boden stecken.
Folgen wir dem Wege weitere 845 Schritt nach Norden, so begegnen
wir auf dem höchsten Teile des Distriktes Oberhaspel, etwa 23 Schritt vom
Wege einem weiteren Posten, von dem noch der Begleithügel erhalten ist,
dessen Graben zu 'einer Suhle erweitert wurde. Es ist dies mit den meisten
Gräben der noch kommenden Begleithügel geschehen und die Landleute be-
legen sie daher mit dem Namen Säul, d. h. Suhle. Der Turmhügel ist völlig
abgetragen.
856 Schritt in gerader Richtung nördlich, indem man zuletzt die Strasse
verlässt und links in den Wald und Park einbiegt, bringen uns bei dem
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Die Neckar-Mümlinglinie von Schlossau an bis zur hess. Grenze. 69
Übergänge aus dem Nordarme des Kimbacherthales, über die Wasserscheide
nach dem Ohrenbacherthal zu dem Kastell Uainhans, P der Enappschen
Karte (Heunehaus, ausgesprochen Heinehaus und früher die Bentzeburg ge-
nannt), innerhalb dessen Umfassungsmauern ein Jagdhaus des Fürsten Löwen-
stein, sowie Oekonomiegebäude Platz gefunden haben. Da verschiedene
Umbauten vorgenommen worden sind, so ist der Umfang desselben schwer
zu bestimmen. Knapp giebt seine Grösse auf ungefähr 258 Schuh L. und
Br. an, 73,5 : 73,5 m ; ich fand sie circa 85 Schritt von 0. nach W., 81
Schritt von S nach N, also beinahe dasselbe. An vielen Stellen bemerkt
man noch einen vorliegenden Graben. „Au der östlichen Seite des Kastells",
sagt Knapp S. 58, entdeckte man eine ausserordentliche Menge grösserer und
kleinerer, zum Teil ganz, zum Teil halb abgerundeter Steine, so dass man
mehrere Wagen davon wegführte ... ich halte sie für Schleudersteine und
diese Entdeckung ist für die Erklärung der in dem Bade bei diesem Kastelle
gefundenen Inschrift nicht ohne Wichtigkeit.*' Es ist dies das Stück einer
grossen gebrannten Platte mit dem Stempel Brambach Nr. 1395. Ausserdem
fanden sich noch dort eine gut erhaltene Silbermünze von Septimius Severus
and der Rumpf einer Ceres aus gewöhnlichem Sandstein (im Park zu Eul-
bach). Eine Untersuchung des Kastells, meint Knapp, sei eben so nutzlos
als unmöglich.
Das Bad, dessen Grundriss auf Tafel 6 Fig. 48 abgebildet ist, lag 153
Schritt nordwestlich vom Kastelle. Hier wurde im vergangenen Jahre von
Herrn Pfarrer Köhler aus Vielbrunn eine römische Ackerhacke gefunden, wie
sie Lindenschmit in Altert, d. heid. Vorz. III, H. 3, T. 4, Nr. 7 abbildet, also
halb Hacke, halb Pickel, und dem Grossherz. Kabinets-Museum übergeben.
Unter der gütigen Führung des genannten Herrn Pfarrers Köhler
machten wir auch einen Abstecher nach der „alten Schanze" bei Ohrenbach,
welche im Yolksmund „die Heuneschüssel" heisst und nahe dem Wege
liegt, der vom Bremhof über die Zauberhöhe nach Mainbullau fuhrt. Die hess.
Kommission sagte darüber: „In die Richtung der bisher begangenen Linie
passt das Kastell, wenn es ein solches ist, nicht. Dagegen liegt es in fast
geradliniger Verlängerung der neu aufgefundenen Signallinie Schlossau-Neckar-
borken. Vielleicht findet man zwischen Schlossau und diesem Kastell auf
bayerischem Gebiete noch weitere Stationen und damit einen neuen Zweig
der Odenwald-Signallinie."
Da also die Frage, ob die Schanze ein röm. Kastell sei oder nicht,
ziemlich offen gelassen war, so hatte ich beschlossen, sie zu besichtigen.
Das Ohrenbacher Kastell (die Heuneschüssel) beschreibt Knapp als ein
Oblongum mit abgerundeten Ecken von 90 Schritt 0. nach W. Länge und 80
Schritt S. nach N. Breite; in der Mitte befinde sich ein Ziehbrunnen. „Der
Graben", sagt er weiter, „mit dem das Werk umgeben Ist, hat jetzt noch
eine Tiefe von 6 — 8 Fuss und ist oben gegen 20 Schuh weit und hatte, wie
man an einzelnen Stellen deutlich sieht, nach aussen hin einen starken Auf-
wurf. Der eigentliche Wall trägt keine Spur von Mauer an sich, er besteht
lediglich aus Erde, ist oben 5—6 und auf der Grundfläche 10—20 Schuh
breit. Von innen beträgt seine Höhe 10—14, und von aussen 10—20 Fuss."
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70 J. V. Pflugk-Harttung
«Nur an einer Seite ist ein 12 Schuh breites Thor. Der äussere
Graben ist hier unterbrochen, um eine Brücke zu ersparen und der WaU.
zieht sich zu beiden Seiten in das Kastell hinein, damit der Eingang besser
verteidigt werden konnte.^
„Besonders auffallend ist ein Graben im Innern der Befestigung, wel-
cher 29 Schritt von dem Eingang entfernt, in einer parallelen Richtung mit
dem Walle den inneren Raum von Süden nach Norden durchschneidet, sich
an der südlichen und nördlichen Seite ganz an den Wall anschliesst und dann
auf beiden Seiten endigt, sobald er die dem Thore gegenüberstehende Flanke
berührt. Seine Tiefe beträgt 5—6 und die Breite 13 Fuss. Die Brücke,
welche über ihn führte, war vermutlich von Holz, weil man keine Spur mehr
von ihr findet Erstürmte also der Feind die dem Eingange g^enüberliegende
Flanke des Walles, so konnte sich die Besatzung hinter diesem Graben noch
einmal zur Wehr setzen, ehe sie das Kastell verliess.^
Diese Beschreibung stimmt im Grossen und Ganzen auch noch heute.
Wer sie aber liest und die römischen Anlagen aus eigener Anschauung kennt,
wer sie vielleicht ausserdem mit vor- und nachrömischen Befestigungsanlagen
zu vergleichen gelernt hat, dem wird sich der Gedanke aufdrängen, dass er
hier nicht ein römisches Kastell, sondern eine spätere Wehr vor sich hat
Deutlicher tritt dies noch hervor, wenn man das Werk selbst besichtigt Da
vermisst man vor allen Dingen Thore, Wallgang und Berme. Die ümwallung
ist so gut erhalten, dass auch Berme und Wallgang sich erhalten haben
müssten. Visiert man bei einem Kastelle zwei aneinander stossenden Seiten
entlang, so wird der abgerundeten Ecke wegen der Berührungspunkt der
beiden Seiten in den Graben oder über denselben hinausfallen, bei der Henne-
Schüssel aber fällt der Berührungspunkt zweier Seiten noch oben auf den
Wall, was für eine vollkommen rechtwinkelig angelegte Ecke spricht, obschon
die Ecke etwas abgerundet erscheint Was bedeutet endlich das Reduit in
der ganzen westlichen Hälfte des Kastells?! Man vergl. auch v. Cohausen
der röm. Grenzw. i. D. S. 39. (Fortsetzung folgt.)
•-«>^ö€-«^«
über die Krönung der Königin Gisela.
Von Prof. J. V. Pflagk- Harttang in Basel.
In meiner Abhandlung ^Giselas Krönung" (Studien zur Gesch.
Eonrads ü, 8. 28 — 41) machte ich vor nunmehr 12 Jahren ungefähr
folgende Aoseinandersetzong. Über die Krönung der Gemahlin König
Eonrads II giebt es zwei Berichtgruppen. Nach der einen ist Gisela in
Mainz von Erzbischof Aribo gesegnet und gekrönt, nach der anderen
von Püigrim in Köln benediciert, konsekriert worden.
Jene Gruppe besteht aus Hermann von Reichenau, welcher zum
Jahre 1024 erzählt, nicht lange nach der Salbung des Königs wurde seine
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über die Krönung der Königin Gisela. 71
Gemahlin von Piligrim in Köln ebenfalls ^) als Königin am 21. September
einges^net (nee mnlto post . . . regina nihilominas benedicta). Diese
Nachricht wird ergänzt durch Wipo Kap. 2, wo es heisst: die Lothringer
„nahmen dankbar an, was Konrad befahl und Erzbischof Piligrim erbat
vom Könige gleichsam zum Ausgleich seines froheren Vergehens, dass
es ihm erlaubt sei, die Königin im Dome von Köln zu konsekrieren.
Über sie werde ich im Folgenden noch reden.** Mit der vorigen Stelle
zusammengehalten, erscheint diese als Bestätigung; far sich betrachtet
ist sie weniger klar: da kann „impetrabat" heissen, er erlangte durch
Bitten, dass er konsekriere, oder er erbat, dass es ihm gestattet sein
möge, „ut sibi liceret** ; womit noch nicht gesagt, dass er es auch
envirkte. Wie dem nun sein mag, beide Angaben können auf die
verlorenen schwäbischen Beichsannalen zurückgehen und erhalten da-
durch Gewähr*).
') Vgl. S. 75.
^) In Betreff dieser Beichsannalen sehe ich mich zu einigen Bemer-
kungen veranlasst. In den Forsch, wies Steindorff nach, dass Wipo und die
S. Gallener Annalen eine gemeinsame Vorlage benutzten. £r sagt VII S. 572:
„Die verwandten Abschnitte der Ann. Sang, und der Vita Chuonradi gehen
beide auf eine ältere und, wie man an der Vita erkennt, reichere Quelle zu-
rück.** Beide haben in eigentümlicher Weise diese gemeinsame Vorlage be-
nutzt. — Dass es sich hier um verlorene schwäbische Beichsannalen, oder
richtiger um eine Weltchronik, handele, sagte St. nicht und könnte es nicht
sagen, weil Wipos Biographie nur 15 Jahre umfasst. Der hiefür entschei-
dende Schritt geschah erst in meiner Arbeit: Herimann v. Beichenau und
seine verlorene Quelle, in den Studien S. 1 — 10, worin nachgewiesen wurde,
dass die S. Gallener Annalen, Wipo und Hermann aus gemeinsamer Quelle
schöpften; dadurch war Steindorffs Hypothese gestützt und zugleich — weil
die S. Gallener Annalen und Hermann weit zurückgehen — aus seiner kurzen
Spanne Zeit ein Verlauf von Jahrhunderten geworden, d. h. überhaupt erst
der Bahmen für das Ganze gegeben. Ich sagte S. 10 ausdrücklich, dass eine
•weitere Untersuchung bis auf die Lorscher Annalen führe, sagte S. 6 Anm. 1,
dass sich die Quellen Hermanns bis zum Jahre 901 gar nicht oder nicht ge-
nügend nachweisen lassen (die Ann. Alam. Aug. Herem. gehören hieher), hier
müsse er ausführlichere schriftliche Aufzeichnungen vor sich gehabt haben.
S. 10 Anm. 1 wird auf die Beziehungen zu den Hildesheimer und Hersfelder
Annalen ausführlich hingewiesen. Die verlorene Quelle wird wiederholt als
„Reichsgeschichte'' bezeichnet, S. 9 Anm. 4 wird sogar ihr Charakter näher
erörtert. Man sieht, die Linien waren gezogen. Es hiess am Schlüsse, wei-
tere Untersuchung sei sehr lohnende Arbeit, wir müssten für diesmal jedoch
darauf verzichten, weil sie einen Umfang und eine Richtung annähme, die
nicht im Plane der Abhandlung liege : es handelte sich eben um „Studien zur
Gesch. Konrads IP* und um eine Dissertation. Meine Absicht war, wie sach-
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72 J- ▼• Pflogk-Harttimg
Gehen wir za den Nachrichten der zweiten Gmppe aber. Da
treten die Qaedlinborger Annalen zum Jahre 1024 in den Vordergrund :
„nach Verlauf weniger Tage (parvo diemm intervallo) kam Gisela auf
Befehl und unter Beistand des Königs zu ihm nach Mainz und wurde
dort in Gegenwart der verwitweten Kaiserin Kunigunde, welche alles
Zubehörige sachentsprechend besorgte, von Aribo unter grossem Andränge
von Geistlichen und Grossen mit königlicher Ehre gesegnet und gekrönt
(honore regio benedictus et coronatus). Von dort abreisend (inde pro-
gressus) begab sich der König in ihrer B^leitung rheinabwärts^. Dieser
Bericht ist der bei weitem ausführlichste und genaueste; er findet sich
in gleichzeitig niedergeschriebenen Annalen, die an und für sich zu den
damals zuverlässigsten gehörig, hier noch die Doppelgewähr bieten, dass
die Äbtissin Adelheid eine entfernte Verwandte Giselas mit dieser im
gleichen Jahre in Vreden zusammenkam, und dass König und Königin
samt Gefolge im nächsten Jahre 1025 persönlich zu Quedlinburg
weilten. Da fflr absichtliche Entstellung kein Grund vorliegt, muss die
Angabe so gut beglaubigt erscheinen, wie möglich.
Mit den Klosterannalen harmoniert treffiich der Augenzeuge Wipo,
lieh selbstverständlich und deutlich in dem „für diesmal" lag, die Arbeit zu
machen; ich gedieh hiemit auch ziemlich weit, aber noch bevor ich alle
Schwierigkeiten lösen konnte, musste ich Bonn verlassen und zu meinen
Eltern aufs Land nach Holstein. Da fehlten alle Hülfsmittel, die Arbeit
blieb unvollendet liegen. Ein Jahr später erschienen Bresslaus Beiträge
zur Kritik deutscher Geschichtsquellen, im N. A. II S. 541, worin eben das,
was bei mir angedeutet lag, ausgeführt war. Der Wissenschaft konnte
das nur genehm sein, doch mir war meine Arbeit vorweggenommen und
zwar in einer Weise, die schwerlich dem Sachverhalte entspricht. Erst auf
der 41. Seite wurde meiner Schrift Überhaupt gedacht und auch da in be-
schränktem Umfange, obwohl B. mit den Hildesheimer Annalen begann, die
Ann. Alam. Aug. Herem. Hersfeld. Lauresham. Sang, zur Reichsgeschichte
in Beziehung setzte, was, wie wir sahen, alles auch schon bei mir skizziert lag
mithin bei B. nicht neu war, — ausser die umstrittene Epitome. Für die
Art nur ein kurzer Beweis : S. 587 heisst es : ,4u den von mir sogenannten
schwäbischen Reichsannalen". Wer kann hier ahnen, dass jemand anders
schon ein Jahr früher den entscheidenden Ausdruck der „Reichsannalen*' ein-
führte ? B. gebehrdet sich, als müsse er mühsam selber erst alles finden, als
rühre die Entdeckung von ihm her und dies hat auch nicht das Ziel ver-
fehlt In dem für derartige Dinge massgebenden Buche, in Wattenbachs
Quellenkunde, wird bei Hermann von Reichenau und den verlorenen Reichs-
annalen meine Arbeit nicht einmal genannt (U S. 39, 42), obwohl sie aus-
drücklich „Herimann von Reichenau und seine verlorene Quelle** über-
schrieben ist.
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über die Krönung der Königin Öisela. 73
dem wir vorhin auf der anderen Seite begegneten. Nach Erzählung
der Wahl geht er nämlich zur Konsekration des Königs, zur Huldigung
und Einrichtung der Hofämter in Mainz über; dabei helfen Vertraute.
Alle aber aberragt des Königs Gemahlin Gisela durch Klugheit und
Ratscbluss. Sie stammt aus dem Geschlechte Karls des Grossen, ist
schön, fromm, mildthätig und freien Geistes. Durch den Neid gewisser
Menschen (quorundam hominum invidia), welcher oft von den Unteren
gegen die Oberen schäumt, wurde sie für einige Tage (per aliquot dies)
von ihrer Konsekration zurückgehalten. Ob sie jenen Hass mit Recht
oder Unrecht ertrug, bleibt noch fraglich; dennoch schlug sie durch,
wurde auf Bitten und Zustimmung der Fürsten geweiht und folgte dem
Könige als verwandte ^) Begleiterin. Wipo kehrt jetzt zu den Handlungen
zurück, welche Konrad noch an seinem Krönungstage in Mainz vor-
nahm, und geht dann zur Heise des Königs über mit den Wocten : nach-
dem das königliche Geleit (der Hofstaat) zusammengesetzt war, gelangte
Konrad zuerst (primnm) durch die Gegend der Ripuarier nach Aachen.
— In diesem Zusammenhange kann unmöglich an etwas anderes, als
daran gedacht werden: alles, mithin auch Giselas Krönung, gehe in
Mainz vor sich, und als das Ganze geordnet ist, begiebt man sich auf
die Reise den Rhein hinunter, Gisela als „necessaria comes**.
Wäre Wipo nur stückweise erhalten, etwa das zweite Kapitel
verloren, so würde niemand auch nur im Geringsten am obigen Her-
gange zweifeln, und auch so ist es viel zugemutet, dass man sich
erinnern soll, iVs Kapitel vorher war in einem zwischengeschobenen
Satze von einer Kölner Konsekration die Rede, die eigentlich erst den
Hauptbericht verständlich macht. Nun widersprechen sich auch noch
beide Angaben; im vierten Kapitel wird Gisela auf Bitten der Prin-
cipes konsekriert, im Gegensatze zu dem Neid der Niederen, d. h. doch
Bitten beim Konsekrator, denn Gisela und Konrad brauchte man nicht
erst lange zu bitten. Kapitel zwei liegt die Sache umgekehrt, da ist
es eben der Konsekrator, welcher bittet ihm die heilige Handlung zur
Abwaschung seiner Schuld zu gestatten. Dazu kommen ferner die „aliquot
dies", welche genau mit dem „parvo dierum Intervalle" der Quedlin-
burger Annalen stimmen, sehr schlecht aber mit einer Reise rheinab-
wärts und einem Zwischenraum von 2 Wochen, den die Krönung in
Köln ergiebt. Auch der „consensus et petitio principum", die nach
Wipos Erzählung sich offenbar ebenso wie die „invidia quorundam
I
') Wohl richtiger als „notwendige Begleiterin", „necessaria comes".
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74 3, V. Pflugk-Harttung
hominnm" in Mainz äusserten, passen schlecht zu einer zwischen-
geschobenen Reise, einer Verlegnng des Ortes, za einer längeren Yer-
zOgemng, und ausserdem kann die „petitio** nicht in Mainz bei Piligrim,
sondern nur bei Aribo vorgebracht sein, weil jener gar nicht in Mainz
zugegen gewesen.
Wir sehen, eines grdft hier folgerichtig in das andere. Und be-
festigt wird alles durch eine Urkunde. Am 11. September 1024 bat
Eonrad II dem Bischöfe Walter von Speier ein Diplom ausgestellt, „una
cum manu dilectissime contectalis nostre videlicet regine **. Hier ist Gisela
schon am 11. September Königin genannt, mit einem Titel, den sie erst
vom Tage der Krönung an führen durfte (vgl. Studien S. 83); diese konnte
mithin nicht erst am 21. September erfolgen. Die Urkunde wurde in
Ingelheim ausgestellt, auf dem Wege von Mainz nach Köln, noch in
unmittelbarster Nähe von Mainz, die Krönung kann also wieder nicht
in Köln, sondern nur in Mainz geschehen sein.
Von Nebensächlichem abgesehen, steht da als Ergebnis: beide
Berichtgruppen sind derart, dass keine hinweg zu schaffen ist. Es bleibt
nur, eine anzuerkennen und die andere zu verwerfen, was Willkftr
wäre, beide unvermittelt neben einander zu stellen, oder zu versuchen,
ob eine Vereinigung möglich und zulässig. — Bei der Sachlage erscheint
derartiges natürlich nur als Versuch, den man aber machen muss, wenn
man eine wissenschaftliche Pflicht erfüllen, man nichts unerörtert lassen
will, um Schwierigkeiten zu lösen.
Zunächst könnte Beachtung verdienen, dass der Quedlinburger
Annalist zwar deutlich berichtet, Gisela sei von Aribo in Mainz zur
Königin gesegnet und gekrönt, dass Hermann von Reichenau beim Köbier
Hergange aber nur sagt „regina nihilominus benedicta^, fassen wir hier
„nihilominus^ als ebenfalls, so fällt das „benedicta" auf, weil es un-
mittelbar vorher vom Könige hiess: „unctus". Wir sind beim „bene-
dicere^ nicht sicher, ob mit der Einsegnung der weitere Hergang von
Krönung und Salbung verbunden gewesen, denn das „ungere" setzt wohl
das „benedicere" voraus, dies aber nicht jenes; überdies ist es das un-
bestimmtere. Wipo hat Kap. 2 : „reginam consecrare*, was nur heisst
„die Königin konsekrieren^, nicht aber zur Königin konsekrieren, dafür
braucht er Kap. 35 „pro regina consecrare", und Kap. 80 „pro rege
coronari^ ; auch „aliquem regem consecrare" (Kap. 28) steht auf an-
derer Stufe, denn dann müsste der Satz heissen: „ut sibi liceret Giselam
reginam consecrare*', was nicht der Fall ist. Streng interpretiert
ergäbe der Satz mithin: Gisela ist Königin und Piligrim bittet nur,
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über die Krönung der Königin Gisela. 76
sie konsekrieren zu dürfen; dies Hesse sich sehr gut lAit der Aas-
dracksweise Hermanns vereinen, bedeutet vielleicht genau dasselbe. Fast
noch bezeichnender wäre, wenn wir „nihilominus*' als „nichtsdesto-
weniger* fassen könnten, wie Ranke, wenn er sagt: Die Worte ;,regina
Dihilominus benedicitur* scheinen mir doch so ausgelegt werden zu
müssen, dass Gisela bereits Königin war, als sie den Segen des Erz-
bischofs von Köln empfing (Weltgesch. YII, S. 138). Allgemeiner lauten
die Wendungen in Wipo Kap. 4; da heisst es erst: „per aliquot dies a
consecratione sua impediebatur" ^ dann „petitione principum consecrata** ;
in beiden Fällen wOrde man gewiss eher an „pro regina consecrare^
denken, als an „reginam consecrare", der Zusammenhang weist durch-
aus auf jenes. Aber sehen wir auch hiervon ab, jedenfalls berichten
die Quedlinburger Annalen ausdrücklich von der Krönung zur Königin
in Mainz, während Hermann sowohl, wie Wipo Kap. 2 zu meinen
scheinen, die schon mit der Königswürde umkleidete Gisela erhält vom
Kölner Erzbischof blos den Segen. Eine andere Auslegung wäre ein
Uminterpretieren nicht nach dem Wortlaute, sondern nach vorgefasster
Meinung, eine ad hoc angenommene ungenaue Ausdrucksweise der Quellen,
die sie thatsächlich nicht enthalten.
Aber mit der genauen Interpretation kommen wir auf einen sehr
ungewöhnlichen historischen Hergang: Gisela hätte damit zweimal die
kirchliche Weihe erhalten, einmal bei der Krönung in Mainz, einmal
ohne eine solche in Köln. Wie lässt sich das zusammenreimen? Für
Beantwortung bietet sich: die allgemeine Sachlage und Quellenandeu-
tangen. Nach jener war Gisela ihrem Gemahle zu nahe verwandt,
mithin die Ehe laut streng kanonischer Auffassung unzulässig, war
Aribo vom Papste die Anlegung des Palliums untersagt, welches gerade
mit dem Konsekrationsrechte in enger Beziehung stand. (Näheres Studien
S. 36). Dem ungewöhnlichen Hergange entsprachen mithin ganz un-
gewöhnliche Umstände, welche sowohl die zu Konsekrierende, wie den
Konsekrator betrafen. Dass sie nicht übersehen wurden, nicht über-
sehen werden konnten, beweist ihre Wichtigkeit, beweisen die Quellen.
Sehen wir ab vom „nihilominus** Hermanns, so zeigen sich zuuclchst
die Qnedlinburger Annalen mit ihrem Gisela „inssu et advocatione regis
Moguntiam convenit*'. Warum ist sie nicht bei ihrem Gemahle? bei
ihm in der wichtigsten Zeit seines Lebens, nachdem er zum Könige
gewählt und gekrönt worden ? Sonst war es doch Sitte, dass König und
Königin möglichst unmittelbar nach bezw. neben einander gekrönt wurden;
weshalb bedurfte es hier erst „iussum et advocationem^, damit die Frau
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76 J. V. iPflugk-HarttuHg
überhaupt nach dem Krönungsorte des Gemahls kam? Man sieht, wie bei
Hermann, es muss etwas vorliegen ! Da hilft nun Wipo Kap. 4 aus, wo
er von dem Neide gewisser Menschen redet, der von unten herauf nach
oben schäumend, die Konsekration um einige Tage verschob, bis sie
schliesslich „ex consensu et petitione principum" doch vorgenommen
wurde. Wipo selber wagt die Sache nicht zu entscheiden, denn „si
illnd odium iuste an iniuste pertulerit, adhnc in quaestione moratur*' ;
bedenkt man, dass dies von der Mutter Kaiser Heinrichs HI gesagt
wird, dem Wipo sein Werk widmete, zu dessen Gunsten er färbte, so
dOrfte kein Zweifel obwalten, dass er nach persönlichem Dafür-
halten das „odium^ nicht ganz für „iniuste^ ansah. Nach der Sach-
lage kann es sich auf nichts anderes als auf Giselas kanonisch zweifel-
hafte Ehe beziehen. Naturgem&ss muss sie Anstoss bei den Streng-
kirchlichen erregt haben, denn anderen war sie gleichgOltig oder höchstens
für politische Ausnutzung brauchbar. An der Spitze der Strengkirchlichen
stand das Kloster Cluny mit seinem Anhange, und der Abt von Quny,
offenbar nach damaliger Art mit grossem Gefolge, war persönlich in
Mainz anwesend. Wir besitzen damit eine fast zwingende Gedanken-
folge. Hinzu kommt der Bericht des in dem kluniacensischen St. Benigne
von Dyon oder in Cluny selber schreibenden Rodulfus Glaber : bei ihm
ist das Konkubinat mit Gisela der Kern, um den sich das ganze An-
fangskapitel des vierten Buches dreht. Ihm zufolge sollen die Bischöfe
an Konrad die Forderung gestellt haben, erst seine unkanonische Ehe
zu lösen, wenn er sich auf ihre Unterstützung Rechnung machen wolle.
Konrad habe beigestimmt, es sei eine Gesandtschaft an den Papst geschickt,
die dessen Zustimmung einholte, worauf die Königswahl stattfand. Wir
werden ein andermal (Untersuchungen z. G. Konrads H. Nr. 3) auf
diesen Bericht näher eingehen, bemerken hier nur, dass sicher daraus
gefolgert werden darf: in Cluny war man entrüstet über die Sache,
musste man es sein; deutlich blickt dies bei dem Schriftsteller durch:
er legt ohne weiteres gleich allen praesules und episcopi dieselbe
Anschauung bei^).
Ziehen wir die Andeutungen und Berichte zusammen, so scheint
sich folgender Hergang zu ergeben. Nach dem kinderlosen Tode Kaiser
Heinrichs II traten nach einigen Unordnungen die beiden verwandt-
*) Dass es bei dem Quedlinburger von Gisela beim Verzögern um einige
Tage heisst „divinitus iam praelecta** mag etwas von der Hofanschauung ent-
halten, die der Annalist von seiner Äbtissin und dem in Quedlinburg an-
wesenden Hofe erfuhr;
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über die Krönung der Königin Gisela. 77
schaftlich berechtigten Konrade in den Vordergrund, wobei Piligrim
zu dem jüngeren, Aribo zu dem alteren hielt (vgl. u. a. meine Thron-
folge in Forsch. XVIII S. Iö6). Gegen letzteren Hess sich von Aribos
Standpunkt nichts ausser seine unkanonische Ehe geltend machen; eine
Frage, in welcher der Mainzer Kirchenhirt bei Otto von Hammer-
stein nach strenger Auffassung Stellung genommen hatte. Er und wohl
auch andere Parteigenossen (die praesules und episcopi des Rodulfus)
mttssen wegen des Gegenstandes notwendig mit Konrad verhandelt haben ;
von Heinrichs Tod bis zur Wahl des neuen Königs verstrichen beinahe
zwei Monate. Aribos Lage war gepresst, zum Kandidaten seines Kölner
Rivalen konnte er nicht übergehen und sein eigener scheint in der Ehe-
sache zähen Widerstand entgegengesetzt, sich höchstens zu zweideutigen
Yersprechungen herbeigelassen zu haben. Bei der Krönung wurde die Frage
brauend; wohl die kluniacenser Mönche erhoben laut die strengkirch-
liche Forderung (das wären die inferiores), der Mainzer selber sträubte
sich auch noch, Konrad aber blieb fest, Hess seine Gemahlin in die Stadt
kommen, die weltlichen Fürsten legten sich ins Mittel und bewogen
Aribo, die heilige Handlung vorzunehmen (ex consensu et petitione
principum), was er kanonisch desto leichter konnte, als kurz zuvor
Papst Benedikt YHI die nnkanonische Ehe des Grafen von Hammer-
stein anerkannt hatte, hier also ein Präzedens von befugtcster Seite
vorlag. KirchHchem Rigorismus scheint Aribo überhaupt ziemlich fem-
gestanden zu sein und wegen einer politischen Frage hat z. B. Hein-
rich IV von Frankreich sein HeiHgstes, seine Konfession abgelegt, für
welche er jahrelang blutig gerungen hatte. Und wie die Dinge lagen war
Giselas Ehe ebenso sehr politisch als kirchlich; sie veriieh ihrem Ge-
mahle den stärksten FamiHenrückhalt, sie war die Mutter des jungen
Herzogs von Schwaben, eine Schwestertochter des Königs von Burgund
and führte ihren Stammbaum bis auf Karl den Grossen. Die klerikalen
Einwände gegen die Ehe hatten ursprünglich überhaupt wohl politischen
Hintergrund und zwar zu Gunsten Heinrichs U gegen Konrad (Ranke,
Weltg. VII S. 132 f.), also von einer Seite, deren Anschauungen Aribo
nicht nur nicht teilte, sondern zu denen er vielfach in Widerspruch
stand. Überdies war diö Verwandtschaft der beiden Gatten eine so
weitläufige, dass man selbst von kirchlicher Seite schwanken konnte,
um wie viel mehr musste sie den meisten Laien gleichgültig erscheinen.
Man sieht, eine Menge von Gründen lassen sich für den dargelegten
Hergang anführen, abgesehen davon, dass wir uns mit der unwandel-
baren Nachricht der Quedlinburger Annalen abfinden mtlssen.
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78 J- V. Pflugk-Harttung
Erscheint unn obige Erzählung als die wahrscheinlichste, so er-
giebt sich auch leicht der kölnische Kirchensegen. Piligrim sah sich
aberholt; er trug den Verhältnissen Rechnung und wünschte einzulenken,
zugleich aber für sich noch soviel dem Mainzer gegenaber zu retten als
möglich. Da bot sich seine Haltung von selbst : ihn beeinträchtigte kein
Pallium verbot, er befand sich im Yollgenusse seiner geistlichen Ehren
und Würden, war päpstlicher Bibliothekar, d. h. zugleich natürlicher
Vertreter Roms. Der Sachlage gemäss und nach Wipos Worten ist
man sich wechselseitig entgegengekommen. Im Dome von Köln empfing
Gisela von Piligrim den Segen; es war ein wesentlich kirchlicher Vor-
gang. Die glänzendere Feier fand in Mainz vor versammeltem Volke statt,
von ihr berichten der Qnedlinburger und Wipo ausführlicher; der fromme
Mönch von Reichenau verzeichnete nur den kirchlichen Akt und auch
Wipo erwähnte ihn beiläufig. Auf diese Art würde die ungewöhnliche
Sachlage den ungewöhnlichen Hergang erklären und das Gefüge der
Quellen ohne Zwang in einander passen.
Bresslau ist ihm indessen in seinen Jahrbüchern des deutschen
Reiches unter Konrad II in einem besonderen Exkurse (I S. 351, 362)
entgegengetreten, und zwar zu Gunsten einer einseitigen Krönung in
Köln. Er schloss sich damit der bislang herrschenden Auffassung an,
die man beibehielt, bis Ranke ihr eine andere Wendung gab, indem er
meine Ausführung in einer längeren Anmerkung bekräftigte (S. 137
Anm. 2). Er lässt den Quedlinburger Annalen gemäss, Gisela durch
den Erzbischof von Mainz einsegnen und krönen und sie dann ^nach
einiger Zeit** „auch von dem Erzbischofe Piligrim von Köln in dessen
Metropole einsegnen".
Unter solchen Umständen lag es nahe, die Frage neu zu er-
örtern. Doch bedarf es noch einer Prüfung der Einwendungen Bress-
laus. Ich unterziehe mich ihr; denn erst durch sie vermag der posi-
tive Teil meiner Untersuchung Halt zu gewinnen.
Bresslau bemerkt: „H. sucht die Erzählung der Ann. Quedl. zu
verteidigen. Ich folge dem Gange seiner Ausführungen nicht, sondern
beschränke mich auf eine sehr kurze Widerlegung der wichtigsten von
seinen Argumenten**. Gegen diese Art der Widerlegung wird niemand
etwas einzuwenden haben, wenn sie beweisend ist, und ebensowenig da-
gegen, dass nur die „wichtigsten** Punkte herausgehoben werden, weil
damit die unwichtigen von selber fallen. Mein wichtigstes Argument
stützt sich, wie B. selber andeutet, auf den Quedlinburger Bericht. Man
erwartet deshalb auch in erster Linie dessen Widerlegung. Aber mit
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über die Krönung der Königin Gisela. 79
keinem Wort ist in dem Exkurse von ihm die Rede. Nur gelegentlich
hiess es vorne S. 28 Anm. 1 : „Die Angabe der Ann. Quedl., dass Gisela
zo Mainz von Aribo gekrönt sei, verwerfe ich mit allen Neueren, und den
Versuch Harttungs, sie zu verteidigen, halte ich für verfehlt". Das
ist, wie jeder sieht, kdn Gegenbeweis, sondern eine ausgesprochene per-
sönliche Meinung.
Im Übrigen sollen Folgendes die „wichtigsten Argumente** sein :
1) „H. sieht die Nachricht des Rod Glab., dass Konrad ein Ver-
sprechen gegeben habe, sich von Gisela scheiden zu lassen, als erwiesen
an. Dass sie das nicht ist, haben wir oben dargethan**. — Letzteres
bleibt fraglich, wie ich in meinen „Untersuchungen** erhärten werde
and ersteres ist nicht richtig; mein Satz S. 31 lautet: „dass Konrad
sich auf zweideutige Versprechen (einer Scheidung) eingelassen, ist
wahrscheinlich**.
2) „Aribo war, welches auch seine Motive zuerst gewesen sein
mögen, durch sein Vorgehen gegen Irmgard prinzipiell engagiert**. Wir
haben bereits auf die politische Lage Aribos verwiesen. Dadurch, dass
Papst Benedikt die Ehe Irmgards anerkannte, war fOr den Erzbischof
der Schritt gethan ; er brauchte nicht päpstlicher zu sein, als der Papst.
— „Wie hätte, wenn A. kein Gegner der Ehe Konrads war, der Neid
niedriger stehender Personen ihn mehrere Tage hindern können, die
Krönung zu vollziehen? die Anschauung der Kluniacenser, an die H.
denkt, waren für ihn gewiss nicht massgebend^. Wo habe ich behauptet,
dass Aribo kein Gegner der Ehe Konrads gewesen? S. 31, 32 handelte
ich ausdrücklich davon, sage sogar, die Möglichkeit sei zuzugeben, dass
Aribo auch oder gar vornehmlich jene Bedingung der Scheidung ge-
steUt haben mag. Dass unabhängig von ihm oder sonst einem Bischöfe
auch die Kluniacenser die Forderung erhoben, beweist Rodulf Glaber
und Wipo in seinem „quorundam hominum invidia quae saepe ab infe-
rioribus fumigat ad superiores**. Zu diesen Worten sagt nun B. freilich
„war nicht in der That das Verhältnis Aribos zu dem Königspaar das ,
eines inferior zu superiores**. Der Plural (und nicht Singular) „quo-
rondam hominum**, „saepe**, „fumigat^ : damit sollte auf den ersten Mann
im Reiche gezielt sein ? Zudem : im Satze vorher stellt B. selbst Aribo
dem „Neid niedriger stehender Personen'* gegenüber.
3) „Nach H. soll nicht sowohl Aribo, als die streng kirchliche
Partei der Kluniacenser Giselas Krönung bekämpft haben; undenkbar
erscheine es, dass der König ihm ein Versprechen gegeben und gleich
nach der Wahl gebrochen habe. Das letztere ist ganz richtig und
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80 J. V. Pflugk-Harttung
deshalb glaube ich an ein solches Versprechen Oberhaupt nicht. Aber
ebenso undenkbar ist ein solches Versprechen an die Klnniacenser ; die
wollten wahrscheinlich K. überhaupt nicht wählen und fügten sich erst
dem fait accompli**. Dass die streng kirchliche Partei der Klnniacenser
Giselas Krönung bekämpft hat, daran ist gar nicht zu zweifeln; es ergiebt
sich aus dem Sachverhalte, aus Rod. Glab., aus Wipo und der An-
wesenheit des Abtes von Gluny in Mainz. Ein Versprechen ist aus-
drücklich überliefert.
4) „H. beruft sich auf die Urkunde St. 1854 vom 11. Sept., in
der Gisela bereits regina heisst. Wie Ficker, Beitr. I, 114, 177 be-
merkt, bezieht sich das Datum offenbar auf die Handlung, nicht auf die
Beurkundung*'. Dort dreht es sich eben um den Ausdruck regina.
Da Ficker nach bisheriger Auffassung als sicher annahm, Gisela sei
erst 14 Tage später in Köln gekrönt und führe erst von nun an den
Titel, so wusste er sich nicht anders zu helfen, als dass er die Hand-
lung innerhalb dreier Tage nach der Wahl stattfinden Hess, die Nieder-
schrift der Urkunde erst 10 Tage später, aber mit dem Datum der
Handlung, also um 10 Tage zurückdatiert. Ficker suchte also de^
Inhalt mit dem Datum zu einen, so weit er eben vermochte. Er ver-
fährt, fast selber zweifelnd, sehr vorsichtig, indem er sagte: „die-
selbe Annahme wird dadurch nahegelegt^. Sobald die Krönung schon
in Mainz geschah, sind Fickers Aushilfen nicht nötig, stimmen Inhalt
und Datum, ist gar keine Schwierigkeit vorhanden. Bresslau selber
benutzte übrigens S. 34 die Urkunde richtig zum 11. September.
5) „Die Auslegung der Stelle Wipo Kap 2, dahin, dass Wipo
selbst eine Krönung in Mainz annehme, wovon er kein Wort sagt, ist
völlig gezwungen und willkürlich **. Das ist Behauptung und kein Be-
weis, wie in der Frage der Quedlinburger Annalen. Man vermag sich
leicht vom Gegenteile zu überzeugen; es ist auch Ranke S. 138 meiner
Auffassung beigetreten, indem er erörtert: „Der hier wohlunterrichtete
Quedlinburger Annalist und der überhaupt gut unterrichtete Wipo,
der nur den Ort der Krönungsfeier und die Person des Erzbischofs
verschweigt, stimmen auch darin überein, dass Gisela bereits wenige
Tage nach ihrem Gemahl gekrönt worden*".
6) «Wenn die Königin bei Konrads Krönung gar nicht in Mainz
war und am Tage nach ihrer Ankunft sofort gekrönt wurde, wie kann
Wipo sagen: „per aliquot dies a consecratione sua impediebatur".
Musstc denn aber die Königin überhaupt in Mainz sein, um ihre Krö-
nung einige Tage verschoben zu sehen V Sie konnte ja in der Nähe
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über die KrönuDg der Königin Gisela. 81
weilen, etwa in der nur 2 Meilen entfernten Pfalz von Ingelheim. Da-
mit f^lt auch B.'s nächster Vorwurf, dass die Königin bei den Hof-
emennongen hervorragenden Anteil genommen habe: auf schnellem Rosse
konnte der Bote in einer Stande nach Ingelheim kommen ; noch schneller,
wenn Gisela sich etwa in der Vorstadt oder in einem Gehöft bei Mainz
aufhielt. Vieles wird ausserdem vorher beraten gewesen sein. Femer
meint B., ich lasse die Königin gleich nach der Krönung abreisen, in
der Besorgnis, Aribo zu lästig zu werden. Beweisend ist hier die auch
von Bresslau verwendete Urkunde des 11. September, welche bereits von
Ingelheim datiert worden; dass die ungewöhnlich zahlreichen Volksmassen
für das damals noch nicht sehr umfangreiche Mainz eine Last waren,
bedarf keiner Erörterung. Schliesslich sagt B. noch, ausser mir würde
schwerlich jemand an die Hast der sich drängenden Ereignisse glauben.
Hier reden eben Thatsachen und ausser mir glauben noch andere
daran, z. B. Ranke, welcher äusserte: „Konrad musste Alles an einer
möglichst schleunigen Erledigung dieser Angelegenheit liegen*'.
7) Bresslau spricht nun von der zweiten Konsecration Giselas.
Das Gesagte ist bereits durch meine frühere und diesmalige Darstellung
erledigt.
Zum Schlüsse glaube ich meinen zu dürfen, dass B.'s Erörterun-
gen das Schwergewicht der entgegenstehenden Quellen keineswegs be-
seitigen, dass wir dieselben hier, wie sonst ohne vorgefasste Meinung
benutzen müssen, dass Ranke und ich dies gethan haben ^).
»^^«5»<»-«-
Das Conceptbuch des Rudolf Losse.
Von J. Priesaek und J. Sehwalm in Göttingen.
Über das im Grossherzoglich -Hessischen Staatsarchiv zu Darm-
stadt befindliche sog. Conceptbuch des Rudolf Losse, Trierischen Offizials,
späteren Mainzer Dekans und Rats Karls IV. '), welches Böhmer dort
wieder auffand, machte die erste Mitteilung Ficker in seiner Unter-
suchung Zur Geschichte des Kurvereins zu Reuse in den Wiener Sitzungs-
^) Gerade als ich die letzte Revision absenden will, geht mir zu: W.
Maurenbrecher, Gesch. der deutschen Königswahlen, der sich S. 95 ebenfalls
für die Krönung in Mainz entscheidet. Zu dem doppelten Akt (Weihe in
Köln) sieht er keinen Grund. Näheres hierüber in meinen Untersuchungen
zur Gesch. Konrads II Nr. 2.
*) Vgl. über ihn Joannis Rer. Mogunt. Scr. II, 301.
Wartd. Zeüaohr. L OMoh. n. Knnit VIII, L 6
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82 J* Priesack und J. Schwalm
bericbten XI, Jahrgang 1853 S. 679, und darauf Böhmer im Jahrbuch
für vaterländische Geschichte I (Wien 1861) S. 207.
Die Handschrift wurde uns von der Grossherzoglichen Archiv Ver-
waltung in zuvorkommendster Weise auf längere Zeit zur Benutzung
auf der Göttinger Universitätsbibliothek überlassen, wofür wir hier
unsem öffentlichen Dank aussprechen. Sie enthält die Papiere Losses,
in einem Bande gesammelt. Derselbe bestand aus 191 *), gegenwärtig
teilweise losgelösten Quartblättern, mit alter Paginierung, von denen
jedoch jetzt 31 fehlen, durchweg von Papier, nur sechs Pergamentblätter
sind eingefügt. Es sind in buntem Durcheinander Originale (resp. Origi-
nalcopien), Abschriften und Entwürfe des verschiedensten Inhalts. Er
umfasst die gesamte Thätigkeit dieses vertrauten Beamten Balduins, der
wiederholt die Sache des Erzbischofs an der Kurie zu vertreten hatte
und zeitweilig auch als Bevollmächtigter Karls lY. fungierte. Neben den
wichtigen auf die politischen Ereignisse im Reich und die Stellung
Balduins zu Kaiser und Papst bezüglichen Aktenstücken und Korrespon-
denzen, die jetzt durchweg im Druck vorliegen, finden sich die Akten
geistlicher Prozesse, Urkunden, Erlasse etc., welche geistliche und welt-
liche Verwaltungssachen der Trierer Diözese betreffen, und endlich zahl-
reiche, Losses Privatangelegenheiten enthaltende Aktenstücke. Alles das
ist willkürlich, ohne jede zeitliche Ordnung oder innem Zusammenhang
zu einem Bande zusammengeheftet; manchmal sind verschiedene Stücke,
welche auf Folioblätter geschrieben sind, in einander gelegt, so dass
z. B. der in Böhmers Acta imperii sei. Nr. 1049 gedruckte Vertrags-
entwurf in unserm Bande auf Fol. 79' beginnt, .Fol. 86 fortfährt und
auf Fol. 79 schliesst. Der leere Raum, den solche Blätter hatten, ist
dann später zu anderen Eintragungen benutzt worden^). Die so ge-
sammelten Stücke sind z. T. von Losses Hand mit Überschriften versehen*).
Die amtliche Thätigkeit Losses, der die meisten Stücke entstam-
men, begann wohl nicht vor 1330. Zwischen jenen eingestreut finden
sich aber viele Abschriften von Urkunden älteren Datums, die dem Samm-
ler irgend welches Interesse boten, so Breven der Päpste Bonifaz' VIIL und
Benedicts XI. füi- geistliche Orden (Fol. 9'. 99'), der Brief Balduins an
Friedrich von Sizilien (Fol. 3) und anderes; als das wichtigste ist zu
2) Nicht 190 ; Fol. 102 ist doppelt gezählt.
^ Die Bezeichnung „Conceptbuch^ ist daher nicht ganz korrekt, man
kann nur von den gesammelten Papieren Losses sprechen.
*) Vgl. Fol. 77: Procuratorium meum ; Fol. 91: Instrumentum
protestationum post deiectionem meam a praebenda Erfordiensi.
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Das CoQceptbuch des Rudolf Losse. 83
nennen die Sammlung der päpstlichen Erlasse für den Kardinallegaten
für Tuscien von 1326 (Fol. 33—44) % Das älteste dieser Stücke ist
die Copie einer Urkunde Erzbischof Heinrichs von Vinstingen von 1276
Apr. 7 (Görz, Reg. S. 53). — Fälschlich nennt Irmer (Die Romfahrt K.
Heinrichs VII. im Bildercyclus des Cod. Bald. Trev. S. VJ) und durch ihn
irrgeführt Lamprecht (Deutsches Wirtschaftsleben im Mittelalter II, 688)
die Hs. ein Copiar, welches „mit wenigen Ausnahmen lediglich die
Mainz betreifenden Urkunden Balduins aus der Zeit seiner streitigen
Wahl zum Mainzer Erzbischof umfasst". Vielmehr haben auf Mainz
Bezug nur die für die Geschichte des Verzichtes Balduins auf Mainz
wertvollen Korrespondenzen und Akten aus den Jahren 1336 und 1337,
alle übrigen Stücke aus dieser Zeit, soweit nicht Privatangelegenheiten
Losses, betreffen lediglich die Trierer Diözese. Erst aus den letzten
Lebensjahren Losses, der, obwohl seit 1346 Dekan von Mainz, bis zu
Balduins Tode in dessen Diensten verblieb^), und noch 1354 in Mainz
nicht zugelassen war^), enthält seine Sammlung Angelegenheiten der
Mainzer Kirche^.
Von einer Hand des 16. Jahrhunderts sind in die Hs. ebenso
Überschriften und vereinzelte Randbemerkungen eingetragen. Jüngst
haben dann die Blätter eine neue Paginieruug erhalten. Wir fügen aber
die alten Seitenzahlen in Klammem bei, da die Herausgeber nach der
alten Zählung eitleren.
Benutzt ist die Sammlung Losses zu wiederholten Malen. Schon
ehe durch Böhmer auf dieselbe aufmerksam gemacht wurde, verwendete
sie Holzer für seine Schrift: De proepiscopis Trevirensibus (Coblenz 1845),
der ebenso irrtümlich wie Irmer sie als ^Balduini regestarum Codex' be-
zeichnete. Sodann Böhmer und Ficker für die genannten Publikationen
(W. S. B. u. Jahrb.) und für die Acta imperii selecta. Eine Abschrift
Fickers ist auch abgedruckt bei v. Weech, Ludwig der Baier und
Johann von Böhmen S. 130 ff. Dominicns lagen für sein Werk Ab-
schriften der wichtigeren Briefe vor. Auszüge aus der Hs. benutzte
') Auch von dem anderweitig bekannten Entwurf der Schenkung Tus-
ciens an den Papst durch K. Albrecht (vgl. die Anmerkung zu Böhmer Acta
imp. sei. Nr. 1039) fii^det sich hier eine Abschrift (Fol. 180).
•) Folio 127 hat noch aus 1353 eine ürk. für Balduin. — Vgl. dazu
Lamprecht, DW. Bd. 3, 483,i, 484,5, 486,io,»o, 488,ao; 1360. — D. Red.
») Vgl. Regesten Karts IV. S. 142, Nr. 1794. — Vgl. auch Lamprecht,
DW. Bd. 3, 227,1, 1354 Sept. 20. — D. Red.
•) Fol. 46—60.
6*
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84 J- Priesack uad J. Schwalm
Görz für die Regesten der Erzb. von Trier. Eine sorgfältige Berück-
sichtigung weist der zweite Band von Müllers ^Kampf Ludwigs des Baiem*
auf. Fast erschöpfend für die Reichsgeschichte ist die Ausnutzung bei
Winkeknann Acta imperii inedita Bd. U.
In dieser Hs. des Darmstädter Archivs erkannte nun Böhmer
den lange verschollenen^) 'Codex MS. in archiv. eccl. coli. S. Andreas
Wormatiae*, aus welchem Würdtwein eine Anzahl von Stücken in den
Nova subsidia dipl. und in den Acta acad. Palatina Bd. YI veröffentlicht
hatte. Viel früher schon war ein anderes Stück von Schannat in seiner
Hist. ep. Wormat. II, ein weiteres von demselben abgeschriebenes Stück
bei Hartzheim, Ck)ncilia Germaniae Bd. lY abgedruckt. Die Identität
des Losse'schen Sammelbandes mit diesem Codex ergiebt sich aus der
Yergleichung der Würdtwein'schen Drucke mit dem Text unserer Hs.
trotz einiger auffallender Differenzen als völlig zweifellos. Die Drucke
zeigen allerdings zahlreiche unwesentliche Änderungen und Auslassungen,
öfters starke Kürzungen des Textes. Dieselben vermögen aber in keiner
Weise die Herkunft ans der Lossehs. zweifelhaft zu machen, bisweilen
finden sie gerade ihre Erklärung in der Hs. So steht bei N. S. XHI,
46 zu dem ^ormaciensis' des Originals von der Hand des 16. Jahr-
hunderts die Glosse 'ej^ Worm Salamannus'; aus dieser hat Würdt-
wein den Namen aufgenommen. Einen sehr deutlichen Beweis liefert
das schon oben erwähnte Stück auf Fol. 79', 86 und 79. Würdtwein
(N. S. XH, 60) fügt mit Übergehung des auf Fol. 86 stehenden Ab-
satzes den Schluss auf Fol. 79 unmittelbar an Fol. 79' an. Daraus
erklären sich alsdann die weiteren Änderungen. Die wenigen erheb-
licheren Abweichungen bezw. Zusätze ^^) sind demnach auf Rechnung
*) Vgl. die Bemerkung in der Vorrede zu den Regesten Ludwigs des
Baiem S. XIV.
'®) Wir geben dieselben hier unter Zugrundelegung der Drucke bei
Böhmer und Winkehnann. — N. S. IX, 41: 'Datum Spirae' ist Zusatz Würdt-
weins. — N. S. XI, 52. W. Nr. 1108: *1314* ist Zusatz. — N. S. XUI, 46
unvollständig. B. Nr. 1046 Zeile 35 : statt des Satzes *et eos ~ Romana' steht :
asserens praedictos praelatos eos mittentes esse conspiratos cum dicto domino
Ludovico contra Romanam ecclesiam ; Z. 38 'pacem' statt *pecuniam'. — N. S.
Xn, 60. B. Nr. 1049, S. 745 Z. 5 *Et ut praefato' bis Z. 4 v. u. 'Treverensem'
(= Fol. 86 der Lossehs.) fehlt Statt dessen Würdtweinc 'Et ut magis caveatur
eidem archiepiscopo super premissis' etc. ; Z. 3 v. u. : 'ac nos per fideiussores
in solidum rite et legitime obligamus'; S. 746, Z. 10 'sigillum nostnim regium
una cum sigillo praefati Domini Archiepiscopi praesentibus litteris' eta —
— Act. Palat VI, 346. B. Nr. 1050, S. 746, Z. 1 v. u. : 'bestediget han an
iren briefen, die sie darober han gegeben .
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t)M Conceptbuck ded kndoif Lossd. 85
Würdtweins zu setzen, und vielleicht auch Schannats, da aus einer
Mitteilung des Darmstädter Archivars Baur in Friedemanns Zeitschrift
fttr die Archive Deutschlands I (1846) S. 70 wohl der Schluss erlaubt
ist, dass Wardtwein die betreffenden Stacke nicht dem Codex selbst,
sondern dem Nachlasse Schannats entnommen hat. Andere Stacke
(N. S. I, 56 und XI, 62), welche nach Würdtweins Angabe ebenfalls
dem genannten Codex entstammen, finden sich in der Sammlung Losses
nicht mehr vor ; sie werden auf jetzt verloren gegangenen Blättern der-
selben gestanden haben. Desgleichen ist von den drei zusammengehörigen
Stacken bei flartzheim a. a. 0. nur noch das letzte in dem Lossebande
vorhanden ^*). Dagegen findet sich ein weiteres Stück (N. S. XII, 64),
aber dessen Herkunft Wardtwein keine Angabe macht, ebenfalls in den
Papieren Losses (Fol. 4) und dürfte aus diesen entnommen sein.
Erst nach Beendigung des nachfolgenden Verzeichnisses kam den
Verfassern durch die Güte des Grossherzogl. Staatsarchivars Herrn
Dr. Schenk von Schweinsberg ein im Archiv zu Darmstadt befindlicher
Index zu der Losse'schen Sammlung zu Gesicht. Derselbe ist schon vor
längerer Zeit angefertigt. Er giebt zu den (gegenwärtig noch unge-
druckten) für die politische Geschichte wertlosen Stücken (Privatange-
legenheiten, Verwaltungssachen etc. betr.) teilweise sehr genaue Regesten,
während er die für die Reichsgeschichte wichtigen, sowohl die Origihal-
briefe als die Entwürfe und Abschriften, meist nur kurz und fehlerhaft
verzeichnet. Nachweise von Drucken fehlen ganz, doch enthält er viel-
fach Verweise auf das Balduineum und das Coblenzer Archiv. Es er-
gab sich, dass es dieser Index ist, dessen Angaben Görz wörtlich in
seine Regesten aufgenommen hat ^^).
Bei der Anfertigung jenes Index scheinen mehrere Blätter gefehlt
ZQ haben, die jetzt lose einliegen; es sind die von Böhmer und Ficker
abgeschriebenen Fol. 69 (73) und 100 (111), während Fol. 52^^) an
unrichtiger Stelle [nach Fol. 49 (50)] mit der Bezeichnung 'Sine pag'.
eingereiht ist. Vermutlich hat auch das von Kopp nach einer Ab-
schrift Fickers in den Geschichtsblättern aus der Schweiz II, 113
(1856) veröffentlichte Aktenstück, eine für die Kurfürsten bestimmte
Aufzeichnung der Abmachungen von Trausnitz, ebenfalls auf einem los-
gelösten Blatte unserer Hs. gestanden, welches jetzt nicht mehr vor-
") Das Datum 1338 ist auch hier Zusatz Schannats bezw. des Her-
ausgebers.
") Mit der Bezeichnung: 'Extr. aus Darmstadt'.
^) Auch dieses von Ficker .abgeschrieben.
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86 3, Priesack und J. Schwalm
banden ist. Professor Ficker erinnert sich, wie er Professor Weiland
mitteilt, jetzt nicht mehr, welcher Handschrift er das Stück entnommen
hat, zweifelt aber nicht daran, dass es nur die Handschrift Losses ge-
wesen sein kann.
InhaltSTerseiehnis.
AbkOrzongen: B Böhmer, AcU imp. selecta; GOrz — GOrz, Begetten der ErzbischOfe von
Trier; NS — Würdtweln, Nova snbsidia diplomatica; "W =^ Winkelmann, Act» imperii ine-
dita Bd. II; WSB - -- Sitzungsberichte der Wiener Akademie.
2' (20 Schreiben an Benedict XII = NS. IX, 41, s. Müller, Kampf
Ludwigs des Baiem H, 59*, vgl. Ficker in WSB. XI, 688 u. 699 Nr. 1. —
3 (3) Balduin an Friedrich von Sicilien (1313—18) = W. Nr. 1108; NS. XI,
52. — Willelmus de Bergeueny Kanzler von Oxford, literae testimon. pro
doctor. in theol. 1344, 10. Kai. Mai. — 3' (3*) auf Fol. 3 (.3) zurückgehend,
Baldemar von Odinbach als Amtmann bestellt, Trier 133 . . die Barbare. —
4 (4) Gerlach von Nassau für Trier 1340 Freitag vor Urban (Concept zu
Balduineum Kesselst, p. 321) = NS. XII, 64. — Balduin Vollmacht für Ger-
wicus ep. Balesensis 1347 = Holzer, De proepiscopis Trev. 42; Görz S. 87.
— 4' (4') Die Elf Landfriedensrichter für Balduin 1345 = W. Nr. 1158 und
NS. XII, 72. — Gerlach von Nassau Lehnbrief 1340 Freit, vor Urban, vgl.
Dominicus S. 411*. — 5 (5) Clemens VI. an Elisabeth von Thüringen Indul-
genz. a. pont. 6, 7. Kai. Nov., vgl. Schmidt, Päpstliche Urkunden und Re-
gesten I, (Geschichts- Quellen der Provinz Sachsen XXI) S. 379, Nr. 144. —
Clemens VI. an Balduin, die Äbte von Fulda und Würzburg, überträgt dem
R. Losse auf Empfehlung des Königs Johann das Decanat und die Pfrün-
den, welche der Erzbischof Gerlach gehabt hatte; a. pont. 4, 8. Kai.
Mai. — 6' (6') und 6 (6) Informatio juris für Losse. — 7' (7') ähnliches
Stück. — 8 (8) Gebehardus vicarius appelliert vor Balduin und den päpst-
lichen Deputirten Nicolaus de Lapide und Job. von Wartinberg gegen seine
Absetzung. — 9' (9') Transsumt eines Breve Benedicts XL für den Prediger-
orden 1304 Juli 16. — 10 (10) Zwei Eriasso Gerlachs von Mainz für Lodse
1353, 15. Kai. Mai. — Mainzer Geistlicher an Losse = W. Nr. 1187. —
11 (11) Klageschrift pro requirendo remedio contra impetuosum et iniuriosum
laicorum Magunt insultum. 'Vos venerabiles patres et domini'. — 12 (12)
Verhandlung vor dem Official von Trier in Sachen einiger Trierer Schöffen.
— 13 (13) Libellus Rodolfi Losse contra monachos in Hersfeld. — 13' (13')
Ego Ro. dictus L. can. eccl. Nuenburg. notum facio etc. 1343 Aug. 22. —
14 (14) Job. von Verden an Dytmar (1338) = B. Nr. 1046; NS. XIU, 46
unvollst., vgl. Dominicus S. 353\ — 15 (15) Ludwig von Vianden für Balduin
(1339) = B. Nr. 1048. — Eriass Balduins über die Feier verschiedener Fest-
tage (ohne Datum) = Hartzheim, Concilia Germaniae IV, 320; Blattau, Stat
synod. Trev. I, 166, s. auch Dominicus S. 426». — 16 (16) Balduin an Bene-
dict XII. über Rense = WSB. XI, 708 Nr. 5. — 17 (17)— 31 (31) Procura-
torien Balduins in Sache der Klage Salmanns von Worms (1346) — Schan-
nat, bist. ep. Worm. II, 168 flf. Nr. 195 in Auszügen; s. Müller, Kampf Lud-
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bas Conceptt)ucli des tludolf Losse. ^'i
wigs des Baiern H, 109 ff. — 33 (33) — 44 (44) 18 Briefe Jobanns XXU. in
Sachen der Legation des Cardinais Job. de S. Theodoro in Tuscien 1326,
s. B. zu Nr. 1039; 2 davpn gedruckt W. Nr. 1128. 1129, vgl. die Drucke aus
den Originalen: Nr. 1128 unvollständig (attendentes — compescendi) b. Ray-
nald 1326 § 1, Nr. 1129 bei Tbeiner, Cod. dominii temporalis I, 542. —
45 (46)— 50 (51) In causa den Alamannie gegen päpstlicbe Zebnten, s. B. zu
Nr. ia39; davon gedruckt: 45 (46) W. Nr. 1182; 46 (47) — 49 (50) W. Nr.
1181. — 49' (50') Fortsetzung 50 (51) unten: Ordinacio capituli Magunt. anno
«0, s. W. zu Nr. 1181. — 52 (52) Balduin an den B. von Metz (1337) r^
B. Nr. 1043, s. Dominicus S. 341«. — 52' (52') Zusatz zu diesem Stück, der
bei B. feblt*). — 53 (54) Dietrich de Duna verkauft ein Gut, das er von
Balduin zu Lehen hat pro 200 libris, grosso Thuronensium antiquo pro 15
denariis computato, s. a. Dec. 1. — 53' (54') Balduin Absolutionsbrief 1338
Dec. 4, Gurz S. 81. — Johann von Sponheim Weingeschäft mit einem Juden
1338 Dec. 5. — Litere consecrationis altaris in eccl. S. Paulini Trev. Daniel
ep. Met. vicegerens Balduin! etc. 1321 dorn. prox. post divis. apost., vgl. Holzer,
De proepiscopis Trev. 30. — 54' (55') mit Forts, auf 54 (55) Processus contra
Hartmannum Yicedominum. ludices Mag. sedis in Erford. Dat. Magunt. 1361,
17 Kai. Mai. — 55(56) Balduins Vertrag mit Pfalzgraf Rudolf (1338) = W. Nr.
1166; Acta Palat. VI, 348, vgl. Regesten der Pfalzgrafen am Rhein 130 Nr. 2176.
— 55' (66') Programm für Kirchenvisitation = W. Nr. 1149. — Theodericus dictus
Meynevelde 1340 die Lucio. — Officialis Trev. 1340 vig. omn. sanct., s. W.
zu Nr. 1149. — 56 (57) Clemens VI. an Karl IV. in Sachen des Bistums
Cambrai 1349 = W. Nr. 1168. — 56' (57') Losse an Balduin in der gleichen
Angelegenheit (1350) ^- W. Nr. 1178. — 57 (58) Richm. vom Ilain an Losse
Verkauf von Gütern 1.344 Dienstag vor Elisabeth. — 57' (58') Heinrich von
Slath. canonicus . . .1345 März 7. — König Johann an seine Gesandten am
päpstlichen Hofe (1345) = B. Nr. 1052; Jahrb. für vaterländ. Gesch. S. 207 «).
— 58 (59) vermutlich Anfänge von Breven u. ä. — 58' (59') Balduin an
Karl IV. in Sachen des Bistums Cambrai (1349) = W. Nr. 1169. — 59 (60)
Consilium iuris über Zehnten, unvollständig. — 59' (60') In causa dccanatus
Magimt. — 60 (64) Rudolf Losse als Bevollmächtigter Balduins und ein Be-
1) Wir geben einige Korrekturen zn dem Abdrnck bei B. nnd den Zniatz. Die
im folgenden eingeklammerten Worte sind Zuifttze, welche in B. als lolche nicht bezeichnet
sind. S. 7S7 Zeile 4 (et magistri — cardinalis); Z 7 ralde darchstrichen, dafür roagnus et;
Z. 10 papae qni snnt Mognnt durchstrichen; Z. 11 temporibns (et sepius super multis); —
an die Stelle des durchstrichenen Satzes ist der Zusatz auf Fol. 52' zu setzen: et primo
qnod fecimns conspirationem et coninrationem de novo cum capitnlo Maguntino contra ro-
mana eoolesiam fortiorem prima. Item qnod tractaverimus et habere voluerimus pacta et
secnritates de amministratione per nos spiritualiter temporaliter ac de alienationibus et
qnesitis per nos pro ecclesia Maguntina et quod lila feruntur (?) esse servanda a (?)
qnod praedictis nunciis secnritatem personarum suarum fatere noluerimns nisi usque ad
festnm penthecostes. — Z. 16 essent (et est); Z. 22 (nos excusent — sinistre); Z. 35 (et in-
primatis — diligencius) ; Z. 42 (instanter); S. 738 Z. 2 usque — cardinalis durchstrichen,
•tatt dessen (quonsque literam dicti domini Anibaldi vidiraus qne hoc continebat; Z. 11 de
(Maguncia a) dictis.
2) Der Brief trftgt von der Hand des 16. Jahrhunderts die Überschrift: In causa
Lndorici Bavari regia soribit Bald, quaedam secreta suis in curia romana. Daher bei
Dominicus S. 444 irrtflmlich als Brief Balduins bezeichnet
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gg 3. Priesack und J. Schwalm
YoUmächtigter Karls ' IV . verkündigen eine Absolution für die Anhänger Lad-
wigs des Baiem. — Von derselben Hand 60^ (640 ^^^^ ^^* ^^^ Herminn
Losse (1349) = W. Nr. 734. — 61 (65) Walram von Lützelburg in Sachen
des Bistums Gambrai (1350) = W. Nr. 1177. •— 62 (66) Clemens VI. an len
Koblenzer Klerus in Privatangelegenheiten eines Geistlichen, a. pont. 1, 6.
Non. Jul. — 63 (67) Informacio in causa Nicolai Tilmanni de Rodema<ra
contra capitulum ecclesie Treverens. — 64 (68) Dietrich an die Gesandten
Balduins in Avignon (1336) = B. Nr. 1041, s. Dominicus S. 329S wo genaie
Inhaltsangabe. — 65 (69) Rudolf Losse betr. sein Kanonikat in Cambrai 1349
= W. Nr. 1173. — 65' (69') Verabredung einer Zusammenkunft zwischen den
Kapiteln Köln und Trier, betreff. Klagschrift an den Papst über Zehnten,
s. a. Mai 17. Vermutlich zusammenhängend mit Fol. 45 — 50 (46 — 51). —
66 (70) Eberhard de Osenbrucke als Procurator Balduins appelliert gegen
das Prozessverfahren des Erzb. Dynus von Genua gegen Balduin in dem
Streit mit Salmann von Worms, da die Citation nach Avignon auf den 10.
Juli wegen der Kürze des anberaumten Termins für Balduin nicht verbind-
lich gewesen sei (1340?), s. Dominicus S. 349*; Müller, Kampf Ludwigs d.
B. II, 112*. — 67 (71) und 68 (72) Protokoll einer Verhandlung zwischen Losse
und Jutta von Etstete. Im Zusammenhang mit 54' (55'). — 69 (73) Nicolaus
an Losse (1336) = B. Nr. 1042. — 70 (74), 71 (75) und 75 (80), 76 (81)
Procuratorium des Chunradus dictus Prapech, rectoris eccles. parochial. in
Puhel dioc. Pataviens. in Sachen der Klage des Gerungus Hartmanni gegen
ihn. — 72 (76) — 74 (78) Instruction für Dytmar. — 77 (82) Notariatsin-
strument des Johannes de Crucenaco, dass Rudolf Losse Bevollmächtigte in
Beneficialangelegenheiten ernannt hat. Avignon 1335 Mai 1. Orig. auf Pergam.
mit Signum des Notars. — 78 (83), 78' (83'), Fortsetzung 87 (94) oben und
87' (94') oben Conradus de Esch von Balduin zum Burggrafen von Russenberg
bei Schoneck ernannt 1337 Juli 8. — 79 (84) links oben: Patriarch Petrus
von Jerusalem ernennt Nicolaus zum Bischof von Akkon 1344 Juni 18. Anfang
der Urk. fehlt. — links unten : Derselbe erteilt demselben die Erlaubnis, sein
Amt ausserhalb zu verwalten 1344 Juni 30, s. Dominicus S. 451'. — 79' (84')
und 86 (93) und 79 (84) rechts Eduard von England für Balduin (1339) = B.
Nr. 1049; NS. XII, 60 unvollst. — 80 (85) und 85' (92') rechts mit dem vorig,
zusammenhäng., vgl. B. zu Nr. 1049 und Reg. Ludw. 265, 308 und 309. —
80* (85') und 81 (86) Copie einer Urkunde des Bischofs von Toul für Kloster
Schünfeld 1315 Sept. 4 bezw. 18. — 81 (86) unten : Weihebrief für den
Bischof von Akkon 1344 Juni 27 = Holzer, De proepiscopis Trev. 36 ; 8.
Dominicus 451». Schluss fehlt. — 81' (86') und 84 (91) Ruprecht v. Vime-
burg trägt an Balduin mehrere Lehen auf 1339 Mittw. vor Bamabas. Das
Original bei Günther, Cod. dipl. Rhen. Mos. III, 396; vgl. auch Dominicus
391. — 82 (87) und 83 (90) Balduin bittet beim Papst um verschiedene In-
dulgenzen. — Von derselben Hand 83' (90') Karl IV. und Baldum au den
Papst (1348) = W. Nr. 710. — 84' (91') und 85 (92) Balduin an die Geist-
lichkeit seiner Diözese 1344 = W. Nr. 1157; vgl. Görz S. 85. — 86 (92)
unten, 85' (92'), 86' (93'), 87 (94) Mitte und 87' (94') unten Balduin für Prüm,
Schluss fehlt. — 88 (98) unten Balduin schenkt dem Praemonstr. Kloster in
Romerstorf ein Hans zu Koblenz in der Holzschuhergasse. s. a., vgl. Görz
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t)a8 Conceptbuch des ftudolf Loss«. §3
S. 83 aus d. Orig. d. 1341 Sept 13. — 88^ (98') und 88 (98) oben Jacob
Simonis Schöffe zu Trier für Balduin, AUodien betreff. 1338 Nov. 7. —
89 (99) Instruktion för eine Eircbenvisitation. s. a. — 90 (100) Heinrieb
Dekan der Marienkircbe in Erfurt in Sachen der Kirche in Nybusen. 1343
in vigil. omn. sanct. — 90^ (lOO') Erlass des Trierer Offizials de beneficiis
non approbatis s. a. — 91 (101) Instrumentum protestacionum post deiectio-
nem meam a prebenda Erfordiensi 1337 Juli 25. — 92 (102) Contra Mech-
üldim super racione reddenda betreff. Verwaltung der Güter von Losses
verstorbenem Bruder. — 92' (102') Johannes Prior des Karthäuserordens über
Empfang eines Erlasses des Kardinal Talayrand von 1347 Juni 25 betreff*
Recht zu absolvieren. 1347 Juli 10. — 93 (102!) Herren von Stein-Kallen-
fels für Balduin. s. a. B. bezeichnet als pfleger der stifte zuo Mentze und
ZUG Spire. — 94 (103) Schlichtung zwischen Balduin und Oberwesel nach
Gewaltthätigkeiten gegen die Juden. Datum nicht lesbar. Vermutl. Concept
zu Hoefer, Auswahl ältest. Urk. in d. Spr. 317 Nr. 199 d. 1337 März 26,
vgl. auch Dominlcus 404. — 95' (106') Kantor Gerhard von Frankfurt und
Magister Hermann von Mersberg an Dytmar über Losse. — Damit zusammen-
hängend: Gerhard an Dytmar (1338) = B. Nr. 1045. — 96 (107) betreff.
Angelegenheiten des Johanniterordens. — 96' (107') Pfalzgraf Rudolf an
Balduin (1338?) = B. Nr. 1050; Acta Palat. VI, 346, vgl. die fast ganz
übereinstimmende Urkunde Pfalzgraf Ruprechts von 1328 Apr. 14 bei Günther,
C. D. Rhen. Mos. HI, 255. — 97 (108) Der Trierer Kanoniker Nicolaus de
Pittinga richtet in einer Appellationsangelegenheit. — 98 (109) und 99 (116)
Instructiones iuris. — 99' (HO') Bonifaz VIII. an den Augustinerorden, a.
pont 4, 12. Kai. Febr. — 100 (111) Infrascripti articuli videntur esse pre-
judiciales electoribus (1344) = v. Weech, Ludwig und Johann 130 f. —
100* (111') dazu gehörig = v. Weech 133 f., s. die Korrekturen u. Bemer-
kungen bei Müller, Ludwig d. B. II, 331 ff. — 101 (112) Balduin für Karl IV.
1848 (d. i. 1349) = B. Nr. 1056; NS. XII, 74. — Damit im Zusammenhang
101' (112') Karl IV. für Diedenhofen (1349), 2 Stücke = W. Nr. 721 u. 722,
s. Dominicus 522*. — 102 (113) u. 103 (114) oben Gopia appellacionis tercio
interponende ab offic. Trever. a taxacione expehsorum etc. 1351. — 103 (114)
unten Innocenz VI. für Karl IV. 1361 = W. Nr. 1205; NS. XI, 72; s. B. zu
Nr. 1039. — 104 (115) Protokoll eines Vergleichs zwischen Losse und der
Mechtildis Lussin. Aussteller: Notar C. H. de Butzbach. Eisenach 1337
Febr. 24; vgl. ob. Fol. 92 (102). — 105 (116) Informacio iuris. — 106(117)
Balduin an einen Kardinal (1337) = W. Nr. 1142; s. Dominicus 340«. —
107 (118) Gerlacus berichtet aus Coblenz an Losse über seine Gespräche mit
den päpstl. Legaten Guigo und Nicolaus, betreff, ihre Privatangelegenheiten
u. teilt mit, dass, bevor nicht der Zwist zwischen Heinrich u. Balduin beendigt
wäre, auf eine Erledigung ihrer Sache nicht zu hoffen sei. s. a. feria secunda
ante diem b. Jacobi (1337). — 106 (119) Informaciones pro danda differencia
supra Walcpilliche. — 109 (120) Balduin macht eine Sühne zwischen den
Grafen von Veldenz und Daun 1838 Dienst vor S. Galli, vgl. Görz S. 81 aus
dem Orig. —- 109^ (120^) Abt u. Convent von Himmenrode verkaufen dem
Erzbischof das sogen. Budelerhaus zu Trier. 1338 (d. i. 1339) Jan. 26; vgl.
Dominicus 417' aus d. Orig. — 110 (121) Copie eines Erlasses des Erzb.
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9Ö J. Priesacfc und J. Schwalm
Heinrich von Trier. 1276 Dienst, nach Ostern; vgl. Görz S. 53. — 111 (122)
— 124 (135) Processus de provisione occlesiae Linguonensi per papam. 1314.
— 125 (137) Karl IV. an die Grafen von Zollem. Bei Rense 1346 = B. Nr. 837.
— Balduin an Biberach. 1346 = B. Nr. 1054; vgl. Dominicus 457*. —
125' (1370 I>ie Kurfürsten an den Papst über Rense = WSB. XI, 704 Nr. 4.
— 126 (138) und 130 (143) Clemens V. an den Patriarchen von Aglei 1808,
s. B. zu Nr. 1039. — 127 (140) und 128 (141) Petrus Cardinal-Bischof von
Ostia und Probst der S. Martinkirche in Worms ernennt Balduin zu seinem
Procurator und zum Verwalter seiner Propstei und der damit vereinigten
Kirche In Boppard. s. a. vgl Dominicus 585' nach dem Orig. d. 1353 Juli 9;
Görz S. 90. — 128' (141') Entsprechende Urk. Balduins. s. a. — 129 (142)
Mainzer Domkapitel an die Diözese zur Rechtfertigung (1334—1337) = W.
Nr. 1141; s. Müller, Ludwig d. B. II, 53. — 130 (143) K. Albrecht schenkt
Tuscien an den Papst, s. B. zu Nr. 1039 ; vgl. ähnliche Urk. aus dem Formel-
buch K. Albrechts im Archiv für Kunde Österreich. Geschichtsquell. II, 1,
236. — 131' (144') Ademar von Metz an Balduin (1348) = W. Nr. 1165. —
132 (145) Balduin für den Bischof Nicolaus von Akkon 1344 Aug. 20 = Holzer,
De proepisc. Trev. 37 ; Görz S. 85. — 133 (146) oben Balduin für Dechanei
zu Weilburg 1338 Juni 20; Görz S. 80. — Mitte derselbe für 2 Metzer
Geistliche 1338 Juni 29; ibid. — unten und 133' (146') oben derselbe für
einen Cleriker 1338 Juli 1; ibid. — 133' (146') Mitte derselbe für einen
Priester 1339 Apr. 30; Görz S. 81. — Absolution für einen Cleriker durch
den päpstlichen Poenitentiar, a. pont. Benedict. 4, 8. Id. Aug. — 133' (146')
unten und 134 (147) oben Balduin für Stift Dietkirchen 1339 Mai 26 ; Görz S. 82.
—134 (147) Mitte derselbe für Augustinerkloster zu Lautern 1339 Juni 28; ibid.
— unten und 134' (147') oben derselbe für Archidiakon von Longuion 1339
(d. i. 1340) Febr. 3; ibid. — 134' (147') Mitte derselbe betreflf. Archidiakonat
Longuion 1339 (d. i. 1340) März 21; ibid. — unten und 135 (148) oben Ger-
hard von Vimeburg, Archidiakon von Longuion in gleicher Angelegenheit 1339
(d. i. 1340) Jan. 15, zu den vorigen gehörig. — 135 (148) Mitte Balduin für
Kollegiatstift zu Kylburg 1339 (d. i. 1340) Jan. 31 ; Görz S. 82. — unten und
135' (148') oben derselbe betreff. Untersuchung gegen einen Kanonikus 1339
Nov. 22; ibid. — 135' (148') Mitte derselbe für Vikar zu Swappach 1340
Mai 19; ibid. — 135' (148') unten derselbe an das Castorstift zu Koblenz 1340
Sept. 8; Görz S. 83. — 136 (149)— 142 (156) Testament des Rudolf Losse
u. ä. 1356. — 143 (171) Copie betreff, einen in Avignon stattgehabten Prozess:
Der Abt der Kirche von Dam ... als Viceauditor der Curie an die Offiziale,
Rektoren etc. der Kirchen zu Köln, Zifflich, Mainz, Trier, Utrecht, Fritzlar,
Lüttich, Verden, Münster: verurteilt aufgezählte Geistliche und Vögte ge-
nannter Kirchen wegen Versäumnis der Zahlung einer Schuldsumme an 2
Florentiner Brüder 1331 Apr. 8. Copie datiert 1331 Nov. 17. Das Orig. bei
Schunk, Beyträge zur Mainzer Gesch. III, 200. — 143' (171') unten Balduin
beglaubigt Genannte beim Papst 1341 = W. Nr. 1151. — 144 (172) Statuta
capitnli de Longwion 1295. — 145 (173) Pro parte Rodolfi Losse in curia
habitationis relig. viror. commendatorum fratrum et conventus ordin. hospital.
Jerosolimitani b. Marie Theoutonicorum. Mylhusen 1350 Aug. 24. — 146 (174)
In Sachen des Johannes Brunzer de Rudensheim betreff. Kanonikat und Pfründe
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t)a8 Conceptbuch des ftndolf Losse. 91
in Trier 1347 Sept. 28. — 147 (175) Dytmar an Losse (1336) = B. Nr. 1039;
Müller, Kampf Ludwigs des Baiern II, 354, beide im Auszug; s. Dominicus
S. 337*, wo Inhaltsangabe und kurzer Auszug. — 148 (176) Snbscripta videntur
esse tenenda = WSB. XI, 709 Nr. 6. — 149 (177) Informaciones iuris. —
149' (1770 Heinrichs, Grafen v. Salm, Lehnrevers für Bald. 1340 Jan. 8.
— 150 (178) Dytmar an Losse (1336) = Müller, Kampf Ludwigs des Baiem II,
356 im Auszug. — 151 (179) Citaciones. Derselbe Bevollmächtigte wie ob.
Fol. 97 (108). 1340 Jun. 21 und Jul. 28. -^ 152 (180) Dytmar an Boemund
und Losse (1336) = B. Nr. 1040; s. Dominicus S. 337*, wo kurzer Auszug.
— 153 (181) ohne Anfang: Guilelmus canonicus Mediolanensis et executor
praefatns .... pro parte Reynbotoni. — 154 (182) De anniversario domini et
memoria 1341 Apr. 20. — Erlass Balduins betr. einea Trierer Schoflfen s. a.
— 154' (182') Balduin für einen Juden 1333 Dez. 8; Görz S. 76. — 155 (183)
Testament des Johannes de Myrtillaco, Dekans der Cardener Kirche 1315. —
155' (183') Erlass aus Avignon für Losse: Ablassprivileg für die Kapelle in
curia allodiali Lossonum in opido Ysnacensi. 1353 Dez. 16. — 156 (184) Lo-
cacio fructuum et fideiussio für Engelbert v. d. Mark, Probst der Wormser
S. Martinkirche. — 157 (18ö) In Sachen der Erfurter Marienkirche. —
158 (186) Erlass des pät)stlichen Legaten betreff. Aussage des Theodor,
Clerikers der Kirche zu Wellingen, als Procurator Losses gegen die Hers-
felder Mönche: vgl. Fol. 13. — 158' (186') Eriass aus Avignon für die Gräfin
Anna von Nassau: der generalis minister ordinis fratrum minorum an den
minister provincie Coloniensis wegen eines von der Gräfin gegründeten Klosters.
1343 Juli 2. — 159 (187) s. ob. zu 157 (185) Erfurt 1351 Aug. 1. — 159' (187')
Bertoldus episcopus Argentinensis conservator et iudex una cum . . suis in
hac parte collegis iurium et privilegiorum virorum . . . magistri et fratrum
hospitalium Germanie Theutonicorum a sede apostolica deputatus für den
Dekan der Kirche zu Merseburg. 1351 die sabbati proxima ante festum b.
Udelrici. — darunter von derselben Hand : ludices generales per Thuringiam.
Erfurt 1351, 5. Kai. Aug. und ein weiteres Stück in Sachen der Erfurter
Marienkirche. Erfurt 1351 in crastino b. Marie Magdalene. — 160 (188)
Kari IV. für die Herzöge von Brabant (1349) = W. Nr. 716. — 160' (188*)
Bündnis zwischen Kari IV. und Brabant, s. B. zu Nr. 1039. — 161 (189)
Balduins Gesandter an diesen 1341 = B. Nr. 1051; s. Dominicus S. 387*,
wo Inhaltsangabe. — Erklärung des officialis curie Trever. (Losses), dass
Nicolaus de Pittinga und Johannes de liUtzillinburg als Vollstrecker des
Testaments des Magister Nycholaus de Metis Rechenschaft vor dem erz-
bischöfiichen Commissar abgelegt haben. 1342 Juli 18. ^ 161' (189') 3 für
Avignon bestimmte Briefe Balduins 1341. (Entwürfe oder Copien) 1) Adressat
fraglich. Anfang unleserlich, a. 41. Fast wörtlich wie 2) Ad card. genera-
liter. Reverende pater: Bald, bittet um Verwendung für seine Sache beim
Papst Weist an Losse, der mit seinen Intentionen vertraut sei. 3) Ad
papam. Ergebenheitsbezeugung fi'ir den Papst. Zwischen diese Stücke von
der anderen Seite her geschrieben, zum Teil von derselben Hand, ein Lehns-
angelegenheiten betreff. Stück 1342 Aug. 10. — 162 (190) Unleseriich: In
causa ... —
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9^ 3. B. Söidenb^rgei"
Die kirchenpolitische Litteratur unter Ludwig dem Bayern
und die Zunftl(ämpfe vornehmlich in Mainz.
Von J. B. Seideiber/^er in Mainz.
Mit einer aus den Bestrebungen der eigenen Zeit leicht erklär-
lichen Vorliebe wendet sich die historische Untersuchung dermalen dem
Zunftwesen des Mittelalters zu. Insbesondere finden und verdienen die
Zunftkämpfe des 14. Jahrhunderts unser Interesse. Sie sind, wenigstens
im Gebiete des rheinischen Städtebundes, veranlasst durch das Wachsen
der städtischen Schuldenlast, charakterisieren sich aber ihrem inneren
Wesen nach als eine Erhebung des dritten Standes, als ein Streben der
Handwerker nach Gleichberechtigung mit den Geschlechtern und Geist-
lichen, nach Beseitigung der diesen beiden Ständen bisher zustehenden
Privilegien. Sie haben insofern eine gewisse Ähnlichkeit mit der fran-
zösischen Revolution. Indem ich nun den Verlauf der Mainzer Zunft-
unruhen im 14. und 15. Jahrhundert einer kurzen Schilderung unter-
zogt), drängte sich mir die Frage auf: Sollte nicht, wie der fran-
zösischen Revolution, so auch diesen Kämpfen eine Revolutionslitteratur
vorhergegangen sein?
Ich fand sie in der kirchenpolitischen Litteratur unter Ludwig dem
Bayern, einer neuen Welt! Das ist kein Mittelalter mehr, da weht
moderne Luft. Wenn wir unmittelbar vor und parallel den grossen
Kämpfen gegen Geistlichkeit und Geschlechter, wie wir sie in Mainz und
den rheinischen Städten kennen lernen, eine solche Litteratur linden,
dergleichen die christliche Welt noch nicht gesehen, und in ihr die-
selben Strömungen, dieselben Tendenzen gewahren, wie in den inneren
Bewegungen der Städte, so werden wir auf eine geistige Verwandtschaft,
einen inneren Zusammenhang schliessen müssen. Und so wage ich die
Behauptung, dass die kirchenpolitische Litteratur unter Ludwig dem
Bayern und Philipp dem Schönen von Frankreich die Zunftkämpfe in
den deutschen Städten wesentlich beeinfiusst hat.
Den Beweis gedenke ich an den wichtigsten Punkten, dem Streben
der Zünftigen nach politischer und sozialer Gleichberechtigung mit den
G^chlechtem und dem Kampf gegen die Steuer- und Gerichtsfreiheit
der Geistlichen zu führen.
») Historisches Jahrbuch 1887 S. 430—453 und 1888 S. 1—27 (Die
Kämpfe der Mainzer Zünfte gegen Geistlichkeit und Geschlechter im 14. und
16. Jahrhundert).
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Die kirchenpolitiscbe Litteratar unter Ludwig dem Bayern. 93
Vergegenwärtigen wir uns, am mit letzterem zu beginnen, die
Hauptphasen des Kampfes der Stadt Mainz gegen die Geistlichkeit aber
die Gerichte. Der Klerus von Mainz wurde 1355/56 in Sachen über Erbe
and Eigen dem Gerichte in den drei ungebotenen Dingen unterstellt^.
In der Einigung von 1366 wurde entschieden: „Geistliche Dinge vor
geistliches, weltliche vor weltliches Gericht, ausgenommen die von Alters
hergebrachten Gewohnheiten der Bürgermeister^. Diese Bestimmung
war nicht geeignet dauernden Frieden zu bringen, denn in der Aus-
legung des Begriffes „geistliche Dinge" bestand gerade die Meinungs-
verschiedenheit zwischen Geistlichkeit und Bürgerschaft, und erst in der
Erwiderung auf den Gravatoriallibell der Geistlichen von 1433 gab der
Rat die bestimmtere Erklärung'): Geistliche Dinge gehören vor das
geistliche, weltliche vor das weltliche Gericht, doch was Erbe und Eigen,
Gülten und Zinsen in der Stadt Mainz gelegen wären, dass man die
verhandelte vor weltlichem Gericht.
Nicht blos die kirchlichen Kapitalien und Grundstücke, auch die
Personen der Geistlichen selbst, suchte der Rat dem bürgerlichen Gesetz
und Gericht zu unterwerfen, wie wir aus der Versöhnungsurkunde von
1424 deutlich erkennen^). Ähnlich verfuhr der Rat in andern Städten
und zog z. B. in Frankfurt die Vergehen der Geistlichen ohne Rück-
sicht auf deren Gerichtsexemption vor das weltliche Forum*). Die
Ideeen, welche das Stadtregiment im Kampfe gegen die geistlichen Ge-
richte leiteten, sind demnach: In der Person des Geistlichen ist die
kirchliche Seite von der weltlichen zu scheiden. Nur in rein geistlichen
Dingen steht dem Klerus eine richterliche Befugnis zu. Gresinde, Kapi-
talien und Grundstücke der Geistlichen sind weltliche Dinge und gehören,
wie auch Vergehen der Geistlichen, die gegen das bürgerliche Recht
Verstössen, vor das weltliche Gericht ; die Gerichtsfreiheit der Geistlichen
ist aufzuheben.
Denselben Ideeen begegnen wir nun in der kirchenpolitischen Lit-
teratur unter Ludwig dem Bayern und Philipp dem Schönen von Frank-
reich, nur, dass da die Spitze gegen den Papst gerichtet ist*). So unter-
*) Würdtwein: subsidia diplomat. XII Nr. 101 u. 104. Schunk: Bei-
träge zur Mainzer Geschichte III, 290.
') Schaab: Gesch. des rheinischen Städtebundes II, 429.
*) Schaab : Rheinischer Städtebund II, 398.
*) Kriegk: Frankfurter Bürgerzwiste S. 112, 114, 123, 124.
*) Folgende Traktate kommen hauptsächlich in Betracht: Marsilius
▼• Padua: Defensor pacis um 1324 — 26 entstanden, in Goldast: Monarchia
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94 J. B. Seidenberger
zieht Marsilius in seinem Defensor pacis den Begriff „geistliche Dinge**,
die verschiedenen Definitionen von spirituale, einer kritischen Prüfung
und gelangt zu dem grundlegenden Resultat '^), dass es völlig unstatthaft
sei, den Begriff „geistlich" auf die bürgerlichen Handlungen der Geist-
lichen auszudehnen. Die Geistlichen können kaufen und verkaufen,
falsches Zeugnis geben, verwunden, töten und andere Verbrechen be-
gehen, gleich Nicht - Geistlichen. Wie kann ein vernünftiger Mensch
dies „geistliche Dinge** nennen, fleischliche sind es und weltliche; und
ihre Beurteilung untersteht dem bürgerlichen Gesetz. Noch ungehöriger
aber ist es den Begriff spirituale auf Besitz und Güter, Mobilien und
Immobilien, wie auf das Einkommen der Geistlichen auszudehnen, um
unter dem Schutz des Wortes dem weltlichen Gesetz sich zu entziehen.
Die Auseinandersetzungen des Marsilius über die nötige Trennung
des Geistlichen vom Weltlichen erläutert der Verfasser resp. Redaktor®)
des Somnium Viridarii in populärer Weise an einem praktischen Bei-
spiele^. Er habe von selten seiner Frau eine Erbschaft anzutreten.
Müsse er, weil Eheschliet^sung vor den Geistlichen gehöre, auch über
die Erbschaft vor ihm Recht suchen ? Nie und nimmer ! Das Versprechen
der Mitgift sei ein rein weltlicher Vertrag und nur die frivole An-
massung der Geistlichkeit suche aus der äusserlichen Verbindung beider
Dinge eine richterliche Befugnis herzuleiten.
Mitten in den Streit versetzt uns die Actio. Ihr zufolge*®) be-
hauptete und verteidigte Kardinal Bertrand den Satz, dass die Gerichts-
barkeit über alle Civilsachen nach göttlichem und menschlichem Recht
der Kirche zustehe. Der königliche Rat Pierre de Cugniöres hingegen
vertritt die Ansicht, dass die Gerichtsbarkeit über reale Dinge, beson-
ders über Erbe und Eigen, der weltlichen Gerichtskompetenz zugehöre ^ *)
S. Romani Imperii, Francofordiae 1621, III, 154—312 ; Oecam 1270—1347 : Octo
quaestionum decisiones bei Goldast III, 313—391, Opus XC dierum Goldast III,
993—1236, Dialogus Goldast III, 399-957; Actio Petri Cugneriis 1329 in
Goldast III, 1361 f. ; Somnium Viridarii de iurisdictione regia et saoerdotali
um 1376 Goldast I, 58—229.
») Goldast m, 192.
^) C. Müller: Über das Somnium Viridarii, Separatabdruck aus der
Zeitschrift für Kirchenrecht XIV, 2.
*) Goldast 1, 15, 64. — Die erste Ziffer 15 giebt die Stelle in der
Disputatio inter clericum et militem, die um das Jahr 1303 verfasst, dem
Somnium einverleibt wurde.
") Goldast m, 1362.
") Im Somn. Virid. : quod iudicare de ipsis possessionibus ad dominos
temporales es non ad ecciesiam spectat, . . . non congruit clericis, iudicare
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Die kirchenpolitische Litteratur unter Ludwig dem Bayern. 95
and die geistlichen Richter mit Unrecht den Fortgang eines Prozesses
hindern oder ihn vor ihr Forum ziehen, falls ein Laie in einer Erb-
schaftsangelegenheit einen Geistlichen vor weltliches Gericht lade.
Gestützt auf die Bibelstelle Job. XIX 10—11 **) wird im Defensor
pacis **), wie in den Octo quaestiones ") gefolgert, dass Bischöfe und
Priester mit ihren Besitztümern dem weltlichen Gerichte gewiss umso-
mehr unterstehen, als ja Christus den Pilatus sogar als Richter über
seine Person anerkenne. Es sei in der That erstaunlich, wie die Bischöfe
und Priester mehr Rechte beanspruchten als Christus und die Apostel.
„Man wird euch vor Statthalter und Könige führen** habe der Heiland
nach Matth. X gesagt, aber nicht, ihr werdet Statthalter und Könige
sein. Keine staatliche Befugnis, keine richterliche Gewalt dürfe also
irgend ein Bischof oder Priester in dieser Zeitlichkeit ausüben ^^). Kurz
und bündig erklärt das Somn. Virid. : „Quod index ecclesiasticus solum
possit coercere laicum per censuram ecclesiasticam** ^^).
Als Bischof Raban von Speyer bei dem Konstanzer Conzil wegen
der Eingriffe des Rates in seine bischöfliche Gerichtsbarkeit klagte,
entgegnete der Sprecher der städtischen Gesandtschaft, „der König ist
unser Hen-, Ihr nicht, habt kein Gebot wider uns, wir gestehen einem
Bischof nur rein geistliche Rechte aus dem kirchlichen Glauben ent-
springend zu^ ^').
Ist diese Übereinstimmung zwischen Litteratur und Leben nicht
höchst auffällig? Die Kämpfe in den Städten gegen die Gerichtshoheit
und Gerichtsexemtion der Geistlichen sind ein Spiegelbild der litterari-
schen Bestrebungen unter Ludwig dem Bayern.
Verlangte die Geistlichkeit für sich, wie für ihre Kapitalien und
Grandstücke als für „geistliche Dinge" Gerichtsexemption, so forderte
sie ganz entsprechend für dieselben auch Freiheit von Steuern und Un-
geld und beanspruchte die ihr vermachten Güter, Häuser, Hofraithen
de terrenis. Goldast I, 164, 155, 164. Im Jahre 1430 verbot auch der Bischof
von Mainz selbst, den geistlichen Richtern, Laien Schulden oder weltlicher
Sachen halber vorzuladen, nur, wenn das weltliche Gericht sich säumig erzeige,
möge das geistliche einschreiten. Gudenus: codex diplomat. IV, 174.
") Auch Thimotheus II, 2. 4 und Lucas XII, 13, 14 werden unendlich
oft gegen die richterlichen Befugnisse der Geistlichen verwertet.
") Goldast m, 198.
») Goldast m, 364, 356, auch im Dialogus, Goldast 911—13.
") Goldast n, 215.
") Goldast I, 205.
»') Lehmann : Speyrer Chronik 876, 878.
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96 J- B. Seidenberger
u. s. w., „mit rechten pefflich und geistlich persone fryheit haben, be-
sitzen und gebrachen^ zu dürfen^®).
Auch nach dieser Seite hin stiess die Geistlichkeit seit dem Be-
ginn des 14. Jahrhunderts auf Widerspruch in den Städten.
Die weltlichen Obrigkeiten daselbst suchen dem Anwachsen der
Güter der toten Hand zu begegnen, indem sie die frommen Stiftungen
und Vermächtnisse hohen Steuern oder sonstigen hemmenden Beschrän-
kungen unterwerfen, mitunter sogar ganz verbieten.
In zweiter Linie strebt man, auch die persönliche Steuer- und
Ungeldfreiheit der Geistlichen, ihres Gesindes und ihrer Genussmittel zu
beseitigen, zum mindesten aber die Erträgnisse der Kirchengflter, falls
sie der Geistliche verkauft, dem Ungelt zu unterwerfen.
So verbietet der Rat zu Mainz 1356, an Kirchen und Geistliche
Kapitalien und Grundstücke zu vermachen oder zu verkaufen. Das Ver-
bot wurde 1366 zwar aufgehoben, doch sollten die Geistlichen ferner-
hin Schenkungen und Vermächtnisse innerhalb Jahresfrist wieder ver-
äussem. Der Rat zu Frankfurt verordnete, dass von allen Stiftungen ^^)
fOr Seelenmessen, Licht in den Kirchen und für Unterhalt der Armen
ein bestimmter Prozentsatz alljährlich ihm überwiesen werde.
Nach dem Erlass des Mainzer Rates vom Jahre 1356 unterliegen
fernerhin die Erträgnisse der Kirchengüter dem Ungeld, nach der Rach-
tung von 1366 jedoch, nur insoweit sie der Geistliche nicht zu seinem
Niessbrauch verwendet. Ähnliche Bestimmungen finden wir in Frankfurt
und Worms «ö).
Wie die städtischen Obrigkeiten aber stets bereit waren, die per-
sönliche Steuerfreiheit der Geistlichen ebenfalls zu beseitigen, zeigen die
mannigfachen Klagen derselben '*).
'^) Ecclesiae ecclesiasticae personae et res ipsarum iure Divino et
humane a saecularum personarum exactionibus sint immunes. Erklärung des
Mainzer Klerus 1356. Würdtwein: Subs. Dipl. XII Nr. 101 S. 373. Schaab^
Gesch. des Rhein. Städtebundes II, 420.
") Gudenus: Cod. Dipl. II S. 400.
»«) Kriegk: Fr. B. 135, Schannat: Hist Episcop. Wormat. 219.
'') Item de vectigalibus, quas non causa negotiandi deferunt vel
transmittunt theolonium ac alias contribuciones vulgariter „ungelt*^ nuncupatas
etiam de his rebus, quas pro eorum necessitatibus emere et
vendere consueverunt exegissent et extorsissent. Würdtwein: S. D. XII
S. 373. „Das sie uns gedrungen han, wan etlich von der paifheit zu einer
noitdurft in dem kauf hause gekauft hait, oder noch keufft fleisch, Schmalz,
oley, wachs oder anders . . . daz er daz nit mag frye hinweg tragen, sunder
er muss davon Zoll und Unsegelt geben. Schaab: Rh. St II S. 421, 422.
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Die kirchenpolitische Litteratur unter Ludwig dem Bayern. 97
Den städtischen Stenerdikten gegenflber berief sich die Geistlich-
keit allerorts auf ihre hergebrachten Privilegien und Freiheiten, auf
ihre „pefflich friheit in gotlichen, wemtlichen, beschreben rechten, pri-
vU^e, ortel, brief, snne und Rachtang*' auf iuris communis praesidia
tot retro saecnlis firmata, inveteratamqne consuetudinem, nee non usum
longaevurn idem incorrupta Regum et Imperatorum praecepta '*). Die
Städte aber rechtfertigten ihre Massregeln mit dem Hinweis auf das
aUgemeine Beste, auf das Interesse der Gesamtheit, auf die Sicherheit
und Ruhe, die sie auch der Geistlichkeit gewährleisteten.
So heisst es in der Erwiderung des Mainzer Rates auf den
Gravatoriallibell des Klerus *^) : „die Geistlichen Kant viel Gatter, Erbe,
huser, Höiffe, zinse und Gülte in der Stad Mentze an sich bracht und
gezogen gehabt, deshalb der Stad groser, verderblicher schaden ent-
standen ist und noch hutistag grossen schaden davon nement und lident^.
Auch solle die Geistlichkeit in Betracht ziehen, „den friedlichen sess,
schirme und trost'' den ihr die Stadt biete, und durch Zahlung des
Ungeldes das ihrige dazu beitragen, „dan von den ungelten und Renten
müsset die Regerung die Stad Mentze mit buwe an muren, thoren, gra-
ben, wege und stege in wessen und besserunge halten, die stad auch
damit dun, behuden, bestellen, bewachen und sust zu anderen viel noit-
dnrftigen Sachen, die dan vor einen gemeynen Netzen zu derselben stad
komment, sich solcher ungelt gebruchen^.
Die Geistlichkeit antwortete hierauf mit Exkommunikation und
Interdikt, erntete aber damit nur Hohn und Spott und musste erkennen,
wie tief die geistliche Autorität gesunken war^), wozu der unwürdige
Wandel vieler Geistlichen nicht wenig beigetragen haben mag. Die am
meisten gegen städtische Steueredikte protestierten, waren oft am we-
nigsten berufen dazu: adlige Herren, die, schon früh in den Genuss
fetter Pfründen gelangt, klerikale Rechte beanspruchten, ohne die ge-
ringste ihrer Pflichten zu erfüllen. So entnehmen wir einem auf die
Benediktinerabtei von St. Alban zu Mainz bezüglichen Yisitationsbericht
folgende Schilderung *^) : Nach der jammervollen Zerstörung und Nieder-
««) Schannat: H. E. W. I, 402.
^ Schaab: Rh. St. H S. 427.
^*) Spretis inribus tam legalibus quam canonicalibus pro nichilo repu-
tabant incidere penas canonum et legum contra tales promulgatas. Ghronicon
Mogunt. 209. Glerici servis, immo Judaeis comparati detestabiliter despiciuntur
Gudenns, codex diplom. HI, 509.
") Reuter: Vom Albansgulden S. 57.
WMtd. ZeiUobr. t Gesob. u. Kunst. YUI, L 7
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98 J- B. Seidenberger
brechang des Klosters — 1329 — hörte alle Frömmigkeit, Zucht und
Beobachtung der Ordensregeln seitens der Mönche auf. Nur wenige
beteten noch das Brevier oder besuchten die Klosterkirche von St. Alban,
sie trieben vielmehr alle möglichen Nichtigkeiten und lebten nur der
Welt. War eine Pfründe zu vergeben, so kamen die Verwandten irgend
eines Adeligen, der dieselbe fftr seinen oft noch unmündigen Sohn oder
Verwandten wünschte, und baten den Abt sie ihm übertragen zu wollen.
War der Beweis erbracht, dass der Bittsteller v&ter- wie mütterlicher-
seits aus adeligem oder ritterlichem Geschlechte sei, so verlieh ihm der
Abt diese Pfründe. Die so Bevorzugten lebten dann ruhig bei ihren
Familien weiter.
An der Spitze der gegen die städtischen Steuer- und Gerichts-
edikte gerichteten Protestverbindungen der Mainzer Geistlichkeit pflegten
dann eben die Benediktiner von Alban zu stehen'^.
Dies ein Bild aus den Kämpfen der Stadt Mainz gegen ihre
Geistlichkeit hinsichtlich der Steuerpflicht der letzteren und gegen das
Anwachsen des kirchlichen Grundbesitzes. Nun aus der kirchenpolitischen
Litteratur ein Mosaikstück mit denselben Zügen.
Der Staat hat nach Marsilius^^) sein besonderes Augenmerk auf
die kirchlichen Stiftungen zu richten. Wachsen dieselben übermässig
an, oder befindet sich der Staat in Geldverlegenheit, so kann die welt-
liche Regierung aus eigener Machtvollkommenheit die Kirchengüter ganz
oder teilweise säkularisieren, sie übernimmt jedoch die Verpflichtung,
für den Unterhalt der Geistlichen und der Armen zu sorgen. Auch die
persönliche Steuerpflicht der Geistlichen wird von Marsilius und Occam
entschieden betont und mit Hinweis auf die hl. Schrift und das Bei-
spiel Christi und der Apostel'^) und auf das öffentliche Interesse be*
gründet ^^). In der Disputatio inter militem et clericum und nach ihr
in dem Somnium Viridarii wird die Staatsaufsicht über die Kirchen-
güter und deren etwaige Säkularisation damit gerechtfertigt, dass für
M) Würdtwein: subsidia diplomat. XII, 354 Nr. 98, 386 Nr. 104, 394
Nr. 105.
«O Goldast m, 251, 262.
») Marcus XU, 14—18, Matthaeus XVÜ, 23—26, I Korinther 9, 7
dienen als Stützpunkte. Viel verwertet ist auch aus einem Briefe des hl.
Ambrosius „de tradendis basilicis'': „Si tributum quaerit Imperator, non
negamus, agri eccleslae solvant tributum. Si agros desiderat Imperator,
potestatem habet vendicandorum, tollat cos silibitum est, Imperatori non
dono, sed non nego.** (Magister Job. Huss: Determinatio, Goldast I, 234).
»») Goldast m, 197.
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Die kirchenpolitische Litteratur unter Ludwig dem Bayern. 99
die stiftongsgemässe Yerwendung dei'selben das luxuriöse Leben und die
Verschwendung der Geistlichen doch wenig Garantie biete. Würden die
frommen Stiftungen von der Regierung zur Verteidigung des Vaterlandes
eingezogen, so sei dies die beste Verwendung. Denn was könne es
Heiligeres geben als das Heil des christlichen Volkes? Was sei Grott
wohl angenehmer als Feinde, Räuber und Mörder vom christlichen Volke
abzuhalten und den Unterthanen und Gläubigen den Frieden zu ver-
schaffen ^),
In beiden Traktaten'^) werden die Ei*trägnisse der Kirchengüter
Steuer und üngeld unterworfen. Die persönliche Steuerfreiheit wird den
Geistlichen zugestanden, doch nur den wtlrdigen und nicht als ein Recht,
sondern als ein jederzeit widerrufbares Gnadengeschenk. Der Staat werde
durch den Staat verteidigt ^^ und jedes Glied, das staatlichen Schutz
geniesse, müsse billiger Weise auch die staatlichen Lasten auf sich
nehmen. Mit Freuden sollten die Geistlichen ihre geringen Steuern
entrichten, denn dafür garantiere ihnen der Staat auch die Sicherheit
ihres Besitzes habgierigen Nachbarn gegenüber, nur unter dem Rechts-
schutze des Staates könnten die Geistlichen ihr üppiges und gemäch-
liches Leben weiter führen. So in die Enge getrieben rettet sich der
mit dem „Ritter" disputierende „Kleriker"* auf sein altes Bollwerk, er
zeigt seinen Schein: ^unsere Privilegien, unsere Freiheiten, dürfen sie
ignoriert, dürfen sie aufgehoben werden*' ? »In der That, entgegnet der
Ritter, sind Euch von den Fürsten viele Privilegien verliehen worden,
bei allem jedoch, was die Lenker der Staaten thun, müssen sie das
Gesamtwohl im Auge behalten, sie können nichts für die Zukunft ge-
währen, was dem Staate schadet. Bei allen Privilegien ist vorausge-
setzt, dass sie hinfällig sind, sobald sie dem allgemeinen Besten hinder-
lich sind" '*). In ähnlicher Weise rechtfertigte nach der Actio ^)
Pierre de Cngni^res mit Hinweis auf das Staatsinteresse die Aufhebung
der den Geistlichen verliehenen Privilegien. Ihm replizierte Kardinal
Bertrand in einer uns merkwürdig modern anmutenden Rede, indem er
*>) Vgl auch Occam : Vm quaest. bei Goldast m, 376.
") Goldast I, 16, 17, 66, 67.
^) Interessant ist zu sehen wie das Somn. Virid. die deutschen Titu-
laturen und Bezeichnungen durch französische ersetzt, pro defensione rei
publicae giebt pro defensione patriae seu rei publicae ; imperator super orbem
terrarum wird verändert m rex Franciae in regno suo.
w) Goldast I, 17, 67.
»*) Goldast m, 1373.
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100 J. B. Seidenberger
den König ermahnt, die alten Ordnungen zu wahren and vor Neue-
rungen sich zu haten ; warnend verweist er auf die hl. Schrift : „Wolle
nicht aberschreiten die alten Schranken, die deine Väter dir setzten,
denn Neuerung erzeugt Zwietracht. — Wenn ein König die von seinen
Vorfahren verliehenen Freiheiten aufzuheben trachtet, so wird sein Haus
nicht geliebt, wie am Beispiel Rehabeam's — III. Buch der Könige,
Kap. 2 — ersichtlich ist" **). Die Klagen des Klerikers im Somnium
über die Bedrückung und Verachtung der Greistlichen- erinnern unwill-
kürlich an die gleichen Klagen der Mainzer Geistlichkeit, die im Chro-
nicon Moguntinum einen so beredeten Wiederhall gefunden haben, und
was besonders bedeutsam ist, hier wie dort wird das Vorgehen gegen
die Geistlichkeit auf eine allgemeine Vereinbarung und Verschwörung
zurückgeführt. Man vergleiche: „In jenen Tagen (1383) begannen die
mächtigen Städte am Rhein und anderwärts, Basel, Kolmar, Strassburg,
Speier, Worms, Mainz, Köln und Soest eine erbitterte Verfolgung der
Geistlichen, indem sie an manchen Orten wie in Soest dieselbe ver-
trieben .... an anderen aber .... zwangen alle Lasten der Laien
zu tragen".
„Zu jener Zeit richtete jene verruchte Vereinigung, genannt „der
Bundt", ihren Sinn auf die Ausrottung der Geistlichkeit und vernich-
teten alle kirchlichen Freiheiten in Mainz ^^" mit der Schilderung des
„Klerikers" : „Zu meiner Zeit sah ich die Kirche in grossem Ansehen bei
Königen und allen Mächtigen, nun das gerade Gegenteil. Elend ist die
Kirche geworden unter Steuern und euch allen zur Beute. Vieles wird
von uns gefordert, unsere Güter werden geschädigt, geben wir nicht
freiwillig, so werden sie von euch geraubt, unsere Kechte werden er-
schüttert, unsere Freiheiten vernichtet. Die Laien und besonders die
Ritter schmalem das Los der (reistlichen auf die mannigfachste Weise,
sie ziehen ihr Leben und ihre Werke ins Lächerliche und Verächtliche,
Es wird die Vereinbarung getroffen und durch gemein-
sames Gesetz besiegelt, dass sie die Zehnten einziehen und Geist-
lichen und Kirchen nicht überliefern, dass sie den Bann nicht fürchten
und Gott nicht scheuen'®), die Priester mit Unbilden überhäufen und
^) Occam hingegen lacht des zähen Festhaltens am Alten, alle Fort-
schritto beruhten auf Neuerungen^ die wichtigsten Phasen in der Kulturge-
schichte der Menschheit seien Umwälzungen. Im Dialogus cap. 77, Goldast III, 737.
^) Ghronicon Mog. in den Städtechroniken Bd. 18 S. 207, 209, 210, 211.
«") Goldast I, 18, 62.
^ Über die Verachtung der kirchlichen Autorität, eine Folge der
religiösen Wirren unter Ludwig dem Bayern vergl. meine Bemerkung im
histor. Jahrb. 1887 S. 452 Anm. 4.
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Die kirckenpolitisclie Litteratür unter Ludwig dem Öayern. 101
was zum Nutzen der Kirche aus den frommen Stiftungen durch die
Freigebigkeit der Vorfahren rechtmässig fliesst, mit Beschlag legen ^.
Die Beschreibung hingegen, die hierauf „der Ritter** von dem
üppigen Leben und der Pflichtvergessenheit der Geistlichen entwirft, liest
sich wie eine hübsche mit Behagen in's Detail gearbeitete Ergänzung
und Ausarbeitung des oben angefahrten Yisitationsberichtes aber das
Kloster von St. Alban.
„Üppig bringen die Geistlichen, in materiellen Freuden und Ge-
nüssen lebend, ihre Tage dahin. Hochwürden, hochwürdigst und heilig
sich nennend erbauen sie sich Paläste in aller Lieblichkeit prangend
mit mannigfachstem Bilder- und Sänlenschmuck ausgestattet. Sie lieben
das Kostspielige, speisen die feinsten Mahlzeiten, trinken die ausge-
suchtesten Weine und häufen unendliche Reichtümer auf; nicht wie
jener, der sagte Gold und Silber habe ich nicht, erneuem sie das gol-
dene Zeitalter, der Liebe vergessend. Dem Gewinn anhängend aber-
tragen sie die Benefizien nicht den Würdigen, sondern befördern zu den .
kirchlichen Ehrenstellen Unwürdige, wie Schwätzer, Kuppler oder gar
ihre eigenen Kinder und Enkel, so dass sie das Heiligtum Gottes wie
ein Erbstück besitzen. Sie nehmen Geschenke; auf Geld, nicht auf die
Seelen besorgt, machen sie das Haus Gottes zu einer Räuberhöhle.
Schon wanken die Laien im Glauben'^) und wenn ihnen die
Geistlichen auch einmal predigen, aber nachlässig und selten, so glauben
sie doch nicht, weil jeder das Gegenteil tbut von dem, was er predigt
und die Geistlichen durch ihre Werke offenbaren, dass sie selbst anders
glauben als predigen.**
In den vorstehenden beiden Parallelen, welche sich leicht des
weiteren ergänzen Hessen, gewahren wir dieselben Züge, dieselben Ten-
denzen in Litteratür wie im Leben, und wir werden schwerlich fehl-
gehen, wenn wir behaupten, dass die Kämpfe gegen die Geistlichkeit in
den Städten, vornehmlich in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts
wesentlich mitbeeinflusst und mitbestimmt sind durch die vorausgegan-
gene kirchenpolitische Litteratür; was diese theoretisch bestritt, suchte
man in den Städten praktisch zu beseitigen.
'*) Chronic. Mog. zum Jahre 1384 „puUulabant in heresi**. In seiner
Wonnser Chronik — Biblioth. des Stuttg. litterar. Vereins 1857 Nr. 43 S. 149
— berichtet Zorn nach Erzählung der siegreichen Kämpfe der rheinischen
Städte gegen den Herrn von Rodenstein — 1381 — „Demnach haben sie
sich ihren pfaffen widersetzt, hierauf haben die von Mentz und andere auf-
hören mess zu singen, danach die laien nit viel gefragt, dieweil sie schon
anfingen viel irrtum zu merken und zu verstehen.
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loa i' B. Seidenbergef
Rascher und durchsichtiger freilich pflegen Angriffe aaf die kirch-
liche Autorit&t in das Lehen sich zn tthertragen, doch sehen wir immerhin
zu, oh dem demokratischen Ankämpfen der Zünfte gegen das Regiment
und die Privilegien der Geschlechter in den Städten sich nicht ebenfalls
Analogieen aus der Litteratur an die Seite stellen lassen. Die kirchen-
politische Litteratur unter und seit Philipp dem Schönen und Ludwig
dem Bayern ist nun bekanntlich in einem für jene Zeit geradezu ver-
blüffenden Grade rationalistisch, naturalistisch und revolutionär^^). Sie
eröffnet eine Zeit weitgehender Kritik, ünheengt durch Autoritäts-
glauben, ohne Rücksicht auf die bestehende staatliche und kirchliche
Ordnung, ja im bewussten Gegensatz hierzu, untersucht sie Ursprung
und Wesen derselben, sie forscht nach den Ursachen des Privatbesitzes,
der sozialen Ungleichheit, sie dringt bis zu den Grundpfeilern der bür-
gerlichen Gesellschaft und prüft deren Existenzberechtigung von reinem
Vernunft- und Naturstandpunkte aus. Mit Bewusstsein stellt sie sich
der bisherigen autoritativen Staats- und Gesellschaftsauffassung entgegen
und voll Selbstgefühls sprechen Marsilius wie Occam**) von „modernis
t«mporibus" von der Gegenwart als einer neuen Zeit.
Eine seltsame Verkettung eigentümlicher Umstände, eine Verbin-
dung ganz entgegengesetzter und anders gearteter Elemente charakteri-
*^) Trennung des Geistlichen von Weltlichem, des Kirchlichen vom
Staatlichen war der Grundgedanke, der die Städte in den Kämpfen gegen die
Geistlichkeit leitete. Derselbe Grundgedanke, verbunden mit einem gewissen
aufgeklärten Naturalismus, führt Occam zu der bemerkenswerten Äusserung :
„Wenn es dem Naturgesetze nicht widerspricht, dass ein Mann mehrere
Frauen hat, sondern bloss der kirchlichen Verordnung, so ist der Ehebruch
nicht von Staatswegen zu bestrafen, da der Staat nach bloss natürlichen Ge-
setzen urteilt, sondern die Ahndung des Ehebruchs ist der Kirche anheim-
zugeben''. Goldast HI, 915.
Desgleichen bespricht das Somn. Virid. von rein natürlichem Stand-
punkte aus die Gründe für und gegen die Polygamie. Indem es nun durch-
blicken lässt, dass gegen dieselbe eigentlich wenig einzuwenden sei, kommt
es schliesslich doch zum Ergebnis, dass für das Staatsinteresse Monogamie
vorzuziehen und demgemäss beizubehalten sei^ Nachdem auf zwei Seiten in
rein naturalistischer und rationalistischer Weise diese Untersuchung geführt
worden ist, kommt zum Schluss ganz kurz eine halb spöttische, halb höfliche
Reverenz vor der Kirche : „Diese menschliche Erkenntnis billigt das göttliche
Gesetz, indem es das Sakrament der Ehe einführt". Goldast I, 93—95.
Ebenso bestreitet der Miles im Somnium, dass die Jungfräulichkeit eine
Tugend und Gott wohlgefällig sei, denn keine Tugend widerstrebt der Natur.
Goldast I, 194.
*') Goldast ni, 286, 341.
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t>\e kirchenpoHtiscbe Litteratur unter Ludwig dem Bayern. 103
siert die Entstehung und Verbreitung dieser Litteratur. Der angesichts
des Pompes, des Reichtums und der Verweltlichung der Kirche gestiftete
Franziskanerorden hatte im Jahre 1223 die päpstliche Bestätigung er-
halten. Die Liebe zur Armut, die den hl. Franziskus beseelte, begeisterte
viele Tausende zum Eintritt in die Reihen der Bettelbrüder. „Der
rätselhafte Zudrang zu einem mystischen Bruderbunde, dessen oberster
Grundsatz die Besitzlosigkeit, dessen Lebensunterhalt das freiwillige
Almosen, und dessen Schmuck das Bettelkleid war, ist eine der selt-
samsten Thatsachen des Mittelalters, welche jeden ernsten Geist zum
Nachsinnen über die wichtigsten Fragen der menschlichen Gesellschaft
bewegen muss"*^. Ziemlich gleichzeitig gründete der Castilianer Do-
minikus den Predigerorden, worin ebenfalls die Armut ein Hauptgesetz
war. „Das neue Mönchtum stellte sich mitten in den Städten unter
das Gewühl des Volkes. Die alten Orden waren aristokratisch und
feudal geworden; Franziskus und Domini kus demokratisierten das Mönch-
tum, und darin lag ihre geheimnisvolle, anfangs völlig bezaubernde Macht.
Die Doktrinen der Ketzer, der demokratische Geist in den Städten, das
Empordrängen der Arbeiterklassen und aller vulgären Elemente, selbst
in der Sprache hatten den Boden für die Erscheinung jener Heiligen
bearbeitet. Die Bettelbrüder beeinflussten bald alle Schichten der Ge-
sellschaft. Die demokratische Natur der Franziskaner war jedoch schwer
zu beherrschen, ihre mystische Ascese artete in Häresie aus. Im süd-
lichen Frankreich, in Belgien und in Deutschland erhoben sich die Sekten,
welche absolute Armut verlangten und nur die als Christen anerkannten,
welche das niedrige Leben des Heilandes nachahmten. Hundert Jahre
nach ihrer Stiftung im Jahre 1322 brach zwischen den Franziskanern
und Dominikanern ein heftiger Zwiespalt über die Frage aus, ob Christus
weltliches Eigentum besessen habe oder nicht" *^). Die unter dem Vor-
sitze des Ordensgenerales Michael von Cesena zu Perugia 1323 ver-
sammelten Provinzialen der Minoriten erliessen eine Erklärung, wonach
die Behauptung, Christus und die Apostel hätten nichts weder persönlich
noch gemeinsam als Eigentum besessen, keineswegs häretisch, sondern
ein in der hl. Schrift begründeter katholischer Glaubenssatz sei ^), Papst
Johann XXII verdammte diese Lehre als ketzerisch durch die Bulle
«) Gregorovius : Geschichte der Stadt Rom V, 107, 113.
*^) C. M. Müller: Der Kampf Ludwigs des Baiem mit der römischen
Curie I, 83 f.
**) Die Erklärung ist auch von Wilh. v. Occam, dem Provinzialen von
England, unterzeichnet.
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104 i. B. Seidenbergfei'
Cum Inter. Die Minoriten beharrten auf ihrer Behauptung: In dem
hL Franziskus, dem glühenden Verfechter der wahren und vollkommenen
Armut Christi, sei diese Lehre durch die 5 Stigmata von Gott wie
durch Bullen und Siegel auf's stärkste bekräftigt. Unerschatterlich
blieben sie, marmornen Säulen ^^) gleich, im Bekenntnis der heiligen
Armut durch Schmeichelworte des Papstes nicht verfahrt, durch seinen
Fluch nicht erschreckt. Allerorts, öffentlich und privatim, in gelehrten
Disputationen, wie in populären Predigten verbreiteten und verteidigten
die Franziskaner ihre Lehre, und mit unnennbarer Freude wurden die
Massen erfüllt, wenn sie aus ihrem Munde die Armut Christi bezeugen
hörten ^^. Gerade auf die unteren Schichten des Volkes hatten die
Minderbrüder von ihrer Gründung an tiefgehenden Einfluss, in den volk-
reichen Städten wohnend, mit den Leiden der Gedrückten vertraut,
waren sie die Anwälte der Armen; indem sie nun mit glühender Be-
geisterung die Armut Christi priesen, gingen sie unwillkürlich zu An-
griffen auf Besitztum und Reichtum überhaupt über. Sie vertieften die
schwebende Streitfrage, indem sie die theologische zu der allgemein ge-
sellschaftlichen umgestalteten: Woher das Eigentum überhaupt, woher
die Ungleichheit unter den Menschen, wem gehören die Güter dieser
Erde? Gestützt nun auf gewisse Stellen der Bibel und Kirchenväter,
wie des kanonischen Rechtes geben die Anwälte der Besitzlosigkeit
hierauf folgende Antwort:
Das Privateigentum, der Unterschied zwischen Reich und Arm ist
eine auf Anordnung von Fürsten und Königen beruhende, rein mensch-
liche Institution und entbehrt der göttlichen Autorität. Alle Menschen
sind frei und gleich geboren. Im ursprünglichen Naturzustand der
Menschheit, der zugleich ein Zustand allgemeiner Unschuld und Glück-
seligkeit war, herrschte unbeschränkte Gütergemeinschaft. Erst durch
Ungerechtigkeit, d. i. durch Menschensatzung entstanden die Grenzen
des Eigentums. Würden die Menschen dem natürlichen und göttlichen
Gesetz gemäss leben, so müsste alles Eigentum gemeinsam sein.
Der Armutsstreit führte noch weiter. Mit jener alles verzehrenden
Begeisterung, deren eine ascetische Mönchsbrust fähig ist, hatten die
Minoriten die vollkommene Armut Christi umfasst, in diese Quelle innerer
*") So der Minorit Johann von Winterthur, dessen Erzählung von wun-
derbarem Schwung und freudiger Begeisterung getragen wird, wenn er auf
den Armutsstreit zu sprechen kommt. Ausgabe seines Chronikon von G.
V. Wyss im Archiv für Schweizerische Geschichte Bd. XI.
*«) Johannes Vitoduranus ed. Wyss. S. 86, 88, 89.
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l)ie kirchenpolitische Litteratur unter Ludwig dem Bayern. 105
Seligkeit sich ganz versenkt, und der Leiter der Kirche nannte das
ketzerisch. Wer gab ihm hierzu das Recht? Ihre Lehre verteidigend
untersuchten die Minoriten Ursprung, Wesen und Machtbefugnis des
Papsttums. Ihrer demokratischen Grandrichtung entsprechend erschüt-
terten sie den Absolutismus des Papstes. Der Papst hat seine Gewalt
vom Volke, zum Besten des Volkes, fördert er nicht das Wohl der Ge-
samtheit, lehrt er Ketzereien, so ist das Volk berechtigt dem Papst den
Gehorsam zu verweigern, ihn abzusetzen.
Dies die Grundlage, worauf die denkwürdige Verbindung der
^noriten mit König Ludwig von Bayern einerseits, mit Marsilius von
Padua anderseits sich vollzieht. Tiefgläubige, ascetische Mönche im
Bunde mit einem dem Kirchenglauben völlig entwachsenen Freigeist;
hier ganz dem Irdischen abgewandter Sinn, dort ein ganz dem Staat
und seinen Aufgaben gewidmetes Denken, Beide im Kampf gegen den
Papst eine neue Macht schaffend: die Volkssouveränet&t.
Staat und Kirche beruhen auf einem zur gegenseitigen Unter-
stützung, zum allgemeinen Besten geschlossenen Gesellschaftsvertrag.
Entspricht eine Einrichtung diesem Zwecke nicht mehr, so ist sie nie-
manden verpflichtend, der Vertrag ist von selbst gekündigt. Alle geist-
liche wie weltliche Autorität geht aus vom Volke. Jede Regierung ist
blos die Beauftragte des Volkes und untersteht dessen steter Kontrolle
und Absetzungsgewalt.
Von Natur sind alle Menschen gleich; Unterschiede beruhen auf
blos menschlichen Satzungen — per iniquitatem. —
Um den Papst zu treffen, adoptierte König Ludwig diese Grund-
sätze, die Theorieen wurden zur Praxis umgesetzt*^). Bald stand vor
den jauchzenden Römern ein Papst, den sie selbst gewählt, ein Kaiser,
den sie selbst gekrönt hatten.
Erstaunt lauschte man in den deutschen Städten der wunderbaren
Mähr, die von jenseits der Berge kam, jetzt verstand man die Predigten
der Franziskaner, die Disputationen und Flugschriften; tausendfältigen
Wiederhall fand in den Herzen der Handwerker das befreiende Wort
von der Volkssouveränetät : wie in Mainz, so erhoben sich im Jahre
1332 auch anderwärts siegreich die Zünfte ^^). Die oben angeführten
^^ C. Müller: Der Kampf Ludwigs des Baiem mit der römischen
Curie I. 178 f. „Eine Reihe der revolutionärsten Handlungen, die je von
einem gekrönten Haupte ausgegangen sind*'. Riezler: Die litterarischen
Widersacher der Päpste S. 48.
*«) Schon Schmoller „Strassburg zur Zeit der Zunftkämpfe« S. 25
weist darauf hin, dass die demokratischen Erhebungen daselbst mit den Höhe-
punkten des damaligen kirchlichen Konfliktes zusammenfallen.
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106 3. B. Seidenbergef
Lehrsätze der kirchenpolitischen Litteratur werden die treibenden Ideeen
der Zanftk&mpfe.
Verfassung auf Verfassung wurde in Mainz erlassen und aufge-
hoben, Stadtrate ein- und abgesetzt, Steuer- und Gerichtswesen wie
Gesetzgebung aus dem Rate in die Zunftversammlungen gelegt, die
Privilegien der Geistlichen und Geschlechter aufgehoben, und sie selbst
den übrigen BQrgem gleichgestellt, alles mit Berufung auf das allge-
gemeine Wohl, auf das Interesse der Gesamtheit **•).
Ein näheres Eingehen in das Detail wird die Richtigkeit der auf-
gestellten Behauptungen erweisen. Occam lehrt die Volkssouveränetat
und den Gesellschaftsvertrag in radikalster Weise in Bezug auf die
Kirche. Sie ist von Christus eingesetzt zum Wohl der Gläubigen, und
der hl. Petrus empfing keine weitem Rechte, als sie zur Erlangung der
Seligkeit nbtig sind. Jede Vorschrift, die nicht aus dem Interesse der
Gesamtheit ihre Berechtigung schöpft oder diesem gar widerspricht, ist
für den Einzelnen ohne bindende Kraft. Der Papst empfängt seine
Autorität vom Volke, was alle angeht muss auch durch alle verhandelt
werden, die Einsetzung eines Vorgesetzten aber geht alle an, steht da-
her bei allen. Regiert ein Papst nicht zum Besten der Gläubigen, ver-
schleudert er Kirchengüter, lehrt er Ketzereien, so ist die Kirche d. h.
die Versammlung der Gläubigen, welche Priester und Laien, Männer
und Frauen umfasst, berechtigt and verpflichtet, ihn abzusetzen^.
Wie Occam auf kirchlichem, so lehrt Marsilius die Volkssouve-
ränetät auf staatlichem Gebiet. Zeigt uns der erstere, wie der Papst
von einer aus allgemeiner, indirekter Wahl hervorgegangenen Volksver-
sammlung ein- und abgesetzt werden soll, wobei die Pfarreien passender
Weise als Wahlkreise dienen und sogar die Frauen wahlberechtigt sind ^^,
so entwickelt letzterer in wohldurchdachter, anschaulicher Weise, wie
und warum alle Autorität im Volke ruhe. Gesetzgeber in erster und
letzter Instanz ist das Volk, die Gesamtheit der Bürger. Denn die
erste und letzte Autorität aller menschlichen Gesetze ruht da, woher
allein die besten kommen können, das ist bei der Gesamtheit der Bürger
oder ihrer Majorität. Denn die Gesamtheit merkt die Vorteile und
Nachteile eines Gesetzes besser als nur ein Teil, jeder kann da auf
etwaige Mängel aufmerksam machen. Das wäre nicht der Fall, wenn
durch einen oder wenige, die mehr ihren eigenen als aller Nutzen im
**) Hegel: Verfassnngsgeschichte der Stadt Mainz.
^) Goldast III, 326, 3.33, 349, 602- 604, 934.
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l)ie kirchenpolitische Litteiratnr unter Ludwig dem Bayern. lO?
Auge hätten, das Gesetz gegeben würde. Weiter aber wird eine Yor-
schrift besser beobachtet, die jeder Barger sich selbst gegeben zu haben
scheint, so aber ist das Gesetz hervorgegangen aus Beratung und Be-
schluss der Gesamtheit. Geben nur einer oder wenige durch eigene
Machtvollkommenheit ein Gesetz, so werden die übrigen Bürger, d. h.
die überwältigende Majorität dasselbe unwillig hinnehmen oder gar nicht
beobachten, wäre es auch noch so gut, denn die Menschen haben sich
zur bürgerlichen Gesellschaft vereinigt, um die Vorteile und Bedürfnisse
des Lebens zu erlangen und das Gegenteil zu vermeiden. Was daher
aller Vorteil oder Nachteil betrifft, muss von allen gehört und ver-
nommen werden, damit sie den Nutzen erreichen und das Gegenteil
vermeiden.
Besser wie alle Körperschaften ist das gesamte Volk, mag nun
diese Körperschaft eine Hausgenossenschaft sein, Leute, die im Hause des
Fürsten Beamte und Diener sind, als Anwälte, Rechtsgelehrte und Notare
oder ein Adel, d. i. eine Körperschaft von Geschlechtern, welche wenige
sind und allein dem Herkommen gemäss zu den höchsten Ämtern
gewählt werden. Diese wenige würden nicht so gut das gemeine Beste
erkennen und wollen, wie die gesamte Gemeinde. Sie hätten vielleicht
mehr als das Wohl aller ihr eigenes oder das einer bestimmten Klasse
im Auge^*).
Getroffen ! Das ist's, wessen man in allen Städten die Geschlechter-
herrschaft zieh, das ist auch der stete Vorwurf der Mainzer Gemeinde
gegen die Hausgenossen und Geschlechter, ^dass sie nur ihren eigenen,
nicht der gemeinen Stadt Vorteil suchten, dass sie nur verständen, von
der Stadt zu geniessen" ^^.
Der erste Schritt zum Sturz der Geschlechterherrschaft geschah
in Mainz im Sommer 1332. Der Rat musste 12 Zünftige zu seinen
Beratungen zuziehen, „daz si helfen bestellen die schult, daz arme und
rieh eben queme und der stad notzlichen were" ^'). Durch eine weitere
Konzession erhielt am 4. August die Gemeinde das Recht, 22 Vertreter
zu entsenden, und der Rat gelobt „wir sullen ^uch an rad und wessen
der vorgenanten 22 keine grosse sache angrifen oder keine grosse
schult machen^.
*») Goldast m, 169.
^^) Droysen : Eberhard Windeck in den Abh. der kgl. Sachs. Gesellsch.
d. Wiss. 1875, n, 130.
^3) Mainzer Chronik I, 8 f. (in den Städtechroniken XVII).
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108 3, fi. Seidenbergei"
Durch die Verfassung vom Katharinenabend desselbigen Jahres
werden die 22 auf 29 vermehrt und treten als vollberechtigte Mit-
glioder in den Rat, die Hälfte des Rates besetzen von jetzt ab die
Zünfte, ihr Einfluss wird noch verstitrkt durch die Bestimmung, dass
bei allen wichtigen Angelegenheiten der Rat auch die zünftigen Rats-
herren des verflossenen Jahres und andere biedere Leute um ihre An-
sicht zu befragen habe; doch ist er an deren Meinung nicht gebunden.
In dem Statut vom 5. Februar 1411^*) willigt der Rat ein,
„daz wir keinerlei schatzunge, herisnode ader virbuntenisse mit hem
ader mii stedin ader kein schult machin suln an wiln und wissin der
ziuifte und gantzin gemeinden zu Meintze zu den zonften gehorich".
Ausserdem erhalten die Zünfte ein ausgedehntes Petitionsrecht. Was
ist dies anders als die allmähliche Verwirklichung des in der Litteratur
so eindringlich verkündeten Grundsatzes, „was aller Vorteil und Nachteil
betrifft, muss allen vorgelegt und unterbreitet werden ? quod omnes tangit,
debet tractari per omnes*' !
Im Jahre 1429 endlich wird den Geschlechtem als solchen jeder
Einfluss auf das Stadtregiment genommen. Zwar folgte durch bischöf-
lichen und äusseren Druck 1430 und 1437 eine Reaktion, in der den
Geschlechtem wieder V's und V2 des Rates eingeräumt wurde, aber
auch hier wurde aufs neue der Grundsatz eingeschärft, dass der Rat
keine grössere Schuld kontrahieren, keinen Fehdezug beschliessen und
kein Bündnis mit Herren oder Städten vereinbaren dürfe, ohne Wissen
und Willen der gesamten Bürgerschaft; und als 1444 die Zunftrevo-
lution wieder ausbrach, machte man dem Rat den Prozess wegen Hoch-
verrats, denn er habe Schulden gemacht, ein Bündnis mit dem Erz-
bischof geschlossen, Steuern und Gehälter erhöht ohne Befragen der Ge-
meinde. Die Vorrechte der Geschlechter werden aufgehoben und der
Rat wird eine Vertretung der Bürgerschaft, von und aus den Zünften
gewählt. Der Sieg der Volkssouveränetät über die angestammten Rechte
der Geschlechter war errungen**).
Über die Art und Weise der Auffindung, Prüfung und Geneh-
migung von Gesetzesvorschlägen lehrt Marsilius: Es ist geziemend und
'^) Mainzer Chronik I, 368.
^) Der Untergang der freien Stadt Mainz im Jahre 1462 ist haupt-
sächlich dadurch. vetschuldet, dass der Schwerpunkt der auswärtigen Politik
in der Gemeindeversammlung ruhte. Mainzer Chronik 11 (Städtechroniken 18),
30 Z. 9, 31 Z. 23, 37, 33 Z. 15, 29, 30 u. a.
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Die kirchenpolitische Litteratur unter Ludwig dem Bayern. 109
sehr nützlich, die Auffindung, Ausarbeitang und Prüfung von Gresetzes-
vorschlägen klugen und erfahrenen Leuten anzuvertrauen, denn sämt-
liche Bürger damit zu behelligen, wäre unvorteilhaft, da sie durch die
Greschäfte des täglichen Lebens zu sehr in Anspruch genommen sind und
der nötigen Schulung entbehren. Diese erfahrenen Leute werden ent-
weder von den einzelnen Korporationen, jedoch in ihrem entsprechenden
Verhältnis, oder von der Bürgerversammlung gewählt. Ist ein solcher
Gesetzesvorschlag aber ausgearbeitet und geprüft, so muss er der ge-
samten Gemeinde zur Genehmigung oder Verwerftrag unterbreitet werden,
damit hier jeder Bürger seine Ansicht äussern und Verbesserungsvor-
schläge machen kann. Zur Prüfung, Ablehnung und Verwerfung der
hier gemachten Vorschläge müssen wieder Männer gewählt oder die
früheren bestätigt werden, die dann die Autorität des Volkes repräsen-
tieren oder es kann dies auch die Gesamtbürgerschaft selbst thun^^.
Genau so verfuhr man in Mainz. Zur Ausarbeitung des Ver-
bündnisantrages wählte man (J. 1428)
10 Männer *') »> und gebot ihnen
sie solden ir ratslagen an die zunfte bringen
was dan der meisteil*) rat und zunfte*^)
mit eide und vemunfte**)
erkennten vor das beste
darbi solde es bliben feste.
darnach ubir etliche stunde
die zehen an die zunfte brachten
den handel und wie si es gedachten
und begangen was bis dar«) *^).
Ebenso erhielt der Rat, den man zur Abdankung drängte, eine
Vertretung von 10 Mann, 5 aus der Gemeinde, 5 aus den Alten**).
Als hierauf die Majorität der XX übereinkam den Rat zu entsetzen,
erbat sie sich einen weiteren Ausschuss aus der Gemeinde von 28 Mit-
gliedern, um deren Gutachten zu vernehmen. Da auch diese mit dem
Antrag einverstanden waren, legten sie ihn nun zur Genehmigung der
Gemeindeversammlung als der in letzter Instanz gesetzgebenden Grewalt
^ Goldast m, 173.
'^ Bei Marsilius: a) prudentes expertes, b) valentior pars, c) univer-
sitas civium, d) rationabiliter, e) in universitate civium congregata proponi
debent.
«) Liliencron : Historische Volkslieder I Nr. 63 V. 80 f.
^) Bei Marsilius: secundum unius cuiusque proportionem.
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110 J. B. Seidenberger
vor. Die gewählten ^erüahrenen Leute" handelten genau nach den
Vorschriften des Marsilios und erhielten deshalb das lobende Zeugnis?
dass sie nichts thaten „ohne Befragen der ganzen Gemeinde" ^).
Desgleichen wird von den 18 Mann, welche im Jahre 1411 die
Beschwerden und Forderungen der Zünfte formulierten, rühmend her-
vorgehoben, dass „die seibin 18 manne keinerlei geschichte adir for-
derunge getan haut an hinderfrege zu den Zunftmeistern und zunften
und der gantzen gemeinde zu Meintze"^^), während anderseits der Rat
„keine möge noch machte inhatte an- hinderfrage der 18 man^ ^').
Nach Marsilius ist der Inhaber der Regierungsgewalt nur der
Beauftragte des Volkes, bleibt ihm verantwortlich, . untersteht dessen
steter Kontrolle, kann suspendiert und abgesetzt werden ^^). Auch das
Somn. Virid. billigt die gewaltsame Absetzung einer Regierung, falls sie
die Handhabung der Justiz, die Verteidigung des Vaterlandes verab-
säume, oder es an einer geordneten Finanzverwaltung fehlen lasse, doch
empfiehlt es vor Anwendung dieses äussersten Mittels zunächst die Ver-
weigerung der Steuern.
Als im Sommer 1444 beim Einfall der Armagnaken in pf^zisches
Gebiet der Rat zu Mainz eine allgemeine Kriegssteuer auszuschreiben
gedachte, entgegneten die Führer der Zünftigen, die Alten hätten Gaden-
und Münzfreiheit, die Hälfte des Rates und der Ämter, so sollten sie
auch die Hälfte der Kriegskosten zahlen^). Auf die Weigerung des
Rates, dem Henne Knauf eine jährliche Gülte von 26 Gulden zu be-
willigen, erklärte Eberhard Windeck, der bekannte Leiter der Mainzer
Zunftrevolution von 1428/29: „Gebe man Henne Knauf nicht jährlich
die Gülte, so geschehe nichts Gutes daraus, das Volk würde weder
Steuer, noch sonst etwas zahlen^ ^^). Als zur selben Zeit die Zünfte
von den Geschlechtem den Verzicht auf ihre Privilegien forderten, rieten
die Städteboten von auswärts zum Nachgeben, i„denn das Volk wolle
seinen Willen haben**®*)..
Wir sehen, die Idee vom souveränen Volkswillen, vom Recht der
Steuerverweigerung blieben nicht auf die Litteratur beschränkt.
•0) LiUencron I Nr. 63 V. 87 f., V. 95 l ; Mainzer Chronik I, 56 f.
**) Beilage ö in der Mainzer Chronik I, 369.
•*) M Chronik I, 42.
•») Goldast ni, 175, 185.
") M. Chronik I, 156.
•*) M. Chronik I, 378.
••) M. Chronik I, 66.
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Die kirchenpolitisclie Litteratur unter Ludwig dem Bayern. Hl
Indem auch Grerson in seiner Schrift „de anferibilitate papae'^
die Absetzung eines Fürsten und Aufhebung bestehender Verfassungen
für ein unveräusserliches Recht eines freien Volkes hinstellt, das über
seine Angelegenheiten nach freiem Ermessen verfügen könne, sucht er
zugleich etwaige von der Heiligkeit des Unterthanen- und Verfassungs-
eides hergenommene Bedenken zu heben: der Eid verpflichtet nicht,
sobald er zum Nachteil und Schaden ausläuft^').
Dem revolutionären Beginnen der Zünfte gegenüber pflegten, wie
die Geistlichen, so auch die Geschlechter auf ihre alten Gewohnheiten
und Freiheiten sich zu berufen, auf die alten und neuen Sühnebriefe,
die allermänniglich geschworen hat fest und ewig zu halten. Solchen
Hinweisen entgegnete einer der Zunftführer Gyllige zum Ruchfoss 1413
öffentlich im Mainzer Rate mit den Worten: „Hätte er zwölf Eide ge-
schworen zu den Heiligen am Vormittage, fände er etwas Besseres am
Nachmittage, so wolle er die zwölf Eide alle nicht halten, er würde
dem Besseren folgen und dies halten ^^).
Hätten wir auch diese charakteristische Äusseiung nicht überliefert,
so redeten die Thatsachen doch laut genug: Verfassung auf Verfassung
wurde in Mainz beschworen, mit zahlreichen Siegeln behängt und mit
Berufung auf das allgemeine Beste ^^) rasch gebrochen.
In sozialer Beziehung bricht diese Litteratur mit der bisherigen
Anschauung, die im privaten Eigentum eine auf göttlicher Autorität
fnssende Institution erblickt. Dem Ursprung der Ungleichheit unter den
Menschen nachspürend, stellt sie eine neue uns oft an Rousseau gemah-
nende Theorie auf. In den recht breitspurig ausgeführten Erörterungen
mit ihren naiven Beweisen und Gegenbeweisen aus der hl. Schrift ^^
*^ Per quae dissolvitur prima ratio, quae fiebat de voto: qnod non
obligat, dum vergit in detrimentnm salutis propriae vel ezitum deteriorem.
Goldast ni, 1414, 1415 (oder 1413, 1414, die Seitenzahlen bei Goldast hier
in Verwirrung!).
••) Mainzer Chronik I, 48.
••) „so worde der stad geholfen usser ir scholt", „da von sult der
gemeinen stad notz und freden ensten^. Mainzer Chronik I, 175 „propter
commune conferens" im defensor pacis!
'^ „Im Schweisse deines Angesichtes sollst du dein Brod essen^. Also
konnte Adam von „seinem Brode** doch reden, damals gab es aber noch
keine Könige, überhaupt noch keine Menschen ausser den ersten Eltern.
Also ist das private Eigentum keine Menschensatzung, wie jener Ketzer be-
hauptet, sondern eine göttliche Institution! Kap. S8 des opus nonaginta
dierum im Somnium Viridarii dem „Kleriker** in den Mund gelegt. Gold«
ast I,
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112 J. B. Seidenberger '
und den Kirchenvätern kehren bestimmte Sätze and Wendung immer
wieder.
„Der Grebrauch aller Dinge in der Welt sollte allen Menschen
gemeinsam sein, aber durch Ungerechtigkeit nennt der eine dieses sein,
der andere jenes und so ist unter den Sterblichen die Teilung ent-
standen; unter dem was hier mit Ungerechtigkeit bezeichnet wird, ist
das menschliche Recht zu verstehen** ^*).
„Arme und Reiche hat Gott aus Einem Lehm gemacht und
Eine Erde trägt sie. Durch Menschenrecht also heisst es „diese Villa
ist mein, mein jenes Haus**. Nimm die Rechte des Kaisers weg, wer
würde wagen zu sagen : „Diese Villa ist mein, mein der Sklave da dort,
mein hier dieses Haus**'*)?
„Durch das Naturrecht ist alles allen gemeinsam, denn im Natur-
zustand wäre alles allen gemeinsam gewesen, und wenn nach dem
Sündenfall alle Menschen vemunftgemäss lebten, müsste wiederum allen
alles gemeinsam, nichts eigentümlich sein, denn das Privateigentum ist
durch Ungerechtigkeit eingeführt" '').
„Alles Recht, das von Gott dem Schöpfer der Natur stammt,
kann göttliches Recht heissen, alles Naturrecht aber stammt von Gott" '*).
Neu waren ja diese Sätze nicht oder nur zum Teil. Es sollte
nicht schwer sein auf etliche Stellen der hl. Schrift und der Kirchen-
väter ein sozialisches Lehrgebäude aufzuführen'^).
*n Goldast ni, 142, 1152 u. a.
^) Goldast in, 97, 103, 126, 937, 1042, 1142 u. a.
^) Goldast m, 932 u. a.
'0 Goldast III, 934.
") In der Reformationszeit wurde der Versuch dazu wiederholt be-
werkstelligt. In der That erinnern mehrere Traktate und Programme aus der
kirchenpolitischen und sozialen Bewegung Ende des 15. und Anfang des 16.
Jahrhunderts in auffallender Weise an die Litteratur unter Ludwig dem
Baiem. Wie Marsilius so lehrt die „Reformation Kaiser Sigmunds — W.
Boehm, Friedrich Reisers Reformation des Kaiser Sigmunds 331, 172—195
— dass in Bezug auf kirchliche Dinge „soll sich lauter in allweg scheiden
das Geistlich und das Weltlich^, dass der kirchliche Besitz eingezogen und
fftr die Geistlichen ein bestimmter Gehalt festgesetzt werde. Nach dem 1.
und 5. Artikel der von den fränkischen Bauern vorgebrachten „Ordnung und
Reformation zu Nutz, Frommen und Wohlfahrt aller Christenbrüder** soll die
Geistlichkeit dahin reformiert werden, dass man sie' unangesehen ihrer Geburt
und Stellung „nach ziemlicher Notdurft** erhalte, den Überfluss ihrer Güter
aber fQr arme notdürftige Menschen und den gemeinen Nutzen verwende,
jede Gemeinde habe selbst ihre Hirten zu setzen und zu entsetzen^. «Es
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Die kirchenpolitische Litteratur unter Ludwig dem Bayern. 113
Aus der Verborgenheit der Folianten aber wurden diese Sätze
jetzt zu bestimmten Zwecken hervorgezogen und mit hinreissender Be-
redsamkeit dem armen Manne '^^) von der Kanzel herab vorgefahrt, den
Gedanken und Wünschen Tausender beredeter Ausdruck verliehen. Hier-
dorch wurde in den Städten der Kampf auch gegen die sozialen Privi-
l^en der Geschlechter entfacht. Der Druck der Münz- und Gadenrechte
wurde fortan unerträglich, sie beruhten auf Menschensatzung und standen
mit dem natürlichen und göttlichen Recht, mit der wirtschaftlichen Frei-
heit und Gleichheit in grellstem Widerspruch. Schon 1332 wurde das
Monopol des Tauschverkaufs und Geldwechseins der Geschlechter in
Mainz vorübergehend aufgehoben, die definitive Beseitigung erfolgte erst
1445 und zwar mit der charakteristischen Erklärung: „Dass fortan
uod auf ewige Zeit, jedermann, der zu Mainz wohnhaft und weltlich
ist von seinem Einkommen und Besitz zahle und steuere gleich anderen
gemeinen Bürgern, und dass kein Bürger vor dem andern mit Gewand-
schneiden und Wechseln einige Sondervorteile habe, sondern, dass jeder-
mann in seinem Haus und seinem Besitz Gewand schneiden und wechseln
möge, ohne Widerstand und Hinderung seitens derer auf der Münze und
der ihrigen, denn nur mit Gewalt und List'^^j ist die Gemeinde von
den Gaden — öffentlichen Verkaufsstellen — gebracht und verdrängt
worden* '*).
„Man*hört hier schon die Theorie des Natur- und Vemunftrechtes",
-wäre gut, wenn alle weltlichen Rechte im Reich, die bisher gebraucht worden
sind, abgeschafft und aufgehoben würden, dadurch hätte der Arme so viel
Recht als der Höchste und Reichste**.
Buchholtz: Urkundenbuch zur Geschichte Ferdinands des Ersten 6öl
bis 655. In der stark sozialistisch gefärbten Landesordnung Geismayrs heisst
^, „dass aber die Landtschaft oder eine Gemeynde Macht hab iren sched-
Jichen Herrn zu entsetzen, wil ich aus der göttlichen Juristerei dreizehn
Spruch einfüren** u. s. w. „Do die Römer regierten mit Zunftmaystern und
Rathe eines gemeinen Regiments, do heuffet sich teglich die Mächtigkeit ires
grossen Gewalts über die ganze Welt**.
^) „Es ist charakteristisch für die Zustände in den Städten zu Anfang
des 14. Jahrhunderts, dass so viel von dem Gegensatz zwischen Reich und
Arm die Rede ist. Fast in allen Urkunden der Zeit wiederholt sich die
Wendung, man wolle die Dinge so ordnen, dass Arm und Reich zu ihrem
Rechte kämen**. Schmoller, Strassburg zur Zeit der Zunftkämpfe 22.
^') Durch Privileg Erzb. Siegfried's HI vom 4. Juli 12391
^ Mainzer Chronik I, 311.
WMtd. Zeittohr. f. OMoh. a. Kunst. YHI, I 8
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114 J- B. Seidenberger
bemerkt Hegel hierzu ^^ ; ja freilich, in der kirchenpolitischen Litteratnr
hörte man sie schon seit länger als einem Jahrhundert so.
Will man die grossen Bewegungen in den St&dten des ausgehenden
Mittelalters ihrem innersten Wesen nach verstehen, so darf man an der
kirchenpolitischen Litteratnr seit Ludwig dem Bayern nicht vorbeigehe.
Sie hat die K&mpfe gegen Geistlichkeit und Geschlechter zwar nicht
erzeugt, aber sie hat dazu beigetragen, dass dem unbestimmten Drängen
Ziel und Richtung gegeben wurde, sie hat das unbewusste Suchen nach
Wandlung zur bewussten Revolution gestaltet. Ihrem Streben und
Trachten fand die Zeit in dieser Litteratnr zum erstenmal Ausdruck
und Rechtfertigung verliehen, sie sah in einen Spiegel und gewahrte ihr
eigenes Bild, sie kam zu Selbstbewusstsein.
Wie schon erwähnt wurden die neuen Ideeen hauptsächlich durch
die Minoriten in die breiten Massen des Volkes getragen. Aus dem
Armutsstreit entsprungen, wurden sie mit und durch denselben auch
verbreitet. So erklärt sich das ungeheure Interesse, welches allerorts
das Volk diesem, uns fast lächerlich scheinenden Streit entgegenbrachte,
es war eben doch etwas mehr als der aufs äusserste geschraubte Aus-
druck einer ganz dem Jenseits zugewandten Sinnesweise, wie es ja auch
kein bloss historisches oder rechtsphilosophisches Interesse ist, mit dem
^*) Hegel : Verfassungsgeschichte S. 89. Bemerkenswert ist auch folgende
Polemik des Somn. Vir. gegen die Unterdrückung der Armen durch die
Reichen namentlich mittelst einer bestimmten Steuer, des foagium — Herd-
schilling — einer Polemik, die durch packende Schilderung an die glühende
Farbenpracht von Lamennais': Paroles d'un croyant erinnert: Wie so üblich
wird der Arme über den Reichen allerwärts gequält, so besonders bei jenen
Herdschillingen. Anstatt, dass der Reiche dem Armen die Lasten erleichtere,
unterstützt vielmehr gegen die Natur und gegen alle Vernunft , . . der Arme
den Reichen. Und wenn er nichts hat, womit er zahle, wird er gegen die
Wahrheit bedrückt. So ist auch bei jenen Herdschillingen keine Billigkeit,
sondern Unbilligkeit bemerklich, keine Milde, sondern ruchlose Grausamkeit
wohnt ihnen inne. Neulich vernahm ich das Jammern einer armen Witwe
mit sieben Knaben und Mädchen, die ihre Klagen gegen einen solchen Steuer*
einnehmer vorbrachte. Denn da sie nichts hatte als ein Bettgestell mit
Matratze, worauf die sieben Knaben und Mädchen lagen, warf der Einnehmer
die Kinder unbarmherzig aus dem Bette und pfändete es für Bezahlung dea
Herdschillings, ihr nichts mehr lassend. Bei andern Steuern bleibt dem
Zahlenden doch immer etwas übrig, wenn er vom Pfund 12 Denare zahlt, so
bleiben ihm doch 19 Solidi, wenn er den dreizehnten Teil zahlt, verbleiben
ihm 12, wenn '/• verbleiben 5. So bei jeder Steuer die nach Prozenten be-
rechnet wird, bei jenen Herdschillingen aber bleibt dem Zahlenden nichts
übrig. Goldast I, 111.
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Die kirchenpolitische LHteratur unter Ludwig dem Bayern. 115
etwa bei uns dichtgedr&Dgte Massen den AosfUumngen lauschen über
„Eigentum ist Diebstahl". Es hatte eine eminent praktische Bedentang^
wenn das Volk von der Kanzel hörte, der Hdland sei arm, ganz arm
gewesen, and wenn es seinen Blick richtete auf die reichen Domhäuser
und Abteien, deren Grundbesitz sich stetig mehrte und deren Insassen
auch den kleinsten Beitrag zn den städtischen Lasten verweigerten, während
doch der Heiland in seiner Armat ein Wander wirkte, am für sich and
seine Jünger die fUligen Steaem za entrichten.
Andere Stätten nan, wo die neaen Ideeen in die Massen geleitet
and die öffentliche Meinang gestaltet warde, waren die Zanftstaben.
Dorthin schickte man, am Einflass aaf das öffentliche Leben zu
gewinnen, Flagblätter, Wahlprogramme and Bekanntmachangen worden
hier verkündet. Als 1395 der Mainzer Erzbischof wider die vom
Fraokfarter Rate gegen die dortige Geistlichkeit erlassenen Verordnangen
Protest einlegte, schickte er seine an die Bürger von der Gemeinde and
von den Zünften za Frankfurt adressierte Beschwerdeschrift an sämtliche
dortige Zanftstoben ^^). Der Rat aber konfiszierte die Exemplare. In
den Zanftstaben nan werden auch die grossen Tagesfragen anter Ludwig
dem Bayern und die sich anknüpfenden neuen Ideeen besprochen und
verbreitet worden sein. An Anlass dazu fehlte es wahrlich nicht. Die
Prozesse gegen Ludwig®'), die Predigten und Demonstrationen für und
wider die Armut Christi®^), die Verhängung des Interdikts, die Schreiben
des Papstes^'), die G^enschreiben des Kaisers an die Reichsstädte®^),
das diplomatische Eingreifen der Städte selbst in den Streit®^), die
vielfältigen Flugschriften gegen den Papst ®^), dies alles zwang ja jeder-
mann irgendwie Stellung zu nehmen und Aufklärung zu suchen®^).
«•) Boehmer: Frankfurter ürkundenbuch S. 774, Kriegk: Fr. B. 117,
andere Beispiele bei Würdtwein: Nov. subsid. diplomat. III, 178, Janssen:
Reichskorrespondenz I Nr. 888.
«) Müller: Ludwig d. Baier I, 60 f., 97 f., 171 f.
") Müller ebenda I, 105, 218, II, 93, 248; Joh. v. Winterthur ed.
G. V. Wyss 86.
*^ Müller J, 238 f., der defensor pacis eine Fundgrube für Arengen
kaiserlicher Briefe, ebenda I, 216 und Beilage 16.
»*) Preger in den Abhdl. der k. bayer. Akad. d. Wiss. IH Cl. XIV
Bd. I S. 69; Müller I, 271 u. a.
•*) Müller II, 87.
^) Preger: „Kircbenpolitischer Kampf unter Ludwig dem Baier and
sein Einflass auf die öffentliche Meinang in Deutschland (Abhdl. der Kgl.
Baier. Akad. d. Wiss. Bd. XIV Abt. 1).
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116 JB. Seidenberger
Unter den Oebildeten aber fanden, wie wir wohl annehmen können,
die kirchenpolitischen Traktate selbst ungemeine Yerbreitang und eifrigstes
Studium. Auch fehlt es nicht an Greschichtschreibem aus der ersten
und zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts, welche die Bedeutung der
kirchenpolitischen Litteratur genugsam würdigen und ihren Einfloss auf
das öffentliche Leben ausdrücklich hervorheben. Nach MarsUius und
Occam unterliegen päpstliche Bannbullen der landesfürstlichen Geneh-
migung. Herzog Albrecht von Oesterreich versagte dem Interdikte und
dem Bann über König Ludwig in seinem Lande Genehmigung und Gel-
tung. Der EinlBuss der Litteratur wäre hinlänglich erkennbar, auch
wenn nicht von Johann v. Victring ausdrücklich bemerkt würde®'), dass
er dies that, „bewogen durch einen gemässigten Dialogu«:, den dei*
Engländer Occam Ord. Minor, über verschiedene Gegenstände und Lehren
unter der Einkleidung eines fragenden Schülers und antwortenden Lehrers
veröffentlicht hatte".
Weiter erzählt Johann von Victring: „Ludwig hatte Legisten bei
sich, die seine Thaten begünstigten, indem sie gegen den Papst schrieben
und ihn selbst wie es heisst einen Ketzer nannten".
Der Freund des Marsilius, Albertinus Mussatus, schreibt in seinem
Ludovicus Bavarus: „Darunter waren zwei Italiener, die Ludwigs Be-
ginnen unterstützten, von seiner Seite nimmer wichen und deren Rat
er hauptsächlich folgte : Marsiglio von Raimondini, Bürger und Plebeier
von Padua, der Philosophie kundig und beredet, und Ubertino da Casali,
ein Genueser, ein geriebener und talentvoller Mönch" ®®). . . . „Ausser-
dem verfassten diese Räte und Schriftsteller ein Handschreiben, worin
sie ihre Ansichten entwickelten und Johann selbst vielfältigen Irrtums
zeihten, dasselbe wurde in den römischen Kirchen verbreitet. Die Kunde
hiervon wurde über den ganzen Erdkreis verbreitet und regte die christ-
lichen Bewohner allerorts zum Studium der verschiedenen Ansichten an,
fast die ganze Christenheit wurde in zwei Parteien geschieden®^).
Aus dem Gebiete des rheinischen Städtebundes selbst aber tönt
uns ein hochwichtiges Zeugnis entgegen. Es schreibt der den Zünften
geneigte Fritsche Closener*®): „In den ziten, wart daz buch gemacht,
"') Bei Böhmer: Fontes rerum Germanicarum I, 447.
w) Boehmer: Fontes I 175 f.
"*) In Kolmar schieden sich die Bürger in die „Schwarzen" und „Blauen**
je, nach ihrer Parteistellung. Böhmer: Fontes I, 212. Über die Stimmung in
den deutschen Städten: Müller II, 50, 88, 189, 240.
^) Chroniken der deutschen Städte YIII, 70.
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Die kirchenpolitische Litteratar unter Ludwig dem Bayern. 117
daz do heisset defensor paeis. Daz bewiset mit redelichen sprQcbeo
der heiligen geschrift daz ein hobest ander eime keiser sol sin und
daz er kein weltlich herschaft sol han. Es bewiset ouch des bobestes
und der cardinal grit und ire Hofart und ihre simonie, die sü gewon-
lich tribent und sich das beschonend mit falschen glosen^.
Wohl das erste und einzige Mal, dass ein mittelalterlicher Chronist
als ein Ereignis das Erscheinen eines Buches notiert!
Übrigens beabsichtigten Marsilius und seine Grenossen auch durch-
aus nicht, blos gelehrte Untersuchungen zu liefern, sie wollten praktische
Erfolge erzielen, woUten auf die öffentliche Meinung und auf das staatliche
Leben Einflnss gewinnen. In seinen Vorreden*^) erklärt Marsilius, den
Defensor pacis geschrieben zu haben, um einen neuen, dem Aristoteles
noch unbekannten Feind, dem Klerikalismus, die Maske abzureissen,
damit er aus Staaten und Städten fOrderbin leicht beseitigt werde ; und
um der Anmassung der Geistlichkeit, die ununterbrochen Keime der
Zwietracht in Staaten und Städten säe, noch wirksamer zu begegnen,
habe er die Hauptsätze seines Buches auch separat herausgegeben.
In der That ist diese Zusammenstellung der Hauptthesen des De-
fensor pacis, die Conclusionen ^^) durch Prägnanz und Knappheit des
Ausdrucks, wie das Somnium Yiridarii mit der Disputatio inter militem
et clericum durch die leichtfliessende und populäre Diktion zur Massen-
verbreitung wohl geeignet.
Blicken wir zum Schluss unserer Erörterung auf die Hauptpunkte
derselben zurück.
Wir sahen, dass die kirchenpolitische Litteratar unter und seit
Ludwig dem Bayern die Gerichtsexemtion und Gerichtshoheit der Geist-
lichen, die Steuerfreiheit der Kapitalien und Grundstücke von Kirchen
und Klöstern, sowie die persönliche Steuerfreiheit der Kleriker mit den
kritischen Waffen des Verstandes und der Berufung auf die hl. Schrift
als ungebührlich erwies: bald darauf hob man in den Städten diese
Privilegien auf.
Wir fanden, dass die Litteratur die Herrschaft der Geschlechter
als nachteilig für das Gesamtinteresse verwirft, und unter dem Schlag-
•') Goldast m, 155, 309.
*^ Die 42 Conclusionen des defensor pacis kehren, nach mehr als
einem halben Jahrtausend, zum grossen Teil wörtlich in dem päpstlichen
Syllabus vom 8. Dez. 1864 wieder und werden da als Irrtümer des modernen
Liberalismus verdammt! Gewiss ein grossartiges Zeugnis für die Bedeutung
derselben!
WMtd. ZeiUehr. t Oeioh. v. Kunst. VIU, I. 9
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118
J. B. Seidenberger.
Worte qaod omnes tangit per omnes tractari debet die radikalste Volks-
souveränetät lehrt: in den Städten stflrzte man die Geschlechterherr-
schaft und allerorts, hier langsamer, dort rascher, wurden Regiment und
Gesetzgebung aus dem Rat in die Gemeindeversammlung verlegt.
Die Litteratur verkündete, dass nach natürlichem und göttlichem
Recht allen Menschen dieselbe Freiheit und Gleichheit zustehe, und
mit Berufung auf das Naturrecht beseitigte man in Mainz die sozialen
Vorrechte der Geschlechter.
In der Litteratur wie in den St&dten bemerkten wir eine allge-
meine Gährung, ein Drängen und Streben, ein Loslösen vom Bestehenden ^'),
Keime neuer Staatsauffassung, neuer Weltanschauung, in Litteratur wie
im Leben überall moderne Luft^).
Wir schlössen auf einen inneren Zusammenhang gemäss dem
Worte Schopenhauer 's : „Die jedesmalige Philosophie ist der Grundbass
jeder Zeit".
•') Vergl. auch Schmoller: Strassburg zur Zeit der Zuuftkämpfe 20 f.
^Iq einer Reihe von Städten knüpft sich an diese gewaltige kirchliche Er-
regung der Sieg der Zünfte über das Patriciat" ; daselbst 26. Schmoller :
Die Strassburger Tucher- und Weberzunft S. 114, 115.
•*) Vergl. auch : C. Müller a. a. 0. II, 261 f., Riezler a. a. 0. 295 f.
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Beiträge zur Geschichte der Narbonensischen Provinz.
Von Prof. Otto Hirsehfeld in Berlin.
Die politische Gestaltung der Narbonensischen Provinz geht in
ihren wesentlichen Zügen aaf den Dictator Caesar zurück. So dürftig
auch die Nachrichten sind, die wir über den Zustand derselben seit
ihrer Eroberung bis auf seine Zeit besitzen — wir würden besser unter-
richtet sein, wenn nicht Ciceros Rede für Fonteius in so trümmer-
haftem Zustande uns überkommen wäre — so kann doch darüber kein
Zweifel obwalten, dass erst seit Caesar von einer planmässig durchge-
führten Organisation der Provinz überhaupt gesprochen werden kann.
Die Machtstellung der im Jahre 600 von Phokaeem gegründeten Griechen-
stadt Massalia, welche die ganze Südküste Galliens und einen bedeutenden
Teil des Rhonethals beherrschte oder wenigstens durch ihre Faktoreien
in Abhängigkeit erhielt, war mit einer durchgreifenden, einheitlichen
Gestaltunig nach römischer Weise überhaupt nicht vereinbar und erst
der Widerstand, welchen dieselbe Caesar auf seinem Zuge gegen die
Pompejaner in Spanien entgegensetzte, bot ihm die erwünschte Hand-
habe, diesen Griechenstaat inmitten römischen Gebietes, der Jahrhunderte
lang der Träger und Verbreiter griechischer Kultur und Sprache in
dem barbarischen Westen gewesen war, politisch zu vernichten. Man
wird sich daher kaum entschliessen können, den Angaben Caesars über
die verräterische Haltung Massalias unbedingten Glauben zu schenken,
and auch seine eigene Darstellung lässt keinen Zweifel darüber, dass er
die Stadt, die nichts sehnlicher, als die Aufrechterhaltung strengster
Neutralität in diesem Kampfe wünschte, gewaltsam zur Entscheidung
gedrängt hat, um dieses Hindernis zur Durchftlhrung seiner Pläne recht-
zeitig aus dem Wege zu räumen. Allerdings hat er die, im Vergleich
zu den Aufgaben, die ihn beschäftigten, verhältnismässig untergeordnete
WMtd. ZelUobr. f. OMoh. u. Knnit VUI, TL 10
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120 0. Hirschfeld
Organisation der Sfldprovinz nicht sofort in Angriff nehmen können;
aber dass er dieselbe nicht aas den Angen verloren hat, bezeogt die
Gründung der Kolonieen Forum Julii, Arelate, Arausio, Baeterrae und
die Verstärkung der Narbonensischen Kolonie, die im Jahre 708 sein
Quästor Ti. Claudius, der Vater des Kaisers Tiberius, in seinem Auf-
trage vollzogen hat^). Das eingezogene Gebiet Massalias hat fast aus-
schliesslich zur Ausstattung dieser Kolonieen gedient, unter denen Arelate,
das nach inschriftlichen Zeugnissen bis an die Thore von Aquae Sextiae
sich erstreckt und wahrscheinlich über Marseille hinaus den ganzen
Südosten des heutigen dipartemerU des Bauches du Rhone bis nach
Toulon umfasst hat^, den Löwenanteil erhielt. So durchgreifend aber
die Massregeln Caesars im Süden der Narbonensis gewesen sind, sfi
w:enig scheint er im Norden und Osten der Provinz geändert zu haben.
Sowohl das umfangreiche Gebiet der Vocontier mit ihren Hauptstädten
Vasio und Lucus, als auch das durch die Alpen und den Genfer See
begrenzte, die Danphin6 und den grössten Teil Savoyens umfassende
Territorium der einst so mächtigen, dann aber von römischer Bedrückung
schwer heimgesuchten Allobroger mit ihrer Hauptstadt Vienna hat Caesar
in seiner ursprünglichen Ausdehnung ungeteilt erhalten, den Vocontiem
sogar ihre nationale Verfassung und Unabhängigkeit von dem procon-
sularischen Regiment auf Grund eines Foedus gewährleistet^. Viel-
leicht bestimmte ihn zu der Rücksicht auf diese bereits einigermassen
von römischer Civilisation berührten Gemeinden die Hoffnung, durch sie
auf ihre noch ganz barbarischen Stammesbrüder im Norden Einfluss zu
üben, vielleicht wirkte auch die Dankbarkeit für das ablehnende Verhalten
der Allobroger gegenüber den Lockungen des Vercingetorix mit^), keines-
falls ist es ein Zufall, dass sämtliche auf Caesar zurückgehende Kolonieen,
mit Ausnahme der den Rhoneübergang beherrschenden Städte Arausio und
Valentia, an oder in unmittelbarer Nähe der Meeresküste und zwar auf dem
*) Suetonius Tiber, c. 4: pater Tiberi^ quaestor C. Caesaris . , . ad
deducendas in GäUiam cotonias^ in quis Narbo et Ardate erant, missus est.
Da nur diese beiden Kolonieen als Juliae Patetnae bezeichnet werden, so ist
mit Wahrscheinlichkeit vermutet worden, dass nur sie bei Lebzeiten Caesars,
die übrigen zwar auf seine Anordnung, aber erst (wie die colonia Genetiva
in Spanien) nach seinem Tode deducirt worden seien.
«) Vgl. Jullian BuGeHn Spigraphtque ö S. 166 ff.; CIL. XII p. 83 u. 817.
') Vgl. meine Gallischen Studien in den Sitzungsberichten der Wiener
Akademie CHI, 1 S. 289 ff. Die den Vocontiem gewährte Föderativstellung
gehört vielleicht bereits der Zeit vor Caesar an.
*) Caesar bell. Gall. 7, 65.
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Beiträge zur Geschichte der Narboiiensischen Provinz. 121
confiscierten Gebiete von Massalia sich befinden, während die eigentlich
gallischen Gemeinden nicht in ihrem Besitzstande verkarzt worden sind,
am römischen Ansiedlem eine Stätte zu bereiten. Freilich moss man
dabei in Betracht ziehen, dass eine vollständige Besitzergreifung der
Provinz bis auf Caesars Zeit überhaupt noch nicht erfolgt war und die
abgelegeneren Teile derselben sich wohl einer thatsächlichen Unabhängig-
keit erfreut haben. Aber doch treten die Züge der Caesarischen Ko-
lonialpolitik hier deutlich zu Tage: an Stelle der Unterjochung und
Vergewaltigung der Provinzen das entschiedene Bestreben, das unter-
worfene Land zu heben und durch Anlage von Marktflecken (ford) und
Städten latinischen Rechts, die nach italischem Muster organisiert waren
und den Ehrennamen coUmia tragen ^), deren Bevölkerung aber grossen-
teils aus einheimischen Elementen bestand, für die vollständige Romanisie-
rung vorzubereiten. Der Unterschied dieser wesentlich keltischen Gemeinden
zu den römischen Bürgerkolonieen ist noch bis in die spätere Eaiserzeit
scharf empfunden worden und tritt unverhüllt zu Tage in dem feind-
lichen Gegensatz der beiden Grenzstädte Lugudunum und Vienna : irent
uUoreSy so ermuntern im J. 69 die Bewohner Lyons den Valens zur
Plünderung des reichen Vienna, exscinderent sedem Gallid belli: cuncta
illic externa et hostilia; se coloniam Bomanam et partem exercitm et
prasperartim adversarumque rerum socios^.
Dass Caesar den Plan gehabt hat, den Süden des Landes von
den neu erworbenen Teilen des übrigen Gallien dauernd loszulösen, ist
nicht wahrscheinlich. Wenn auch die wenigen Jahre, die zwischen der
Besitzergreifung des Landes und der Ermordung des Eroberers liegen,
eine sichere Beurteilung seiner weitreichenden Pläne nicht verstatten, so
ist doch beachtenswert, dass er im J. 706/707 die Verwaltung des
gesamten transalpinischen Galliens in die Hand des D. Brutus gelegt
hat. Allerdings hat er dann kurz vor seinem Tode Lepidus für die
Statthalterschaft der Narbonensis und des diesseitigen Spanien, dagegen
Munatius Plauens für die neuen gallischen Provinzen designiert, doch
zeigt schon die Kombination von Südgallien und Spanien, dass eine
dauernde Einrichtung damit nicht geschaffen werden sollte. Auch Au-
gustus hat vielleicht, als er bei der Teilung der Provinzen im J. 727
^) Vgl. über diesen vielleicht nur hier nachweisbaren Gebrauch oder
vielmehr Missbranch des Namens oohnia für Städte latinischen Rechtes (oppida
Latina heissen sie korrekt bei Plinius) Herzog OäUiae Narbonensis historia
S. 100 ff. ; CU.. XU praef. p. XH.
•) Tacitus histor, I c. 65.
10»
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122 0. Hinchfeld
die Narbonensis sich zuteilen Hess, beabsichtigt, sie gemeinsam mit dem
übrigen Gallien za verwalten; bereits flinf Jahre später hat er jedoch
die Provinz dem Senat überlassen and seitdem ist sie dauernd dem-
selben verblieben. So unbedeutend dieser Wechsel, der durch die not-
wendig gewordene Übernahme Dalmatiens in kaiserliche Verwaltung,
vielleicht auch durch die Furcht vor einer zu engen Verbindung der
alten Provinz mit den erst eben unterworfenen Stammesgenossen ver-
anlasst war, auf den ersten Blick erscheinen kann, so bedeutsam ist
er fOr die langsame und unvollkommene Civilisation des ganzen Westen
geworden. Es war ein politischer Fehler, den Caesar schwerlich be-
gangen haben würde, den bis zu einem gewissen Grade bereits romani-
sierten Süden von dem Barbarengebiet im Norden und Westen abzu-
trennen und damit eine Assimilierung der stammverwandten Gebiete zu
verhindern. So hat, abgesehen von der das ganze gallische Gebiet um-
schliessenden Einfuhrsteuer, der guadragesima Galliarum, in der ganzen
Kaiserzeit ein innerer Zusammenhang zwischen dem Süden und den
übrigen Teilen Galliens nicht stattgefunden und während man sich
mehr und mehr gewöhnte, dia Narbonensis als die Fortsetzung von
Italien anzusehen, hat der Norden und insbesondere der Nordwesten
Galliens seinen keltischen Charakter bewahrt, ^ie andererseits im Süd-
westen, in Aquitanien, das iberische Element von dem römischen nie-
mals ganz verdrängt worden ist.
Die Grenzen der Narbonensis, wie sie die geographischen Schrift-
steller und in poetischer Schilderung Ausonius^ angeben, bilden im
Süden das Meer und die Pyrenäen, im Westen die Garonne und das
langgestreckte Cevennengebirge, im Norden die Rhone und der Genfer
See, im Osten die Alpen ^. Ihrer günstigen Lage, als Vermittlerin des
^ Ausonius dar, urb. heisst es v. 115 (ed. Schenkl): uaque in TeiUo-
sagos paganaque nomina Bdcas (Bdoos Paris. 8500). Wohl richtig ist in der
Vulgata Tectosagos und Volcas eingesetzt; zu verstehen sind am Schloss ohne
Zweifel die Vcicae Ärecomici, deren Namen Ausonius nicht in den Vers bringen
konnte und das Wort mit ynofirj = pagua in Verbindung bringend, durch
pagana nomina wiedergab. Eine ähnliche etymologische Spielerei bietet v. 160 :
Divana CdUurum lingua, föns addOe divis, vgl. Vinet zu der Stelle und Jullian
inscriptions Born, de Bordeaux L (1887) S. 58.
«) Vgl. CIL. XII praef, p. Xm. Dass ein Teil des nördlichen Ufers
des Genfer Sees mit der colonia Jtdia Equedris in der älteren Kaiserzeit zur
Narbonensis gehört hat, ist nicht unwahrscheinlich, vgl. Mommsen in CIL.
XII p. 654 : *aut admittendum est mdiore aeUUe Noviodunensea Narbonensi pro-
vincia comprehensos fuisse out a Uugis absUnuisse utpote ooUmoe Bomanos'; auch
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Beiträge zur Geschichte der Narbooensischen Provinz. 123
italischen Handels nach Spanien und dem gesamten Westen nicht minder,
als der ausserordentlichen Fruchtbarkeit ihres Bodens, verdankt die
Provinz den überraschenden Aufschwung, den sie bereits in der ersten
Kaiserzeit genommen hat. Vorzügliche Kommunikationen erleichterten
den Verkehr im Lande selbst und nach aussen hin: wahrscheinlich bis
auf die Phönizier, die an der gallischen SüdkOste zahlreiche Handels-
faktoreien hatten und deren Erbschaft die Massalioten angetreten haben,
geht die Anlage der grossen Strasse längs dem Meeresgestade von den
Alpen bis zur Rhone zurück, eine Fortsetzung der Etrurien durch-
schneidenden Aurelischen und der Ligurischen Küstenstrasse. Auch die
VerlÄngerung derselben von der Rhone bis zu den Pyrenäen, die ihren
Namen dem Besieger der Arvemer Gn. Domitius Ahenobarbus verdankt,
ist unzweifelhaft eine ältere, vielleicht gleichfalls phönizische Anlage,
denn hier ist, wie einst der Sage nach Heracles, so sicherlich Hannibal
von Spanien bis zur Rhone marschiert, und auch die Art, in der
Polybius derselben gedenkt, weist auf einen nicht erst zu seiner Zeit
begonnenen Strassenbau unzweideutig hin^).
Neben diesem Küstenwege, der von Rom bis Gades lief, haben
die Römer durch eine Reihe ktlhn angelegter Alpenstrassen die Ver-
bindung Italiens mit dem Westen eröffnet und für alle Zeiten gesichert.
Auch hier hat es freilich schon in älterer Zeit nicht ganz an Verkehrs-
wegen gefehlt: drei Alpenstrassen, durch das Gebiet der Tauriner,
Salasser und Raeter, kennt bereits Polybius; über den Mont Gen^vre
ist möglicherweise Hannibal nach Italien, sicher Pompeius gegen Ser-
die enge Verbindung zwischen Vienna und Noviodunum, die in der Beklei-
dung von Ämtern in beiden Städten durch dieselbe Persönlichkeit (G. XII
n. 2606. 2607 ; Inscr. Helv. suppl. I n. 10) oder von Ämtern in Vienna durch
einen aus Noviodunum stammenden (n. 2608 ^liUeris optimis formae vetustae':
Tribus Gomelia) hervortritt, ist kaum denkbar, wenn in jener Zeit die
Städte verschiedenen Provinzen angehört haben. Die Hypothese J. J. Müllers
(Nyon zur Römerzeit), der die unzweifelhaft auf Vienna bezüglichen Ämter
der coiama Julia Equestris zuweisen und ein doppeltes, auf beiden Seiten des
Sees gelegenes und teils zu der einen, teils zu der anderen Gemeinde ge-
höriges Genava annehmen will, ist zwar mit Recht von Gh. Morel: Qenhoe
et la cdUmie de Vienne (Genf 1888) S. 226 ff. zurückgewiesen worden; aber
wohl kann man die Frage aufwerfen, ob nicht Genava, wo die Grabsteine
zweier allem Anschein nach aus Nyon stammender Männer gefunden sind
und wohl auch ursprünglich gestanden haben (G. XH Nr. 2608. 2614), ur-
sprünglich zur cöloma Equestris gehört habe und erst bei Zuweisung der-
selben zur Belgica an Vienna gefallen sei.
•) Vgl. GIL. XII p. 666.
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124 0. Hirschfeld
torius gezogen und hat dort eine Strasse angelegt, auf der dann Caesar
seinen ersten Einzug in Gallien gehalten hat. Aber erst mit Augostus,
dessen Verdienste um die Hebung des Verkehrs bei der Würdigung
seines Regierungswerkes nicht in letzter Linie in Betracht gezogen wer-
den dürfen, nimmt der Wegebau einen ungeahnten Aufschwung, wie im
ganzen römischen Reich, so auch in den gallischen Provinzen. Von
Turin über Susa, Brian^on, Embrun, Gap, längs der Durance bis St.
R6my und weiter nach Arles führte die wichtigste Strasse über den
Mont G^nävre, die Cottius, der Sohn des Königs Donnus, auf des
Kaisers GeheiSs herstellte ^**). Zwei grosse Wege zweigen sich von dieser
Hauptverkehrsader ab: der eine von Brian^on über Grenoble nach
Vienne, der andere von Gap durch das Gebiet der Vocontier nach
Valence führend. Eine weit geringere Bedeutung haben die Strassen
über den grossen und kleinen St. Bernhard (die Alpis Poenina und
Graia) für die Narbonensis gehabt : die erstere von Mailand nach Mainz
führend und erst in nachaugustischer Zeit fahrbar gemacht, kommt
überhaupt nur für die nordöstlichsten Gebiete dieser Provinz in Be-
tracht, während die letztere, von Aosta durch das Thal der Isöre nach
Vienne laufend und zwei Nebenstrassen nach Norden auf Genf und bis
nach Strassburg hin entsendend, <*zwar schon von Caesar benutzt worden
ist, aber erst nach Ausrottung der räuberischen Salasser im J. 729,
die fort und fort die Strasse unsicher machten, eine grössere Frequenz
als nächste Verbindung zwischen Italien und dem nördlichen Teil der.
Narbonensis erlangt hat.
Den Verkehr im Inneren des Landes vermittelte die Strasse längs
der Rhone von Arles nach Lyon und den dazwischen am Ufer des
Flusses liegenden blühenden Städten : Vienna, Valentia, Arausio, Avennio,
auf der die Waren vom mittelländischen Meere nach dem Norden gingen.
Auch diese Strasse, deren Anlage aus Missverständnis einer Angabe
Strabos^^) dem Agrippa gemeinhin zugeschrieben wird, ist allem An-
schein nach weit älter als die Römerherrschaft in Gallien und die Ge-
fahren des Transportes auf dem reissenden Rhonestrome haben wohl
bereits in früher Zeit zu der Herstellung einer Kommunikation längs
dem Flussufer geführt.
In auffallendem Gegensatz zu dem von grossen Strassenzügen
durchschnittenen und mit blühenden Städten dicht besetzten Gebiet auf
»«) Vgl. Mommsen im CIL. V, p. 809.
") Vgl. darüber CIL. XH p. 656.
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Beiträge zur Geschichte der Narbonensischen Provinz. 125
der linken Seite der Rhone steht das nrsprünglich zu Aquitanien von
Aagostos geschlagene Land der Heivier (oder Helver) und der Areco-
mischen Volker, das ausser Nemansus keine Stadt von einiger Bedeu-
tung — denn auch Alba Helvorum scheint nur ein Landstädtchen
untergeordneten Ranges gewesen zu sein — und bis in die Mitte des
zweiten Jahrhunderts n. Chr. keine grosse Strasse aufzuweisen hat. In
den antiken Reisebachern, deren Vorlage vielleicht bis auf Hadrian zu-
rückreicht, findet sich hier Oberhaupt keine Heerstrasse verzeichnet und
erst Inschriftenfunde neueren Datums haben ergeben, dass Antoninus
Pins, ohne Zweifel aus Fürsorge für Nemausus, die Heimat seiner Vor-
fahren, in einem und demselben Jahre zwei Strassen von Alba aus an-
gelegt hat, von denen die eine die Hauptstadt der Heivier mit Nemausus
verband, während die andere, von Alba südlich am Rhoneufer entlang
laufend, im dritten Jahrhundert, wohl aus militärischen Gründen, nörd-
lich bis nach Vienna weitergeführt worden ist.
Zahlreiche Kaiser der ersten vier Jahrhunderte finden sich auf
den Meilensteinen der die Narbonensis ^^) durchschneidenden Strassen
verzeichnet: in erster Linie Augustus, der in den Jahren 741/2, dann
751, 752/3, 754 dem Südosten des Landes, im J. 751 der Via
Domitia und gegen Ende seiner Regierung (13/14 n. Chr.) dem
äussersten Westen seine Thätigkeit zugewandt hat. Tiberius im J.
31/32 und Claudius unmittelbar nach seinem Regierungsantritt'^) haben
an den Strassen von Antipolis nach Reii, von Aquae Sextiae nach
Arelate, an der Rhoneufer-Strasse und der Domitischen Chaussee um-
fassende Restaurationen vorgenommen, Nero im J. 58 für die Aus-
besserung der Strasse von Forum Julii nach Aquae Sextiae gesorgt,
während die folgenden Kaiser bis einschliesslich Hadrian**), wie aus
dem Schweigen der zahlreichen Meilensteine mit annähernder Sicherheit
geschlossen werden kann, für den Wegebau in der Narbonensis nichts
^') Die in der Schweiz gefundenen Meilensteine der über den grossen
St Bernhard und von Lyon nach Genf führenden Strassen habe ich hier
nicht berücksichtigt ; die ersteren bieten die Namen des Claudius, Gallus und
Volusianus, Diocletianus nnd seiner Mitregenten und Nachfolger bis auf Con-
stantinus I; die letzteren beginnen mit Trigan und gehen bis auf Constantius
herab.
'^ Nur ein Meilenstein (n. 5666) der Via Domitia oder vielleicht ei-
ner Seitenstrasse derselben ist aus dem J. 47/48, die übrigen aus den J. 41
und 43/44.
") Die schlecht überlieferte Inschrift n. 5507 aus Vaison wird schwer-
lich auf Trojan bezogen werden dürfen.
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126 0. Hirschfeld
gethan haben. Um so energischer hat sich Antoninns Pins dieser Auf-
gabe nnterzogen: wir finden seinen Namen auf den Meilensteinen so-
wohl im Osten des Landes (Forom Julii nach Aqnae Sextiae im J.
145; von dort nach Arelate im J. 139; (lettische Alpenstrasse im J.
144), als an dem linken Rhonenfer nnd der Via Domitia (in den J. 145
und 147), vor allem aber, wie schon bemerkt, als Erbaner der von
Alba ans laufenden Strasse auf dem rechten Rhonenfer (im J. 145).
Dann tritt wieder eine lange Pause ein und abgesehen von einer durch
Caracalla, wahrscheinlich bei seinem Aufenthalt in Gallien im J. 213
vollzogenen Ausbesserung der Strasse von Ventia nach Reii, hat erst
Maximinus und nach ihm verschiedene Kaiser im 3. und 4. Jahrhundert
den Wegebau in der Narbonensis gepflegt, in umfassendster Weise Con-
stantinus I, dessen Namen sowohl als Caesar wie als Augustus auf den
Meilensteinen fast sämtlicher Narbonensischer Chausseen häufig wieder-
kehrt. Abgeschlossen wird die stattliche Reihe der Wegeinschriften
durch einen Stein von Arles (n. 5494) vom J. 435, der die Auf-
richtung von Meilensteinen auf dem Wege von Arelate nach Massilia
durch den praefeäus praäorio GaUiarum ÄuxiUaris unter Theodosius II
und Valentinianus Hl berichtet.
Die Namen der Kaiser stehen regelmässig im Nominativ, nur auf
den Meilensteinen des Antoninus Pius am rechten Rhoneufer im Ab-
lativ; der Dativ, der z. B. auf den afrikanischen Meilensteinen seit
Septimius Severus häufig ist, lässt sich in der Narbonensis überhaupt
nicht mit Sicherheit belegen. Der Name des proconsularischen Statt-
halters erscheint hier ebensowenig, als in den übrigen Senatsprovinzen ^^) ;
denn der Bau der auch in den provinciae mermes zunächst für mili-
tärische Zwecke angelegten grossen Chausseen gehört offenbar zu den
^^) Die einzige mir bekannte Ausnahme macht der in zwei Exemplaren
erhaltene, unmittelbar nach Tibers Regierungsantritt gesetzte Meilenstein
(C. VIII n. 10018 und 10023), auf dem in eigentamiich unverbundener Weise
der Kaiser, der Proconsul Asprenas und die den Weg bauende dritte Legion
neben einander stehen. Es ist dies wohl aus der exceptionellen Stellung
des in jener Zeit noch mit dem Legionskommando betrauten Statthalters von
Afrika zu erklären. Auf den Meilensteinen Asiens findet sich dazu kein
Analogon. In Bithynien lassen Nero und Vespasian die Wege durch ihre
Prokuratoren C. Julius Aquila und L. Antonius Naso herstellen (C. III n.
346 und suppiem. 6993 = eph. V n. 96); da aber letzterer auch auf einer
bithynischen Münze wiederkehrt (Eckhel II p. 404, cf. IV p. 251), so hat
damals die Provinz vorübergehend unter kaiserlicher Verwaltung gestanden
(vgl. auch Borghesi I p. 510).
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Beiträge zur Geschichte der Karbonensischen Provinz. 127
dem kaiserlichen Imperium in den Senatsprovinzen reservierten Rechten.
Wenn aber auch Tiberius und Claudius durch Beifügung der Worte
refecU et restituü als Wiederhersteller der Strassen ausdrücklich bezeich-
net werden, so berechtigt dies noch keinesw^s zu dem Schluss, dass
sie resp. der Fiskus die Kosten dafür auch nur zum Teil getragen
haben. Vielmehr spricht der Umstand, dass auf den Strassen der
Narbonensis eine durchgehende Zählung nicht stattfindet, sondern die
Nummern die Entfernung von den zunäqhst liegenden grösseren Ge-
meinden, wie Forum Julii, Aquae Sextiae, Arelate, Nemausus, Narbo,
Tolosa angeben, dafür, dass die Wege nicht auf Kosten der Regierung,
sondern der Gemeinden hier, wie in anderen Provinzen *^) und in Ober-
italien, in Stand gehalten worden sind. Die Anlage neuer Strassen,
insbesondere der Alpenstrassen, durch Augustus oder, wie der Strasse
über die Alpes Ck)ttiae, durch einen von ihm beauftragten Yasallen-
fürsten, ist allerdings ohne Zweifel ganz oder teilweise aus fiskalischen
Geldern bestritten worden, gleichwie die Kosten der via Domitia in
republikanischer Zeit sicherlich grossenteils von dem römischen Aerarium
getragen worden sind*'). Nur zwei erst in neuester Zeit zu Tage ge-
tretene Meilensteine aus der Zeit des Augustus, die der Verlängerung
der via Domitia nach Aquitanien (Burdigah) und Spanien (Tarraco-
Kartbago Nova-Gades) angehören, unterscheiden sich von den übrigen
insofern, als hier neben den Distanceziffern von Narbo sich Doppelzahlen
finden, die schon durch ihre Höhe (921 und 902 auf dem einen, 917
und 898 auf dem andern) keinen Zweifel darüber lassen, dass sie die
Entfernung von Rom^®) anzuzeigen bestimmt sind. Demnach werden
diese Strassen im äussersten Südwesten des Landes wahrscheinlich auf
gemeinschaftliche Kosten des Kaisers und der Narbonensischen Gemeinde
in den Jahren 752/3 resp. 766/7 angelegt worden sein, während die
ebenfalls unter Augustus vollzogene Restauration der via Domitia allem
Anschein nach den einzelnen an ihr goldenen Gemeinden zur Last ge-
fallen ist.
**) Über die Verschiedenheit der auf StaatskosteD erbauten und der
Munizipal-Strassen in Afrika, von denen die ersteren von Karthago oder dem
Legionslager ab fortlaufend numerierte Meilensteine haben, die anderen nach
den städtischen Territorien zählen, vgl. Mommsen in CIL. Vm S. 869 fP.
'^ Vgl. Mommsen St-R. JP S. 454. Für die Instandhaltung derselben
und die Verpflichtung der Provinzialen zur Hilfeleistung dabei ist lehrreich
Cicero pro Fonteio c. 8.
*^) Ober die daför in Betracht kommenden Strassen vgl. C. XII p. 667.
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128 0. fiirschfeld
Verfolgt man den Lauf der das südliche Gallien durchschneiden-
den Chansseen, so springt in die Augen, dass vor allem Arelate ein
Knotenpunkt des gesamten Verkehrs werden musste. Hier mündet die
aus Italien kommende Küstenstrasse aus, um dann von der via Domitia
westwärts fortgeführt zu werden; hier finden ihr Ende ebenso eine
zweite Reichsstrasse aus Italien über den Mont Gren^vre, wie die von
Lugudunum kommende Rhonestrasse, die den gesamten Verkehr mit
dem Norden vermittelte. Daher die grosse Blüte und kommerzielle
Bedeutung der Stadt, die sowohl von den Schriftstellern der verschie-
densten Jahrhunderte bezeugt wird, als auch unzweideutig in ihren
imposanten Monumenten und Inschriften zu Tage tritt. Als das gal-
lische Rom preist es Ausonius; zutreffender würde er es das gallische
Ostia genannt haben, als dessen Abbild Arelate mit seinen in fünf
Körperschaften gegliederten Seeschiffem, zu denen sich noch die Fluss-
schiffer auf dem Rhodanus und der wohl nur mit Kähnen befahrenen
Druentia gesellen, mit seinen korporierten Zimmerleuten und Schiffs-
bauem und mit seinen auf orientalischen Verkehr weisenden Isispriestern
bezeichnet werden darf. Schon Caesar hatte Arelate, wie es scheint
die einzige bei seinen Lebzeiten neugegründete Kolonie in Südfrank-
reich *^), zur Erbin des Massaliotischen Handels, ebenso wie des grössten
Teils des Grebietes von Massalia, ausersehen und seine Nachfolger haben
der rasch aufblühenden Stadt ihre Gunst nicht entzogen. Aber den
Höhepunkt seiner Entwickelung hat Arelate erst nach dem Niedergang
von Lugudunum erreicht, vorzüglich seit Constantin der Grosse die
Stadt erweitert, verschönt und zu seiner Residenz in Gallien erkoren
hatte. Als maier omnium Galliarum erscheint sie in kaiserlichen
Erlassen aus dem Ende des vierten Jahrhunderts und ihren Handel
preist ein offizielles Schriftstück des J. 418*®) mit folgenden enthu-
siastischen Worten: Uanfa entm loci oppartunitas , tanta est copia
commerciorum j tanta Ulk frequentia conimeantium , ut quicquid us-
quam nascitur, illic commodius distrahatur, Quicquid enim dives
OrienSt quicquid odoraius Arabs, quicquid delicatus Ässj/rius^ quod
Äfrica fcrtilis, quod speciosa Hispania. quod fecunda Gullia potest
habere praeclarum, ita illic affatim exuberat quasi ibi nascantur
omnia\ Mag diese Schilderung auch dem phrasenhaften Schwulst
jener Zeit entsprechend übertrieben sein, so ist doch unzweifelhaft
Arelate in jener Zeit weitaus der bedeutendste Handelsplatz des ganzen
*•) Siehe oben Anm. 1.
*^) Die Zeugnisse sind angeftlhrt C. XII p. 83-84.
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Beiträge zur Geschichte der Narbonensischen Provinz. 129
Nordens des römischen Reiches and wenn auch nicht die grösste, so
doch die reichste Stadt in Frankreich gewesen. — Im Osten des Lan-
des verdient, da Massalias Handel durch Caesar den Todesstoss er-
halten hatte, Forum Julii (Fröjus) wesentlich als Eriegshafen ange-
legt war**) und Aquae Sextiae, wie auch die Rhonestadte Avennio,
Arausio, Yalentia nur eine massige Entwickelung gehabt zu haben
schienen, allein Vienna, die Hauptstadt der Allobroger, Erwähnung,
das an Umfang des Gebietes die erste Stelle in der Narbonensis
einnimmt und infolge seiner gQnstigen Lage am Schnittpunkte des
Rhonewegs mit den über den kleinen St. Bernhard und dem Mont
Gen^vre laufenden Alpenstrassen berufen erschien, für den Landhandel
nach dem Norden ein wichtiger Stapelplatz zu werden. Aber die über-
raschend schnelle Entwickelung des benachbarten Lugudunum hat die
Blüte der Narbonensischen Grenzstadt im Keime einstickt und so scheint
es wenigstens seit dem Ende des Julisch - Claudischen Herrscherhauses
auf den Vertrieb der heimischen Produkte, unter denen das vlnum
picatum auch in Rom Liebhaber fand und hoch bezahlt wurde, im
wesentlichen beschränkt geblieben zu sein.
Jenseits der Rhone haben nur zwei Orte, Nemausus und Narbo,
sich über das gewöhnliche Niveau der Provinzialst^dte erhoben, während
die zwischen denselben gelegene Caesarische Kolonie Baeterrae nur eine
kurze Blüte und die ^Pallasstadt' Tolosa höchstens als Studiensilz eine
gewisse Bedeutung in der frühen und späten Kaiserzeit gehabt zu haben
scheint. Nemausus, der Vorort der Arekomischen Volker, verdankt
seinen Aufschwung der Gunst des Augustus, der hier nach den be-
kannten Krokodilmünzen und anderen Anzeichen zu schliessen, Soldaten
des bei der Einnahme von Alexandria beteiligten Heeres angesiedelt zu
haben scheint**) und im J. 738 die Stadt mit Mauern und Thoren,
von denen eins noch steht, versehen hat. Dem Andenken seiner durch
vorzeitigen Tod hingerafften Enkel, von denen der ältere als Patron
der Kolonie bezeichnet wird, ist, wie die von Signier gedeuteten Nagel-
spuren der Inschrift erweisen, die noch fast unversehrt erhaltene Maison
Carröe von den dankbaren Nemausensern gewidmet worden. Den Höhe-
punkt ihrer Entwickelung hat jedoch die Stadt erst unter der Herr-
schaft des stammverwandten Antoninus Pius erreicht, der durch Anlage
81) Vgl. Camille Jullian: Frijus Bomcun. Paris 1886.
") Vgl. Wiener Studien 5 S. 320 ff. und C. XII p. 8^3; wann Ne-
mausus römische Kolonie geworden ist, lässt sich mit Sicherheit nicht ent-
scheiden.
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130 ö. Hirschfeld
der Strassen auf dem rechten Rhoneafer dem Handel von Nemausos neue
Bahnen eröffnet und vielleicht sogar den Sitz des Statthalters von Narbo
hierher verlegt hat^^). Die massenhaften Inschriften, die grossenteils
der zweiten Hälfte des zweiten Jahrhunderts angehören, elegant in Ma-
terial, Omamentierung nnd Schrift, aber nichtssagend im Inhalt und in
der Form durchaus schematisch, tragen so recht die Signatur dieser
'glQcklichsten Zeit der Menschheit', in der man die innere Hohlheit und
F&nhiis mit einer zierlichen Halle noch notdürftig zu drapieren ver-
standen hat.
Einen eigentQmlichen Gregensatz zu Nemausus bietet die alte
Landeshauptstadt Narbo. Seit frühester Zeit hat sich hier am Flusse
Atax im Lande der Elesyker eine keltische Ansiedelung befunden, die
als i|Ji7c6ptov xal 116X1^ KeXttxifj bereits bei Hecataeus, dem Vorläufer
Herodots, genannt und von Polybius neben Massalia zu den bedeu-
tendsten Städten Galliens gezählt wird. Kurz nach der Besitzergreifung
des Landes durch die Römer, im J. 636, ist trotz des hartnäckigen
Widerstandes des Senats, in Fortführung der weitschauenden Politik
des C. Gracchus, die erste überseeische Bürgerkolonie im äussersten
Westen der neuen Provinz gegründet worden, eine Lage, die einerseits
im Hinblick auf die unmittelbare Nachbarschaft des bereits seit fast
einem Jahrhundert okkupierten Spanien^), andererseits mit Rücksicht
auf die den Osten beherrschende verbündete Griechenstadt gewählt sein
dürfte ^^). Aus welchen Teilen Italiens die neue nach dem Kriegsgotte
*') Dass Antoninus Pins seine Meilensteine nicht, wie Tiberios, von
Narbo, sondern von Nemausus aus zählt, ist allerdmgs nicht entscheidend.
Schwerer fällt ins Gewicht, dass sowohl die Dedikationen an die Narbonen-
sischen Prokonsnln (0. 3163. 3170), als auch die Inschriften der flamines
prxmnciae (8183. 3184. 3212. 3213. 3275) hier gefunden sind. Dass das tau-
roMiutn pravindae Narbonensis für Severus und Caracalla (n. 4323) in
Narbo ausgerichtet wird, kann, wenn auch Narbo nicht mehr politische
Hauptstadt war, auf religiöser Satzung beruhen. — Bemerkenswert ist auch,
dass der ardo von Nemausus der einzige in Gallia Narbonensis ist, dem das
Epitheton splendidissimus beigelegt wird. Für die Rangstellung der Stadt
ist bezeichnend, dass Decurionen von Reii und der Sanitienses es nicht ver-
schmäht haben, decuriones omamentarii in Nemausus zu werden, eine Würde,
die sonst den Nemausischen Augustalen, denen der Weg zur Curie ver-
schlossen war, verliehen zu werden pflegte; vgl. C. XII index p. 940.
**) So ist auch Lugudunum im äussersten Südosten der tres OdUiae
an der Grenze der Narbonensis zur Hauptstadt ausersehen worden.
*') Wahrscheinlich aus demselben Grunde ist das in unmittelbarer Nähe
von Massalia gelegene Aquae Sextiae erst von Caesar aus einem befestigten
Flecken (castdium) zum Rang einer latinischen Kolonie erhoben worden.
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Beiträge zur Geschichte der Narbonensischen Provinz. 131
benannte Kolonie ihre Einwohner erhalten hat, darüber schweigen unsere
Berichte; aber die gerade in den ältesten Inschriften von Narbo auf-
tretenden italischen Namen, die freilich zum Teil den von Caesar im
J. 708 deduzierten Kolonisten angehören können, lassen keinen Zweifel
darüber, dass der Kern der römischen Bevölkerung in Narbo aus Mittel-
italien, insbesondere aus Umbrien, Picenum und Etrurien gekommen
ist'^. So treten in den Narbonensiscben Inschriften besonders zahlreich
die auf den Ursprung aas Picenum und den Abruzzen^^) weisenden
Gentilnamen auf -enus entgegen, wie Didienus, Jegienus (Jegius und
J^dius auch in CIL. IX und XI n. 3447 und auf arretinischen
Gefässen), Irpienus, Sariolenus, Satrienus (Satrenus und Satrenius auch
in italischen Inschriften), Septimenus (daneben Septimiena), Tet-
tienns, Yettienus, Yotienus, Usulenus, femer der in einer zwar
verlorenen, aber zuverlässig überlieferten Inschrift erscheinende Name
Lafrena, der in erwünschter Weise bestätigt, dass der Führer der
Italiker in Picenum nicht T. Afranius, sondern, wie bereits Zange-
meister auf Grund eines neuerdings gefundenen Schleuderbleies mit der
Aufschrift T L^ PR nachgewiesen hat*®), T. Lafrenius oder Lafrenus
geheissen hat. Aber auch zahlreiche andere Namen in Narbo weisen
deutlich auf die mittelitalische Herkunft der Kolonisten hin: so der
besonders im Frentaner-Lande heimische Paquius*^), femer der meines
Wissens nur noch in einer Inschrift von Hispellum nachweisbare Name
Falius; so erscheint ferner das Cognomen Alaucus ausser Narbo nur in
einer alten Inschrift von Spoletium (CIL. I 1406) und einem zwar in
Spanien gefundenen, aber ohne Zweifel aus Italien importierten Grefäss
(CIL. n 4970^*). Etmskische Namen, wie Spurinna, Perperaa, Sisenna,
^) Wenn einmal die Sammlung der Inschriften Mittelitaliens vollständig
vorliegen wird, so wird sich einerseits die Gebundenheit gewisser Namens-
gruppen an die Stämme und Landschaften Italiens schärfer begrenzen lassen,
andererseits die Verbreitung und Verteilung der italischen Namen in den
Provinzen auf die Geschichte der römischen Kolonisation nicht unwichtige*
Schlüsse zu ziehen verstatten.
'^) Mommsen Unterital. Dialekte S. 362 Anm. 8; vgl. Hübner ephem.
epigr. 2 S. 27 ff.; die in CIL. IX vorkommenden Namen smd gesperrt
gedruckt
**) CIL. IX 6086*. Auch in einer bei Trebiae in Umbrien gefundenen
Inschrift (Sanai edifiju cU SpoUto 1869 p. 298 n. 125) wird ein C. Lafrenius
P. /. Ouf(eraina) genannt.
^) Mommsen Unteritalische Dialekte S. 284.
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132 0. Hirecbfeld
Caecina, selbst ein Tolumnius and eine Tanaqail fehlen in Narbo nicht ^).
Zieht man dazu die Falle echt italischer Namen, zum Teil selbst solche,
die in italischen Inschriften verhältnismässig selten auftreten ^^), die in
Narbo nicht minder, als in Mittelitalien häufige Verwendung des
(= obiit) und vivus oder vivU in Grabschriften, andererseits das Fehlen
der keltischen ascia^^) und keltischer Inschiiften, wie auch die Selten-
heit keltischer Namen ^% so erhält • man ' den durch die äussere Form
und die Art der Abfassung der Inschriften verstärkten Eindruck einer
durchaus italischen Stadt auf fremdem Boden, einer nach Ciceros Aus-
spruch echten colonia nostrorum civium et specula popuU Romanik in
der sowohl die einheimische Bevölkerung, die sogenannten Atacini, ganz
zurücktreten und sich wahrscheinlich rasch den römischen Einwanderern
assimiliert haben, als auch andere fremde Elemente nur einen geringen
Teil der Bevölkerung ausgemacht haben können'*).
Schon dieser Umstand, insbesondere das gänzliche Fehlen orien-
talischer Elemente'*) in Narbo ist geeignet Zweifel zu erwecken, ob
^) Auch das in Narbo nachweisbare Cognomen Mahes findet sich auf
arretinischen Gefössen (vgl. Gamurrini le ücriziom degli anticM oasi fUHli
Ärretini Roma 1859 p. 39 n. 195 ; vgl. C. XII 5686"» und in einer Flo-
rentiner Inschrift: C XI 1611 (Mahena: C. IX 5610); doch ist dieser Name
(Mdrjg) wohl orientalischen Ursprungs.
»0 So finden sich die Namen Akanius (bull, d, J. 1857 p. 65), Appaeus,
Atinas, Aviedius, Aurunceius, Gaberius (Varro r. r. II, 3, 10), Geganius,
Meclonius, Nerfinius, Obinius, Rabirius, Safinius, Scanianius, Segolatius, Serve-
nius, Sontoseius, Terefius und Terefrius, Veiatius, Vifidius. Auch der Name
Occius scheint in Etrurien heimisch zu sein, vgl. C. VI 221 v. 6 (Blera) und
XI 3254 und 3949.
**) C. XII index p. 965 : 'ascia in titulis coiomae Narbanensis rarissime
invenitur,
»*) So Congennicus, Atepomarus, Litugena, vielleicht auch Giamillus.
^) An Zuzüglern aus dem benachbarten Spanien hat es natürlich nicht
ganz gefehlt, so findet sich ein Gastwirt aus Tarraco (n. 4377) und ein
eques Bomantis ex Hispania citeriore S€gobrigens(is) : n. 4536 (vgl. auch
die Anm. zu n. 4529). Von gallischen Städten ist besonders Forum Julii, da-
neben Aquae Sextiae und andere vertreten. — Auf Zuzug aus Italien, noch
im Beginn der Kaiserzeit, weist der aedüis (et) quinquennalis Fundis (n. 4357)
und vielleicht die Erwähnung von Copia (n. 4531), wenn hier Thurii und
nicht Lugudunum zu verstehen ist; zweifelhaft ist die Beziehung auf Aecla-
num n. 4379 und 4526. Ein Umber ex decuria lictorum viatarum: n. 4448.
»*) Griechische Inschriften sind in Narbo überhaupt nicht zum Vor-
schein gekommen; von orientalischen Namen wüsste ich nur Phrafafies (die
Überlieferung ist unsicher) zu nennen.
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Beiträge zur Geschichte der Narhonensischen Provinz. 133
diese Stadt jemals, auch nach dem Niedergang von Massalia, ein Han-
delsplatz im grossen Stil gewesen ist, wie man nach den Angaben der
Schriftsteller eigentlich glauben sollte. Diodor (V, 38) berichtet, dass
das britannische Zinn auf Pferden teils nach Massalia, teils nach Narbo
gebracht wurde und fügt hinzu: Mas ist eine Kolonie der Römer, die
infolge ihrer günstigen Lage und ihres Wohlstandes der bedeutendste
Handelsplatz in jener Gegend ist'. Ähnlich spricht sich Strabo (IV c. 1)
aus, der Narbo als |i£ytaxov efiTOptov, dagegen Arelate nur als ä|i7c6ptov
o5 [icxp6v und als Stapelplatz von ganz Gallien bezeichnet, und noch
Ausonius preist mit überschwänglichen Worten ihren überseeischen und
Binnenhandel. Aber die monumentalen Zeugnisse, obwohl sie grossen-
teils gerade der ersten Kaiserzeit angehören, stehen damit wenig im
Einklang, denn so zahlreich gerade in Narbo Inschriften von Krämern
und Handwerkern : von Bohnen-, Speck- und Ölh&ndlern, Leinwand- und
Kleiderhändlern, Gast- und Kneipwirten, Bäckern und Barbieren, Glasern,
Zimmerleuten, Schmieden und Sattlern zu Tage getreten sind, so fehlen
doch gerade, abgesehen von den zweimal erwähnten Seeschiffem, die
grossen Handelskorporationen, die uns in Lugudunum entgegentreten'^.
Die Lage Narbos, entfernt von Italien, den Alpenstrassen und der
Rhone, ist für einen Handelsplatz wenig günstig gewesen und selbst die
aus Spanien kommenden Waren haben sicher nur zum geringsten Teil
ihren Weg über die Pyrenäen und Narbo genommen. Mag die Stadt auch
in der ersten Kaiserzeit, der die meisten und schönsten hiscl^riftlichen
Denkmäler Narbos angehören, als Hauptstadt der Provinz eine hervor-
ragende Stellung in Gallien eingenommen haben — stellt sie doch Strabo
an Einwohnerzahl weit über Nemausus, ja selbst über Lugudunum '') — ,
so ist ihre Blütezeit sicher von kurzer Dauer gewesen und insbesondere
nach dem grossen Brande unter Antoninus Pius, der einen beträcht-
lichen Teil der Stadt in Asche legte, scheint sie von Nemausus voll-
ständig überflügelt zu sein und ihre frühere Bedeutung, so sehr auch
die gallischen Dichter des vierten und fünften Jahrhunderts noch ihr
Lob singen, nicht wiedererlangt zu haben.
*•) Vgl. Allmer revue epigr, U p. 122 ff.: Jes commerces de Narbonne,
cTArles ei de Lyon,
*') Strabo IV, 1, 12: Nifiavaog xara fiev z6v dkkoz^iov ox^ov xal
TÖv ifinoQtxöv noH NiXQßcovog Xsinofi^vrjy xara 81 rov noXittxüv vniQßcilkovaa
und IV. 3, 2: Aovydowov tvavSQtt fiäXiara tcov kIIoüv uXtjvI Nctgßcovog. —
Die Rangfolge der Städte im zweiten Jahrhundert kann man wohl aus der
Inschrift (XII 3203) eines Sevir in vier gallischen Städten erschliessen, in der
die Sevirate in folgender Reihenfolge aufgeführt werden : 1) Lugudunum 2) Narbo
3) Arausio 4) Forum Julii.
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134 0. Hirschfeld
Nicht nur io Narbo und Arelate, diesen Typen römischer StAdte
in Gallien, sondern auch in den übrigen grösseren Gemeinden der Nar-
bonensis, wie in Nemaasas and Yienna, ist etwa seit dem zweiten Jahr-
hundert der Kaiserzeit von nationaler Eigenart kaum mehr eine Spar
za entdecken. Dass aber der Romanisierungsprozess sich überall in
gleicher Weise and Schnelligkeit vollzogen habe und das Wort des
Plinius, die Narbonensis sei Balia v^ius quam provmcia für alle Gregen-
den des Landes zutreffend sei, wird nur der oberflächliche Beobachter
anzunehmen geneigt sein. Wenn auch abgesehen von den beiden civi-
(ates foederatae der Narbonensis : Massalia und den Yocontiern, über die
ich an einem anderen Orte gehandelt habe*®), in der Munizipalver-
fassung sich nur vereinzelte Spuren vorrömischer Institutionen erhalten
haben '^, so hat doch vorzüglich in den von dem grossen Verkehr
wenig berührten Gegenden, die heimische Sprache und der nationale
Glaube einen zwar passiven, aber um so zäheren Widerstand geleistet.
Die Zahl der bis jetzt zu Tage getretenen keltischen Inschriften, sämt-
lich in der Gallia Narbonensis in griechischer Schrift, d. h. in dem
von Massalia den Kelten übermittelten Alphabet geschrieben, ist zwar
^) Gallische Studien I in Sitz.-Ber. der Wiener Akademie 103, 1
S. 271 ff.
"*) Dazu wird man die Prätoren zu zählen haben, femer wahrschein-
lich die ElfmlUmer in Nemausus, yielleicht auch die iresviri locorum pubU-
corum persequendarum in Yienna, die Morel Geneve et la coUniie de Vierme
(1888) S. 84 gewiss nicht mit Recht als eine Institution des Tiberius ansieht.
Auch die Scheidung der höchsten Beamten nach Rechtsprechung und Kassen-
verwaltung ist nur in Vienna (duoviri aerarü neben den duoüiri iure dkundo)
und Nemausus (quattucrmri ab aerario oder ad aerarkm) nachweisbar (die
Antipolitaner Inschrift n. 180 ist zweifelhafter Ergänzung), ausserhalb der
Narbonensis nur in einer einzigen Inschrift des benachbarten Lugudunum eines
Provinzialpriesters, der seine municipalen Würden übrigens allem Anschein
nach nicht in Lyon bekleidet hat Wahrscheinlich ist der grosse Um&ng
des zu Vienna und Nemausus gehörigen Gebietes für diese Teilung der Ge-
schäfte unter die Oberbeamten massgebend und die daneben auftretenden
Quästoren in ihrem Wirkungskreise auf das städtische Gebiet beschränkt ge-
wesen, worauf der regelmässig bei diesem Amte erscheinende Zusatz cöUmiae
Virnnensis resp. Nemausensia zu deuten scheint, vgl. G. XII p. 219; etwas
anders fasst das Verhältnis Morel a. a. 0. S. 90. — Der praefectus vigüum
et a/rmarum in Nemausus ist dagegen wohl auf alexandrinisches Vorbild zurück-
zuführen und die decuriones omamentam^ die in der Narbonensis ebenfalls
nur in dieser Stadt und zwar als feste Rangklasse auftreten (vgl n. 3058:
dec[urty>mbu8 Nemausensium et Qmameniaf[üs\ singutis (denarios) V üa ut
in pMioo vescerentur distribui iussit) sind sicherlich italischen Mustern entlehnt
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Beiträge zur Geschichte der Narbonensischen Provinz. 135
nicht bedeutend*^ und bis jetzt auf die Departements Bouches-du-
Rhöne, Vancluse und Gard beschränkt, doch lässt einerseits der Um-
stand, dass etwa ^/s derselben erst in den letzten Dezennien zu Tage
getreten sind, reichlichere Funde fi&r die Zukunft hoffen, da man in
früherer Zeit diese unansehnlichen und unverständlichen Steine, die
grossenteils nur Namen enthalten, unentziffert zerstört haben wird, an-
dererseits beweist die geringe Verwendung der keltischen Sprache för
die Weih- und Grabdenkmäler, wie mit Recht bemerkt worden ist, noch
kdneswegs für das Verschwinden derselben im mündlichen Verkehr ^^).
Mag aber auch in Südfrankreich sich in Sprache und Namengebung^^
der Assinulierungsprozess bereits unter den ersten Kaisern im wesent-
lichen vollzogen haben, so ist doch den nationalen Gt)ttheiten, wenn
auch zum Teil unter römischen Namen, ein längeres Dasein beschieden
gewesen. Abgesehen von dem auch am Rhein und in Britannien weit
verbreiteten keltischen Cult der Matres als lokaler Schutzgottheiten ^^,
der Fatae und der besonders in Nemausus und Umgegend verehrten
*^) Es sind 25 (vgl. C. XII index p. 966) ; am zahlreichsten treten sie
in der Umgegend von Apta auf, wozu sehr wohl der rustike und von römi-
scher Kultur kaum berührte Charakter dieser Gegend stimmt.
*^) Vgl. Hettner 'zur Kultur von Germanien und Gallia Belgica' in
Wd. Zs. II, 1883 S. 7. Die Zeugnisse für Fortdauer der keltischen Sprache
in Gallien (vgl. Budinszky die Ausbreitung der lateinischen Sprache S. 114 ff.)
beziehen sich nicht auf die Narbonensis.
*^ Die bemerkenswerten Singularitäten der Namengebung in den Nar-
bonensischen Inschriften sind zusammengestellt G. XII index p. 962 ; vgl. be-
sonders die nicht zahlreichen Fälle der Bildung eines römischen Gentilnamens
aus dem keltischen Individualnamen des Vaters; auf zahlreiche Bildungen
dieser Art im Norden von Gallien hat Hettner in dem Anm. 41 genannten
Aufsatze hingewiesen.
*^ Vgl. auch die Matres Pannoniarum et Ddmatarum in der Lyoner
Inschrift bei Boissieu inscr. de Lyon p. 59, doch ist bemerkenswerter Weise
in den Donauländern bis jetzt kein einziges Zeugnis für den Kult der Matres,
wenigstens unter diesem Namen, zu Tage getreten, so dass hier wohl die
Benennung auf Rechnung des vielleicht aus Germanien stammenden Dedi-
kanten zu setzen sein wird. — Der in Oberitalien, wo gleichfalls der Name
Matres fehlt, und Germanien so stark vertretene Kult der Matronae ist in
der Narbonensis nirgends nachweisbar; die einzige Matroneninschrift im 12.
Bande des Corpus (n. 100) gehört den Alpes Graiae an. Doch hält Max
Ihm in seiner sorgfiütigen Schrift: 'Der Mütter- oder Matronenkultus und
seine Denkmäler' (Bonn 1887) S. 11 mit Recht Matres und Matronae für
gleichwertige Bezeichnungen derselben Gottheiten. Vgl. auch Siebourg 'zum
Matronenkultus' in Wd. Zs. VII, 1888, S. 99 ff., der sie auch mit den
Junones und Suleviae gleicht
WMtd. ZtiUohr. f. Getoh. n. Kmitt. Vm, U. 11
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136 0. Hirschfeld
Proxumae*^) treten keltische Götter teils in Verbindung mit römi-
schen Gottheiten, teils als Beinamen derselben, teils selbständig auf ^'^^
die grossenteils als lokale Schatzgottheiten angesehen werden müssen ^^.
Dieser nationale Cnlt ist nicht etwa nur anf die Dörfer und
kleineren Orte, wie Apta, Carpentorate, Dea and Yasio beschränkt
geblieben, sondern hat anch in den (}rossstädten , insbesondere in
Nemaasos sich behauptet, während in Yienna trotz seiner allobrogi-
schen Bevölkerung die nationalen Gottheiten gegen die römischen auf-
fallend zurücktreten. Undenkbar ist es nicht, dass Augustus, wenn
er sich auch nicht zu einem gewaltsamen Einschreiten gegen den kel-
tischen Göttercult, vrie gegen das politisch gefährliche Druidentum ver-
anlasst sehen mochte, denselben doch in der Narbonensis auf die Ver-
ehrung der kleinen Lokalgottheiten beschränkt hat, während die grosse
gallische Götter-Trias : Teutates, Hesus, Taranis, die auf dem Altar der
Pariser Schiffer noch unter Tiberius erscheint, hier ausnahmslos durch
die römischen Namen Mars, Jupiter und vielleicht Mercurius ersetzt
worden ist. Insbesondere Mercurius finden wir, entsprechend der be-
kannten Nachricht Caesars ^^), auch in der Narbonensis auf zahlreichen
Monumenten in seinen verschiedenen Eigenschaften als Mercurius Viator,
Finitimus, Negotiator (nicht selten mit dem Attribut des Geldbeutels)
gefeiert und kaum minder häufig sind die Dedikationen an Jupiter und
Juno, während die von Caesar ebenfalls zu den Hauptgöttem der Gallier
gezählten Apollo und Minerva spärlicher vertreten sind. Dem keltischen
Donnergotte Taranis entspricht der Jupiter Fulgur Fulmen einer In-
schrift von Vienna und die Häufigkeit der Blitzgräber zeugt von einer
ausgebildeten procuratio fulminum; das oft auf gallischen Jupiter-
steinen eingemeisselte Rad hat noch keine sichere Deutung gefunden^*).
**) Eine vollständige Sammlung ihrer Denkmäler giebt Ihm in der A. 43
genannten Schrift S. 175 £; ich verweise auf seine Ausführungen S. 96 ff.
^ Die Beispiele bietet der Index zu CIL. XH S. 924 ff.
^) So Aramo in Aramon, Letinno in Ledenon, Nemausus in Nimes,
die dea Soio in Soyons, Trittia in Trete, Yasio in Vaison, Vintius in Yence.
*^ Caesar b. G. VI, 17: deum maxime Mercurmm colurU: huius sunt
plurma smulacrOf hunc omnium inventorem artium feruntj Jmnc viarum atque
üinerum ducenty hunc ad quaestus pecuniae fnercaiurasque habere mm maxmam
arbiiraniur. Posi hunc ApoUinem et Martern et Jovem et Minerwim,
*^) Das Rad auf Jupitersteinen der Narbonensis : C. XII index p. 925 ;
dasselbe findet sich auch auf dem Altar der Pariser Schiffer und neben dem
Blitz auf zwei in England gefundenen Jupiter • Dedikationen der cohors 11
Tungrorum: CIL. YII n. 879 und 882, vgl. n. 825; andere keltische Monu-
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Beitrl^e zur Geschichte der NarboneDsischen Provinz. 137
Kmner aber von den römischen (}öttem, aosser Mercnrins, z&hlt so zahl-
reiche Denkmäler in der Narbonensis^ als Mars. Aber nicht oder doch
keineswegs ausschliesslich als Eriegsgott, sondern wie einerseits die zahl-
reichen lokalen Beinamen des GotteiB, andererseits die im Westen der Nar-
bonensis zum Vorschein gekommenen Marti suo dedicierten Inschriften^^)
zeigen, als schätzender Genins ist dieser Gott hier verehrt worden und
in gleichem Sinne werden auch die neben zwei keltischen Gottheiten
genannten Martes^) aufzufassen sein. — Eine ganz singulare Erschei-
nung bietet endlich Silvanus, auf dessen Steinen sich in der Regel ein
oder mehrere kleine Hämmer ^^) mit oder ohne Inschrift befinden. Dass
derselbe mit dem römischen Silvanus nur eine sehr entfernte Ähnlich-
keit gehabt haben kann und wahrscheinlich nur als ein zum Walde in
Beziehung stdiender Gott seinen römischen Namen erhalten hat, ist
kaum zu bezweifeln; aber das Dunkel, das aber den keltischen Olymp
gebreitet ist, ist noch zu wenig gelichtet, um ihn auch nur mit einiger
Wahrscheinlichkeit mit seinem ursprünglichen Namen zu benennen ^^.
Eine durchaus untergeordnete Rolle spielen neben diesem natio-
nalen Kult die orientalischen Gottheiten, denen nur vereinzelte Altäre
und selbst diese zum Teil von geborenen Orientalen'^') geweiht sind.
mente bei Tillefosse revue airchioliogiquey B. 41 (1881) S. 1 ff.; Hettner in
dieser Zeitschrift IE, S. 27 ff. Als Symbol der Sonne deutet es Gaidoz
U dieu Gatdois du Soleä d le symbolisme de la rauey rev. archSoi. 1884 ~ 86.
*^) CIL. XII n. 2986. 4221. 4222. 5377; ebenso wird zu fassen sein
Floms I, 20: Ärümsto duce vovere de nostrarum mäiium . praeda Marti suo
iorquem. Auch in den neuerdings in Britannien zum Vorschein gekommenen
Inschriften des Mars Thingsus und der beiden Alaesiagae Beda und Fimmi-
lena wird Mars nicht als Eriegsgott, sondern als Schutzgott zu fassen sein;
den an diese Inschriften geknüpften Ausführungen Scherers über Tius-Mars
(Sitz.-Ber. d. Beri. Akad. 1884 S. 574 ff.) kann ich nicht beitreten. Daher
wird der Kriegsgott zuweilen ausdrücklich als Mars militaris gekennzeichnet :
CIL. Vn n. 390—391; Brambach L Rh. n. 467.
^) CIL. XII n. 4218: Divannoni Binomogetimaro Martib(us),
*') Vgl. die bei Grimm Deutsche Mythologie (Nachträge) HI* S. 67
angeföhrten Worte des Saxo (ed. Holder p. 421): inter cetera trophaeorum
suarum insignüi^ inttsitati pondens mäHeos, guos Joviales vocdbant, apud insu-
larutn quandam prisca virorum rdigione cuHos, in patriam deportandos curavü,
Cupiens emm atitiquüas tonitruorum causas usitata rerum simäitudine compre"
hendere, maüeos quibus codi fragores cieri credebat, ingenti (a)ere oompUxafuerat.
^') Die von Mowat {huü, Spigr. de la Oaule l S. 62 ff.) versuchte Iden-
tifikation des Silvanus mit Esus halte ich nicht für zutreffend.
^) So ist der Altar des Jupiter Heliopolitanus in Nimes von einem
Berytenser geweiht (n. 3072), die griechisch - lateinische Inschrift des Belus
in Vaison (n. 1277) anscheinend ebenfalls von einem Orientalen.
11*
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138 0. Hinehfeld
Weitere Yerbreitnng ist allein dem Dienst der Magna Mat^^) mit
seinen Taorobolien zn Teil geworden, die wohl als unschädlicher Ersatz
an Stelle der im keltischen Götterdienst fiblichen Menschenopfer getreten
sein mögen. Wie in Aqoitanien Lactora, so sind hier Dea Aogosta
im Yocontier-Gebiet, daneben Valentia nnd selbst Narbo Stätten dieses
im ganzen römischen Reich verbreiteten Knltos geworden, der wenigstens
im dritten Jahrhundert nachweislich einen offiziellen Charakter getragen
nnd in enger Beziehung zn dem Kaiserknlte gestanden hat. Hat sich
demnach die Narbonensis im ganzen ablehnend gegen die orientalischen
Götter verhalten, so ist dagegen vom Orient her schon in frflher Zeit
das Christentom den Galliem gekommen nnd hat hier willige Aufnahme
gefunden. Der bekannte Brief der Christen in Yienne und Lyon an
die Brüder in Asien und Phrygien mit seiner ergreifenden Schilderung
des unter Marc Aurel erlittenen Martyriums enthüllt uns in über-
raschender Weise das Bestehen einer zahlreichen von kleinasiatischen
Christen gestifteten Gemeinde, die hier, an der Grenze der Narbonensis
und der Lugdunensis zahlreiche Proselyten, besonders auch unter den
Frauen, in kurzer Zeit zu gewinnen verstanden hatten. Aber vergeb-
lich würde man suchen, in den gleichzeitigen Inschriften eine Spur da-
von zu entdecken: unter den zahlreichen christlichen Grabschriften, die
in Südfrankreich zu Tage getreten sind, gehört weitaus die grösste
Masse dem fünften und sechsten Jahrhundert an und nur zwei in dem
benachbarten Anbagne und Marseille gefundene christliche Inschriften
könnten etwa biö in die Zeit jener Verfolgung zurückreichen ^*). Jahr-
hunderte lang ist unzweifelhaft den Christen nicht verstattet worden,
auf ihren Grabsteinen offenes Zeugnis von ihrem Glauben abzulegen:
nur schüchtern und unter den in heidnischen Grabschriften üblichen
Formeln versteckt finden sich hier und da Andeutungen, Namen und
Symbole, die auf die Zugehörigkeit des Bestatteten zu der Christenge-
meinde in mehr oder minder sicherer Weise einen Schluss verstatten *•).
'^) Die von den Sueben verehrte Qöttin, die Tacitus (Germania c. 45)
als MaJter deum bezeichnet, steht mit diesem Culte sicher in keiner Ver-
bindung.
w) CIL. XU n. 489 (vgl. add. p. 813) und n. 611.
^) Dass auf zahlreichen christlichen Inschriften die heidnische Formel
D(i8) M(ambu8) erscheint, ist bekannt: Ferd. Becker *die heidnische Weihe-
formel D M' Gera 1881 ; vgl. auch die neuerdings in Afrika gefundene In-
schrift (£ph. epigr. VII n. 114) : d m 8 \ MecenaUa Secim \ duda CrisUana |
fiddis honesta fe \ mina, deren Gatte und Sohn, wenn dieselben auch nur als
vir honestus pius bezeichnet werden, doch ebenfalls Christen gewesen su sein
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Beiträge zur Geschichte der Narhonensischen Provinz. 139
Yor allem in Arelate, wo an Stelle und neben der Verbrennung die
Sitte der Beisetzung in Sarkophagen sicher schon in der ersten Hälfte
des dritten Jahrhunderts nachweisbar ist, hat das Christentum firQh
Eingang gefunden und nicht wenige der in dieser Handelsstadt gefun-
denen Grabschriften mögen heimlichen Bekennem des Christengottes an-
gehören, während von Nemausus und dem gesamten Gebiet der Volcae
Arecomici dasselbe selbst noch in der Zeit seiner unbedingten Herr-
schaft femgehalten zu sein scheint ^'^). Es würde wohl der Mühe wert
sein, in den Inschriften des gesamten Römerreiches dieser Geheimsprache
der ältesten Christen und ihren unter heidnischer Hülle durchschimmern-
den Erkennungszeichen nachzugehen ^®), wie dies für Gallien bereits von
scheinen. Erasion von D ' M : Kraus Real - Encyclopädie I S. 372 und dazu
CIL. XIY n. 9324. — Unter den zahlreichen neuerdings in Lyon n*e de
Trion aufgefundenen Inschriften (Allmer et Dissard : Trion. Lyon I 1887 ;
n 1888) gehören einige, etwa aus der ersten Hälfte des dritten Jahrhunderts,
allem Anschein nach Christen an ; so n. 55 mit den Schlussworten have Dülcüi,
Ckttidentius te salutat, Bonis bene (zwischen diesen beiden Worten und am Ende
von Z. 15 ein Palmzweig), femer vielleicht n. 57, wo wenigstens der das
Grabmal errichtende Val(erius) Primus Viperius seinem Namen Viperius und
der Bezeichnung als ihreptius {^(ftTtros = cUimnus) nach zu schliessen Christ
gewesen sein dürfte und n. 86 mit dem Anruf Eusebi vaie (in der Mitte eiu
Palmzweig). Auch in der Inschrift n. 68 d. m. L. Sept. Peregrmi adelfi
Traianensis möchte ich Adelfus nicht mit Allmer als Namen, sondern als
Bezeichnung der Zugehörigkeit zur christlichen Gemeinde (vgl. Kraus Real-
encyclop. I S. 540) fassen, umsomehf- als derselbe in n. 67 nur L. Sept.
Peregrinus heisst ; die griechische Benennung erklärt sich durch die Herkunft
seines Vaters aus Philippopolis.
*') Vgl. Leblant inscr. chrSHennes de la Gaule I prSface p. IX u. LVII ff.
Ehen oder Concubinate vornehmer zum Christentum bekehrter Frauen mit
Christen niederen Standes mögen im dritten Jahrhundert nicht selten gewesen
sein (vgl. De Rossi buü. di archeol, crist. 1866 p. 24; Friedlaender Sittenge-
schichte I* S. 506) } ein Beispiel davon giebt die mit Recht von Leblant für
christlich erklärte Inschrift CIL. XII n. 675: Hydriae TertuUae cflarissimae)
f(eminae) caniugi amantissimae d Axiae AeLianae ßiae dvMssimae TerenÜus
Museus hoc aepulchrum posuit, die sicherlich dem dritten Jahrhundert angehört;
die Frau scheint in erster Ehe an einen Axius Aelianus, vielleicht den in-
schriftlich bezeugten Prokurator des Severus Alezander verheiratet gewesen
zu sein.
**) Über die Ostiensischen Inschriften mit der Formel Jiic dormü (ohne
vorausgeschicktes DM) vgl. Dessau zu CIL. XIV n. 1876. Auch in den
Inschriften von PuteoH, wo bereits der Apostel Paulus eine christliche Ge-
meinde fand (acta apost. 28, 14), fehlt es nicht ganz an christlichen Indizien ;
so gehört meines Erachtens unzweifelhaft (anders Mommsen index p. 1176)
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140 0. Hirachfeld.
Leblant in umsichtiger Weise versucht worden ist^^. Immer deutlicher
wird dann zu Tage treten, dass gerade in den Caltnrcentren der antiken
Welt die Saat des Christentums am frühesten aufgegangen ist und die
römische Civilisation wider Willen dem neuen Glauben den Weg be-
reitet hat.
einem Christen an n. 2533: [Id]nuariu8 . . . fec(it) . . . hunc cubicidum . . .
[hiic erunt] ma(n)8uri solo perpe![tuo dwn ven]erit summa dies et [extremum (?)
t'\empu8. Vgl. auch die Inschrift eines Kindes von 4V> Jahren, das fide(m)
percepü mesorum VII: n. 2535 und eines Misenatischen Flottensoldaten in
Picentia mit Fisch, Kranz und Anker: CIL. X n. 8119.
»») Vgl. besonders LM&at l preface p. LVI flf., p. LXXIX und p. CXVIII
bis p. CXXXm wo er auf die Seltenheit der Angabe der tria rummay des Standes
{servusy liberiua)^ der Herkunft (Vater oder Heimat), eines Amtes oder Pro-
fession, der Erben oder Nachkommen hinweist. Doch sind auch solche An-
gaben den ältesten christlichen Inschriften keineswegs unbedingt fremd. Hin-
zuweisen ist aber femer auf die in christlichen Inschriften oft fehlende oder
nur ungefähre Angabe des Alters (wofür später die stehende Formel plus
minus eintritt), während dieselbe in den heidnischen Inschriften bis auf den
Tag, zuweilen selbst die Stunde sich regelmässig findet; dagegen wird der
Todestag, als Beginn des jenseitigen Lebens, auch in älteren christlichen In-
schriften oft vermerkt, während dies in heidnischen, insoweit dieselben nicht
Orientalen angehören, sehr selten ist (die Ostiensische Inschrift XIV n. 472
mit dem Schluss excessit anno urbis condkae DCCCXCVU vrird doch wohl
gefälscht sein). Auch Epitheta wie virgo, virginius und Virginia, hanestus mit
vir und femina verbunden, selbst santüssimus und castissima, wenn dieselben
auch auf heidnischen Grabschriften nicht selten begegnen, dürften sich bei
näherer Untersuchung als mit Vorliebe für Christen verwendet ergeben.
Feste Grenzen sind hier schwer zu ziehen ; die Verschiedenheit der religiösen
Anschauung bedingt überall den Charakter der Grabschriften : die heidnischen
sind bestimmt, das Andenken an die irdische Laufbahn zu erhalten und ver-
zeichnen daher mehr oder minder wertvolle Thatsachen aus dem Leben des
Verstorbenen, während die christlichen meist inhaltsleer sind, da der Blick
des Sterbenden und die Gedanken der Hinterbliebenen dem Jenseits zugewandt
sind und das Irdische, die abgestreifte Hülle, nicht als wert gilt, im Gedächt-
nis weiter fortzuleben.
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Die Neckar-MUmlinglinie von Schlossau an bis zur
liessisclien Grenze unweit Wörth a. Nl.
(ForUetsong su S. 52—70).
Von Friedr. Kofler in Darmstadt.
Wir begeben uns nan wieder zurück zum Hainhaus und treten von
Neuem unseren Marsch nach Norden an. 475 Schritt vom Kastell entfernt
und 48 Schritt rechts vom Wege liegt bereits ein ganz flacher, mit einem
seichten Graben umgebener Hügel, der die Spuren eines vor langer Zeit ge-
machten Eioffchnittes trägt. Es ist der Begleithügel eines Turmes, der allem
Anscheine nach gänzlich abgetragen wurde.
Indem wir nun den dicht dabei liegenden Weg überschreiten, der von
Kimbach nach Laudenbach führt, bringen uns von da ab 594 weitere Schritt
an die Kaltepastetenschneise. Zehn Schritt nördlich derselben und 37 Schritt
östlich vom Wege, im Distrikt Dickhecke, liegt ein in seinem Innern ausge-
brocbener Hügel von 12 m Dm., der noch Steine im starken Mauerverbande
zeigt 8 m nördlich erhebt sich ein zweiter Hügel von 10 m Dm., umgeben
von einem 5,5 m br. Graben. Dicht dabei entsprudelt dem Boden eine Quelle.
Die Entfernung von dem vorhergehenden Posten beträgt 619 Schritt.
610 Schritt von dieser Stelle, am Laudenbacher- und Diebsweg, ver-
lassen wir die breite Strasse, der wir seither gefolgt waren, schlagen
den östlich abzweigenden alten Lützelbacher- oder Wörther- Weg ein und
gelangen, der ältesten Strasse folgend, nach weiteren 416 Schritt im
Distrikte „Bruchrain*, 36 Schritt vom Wege an zwei Hügelreste. Der süd-
liche hat 14,70 m Dm. und ist von einem 5 m br. Graben umgeben ; der
nördliche hat einen Dm. von 11 m und eine Höhe von 1,50 m. Hier finden
sich behauene Steine und es ist daher anzunehmen, dass er ein Turmfimda-
ment umschlossen hat. Von dieser Stelle schaut man hinab in den östlich
davon liegenden Hollergraben und diesem entlang in das Haingrunder Thal.
Der Waldarbeiter Dosch aus Haingrund berichtete mir von einem angeblichen
Turmhügel, der am Ende der Säuwiese, gerade über dem Hollergraben und
etwa 400 Schritt südlich der eben erwähnten Stelle liegen soll, allein es war
mir nicht möglich, denselben aufzufinden.
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142 Fr. Kofler
Westlich von diesem Beobachtungsposten, in dem Distrikte „Eschern^
der Gemarkung Hainhaus, soll Mauerwerk im Boden stecken, dem man rö-
mischen Ursprung zuschreibt. Qrtlbl. d, bist. Ver. \88H, 3 u. 4. S. 83. Dem
Bruchrain abwärts gehend und dann der ^Klinge hinan gelangt man an einen
schmalen Gebirgssattel zwischen dem Breitenbrunner Thal und einem Seiten-
thälchen des Haingrunds, von dem ans man über Niederwald hinweg den
Breuberg und Otzberg in der Feme erblickt. Wendet man das Auge nach
Osten, so bemerkt man auf dem steilen Hange jenseits des Thaies eine alte
Strasse, welche von Lützel- Wiebeisbach kommt, über Haingrund und am
roten Heidenstock vorüber nach dem Maine zieht In Lützel- Wiebeisbacher
Gemarkung wird sie „Reiterspfad'', in Haingrunder „Heiden*- oder „Hühner-
pfad'' genannt
In der Klinge liegen in 1197 Schritt Abstand von dem Beobachtungs-
posten auf dem Bruchrain und 20 Schritt links vom Wege drei Hügel in der
Richtung SSW.— NNO. Der südlichste hat 12,20 m Dm. und ist von einem
über 4 m br. Graben umgeben. 24 m von ihm entfernt liegt der zweite, der
bei 1,40 m Höhe einen Dm. von 16 m zeigt, 7,70 m weiter nördlich der dritte
mit 14,80 Dm. und geringerer Höhe. Die beiden letzteren scheinen Turm-
hügel zu sein. Obgleich der Abstand von 1197 Schritt kein albsugrosser ge-
nannt werden kann, so vermute ich doch zwischen den beiden erwähnten
noch einen dritten Beobachtungsposten, der aber des dichten Unterholzes
wegen nicht aufgefunden werden konnte.
Folgt man der Strasse weitere 790 Schritt, so gelangt man an der
Breitenbrunner Grenze an die Stelle, wo Knapp ein kleines Kastell (R der
Karte) gesehen hat (S. 61), von dem er aber keine Grössenverhältnisse giebt
Auch die hess. Kommission bleibt uns dieselben schuldig, obgleich zur Zeit
ihrer Untersuchung die Fundamente des kleinen Kastelies noch im Boden
stecken mussten, da man sie, den allg. Angaben nach, erst vor vier Jahren
ausgebrochen hat. Nach den Aussagen der Breitenbrunner und Lützelbacher
Forstwarte lag es dicht am Wege; die genannte Kommission legt es „kaum
20 Schritt westlich von der Hochstrasse ". Es lag in dem Distrikt Windlücke
auf einem schmalen Gebirgssattel, der das Breitenbrunner Thal von dem
Haingrund trennt. Es ist so vollständig ausgegraben und geebnet, dass ich
keine Spur desselben in dem Gebüsche entdecken konnte.
In dem nahen Breitenbrunn wurden in einem Garten nahe bei der
Kirche die Grundmauern eines römischen Gebäudes von angeblich 28 m Länge
und 20 m Breite aufgedeckt und in dem von ihnen umschlossenen mit feinem
Estrich versehenen Räume Funde verschiedener römischer Gegenstände ge-
macht „Auch im Walddistrikte Steinhausen" — Rimhorner Gemarkung —
sagt der hess. Bericht, „hat man zu verschiedenen Malen römische Gebäude-
fundamente blossgelegt. Durch kleine Untersuchungen und Nachgrabungen
an dieser Stelle Überzeugten wir uns, dass hier ein römisches Werk vor-
handen. Ob Kastell oder bürgerliche Niederlassung konnte vorerst nicht
festgestellt werden". Ein Kastell ist hier nicht denkbar 1
Der Walddistrikt „Windlücke" grenzt an einen Bergrücken, genannt
„Bannholz", welcher in beinahe nördlicher Richtung bis in die Nähe von
Lützel-Wiebelsbach zieht. Seinem südlichen Hange hinauf führte einst die
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Die Neckar-Mümlinglinie von Schlossau an bis zur hess. firenze. 143
ahe Wörther- oder Hohe-Strasse, deren Spuren man noch im Niederwald und
auf Blossen findet Nur wenige Schritt unter dem Gipfel dieses Rdckens, in
700 Schritt Entfernung vom letztgenannten Kastelle und etwa 110 Schritt von
der jetzigen Strasse, liegen wiederum zwei Hagel über dem Höllgraben^ der
weiter unten in den Haingrund einmündet. Der sQdliche von 10,60 m Dm.
ist mit einem 5,70 m br. Graben umgeben, der nördliche hat 12,30 m Dm. und
scheint einst ein Turmfundament umschlossen zu haben, denn noch zeugen
umherliegende Steine mit dem daran haftenden Mörtel von einstigem Mauer-
werk. Beide Högel sind durchwühlt Da auch Herr Bezirksfeldwebel Giess
aus Höchst hier gegraben haben soll, so darf man wohl seinem Berichte in
nächster Zeit entgegensehen.
Von hier ab senkt sich der Berg allmählich bis zu dem Übergange
östlich von Lützelbach, doch nicht ohne sich noch einmal zu einer niedrigen
Kuppe zu erheben, von der aus man dem Tbale Brunnhölle entlang weithin
den Haingrund übersieht. Der Gesamtanlage entsprechend musste hier noch
ein Beobachtungsposten liegen, der denn auch nach einiger Mühe 802 Schritt
unterhalb des Breitenbrunner Bannholzes im Walddistrikt Lützelbacher
Bannholz gefunden ward und der hess. Kommission ebenfalls entgangen war.
Er liegt 140 Schritt rechts von der Wörther Strasse^ die jedenfalls früher weiter
östlich lief und 130 Schritt westlich des heutigen Grenzweges. Der Posten
besteht aus 3 Hügeln. Der erste, südliche, ist mit einem ca. 3,50 m breiten
flachen Graben umgeben, hat einen Dm. von 13 m und eine positive Höhe
von 1,20 m. Der nördliche Teil seines Grabens stösst an den Graben des
zweiten Hügels, der , eine Höhe von 80 cm und einen Dm. von 11 m hat
Sein zu einer Suhle erweiterter Graben hat eine durchschnittliche Breite von
7 m und zeigt am äusseren Rande einen Erdaufwurf. Der dritte, ganz flache
Hügel, liegt östlich von dem zweiten und unmittelbar an dessen Graben.
Da der Hügel I noch Turmfandamente zu bergen schien, so beschloss
ich denselben zu untersuchen, zu welchem Zwecke mir der historische Verein
för das Grossherz. Hessen die nötigen Mittel bevrilligte. Die Untersuchung
wurde in diesem Herbste ausgeführt und ergab ein leider stark beschädigtes,
ans Trockenmauern bestehendes Fundament von 5,20 m Länge und Breite
und 1 m Dicke, bei dem merkwürdigerweise die 4 Ecksteine fehlten. Das
Innere der Turmanlage enthielt eine 5 cm starke festgestampfte Schicht von
rotem Letten. Unter den Mauersteinen befanden sich nur einzelne, welche an
der Aussenfläche behauen waren. Die Mauerreste wurden auf Wunsch des
Herrn Bürgermeister Hom mit Rasen überdeckt.
Der zweite Hügel bestand fast durchweg aus Sand, der dem Graben
entnommen war; 55 cm unter der Mitte, also 25 cm über der Sohle zog eine
2 cm breite dunkle Erdschicht durch den Hügel. Der Erdaufwurf, welcher
den Graben umgiebt, mag bei der Erweiterung und Vertiefung des Grabens
zu der jetzt mit Wasser gefüllten Suhle entstanden sein.
Der dritte Hügel musste einen fest gemauerten Turm umschlossen
haben, denn ich fand bei den Nachgrabungen eine mit Mörtel überdeckte
Rollschicht von 5,60 m Länge und 5,20 m Breite, auf der noch sehr schöne
behauene Steine in festem Mauerverband sassen. Auch dieser Turm enthielt
in seinem Innern eine Schicht festgestampften roten Thons. Die Fundstücke
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144 Fr- Kofter
bestanden aus Scherben, thönerner Gefilsse, darunter auch ein kleines Stück-
chen terra sigillata, und einigen N&gehi.
900 Schritt weiter südlich senkt sich der Höhenrücken abermals und
es befindet sich daselbst der Übergang aus dem Haingrund nach dem Lützel-
bacher Thale. Auf dem kleinen Plateau, das der Gebirgszug dort bildet,
liegt linker Hand dicht an der Strasse das Kastell (T der Knappschen
Karte), genannt das Lützelbacher Schlösschen, dessen Grösse Knapp,
S. 61,^ auf 291 Schuh L&nge von N. nach S. und 230 Schuh Breite Yon 0. nach
W., also 83,03 : 66,62 m angiebt und die ich zu 68,40 : ö5,20 m bestimmte.
Knapp nahm bei der Mauer, sowohl aussen wie innen, behauene Bekleidsteine
an, doch sollen sich diese nach Aussage des Besitzers nur nach aussen be-
finden, ebensowenig soll sich Knapps Aussage bestätigen, dass sie durch
pfeilerartige Yorsprünge nach innen gestützt gewesen sei. Knapp nahm auch
nur ein Thor an, w&hrend jetzt schon zwei Thore mit ihren Türmen ausge-
gegraben sind (NOst- und SOst-Seite) und weitere Untersuchungen mindestens
noch ein Thor auf der SWest-Seite ergeben werden. Das Kastell ist so ge-
legen, dass die Ecken desselben etwa den Himmelsrichtungen entsprechen.
Das Museum in Wiesbaden besitzt von hier zwei Bildsteine : ein Mann unter
einem Eber liegend und ein Tympanon mit einer Victoria, v. Cohausen 39.
Es wird an derselben Stelle erw&hnt, dass nach den bei dem Kastelle ge-
fundenen Zinnendecksteinen die Zinnenmauer 34—35 cm stark war und die
Wimberge zwischen den Zinnenfenstem 8d cm Breite hatten. Eben daher
rührt ein glatter Bronzering, der in das Grossh. Museum gelangte, eine Silber-
münze von Sept. Severus und eine Bronzemünze mit undeutlichem Gepr&ge.
Im westl. Teile des Kastelles macht sich an einer dunkelgrünen Stelle der
von Knapp erwähnte Brunnen bemerkbar. Bei Anlage der jetzigen Hohen-
Strasse wurde eine Ecke des Kastells abgeschnitten.
30 m von der Nordecke entfernt liegen 6—6 Fuss hohe Trümmerhaufen
von Mörtel, Ziegelsteinen und Suspensura, Reste eines grösseren Bades. Dass
dasselbe lange in Gebrauch gewesen ist, beweisen die grossen Aschenhügel,
welche in geringer Entfernung davon den Boden bedecken.
Knapp erwähnt S. 62 zwei Gebäude, welche östlich von dem Kastelle
lagen. Diese sind jetzt gänzlich ausgebrochen. Die Gegenstände, welche sich
bei dieser Gelegenheit vorfanden, sind grösstenteils verschleift oder zer-
schlagen, denn die Ausgrabungen geschahen einzig in der Hoffnung, bedeutende
Geldschätze zu heben, die gar mancher im Traume vor sich gesehen hat
In Lützelbach liegen noch mehrere grössere Steine, die hier gefunden wurden.
Unter diesen erwähne ich einen grossen Sandstein von der Form eines Halb-
kreises, den drei eingehauene concentrisch laufende Linien wieder in 1 Halb-
kreis und 3 breite Ringe abteilen. Der innerste Teil, der Halbkreis also,
zeigt keine weiteren Zeichen, die drei anderen aber sind durch nach dem
Mittelpunkt laufende Linien wiederum in Abteilungen geschieden und zwar
der zweite in 7, der dritte und vierte je in 14. (Ein ähnlicher Stein finc^et
sich bei Knapp Taf. IV Fig. 34 abgebildet). Dieser Stein soll an der Thür-
schwelle des einen Gebäudes gelegen haben.
In dem Berichte der hess. Kommission wird gesagt, dass sich die
Signallinie nur bis zum Lützelbacher Kastelle genau verfolgen lasse, da die
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Die NeckAr-Mümlinglinie tod Schlossnu an bis zur hess. Grenze. 146
Fel^nltnr hiiidanid in den Weg trete. Herr Kreisrichter Conrady untersuchte
die Strasse nordöstlich vom Lützelbacher Schlösschen und wies den Endpunkt
der Linie bei dem von ihm aufgedeckten Kastelle bei Wörth nach (vergl.
Westd. Zeitschr. ni S. 270). Verfolgen wir die von ihm angedeutete Rich-
tung und gehen auf der hohen oder Wörther Strasse weiter, so steigen wir
in dem Walde wieder langsam der Höhe hinan, die wir auf freiem Felde,
nicht weit vom Waldesrand erreichen. Die Generalstabskarte hat am Walde
die Bezeichnung Bernhardshäuschen, die Flurkarte benennt die Stelle im
Felde: „wüste Acker^. Sie liegt Ober dem südlichen Arme des Kirschgrabens
and ist 45 Schritt vom Wege, 770 Schritt vom Schlösschen entfernt Hier
soUen nach Aussage der älteren Leute von Wiebeisbach einst zwei kleine
Gebäude gestanden haben, deren Fundamente ausgebrochen wurden. An der
Stelle fanden sich viele Mörtelbrocken aber keinerlei Scherben.
Der genannte Kirschgraben ist eine hohlwegartige Vertiefung, die
vom östlichen Hange des Höhenrückens, auf dem die hohe Strasse läuft,
hinab nach dem Haingrund zieht Er besteht im oberen Teile aus zwei
^rmen, die beide den Namen Kirschgraben führen und sich nach einigen
hundert Schritt vereinigen. An dem Vereinigungspunkte liegen hoch über
den Gräben die Reste zweier verfallener Gebäude, wahrscheinlich römischen
Ursprungs.
Oberhalb des nördlichen Armes des Kirschgrabens, auf der linken Seite
der hohen Strasse und 985 Schritt von dem wüsten Acker entfernt, auf der
Flur Höh fei d musste, dem Terrain nach zu urteilen, wieder ein Beobachtungs-
posten angenommen werden. Die näheren Erkundigungen ergaben, dass dies
die Stelle ist, wo Herr Kreisrichter Conrady eingegraben und Turmfunda-
mente gefunden hatte. Er sagt darüber an obiger Stelle: „Der erste Turm
liegt nicht ganz 1 km nordwärts vom Kastelle auf dem Acker des Michael
Blitz von Lützelbach. Die Ausgrabung ergab die unterste Schrottenlage eines
quadratischen Mauerfundamentes von 5,60 m Seitenlänge.'' 40—50 Schritt
südlich von dieser Stelle soll, wie man uns erzählte, ein zweites Fundament
(Keller!) ausgegraben worden sein.^
Ich nehme hier nicht mit Herrn Conrady den ersten Beobachtungs-
posten nördlich vom Schlösschen, sondern den zweiten an, da ein Turm auf
dem „wüsten Acker** nicht nur durch den Kirschgraben, sondern auch durch
die Höhe des Terrains bedingt wird, das vom Hohfeld aus den Blick nach
dem Schlösschen verdecken musste.
730 Schritt nordöstlich von dem Beobachtungsposten auf dem Hohfeld,
dicht bei der bayerisch-hessischen und Seckmaurer-Lützelbacher Grenze, auf
dem Hannsbatzen feld unweit eines Dreiecksteines soll auf einem Acker des
Landwirts Jacob Beck HI. aus Seckmauem ebenfalls Mauerwerk im Boden
stecken, das, der Lage nach zu urteilen, einem Turmfundamente angehören
kann. Bestellte Äcker verhinderten die Untersuchung. Auch Herr Conrady
nimmt hier einen Beobachtungsposten an.
Nachrichten über einen weiteren Beobachtuugsposten und das Kastell
zu Wörth giebt Conrady ebenfalls an der oben erwähnten Stelle.
Was die Anlage der Kastelle betri£ft, so richtete sich diese nach dem
Terrain und nicht nach bestimmten Entfernungen. Die letzteren betragen ;
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146
Pr. Kofler
Schlossau
bis Zwinge ...
. 2771 Schritt,
Zwinge
„ Jaegerwiese. .
. 2269
»
„ Hesselbach . .
. 2074
n
Schlossau
y, Hesselbach . .
. 7114
n
Hesselbach
„ Würzberg . .
. 8219
»
Würzberg
„ Eulbach . . .
. 6515
n
Eulbach
„ Hainhaus . .
. 6984
»
Hainhaus
„ Breitenbrunn
. 4107
II
Breitenbrunn
„ Lützelbach . .
. 2402
»
Hainhaas
„ Lützelbach . .
. 6509
»
Obschon die gegenseitige Entfernung der grösseren Kastelle im Mittel
7000 Schritt oder 5838 m beträgt, so wurde ihre Anlage doch einzig
und allein durch die Gebirgsüberg&nge bedingt, geradeso wie bei den Limes-
Kastellen im Taunus und in der Wetterau. Die Kastelle der Mümlinglinie
liegen an den Hauptübergängen aus dem Main- in das Mümling-Tbal und
zwar nicht unmittelbar daran, sondern, ähnlich wie am Limes, seitlich der
Strasse oder ^'6» Weges.
In ihrer Grösse sind sie nicht viel von einander verschieden (die klei-
neren ausgeschlossen):
Schlossau 79 : 75,
Hesselbach
Würzberg .
Eulbach .
Hainhaus .
Lützelbach
79.30 -.67.70,
81.89 : 73.90,
78 : 71,
73.3 :73.5,
68.4 :55.3,
auch nicht in ihrer Anlage. Lützelbach vielleicht ausgenommen, scheinen sie
mit einem Graben umgeben gewesen zu sein. Doch dürfte sich dieser durch
Nachgrabungen gewiss auch bei dem ersteren nachweisen lassen. Wallgang
und Berme ist noch bei den meisten erkennbar. Schwerer hält es die Thore
zu bestimmen, die schon zu Knapps Zeit fast gänzlich zerstört waren. Das
Kastell bei Würzberg hatte 4 Thore. Sieht man von den Kastellen Hainhaus
und Lützelbacher Schlusschen ab, bei denen die Westseite an etwas steilem
Hange gelegen ist, so wird man bei den übrigen grösseren Kastellen eben-
falls 4 Thore, bei den beiden ersterwähnten aber mindestens ^ Thore an-
nehmen dürfen. Da bei dem Kastelle zu Schlossau und in der letzten Zeit
auch bei dem Lützelbacher Kastelle zu den Seiten der Thore Türme aufge-
funden wurden, so kann man wohl bei allen Kastellen der Linie durch Türme
befestigte Thojre annehmen. Die Stärke der Mauern scheint nicht sehr be-
trächtlich gewesen zu sein; bei dem Lützelbacher Schlösschen soll sie 1,30 m,
bei Schlossau 0,9—1,20 m betragen. Die Doppelmauer des Würzberger Kastells,
wie sie uns Knapp S. 43 beschreibt, bedarf meines Erachtens einer genauen
Untersuchung. Ein Doppclgraben ist, soviel ich weiss, bis jetzt bei keinem
Kastelle nachgewiesen worden.
Was die Beobachtungsposten betrifft, so liegen diese entweder auf
Höhen, oder oberhalb der nach dem Maine sich absenkenden Thaleinschnitte.
Ihre Lage beweist, dass sie zur Überwachung des ostwärts gelegenen Ge-
bietes, also der nach dem Maine hin sich abdachenden Hänge errichtet waren.
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Die Neckar-Mümlinglinie von Schloasau an bis zur hess. Grenze. 147
Der Posten bestand in der Regel aus zwei neben einander liegenden Anlagen :
a) aus einem fest gemauerten Turme von behauenen Steinen mit profilierten
Gesimsen (?), der aller Wahrscheinlichkeit nach noch einen Aufbau aus Holz
and ein mit Ziegeln gedecktes Dach hatte (bei zwei Turmhügeln fand ich
Bruchstücke derselben) ; Spuren von einem Eingange ebener Erde sind von
mir nicht gefunden worden, ein festgestampfter farbiger Lettboden, den ich
antraf, weist jedoch darauf hin, dass auch der untere Teil des Turmes als
Wohnraum benutzt worden sein mag; b) aus einem Begleithügel ohne Mauer-
werk, umgeben von einem breiten Graben, der, nach den Abbildungen auf
der Tngansäule zu schliessen, vielleicht noch mit Pflihlen umgeben war und
zur Aufstapelung von > Holz, Stroh u. s. w. gedient haben kann Dass diese
Hügel als Phanale oder Leuchttürme benutzt wurden, indem man das auf
ihnen zusammengebrachte Material entzündete, wird dadurch widerlegt, dass
einige Türme der Linie so nahe bei dem Begleithügel liegen, dass bei einem
Feuerzeicheii dieser Art das Holzwerk oder das Dach des Turmes von den
Flammen hätte ergriffen werden müssen. Dass sich in manchen dieser Hügel
eine von diesen Feuerzeichen herrührende Aschenschicht vorfinden soll, ist
vielleicht ein auf mangelhafter Beobachtung beruhender Irrtum. Ich fand
wohl auch in mehreren dieser Hügel eine Schicht dunkler aschenartiger Erde,
jedoch in gleicher Höhe mit dem Waldboden, und halte diese auch für den
ursprünglichen, mit Gras und Strauchwerk bewachsenen Boden, auf den
bei Aushebung des Grabens und beim Aufbau des Hügels noch eine
Humusschicht (die oberste Decke) zu liegen kam. Über den Zweck dieser
Hügel schliesse ich mich der Ansicht des Herrn von Cohausen (vergl. der
röm. Grenzwall in Deutschland S. 101) in der Weise an, dass auch ich an-
nehme, dass innerhalb der Umzäunung nicht nur allerlei Material aufbewahrt
wurde, sondern dass darin auch der kleine Viehstand der Bewohner der
Türme Schutz gegen die Anfälle wilder Tiere fand. Oft besteht der Posten
aus 3 Hügeln und der dritte hat entweder, wie bei dem Posten auf dem
Rothenberg, eine feste in Mörtel gesetzte Mauer, oder sein Fundament be-
steht, wie das im Lützelbacher Bannwald, aus einer sog. Trockenmauer. Der
Begleithügel liegt bald nördlich, bald südlich des Turmhügels, meist liegt
eine Anzahl auf der nördlichen Seite desselben und es folgt dann eine fast
ebenso grosse Zahl auf der südlichen, es ist mir aber bis jetzt nicht geglückt
ein gewisses System hierbei nachzuweisen.
B. Die hohe Strasse mit ihren Zngänf^n nnd rfiekwärtigen
Yerhindniigeii.
Der Weg, der von Schlossau aus der Höhe des Gebirgsrückens folgt,
der sich zwischen der Mümling und dem Maine aufbaut und über Hesselbach,
Würzberg und Eulbach nach dem Maine zieht, wird die „hohe Strasse** ge-
nannt,- die aber im hess. Gebiete von dem Kastelle Hainhäusel ab in den Flur-
karten auch unter der Benennung BuUauer-, Main- und alte Wörther-Strasse
vorkommt Der Name „Römerstrasse**, den sie im Volksmunde fuhrt, kommt
nirgends in den Flurkarten vor und ist ihr erst in den letzten Jahrzehnten,
oder, besser gesagt, seit Knapps Zeit beigelegt worden. Vielfach hat sie im
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148 Fr. Kofler
Laufe der Jahriiunderte ihre Bahn geändert, das beweisen die vielen Hohl-
wege, welche zn beiden Seiten der Strasse, bald dicht daran, bald in grösserer
Entfernung von ihr hinziehen, sich oft mit ihr vereinigen, und bald wieder
von ihr trennen, um später von neuem wieder in sie einzumünden. Bei ge-
nauer Betrachtung findet man, dass der Weg häufig aus dem Grunde verlegt
wurde, weil er nicht mehr fahrbar und gefährlich war, oder dass man den
beschwerlichen, über eine steile Höhe führenden, durch einen bequemeren
ersetzen wollte. Da der Weg oder die Strasse fast überall in der unmittel-
baren Nähe der Kastelle und der dazwischenliegenden Beobachtungsposten
hinzieht, so wurde sie im allgemeinen für eine römische Anlage gehalten, die
man sich nicht gut ohne Pflasterung denken konnte. Alle Untersuchungen
jedoch, welche ich anstellte, zeigten nirgend regelmässige Strassenanlagen,
ähnlich den^jenigen, die ich bei römischen Strassen in Oberhessen und im
Ried gefunden habe, weder auf der heutigen Strasse noch in den verlassenen
Hohlwegen. Es sind mir zwar in Wald und Feld Stellen bezeichnet worden, wo
man „Pflaster*^ wollte gefunden und ausgebrochen haben, allein diese Mitteilungen
sind mit Vorsicht aufzunehmen, da der Bauersmann gerne jede Stelle, die der
Hacke oder dem Pfluge grösseren Widerstand leistet, sei die Ursache harter
Letten, Schotter, Kies, Mauer oder Pflaster, mit „Plaschter** bezeichnet. Wirk-
liches Pflaster soll nur in der Nähe von Kastellen gefunden worden sein und
auch damit hat es noch sein Bewenden, denn was z. B. der verstorbene
Forstwart Or^ aus Lützelbach der hess. Kommission und mir als „Pflaster**
bezeichnete, das war nach der Ansicht der Arbeiter, die er damals beschäftigt
hatte, nur Schotter gewesen. An Stellen, wo ich die ursprüngliche Strasie
mit Schotter überdeckt fand, wie z. B. in der Nähe voit Lützel- Wiebeisbach
und im Walde von Breitenbrunn, da überzeugte ich mich durch die Unter-
suchung, dass man zu irgend einer Zeit ausgefahrene Stellen der Strasse mit
Schatter überdeckt hatte. Es ist mir also nicht geglückt den römischen Ur-
sproag der Strasse nachzuweisen, es lässt sich jedoch annehmen, dass die
Römer die Kastelle und Beobachtungsposten der Linie durch einen gut her-
gestellten Weg mit' einander verbanden, wie solche Wege durch Herrn ^Lsior
Dahm zwischen Gross-Krotzenburg und Rückingen, durch mich in Teilen der
Wetterau, und von Anderen an anderen Orten, unmittelbar am Pfahlgraben
nachgewiesen wurden.
Die Frage, ob die hohe Strasse etwa schon zur Römerzeit bestanden
habe, möchte ich nach den Beobachtungen und Erfahrungen, die ich an an-
deren Orten machte, eher verneinen als bejahen. Der Limes wird im Taunus
und der Wetterau von vielen Thal-, Hoch- und Höhestrassen, selbst von
Rennwegen geschnitten; die Kastelle und die meisten Türme liegen aber
an den Thalübergängen. Dass diese letzteren zum grösseren Teile schon
vor Römerzeit als Wege benutzt wurden, glaube ich schon früher, vgl. Westd.
Zeitschr. 11, S. 407 ff,y nachgewiesen zu haben, während wir über den Ur-
sprung der meisten Hoch- und Höhe-Strassen so viel wie nichts wissen. Das
Lützelbacher Kastell liegt bei dem Übergang aus dem Brettenbach- oder
Haingrundthal in das Lützelbacher- oder Breidenbacher-Thal ; das Haiuhaus
(Bentzenburg) deckt den Übergang aus dem Ohrenbacher- in das Kimbach-
Thal und das Eulbacher Kastell den Übergang aus dem Gönzbach- und Wat-
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Die Neckar-ltlümliDglmie von Schlotsau an bis zur hess. Grenze. 149
tenbacher-Thal in das Zeller- und Emsbacher-Thal ; das WOnsberger Kastell
endlich liegt südwestl. vor dem nach Osten abfallenden Steinbach thal und
östlich vor dem Euterthal und bei Hesselbach ist ein alter Übergang aus dem
Drei-See-Thal nach dem Euterthal. Bei all diesen Strassen oder Thalüber-
gängen ist bis zur Stunde weder der römische Ursprung noch der römische
Ausbau nachgewiesen worden, ebensowenig ist dies aber auch bei den Hoch-
strassen der Fall, welche von dem Neckar und der Mümling aus über den
Höhenrücken und nach dem Maine fuhren und die hohe Strasse kreuzen oder
in sie einmünden. Die Flurkarten benennen entweder ganz oder doch teil-
weise folgende Wege als Hoch- oder Höhestrassen: 1) Die „Hoch Strasse^,
welche von der „hohen" oder „Wörther Strasse" nördlich von Wiebeisbach
ans über Breidenbach nach dem Breuberg und von dort aus als „Frankfurter
Strasse" nach Babenhausen und dem Maine führt 2) Die „alte Höchster
Strasse", welche in die N&he des Hainhauses geht und sich dort mit der
aus König kommenden „alten Hainstftdter Strasse" vereinigt, hierauf nach
dem Bremhofe zieht, wo sie sich teilt und einerseits nach Laudenbach, an-
dererseits nach Mainbullau führt. 3) Die von König kommende „hohe
Strasse", welche die Wörther Strasse nördlich von Eulbach schneidet und über
den Sansenhof nach Wiesenthal und Weckbach zieht, während 4) der eben-
falls aus König kommende „Höhe weg" direkt nach Eulbach führt, sich dort
mit einem aus Michelstadt kommenden, auf der Höhe hinziehenden Wege ver-
einigt und sich nun abwärts nach Amorbach wendet. 5) Die „alteBullauer
Strasse", welche von Eberbach kommt, dem Höhenrücken westlich der Euter
hinansteigt, über den Krähberg und an Bullau vorüber bis in die Nähe von
Würzberg zieht, wo sie in die „hohe Strasse" einmündet.
Wenn Th. v. Becker, vergl. Korrespondenzblatt der deutschen Gesell-
schaft für Anthropologie etc. Jahrg. 1882, S. 213, diesen aus dem Neckar-
ond dem Mümlingthale nach dem Maine führenden Hoch- oder Höhestrassen
römischen Ursprung beimisst, so ist dies eine willkürliche Annahme, der
jeder Beweis, jede Stütze fehlt, denn es ist im hessischen Odenwald bis jetzt
nichts gefunden worden, was den römischen Ursprung dieser Strassen ver-
rät. In der Nähe der alten Höchster Strasse liegt zwar etwas Mauerwerk,
dem man römischen Ursprung zuschreibt, allein das konnte dem genannten
Herrn im Sommer 1882 kaum bekannt sein und dann liegt der Distrikt Eschern,
vergl. S. 142, fast ebensoweit von der Höchster- wie von der Hohen-Strasse
entfernt In Bullau, das in der Nähe der Hochstrasse gelegen ist, die nach
ihr den Namen trägt, sind, wie wir früher gehört haben, römische Denksteine
gefunden worden, es ist aber bis jetzt noch nicht der Beweis erbracht, dass
der Ort römischen Ursprungs ist Bei der Römerstrasse, welche von Dieburg
aus an Babenhausen vorüberzieht, hat sich auch noch keine Spur ihrer rö-
mischen Anlage gezeigt, wohl aber haben sich an verschiedenen Orten zu
beiden Seiten derselben röm. Gräber gefunden, welche zur Annahme berech-
tigen, dass die Strasse von den Römern benutzt wurde. Noch viel eher
könnte man annehmen, dass die über den Vogelsberg ziehenden „alten Strassen"
und „hohe Strassen" (vergl. meine Abhandlung über diese Strassen in der
Darmst Zeitung 1883 Nr. 140—143), die sich am Limes mit römischen
Strassen vereinigen, römischen Ursprungs seien, da sie sehr oft mit diesen
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1«) Fr. Kofler
bei gleicher Terrainbescbaffenheit, z. B. ao Bergabhängen und auf feocbten
Hochplateaus, ähnliche Anlagen, namentlich in der Pflasterung zeigen. Doch
wird es nicht leicht jemand einfallen in ihnen römische Strassen zu sehen.
Ein endgOltiges Urteil aber das Alter dieser Thal&bergftnge and Hoch-
strassen wird erst geg^>en werden können, nachdem eine gründliche Unter-
snchnng ihrer baalichen Anlage stattgefunden hat Denn wenn wir auch
wissen, dass die Römer im Westen Deutschlands Strassen dem RQcken der
Gebirge entlang angelegt haben, so ist dies doch kein Beweis dafür, dass die
Hoch- und Höhestrassen des Odenwaldes römischen Ursprungs seien.
Das Fehlen römischer Ansiedelungen in der Nähe der Hohen Strasse
und an ihren rückwärtigen Verbindungen ist durch das rauhe Klima der dor-
tigen Höhen leicht erklärlich. Beispielsweise erwähne ich nur, dass am 14.
April 1877, nachdem wir am Tage zuvor schwüles Wetter mit Gewittern ge-
habt hatten, der Schnee in reichen Massen niederfiel und dass am 17., mit-
tags 12 Uhr in Würzberg die Fenster gefroren waren. Zeichen römischer
Besiedelnng trifft man erst 28 km nördlich von Schlossau, wo sich der Berg-
rücken wieder bis auf 300—360 m Höhe gesenkt hat und breitere, wärmere
Thäler sich an seine Hänge schmiegen, in den Überresten von Bauten dürf-
tiger römischer Kolonen: im Walddistrikt Eschem, in Breitenbrunn, und
unweit Rimhom. Erst bei Lützel- Wiebeisbach und Neustadt treten grössere,
zum Teil besser ausgestattete Wohnungen auf, die sich nördlich bis zum
Maine fortsetzen. Unwirtsam und zum grössten Teile unbebaut muss zur Zeit
der römischen Occupation die Gegend gewesen sein, nicht einmal zu ver-
gleichen mit den höchsten Stellen des Taunus, wo man doch vielfach in der
Nähe des Limes Spuren der Bewohner aus vorrömischer Zeit, in Ringwällen
und Hügelgräbern antrifit, während dieselben zwischen der Mümling und dem
Maine, von Schlossau ab bis in die Nähe von König gänzlich zu fehlen
scheinen, denn die im letzten Sommer gedruckte, von mir entworfene prae-
historische Karte von Hessen zeigt nur ein fragliches Hügelgrab, westlich
von Hesselbach, im Distrikte Höllklinge.
Herr v. Cohausen und viele andere Forscher mit ihm nehmen an, dass
die sog. Neckar-Mümling-Linie gleichzeitig mit der Linie Lorch-Miltenberg
(und wohl auch Miltenberg-Gross-Krotzenburg ?) bestanden und eine Anzahl
von Etappen enthalten habe, in ihrer Längenrichtung aber eine gesicherte
Truppen-, Boten- und Signalverbindung gewesen sei, die wir bei den schwie-
rigen Strassen Verbindungen zwischen dem Rheine und dem Pfahlgraben und
inmitten einer rohen, schwer zu überwachenden Waldbevölkening annehmen
müssten (die röm. Grenzw. in D. S. 40). Warum, frage ich, legte man aber
die Linie dann so an, dass man von ihren Werken aus alle von dem Maine
über das Gebirg führenden alten Übergänge überblickte und beherrschte,
während nur ausnahmsweise und ganz zufällig ein solcher Beobachtungsposten
von der Mümlinghöhe aus die westwärts gelegenen Thalmulden überragte
und einen Einblick in dieselben gestattete? Auf den badischen Teil der .
Linie, südlich von Ober-Scheidenthal, würde die Bemerkung über die schwer
zu überwachende Waldbevölkerung auch nicht passen, da sich dort rückwärts
der Linie zahlreiche römische Niederlassungen befinden, vergl. Dr. E. Wagner,
archaeologische Übersichtskarte von Baden. Andere Forscher, namentlich
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Die Neckar-Mümlinglinie von Schlossau an bis zur hess. Grenze. 151
Professor Dr. E. Hühner (vergl. Bonner Jahrb. LXXX S. 51, Sonderabdruck)
nehmen an, dass die Mümling-Neckar-Linie die erste sichere „innere Parallele"
des germanischen Limes gewesen sei, welche zum grössten Teil die „nasse"
Grenze des Maines deckte. Doch sagt er weiter, S. 52, „der evidente Zu-
sammenhang der oberen Neckarlinie mit der Mümlingslinie legt es nahe, wie
(im Gegensatz zu den von Cohausen geäusserten Ansichten) gemeinsam an-
genommen wird, den Zeitpunkt der Anlage der arcie Flaviae für den des Ur-
sprungs der ganzen Anlage anzusehen und die Limeslinie als den Erfolg der
später weiter nach Osten vorgeschobenen Occupation".
Die Mümlinglinie konnte für sich und in sich eine Grenze sein, wenn
ihr auch der den Pfahlgraben bildende Graben mit Wall, oder eine vor den
Werken hinziehende Mauer fehlte, denn diese Anlagen waren weder bei
einer Zoll-, noch bei einer Defensiv • Grenze unbedingt nötig. Man wollte
aber auch diese in der Nähe der Mümlinglinie gefunden haben und ich möchte
nicht an diesen Werken vorübergehen, ohne ihrer mit einigen Worten zu
gedenken.
Knapp giebt S. 28, 30, 35, 50 ff. eine ausführliche Beschreibung von
einfachen und doppelten Wällen und Gräben, welche die Linie von der
Jägerwiese bei Schlossau-Hesselbach an bis westlich von Eulbach begleiten
und zeichnet sie auf der seinem Werke beigegebenen Karte Taf. I ein. Die
Wälle mit den Gräben ziehen bald rechts, bald links der hohen Strasse und
der daselbst gelegenen Werke; hier und da findet man sie dicht daran, an
anderen Stellen in weiter Entfernung von denselben. Die Yerschanzungen,
wenn wir sie vorerst so nennen wollen, haben, obwohl sie nach Knapp und
Anderen „Kömerschanzen" genannt werden, durchaus nichts mit der Müm-
linglinie gemein und sind auch nicht römischen Ursprungs. Sie sind auch
wohl schwerlich, wie die hess. Kommission herausfand, Jagdgrenzen, Wild-
grenzen, oder ausgefahrene Hohlwege, denn sie bilden, wenn man genau be-
obachtet, ein zusammenhängendes Ganze , das nebenbei gesagt durch Wasser-
läufe und Steinhügel ergänzt wird, das bei Momart beginnt und nicht, wie
Knapp meint, auf dem Kahlebuckel bei Hesselbach endigt, sondern über
die Jägerwiese (es ist dies die Stelle, wo Knapp in richtiger Voraussetzung
ein Kastell suchte, das er bekanntlich nicht fand und dafür in diesen Gräben
eine römische Yerschanzung erblickte) nach der Euter zieht um sich auf den
jenseitigen Höhenrücken, der Sensbacher, Hirschhomer und Rothenberger Höhe
fortzusetzen, bis wieder ein Wasserlauf erreicht wird. Bei genauer Prüfung
erkannte ich darin eine alte Mark- oder Bannforstgrenze, wie sich ähnliche
Anlagen auch an den Grenzen der alten Taunus - Marken befanden (vergl.
meine Abhandlung in der Westd. Zeitschrift H S. 407 ff.). Die Grenze wird
markiert: in den Thälern durch Wasserläufe, an flachen Stellen des Gebirgs
und im Lauf quer durch die Thäler durch Wälle und Gräben, an steilen
Bergseiten durch Steinaufwürfe. Ich behalte mir vor in einer späteren Ab-
handlung auf diese Gräben zurückzukommen.
War die Mümlinglinie eine Grenze, so bildete sie wohl so lange die
römische Reichsgrenze, bis man diese bis zum Maine vorgeschoben hatte.
Wann die Linie gebaut, wann sie wieder verlassen wurde, das sind Fragen,
Weatd. ZeitMhr. f. Geioh. o. Kunst. YUI, IL 12
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152 Fr- Kofler
deren Entscheidung ich den Herren Philologen überlassen muss, da bei dem
Mangel an Fundstücken in den Kastellen nur die Inschriften jener Gegend
Aufschluss über das Alter der Anlage geben können. Erkennen wir nun in
der Linie die Reichsgrenze oder auch nur eine Parallele der nassen Main-
grenze, so fragt man wohl mit Recht warum dieselbe nicht über das Bretten-
bach- oder Haingrundthal hinaus nach Norden hin weitergeführt ward bis zu
den Höhen oberhalb der Mümling und über diese hinaus bis zur Gersprenz
oder bis zum Endpunkt der nach Norden sich fortsetzenden hohen Strasse.
Eine abwärts nach Wörth gehende Abzweigung der Beobachtungsposten und
der Strasse würde nichts Aussergewöhnliches sein, denn nach v. Cohausen,
der röm. Grenzw. S. 37, führt von Schlossau aus eine mit Türmen besetzte
Strasse ostwärts an den Limes bei Götzingen.
Es war am Eingange dieses Berichtes erwähnt worden, dass die Hohe
Strasse auf der Höhe nördlich vom Lützelbacher Schlösschen sich teilt,
dass ein Arm sich abwärts nach Wörth wendet, der andere aber in nörd-
licher Richtung weiterläuft und aller Wahrscheinlichkeit» nach in die alte
Breuberger Strasse einmündend östlich von Wenig-Umstadt vorüber nach dem
Maine zieht. Diese alte Strasse schien mir um so mehr der Beachtung wert,
als sie, wenn die Hohe Strasse schon zur Zeit der römischen Occupation be-
standen hatte, eine Fortsetzung dieser Strasse gewesen wäre. Ich beschloss
daher auch diesen alten Weg einer Untersuchung zu unterziehen.
Geht man von dem erwähnten Teilungspunkte der hohen Strasse,
zwischen dem ersten und zweiten Beobachtungsposten nördlich vom Schlöss-
chen, links ab, so betritt man den alten „Heckenweg'', der in kleiner Ent-
fernung von der bayerischen Grenze, beinahe parallel mit dieser hinläuft.
Da, wo dieser Weg zum ersten Mal die Grenze berührt, fand ich rechter
Hand, dicht am Wege auf bayerischem Gebiete, im Distrikte „Kreisenacker **
Spuren von Mauerwerk von ca. 17 m L. und gegen 13—14 m Br., ein Recht-
eck mit anscheinend abgerundeten Ecken bildend, das einst mit einem Graben
umgeben war. Der 78jährige Forstwart Heider aus Wiebeisbach, der mich
begleitete, sagte mir, er habe hier „festes" Mörtel-Mauerwerk, aus sehr schön
behauenen Steinen bestehend, ausgebrochen und diese zum Bau seines Hauses
verwendet. Eine kleine Untersuchung, die ich am Orte anstellte, ergab wohl
einige nach römischer Art behauene Steine, aber keine Spur von Mörtel.
Die Ecken schienen abgerundet gewesen zu sein, doch konnte dies nicht mehr
genau nachgewiesen werden, da das Ganze bis unter die Rollschicht ausge-
brochen war. Die Entfernung vom Lützelbacher Kastelle beträgt gegen 2500 m.
löOO m westlich von dieser Stelle, im Distrikte Steinknorren, Gemar-
kung Heubusch, befinden sich Reste römischer Gebäude, die durch Herrn
Bezirksfeldwebel Giess untersucht wurden (vergl. Quartalblatt des histor.
Ver. für Hessen 1879 S. 40, 1883 Nr. 3 u. 4 S. 31). Nach Mitteilung der
Forstwarte soll hier vor etwa 30 Jahren römisches Bildwerk gefunden und
nach Darmstadt verbracht worden sein. — Ebensoweit östlich, im Obemburger
Walde, Distrikt Sauställe, hat, wie ich höre, der Herr Bürgermeister von
Obemburg römische Gebäude aufdecken lassen.
Der alte Weg, Heckenweg, fuhrt von hier ab, stets der Höhe folgend, •
durch die „Buschhecken'' und bildet auf eine grosse Strecke hin die Grenze
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Die Neckar-Mümlinglinie von Schlossaa an bis zur hess. Grenze. 153
zwischen Bayern und Hessen. Dicht vor einer kleinen Anhöhe und etwa
1500 m von dem Gebäude im Ereisenacker entfernt befindet sich ein Stein-
bruch unmittelbar an einem Wege gelegen, der von Breidenbach kommend
über die Höhe zieht. Dieser Steinbruch (es wurde auch hier schon nach
Eisenerz gegraben) wurde so weit ausgedehnt, dass der Weg, auf dem wir
kamen, verlegt werden musste. Rechts, am alten Wege, ist eine flache Suhle,
die dadurch entstanden sein soll, dass hier Gebäude abgetragen und Funda-
mente ausgebrochen wurden, von denen keine Spur mehr zu sehen ist. Ausser
einem Aufwurf auf der westlichen Seite kann man nichts erkennen, was auf
eine Aushebung des Bodens schliessen liesse und da dieser Aufwurf eine
Halde des nahen Steinbruchs ist, so liegt der Gedanke nahe, dass hier wirk-
lich ein Gebäude ausgebrochen wurde, dessen Grössenverhältnisse etwa der
Anlage im Kreisenacker entsprechen würden. Herr Divisionsarzt Dr. Weichel
in Darmstadt will hier in seiner Jugend noch Mauern gesehen haben.
Verfolgt man den Weg in gleicher Richtung, so gelangt man nach
etwa 1000 Schritt auf einem kleinen Gebirgssattel, an die Stelle, wo derselbe
gekreuzt wird von einem alten aus Raibach nach Eisenbach und Obemburg
führenden Wege, welcher von der bayerischen Bevölkerung die „hohe Strasse**
genannt wird. Nordwestlich vom Kreuzungspunkte, unweit des Hardthofes,
liegt in der Waldgemark Heubusch, Abteilung IV und Hla ausgedehntes,
aber beinahe ganz ausgebrochenes Mauerwerk von circa 90 Schritt Länge,
S. n. N. und 80 Schritt Breite, dessen Material zu Wegbauten vernutzt
worden sein soll. Da die Mauersteine nach römischer Art zugerichtet waren,
so nimmt man auch hier eine römische Anlage an. Vor kurzer Zeit, so
wurde mir erzählt, wurde hier ein kolossaler Kopf gefunden und nach dem
Breuberg gebracht. Fundstücke, welche den römischen Ursprung der Ge-
bäude beweisen könnten, sind mir nicht zu Gesicht gekommen.
Geht man wieder zurück auf die alte Strasse, und schlägt bei einem
nahe gelegenen Teilungspunkte derselben den Weg rechts ein, der den Grenz-
steinen entlang führt, welche mit GH und KB gezeichnet sind, aus denen
der Bauemwitz „Grosser Hunger**, „Kein Brod** herausgelesen hat, so gelangt
man nach etwas mehr denn 1000 Schritt, in Abt. VI der Gemarkung Heu-
busch an drei Hügel, von welchen zwei linker Hand dicht am Wege liegen,
während der dritte rechts vom Wege, doch etwas weiter südlich, und auf
bayerischem Gebiete gelegen ist. Der nördlichste dieser Hügel wurde, da er
sehr viele Steine enthielt, von Verschiedenen als römischer Wachtturm ange-
sehen, allein die mir bei der Bearbeitung der archäologischen Karte für d.
Grossh. Hessen eingehändigten Forstberichte besagen, dass die 3 Hügel Gräber
seien und dass man in den auf der hess. Seite gelegenen, welche geöffnet
sind, ^Tmen und Bronzegegenstlüide gefunden habe. Em vierter Hügel soll
dicht dabei liegen.
Etwas östlich von diesen Hügeln, in Eisenbacher Gemarkung, Distrikt
Hirschrain, soll sich ein Brunnen und vieles Mauerwerk befinden.
Der Weg überschreitet in der Nähe der 4 Hügelgräber die hess.
Grenze und läuft thalab nach dem Neustädter Hofe. Der andere Arm der
alten Strasse aber, der sich, wie oben bemerkt, in der Nähe des Hardthofes
teilt, zieht nach dem Neustädterhof-Kopf zum Distrikt Schlothrain und von
12*
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154 Fr. Kofler
dort ebenfalls nach dem Neustädter Hofe. Oben auf der Höhe des Schloth-
rains sollen früher die Überreste eines aus behauenen Basaltsteinen errich-
teten Gebäudes gestanden haben, das der Yolksmund mit dem Namen „Römer-
turm** belegte. Da man dicht dabei den Steinbruch fand, dem das Material
des Baues entnommen war, so wurde dieser weiter ausgebeutet und in ihm
verschwand jede Spur der baulichen Anlage. Römische Gerätschaften und
römische Münzen, die man hier gefunden haben will und nach Darmstadt ge-
kommen sein sollen, deuten auf römischen Ursprung des Bauwerkes hin.
Auch auf dem südwestlich davon gelegenen Amheiter Berg soll sich
nach einer Mitteilung des Herrn Giess römisches Bildwerk vorgefunden haben.
Dem Schlothrain und den Gebäuderesten auf dem Hardthofe gegenüber
liegt, durch das Thal der Mümling geschieden, die Burg Breuberg, über
welche Knapp § 36 und 91 eingehend berichtet und römische Anlagen da-
selbst nachgewiesen hat. 1543 fand man dort nicht nur Hypokausten,
sondern auch einen Yiergötteraltar; die Inschrift Brambach Nr. 1399 und
ö Stempel der 22. Legion.
In der Nähe vom Breuberg, aber in der Gemarkung von Sandbach,
fand vor 3 Jahren Herr Giess römische Gebäudereste, die in ihrer Ausdeh-
nung etwa den Fundamenten eines Turmes entsprechen würden. Ein Bericht
über diese Ausgrabung ist noch nicht erschienen.
Im Jahre 1846 wurden auf einer Anhöhe am südl. Ufer der Mümling,
dem Breuberg und Neustadt gegenüber, ein römisches Gebäude mit Hypo-
kausten, allerlei Eisengeräte, Bruchstücke von Terra Sigillata-Gefässen u. s. w.
gefunden (Arch. V, Nr. V, mit Grundriss).
Wenn ich auch schon früher angenommen hatte, dass sich jenseits der
Mümling der alten Breuberger- und Frankfurter Strasse entlang noch römische
Niederlassungen, oder gar Kastelle finden möchten, so hatte ich doch nie die
Zeit gefunden, dort Umschau zu halten und mir die Flurkarten der bayerischen
Orte Eisenbach, Mömlingen, Wenig-Umstadt, Pfiaumheim u. s. w. anzusehen.
Da überraschte mich im vergangenen Frühsommer der Archivdirektor Dr Gustav
Freiherr Schenk zu Schweinsberg mit der Nachricht, dass er in einem Güter-
verzeichnis der Johanniter-Commende zu Mosbach zwei Namen gefunden habe,
die mich vielleicht auf die Spur der von mir gesuchten römischen Anlagen
bringen könnten. Es seien nämlich Liegenschaften erwähnt auf der „Hessel-
burg" und „Seelburg**, beide in der Gemarkung von Wenig-Umstadt. Ich fand,
dass sich der Name Hesselburg als Flurname erhalten hatte, während die
Bezeichnung Seelburg verschwunden war. Die „Hesselburg** bildet ein Plateau
OSO. von Wenig-Umstadt, wird im Norden und Osten von Wald begrenzt, im
Westen von einem stark ins Auge fallenden schnurgeraden Rain und liegt
unmittelbar an und vor tief eingeschnittenen, jetzt zum Teil bepflanzten Hohl-
wegen, die thalab nach Mömlingen ziehen und Überreste der alten Breuberger
Strasse sein sollen. Im südlichen Teile der Hesselburg fand ich eine grosse
Menge sehr dicker Schieferstücke, weiter nördlich Steine, Mörtelbrocken,
Scherben anscheinend römischer Gefässe und das Stück eines römischen
Ziegels. Nach langem Suchen fand ich auch ein Stückchen terra sigillata,
so dass also kein Zweifel darüber besteht, dass wir es hier mit einer Römer-
stätte zu thun haben, die nach oberflächlicher Untersuchung etwa 150 Schritt
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Die Neckar-Miimlinglinie von Schlossau an bis zur hess. Grenze. 155
(170 : 146) in Länge and Breite zu messen scheint. Neben dem obener-
wähnten Raine stiess das Sondireisen auf Mauern von beinahe 2,25 m Breite ;
auf der Nordseite der Flur sank es sofort in ganz weichen Boden ein, so
dass man geneigt ist dort einen ehemaligen breiten Graben anzunehmen. Die
„Seelburg" kann, den Flurbenennungen nach, die gleichzeitig mit ihr vor-
kommen, auf einer kleinen Anhöhe nordwestlich von der Hesselburg, jenseits
des Pflaumbachs gelegen haben. Bis jetzt habe ich nicht die Zeit gefunden
ihre Lage genau zu ermitteln.
Man wird bei der Hesselburg wohl zunächst an einen römischen Guts-
oder Meierhof denken, beinahe von der Grösse der Altenburg bei Bellersheim
und der Hasselburg bei Hummetroth ; doch wäre es immerhin möglich, dass die
starken Mauern einem Kastelle angehörten. Jedenfalls ist hier wie auf der
nahen Seelburg (Saalburg — Sälenburg?) eine gründliche Untersuchung ge-
boten. Ergiebt dieselbe kein Kastell, so ist auch an eine Fortsetzung der Linie
von Lützelbach aus nach Norden nicht zu denken.
Aus dem in der Nähe von Wenig- Umstadt gelegenen Rad heim stammt
ein Viergötteraltar, der im Museum zu Darmstadt aufgestellt ist. Ebenda-
selbst befindet sich auch eine römische Steinmaske, die in dem Walde des
nahe gelegenen Dorn diel aufgefunden wurde. Walther, Altertümer der
heidnischen Vorzeit S. 68, erwähnt noch in Radheim einen Stein, auf dem
eine männliche Figur mit kurzem Gewände, einen Beutel in der Hand
haltend, ausgehauen ist. Dieser Stein befindet sich an der Vorderseite eines
Hauses eingemauert und scheint ebenfalls ein Drei- oder Viergötteraltar zu sein.
Etwas weiter westlich, bei dem Grünheckerhof sind wiederholt röm.
Münzen gefunden worden. (MdL Mitteilung.)
Zum Schlüsse möchte ich noch der römischen Fundstellen zwischen
der Mümlinglinie und der Rheinebene gedenken und die alten Strassen er-
wähnen, welche eine Verbindung von dem Rheine aus nach der Mümling hin
vermittelten, oder möglicherweise vermitteln konnten.
Zwischen der Mümlinghöhe und der Rheinebene liegen drei von Nord
nach Süd ziehende Längsthäler des Odenwaldes, denen ebensoviele Höhen-
rücken entsprechen. Es sind dies die Thäler der Mümling, der Gersprenz
und der Modau.
Im Thale der Mümling sind bis jetzt folgende römische Fundstellen
bekannt geworden:
1) Bei Höchst, im Thale zwischen dem Riedel- und Neuberg wurden
röm. Gebäudereste und röm. Gebäude gefunden, desgl. auf dem Steinrücken.
Nach Mitteilungen des Herrn Giess in Höchst.
2) Mümling- Crumbach, Knapp S. 171 erwähnt hier einen Matronen-
stein, von welchem er auch eine Abbildung giebt Dieser Stein wurde mir auf
meine Bitte vom Gemeinderate des Ortes für das Darmstädter Museum über-
lassen, konnte mir aber nicht ausgeliefert werden, da Erbach-Fürstenau Rechte
daran zu haben glaubte. Er wurde darauf in dem Eingang zur Kirche auf-
gestellt, wo er gegen Beschädigungen geschützt ist Man vergl. Arch. H
S. 350, Bonner Jahrb. XH, 199; LXXXHI, Abhandlung von Max Ihm Scp.
Abd. S. 133 u. Taf. H, 1.
3) König, a) „An dem Kirchturm, welcher zu Ende des 15. Jahr-
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156 Fr. Kofler
hunderts erbaut worden ist, ist ein Stein mit einer römischen Inschrift einge-
mauert." Walther, die Altert, der heidn. Vorzeit S. 62. Knapp, S. 100, giebt
die Inschrift; Brambach Nr. 1396; b) in der Vorhalle der Friedhofskapelle:
ein Belief, die Minerva darstellend, mit Speer, Schild und Eule. Quartalbl.
1887, Nr. 1.
4) In dem sog. Deichelwalde, nicht weit von König, „fand vor einigen
Jahren ein Steinhauer zwei Steinfiguren. Die eine derselben ist durch das
Füllhorn und die Sichel als Ceres kenntlich, die andere scheint ein Mercur,
den Schlangenstab in der Hand, und einen Altar neben sich habend, zu sein".
Knapp S. 123 und 124.
5) Michel Stadt: An dem sog. Diebsturm ist eine Figur des Mercur,
„in der Linken den Schlangenstab, in der Bechten einen Beutel haltend und
rechts neben sich einen Widder habend", eingemauert Knapp S. 124.
6) Stockheim, nahe an der Walkmühle, auf einer Anhöhe neben dem
Wege, der von da nach Mossau zieht, wurden die Fundamente eines recht-
eckigen Gebäudes und eine Menge zerbrochener Ziegel, in dem Schutte eine
sehr verschliffene Münze mit dem Kopfe Hadrians gefunden. Knapp S 125.
Dieser röm. Fund wird von Knapp als zweifelhaft bezeichnet, noch
mehr aber bleibt es der folgende:
7) Erb ach. „Auffindungen von gewissen Steinen und Bruchstücken
von Gefässen, terra sigillata, lassen auf einen römischen Ansitz, namentlich
an der Stelle des jetzigen Schlosses, schliessen". Walther S. 56. Knapp S. 180.
Glaubwürdigen Mitteilungen zufolge soll sich einer der Erbachschen Beamten
einst den Betrug erlaubt haben, während der Vornahme von Erdarbeiten in
der Nähe des Schlosses, Scherben römischer Gefässe des Nachts in den auf-
gegrabenen Boden zu streuen in der Absicht, seinem Herrn eine Freude zu
machen, wenn der Beweis erbracht würde, dass Schloss Erbach sich auf
klassischem Boden erhebe.
8) Auf der Höhe westlich der Mümling sind als röm. Fundstellen zu
erwähnen: Rehbach und Forstel.
Nur bei 1) sind bis jetzt Reste röm. Gebäude oder Ansiedelungen
nachgewiesen. Die Verbindungen des Thaies mit der sog. Mümlinghöhe sind
schon früher berührt worden.
Im Thale der Gersprenz liegen zwei grössere und einige kleinere
Römerstätten. Die grösseren sind Dieburg und Gross • Bieberau. Südlich
von Gross-Bieberau, am östlichen Fusse des Bensenböhlkopfes, finden sich
die Reste eines landwehrartigen Aufwurfes, der nach der Thalseite hin
einen vorliegenden Graben hatte. Er zog meiner Vermutung nach bis zur
Gersprenz und scheint bei Anlage der von Gross -Bieterau nach Wersau
führenden Chaussee geschleift worden zu sein. Etwas thalab von der Stelle,
wo dieser Erdaufwurf einst die Gersprenz berührt haben musste, also hinter
demselben, sollen nach Mitteilungen des verstorbenen Steuerkommissärs
Klingelhöffer in dem Flüsschen Reste eines auf Eichenpfählen ruhenden
Überganges gefunden worden sein. Von diesem Übergange aus soll vor Zeiten
ein Weg, von dem sich noch Teile erhalten haben, nach dem Gross-Bieberau
östlich vorliegenden Hange und dem daselbst gelegenen Hofe „hundert
Morgen" geführt und sich von dort aus als Hohlweg nach dem Krähegrund,
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Die Neckar-Mümlinglinie von Schlossau an bis zur hess. Grenze. 157
östlich von Überau, fortgesetzt haben. Von hier aus nimmt der Hohlweg,
der hin und wieder einen nach Westen liegenden Aufwurf zeigt, den Namen
Teufels- oder Schweinegraben an (wie ja auch öfters der Pfahlgraben ge-
nannt wird), läuft als solcher nach Habitzheim und heisst in seinem weiteren
Laufe zwischen Semd und Gross-Umstadt „die Landwehr". Seine Fortsetzung
will man bis nach Schaafheim unweit Stockstadt gefunden haben. Der
Schweinegraben wird im nächsten Frühjahr Gegenstand meiner Untersuchungen
werden und beabsichtige ich in diesen Blättern darüber zu berichten.
Vor diesem Graben liegen folgende römische Fundstätten:
1) Die Hasselburg bei Hummetroth, auf der Höhe westlich von Höchst
und Mümling Crumbach gelegen, mit Überresten ausgedehnter römischer
Bauten und Hypokausten, in welchen ein Ziegel mit Inschrift gefunden wurde,
vgl. Brambach Nr. 1397 und Knapp S. 171. Die vor 2 Jahren durch den
historischen Verein unter Leitung des Herrn Giess vorgenommenen Ausgra-
bungen lassen annehmen, dass die Gebäulichkeiten einem Gutshofe ange-
hörten. Qrtlbl. 1882, I u. H S. 27 ff und 1888 Nr. 1 S. 3, (vgl. Anthes in
Westd. Korr. VI, 21).
2) Lengfeld. Hier sollen nach Winkelmann und Klein in einer Hof-
raithe zwei mit Inschriften versehene Altäre gestanden haben. Brambach
Nr. 1401 .und 1402.
3) Ober-Klingen, näher bei Gross-Bieberau, am Fusse des Otzbergs
gelegen."!; Hier wurde in einem Steinbruche (Sandsteinbruch) neben der Kirche
ein behauener Sandstein mit beschädigter Inschrift gefunden. Brambach
Nr.»1398.
4) Nieder-Klingen. Nach einer mündlichen Mitteilung befindet sich
zwischen dem Ort und dem Otzberg ein von Mauern durchzogenes Acker-
feld, auf welchem röm. Münzen gefunden wurden.
5) In der Gemarkung Gross-Umstadt, Fl. 66, das v. Wamboldtsche
Schlösschen. Die im August 1878 von Herrn Giess vorgenommenen Aus-
grabungen ergaben röm. Mauerwerk und Scherben röm. Gefässe. Qrtlbl.
1878 4. 4; 1879 S. 40.
An und hinter dem Schweinsgraben liegen folgende Fundstätten:
1) Gross-Bieberau. Im nördl. Teile des Ortes, zum Teile auch noch
im freien Feld auf einem nach der Gersprenz abfallenden Bergabhange wur-
den „röm. Gebäudereste gefunden", (Walther S. 59). Ausgedehnte Hypo-
kausten zeigen sich noch heute in einer Hofraite des Ortes. Nach Mittei-
lungen des verstorbenen Steuer - Kommissars Klingelhöffer sollen sich aber
auch reich mit Marmor ausgestattete Badeeinrichtungen vorgefunden haben,
worüber er an die Darmst. Museumsdirektion berichtet haben will. Eine Unter-
suchung der Stelle ist mit grossen Schwierigkeiten verknüpft, da sie sich
unter Wohnräumen und Ökonomiegebäuden befindet.
2) In dem Ringwalle „Heunehaus" bei Lichtenberg (vgl. Wd. Zs. 1888
S. 313) wurden zwei Goldmünzen des Kaisers Vespasian gefunden.
3) Habitzheim. „In der Nähe des Teufelsgrabens hat man im freien
Felde einen römischen Steinsarg gefunden mit vier Aschenurnen und einer
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158 Fr. Kofler
Glasvase; an einer anderen Stelle Scherben Ton terra sigillata, den Bronze-
griff eines Schwertes u. a. m.'' Der grössere Teil der gefundenen Gegen-
stände befindet sich im Museum zu Darmstadt Walther S. 69.
4) Semd. Nicht weit von dem Orte wurden wiederholt röm. Gr&ber
mit Steinsärgen und Glasgefössen, letztere im Museum zu Darmstadt, ge-
funden. MQndliche Mitteilung und Qrtlbl. 1884.
Weiter rückwärts, an der Gersprenz, liegen:
1) Nieder-Keinsbach. In der Gewann „ Steinmauer **, dicht an der
Hauptstrasse nach Dieburg, sollen Ziegelsteine mit Gesimsen und die Überreste
einer Mauer gefunden worden sein. Knapp S. 178. Da der Finder, Revier-
forster Hofmann, in der Regel alles was ihm draussen auffiel, Hügelgräber,
Landwehren, alte Wege, mittelalterliche Burgen, Wasserableitungsgräben
XL 8. w. für römisch ansah, so bedarf diese Stelle noch einer Untersuchung.
2) Dieburg. Es befinden sich hier ausgedehnte römische Anlagen, die
sich in östlicher Richtung weit in das Feld hinaus erstrecken. Im Jahre
1823 wurde ein röm. Bad aufgedeckt und in der Nähe des Kirchhofs ein
röm. Ziegelofen gefunden. Im Jahre 1655 fand Pater Gamans vor dem Hoch-
altar der alten Pfarrkirche einen Stein mit der Inschrift, Brambach Nr. 1403.
Bei dem Bau der Strasse von Dieburg nach Münster hat man Gefässe
von Thon und terra sigillata gefunden. Ebensolche Gefässe fanden sich auch
bei dem Strassenbau zwischen Dieburg und Gross - ümstadt, sowie an der
Strasse von Dieburg nach Altheim und glaubt man, dass die meisten dieser
Gefässe aus Grabfunden herrühren. Auch römische Münzen kommen in und
um Dieburg häufig vor. Wissenschaftliche Untersuchungen haben noch nicht
stattgefunden und das von vielen hier angenommene Kastell ist nicht nach-
gewiesen worden. Walther 54 u. 55.
Von Dieburg aus zog ei^ römische Strasse nach dem Rheine, zu der
ausgedehnten Römerstätte bei G^msheim, die vor 3 Jahren von mir ange-
funden ward. Die Strasse selbst war schon früher von mir im Ried nachge-
wiesen und aufgedeckt worden. Über den Bau derselben vergl. man Qrtlbl.
1885 S. 6 ff. und über die von mir gefundene Fortsetzung derselben auf dem
linken Rheinufer das KorrbL d. Westd. Zeitschr. 1886 S. 203. An dieser Strasse
liegen in der Richtung Gemsheim-Dieburg folgende Römerstätten:
1) Die Steinmauer bei Pfungstadt mit ausgedehnten röm. Bauan-
lagen, die bei Rodung eines Wäldchens aufgedeckt wurden. Als Funde wer-
den genannt: Ein Estrichboden, Heizkacheln, röm. Geräte und Gefässe aus
Thon und terra sigillata, Münzen, Schmucksachen etc. Walther S. 67 u. 68.
Der an gleicher Stelle erwähnte Heidendamm ist die oben erwähnte, durch
das sog. alte Neckarbett ziehende Römerstrasse.
2) Auf dem Sandberg bei dem Hardenauer Hofe, der Steinmauer
gegenüber, wurden sehr schöne Terra Sigillata-Gefässe, anscheinend in röm.
Gräbern gefunden, die wohl den ehemaligen Bewohnern der röm. Ansiedlung
auf der Steinmauer angehören dürften. (Mündliche Mitteilung).
3) In Pfungstadt sollen röm. Münzen gefunden worden sein; ich
glaube jedoch, dass dieselben aus der nach Pfungstadt gehörigen Steinmauer
stammen. (Siehe 1).
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Die Neckar-Mümlinglinie von Schlossau an bis zur hess. Grenze. 159
4) „Bei Eberstadt wurde eine Urne voll röm. Silbermünzen (Trtgan,
die Antonine und Alexander Severus) (Arch. III, VI S. 15) vorzugsweise vom
Kaiser Maximian gefunden^.
5) InEbersladt selbst: Überreste einer mutmassl. röm. Strasse, als
Abzweigung der Dieburg-Gemsheimer Strasse. Vergl. meinen Bericht Darmst.
Zeitung 1889 Nr. 16, Bl. 2 und Qrtlbl. d. bist. Ver. 1889, Heft I.
6) Am Mathildentempel, der auf einer kleinen Anhöhe dicht vor der
Ebene und in der Nähe der Modau gelegen ist, die hier aus dem Gebirge
tritt, wurden im Jahre 1838 die Überreste eines römischen Gebäudes mit
Heizvorrichtungen, röm. Ziegel, terra sigiUata, röm. Münzen gefunden.
Walther S. 56.
7) In der Nähe der Mündung des Beerbachs in die Modau hat man
zu verschiedenen Zeiten viele röm. Münzen, terra sigiUata u. s. w. gefunden.
Arch. IV, XI, 4. Das an jenem Orte erwähnte Ref. Arch. HI, IV, 13 be-
zieht sich jedoch auf die Steinmauer.
8) Zwischen Eberstadt und Rossdorf, bei der Fuchsenhütte, „auf der
sog. Schanz sind geformte Ziegelsteine, zum Teil hohl, zum Teil flach und
mit Gesimsen versehen, in grösserer Menge gefunden worden". Walth. S. 69 ;
Per. Bl. 1849, S. 185.
9) Bei Rossdorf, auf einer west-nordwestl. Vorhöhe des Rossbergs-
Pattend genannt, hat man bei den Fundamenten eines Gebäudes eine röm.
Münze und Fragmente von Gefässen gefunden. Walth. S. 69.
10) In der Nähe von Gross-Zimmem, in der Gewann „Eckmauer" hat
Herr Hauptmann Herpel in Darmstadt, nach seiner mir gemachten Mitteilung,
Bauschutt und Bruchstücke von Terra-Sigillata-Gefässen gefunden.
Diese Strasse teilte sich in Dieburg in mehrere Arme. Der eine zog
durch Münsterer Gemarkung nach Norden, vereinigte sich hinter Bieber mit
anderen vom Maine kommenden bis jetzt noch nicht untersuchten Römer-
strassen, überschritt aller Wahrscheinlichkeit nach den Main unterhalb Bürgel
und mündete in die von Heddemheim nach Marköbel führende Römerstrasse
ein. An der von mir angenommenen Übergangsstelle unterhalb Bürgel habe
ich vor 2 oder 3 Jahren mitten im Maine auf Pföhlen ruhendes Mauerwerk
gefunden. Zwischen Dieburg und Münster wurden an dieser Strasse röm.
Gräber angetroffen, Walther S. 55, und in Bieber, das in der Nähe dieser
Strasse, unweit Bürgel gelegen ist, „sind wiederholt römische Gegenstände
gefunden worden". Walther S. 52.
Eine zweite Strasse ging an Hergershausen vorüber nach dem Lett-
bnsch, teilte sich hier in zwei Arme, von denen der eine in der Richtung
nach Stockstadt, der andere wahrscheinlich nach Niedemberg am Maine zog.
Bei Hergershausen habe ich zu beiden Seiten dieser Strasse römische Gräber
gefunden. Auch stammt dorther der schöne Priapus der Darmstädter Ver-
eins-Sammlung. Vergl. Korrbl. d. Westd. Zeitschr. V Nr. 139.
Eine dritte Strasse „hohe Strasse" zog von Dieburg aus durch den
östl. davon gelegenen Forst, weshalb sie auch oft Forststrasse genannt wird,
zwischen Langstadt und Kleestadt hindurch in der Richtung nach Stockstadt
(oder auch Niedernberg). An dieser Strasse wurden in der Nähe von Die-
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160 Fr. Kofler
bürg römische Gräber, zwischen Langstadt und Eleestadt eine röm. Strassen-
säule mit Inschrift gefunden und nach Darmstadt verbracht, wo sie jetzt im
Museum aufgestellt ist. Steiner Inschr. I, 24; Nass. Ann. YIII, 579; Bonn.
Jahrb. LXIV S. 65 ff.
£s wird auch öfters angenommen, dass die von Dieburg aus über
Gross-Umstadt nach Dorndiel und Obemburg ziehende „hohe Strasse*' römi-
schen Ursprungs sei, allein sie ist meines Wissens noch nie genauer unter-
sucht worden und ausser der oben erwähnten römischen Steinmaske hat sich
an ihr auf hess. Gebiete nichts Römisches vorgefunden.
Die röm. Niederlassungen im Thale der Modau liegen an der Strasse,
welche von Dieburg aus nach Gemsheim zog und sind bereits oben erwähnt
worden.
Von Michelstadt, in dem Mümlingthale, aus fuhrt eine alte „hohe
Strasse" Qber Ober-Mossau und Fürth nach dem Weschnitzthale und Wein-
heim an der Bergstrasse. — Die „alte Erbacher Strasse" führt von Wer-
sao, eigentlich von Gross-Bieberau aus über die BöUsteiner Höhe und Ober-
Mossau nach Erbach, also aus dem Gersprenz- in das Mümlingthal. — Nach
Mitteilungen des Herrn Oberförster Joseph in Lörzenbach teilt sich in Ober-
Mossau diese Strasse und es zieht ein Arm in südwestl. Richtung, stets den
Höhen folgend, über Hammelbach nach der Schardt, dann sich mehr südlich
wendend über die Tromm, berührt Waldmichelbach und soll einerseits nach
Weinheim, andererseits nach Heidelberg gezogen sein. Man nennt diese Ver-
bindung des Neckars mit der Mümling noch „hoher Weg*^ und an anderen
Orten „hohe Strasse". Aus dem genannten Hammeibach soll möglicherweise
die Statue des Visucius (Weschnitz) stammen, welche im Mannheimer Museum
aufbewahrt wird*). Weiter fuhrt eine alte Strasse von Brensbach aus über
den Höhenrücken bei Hummetroth nach Höchst. An ihr liegt östlich von
Hummetroth die römische Ansiedelung „Hasselburg". Diese Thäler der Ger-
sprenz und der Mümling sind aber auch noch mit einander durch die „hohe
Strasse" verbunden, welche von Dieburg aus über Hering einerseits nach
Höchst, andererseits nach Sandbach und Neustadt führt. — Von Reinheim
aus zieht eine „hohe Strasse" nach Brandau und von dort aus als Bens-
heimer Strasse über Reichenbach nach Bensheim; sie verbindet also das
Gersprenzthal mit der Bergstrasse. In der Nähe von Reichenbach ist das
bekannte Felsenmeer mit der Riesensäule, die nach v. Cohausen u. Wörner,
Arch. XIV S. 137 ff. von den Römern bearbeitet wurde. Weiter unten
im Thale liegt das den Grafen von Erbach-Schönberg gehörige Schloss Schön-
berg, wo wiederholt römische Gefässe und unter anderen auch eine schöne
Patera von terra sigillata gefunden wurden, welch letztere sich in der Erbacher
Sammlung befinden soll. Walther, S. 69. — Von Reinheim aus zieht noch
eine andere „hohe Strasse**, welche zuerst die alte Hohl genannt wird, über
Ueberau nach Wersau, steigt dem südwestlich von diesem Orte gelegenen
Höhenrücken hinan, geht an der Neunkircher Höhe vorüber über Winter -
kästen etc. nach der Bergstrasse, bei der Starkenburg und Heppen-
heim die Ebene erreichend. Nach Mitteilungen des Herrn Forstinspektor
1) Mftn rergleiche dagegen Haog's KaUlog Nr. 19.
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Die Neckar-Mümlinglinie von Schlossau an bis zur hess. Grenze. 161
Preaschen wird sie auch Weinstrasse genannt. Eine andere „hohe Strasse*'
fuhrt von Ober-Ramstadt aus den Höhen entlang nach Frankenhausen und
über die Neutscher Höhe zum Staffelkreuz in der Nähe des Felsbergs. Nach
Mitteilungen des vorher erwähnten Herrn soll die Strasse, welche auch Hutzel-
strasse genannt wird, vom Staffelkreuz aus thalab über Quattelbach nach
Balkhausen und Hochstätten und von hier nach Auerbach an der Bergstrasse
gefuhrt haben. Bei dem Ealksteinbruche, in der Nähe von Hochstätten sollen
Spuren eines uralten Betriebs und auch römische Münzen gefunden worden
sein. Walther S. 61.
Vielfach hört man die Ansicht aussprechen, dass auch die hier erwähnten
Hoch- oder Hohestrassen römischen Drsprungs seien, es hat jedoch bis
zur Stunde keine Untersuchung derselben stattgefunden.
»•<>^Q€-«»-«-
Eine Ergänzung der Bibliographie des Münsterischen
Humanisten Murmellius.
Von Gustos Dr. P. Bahlmanii in Münster i. W.
Nach der trefflichen Monographie des Gymnasiallehrers Dr. Reichling :
„Johannes Murmellius. Sein Leben und seine Werke. Nebst einem ausführ-
lichen bibliographischen Verzeichnis sämtlicher Schriften und einer Auswahl
von Gedichten. Freiburg i. B. 1880", kann man die Untersuchungen über
diesen Hauptrepräsentanten des westfälischen Humanismus wohl im allge-
meinen als abgeschlossen betrachten. Auch von den
Schriften
des Murmellius sind dem unermüdlichen Verfasser ausser den drei nach einem
Artikel in der holländischen Zeitschrift „Navorscher" (Amsterdam, jaarg. 1859,
bl. 281) sub Nro. XXXVI, XLH und XLHI des bibliographischen Verzeich-
nisses angegebenen Gedichten nur noch folgende unbekannt geblieben:
1) Angeli Politiani „Manto" cum annotationibus. (Bibl. Verz. XXI).
2) De magistri et discipulorum officiis epigrammatum liber. Goloniae
1510. (Bibl. Verz. XXH).
3) Laus s. encomium Reuchlini. (Bibl. Verz. XXXIX).
Das letztgenannte Gedicht habe ich aus „Reuchlin's Sergius, Monasterii,
Theod. Tzwyvel, 1516" bereits im Korrbl. VIII, 76 mitgeteilt. Hier möchte
ich nur noch ergänzend bemerken, dass Murmellius dem „Joanni Aedicollio
Agrippinensi, ingenuarum artium magistro" schon in seinem Epigrammatum
liber, Coloniae 1508, Bl. b iij zuruft:
Salve, care sodalis AedicoUi,
Culto pectore qui tenes poesim
Astrorumque Situs geographosque
Vidisti varias pcritus urbes
Et mores hominum! Quid alma prosit
Virtus, quid noceat fugax voluptas.
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r
162 P- Bahlmann
Calles, illios arduum cacmnen
Scandeos assiduo labore et huius
Devitans sapienter illecebras.
Hinc dulci fruimur sodalitate.
Consuetudo placet probata nobis
Et mores similes fovent amorem.
Das zweite Werk: „Joannis Murmellii Ruremundensis De magistri et
discipulorum officiis epigrammatum liber. Eiusdem oda in diviFrancisci
Asisiatis preconium [In fine:] Impressum . . . Coloniae in officina litte-
raria ingenuorum filiorum Quentell. Anno dni M. ccccc. x. tertio Nonas De-
cembres", das Goedeke ') unter Bezugnahme auf Reichling noch als verschollen
bezeichnet, beschreibt nach einem in der Paul. Bibliothek zu Münster be-
findlichen Exemplare Baeumker in der Zeitschrift fQr vaterländ. Geschichte
und Altertumskunde Band 39 Münster 1881, I S. 113 ff., wo er auch die
Vorrede, die Überschriften sämtlicher 27 Epigramme und einzelne für die
Pädagogik des Munnellius oder dessen Streit mit dem Münsterischen Rektor
Timann Kemner bedeutungsvolle Verse abdruckt. Die Epigramme X (s. Reich-
ling 1. c. pag. 60) u. XXV, sowie das erste Distichon von Epigr. XXI hat
Munnellius auch in seinen „Scoparius*' (Coloniae, Quentell, 1518, Bl. 6) über-
nommen.
Von dem Commentar zu Angelo Poliziano's „Manto" war bisher kein
Exemplar bekannt. Aufmerksam auf denselben machte zuerst Niesen*), der
in dem Supplemente zu dem Altheer'schen Bücherkatalog (1792) S. 77 fand :
„Angeli Politiani manto cum annot. J. Murmellii: et divi Laurentii passio
versibus Jambicis ä Prudentio, et Ambrosii Epistolae cömpositae. Davent.
15.. 4to.'' Später veröffentlichten G. Krafft und W. Crecelius') einige Aus-
züge aus dem von Johannes Butzbach und Jakob Siberti 1608 — 1513 nieder-
geschriebenen „Auctarium Joan. Boutzbachii de Scriptoribus Ecclesiasticis*',
in welchem (Fol. ö8 A ; Krafft u. Cr. pag. 60) unter den bereits erschienenen
Schriften des Murmellius auch angeführt wird: „In sUvam Policiani annota-
menta que inante [statt manto] intitulatur*'. Jetzt habe ich in der Bibliothek
des bischöflichen Priester-Seminars zu Münster die Originalausgabe gefunden,
welche noch in demselben Jahr wie der Commentar zu Politiani „Rusticus^ *)
gedruckt ist, in dessen Vorrede Murmellius schreibt: „Superiori aestate, vir
humanissime, discipulis inter alia enarravi duas sylvas Angeli Politiani : qua-
rum alteri Rusticus, alteri Manto nomen inditum est. ... prior in lucem
exit Rustici commentarius . , .^ Das in einem mit der Signatur E^ 58 be-
zeichneten Sammelband befindliche Buch beginnt:
Bl. 1» : Angeli Politiani sylva. cui ; titulus Manto : cum adnotamentis
Joannis I Murmellg Ruremundensis. De librisl Vergiiy Elegia Fasti ^), Da-
1) Orandr. i. Oeioh. der dUoh. Dioktong, II. Aafl., Dresden 1884 S. 434 Nr. 18.
8) WettphaliA, hreg. Ton Ladw. Tross, II. Jahrg., Hamm ISib, Quartal I 8. 87.
8) Beiträge inr Oetoh. des HnmanismuB, Heft I, Elberfeld 1870. — Tergl. Reichling
1. c pag. XI.
4) Monaateril, Laur. Bomeman, 1510 (jtiUi auch im Besitz der Münster. Bibliothek).
•— Die Vorrede ist an Herrn. Torrentinas gerichtet and Tom 7. April 1510 datiert
5) Pnblias Fanstns Andreiini, sehr oft blos Faostns genannt, geb. in Forli 1461,
fest als Hofdichter und Professor der schönen Wissenschaften sn Paris 1518.
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Bibliographie des Münsterischen Humanisten Murmellius. 163
runter ein Holzschnitt (6,5 x 8,1 cm) : In der Mitte Gott auf dem Throne,
zur Rechten ein knieender Mann, zur Linken eine knieende Frau, über beiden
ein Spruchband, das rechte mit der Inschrift: „Miserere mei de9^, das linke
mit „misericordia*^. Bl. 1^: Angelus Politianus Laurentio li Medici Petri Fran-
cisci F. S. d. ; •). Bl. 2» (Sign. Ay) : Prefatio angeli politiani in syluä | cui
titulus Manto. il Bl. 2^, Z. 9: Angeli Politiani Sylua in bucolicon||Vergiiy
enarratione pronüciata Cui ; titulus Manto. |1 Bl. 9b, Z. 2 v. u. : £x libro
elegiarum Fausti andrelini || de vergilij libris elegia. { Bl. 12* med. : In quae-
dam perobscura Mantus t loca Joannis Murmell\j Ruremü || densis adnotationes. '|
Nun folgen die Erläuterungen zu folgenden Stellen: Quasi Adonidos hortum
(in d. Widmung an Lorenzo dei Medici, Hoffm. S. 95) ; Ceruchis (in d. Prae-
fatio, Hoffm. S. 140) ; Quis mihi det siculas latio clangore sorores 1 Post geti-
cam superare chelyn (Hoffm. S. 141, Z. 5 u. 4 v. u.); Non Linus Inachides
(Hoffin. S. 142, Z. 33) ; Qualia nee caste peplis et caetera (Hoffm. S. 146,
Z. 3 V. u.). Darunter Bl. 13» (Sign. Cijj) Z. 9 v. u. :
Pamphili Saxi^ distichon.
Foelices viuent anime: que viuere nolunt
nie sapit vere: qui bona vera petit.
Joannis Murmellij distichon.
Ut valeant animi: duro tractanda labore
Corpora sunt: luxus melle venena tegit.
Eiusdem distichon.
Ut studijs sophiae securo pectore laetus
Nocte dieqs vaces: est schola dicta puer.
Bl. 13i>: Ad insignem studiorum humajlnitatis professorem Henri-
cum,|Joannem Bathauü^) £iusdem!!epigramma.|!
Olim nobilitat bellorum fama bathauos
Quos Rhenus gelidis Mosaqs cingit aquis
Te duce nunc etiam Beroaldi docte Philippi
II lustrat patriam phoebus alumne tuam
Nee minor est bathauis Clar\j qua gPa Martis
Prouenit et gemina laurus honorqs via.
Eiusdem ad optima maximä virgine||dei matrem distichon. |
Horrida bella : fames malesuada : r noxia pestis
Sint procul a populo maxima virgo tuo.
Ex libro septimo Petri Criniti *) '| de honesta disciplina. Caput xi. (folgt der
vollständige Abdruck dieses Kapitels mit d. Überschrift). Darunter Bl. 14»
med.: Manto Politiani cum adnotamejtis et Fausti elegia finem habenti Mo-
6) Abgedraoki in S. F. W. HofEmano, Lebensbilder bertthmter Hnmanisten, Beihe I,
Leipzig 1887 8. 95, Praefatio u. Silva ebenda p. 140—147. Auf diesen Abdruck bestehen
sich aooh weiter unten die hinter den erläuterten Stellen eingeklammerten Seiteniahlen.
7) Pamphili Saxi epigrammatnm libri 4, distichomm libri 2, de hello gallioo, de
laudibus Yeronae, et elegiarum über unns (edente Joan. Taberio) ersch. Brixiae, apud
Bernardinnm de Misinta, 1499.
8) Im .Sooparius" als Gommentator der Historia naturalis Plinius des Älteren
▼erzeichnet
9) Zuweilen auch Biccio genannt, geb. ca. 1466 gest. 1605, war SchQler und später
Nachfolger des Politian in dessen Professur der Beredsamkeit zu Florenz.
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164 P. Bahlmann
nasterg aeneis typis excusa. impensis industrij viri LaureDty i| Boraeman.
Anno. M. D. X. ,
14 Bl. 4«, die Rückseite des leUten BUttes frei. Durchweg gothische Type.
Sign. AiJ— CiiJ. Ohne Gastoden o. Blatts.
Ausgaben
Murmellius'scher Schriften fügt Baeumker*<») den von Reichling erwähnten
noch vier hinzu, die Goedeke (1. c. p. 423 ff.) ebenfalls unerwähnt gelassen:
1) Flores Tibulli, Propertii, ac Ovidii, ab Joanne Murmellio selecti, ä
complusculis mendis repurgati. Coloniae s. a. (J. Gymnicus, 1550
bis 1560?). Paul. Bibl. Münster, [zu Reichl. Verz. IV].
2) Joa. Murmellii R. versificatoriae artis rudimenta. De hymuis eccle-
siasticis eiusdem libellus. — In epistolam divi Hieronymi ad Niciam . . .
commentarioli duo Joannis Murmellii. — Ex nonnullis divi Hiero-
nymi epistolis ... ab Joanne Murmellio fideliter selectae orationes.
Daventriae, Alb. Pafraed 1515 mense Junio. (mit der Sign. Di— Kiij,
also lyohl Bruchstück). Paul. Bibl. Münster, [zu Reichl. Verz.
XXVIII u. V].
3) De officiis liberorum, parentum et praeceptorum libellus aureolus:
Olim ab auctore Joanne Murmellio sub titulo Enchiridii scholasti-
corum editus, nunc autem communi utilitati restitutus studio M.
Hermanni Vastelabi Lemgoviensis. Lemgoviae, haer. Conrad! Grotheni,
1596. Bibl. des Gymnas. Carol. in Osnabrück, [zu Reichl. Verz. IX B].
4) Tabulae Joannis Murmellii R. in artis componendorum versuum
rudimenta. Monasterii, Theod. Tzwyvel, 1563. Bibl. Gymn. Carol.
Osnabrug. [zu Reichl. Verz. XXXVII].
An weiteren, bisher unbekannten Ausgaben vermag ich beizubringen:
1) zu Reichl. Verz. I B.
OPuscula duo . . . ünü de verborü compositis. Altei^ de verbis
cöibus ac Deponetalibus (sie!) Coloniae, Mart. de Werdena, 1514. 38 Bl. 4^
(Stadt-Bibl. Lüneburg).
2) zu Reichl. Verz. II A.
Bl. 1»: Antonii Mancinelli Weli temi Versilogus optimo compendio
artem versifi« ,candi tradens studiosoqs scholastico in primis neces sarius.
cui adiecti sunt breues et vtiles commenta^ rij. Carmen item sapphicum in
vrbem Monasterie sem ab Joanne Murmellio citissiö impetu effusumj Bl. 1^
leer. Bl. 2«: Anthonius Mancinellus Inclyto addolescenti (sie!) Joanni
Michaeli de bonis augurijs ... Bl. 18b: In vrbem Monasteriensem westphalie
metro« polim opulentia (sie!) doctisqs ac prudentibus hominib9 jinsignem
Ode sapphica ab Joanne Murmellio. ' (quum certamen cum Georgio Sibutio
in^sset) quamuis sex horas scholasticis officijs impenderet intra vnius lucis
spacium quarto Nonas Julii ef^ fusa. M. CCCCC. iij. Bl. 21 b, Z. 2 und 1
V. u. : Impressum Dauentrie p me Richardum pafraet Anno diii M. CCCCC. ii\j.
In die Appollonie") Bl. 22 leer.
22 BU. 40. Gothische Typen. Sign. AiJ— DiiJ. Ohne Cnst. u. Bits. (St -B. Lüneburg).
10) 1. 0. «t ibid. Bd. 40 (1882), I p. 164 ff.
11) 9. Februar.
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Bibliographie des Münsterischen Humanisten Murmellius. 165
Durch das Auffinden dieses Originals werden die von Reichling
pag. 50 gemachten Bemerkungen hinf&Uig. Die von ihm als erste angesehene
Ausgabe ist thatsächlich 1507 (nicht 1503) gedruckt und dürfte wohl an der
zweiten Stelle ihren Platz finden. Von den von Reichling ebenda erwähnten
Druckfehlem in dem Gedicht auf Münster zeigt unsere Ausgabe nur: Lucie
statt Quae (Strophe 3), numium statt nimium (Str. 31), Caesare statt Caesari
(Str. 44), sowie iuventa statt iuvente (Str. 49)").
3) zu Reichl. Verz. IV.
Loci communes sententiosorum versuum ex elegiis Tibulli, Propertii
et Ovidii
a) Magdeburgi, A. Kirchner, 1586. 8^. (Bibl. des Johanneums zu
Lüneburg).
b) Lipsiae, Weidmann, 1686. 8^ Mit dem Zusätze: Frid. Taub-
manni sententiae et libellus metricus op. et stud. M. H. Prosenii ").
(Job. z. Lüneburg).
4) zu Reichl. Verz. VU.
ARs memorativa Gerogii [sie !] Sibuti. Coloniae, Quentell, 1505, VI Cal.
Apr. mit des Murmellius „Saphicum". — Dieses Reichling nur durch Panzer
bekannte Werk (8 Bll. d^) befindet sich auf der Stadtbibliothek zu Lüneburg.
5) zu Reichl. Verz. XVU.
Bl. 1»: Joaunis Murmellij Rure |j mundesis Panegyricon. in Ipreconiü
illustrissimi pricipis Erici'^) Monas te | riensis ecclesie episcopi. i,
Ode sapphica eiusde de vita diui Ludgeri. |
Eiusde in preconiü Petri Rauenatis '^) syl j ua integritati restituta quem
in priori editio ' ne omissis viginti quinqs versibus chalcogra- i| phorum incuria
Sit fede mutilata '
In Beanum epigramma. |' (folgen 6 Verse).
Bl. 12» [Am Ende]: Hoc opusculü foelici exitu ab industrio viro
Oeorgio Richolff impensis Laure | tii Bomman aeneis typis excusum est , in
preclara urbe Monasteriesi Vestpha', lie metropoli nobilissima. |
18 BL 4». Sign. Aiij— BUiJ. Oothisoha Typen, die zwei ersten Zeilen des Titels
gross gedmokt Anf BUtt 12b ein hansmarkenftrtiges Bachdmokerseichen in
schrigem weissen Wappenschilde, Ton reicher Arabeskenversierang umgeben
(s. Z. im Antiquariat Ton Ludw. Bosenthal in München).
Leider fehlt auch diesem, wie dem einzigen sonst noch Richolfifs Namen
tragenden Münsterischen Druck (Sedulii paschale carmen) die Jahresangabe.
Da man jedoch schon früher *') Richolffs Thätigkeit zu Münster in die Jahre
1507 und 1508 gelegt hat und anzunehmen ist, dass ein dem Bischof Erich
bei seinem Einzüge überreichtes Gratulationsgedicht auch in demselben Jahre
12) Beide Ausgaben haben Str. 10: „cingunt", nicht „cingent*.
13) Zuerst Wittenberg 1533 [sict] erschienen. (Progr. des Johanneums, 1880, p. 16,
Nr. IH)
14) Erich I, Hersog Ton Saohsen-Lauenburg, zum Bischof gewählt am 24. Febr. 1508.
15) Yergl. ttber ihn Beiohling, 1. c. pag 88 u. 118.
16) Nordhoff L d. Zeitschr. für raterL Gesoh. n. Altert. Bd. 84 Münster 1876 I S. 155
und Beiohling in Piok's Monatsschrift Jahrg. lY Trier 1878 S. 610. — Nähere Nachrichten
aber Bioholff; besonders über dessen etwaige Identität mit dem seit Ende des 15. Jahrh. in
Lübeck wirkenden Drucker gleichen Namens gedenke ich später an anderer Stelle su geben.
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166 P. Bahlinann
gedruckt sei, so dürfte unsere Ausgabe bereits 1508 erschienen und somit
der von Reichling angegebenen (Coloniae, Quentell, 1509), mit der sie in-
haltlich vollständig übereinstimmt, voranzustellen sein.
6) zu Reichl. Verg. XXXI.
Jo. Caesarii dialectica, nunc demum exactius recognita et locupletior
reddita. Adjecta est Jo. Murmellü in decem praedicamenta Aristotelis isagoge,
oppidoquam utilis huius disciplinae studiosis. Coloniae, Euch. Gervicomus,
1532. 80 (8t-Bibl. Lüneburg). — Vergl. Reichling pag. 100, Anm. 2.
Dass ausserdem in dem Programm des Johanneums zu Lüneburg, 1880,
sub Nr. 281 eine Ausgabe der Murmellius'schen Abhandlung von 1512 ange-
geben ist, beruht nach einer gütigen Mitteilung des Lüneburger Bibliothekars,
Herrn Oberlehrer Görges, dem ich auch für die nochmalige Prüfung des
Druckjahres der von mir nicht selbst eingesehenen dortigen Exemplare zu
Dank verpflichtet bin, auf einem Irrtum: Gemeint ist der von Reichling,
Yerz. XXXI, 2 beschriebene Druck von 1519.
7) zu Reichl. Verz. XXXVII.
a) Bl. 1«: In artis componen i{ dorum versuum rudimeta mini« ; mo
labore pueris ediscend^ ' Joannis Murmellü ; Ruremunden I' sis Tabu || 1^ Dar-
unter das von Reichling Nr. XL VI, 1 beschriebene Wappen. Bl. Ib: Index
duodecim tabularum huius libelli. , Bl. 2»: De literarum distributione. ,' Ta-
bula prima! Bl. 13^, Z. 7: Joannis Murmellvj ad proximum Epi^Ügramma
par^eticon. \\ Folgen 14 Verse, dann: Finis i Eiusdem ode sapphica ad
grammatices stu» diosum Dauetri^ in ^ib9 Alberti Paef^jraed industry
typographi^ magi* stri ex tempore composita. ,, (27 Verse). Bl. 14» hinter
FINIS II : Excusum Dauetn^ in ofiicina literatoria Alberti Paef:>*|raed Anno
redemptionis nostr^ M. D. Xviy. ;' Mense Julio ,|
14 BU. 4«. Oothische Typen. Sig. AiJ— Ciij. Ohne Gust. u. BlaUs. (St.-B. LOne-
bürg). — In dieser ersten datierten Ausgabe sind die Verbessemngen zu
den Caroleia nicht mehr enthalten.
b) De ratione faciendorum versuum. Magdeburgi, A. Kirchner, 1581.
8«. (St-B. Lüneburg).
8) zu Reichl. Verz. XLI.
Bl. 1»: Grammatice regule Joannis Murmelly quibusdä a Jo* | anne
Bugenhagenio additis. cü no^« minü et verborü declinatione || Jo&nis Bugen-
hageny dialogus tetrastrophus *^j In preceptoris sui Joannis Murmelly Andree ;
Modestini Phalecium Hendecasyllabum pre» cepta grammatica. || Folgen 12
Verse. Bl. 1^: Venerabilibus viris Joanni Boldewan religio jl so patri Priori
conuentus Monasterij in Belbuck ordinis Premöstra« 1 tesis. r Luce Crümen-
huss Archigrämateo reipu. Treptöesis dnis suis 1 . . . Joänes Bugehagenius
in Christo Jesu S. D. unterzeichnet Bl. 2»: Ex Treptonio Pomeranico.
Auno dni millesimo j quingenteshno decimoquinto. kalendis Februar\j. ' Andree
Kikebusch Chri Sacerdoti doctissimo Philosopho r Colber gensis schole Archi-
didascalo Joannes Bngenhagenius consacerdos Christi Salutem. || Unterz. :
17) Mnrmel. Cnr mea das aliis? Bugen, nö nt mea sed tua doctfk
Dedico: quo inter nos nomen habere queas.
Murmel. Inflma cur doctis? Bugen, nt tutet, infima nee Qunt
Quis sine maiora firustra adit ipse puer.
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Biblfographie des Münsterischen Humanisteu Marmellius. 167
Treptonio Ex aedibus iiostris. Christi domini Millesimo quingen || tesimo de-
cimoquinto. Kalendis Februarijs. | Bl. 2^: Regule granunatice I! Bl. 7», Z. 14:
Finis. i' Joannes Bugenhagenius Pauca hec predictis non temere addita sunt. ||
BL 8^ med.: Declinatioues ... ex Donato. ,| Bl. 12b : Ad adolescentem quen-
dam unicam parentum suorum pro' lern qui renüciato saeculo religione in-
gressus ut in ea perse | ueret Andrej Modestini Heliacropolensis Paren^is. \\
(Füllt 4 Seiten). Bl. 14b: leer.
14 Bll. 49. Bngenhagen's Dialog, sowie des Modestinas Hendecasyllabeu und
Paraenesis mit lat., sonst mit goth. Typen gedruckt. Sign. Aij — Ciij. Cust. u.
Bltz. fehlen. Ohne Ort, Drucker und Jahr. (St.-Bibl. Lüneburg).
Das beschriebene Exemplar scheint noch 1515 (nicht erst 1516) er-
schienen und der von Reichling vergebens gesuchte Originaldruck zu sein,
wenn sich auch bestimmte diesbezügliche Angaben nicht vorfinden. Die Be-
sorgung durch Bugenhagen kann uns nicht besonders befremden, da wir
wissen, dass er seit 1512 mit Mnrmellius in Briefwechsel stand und auch die
Neuherausgabe von dessen „Epistolarum moralium über" durch den Lüne-
burger Verleger Johannes Heist — der in der Widmung an Kikebusch eben-
falls erwähnt wird — 1515 oder 1516 veranlasste"). Der Annahme (Reichl.
1. c. pag. 106), dass Murmellius die „Regulae grammaticae^ zuerst unter dem
Titel „De latina constructione praecepta" selbst edierte, widerspricht der
in ADm. 17 mitgeteilte Dialog.
Anscheinend giebt auch Goedeke (1. c. Nr. 23), der sonst sein Ver-
zeichnis der Schriften des Murmellius lediglich nach Reichling angefertigt,
noch zwei neue Ausgaben (Daventriae, Alb. Pafraet, s. a. und Coloniae 1535)
des „Sev. Boethii de consolatione philosophiae opus praeclarum cum praeci-
batione Joannis Murmellii. Coloniae, Quentell, 1511^*. (Reichl. Verz. XXVII).
Thatsächlich jedoch sind dieselben wohl nicht spätere Drucke dieses von
Clement »•) aufgefundenen und beschriebenen Werkes, sondere die erste und
dritte Ausgabe der zuerst 1514 erschienenen grösseren Arbeit. (Reichl. Verz.
XXXIII; Goed. Nr. 29).
Zum Schluss seien mir noch einige Bemerkungen über des Alcimus
Avitus*^) „Poematum libri Via Joa. Murmellio recogniti et emendati" ge-
stattet Die von Reichling erwähnte Ausgabe (Verz. XVI : Coloniae, Mart.
de Werdena, 1509) ist nach der allerdings nur teilweise vorgenommenen Ver-
gleichung zu urteilen -— abgesehen von dem auf Bl. 1» befindlichen Tetras-
tichon Murmellii — nichts als ein wortgetreuer Abdruck (Goedeke 1. c. Nr. 13 ;
„einfaches Plagiat") der 1507**) von Johann Adelphus Muling herausgegebe-
nen Gedichte des Avitus, den Murmellius lediglich in dem Bestreben hat an-
fertigen lassen, die Verbreitung dieses zur Lektüre geeigneten und empfoh-
lenen christlichen Dichters zu fördern. Die Absicht, des Adelphus Ver-
dienst zu schmälern, hat ihm dabei gänzlich fern gelegen: er hätte sonst
18) Krafft n. Crecelins, Beitr&ge cur Gesch. des Humanismus. Heft II, pag. 81 ff.
Elberfeld, 1875.
19) Bibliotheqae cnrieuse, Tom. IV. Hannover 1753 p. 486.
20) Über Alcimus Eodioius A.ritus vergl. Teuffei, Gesch. der röm. Litteratnr, IV.
Aufl., Leipsig 1888, | 474,5. — Die Gedichte sind neu herausgegeben von Bud. Peiper in
MonumenU Germ. hist. Anctor« antiquiss. Tom. VI pArs II. Berolini 1888 p. 197—294.
21) Argentorati, Joannes Grttninger. kl. 80. (Unir.-Bibl. Göttingen.)
Westd. Zeitschr. f. Gesch. u. Kunst. VIII, U. 13
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168 Recensionen.
sicherlich nicht des Ringmannus Phüesius und besonders des Adelphns Vor-
rede in den Neudruck übernommen. Bei diesem Sachverhalt ist es auch
ziemlich unwichtig, ob der Kölner Ausgabe von 1509 noch eine andere von
Murmellius veranlasste vorangegangen sei Reichling, der des Adelphus
Original nicht gekannt zu haben scheint, vermutet dies nach einem in des
Murmellius Epigrammatum liber abgedruckten Gedicht an Rudolf von Langen,
das beginnt:
Sacris historüs sacer poeta *
Quondam deditus Alcimus canendis,
Qui multos latuit sepultus annos.
Nunc parvo licet et brevi libello
Te Langi petit . . .
Seinem Inhalte nach aber konnte Murmellius dies Gedicht ebensogut
wie einer von ihm selbst besorgten Ausgabe auch dem Strassburger Original
beilegen, das er Langen als Geschenk oder zur Begutachtung übermittelte.
Noch wahrscheinlicher wird die auch von Graesse'*) und Brunet^) geteilte
Annahme, dass die beiden genannten Ausgaben unmittelbar einander folgen,
wenn man berücksichtigt, dass die Vorrede des Adelphus an den Erzbischof
Jakob U. von Trier erst am 2L August 1507 geschrieben, das Epigrammatum
liber (Reichl. Verz. XV) dagegen nach dem Eolophon bereits am 22. Mai
1508 gedruckt wurde.
Recensionen.
Quellen zur Frankfurter Geschichte. Auf Veranlassung und aus den
Mitteln der Administration des Dr. Johann Friedrich Boehmer^schen
Nachlasses herausgegeben von Dr. H. Grotefend. 1. Band.
Chroniken und annalistische Aufzeichnungen des Mittelalters, be-
arbeitet von Dr. R. Fron in g. 2. Band. Chroniken der Refor-
mationszeit nebst einer Darstellung der Frankfurter Belagerung
von 1552, bearbeitet von Dr. R. Jung. Frankfurt a. M. (JQgel)
1884. 88. XLIV u. 492, XXXU u. 730 SS.
Inventare des Frankfurter Stadtarchivs. Mit ünterstatzung der Stadt
Frankfurt a. M. herausgegeben vom Vereine fflr Greschichte und
Altertumskunde zu Frankfurt a. M. 1. Band. Eingeleitet . von
Dr. H. Grotefend. Frankfurt a. M, (Völcker) 1888. — Ange-
zeigt von Richard Fester in Karlsruhe.
Noch vor wenigen Jahrzehnten musste der mit Frankfurts Vergangen-
heit beschäftigte Historiker die chronikalischen Quellen der Stadt an den
verschiedensten Orten aufsuchen. Den Latomus fand er in Florians Chronik
82) L«hrb. «iner »11g. Litt«rftrgesoh. BA U Abt I H. I Dresden u. Leipsig 1889
8. 874. — Trteor de ÜTres rarei. Snppl. Dresde 1869 p. 65.
23) Manuel du libreire. Tom. I Paris 1860 p. 689.
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Recensionen. 169
von 1664, die CoUectaneen des Dominikaner Herp in Senckenbergs Selecta
juris, einige Fragmente des fünfzehnten Jahrhunderts bei Würdtwein. Boeh-
mers Anssprucb, dass Frankfurt gleich der ganzen Wetterau im Mittelalter
keinen Chronisten besessen habe, erwies sich schon dann als irrig, als Steitz
in den Jahren 1862 and 65 die Gesphlechtergeschichte Bernhard Rorbachs
und das Tagebuch seines Sohnes Job ans Tageslicht zog. Dass übrigens
Boehmer selbst von seiner 1836 geäusserten Ansicht später zurückgekommen
war, zeigte der 1868 aus seinem Nachlasse von Huber veröffentlichte vierte
Band der Fontes, der ausser einer verbesserten Ausgabe der Acta des La-
tomus und dem aus Würdtwein Bekannten zum ersten Male die Annales
Francofurtani 1306—64, den fälschlich sogenannten Caspar Camentz und
Fragmente von Wolfgang Königsteins Tagebuch brachte, letzteres ein Beweis,
dass Boehmer auch die Chroniken des Reformationszeitalters berücksichtigen
wollte. Da Huber bei dieser Ausgabe sich im wesentlichen auf einen Ab-
druck Boehmerscher Abschriften beschränken musste, so war der Kritik und
namentlich der Erklärung noch ein weites Feld offen gelassen. Davon legt
der erste Band der Quellen vollgültiges Zeugnis ab^), der gleich den Um-
arbeitungen der Eaiserregesten als Vollendung des von Boehmer Erstrebten
angesehen werden darf. Es scheint mir daher nicht unangemessen, wieder
einmal darauf hinzuweisen, wieviel stattliche Produktionen, die einer Akademie
zur Ehre gereichen ' würden, in den fünfundzwanzig Jahren seit Boehmers
Tode mit seinen hochsinnig in den Dienst der Wissenschaft gestellten Mittehi
herausgekommen sind, Werke, die grossenteils der Geschichte Westdeutsch-
lands zu Gute kommen').
Ausgangspunkt der Quelienanalyse für den ersten Band mussten not-
wendig die Acta des Job. Steinmetz, genannt Latomus (1524—98) werden.
Da traf es sich günstig, dass der Bearbeiter Froning, den J. Weizsäcker
auf dieses Thema hingewiesen hatte, in Frankfurt unter Grotefends sach-
kundiger Leitung seine Studien von Neuem aufnahm. Denn nur hier, wo
das Material zur Berichtigung eines so ungenauen Autors, wie es Latomus
ist, wo sich vor Allem die Bibliothek des Barthol omaeusstiftes, dessen Dechant
Latomus 1561 wurde, befindet, konnte die äusserst verwickelte Untersuchung
zu einem gedeihlichen Abschluss gelangen. Dies geschah in Fronings Dis-
sertation über „die beiden Frankfurter Chroniken des Joh. Latomus und ihre
Quellen" im Frankf. Archiv, N. F. 8, 233 ff., die der Benutzer der ersten
Bandhälfte nicht übersehen darf. Die mühsame Feststellung des Verhältnisses
der Handschriften hat jetzt nur noch ein antiquarisches Interesse, nachdem
1) Wir bringen diesen ersten Band erst jetst in OemeinschAfk mit dem sweiten mr
Besprechang, am dem Beoensenten den weiteren Spielraum allgemeiner Betrachtung über
die gesamte Frankfurter Gesohichtssohreibung su ersohliessen. D. Bed.
8) Es sind ausser den Quellen die Kaiserregesten von Fioker, Huber, MOhlbaohtr
(Scbeffer-Boiohorst und B^dlioh stehen noch aus); Loersch, der Ingelheimer Oberhof 18SÖ;
Büch«r, die BeTOlkerung von Frankf. im 14. u. 15. Jahrh. 86; Boehmers Leben Ton Janssen;
Wills Monumenta Blidenstadensia 74 und Begesten der ICainser ErsbischOfe 77 und S5.
Fiokers Acta imperii selecto 70. Winckelmanns Acta imperii inedita 86. Der erwähnt«
Bd. 4 der Fontes und neuerdings die Erginsungsbefte der Mitteilungen des Instituts tfXt
Osterr. Gesohiohtsforsohung.
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170 Recensioneu.
der Autograph der Acta durch Kauf aus dem Besitze des Pfarrers Allmen-
rüder in Oberbiel an das Stadtarchiv gekommen ist. Auch sind die text-
lichen Abweichungen von Boehmer-Huber nicht sehr bedeutend. Der Wert
der neuen Ausgabe besteht vielmehr in den Anmerkungen, dem bei wörtlicher
Wiedergabe durch kleineren Druck kenntlich gemachten Quellennachweis,
uod in dem gleichlaufenden Drucke der hier zum ersten Male veröffentlichten
„Antiquitates.** In diesen nicht für die Öffentlichkeit bestimmten Aufzeich-
nungen hat Latomus die in den „Acta*' aus Rücksicht auf seine protestan-
tischen Mitbürger eingehaltene Zeitgrenze von 1524 überschritten. Sie reichen
bis 1576, decken sich für die Zeit vor 1524 keineswegs ganz mit den Acta,
so haben sie namentlich eine Lücke von 1356 bis 1499, für deren Grund
man gern die Vermutungen des Bearbeiters vernähme, und verbreiten sich
nach 1524 ausführlich nur über die Eaiserkrönung Ferdinands I., das Cere-
moniel bei Gelegenheit der Krönung Maximilians II. und das Dongubiläum
von 1569. Latomus zeigt sich in ihnen als erbitterter Gegner der neuen
Lehre, und was er zum Jahre 1519 bemerkt — „fuit tum ecclesia potissimum
Germaniae et respublica imperii in summo flore tranquillitate et pace. am-
plissima etiam spes de imperatore novo .... hoc quiequid erat foelicitatis,
brevi ereptum est statim initio imperii Caroli per seditiosum haeresiarcham
Marthinum Luther diaboli singulare mancipium,^ pag. 111 — das erinnert
lebhaft an Janssens Auffassung dieser £poche.
Der bedeutendste Fortschritt über Boehmer-Huber hinaus ist der erst
durch den zweiten Band gelieferte Beweis, dass ein Chronist Caspar Camentz
nicht existiert hat. Schon Huber, der sich auf Boehmers notizenlose Ab-
schrift allein angewiesen sah, erkannte, dass unter diesem Namen zwei nicht
zusammenhängende Stücke, lateinische Annalen bis 1484 und deutsche Me-
moiren seit 1524 vereinigt seien. Als Verfasserin der letzteren ergab sich
nach einer älteren und vollständigeren Kopie Katbarina von Ostheim, ge-
nannt Scheffers Kreinchen, vermählt in erster Ehe mit Job. Comens (f 1507)
in zweiter mit Hert Weiss von Limburg. Sie schrieb von 1524 bis zu ihrem
1546 erfolgten Tode reichende lebendige Memoiren (2, 279—96), in denen
die alte, der katholischen Lehre treu gebliebene Frau ihren Unmut über die
bösen Zeiten oft drastisch genug äussert. Ihr Neffe erster Ehe Job. Comens
hat dann eine dürftige Fortsetzung bis 1562 angehängt. Die lateinischen
Annalen aber, die jetzt als „Anonymus" zum ersten Male ganz abgedruckt
sind, stehen in der von Boehmer abgeschriebenen Kopie vor den Memoiren,
zeigen Benutzung einer vierten Redaktion des Latomus und gehören wahr-
scheinlich erst dem Anfange des siebzehnten Jahrhunderts an. Der älteren
Überarbeitung der Memoiren sind dagegen deutsche Annalen von 1306—43
vorgesetzt, die schon Job. Heise (s. u.) seinen Aufzeichnungen vorausschickt,
und die neuerdings noch (vgl. Bd. 2, 658) in einer Abschrift von 1550 ent-
deckt worden sind. In die Gruppe der späteren Aufzeichnungen gehören
schliesslich die in der bunten, nicht chronologischen Reihenfolge des Originals
mitgeteilten historischen Notizen aus den Collektaneen Philipp Schurgs
(f 1601), der noch bei Latomus Lebzeiten in das Capitel des Stiftes kam.
Woraus nun Latomus, der Anonymus und Schurg ihre Notizen geschöpft
haben, sieht man jetzt erst deutlich. Es sind die Annalen von 1316 bis 64,
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Recensionen. 171
die älteste Quelle der Stadt, die bereits erwähnten deutschen Annalen, Herps
wenig Originales enthaltende Collektaneen, wozu jetzt die meist unbekannten
Notizen über Dombrand und Judenschlacht von 1349, Empfang und Wahl
des Königs, und die Auszüge aus zwei Sammelbänden des Bartholomäus-
stiftes kommen, unter welchen die Aufzeichnungen des Dechanten Joh. König-
stein (t 1462), des Kantor K. Feldener (f 1481, z. T. bei Würdtwcin, subsid.
diplom. I und danach Fontes IV.) und des Kantor Schwarzenberg hervorragen.
Beschränkten sich nun die drei genannten späteren Compilatoren allein
auf die eben angeführten lokalen Quellen, so verlohnte sich kaum ihre Mit-
teilung. Der Bearbeiter aber hat mit vielem Scharfsinne nachgewiesen, dass
ihnen noch andere verlorene Quellen des vierzehnten Jahrhunderts vorlagen.
Doch musste die Untersuchung sehr ewchwert werden durch den Umstand,
dass die Aufzeichnungen des fünfzehnten Jahrhunderts Königstein imd Herp
sich einer genauen Quellenanalyse fast entziehen (vgl. Einleit. XXVII). So
musste die Rekonstruktion allein von den zweifelhaften späteren Quellei
ausgehen, von dem, wie Froning sehr hübsch nachweist, palaeographisch un-
geschulten Anonymus, von dem Notizensammler Schurg und von Latomus,
der nicht zuviel sagt, wenn er seine Acta selbst „tumultuarie collecta" nennt.
Bei diesem Versuche ist nur zu tadeln, dass der Bearbeiter scharfsinnige
Hypothesen seiner Dissertation in den Quellen als unumstösslich feststehende
Resultate voraussetzt Schon in seiner Dissertation (Frankf. Arch. N. F.
8, 277) wies er für die Jahre 1310—55 streng chronologische Aufzeichnungen
als teilweise wörtlich benutzte Quelle des Anonymus nach. Gegen die chro-
nologische Reihenfolge aber, die in Fronings Beweis eine Hauptrolle spielt,
spräche Folgendes. I pag. 141 gedenkt der Anonymus zu 1345 gelegentlich
der Gründung der Katharinenkapelle auch der Mitwirkung des Mainzer Suf-
fragans mit den Worten „Alberto de Bichelingen, episcopo praedicto", ohne
dass dieser vorher genannt sei. Also hat nach Fronings treffender Bemer-
kung die Vorlage des Anonymus den Weihbischof vorher schon einmal er-
wähnt. Und in der That bringt Schurg (pag. 152) wenig früher vor der
nämlichen Notiz eine andere Notiz über Albert, nur zu 1355. Entstammt
diese aber der vom Anonymus benutzten Quelle, und will man nicht an-
nehmen — was auch der Bearbeiter Einleit. XXIII bezweifelt — dass Schurg
in seinem Sammeleifer die chronologische Ordnung seiner Quelle umgeworfen
habe, so dürfte die chronologische Folge der Annalen von 1310 — 55 kaum
zu halten sein. In den Quellen geht der Bearbeiter aber noch einen Schritt
weiter. In einem 1383 angefangenen städtischen Kopialbuche fand er un-
mittelbar hintereinander zwei verschiedene Notizen über den Tod Ludwigs
des Baiem, die eine überschrieben „ex registro domini Baldmari de Pottir-
weil", die andere „ex reg. dom. Gerlaci Wiessen". Die erste findet sich nun
wieder bei Schurg (151) und fast wörtlich bei dem Anonymus, die andere
nur bei Schurg, von der ersten getrennt durch eine Notiz zu 1338 August 8.
Der Verfasser der Schurg und dem Anonymus gemeinschaftlichen Notiz über
Kaiser Ludwigs Tod wäre demnach der Kanonikus des Barthol omaeusstiftes
Baldemar von Peterweil, der Verfasser einer von Euler 1859 (Mitteilungen
des Vereins für Gesch. etc. in Fft. Heft 1) veröffentlichten, durch ihre Sorg-
falt ausgezeichneten örtlichen Beschreibung Frankfurts sowie der hier zum
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172 Eecensionen.
ersten Male mitgeteilten kurzen Notiz zur Geschichte der Domfabrik (1, 6),
ond der mutmassliche Verfasser eines von Johann Königstein benatzten
Buches („Über*') über Wahl und Empfang des Königs (1, 9), über dessen
Leben nur die zwei bei Würdtwein, dioecesis Moguntina 2, 604 — 5 gedruckten
Urkunden Auskunft geben, in deren einer von 1379 er mit seinen Geschwistern
als Stifter einer Yikarie der h. Dreifaltigkeit erscheint, in deren zweiter von 1384
er als verstorben erwähnt wird '). Obige sicher Baldemarische Notiz gehört nun
nach Froning zu einer der bei Latomus, Schurg und dem Anonymus vorkommen-
den Notizen zu den Jahren 1338, 42, 44, 47, 49, die, soweit sie Frankfurt be-
treffen, nachweislich keinen Fehler enthalten, und der Bearbeiter weist diese
Notizen daher alle dem Baldemar zu, der somit der älteste Annalist der
Stadt wäre. Auf diese Vermutung wurde Froning geführt durch die Ähn-
lichkeit der Ausdrücke, die er in der Schilderung ganz verschiedener Ereig-
nisse bemerken will, so z. B. dass mehrmals gesagt wird, Kaiser Ludwig habe
„sedibus imperialibus*' Gesetze erlassen, oder dass in der Beschreibung von
Prozessionen der Ausdruck „candelae tortae'' sich wiederholt. Derartige sti-
listische Argumente sind aber doch wohl bei mittelalterlichen Quellenunter-
suchungen erst in zweiter Linie und nur da, wo sie in grosser Zahl ins
Treffen geführt werden können, zulässig. Auch finden sich die bezeichneten
Notizen keineswegs bei allen drei Autoren zugleich, namentlich dem Anony-
mus fehlen einige, deren vollständige Ignorierung bei dem Baldemar zeitlich
so nahe stehenden Verfasser der Annalen von 1810 bis öö immerhin be-
fremdlich scheint. Nach unserer Annahme (s. o.) hätte er freilich einmal
eine Notiz zu 1355 bei Seite gelassen. Wer endlich sollte nach Abzug der
Baldemarischen Aufzeichnungen — auch zur Judenschlacht von 1349 nimmt
Froning eine besondere Quelle an — - der Verfasser der übrigen Notizen sein,
die in die beim Anonymus erhaltenen Annalen Aufiiahme gefunden haben?
Der 1411 verstorbene Gerlach Weiss jedenfalls nicht ; denn seine Notiz fehlt
bei dem Anonymus. Schurg entnahm die Nachrichten über Kaiser Ludwigs
Tod nicht dem städtischen Kopialbuch, in dem sie erhalten sind, weil er sie
sonst nicht durch eine Notiz zu 1338 getrennt hätte. Jeder Versuch, das
Dunkel der Überlieferung zu erhellen, verwickelt hier nach anderen Seiten in
unlösbare Widersprüche, und man muss sich m. E., solange das Verhältnis
Königsteins und Herps zu älteren Vorlagen unaufgeklärt bleibt, bescheiden,
dass besonders bei dem Anonymus noch dem 14. Jh. angehörige zuverlässige
Aufeeichnungen erhalten sind, Baldemar und Gerlach aber mit Sicherheit nur
als Verfasser der Notizen über Ludwigs Tod gelten dürfen. Vielleicht exis-
tierte ein Sammelband^ des Bartholomaeusstiftes aus dem 14. Jh., ähnlich
den (Einleit XIV) von dem Bearbeiter beschriebenen, denen dieser die unter
IV mitgeteilten Au&eichnungen entnahm.
Bei Bearbeitung der zweiten den bürgerlichen Aufzeichnungen gewid-
meten Bandhälfte hatte die Kritik einen leichteren Stand. Nur der bisher
8) Schulte hatte in den OOtt. Gelehrt. Ans. 1885 S. 1037 — der einzigen- »nsfahr-
llchen Becension des ersten Bandes — nähere Angaben dber Baldemar vermisst, weshalb
ich oben das wenige Bekannte anfahrte. Übrigens erhebt Soh. gegen die Baldemarhypo-
theee keinen Widerspruch.
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Recensionen. 173
grösstenteils onbekannte „über gestomm'* Bernhard Rorbachs (1446 — 82)
mosste nach einer unvollst&ndigen Abschrift des jüngeren Fichard mit Heran-
ziehung indirekter Überlieferung bei Lersner, in Zum Jungenschen Manu-
skripten u. s. w. hergestellt werden. Dagegen lagen für die Geschlechter-
geschichte Bernhards (hier als stirps Rorbach) und für das Tagebuch seines
Sohnes Job (1419—1502) die schon von Steitz benutzten Autographen vor.
Mit Recht hat der Bearbeiter in dem Tagebuch die nicht chronologische
eines gewissen Reizes nicht ermangelnde Anordnung des Originals wiederher-
gestellt. Das besseren Überblickes wegen wird man daneben die Ausgabe
von Steitz noch immer mit Nutzen gebrauchen können. Das Tagebuch ist
mit seinen Angaben über geistliche Spiele, die kurze Anwesenheit des Reichs-
kammeigerichts in Franktot und die Festlichkeiten und Gastereien der Ge-
sellschaft Limburg seit lange als kulturhistorisch wertvolle Quelle erkannt
Dun reiht sich jetzt der in demselben lateinisch-deutschen Mischstile ge-
schriebene „liber gestorum'^ von Jobs früh verstorbenem Vater ebenbürtig an,
der durch seine Nachrichten über Capistranos Aufenthalt in Frankfurt, den
kaiserlichen Besuch von 1474 und die zahlreichen Fehden der Stadt mit
ihren Nachbarn u. a. m. noch mehr Beachtung verdient wie das Tagebuch.
Nur der Vollst&ndigkeit wegen seien die Klatschgeschichten des Aichmeisters
Job. Heise (bis 1493) erwähnt, zu denen Bd. 2 aus einer inzwischen bekannt
gewordenen älteren Handschrift eine Reihe von Zusätzen bringt.
Der Bearbeiter dieses Bandes hat es äich zur Aufgabe gemacht, alle
Nachrichten seiner Chronisten auf ihre Richtigkeit hin zu prüfen. Da es sich
hierbei vorwiegend um Herbeiziehung von archivalischem Material handelte,
war die Lösung dieser Aufgabe nur in stetem Zusammenwirken mit dem
Stadtarchivar, dem Herausgeber beider Bände möglich. In der That steckt
in den Anmerkungen, die stellenweise wichtiger sind wie der Text, ein gutes
Stück Arbeit Auch die Stammtafeln der wichtigsten Patrizierfamilien nach
Fichards handschriftlieher Geschlechtergeschichte und die Exkurse über einige
Fehden der Stadt gehören dahin. Bei den Chroniken des Reformationszeit-
alters verbot sich wegen des massenhaft anschwellenden Aktenmaterials gleiche
Ausführlichkeit von selbst Dem Grundsatze der Berichtigung falscher That-
sachen ist aber der Bearbeiter des zweiten Bandes, der sich darin als Grote-
fends Nachfolger erfolgreich einführt, ebenfaUs treu geblieben. Wenn Froning
sowohl wie Jung manche für Fachgenossen überflüssige Hinweise gebracht
haben, so entschuldigt dies wohl der Leserkreis der Quellen, den man in
erster Linie unter den in Frankfurt noch immer zahlreichen Freunden der
heimatlichen Vergangenheit zu suchen hat. Mit ausführlicheren Anmerkungen
hat Jung nur das Tagebuch des Kanonikus Wolfgang Königstein bedacht, um
uns in ihm einen zuverlässigen Führer durch die ersten Jahrzehnte der Frank-
furter Reformationsgeschichte zu geben Gerade das aber hatte die von Steitz
1876 besorgte Ausgabe des Vereins für Frankfurts Geschichte vermissen
lassen. Der würdige Geistliche, dessen hervorragende Verdienste um die
Geschichte seiner Vaterstadt dadurch nicht geschmälert werden, dass ihm die
exakte moderne historische Schulung fehlte, hat sich auch in seinem Alter
in das Autograph Königsteins, das ihn vierzig Jahre früher von einer Heraus-
gabe desselben abschreckte, nicht ganz eingelesen. Denn sein Text wird,
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174 Recensionen.
wie eine Coliationierung mehrerer Stellen desselben mit dem der Quellen
bestätigt, nicht selten durch schwere, sinnstörende Lesefehler entstellt. Aber
auch davon abgesehen verstand es sich bei Eönigstein wie bei dem ebenfalls
durch Steitz 1875 als Neujahrsblatt des Vereins herausgegebenen Aufruhr-
buche des Katschreibers Job. Marstellers *) ganz von selbst, dass sie in dieser
abschliessenden Ausgabe nicht fehlen durften.
Königstein ist nicht der einzige Repräsentant des Liebfrauenstifts, das
jetzt in historiographischer Beziehung das Bartholomäusstift ablöst. Einge-
leitet wird der Band durch Notizen aus einem Buche des Stiftes von 1498
bis 1518, grösstenteils von der Hand des Kanonikus Job. Humbracht (1481
bis 1531). Die wichtigeren aber zerstreuten Notizen des Dekans (seit 1531)
Jodocus Lochmann, dessen Nachfolger im Dekanat 1554 Königstein wurde,
hat Jung in den Anmerkungen zu Königstein verwertet. Das Tagebuch aber
wird immer wegen seiner ruhigen sachlichen Haltung eine sehr schätzenswerte
Quelle bleiben. Berichtet doch Königstein über die unerfreulichen Zänkereien
in seinem Kapitel mit derselben Offenherzigkeit wie etwa über das anmassende
Auftreten der Prädikanten Melander und Algesheimer. Leider hören seine
Aufzeichnungen in der auf uns gekommenen Gestalt schon 1533 auf. Die
übrigen nur in Schurgs Auszug erhaltenen Notizen bis 1548 füllen kaum zwei
Seiten. So sind wir für den so überaus wichtigen Zeitraum bis 1544 im
wesentlichen allein auf die Annalen des Dr. Job. Fichard angewiesen, deren
Ausgabe nur ein Wiederabdruck der von dem jüngeren Fichard im Archiv
für ältere deutsche Litteratur und Geschichte veranstalteten Ausgabe ist.
Denn durch ein eigentümliches Schicksal sind die Originale von Fichards
Annalen, von seiner Lebensbeschreibung und der Italia bald nach des jüngeren
Fichard Tode spurlos aus dem Besitze der Familie verschwunden. Aber
niemand wird das Werk „des grössten Rechtsgelehrten und Staatsmannes,
den Frankfurt im 16. Jahrhundert besessen hat*^'^), ohne Enttäuschung aus
der Hand legen. Viel trägt dazu schon bei die dem lebensvollen Stoffe so
völlig unangemessene Sprache Sleidans, die der seines Livius kundige Stadt-
syndikus durchweg redet mit einer merkwürdigen Ausnahme bei Erwähnung
des „stummen weines" von 1540. (267.) Aber vor Allem ist er bei seiner
intimen Kenntnis der Verhältnisse doch sehr dürftig. Bei der Aufnahme der
Stadt in den Schmalkaldischen Bund teilt er fast nur die Fakta mit (259
und 61). Den Tag zu Schmalkalden vom Juni— Juli 1543 besucht er selbst
als Gesandter der Stadt zusammen mit Daniel zum Jungen. Aber er berichtet
nur über ein Tertianfieber, das ihn dort befiel, und auch eine deutsche
anderwärts erhaltene Aufzeichnung von seiner Hand über diesen Tag sagt
nur, dass sich dort „allerlei unrichtiger ding, damit mir nie wohl gewesen,
zutrugen.« (275.)
Da hat uns nun der zweite Band neben der schon erwähnten Katharina
Scheffer eine bislang unbekannte, lebensvolle, wenn auch sekundäre Quelle
4) Über den kritischen Angelpunkt des Aufrahrbnchs, den ausser von Hleite auch
▼on Stern in den Forschungen X behandelten Artikelbrief Tom 28. April I5i5, stellt Jung
eine eingehendere Untersuchung in Aussicht.
5) Auch auf ihn yerspricht .Tung in einer besonderen Monographie zurückzukommen
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Recensionen. l'i^5
erschlossen in der Chronik des Schuhmacherhandwerks. 1458 beginnen in
dieser erst im Jahre 1801 geschlossenen Chronik die gleichzeitigen nicht
immer regelmässigen Einträge meist über innere Vorgänge in der Zunft
Das hier Mitgeteilte setzt 1504 ein. Öfter nennen sich die Meister am
Schlüsse ihrer Einträge, und wir begegnen hier unter den Quellenschrift-
steilem des Jahres 1525 auch der interessanten Gestalt des Hans Hammer-
schmidt von Siegen, des bekannten Führers im Aufruhr. (12.) Eine erfreu-
liche Erscheinung ist Jakob Medenbach, der 1531 mit Erlaubnis des Rates
die erste deutsche Schule in Frankfurt errichtete. Sein Handwerk scheint
er aber trotz des in seiner Bittschrift an den Rat ausgesprochenen Wunsches
(Kriegk, Deutsches Bürgertum im Mittelalter, N. F., 121) nicht ganz an den
Nagel gehängt zu haben; denn seine Aufzeichnungen, die Jung seiner Gruppen-
einteilnng zu lieb auseinander gerissen hat, reichen von 1519 bis 47. Be-
sonders ausführlich verweilt er bei den Ereignissen der Jahre 1546 bis 47
und zeigt sich überall als ein weltfreudiger klarer Kopf. So ist er zwar
herzlich froh, als 1547 „die cgiptischen heuschrecken, die frommen lanzknecht
genant^ endlich abziehen, aber nicht ohne heimliche Freude erzählt der alte
Schulmeister, wie auf Anstiften des kaiserlichen Obersten die Jugend Frank-
furts sich mit den Trossbuben der Landsknechte zusammenthut, Fähnlein
aufrichtet und den Sachsenhäusern den Krieg ankündigt. Dieses sehr un-
schuldigen Bürgerkriegs im kleinen gedenkt auch der seit 1541 in Frankfurt
thätige Prädikant Melchior Ambach (342) charakteristisch genug für die ent-
gegengesetzten Strömungen der Zeit in demselben heftigen Busspredigertone,
mit dem er auch sonst über die Jahre 1546—47 und die Belagerung von
1552 mit einer 1556 geschriebenen Widmung an den Rat berichtet hat.
Nicht uninteressant ist u. a. seine Beschreibung des von den Kaiserlichen
erbeuteten und über Frankfurt weggeführten Feldgeschützes des Kurfürsten
Johann Friedrich. Mit nicht zu verkennender Genugthuung erzählt er von
drei herrlichen grossen Stücken, der Papst genannt, auf welchen dieser als
ccbeusslicher Drache in Gussarbeit dargestellt war, und verfehlt auch nicht,
die begleitenden kräftigen Reime mitzuteilen.
Nur bis zu Bürens Einzug im Dezember 1546 führt uns der zuver-
lässige, etwas trockne Bericht des Ratsschreibers Urban, während die ans
der Degenhartschen Familie stammende Chronik weiter keinen Wert besitzt,
als dass sie die ausserordentlich strenge Mannszucht der kaiserlichen Lands-
knechte zeigt. Zu diesen hat Jung die Schilderung der Ereignisse des Kriegs
bei Lersner wieder abgedruckt, weil dieser, wie er nachweist, ein gleichzei-
tiges unbekanntes Tagebuch und noch einen weiteren coaevus benutzt hat
Auch die Chroniken über die Belagerung erscheinen hier zum ersten
Male, wennschon der ältere Lersner und Kirchner im zweiten Bande seiner
Frankfurter Geschichte sie teilweise benutzt haben. Die wichtigste ist die
vom 17. Juli bis 9. August 1552 reichende des Dr. Hieronymus zum Lamb,
des häufigen Vertreters der Stadt auf Reichs- und Städtetagen. Zu Ambach,
dessen wir schon gedachten, gesellt sich sein College von der Dreikönigs-
kirche Markus Sebander mit seinen für die Angriffe auf der Sachsenhäuser
Seite nicht unwichtigen Notizen, übrigens ein „versoffen pfäffie,'' der ein-
mal mit den Geistlichen des katholischen Leonhardstiftes, nachdem er sich
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176 Recensionen.
zuvor mit ihnen betrunken hat, zum Gottesdienst geht, sich aber in seiner
mit dem Jahre 1308 anhebenden Chronik der Kirche mit seinen seelsorge-
rischen Erfolgen recht zufrieden zeigt. (509.) Die namentlich von Kirchner
fast ausschliesslich benutzte, nach Jungs Vermutung von Georg Neuhaus
herrührende Chronik ist eine unzuverlässige Compilation, in der Lamb viel-
fach wörtlich ausgeschrieben ist. Die übrigen Quellen sind unbedeutend.
Einiges Interesse beansprucht nur der Jüdische Bericht, der in der Urschrift
und Übersetzung von Dr. Kracauer mitgeteilt hier zum ersten Male allgemein
zugänglich gemacht ist. Wir erfahren da, dass durch die Gnade des Herrn
die Christen verhältnismässig zehnmal mehr als die Juden schanzen mussten.
(429). Aber auch die Kriegszucht der Hansteinschen Landsknechte erhält
eine wertvolle Bestätigung.
Diese Quellen haben nun mit den Aktenstücken, die der Jüngere Lersner
herausgab, bei Kirchner, dem alle späteren gefolgt sind, eine so mangelhafte
Verarbeitung gefunden, dass sich der Bearbeiter zu einer neuen Darstellung
der Belagerung mit Heranziehung des gesamten Aktenmaterials in Frankfurt
und einiger Marburger Akten entschloss. Diese Darstellung wurde auf Wunsch
des Herausgebers und der Boehmerschen Administration in die Quellen auf-
genommen, während sie meines Erachtens schon wegen ihres Umfanges (S.
518—655) in die Publikationen des Vereins, für die sie anfangs bestimmt war,
gehurt. Das zeigt sich auch gleichsam äusserlich. Denn die ganze Abhand-
lung ist wie die Einleitung cursiv gedruckt, die wenigen, oft nur aus zwei
Worten bestehenden, in den Text aufgenommenen Citate aus den Akten aber
in Antiqua! Sachlich kann man sich ja mit Jungs Ausführungen nur ein-
verstanden erklären. Mit behaglicher Breite, dicf nur manchmal das Bestreben
verrät, alle in den Akten gefundenen Details zu verwerten, erzählt Jung auch
die der Belagerung vorausgehenden Verhandlungen mit dem jungen Land-
grafen, mit dem kaiserlichen Oberst von Hanstein und die finanziellen Folgen
der Belagerung, deren Bedeutung für den allgemeinen Verlauf der Ereignisse
' er nicht überschätzt, und zeigt sich auch sonst von blinder Voreingenommen-
heit für die schwankende, ängstliche Politik seiner Vaterstadt frei. Das treue
Festhalten Frankfurts an der Sache Karls V. erklärt sich zum guten Teil
aus seiner steten Sorge um das Messprivileg, von dem ja in erster Linie
sein Wohlstand abhing. Zu 1547 berichten Medenbach und Ambach über-
einstimmend (319, 342) wie die Brabanter, Kölner und Strassburger Kaufleute
unter dem Vorgeben, in Frankfurt herrsche infolge der kaiserlichen Besatzung
die Pest, ihre Buden in der Nachbarstadt Mainz eröffnen. Damals hat die
Stadt ihr gutes Recht behauptet. Aber weder die Verbündeten noch König
Heinrich H. konnten ihr genügende Garantieen bieten für den Fall, dass ihr
der Kaiser das Privileg entzog. Selbst nach dem westfälischen Frieden hat
sich ja die kaiserliche Gewalt auf diesem Gebiet ihre wichtigsten Gerecht-
same gewahrt Auch kriegsgeschichtlich ist die Behtgerung nicht ohne In-
teresse. Der Bockenheimerthorturm wird während derselben von der Be-
satzung zerstört; denn schon bricht sich die Ansicht Bahn, dass Türme den
Belagerten eher schädlich wie nützlich sind *). Nur ungern vermisst man zur
6) Die venohiedeuen PhMen der Stadtbereftigong harren noch einer ineammen-
faseenden, saohknadigen Daretellnng. Die ftltere Litteratnr ist stellenweise gans nnbranch-
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Recensioiien. 177
Ulostration der Chroniken eine Reproduktion des kurz nach dem Ereignis von
Faber angefertigten Belagernngsplanes. Jung würdigt ihn vollauf als Quelle.
Schon darum hätte er eher in den Band gehört wie die Abhandlung. Die
den Thomasschen Annalen vorgesetzte lithographische Nachbildung im zweiten
Bande des Frankf. Archivs ist doch gar zu klein und entbehrt zudem der
charakteristischen figürlichen Staffage, der grosse Kruthoffersche Steindruck
von 1861 aber ist ausserhalb Frankfurts zu wenig verbreitet. Das Register
des ersten Bandes hat den Vorzug, dass es der Bearbeiter selbst anfertigen
konnte, für den zweiten Band übernahm mit anerkennenswerter Bereitwillig-
keit Dr. Schellhass die Vollendung desselben. Wegen der Behandlung der
Orthographie sei mir eine allgemeine Bemerkung gestattet. Es ist jetzt Mode
geworden, dass man für das 15. Jahrhundert strikt den Grundsätzen der
Reichstagsakten folgt. Mit dem Jahre 1500 beginnt dagegen ein mehr oder
minder radikales Verfahren, das am consequentesten wohl in der Strassburger
politischen Correspondenz durchgeführt ist. Froning klagt sich nun selbst
an, dass er zu radikal verfahren sei. Aber gerade diesem Umstände ver-
danken beide Bände eine grössere Gleichförmigkeit, als es sonst der Fall
wäre, insofern Jung nicht nur, wo er es mit Uffenbachschen Kopieen des 18.
Jahrhunderts zu thun hat, gemässigt radikale Grundsätze befolgt So wird man
bei Publikationen, die sich über das 15. und 16. Jahrhundert zugleich er-
strecken, sich gegenseitig Zugeständnisse machen müssen, wenn nicht eine
neue orthographische Verwirrung eintreten soll. Hoffentlich lassen die fol-
genden Bände, die Böhmers Codex diplomaticus durch Regesten und Urkunden
ergänzen sollen, nicht zu lange auf sich warten. Ist doch Böhmers Urkun-
denbuch, so wie es Böhmer ohne Register und selbst ohne chronologisches
Inhaltsverzeichnis veröffentlichte, ein Unikum von Unbrauchbarkeit. Wün-
schenswert wäre es, dass dort oder anderswo über die historiographiscbe
Thätigkeit der Maximilian zum Jungen, K. Z. Uffcnbach u. s. w. Auskunft
gegeben würde. ' Was Kirchner darüber 1807 sagte, und alles später Erschie-
nene (man vgl. Grotefend, Verzeichnis von Abhandl. u. Notizen zur Gesch.
Ffts. Fft. a. M. 1885 S. 56) ist veraltet, und für eine neue Darstellung das
Wesentlichste durch die kritische Sichtung des Handschriftenschatzes der
Stadibibliothek bereits gethan. —
Mit der Veröffentlichung der Inventare des Stadtarchivs hat dessen
bisheriger Vorstand, unterstützt durch die einsichtige Opferwilligkeit der Ge-
meindevertretung ein Beispiel gegeben, das hoffentlich zahlreiche Nachfolge
findet. Was die letzten Jahre an Publikationen auf diesem Gebiete gebracht
haben — die Archivberichte der Westdeutschen Zeitschrift (vgl. besonders
Ergänzungsheft II), die Mitteilungen aus dem Kölner Stadtarchive, die Pfleger-
berichte der Badischen historischen Kommission und neuerdings die Archiv-
berichte ans Tirol von v. Ottenthai u. Redlich — lässt sich mit dem Frankfurter
Inventare nicht gut vergleichen. Dagegen dürfte ein Vergleich mit Bruckers
Inventar des Strassburger Kommunalarchivs, obwohl auch dieses seine in dem
französischen Einteilungsprinzip wurzelnde Mängel hat, nicht zu Gunsten der
bar. So lAsst Euler in seiner Anegabe Baldeman S. 20 die neuen Befestigungen von 1628
nach dem Vaubansohen Systeme erbaut seini
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178 Recensionen.
Frankfurter Publikation ausfallen. Es hängt dies aber mit der von Kriegk
geschafifenen Neuordnung des Stadtarchivs zusammen. Kriegk gehörte noch
zu jener älteren Generation von Archivaren, die sich im Auseinanderreissen
alter Bestände und unaufhörlichem Umordnen nie genug thaten. So hat er
auch die alte, durch Dislocierungen allerdings vielfach durchbrochene Ord-
nung des Senats- und Ratsarchivs — dessen Inhalt in den Inventaren im
wesentlichen veröffentlicht werden soll — umgestossen und grössere, in sich
rein chronologisch geordnete Abteilungen gebildet, die in der Reihenfolge
Beichssachen, Rachtungen, Dienstbriefe von Reisigen, Ilauptleuten und Amt-
leuten, und Reichssachen-Nachträge jetzt der Öffentlichkeit übergeben werden.
Schon diese Abteilungen mussten sich häufig kreuzen, so wenn die erste die
Verhandlungen, die zweite aber deren Abschluss enthält. Aber auch die
Einteilung der Reichssachen in Urkunden und Akten, eine an sich schon
recht fragwürdige Scheidung, leidet an dem schweren Fehler, dass K. alle
Papierurkunden und Missive den Akten zuwies, so dass die zunächst mitge-
teilten Reichssachen- Akten bis 1499 schon mit einem Missive von 1330 be-
ginnen. Dass der Inhalt einer so grossen Abteilung ein recht bunter ist,
scheint begreiflich, aber auch so wird kein Benutzer unter Reichssachen den
Schweinetrieb der Sprendlinger Nr. 6822 oder das von einer Oppenheimer
Magd als das ihrige reklamierte tote Kind Nr. 898 erwähnt vermuten. Da
jedoch Kriegks Repertorium im ganzen sorgfältig gearbeitet ist, und eine aber-
malige Umarbeitung sich von selbst verbot, so wird man hinsichtlich dieser
Mängel gern ein Auge zudrücken.
Dagegen wäre eine genauere Revision des Repertoriums vor der Druck-
legung erforderlich gewesen. Quidde hat in der Litteraturzeitung 1888 Nr. 52
schon hervorgehoben, dass wir nie wissen, ob wir es im einzelnen Falle mit
einer einzigen Nummer oder einem ganzen Convolut zu thun haben. Auch
lässt die Präcision des Ausdrucks, wie das ja bei einem zunächst nur zur
Orientierung der Beamten selbst bestimmten Repertorium ganz natürlich ist,
vielfach zu wünschen übrig. Aus Nr. 185 werden die Bearbeiter der Re-
gesten der rheinischen Pfalzgrafen und der Markgrafen von Baden kaum er-
sehen können, ob es für ihre Zwecke in Betracht kommt. Bei Anfertigung
des Registers, das zweckmässig erst am Schlüsse der ganzen politischen
Serie erscheinen soll, wird schon wegen der wenig sorgfältigen Behandlung
der Eigennamen ein Zurückgehen auf die Akten doch von Nöten sein. Wenn
die Weiss von Fauerbach bald als Furbach (Nr. 1686, 6286, 6523), bald als
Fauerbach (Nr. 1446, 1807), bald als Feurbach (Nr. 345) erscheinen, so sind
wenigstens Miss Verständnisse ausgeschlossen. Aber bei minder bekannten
Eigennamen ist kein Benutzer imstande, jedesmal Inkorrektheiten des Inven-
tars stillschweigend zu verbessern. Weil Kriegk die chronologische der
Gruppeneinteilung vorgezogen hatte und demgemäss ausführlicher wie bei-
spielsweise Brucker sein musste, so hätten die Tag- und Monatsdaten nicht
fehlen dürfen. Hingegen waren überflüssige Ausführlichkeiten des Inventars,
wie in Nr. 112 die Anmerkung über Siegfried zum Paradies, oder Bemer-
kungen wie in Nr. 1273 „Forderungen Frankfurts an den Erzbischof von
Trier . . . und anderes Unleserliche", die an die von Grotefend selbst
pag. VlII gerügten älteren Signaturen erinnern, vor dem Drucke zu beseitigen.
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Recensionen. 179
wie denn auch eine genauere Revision schwerlich die „Aussagen des ent-
haupteten Heilmann Kellner'' Nr. 998 unangetastet gelassen hätte. Die wäh-
rend des Druckes erfolgte Übersiedlung Grotefcnds nach Schwerin erklärt
einigermassen diese Übelstände, die in den folgenden Bänden hoffentlich nicht
mehr begegnen. Abgesehen davon aber wird man dem Herausgeber gern
beistimmen, wenn er sich in Rückblick auf seine Frankfurter Thätigkeit
„seine Bestrebungen um grösstmöglichste Nutzbarmachung der Archivbestände''
als sein wesentlichstes Verdienst anrechnet. Mit derselben die Arbeit anderer
unterstützenden Uneigennützigkcit hat er die Publikationen des Frankfurter
Vereins für Geschichte aus den Bahnen des Dilettantismus herausgeführt und
noch zuletzt in den beiden Bänden der Quellen ein Unternehmen eingeleitet,
welches die Grundlage aller künftigen Arbeiten auf dem Gebiete der Frank-
furter Lokalgeschichte sein wird.
Dr. Georg Erler. Dietrich von Nieheim (Theodericus de Nyem). Sein
Leben und seine Schriften. Leipzig. A. Dürr 1887. — Angezeigt
von Dr. Ilgen in Münster i. W.
Unter den Schriftstellern der conciliaren Epoche um die Wende des
14. und 15. Jahrhunderts ist Dietrich von Niem in neuerer Zeit in ganz
besonderem Masse Beachtung geschenkt worden, und gewiss nicht mit Unrecht.
Ein Mann, welcher mitten in eine politisch bewegte Zeit gestellt war, dessen
Schicksale aufs engste an die wichtigsten Faktoren derselben, die jeweiligen
Statthalter Christi, in mannigfachem Wechsel geknüpft gewesen sind, und der
sich dann veranlasst gesehen hat, seine Eindrücke und Empfindungen in zum
Teil rasch hingeworfenen Traktaten wieder zu geben, wird für uns stets ein
bemerkenswerter Zeuge für jene sein, trotzdem er nicht auf der Höhe geistiger
Begabung gestanden hat, dass er vermocht hätte, mit klarem Blick die
Hauptmomente jener Bewegung scharf zu erfassen und gestützt auf eine ge-
naue Kenntnis der besonderen treibenden Kräfte derselben uns deren Fort-
schreiten in einem anschaulichen Bilde vor Augen zu fähren. Kommt noch,
wie es bei Dietrich der Fall ist, hinzu, dass wir in ihm einen eifrigen Patrioten
kennen lernen, der nicht nur nach Jahrzehnte langem Aufenthalt in Italien in
treuer Liebe an seiner sächsischen Heimat festhält, dessen Herz auch für
sein grösseres deutsches Vaterland warm und begeistert schlägt, so begreift
sich das rege Interesse, das er gerade neuerdings erweckt hat. Auch die
kirchenpolitischen Streitigkeiten der letzten 15 Jahre mögen in gewissem
Sinne dazu beigetragen haben, die Aufmerksamkeit auf Dietrich und seine
Schriften zu lenken. Die zahlreichen sowohl an die Person wie an die Werke
des Westfalen anknüpfenden Streitfragen haben dann die historische Kritik
immer wieder aufs neue herausgefordert.
Zu deren Lösung haben in den letzten Jahren, abgesehen von dem
neuesten Biographen Dietrichs von Niem, Sauerland, Lenz, Lindner und Finke
wertvolle Beiträge geliefert. Lindner verdanken wir eine Charakteristik des
Westfalen, welche frisch und ansprechend geschrieben, dessen Persönlichkeit
noch am lebendigsten erfasst und deren Bedeutung nach den verschiedensten
Seiten ihrer Thätigkeit hin wohl auch am richtigsten gewürdigt hat. Nur
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180 Recensionen.
meine ich, dass die Freude einen Schriftsteller vor sich zu haben, welcher
mehr giebt als die Erzählung einer Reihe von auf einander folgenden Be-
gebenheiten, der den Versuch macht, Menschen in ihrem persönlichen Sein
und Wesen zu zeichnen, Ortlichkeiten, die er kennen gelernt, in breiterer
Darstellung zu schildern. Lindner hier und da verleitet hat, die historio-
graphische Th&tigkeit Dietrichs höher anzuschlagen, als sie es in Wahrheit
verdient. Dietrich von Niem ist in erster Linie Publicist und seine geschicht-
lichen Kenntnisse, die ja für die Zeit recht anerkennenswerte sind, dienen
ihm vorwiegend dazu, den lichten Hintergrund zu malen, von dem sich seine
trOben Zeitbilder recht grell abheben können. Seine drei wichtigsten Schriften
zur Zeitgeschichte, Nemus Unionis, De Schismate und die Fortsetzung der
Letzteren, die sogenannte Historia Johannis papae XXIII verraten doch, dass
sie mehr augenblicklicher Eingebung ihre Entstehung verdanken, dass sie
unter den frischen Eindrücken von Ereignissen geschrieben sind, die Dietrich
als Wendepunkte zum Besseren oder Schlechteren in dieser bewegten Zeit
ansah und von denen aus er es angezeigt fand, einen Rückblick auf die
letztvergangenen Erlebnisse zu werfen. Und haftet ihnen auch nicht eine
ausgesprochen politische Tendenz an, sie waren für die sofortige Veröffent-
lichung bestimmt, wie die Adresse des Erzbischofs Friedrich von Köln, unter
der sie gehen, beweist, sie sollten nach gewissen Richtungen hin Stimmung
machen. Vor allem aber tritt darm eine so starke Dosis von teils persön-
licher Animosität gegenüber den damaligen Oberhäuptern der Christenheit
und des Reiches zu Tage, dass man sich schwer der Überzeugung entschlagen
kann, Dietrich habe nicht bisweilen die Gruppierung der Ereignisse gegen
besseres Wissen zu Ungunsten der in Betracht kommenden Persönlichkeiten
vorgenommen. Von Dietrichs Darstellungen der älteren deutschen Geschichte
besitzen wir nur Fragmente einer Chronik, die uns zeigen, dass er dem Wesen
seiner Geschichtschreibung nach noch recht eigentlich dem Mittelalter ange-
hört; von dem neuen Geiste, von dem kritischen Zuge des Humanismus hat
er noch nichts in sich aufgenommen. Daher wird man Dietrich von Niem
vorzugsweise auch als Verfasser von zeitgeschichtlichen Abhandlungen zu
würdigen haben. Das hat Erler in seiner Gesamtcharakteristik (vergl. be-
sonders S. 421 ff.) auch mit richtigem Verständnis gothan, aber bei der
sonstigen Beurteilung der Persönlichkeit sowohl wie namentlich der Schriften
desselben im Einzelnen hat er diesen Gesichtspunkt nicht überall streng
festgehalten. Wenn beispielsweise der künftige kritische Bearbeiter unserer
sogenannten Kulturkampfszeit etwa Migunke die Ehre anthun würde, ihn als
ersten Quellenschriftsteller für seine Darstellung heranzuziehen, so müsste
man das doch als Missgriff bezeichnen. Stimmungsbilder gewisser Kreise
vermöchte man wohl aus dessen Schriften zu rekonstruieren, aber selbst diese
dürften dann nicht für jeden einzelnen Zeitabschnitt das gleiche unveränder-
liche Gepräge tragen; vielleicht Hessen sich selbst einem Manne von so klarem
und festem Standpunkt, wie ihn Migunke dauernd festgehalten hat, Wider-
sprüche in seinen Abhandlungen aus verschiedenen Zeiten nachweisen. Wäre
Erler mit ähnlichen Erwägungen an die Schriften herangetreten, für welche
die Autorschaft Dietrichs aus äusseren Anzeichen noch nicht ganz sicher
gestellt ist, er würde gewiss weniger kritisch verfahren sein. Denn das darf
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Kecensionen. 181
doch annehmeD, hätten Dietrich v. N. Pressorgane, wie wir sie heute
besitzen, zur Verfögung gestanden, so würde er ohne Frage «inen bedeuten-
den Teil seiner uns bekannten litterarischen Produkte als politische Leit-
artikel oder in ähnlicher Form in einem solchen niedergelegt haben. So
aber wurden historisch politische Traktate daraus, in denen die grossen
Tagesfragen in Beziehung zur geschichtlichen Vergangenheit gesetzt wurden,
um auf diese Weise Mittel und Wege zur Lösung der Schwierigkeiten an
die Hand zu geben.
Dadurch nun, dass Dietrich gelegentlich noch geographische Schilde-
rungen und die verschiedenartigsten Reiseeindrücke, wie er sie bei seinen
vielfachen Wanderungen in sich aufgenommen hatte, in seine Abhandlungen
verwebte, entstand die eigentümliche Mischgattung von litterarischen Erzeug-
nissen, die uns durch die Mannigfaltigkeit ihres Inhaltes so lebhaft interes-
sieren und die wir deshalb nur zu leicht geneigt sind, im Vergleich mit den
Werken älterer Autoren auch in ihrem quell enmässigen Werte zu überschätzen.
Äneas Silvius hat in ähnlicher Weise Geschichte geschrieben, nur dass in
seinen Schriften, entsprechend der grösseren Bedeutung des Mannes, der me-
moirenhafte Zug stärker hervortritt. So wenig man aber an letzteren, den
späteren Papst Pius IL, zur Beurteilung der sittlichen Persönlichkeit als
Massstab unsere heutige hausbackene Moral anlegen darf, ebensowenig ist es
bei Dietrich von Niem gestattet Nach dieser Richtung hin hat Lorenz
(Litterar. Centralblatt 1888, Nr. 8) bereits auf die allzu rigorose Auffassung
Erlers an einzelnen Stellen hingewiesen. Im allgemeinen zeichnet sich sonst
die Darstellung Erlers durch ruhiges und massvolles Urteil ganz besonders
vorteilhaft aus, wie denn auch die Sorgfalt und der Fleiss, mit dem alles
auf Dietrich bezügliche, an den verschiedensten Stellen zerstreute Material
zusammengetragen ist, rückhaltslose Anerkennung verdienen.
Nicht allgemeine Zustimmung dürfte Erler darin finden, dass er ent-
gegen dem bisherigen Brauch die Form Dietrich von Nieheim aufgenommen
hat Er gesteht selbst zu (S. 2, Note), dass, wenn Sauerland die Tradition
nicht durchbrochen hätte, er es ruhig bei der alten Bezeichnung gelassen
haben würde. Die Namensfrage steht im engsten Zusammenhang mit der
Abstammung Dietrichs. Nach der auch von E. (S. 1, Note) angeführten,
einem Gesuch des Paderborner Domkapitels an das Baseler Concil aus dem
Jahre 1434 entnommenen Stelle ist er in der Stadt Nieheim geboren. E.
freilich meint, aus den Worten . . oppidum Nyhem . . de quo dim oriuncbis
fuä . . 3f . Theodericus Nyhem gehe nicht bestimmt hervor, ob Dietrich selbst
in dieser Stadt das Licht der Welt erblickte oder ob nur sein Geschlecht
hier seinen Ursprung hatte. Aber knüpfte nicht eben die Controverse an
den Namen des Westfalen, so würde kaum Jemand auf die letztere Auslegung
verfallen sein, pie Mitglieder des Paderbomer Domkapitels konnten doch
im Jahre 1434 noch recht wohl wissen, wo Dietrich geboren war. Damit ist
freilich die Frage ob „Nyem^ zugleich Geschlechtsname oder ob es nur eine
Bezeichnung nach dem Heimatsorte ist, noch keineswegs entschieden. E.
bringt S. 33 (vergl. auch S. 6) ein Moment dafür vor, dass es auch der
G^chlechtsname Dietrichs war. Er hätte meiner Ansicht nach mit noch
grösserem Gewicht hervorheben können, was er S. 4 bloss gelegentlich erwähnt,
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182 Recensionen.
dass ein Hermannus de Nyem von Dietrich zu seinem Testamentsvollstrecker
ernannt ist. Gewiss es wäre möglieb, dass Dietrich, welcher sich insgemein
nach seinem Ueimatsort genannt hätte, einem seiner nächsten Landsleute
Hermann von Nyem (Canonicus und später Dechant von Busdorf in Paderborn),
der sich ebenfalls nach diesem seinem Geburtsort bezeichnete, zum Vollstrecker
seines letzten Willens ausersehen hätte. Aber liegt es denn in solchen Fällen
nicht viel näher, anzunehmen, dass Dietrich seinen Verwandten um diesen
Liebesdienst angegangen hat? Also Dietrich in dem damaligen „Nyhem**
geboren, führte auch den Familiennamen „de Nyem,*' geradeso wie der 1349
(vergl. Krömecke, Westf. Ztschrift. 31', S. 66) erwähnte Hermann von Nim,
der gleichzeitig Bürgermeister der Stadt ist Ja es wäre wohl denkbar,
dass dies der Vater oder ein sonstiger näherer Verwandter unseres Dietrichs
gewesen wäre. Denmach entstammte Dietrich einem angeseheneren städtischen
Geschlechte und damit stimmt trefflich überein, dass er nie auf adlige Her-
kunft anspielt (E. S. 5). Erwähnt sei noch, dass auch jener genannte Her-
mann von Niem auf seinem Siegel kein Wappen führt, sondern nur eine
Heiligenfigur mit den Attributen der Patrone von Busdorf (Petrus und Andreas),
dem Schlüssel und dem Andreaskreuz.
Ausser den von Krömecke a. a. 0. und E. (S. 3 ff.) aufgeführten
Trägem des Namens Niem aus der Gegend von Paderborn sind mir noch
gelegentlich in Urkunden begegnet ein Johannes von Nyhm, der 1366 Kirchherr
zu Pappenheim ist, femer der Freigraf Gervordus de Nyem, welcher 1336
zugleich auch als Gogrebe von Beken genannt wird. Letzterer hat einen
aufrechten Maueranker im Schilde und gehört wahrscheinlich einer ritter-
bürtigen Familie an. Dietrichs Geschlecht scheint sich auf die neuere Zeit
nicht fortgepflanzt zu haben, wir wissen daher auch nicht, ob der Familien-
name später dem Ortsnamen entsprechend modemisiert worden ist. Dafür,
dass auch adlige Familien die ältere Namensform bis in die neueste Zeit
bewahrt haben, giebt es zahlreiche Beispiele. Bei solcher Sachlage ist es
entschieden angemessener an der durch die Tradition geheiligten Form fest-
zuhalten, wobei man sich die Umwandlung des „y" in „i" wohl ohne Be-
denken gefallen lassen kann.
Dietrichs Herkunft aus der Gegend von Paderborn spricht sich auch
noch darin aus, dass er meistens als dericus Paderb. cUoc. bezeichnet wird.
Nur einmal nennt er sich selbst dericus Lucensis cUoc. (Nemus Unionis VI 44,
vergl. E. 292). E. (S. 3, Note) will diese Bezeichnung nicht gelten lassen.
Aber gesetzt auch, sie ist in solchen Fällen wirklich ungewöhnlich, deshalb
kann sie doch Dietrich meinetwegen aus irgend einer Laune gebraucht haben.
Der Ausweg, in dem dericus einen verderbten Ortsnamen zu sehen, scheint
mir der gekünsteltere.
Über die Jugendzeit Dietrichs handelt dann E. von S. 6 an. Es wird
sich schwerlich Genaueres über den Bildungsgang des Westfalen feststellen
lassen; sicher ist nur, dass er nicht in Paris studiert hat (vergl. Finke,
Römische Quartalschrift I 1, 55 f.). Die amtliche Beschäftigung Dietrichs
an der päpstlichen Kurie beginnt bereits unter Urban V. und sie füllt gut
die Hälfte seines Lebens aus. E. hat die Gelegenheit benutzt, uns erwünschte
Aufschlüsse über die Zahl und die Thätigkeit der verschiedenen päpstlichen
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Becensionen. 183
Kanzleibeamten zu geben. Wir lernen auf diese Weise noch andere West-
falen und Rheinländer kennen, die in jener Zeit im Dienste der Kurie ge-
standen haben : Johannes Emesti de Bocholdia, Conradus de Susato, Henricus
de Ratingen, Johannes de Pempelvorde, den Protonotar Hermannus Dwerg,
den Abbreviator Martinüs Anreppe de Lippia u. a. Zu dem von £. (S. 26 ff.)
beigebrachten Verzeichnis von Bullen, in denen sich Dietrich von Niem als
Scriptor resp. als Rescribendarius unterzeichnet hat, kann ich noch aus Die-
kamps Collectaneen, dem Stiftsarchiv in Lemgo entnommen, nachtragen:
ad 1. 1389 am 7. November. Datum Rome apud S. Petr. VIL Idus.
Novembr. Pont, nostri (Bonifacii IX.) anno primo. T. de Nyem.
ad 1 u. 2. 1390 am 26. Mai. Datum Rome apud. S. P. VII Kai.
Junii Pont, nostri (Bonif. IX.) anno primo. pro. T. de Nyem
H. de Prestorio(?) Unter dem Umbug links T. de Nyem.
In seine niedersächsische Heimat scheint Dietrich auf längere Zeit
nur einmal wieder zurückgekehrt zu sein, infolge seiner Erhebung zum Bischof
von Verden. Die mannigfachen Zweifel, welche sich bisher immer noch an
diesen Vorfall knüpften, dürften nun wohl durch E\s genaue Untersuchungen
beseitigt sein. Dann hat D. v. N. seinen Aufenthalt erst kurz vor seinem
Tode wieder im Norden genommen, als er dem Konstanzer Concil den Rücken
gekehrt hatte. In Maastricht ist er im Jahre 1418 gestorben.
Dietrichs wichtigster Lebensabschnitt im Dienste der Kurie ist so eng
mit den kirchlichen Wirren jener Zeit verknüpft, dass es wohl gerechtfertigt
•erscheint, ihn auf breiterer Grundlage, wie es E. gethan hat, zu entrollen.
Die Hauptquelle dafür sind nun aber des Westfalen eigne Schriften. Indem
£. deren Besprechung in den zweiten Teil seines Buches verwiesen, hat er
sich veranlasst gesehen, nach der Besprechung der als echt anerkannten
Geschichtswerke und Traktate, in einem Schlusskapitel auf einigen 20 Seiten
das Charakterbild seines Helden noch einmal in schärferen Umrissen zu
zeichnen. Durch eine einheitlichere Disposition wäre vielleicht eine bessere
Übersicht bei grösserer Kürze zu erreichen gewesen. Die Würdigung der
l)edeutenderen historischen Werke Dietrichs ist sehr eingehend und ausführ-
lich. Schade nur, dass wir nicht tiefer in Zweck und Veranlassung derselben
einzudringen vermögen.
Von den angezweifelten Schriften hält E. Lindner und Finke (vergl.
Böm. Quartalschrift I, 146 ff.) gegenüber die Invective gegen Johann XXIII.
f&r ein Werk Dietrichs und sucht damit zugleich die von Lindner zuerst ange-
deutete und von Finke dann weiter gesponnene Vermutung, als habe Dietrich
vom Anfang seines Konstanzer Aufenthaltes an ein Tagebuch geftihrt, auf
das er in der Fortsetzung von De schisfnate verweise, abzulehnen. Ist Finkes
Beweisführung auch keine zwingende, auf jeden Fall aber verdient seine
Hypothese wiederholte Prüfung. Noch weniger glücklich ist E. in seiner
Polemik gegen letzteren bezüglich der: Monita de necessitate refonnationis
tcdesiae gewesen. Bekanntlich hat Lenz „Drei Traktate aus dem Schriften-
cyklus des Konstanzer Koncils^ Marburg 1876, diese Schrift Dietrich aus
inneren Gründen zugeschrieben. Daftir hat sich in dem Cod. Palat. 595 der
Vaticanischen Bibliothek, einer Handschrift aus dem Anfang des 15. Jh.,
'Westd. Zeitschr. f. Gesch. u. Kunst. VIII, 11. ' 14
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184 Recensionen.
welche den Traktat mit der Angabe seines Verfassers enthält, die wünschens-
werteste Bestätigung gefunden. E. führt nun selbst noch S. 463 — 468 eine
ganze Reihe von Momenten auf, die für Dietrichs Autorschaft sprechen und
doch kommt er S. 471, weil einige Ansichten Ober die kirchliche Reform
nicht mit den sonst von D. geäusserten in Übereinstimmung zu bringen seien,
zu dem Resultat, dass ein anderer der Verfasser von De necessäate sein müsse.
Einer solchen Schlussfolgerung liegt denn aber doch geradezu ein metho-
discher Fehler zu Grunde. Auf S. 373 sagt E. von dem Sendschreiben an
die Kardinäle: „Dietrich selbst hat sich unterzeichnet. Kein Zweifel, dass
er die Schrift verfasst hat.*' Und wenig später (S. 37ö) heisst es von dem
Schreiben an Johann XXIII. de bona regimme: „Die Autorschaft Dietrichs
ist durch die Unterschrift T. de Nyem sicher gestellt." Und wir besitzen
nicht etwa von diesen Schriften die Autographa. Warum soll denn in dem
einen Falle gelten, was in dem andern als nicht beweiskräftig bei Seite ge»
schoben wird?
Nachdem Lenz' auch bei anderen Gelegenheiten schon zu Tage ge-
tretenes glückliches divinatorisches Talent in dem obigen Falle die Probe
so glänzend bestanden, ist man leicht versucht ihm auch weiter beizustimmen
und mit ihm die Schriften De modis und De difßcuUate als Werke Dietrich»
von Niem anzuerkennen. Überdies liefert A. Fritz, der bereits früher in
einer Münster^schen Dissertation die Schriften Dietrichs auf ihre Quellen
untersucht hat, neuerdings den Nachweis (Westfälische Zeitschrift 46, 1 S.
157 ff), dass in den drei Traktaten die Auswahl von Notizen und älteren
Quellen ganz in der nämlichen Weise getroffen ist, wie in den unzweifelhaft
echten Werken Dietrichs. Femer stellen Lenz sowohl wie Finke ausführliche
Begründüngen ihrer abweichenden Ansichten in Aussicht Mögen aber auch
Erlers Resultate in mancher Beziehung Berichtigungen erfahren, durch sein
fleissi^es biographisches Werk ist für alle weiteren Forschungen auf diesem
Gebiete die sicherste Grundlage gelegt
Die evangelische Kirche von Metz. Entstehong, Verfolgung, Untergang
und Auferstehen. Mit einem einleitenden Teile über die staat-
lichen and kirchlichen Zustände in Metz anmittelbar vor der Re-
formationszeit. Nach den Quellen dargestellt von F. Dietsch,
Pfarrer daselbst. Wiesbaden, Kommissionsverlag von Rad. Bechtold
u. Comp. 8^ 406 S. — Angezeigt von Dr. Wolfram in Metz.
Das hier behandelte Thema ist nach mehr als einer Richtung von
interessantestem Inhalt In der mühsamen Entwicklung des protestantischen
Bekenntnisses zu Metz, in der systematischen allmählichen und schiesslich
so gewaltsamen Ausrottung desselben spiegelt sich die Geschichte der fran-
zösischen evangelischen Kirche überhaupt wieder. Für die Kenntnis der
Metzer Lokalgeschichte muss eine zuverlässige Darstellung der religiösen
Entwicklung von um so höheren Werte sein, als bisher die Lothringische
und speziell die Metzer Geschichte von deutschen Gelehrten fast vollständig
bei Seite gelassen war. Und zur Behandlung gerade dieses Stoffes lag ge-
radezu ein Bedürfnis in weiten nicht nur gelehrten Kreisen vor, da die an
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Recensionen. 185
Zahl 80 bedeutende evangelische Gemeinde der Stadt sich über ihre Geschichte
in keinem deutsch geschriebenen Werke orientieren konnte.
Quellen standen dem Verfasser reichlich zu Gebote. Die Metzer Stadt-
bibliothek bewahrt ein kostbares Manuskript von Paul Ferry, einem Metzer
protestantischen Geistlichen des 17. Jhs.: observations s^culaires. Er erzählt
die Geschichte seiner Kirche und seine Darstellung hat dadurch einen her-
vorragenden Wert, dass er derselben eine ausserordentliche Menge offizieller
Aktenstücke eingereiht hat Ebenda liegt eine dem Anfang des 18. Jhs. an-
gehörige chronique protestante anonyme, weiter eine Chronik von Jos. AnciUon
11. a. m. Sodann ist das Metzer Stadtarchiv reich an bezüglichen Dokumenten
und das Bezirksarchiv birgt ausser zahlreichen einzelnen Stücken das ge-
samte bandschriftliche Material des Metzer Parlaments. Für die Geschichte
der Ausrottung des Protestantismus steckt hier ein bisher noch gänzlich unbe-
nutzter Fond, dessen Durcharbeitung die wichtigsten Resultate verspricht
Von gedruckten Vorarbeiten konnte der Verfasser die zwar durchaus
subjektiv gehaltene, immerhin aber doch nicht wertlose histoire de l'h^räsie
k Metz par Meurisse, die bezüglichen Teile aus der histoire de Metz [par
Tabouillot] und die erst 1884 erschienene recht sachliche und gründliche
Arbeit von Thirion Etüde sur l'histoire du protestantisme ä Metz zu Rate
ziehen.
Dietsch schickt seiner eigentlichen Arbeit drei einleitende Kapitel
„Kirchliches und Unkirchliches vor der Reformation** voraus. Er giebt darin
kurze Bemerkungen über die Metzer Verfassungsgeschichte, spricht über die
Sittenlosigkeit des Klerus und schildert eingehend die Wirksamkeit der Wal-
denser und der diesen verwandten Sekten.
Der eigentlichen Reformation wendet sich der Verfasser im zweiten
Teile zu. Die neue Bewegung ist nicht von Osten her in die Stadt gedrungen,
ihre Vertreter sind durchweg Franzosen oder stammen wenigstens aus dem
französischen Sprachgebiet Dementsprechend ist es auch die Calvinistische
Richtung, welche hier Boden gefasst hat. Aber wie schwer, wie unendlich
schwer haben diese Metzer Reformatoren Lambert von Avignon, Jean Chate-
lain, Pierre Toussaint, Jean Ledere und ihre Anhänger ringen und kämpfen
müssen, mit welchem Todesmut sind sie für ihre Überzeugung eingetreten:
Chatelain und Leclerc sind auf dem Scheiterhaufen gestorben.
Bis zum Erlass des Ediktes von Nantes sind den Reformierten kaum
jemals ruhige Tage beschieden gewesen. Es ist eigentlich ein fortwährender
Kampf um ihre Existenz. Glauben sie endlich einmal ruhiger in die Zukunft
blicken zu dürfen, da tritt ihnen der Rat, der Kaiser oder der Gouverneur
mit schroffen Massregeln entgegen und sucht den verheissungsvoUen An&ng
im Keime zu ersticken. Auch Strassburg und der schmalkaldische Bund
vermögen trotz redlichen Bemühens den bedrängten Glaubensgenossen keine
wirksame Unterstützung zu gewähren.
Sorgenfreie Zeiten bringt erst das Regiment Heinrichs IV. Ein um so
grauenhafteres Gegenstück zu diesen ruhigen Tagen, in denen sich die Ge-
meinde stattlich entwickelt hat, bietet die Regierung Ludwig XIV. Eine
Vergünstigung nach der andern wird der Gemeinde entzogen, und mit der
Aufhebung des Edikts von Nantes bricht ein Sturm über die Reformierten los,
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186 Recensioneu.
der für alle Zeiten die Spuren seiner Verwüstung zurückgelassen hat. Die
glaubwürdigen Detailschilderungen der grauenhaften Vorgänge spotten jeder
Beschreibung. Auch Metz wird von den Dragonaden heimgesucht; der Ga-
leere werden zahlreiche Opfer zugeführt und selbst den Toten versagt man
die letzte Ruhe.
Das erstrebte Ziel wird erreicht; bis zur französischen Revolution
kann man kaum noch von einer evangelischen Gemeinde reden. —
Der behandelte Stoff umfasst wie man sieht wichtige Ereignisse. Es
fragt sich, ob der Verfasser den Anforderungen, die man an den Geschichts-
schreiber derartiger Vorgänge stellen darf, gerecht geworden ist. Man muss
leider mit Nein antworten.
Wenn irgendwo, so muss bei historischen Darstellungen konfessioneller
Vorgänge die strengste Objektivität walten. Den Protestanten hätte Jansens
Geschichte des deutschen Volkes zu doppelter Vorsicht mahnen sollen. D.
nennt nun zwar selbst als „die unentbehrlichste Eigenschaft des Geschichts-
schreibers die Unparteilichkeit und Leidenschaftslosigkeit**, wie aber kommt
er seiner Forderung nach ! Das katholische Volk ist ihm das „irregeleitete**!
„die römische Kirche lässt Ehegatten, welche aus wichtigen Gründen nicht
mit einander leben können, lieber dem Konkubinat oder der Hurerei ver-
fallen", die Nonnen sind ihm die „süssen Schwestern**. Wenn das Metzer
Parlament den Kaufleuten Jeden Bekenntnisses** verbietet an Sonn- und
Festtagen zu arbeiten, so ist ihm das ein „gegen die Protestanten** gefasster
„tief kränkender Beschluss**. In der Vorlage des Verfassers lautet eine Stelle
me capere voluemnt; bei Dietsch heisst es . . . [die Priesterschaft] begehrte
„mit Geheul** die Gefangennehmung. — Das sind einige wenige aufs Gerade-
wohl herausgegriffene Beispiele für des Verfassers „Leidenschaftslosigkeit**.
Mit der Unparteilichkeit steht es nicht besser: Dass es im Jahre 1552 vor-
nehmlich die Protestanten waren, welchen ein Anschluss an die französische
Politik wünschenswert erschien, lag in der Natur der politisch-confessionellen
Zeitverhältnisse und ist nicht zu bestreiten. Das giebt auch Dietsch (IL Teil,
Cap. VI) zu. Im 4. Teile kommt er nun wieder auf die Vorgänge von 1552
zurück und hier versucht er eine ganze unnütze Beschönigung des protestan-
tischen Verhaltens, andrerseits greift er die Katholiken wegen derselben
Handlungsweise in der ungerechtesten Weise an. „Der König von Frank-
reich war ein Verbündeter der mächtigsten deutschen Fürsten**, sagt er zur
Entschuldigimg der Protestanten. „Des Femeren kann man nicht sagen,
dass [die Protestanten] gegen Recht und Pflicht handelten, indem sie während
der Verfolgung die Hilfe der deutschen Fürsten anriefen, denn Metz gehörte
immer noch zum deutschen Reiche.**
„Weniger vorwurfsfrei stehen hingegen die Metzer Katholiken vor der
Geschichte. Schon im Jahre 1529 wollten sie ihre Stadt, nur um der
Reformation nicht zu verfallen, an den Herzog von Lothringen verkaufen
Im Jahre 1543 .. . schrieben sie an die Königin der Niederlande (sie!) und
an den Franzosenkönig Franz I., um sich ihnen in die Arme zu werfen. Ira
Jahre 1565 rief der Kardinal von Lothringen den deutschen Kaiser zu Hilfe.
Diese zur Steuer der Wahrheit hier namhaft gemachten Vorkommnisse zeigen
zur Genüge, auf welcher Seite der Verrat geplant und verübt worden ist.**
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Recensionen. 187
Was in aller Welt haben die Katholiken schlimmeres gethan als ihre pro-
testantischen Mitbürger, dass sie „weniger vorwurüsfrei vor der Geschichte
stehen", dass sie im Vergleich zu jenen des Verrats bezichtigt werden können.
Derartige Beispiele für die Parteilosigkeit des Verfassers lassen sich
noch zahlreich anfiUiren. Dies eine durfte zur Charakteristik genügen.
Immerhin würde aber die Arbeit von Dietsch bei der nötigen Vor-
sicht in der Benutzung durch die Heranziehung der von den deutschen
Forschem bisher ziemlich unbeachtet gelassenen Quellen einigen Wert haben,
wenn sie selbständig wäre. Das ist leider nicht der Fall. Dietsch citiert
auf Seite 86 und später noch einigemale das bereits erwähnte Werk von
Thirion: £tude sur I'histoire du protestantisme. Schlägt man dieses Buch
auf — es ist 1884 in Nancy erschienen — so ergiebt sich, dass fast das
ganze Werk von Dietsch im Wesentlichen eine Übersetzung der französisch
geschriebenen Geschichte ist.
Manche Übereinstimmung beider Bücher mag ja aus der Benutzung
gemeinsamer Quellen erklärt werden können. Wenn aber D. oft Abschnitt
für Abschnitt dieselben Thatsachcn berichtet wie Thirion, wenn er dieselben
wörtlichen Auszüge bringt wie jener, wenn er dieselben Urteile fällt, wie der
Gelehrte aus Nancy, dann dürfte der Schluss wohl berechtigt sein, dass D.
in unerlaubter Weise sich die Arbeit Thirions zu Nutzen gemacht hat. Ich
greife beliebige Stellen aus beiden Büchern heraus:
Thirion. Dietsch.
24. Metz dut en grande partie ä sa 2. Die Hechte, die er (der Kaiser
Situation gdographique sa longue in- ausübte) waren von geringer Bedeu-
ddpendance, situde ä Pextrdmitd oc- tung Dank ganz besonders der geo-
cidentale de Tempirc ... graphischen Lage der Stadt an der
Westgrenze des Reiches.
Du reste eile ndgligeait souvent de Sie hatte ihren Vertreter im Reichs-
se faire reprdsenter ä la diöte. tag, den sie aber oft zu beschicken
vergass.
En revanche eile devait pourvoir ä In Kriegs- und andern Nöten war
sa s^curitd par eile mdme sans esp^rer sie hingegen auf sich selbst ange-
de secours du dehors. wiesen.
25. L'dglise catholique de Metz 3. Die kathol. Kirche zu Metz war
^tait considdrde au moyen-äge comme eine der ältesten, reichsten und ehr-
une des plus ancicnnes et des plus würdigsten des alten Gallierlandes,
illustres de la Gaule.
47. une malheureuse femme accnsdo 76. Eine arme Frau hatte den Mut
d'avoir mal parld de la messe et du gegen das Verbot unehrerbietig vom
papc fiit condamnde k Hre noyc^c. Papste und der römischen Messe zu
sprechen; sie wurde deswegen zum
Tode durch Ersäufen in der Mosel
verurteilt
156. Ija nuit suivante un courrier 186. Am 13. März 1569 kam es ... .
vint annoncer ä Charles IX que le zur Schlacht bei Jamac . . . Die
13 mars son fr^re avait vaincu les Kunde von diesem Ereignis wurde dem
Waitd. Zeitsehr. f. Gaioh. u. Kumt. VIII, II. 1^
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188
Recensionen.
König in der Nacht vom 20. bis 21.
März überbracbt Sofort liess er die
grosse Glocke im Mänsterturro, Mute
genannt, als Zeichen der Siegesfrende
anziehen. . . . Am andern Morgen
wurde gleich in der Frühe eine all-
gemeine Dankesprozession gehalten.
289. Das war jedoch nur der erstere
und geringere Teil ihrer Leiden. . . .
Olry wurde allerdings wieder in sein
Amt eingesetzt. . . . Gewissensbisse
quälten die Unglücklichen, weil sie
ihren Glauben abgeschworen hatten.
calvinistes ä Jamac. . . . Ivre de
joie Charles IX ordonna bien qu'il
tat minuit qu'on sonnät aussitöt en
signe de victoire la grosse cloche
municipale appellde la Mutte. . . .
Le lendemain se fit en actions de
gräces une procession solennelle que
suivit la cour.
338, eile n'avait encore subi, que
la moindre partie des ^preuves qui
Ini ^taint r^serv^es. Olry fut remis
en posscssion de son office de notaire '
royal, mais la douleur habitait cette
triste maison oü chacun se reprochait
de n'avoir pas pers^vdrd dans sa foi.
Die wenigen Stellen, die den verschiedensten Partieen der Bücher von
Dietsch und Thirion entnommen sind, werden genügen, um den Vorwurf, den
ich gegen den erstgenannten erheben muss, zu rechtfertigen. Fast für jedes
Kapitel lässt sich dasselbe Verhältnis zwischen den beiden nachweisen. Es
mögen einzelne Teile sein, die Dietsch unabhängig von Thirion gearbeitet hat
— so findet sich z. 6., soweit ich sehe, Kap. 6 S. 226 ff. in der französischen
Vorlage nicht — , auch einige Quellen wie gewisse Urkunden des Bezirks-
archivs, Archivalien von Kürzel u. a. kannte Thirion nicht, in der Hauptsache
aber decken sich beide Werke mit einander. Dietsch hat dem evangelischen
Bunde, dem sein Werk gewidmet ist, einen schlechten Dienst geleistet.
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^nzsi^^zl
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Ländliches Dasein im 14. und 15. Jahrhundert,
vornehmlich nach Kheinischen önellen^
Von K. Lampreeht in Bonn.
Wer an einem schönen Sommertage ans den verkehrdarchfluteten
Thalern des Rheinlandes hinaufsteigt in die Stille der Eifelfluren, in die
Gegenden etwa um Hillesheim oder Prüm, der kann noch heutzutage
in der Anlage der Feldflnren jener Gebiete, in der Verteilung des
Körnerbaus auf das Ackerland, ja in der Lagerung und dem gegen-
seitigen Verhältnis von Wiese, Wald und Weide das Bild einer langst-
vergangenen Zeit yor sich auftauchen sehen. Die Eifel ist ein wirt-
schaftliches Meklenburg. In ihren klassischen Gegenden, wo die braune
Haide sich auf Meilen hinzieht und unvermerkt in die goldgebräunte
Strahlenwirkung der sinkenden Sonne übergeht, wo noch vor wenigen
Generationen fast nur steinigte Fusspfade, jeden grösseren Verkehr aus-
schliessend, den Boden durchfurchten, da ist für den Historiker geweihtes
Land, da lassen sich die Wirtschaftsformen einer längst verklungenen
Zeit, die reine Dreifelderwirtschaft, die Brenn- oder Schiffelwirtschaft
und andere Arten mittelalterlichen und urzeitlichen Anbaus noch heute
mit Händen fassen und nach Wesen und Wirkung verstehen.
Doch wäre es oberflächlich geui-teilt, wollten wir das Vorkommen
urzeitlicher Wirtschaftsformen in der Eifel als eine vereinzelte Erschei-
nung betrachten. Man steige von diesen kahlen, sturmdurchwühlten
Höhen hinab in das Moselthal mit seinem Weinduft, seinen Nussbaum-
hainen und Kastanien Wäldern, und man wird nicht minder starke, wenn
auch anders geartete Spuren gleich ehrwürdiger Vergangenheit entdecken.
Noch in den fünfziger Jahren unseres Jahrhunderts mussten die Ein-
wohner des alten Reichsfiscus Kröv von den preussischen Behörden in
^) Gegenstück zu dem Aufsatze in Wd. Zs. VI, 18 ff.
Westd. Zeitochr. f. Gesch. u. Koiut. VIU, ÜL
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190 K. Lamprecht
Strafe genommen werden, weil sie darauf bestanden, die Bestimnrangen
ihrer alten RQgeordnung als geltend zu betrachten und anzuwenden:
die rechtlichen und polizeilichen Weisungen dieser Ordnung aber reichen
ihrem wesentlichen Inhalt nach bis mindestens zum Zeitalter der Staufer
zurack, und sie erlebten ihre letzte Bearbeitung schon kurz nach dem
Zeitalter Luthers.
Es ist an der Mosel nicht anders, wie in der Eifel: lebte dort
die Wirtschaft unverbrüchlich fort, so erhielt sich hier das Recht im
Werte zahester Erinnerung: mit Recht aber wie mit Wirtschaft dauerte,
wenn auch vielfach verändert, doch auch der Kern der alten gesell-
schaftlichen Verfassung.
Und so sähe denn die alte Zeit, etwa der Schluss des Mittel-
alters, auf dem platteti Lande der Gegenwart ziemlich ähnlich? Nichts
wäre weniger angebracht, als dieser Schluss. Wie in die Gegenwart
des Landlebens noch zahlreiche Reste des mittelalterlichen Daseins hin-
einragen trotz des rasenden Zuges der modernen Entwicklung, so war
das mittelalterliche Dasein, in den Zeiten einer viel langsameren Ent-
faltung, noch ganz anders beherrscht von den Mächten seiner Vergangen-
heit, von den Überlieferungen der vollen ersten anderthalb Jahrtausende
unserer nationalen Geschichte. Macaulay spricht davon, dass ein Eng-
länder, welcher in das Jahrhundert der glorreichen Revolution zurück-
versetzt werden könnte, keine einzige Grafschaft Englands wiedererkennen
würde : so sehr habe sich seitdem Alles, Menschen und Verhältnisse, ja
die Natur selbst verändert. Das Gleiche kann man in noch höherem
Grade für den modernen Deutschen behaupten, den irgend eine Zauber-
macht zum Zeugen ländlichen Daseins etwa im 14. oder 15. Jh. machen
würde: nur nach langer Beobachtung würde er Fleisch von seinem
Fleisch, Blut von seinem Blute erkennen. Denn nichts ist wandelbarer
als der Mensch und die menschliche Gesellschaft; während der Natur-
forscher ruhig die Aeonen umfassenden trägen Entfaltungsreihen orga-
nischen Daseins erwägt, erschrickt der Historiker gegenüber der Entwick-
lung des geistesbelebten Geschlechts bisweilen vor der Fülle der Gesichte.
Nach dem Gesagten kann der Lohn einer geschichtlichen Be-
trachtung des ländlichen Daseins im 14. und 15. Jh. nicht in der Auf-
findung der immerhin ja zahlreichen Züge li^en, welche sich von
dieser Zeit bis auf das Heute vererbt haben. Gewinn und Genuss darf
vielmehr nach anderer, unmittelbar entgegengesetzter Richtung gefunden
werden. Das Landleben des ausgehenden Mittelalters umschliesst noch
eine Fülle urzeitlichen Daseins, germanischer Auffassung, und es um-
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Ländliches Dasein im 14. and 15. Jahrhundert. 191
schliesst sie in nationalen Formen. Was wir über Lieb und Leid,
Denken und Dichten unseres Volkes aus der kurzgefassten Überlieferung
.der Römer und aus der ärmlichen, fremdsprachlichen Aufzeichnung von
Mönch und Kleriker der FrOhzeit kennen: hier spricht es zu uns im
Wort der Väter selbst, und es redet die Sprache ehrlicher Selbstbe-
wusstheit und unschuldigen Stolzes, bald in traulichem Plauderton, bald
in den erhabenen Formen einer Poesie, deren Inhalt beinah zu gern blos
die Höhen des Daseins erfasst und den Abgrund des Verderbens.
Wenn sich aber im Bauernstand des 15. Jhs. noch die lebendige
Überlieferung des geistigen Lebens der Vorzeit erhalten hat, so darf
das nicht auffallen. Der Stand hat auch die Verfassungsformen der
ersten Ansiedlung im deutschen Land bis zum Ende des Mittelalters,
ja teilweis darüber hinaus bewahrt. Indem er so die äussere Form
treu von Geschlecht zu Geschlecht vererbte, vermochte er mit der Schale
auch den Kern zu vermitteln.
Die Form, in welcher die Deutschen einstens, ein grosses Volk
von Viehhaltem und Bauern, ihren gemeinsamen politischen, rechtlichen
und wirtschaftlichen Bedürfnissen gerecht wurden, war eine sehr ein-
fache. Wie die Natur ihren Lebewesen zur Befriedigung der Daseins-
forderungen jedesmal nur die sparsamsten Vorrichtungen zubilligt, so
dass Organismen niederer Ordnung stets aufs Einfachste ausgestattet err
scheinen, so zeigen auch die An^ge menschlich - geschichtlichen Da-
seins haushälterisch einfache, karg gewählte Formen. In vielen Ge-
schlechtsverbänden von hundert und mehr Familienhäuptern hatten die
Germanen vom deutschen Lande Besitz genommen; und jedem dieser
Verbände war eine Bodenfläche von einer oder mehreren Quadratmeilen
zu besonderer Besiedlung zugefallen. Geräumig aber mussten diese
Stätten erster Ansiedlung sein, denn noch bedeckte in jener Frühzeit
des 1. — 5. Jhs. Urwald das Land, noch war die Anzahl von Weide-
plätzen auf dem Raum einer Quadratmeile gering, noch dienten nur eine
oder einige kleine Flächen in diesem Bezirke spärlichem Anbau. Gleich-
wohl veränderte sich die alte Geschlechtsgenossenschaft allein durch die
Thatsache des Sesshaftwerdens in einer bestimmten Gegend aufs Wesent-
lichste. Hatte der Verband bisher auf Blutzusammenhang beruht, so
trat an die Stelle desselben jetzt das Heimatsgefühl; der genealogische
Gesichtspunkt wurde vom lokalen abgelöst; die Vetterschaft verschwand,
die Landsmannschaft trat auf, und die alte Genossenschaft des Greschlechts
ward zur Genoasenschaft gemeinsamer Grenzen. Lässt sich eine solche
Veränderung ohne wesentliche Umbildung des genossenschaftlichen Lebens
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192 E. Lamprecht
denken? Bislang war die Genossenschaft zugleich Heeresverband ge-
wesen und Gerichtsverband: innerer Streit ward unter den Mitgliedern
rechtlich gerichtet, äusserer Angriff in gemeinsamem Kampfe abgewehrt.
Jetzt ward die Genossenschaft auch in hervorragender Weise Wirtschafts-
verband: jetzt galt es die gemeinsame Ausbeutung der neuen Heimat
zu regeln.
Es musste sehr bald zur Weiterbildung des alten genossenschaft-
lichen Zusammenhanges kommen. Für etwa 100 Familienhäupter hatte
man die Bewirtschaftung der Mark noch gemeinsam regeln können —
sollte das noch geschehen bei der im Laufe der Geschlechter notwendig
eintretenden Ausdehnung der Familienhäupter auf mehrere Hunderte,
ja Tausende, und bei einem Ausbau der Mark in Dutzenden von Dörfern ?
Da trat die alte Gemeinwirtschaft des urspranglichen Verbandes zurQck,
jeder Komplex von Dörfern regelte seine Weideberechtigungen allein,
und die Einwohner jedes Dorfes bestimmten selbständig Aber Plan und
Durchfdhrung ihres Feldbaus. So sank die alte Wirtschaftsverfassung
des Gesamtverbandes der Mark auf kleinere Verbände innerhalb des
alten Umkreises herab: die alte Markgemeinde, jetzt aus zehn und
mehreren Dörfern bestehend, verfttgte etwa nur noch über den gemein-
samen Waldbestand der Urzeit, einige zusammenliegende Dörfer bildeten
kleinere Markgenossenschaften, denen aber schliesslich fast auch nur
noch die Ordnung der Weidewirtschaft verblieb, und aus ihnen endlich
löste sich wiederum als kleinste Einheit die blosse Dorfmarkgenossen-
schaft aus. Eine dreifache, ja oft noch stärkere Differenzierung des
alten grossen Verbandes trat somit ein : wo die Urzeit nur einen grossen
Umkreis gemeinsam verfolgter wirtschaftlicher Interessen gekannt hatte,
da sah das 15. Jh. diesen Kreis gefüllt mit einem Netze verschieden-
artigster, kleinerer, aber stets nach dem alten Muster geformter Wirt-
schaftsgemeinschaften. Das Land war bedeckt mit genossenschaftlichen
Systemen, und sie alle banden die ihnen zugehörenden Genossen in ur-
zeitlichem Sinne: mit Leib und Leben, mit Hals und Hand, mit Lieb
und Leide. Denn nicht auf die blosse wirtschaftliche Ausbeutung des
Heimatbodens beschränkten sich diese Genossenschaften etwa im Sinne
modemer Aktiengesellschaften : ihre Glieder gehörten ihnen vielmehr mit
ganzer Person an; sie waren nicht Teilnehmer, sie traten nicht zu-
sammen auf Grund freien Entschlusses, sie waren vielmehr und nannten
sich Brüder, sie gehörten ihrem Kreise zu durch Geburt und Dasein,
und ihr Schicksal verlief in Leben und Sterben, in Glauben und Wissen,
in Hoffiiung und Absicht gänzlich innerhalb des genossenschaftlichen Bandes.
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Ländliches Dasein im 14. und 15. Jahrhundert. 193
Und diese orzeitliche Bindung dos Bauemiebens in die Form
genossenschaftlicher Lebensgemeinschaft war keineswegs die einzige,
welche in ihren, wenn auch vielfach entstellenden Folgeerscheinungen
noch im 15. Jh. lebenskräftig bestand. Neben sie stellte sich vielmehr
die unendliche Falle abhängiger Genossenschaften, all jener Verbindungen,
in welchen zugethane Leute und Grundholde, abhängige Pächter und
Yogteipflichtige sich unter ihren Herren zu selbständigen, genossenschaft-
lichen Lebenskreisen abschlössen. Und diese so überaus zahlreichen
genossenschaftlichen Gliederungen, wie sie die Grundherrschaft forderte
und die Schutzherrschaft aufwies, sie waren nach dem Muster jener
germanischen Korporation ursprünglicher Blutsverwandtschaft gebildet:
sie umfingen daher, wie diese, die Einzelperson mit all ihren sozialen
und persönlichen Voraussetzungen, und sie schützten sie vor fremdem
Angriff wie vor innerer Unbill.
Eben dieser Gesichtspunkt des Schutzes kann nicht genug betont
werden. Denn so wahr es ist, dass gegen Schluss des Mittelalters eine
Freiheit im Sinne der germanischen Urverfassung fast nirgends mehr
anders, als in zerstreutem Getrümmer bestand — so wenig zutreffend
ist andrerseits die Vorstellung von einer gemeinen und gemeinschäd-
lichen Unfreiheit der ländlichen Bevölkerung dieses Zeitalters. Gewiss
zinste und zahlte der Bauer seinem gnädigen Herrn, er war sein armer
Mann, d. h. sein Unterthan, aber er war ihm unterthan nach Recht und
in dem Massstabe der Billigkeit, welchen er und seine Genossen dem
Herren zuwiesen. Weit war man entfernt von der Einwirkung will-
kürlicher Vergewaltigung; schon seit Jahrhunderten stand es als Eampf-
ergebnis längst verschollener Väter fest, dass ein Verhältnis zwischen
Herren und Untergebenen nur auf der Grundlage gegenseitiger wohlge-
regelter Rechte gedacht werden könne. Und wie oft hatte nicht, legen
wir den materiellen Gesichtspunkt an, das Recht des Untergebenen dem
Herrenrecht empfindliche Einbusse gethan. In einer Aufzeichnung über
das Herrenland im Banne Berbnrg'* heisst es: so man die schweren
Kosten, welche durch Speisung der in Frohndienst bestellenden Unter-
thanen darauf gehen, abzeugt, so wird Unkosten und Nutz schier gar
gleich, oder die Nutzbarkeit für die Herren über die Beschwernis
hinaus gar gering sein. Und auch wo der Frohndienst von selten des
Herren nicht so schwer vergütet ward, hatten sich für die Leistung
desselben doch vielfach rechtlich völlig gesicherte Gegenleistungen des
»») WBerburg 1595 § 9.
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194 K. Lamprecht
Herren eingebürgert. Zumeist handelte es sich da um unentgeltliche
Verpflegung seitens des Herren während der Arbeit oder sonstigen Ver-
pflichtung, und zwar meist für Mann und Frau, ja ein Weistum von
Rachdorf setzt hinzu*: wer von den Verpflichteten keine Frau hat,
welche er zum Essen mitbringen kann, begegnet demselben ein gut
Persone, der mag sie mitbringen, das sollen die Herren und die andern
Teilnehmer des Essens wohl leiden. Nicht selten, vor allem bei der
Ernte, entwickeln solche Leistungen ein völlig festliches Gepräge: die
Junker sollen einen Pfeifer haben, der den Schnittern pfeife, und wann
die Sonne noch Baumes hoch steht, so sollen die Schnitter tanzen, bis
es Nacht wird, und die Junker sollen ihnen Kost geben, die da gut
und gesund sei, und auch Trinken, das da gut und gesund sei^. In
all diesen Angelegenheiten sind die Untergebenen durchaus nicht blöde,
sie verlangen, gestützt auf ihre sichere Rechtsstellung, von Jahrzehnt
zu Jahrzehnt mehr: „Ihr seid schuldig, so wird einem Herrn gesagt^,
Brot und Käs zu geben, und was euer guter Wille ferner ist, das
haben die Hüfner niemals ausgeschlagen. Die Kost aber fordert den
Trank von sich selbst.*'
Ist es zu verwundem, wenn auf so sicherer Grundlage Rechtens
gediegene Äusserungen echt ländlichen Humors erwachsen ? Von beiden
Seiten. Der Herr legt seinen Untergebenen allerlei Pflichten auf, welche
materiell wenig drücken, von der gemütlichen Seite aus betrachtet aber
gewisser stimmungsvoller Absichten nicht entbehren. Hierhin gehören
z. B. die bekannten Froschlehen, kraft deren einem Bauer als Gegen-
leistung für die Nutzung eines Hofes die Pflicht auferlegt ist, die
Frösche benachbarter Sümpfe durch Schlagen auf den Kopf zum Ver-
stummen zu bringen, so lange sein Herr in dem Dorfe des Froschlehens
herbergt. Schon im Beginn des 13. Jhs. hören wir von einem solchen
Lehen an der Mosel ^ und im 15. Jh. heisst es in einer Aufzeichnung
des Dorfes Völklingen * : gebürt es meiner Frau, der Gräfin von Saar-
brücken, zu Völklingen zu liegen, so sollen die Frösche schweigen, dass
sie meine Frau nicht wecken.
Den Untergebenen war eine solche humorvolle Auffassung von
>) WRachdorf 1538, Grimm 1, 625.
«) WLindscheid 17. Jh. § 5 vgl. WSchönfels 1682 § 11; WGillenfeld
1661, Gr. 2, 412.
*) WRhens § 1.
») US. Max. S. 434, Mamer.
•) WVölklingen 1422, Gr. 2, 10.
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Ländliches Dasein im 14. und 15. Jahrhundert. 195
Recht und Verpflichtung mindestens ebenso . geläufig, wie den Herren.
Namentlich wo die Herren in früher Zeit altvolkstflmliche Rechte usur-
piert hatten, da trat man der Vergewaltigung später mit der unwider-
stehlichen Waffe des Humors entgegen. Nirgends mehr, wie auf dem
Grebiete der Jagd und des Fischfangs. „Wer in diesem Bezirk und
Banne zu jagen, zu hagen und zu fischen habe?** fragt ein Weistum
von S. Ingbert^. Und es antwortet sich selbst: „Das haben die Bann-
herren, und der arme Mann ziemlich ein Fischelchen zu fahen; hoffen«
die Herren soilens ihnen nit wehren.^ Und das Recht eines Eifeldorfs^
bestimmt fttr den Fall, dass einem grundhörigen Manne ein StQck
Hochwild in sein Haus liefe: „könnte der Mann sein Thor zuthun und
das Wild behalten, das mag er thun, sonder Missethat g^en einen
Herrn.«
Noch kräftiger bleibt der Humor im unmittelbaren grundhörigen
Verhältnis. Ein Weistum von Rodenborn behandelt den Fall, dass ein
Grundholder Zinseier liefern soll, ohne doch Hühner zu haben : da soll
der Grundherr ihm dadurch helfen, dass er ihm ein Huhn zum Eier-
legen in Pension giebt. ^Abe einer kein hoener me hat, ihme seine
zinseiger zu l^en, sali der herr ihme ein hoen lassen, die zinseiger
zu legen, und sali derselb das hoen mit den eigeren uf palmtag
liebem^.*' Wie hier, so hat der Herr auch sonst dem Grundholden
zu helfen. „Wenn ein armer Hofmann, heisst es vieler Orten ^®, im
Wald Brennholz geladen hat und mit dem Wagen nicht fortkommen
kann, und der Grundherr käme geritten und fände den armen Mann
da halten, so soll er mit einem Fuss aus dem Stegreif treten und dem
armen Mann zu Weg und Steg verhelfen."
Aber in diesen Äusserungen einer kleinen, patriarchalisch-zufrie-
denen Welt hallen grosse Grundsätze einer uralten Vergangenheit, und
harte herrschaftliche Pflichten noch der Gegenwart des 15. Jhs. wider.
Wie das königliche Preussen im 17. «nd 18. Jh. in der Bethätigung
menschlich - christlicher Pflicht die Grundherren zu allseitigem Schutze
ihrer Untergebenen zwang, so hatte schon ein Jahrtausend vorher der
grosse Kaiser Karl die Verpflichtung der Herren zum Schutz ihrer
') 1535, Gr. 2, 55.
*) WPronsfeld 1476, Gr. 2, 553; vgl. Lamprecht, Deutsches Wirt-
schaftsieben 1, 486.
•) WRodenborn 1568 § 7.
'^) Lamprecht, Wirtschaftsleben 1, 489.
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196 ^ Lamprecht
Mundleute aasgesprochen ^\ Und es war germanisch wie christlich
zugleich, wenn die herrschaftlichen Geschlechter des deutschen Mittel-
alters immer wieder an diese erste Aufgabe des Herrschenden erinnert
werden. Denn die Herrschaft deutschen Rechts bedeutet schätzenden
Grebrauch der verliehenen Kräfte im Sinne gesellschaftlichen Fortschrittes,
und das Königtum der Bibel ist ein Königtum der Armen und Schwachen,
umfassend aber wurde dieser Schutz von den Untergebenen aufgefasst
und rechtlich zwingend gefordert. Der Herr soll sie schützen auf seine
Kosten bis an das wütende Meer, 'darum hat er seine stehende Rente
und Gülte ^'; er soll in den Stegreif für sie treten bis an den Rhein
und über den Rhein; er soll sie ziehen lassen, wenn sie sich nicht
nähren können, ja wenn er dem armen Mann auf seinem Auszug be-
gegnet, so ist er schuldig, ihm fortzuhelfen, dass er aus dem Lande
kommen und sein Brot gewinnen kann ^'. Und stösst dem Unterthanen
gar im Dienste des Herrn ein Unfall zu, so ist dieser ersatzpflichtig
in jeder Hinsicht. Da Sache wäre, heisst es in einem Weistum ^^,
dass ein Mann im Kriegsauszug gefangen würde, unser gnädiger Herr
soll ihn lösen; wird er verwandet, er soll ihm einen Arzt bestellen,
dass er geheilt werde; wird er tot geschlagen, er soll ihn thun zur
Erde bestatten und Weib und Kinder versorgen, bis so lang sie sich
selbst versorgen könnten.
Herren, welche diesen Pflichten nachkamen, Untergebene, welche
die Wohlthaten patriarchalischer Obrigkeit genossen, ein gegenseitiges
Verhältnis endlich, welches den Unterthanen die rechtlich zwingende
Zuweisung derartiger Herrschaftspflichten ihren Herren gegenüber ge-
stattete : dieser Zustand war nicht dazu geschaffen, die Herren zu einer
Kaste übermütiger Tyrannen, die Untergebenen zu einer Welt von
Parias entarten zu lassen. Das am so weniger, als Herren und Knechte
derselben Nation und demselben Glauben angehirten, als ein Gott, ein
Sittengesetz, ein Frohgefühl volkstümlichen Stolzes sie beherrschte. Noch
mehr: auch sozial waren die Schichten der Herrschenden und Dienenden
auf dem Lande noch weniger geschieden, als man gemeinhin sich vor-
stellt. Zwar sass der Junker droben auf seiner Burg, doch lebte er
noch inzwischen seiner Bauern; den städtischen Absentismus späterer
") Guärard, M^m. de Tlnstit. Acad. des inscr. Bd. 21, 1, 169 ff.;
Inama, Grossgrundh. S. 89.
«) WBiebem 1508, Gr. 2, 191.
") WFelierich 1681, Gr. 3, 792.
>*) WGondeobrett, G. 2, 543.
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Ländliches Dasein im 14. und 15. Jahrhundert. 197
Zeit kannte der Adel des 15. Jhs. noch nicht ^^ Unter den Bauern,
aach mit ihnen gelegentlich zu leben und zu fahlen, hielt er nicht für
einen Raub. Wie oft sprechen die Dorfrechte nicht von einer Ein-
quartierung edler Herren im bäuerlichen Haushalt! Hat dann der
Bauer ein Bett, wohl und gut; hat er aber keines, so soll er ein
krachend Bett machen aus Langstroh und darauf legen ein schön Leil-
tuch, darauf ein Ohrkissen und darauf wiederum ein schön Leiltuch,
und darauf ein Deckeltuch; darein weise er seine edeln Herren zu
liegen bis morgens in der Frühe; und wenn die edlen Herren alsdann
aufstehen, haben sie wohl gelegen: das wissen sie wohP^.
Ein eindringendes, tägiges Zusammenleben ergab sich namentlich
beim Abhalten der jährlichen Gerichte durch den Herren. Da zieht
z. B. der Abt von Mettlach zu Faha^^ ein in des Meiers Haus mit
4 Mannen und 4 Pferden, mit 2 Windhunden, mit 2 Yogelhunden, und
er soll haben einen Falkvogel auf seiner Hand. Da soll der Meier
seinen Pferden Futter geben bis an die Ohren und Streusel bis an den
Bauch, ferner soll man dem Vogel ein Huhn geben und den Hunden
Brots genug. Und der Abt soll finden ein Feuer ohne Rauch und den
Tisch mit weissen Tüchern gedeckt, und darauf soll man stellen zweier-
lei Wein und zweierlei Brot: so mag der Abt an eins von beiden tasten
welches ihm zum allerbesten beliebt. Wie sehr unter solchen persön-
lichen Beziehungen wahre Ehrerbietung auf der einen Seite, echte Leut-
seligkeit und ernster Geschäftssinn auf der andern zum Kennzeichen
ländlich sozialer Entwicklung ward, das zeigt kaum ein Aktenstück
unseres rheinischen Landes besser, als das Protokoll einer Verhandlung
über die Rechte der Vogtei von S. Nabor vom J. 1365*^. In ihm
heisst es: Da kam der Graf von Saarbrücken und rief Albrecht den
Meisterschöffen von Sanct Nabor und fragt ihn, ob er ihm sein vogtei-
liches Recht wollte helfen behalten, so weit es wirklich ein Recht wäre?
Der Meisterschöffe antwortet also: Gnädiger Herr, wisset, wäret ihr
über 100 Meilen Wegs und Messet ihr es mich wissen, ich käme zu
Euch und hülfe ich Euer vogteilich Recht behalten, das ich wohl kenne,
und bin das schuldig zu thun, von Rechtswegen. Da Hess der Graf von
Saarbrücken einen Tisch herzu bringen und darauf legen ein weisses
Handtuch und hiess den Meiste'rschöffen und seinen Unterbeamten ihre
«») Vgl. WNiederbachheim 1533 § 6; WSchengen 1624 § 67, 72.
'*) WPiesport erneuert 1575, Gr. 2, 345.
") WFaha 1494 § 2.
") Kremer, Ardenn. Geschl. Cod. dipl. 509.
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198 K. Lamprecht
Hände waschen und trocknen, und Hess Reliquien von der Pfarre herzu-
bringen und auf den Tisch setzen; und hiess den Meisterschöffen und
seine Unterbeamten ihre Sporen, ihre Mäntel, ihre Käppchen, ihr
Messer, ihre Hüte niederlegen und niederknieen und die Hand legen
auf die Heiligen, und mahnte sie auf ihren Eid und ihre Treu, die sie
ihm gethan, und auf die gegenwärtigen Heiligen und auf Gk>ttes Leich-
nam, mit dem sie erstehen und ersterben sollen, und auf die Treu, die
sie gethan haben Weib und Kind: dass sie weder durch Liebe uQch
durch Furcht noch durch Neid noch durch Hass noch durch keinerlei
Sache sich ablialten Hessen, wahr zu sagen, was sie von der Yogtei
wQssten. Erst nach dieser Vorfrage und Ermahnung erkundet der Graf
die ihm zustehenden Rechte.
So kann es kein Zweifel sein: wie die Herren des 14. und 15.
Jhs. weder sozial, noch national noch auch religiös und sittlich ihren
Unterthanen allzufern standen, so lastete auch der Druck ihrer Herr-
schaft noch nicht allzustark auf ihren Schultern. So gewiss fadt jeder
Bauer in dieser Zeit seinen Herrn hatte, so gewiss die ursprangHch
freien alten markgenossenschaftlichen Verbände unter dem Adel des
Landes nicht weniger ihren Meister gefunden hatten, wie die von An-
beginn unfreien Verbände des Frohnhofes und des vogteilichen Schutzes :
so gewiss wurde der Charakter der bäuerlichen Persönlichkeit durch
diese so verschiedenen Herrschaftsverhältnisse nicht eben massgebend
bestimmt oder verschlechtert.
Bedeutsamer in dieser Hinsicht, ja nach vielen Richtungen aus-
schlaggebend war die Thatsache, dass jeder Wirt des platten Landes
mindestens einer, meist aber zwei Genossenschaften angehörte, welche
sein Leben aufs Engste banden, und deren zeitgemässer Fortschritt aller-
dings vornehmlich durch den ili^en nunmehr anklebenden herrschaft-
lichen Charakter verhindert ward. Diese Genossenschaften waren die
Markgenossenschaft, jener unmittelbare Ausfluss urzeitHchen Verfassungs-
lebens, einerseits, und andrerseits irgend eine später begründete gmnd-
hörige oder vogteiliche Verbindung. Beide Arten der Genossenschaft,
so wurde schon oben betont, beruhten auf Lebensgemeinschaft, sie
förderten nicht irgendwelche Einzelziele ^es Individuums, sondern sie
banden das ganze Individuum als solches, als Persönlichkeit, an eine
durchaus bestimmte Lebenshaltung, an ererbte Freude und verjährten
Schmerz, an die gleichen Interessen eines uralten Rechtes und an eine
altfränkische Wirtschaftsverfassnng : sie knebelten das bäuerHche Indi-
viduum, indem sie jede Neigung zur besonderen Ausbildung unterdrückten.
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Ländliches Dasein im 14. und 15. Jahrhundert 199
Am Schiasse des Hittelalters verhinderte somit wesentlich der
Fortbestand der urzeitlichen Formen genossenschaftlichen Lebens die
weitere Entwicklung zu wahrer Freiheit. Einst, im anfänglichen Kampfe
gegen eine rohe Natur und gegen noch rohere MenschenkrÄfte, vom 4.
bis etwa noch zum 12. Jh., war das Wesen der alten Genossenschaft
berechtigt gewesen: damals handelte es sich um Mobilmachung gleich-
m&ssiger Kräfte gegen eine in ihren Äusserungen wenig differenzierte
Obermacht des Urwalds, gegen die Widerstandskraft jungfräulichen
Bodens, die Brutalität friedloser Zustände: die Erziehung der grossen
Menge zu den freieren Formen menschlicher Persönlichkeit kam noch
nicht in Frage. Aber im 14. und 15. Jh. war die Heimat kolonisa-
torisch bezwungen, zu besserer Ausbeutung geschickt gemacht, zu gleich*
massigem Genüsse verteilt; und das Zeitalter der Landfrieden zwischen
Städten und Territorien kam herauf und ward gekrönt durch den all-
gemeinen Landfrieden des Reichs gegen Schluss des 15. Jhs. Wohl-
stand begann zu blühen, Friede herrschte, und Gerechtigkeit brach sich
Bahn — und nun erschien das Wesen der urzeitlichen Genossenschaft
veraltet. Was einst Vernunft gewesen, ward zum Unsinn, Wohlthat zur
Plage; und die ländliche Bevölkerung litt unter dieser Lage.
Dazu kam ein weiteres. Wie die Genossenschaft, so war die
natürlichste Grundlage alles menschlichen Daseins, die Familie, ihrem
Wesen nach auf dem platten Lande nicht zeitgemäss weiter gebildet
worden. Die Familie der Urzeit war unendlich verschieden von der
heutigen. Heute ist jedes erwachsene Familienmitglied selbständig in
Thun und Denken, frei im Zug zur Feme oder im heimatlichen Ver-
weilen; leicht löst es sich los aus dem natürlichen Schosse der Gene-
ration, mit welchem es durch die ersten Beziehungen seines Daseins
verknüpft ward. Das Familienoberhaupt hat demgegenüber nur noch
moralische Macht, es gebietet nur über das Ansehen enger Freundschaft
und beratenden Alters : und selbst dieser Einfluss wird in der Erziehung
durch Schule, Kirche und Staat, in seinen späteren Wirkungen durch
die rechtlichen Freiheiten des modernen Staatsbflrgertums gekreuzt. In
der Vorzeit war das Familienhaupt Herr des Daseins aller Familien-
angehörigen; sie waren sein Gesinde genau in der Art der Sklaven;
sie waren Sachen im Sinne Rechtens; ihre Berufswahl, ihr Schicksal,
ihr Leben hing ab vom Willen des Hausherrn. So starken Rechten
nach Innen, wie sie geradezu die Persönlichkeit jedes Familienmitgliedes
verneinten, entsprachen aber ebenso grosse Pflichten des Familienhauptes
nach aussen. Der Vater war der natürliche Schützer und Verteidiger
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200 K. Lamprecht
aller seiner Zagehörigen: was sie betraf, wurde genau so aufgefasst,
als ginge es ihn allein und persönlich an : nur er war fttr seine Familie
ausserhalb des Kreises derselben verantwortlich.
So kannte der Staat der Urzeit überhaupt nur das Familienober-
haupt als Träger staatlicher Rechte und Pflichten : die Familie als solche
war für ihn nicht vorhanden; sie war persönlich wesenloses Zubehör
des Vaters. Von diesem Gesichtspunkt aus wurden auch alle staatlichen
Vorteile und Rechte der Urzeit zur Verteilung gebracht, nicht zum
letzten der Grund und Boden der Heimat selbst. Die Ansiedlung voll-
zog sich in der Weise, dass jedem Familienvater ein bestimmtes Los,
die Hufe, genügend zur Ernährung für ihn und die Seinigen, zuge-
wiesen ward. Indem nun die ganze Landverteilung sich mit Rücksicht
auf das Wesen des urzeitlichen Familienzusammenhanges vollzog, ward
diesem Zusammenhang selbst die Grewähr einer besonders zähen und
über Gebühr langen Lebensdauer zugebilligt.
Diese besondere Verkettung der Umstände ist es, unter welcher
nach Verlauf von so vielen Generationen die Landbevölkerung des
späteren Mittelalters zu leiden hat.
In dem Verkehrsleben der Städte war die alte Auffassung der
Familie längst einem freien Leben gewichen: langsam bereiteten sich
hier die Züge der modernen Familie vor, es löste sich das alte starre
Familienerbrecht, das keinerlei freie testamentarische Verfügung zuge-
lassen hatte; die Sitte forderte eine freiere Bew^ung der Töchter in
der Wahl eines geliebten Gatten, und dem Knaben begann sich die
weite Welt verschiedenster wirtschaftlicher und geistiger Thätigkeit zu
freier Berufswahl zu öffnen. Nichts von alledem auf dem Lande: der
Sohn folgt dem Vater in Erbe und Besitz, Testamente kennt man kaum
anders als zu Gunsten kirchlicher Schenkung, und die Töchter heiraten
nicht, sondern werden verheiratet. In seinem Heim gebietet der Fa-
milienvater noch mit unumschränkter Gewalt; noch vertritt er fast
allein seine Angehörigen nach Aussen. Auch diese Verhältnisse haben
ihre schönen Seiten: noch war die ländliche Heimstätte ganz anders,
als in den Städten des 15. Jhs. oder in unserer Zeit, der Sitz unan-
tastbaren Friedens, und der Satz „mein Haus ist meine Burg" galt
im vollen Sinne des Wortes. Wer in seinem Hof einen Dieb aqf hand-
hafter Tbat ertappte, der mochte ihn an den Firstbalken des Hauses
aufknüpfen ungestraft, als selbstherrlicher Richter des Hauses; und
auch vom ärmsten Grundholden durften die Zinse nicht im Hause,
sondern nur vor dem Gatterthor des Hofes gefordert werden. Noch
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Ländliches Dasein im 14. und 15. Jahrhundert 201
mehr aber als das Recht forderte in dieser Hinsicht die Sitte. Wannehe
der Schultheiss die Zinse aufhebt, heisst es in einem Weistum'^ so
soll er also gnädiglich kommen, dass er das Kind in der Wiege nicht
wecke und den Hahn im Korbe nicht schrecke.
Es sind das glückliche Folgen eines nnverbrnclilich erhaltenen
Haus-, Hof- und Dorifriedens. Aber man vergesse nicht, dass neben
ihnen herging und entwicklungsgeschichtiich mit ihnen zusammenhing
die vollendete Verneinung jeder persönlichen Durchbildung des Indivi-
duums im Kreise des Geschlechts und der Familie.
In diesem Punkte trafen die Wirkungen des allzulangen Fortbe-
standes des urzeitlichen Familienverbandes und der urzeitlichen Genossen-
schaft zusammen. £s kam zu keiner freieren Entwicklung der bäuer-
lichen Persönlichkeit : — während ringsum das Eis brach und aus dem
Ringen der mittelalterlichen Individualität mit den Mächten der Religion
and der Wissenschaft sieghaft das freigeistige Wirken der Reformation
and Renaissance hervordrang, blieb der Bauer stecken in dem urzeit-
lichen Tiefstand geistig gebundenen Wesens, in dieser geistigen Ver-
kommenheit, dem Zurückbleiben einer grossen Volksschicht bei dem
klaffenden Bruch zwischen Mittelalter und Neuzeit, ihrer Unbeholfenheit,
g^enüber der grössten geistigen Umwälzung unserer nationalen Ge-
schichte Stellung zu nehmen, liegt der tiefste Grund beschlossen für die
agrarischen Revolutionen der zweiten Hälfte des 15. Jhs. und der
ersten Jahrzehnte des folgenden Zeitraums.
Aber eben diese Gebundenheit, das Verharren auf dem ästhetischen,
intellektuellen und sittlichen Nährboden der Urzeit, macht die bäuer-
lichen Klassen des 14. und 15. Jhs. zu den glücklichsten Überlieferen!
eines uns sonst in geschichtlichen Quollen kaum noch zugänglichen
frühzeitlichen Geisteslebens. Und es ist nicht zu verkennen, dass zur
Verstärkung dieser besonderen Fähigkeit, als Sammclgefäss geistiger Be-
strebungen der Vergangenheit zu dienen, auch noch die geringe Höhe
der äusseren Kultur des platten Landes vieles beitrug.
Denn noch war Bedürfnis und Lebenshaltung des Bauern primitiv
genug; nicht selten trat in den Anschauungen über äusseres Wohlsein
und materielle Daseinsbefriedigung noch der Zeitgeist erster Absiedlung
zu Tage. So galt schon als sesshaft, wer irgendwo einen Herd auf-
schlug, oder wie das mittelalterliche Recht sich ausdrückt, wer irgendwo
Rauch aufkehrte^, und der Eigenschaft eines Hofes entsprach schon
»•) WWeinsheim (Bohnenhof) 1666, G. 2, 531.
>o) WLosheim 1524.
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202 K. Lamprecht
ein Stück Land, so breit, dass der Gehöfer ein Ross zu wenden ver-
mochte'*. So fand ferner der Einwanderer, der kommende Mann mit
dem rostigen Spiess, überall Raum, wenn er auch nur zwei Wagen-
leitern aufrichten konnte, da der Rauch aufging *^ oder einen Platz
fand, dass er ein Feuer machte, und eine Bettstatt und einen drei-
faltigen Stuhl und eine Geis zu halten im Stand war*^ Wie ur-
sprünglich unter solchen Verhältnissen noch Erwerb und Einweisung in
Landbesitz erfolgen konnte, zeigt ein Dorfrecht der Eifel in folgender
Bestimmung^*: Wenn ein fremdelender Mensch käme und im Hofbezirk
Haus zu halten begehrte, der soll gehn zum Schultheissen des Hofes
und ihm das anzeigen. Dann soll der Hofschultheiss den fremden Mann
hinter sich nehmen auf sein Ross und ihn auf das Hofland führen, und
wannehe der Fremde auf dem Hofland an einem Platze ist, da es ihm
gefällt, und abspringt und daselbst bauen will: da soll der Schultheiss
ihm abmessen 15 Morgen weit und breit und ihn damit belehnen und
ihm Bann und Friede gebieten.
Dem gleichsam Provisorischen, halb Unstäten solcher Besitznahme
entsprach die Art des Feldbaus wie der wohnlichen Einrichtung. Wirt-
schafts- wie Wohngebäude waren der Regel nach noch hölzern; die
innere Ausstattung war aufs denkbarste beschränkt. Im Winter gab
es keine behaglich erwärmten Räume: begnügten sich doch im 13. Jh.
sogar noch die Nonnen von Rupertsberg, abgesehen von vielleicht einer
geheizten Stube, mit blossen Pelzmänteln zur Warmhaltung des Körpers,
.und wussten sich doch um die gleiche Zeit die Frauen von Oberwerth
bei Koblenz gegen die Kälte im allgemeinen nicht anders, als durch
Bestreuung des Bodens mit Binsen, zu helfen ^^ Wie sollte es da zu
einer reicheren Ausstattung bäuerlicher Zimmer gekommen sein? Nach
einer Aufzeichnung vom J. 1588 soll ein Pfarrhaus im Luxemburgischen
unverbrüchlich besitzen ^^ : einen eisernen Stubenofen, einen Hängel über
dem Herd, 3 Bettladen und in der Stube ein Ruhebett, einen Tisch
mit seinen Bänken, einen Schrank, Glasfenster in der Stube, und eine
Stange in der Mauer, darauf die Hühner ihren Sitz haben. Ein be-
scheidenes Mobilar. •Wie hoch mag es gleichwohl über der gebräuch-
") WNiederburnhaupt, Stoffel S. 76.
«) WKonsdorf 1556 § 7.
«») WSeffem 1549, Gr. 3, 836.
'*) WGondenbrett; Lamprecht, Wirtschaftsleben, 1, 136.
") MR. ÜB. 1, 219, 1210.
") Sehnerw. Brandenburg 1588 § 5.
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Ländliches Dasein im 14. und 15. Jahrhundert. 203
liehen Aasstattang des Baaernhaases in gleicher Zeit, geschweige denn
im 14. and 15. Jh. gestanden haben!
Es versteht sich, dass der Aasstattang des Wohnraums die per-
sönliche Haltung der Insassen entsprach. Nichts erscheint für sie
bezeichnender, als eine kurze chronikalische Bemerkung ans der 2. Hälfte
des 17. Jhs. ^''i im Jahr des Herren 1672 begann man in der Stadt
Koblenz die erste Seife zu sieden. Wie um die Wende des 15. und
16. Jhs. der Bauer auszusehen pflegte, zeigen die Kupferstiche Schon-
gauers und Dürers; für noch frühere Zeit, nämlich den Beginn des
13. Jhs., besitzen wir in einer der Wundernovellen des Caesarius von
Heisterbach die folgende eingehende und auf das Rheinland bezügliche
Schilderung : da kam ein vierschrötiger Bauer, mit breiter Brust, eckigen
Schultern und kurzem Hals, das Haar nach der Stirn zu kühnlich ge-
schoren, der üppige Haarwuchs gleich Ähren herabzottelnd**.
Plump und bäuerisch renommistisch, wie das Äussere, waren
auch Feste und Luxus des Landvolks. Man ging da im wesentlichen
in Essen und Trinken auf. Vom Trinken ist das bei Deutschen selbst-
verständlich ; erzählt uns doch schon eine rheinische Quelle des 10. Jhs.
von einem Stammtisch in Utrecht, dessen Teilnehmer nebenbei nicht an
die Unsterblichkeit der Seele glauben wollten*^, und zeigen uns doch
schon Erzählungen des 13. Jhs. das wohlbekannte Bild der unglücklichen
Gattin, welche keine Nacht zu Bette zu gehen wagt, ehe der Gemahl
aus der Kneipe heimgekehrt^^. Freilich war die Polizeistunde im
Mittelalter meist schon auf 9 Uhr abends angesetzt^*, wogegen man
morgens schon wieder des Sommers um 5 Uhr, des Winters um 6 Uhr
zu trinken beginnen konnte. Andererseits war der Trunk keinesw^
auf die Kneipe beschränkt; auch bei der Arbeit, vor allem bei der
Landarbeit, wurde gar viel getrunken. Der arme Mann, bestimmt ein
Weistum ^*, soll dem Herren einen Tag pflügen, und demselben Acker-
mann soll man stellen einen Eimer voll Weins an jede Umwendeseite
des Ackers, und einen weissen Becher darein, wenn es ihm und seinem
Knechte Not thut, dass sie trinken.
Gleichwohl, was will das Trinken beim Bauer gegenüber dem
Essen besagen. Wie oft werden in den ländlichen Rechtsaufzeichnungen
^ G. Trev. c. 314.
*") Dial. mai. 5, 5.
*•) Alp. de div. temp. 1, 17.
^) Ces. Dial. mai. 5, 32.
3>) Für das platte Land vgl. WRemich 1462 § 44.
^^ WMenzweiler 1429 § 3; Lamprecht, Wirtschaftsleben 1, 556.
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204 K. Lamprecht
nicht Sappe, Speck und Erbsen, die Lieblingskost des gemeinen Manns,
genannt, und welche Fülle von Speisezetteln grösserer Ausdehnung kann
man denselben Quellen entnehmen! £s ist ein unerschöpfliches Thema;
sogar datiert wurde nach der Herstellung besonders geschätzter Speisen.
In Oberlahnstein wird im J. 1444 eine Aufzeichnung eingeführt mit
den Worten: Item auf den Freitag, als man das Kraut sott'^.
Werfen wir lieber einen Blick auf die edleren FestgenOsse der
bäuerlichen Bevölkerung. Im Vordergrund steht hier der Tanz, mit
dem sich seit uralten Tagen feierlicher Aufzug, darstellendes Spiel und
Chorgesaug verbanden. Es ist ein Gebiet, dessen ursprüngliche Aus-
dehnung und heitere Reinheit früh durch die Kirche gestört ward. Denn
mit diesen Tänzen, diesen Feiern verband sich fast unverwüstlich heid-
nischer Brauch und alter Glaube, und noch lange ward sogar versucht,
mythologische Erinnerungen mit Tänzen vermischt selbst kirchlichen
Festen im Gotteshause oder auf dem Gebiete des Friedhofes einzuver-
leiben. Und wenn es auch allmählich gelang, derartigen Teufelsspuk
von Grund aus zu tilgen oder wenigstens aus der Kirche zu bannen,
so Hessen sich doch die Bauern eine festliche Begehung der christlichen
Feiern in ihrer Weise nicht nehmen. Es kam da zu eigentümlichen
gegenseitigen Rücksichten, deren bezeichnendster Ausdruck sich bei der
Ausstattung der Bittgänge, vor allem der Frobnleichnamsprozession ge-
funden haben dürfte. Da erhält z. B. der Pfarrer von Nomern im
Luxemburgischen Vj Sester Wein, wenn er das heilig Sacrament um-
trägt. Und da ein Spielmann vor dem heiligen Sacrament spielen oder
pfeifen würde, soll man ihm 4 Beier oder V2 Ort eines Guldens geben
vor Belohnung^*.
Aber auch die Arbeit entbehrte nicht jeglicher Ergötzung. Spiel
und Tanz lagen ihr um so näher, je weniger man mit der Anschauung
arbeitsvollen Berufes schon denjenigen Begriff zwar aufreibender, aber
segensreicher Thätigkeit verband, in welchem wir heute zu leben ge-
wohnt sind. Der Bauer des Mittelalters arbeitete, wie heutzutage das
Kind : er hatte Zeit, Zeit in Hülle und Fülle, die Arbeit war ihm noch
eine wirkliche Last und er verstand sie nicht zu ertragen ohne Pausen
festlicher Erholung. So vermittelten ihm Ernte und Aussaat, Herbst und
Heumahd ohne weiteres das Gefühl heiteren Vergnügens in unterbrechen-
dem Tanz und nachfolgendem Festmahl, und auch die ernsten Pflichten
") Rhenus 1, 51.
»*) WFels 1574 § 35-36, Hardt S. 258.
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Ländliches Dasein im 14. und 15. Jahrhundert. 205
jahrlicher Urteilssitzung und gemeinsamer herbstlicher Wirtsöhaftsbe-
ratung waren ihm ohne ein volles Genügen an Speise und Trank nicht
denkbar. Und wie viel Tage gab es nicht im Jahr, an denen über-
haupt gefeiert ward! Nur mühsam hatte die Kirche des 3. bis 5. Jhs.
gegenüber der arbeitsamen Welt des klassischen Altertums die Feier
der 52 christlichen Sonntage wie einiger Feste durchsetzen können:
gegen Schluss des 9. Jhs. war die Zahl der letzteren an der Mosel
schon auf 33 gewachsen, und seit dem 13. Jh. feierte man gar 88 Tage
im Jahr^^, bis der aufgeklärte Absolutismus des vorigen Jhs. 14 dieser
kirchlichen Feste unterdrückte. Dazu kamen noch die lokalen Feiern:
Kirchweih, Markt, Bittgang, Ding- und Zinstage, später Schützenfeste
und Papageischiessen: man wird kaum irren, wenn man ein Drittel
der gesamten Zeit des Bauern im 15. Jh. als festliche, wenigstens als
Ruhezeit berechnet.
Da fand der Bauer behaglichen Nachdenkens genügend Müsse zur
Überlieferung jenes altererbten Schatzes geistiger Anschauungen, den
beizubehalten und zu vermehren ihm die ganze soziale Fügung seines
Standes, die genossenschaftliche Bindung »seiner Persönlichkeit unver-
meidlich macht«. Es ist für den modernen, an schriftliche Feststellung
jeden Tandes gewöhnten Sinn kaum noch verständlich, bis zu welchem
Grade in diesen Köpfen die Fähigkeit zur mündlichen Überlieferung eines
reichen Geisteslebens entwickelt war. Am Schlüsse eines in schriftlicher
Aufeeichnung seitenlangen Weistums ilirer Dorfrechte bemerken die
Schöffen von Niederemmel '^ : „so es die Not erfordern und die Zeit
erleiden möcht, so wollten sie auch solches Weistum wohl auswendig der
Schrift, gleichwie in der Verlesung gelautet hat, mündlich darthun und
offenbaren."
Freilich waren solche Leistungen nicht blos Sache der Gedächt-
niskraft. Dir wahrer Quellgrund ist vielmehr in dem Konservativismus,
vielleicht sogar in der Halsstarrigkeit des mittelalterlichen Bauern zu
suchen. Trotzig und sicher sass er auf dem Lande der Väter, und
wo ihn nicht Willkür und Wankelmut schlechter Herren sittlich und
materiell verdorben hatten, da ersass er sich zum Selbstherren, zur
starren und unentwegten Festigkeit in Hass und Liebe, in Feindschaft
und Freundschaft. Caesarius, der geistliche Erzähler des 13. Jhs.,
spricht einmal^'' von zwei Bauerngeschlechtern des Kölner Bistums,
") Lamprecht, Wirtschaftsleben 2, 621 ff.
»•) WNiederemmel 1532, G. 2, 353.
»') Dial. mai. 11, 56.
Weiftd. ZelUohr. f. Oeioh. a. Kontt. VUI, Ul. 17
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206 K. Lamprecht
welche in sterblicher Feindschaft mit einander lebten. An der Spitse
eines jeden von diesen Geschlechtern stand ein Familienhaupt, ein kflhn-
gemnter und stolzer Bauer, und diese beiden Häupter fanden stets neuen
Anlass zu Streit, neue Grande, alten Hader fortzuspinnen, friedensfeind-
lich und ruhelos. Da geschah es durch Gottes WiUen, dass beide am
selben Tage starben. Und da sie zur gleichen Pfarrei, n&mlich nach
Neukirchen gehörten und Gott sie am gleichen Tage für ihren Hadersinn
gestraft hatte, so legte man beim Leichenbegängnis die sterblichen Reste
von beiden in ein gemeinsames Grab. Doch o Wunder ! entsetzt sahen
die Leidtragenden, wie sich die Körper der Bestatteten mit dem Bücken
gegeneinander kehrten und mit Kopf und Fuss, ja mit dem Rocken
so furchtbar stiessen, als setzten sich wilde Rosse gegeneinander zu
Krieg und Abwehr.
Was wir von den sittlichen Begriffen der ländlichen Bevölkerung
des Mittelalters sonst wissen, das stimmt zu dieser Anekdote. Noch lebte
in diesen Bauern etwas von jener Freiheit der Barbarei germanischer
Urzeit; und auch wo Gesetz gegründet war und Ordnung, da sprach
aus ihnen noch ein starker Geist und ungebrochene Willenskraft. Nirgends
deutlicher, als im Strafrecht. Weder die Strafen, noch ihre unerbitt-
lich anschaulichen Yerkündungsformeln sind für zarte (Geister geschaffen.
„Wer einen Markstein ausgrübe, gebietet ein Recht noch aus dem Be-
ginn des 16. Jhs. '^ den soll man in die Erde setzen bis an seinen
Gürtel, und soll nehmen sechs Stück ungezähmten Hornviehs vor einen
Pflug, und soll über ihn pflügen mit scharfer Schaar; kann er das
überwinden, so soll es seine Busse sein.** Freilich setzt eine mildere
Anschauung schon hinzu: „will er aber die F-ahrt nicht bestehen,
so mag er Gnade suchen beim Gerichtsherm." Und wie urzeitlich
scharf, wie dichterisch lebhaft zugleich lautet nicht die Verurteilung
zum Tode am Galgen in vielen ländlichen Rechten! „Ich weise heutzu-
tage dein Weib Wittwe, deine Kinder Waisen, deine Erben erblos, dein
Gut deinem gesetzlichen Herrn. Ich weise dir heutzutage eine Eichen-
gerte um den Hals, einen Hagedomknebel in den Hals, einen dürren
Baum zu reiten; ich weise dir, König Karls Gebot zu leiden!*' Leicht
bediente sich blutiger Ernst der uralten, noch auf Karl den Grossen
hinweisenden Formel; das Menschenleben galt wenig; im Gericht wie
ausser Gericht schützte keine weichliche, humanitäre Anschauung vor
Hinrichtung, vor Blutrache, vor Mord und Totschlag. Wie viele Herren
») WSchauren u. Bruchweiler 1611, G. 2, 138.
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Ländliches Dasein im 14. und 15. Jahrhundert. 207
wurden, namentlich im früheren Mittelalter, von erbitterten Untergebenen
erschlagen, geblendet, geschändet**. Und wie mancher Herr vergalt
rohe Sinnesart darch noch rohere, ja aasgeklügelt schenssliche Behand-
lung. Von einem lothringischen Grossen heisst es: Niemand war
schlechter als er. Er hängte viele Menschen in den Kirchen am
Glockenstrang *®.
Das sind freilich Entartungen: doch mit so roher Urkraft der That«
hatte sich zugleich die wunderbar plastische Einbildungskraft einer ur-
zeitlichen Anschauung erhalten.
Weit vor aller unmittelbaren geschichtlichen Überlieferung hat es
unter Germanen eine Zeit gegeben, in welcher noch keine bedeutungs-
volle Handlung, kein wichtiges Wort, keine hinreissende Absicht abstrakt
zum Ausdruck gelangte. Es waren Menschenalter, welche recht eigent-
lich im Symbolischen lebten, stritten und litten. Wenn der Frühling
übers Land kam und die Bäche schwollen, wenn der sprossende Keim
sich dem Boden entwand und die Lerche zum Himmel stieg, dann fühlte
und lehrte auch der germanische Glaube das Nahen der Gottheit. Aber
Lehre und Gefühl wurden sofort zur symbolischen That. Die Erdmutter
Nerthus, die Nährende, zog durchs Land ; die Dorfgenossenschaft empfing
freudig an den Marken der Heimat den von Priestern geführten Wagen,
in feierlichem Aufzug ward die Darstellerin der Gottheit selbst, eine
Jungfrau, mit ihrem Gefährt zum Herdfeuer des Dorfes geleitet, be-
herbergt und bewirtet. Und in nicht minder festlicher Begleitung, unter
den Klängen des Hochgesangs, ward die sichtbare Vertreterin der
Gottheit am andern Tage weiter geführt über die heimatliche Flur
hinaus zu einer andern Markgenossenschaft, zu fernerem Segen, fer-
nerer Verehrung. Wie der Gottesdienst in sichtbare, greifbare, un-
mittelbare Gewissheit suchende Verehrung überging, so klebte die gleiche
symbolische Gewissheit des Gedachten und Empfundenen auch allen
anderen Höhepunkten handelnden Daseins an. Der Prozess war ein
Kampf, die Parteien die Krieger, die Urteiler die Kampfrichter: bis
ins kleinste zeigt der Rechtsgang den Widerschein der wogenden Feld-
schlacht. Symbolisch ward auch der vertragsmässige Rechtsverkehr ver-
mittelt: wer Grundbesitz übertrug, der gab dem neuen Eigentümer ein
thatsächliches Stück des überwiesenen Bodens als Symbol sicheren
Rechtes; und wer sich einem Volksgenossen zu Zins und Unterthänig-
»•) V. Joh. Gorz. 40; Ann. Einsiedl. 1102.
*o) Thietm 7, 32.
17*
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208 K. Lamprecht
keit weihte, der kniete vor ihm nieder und legte sich den Zinsgroschen
auf das gebeugte Haupt. Wo wir auch hinblicken: es ist eine Welt
symbolischer Empfindung, symbolischer Handlung, ja in Symbolen ver-
laufenden Denkens, welche die frttheste Zeit unseres nationalen Daseins
ausfallt.
Unendlich Vieles von dieser eigenartigen geistigen Verfassung ist
in der ländlichen Welt des. ausgehenden Mittelalters noch erhalten.
Zäh, wie die genossenschaftliche Form des äusseren Lebens, ist hier
auch die innere Gestaltung des geistigen Daseins gewahrt: zäh vor
allem bis zur Unverständlichkeit pflanzt sich alter symbolischer Brauch
fort von Geschlecht zu Geschlecht. So wird die Thatsache, dass das
Gericht unverletzt bleiben soll vor wiUkttrlichem Eingriff des Gerichts-
herrn, durch die symbolische Forderung zum Ausdruck gebracht, der
Gerichtsherr solle zum Gericht einreiten mit einem Pferde, das nur mit
leicht zerreissbarem Lindenbast aufgezäumt ist*^, oder er solle Holz-
schuhe anziehen vor der Gerichtssitzung anstatt ritterlich bespomten
Fusskleids^^. In diesem Zusammenhang wird eine merkwürdige Stelle
des angeblich Rheingauischen Weistums aus dem Ende des 14. Jhs.
verständlich^^: wann unsers Herrn des Bischofs Amtmann in dem
Land zu Rheingau dinget auf dem RichtgestOhl zu Lfitzelnau, so soU
er einreiten als ein gewaltiger Herr, und legen den Zaum seines Pferdes
zwischen seine Beine, und in seiner Hand haben ein weiss Stäbchen und
auf seinem Haupte einen Hut mit Pfauenfedern. Und noch deutlicher
fast und anschaulicher in symbolischem Sinne lautet eine Stelle des
Mürringer Waldweisturas ** : wenn Unrecht im Walde geschieht, so soll
der Wehrmeister das an den Gerichtsherren bringen, und dann soll der
Herr kommen auf einem weissen Ross mit einem Lindenzaum, und
zwein hagebuchenen Sporen, und soll haben auf seinem Haupt einen
geflochtenen Hut und darauf einen Kranz von Rosen, und soll geritten
kommen mit einem weissgeschälten Stabe in seiner Hand und soll klopfen
auf die Stätte, da die Gewalt der Frevel geschehen ist.
Beinahe nirgends aber ist alter Sinn und Brauch besser erhalten,
als in dem unendlichen Reichtum der Mass- und Zahlbestimmungen ^^
Jede vollkommen sichere, abstrakte Festsetzung widerstrebte hier ur-
«) WWampach c. 1495 § 3.
«) WNiederprüm. G. 3, 838.
") § 30.
**) 1518, G. 2, 580; Lamprecht, Wirtschaftsleben 1, 480 vgl. 498.
*») Lamprecht 2, 3 ff.
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Ländliches Dasein im 14. und 15. Jahrhundert. 209
zeitlich fühlendem Sinne; an ihre Statt treten sinnlich greifbare Be-
grenzungen, welche fast stets dem persönlichen Belieben humorvollen
Spielraum lassen. Wie gross sollen ZinshOhner sein ? Eine oft gestellte
Frage. Sie wird nicht beantwortet, indem man Alter oder Gewicht oder
etwa gar Preis der Tiere festsetzt. Sie sollen so gross sein, dass sie auf
die dritte Sprosse einer Leiter oder auf den oberen Rand eines Gatters
fliegen können, oder so ausgewachsen, dass sie mit Kopf und Schwanz
hervorschauen, wenn ein Mann mittlerer Grösse sie in der Hand hält.
In ähnlich sinnlicher Weise wird der Umfang eines Zinsbrotes festge-
stellt : es soll so gross sein, dass ein Pflugrad in der Furche stehe und
das Brot dabei, dass sie einander gleich hoch seien. Und eine Karre
mit Schindeln wird gar als so gross bestimmt, dass, falls ein Rad aus-
ginge, ein Mensch, der schon dreimal zum Herrgott gegangen ist, das
Rad mit einer Hand und die Achse mit der andern Hand greifen und
das Rad wieder einzufügen vermöge*^.
So bewegte sich das ganze Denken des Bauern, und damit auch
sein Ausdruck, die Sprache, in plastischer Anscliaulichkeit. Sogar auf
dem abstraktesten Gebiete des praktischen Denkens, in der Rechts-
sprache, ist es der Fall. Das Recht sagt nicht. Jemand solle frei oder
unfrei sein überall, es sagt vielmehr, der Mensch solle frei oder unfrei
sein von der Erden bis in den Himmel, und von dem Himmel bis auf
die Erde*^. Das Recht spricht nicht von einem Schwur auf die ewige
Seligkeit, sondern von einem Eide auf die Fahrt, die des Menschen
Seele fahren soll, wann sich Seele und Leib von einander scheiden*®.
Das Recht weist nicht einem Herren kurzweg das Eigentum an einem
Dorfe zu, sondern es erklärt ihn als Grundherren zu Mann und Bann,
zu Flug und Fug, zu Funden und Pfründen, von der Erde bis an den
Himmel, von dem Himmel bis auf die Erde, so lange, als der Bach
fleusst auf dem Land, der Fisch sich sonnt auf dem Sand, und die
Eichel lieget im Walde.
Wenn aber Rechtsätze sich so anschaulich vortragen, in welche
Tiefen sinnlichster Schilderung musste da die bäuerliche Dichtung ge-
bettet sein! Und die Dichtung trieb während der Ausgangszeiten des
Mittelalters kräftige Sprosse in ländlichen Kreisen. Schon im 14. Jh.
heisst es: ^es lebt kein Bauer auf der Erden so grob, der nicht ein
Sänger sein will' — und aus dieser Zeit, wie aus dem 15. Jh. ist uns
*•) WPluwig 1542, G. 2, 121; Lamprecht I, 798.
*') WReuland 1586 § 4.
") WStrinz 1446.
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210 K. Lamprecht.
ein onergründlicher Schatz bäuerlicher Volkslieder erhalten. Sie alle
tragen den Charakter orzeitlich - poetischen EmpfiDdens. Da ist keine
Rede von reflectorischem Ausmalen der Gemütsbewegung, keine Spur zeigt
sich von gekanstelter Verarbeitung des poetischen Erlebnisses nach dem
Vorbild der Blumen- und Thränendichtung der Minnesänger: kurz und
knapp wird die Empfindung bezeichnet, ihre Erklärung aber, vielmehr
Verklärung empf&ngt sie symbolisch durch ein hinzugefflgtes Gleichnis,
das zumeist nur sprunghaft aufs Erratenlassen ausgeht.
Drei Laub auf einer Linden,
Die blähen also wohl —
Sie thät viel tausend Sprünge,
Ihr Heh war Freuden voll**:
das ist echte Bauemdichtung dieser Zeit. Oder:
Dort ferne auf jenem Berge
Legt, sich ein kalter Schnee:
Der Schnee kann nicht zerschmelzen,
Denn Gottes WiU, der muss ergehn.
Gottes WiUe, der ist ergangen,
Zerschmolzen ist uns der Schnee:
Gott gesegne Euch, Vater und Mutter,
Ich seh' Euch nimmermeh ! ^^
Uns mutet diese Dichtung fremd an. Obwohl uns der erste Laut
einer inneren Stimme sagt, das sei urdeutsch, fühlen wir doch auf der
anderen Seite ebenso unmittelbar, welch kaum überbrückbare BJuft uns
von jener Verfassung des Geistes und Gemütes trennt, der diese Dich-
tung ihr Dasein verdankt.
Es ist jene Kluft, welche das Bauerntum auch noch des spätesten
Mittelalters, ja noch des 16. Jhs. von der modernen Zeit überhaupt,
von den Riesenfortschritten persönlicher Durchbildung in den höheren
Gesellschaftsschichten schon des 16. Jhs. scheidet. Indem der Bauer
an dieser Geistesverfassung festhielt, indem er treu blieb dem alten
Genossenschaftssystem der Urzeit, indem er sich nicht zu lösen ver-
mochte von den geistigen wie den sozialen und materiellen Lebens-
formen des Mittelalters, ward er auf lange zum Stiefkind der modernen
Entwicklung.
*») Scherer, Litteraturgosch. 1, 256.
^ Goedeke u. Tittmann, Liederbuch S. 11.
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Grundbesitz der Abtei Echternach in Zeeland (Holland).
Von J. U. Oall^e in Utrecht und K. Lampreeht in Bonn.
Die Hs. 9536 der Pariser Nationalbibliothek enthält Augustins De
Coucordantia und Sermones (eine nähere Inhaltsangabe in Publ. d. LS. Hist.
de rinstitut de Luxembourg XL, 39). Auf der ersten Seite steht in grüner
und roter Uncialschrift : „Dominus abbas Godefridus obtulit hunc librum
sancto Willibrordo suisque ibi Deo servientibus." Wie von Delisle, Gabinet
des Manuscrits II, 362, schon angegeben, rührt der Codex von Echternach her.
Zwei Godefridi waren im 12. Jh. Äbte in der Benedictinerabtei zu Echter-
nach. Die Hs. ist also vor oder in dieser Zeit geschrieben, wie auch die
Schrift ergiebt, welche dem Ende des 11. oder dem Anfang des 12. Jhs.
angehört.
Zur Hs. gehört, wie u. a. die darin gezogenen Linien beweisen, eine
kleine Aufzeichnung auf Fol. 266 ff., die in manchen Hinsichten Interesse
hat; besonders wichtig ist sie für die Kenntnis des alten Zeelands. Diese
Aufzeichnung wird hier zum ersten male herausgegeben.
Wie aus einem Brief der Abtei an Heinrich VI. (Hontheim, Hist.
Trevir. I, 624) bekannt ist, besass die Abtei Echternach viele Güter in
Walachria, Schalda, Bevelandia und in Brinsila. In einem Sacramentarium der
Pariser Nat.-Bibl. Nr. 9433 lat IX. oder X. Jahrh. werden mehrere Kirchen
in Holland und Zeeland verzeichnet, welche zur Abtei Echternach gehörten,
s. Publ. de rinst de Luxembourg XL, 31.
Diese Güter gehören unter die Officien (Ambachten) von Nordmünster
und Westmünster, unter Dumburch, Poppedamme, Gripeskerca und Ost-
capella. Es scheinen die belehnten Personen in diesen Orten gewohnt zu
haben, doch auch ausserhalb dieser Örter gelegene Güter in Besitz gehabt
zu haben. Sicher ist dieses aber nicht.
Das Officium Nordmünster war auch Sti. Petri genannt') und gehörte
wahrscheinlich zu der Altenkirche, welche ebenfalls den Titel Sti. Petri führte.
Das Officium von Westmünster hiess auch officium St. Martini. Die Arne
trennte beide Officia. Sie umfassten die nordöstlichen und die westlichen
und südlichen Umgebungen der Stadt Middelburg.
1) Daher werden anch einige Oftter ohne Namen terra S. Petri genannt.
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212 J. H. Gall^e u. K. Lamprecht
Die anderen genannten Orte: Domburg, Poppedamme, Grypskerk,
Oostcapelle und Koudekerke sind die in späterer Zeit so genannten fünf
Ambachten, der westliche Teil der Insel Walcheren.
In der Abfassungszeit der Aufzeichnung war das Kloster der Praemon-
stratenser zu Middelburg schon zur Abtei geworden, wie aus der Erwäh-
nung des abbas s. Mariae in Nr. 47 ersichtlich ist. Dieses soll im Anfang
des 12. Jhs. geschehen sein (circa 1128).
Die Nr. 67 erwähnte terra hospitalium gehörte entweder dem Hause
der Johanniter zu Middelburg oder zu Kerkwerve bei Domburg.
Die Hs. unseres Codex bietet kein Original, sondern die Abschrift wohl
eines Rheinländers, der die niederdeutschen Wörter nach seinem Dialekte
veränderte, daher die Entstellungen von vielen Namen und Veränderungen
von dik (teich) in dich (Sandich = Sandtk, Dich up sutwer = Dlk up sutwer),
ubter Waterganc statt up der Waterganc (auf dem Wassergraben). Wer in
Nortwer, Sutwer scheint gegen hin zu bedeuten: up sutwer «^ gegen
Süden hin.
Der Abschreiber hat viele Abkürzungen gebraucht, besonders bei den
Namen der Maasse und Zahlen; in unserer Ausgabe sind sie alle aufgelöst
Verzeichnis der Ortsnamen.
Die meisten Ortsnamen sind nicht ausfindig zu machen, da sie sich
auf Grundstücke beziehen, welche im Lauf der Zeiten vielfach ihre Bezeich-
nungen gewechselt haben, oder auf Karten älterer und neuerer Zeit nicht
vermerkt sind.
Die Zusammensetzungen mit mede (Wiese), met und gemet (ein
Landmass von *;a ha), hof, land, werve (hoher Hausplatz), höm und heim-
kin (Haus) sind noch heute sehr häufig in Zeeland. Die Zusammensetzungen
mit gers beziehen sich wahrscheinlich auf neu trocken gelegten Grund: die
gerse (jetzt gorsen) sind Wiesengründe am Meere, gers ist urspr. gres
d. i. gras; in Ostfriesland und Groningen ist gras (ausgesprochen gras)
Bezeichnung eines Wiesenmasses ('/i ha) noch jetzt, im mittelndl. war gerse
ein Mass von Vs Morgen.
Die beigefügten Buchstaben geben das Ambacht an, unter welchem der
Ort genannt ist.
Alondeswirf, K. ; Bilzekenspolre, W.; Bimemede (verschrieben für
Dunemede?), W.; Brethem (vielleicht für Riethem), W.; Bretmede, W.;
Budeken (Boudynskerke bei Koudekerk?), K.; Burgermede, W. ; Danieles-
lant, N.; Dich üb suthwer; Drigemet, F.; Dumburch; Dirinmede (1. Duun-
mede), W.; Duunmede, bei Vere, W.; EUemerslant, W.; Ewilant, W.; Frise-
mede, W. ; Gerwinslant, W.; Girselant; Giverdehemkin, K.; Gripeskirca,
Grypskerk; Grotmede, W. und N. ; Gusfertheshem, Oostc; Heilewien, N. ;
Heimkin St. Willebrordi, N. ; Herberdeslant, W.; Herdinslant, W.; Herken-
boldeshem, W. ; Higsewihem, W. ; Histenshem, N.; Holmet, D. ; Hftc (Hoek), K.;
Hospitalium terra, K. ; Hundeslant, Oostc. ; Igselaueslant, W. ; Coldekerca,
Kondekerke; Collerdesmede, Oostc; Lanchenkin, K.; Manikinshem (Munekins-
hera?), N.; Maren, K.; Mete, K. ; Middelmede, Oostc.; Nortlant, K. N.;
Northmede, W. ; Ort, D. ; Ostduvelant jetzt Bruinisse, W.; Ostersgemede, W.;
Ostcapella, Oosi kapeile; Ostmede, W. ; Ostmur, K. ; Palac, K.; Papilant, W.;
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Grundbesitz der Abtei Echtemach in Zeeland (Holland). 213
Polre, Oostc. ; Poppedamme, Poppedamme ; Reinzemede, W. ; Resertheshem, W. ;
Rethen ouer Goten? E. ; Sandich, Zandyk bei Vere, W. ; Sivengemet, N.;
Smalgaac (jetzt ist ein h. Smallegange bei Eloetinge auf Zuid - Beveland) i
Springe (eigentl. ein Wassergraben), W. ; Stekolmede, K. ; Striche, W. ; Stump-
hardesdich, W. ; Suthalfweies, W. ; Suthmet, N. ; Suthmede üb suthwer, K.,
Oostc; Tiggemet, W.; Tingemet, N.; Tirdeboldeshcm, N.; Tirnende, W.t
Tredissel, K. ; Tuadel et Maren, K. ; Tuageren, N. ; Tuegemet, Tuagemet, W.,
Oostc., K.; Vaderkinshem, W.; Virdehalfgemet, W.; Virgemet, W. ; Virte-
burc, N. ; Vivescapergers, K.; Vlimede, N.; Volengers, W. ; Volquilant, W.»
Yolquimede, N. ; Frisemcde, W.; Vromoldeslant, N.; Waterganc (eigentlich
Namen eines Wassergrabens), N. ; Westmede, W. ; Westmede üb Wcstwer, N. ;
Wilinge (an den Wielingen bei Westcapelle), W. ; Wivinhof, N. ; Wolberders-
hof, N.; Woldrichesdich. W.; Wulivardeswirve, W. J. H Gall^e.
In officio Westmunstre: t Yolbrant filius Amoldi habet in West-
mede üb nortuuer duas meosuras terre, Frisemede Septem et dimidiam,
Resertheshem Villi et dimidiam, Northmede quatuor mensuras: XXII quarta
parte mensurae minus. Inde dabit duas marcas et lodum ; post cuius mortem
libera est terra.
2. Beito filius Harmodi duas mensuras in terra s. Willibrordi, unde
dabit dimidium fertonem et dimidiam libram et quinque denarios.
3. Hugo filius Gerolphi in Ewilant sex mensuras, in Frisemede quin-
que, inde dabit marcam et quatuor denarios et obolum.
4. Wilhelmus filius Amoldi Septem mensuras in Ewilant, inde dabit
dimidiam marcam et dimidium fertonem, post quorum mortem libera est terra.
5. Tancart filius Euboldi in Bimemede (leg. Dunemede?) duas men-
suras et dimidiam, inde dabit fertonem duodecim denariis minus, item de
casa domus su^ duodecim denarios, post cuius mortem libera est terra.
6. Hisegodo filius alius in Herberdeslant novem et dimidiam, Volqui-
lant undecim, item Herberdeslant duas et dimidiam viginti quinque hastis
minus. Inde dabit duas marcas et dimidiam settin minus, post cuius mortem
libera est terra.
7. Hugo filius Martini in terra s. Willibrordi sex mensuras, inde dabit
dimidiam marcam et tres denarios; p. c. m. 1. e. t.
8. Willekiu filius Hugonis, filius Olfridi in Reinzemede (oder Rein-
zemede) quatuor mensuras et nonaginta hastas, in Higsewihem duas et dimi-
diam, inde dabit dimidiam marcam et settin; p. c. m. 1. e. t.
9. Agatha vidua Reinzonis de undecim mensuris dabit marcam.
10. Hugo filius Tibrandi in Burgermede unam mensuram, inde dabit
dimidium fertonem, p. c. m. 1. e. t.
11. Godebertus Bast et Duodinus filius Abben habent novem mensuras
centum hastis minus, in Herkenboldeshem quatuor mensuras, Volengers duas,
in Dich üb suthuuer unam, Ostmede dimidiam.
12. Heimkin s. Willibrordi unam (Heimkin s. Willibrordi
= casa s. Wilibrordi. In der radierten Stelle fiel wohl eine Maassbezeich-
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214 J. H. Gall^e u. K. Lamprecht
nung aus) Gervuinslant dimidiam. Inde dabunt tres fertones et duodeviginti
denari«8, p. q. m. ]. e. t.
13. Huselmus filius EUinc terra s. Willibrordi quatuor mensuras et
dimidiam, Volquilant duas et dimidiam, Ostmede dimidiam, Heimkin s. Willi-
brordi unam ; inde dabit tres fertones et sex denarios, p. c. m. 1. e. t.
14. Hugo filius Abbeu in Yirdehalfgemet tres mensuras et dimidiam,
Striche unam et dimidiam, Stumpardesdich quinque, Herberdeslant duas et
dimidiam, in terra S. Willibrordi unam, Suthaifvueies dimidiam, Volquilant
duas; inde dabit marcam et dimidiam et sex denarios et obolum; p. c. m. 1. e. t
15. Hugo filius Wolbrandi in Ellemerslant novem mepsuras ; inde dabit
dimidiam marcam et dimidium fertonem et triginta duos denarios; p. c. ra. 1 e. t.
16. Hugo filius Wolbrandi in Ellemerslant novem mensuras ; inde dabit
dimidiam marcam et dimidium fertonem et triginta duos denarios, p. c. m. 1. e. t.
17. Tancart filius Wilbelmi in Ostmede decem mensuras dimidia minus,
terra s. Willibrordi Septem dimidia minus, inde dabit quinque fertones et
quadraginta denarios. Item dabit ex parte quae commutata est cum Landino
octo denarios et obolum, p. c. m. 1. e. t.
16. Imma vidua Everdei in Ostduvenlant (Hs. Ostbuvenlant) duas men-
suras; inde dabit dimidium fertonem, p. c. m 1. e. t.
19. Gerolphus filius Everdei in Bilzekinspolre üb nortwer duas men-
suras; inde solvit dimidiam fertonem, p. c. m. 1. e. t
(F. 265b) 20. Waltherus filius Bettonis in terra s. Willibrordi quatuor-
decim mensuras; inde solvit quinque fertones, p. c. m. 1. e. t.
21. Hugo filius Wolfardi in Smalganc unam mensuram; in Virdehalf-
gemet unam; inde solvit quadraginta quinque denarios et lodum, p. c. m. 1. e. t.
22. Nanin filius Gerardi in Igselaueslande ob nortwer duas mensuras,
in Brethem (oder Riethem?) unam et solvit tres libras et quadraginta
quinque denarios, p. c. m. 1. e. t
23. Henricus filius Bettonis in Duunmede unam mensuram et solvit
tres solidos, p. c. ro. 1. e. t
24* Abbo filius Edert in Yaderkinshem üb nortuuer unam mensuram
et solvit quadraginta denarios.
25. Amolt filius Hugonis in vuiegemet (1. Tuie-) üb sutuuer unam men-
suram et solvit quadraginta quinque denarios.
26. Dftdinus filius Redelafi dedit s. Willibrordo et s. Martino Septem
mensuras quarta parte minus in Vulivardevime , de quibus Abbo filius
eins solvit s. Willibrordo fertonem et s. Martino fertonem, p. c. m. 1. e. t
27. Wilhelmus filius Hugonis de duabus mensuris infra vallum dabit
quinque solidos, sed terra nequaquam est libera.
28. Tid' (?) et Hamot de octo mensuris dimidiam marcam et libram.
29. Tid' Tidolfes filius Hacker in Timende in quatuor mensuras, quin-
quaginta quinque hastis minus, in Virgemet üb ostuer (Hs. ubostiese)
unam et dimidiam quartam, üb suthwer in uuiegemct (1. Tuuiegemet) dimidiam
mensuram et viginti hastas, üb Wilinge duas mensuras viginti quinque
hastis minus, et solvit marcam, p. c. m. 1. e. t.
30. Hugo filius Dftdini in Herdinslant unam mensuram ab vuestuuer,
et solvit libram, p. c. m. 1. e. t.
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Grundbesitz^ der Abtei Echtemach in Zeeland (Holland). 215
31, Werenboldus filius Godeberti dedit mensuram in Euerdeis Heim-
le in quindecim den., p. c. m. 1. e. t.
33. Symon filius Reineri in Vuoldrichcsdich unam mensuram et solvit
quatnor solidos, p. c. m. 1. e. t.
33. Walterus Terlinc in Ostmede sex mcnsuras, Springe quinque,
Westmede quinque, Ostersgemede duas et solvit Septem fertones et dimidiam,
p. c. m. 1. e. t. «
34. Biggo filius Walini de una mensura in Bretmede libram, p. c. m. 1. e. t.
35. Everdei filius Dftdini debet de quatuor mensuris in Grotmeda ex
parte Benedicti tres fertones et Abbo filius Dftdini debet similiter de quatuor
mensuris in Westmeda tres fertones ex parte eiusdem Benedicti.
36. Heinricus filius Wivin triginta denarios de tribus partibus unius
mensurae in Papilant; item de casa domus cuiusdam quindecim denanos in
Sandich.
37. Heio filius in Tingemet duas mensuras et solvit
quatuor solidos, p. c. m. 1. e. t.
38. Jordanus filius Gerolphi de una mensura in Striche dimidium fer-
tonem, p. c. m. 1. e. t.
In Dumburch. 39. Yanin filius Tirdeboldi in Holmet tres mensuras
et solvit fertonem, p. c. m. 1. e. t.
40. Lidiuer filius Virdeboldi de una mensura in Ort libram, p. c. m. L e. t.
In Officio Nortmunstre. 41, Otgerus filius Epponis in Siuengemet
Septem mensuras, in Virteburc duas et et solvit tres fertones, p. c. m. 1. e. t.
42. Nicolaus filius Otgeri habet in Virteburc tres mensuras, Heimkin
duas, in Tuageren duas et dimidiam et solvit tres fertones, p. c. m. 1. e. t.
43. Keinerus filius Wilhelmi in Nortlant decem mensuras, Histenshem
quatuor et quartem partem, in Girnt duas, Danieleslant duodecim, de his
dabit tres marcas et dimidiam; item habet bostbalf (auf der Ostseite)
ubter Waterganc (auf dem Wassergraben) Septem mensuras et dimidiamt
Girselant duas et dimidiam, ex his solvit marcam lodo minus. De domo sua
dimidium fertonem.
44. Reinerius filius Elelmi dedit nobis casam domus liberae, quam
habet idem Reinerius. [XXXIU].
45. Item Reinerius de octo mensuris, quarum dimidiam Hunoldi in
Girnt, triginta solidos et duodeviginti denarios; et terra est libera.
(Fol. 266a). 46. Wilhelmus et Wizo, filii Popponis in Vromoldeslant
tres mensuras quarta parte minus, Wivinhof tres mensuras et quartam par-
tem, in Vuaterganc tres mensuras, in Wolberdershof unam et dimidiam et
solvit tres fertones et libram, p. q. m. 1. e. t
47. Abbas s. Mariae de casa Engerammi duodecim denarios.
48. Hugo filius Deinart de casa domus su^ duodecim denarios.
49. Johannes filius Yuadini de tribus mensuris in Yolqimed Septem
libras et terra est libera.
50. Bodinus filius Euerardi, Harnot filius Wolbandi de una mensura
in Westmede üb uuestuuer libram unam, Alart in Ylimede, Lambertus de
una mensura et dimidia libram et dimidiam . . . (Raum für 9 Buchstaben).
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216 J. H. Gall^e u. K. Lamprecht,
51. Filius Tancardi de una mensura et dimidia in Tirdeboldesbem
libram et dimidiam.
52. Alart filius Reilafi de duabus mensuris in Heilewien libram.
53. Poppo filius Wilhelmi duas mensuras et dimidiam in Tingemet
westuuer, in Uirdehalfgemet tres mensuras et dimidiam et solvit fertonem et
tres libras, p. c. m. 1. e. t.
54. Egidius unam mensuram in Tiggemef, inde solvit libram.
55. Poppo filius Wadini de sex mensuris in Suthmet dimidiam marcam
et dimidium fertonem, p. c. m. 1. e. t.
56. Irimbolt filius Wittonis de duabus mensuris in Grotmede dimidium
fertonem, p. c. m. 1. e. t.
57. Waninus filius Popponis Ruphi de una mensura in Manikinshem
(oder Munikinsbem ?) libram.
In Poppedamme. 58. Hugo filius Uartnodi in Drigemed tres men-
suras et solvit tres libras, p. c. m. 1. e t.
In Gripeskirca. 59. Bonifadus filius Eustacii de quinque mensuris
in terra s. Willibrordi fertonem et duodecim denarios, p. c. m. 1 e. t.
In Ostcape Ha. 60. Igselaf filius Wiuin de duabus mensuris in Gus-
fertheshem libram, p. c. m. 1. e. t.
61. Herben filius Everdei de duabus mensuris in Midelmeda quadra-
ginta denarios, p. c. m. 1. e. t.
62. Ricart filius Walini de duabus mensuris in Tueegemet quadraginta
denarios, p. c. m. I. e. t.
63. Johannes filius Didolfes de una mensura in Polre libram, p. c. m. 1. e. t.
64. Geila vidua Einodi de una mensura in Suthmeda üb suthuuer libram,
p. c. m. 1. e. t.
65. Harnot filius Engeruen de duabus mensuris iu Collerdesmede üb
suthwer quinque solidos, p. c. m. 1. e. t.
66. Gerberga vidua Hartnodi de una mensura in Hundeslant libram,
p. c. m. 1. e. t.
In Coldekirca. 67. Elelmus filius Reineri^ habet j in Stekclmeda,
Rethen ouer Goten decem monsuras et dimidiam, Tredissel sex, Palac duas et
dimidiam, in Mete tres, in terra Hospitalium unam et dimidiam, iu Suthmede
duas, Aloudeswirf unam, ex bis solvit tres marcas dimidio fertone minus;
item de tribus mensuris, quas nobis Benedictus, f rater noster, dedit, fertonem,
p. c. m. 1. e. t
68. Poppo filius Gerardi in Tredissel duas mensuras, Tuadel et Maren
tres, Stckelmeda quatuor, Nortlant quatnor, ex bis dabit marcam et tres libras.
69. Alart filius Lamberti in Tuagemet unam mensuram, Maren tres,
Lancheukin duas, Budekin duas, Ostmur duas, Hftc duas, Vivescapergers
quatuor üb nortuuer, ex his dabit marcum et dimidiam, p. c. m. 1. e. t.
(F. 266h). 70. Witto filius Wilhelmi de duabus mensuris in Giverde-
hemkin tres libras, p. c. m. 1. e. t.
Uu . . . .
Die vorstehende Aafzeichnnng wurde mir schon im J. 1883 durch
eine auf meine Bitte von Herrn Dr. Löwenfeld bereitwilligst herge-
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Grundbesitz der Abtei Echternach in Zeeland (Holland). 217
stellte Abschrift bekannt. Obwohl ihr hoher wirtschaftsgeschichtlicher
Wert von vornherein einleuchtete, war eine wissenschaftliche Ausbeutung
doch nicht möglich, da es zum genaueren Verständnis aller Lokalerklä-
rungen gebrach. Nun hat Hr. Prof. 6all6e in Utrecht diese freund-
lichst gegeben, zugleich eine CoUation der Abschrift Löwenfelds in Paris
vornehmen lassen, die Aufzeichnung zur Herausgabe vorbereitet und so
in dankenswerter Weise eine Erklärung des eigenartigen Dokuments
ermöglicht.
Seinen Wert finde ich noch mehr in sozialgeschichtlicher als in
agrargeschichtlicher Kichtung. Doch mag in letzterer Beziehung sich fflr
den genaueren Kenner der Überlieferung Walcherens viel mehr folgern lassen,
als für eine Betrachtung aus der Feme. Für diese muss manches proble-
matisch bleiben, was an der Hand einschlagender Flurkarten leicht zu
klären wäre. So schon die Frage des Landmasses. Die Zusammenstellungen
Nr. 66 in Drigemet tres mensuras, Nr. 14 und 53 in Virdelhalfgemet
tres mensuras et dimidiam, Nr. 47 in Sivengemet Septem mensuras
legen es nahe, dass mensura die Übersetzung von Gemet sei, zumal da,
wo sonst Gewannen in Gemet genannt werden, die Zahl der mensurae
nie die angegebene Gemetzahl der ganzen Gewanne übersteigt. Trifft
die Vermutung zu, so hätten wir nach Mitteilung von Hm. Prof. Gall^
für die mensura das feste Mass von */» ha, und das Gemet wäre etwa
als Morgen zu bezeichnen. Hierzu würde auch die Einteilung der
mensura in hastae stimmen; diese sind mit den sonst häufig genannten
virgae zu parallelisieren, denn statt mit Rute wurde altertümlicher mit
Speer gemessen, z. B. bei Ausübung des Speerrechts auf den städti-
schen Strassen, vgl. Gengier Stadtrechtaltertümer S. 89. In wie viele
hastae die mensura zerfiel, wird nirgends gesagt; wie Nr. 11 zeigt in
über' hundert: auch das beweist für die Analogie von Rute und Speer.
Zum Verständnis der wirtschaftlichen Bedeutung der Mensura be-
darf es kurzer Auseinandersetzung über die Münze. Es findet sich
nebeneinander das Pfund- und Marksystem; sehr erklärlich bei einem
Dokument der Rheinmündung aus der 1. H. des 12. Jhs. Die gemein-
samen Teilmünzen sind solidi, denarii und oboli, denn sie kommen so-
wohl mit mr. wie Ib. verbunden vor. Der ferto geht gewiss auf die
mr., beträgt also 3 sol. Neben dieser Rechnung läuft noch ausnahms-
weise eine Teilung der mr. in lod und settin her, über welche ich aus
rheinischen Quellen gleicher Zeit Aufklärendes nicht beizubringen vermag.
Vergleicht man nun die auf je eine Mensura (wie sie in Nr. 10,
23—25, 30, 32, 34, 38, 40, 50, 54, 57, 63, 64, 66, 70 vorkommt)
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218 JH. Gall^e u. K. Lamprecht
bezogenen MOnzangaben mit einander, so ergeben sich Unterschiede
zwischen 40 und 360 d. ; also Wertbeziehungen zwischen 1 und 9 fflr
die verschiedene Güte der Mensura. Das lässt auf sehr ausgesprochene
Bonitierung und wohl auch auf fortgeschrittene Intensität des Anbaus
schliessen.
Das Feldsystem ist dabei nicht gewöhnlich, oder wenigstens nicht
in gewöhnlicher Weise entstanden. Zwar scheint es sich um Gewannen
zu handeln, aber die Benennungen derselben zeigen, dass sie zum
allergrössten Teil nicht gemeinsamer, sondern individualer Aufwinnung
ihr Dasein verdanken. Nur ursprüngliche Bifänge können (jewannen
sein wie Ellemerslant (Nr. 15, 26), Gervuineslant (Nr. 12), Herber-
deslant (Nr. 6), Herdinslant (Nr. 30), Papelant (Nr. 36), Volquilant
(Nr. 6, 13), Vromoldeslant (Nr. 46); auf Eindeichung durch einen
Einzelnen lässt schliessen Yuoldrichesdich (Nr. 32). Auch lagen auf
diesen Biftingen noch einzelne Höfe, vgl. Nr. 46; einige derselben
lernen wir in den Benennungen Aloudeswirf (Nr. 67), Gusfertheshem
(Nr 60), Herkenboldeshem (Nr. 11), Manikinshem (Nr. 68), Tirde-
boldeshem (Nr. 50), Yaderkinshem (Nr. 24) kennen. Die meisten
Gewannen aber scheinen auf ursprünglichem Wiesengrund entstanden
zu sein, so, dass der Rodung schon das Privateigen am Rodeboden vor-
ausging. Hierauf lassen Namen schliessen wie Westmede, Frisemede,
Northmede (Nr. 1), Ostmede (Nr. 11, 13), CoUerdesmede (Nr. 65),
Volquimed (Nr. 49), Bretmede (Nr. 34), Midelmeda (Nr. 61), Gros-
meda (Nr. 25, 56), Burgermede (Nr. 10). Noch mehr spricht es in
dieser Richtung, wenn (jewannen nach einem ursprünglichen Wiesen-
mass benannt erscheinen, und ein solches ist doch wohl das Gemet,
vgl. Tuiegemet (Nr. 25, 37, 53, 62, 69), Drigemet (Nr. 58), Vir-
gemet (Nr. 29, 54, auch 27), Virdehalfgemet (Nr. 14, 21, 53), Siven-
gemet (Nr. 41).
Ein durchgehender Charakter lässt sich diesen Angaben jedenfalls
entnehmen : die Flurverfassung ist verhältnismässig stark individualistisch.
Sie wird mitbin nicht der gebundenen Genossenschaft der Urzeit, sondern
erst späterem Ausbau ihr Dasein verdanken; ihr Charakter gegenüber
dem alten Gewannensystem ist derselbe, wie der Charakter des Hagen-
hufendorfes gegenüber dem germanischen Urdorfe: der individualistische
Zug der jüngeren Hofanlage findet sich auf die Flurlage übertragen
und erweitert.
Weist somit schon das agrarische Bild auf sehr fortgeschrittene
Verhältnisse, so noch vielmehr die Art der Bodennutzung. Was wir
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Grundbesitz der Abtei £chtemach in Zeeland (Holland). 219
hier vor ans haben, ist reine Yitalpacht: also jenes System, in dessen
Übergangsformen sich fast regelmässig, wie neuere Forschungen zeigen,
ein ausgesprochenes Grundholdentnm zur Freiheit der Person und der
Bodenbenutzung durcharbeitet. Nur dass meines Wissens die Yitalpacht
als System noch nirgends auf deutschem Boden so ausserordentlich früh
nachzuweisen war, wie hier an den Grenzen germanischen Wesens.
Nur einmal wird in der ganzen Aufzeichnung noch das ältere
System des Erbzinses erwähnt, und hier mit offener Betonung der Aus-
nahme, Nr. 27: W. de duabus mensuris infra yallum dabit 5 s., sed
terra nequaquam est libera. Ein lehrreicher Fall. Das einzige noch
im Erbzins stehende Grundstück liegt in der Stadt Middelburg, infra
Valium. Hier war offenbar die Rente so enorm gestiegen, dass der
Erbzinsmann es vorzog, sein Land zu dem sehr geringen Zins von 80 d.
für die mensura in Servitute zu behalten, statt sich auf eine freie Yital-
pl^;ht mit starker Erhöhung des Pachtschillings einzulassen. Man sieht,
wie sich alte Formen grundholder Bodenbenutzung unter Umständen in
der Stadt besser erhalten können, ^ auf dem platten Lande.
Hier, in den Ambachten West- und Nordmunster wie in den
5 Ämtern Dombarg, Poppedamme, Grypskerk, Oostcapelle und Koude-
kerke ist nur von Yitalpacht die Rede. Der Beweis für Pachtland
gegenüber der naheliegenden Yermutung, es handle sich nur um Seel-
geräte in Prekarienform, wird erbracht einmal durch die Thatsache,
dass das Land schon durch andere Rechtshandlungen mit dem Besitzer
verbunden erscheint (Tausch Nr. 17, Schenkung No. 67, vgl. Nr. 85),
weshalb denn auch eine Reihe von Yerträgen für die terra s. Willi-
brordi, also eine oder mehrere alte Bifanggewannen der Abtei Echter-
nach, stipuliert ist, vgl. Nr. 2, 7, 12, 18, 14, 17, 20, 69. Er wird
ferner erbracht dorch Nr 47: hier erscheint ein Abt als zaiüend de
.casa Engerammi: er kann in dieser Form und unter dieser Yerpflich-
tung bei Lebenszeit kein Seelgerät gestiftet haben.
Neben Pachüändereien erscheinen bisweilen auch schon Hänser
in I^benspacht: so dass der Übergang zur Yerpachtung kleiner Land-
güter angebahnt erscheint. Es sind Anfänge, wie sie sich in den von
mir Deutsches Wirtschaftsleben Bd. 8 Nr. 1 veröffentlichten Rupertsberger
Akten aus der Wende des 12. und 13. Jhs. in verwandter Weise, nur
ungleich später nachweisen lassen. Eigentümlich ist, dass die Abtei
die Häuser, wie es scheint, auf fremdes Erbzinsland gebaut hat, oder
wie erklärt sich sonst die Formel de casa domus snae? (Nr. 5, 48,
vgl. Nr. 36 und 43, auch 44). Unmöglich ist das nicht; in Köln
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220 J. B. Nordhoff
z. B. unterschied man, wie Hegel S. LXXY ff. nachgewiesen, sehr ge-
nau zwischen Arealzins und Hausmiete, bzw. Hauszins.
Neben den allgemeinen bisher besprochenen Beziehungen erscheint
es als Besonderheit, wenn der Eingang eines Pachtverhältnisses mit
einer Schenkung von Todeswegen verbunden wird. So in Nr. 26. Hier
schenkt der Vater an die echtemacher Martinskirche in Middelburg,
der Sohn behält aber die Nutzung auf Lebenszeit gegen einen Pacht
(Zins). Ahnlich ist No. 44, wohl auch Nr. 31, aufzufassen; hier gilt
aber Nutzung und Zins nur auf Lebenszeit des Stiftenden.
Sind diese besonderen FäUe zufäUige Ausnahmen, oder sind sie
Reste früherer häu%erer Geschäftspraxis verwandter oder gleicher Art?
Ist mit anderen Worten die Yitalpacht aus der Prekaria entstanden?
Die Fi*age lässt sich nur aus früheren Urkunden Walcherens beant-
worten, welche mir nicht zu Crebote stehen; darf man nach analogen
Vorgängen in Frankreich urteilen, welche auch zeitlich gänzlich ein-
schlagen, so würde der vermutete Zusammenhang ganz zweifellos be-
stehen; vgl. Lamprecht-Marignan, Etudes sur Tätat 6conomique de la
France S. 181 ff. K. Lamprecht.
•^►^O«^« — --
Einheimische Kloster- und sDddeutsche Laienbaumeister in
Westfalen während der letztvergangenen Jahrhunderte.
Von J. B. Nordhoff in Münster.
Was an Bauzeichnungen etwa bis zur Mitte des 15. Jahrhun-
derts, in Westfalen bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts vorliegt, bezieht
sich entweder auf Aufnahmen vorhandener Werke oder ist Schablone
oder, falls wirklicher Plan, von den ausführenden Meistern noch selbst
gefertigt — als „Idee* oder allgemeines Vorbild für Bauleute oder
Bauherren ohne Massangabc und daher ohne den Zwang sklavischer
Nachbildung^); durchschnittlich bleibt der Charakter der Skizze auch
im 16. Jahrhunderte und der Planmacher ein praktischer Meister —
allein die Zeichnungen kommen Oberhaupt mehr in Aufnahme sowohl
für kleine als fOr grosse Werke und der Zeichner ist vielfach schon
ein anderer, als der AusfOhrer, im Norden häufiger ein Maler oder ein
') Vgl. J. Krenser, Der christl. Kircheubau A' I, 565 und besonders
Fr. Schmidt in den Mitteill. d. k. k. Central-Kommission XII, 1 £f. : unter
den spätem Wiener Plänen giebt es eine Aufnahme betreffend Esslingen (S. 2)
und viele Schüler- und Lehrlingsarbeiten.
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Einheim. Kloster- u. süddeut. Laienbaumeister in Westfalen. 221
Goldschmied^), der immer vermöge seines Handwerkes oder des leben-
digen Verkehres mit seinen Zunftgenossen aus dem Vollen der prak-
tischen Kunst- und Formenwelt schöpft.
Erst im 17. Jahrhundert fassen auch bei uns Plane und Archi-
tekten im modernen Sinne Fuss, sie, die anderwärts be^nders in
Italien längst dem Handwerker ihre Blätter vorgelegt hatten, ohne selbst
mehr Hand ans Werk zu legen ^). Sie gingen meistens aus der Reihe
der Ingenieure hervor, die im Festungsbau die Masse der Werke und
deren Abstände durch genaueste Vorzeichnung feststellten; das „Genie^
vereinte daher fflr geraume Zeit in sich das Zeichenwesen wie fflr Bauten
und Kleinwerke so für Landkarten, und sein Mitglied durchlief wohl
als Architekt in fürstlichen Diensten alle militärischen Rangstufen.
Aushülfe leisteten für Eleinwerke oder Bauten zweiten Ranges noch ein-
zelne Maler oder andere Kräfte, welche sich, man möchte sagen, mehr
zufällig auf das Zeichnen, vielleicht auch auf die Ausführung verstanden,
so einzelne jener Mönche, deren Kunstspuren wir jetzt verfolgen.
Immerhin sind sie, wenn auch in verändertem Verstände die
Nachfolger jener Künstlermönche, welche im früheren und hohen
Mittelalter die Kunst-Übung und Förderung auf ihre Fahne geschrieben
hatten, jener Benediktiner, welche recht die antiken Bauformen des
Südens nach dem Norden überführten und hier zu neuer Form- und
Stilweise umbildeten. Diese schwere Arbeit verrichtete das Kloster
Corvei fast für den ganzen Norden bis zur Mitte des 11. Jahrhunderts*)
— fördernd griffen ein die vornehmen Frauenstifte Sachsens, des Rhein-
lands und Westfalens und hier vorab Essen und Herford. Und als die
Corveier ihr Werk gesichert sahen, übernahmen die Abdinghofer Mönche
zu Paderborn unter der Hut der Bischöfe die Ausbildung der kirch-
lichen Baukunst in Westfalen bis an den Niederrhein und die Clunia-
censer bildeten dann einen eigenartigen Westbau aus. Obschon mit
dem 11. Jahrhundert die Bischofssitze die Klosterkunst fortsetzten
und bald darauf die Städte, wie Soest und Münster, für das Spät-
') Vgl. S. Müller in Obreen's (Rotterdamer) Archief vor Nederlandsche
Kunstgeschiedenis III, 245 f. ; IV, 227 ff. Vgl. D. v. Schönherr in d. Mitteill.
des Heidelberger Schlossvereins (1889) II, 101 ff.
*) Vgl. meine Notizen über die umgestaltenden Folgen für das alte
Kunsthandwerk in Prüfers Archiv f. kirchl. Kunst (1886) X, 35 und in meinen
Kunst- u. Geschichts-Denkmälern des Kreises Warendorf 1886 S. 67, 153, 154.
*) Vgl. meine Ausführungen im Repertorium f. Kunstwissenschaft (1888)
XI, 148 ff.
Wegtd. Zeltschr. f. Gesch. n. Kunst VIII, in. 18
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222 J. B. Nordhoff
nüttelalter Bauleute heranzogen, welche nach allen Seiten von ihrem
Können rühmliche Zeugnisse ablegten, lassen es sich hier die Cister-
cienser nicht nehmen, die Architektur wenigstens einigermassen zu be-
reichern. Von Frankreich, nämlich von ihren Stammklöstern, verpflanz-
ten sie nach Deutschland, vereinzelt wohl gar durch französische Leiter ^)
an ihre Ordenskirchen die reichen Chorbildungen oder auf andere Bau-
plätze, welche nur ungern vom altehrwürdigen Rundbogen Hessen, die
Keime des Spitzbogens. Westfalen besitzt an der Cistercienserkirche zu
Marienfeld die ersten namhaften Versuche des Ziegelbaues und die
edelsten Überbleibsel der Bodenbeplattung von farbigen und schön figu-
rierten Fliesen*). Von den Prämonstratensem, denen die Laienbrüder
gewiss mehrorts als Handwerker zu Gebote standen ^), sind wohl gar, wie
vordem auch von den Benediktinern, gemeinnützige Anlagen, z. B. Wege
und Aquädukte unternommen, welche in der Zeit der Selbsthülfe ge-
wissen (regenden unerschwingliche Opfer auferlegt hätten ^). Die Bettel-
mönche endlich, welchen man einen Anteil an der Verbreitung des
gotischen Stieles zuschreibt, haben gemäss dem Armutscharakter ihres
Ordens die reiche Gesamtform der Basilika vereinfacht, aber zugleich
die Chöre mehr verlängert, als es in der landesüblichen Bauweise lag.
Im Spätmittelalter erschlaffte bei den reichen wie bei den armen
Klosterinsassen die Zucht und ihren wesentlichen Bedarf an monumen-
talen Kunstsachen befriedigten Laien; höchstens Hess hie und da ein
„Klosterbruder" seiner Neigung für eine „Mönchsarbeit" oder eine
mechanische Kunst freien Lauf, und sein Erzeugnis wurde dann ein
Meisterwerk®).
») Vgl. C. Schnaase, Gesch. der bildenden Künste A« V, 321, 175, 186.
•) Meine K.- u. G.-D. des Kreises Warendorf S. 141, 142 mit Abbildung.
») Fr. Winter, die Prämonstratenser des 12. Jahrhunderts 1865 S. 101, 103.
*) Laut Urkunde von 1248 in den Historisch-politischen Blättern (1888)
87, 96. — Über die Bauverdienste der französischen fratres pontifices, welche
1184 die päpstliche Bestätigung erhielten, vgl. Ostfriesische Monatsschrift
(1817) VII, 24 ff., Korrespondenz- Blatt des Gesamt - Vereins der deutschen
Geschichts-Vereine (1859) VII, 105 ff., Historisch-pol. Bll. 87, 185.
*) So trug ein äusserst kostbarer Kelch des Domes zu Münster vom
Jahre 1397 die Inschrift: Robertus abbas in Huda me formari fecit
H. Kock, Series episcopomm Monasteriensium (1802) III, 68; im selben
Gistercienserkloster Hude bei Delmenhorst und um dieselbe Zeit, gegen 1400:
Fridericus monachus de Huda complevit horologium in ecclesia Monaste-
riensi. Kostens, Ghronicon Marienfeldense in Kindlingers Handschriften-Samm-
lung B. 76 p. 320. Vgl. über die ferneren Geschicke und Künstler dieser
ebenso künstlichen als kunstreichen Domuhr meine Angaben in Prüfer's
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Einheim. Kloster- u. süddeut Laienbaumeister in Westfalen. 223
Freilich unterwarfen sich die Benediktiner und Franziskaner früher
der Reform, als andere Orden und die Observanten ^^) gewannen stetig an
Boden in Westfalen; doch erst nachdem die Wogen der Reformation
sich gelegt und der Abfall verschiedener Ordensklöster verwunden war,
kehrte die Ruhe für die Werke des Friedens ein und regte sich bei
ihnen wie bei den Kapuzinern, die gleichfalls mehrorts Niederlassungen
gründeten, die Hand der Kunst und Baukunst, d. h. vorzugsweise in
den katholischen Landschaften, welche durch ihre Fflrstbischöfe dem
alten Glauben erhalten oder zurückgegeben wurden.
Indes die reichen Klöster nach dem dreissigjährigen Kriege ihre
grossen oder gar pompösen Gebäude den Laien überliessen, waren es
vorzugsweise die armen Klöster, welche die Künstler und Kunsthand-
werker stellten; bei den Kapuzinern, vielleicht auch bei den Franzis-
kanern zählen sie, wie wir vernehmen werden, zu den Handwerkern
(patres fabriciarii) der Ordensprovinz.
Zeigt sich uns überhaupt das Bau- und Kunstleben der letzten
Jahrhunderte in einem sonderbaren Lichte, so stösst uns mehr als ein-
mal in der heimischen Baubewegung die Empfindung, dass der Plan
oder Abriss, worum sich nun schon das ganze Kunstwesen dreht, halb-
wüchsigen oder doch solchen Händen anvertraut war, die von der
praktischen Kunstarbeit Nichts wussten.
Den befriedigendsten Eindruck macht das Vorgehen und Schaffen
der Bettelmönche, das allerdings bei weitem den Vergleich nicht aus-
hält mit dem, was die Münsterischen Minoriten im 18. Jahrhundert in
der Geschichtsforschung geleistet haben ^*). Die grösseren Bau- und
Kunstaufgaben an Kirchen und Schlössern waren bereits den Architekten
und Laien vorbehalten, wie jene der reichen Klöster.
Der Vorläufer der mönchischen Künstler, der auch für protestan-
tische Reviere Aufträge übernahm, war der Glockengiesser Anton Paris
aus Lothringen 1633 — 1662**); 1651 erschien sodann auf den Wink
Archiv far kirchl. Kunst IX, 81. Friedrich aus Hude ist der würdige Vor-
gänger des Johan Ruyschius (f lö33) in Kloster Gr. St. Martin zu Köln.
J. Hartzheim, Bibliotheca Goloniensis 1747 p. 198.
*<*) Vgl. darüber meine Angaben in Pick's Monatsschrift far die Ge-
schichte Westdeutschlands (1876) I, 172, 351 ff.
") Z. B. Erasmus Küsters geb. 1746 und besonders Nicolaus Kind-
linger 1749— -1819. Vgl. B. Sökeland, Umgestaltung des Münsterischen Gym-
nasiums 1828 S. 50.
'^ Meine kunstgeschichtl. Beziehungen zwischen dem Rheinlande und
Westfalen 1873 S. 56, 57.
18*
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224 J. B. Nordhoff
seiner Obern and zwar ausnahmsweise im Dienste reicher Ordensmänner,
nämlich der Bentlager Ereuzherren bei Rheine, aus einem Jfllicher
Ordensconvente der Laienbruder Albertus de Tyrano, von Geburt
ein Italiener und ein äusserst erfahrener Maurermeister; nachdem er
ihnen die Eirchengewölbe repariert hatte, ging er an die von den
Schweden ausgebrannten oder ruinierten Bauteile des Klosters und starb
1653 in seinem Jolicher Stammkloster ^^). 1653 werden uns auch die
beiden ersten Franziskaner- Architekten bekannt; nun meldet der Dom-
propst (?) Heinrich Korf-Schmiesing unterm 23. Mai dem Münsterischen
Fürstbischöfe Christoph Bernard von Galen, er habe wegen der Wall-
fahrtskapelle zu Telgte, worein das mirakulöse Marienbild'*^) aus der
dortigen Pfarrkirche versetzt werden sollte, an den Bruder Gerhard
zu Paderborn geschrieben, damit er herüberkomme, jedoch nicht mehr
von ihm erlangt, als eine Bezeichnung der Baumaterialien und einen
Abriss. Da dieser, wie er vernommen, dennoch dem Fürsten besser
gefalle als jener des Paters Jodocus, der auch an Arbeitslohn und
Materialien um die Hälfte teurer komme, so habe er geglaubt, von
dem Stande der Bauangelegenheit an den Fürsten berichten zu sollen.
Der Bruder Gerhard war Maler, der Pater Jodocus war Observaut;
sonst weiss ich für den Augenblick nicht anzugeben, was jener damals
zu Paderborn beschickte '^), wo Jodocus seinen Klostersitz hatte, wessen
") P. Grossfeld, Beiträge zur Geschichte der Pfarrei und Stadt Rheine
187Ö S. 65, 35. Bei dieser Gelegenheit verweise ich die Kunstschriftsteller
der deutschen Renaissance nochmals auf den gefeierten italifuischen Archi-
tekten Alexander, welcher 1547 zu Jülich die Festung umbaute, um
dieselbe Zeit auch Projekte für die Kölnische Stadtbefestigung (Wiethase im
Notizblatte des Architekten- und Ingenieur- Vereine f. Niederrhein und West-
falen 1876 S. 8) und vielleicht auch für den Anbau des Jülicher Rat-
hauses gemacht hat. Vgl. Zeitschr. f. bild. Kunst X, 86. Ebenhier führte
ich einen zweiten „Italienischen" Architekten, namens Johan Edeler an ; der-
selbe hat die Landesburg Sparenberg bei Bielefeld um 1554 neugestaltet und
zwar auf Geheiss desselben Fürsten, welcher den Alexander nach Jülich be-
rief. Hagedom, Vom Zustande der Religion ... der Grafschaft Ravensberg
(1747) I, 167.
>*) Wohin es nach der Sage auf eigene Weisung in der Reformations-
zeit vom Osnabrückischen Klostor Börstel gefahren war. Vgl. Möhlmann's
Archiv für friesisch-westfälische Geschichte (1841) I, 94. Nach der Sage ist
es aus einer Thorlinde zu Telgte geholt und thatsächlich im Kerne aus Linden-
holz gemacht, nach J. Reinermann - (Krabbe), Wallfahrt nach Telgte 1854
S. 29 fiP. hier schon im 15. Jahrhunderte verehrt und in einem schlichten Ge-
häuse auf dem Kirchhofe aufgestellt gewesen.
") Der Paderbomer Jesuit Johan Grothaus aus Beckum f l^^^ *V«
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Einheim. Kloster- u. süddeut. Laieubaumeister in Westfalen. 225
Plan angenommen oder ob ein solcher schliesslich bei einem anderen
Architekten bestellt ist*^? — genug, Jodocus wurde Bauleiter, der
Grundstein zu der Kapelle im Folgejahre 1654 Ve gelegt und das
Werk aus Baumberger Steinen in zwei Jahren hergestellt; denn 1666
befahl der Fürst seinem Zahlmeister Schröder, einem Bruder Andreas
Oxell 182 Bth. auszuzahlen: von Andreas waren nämlich Crewölbe
und Altar illuminiert und Berichte über die Maurer, Schreiner, Schmiede
und sonstigen Handweiker sowie über deren Rechnungen erstattet ^''), —
als ob er nun zugleich die Oberaufsicht geführt habe.
Im Zusammenhange mit dem Kapellenbau erstanden bis 1663 am
Wege von Münster nach Telgte Stationsbilder und ein Kapellchen
(Oratorium) beim Schultenhofe Pleister — letzteres nach dem Risse
eines Paters Blankenstat*'*).
Halbwegs in die klösterliche Kunst schlägt auch die Einrichtung
einer Kapelle auf dem Hause Ermelinghof bei Hövol; schon 1654 ward
sie betrieben und später durch die Zuthat einer Vicarie, welche der Bischof
Galen 1678 in seinem Testamente stiftete, zum Abschluss gebracht.
Im erstgenannten Jahre schrieb dorthin an Alexander von Galen ein
Jesuit Bernard Hackfort, sobald er nach Münster gekommen, habe er
sich den Riss für den Altar von einem Schreiner anfertigen lassen und
mit den Massen dem Fürsten vorgelegt, dieser ihn einem Schreiner, der
von Regens bürg kommen wolle, anbefohlen; als er dann zur Audienz
zugelassen sei, wäre der Riss verlegt gewesen und er wolle deshalb
einen neuen machen lassen. Die Titel für die (Votiv-) Gläser seien in
skizzierte in seinen historisch-antiquarischen Collecten auch Grundrisse von
allen Bauwerken und Kirchen — letztere auch um 1664 ein F. Polycarpus
Capucinus (aus Paderborn?).
><^ Ein bis auf den Chor dem bestehenden Baue entsprechender findet
sich auch in Crone's Sammlung mit der Inschrift : Abritz von der Capelle zu
Teil igte. Petro Pictorius Ingen, me delineavit. Die Kapelle soll nach
dem Muster jener zu Altötting (A. Hüsing, Chr. B. v. Galen 1887), diese, ein
achtseitiger Centralbau des 13. Jahrhunderts, nach lombardischen Vorlagen
geplant sein.
*') Staats - Archiv Münster, Landes - Archiv 423 Nr. 11 — von einem
dieser Mönche rührte auch yielleicht 1654/55 Modell oder Zeichnung für den
Umbau und die Kuppelbedachung des Kirchturmes zu Wolbeck, wobei als
Muster vorgeschlagen wurden die Aegidii- und Minoritenkirche zu Münster
und die alte Kirche zu Warendorf. St.-Arch., Landes-Archiv 428 Nr. 8.
>») K. Tücking, Gesch. des Stiftes Münster unter Chr. B. v. Galen
1865 S. 297, Münst. L.-Arch. 423/11.
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226 J. B- Nordhoff
seinem Briefe beschrieben, das Wappen des Farsten sei von einem
Studenten gemalt nnd was daran in Zeichnung (lineamentis) gebreche,
könne der Glaser (Glasbrenner) verbessern**).
Dass die Observanten zu Münster Aber eine Fertigkeit im Mauern
weit hinaus gingen, erhellt ans dem Benehmen eines Albert Heilmann;
derselbe meinte, hier könne man bei den Stein- und Bildhauern nicht
„auslehren*' und machte, wie in deren grossen Gildebuche verzeichnet
steht, 1691 — obschon nicht ohne Strafe — sein Meisterwerk im
Barf&sser-Kloster des h. Johannes ^^).
Von P. Hermannus Marx, Observant zu Vechta, stammten die
Pl&ne für ein neues Ordenskloster zu Dorsten und das 1730 — 1742
erbaute Klostergeb&ude zu Vechta selbst. „Die ganze Anlage des
Klosters sowohl als die dazu gehörigen Oekonomie-Gebfiude sind Zeugen
der grossen Kenntnisse dieses Mannes in der Baukunst '*).**
1742 entwarf mit (jenehmigung des Provinzial-Kapitels der Pro-
vinzial P. Antonius Josephus aus Jülich, weil die patres fabri-
ciarii der Ordensprovinz wegen Entlegenheit des Ortes sich nicht auf
die Ocular-Inspection einlassen konnten, den- Bauplan für die neue
Kirche der Terciarier des Kapuziner - Ordens zu Brenschede und zwar
auf einer Yisitationsreise zu Hildesheim. Der Maurermeister Josephus
aus Augsburg begann rüstig die Arbeit, konnte jedoch die Mauern vor
dem Winter nur bis zur Hälfte emporbringen und benutzte daher den
letzteren mit seinen Gesellen zum Steinbrechen. Das Gewölbe wurde
von dem Antoniter- Eremiten Bruder Antonius aus der Klause bei
Gescher aufgeführt, nachdem man für den Kalk den erforderlichen fein-
kömigen Sand entdeckt hatte. Zur Anfertigung der Alt&re, der Kanzel
und der Kirchenschränke erschienen 1748 auf Geheiss der Ordensoberen
die Laienbrüder Thomas und Antonius und zu diesen kam als dritter
der Schreinerbruder Sophronius aus Coesfeld, dem insbesondere die
Treppen und die Kommunionbank übergeben wurden**).
»•) Tücking a. a. 0. S. 324 St-A. Ermelmghof 53».
w) Vgl. Keck 1. c. m, 231.
") F. M. Driver, Beschreib, u. Gesch. des Amtes Vechte 1803 S. 150.
") J. S. Seibertz in d. Blättern zur näheren Kunde Westfalens 1863
8. 61 — 63; einen Platz verdient hier wohl auch Job an Baptist Molitor geb.
1713 zu Saalhausen, zuerst Pfarrer zu Keppel, dann zu Barbach und endlich
protonotarius apostolicus, gest 1765 als Vicarius und Fürstenbergischer Rent-
meister zu Attendorn, ein geschätzter Kräuterkenner und Architekt; er hat
hier das neue Fürstenberger Hospital erbaut Ders., Westfälische Beiträge
zur deutschen Geschichte (1819/23) II, 10. Erinnert sei auch an den Pfarrer
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Einheim. Kloster- u. süddeut Laieubaumeister in Westfalen. 227
Zu den letzten Mönchsbanten ^^) geborte die Eircbe zu Dörpen
im Emslande (1798 — 1801) . — ihr Baumeister ist der Franziskaner
Wenzeslaus Koch, später Pfarrer zu Leer und (f 1832) Vicar zu
Eschwege **).
Tyrol und Bayern belebten und verbesserten ihre Baukunde wie
im Frühmittelalter *^), so auch in der Folge ja bis 1766*®) durch
Meister und Formen aus Oberitalien und unterhielten dadurch ei^e
tüchtige Technik, so dass ihre Künstler in der Neuzeit sogar in West*
falen gesucht wurden. Sie waren schon im 16. Jahrhunderte mit den
Gypsem zahlreich gen Norden gezogen*') und folgten nun nach West-
falen jedenfalls den Fürstbischöfen aus dem bairischen Hause, welchen
seit 1585 vorzugsweise die Regierung der Bistümer Münster und Pader-
born bescheert wai*; sie fanden nach dem 30jährigen Kriege immer
mehr Arbeit und Beschäftigung an den Kloster - Kirchen- und Schloss-
bauten, die hier bis in den Anfang unseres Jahrhunderts in stattlicher
Reihe aufgegangen sind. Im 18. Jahrhundert war man von den süd-
deutschen Mauerleuten in Münster so eingenommen, dass selbst vor-
sichtige Gescliichtsschreiber der Sage Gewicht beilegten, es sei nicht
nur die Lambertikirche (begonnen 1375), sondern dann auch die Mino-
ritenkirche (um 1400) von Tyrolern ausgebaut, die sich zu dem Ende
den „Drubbel" als Wohnungen aufgeschlagen hätten*^. Und unter dem
Namen „Tyroler" gingen, scheint es, überhaupt alle fremden Werkleute
Philipp Körte (eigentlich Wegener) 1730—1803, der in der Physica schon
Beweise für die Elektrizität gab und zu Salzkotten auf Geheiss des Pader-
bomer Fürstbischofs Wilhelm Anton von Asseburg (1763—1782) die dortigen
Salzwerke umbaute, mehrere Häuser aufführte, Kirche, Orgel und Altäre um-
gestaltete, nachdem er sich auf Reisen in Deutschland und Italien seine
mechanischen und bautechnischen Kenntnisse noch besonders vervollständigt
hatte. Seibertz a. a. 0. II, 329 fiP. G. J. Bessen, Gesch. des Bistums Pader-
born n, 363.
'') Die drei Altäre von Holz mit Aufsätzen und Bildsäulen . . . haben
1780 zu Warendorf Alpheus Rincklage und Agapitus Mertens gebaut
wie angeblich auch die Altäre zu Wiedenbrück und Dorsten. K.- u. G.-D. des
Kreises Warendorf S. 51, 52.
•*) J. B. Diepenbrock, Geschichte des Amtes Meppen 1838 S. 264.
Koch gehörte als Franziskaner dem Convente zu Aschendorf an. W. Mithof,
Kunstdenkmale u. Altertümer im Hannoverschen VI, 40.
**) Vgl. Repertorium f. Kunstwissenschaft XI, 149.
««) H. Otte, Geschichte der deutschen Baukunst 1874 S. 727.
*^ Vgl. C. Gurlitt, Geschichte des Barockstiles . . . IH, 124.
") Kock 1. c. H, 17.
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228 J. B. NordhofF
— auch solche, welche aus Baiern und den rheinischen Oherlandern
einwanderten.
Dem Namen nach einer der frühesten Baukünstler dieser Art war
ein Ingenieur Damian Nidecker, der 1658 einen Riss für die Schloss-
grähen zu Neuhaus entwarf und 1660 auf dem Hause Curl bei Dort-
mund verweilte^*) — sodann der Maurermeister Anton Zanollo —
sein Name kommt noch heute in München vor. Er übernahm 1661
zu Herbern den Abbruch der alten Kirche, 1664 rutenweise den Auf-
bau der neuen und vollendete denselben bis auf Pliesterwerk und Ge-
weller. Als Steinhauer wirken daran ein Jacob Moszer und die
Meister Adolf Wichmann, Johan Hülsmann und Heinrich Esters
— als Maler Ger dt Struck, als Glaser Johan Spaen, dem der
Münsterische Kaufmann Schwick Braunschweiger Glas lieferte ^^).
1691 verunglückten beim Baue der Jesuitenkirche zu Coesfeld
die Tyroler Maurerleute Hans Peter Schackmel, Martin Gross
und Andreas Mucter^*) und es lässt sich erraten, dass sie dabei
nicht die einzigen Ausländer waren. Von zwei Tyrolern namens Wey-
rather wurde 1684 — 1696 die Kirche zu Beverungen erbaut und
einer von ihnen nahm daselbst Frau und Wohnsitz ^^). Von Bonn^^)
berufen übernahmen ihre Landsleute die Drexeler bis 1729 die Vol-
lendung der stattlichen Jesuiten-Residenz zu Meppen, als die Arbeiten
der Westfalen sich nicht dauerhaft erwiesen'**); einer von ihnen ist
nach der Ortsüberlieferung der Urheber der frommen Stuckbilder am
Plafond der Jesuitenkirche**).
*•) Meiner Notiz fehlt leider der Beleg, aber sicher niclit die Glaub-
würdigkeit Gurl war Stammhaus des damaligen Paderborner Fürsten v. d. Reck.
'^) M. Land.-Arch. 344 Nr. 4. Andere Meister und eine Notiz über
Antoni Zanollo zum Jahre 1708 (?) bei J. Schwieters, Geschichtl. Nachrichten
1886 S. 63. 64.
»*) Ch. Marx, Geschichte des Gymnasiums in Coesfeld 1829 S. 84.
'*) W. E. Giefers in der westfäl. Zeitschrift t Geschichte und Alter-
tumskunde (1871) XXIX, 35.
^ 1653 gingen noch umgekehrt Maurer und Steinmetzen von Dorsten
zum Brückenbau nach Bonn. R. Pick in d. Annalen des histor. Vereins für
den Niederrhein XXIV, 324.
>*) Diepenbrock a. a. 0. S. 526.
**) Die Stuckaturen des Schmiesinger Hofes zu Münster fertigte laut
Akten 1736/38 der Quadratur - Meister (Franz) Joseph Staudacber aus
Tagemsee — jene im neuen Palais zu Detmold 1717 der Italiener Michel
Caminata (0. Preuss, Bauliche Altertümer des lippischen Landes 1873 S. 17),
der 1717 mit seinem Landsmanne Carl Rossi an die grossartige Stuckbe-
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Einheim. Kloster- u. süddeut. Laieubaumeister in Westfalen. 229
1737 wurden Manerarbeiten am Domturme za Minden vorge-
nommen, Löcher in denselben eingehauen, die Steine ans den Haas-
bergen, der Kalk aas dem Lippischen and Arnsbergischen geholt. Der
Maurermeister Johannes Zengeler**) weist mit seinem Namen nach dem
Süden, jedoch nahm er wahrscheinlich von Westfalen nicht wieder Abschied.
Beim Kloster Brenschede, von dessen Bauzeit bereits gesprochen
ist, legte ein Maurer aus Würzburg eine steinerne Treppe zwischen
dem obern und niedern Garten und wiederum Tyroler^') waren die
Bauleute der Kapuzinerkirche zu Marsberg 1752 — 1756.
Immer grösser wurde der Andrang der Südländer besonders nach
Münster, welches sich unter den kunstliebenden Bischöfen Clemens August
von Baiem^®) und Max Friedrich von Königseck (1719 — 1784) zu
einem Mittelpunkte grossartiger Gebäude emporschwang — immer
lauter wurde die Unzufriedenheit der westfälischen Meister und die Klage
über die Vorrechte der Fremden. Die Regierung musste schliesslich
entscheiden und die Art, wie sie entschied oder vielmehr vermittelte,
lässt ihre Neigung zu den Fremden durchblicken, ohne der Zunft den
Schein ihres Rechtsbestandes zu nehmen; das Zunftwesen war oder
wurde doch durchlöchert von den Architekten, die sich in Sonderstel-
lung hielten, von den Freimeistern und besonders von Hoflcünstlem, wie
solche vom Bischöfe Galen schon ernannt waren. Um so mehr sehen
sich Meister und Gesellen in ihrem Fortkommen, die Gilde in ihrer
Würde und der Ausführung der ihr sonst zuständigen Arbeiten gestört.
Kurz vor und nach dem Jahre 1770 brachen die Streitigkeiten
der Gilde gegenüber den Fremden und die Verhandlungen mit der Re-
gierung aus, als vier anscheinend sehr tüchtige Meister entweder den
kleidung des Domes zu Hildesheim ging. Beiträge zur Hildesheimer Ge-
schichte II, 14.
w) Arch. d. Domcapitels 320».
'^ Seibertz in den Blättern zur näheren Kunde Westfalens S. 53, 12.
^) Clemens August selbst trieb Kunstschreinerei und eine Probe der-
selben, ein Schachbretttisch, war noch in unserem Jahrhunderte auf einer
Ausstellung in Münster zu sehen. H. Erhard in der westfälischen Zeitschrift
V, 354. Mehrere um 1750 offenbar von ihm nach Westfalen gezogene Maler
aus Baiem und Italien sind angeführt in Prüfers Archiv f. kirchliche Kunst
1886 X, 44 — beim Baue des barmherzigen Klosters in den JJ. 1732/34
waren als Ziegelmeister thätig ein Vastr^ und ein Bertram aus Lüttich, und
auch jener Graveur Gotlieb Elcano, welcher mit dem Goldschmiede
Bester 8 die Silberplatte mit dem churfürstlichen Wappen für den Grund-
stein bearbeitete und 1739/40 die Stempel für domkapitularische Münzen
stach, war sicher kein Westfale (Hofkammer 5 1, 56, Dom-Kap. IV, H. 35»).
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230 J. B. Nordhoff
Eintritt in die Gilde erlangt hatten oder doch betrieben. Es waren die
Ausländer Friedrich Huder, Cassian (und?) Jonas (oder Johan?)
Grieser, Franz Jacob Broschard und Anton Falger. Nach dem
Gildenbuche traten bei jenem Broschard, als er Lehrlinge zuliess, als
Ausfodergesellen 1774 auf Auton und Christian Schweighofer, 1777
Anton Jacob Boermann und Ludwig Michöl gebürtig aus Bergzabern
und Zweibrücken; daher waren wohl alle drei ihrem Meister nach
Monster gefolgt, dieser also jedenfalls von Zweibracken, nicht, wie man
meint, von Saarbrücken zugezogen.
Hören wir, wie es dem Ant. Falger erging. Auf eine Bittschrift
an den Fürsten von 1769 **/i8 wies dieser die Regierung an, dem
Falger entweder dadurch, dass man ihm ein Meisterstück auferlege oder
sonstwie zum „Amte** zu verhelfen; die R&te berichteten 1771 '/i, sie
hatten den General-Major Schi au n — er war des Fürsten Ober-
Architekt ^^) — über des Bittstellers Fähigkeiten und den Stadtmagistrat
über die Einreden des Steinhaueramtes vernommen. Schlaun's Gut-
achten und der Riss des Falger seien zu Gunsten des letzteren ausgefallen.
Sie möchten ihm das Steinhauer- Werk (Kaminstein) erlassen und wollten
dem Amte aufgeben, dem Falger gegen Erlegung der üblichen Gebühren
das Amt zu gewähren, zumal er seine auf dem Lande verdienten Spar-
pfennige inzwischen ausgegeben habe. Sie bitten daher den Fürsten,
endlich den Magistrat und das Amt zu nötigen, den Falger als Ge-
nossen aufzunehmen — und das um so mehr, als bekanntermassen das
Amt in vorigen und gegenwärtigen Zeiten in Ansehung des Grieser
bei gleichem Anlasse in der Verfertigung des Meisterstückes strafbarlich
dispensiert habe. Nichts Anderes könne man dem Falger vorwerfen,
als dass er ein Fremder sei. Falger figurierte bald als Meister in
den Gildebüchem und hat treffliche Arbeiten verrichtet*®). 1791 re-
petierte eine ähnliche Geschichte wegen der Zulassung des Schmidt —
der Fürst, jetzt Max Franz von Oesterreich, nahm sich seiner gleich-
falls in einem Erlasse an die Räte an und empfahl diesen, ihm ebenso-
wenig wie einst dem Falger und Grieser den Eintritt ins Amt zu er-
schweren — letzteres hat allmählich seinen Widerstand aufgegeben**).
'•) Es beurteilte also nunmehr der Mann der Zeichnung die Fertig-
keit und Technik eines praktischen Meisters oder Künstlers.
*®) So den neuen Flügel des Schlosses zu Darfeld mit folgender In-
schrift über der Thüre des Archivs: D. 0. M. Primum hunc lapidem sub
regimine Clementis Augusti Droste, satrapae haereditarii etc. etc. et c(ongugi8)
Sophiae de Droste de Füchten conjugum posuit Meister A. und G. Falger
Anno 1781 die . . . Augusti. Mitteilung des Herrn Pfarrer Müller zu Gotha.
**) Cabinets-Registratur P. XXXIV E. 29.
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Einheim. Kloster- a. süddeut. Laienbaameister in Westfalen. 231
Vielleicht durch das Vorgehen der Mflnsterischen Zunftgenossen
ermutigt beklagten sich 1792 die Maurer- und Steinmetzgesellen zu
Paderborn, dass man sie gegen ausländische Kräfte zurückstosse ;
von den drei Meistem> Zengerley — wohl ein Nachkomme des zu
Minden angetroffenen Zengerle — Sprenger und Wolfling seien die
beiden ersteren Ausländer. Diese setzten sich über die Privilegien
hinweg, nähmen gern die Tiroler auf, ohne ihnen die erforderlichen
Leistungen abzuverlangen. Sie bitten daher den Fürsten (Franz Egon
von Fürstenberg), er möge die drei Meister bewegen, den heimischen
Gesellen den Vorzug vor den auswärtigen zu geben. Darüber vorge-
laden sagte Sprenger aus, er habe acht Gesellen aus dem Paderbornischen,
Zengerley, er habe vier Gesellen von Fritzlar, zwei von Hildesheim und
sechs von Lügde**) — letztere also aus dem Lande.
Aus diesen Vorkommnissen und überhaupt ans der Achtung, der
die „Tyroler" etwa anderthalb Jahrhunderte bei den Bauherren und
Bauleitern genossen, geht soviel hervor, dass das heimische Baugewerbe
auch im dreissigjährigen Kriege seine alte Energie und seine höheren
Bestrebungen verloren und die ruhmvolle Bahn der Vorzeit verlassen
hatte. Es wäre daher auch der umfassenden Bauaufgaben, welche ihm
in den beiden letzten Jahrhunderten erwuchsen, schwerlich Herr ge-
worden, wenn nicht neue Anregung und neue Kräfte eingegriffen hätten.
Und doch war das ererbte Kunstvermögen in der Architektur weit-
aus dauerhafter, als in der zarteren Malerei ; immerhin hatte der durch
den grossen Krieg nur besiegelte Verfall beider gemeinsame in der
ganzen Kultur der Neuzeit wurzelnde Ursachen, welche ich bezüglich
der Malerei anderswo^') wenigstens skizziert habe.
Zu Lippstadt steht im Bürgerbuche zum Jahre 1799 noch ein
Steinhauer und Maurer Johan Anton Troxler aus dem Elsass^*) und
nach Meinung eines altem Geschichtskenners wären auch die Familien
Hammerle, Redtenbacher und Boner durch „tyroler** Bauleute
in Westfalen ansässig geworden.
*«) Paderborn. Geh. Rat 86.
*») In Prüfers Archiv X, 26, 34, 35.
**) Nach Karl Anton Luzzano (1783—1797) erhielt 1797 ein Andreas
Wessin aus Mainz das Privileg zu Münster Spielkarten zu verfertigen, be-
riehungsweise die von ihm gemachten Karten mit dem gewöhnlichen Stempel
zu bezeichnen und Tapeten, Gotton und sonstige Papiere ausschliesslich zu
bereiten (Gab. Reg. P. XXXIH, B. 3).
-«-»^O^^«
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232 P. Joerres
Die 6656 Hufen der Abtei St Maximin.
Von Dr. P. Joerres ia Ahrweiler.
1. Es ist schwer begreiflich, dass bisher verhältnismässig selten Anstoss
genommen worden ist an der ungeheueren Anzahl von Hufen, welche gemäss
2 vorhandenen angeblichen Originalien Heinrich U der Abtei S. Maximin gegen
gewisse Zugeständnisse genommen und dem Herzog Heinrich, dem Pfalzgrafen
Ezzo und einem Grafen Otto geschenkt haben soll. So viel wir sehen, war
bis vor kurzem Hontheim der einzige, welcher wenigstens sagt, dass das eine
„quantitas terrae vix credibilis" sei (Hist. Trev. I, 369, nota b). Bresslau
äussert im J. 1875 in Hirsch' „Heinrich H" nicht den geringsten Zweifel
(vgl. Bd. IH, 272 ff.). Ebensowenig thut dies W. v. Giesebrecht (D. Kaiser-
zeit H*, 89), ja der letztere sagt geradezu — und bei seiner Voraussetzung
gewiss mit Recht — dass „Heinrich H das Kloster des grössten Teils seiner
Besitzungen beraubt" hat (1. c. 376, ähnlich 98, 89 und 191). Es fehlte
uns daher fast der Mut, unsere Überzeugung von der Unglaublichkeit jener
Hufenzahl öffentlich zu vertreten, bis wir in K. Lamprecht's „Deutsches Wirt-
schaftsleben" I, 703 die Worte lasen: „Die Angabe über die 6650 Hufen ist
nicht glaubhaft ; es ist nicht anzunehmen, dass der ursprungliche Hufenbestand
den von Prüm mindestens um das dreifache, den des (Trierer) Erzstifts min-
destens um das achtfache überragt habe, dass er ferner nach seiner Beraubung
auf etwa den sechsten Teil herabgesunken sei". Obschon nun Bresslau be-
reits vor 2 Jahren in dieser Zeitschrift (V, 20 ff.) hauptsächlich aus diplo-
matischen Gründen die Unechtheit nicht nur der 2 hier in Rede stehenden,
sondern auch einer ganzen Reihe anderer S. Maximinischen Urkk. erwiesen
hat, so möchte es bei der Wichtigkeit der Sache doch nicht zwecklos sein,
auch aus sachlichen von Bresslau (1. c.) nur kurz und nur zum Teil be-
sprochenen Gründen zu zeigen, dass die 6656 Hufen in der That solche „in
Steifleinen" sind.
2. Die zwei ürkk. befinden sich jetzt in der Biblioth^que nationale
zu Paris in Manuscr. lat 9266, und zwar unter den Nummern 29 und 30.
In Nr. 29 bekundet Kaiser Heinrich, dass er von der Abtei S. Maximin,
welcher der Abt Haricho vorsteht, gegen 6656 Hufen zu Lehen erhalten hat,
und dass er diese Hufen seinen Getreuen dem Herzog Heinrich, dem Pfalz-
grafen Ezzo und dem Grafen Otto zu (After-) Lehen gegeben hat, damit diese
und ihre Erben — weil der altersschwache Abt Haricho die Hof- und Kriegs-
dienste nicht mehr wohl leisten kann — die genannten Dienste für den Abt
und die Nachfolger desselben verrichten sollen; S. Maximin solle also in
dieser Beziehung dieselbe Freiheit gemessen, wie S. Willibrord (in Echter-
nach); nur nach Mainz oder Metz oder Köln sollen sich die genannten Äbte
zu einem etwaigen „generale concilium aut collegium" auf erhaltene Einla-
dung hin zu begeben haben. Damit der Kaiser aber nicht eines ungerechten
Raubes schuldig zu sein scheine, schenkte er auf den Rat namentlich der
Erzbischöfe Aribo von Mainz, Poppe von Trier und Piligrim von Köln Gott,
sowie dem h. Johannes Ev. und dem h. Maximin die Verpflegungskosten
(„servitium"), welche die Abtei bisher ihm und einigen seiner Vorgänger in
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Die 6656 Hufen der Abtei St Maximin. 233
jedem zweiten Jahre zu leisten pflegten. Diese Vergünstigung darf von seinen
Nachfolgern nur dann aufgehoben werden, wenn zuvor die Güter, welche
Heinrich der Abtei zu deren, nicht zu seinem Vorteil weggenommen hat, der-
selben vollständig zurückgegeben worden sind. Dem Abte und seinen Nach-
folgern wird dann noch verboten, von den noch übrigen der Abtei verblei-
benden Gütern irgend Jemandem weltlichen oder geistlichen Standes etwas zu
Lehen zu geben. Dann werden die 68 Orte aufgezählt, in welchen die zu-
letzterwähnten Güter liegen. Stirbt einer der 3 Stämme, denen jene 6656 Hufen
zu Lehen gegeben siäd, aus, dann soll das betreffende Lehen sofort an S. Maximin
zurückfallen. Dafür soll dann die Abtei wieder den entsprechenden Königs-
dienst leisten, soweit es ohne Schaden der Kirche geschehen kann. Alle
Vogteien kann die Abtei geben und wieder abnehmen, wem sie will. Damit
diese ganze Anordnung des Kaisers noch grössere Festigkeit erlange, hat er
die Bestätigung derselben durch Papst Benedict erwirkt.
Nr. 30 stimmt wesentlich und meist wörtlich mit Nr. 29 überein. Die
auffallendsten Unterschiede sind: Ezzo, Heinrich und Otto stehen in dieser
Folge. Von den 3 Erzbischöfen wird der Kölner vor dem Trierer genannt.
Endlich sind in Nr. 29 im allgemeinen die 68 Orte so genannt, dass sie nach
einander liegen im Gau Einrieb, im Trechirgan, im heutigen Rheinhessen,
in Rheinbaiem, an der Mittelmosel und in der hohen Eifel, in Luxemburg,
in der Umgegend von Metz, an der Untermosel und wieder in Luxemburg.
Bei Nr. 30 ist die Ordnung einfacher: Rheinhessen, Rheinbaiem, Umgegend
von Kreuznach, Moselgegend und Eifel, Umgegend von Metz, Luxemburg,
Trechirgau und Einrieb ; es werden in dieser Nummer nur 57 Orte aufgezählt
3. Also 6656 Hufen! Eine Hufe war ein Landbesitz von einem an-
nähernd bestimmten Werte, ein Besitz, auf welchem sich ein Mann mit Knecht
und Magd ernähren konnte. Wir erinnern nur daran, dass Kaiser Ludwig
der Fr. (M. G. Scr. H 207) verordnet, jedem Pfarrer solle zu seinem Unterhalt
eine Hufe nebst Knecht und Magd gestellt werden, dass gemäss den Xantener
Annalen zum J. 843 das ganze Reich nach Hufen unter die streitenden
Brüder sollte geteilt werden, dass, wer 3 bis 5 Hufen hatte, 1 Kriegsmann
zu stellen hatte, dass die Hufe gleich dem Wergeid des Freien gerechnet
wurde. Ein ganz bestimmtes Mass hatte nun selbstverständlich die Hufe
anfangs — und wohl noch im 9. Jh. — nicht Später aber, jedenfalls im
12. Jahrb. und, wie ich glaube, auch schon im elften, hatte sie eine bestimmte
Grösse: im Kölnischen Lande betrug diese 60 Morgen. Es ist nicht wohl
anzunehmen, dass dieselbe in dem Erzbistum Trier, welches im ganzen weit
weniger fruchtbar ist, als das Kölner Gebiet, kleiner gewesen wäre. Hont-
heim setzt die Hufe (I, 359) in der That = 64 Morgen, wobei er sich freilich
nicht auf historische, sondern auf allgemein landwirtschaftliche Gründe stützt
In dem Maximiner Güter Verzeichnis M. U. H, 465 wird aber wirklich
1 mansus = 64 ingera') für die Metzer Gegend angenommen. Freilich
kommen auch kleinere Hufen') vor — obschon ich kein bestimmtes Beispiel
1) Dieselbe Grösse glebt Nicol. NoviUanias allgemein an. Honthelm Prodr. 1018 b.
2) Bei Ducange wird unter „mansns** eine Urk. von Ersb. Friedrich von Hamburg
angeführt, in welcher die Länge und Breite eines „manflus" an 720 nnd 30 „^irgae regales"
angegeben wird. Der Inhalt wäre demnach ~ 21600 Quadratruten. Aber wie gross ist eine
„virga regalis"V
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234 P. Joerres
für das Gebiet des alten Lothringens kenne — ohne Zweifel sind aber Hnfen
von nur 30 Morgen eine Ausnahme gewesen. Nimmt man nun die Hufe zu
60 Morgen = 60 X 180 Quadratruten an, so findet man 6656 Hufen = bei-
nahe 18 deutsche Quadratmeilen, und die Hufe zu nur SO Morgen gerechnet,
ergiebt noch immer 9 Quadratmeilen! Und wohl gemerkt ist bei der Be-
messung der Hufe der zugehörige Wald oder die zugehörige Holzberechtigung
regelmässig nicht mitgerechnet. Auch sind der Abtei S. Maximin nach dem
Verzeichnis M. U. II, 428 (vgl. auch Lamprecht 1. c.) noch gewiss 700 bis
800 Hufen geblieben. Der Besitzstand vor der „Beraubung" müsste also gar
etwa 7400 Hufen gewesen sein. In Frankreich kommen freilich Abteien vor,
die einen solchen Reichtum besassen: Fontanelies (M. G. H, 291) besass ca.
4200 Hufen, und S. Denys wird wohl noch reicher gewesen sein. Auch für
Deutschland nimmt G. Waitz solchen Reichtum bei einzelnen Klöstern an,
aber bestimmte oder gar kontrolierbare Angaben macht er nicht, alles kommt
nur auf ein „soll** hinaus. (S. D. Vfg. VH, 186 f.). Zur Vergleichung bietet
sich uns am geeignetsten wohl die Ahtei Prüm an. Diese hatte gemäss dem
Registrum von 893 nach der Berechnung Lamprecht's liOO Hufen, nach
unserer eigenen höchstens 1800 Hufen. Es ist doch wohl wenig wahrschein-
lich, dass S. Maximin reicher gewesen sei. Im Gegenteil beweist der Um-
stand, dass — wie die Register zu den M G. S. S. zeigen — die Abtei
S. Maximin in den Quellenschriften vor 1200 nur etwa halb so oft genannt
wird als die Abtei Prüm, wohl auch, dass die materielle Bedeutung, aJso der
Besitz von S. Maximin weit geringer war, als derjenige von Prüm. —
K. Lamprecht hat auch auf Gudrun str. 916 und 917 (vgl. 909 und 1122)
hingewiesen, wo es von dem Kloster auf dem Wülpensande heist: „stt wart
ez also rlche, daz dar dienten wol driu hundert huobe". Also das war für
einfache Verhältnisse im 13. Jh. schon ein reiches Kloster!
4. Indes, wir sind in der Lage, einen bestimmteren Beweis zu führen.
Es sind so viele Maximiner Urkunden im Original oder in der Abschrift aus
dem 12. und früheren Jahrhunderten vorhanden, dass wir den Güterbestand
mit hinreichender Gewissbeit übersehen können. Wir geben im Folgenden
ein Verzeichnis der bis zum Jahre 1023 genannten Güter der Abtei, indem
wir hinter die Namen jedesmal die Jahre setzen, in welchen die Güter ge-
nannt werden. Wird ein Gut in beiden Verzeichnissen des J. 1023 erwähnt,
so deutet dies die einfache Zahl 1023 an; kommt es nur in Nr. 29 vor, so
steht 1023*, findet es sich endlich nur in Nr. 30, so setzen wir 1023**. Sind
nun die 2 „Originale** echt, so müssen die im J. 1023 erwähnten Güter
erstens nur einen geringen Teil der vor 1023 genannten ausmachen : zweitens
aber muss jedes vor 1023 vorkommende Gut, welches 1023 nicht aufgezählt
wird, mit grosser Wahrscheinlichkeit zu den 1023 verlorenen Gütern gehören,
und darf also im allgemeinen nach 1023 nicht mehr als Gut von S. Maximin
genannt werden. Wo dies letztere nun doch der Fall ist, haben wir wieder
die Jahreszahl hinzugefügt').
8) Die betreffenden Urkunden findet man leicht mittels der „Mittelrh. Regesten ron
Ad. OOrs* Bd.1; CiUte, wie Beg. 440 oder F. 471, beziehen •ich auf die Venteichniue der
8. Maximinischen Oflter und M. U. n, die Zahl giebt die Seite an.
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Die 6656 Hufen der Abtei St Maximin.
235
Weinberge an der Lieser 633.
Decima 633, 893, 940, 962, 1023.
Kannis 633, 893, 940, Reg. 44 \
Cressiacum 633, Reg. 465.
Lnncwich 633, Reg. 441.
Regiodola 633, Reg. 442.
Vallis 633, 940, 962, 966, 1023.
Pouche 633, Reg 444.
Budeliacnm 633, Reg. 442.
Talevanc 633, 1056, Reg. 430.
Merchedith 633, 940, 962, 1023.
Loavia 633, 893, 940, 962, 1023.
Bastonecum 633.
Steinsele 723 (G. R. 155), 1023*.
Witmari ecclesia 723 (G. R. 155), 893,
940, 1023.
Cumiciacum (oder cumieraco) (G. R.
155), 1023»
Remiche 752—68*) 1023*.
Tabena 752—68*), 893, 940, 962, 1023,
Ocgisesheym (oder Hukinesheim) 844,
962, 1023.
Mansch 853, 893, 940, 960, 962, 993.
1023*
Liudresttorf 855, F. 471.
' Windiga 888, 962, 1023**.
Appula 893, 940, 962, 1023.
Alsontia 893, 962, 1023.
Evemesheim 893, 962, 1023.
Prichina 893, 962, 1023.
Holzhusa 893, 962, 1023.
Rivenacha 893, 940, 962, 1023.
Embilado 893. 940, 1023.
ßessiaco 893, 940, 10i3.
Bumacha 893, 1023.
Matrichestorf 893, 1135, Reg. 459.
Fulina 893, 962, 963, 1023*.
Everlinga 893, 940, 962, 1023*.
Bustatt 893, 962, 978, 1044 F. 471.
Meroldivilla 893, 1023.
Chrufta 893, 1023.
Scranna 893, 1023.
Ascabahc 897, 1107.
Thioveuheim 897.
Gunthereshusen 897, 940, 962, 1023.
Fumiveld 897. 1023.
Burmeringen 909, 962, 996, 1023.
Enselingen 909, 1140 u. Reg. S. M. 430.
Brecenheim 912, 1023.
Vilare 912, 962, 1023.
Lntiaco 912.
Bisanga 912, 1023.
Callidi 923.
Brula 925, Reg. S. M. 451.
Caradona 925, Reg. S. M. 451.
Beregon 925, F. S. M. 469.
Syrin 926, Reg. S. M. 432.
Radinga 9i6 = Ratiche Reg. 465.
Boevillare 929.
Ansheresvillare 926.
Gautbrehstinge 919, F. 467.
AguUia 929.
Dundeba 929, 969. F. 470.
Theodonisvilla 930, 940, 962, 966,
1023.
Metis 940, 962, 1023.
Gozeldinga 940, F. 469.
Hehichesdorf 940, 996, Reg. 436.
Bumaga 940, 1140.
Hnnzelinesdorf, 943, R. 435.
Mambra 960, 1023.
Suaveheim 962, 1023.
Mannendal 962, 1023.
Narheim 962, 1023.
Bukinheim 962, 1023.
Soeringesfeld 962, 1023.
Basenbach 962, 1044.
Siemera 962, 1023.
Ruosbah 962, 1023.
Folmaresbach 962, 1023.
Ochisheim 962, 970, 975, 1023.
Ratheresdorf 962, 1023.
Meisbrath 962, 1023.
Ebene 962, 1023.
Daleheim 962, 1023*.
Linniche 962, 1044, R. 436.
Dincrei 962, 1028.
Gozolvesheim 962, 1023**.
Albucho 962, 1023.
Wieldistein 962, 1023.
4) Hontheim, Prodr. 970 nnd 1001 b.
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236 P. Joertes
Wienheim 962, 1044, Reg. 455. ßingin 1023.
Druhdildinga 962, 996, 1023. Prubesdervot 1023.
Frisinga 963, 1023*. Arnolfesberc 1023.
Hadespelt 963, F. 468. Flanheim 1023*.
Ebiringon 963, F. 468. Bichendorf 1023.
Villinisdorph 963, F. 468. Liezniha 1023.
Sweierbach 963. Hanewilre 1023.
Barwilre 970, R. 450. Lutzelenkiricha 1023.
Noyn 970, F. 471. Lunesdorph 1023*,
Aredorph 970, F. 471. Luonkurt 1023.
Riferesscheit 975, F. 471. Lukesinga 1023.
Bopinga 975, F. 471. Billiche 992, 1023.
Musca 975, F. 471. Berisbet 1023*.
Huffeit 975, F. 471. Kriake 1023.
Rodoron 975, F. 471. Sconeberch 1023*.
ad Aram 975. Usperna 1023*.
Gundelavinga (?) 978. Gracho 1023**.
Mudenfurt 996, 1023*. Straza 1023**.
Platana 1000, R. 438. Curmiringa 1023**.
äesinesheim 1023.
Also bis zum Jahre 1022 werden 105 Orte genannt, wo S. Maximin
Besitzungen hatte, oder, da die a. 633 u. 975 erwähnten Güter „ad Liseram**
und „ad Aram** später zweifellos auf bestimmte Durfer oder Hufe bezogen
werden, nur 103 Orte. Von diesen Besitzungen werden 1023 als S. Maximin
verbleibend in den beiden „Originalen** 43 aufgezählt, in Nr. 29 allein stehen
9, in Nr. 30 findet sich noch 1, zusammen also wären von den 103 Besitzun-
gen der Abtei 53, also schon mehr als die Hälfte, verblieben. Von den 50
im J. 1023 nicht genannten Besitzungen gehören nach spätem Urkunden, und
zwar meist gemäss dem etwa 1200 entstandenen Registrum bonorum et feo-
dorum dem Kloster noch 38 an. Somit ist nur vou 12 Orten nicht ausdrück-
lich nachweisbar, dass an ihnen S. Maximin nach 1023 noch Güter hatte.
Von diesen waren einige z. B. die von Bastonecum, Thiovenheim, Lutiaco,
Callidi, welche wir nur bezüglich in den Jahren 633, 897, 912, 923 erwähnt
finden, vielleicht durch Tausch oder Verkauf schon früher verloren gegangen.
Freilich sind 1023 in beiden Originalen noch 12, in Nr. 29 allein noch 5 und
in Nr. 30 allein noch 3 Orte, zusammen also 20 Höfe genannt, die früher
nicht vorkommen. Da nun in Nr. 29 und 30 im ganzen 73 Orte erwähnt
werden, so müssen wir nach demselben Verhältnisse annehmen, dass S. Maxi-
min an 12 -f 3 =^ 15 Orten Besitzungen hatte, wo solche später nicht ur-
kundlich nachzuweisen sind
Gesetzt also S. Maximin habe damals 15 oder auch 20 Güter verloren ;
sollen darin 6656 Hufen stecken? Wir denken, die Frage genügt
5. Natürlich stellen die beiden „Originale** die Wegnahme der „6656
Hufen** immer noch als eine Wohlthat hin, die Kaiser Heinrich der Abtei
angethan habe; dafür sollen nämlich „quia prefatus abbas (i. e. Haricho von
S. Maximin) iam senio confectus commode nobis domi militieque servire non
potest** drei Grosse, unter welche Heinrich die 6656 Hufen als Lehen ver-
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Die 6656 Hufen der Abtei St. Maximin. 237
teilt, sowie deren Nachkommen, statt der Äbte von S. M. jene Hof- und
Kriegsdienste leisten.
Wir wollen nicht die nur von Brower, Ann. I, 512 nach einer Maxi-
miner Aufzeichnung und früher schon von Nie. Novillanius nach Bruschius
(Hontheim, Prodr. 1012) gegebene Nachricht urgieren, wonach Haricho, der
oben als „senio confectus** bezeichnet wurde, 1024 noch eine Pilgerreise nach
Jerusalem antritt und auf dieser zu Myraea in Gilicien stirbt; auch davon
wollen wir absehen, dass nach der „Vita Popponis" (M. G. SS. XI) Poppe
bereits im J. 1022 zum Abt von S. Maximin bestellt wurde — es wird viel-
leicht nicht mehr möglich sein, die Wahrheit aus diesen einander wider-
sprechenden Angaben zu ermitteln. Aber welche sonderbare Begründung
liegt überhaupt darin: „weil Haricho die Dienste nicht leisten kann, so soll
nicht blos er, sondern auch alle seine Nachfolger sollen von den Diensten
entbunden sein ?^ Indes nicht nur von den Hof- und Kriegsdiensten wird die
Abtei freigesprochen, sondern auch das „servitium, quod nobis et quibusdam
predecessoribus nostris in secundo semper anno de eadem abbatia traditum
est**, wird der Abtei erlassen. Damit soll nun aber das Gewissen K. Hein-
rich's vollständig beruhigt seini
Wieviel waren denn jene Befreiungen wohl in der That wert? Aus
Jaff^ y, 471 ersehen wir, dass unter Otto H für einen damals projektierten
Kriegszug nach Italien diejenigen Abteien, welche das meiste leisten
mussten, nämlich Fulda und Keichenau 60 Panzerreiter zu stellen hatten;
femer hatten u. a. Lorsch 50, Prüm 40, Kempten 30, Sankt Gallen 20 aufzu-
bringen. Diese Zahlen sind im allgemeinen auch später, wenigstens bis c. 1200
dieselben geblieben (vgl. Waitz, Deutsche Verfassungsgeschichte 8, 134 ff.).
Wir werden nun wohl schwerlich einem begründeten Widerspruch be-
gegnen, wenn wir die Kosten der Stellung eines Panzerreiters für das erste
Viertel des 11. Jhs. auf etwa 2 Mark ansetzen. Dies würde also für Fulda
120 Mark bei jedem italienischen Feldzug betragen haben. Wir sehen davon
ab, dass die Kosten bei einem einheimischen Zuge geringer waren, und
nehmen an, S. Maximin habe durchschnittlich jährlich für den Kriegsdienst
120 Mark aufbringen müssen. — Was den Hofdienst betrifft, so beschwert
sich Abt Wibald von Stablo und Gorvey (Martene et Durand H, 442, ep. 261),
dass er einmal 10 Wochen am Hofe K. Konrad's HI habe sein müssen, und
dass ihn dies 40 Mark gekostet habe. Höher brauchen wir diesen Dienst
fttr S. Maximin jährlich auch nicht anzusetzen. Indes nehmen wir das dop-
pelte, also 80 Mark. — Das besondere alle zwei Jahre von S. Maxiroin
zu leistende „servitium" wollen wir = 200 Mark ansetzen, so dass es jähr-
lich 100 Mark betragen hätte; wir haben uns für diese Zahl entschieden,
weil auch die reiche Abtei Lorsch gemäss dem Chron. Laur., der Urk. K.
Konrad's vom 30. Jan. 1147 und der Urkunde des P. Eugen vom 29. März
1148 jährlich ein „servitium" von 100 Mark*) zu leisten hatte. — Demnach
würde der Wert der genannten 3 Leistungen zusammen jährlich 120 -f 80
-|- 100 = 300 Mark betragen haben. Diese Rente entsprach damals einem
5) In der 2. QneUe steht swar „librae", die beiden andern haben aber beide „marcae*'.
~ AUe drei Stocke stehen Codex Laur. DipL (Lamey) I, 244—249.
Westd. Zeitsohr. f. Oesoh. n. Knnst. VIII, m. 19
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238 P. Joerrea
Kapitalwert von etwa 3000 Mark. Lamprecht (I. c. I, 368) berechnet nun
den Wert einer Hufe im 12. Jh. auf 2283,25 Gramm Silbers, also — da
233,85 Gramm eine Mark feines Silber ausmachen — auf c. 10 Mark. Neh-
men wir nun an, im J. 1023 sei der Wert des Silbers der doppelte gewesen,
und man habe schon für 5 Mark durchschnittlich eine Hufe kaufen können,
dann wären also jene der Abtei S. Maxim in angeblich geschenkten 3000 Mark
— 600 aber nicht = 6656 Hufen! — Eine andere Rechnung liefert ein ähn-
liches Resultat. Lorsch kauft gemäss der vorhin angeführten Urkunde König
Konrad's HI vom J. 1147 dem Könige ein jährliches ^servitium^ von 100 Mark
mit 3 Höfen, Oppenheim, Gingen und Wibelingen ab. Von Gingen (cf. Trad.
Laur. Nr. 63) kennen wir die Grösse nicht. Oppenheim veranschlage ich auf
höchstens 30 Hufen (cf. 1. c. Nr. 1527—1692) und Wibeldingen (1. c. Nr. 697
bis 744) auf höchstens 40 Hufen. Nehmen wir nun an, Gingen sei — was gar
nicht wahrscheinlich ist — ebenso gross gewesen, wie Wibelingen, dann hätte
im J. 1147 einer jährlichen Leistung von 100 Mark die Hergabe von 100
Hufen und demnach im J. 1023 die Hergabe von etwa 250 Hufen entsprochen .
das macht für eine Leistung von jälirlich 300 Mark jdie Hergabe von 7ö0
Hufen. — Genug mit 800 Hufen hätte S. Maximin jedenfalls die in Rede
stehenden Befreiungen zu teuer bezahlt.
6. Und nun zu den 3 glücklichen Lehensträgpm der „6656 Hufen ^.
Es sind Herzog Heinrich, der Pfalzgraf Ezzo und ein Graf Otto. Der zweite
ist allbekannt, der erste kann auch wohl kein anderer sein, als der Schwager
K. Heinrich's, nämlich Herzog Heinrich von Bayern, da eben sonst kein Her-
zog Heinrich im J. 1023 existierte — aber wie passt auf diese zwei der
freilich nur in Nr. 29 sich findende Zusatz „qui nichil a regno vel a nobis
habere visi sunt"? Woher hatten sie denn das Herzogtum und die Pfalz-
grafschaft? Gewiss stammt der Zusatz aus einer echten Urkunde, die sich
möglicherweise auf eine wirkliche Schenkung an die beiden genannten bezog,
und etwa dem Friedensschlüsse (1011?) zwischen ihnen und K. Heinrich
folgte. — Was den dritten Lehensträger angeht, so haben die meisten an den
Sohn Ezzo's gedacht, der aber damals wohl noch kaum 20 Jahre alt war, und erst
viel später eine Rolle in der Geschichte spielte. Andere haben auf Otto von
Hammerstein geraten, der mit dem Kaiser sich allerdings im Sommer 1023 aus-
gesöhnt hatte, aber doch gewiss nicht sofort in einer so beispiellosen Weise
beschenkt wurde. Giesebrecht lässt den Otto mit Recht unbestimmt: es ist
eben keiner des Namens bekannt, der hierher passte. — Dann ist noch die
Bestimmung der „Originale*^ zu berücksichtigen: wenn das Geschlecht eines
der 3 Belehnten in der direkten Mannslinie ausstirbt, so sollen dessen Lehen
an S. Maximin zurückfallen. Ezzo's Geschlecht starb im Mannesstamme mit
seinem Sohne Hermann, dem Erzbischofe von Köln 1056 aus; der jüngste
Sohn Ezzo's, Otto, war 1047 hinübergegangen. Auch Otto von Hammerstein
starb c. 1045 ohne Erben. Von einem Heimfalle der Lehen an S. Maximin
verlautet Nichts.
7. Zur Erreichung welcher Zwecke aber und wann ist die von uns
nachgewiesene Fälschung gemacht worden ? Die Zwecke, welche am meisten
in den „Originalen" hervortreten — die Befreiung von Hof- und Kriegsdienst
und von dem alle 2 Jahre zu leistenden „servitium" — scheinen uns nicht
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Die 6656 Hufen der Abtei St. Maximin. 239
die hauptsächlichsten zu sein. Eine solche Befreiung, die ohne Zweifel ein-
mal stattgefunden hat, wurde ja durch die fortgesetzte Übung thatsächlich
immer mehr bekräftigt, und wir vernehmen auch nie, dass ein deutscher
König gegen dieselbe angegangen wäre. In den beiden Schriftstücken werden
aber von K. Heinrich angeblich noch einige andere Bestimmungen getroffen:
1) wird der Abtei der Besitz der aufgeführten Höfe und Kirchen gewähr-
leistet, und dem Abt verboten irgend welchen Teil dieses Besitzes zu Lehen
zu vergeben; 2) wird bestimmt, dass der Abt in der Wahl und Absetzung
der Vögte frei sein solle, und dass diese nur gewisse bestimmte Rechte haben
sollen; 3) wird gesagt, dass, falls ein Nachfolger K. Heinrich's gegen den
Inhalt der Urkunden angehen sollte, der Abt hiergegen an den apostolischen
Stuhl „cui idem locus sacratissimus sub antiquis temporibus Constantini imp.
et Helenae matris illius addictus esse dignoscitur", appellieren solle. Dass
die 2 ersten dieser 3 Punkte namentlich unter Heinrich lY und seinen Nach-
folgern von sehr praktischer Bedeutung waren, ist bekannt. Der dritte Punkt
konnte auch gegen einen deutschen König einmal verwandt werden. Vor
allem waren es die Bischöfe von Trier, welche — und nach Marx, Gesch.
des Erzst. Trier III, 102 ff. mit Recht — die unmittelbare Stellung der Abtei
unter dem apostolischen Stuhle anfochten. Diese Kämpfe sind besonders
heftig in den dreissiger und vierziger Jahren des 12. Jahrhunderts zwischen
dem trierer Erzb. Adalbero und dem Abt Gerhard von S. Maximin geführt
worden; sie endigten schliesslich mit der Niederlage der Abtei, welche be-
sonders durch den Einfluss des h. Bernhard herbeigeführt wurde. Zu der an-
gegebenen Zeit mögen denn auch wohl unsere „Originale'^ fabriziert worden
sein. Bei dieser Annahme begreift sich auch, warum in den 2 Urkunden bei
den Höfen Guntershausen und Brechen — und nur bei diesen — angegeben
wird, welchen Zwecken dieselben in der Abtei dienten (für die Kleidung der
Mönche und für Hospital- und Armenzwecke). Gerade diese Höfe hatten
verschiedene Grosse in den vorhergehenden Jahren an sich gerissen : K. Hein-
rich IV restituiert Guntershausen der Abtei 1107, K. Heinrich V thut das-
selbe 1116 und 1125; wegen Brechen wird ein Streit beigelegt 1080—1084,
K. Heinrich V muss den Hof 1123 und noch einmal 1125 der Abtei resti-
tuieren*). In der Urkunde von 1107 werden als Berauber von S. Maximin
u. a. genannt Herzog Heinrich — gemeint ist Graf H. von Limburg, der von
1101 bis zum 13. Mai 1106, zu welcher Zeit er auf dem Fürstentage zu Worms
abgesetzt wurde, Herzog von Niederlothringen gewesen war — und Heisso
de Ruticho. Sollten daher vielleicht die Namen Herzog Heinrich und Pfalz-
graf Ezzo in die „Originale" gekommen sein?
Noch eine Angabe der „Originale" ist zu beachten. Die Abtei wird
bezeichnet als „abbatia s. Johannis ev. et s. Maximini". Unter den ca. 85
S. Maximin betreffenden Urkunden, welche aus den Jahren 900 bis 1200 er-
halten sind, giebt es — abgesehen von den 2 hier besprochenen — nur 9, in
welchen der h. Johannes als Mitinhaber der Abtei bezeichnet wird, es sind:
der Brief des Papstes Agapit II vom J. 950 (MU. I, 257), 2 Urkunden Otto's I
von 962 und 970 (MU. I, 268 und 290), 1 Konrad's II von 1026 (MU. I, 352),
6) MU. I, 471; 496-, 511; 439; 509; 511.
19*
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240 ?• Joerres
2 Heinrich's m von 1044 und 1051 (Mü. I, 374 und 388), 1 des Papstes
Leo IX von 1051 (MU. I, 387), endlich 2 Heinrich's V von 1107 (Mü. I,
472 und 475). Gegen den Brief des P. Agapit, für welchen sachliche Be-
denken nicht mehr vorliegen, hat H. Bresslau (1. c. S. 62) gewichtige formelle
Gründe geltend gemacht; die 6 folgenden, deren Echtheit übrigens zum Teil
schon mit derjenigen der beiden von 1023 fällt, hat der genannte Kritiker
ebenda S. 36 als unecht erwiesen; auch die beiden letzten versieht er mit
demselben Prädikat, wiewohl wir zweifeln, dass diese zwei dasselbe aus den
l c. angeführten Gründen verdienen. Auch die in den 2 „Originalen** von
1023 und in den angeführten 9 andern Urkunden vorkommende Bezeichnung
der Abtei weist also darauf hin, dass diese sämtlichen Stücke erst nach 1107
entstanden sind.
H. Bresslau hat aus diplomatischen Gründen unwiderleglich gezeigt,
dass sowohl die zuletzt erwähnten 11 Urkunden, mit Ausnahme des Briefes
des P. Agapitus, als auch noch 6 weitere im Anfange des 12. Jh. geschrieben
worden sind. Er glaubt annehmen zu können, dass dieselben zwischen 1113
und 1116 gefertigt wurden. Dieselben zeigen nämlich durchaus gleiche Schrift-
eigentümlichkeiten, wie die echte Urkunde Heinrich's V vom 1. Juli 1116.
Uns scheint hieraus nur zu folgen, dass die Stücke aus derselben diploma-
tischen Schule hervorgegangen sind und nur im allgemeinen der gleichen Zeit
— nämlich der ersten Hälfte des 12. Jb. angehören. Dass namentlich der
Falsator den Namen „Benzo** unter die gefälschte Urkunde von 1113 selbst
geschrieben habe und sich dadurch habe verewigen wollen, halten wir für
nicht glaublich, weil derselbe dadurch ja seine Fälschung würde verraten
haben, was sowohl gegen das Interesse der Abtei, als gegen sein eigenes
gewesen wäre.
. 8. Um unsere letzte Bemerkung zu begründen und auch weil die Sache
an sich wohl von Interesse ist, mag es uns gestattet sein, einige Stellen aus
mittelalterlichen Schriftstellern hier mitzuteilen, Aussprüche, die geeignet
sind, einerseits die freilich sattsam bekannte Verbreitung der Urkunden-
fälschung zu beleuchten, andererseits zu zeigen, wie edlere Geister solche
Fälscher beurteilten und wie die Päpste und Bischöfe solche Fälscher be-
straften. — Petrus Blesensis (gest. 1200) ep. 68 sagt von den Immunitäts-
briefen der Klöster: „Falsariorum praestigiosa malitia ita in episcoporum
contumeliam se armavit, ut falsitas in omnium fere monasteriorum exemptione
praevaleat«. — Die Miracula s. Matthiae (M. G. SS. VHI, 233) erzählen
folgendes : Der Pfalzgraf Heinrich (der Bruder Otto's IV ?) wurde von zwei
seiner Schreiber („clerici**) verleitet, sich das Dorf Vilmar, welches Kaiser
Heinrich (UI^ a. 1052) der Abtei S. Matthias (zu Trier) geschenkt hatte, an-
zueignen. Die 2 Schreiber versprachen „ei privilegia et sigilla tali
arte facturos, quibus intuentium oculi deluderentur, et quasi ante multo-
rum annorum curricula facta vetusta et antiquissima viderentur**. — Erz-
bischof Richard von Ganterbury schreibt in einem Briefe an die Bischöfe
seiner Provinz (citiert von Pithoeus zu Decretal. Gregorii IX lib. 6, tit. 20, 2) :
„Quoniam in bis partibus publica falsariorum pestis obrepsit etc.** — Der
ganze eben angeführte Titel der Decretalen handelt ,.de crimine falsi", be-
sonders von den Fälschern der Papst- und Königs-Urkunden. In § 3 schreibt
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Die 66Ö6 Hufen der Abtei St Maximin. 241
P. ürban in (c. 1186) an einen Bischof: „Ad aadientiam nostram te signi-
ficante pervenit, qnod, cum qnosdam clericos, qui falsaverunt sigillum Philippi
regia Francorum carcerali custodiae mancipaveris .... Fraternitati tuae
respondemus, ut eis nee membrum auferri, nee poenam infligi facias corpo-
ralem, per quam periculum mortis possint incorrere, sed eis a suis ordinibus
degradatis in Signum maleficii characterem aliquem imprimi facias, quo inter
alios cognoscantur ; et provinciam ipsam eos abinrare compellens, abire per-
mittas''. — F. Innocenz schreibt endlich c. 1215 an den Bischof von Paris
(Decr. Greg. 1. V, tit 40, 27): „Pro illo vero falsario scelerato, quem ad
mandatum nostrum capi fecisti, hoc tibi duximus consulendum, ut in perpe-
tuum carcerem ad agendam poenitentiam ipsum includas pane dolens et aqua
angustiae sustentandum, ut commissa defleat, et flenda ulterius non committat^.
Schliesslich mag hier die Bemerkung einen Platz finden, dass gemäss
der Urkunde E. Heinrich's III vom 25. Juli 1044 die Abtei S. Maximin u. a.
begütert sein soll, wie Hontheim I, 380 hat, in „Rewilere", oder wie Mü. I,
374 steht, in „Arevilere". Ein Vergleich mit den anderen Güterverzeichnissen
lehrt, dass „Anevilere** (= Hannweiler, Kr. Saarbrücken) zu lesen ist.
Recensionen.
Werken van het historisch Genootschap gevestigd te Utrecht, Nieuwe
Serie No. 47 en 50.
Enih : 1. P. J. Blök, Correspondentie van en betreffende Lodewijk van Nassau
en andere onuitgegeven dooumenten. Utrecht 1887.
8. D. van der Schneren, Brieven en onuitgegeven Stakken van
Jonkheer Arend van Dorp. Utrecht 1887.
1. Nachdem Herr Blök durch Veröffentlichung der Apologie des Grafen
Ludwig von Nassau die niederländische Geschichte der Jahre 1565—66 mit
einer hochwichtigen Quelle bereichert hat, teilt er in dieser neuen Publikation
Aktenstücke von höchst verschiedenartigem Inhalt mit, die sich über die Zeit
von 1562—79 erstrecken, und nur insofern einen gewissen Zusammenhang ge-
winnen, als der grössere Teil derselben sich auf den Grafen Ludwig von
Nassau bezieht Eine gelehrte Gesellschaft, wie die Historisch Genootschap,
hat das Recht, derartige Beitrage, wenn sie überhaupt interessant sind, in
ihren periodischen Mitteilungen %u veröffentlichen, ohne hinsichtlich der
Ausscheidung des Unwesentlichen, der Vollständigkeit der litterarischen Ver-
weisungen und der Korrektheit des Textes zu strenge Anforderungen zu
stellen. Interessant ist aber wenigstens ein Teil des hier Veröffentlichten
bald durch die mitgeteilten Thatsachen, bald durch die Auffassung der Vor-
gänge, welche Graf Ludwig hegt oder seinem Korrespondenten beizubringen
sucht Hinsichtlich der wichtigen Verhandlungen von 1564—65 über die Be-
kenntniseinigung der französischen, niederländischen und deutschen Protestan-
ten z. B. erfahren wir jetzt mit Bestimmtheit (aus dem Brief S. 30), dass es
Graf Ludwig war — nicht Graf Johann von Nassau, wie Fruin meinte, nicht
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242 Recensionen.
ein hessischer Landgraf, wie sich Ijangeraad einfallen liess — , der die vom
Landgrafen Wilhelm übersandte Wittenberger Concordie nach Frankreich
(Sedan) schickte: eine Thatsache, die für die Beziehungen Ludwigs und
seines Bruders Wilhelm von Oranien zu den französischen und niederländi-
schen Protestanten von Bedeutung ist (vgl. meine Abhandlung in v. SybePs
Histor. Zeitschrift, N. Folge XXII S. 408 fg., besonders 412 Anm. 2). In
welcher Weise Gr. Ludwig das Urteil der deutschen Fürsten zu beeinflussen
sucht, ersieht man z. B. aus einem Schreiben an Landgr. Wilhelm, in dem er
frischweg behauptet (S. 55), dass eine Forderung des Adelsbundes vom
30. Juli 1566, nach welcher alle kriegerischen Massregeln der Regierung
unter die Leitung von Oranien, Egmont und Hoome gestellt werden sollten,
in dem Vertrag zwischen Margaretha und den Deputierten des Adelsbundes vom
25. August zugestanden worden sei. — Der Text der Briefe ist im allge-
meinen lesbar, und manche Fehler, die eher der Abschrift als der Vorlage
zur Last fallen dürften, sind nicht schwer zu verbessern, z. B. S. 49 Z. 6
statt „zweimals, ohne die Ministri werde^ etc. „zweivelsohno, die Ministri
werden**, oder S. 123 Z. 9 v. u. statt „der gepure nahe sich wissen lassen**
„der gepur nach sich weisen lassen**. Das „seltzara heiter recht** S. 71 wird
wohl ein „seltzam Reiterrecht** sein. Der Dr. Ehern endlich ist kein „be-
kannter** pfälzischer Theologe (S. 138 Anm. 2), sondern politischer Rat und
seit Nov. 1574 Kanzler des pfälzischen Kurfürsten.
2. Diese Publikation verdankt ihren Ursprung dem glücklichen Fund
der von A. v. Dorp hinterlassenen Aufzeichnungen und gesammelten Akten.
Sie führt das Bild eines Mannes vor, der als Typus zahlreicher niederländi-
scher Staatsmänner aus der Zeit der Freiheitskriege gelten kann. Unter der
Regierung Philipp II und als Beamter desselben hatte Dorp sich gesträubt,
die Blutgesetze gegen die Protestanten auszuführen; nach Gründung des
niederländischen Freistaates missbilligte er scharf den von den Calvinisten
gegen die Katholiken geübten Zwang. Nach dem Entscheidungsjahr 1572
zum protestantischen Bekenntnis übergegangen, stimmte er doch aus Geld-
und Standesrücksichten der katholischen Heirat einer seiner Töchter und der
katholischen Erziehung eines Teils seiner Enkel zu. Mitten unter den un-
geheuren Zerstörungen des Eigentums, welche durch Krieg, Konfiskation und
Zahlungsunfähigkeit der Regierungen herbeigeführt wurden, wusste er sein Ver-
mögen stetig zu vermehren : er verwaltete Privat- und Staatsgelder, beteiligte
sich gelegentlich an der Ausrüstung von Freibeuterschiffen und war nicht
frei vom Verdacht des Unterschleifs. In seinem persönlichen Auftreten war
er prachtliebend und verschwenderisch, gegen die Seinigen streng und karg.
Für die Sache Orauiens wagte er seinen Kopf schon im Jalir 1568 und ge-
wann des Fürsten Vertrauen vollends, als er demselben im Mai 1572 vor
seinem zweiten Zug nach den Niederlanden mit einem Darlehen von 10 000 fl.
zur Hülfe kam. Von da ab war er, solange Oranien lebte, in den wichtigsten
diplomatischen, militärischen und administrativen Geschäften thätig: er war
Gouverneur von Zierikzee, als die Stadt belagert wurde (1575/76), Bevoll-
mächtigter der holländisch - Seeland Ischen Staaten auf dem Friedenskongress
zu Breda (1575), Bevollmächtigter derselben und Oraniens beladen Verhand-
lungen mit den südlichen Provinzen, die zur Genter Pacification führten, u. s. w.
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Bibliographie. 243
Ans all seinen Verrichtungen hat er bald magere, bald reichliche Aufzeich-
nungen hinterlassen, die eine Fülle von Belehrung in sich schliessen. Den
breitesten Raum nehmen diejenigen Schriftstücke ein, welche sich auf seine
Wirksamkeit als Generalsuperintendent der Truppenverpflegung (1581 fg.)
beziehen und in der That eine sehr wichtige Quelle fär die Geschichte der
Heeresverwaltung jener Zeit bilden. Der Verf. hat sich überall angelegen
sein lassen, den bunten und lückenhaften Inhalt der Aktenstücke durch sach-
kundige Einleitungen zu erl&utem '). Eigentumlich ist dabei die ausgesprochene
Abneigung, die überall gegen Dorp und gegen Oranien hervortritt; letzterer
erscheint bei ihm als geleitet von niederem Eigennutz und eigentlich feige.
Ob er dabei, besonders wenn es sich um Aufdeckung von Motiven handelt,
die Verhältnisse überall gründlich abgewogen hat? Eine Frage, betreffend
die militärischen Operationen von 1583, hat schon zu einer Auseinander-
setzung zwischen ihm und der Redaktion der Werke der Histor. Genootschap
gefuhrt (II S. 592). Ähnliche Diskussionen lägen nahe über die Motive des
Unternehmens gegen Mecheln von 1572 (I Vorr. S. 36), über die Aufopferung
Mechelns und Dendermonde's (I S. 101/2 mit S. 115), über die Erklärung
des Briefs I S. 138, über das I Vorr. S. 38 gegen Dorp als Söldnerkomman-
dant ausgesprochene abschätzige Urteil (vgl. das Aktenstück S. 153) u. s. w.
Erst durch viel eingehendere Untersuchungen werden solche Fragen gelöst
oder — bei dem Abscheu des auf diesem Geschichtsgebiet herrschenden
Parteigeistes gegen allseitiges Abwägen — auch noch lange nicht gelöst werden.
R.
•<>^Q€-<>«
Bibliographie.
. Als die Redaction dieser Zs. im Jahre 1882 damit begann, jährlich
eine umfassende Übersicht der neuesten Litteratur zur westdeutschen Ge-
schichte zu geben, konnte sie sicher sein, mit einer solchen periodischen
Bibliographie vielen Wünschen entgegenzukommen und einem dringenden Be-
dürfnis abzuhelfen.
Mittlerweile hat sich die Lage geändert.
Es sind einmal eine Fülle ähnlich angelegter periodischer Übersichten
für einzelne Teile Westdeutschlands entstanden. Was der Provinzial- und
Lokalforscher der schweizerischen, badischen, nassauischen und anderer Ge-
biete für seine besonderen bibliographischen Bedürfnisse kennen zu lernen
hat, das findet er jetzt in den Einzelorganen der Geschichtsforschung dieser
Gebiete, und er findet es dort, entsprechend der beschränkteren Aufgabe
und dem reichlicher bemessenen Raum, oft vollständiger, als in der Biblio-
graphie unserer Zeitschrift.
Andererseits wird dem Bedürfnis einer Bibliographie der allgemeinen,
vornehmlich gesamtdeutschen Geschichte die von Dr. Quidde begründete
Zeitschrift für Geschichtswissenschaft seit Beginn dieses Jahres in vortreff-
licher Weise gerecht ; und unsere Leser können von dieser Bibliographie um
so leichter Nutzen ziehen, als sie hier System und Anordnung unserer bis-
1) Ich bemerke gelegentlich, dast das dem Yerf. rätselhafte Stück I S. 817 ein An-
trag der Brüsseler ist Vgl. Gachard, aotes des ötats g6n6raax I Kr. 830.
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244
Bibliographie.
herigen Bibliographie erweitert wiederfinden ^ Mit dieser neaen Bibliographie
wird der zweite Gesichtspunkt, den wir in unseren westdeutschen Über-
sichten verfolgten, nämlich den Einzelforscher auch über die allgemeinen
historischen Erscheinungen zu orientieren, so weit sie irgend einen Zusammen-
hang mit westdeutscher Geschichte haben, in weitestem Sinne erreicht.
Es fehlt somit für unsere bisherigen Übersichten die Berechtigung,
weiter fortgesetzt zu werden. Wir müssen uns damit begnügen, fernerhin die
Orte anzugeben, an welchen sich zumeist treffiiche lokale Bibliographieen
finden; und wir verweisen für die allgemeinen Beziehungen ein für allemal
auf Quiddes Zs. für Geschichtswissenschaft Wir schlagen diesen Weg um
so lieber ein, da wir auf diese Weise wertvollen Raum für die Aufiuüime
fördernder Untersuchungen gewinnen, und weil es uns bedünken will, dass in
der letzten Zeit für das Aussenwerk der geschichtlichen Wissenschaft, für
Bibliographie und historische Hülfszweige mehr geschieht, als der wahrhaft
nutzbringende Betrieb unserer Wissenschaft erfordert
Für die Redaction
Lamprecht.
biet der Zeitschrift umfassend, Zeit-
schrift f. d. Gesch. d. Oberrh. N. F.
III. 126, 236, 382, 601. - Vgl. auch
Mitteilungen der bad. histor. Kom-
mission Nr. 9; ebd. ml — m 127.
Mittelrheln : E. Lohmeyer in Mitteilg.
des Ver. f. hess. Gesch. u. Landes-
kunde 1888 D. S. IX— XIV. — Quar-
talblätter d. bist. Vereins f. Grossh.
Hessen 1888 S. 26, 78. — Für Nassau
vgl. Annal. d. Nass. Vereins Bd. 21.
Rheinprovinz: Zs. des Aachener Ge-
schichtsvereins 10, 264—274.
Holland : Fruin's B^dragen voor vader-
landsche geschiedenis en oudheid-
kunde 4, 430. — Bibliographische
Adversaria 1, 41, 100. — Acquoy's
Archief voor Nederlandsche kerkge-
schiedenis 2, 408; 3, 4')0.
Lokale Bibliographieen.
Schweiz: Anzeiger für Schweizer. Ge-
schichte 1889 No. 3 (S. 365 ff.).
Baden : F. Lamey, Badische Geschichts«
litteratur des Jahres 1888. (Zeitschr.
f. d. Gesch. d. Oberrh. N. F. IV,
2, 254—272). — G. Eckert, Biblio-
graphie p^nitentiaire depuis le com-
mencement du si^cle. Grand-Duchd
de Bade. (Actes du congres p^ni-
tentiaire Internat, de Rome. II, 2,
Rom 1888). — E. Heyck, Badische
Litteratur 1886—87. II. Geschichte.
(Zeitschr. d. G. f. Beförderg. der
Geschichtskunde v. Freiburg. VII,
201—219). — F. X. Kraus, Badische
Litteratur 1885—88. I. Archäologie
u. Kunstgeschichte. (Ebd. 187— 200).
— Litteraturnotizen, das ganze Ge-
1) Wer auf eine Bibliographie wenigstens der mittelalterlichen Oeschiohtsstndien
Wert legt, welche noch weit Aber den Inhalt der Übersichten bei Qnidde hinausgeht, den
rerweisen wir anf die ausgeseiohnet redigierte Zs. Le moyen-4ge, Bulletin mensael d'histoire
et de Philologie, dirigö par A. Marignan et M. WÜmotto, Paris, F. Vieweg. J&hrlich 8 frs.
Es erscheint mit 1889 der sweite Jahrgang. Die Zs. wOrde namentlich in Vereinsbiblio-
theken vielen Nutaen stiften.
^^z^--
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Mnseographie über das Jahr 1888.
1. Schweiz, Westdeutschland, Holland.
Redigiert von Dr. F. Hettner.
Schweiz.
1 Avenches, antiquarisches Museum I
S. 517, II*).
2 Freiburg, Museum I S. 517, U, III.
3 Biel, Museum Scliwab I S. 518, II, lY.
4 Luzern, liist Verein der 5 Orte, Luzern,
Uri, ScIiwyZy Unterwaiden, Zug II, IV,
V, VII.
4a Stans, Sammiung des liist. Vereins von
Nidwaiden III.
5 Zug, Museum auf dem Stadthause I
S. 518.
6 Zürich, Sammlung der antiquarischen
Gesellschafft U— VII.
Laut Beschluss der Vorsteherschaft
soll kein Bericht über das abgelaufene
Jiüir 1888 ausgegeben werden. Der
nächste im Januar 1889 zu veröifent-
lichende Bericht wird die beiden Jahre
1888/89 umfassen.
(0. Escher-Züblin.)
7 Baden, antiquarisches Museum I S. 519,
II.
8 Basel, Museum (Antiquarium) I S. 518,
II, rv— VU.
Die Abteilung der griechisch-
römischen Antiquitäten wurde
durch ein seltenes Fundstück aus
Kaiseraugst vermehrt, nämlich durch
das Fragment einer dicken Bleiplatte,
welche mit Friesomamenten und Me-
daillons in Relief verziert ist. Ob
sie der Teil eines bleiernen Behäl-
ters, etwa eines Sarkophags, oder
die Bekleidung eines andern Gegen-
standes oder einer Wand ist, bleibt vor-
derhand ungewiss. Sie zeigt deutliche
Spuren der Zerstörung durch Feuer.
Von ebenda kamen vier römische In-
schriftsteine, die bei den Ausgrabungen
der historisch - antiquarischen Gesell-
schaft zu Tage gefördert worden sind
und welche wir im Interesse ihrer Er-
haltung glaubten acquirieren zu müssen.
Der schönste darunter enthält, wie
dies mehrfach auch sonst vorkommt,
eine Weihinschrift an Mercurius Au-
gustus. Zu den kleinem Sachen ge-
hören eine bronzene Waage und ein
Gewichtstein von Äugst, ein Celt und
ein Nasenring von Buus.
Für das Münzkabinet wurden er-
worben ein in Äugst gefundenes Bronze-
medaillon des Antoninus Pius von
ausserordentlicher Grösse, und eine in
Birsig gefundene Goldmünze Kaiser
Ferdinands II.
(Nach gedrucktem Jahresbericht von
J. J. Bernoulli.)
Elsass^Lotbrlngen.
Aiticirch, Städtisches Museum I S. 258, 9
n
MOlhausen, Historisches Museum I S. 10
258, IL
Coimar, Museum I S. 258 u. S. 521, 11
n, III S. 167, IV— VI.
Die Restauration der Gemälde durch
*) Die Nummern beseichnen die Jahrgänge der Zeitiohrift, in welcher die betreffende
Sammlung erwähnt iit
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246
Museographie.
Hrn. Chiappini ward fortgesetzt. Die
Statuten und Geschäftsverhandlungen
erscheinen von nun ah in deutscher
Sprache.
Zuwachs, Einige rom. Fundstücke,
gef. 1864 am Kastelberg, Kanton Ober-
lingen. Der Sammlung wurde über-
wiesen das im J. 18 S4 in Horburg (vgl.
Wd. Z. V S. 160) in einem fränkischen
Steinsarge gefundene Büchschen aus ge-
triebenem Golde. Es ist 30 Gramm
schwor. Tai. 15 Flg. 1 u. 2 zeigt das-
selbe in Originalgrusse. Es enthielt
2 Gewürznelken und vielleicht Weih-
rauch. — Springender Hirsch, aus
einem Block Eichenholz geschnitzt,
Wappenhalter aus Reich enweier. —
Kamin, aus Reichenweiher mit den
Wappen der Röttlin, prachtvolle Bild-
hauerarbeit in Renaissancestil —
Bruchstücke von seltenen Stucksäulen
vom ehem. Kloster von Feldbach, 10.
Jahrh. — Oberteil eines Christus am
Kreuz, Steinsculptur des 11. Jahrh.
aus Geberschweier.
(Nach 14. Bericht der Schöngauer
Gesellschaft.)
12 Strassburg, Sammlung der Gesellschaft
für Erhaltung der historischen Monumente
I 8. 258, H, IV, V.
Aus dem Zuwachs des Altertümer-
rouseums sind, ausser einer Anzahl
kleinerer römischer Fundstücke, her-
vorzuheben: zwei stattliche fränk-
ische Grabfunde von Heidolsheim (in
jedem derselbe eine schöne goldene
Fibel mit Mosaik); eine interessante
Reihe alter Strassburger Gewichte,
darunter eines mit einem Stempel von
1530; hübsche zinnerne Schüsseln;
mehrere hölzerne Statuen, z. B. ein
Christus aus Bcnfeldcn, der beim Him-
mclfahrtsfest an einer Schnur empor-
gezogen ward: ein grosser, kunstvoll
geschnitzter Kamm von Schildkrot aus
dem Anfang unseres Jahrh. u. s. w.
13 Hagenau, Sammlung des Hrn. Staats-
rat X. Nessel 1 S 2.o8, H.
i4 Zabern, städt. Museum 1 S 258.
15 Metz, Museum der Stadt I S. 259,
U-Vl.
In den Jahren 1888 u. 1889 wurden
erworben : 1 ) Hach reliefierte Steinplatte,
1,24 m h., 1,05 br , 0,28 dick. Oben
läuft eine Kante von Eichenblättern,
die unten und an den beiden Seiten
abgemeisselt ist. In der Mitte ein
Löwe, 72 cm h., 68 cm 1., mit la<;on-
nierter Mähne, sieb nach rückwärts
umsehend und eine menschliche rechte
Hand in der Schnauze haltend. (Viel-
leicht Darstellung irgend eines Marty-
riums). Der Stil weist die Platte spä-
testens dem 11 — 12. Jahrhundert zu.
Gef. in Scy bei Metz. (Nr. 686 des
neuen Katalogs). — 2) Marmorbüste
des sogen. „Sterbenden Alexander",
0,88 m h., 0,83 m br. Über die Fund-
umstände gilt dasselbe, was Tomow
(bei Kraus, Els.-Lothr. HI, S. 391) über
den Caracalla des Herrn Colchen an-
führt. Da sich in dem angeblichen
Fundorte Les Etangs (Tennchen) ein
Landsitz der Herzöge von Lothringen
befand, dürfte der Marmor ein Werk
der Renaissancezeit sein, wie auch der
vorerwähnte Caracalla. — Zu letzerem
ist zu berücksichtigen, dass er nicht,
wie im Katalog bemerkt ist, dem Mu-
seum geschenkt, sondern nur zeitweilig
demselben überwiesen war. — 3) Vo-
tivstein des Mercurius Negotiator,
0,64 m h., 0,40 br. Die Inschrift lautet :
MERCVRIO I NEGOTIA !' TORI SA-
CR NVMISIVS i ALBIMVS EX VOTO
Der Stein, im Jahre 1599 in Metz an-
geblich gefunden und in dem Hause
von Jean Aubry aufbewahrt, war lange
Zeit verschollen, bis er August 89 von
Hrn. Pfarrer Paulus in Oron bei Delroe
wieder aufgefunden wurde. Über die
mehrfachen Veröffentlichungen dessel-
ben vcrgl. Robert, ^pigr. d. 1. Mos. I,
p. 55 ff. Ausführung und Form der
Buchstaben (vergl. die ungewöhnlichen
M) lassen es als kaum zweifelhaft er-
scheinen, dass auch diese vielerwähnte
Inschrift zu den Boissardschen Fäl-
schungen gehört, wie Nr. 144 — 147 des
Katalogs. (O. A. Hoff mann.)
Metz, Mus6e Migette I S. 259. 16
Metz, Sammlung des Hrn Dufresne 1 17
S. 260.
Nach dem Tode Dufresne's zum
grössten Teil übergegangen in die
Sammlung Huber Nr. 18.
SaargemUnd, Sammlung des Hrn. Emile 18
Huber H.
I Oberbronn, Sammlung des Hrn. Rauch 19
II.l
[Mieteshelm, Sammlung des Hrn. Jäger 20
IL]
[Leberau, Sammlung des Hm. Dietsch H. ] 1 1
[Ruffach, Sammlung des Hrn. Senck II.] 22
[Weissenburg, Städtische Sammlung IL] 23
[Niederbronn, Städtische Sammlung IL] 24
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Museograpliid.
247
Luxemburff.
25 Luxemburg, Sammlung des Institut royal
grand ducal I S. 275, II, lU.
^ATirtemberg.
26 Friedrichshafen, Museum des Vereins
für die Geschichte des Bodensee's und
seiner Umgebung I S. 520, II.
27 Hengen, Altertumssammlung II— VI.
Die Stadtbehörde hat vor drei Jah-
ren die Überreste des früheren Alter-
tumsmuseums käuflich an sich gebracht,
um sie vor gänzlicher Verschleuderung
zu retten. Vorstand des neugegrün-
deten Altertumsvereins ist Hr. Dekan
Klaiber.
Ausgrabungen fanden ' statt in der
Nähe der Stadt gegen Südwesten. Bei
Anlage eines Fischteiches fand man
in der in der Vertiefung ausgegrabenen
Ablage nmgsschichteverschiedeueÜber-
reste römischen Ursprungs, wie z. B.
4 cm lange Bronzenägel mit 3 cm brei-
ten Köpfen, eiserne Radnägel, viele
rundköpfige Lattnägel, grosse Eisen-
schlacken, in denen Holzfasern bemerk-
barsind, dann andere leichtere Schlacken
mit einer Steinmasse zusammenge-
backen, die wie Basalt aussieht, ferner
grosse Stücke röm. Mörtels, d. i. Kalk
mit Ziegelmehl vermengt ; auch ein be-
arbeitetes Stück Hirschgeweih mit
Zacken, im längeren Teile mit einer
eckigen Öffnung, als wenn darin ein
eckiger Gegenstand befestigt gewesen
wäre, ebenso verschiedene Knochen-
reste, Eberzähne u. dgl; dabei auch
ein Oberkiefer mit langen Schneide-
zähnen , welche weisse und dunkle
Querringe zeigen, endlich schwärzliche
Scherben und dabei drei blaue Stein-
chen, eine viereckige Schelle, Stücke
von einer eckigen grünen Glasflasche,
ein schmales halbes Hufeisen u. dgl.
Nicht zu ferne von diesem Platze, et-
was weiter gegen Südosten, wurden vor
Js^ren die Fundamente einer Römer-
villa mit schönem Mosaikboden ent-
deckt, aus welchem nebst anderem
das schöne Medusenhaupt ausgebro-
chen wurde, das sich in der vater-
ländischen Altertumssammlung in Stutt-
gart befindet.
Auch in Ennentach-Altmengen wurde
an einem längst bekannten Orte einer
römischen Niederlassung durch das
Vereinsmitglied Herrn Konr. Luib für
den Verein die Ausgrabung eines Kel-
lers übernommen. Die Ausbeute an
Altertümern war jedoch eine ziemlich
geringe. Ausser einem Stückchen von
einem gedrehten Steindeckel (Gra-
nit V) wurde noch gefunden : d e r H a 1 s -
ring von einer Amphore aus einer
grauen Masse, 9 Stückchen aus Terra
sigillata mit allerlei Bildwerk; darun-
ter ein Herkules und über diesem ein
Stempel: CIBISVS FEC , dann ein Ge-
fässbodenstück mit: VENIANN (sehr
undeutlich), eines mit MARC ....
und ein anderes mit einem eingeritzten
Zeichen, von dem übrigens der obere
Teil fehlt. Auch graues, teilweise ver-
ziertes Töpfergpschirr in etwas grösse-
ren Stücken fand sich vor und eine
eiserne Schnalle, die übrigens auch in
den oberen Schichten gelegen haben
mag
Von dem nahe gelegenen Ruolfingen
erwarben wir ein dort ausgegrabenes
einschneidiges, ziemlich roh gear-
beitetes Schwert mit 50 cm langer
Klinge, einfach abgerundeter Parier-
stange und breiter Angel, ferner einen
39 cm langen Wurfspiess (Saufang?)
und eine sichelartige Waffe aus Bronze,
3 cm br., umgebogen und die Spitze
abgebrochen. In diesem Zustande noch
19 cm lang. Auf einer Seite am
Rücken befindet sich ein erhabener
Doppelrand, dazwischen eine rinuen-
artige Vertiefung und am untern, nicht
abgebrochenen Teile auf der einen
Seite ein 3 cm langer, kegelförmiger
Einhakstift, wie ihn in etwas grösse-
rem Massstabe die Sensen haben. (Viel-
leicht ein Stück von einer Kriegssichel V)
Andere Erwerbungen sind : 1. eine
schon 1887 im Meugener Walddistrikte
Rappenwinkcl aufgefundene Waffe, ein-
schneidig, im ganzen 40 cm lang, die
Klinge allein 26 cm und am Griffe
4 cm br., der Rücken ist 6 mm stark,
die Griffangel breit u. unten abgerundet.
2. Im Juli 18S8 wurde beim Abgra-
ben des Stadtwalles in der Nähe des
Klosters ein Dolch gefunden, ähn-
lich dem, welchen Herr Professor Dr.
K. Müller in : „Die römischen Begräb-
nisstätten in Württemberg" S. 46, in
Zeichnung anführt. Er ist 30 cm lang,
die zweischneidige, einerseits flache,
andererseits gegen die Mitte erhöhte
(Grat) Klinge ist 20 cm lang. (Wohl
mittelalterlich ?)
3. Ein zweiter Dolch wurde im Jett'
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248
Museograpliie.
kofer Gerechtigkeitswalde beim Aus-
graben des Stockbolzes gefunden. (Juni
1888). Er ist ebenfalls zweischneidig,
hat aber auf beiden Seiten der 22 cm
langen und am Griffe 5 cm br. Klinge
in der Mitte einen Grat und rechts
und links Blutrinnen. Die ganze Länge
beträgt 35 cm, die Angel ist schmal.
Angekauft wurden verschiedene
alte Waffen: 2 Reiterpistolen mit Stein-
dchlössem, 2 Hellebarten, mehrere Sä-
bel (der eine hat auf beiden Seiten der
Klinge die Jahreszahl 1414) und 2
Degen, von denen der eine am Knaufe
mit einem Hundskopfe und mit Jagd-
bildern am Griffe verziert ist.
Femer wurde erworben: 1. ein
Zinntellerchen aus der Zeit Ferdi-
nands n, flach, mit 19 cm Durchm.
Der 4,5 cm breite Rand enthält in
Deutsch -Renaissance -Verzierungen 11
deutsche Kaiser aus dem Habsburger
Geschlechte, ausgerüstet zu Pferde und
zwar von Rudolf I bis zu Kaiser Ma-
thias Hncl.) und in der Vertiefung ein
Medaillon Kaiser Ferd. H.
2. Ein Ziegel (Hohlziegel) von der
Ennentacher Kirche stammend von
1490 (Erbauungsjahr der Kirche 1491)
mit der Ifiscbrift: „anno domine düsätt
(tausend) cccc und Itttt iar wart der
Ziegel gemacht an sant ulrichsabend''.
3. Ein Konstanzer Bildsiegel, spitz-
oval, stehend, mit gothischer Inschrift.
Dasselbe ist 10 cm hoch und 7 cm
br. und zeigt die Himmelskönigin mit
dem Jesuskinde auf dem Throne unter
einem Baldachin mit reicher gothischer
Verzierung; rechts und links ebensolche
und zwar unter jenen das Konstanzer
Bistumswappen und unter diesen das
ilauswappen des Bischofs. Inschrift
teilweise undeutlich: .... epus ecce
constan. Die Rückwand zeigt, dass
das Siegel ehemals mit einer Urkunde
verbunden war.
Die Münz- und Medaillensammlung
bestand bei der Übernahme im Jahre
1886 aus 178 Münzen und 74 Medaillen,
zusammen 252 Stücken, nunmehr aus
etwa 1200. Das Nähere würde ich,
wenn es erwünscht wäre, ein andermal
berichten, da die Aufnahme und Be-
schreibung der Sammlung noch nicht
ganz beendet ist.
Bemerke übrigens sogleich, dass die
in der Museograhie über das Jahr 1886
bei Nr. 27 S. 289 berührte Münze frei-
lich keine aus Mengen stammende ist,
da Mengen nie eine Münzstätte be-
besass. Dieselbe ist eine Trierer
Münze mit der Wertangabe (V« Peter-
mengen), (M. C. Zöriein).
Riedlingen, Altertumtverein U, IV, V, 28
vn.
29 = 36a. 29
Rottweil, ttädt. Sammlung U, Vü. 30
Rottenburg, Sammlung des Altertums- 31
Vereins ü— IV.
Der Zuwachs war in den letzten
4 Jahren nicht belangreich; mit Aus-
nahme von baulichen Resten, welche
der römischen Zeit angehören, einige
Fibulae, ein Stylus aus Knochen, eine
eiserne Pfeilspitze, mehrere Münzen,
unter letzteren sind leserlich Drusus
1 St., Trajan 5 St., Hadrian 3 St, An-
toninus Pius 6 St, Marc Aurel 2 St,
Faustina 1 St, Julia Maesa 1 St,
Alexander 1 St., Elagabal 1 St., Gallie-
nus 4 St., Probus 1 St., Victorinus 1 St
(Dr. Riess, Domkapitular.)
Wachendorf, Sammlung des Frelherm32
von Ow II.
Stuttgart, Kgl. Staatssammlung vater-33
landischer Altertümer I S. 254, II-
VII
VorgeschichtlicheFunde. Eine
von dem in Kopenhagen ansässigen
Architekten A. Leidesdor ff verehrte
wertvolle Sammlung von über 300 in
Dänemark gefundenen Gegenständen
hat S. Maj. der König dem Museum
überwiesen. Neben einigen Abfall-
stücken aus den Kjökkenmöddingern
und Thongefössen aus späterer Zeit
bestehen sie hauptsächlich aus Stein-
werkzeugen und Waffen der jungem
Steinzeit Neben der Grösse der
Meissel fällt besonders die Eleganz
der aus Flint geschlagenen Lanzen und
Messer und namentlich der geschliffe-
nen Beile ins Auge. Manche Form-
gebung legt die Vermutung von me-
tallenen Vorbildern nahe. — Auch aus
dem Lande gingen Einzelfunde vor-
römischer Zeit der Sammlung zu.
Fundeaus demklassischenGe-
biet Der verstorbene Oberst von
Wundt in Comburg bei Hall hinter-
liess eine Sammlung von Bronzen,
Vasen, Terracotten und kleinem Mar-
morarbeiten, über 400 Nummern, aus
Italien, Dalmatien u. a. L. Im Auf-
trage des k. Kultusministeriums unter-
nahmen im Herbste v. J. Professor
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Museographie.
249
Dr. Y, Schwabe (Tübingen) und der
Unterseichnete eine Sichtung u. Schätz-
ung des Bestandes, der sodann von
der k. Staatsregierung erworben wurde.
Eine Scheidung der Wundt'schen Samm-
lung ist seitdem vereinbart worden,
wonach der eine Teil an das hiesige
Altertümermuseum fällt, der andere
dem archäol. Eabinet der Universität
Tübingen einverleibt wird. Wie kaum
anders zu erwarten, ist die Echtheit
vieler Stücke eine zweifelhafte ; es ist
aber kein Fehler, wenn solche zu ent-
sprechend bescheidenen Preisen in den
Kauf genommen werden. Über Werke,
wie die Bronze-Replik der Stroganoff*-
schon Apollo-Statuette, sind die Akten
immerhin noch nicht geschlossen. An
diese Erwerbung reiht sich ein kost-
bares Geschenk unseres Ehrenvorstan-
des Prof. Dr. Seyffer, bestehend aus
11 Oewandstücken aus oborägyptischen
Gräbern, weiche derselbe vor einiger
Zeit von Dr. Fr. Bock erworben und
dann mit besonderer Vorsicht gereinigt
und geglättet hatte, so dass die Stoffe ein
erstaunlich frisches Ansehen gewonnen
haben. In feinster Leinwand und Wolle
sind vprschiedene Techniken des We-
bens, Wirkens und Stickens vertreten ;
mannigfache Farben, darunter mehrere
Purpurarten, und allerlei Zeichnungen,
geometrische, solche mit Pflanzenorna-
ment (Rebenblätter), sogar eine solche
mit menschlichen Figuren, kommen zur
Verwendung. Die Zeit der Herstellung
mag ins 4.-— 7. Jahrh. n. Chr. gesetzt
werden. Zu erwähnen ist noch das
Fragment eines rum. Mosaikbodens
aus dem Garten des Landesgeföngnisses
zu Rottenburg a. N., mit geomet-
rischer Flächenverzierung durch Kreis-
segmente, wie solche teils identisch,
teils ganz ähnlich in Trier und Um-
gebung vorkommt.
Reihengräberfunde. Von be-
kannten Plätzen wie Inge rsheim bei
Crailsheim, Kirchheim a. N. gingen
Waffen, Bronzebeschläge u. A. ein.
Den Hauptbestand lieferte aber die in
diesen Blättern öfters erwähnte Grä-
berstätte bei Sindelfingen. Neben Eisen-
waffen, Bronzebeschlägen, Schnallen,
Perlen von auffallender Grösse und
Zeichnung, silbervergoldeten Fibeln
führen wir nur die auf Tat. 13 Fig. 2
u. 3 abgebildeten 2 Silberbeschläge auf,
die offenbar auf Leder gesetzt waren,
in Gestalt zierlicher, gravierter und
vergoldeter Pferdchen, und den schönen
silbernen, leider zerbrochenen Löffel
(Tat. 13 Flg. 1).
Kirchliche Kunst. Von dem be-
deutsamen Gemälde zu Bebenhausen,
die Glorifikation Mariae auf dem Throne
Salomonis darstellend und um 1335
gemalt, hatte vor 40 Jahren Prof. Dr.
U. Leibnitz eine vortreffliche Kopie
geschaffen, die nach seinem Ableben
im Anfang d. J. der Sohn in die vater-
ländische Sammlung stiftete. Die Para-
mente sind um eine Kasel mit präch-
tiger spätgothischer Reliefstickerei ver-
mehrt, die Altargeräte um einen
Abendmahlkelch, Ulmer Renaissance-
arbeit, mit den Allianzwappen der
Stifter, aus Lonsee bei Ulm, woher
wir auch ein hübsches farbiges Altar-
gitter im Barockstil erwarben. Neben
manchen Einzelkäufen in Eisen, Bronze,
Zinn, schönen alten Stoffen u. A. sei
noch ein Doppelportal aus dem Re-
naissanceschlosse zu Waldmanns-
hof en, O.-A. Mergentheim, erwähnt,
aus der Zeit von 1600, das am ur-
sprünglichen Standorte Rücken an
Rücken angebracht war, nun aber zu
beiden Seiten der im Vorjahre be-
sprochenen prächtigen Thürumrahmung
von Ochsenhausen seine schönen In-
tarsien und seine korrekte Architektur
zu wirkungsvoller Entfaltung bringt.
Eine reich gegliederte Truhe, gleich-
falls mit eingelegter Arbeit geschmückt,
hat in dem einen der Renaissanzezim-
mer seinen Platz erhalten. In Jahr-
gang VI S. 290 der Wd. Zs. berich-
teten wir die Zuweisung der Gobelins
aus dem ehemals fürstpröbstlichen
Schlosse ob Ellwangen seitens der k.
Finanzverwaltung. Dieselben sind hier
vorsichtig gereinigt und geflickt wor-
den und haben zunächst, da alle Wände
besetzt sind, ihren Platz an der Saal-
decke gefunden; ihre Besichtigung
wird durch Handspiegel bequem ge-
macht. Aus dem ehemaligen furstl.
Oratorium der Schlosskapelle in Lud-
wigsburg hat sodann die K. Finanz Ver-
waltung zwei schöne Bilder in Mosaik
und Hautelisse, den Ecce Homo und
die Mater dolorosa darstellend, in den
Räumen des Museums deponiert. Sie
zeichnen sich durch prachtvolle Me-
tallrahmen aus und sind den Wappen
nach zu schliessen ein Geschenk des
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250
Museographie.
Papstes Pius VI. Von einer spätro-
manischen Glocke der Klosterkirche
zu Alpirsbach, die eines Sprunges hal-
ber umgegossen wurde, Hessen wir ei-
nen bronzierten Gypsabguss herstellen.
Sie führt die Legende: ME • RESO-
NANTE • DeVS • FVGIAT • STIGIS •
HING • ABIEVS. — ATQVE • PROC VL •
PELLE • VIM • GRANDINIS • ATQVE •
PROCELLE. — Das m. a. ABIEVS
(v. abigere) ist gleichbedeutend mit
^Kuodieb", und ist metaphorisch für
den seeienfangenden Höllenförsten ge-
braucht. (L. Mayer.)
34 Heiibronn, Museum des historischen
Vereins I S. 255, V.
35 Oehringen, FQrstl. Hohenlohe'tchet Fa-
milien-Museum auf Schloss Neuenstein II.
36 Jagsthausen, im Schloss des Freiherrn
von Beriichingen IL
Hohenzollern.
36a Sigmaringen, FUrstl. Hohenzollernsches
Museum I S.- 256 u. 521, VI, VII.
Hauptsächlicher Zuwachs im J. 1888.
A.Skulptur: 1) Bemaltes Stuckrelief,
Maria mit dem Kinde, altflorentinisch,
II. 0,65, Br. 0,52 m. 2) Hochrelief in
gebranntem Thon, Maria mit dem Kinde,
altflorentinisch, H. 0,66, Br. 0,50 m.
3) Bemalte Thonstatuette, Maria mit
dem Kinde, in der Art des Jacobo
Sansovino, IL 0,36 m.
B. Bronzepiaketten: 1) Grab-
legung Christi, IL 0,095, Br. 0,07 m,
italienisch, 16. Jh. 2) Beweinung Christi,
IL 0,085, Br. 0,061 m, italienisch, Ende
d. 15. Jhs. 3) Der hl. Ilieronymus,
Arbeit des Ulocrino, IL 0,( 73, Br.
0,046 m. 4) Maria mit dem Kinde und
Johannes, IL 0,131, Br. 0,092 m, ita-
lienisch, 16. Jh. 5) Maria mit dem
Kinde, von P^ngeln umgeben, IL 0,134,
Br. 0,099 m. Deutsch, um 1520. 6)
Hercules mit dem Geryones ringend,
D. 0,117 m, Arbeit des Moderno. 7)
Darstellung Christi im Tempel von
Moderno, IL 0,10, Br. 0,064 m. 8)
Zwei Centauren, Langseitc eines Din-
tenfasses) von Caradosso, H. (',065, L.
0,197 m. 9) Die Anbetung der Könige
von Moderno, H. 0,094, Br. 0,07 m.
10) Herodes und Salome, D. 0,04 m,
altburgundisch. II) Kusstafel; Chris-
tus am Kreuze zwischen Maria und
Johannes, Arbeit des Niccolö Spinelli,
H. (',144, Br. 0,094 m. Dazu kamen
noch zwei Bleiausgüsse geschnittener
Bergkrystalle des Valerio Belli: Ge-
fangennehmung Christi und Anbetung
der Hirten.
C. Das Kupferstichkabinet erhielt
eine wesentliche Bereicherung durch
Erwerbung von c. 100 Blättern, da-
runter Arbeiten des Callot, Stefano
della Bella, Abr. Bosse, Ornamentstiche
nach L. Kilian, sowie hauptsächlich
Stiche süddeutscher Meister des 16.
und 17. Jahrhunderts.
Am 1. Juni 1888 wurde der Fürstl.
Hohenzollemsche Hofrat J. Gröbbels
als Conservator am Fürstlichen Mu-
seum angestellt.
(Dr. Lehner, Gröbbels.)
Baden.
Konstanz, Rotgarten-Muteum I S. 255, 37
H-VH.
In der abgelaufenen Periode der Ros-
garten-Sammlung hat besonders das
Neuordnen der Belege für Schich-
tung des heimatlichen Bodens,
der geologischen Abteilung, dem Mu-
seum gut gethan. War die Zeit seit 1870
hauptsächlich dem Sammeln und Zur-
schaustellen nach zeitlichen Gruppen
gewidmet, so bringt jetzt eine stren-
ger-wissenschaftlich-praktische Detail-
ordnnng mehr inneres Leben in die
Kollektionen und übersichtlicheres Ver-
ständnis in die Darlegung der Heimat-
geschicht«. Es wurden wesentliche Lük-
ken noch ausgemerzt. In besonderen
Kasten fanden Bohrergebnisse und Pro-
dukte der heimatlichen Salinen zu Rap-
penau und Dürrheim ihre Aufstellung
und in dem Naturalien - Kabinet die
Schlangen unserer Gegend.
Die Pfahlbauten-Zeit ist durch
neue Funde von Schmucksachen, Ceri-
thien, Pectunculus, Perlen, durch ver-
schiedenfürraige Steinbeile und Äxte,
Thon gefässe, eine grosse thönerne Ciste,
einseits27, andernseits 32 cm hoch, oben
27, unten 16 cm im Durchmesser, Bein-
Geräte, ein Stück mit aufgewundenem
Faden, besser illustriert worden. Hirsch-
geweih-Stücke mit offenbaren Anklän-
gen an Megaceros hibernicus,den »grim-
men Scheich", gab Bodmann, wie das
Vorerwähnte ; auch einen zugesplitter-
ten Feuersteinschülfer in Hentierge-
weih-Fassung.
Die Gruppe der römischen
Funde verbesserte sich durch detail-
lierte Aufstellung des beim Bau des
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Museograpbie.
251
Vincentius-Hauses in Constanz, der alten
bürgerlichen Ansiedelung, Aufgefunde-
nen. Von den daselbst gewonnenen Mün-
zen nenne ich Claudius IL, Constanti-
nus II. (Constantii I. filius), Domitianus,
Hadrianus, Julia Augusta, Julianus
Apostata, Lugdunum, Probus, Galba;
dann viele Fragmente von Thonwaren
aus Terra sigillata mit hübscher Or-
namentation, einen kleinen Tierrumpf
aus Terra cotta ; Schliessbänder, Scheibe
und Ringlein aus Bronze, glasierte
Thonstücke, viele Fragmente ornamen-
tierter Glasgefässe, wie sie vereinzelter
schon im Boden von Konstanz und Um-
gegend gefunden worden sind.
In den Gruppen späterer histo-
rischer Zeit sind neu aufgestellt die
Gefässe, aus denen den beiden deutschen
Kaisern Wilhelm der Ehrentrunk der
Stadt bei den Besuchen 1871 und 1888,
nach alter Sitte, dargereicht wurde ; dann
die Ehrenpokale, welche die Konstanzer
Sängerschaft und der Kuderverein Nep-
tun ftich erwarben ; Kunstgewerbliches
der Gegend in seiner Beeinflussung aus
römischen, vindelicischen und helve-
tischen Quellen. Da ist Manches aus
neuerer Zeit hinzugekommen ; Trachten-
stücke, Münzen und viele Münz- Abgüsse.
Vom „Führer durch die chorogra-
phische Sammlung des Rosgartens" ist
eine neue Auflage im Verlag von J. A.
Pecht hier erschienen, nachdem die erste
Zeitlang vergriffen war.
(Ludwig Leiner)
38 Oberlingen, kulturhistorisches u. Natu-
ralien-Kabinet 1 S. 2ö6, IV— VIL
In dem nun abgelaufenen Rechnungs-
jahre 1888/89 wurden erworben : Pfahl-
bau-Gegenstände, wie Nephritbeilchcn
etc. ausSipplingen u. Bodmann ; Bronze-
und Eisenfunde aus Stahringen; zwei
eiserne Ofenplatten mit Relief in Rococo-
stil vom Jahre 1767; ein Zinntellerchen
und 2 silberne Brautlöffel aus Sipp-
lingen; eine Kollektion Zinngeschirr:
Teller, Kannen, ßüchschen etc. aus dem
ehemal. Gesellschaftshans der reichs-
städischen Küferzunft Überlingens; ver-
schiedene Münzen; Gipsabdrücke der
Münster-Inschriften; ein holzgeschnitz-
tes Wappen von einem alten Schrank ;
Kupferstiche ; Gewandstückc ; ferner
naturalisierte Tiere, Fische etc.
(Lachmann.)
39 Donaueschingen, Fürstlich FQrstenberg-
sche Sammlungen I S. 256, II, III, IV, VII.
Zwei Pfeilspitzen aus einem Acker
bei Fürstenberg und zwei Bronzeringe
aus einem Grabe bei Bräunlingen.
(A. Hopfgartner.)
Viilingen, Altertumssammlung I S. 256, 40
Freiburg i. Br., Stadtische AltertOmer- 41
Sammlung I S. 256, II-VII,
(Rechnungsjahr 1888/89). Zuwachs:
eine kleine Sammlung von Grabumen
und sonstigen Gräberfunden aus der
Umgegend von Munzingen im Breisgau.
Pfahlbautenfunde aus dem Neuenburger
See. Neun Gypsabgüsse aus der Vorhalle
des Freiburger Münsters, einen Cyclus
allegorischer Figuren darstellend, da-
runter die thörichten und klugen Jung-
frauen u. dgl. (Poinsignon.)
Karlsruhe, Grossherz. Sammlung vater- 42
ländischer Altertümer I S. ^57, II— VIL
Unternehmungen: a) Untersuchung
eines Grabhügels bei Rappen au, A.
Sinsheim, vgl. Wd. Korr. Vm, 60. b)
Untersuchung der Rümerstrassen im
Lande wird fortgesetzt.
Zuwachs: 18ü Nummern, darunter
norddeutsche prähistorische Thonge-
fässe, 2 Kirchenglocken (eine aus dem
13. Jahrb.) aus der Kirche von Seel-
fingen, A. Stockach, Grabhügelfunde
von Bretten und Merdingen, Amt Brei-
sach, romanische Kapitale aus dem
Kreuzgang des Klosters Schwarzach,
Gegenstände aus dem 18. Jahrb. aus
der Verlassenschaft des f Oberamts-
richters Dr. Schutt in Bruchsal, Ofen-
kacheln (Rococo) aus Breisach, ein
goth. Ciborium aus Bronze mit Silber-
gravierungen und Email aus Waldkirch,
ein geschnitzter u. eingelegter Schrank,
Renaissance, aus Kloster Allerheiligen.
(Die Sammlung des Mittelalterlichen
und Späteren findet im Herbst in ei-
nem neuen Saal zusammen mit der Gr.
Münzsammlung Aufstellung).
Die Antikensammlung wurde
durch einige schwarziigurige Schalen,
einen Ileai von Bronze mit 4 liegen-
den liüwen an den Ecken und den
Füssen auf Bronzerädchen aus Capo-
dimonte bei Bolsena und eine schöne
Bronze-Cista mit reicher Gravierung
aus Palestrina bereichert. Der Katalog
der Bronzen -Sammlung wird von Dr.
Schumacher bearbeitet.
Die Ethnographische Samm-
lung (Zuwachs 200 Nummern) zählt
3800 Nummern. (E. Wagner).
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252
Museographie.
43 Heidelberg, städt. Kunst- u. AltertOmer-
Sammlung auf dem Schlosse I S. 258,
n— VII.
Bedeutendere neue Erwerbungen seit
der letzten Bekanntmachung:
1) Die älteste bis jetzt nicht be-
kannt gewesene Ansicht der Stadt und
des Schlosses, kleiner aber sorgfältiger,
mit „Heidelberg'* bezeichneter Holz-
schnitt in Sebastian Münsters „Kaien-
darium Hebraicum" von 1527.
2) Silberner Siegelstempel des
Pfalzgrafen LudwizPhilipp, Vor-
mund des späteren Kurfürsten Karl
Ludwig vom Jahre 1633, mit dem kur-
fürstlich pfälzischen Wappen.
3) Griechische Obers^etzung
des Heidelberger Katechismus,
von Friedrich Sylburg, gedruckt zu
Heidelberg 1597.
4) Porträt des Clemens Perkeo,
Hofnarren der Kurfürsten Johann Wil-
helm und Karl Philipp, ganze Figur
mit Beiwerk, Ölgemälde von Adrian
van der Werff, äusserst fein in der
bekannten Manier des Meisters aus-
geführt. (Auktion Zschille).
5) Brustbild des Kirchenrats
Paulus, gestorben in Heidelberg 1851,
Oelgemälde, Geschenk der Mrs. Call
in London. (A. Mays.)
44 Heidelberg, Privatsammlung des Herrn
Albert Mays I S. 258, II.
45 Mannheim, Vereinigte Sammlungen des
Grossherz. Antiquariums und des Alter-
tumsvereint I S. 258, H— VII.
Juni 1888 — 89. Praehistorischer
Grabfund von Aigle (Schweiz): Na-
del und Armband von Bronze. Rö-
mischer Denkstein (sog. Viergötter-
altar) von Mönchzeil (Amt Heidelberg),
vgl. Korr. VII, 186. Bei Hocken-
heim, zwischen Speier und Heidel-
berg, das als Römerstation bekannt
ist (Bonner Jahrb. X, 3), fanden sich
unmittelbar am Dorf nahe der obom
Mühle bei Verlegung des Bachbettes
mehrere Netzbeschwerer von gebrann-
tem Thon, wie wir solche auch in ei-
nem römischen Bau bei Neckarau ge-
funden haben. Es sollen etwa 8 Stück
gewesen sein; sie wurden meist zer-
schlagen und zerstreut, nur ein ganz
erhaltenes Exemplar wurde für die
Sammlung gerettet. Im südlichen Teil
der Mannheimer Gemarkung, Flur-
bezirk Meerfeld, stiess man bei Gra-
bungen zu baulichen Zwecken (Fabrik
Propfe) auf ein Grab, Skelettreste mit
Perlen von geschliffenem Glas und
blauem Thon, die wohl zu einem Hals-
band gehörten. Man durfte ein frän-
kisches Grab vermuten, doch ergab die
genauere Untersuchung der Perlen,
dass dieselben von härterer Erde, ei-
ner Art Steingut, hergestellt sind, und
man muss annehmen, dass das Grab,
in dem sich auch eine Flintenkugel
fand und das trotz weiterer Nachgra-
bungen vereinzelt blieb, aus den Kriegs-
zeiten des vorigen Jahrhunderts her-
rührt. Unter den Erwerbungen aus
dem Mittelalter und der neueren
Zeit sind hervorzuheben: Münzen,
Denkmünzen und Siegelabdrücke aus
der Schweiz, Geschenk von Herrn
Fabrikant Bertheau , Rapperschwyl.
Ankäufe und Schenkungen von Pfälzer
Münzen, Urkunden, darunter ein Adels-
diplom von Karl Theodor, Kupferstiche
und Handzeichnungen, die sich auf
Pfälzer Geschichte und Topographie
beziehen ; femer Zunftaltertümer, Frei-
maurerinsignien, Waffen, ein schön be-
maltes Wappenglas u. A. m.
Für das Antiquarium (städtischer
Besitz) 17 Stück Gipsabgüsse nach an-
tiken Originalen, Statuen und Büsten,
aus der Vanni'schen Versteigerung in
Frankfurt (K. Bau mann.)
Mittelrhein.
Miltenberg, Altertümer - Sammlung der 46
Stadt l S. if63, II, V, VH.
Keinerlei Zuwachs.
(Conrady.)
Miltenberg, Habertche Privattammlung 47
auf der Burg I S. 264, II, V-VIl.
Ausser einigen neueren (nur zum
Zwecke ihrer Erhaltung gelegentlich
erworbenen) geringen Münzen, sowie
einem schlichten Degen und einfacher
Hellebarte aus dem 1 7. Jahrhundert
wären als die wesentlichsten Zugänge
zu nennen:
1) Ein weitbauchiger Steingut-
krug, 40 cm hoch, mit langbärtigem
Gesichte am Halse, sowie einem läng-
lichen wappenartigen Medaillon (mit
nassauischen Löwen) auf der Voraer-
und je einem runden Medaillon mit
phantastischer Darstellung eines ge-
hamischten helmlosen Mannes (im
Brustbild) auf den Nebenseiten der
Wandung (in Relief, wohl nassauische
Arbeit des 17. Jahrhunderts).
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Moseographie.
253
2) Elf geschliffene Steinwerk-
zeuge von der Gemarkung Eichen-
bühl, zwei aus grauem, die übrigen aus
blauschwarzem Eieselschiefer, sämt-
lich meisel- und keilartig, oder Ge-
räte zum Glätten. (Gonrady.)
48 Atchaffenburg, ttädt Sammlung I S.
263, II.
49 Erbacb, GrSfl. Erbach'tche Sammlung II.
50 Darmstadt, Grotsherzoglichet Museum
1 S. 263, lU, V, VI S. 294, VU.
Zugang van 1888189 (April bis Ende
März), I. Die archäoiog. Samm-
lungen. 1. Römische (griech. und
®SypM Altertümer, a. Ankäufe
und Funde : Statuette eines römischen
Legionars aus Gips, bemalt, angek. vom
röm. - germanischen Gentral - Museum
in Mainz.
2. Germanische Altertümer,
a. Ankäufe und Funde: Eine Anzahl
schwarzerThonscherben nebst Enochen-
resten aus einem Hügelgrabe in der
Gemarkung Wiebeisbach im Odenwald ;
eine Anzahl roter Thonscherben, ein
Stück eines eisernen Schwertes, ein
Bronzering, ein Stück eines solchen
und eine Schneide eines Steinbeils nebst
Knochenresten aus einem Hügelgrabe
in der Gemarkung Ober-Nauses im
Odenwald; 1 Modell in Gips des zu-
letzt genannten Grabes; ein Steinbeil,
gef. in der Gemarkung Birkert bei
Neustadt i. 0.; 1 Gesimsstück, 1 obe-
res Stück eines korinthisierenden Ka-
pitals, 2 kleine korinth. Kapitale mit
Schilfblättem, i Bruchstück eines Ka-
pitals, das mit den Kapitalen der Lor-
scher Halle verwandt ist, 1 Pilaster-
kapitäl, 1 halbierter Säulenfuss mit
gestreckter attischer Basis, 1 Stück
eines Säulenschaftes, 1 Basis einer
Säule, 2 Stücke vom Friese über den
korinth. Säulen der Lorscher Halle, 1
Platte ähnlich den Abdeckungsplatten
über den Bogen der Lorscher Halle,
2 quadratische Steine, ähnlich den Be-
kleidungsplatten der genannten Halle,
1 Stück eines Fensterkreuzpfostens,
5 Bruchstücke profilierter gothischer
Steine, 1 profilierte Ecke eines gothi-
schen Thürpfostens, sämtlich aus Sand-
stein, 2 Röhren aus Thon, 1 Thon-
fliese mit Eichenblatt • Ornament in
Relief, 2 Bruchstücke von Thonfliesen,
1 Bruchstück einer Reliefform aus
Thon mit Ornamenten, 1 Bruchstück
einer Marmorfliese von dreieckiger Ge-
stalt, 1 Bruchstück einer Steinfliese,
1 auf der Oberfläche quadratisches
Steinchen aus Marmor, 1 dreieckige
Fliese, 1 Amulett aus Blei mit auf
Papier gedrucktem Anfange des Evan-
geliums Johannes, sämtlich gef. in
dem Bezirke des ehemaligen Klosters
Lorsch beim Abbruch eines Hauses;
die Architekturstücke gehören grössten-
teils dem ältesten fränkischen Kloster-
bau an dieser Stelle an. Statuette ei-
nes fränkischen Kriegers in Gips, an-
gekauft vom röm.-germ. Gentral-Museum
in Mainz.
b. Geschenke: i Beil aus Eisen,
gef. zu Geisenheim in einem Wein-
berge und 1 Bronzering, gef. im Kastell
Lützel- Wiebeisbach, Geschenke desHm.
Kofler in Darmstadt ; 1 Beil aus Bronze,
gef. in dem Bezirke der Oberförsterei
Lengfeld i. 0., Geschenk des Ober-
försters Hm. Preuschen in Zipfen i. 0.
II. Kunstgewerbliche Samm-
lungen, a. Aiääufe und Funde: Gips-
abgüsse von Reliefs der Beerfelder
Glocke vom Jahre 1529. b. Geschenke:
Untere Hälfte einer Ofenkachel mit
Wappenschild, in dem ein schreitender
Löwe, gef. zu Eberstadt in der grossen
Sandung des Ortes, Geschenk des Hm.
Kofler; 1 Stempel von Bronze mit
Ornament, gef. im Forstmeistergarten
in Lorsch, Geschenk des Forstmeisters
Herrn Heyer daselbst; 2 Brachstücke
von Ofenkacheln aus Thon mit Reliefs,
gef. von Herrn Kofler in Seligenstadt,
nebst einer Anzidil Glas- und Thon-
scherben und Eisenteilen.
HI. Münzsammlung, a. Ankäufe
und Funde: 1 türkische Goldmünze
des 10. Osmanen, gef. zu Weinolds-
heim in Rheinhessen; 20-Markstück in
Gold, 10-Markstück in Gold, 5-Mark-
stück in Silber, 2-Markstück in Silber:
Friedrich, deutscher Kaiser etc. 1888;
10-Markstück in Gold, 5-Markstück in
Silber, 2-Markstück in Silber: Lud-
wig rV, Grossherzog von Hessen 1888 ;
1 Bronzemünze Hadrians, 1 Silber-
münze des Septimius Severus, gef. im
römischen Kastell Lützel- Wiebeisbach.
b. Geschenke: 1 neue koreanische
Bronzemünze, geprägt ; 1 koreanisches
5-Käsch-Stück, gegossen; 1 japanischer
Tempo, gegossen, sämtlich Geschenke
des Herrn Kraus, ehemaligen Münz-
meisters in Korea.
Ausserdem wurde die Münzsamm-
Westd. Zeitsohr. f. Qweh. n. Kimit YIII, III.
20
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254
Museographie.
lung des bist. Ver. f. d. Grossherzog-
tum Hessen vertragsmässig der Münz-
sammlung des Museums einverleibt.
IV. Ethnologische Sammlung.
Geschenke: 4 geschnitzte Heiligen-
schreine aus Holz mit Figuren; 2
Tempeltafeln aus Holz mit Sprüchen;
1 Reitsattel aus Holz; 1 Bogen mit
Pfeilen, 1 Tempeltafel mit Münzen,
sämtlich aus Japan.
Ausserdem wurde eine grosse ^An-
zahl von Photographieen, unter diesen
die Originalaufiiahmen für das hessische
Denkmälerwerk, erworben.
Seit Dezember 1888 : Sonderausstel-
lung einer Sammlung Yon kunstgewerb-
lichen Gegenständen aus Japan, ver-
anstaltet von Herrn Dr. Scriba, Pro-
fessor der Chirurgie an der japanischen
Universität Tokio, und Sonderausstel-
lung von Gegenständen der Ainos von
demselben Herrn.
Der Katalog der Sammlung des bist.
Vereins für das Grossherzogtum Hessen
ist mitsamt dem Katalog der archäo-
logischen Sammlungen desGrossherzogl.
Museums noch in Bearbeitung.
Als besonders hochherzige Zuwen-
dung hat das Museum das „Hessische
Münzkabinet" weiland Sr. Grossher-
zoglichen Hoheit des Prinzen Alexan-
der von Hessen, eine nahezu vollstän-
dige Sammlung hessischer Münzen,
welche ihm von den hohen Erben über-
wiesen wurde, zu verzeichnen.
(Prof. Adamy.)
51 Darmttadt. Sammlung des bist. Vereint
I S. 622, H, HI, VU.
52 Hanau, Bezirktverein für liets. Getch.
u. Landetitunde I S. 265, H— VH.
Erwerbungen im Jahre 1888, Herr
Gärtner Karl Seitz schenkte dem
Museum die Fundstücke aus zwei ger-
manischen Brandgräbem, die Ende April
beim Pflügen auf seinem Acker eine
Viertelstunde südöstlich von Hanau ent-
deckt und am 20. October weiter unter-
sucht wurden. Das eine, offenbar ein
Mannesgrab, mit einigen Steinen um-
stellt, lieferte zahlreiche Stücke einer
einfach gerundeten groben Urne, die
mehr als 60 cm Dm. hatte, ausserdem
Fragmente vonThongefässen, die wahr-
scheinlich als zusammengeraffte Scher-
ben ins Grab geworfen waren, sodann
eine 16 cm lange Speerspitze von Bronze
mit schmaler Tülle, deren Durchmesser
nur 2 cm beträgt (abgeb. Taf. 11 Nr. 1), ein
unvollständiges Bronzemesser und den
Taf. 11 Nr. 2 abgebildeten Gegenstand von
Bronze, dessen Verwendung uns noch
rätselhaft geblieben ist : ein beweglicher
Ring, der 3 cm äusseren Dm. hat, hält ein
fast 4 cm langes Anhängsel rund wie
Draht, aber von ungleicher Dicke. Das
andere 15 m davon entfernte Grab, durch
grosse Basaltsteine, von denen mehrere
1 m lang waren, sorgfältig verwahrt, war
ein Frauengrab aus späterer Zeit. Es
fanden sich darin viele Fragmente von
besserem Thon, zierlich gearbeitet, fast
alle sehr dünn, so dass die Herstellung
nur bei wenigen gelang (Taf. 11 Nr. 5 Höhe
21 und grösster Dm. 18 cm, Nr. 6 mit 6
Bogen rundum verziert Höhe 7 und Dm.
10 cm, Nr. 7 Höhe fast 4 und grösster
Dm. 5^2 cm), ferner zwei faustgrosse
runde Steine, der eine ein Quarz, der
andere ein Sandstein, mit Spuren des
Gebrauchs zum Reiben oder Quetschen,
von Bronze ein geschlossener Armring
(Taf. 11 Nr. 3 Dm. 6 und 8 cm), ein Messer
und eine 11 cm lange Nadel (Taf. 11 Nr. 4)
mit flachem Kopf, den drei erhöhte con-
centrische Kreise zieren.
Von Enkheim bekamen wir ein im
Sapde gefundenes eisernes Schwert aus
der Merovinger Zeit.
Die Sammlung römischer Altertümer
wurde durch drei Töpferstempel ver-
mehrt ; zwei davon, SABIN VS und TOC-
CAFECIT, fanden sich bei Marköbel,
der dritte, TOCCAF, beim Baggern im
Main an der Kinzigmündung, gerade da,
wo im Jahre 1886 ein römischer Brücken-
pfeiler zum Vorschein kam. Durch Hrn.
Lehrer Schaack wurden folgende Gegen-
stände, die er bei Gelegenheit eines Neu-
baues in Gross-Krotzenburg selbst aus-
grub, dem Museum übergeben : ein De-
nar des Septimius Severus mit dem in
hiesiger Gegend unbekannten Revers
LEGXICLA (Claudia), ein Plattenfrag-
ment, worauf ein Stempel der 22. Legion
dreimal eingedrückt war, und ein 12 Vs cm
langer absonderlicher Löffel von Bronze
(Taf. 11 Nr. 9).
Bei Mittelbuchen führten Verkoppe-
lungsarbeiten zur Entdeckung neuer An-
haltspunkte für römisch^ Niederlassun-
gen an verschiedenen Stellen. Wir er-
warben von da Wasserleitungsröbren
mit Schlammkasten, eine Fibula von
Bronze, einen Stilus von Knochen,
Sachen von Glas und Eisen, Grabkrüge
und vor allem die auf Taf. 11 Nr. Sabgebil-
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Maseographie.
255
dete 60 cm hohe aus einem Sandstein ge-
hauene Urne, die mit einer Sandstein-
platte zugedeckt war. Sie ist sehr plump
gearbeitet ; die Öffnung ist nicht kreis-
rund, hat etwa 42 und 44 cm äusseren
Dm. ; die 4 Seiten des Sockels haben un-
gleiche Länge, ungefähr 38 und 40 cm;
an römischem Ursprung ist aber nicht zu
zweifeln, denn im Innern befanden sich
ausser Knochen ein Lämpchen und Qlas-
splitter, und die ausgeworfene Erde ent-
hielt einige römische Scherben.
(Suchier.)
53 Frankfurt a. M., Historisches Museum
I S. 266, II— VII.
In dem abgelaufenen Yereinsjahr
tritt die Erforschung unserer Umgebung
und der Ankauf einer ganzen Samm-
lung in den Vordergrund.
Durch die erstere ist unser Museum
in den Besitz einer grossen Anzahl
höchst merkwürdiger prähistorischer
Gefässe und Bronze - Gegenstände ge-
langt, welche unter der Leitung des
Herrn Konservator Cornill, unter
Mitwirkung einiger Vorstands- und Ver-
einsmitglieder, namentlich unter der
aufopfernden Thätigkeit des Herrn Dr.
Hammeran und des Herrn Oberstabs-
arzt Dr. Kuthe zu Tage gefördert
wurden.
Da, wo in unserem Stadtwald der
von den beiden alten Eichen hinter
dem Sandhof nach der Niederräder
Chaussee hinlaufende Weg diese Chaus-
see im rechten Winkel trifft, war bei
der Abholzung des für die Waldeisen-
bahn bestimmten Geländes eine Gruppe
von Grabhügeln freigelegt worden.
Während sonst der Waldbestand es
unmöglich macht, ähnliche Hügel, deren
unser Stadtwald eine ziemliche Anzahl
birgt, zu eröffnen, so war hier die
günstigste Gelegenheit dazu geboten.
Das freundliche Entgegenkommen des
Bahnuntemehmers, sowie des Herrn
Oberförsters Hensel, welcher den lei-
tenden Herren geübte Waldarbeiter zur
Verfügung stellte, erleichterte die Ar-
beit sehr, und so wurden vier Hügel
vorsichtig ganz abgetragen, in welchen
30 verschiedene ßeerdigungsstellen
nachweisbar waren. Diese Arbeiten
nahmen die Zeit vom 7. bis 26. Mai
iu Anspruch. Noch mehrere solcher
Grabhügel befinden sich nach dem Sand-
hofe zu im Walde, und es ist zu be
obachten, dass diese Gräber da ange-
legt worden sind, wo sich das Erd-
reich aus dem sandigen Untergrunde
des alten Inundationsgebietes des Maines
schon um ein geringes erhebt, und eben-
so ist es bemerkenswert, dass das Ma-
terial, welches zur Anhäufung der Hügel
benutzt wurde, nicht dem gleich daneben
liegenden Sand- und Kiesboden entnom-
men wurde, sondern gute, von weiter
her herbeigetragene Erde ist.
Der zunächst in der bezeichneten Ecke
liegende Grabhügel war seinem Umfange
nach der bedeutendste. Obgleich ein
Teil desselben schon bei dem Bau der
Chaussee abgetragen worden war, ein
andrer Teil noch von Wald bestanden
ist, so ergab er doch die wertvollste
Ausbeute und namentlich konnten in
ihm zwei Schichten von Grabstellen
über einander festgestellt werden, die
eine in ca.m 1,20— 1,50 Tiefe, die andere
in ca. m 1,80—2,00 Tiefe. Die obere
Schichte enthielt nur Gräber mit Lei-
chenbestattung, bei welchen keine
umfassenden Steinkränze nachweisbar
waren. Die untere Schichte ergab da-
gegen vier Brandgräber, unter welchen
ein Lehmboden lag, und über welchen
eine aus grossen Sandsteinfindlingen
und gebrochenen Muschelkalkstücken
gebildete massige Steinkammer von ur-
sprünglich unbestimmbarer Form zu-
sammengestürzt war, einen pyramidalen
Haufen bildend, welcher die Scherben
von 12 Gefässen enthielt, die unter der
Leitung des Herrn Cornill zum grös-
seren Teile wieder zusammengesetzt
werden konnten und nun einen höchst
wertvollen Zuwachs unseres Museums
bilden. Sie unterscheiden sich von den
vielen anderen, teils ganz, teils in
Scherben gefundenen Gefässen durch
die Vorzüglichkeit ihrer Ausführung.
Besonders hervorzuheben sind die Ge-
fässe in Umenform, von welchen das
grösste 0,27 cm in der oberen Öffiiung,
0,35 cm in seiner grössten Ausbauch-
ung misst. Sie sind aus einer schwar-
zen Erde geformt, welche mit weisdem
Quarzsande gemischt ist, und von aussen
schwarz glänzend poliert; die Wandun-
gen sind auffallend dünn, die Kreisli-
nien auf das genaueste gezogen, ob-
gleich die Benutzung der Töpferscheibe
nicht angenommen werden kann. Das
Charakteristische an ihnen besteht da-
rin, dass sie gleichsam aus verschie-
denen, in einander gesteckten Gefässen
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256
Museographie.
gebildet erscheinen, wie wenn man eine
glatte Urne in eine niedrige Schüssel
eingesenkt hätte, von welcher an eini-
gen Stellen Lappen höher hinaufragen,
welche durch kreisrunde, gewissermas-
sen grosse Nägelköpfe nachahmende
Verzierungen an die obere Urne be-
festigt erscheinen. Diese ganz eigen-
tumliche Anordnung und Formgebung
findet sich in verschiedenartigen Pro-
filierungen , sowie in verschiedenen
Grössen und Thongattungen vor, aber
immer mit Wahrung der geschilderten
Eigentümlichkeiten. Das zierlichste
dieser Qefässgattung ist aber nur in
einzelnen Stücken erhalten; es zeich-
net sich vor allen andern dadurch aus,
dass der rundum laufende Kreis, in
welchem der obere, in schräger Fläche
gebildete Teil der Urne, sich an die
Bauchung derselben anschliesst, wie ein
auf das Zierlichste gekerbter Draht be-
handelt ist, und dass die Ränder der
erwähnten Lappen des unteren Teiles
von feinen Parallel-Linien begleitet sind.
Auch befinden sich unter den Frag-
menten ebenso gebildete Studie einer
Urne von ca. 0,15 cm oberer Öffnung,
aus fernstem, hartgebranntem, hellröt-
lichen Thone, so dünn wie unser mo-
dernes Porzellan, auch ein ähnliches
Stück aus einer hellgrauen Masse, wel-
che aber von aussen geschwärzt ist.
Fast noch dünner sind die Bruchstücke
eines kleinen, becherartigen Gefässes.
Noch gehören zu jener Gruppe zwei
wieder ganz zusammengesetzte, wie auch
einige nur in Bruchstücken vorhandene
flache Schüsselchen von 0,15 cm Durch-
messer, welche genau die Form von
solchen in etruskischen Gräbern häufig
vorkommenden haben. Leider sind die
Bronzebeigaben durch die Yerbrennune
durchaus zerbröckelt, zerfallen und
fast unkenntlich geworden; doch sind
Teile von Fibeln erkennbar, auch eine
Discus-Spirale, deren Draht gegen das
äussere Ende hin platt gehämmert ist.
mutmasslich zu einem Halsgehänge ge-
hörig. (Vgl. Dr. Jul. Naue, Die Hügel-
gräber zwischen Ammer- und Staffel-
see, Taf. XVni, 4 u. 5.)
Diese unter den anderen Funden ganz
vereinzelt dastehende Gruppe von Ge-
fässen findet aber ein sehrmerkwürdiges
Analogon unter der von unserm Vereine
schon vor Jahren erworbenen Dieffen-
bach'schen Sanmüung von Gefässen und
Bronzen. Es ist der Inhalt eines 1878 bei
Nauheim aufgedeckten Grabes, welches
genau dieselbe Gktttung von Urnen und
achen Schüsseln mit allen oben er-
wähnten Merkmalen ergab, aber ausser-
dem, da es kein Brandgrab war, vor-
züglich erhaltene Bronzen lieferte. Ganz
unversehrt erhalten ist eine edelge-
formte Lanzenspitze; in Stücken da-
gegen der Bronzeüberzug eines flach
gewölbten runden Holzschildes, der
parma. Die ungewöhnliche Erhaltung
des Holzes ist nur der Imprägnierung
durch die Grünspanlösung zuzuschrei-
ben, welche der Bronzeüberzug veran-
lasste. Auch Reste von Bronze -Gür-
telhaken, ganz erhaltene Doppelknöpfe
und andere Bronzereste fanden sich in
dem Grabe. Dieser Fund steht aber
ebenso vereinzelt unter den ande-
ren Grabfunden der Dieffenbach'schen
Sammlung aus der Nauheimer Gegend
da, die ausser den bezeichneten auch
nur sehr geringe Gefässe ergab, wie
unser Fund aus dem Stadtwald zu den
ihn umgebenden Grabstellen. Da letz-
tere der unteren Schichte des Grab-
hügels entnommen ist, so muss er einer
früheren Periode angehören, als die
oberen Bestattungen. Wie gross der
Zeitabstand zwischen den unteren und
oberen Beerdigungen sein mag, ist
schwer zu bestimmen; in der Natur
der Dinge liegt es, mindestens die Zeit-
dauer anzunehmen, in welcher noch
Kinder und Enkel der Bestatteten leb-
ten, welche die Grabstätte ihrer Vor-
fahren wohl nur ungern gestört ge-
sehen hätten, während spätere Gene-
rationen vielleicht mit Vorliebe einen
schon aufgeworfenen Grabhügel weiter
benutzten. Letzteres scheint hier der
Fall gewesen zu sein. Für die Zeit-
bestimmung dieser beiden Gruppen mag
neben der Beschaffenheit der Beigaben
in Bronze auch bei den Gefässen die
oben erwähnte eigentümliche Verzie-
rung der scküsselartig vertieften kleinen
Kreise mit einer Erhöhung in der Mitte
Licht werfen, da mit ganz ähnlichen
Nagelköpfen verzierte Schwertgriffe
aus der älteren Hallstatt- Periode be-
kannt sind, eine Periode, deren Beginn
ca. 900 vor Christus zu setzen ist.
Aber der Vergleich mit dem Inhalt
des Nanheimer Grabes gestattet uns,
weiter zurück auf das Ende der Bronze«
zeit zu schliessen, obgleich das Nau-
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Museographie.
257
heimer Qrab schon Leichenbestattung
aufweist, was die Übergangsperiode aus
der jüngeren Bronzezeit in die ältere
Hallstatt-Periode bezeichnet.
Mit dieser Annahme würden auch
Ergebnisse der oberen Schichte über-
einstimmen, äie weist nur Leichenbe-
stattung auf, obgleich dieselbe in jener
Periode gemeinschaftlich mit Brandbe-
stattung auftritt. Es ist für die ältere
Hallstatt-Periode bezeichnend, dass die
Sitte, die Grabstellen mit Steinen zu
überwölben oder zu bedecken, abnimmt;
dagegen werden die Gräber häufig mit
Steinen umlegt. Es fanden sich aber,
wie schon erwähnt, in der oberen
Schichte keine Steinkränze vor, wohl
aber in den angrenzenden Hügeln;
auch zeigte sich nur Leichenbestattung.
War auch kein Skelett mehr erhalten,
80 Hess sich doch bei einem der Grä-
ber die Richtung des Körpers durch
die Lage des einen aufgefundenen Bron-
ze-Armringes (0,07*/* cm Dm.) und der
beiden Bronze-Beinringe (0,10 cm Dm.)
erkennen. Der Kopf lag nach Norden
zu, die Füsse nach Süden. Auch waren
von den Schienbeinen die Teile er-
halten, welche durch ihre Berührung
mit den Bronzeringen mit kupfriger
Lösung imprägniert waren. Ein jeder
dieser sehr schweren Bemringe besteht
aus zwei gegossenen Ringen vomDurch-
schnitt eines halben Cylinders, welche
mit ihren beiden Durchschnittsflächen
aufeinander gelötet waren; bei einem
derselben hat sich diese Verbindung
gelöst und er ist in zwei Teile zer-
fallen (Hüg. I, Grab 12). Sieben dünne
Bronzedraht-Ringchen , welche auch
diesem Grabe angehören, mögen Teile
einer kleinen Kette gewesen sein.
Ein schwerer Beinring aus hellgrauer
Bronze, mit erkennbar erhöhten Guss-
kupferresten fand sich vereinzelt vor
(Hüg I, Grab 14^ mit ihm ein Stück-
chen des Wadenbeines; offenbar war
durch die Forstkultur die obere Schichte
des Hügels schon gestört worden. Eben-
so fand sich vereinzelt ein Bronze-
Halsring (0,13^'2 cm Dm.), an welchem
als einziger Rest des Skelettes ein
Stückchen der Kinnlade haftete, wel-
ches sich mit dem Grünspan verbunden
hatte, so auch einige der Zähne und
Stückchen der Halswirbel, welche der
Ring berührt hatte (Hüg. I, Grab 2).
Isoliert fand sich gleichfalls eine Fibel
aus Bronzedraht, deren Rücken aus
sechs neben einander liegenden Kreisen
gebogen war und sich in zwei weite-
ren Kreisbiegungen in die Nadel fort-
setzte (Hüg. I, Grab 3).
Neben diesen Bronzefunden sind die
in dieser oberen Schichte gefundenen
Gefässe von grossem Interesse, ob-
gleich sie weit hinter dem beschrie-
benen schwarzen der Brandgräber zu-
rückstehen, auch aus freier Hand ge-
macht sind. In erster Linie ist eine
Urne von 0,17 cm in ihrer oberen
Öffnung zu erwähnen. Ihre Form ist
sehr einfach: unter einem etwas vor-
springenden Rande baucht sie sich
stark aus, veijüngt sich aber wieder
sehr rasch nach unten. Sie besteht
aus schwärzlicher, grober Masse, wel-
che jedoch innen wie aussen mit einer
dünnen gelblichen Thonschichte über-
zogen ist. Der Rand der Urne ist
vermittelst Graphit geschwärzt und der
obere Teil der Bauchung mit roter
Farbe bedeckt, welche mit eingebrannt
worden ist. Dieser breite rote Streifen
ist durch Rauten, welche sich an ihren
Spitzen berühren, verziert und diese
Rauten sind mit Eindrücken eines Holzes
ganz ausgefüllt, dessen Spitze wiederum
rautenförmig abgeflacht war. Dieser rote
Streifen ist oben und unten durch ähn-
liche Eindrücke mit Borten versehen, und
wir haben somit ein reich entwickeltes
dekoratives System in Form und Farbe
vor uns. In dieser Urne befand sich
ein aus graulichgelbem Thon geform-
tes kleines, unten spitz ausgehendes,
becherartiges Gefäss, welches man wohl
als Trinkbecher bezeichnen kann (Hüg. I,
Grab 1). Mehrfach fanden sich noch
Scherben solcher Becher vor, die, wie
es scheint, unter den Beigaben nicht
fehlen durften ; auch fand sich ein Ring
aus grauem Thon, dessen Zweck war,
die untere Spitze des Bechers aufzu-
nehmen und dadurch das Feststehen
desselben zu ermöglichen. Eine dem
Stoffe nach ganz gleiche, doch kleinere
und nur wenig verzierte Urne, welche
gleichfalls von aussen rot bemalt war,
fand sich in einer anderen Grabstätte
(Hüg. I, Grab 5) mit jener grösseren
unverzierten aus dem gleichen Stoffe,
welche aber auf der Aussenseite nicht
rot sondern schwarz gefärbt war. Noch
gehörten zu diesem Grabe fünf bauchige
Schüsseln von 0,23 cm Dm., welche
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258
Museographie.
schräg aufrecht stehend, an einander
gelehnt gefunden wurden. In eine der-
selben war ein eisernes Messer von
geschwungener .Form gelegt, dessen
Heft verwittert war. Alle diese Schüs-
seln sind aus der erwähnten schwarzen
Erde geformt, welche beiderseitig mit
einer Schichte gelben Thones über-
zogen zu sein scheint, wenn dies nicht
etwa die Folge des Brennens ist ; alle
sind aussen und innen mit einem zoll-
breiten schwarzen Graphitrand ver-
sehen; drei derselben sind ausserdem
aber im Innern noch mit einem breiten
Graphitkreuz verziert, dessen Arme
von dem schmalen runden Boden aus-
gehend sich bis zu dem Schüsselrand
hin verbreitern. Ich habe schon auf
das mutmassliche Alter unserer Gräber
hingewiesen, damit nicht etwa der Ge-
daiSce entstehen könne, aus diesen
Kreuzen auf unsere christliche Aera
zu schliessen. Solche Kreuze in Schüs-
seln sind an den verschiedensten Orten
Deutschlands gefunden worden: z. B.
in der Niederlausitz, zwischen Ammer-
und Staffelsee und anderen weit aus-
einander liegenden Orten, so dass da-
durch die Gleichmässigkeit gewisser
Entwickelungsperioden über weit aus-
gedehnte Ländergebiete aufs Deut-
lichste festgestellt wird.
Noch in dem ersten grossen Hügel,
doch etwas westlicher gelegen, war ein
zweites Brandgrab nachzuweisen, und
zwar durch viele gebrannte Knochen-
reste und Bruchstücke von Gefässen
roher Beschaffenheit, teils aus grauem,
nur wenig gebranntem Thone, teils et-
was besser aus rötlichem Thone ge-
arbeitet und geschwärzt oder auch in
natürlicher Farbe belassen (Hüg. I,
Grab 9). Zu diesem Grabe gehören
auch viele Klumpen eines durchaus
mit Rost durchdrungenen Lehmes, und
es liegt die Vermutung nahe, dass die-
selben von dünnen Eisenplatten her-
rühren, welche man gegen das Ende
der jüngeren Hallstatt-Periode auf den
Boden der Lehmschichte eines Grabes
legte. Doch soll hiermit nicht mehr
als eine Vermutung ausgesprochen sein.
Der zweite mehr nach Niederrad zu
gelegene Hügel ergab ein unverletztes,
0,18 cm hohes, eigentümliches und ganz
vereinzelt dastehendes Gefäss aus gel-
bem Thone mit schwarzem Kern in
der Form einer sich nach unten ein-
ziehenden Vase, welche in der unteren
Hälfte sich wiederum ausbaucht. Es
ist auf seiner ganzen Aussenseite ver-
mittelst eines spitzen Instrumentes mit
Zickzacklinien verziert, welche Flecht-
werk nachahmen, so dass man sich als
Vorbild für diese Vase wohl ein Wei-
den- oder Binsen - Körbchen denken
kann. Dabei lag ein Steinbeil nebst
dem dazu gehörigen, schon stark aus-
gewetzten Schleifstein und ein Feuer-
steinmesserchen. Knochenreste wur-
den nicht gefunden, da keine Bronze-
zugaben Teile derselben imprägnieren
konnten (Hüg. U, Grab 5). Wie dieses
enthielt auch ein anderes Grab des-
selben Hügels eine bestattete Leiche,
denn es fanden sich mit vier dünnen,
aus Bronzedraht zusammengebogenen
Armringen einige Knoohenreste vor
und dabei eine Anzahl von kleinen
Bronze-Ovalen, deren rechts und links
umgebogene Enden als Nieten dienten,
vermittelst welcher sie auf Leder oder
Metall aufgesetzt worden waren. Die-
ses Grab war mit Steinen umlegt
(Hüg, II, Grab 3).
Einen reicheren Fund ergab der
dritte Hügel, in welchem ausser zwei
nicht sehr dicken Bronze - Beinringen,
welche durch das Tragen teilweise
schon dünner gewetzt waren, noch
fünf Gefässe gefunden wurden, d. h.
drei Schüsseln, ein Trinkbecher und
eine grosse, oben 0,26 cm weite, in
der Bauchung aber 0,39 cm haltende
Urne von einfacher Bimform mit kur-
zem, schräg nach aussen ragendem
Halse. Mit Ausnahme einer Schüssel,
welche aus «rrauem Thone geformt ist,
sind die anderen alle aus rötlich-gel-
bem Thone hergestellt, und nur die
grosse Urne ist von aussen geschwärzt
Auch sie ist mit der Hand geformt,
doch in sorgfältiger Weise (Hüg. III,
Grab 2).
Im vierten Grabhügel war ein Kin-
dergrab, umlegt von Steinen, deutlich
durch die Beigaben gekennzeichnet.
Sie bestehen in zwei Armringchen aus
ganz dünnem , zusammengebogenem
Bronzedraht und zwei etwas stärkeren,
zusaromengeschweissten oder gegosse-
nen Beinringen von 0,05 cm Dm. (Hüg.
IV, Grab 2). Ein anderes Grab des-
selben Hügels war mit einer Stein-
stückung bedeckt und ergab nur zwei
Zähne, die wahrscheinlich durch den
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259
Grünspan ^iner Bronzenadel mit Spi-
ralkopf grün gefärbt und erbalten wor-
den waren, und acbt Bemsteinperlen
verscbiedener Grösse, so dass wir bier
wohl ein Frauengrab annehmen müssen
(Hüg. IV, Grab 8). Auch in diesem
Hügel ist ein Brandgrab durch die
Knochenreste nachweisbar. (Hüg. IV,
Grab 7).
Die Abtragung einiger Hügel, welche
in die Strecke der Isenburger Wald-
bahn fallen, da wo der Welsche Weg
dieselbe kreuzt, ergab nur eine hübsche
Fibel, wie wir sie aus der La T^ne-
Periode kennen, aus Bronzedraht mit
einem durch Einkerbungen verzierten
Scblussstücke oder Bügelende von quad-
ratischem Durchschnitt, und einige
Bronzebügel von flacher Form, wahr-
scheinlich zu Fibeln gehörig. Doch
war dorten auch Leichenbestattung
nachweisbar.
Vergegenwärtigen wir. uns noch ein-
mal die verschiedenen Fundbestände,
d. h. einesteils die Brandgräber in der
tieferen Lage, die derselben ange-
hörigenvorzüglich geformten schwarzen
Gefi^se, die Bronze - Spirale und die
gewaltige Steinpackung ; und anderer-
seits in der oberen Lage und in den
unversehrten HügelnLeichenbestattung,
die mit Rot und Graphit bemalten,
doch etwas roheren Gefasse nebst weit
gewöhnlicheren, das Vorkommen der
Bronzefibel und das Auftreten des
Eisens in dem Messer (und eventuell
in den Eisenplatten), so dürfte sich
doch wohl die Schätzung als richtig
erweisen, dass die untere Schichte der
Grenze zwischen jüngerer Bronzezeit
und älterer Hallstattperiode angehört,
die obere Schichte aber ,und die an-
grenzenden Hügel in den Übergang der
älteren Hallstattperiode in die jüngere
zu setzen sind, also etwa in das 5. oder
4. Jahrb. vor unserer Zeitrechnung.
Noch bleibt es unaufgeklärt, welchen
Stammes die Bewohner unserer Gegend
waren, welche diese Grabhügel schich-
teten. Aber zwischen dem Erlöschen
dieser Kulturstufe und deijenigen, die
sich entwickelte, als die Römer in un-
serer Gegend festen Fuss gefasst hat-
ten, liegt noch eine gleichfalls hoch-
interessante Kulturperiode : es ist jene,
welche man mit dem Namen der La
Tfene-Periode bezeichnet, welche wir
auch bereits in unserer nächsten und
etwas entfernteren Umgebung Gelegen-
heit hatten, durch Funde kennen zu
lernen, und welche auch in unserem
Museum schon vertreten ist. Es ist
eine Periode, in welcher die Menschen
vorzugsweise Eisen verarbeiteten und
darin zu grosser Geschicklichkeit ge-
langt waren, während die Bronze sehr
zurücktritt. Namentlich zeigt sich dies
in den mächtigen Eisenschwertem,
die von einer feingearbeiteten Scheide
von Eisenblech mit Omamentierung
umhüllt sind, wie sie uns durch die
Funde in der Nähe der Ginnheimer
Landstrasse aus den Lehmgruben des
Herrn Hansel bekanntgeworden sind,
und wie sie sich auch in der Dieffen-
bach'schen Sammlung aus der Gegend
von Nauheim finden. Eine Eigentüm-
lichkeit dieser Bevölkerungen war es,
dass sie die Waffen im Feuer bogen
und unbrauchbar machten, bevor sie
dieselben dem Toten in sein Grab
legten.
Die nächstfolgende römische Pe-
riode unserer Gegend hat uns in die-
sem Jahre wenig geliefert; der Hed-
demheimer Boden, dem unser Museum
seine interessantesten und wertvollsten
Gegenstände verdankt, hat sich in
diesem Jahre, abgesehen von einigen
Kleinigkeiten, un^chtbar erwiesen.
Aus dem übrigen Zuwachs ist be-
sonders hervorzuheben ein mächtiger
fürstlicher Lehnsessel aus dem 17. Jahr-
hundert, reich geschnitzt, vergoldet
und mit rotem Lederüberzug versehen,
ein lebendiges Zeugnis des prunkvollen
Geschmackes jener Zeit; eine Truhe
mit reich geschnitzter Vorderseite und
geschnitzte Bauemstühle aus Mecklen-
burg und Hannover. Femer ein auf
das Sorgfältigste gearbeiteter Tisch mit
Schrankaufsatz, durch Zinneinlegungen
verziert, und ein Schiebladenschränk-
chen nebst zwei geflochtenen Rohr-
stühlen aus dem vergangenen Jahrh.
In erfreulichster, ja überraschender
Weise hat sich unsere Sammlung von
Porzellanen und Modellen der Höchster
Porzellanfabrik vermehrt, worauf der
Vorstand besonderen Wert legt, da
diese Fabrik, in unsrer nächsten Nähe
gelegen, ganz ausgezeichnete Künstler
beschäftigt hat. Der Verein selbst
kaufte eine allerliebste Biskuitböste,
eine Art Venuskopf, auch ein alle-
gorisches Figürchen aus weissem Por-
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260
Museographie.
zellan und einen kleinen, mit Blumen
bem<en Seidelkrug. Von Herrn An-
tiquar Alt mann erhielten wir ein sehr
hübsches Figürchen zum Geschenk und
ebenso von Herrn Z ais in Wiesbaden,
dem Herausgeber des schönen Werkes
über die Höchster Porzellan-Manufak-
tur, drei Gefässe und ein Figürchen.
Die städtische Kommission für Eunst-
u. Altertumsgegenstände kaufte gleich-
falls ein ausgezeichnet schönes Modell-
figürchen einer Venus mit Amor und
fünf allerliebste Biskuitgruppen , so
dass mit diesem Zuwachs zu dem schon
Vorhandenen die Sammlung bereits
eine ganz hervorragende Gruppe in
unserem Museum bildet. Überhaupt
ist unsere keramische Sammlung teils
durch Erwerbungen, teils durch Ge-
schenke in den Abteilungen der Ma-
joliken, Fayencen und Thonkrüge auf
das Erfreulichste vermehrt worden.
Auch die Sammlungen in Metallgegen-
ständen, Hausgerätschaften, Kostümen
und Stoffen hat mannigfache Bereiche-
rung erfahren. Unter den Stoffen
müssen wir ganz besonders ein höchst
interessantes Geschenk des Herrn
Sonnemann hervorheben, bestehend
in vier Stücken altägyptischer, aus den
Gräbern von Theben stammender Baum-
wollgewebe allerfeinster Gattung, un-
übertroffen durch unsere neuesten In-
dustrieen, und femer in zwei Gobelin-
Webereien koptischen Ursprungs.
Die Haupterwerbung unseres Ver-
eins in dem abgelaufenen Vereinsjahre
bestand aber, wie schon Eingangs er-
wl^t, in einer Sammlung von Initialen
aus dem 13. bis zum 17. Jahrhundert,
welche Herr Maler Peter Becker im
Verlaufe vieler Jahre mit grosser Sach-
kenntnis gesammelt hatte und welche
der Verein für die Summe von lÖOO
Mark angekauft hatte. Sie enthält eine
grosse Anzahl von Initialen auf Perga-
ment gemalt, welche alten Handschrif-
ten entnommen sind, zum Teil mit
figürlichen Darstellungen und mit Tei-
len der zugehörigen Schrift; sodann,
mit der Entstehung der Buchdrucker-
konst beginnend, Drucke, in welchen
die Initialen und Randverzierungen wie
in den alten Handschriften in Malerei
ausgeführt sind; sodann Drucke, in
welchen auch die Verzierungen in Holz-
schnitt mit eingedruckt und dann ko-
loriert wurden, und schliesslich eine
Anzahl von Blätter, in welchen auch
die Initialen nur in schwarz oder rot
gedruckt sind mit gänzlichem Verzicht
auf farbige Behandlung. Unter den
Pergament - Initialen sind namentlich
hervorzuheben : 16 romanische Initialen
aus dem Anfange des 13. Jahrhunderts,
welche kleine figürliche Darstellungen
enthalten, wie z. B. die Enthauptung
Johannis und die Salbung der Füsse
Christi. Die Initialen selbst sind lüs
vielfache bandartige Verschlingungen
mit roten Umrissen behandelt; die
Schrift selbst trägt noch den Charakter
der runden, lateinischen Formen.
1 grosser Initiale, deutsch - roma-
nisch, aus dem Anfange des 13. Jahr-
hunderts, behandelt wie die vorher-
gehenden, unten in eine Tierfigur en-
dend; die lateinischen Formen der
Schriift beginnen hier bereits den ecki-
gen Charakter der späteren sogenann-
ten gothischen Schrift anzunehmen.
3 grosse Pergamentblätter, italien-
ische Arbeit, welche den Übergang
der romanischen Ornamentik in die
§ ethische zeigen, was sich namentlich
adurch kennzeichnet, dass der Initiale
selbst, welcher in der romanischen
Periode eine in sich abgeschlossene
Form darstellte, hier bereits mit Li-
nienwerk und Ausläufern umgeben ist,
während sich in der gothischen Periode
der Initiale selbst in Ornamente ver-
läuft, an welche sich, zum Teil auch
in Form von Randverzierung und Rand-
leisten, eine weitere reiche Omamen-
tierung anschliesst
9 Initialen mit starkem Goldauftrag
und bunten Farben, noch in kompak-
ten Formen, romanisch - gothisch, 13.
Jahrhundert.
1 grosser Initiale, weiss auf blauem
Grund, mit beginnender Ausladung,
Mitte des 13. Jahrhunderts.
17 kleinere frühgothische Initialen
ohne Gold, Ende des 13. Jahrhunderts.
4 sehr schöne grosse gothische Ini-
tialen mit Goldauflage, stilvoll schönes
buntes Blattwerk einschliessend, 14.
Jahrhundert.
17 herrliche grosse Initialen, leicht
koloriert, ohne Gold, mit schön aus-
geführtem Blattwerk, Anfang des 15.
Jahrhunderts.
1 Burgundische Miniature, die Ver-
kündigung der Hirten auf dem Felde
darstellend, ganz umgeben von einer
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Museographie.
261
Einfassung feinsten, zierlichsten, bunten
Rankenwerkes mit Gold, Anfang des
15. Jahrhunderts.
1 grosses Blatt von vielfarbigem
Rankenwerk in grossen Formen um-
geben. Deutsch, 15. Jahrhundert.
4 grosse Blätter, deren Initialen mit
prachtvoll italienischen Renaissance-
Blattwerk geschmückt sind, 15. Jahr-
hundert.
6 Stück aufs Feinste ausgefiihrte
Randleisten auf Goldgrund, Blumen
und stilvolles Rankenwerk darstellend;
kölnische Arbeit vom Ende des 15.
Jahrhunderts. Aus dem gleichen Ori-
ginalwerke stammend bat unser Ver-
ein schon in früheren Jahren einige
Blätter angekauft, so dass diese Ver-
vollständigung eine ganz unerwartete
gewesen ist.
Hieran reihen sich nun die erwähn-
ten gemalten Randverzierungen aus der
ersten Zeit des Buchdruckes, also aus
der zweiten Hälfte des 15. Jahrhun-
derts: 1 Blatt, gedruckt von Kolinger
1481, mit gemaltem Initialen und Laub-
werk; desgleichen noch verschiedene
ähnlicher Art Ganz besonders schön
ist ein Blatt von 1474, bei welchem
sowohl der Initiale als zwei Ränder
des grossen Blattes mit Rankenwerk
und Figuren ganz in Holz geschnitten
umgeben und dann leicht koloriert sind.
Von da ab verschwinden nach und nach
die kolorierten Initialen ganz, um in
den gewöhnlichen Buchdruck mit roten
und schwarzen Initialen überzugeben,
welche bald in die bekannten geschnör-
kelten Alphabete des 16. und 17. Jahr-
hunderts ausarten. Vom Jahre 1499
finden wir ein Blatt Initialen in Holz-
schnitt mit biblischen Figuren, welche
in Augsburg bei Erhard Rutdolt ge-
druckt sind; von 1520 ein aus der
Druckerei des Johannes Frobenius in
Basel hervorgegangenes Blatt mit Holz-
schnitt-Initialen, welche nur in schwarz
mit Kinder- und Tierfiguren verziert
sind. Auch aus dem 16. und 17. Jahr-
hundert erhält unsere Sammlung inter-
essante Beiträge, so dass in derselben
ein vollständiges Bild dieses Eunst-
zweiges von seinen frühesten Anfängen
bis zu seinem gänzlichen Erlöschen
und dem Übergang in unseren modernen
Buchdruck gegeben ist, welcher sich
bemüht, an die aufgegebene Kunst
wieder anzuknüpfen.
Über diesen Ankauf, wie über die
prähistorische Bereicherung unseres
Museums hielt^ ich es für angezeigt,
Ihnen ausführlicher zu berichten, da uns
der Raummangel verbietet, diese Samm-
lungen jetzt schon dem Publikum durch
Aufteilung zur Anschauung zu bringen.
Aber ich darf auch hinzufügen, dass
die Aussichten auf endliche Abhülfe
dieses Missstandes ihrer Verwirklich-
ung immer näher rücken. Bald wird
nämlich das Justizgebäude vollendet
sein und damit das Leinwandhaus frei
werden. Es trifft sich glücklich, dass
gerade dieses Gebäude, welches eine
Hauptzierde unserer Stadt, ein unter
den Profanbauten der Gothik von allen
Kennern bewundertes Werk ist, unse-
rem Museum so nahe liegt, dass es
leicht mit demselben zu verbinden ist
und, zweckentsprechend hergestellt und
von den angeklebten schlechten Bauten
beft*eit, den Bedürfnissen unseres Mu-
seums gerecht gemacht und zugleich
ein neuer Schmuck jenes interessanten
Stadtteiles werden kann. Wir glauben
uns in der Hoffnung nicht zu täuschen,
dass sowohl Magistrat als Stadtver-
ordnete gerne unserem Museum, wel-
ches sich in der kurzen Zeit seines
Daseins nicht nur in lebhaftestem Grade
die Gunst unserer Mitbürger, sondern
auch die Aufmerksamkeit des Aus-
landes erworben hat, die Möglichkeit
zu seiner Weiterentwicklung gewähren
werden, denn der jetzige Zustand der
Überfüllung ist auf die Dauer uner-
träglich.
(Nach dem 12. Jahresbericht des
Vereins f. d. h. Mus., abgefasst von
Otto Donner-von Richter.)
Frankfurt, Sammlung des Herrn Dr. 53a
Hammeran I S. 267.
Frankfurt, Sammlung des Herrn Carl 53b
Anton Milan! I S. 267.
ROdeltheim, Sammlung des Grafen 54
Solm-ROdeltheim U.
Homburg, Saalburgmuteum I S. 523,55
II, in, IV, VI, VII.
Unter den in letzter Zeit auf der
Saalburg ausgegrabenen Eisensachen
sind diejenigen von besonderem Inter-
esse, die wir auf Taf. 14 in natür-
licher Grösse dargestellt haben:
Fig. 1. Ein eisernes Rollengesteü
mit Schraube, letztere ist eingefeilt,
fenau wie noch im Anfang unseres
ahrhunderts die Schrauben hergestellt
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262
Museographie.
wurden. Die Vorrichtung zum An-
schrauben in Holz mag zum Aufhän-
gen einer Lampe oder dergl. gedient
haben.
Fig. 2. Stempel znm Einbrennen
von Buchstaben in Holz oder zum
Zeichnen von Vieh. Es ist möglich,
dass an dem zweiten Buchstaben, der
als C erscheint, ein Stück abgebrochen
ist, wodurch derselbe als zu lesen
wäre, was A ergeben würde.
Fig. 3. Ein Vorreiber für einen
Laden oder eine Thüre, wie sich solche
jetzt noch vielfach im Gebrauch be-
finden.
Fig. 4. Eine Schere; sie ist in
Form und Qrösse fast genau wie die
Scheren der Blechschmiede, auch ist
dies interessante Fundstück unseren
Rosenscheren ähnlich.
56 Wiesbaden, Museum fOr AltertOmer
I 8. 267, H— VH.
Werkzeuge mit sehr altertümlichen
Töpfereien u. das Gehörn des Bos primi-
genius erhielten wir aus Bierstadt. Jene
keramischen Erzeugnisse sind älter
und doch feiner und genauer als die
aus unseren Hügelgräbern, sie sind
in jedem Scherben auf bewahrens wert.
Auch bei den Easinobauten fanden
sich Töpfereien, die vielleicht noch
über die Hügelgräberzeit — in die
der Pfahlbauten hinaufreichen da sich
dazwischen ausser dem Unio sinuatus
auch die Unterkiefer des Torfschweins
finden..
Ein hübsches Chloromelanit-Beil em-
pfingen wir aus Münster, in dessen Wald
wir einer Ausgrabung durch Herrn von
Reinach assistierten; dieselbe brachte
nur Geringes und Bekanntes.
Im Gemeindewalde von Heckholz-
hausen haben wir im Distrikt Pfuhl
mehrere Grabhügel untersucht und
Thon-, Bronze- und Eisengegenstände
gefunden, darunter ein Langschwert,
mehrfach zusammengefalten, wie man
es in der Wetterau den Chatten glaubt
zuschreiben zu können.
Ein Halsring, in dessen Näpfchen
roter Schmelz wie in denen einer
Gürtelschliesse mit pferdekopfartigem
Haken sass, ein geperlter Armring
und ein geschweiftes Bronzemesser
kamen uns aus Rheinhessen zu und
zählen zu den der La Täne- Periode
angehörigen Dingen.
Aus römischer Zeit waren die
Erwerbungen nicht eben reichlich:
sieben Thonlampen mit Reliefs, da-
von zwei mit dem Töpferstempel
COMVNI und AVITVS. Den letz-
teren Namen und MARIN VS fanden
wir auch auf zwei Terra - sigillata-
Scherben. A us Köln 4 hübsche schwarze
Puppengeschirre. Aus dem Maifeld,
was leider nur allzu spekulativ aus-
gebeutet wird, empfingen wir eine
schwarze Thonflache mit darüber ge-
stülptem Becher; eine Kanne von rotem
Thon mit weissen Tupfen; von Glas
einen Kelch auf hohem Fuss, der erste
dieser Art, den wir besitzen; eine
viereckige Flasche und eine Bowle;
von Bronze einen Zügelring mit seiner
üblichen Befestigung auf dem Kummet;
von Terracotta eine Hühnerhofscene
und einen misslungenen Glasierungs-
versuch an einem kleinen Fläschchen.
Wir haben hier noch nachzuholen
ein ägyptisches Alabastron (Balsam-
flasche) von blauem Glas, gelb ge-
würfelt, und ein grünglasiertes Votiv-
plättchen, auf welchem der schakal-
köpfige Anubis gelb bemalte Augen
hat. Aus Terracotta ein kleines Akro-
terion von Paestum und zwei Tanagra-
Köpfchen.
Aus fränkischen Gräbern bei Brau-
bach, aus denen wir zur Zeit des Eisen-
bahnbaues 1860 Waffen und Schmuck-
sachen empfangen hatten, empfingen wir
jetzt ein dazu gehöriges gelbes ge-
ripptes Trinkglas.
Nicht ohne Interesse sind zwei Paar
Gürtelbeschläge in Form bärenartiger
Schnabeltiere, dann solche von silber-
plattierter Bronze, als Beispiele dieser
Technik, verschiedene Riembeschläge,
ein silberner Ohrring und zwei goldene,
mit nachgeahmtem Filigran verziert,
eine grosse Zierscheibe und eine runde
Fibula von Nackenheim. Von eben
daher eine Gürtelkette, wie sie die
fränkischen Frauen trugen, daran hän-
gend zwei Hirschhaken, eine aus einer
römischen Grünsteinplatte rund herge-
richtete u seitlich durchbohrte Scheibe,
und zwei Thonperlen nebst einem aus
Marmor gedrechselten Ringe, aus Fran-
kengräbem auf dem Maifelde spät-
römische Kupfermt'mzen.
Die Zeit des Mittelalters und der
darauf folgenden Jahrhunderte ist ver-
treten durch einige Geräte und meh»
rere Töpfereien.
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Museographie.
263
Ein für uns besonders merkwürdiges
Stück ist ein Sporn des Kaisers Adolf
— wenigstens spricht nichts dagegen
und manches dafür. Seine Form ist
die vom Ende des 13. Jahrhunderts, er
ist auf dem Schlachtfelde vor Gollheim
in der Erde gefunden. Er ist vergol-
det und es ist bekannt, dass der Kaiser
im Gegensatze zu seinen Gegnern in gol-
dener Rüstung kämpfte und fiel. Ein
etwa 100 Jahre jüngerer Sporn wurde
beim Kanalbau in Wiesbaden gefun-
den. Eine Partisane von der Dannen-
felser Mühle. Renaissance- Wandplatte,
die sich bei zwei Skeletten im Baue
der Markt- und Kirchgassenecke fand.
Für die Geschichte des Thongewerbes
sind zwei Steinzeugtöpfe von Interesse,
sie tragen den Chanücter des frühen
Mittelalters, und dadurch dass sie beim
Brand verdorben sind, sind sie für uns
um so wertvoller: — sie zeigen, dass
sie nie in den Handel gekommen, d. h. in
Marienthal, früher Aulhausen, gemacht
worden sind.
Eine der ausgezeichnetsten Porzel-
lanfabriken war die 1740 gegründete
von Höchst am Main und es ist inter-
essant ihre Erzeugnisse mit den an-
deren früher und später ins Leben ge-
tretenen Porzellan- und Fayencefa-
briken zu vergleichen. Wir besitzen
der namhaftesten Marken etwa 13 in
PorzeUan und 7 in Fayence.
Gemalte Trinkgläser mit Wappen ans
dem 17. Jahrhundert.
Ein Topf aus dem Walde von Schrez-
heim bei Ellwangen zur Bereitung des
Urnenharzes.
Byzantinisches, jedenfalls slavisches
Oelgemälde der heiligen Maria, um-
geben von sechs Heiligen; überall
zeigen sie nur die Gesichter, während
Kleidung und Hintergrund von einer
beweglichen, getriebenen Silberplatte
bededct sind ; femer zwei Reliquiarien
mit feiner, weiblicher Klosterarbeit, so-
wie ein anderes in Form eines Kruzi-
fixes von gutem, derbem Holzschnitz-
werk.
Authentisch beglaubigter Gypsabguss
von dem Schädel des Philosophen Kant.
Für unser ethnographisches
Museum empfingen wir einen Dolch
mit trefflicher Lederarbeit an Griff
und Scheide, ein eigentümliches Ge-
webe und einen Pfeil.
Einen Wasserkühler (Gulle) aus Nil-
thon und eine Betschnur gleichfalls
aus Aegypten.
Ein merovingischer Triens von Gold
und vier spätrömische Kupfermünzen
fanden sich in fränkischen Gräbern des
Maifeldes.
(Nach einem Bericht des Konserva-
tors Oberst von Cohausen im Rhein.
Kurier.)
Wiesbaden, Sammlung des Herrn A. 56a
Demmin.
Wiesbaden, MDnzsammlung des Herrn 56b
Polizeirat HOhn UI.
Wiesbaden, MOnzsammlung des Herrn 56c
J. Isenbeck UI
Wiesbaden, Sammlung des Hm. E. Zais 56d
in.
Oberlahnstein, AKertumsverein I S. 523, 57
II, in, IV.
Speier, Museum I S. 260, II, in, IV 58
s. 204^ V— vn.
I. Unternehmungen: a) Aufdeckung
römischer Gebäudeanlagen in den Heiz-
wiesen bei Bliesdalheim, worüber von
einem Grundriss begleiteter Bericht im
Xin. Hefte der „Mitteilungen des histo-
rischeu Vereins der Pfalz« S. 192 ff.
erstattet worden. — b) Ausgrabungen
auf der Heiden bürg bei Kreimbach,
einem spätrömischen Refugium, ähnlich
den Heidenburgen bei Waldfischbach
und Oberstaufenbach. Einen Bericht
über die bisherigen Ergebnisse der von
Dr. Mehlis geleiteten Ausgrabungen
wird das nächste Heft der Verems-
mitteilungen enthalten.
II. Zuwachs: a) An prähistori-
schen Altertümern. Ausser einem
in Berghausen gefundenen Steinmeissel
aus grauem Material nennen wir vor
allem ein prachtvolles Feuersteinmesser
mit doppelter haarscharfer Schneide
in drei Bruchstücken, von denen die
zwei zusammengehörigen 11 cm lang
und 2,5 cm breit sind, das dritte eine
Länge von 5,5 cm und eine Breite von
3,5 cm hat, während zwischen diesem
und den beiden anderen Stücken noch
ein grösseres Bruchstück fehlt, ebenso
wie die Spitze teilweise abgebrochen
ist. Gefunden auf dem Pionierübungs-
platz bei Speier. — Aus Nanzdiezweiler
am Glan stammen 27 — 30 Bronzeringe,
worunter ein vollständiger und ein zer-
brochener Halsreif, sowie zwei massive
unverzierte und ein zerbrochener ver-
zierter Fussreif, das Übrige meist
offene und durch Einschnitte verziert^
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264
Museographie.
Armreife. Dr. Mehlis, der an der
Fundstelle weitergrub und vier Ringe,
Ringfragmente und Scherben fand, kon-
statierte das Vorhandensein eines Grab-
gewölbes aus der Bronzezeit ca. 1000
V. Chr. — An der bekannten Fund-
stelle in Leimersheim kamen weiter
zum Vorschein ein dünner Halsreif, ein
ebensolcher Fussreif und zwei Arm-
reife mit petschaftähnlichen Schluss-
knöpfen. In denen des Halsreifes be-
finden sich an der oberen Seite kleine
Löcher; ebenso ist die dahinter be-
findliche, gleichfalls knopfartige Ver-
dickung in der Richtung der Senkrech-
ten von zwei grossen durchgehenden
Löchern, in wagrechter Richtung von
einem bis in die Mitte gehenden durch-
bohrt. — Schönes Eisenschwert der
la Töne-Zeit, nach Form und Grösse
(69 cm lang, wovon 16 cm auf die
Griffzunge entfallen, bei 5 cm Breite)
einem römischen Gladius sich nähernd,
von der pfälzisch - hessischen Grenze,
b) An römischen Altertümern.
Die bereits im Frühjahr 1887 in einem
verschütteten römischen Steinbruche
bei Breitfurt im Bliesthale aufgedeck-
ten^ beiden bossierten römischen Rei-
terstatuen von 2,50 m Länge und
2,65 m Höhe, wohl die grössten römi-
schen Skulpturwerke diesseits der
Alpen, wurden während des abgelaufe-
nen Jahres nach Speier überfuhrt und
vor dem Ost-Portale des Museumsgebäu-
des aufgerichtet. Siehe die photolitho-
grapbische Abbildung der einen der
beiden Statuen im XUL Hefte der Ver-
einsmitteilungen. Ebendaher stammt
ein Bossierhammer von 12 cm Länge
und 6 cm geringster Breite und Höhe.
— Von der Heidenburg bei Kreim-
bach rühren vermutlich zwei römische
Denksteine, wovon der eine mit der Dar-
stellung eines Centauren geschmückte
bisher an der Strasse zwischen Karl-
bach und Rutsweiler eingemauert, der
andere mit einem Brustbild versehene
in eine Gartenmauer in Rossbach ein-
gelassen war. — Vier kleinere Urnen
und drei Teller oder Untersätze, so-
wie eine schöne graue Urne von 28 cm
Höhe und 85 cm Umfang nebst einem
als Deckel dienenden ziemlich tiefen
Teller aus schwarzem Thon wurden in
Speier gefunden, ebenso eine verzierte
Patera aus terra sigillata mit dem
Stempel RESTITVTVS und andere
Stempel wie AVITVS F, CABIA . . . . ,
CERIALISF, lASSVS F, IVLIANVS,
TER'F u. s. w. — In Mechtersheim
wurden auf dem Hochufer des Rheines
mehrere (4 — ö) Gräber aufgedeckt,
welche aus je 4 römischen Falzziegeln
bestanden, die um einen wagrecht ge-
legten Ziegel gestellt und von einem
ebensolchen überdeckt waren. Im
Innern dieser Gräber befanden sich
ausser Klumpen geschmolzenen Glases,
Eisenteilen u. dgl. sechs Aschenkrüge
von gewöhnlicher Form, ein Grablämp-
chen, eine Schale mit hohem Fuss,
sowie 5 kleinere samische Gefösse
(Schale, Becher und B Schüsselchen),
wovon zwei mit den Stempeln BORLF
und VERECVND • F und ein 14 cm
hohes und 29 cm im Umfange messen-
des viereckiges Glas mit niedrigem
Hals und breitem, rechtwinklig ge-
bogenem Henkel. — Die Ausgrabungen
auf den Heizwiesen bei Bliesdalheim
lieferten ausser den gewöhnlichen Glas-
und Thonscherben, Eisenfragmenten,
Stücken von farbigem Wandverputz,
kleinen Bronzemünzen u. s. w. keine
besonderen Fundresultate; nur 5 meist
zierlich geformte beinerne Nadeln und
eine flache, auf der Oberfläche orna-
mentierte und in der Mitte mit einem
Loche versehene beinerne Scheibe von
4 cm Dm. verdienen hervorgehoben
zu werden. — Dagegen brachte ein
seltenes Fundstück der Zufall in Eisen-
berg zu Tage in Gestalt eines Deichsel-
kopfes aus Bronze von 22 cm Länge,
der am vorderen Ende in zwei lang
vorgestreckte, nach entgegengesetzten
Richtungen gewandte Basiliskenköpfe
sich teilt.
c) An Gegenständen des Mit-
telalters und der neueren Zeit
In dieser Abteilung war es wieder vor-
zugsweise das Münzkabinet, das zahl-
reiche wertvolle Bereicherungen er-
hielt, so aus dem vom Unterzeichneten
in den „Mitteilungen der bayerischen
numismatischen Gesellschaft für 1888",
S. 7—54 beschriebenen, aus 435 Gold-
und 129 Silbermünzen des Mittelalters
bestehenden Dirmsteiner Funde 5 sel-
tene pfalzische Gold- und 3 Silber-
münzen, eine Sammlung von 118 im
Bliesthale gefundenen Münzen, von
Augustus bis Magnus Maximus reichend,
und 84 neuere Münzen und Medaillen,
Geschenk des Herrn Bezirksamts-
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Museographie.
265
assessor Loxenburger, nunmehr in
Schweinfort, ferner von besonders kost-
baren Stücken ein 65,5 mm im Dm.
grosses silbernes Medaillon des Speier er
Bischofs Damian Hugo von 1719, zwei
Medaillen auf die Vermählung der
Eleonore Magdalena von der Pfalz
mit Kaiser Leopold I. 1677, einen Du-
katen von Karl II. von Pfalz - Zwei-
brücken von 1788, eine noch unedierte
Medaille auf die Einnahme Landaus
durch den römischen König Joseph
1702, eine Notkiippe aus derselben
Belagerung mit dem Wappen Melacs
und der Wertbezeichnung iiii LIVRE
4 (Sous) u. s. w. — Auch die Kupfer-
stichsammlung wurde erheblich ver-
mehrt, namentlich durch Erwerbung
einer Reihe von Ansichten, Plänen und
Flugblättern, welche auf die Belage-
rungen von Frankenthal im dreissig-
jährigen Kriege und diejenigen von
Philippsburg und Landau in den Krie-
gen Ludwigs XIV. sich beziehen. Auch
eine grosse kolorierte Ansicht der
Stadt Speier von der Domseite aus
der Mitte des 16. Jahrb., die älteste
bis jetzt bekannte, und verschiedene
seltene Portraits wie die des Speierer
Bischofs Eberhard von Dienheim (1581
bis 1610) gehören hielier.
(Dr. W. Harster.)
69 DOrkheim, Sammlung der anthropologi-
schen Section der Polllchia I S. 261, IL
60 [DOrkheim, Sammlung der Frau L Fitz'
WRtwe II.]
61 [ODrkheim, Sammlung des Hrn. Ober-
fffrtter Lindemann IL]
62 [Herzberg, Sammlung des Hm. Pfarrer
Herzog IL]
63 [GrOnttadt, Sammlung des Hm. Lehrer
Trott II.]
64 [Frankenthal, Sammlung IL]
65 DOrkheim, Sammlung des Altertumtver-
eint 1 8. 260.
Über den letztjährigen Zuwachs vgl.
Westd. Korrbl. VII, 72, 86, 155 ; VIII, 54.
66 DOrkheim, Sammlung des Hrn. J. Gemt-
heim I S. 261.
67 Worms, Paulus - Museum I S. 261,
II-VII.
Von Mitte 1888 bis Mitte 1889. 1. Un-
ternehmungen: a) Ausgrabung fränki-
scher Qrabfelder in Gunders-
heim, Mörstadt und Flomborn.
In Gundersheim wurden die Untersu-
chungen auch in diesem Jahre fortge-
setzt und auf einem Grundstück noch
11 Gräber, darunter 3 unversehrte, auf-
gedeckt. Von den letzteren war nur das
erste mit Beigaben ausgestattet, unter
welchen eine Bronzeschüssel und ein
Glasfläschcben von seltener Form, abgeb.
Tat. 3 Nr. 4, besonders bemerkens-
wert sind. Im Ganzen wurden bis jetzt
69 unversehrte und 107 zerstörte Grä-
ber aufgedeckt. In Mörstadt wurde
die Untersuchung ebenfalls weiter fort-
gesetzt und wurden dort 8 unversehrte
und viele zerstörte Gräber angetroffen.
Auf dem neu entdeckten Grabfelde
von Flomborn dagegen wurden 76 un-
versehrte, zum Teil mit sehr reichen
Beigaben ausgestattete Gräber und nur
21 zerstörte bis jetzt aufgefunden.
b) Untersuchung einer Stelle an der
Rheinstrasse (Gemarkung H e r r n s -
heim) nach röm. Gräbern, wo die
im vorigen Jahresberichte erwähnte
grosse Glasflasche aufgefunden wurde.
Es wurden jedoch in unmittelbarer
Nähe des Fundplatzes keine weiteren
Gräber mehr entdeckt.
c) Ausgrabung eines Teiles des nörd-
lichen Römerfriedhofes in der
Mainzerstrasse vor deren Pflaste-
rung. Es wurden 7 Aschenbestattungen
in Aschenkisten, Urnen und Ziegel-
kisten gefunden, bestehend in 4 Aschen-
umen, 8 Krügen, 4 Lampen, 1 Glas
und 2 Bechern aus Thon.
d) Untersuchung röm. Strassen-
züge in Worms. Bei den Kanali-
sations- und Wasserleitungsarbeiten
wurden auch in diesem Jahre an vie-
len Stellen röm. Strassenkörper bloss-
gelegt und ausser den im vorigen Jah-
resbericht erwähnten Strassen wieder
7 neue aufgefunden, so dass bereits
ein ganzes Netz von Strassen, etwa
16—16, innerhalb der Stadt nachge-
wiesen werden konnte.
e) Untersuchung röm. Gebäude-
reste in Worms. Bei den vorhin
erwähnten Arbeiten wurden auch viele
Gebäudereste aufgefunden und ein-
gezeichnet.
f) Untersuchung einer Stelle in
Flonheim nach La T^ne-Gräbern.
Ausser einem zufällig gemachten schö-
nen Funde an dieser Stelle (siehe La
Tene-Periode) wurden keine weiteren
Gräber mehr entdeckt.
II. Zuwachs: a^ An praehistor.
Altertümern: 1) Steinzeit: Aus
Worms, Speiererstrasse, ein schöner
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266
Museographie.
Steinmeissel aus grünlicher Oesteins-
art; vom Weinsheimer Zollhaus
Bruchstück eines ebensolchen Meisseis;
aus Flomborn 2 durchbohrte Häm-
mer und 1 Steinmeissel ; aus D i n t e s-
heim 3 undurchbohrte Meissel; aus
Oberflursheim 2 durchbohrte Häm-
mer; aus Jugenheim (Rheinhessen)
10 Steinwerkzeuge aus schwarzem Kie-
selschiefer, darunter 1 durchbohrter
Hammer; aus Plan ig ein Feuerstein-
schaber; aus Bennhausenö undurch-
bohrte Steinbeile, darunter 1 Miniatur-
beil ; aus BOrrstadtl schwarzes Stein-
beilchen; aus Andernach mehrere
Feuersteinschaber; aus der Schweiz
2 paläolith. Steinmeissel (Spiennes)
und eine Collektion Steinwerkzeuge
aus dem Bodensee, darunter 1 kleines
mit Hornfassung, femer 1 Pfriemen
und 1 Spindel; aus Amerika (Ohio-
Mounds) 2 altindianische Silexpfeil-
spitzen und Topfscherben; aus Off-
stein, Leiselheim und Flomborn
je ein Handmühlstein.
2) Bronzezeit: Aus dem Rheine
bei Mainz ein schöner Fund, von
Hm. Major v. Heyl dem Museuro zum
Geschenk gemacht, bestehend aus ei-
nem schönen Schwert mit schilfblatt-
furmiger Klinge, abgeb. Taf. 4 Nr. 2,
einer Lanze, einer grossen Nadel mit
verziertem Kopf und einer Pfeilspitze
mit Widerhaken an der Tülle; aus
der Rasor'schen Sammlung (wahrschein-
lich Umgebung von Worms) ein schwerer,
massiver Bronzearmring mit kolbigen
Enden; aus Dromersheim ein Fund,
bestehend aus 7 grösseren und klei-
neren Gelassen, 1 Lanze und 1 Arm-
ring; vom Weinsheimer Zollhaus
1 Spindel aus Thon; aus Off st ein,
Leiselheim, Flonheim u. Stetten
Gefässscherben aus Trichtergruben.
3) Hallstätter Periode: Aus
einem Grabhügel im H agenauer
Walde 1 Oberarmring; aus Flom-
born 2 Fussringe; aus Bennhausen
1 Fuss- und 1 Armring.
4) La Tftne-Periode: Aus Flon-
heim ein Fund, bestehend aus zwei
schönen Drehscheibengefässen, einem
Krug und einer Ume (letztere genau
wie bei Lindenschmit A. u. h. V. Bd. I
Heft VL Taf. VI. Nr. 6), einem Seiher
aus Bronze mit mäanderartigem Muster,
abgeb. Taf. 3 Nr. 1, einem leicht ge-
krümmten Hackmesser mit Öse aus
Eisen, 40 cm lang, einer ringförmigen
Schnalle (sehr selten) aus Eisen, einer
Thonspindel, einem Glas- und 2 Bronze-
ringchen und dem Rest einer Spät-
La Täne-Fibel aus Bronze. Bei der
Bestattung lagen Fuss- und Kinnbacken-
knochen vom Schwein; aus Osthofen
Reste von Grabbeigaben, bestehend au9
geschmolzenen TeUen von blauen, grü-
nen und schwarzen Glasperlen, 2 grösse-
ren und 6 kleineren Bronzeringen, ^em
halben Armring, geschmolzenen Bronze-
stücken, einem zierlichen 11 cm h. Thon-
becher und Resten eines bauchigen
Kmges aus einem Grabe in der Nähe
des im Bericht von 1886 beschnebenen
Grabes; aus Wöllstein ein Gürtel-
haken aus Bronze von seltener Form ;
aus A r m s h e i m ein Halsring von Bronze
mit petschaftähnlichen Schlussknöpfen;
aus Gro SS Winter nheimeinegalliscbe
Münze(Regenbogenschüssel) ; ausT r i e r
eine solche aus Bronze.
b) An römischen Altertümern:
Die im Beginn der Main^erstrasse
beim Kanalbau gemachten Funde, be-
stehend in 24 Aschenumen, 12 Lämp-
chen zum Teil mit Stempel, 50 Krügen,
5 Tellem mit und ohne Stempel, 8
Gläsern, Nadeln, Fibeln und Münzen.
Die Bestattungen waren: 2 Steinsärge
(1 zerstört), 8 Aschenkisten aus Stein,
16 Ziegelkisten, 15 (Jmenbestattungen
in der blossen Erde und einmal eine
Bestattung in einem aus grossen Zie-
gelplatten dachförmig zusammengestell-
ten Raum, in welchem ein ausgestreck-
tes Skelett lag ohne Beigaben. Vom
und hinten war der Raum durch 2
ebenso grosse Platten geschlossen. Drei-
mal wurden bei den calcinierten Knochen
grosse Stücke wohlriechenden Harzes
gefunden, eines im Gewicht von 135
Gramm. — Einige Gefässe und ein
Lämpchen gef. im Beginn des Lieb*
frauenringes; das nördlichste bis
jetzt gefundene Grab. — Einige Gläser
von dem beim Bau des Kamines in der
Kunstwollfabrik gemachten Fund
herrührend. Gefunden wurden 8 ziem-
lich nahe beieinander stehende Stein-
särge, darunter 5 unversehrte. Unter
letzteren nur 2 mit Beigaben von Glä-
sern. — Von dem Grabfund an der
Ecke der Hermann- u. Schweden-
strasse (4 Steinsärge, von welchen 1
unversehrt, aber ohne Beigaben und 3
zerstörte Ziegelgräber) nur ein Ziegel-
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Museographie.
267
stock mit Stempel. 20 m nordöstl.
davon in der Hermannstrasse ein zer-
störter Sarg; das am n^eitesten nach
Osten gelegene Grab des nördl. Fried-
hofes. — Funde bei den Kanal- und
Wasserleitungsarbeiten in der Käm-
mererstrasse, bestehend in Gefäs-
sen, Sigillatastempeln, einigen Fibeln,
Münzen und Nadeln. Ferner wurde
ein Thürbeschwerer und der obere Teil
eine? Reitergrabsteines gefunden. Von
der schön gearbeiteten Skulptur sind
noch Kopf und Rücken des Pferdes
mit Reiter und der Lanzenträger er-
halten. Auf dem Markte und Neu-
markte wurden ebenfalls Nadeln, Ge-
fässbruchstücke und ein Leuchter aus
Thon gefunden. An der £cke der
Speyerer- u. Wollstrasse wurden
bei 3 m Tiefe grosse Säulenbasen und
Säulentrommeln gef. In der Speye-
rerstrasse ein Säulenstück und viel
bemalter Stuck, sowie Mühlsteine, Mün-
zen und Nadeln aus Bein. Femer
die aus je einem grossen Steine be-
stehenden vier Pfeiler der röm Holz-
brücke über den £isbach, von wel-
chen zwei erhalten wurden. In der
Andreasstrasse einige Gefässe, ein
kleiner Fingerring aus Gold und ein
Schlittschuh aus Pferdeknochen. In der
Petersstrasse ein schöner grosser
Intaglio. — Beim Bau des Gaswer-
kes wurden mehrere Nadeln, Hornin-
strumente, Münzen, farbiger Stuck, ein
aus Thon gebrannter fratzenhafter Kopf,
ähnlich den Fratzen der Gesichts-
umen, ein kleiner Pfau aus Bronze,
ferner 1 Mühl- und 1 Schleifstein, Heiz-
ruhren, Säulcnreste, viele Sigillatastem-
pel und Anderes gefunden. In der Tiefe
fand man auch 5 ziemlich dicht bei-
einander gelegene römische Brunnen,
in welchen noch Reste der Holzver-
schalung steckten ; einer war mit Back-
steinen ausgemauert. Ein noch erhal-
tener Vü m hoher Mauerkranz dessel-
ben wurde samt den Dauben der in
der Tiefe steckenden sogen. Bütte im
Museum aufgestellt. — Beim Ausgra-
ben der Hochstrasse wurden viele
röm. Reste gefunden. Es scheinen dort
Ziegelbrennereien bestanden zu haben,
denn Reste eines Brennofens fand man,
ausserdem eine Wasserleitung, be-
stehend aus 21 Stück ganzen und ei-
nigen zerbrochenen Thonröhren, jede
48 cm hoch und 11 cm weit, die in-
einander gesteckt und mit Letten ge-
dichtet waren. Eine andere Wasser-
leitung bestand aus zusammengesetz-
ten Hohlziegeln. Ferner wurden zwei
grosse Mühlsteine, wahrscheinlich zum
Zerreiben der Erde dienend, gefunden,
sowie verschiedene Gefässe von beson-
derer Form, unter welchen eine sehr
selten zu sein scheint Sie kam in 3
zerbrochenen Exemplaren vor. Es ist
ein sich ganz spitz veijüngendes, aussen
mit concentrischen Kreisen versehenes
Gefäss, das am Ausguss 2 kleine Henkel
trägt. Ob es unten in der Spitze offen
war, konnte nicht konstatiert werden,
abgeb. Taf. 3, Nr. 5. Aus der Rasor-
schen Sammlung verschiedene früher
gemachte Funde aus Worms. Aus dem
Rheine bei Mainz stammend und dem
Museum von Hm. Major v. Heyl ge-
schenkt ein prachtvoll erhaltener Gla-
dius mit Stichblatt und reich in durch-
brochener Arbeit verzierter Scheide.
Nur der Schlussknopf fehlt. Wurde
im röm.-germ. Central-Museum restau-
riert. Abgeb. Taf. 4, Nr. 3. — Vom
Weinsheimer Zollhaus ein mit
Knöpfen verzierter Bronzering eines
Pferdegeschirres. — Aus Dromers-
heim 4 Fibeln und 1 Intaglio. Aus
Planig eine Schnallenfibel, 1 Schlüs-
sel, 2 Anhänger, 1 Ring und Knöpfe.
Aus Siefersheim eine Melonenperle,
ein Mühlstein und ein Säulenfragment.
Aus Mettenheim mehrere Sigillata-
stempel u. Münzen. Aus Mainz eine
Sandalensohle mit Kappe. Aus Bonn
eine Kollektion von Sigillatastempeln.
Aus Köln 3 wertvolle Funde von Hm.
Freiherrn Heyl zu Hermsheim dem
Museum zum Geschenk gemacht: 1)
Ein grosses Glasgefäss mit Doppel hen-
keln und Deckel, abgeb. Taf. 5, Nr. 2 ;
zwei zierliche kleinere Gläser, das eine
abgeb. Taf. 5, Nr. 3, sowie eine grosse
Lampe von seltener Form, auf der
noch 2 kleinere Lämpchen angebracht
sind, abgeb. Taf. 5, Nr. 1, und 1 schön
verziertes Gefäss en barbotine. 2) Ein
merkwürdiger und seltener Fund, be-
stehend aus einer Kollektion aus Bern-
stein geschnitzter Gegenstände in einer
Aschenkiste gef. in der Luxemburger-
strasse, abgeb. Taf. 6, Nr. 1—12. Die
einzelnen Stücke sind : 2 Würfel (6) mit
einem Satz Spielsteine (6 Stück) in
Spindel form und durchbohrt (8). Ein
Stab, der aus 13 grösseren und kleineren.
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268
Museographie.
verschiedeo verzierten, auf einen Bron-
zestift gereihten cylinderförmigen Per-
len zusammengesetzt ist (4). Ausserdem
sitzen unten und in der Mitte 2 Scheib-
eben und oben 2 anders geformte
Perlen. Sie dienten wohl alle zum
Spiel, ähnlich wie die Spielsteine. Ein
Gegenstand in Form einer Panspfeife
(9) mit auf den Pfeifen steckenden
zierlich gedrehten Pfropfen, von wel-
chen noch 3 erhalten sind (10, 11).
Eine zierlich geschnitzte Muschel (1)
mit darin liegendem kleinen Löffelchen
(letzteres hat einen längeren Stiel als
in der Zeichnung (12) angegeben). Ein
messeräbnliches Instrument (7); dann
3 Früchte: wie es scheint einen Pa-
radiesapfel mit zierlich geschnitzten
Blättern (5), eine Feige (2) und eine
Dattel (3) darstellend. Wahrscheinlich
haben auch diese Stücke zum Spiele
gehört Der Fund soll später noch
eingehender behandelt werden. 3) Ein
Fund, bestehend aus zwei zierlich ge-
formten silbernen Löffeln, abgeb. Taf. 3,
Nr. 2 u. 3, beide mit Niello und auf der
Innenseite mit eingravierten Ornamenten
verziert, die bei dem einen Löffel zum
Teil vergoldet sind ; einer silbernen mit
Niello verzierten Armbrustfibel und ei-
nem silbernen Fingerring mit der Auf-
schrift HARM. Dabei soll eine Gold-
münze des Marc Aurel gelegen haben. —
Eine Anzahl röm. Skulpturen aus dem
Kreise Meisenheim, dem Museum
geschenkt von den Erben des verleb-
ten Medizinalrat Dr. Schaffner in Mei-
senheim: 1) Ein Yiergötteraltar mit
den Figuren der Juno, des Hercules,
des Apollo und der Diana oder Mi-
nerva. Der Sockel ist auch noch er-
halten, auf welchem der Altar auf-
recht stehend gefunden wurde. 2) Eine
mit tiefen Kanellierungen versehene
Säuientrommel, in welcher frei heraus-
gearbeitete Figuren stehen, abgeb. Taf. 7,
Nr. 2. 3) Der Torso einer Reiter- und
Gigantengruppe, abgeb. Taf. 7, Nr. 1.
4) Ein lorbeerbekränzter männlicher
Kopf mit eigenartiger, archaischer
Bartfrisur (Imperator?) einer über-
lebensgrossen Statue oder Büste, aus
rauem Sandstein mit grossem Geschick
gehauen. Vorzüglicher Ausdruck des
Gesichts, abgeb. Taf. 8, Nr. 1. ö) Eine
Maske aus Sandstein mit spitzen Ohren
und aufgesperrtem Munde (Pan ?), ab-
geb. Taf. 8, Nr. 2. 6) Ein kleiner Haus-
altar aus Sandstein mit einer stehen-
den männlichen Figur (Mercur?), ab-
geb. Taf. 4, Nr. 1. 7) Eine Säulenbasis
aus gelblichem Sandstein. Sämtliche
Skulpturen und deren Fundplätze sol-
len noch eingehend später behandelt
werden.
c) An fränkischenAltertümern:
Die reichen Funde des Grabfeldes von
Flomborn. Sie sollen später beson-
ders beschrieben werden. Ebenso die
von Gundersheim und Mörstadt
(s. Unternehmungen). Aus Schierstein
ein ausserordentlich reich verzierter,
mit Almandinen besetzter Armring.
Die Art des Verschlusses ist ganz die
der modernen Armringe und bis jetzt
noch nicht beobachtet worden, abgeb.
Taf. 4, Nr. 4. Aus der Rasor'schen Samm-
lung eine Spatha von der Andreas-
strasse (Viadukt), eine Axt, Lanze und
ein Schildbuckel von dem Grabfeld von
Mo nsheim und eine Lanze aus Rhein-
gönnheim. Aus Osthofen ein vor
langer Zeit gemachter Fund, bestehend
aus einem Kreuz, verschiedenen Rie-
menbeschlägen, Schnallen aus Bronze,
sowie 2 Gefässen. Aus Plan ig eine
Kollektion von Gürtel- und Riemenbe-
schlägen, Schnallen und Knöpfen (5ö
Stück) aus Bronze und 15 tauschier-
ten Eisenbeschlägen, femer eine Zier-
scheibe aus Bronze. Aus Stetten eine
schön verzierte Schnalle aus Bronze.
Aus der Schillerstrasse ein schönes
mit eingestanzten Ornamenten verzier-
tes Gefäss. (Dr. Koebl.)
Auch die meisten der übrigen Ab-
teilungen des Paul US- Museums sind im
verflossenen Jahre durch neue Zugänge
vermehrt worden. Besondere Erwäh-
nung verdienen namentlich zwei Funde
mittelalterlicher Münzen, die bei den
zahlreichen im Innern und in der
nächsten Umgebung der Stadt im letz-
ten Jahre vorgenommenen Erdarbeiten
gemacht worden sind. Der erste Fund
wurde im Juni 1888 auf dem Neu-
markt an der Ecke der Magnuskirche
gemacht. Hier stiessen die Arbeiter
auf ein mittelalterliches Grab und fan-
den in demselben 63 ganze und 2 halbe
Wormser Denare des Kaisers Hein-
rich II. Sie haben alle dieselbe Prä-
gung, sind meist schlecht ausgeprägt,
dabei stark abgeschliffen und, wie es
scheint, etwas kleiner als die bei
Dannenberg abgebildeten Exemplare.
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Museographie.
269
Auf der einen Seite befindet sich die
Andeutung eines Tempels mit der Um-
schrift WORMATftt»;, auf der andern
Seite ein Kreuz mit 4 Punkten in den
Winkeln, um deren einen das charak-
teristische Zeichen der Wormser De-
nare, ein Halbmond, gelegt ist Die
Umschrift lautet HeinHcua.
Der zweite Fund wurde am 19. Sep-
tember 1888 bei Planierungsarbeiten
auf der Burgerweide gemacht. In ei-
nem rohen irdenen Topf fand man
2230 Stock SilbermOnzeu (möglicher-
weise sind auch noch einige Stück ab-
handen gekommen). Die Münzen sind
mit Ausnahme von 2 wirklichen Brac-
teaten lauter sogenannte Halbbractea-
ten, papierdünne, zum Teil nur ein-
seitig geprägte Stücke, deren Grösse
zwischen der eines Fünfzigpfennig-
stückes und der eines Fünfmarkstückes
schwankt Der Fund stammt aus dem
ersten Viertel des 13. Jahrhunderts
und zeichnet sich durch grosse Man-
nigfaltigkeit in den Geprägen aus,
deren es über 100 verschiedene sind.
Von manchen Münzen sind 3 Sorten
zu unterscheiden, solche, die nur
den Stempel der Vorderseite, solche,
die nur den Stempel der Rückseite,
und solche, die beide Stempel zeigen.
Die Mehrzahl der Gepräge ist sicher
der Stadt Worms zuzuweisen, nur we-
nige gehören sicher benachbarten
Prägstätten an, von andern kann die
Prägstätte bis jetzt noch nicht mit Be-
stimmtheit angegeben werden. Ein in
einem 1858 vor dem Thor des Pau-
lus-Museums gemachten Münzfunde
mehrmals vertretenes Gepräge findet
sich auch in dem neuen Funde wieder.
Von diesen Funden abgesehen wurde
die Münzsammlung durch mehrere
Hundert bei den Erdarbeiten in der
Stadt gefundene römische Münzen, so-
wie durch zahlreiche Geschenke und
Erwerbungen von mittelalterlichen und
neueren Münzen vermehrt. Von den
Zugängen zu der Abteilung Münzen
der Stadt Worms seien besonders er-
wähnt der Goldgulden der Stadt vom
Jahre 1610 und ein in doppelter Stärke
ausgeprägtes Exemplar des Ratsthalers
von 1625.
Besonders vermehrt wurde auch die
Abteilung mittelalterlicher und späterer
Steinskulpturen durch zahlreiche Säu-
len, Kapitale, SäulenfÜsse, Gesimse,
Wottd. ZeiUohr. f. Oetoh. n. Knntt. VIII,
Wasserspeier, femer Wappen und
Grabsteine (die letzteren meist aus
dem 16. und 17. Jahrhundert).
Die im Dom dem Grab des Bischofs
Konrad von Stemberg (1171—1192)
entnommenen Gewandreste, Schuhe,
Holzkelch nebst Patene aus Holz und
Bischofsstab wurden dem Paulus-Mu-
seum übergeben, ebenso die gleich-
zeitig gefundenen Überreste eines al-
ten Bodenbelags des Domes aus schwar-
zen und weissen in schönem Muster
zusammengesetzten Marmorstücken be-
stehend.
Von den zahlreichen Zugängen zur
Bibliothek des Museums wollen wir
hier nur eine reiche Sammlung älterer
Druckschriften der Reichsstadt Worms
erwähnen, die von dem Ratsmitglied
Knode im vorigen Jahrhundert zusam-
mengebracht und nun der Museums-
bibliothek übersehen worden ist Ebenso
ist das Archiv des Museums durch eine
Reihe interessanter Schriftstücke ver-
mehrt worden z. B. die (Wormser)
Juden-Ordnung de 1570 nebst einem
1743 an die allgemeine Reichsversamm-
lung gerichteten Memoriale inbetreff
dasiger Judenschaft.
Die von ihm gestiftete Lutherbiblio-
thek hat Herr Migor von Heyl auch
im verflossenen Jahre wieder durch
verschiedene seltene Drucke und wert-
volle Reformationsmünzen vermehrt,
besonders erwähnen wollen wir hier
nur 2 Karikaturen auf Luther, die eine
etwa von 1520, die andere etwas spä-
ter, 2 interessante Gegenstücke zu den
viel besprochenen Spottbildem des
Lucas Cranach auf das Papsttum.
Femer wurde derselben gestiftet von
Herrn Maler Guido Schmitt zur Zeit
in Heidelberg der Karton zu einem
grossen von ihm für eine evangelische
Kirche gefertigten Ölgemälde der Büste
Luthers. (Dr. Wecke rling.)
Pfeddersheim, Sammlung des Hm. Dr. 68
K0hl I S. 262, U.
Übergegangen in die Sammlung des
Paulusmuseums in Worms.
Alzei, Sammlung des Hrn. Pottdirektor 68a
Wimmer I S. 268.
Mainz, Origlnaltammiung dos Voroint69
zur Erfortciiung der rlioin. Gotcliichto
und AltortDmor 1 S. 267, II-IV, VI, VH.
Von MiUe 1888 bis Mitte 1889. L Aus-
grabungen : a. Fortführung der Ausgra-
bung des römischen Friedhofs am
III. 21
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270
Moseographie.
Neuthor zu Mainz. Es wurden noch
20 Grabstätten aufgedeckt. Die Gesamt-
zahl der im verflossenen Jahre untersuch-
ten Gräber beträgt also 36. Weitaus die
meisten Bestattungen fanden sich in
Steinsärgen, doch wurden auch zwei.
Steinkisten, zwei Bleisärge und die
Spuren mehrerer Holzsärge gefunden.
Die wertvollsten Beigaben bestanden
wiederum in Gläsern. Auf die 36 Grab-
stätten verteilen sich 68 Glasgefässe,
darunter befinden sich viele bemerkens-
wert durch schöne Form, auch einige mit
eingeschliffenen Verzierungen, abgeb.
Tat. 10, Nr. 1, 2, 3, 4. Wir erwähnen
noch ö ineinanderpassende kleine Be-
cher und ein Glas von der bekannten
kuffeligen Form mit trichterartigem
HaJs, welches die eingeritzte Inschrift
trägt: CVRREPVERM. Vgl. Wd.
Korr. VIII, 89. Ein schon in unserem
vorigen Berichte erwähnter Glasbecher
zeigte nach sorgfältiger Reinigung Reste
einer mit Gold aufgemalten und ein-
gebrannten Inschrift.
Thongefässe sind im ganzen wenige
gefunden, darunter aber ein Trink-
becher mit den eingeritzten Brustbil-
dern der Wochengötter und der In-
schrift acdpe me, sities et trade aodaU;
abgeb. Tat. 10 Nr. 5 u. 5a.
Schmuckgerät ist ebenfalls wenig
vertreten ; die Funde beschränken sich
auf eine Anzahl Goldperlen (von einer
Halskette) in einem hölzernen mit Erz
beschlagenen Schmuckkästchen, Arm-
ringe aus Gagat und eine Anzahl Na-
deln. An Münzen fanden sich solche
von Hadrian, Faustina und Claudius
Gothicus.
b) Die im verflossenen Herbst unter-
nommene Aufgrabung des fränk.
Grabfeldes zu Vendersheim in
Rheinhessen brachte keinen beson-
deren Erfolg, da die aufgedeckten Grä-
ber sich sämtlich als bereits durch-
wühlt erwiesen. Die Arbeiten wurden
daher bald eingestellt Von den Fund-
stücken erwähnen wir nur einen Eimer
mit sdiönen eisernen Beschlägen, zwei
Gefässe aus Thon, einen Glasbecher
und einige tauschirte Beschläge.
c Bei den Kanalarbeiten in der
Schustergasse kam der Grundstein ei-
nes zum ehemaligen Jesuitenkloster
gehörigen Gebäudes zum Vorschein.
Die Inschrift der Vorderseite besagt,
dass Woifgang, Erzbischof von Mainz
und Kurfürst des Reichs dieses HauSf
zur Ehre Gottes und zu öffentlichem
Nutzen, der Gesellschaft Jesu für alle
Zeiten gestiftet habe. Eine Aushöh-
lung auf der Oberfläche enthielt eine
Scheibe aus Blei mit dem schön ge-
arbeiteten Wappen des Erzbischofe
Wolfgang von Dalberg auf beiden Sei-
ten. Ai]3 dieser Scheibe lag in Papier
geschlagen ein Silberstück mit dem
Bild des hl. Martin, ein Goldgulden
mit der Aufschrift MONE NOV AVRE
MOGV. und zwei und zwanzig kleine
schüsseiförmige Mainzer Silbermünzea.
U. Vermehrung der Sammlung durdi
Ankäufe ui%d beschenke, a. vor rö-
mische Altertümer: 23 Steinbeile
verschiedener Grösse aus Jugenheim.
Zwei lange meisselartige Instrumente
aus Stein, ebendaher. Zwei schöne
Bronzenadeln, zwei Steinbeile und zwei
rohe Thongefässe, Grabfund bei EschoU-
brücken. 18 Steinbeile und Werkzeuge
aus verschiedenen Gegenden Rhein-
hessens. Eine durchbohrte Hammer-
axt aus Wörrstadt. Desgl. aus Goddelau
im Ried. Desgl. aus Nierstein. Desgl.
aus dem Rhein bei Mainz. Ein schei-
benförmiges poliertes Gerät aus Stein,
Goddelau im Ried. Ein dreikantiger
Armring aus Erz mit knaufartigen
Enden und Strichverzierungen, Geisen-
heim. Ein gleicher aus Weisenau bei
Mainz. Ein geschlossener Armring aus
Erz, zwei Zierscheiben und ein Teil
eines Pferdegebisses aus Erz, aus dem
Rhein bei A^nz. Ein dünner Hals-
ring mit Gusszapfen, zwei dünne Arm-
reife, eine Haarnadel aus Erz, Grab-
fund bei Weniff enumstadt (Starkenburg).
Eine Haarnadel aus Erz mit kleinem
scheibenförmigem Kopf, aus dem Rhein
bei Mainz. Desgl. mit radformigem
Kopf und zwei Ohrringe aus Erz ans
Jugenheim in Rheinhessen. Ein etrus-
kisches Henkelbeschläge, gefunden bei
Armsheim, Rheinhessen. Ein Celt ans
Erz mit Schaftlappen, aus dem Rhein.
Ein Hohlcelt von Goddelau. Ein Erz-
schwert, abgeb. Tal. 9, Fig. 1, gefun-
den in der Nahe bei Bingen. Ein Ge-
fäss aus Thon mit Ösen zum Durch-
ziehen einer Schnur, und ein zwei-
henkliges Gefäss von seltener Form,
abgeb. Tat. 9, Fig. 2 u. 3, Fundort
Flonheim. Bruchstück eines Eisen-
Schwertes von sog. Hallstattform, sorg-
fältig mit Stoff umhüllt, ohne Reste
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Moseographie.
271
der Scheide; dabei eine Schale aas
Thon mit Graphitbemalung, gefunden
bei Schaaf heim, Bergstrasse. Ein eiser-
nes Schwert, eine «rosse Lanze, zwei
eiserne Fibeln, gefunden zu la T^ne.
Zwei eiserne Pferdetrensen und Bruch-
stück eines eisernen Messers mit eiser-
nem Grif^ gefunden in Rheinhessen;
aboeb. Tat. 9, Fig. 4 u. 5.
b. Römische Funde. 6 Eisen-
äxte aus dem Rhein. Zwei Schiff bauer-
werkzeuge ebendaher. Ein kleiner ge-
henkelter Krug aus Erz, verziert, ge-
funden bei Bingen. Eine grosse Fibiüa,
Armbrustform, und mehrere spangen-
furmige Gewandnadeln aus Erz, ge-
funden in Mainz. Ein Zierrat in
Gestalt eines Steinbocks mit Fisch-
schwanz, Erz, gefunden in Weisenau.
Drei Schlüssel ans Eisen, gefunden in
Mainz. Ein Schlüsselgriff aus Erz in
Gestalt eines Pferdekopfes, aus Wei-
senan. Eine Statuette des Merkur und
eine zwerghafte Gestalt mit grossem
Phallus, beide gefunden in Mainz. Eine
schon verzierte Schüssel (terra sigil-
lata) und eine Anzahl Töpfe, Urnen
und Krüge aus Thon, aus Mainz und
Rheinhessen. Zwei menschliche Füsse,
ein weiblicher Kopf, eine weibliche
Brust aus Thon, Yotivgegenst&nde, ge-
funden in Italien.
c. Fränkische Funde. Ein eiser-
nes Hiebmesser mit Scheidebeschlägen
aus Erz. Fundort Engers. Drei Hieb-
messer, drei Lanzen, vier Messer, Fund-
ort Wörrstadt. Ein tauschirtes Gür-
telbeschläge, 4 Riemenzungen, mehrere
Schnallen aus Eisen und Weissmetall,
Spindelsteine und ein Fingerring aus
Erz, ebendaher. Eine Lanze aus Ven-
dersheim.. Desgleichen mit geriefter
Tülle und vorstehenden Hacken, aus
dem Rhein bei Mainz.
(Dr. L. Lindenschmit)
70 Mainz, RSmitch^rmanitcbes Central-
MUteum I S. 268, Ü-IV, VI, VU.
Van Mitte 1888 bis MiUe 1889.
Die im röm.-germ. Museum vereinigten
Nachbildungen erreichen die Zahl von
10,880. Es ergiebt sich gegenüber unse-
rem Bericht im Yoijahre eine Vermeh-
rung um 450 Nummern. Nachfolgend
eine kurze Übersicht der bemerkens-
wertesten Gegenstände. 1. Vor rö-
mische Altertümer. Aus den circa
170 Nummern führen wir an : Eine Helm-
haube aus Erz mit schmalem Rande, ge-
funden am Sempach-See, Besitzer Herr
Dr. Naue in München. Ein etruskischer
Helm aus Erz mit schmalem verzierten
Rande, gefunden zu Volterra ; der vor-
dere Teil zeigt in der Mitte eine Palmette
in feiner Gravierung, zu beiden Seiten
schreitende Löwinnen ; unter der Pal-
mette tritt ein Löwenkopf plastisch her-
vor ; Besitzer Herr Professor Ernst aus'm
Weerth in Eessenich bei Bonn. Ein
kurzes Schwert aus Erz, gefunden zu
Dodona; eine lange schmäe Schwert-
klinge ans Erz, aus dem Tiber bei Romj
ein Schwert mit Grifi^unge und drei
Nieten aus Calabrien; ein Erzschwert
aus Ungarn; sämtlich im Besitz des
Herrn Dr. Naue München. Erzschwert
aus der Nahe bei Bingen, aufbewahrt
im Mus. zu Mainz. Eine Dolchklinge
aus Erz, gefunden bei Seifenau, Kreis
Goldberg in Schlesien, Orig. im Mus.
von Breslau. Em Dolch, gefunden zu
Dodona, 6 kleine Dolchklingen aus
cyprischen Gräbern, Orig. im Besitz
des Herrn Dr. Nane in München. Ein
Brustschmuck, bestehend aus einer
in Erz ffetriebenen halbkreisförmigen
Platte, deren gerade, nach unten ge-
richtete Seite an Ringen scheerenartig
geformte Klapperbleche trägt ; Fundort
Aislingen, Ong. im Besitz des bist Ver-
eins zu Dillingen. Eine gehenkelte
Trinkschale, aus Erzblech getrieben,
^funden bei Seifenau, Kreis Goldberg,
im Besitz des Museums in Breslau. Eine
Gürtelschliesse aus Erz, die Haken
in Gestalt von Pferdeköpfen, Fundort
in Bayern, Orig. im Besitz des Herrn
Dr. Naue in München. Ein Gruppe von
Spiralfibeln teils aus Hallstatt, teils
italienischer Herkunft; eine Bügelfibula
mit runder gravierter Schlussplatte aus
Arezzo, Originale im Besitz des Herrn
Dr. Naue in München Ein Schwert
aus Eisen, Hallstattform; der Griff
und Knauf mit gepresstem Gk)ldblech
überkleidet ; es ist zusammen gefunden
mit einer Anzahl jener reich verzierten,
gemalten Gefässe, de^en wir im vorigen
Berichte Erwähnung thaten. Fundort:
Grabhügel am Sternberg in der Rauhen
Alb, Orig. im Mus. zu Stuttgart. Ein
Dolchmesser aus Eisen in hölzerner^
reich mit eisernen Beschlägen verzier-
ter Scheide, Fundort im Garda-See,
Besitzer Herr Dr. Naue in München.
4 zusammengebogene Eisenschwerter,
zwei davon in ihren Scheiden, Fundort
21*
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272
Moseographie.
Naoheim, aufbewahrt im Mus. zu Frank-
furt a. M. Ein merkwürdiges Zierge-
rät aus den Gräbern von Nauheim, ge-
bildet durch einen mit zwei Gesichtern
versehenen Kopf. Die emporgezogenen
Winkel des ungeheueren grinsenden
Mundes, die vorstehenden starren Augen
erinnern an die ältesten Darstellungen
des Medusenhauptes in Griechenland
und Etrurien. Der Kopf ist hohl und
oben offen; zu beiden Seiten der Öff-
nung ein beweglicher Ring. Orig. in
der Sammlung des Herrn Dieffenbach
in Friedberg.
II. Römische Altertümer. Von
den 114 Nummern nennen wir folgende
Gegenstände. Sechs verschiedene Mus-
ter römischer Schuppenpanzerung, zum
Teil nach den im Museum zu Mainz
befindlichen Bruchstücken, teils nach
Darstellungen auf Grabdenkmalen. Vi-
siermaske eines Helms aus Erz in Form
eines menschlichen Gesichtes, Fundort
Gräfenhausen, Amt Neuenburg, auf be*
wahrt im Museum zu Stuttgart Ein
Helm aus Erz mit grossem Nacken-
schirm, derselbe trägt in punktierter
Schrift den Namen C PRITONI, ge-
funden bei Köln im Rhein, in Privat-
besitz in Köln. Ein römischer Gladius
mit verstärkter vierkantiger Spitze, ge-
funden zu Kleinwintemheim, aufbe-
wahrt in der Sammlung des Altertums-
vereins zu Mainz. Ein Gladius in präch-
tiger, reich mit durchbrochener Arbeit
verzierter Scheide, gefunden im Rhein
bei Mainz, aufbewahrt im Museum von
Worms. Ein Gladius mit zusammen-
gebogener Klinge aus einem Grabe zu
Reichersdorf in Brandenburg ; die Angel
trägt den Stempel N AT ALIS ; die Klinge
ist doppeltgekehlt und das scheiben-
förmige Schlussstück der Scheide 9 cm
im Dm., ist mit Silbertauschierung der
edelsten Art bedeckt; Orig. aufbewahrt
in der Sammlung des Gymnasiums zu
Guben. Zwei Schildbuckel aus Eisen,
ebendaher, wie auch zwei Sporen aus
Eisen. Eine Scheibenfibula aus Erz mit
prachtvollen Nielloeinlagen, gefunden
zu Aislingen, im Besitz des bist. Vereins
zu Dillingen a. D. Zwei emaillierte Ge-
wandnadeln, gefunden zu Worms, Orig.
im Mus. zu Worms. Eine Fibula in Tau-
bengestalt aus Erz ; gefunden zu Eglsee
in Oberbayem, im Mus. von Traunstein.
Eine Gürtelschliesse aus Silber mit Or-
namenten in durchbrochener Arbeit von
hervorragender Schönheit, gefunden in
Köln, Besitzer Herr Regierungsbau-
meister Forst in Köln. Verschieden
geformte Gürtelschnallen aus Erz und
Eisen, gefunden zu Aislingen, Orig. im
Mus. zu Dillingen. Ein schön verzier-
tes Schöpfgefäss aus Erz ebendaher.
Ein kleiner gehenkelter Krug aus Erz,
gefunden bei Bologna, im Besitz des
Herrn Dr. Naue in München. 8 Schlüssel,
zum Teil mit reichverzierten Griffen,
gefunden in Mainz, aufbewahrt in der
Sammlung des AJtertumsvereins zu
Mainz.
III. Nachbildungen von Funden
der fränk.-alamannischen Zeit
Aus den 155 Gegenständen ist nament-
lich zu erwähnen : Eine schöne Spatha
mit silbertauschiertem Knauf und Pa-
rierstange, gefunden zu Vendersheim in
Rheinhessen, aufbewahrt in der Samm-
lung des Altertumsvereins in Mainz.
Zwei Hiebmesser von ungewöhnlichen
Verhältnissen ; die sehr schmale Klinge
misst 70 cm, während auf den Griff
nur 17 cm kommen. Hierbei ein schön
verziertes Scheidebeschläg ans vergol-
detem Erz. Fundort: in Oberbayem.
Der obere Teil einer reich verzierten
Schwertscheide aus getriebenem Silber
mit hochinteressanten DarsteUungen.
Die in Felder eingeteilte Fläche zeigt
unter anderem eine gepanzerte mensch-
liche Figur, die ein gewaltiges Schwert
in der einen Hand, in der anderen einen
Speer hält, am Rücken hängt ein Pfeil-
köcher herab. Der Kopf ist der eines
Wolfes ; Fundort : Gutenstein bei Sig-
maringen, Besitzer Herr Eulenstein,
Kgl. F^gierungsbaumeister. Eine grosse
eiserne Lanze mit silbernen Knöpfen
an der Tülle, ebendaher. Ein eiserner
schön mit Silber tauschierter Sporn,
gefunden bei östrich im Rheingau, Be-
sitzer Herr Dael in Winkel. Ein Steig-
bügel aus Erz, Fundort Pfahlheiro,
aufbewahrt im Mus. zu Stuttgart. Zwei
Bruchstücke von Gürteln, wahrschein-
lich am Gürtel herabhängende Zier-
riemen, aus Leder mit Erzknöpfen und
Nägeln beschlagen; gefunden zu An-
dernach, im Besitz des Herrn Dr. Naae
in München. Eine Gürtelschnalle mit
Beschlag aus Erz, die Fläche ist mit
gravierten Vogelköpfen verziert und
mit kleinen runden Almandincn besetzt,
Fundort bei Pfahlheim, auf bewahrt im
Mus. zu Stuttgart. Drei Gürtelbeschläge,
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Museographie.
273
gefunden zu Andernach, im Besitz des
Herrn Professor Ernst aus'm Weerth;
ein eiserner Rahmen nmschliesst einen
Einsatz aus gepresstem Erzblech ; der-
artige Beschläge wurden unseres Wis-
sens bis jetzt nicht beobachtet. Zwei
Spangenfibeln aus vergoldetem Silber,
gefunden bei Engers, aufbewahrt im
Mus. von Worms. Zwei desgl. mit Al-
mandinen besetzt, gefunden bei Biblis
(Starkenburg), im Besitz des Herrn
Kofler in Dannstadt. Zwei hervorragend
schöne Scheibenfibeln aus Gold mit
edlen Steinen besetzt, gefunden bei
Engers, Orig. im Mus. zu Worms. Eine
goldene Scheibenfibula mit rotem und
blauem Glasfluss verziert, die R&ckseite
zeigt Runenschrift, gefanden zu Ba-
lingen, aufbewahrt im Mus. zu Stutt-
gart Eine kleine mit Almandinen be-
setzte Rosettenfibula, deren Ruckseite
Runenschrift trägt, gefunden bei Fried-
berg, im Besitz des Herrn Dieffenbach
in Friedberg. Eine Rundfibula aus
Eisen, die Mitte nimmt eine in Erz-
blech gepresste, stark vergoldete bar-
barische Nachahmung einer römischen
Arbeit ein, die Gestalt der Roma auf
einem Thron mit dem Scepter in der
einen und der Siegesgöttin auf der
ausgestreckten anderen Hand und der
Umschrift: INVICTA ROMA VTERE
FELIX. Der eiserne Rand ist mit
Silber eingelegt. Fundort in Köln, Be-
sitzer H^rr C. A. Niessen daselbst. Ein
Armband aus Silber, es bewegt sich in
einem Scharnier um das Anlegen zu
ermöglichen. Zwei Drachenköpfe bil- ,
den die Enden, dieselben sind mit AI- ;
mandinen besetzt Das Armband wird
durch eine Feder, die gleich einer
Zunge aus dem Rachen des einen
Kopfes hervorsieht und in die ent-
sprechende Öffnung des anderen ein-
zudrücken ist, verschlossen; gefunden
bei Köln, Besitzer Herr Forst, Regie-
rungsbaumeister in Köln. Eine Zier-
scheibe aus Erz in einem Elfenbein-
ring befestigt ; gefunden bei Biblis, im
Besitz des Herrn Kofler in Darmstadt
Im Anschluss an die Aufstellung des
Standbildes eines fränk. Kriegers, wel-
che im vorigen Jahre stattfand, eifolgte
die Errichtung eines Tropaeums aus
Nachbildungen fränkisch-alamannischer
Schutz- und Trutzwaffen. Diese Mo-
delle sind in den Stoffen der Originale,
in natürlicher Grösse hergestellt, und
dürften als Mittel die lebendige An-
schauung zu fördern, besondere Er-
wähnung verdienen.
(Dr. L. Lindenschmit.)
Mainz, Sammlung des Hm. Fr. HeeNt U. 71
Nach dem am 27. Juli 1887 erfolgten
Tode ihres Begründers kommt die Samm-
lung gruppenweise zur Yeräusserung.
Vergeben sind bereits die Gläser (dar-
unter prächtige Lokalfunde) an einen
Frankfurter Händler, femer die aus
dem Rhein erhobenen röm. und früh-
mittelalterlichen Waffen und Geräte
(durch einen hiesigen Händler teil-
weise ans Germ. Museum in Nürnberg,
teilweise an Hans Graf Wilczek). Die
Gruppe Edelmetall (Ringe, röm. und
mittelalterliche trefflich vertreten) ist
noch nicht veräussert
Mainz, Sammlung des Herrn Architekt 72
Prettel H.
Mainz, Sammlung des Hm. Dr. Qusner 73
U
Mainz, Sammlung des Herrn Fr. Jos. 74
Usinger H.
Im frühem Bestände.
Mainz, Sammlung des Hm. Saly FOrth. 74a
Eine feine Collektion Edelmetall-
Arbeiten des 16., 17. und 18. Jahrh.
in sehr guter Wahl. Dazu existiert
ein 1886 prächtig in 4^ gedruckter
Katalog (7 photogr. Tafel mit 34 Nrn.,
nicht im Handel), Silbermarken dazu
facsimiliert.
Mainz, Sammlung des Herm Verlags- 74b
buchhandler Gg. Kirchheim.
Höchster Porzellan -Figuren
in reicher Zahl und vorzüglicher Wahl.
Bingen, Sammlung von Hm. Architekt 76
Eberh. Soherr IL
Die römischen und fränkischen Funde
dieser Sammlung kamen nach dem Tode
Soherr's in das Mainzer Museum, vgl.
Westd. Zeitschr. VU, Nr. 69.
Rbeinprovinz.
Kreuznach, Sammlung der Stadt I S. 76
268, V.
Die Sammlung des histor. Vereins
zu Kreuznach ist im letzten Jahre teils
durch geschenkte Urkunden und Bücher
bereichert worden, namentlich aber hat
der Verein seine Münzsammlung durch
andere Ankäufe, wie auch besonders
durch eine Sammlung von 1500 röm.
Münzen ergänzt, unter denen sich die
silbernen Republikmünzen und die
Grosserze der Kaiserzeit auszeichnen.
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274
Museographie.
Der Verein stellt zwei kleinere wohl-
geordnete Sammlungen röm. Münzen
zum Einkaufspreise zum Verkauf.
(Dr. 0. Kohl.)
76a Birketifeld. Sammiung des Altertums-
vereins III, IV.
Üher den letz^ährigen Zuwachs 'vgl.
Westd. Korrbl. VH, 154; VIU, 62.
77 SaarbrOcken, Sammlung des Vereins ffQr
die Saargegend I S. 268, II, UI, V— VII.
Kein Zuwachs. (Dr. Krohn)
78 MetUach. Sammlung des Hm. E. Boeh
U-IV.
79 Nennig, Sammlung des Hm. de Musiei
auf Schloss Thom U.
80 Trier, Provinziaimaseum I S. 269, II
— VU.
Vom 1. Aprü 1888 bis 31. März 1889.
Vom 16. August bis 15. September
wurden im Kreise Dann bei dem Dorfe
Mehren verschiedene archäol. Unter-
suchungen geführt. Im Gemeindewalde
Nast wurden 4 Hügel umgegraben, von
denen einer die stattliche Hohe von
4 m hatte; sie enthielten römische
Brandgräber in grossen bauchigen Thon-
gef&ssen (Dolien). Von grösserem Er-
folg waren die darauf im Rothläufer
bei dem Dorfe Steinenberg vorgenom-
menen Untersuchungen; sie galten ei-
nerseits der sorgälltigen Aufnahme
einer umfangreichen vorgeschichtlichen
Befestigung, welche den höchsten Punkt
des Plateaus, den sog. Steinenberger
Ley, in der Form von drei sich an-
einander anschliessenden Ringen über-
zieht; andererseits der Erforschung
eines am Südabhange des Ley's ge-
legenen HügelgräberJfeldes; 42 Hügel
wurden festgestellt, während in dem
undurchdringlichen Dickicht eines jun-
gen Tannenbestandes eine bei weitem
grössere Zahl vermutlich noch ver-
borgen liegt. Ausgegraben wurden im
Ganzen 20 Hügel, welche mit einer
Ausnahme sämtlich je ein oder mehrere
Begräbnisse bargen. In einem Hügel
Hess sich mit Bestimmtheit Leichen-
brand feststellen, während für die
übrigen Bestattung nachweisbar oder
zu vermuten war. Sämtliche Begräb-
nisse stammten von einer vorrömischen
Bevölkerung, welche das Eisen schon
kannte, die Gefässe aber noch ohne
Töpferscheibe bearbeitete. Die Funde
bestehen hauptsächlich aus Urnen von
schwarzer Färbung und mit geradlinigen
Ornamenten, ans eisernen Lanzen, bron-
zenen Arm- und Hafsringen (narami-
lich Wenderingen) und einem Bronze-
eimer. Sie sind den von J. Klein, Bonn.
Jahrb. 86 besprochenen Fundon von
Hennweiler gleichartig. Sie bieten einige
sehr beachtenswerte Gegenstände und
bilden für unsere an vorgeschichtlichen
Altertümern noch sehr arme Sammlung
eine sehr erwünschte Bereicherung.
Die Kanalisationsarbeiten, welche in
Trier auf dem Palastparadeplats und
in den Höfen der Palastkaseme der
Militärfiskus ausführen Hess, wurden
seitens des Museums aufmerksam ver-
folgt. Sie föhrten zur Entdeckung ei-
ner grossen Anzahl römischer Mauern
und einiger Mosaiken und sind für die
Topographie des römischen Trier des-
halb von Interesse, weil die einen mit
der römischen Basilika in Verbindung
stehen, die anderen den Palastparade-
platz in einer Weise durchkreuzen,
dass die bisherige Annahme, unter
diesem Platze habe das Forum der
constantinischen Periode gelegen, wenn
nicht aufgegeben, so jedenfalls auf den
westlichen Teil des Platzes beschränkt
werden muss.
Auf der Johann - Philippstrasse in
Trier wurden grössere Teile eines in-
teressanten römischen Mosaikbodens
ausgehoben.
Aus dem ZmmhmAs der Sammlung
sind hervorzuheben:
Steinmonumente: Inschrift auf
Lucius Caesar (16906), Adoptivsohn
des Augustus, älteste Inschrift in den
Rheinlanden, gefunden in Trier im
Bischofshof, bespr. Wd. Korr. VII, 119.
— Grabeiste (h. 66, br. 61 cm) mit der
Darstellung eines Leisten, einer Feile,
eines Hammers und der Ascia, also das
Grabe eines Leistenfabrikanten bildend
(16919), gefunden auf dem röm Leichen-
acker auf der Petrusstrasse. Die Vor-
derseite ist abgsb. Tal. 15 Nr. 2. — Zwei
Reliefstücke aus Muschelkalk, das
eine den Oberkörper eines Jünglings
(Apollo?) und den linken Arm einer
andern Figur, br. 1 ro, h. 66 cm (17064),
das andere einen Amor, h. 75 cm,
(17066), darstellend, zusammen gef. in
Maximin und vermutlich von einem
Grabmonument herstammend. — Block
aus rotem Sandstein, h. 60, br. 44,
bz. 38 cm, von der Ek^ke eines grossen
Grabmonumentes herrührend ; die eine
Seite zeigt den rechten Teil der be-
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Mnseograpliie.
275
kannten Darstellung des Mittagsmahles,
eine Frau mit Früchten in dem Schoss
sitzt auf einem Lehnstuhl, hinter ihr
steht eine Dienerin; auf der anderen
Seite ist ein Mann vermutlich mit einem
irrosaen Uohel dargestellt (17237) ; der
Stein war bislang in einem Hause in
Gastet (bei Saarburg) eingemauert und
soll daselbst vor ungefähr 10 Jahren
gefunden worden sein. — Bruchstück
einer Einfassung aus parischem Mar-
mor von rechteckiger Ghrundform, einer
eiste ähnlich, aber ohne Boden (17049),
erhalten ist nur ein Eckstück, welches
von der skulpierten Vorderseite ein
Stück von 29 cm Länge enthält, und
ein Teil der linken Schmalseite. Auf
der Vorderseite Reste einer Opferdar-
stellung: von links her schreiten eine
langirekleidete Frau und ein Mann,
weiter einen Stab (?) über der linken
Schulter trägt, auf ein Thymiaterion
zu. Den Figuren fehlen die Köpfe,
sie sind jetzt etwa 15 cm hoch. Gef.
in Trier auf dem Palastparadeplatz.
— Eine oberste Säulentrommel aus
Sandstein, Dm. 48 cm, auf dem Rande
der Oberseite steht auffallender Weise
folgende Inschrift : [cL] n. tmp. OorcUan
araentum et auru[m] (17079), gef. zwi-
schen 1859 u. 61 im Röthlinger Schloss
bei Kleinblittersdorf (Kr. Saarbrücken),
vgl. Schröter, Mitteil, des Saarbrücker
Vereines IV, S. 44, abgeb. Taf. 15 Nr. 3;
erworben auf eine gütige Mitteilung
des Prof. Zangemeister in Heidelberg
hin. — 4 christliche Inschriften, sämt-
lich gef. in Mazimin: Griechische
Grabinschrift des Ursikinos Anatolikos,
bespr. Wd. Korrbl. VH, 118. — Frag-
ment aus weissem Marmor (17066)
-IM '
HIC P AV
C I B I 8 D [
QVI V I X I,
AMICIIS
Zu erklären vermutlich Hk pausfat
7> ^*^ ("^ ciüis) De , . , , , qui
vixift anmae . . .7 amici isftiue tüulumpo-
sueruntj. Da die Freunde das Begräb-
nis besorgen, liegt es nahe an einen
in der Fremde Verstorbenen zu denken.
Zu eHne vgl. den auch sonst ähnlichen
Mailänder Titel CIL V, 6209.
Fragment aus grauem Marmor (17067)
19 cm
Tue jacelfl NP AC AEFA i.f \^
nrfana /i |)EL I 8 Q V I V I X I .\ an
nosllmensl 8XPR0IIERITC
WviR EIY8TIT*V l
poauit^
P ' ^^pace
Z. 1 FATA sicher, vermutlich Fa-
tatis ; Z. 4 . . . . isvir unerklärt Zwischen
den beiden Monogrammen der Ober-
körper einer Frau mit erhobener Linken.
Fragment aus weiss. Marmor (17068)
- « — 14 cm — ¥■
). A R I 8 v\
8PATERTlt
uj Y M ? f" suit
Römische Kleinaltertümer:
kleiner goldener Phallus (16794), gef.
auf der Petrusstrasse; goldener Fin-
gerring mit Nicolo, letzterer ohne Dar-
stellung (16977), gef. in Alttrier ; schöne
Apollostatuette, gut erhalten, nur feh-
len beide Füsse, jetzige Höhe 11 cm
(16941), gefunden in Löwenbrücken;
Bronzealtar mit Dedikationsinschrift an
Mercur (17135), gef. unweit Temmels,
bespr. Wd. Korrbl. VIII, 49. Schöne
Gläser 16906a, gef. in Maximin; 19620,
gef. auf der Petrusstrasse ; 17073—77,
gef in Särgen unweit Ollmuth ; 17230,
gef. bei Gastel bei Saarburg; 17266,
gef. bei Trier unter dem Markusberg,
eine ungewöhnlich exakt gearbeitete,
vermutlich in der Form geblasene ein-
henklige Flasche.
Nachrömische Gegenstände:
Tischförmiges Untergestell, 11^ cm lang,
7 cm breit, 4| cm hoch, aus vergoldeter
Bronze, mit reicher Rankenomamentie-
rung, wobei der Grund mit blaugrüner
Emaille ausgefüllt ist, etwa 13 Jh.,
ffef. in Maximin (16789). — Bisher un-
bekannte Denkmünzen auf die Trierer
Kurfürsten Lothar von Mettemich
(16932) und Johann Hugo (17304).
Femer Gipsabgüsse des hervor-
ragenden praehistorischen Fundes von
Wallerfangen, jetzt im Musäe St. G^r-
main (17153—17216) und Nachbil-
dungen römischer und fränkischer
Waffen (17267—99), angefertigt im
römisch-germ. Museum in Mainz.
Die Thätigkeit des Direktors war
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276
Museographie.
hauptsächlich durch den Museumsum-
zug in Anspruch genommen; zunächst
waren die Unterlagen zur Anfertigung
der Möbel zu gewinnen, zu welchem
Zwecke Reisen nach Berlin und in die
süddeutschen Museen unternommen
wurden; am 10. Januar begann der
Umzug selbst.
Bei. der städtischen Verwaltung wurde
die Überlassung der besseren Ölge-
mälde, welche dieselbe in der Sta4t-
bibliothek bis jetzt aufbewahrte, bean-
tragt und Genehmigung erzielt — Die
Bronzealtertümer wurden einer gründ-
lichen Reinigung, die Terracotten und
bessern Thongefässe einer Restauration
unterzogen.
An Eintrittsgeldern wurden in den
Thermen in St Barbara 892,85 M., im
Museum, welches von Dezember ab
geschlossen war, 268,50 M. erzielt
(Hettner.)
81 Ceblenz, im Gymnasium II.
81a Coblenz, Stadtttch« Lang'tch« Gemälde-
sammlung I S. 271, lY.
82 Neuwied, Sammlung 8r. Durchlaucht
des Forsten von Wied IL
82a Andernach, Sammlung von Herrn Jos.
Grif I S. 271.
82b Andernach, Sammlung im Stadthaute III.
83 Bonn, Provinzlaimuseum I S. 27 1, lY, Y.
84 Bonn, Sammlung vaterl. Altertümer bei
der Universität I S. 271.
85 K0ln, Museum Waliraf-Richartz I S. 271.
85a K01n, Historisches Museum. Durch
Beschluss der Stadtverordneten - Yer-
sammlung vom 13. Juli 1888 sollte in
der restaurierten, in der Anlage aus
dem 12. Jahrhundert herrührenden
Hahnenthorburg ein Historisches Mu-
seum errichtet werden. Dasselbe ist
bestimmt nur solche Denkmäler jeder
Art aufzunehmen, welche sich axd die
Geschichte der Stadt Köln beziehen
oder diese Geschichte zu illustrieren
geeignet sind, mit Ausschluss der Ur-
kimden etc., welche im Archiv ihren
Platz finden und der Funde römischer
Zeit, welche im Wallraf-Richartz-Mu-
seum aufgestellt sind. Die Leitung des
Museums wurde dem Unterzeichneten
übertragen, am 16. August konnte es
eröffnet werden.
Der Inhalt des Museums setzte sich
zunächst zusammen aus Objekten, wel-
che sich bereits im Besitz der Stadt
befanden. Archiv, Bibliothek, Museum,
Rathaus bargen allerlei Gegenstände,
welche nur der Yereinigung und Auf-
stellung harrten, um einen ganz be-
achtenswerten Stamm einer historischen
Sammlung zu bilden. Das Archiv hielt
zwei ganze Abteilungen seit langem zur
Abgabe bereit: die Plankammer und
die sog. Fahnenkammer, letztere ent-
hielt : Fahnen, Sigelstempel, Schl&ssel,
Maasse und Gewichte etc. Die Biblio-
thek hatte seit Jahren Pläne, Ansich-
ten, Porträts und andere auf Köln be-
zügliche DarsteUungen gesammelt; in
den völlig ungeordneten Kupferstich-
Mappen des Wallraf-Richartz-Museums
fanden sich hunderte hierhergehöriger
Blätter, femer wurden aus letzterem
Bilder, sämtliche Waffen, die köln.
Münzen und anderes überwiesen. Nach
Yereinigung aller dieser bereits im
städtischen Besitz befindlichen G^^n-
stände umfasst das historische Mu-
seum der Stadt Köln folgende
Gruppen :
Waffen, einfache Rüstuuffsstücke
ohne künstlerischen Wert, Schwerter,
darunter drei schöne Zweihänder, Arm-
ruste, Gewehre verschiedener Systeme
und Zeiten. Faust- und Feuerrohre.
Andere Waffen späterer Zeit bis zu
den Napoleonischen Kriegen. Hervor-
zuheben sind eiue schöne Brust und
Helm in blankem Eisen mit reicher
Ätzung aus der ersten Hälfte des IB.
Jahrhunderts, vier vorzüglich geätzte
Morions, eine gut geschnittene Arm-
rust, mehrere Spontons. Sodann zwei
gemalte Tartschen des 14. Jahrhunderts.
Richtschwerter, darunter das
prachtvolle Stadt-Richtschwert des 14.
Jhs. mit emailliertem Knauf.
Modelle alter jetzt zerstörter köl-
nischer Bauten.
Münzen, stadtkölnische und erz-
bischöfliche, sowie Medaillen.
Münzstempel. Über diesen aus-
serordentlich kostbaren Schatz hat vor
kurzem P. Joseph, die Münzstempel
und Punzen im Historischen Museum
der Stadt Köln in der „Wiener nu-
mismat. Zeitschrift** ausführlich be-
richtet. Die Sammlung umfasst 554
Stück, Münzstempel, Nachstempel,
Punzen und einige Stempel zweifel-
hafter Bestimmung.
S i e g e l s t e m p e 1 (Petschafte), grosse
Sammlung z. T. mittelalterlicher Stem-
pel, darunter Arbeiten von höchstem
künstlerischen Wert Hier sind u. a.
zahlreiche Stempel städt. Behörden,
der alten köln. Stifter, Kirchen, Klöster,
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Museographie.
277
Innungen, der Universität Köln etc.
glücklich gerettet.
Abgüsse von Siegelabdrücken,
wohl meist von Urkunden genommen.
Hohl- und Längenmasse, Ge-
wichte vom 16. — 19. Jahrhundert.
— Waagen.
Fahnen, darunter 2 auf Seide ge-
malte herrliche Stadtbanner des 16.
Jhs., eine Spottfabne vom Ende des
14. Jhs., 2 Fahnen des 16. Jhs. End-
lich Bürgerwehr-, Vereins- u. sonstige
Fahnen des 19: Jhs. — Eine Anzahl
sehr zerstörter Fahnen müssen noch
restauriert werden.
Möbel. Geldtruhen in Holz und
Eisen 15.— 18. Jh., Z&hltisch des alten
Stadtrentamtes 19. Jh., Kasetten zur
Aufbewahrung von Schlüsseln etc.
Kleinere Gegenstände, welche
wirklich oder augeblich zu einzelnen
historischen Personen in Beziehung
stehen: Hermann v. Goch, Albertus
Magnus, P. P. Rubens etc.
Pläne. Originalzeichnungen resp.
Aufnahmen von Gebäuden, Ländereien
Karten und Pläne.
Grosse Sammlungen von Ab-
bildungen aller Art, Gemälde,
Stiche, Lithographieen, Holzschnitte,
Photographieen, und zwar Ansichten
der Stadt, einzelner Gebäude und
Denkmäler derselben. Pläne und Kar-
ten. Darstellungen historischer Ereig-
nisse, kölnischer Feste (Karneval, Dom-
baufeste etc.). — Bilder der köln. Pat-
rone und Heiligen. Porträts. Kalender.
Diesen Bestand zu vermehren wird
in erster Linie Aufgabe des Museums
sein: es rechnet dabei nicht sowohl
auf die von der Stadt gewährten Mittel
als auf den opferfreudigen Sinn der
kölnischen Bürger, der sich gelegent-
lich auch schon in erfreulicher Weise
bethätigt hat. Daneben erwächst ihm
die Pflicht, auch die noch vorhandenen
Reste alter Architektur zu erhalten,
wenn nötig zu sammeln und an einer
Stelle zu vereinigen, sowie alte künst-
lerische oder historisch wertvolle Reste,
deren Untergang oder. Abbruch nicht
zu hindern ist, wenigstens im Bilde
festzuhalten.
Recht dringend nötig, ja eine Ehren-
pflicht der Stadt aber ist es und die
Verwaltung wird sich der Aufgabe, hier
Wandel zu schaffen nicht entziehen
können : die gleiche Sorge, welche nun-
mehr den Resten aus nachrömischer
Zeit zu teil wird, auch den römischen
Resten zuwenden. Alljährlich gehen
die kostbarsten Funde aus der Stadt,
wichtige topographische Entdeckungen
werden nicht einmal in Zeichnung fest-
gehalten — kurz es ist ein Jammer.
Hoffen wir, dass durch die. bevor-
stehende Änderung in der Leitung des
Stadt. Museums auch in diese Dinge ein
frischerer Zug komme.
(A. Pabst)
K0ln, Sammlung des Hm. E. HersttttS6
I S. 271, U— VH.
Zwölf Lampen, darunter 4 vorzügliche
Exemplare mit folgenden Darstellun-
gen, Victoria nach links, einen Schild
haltend, auf welchem ein Januskopf
Dm. 10 cm ; 2 Gladiatoren Dm. 10 cm ;
christliches Monogramm Dm. 75 mm,
und ein tanzender Mann in langer Mütze
Dm. 9 cm, abgeb. Taf. 13 Nr. 6. — Terra
cotta einer ^og. Matrone mit Hündchen
H. 17 cm, eine schöne Gesichtsume
H. 20 cm, Dm. 22 cm ; Urne in bräun-
lichem Thon H. 28, Dm. 24 mit zwei
Reihen en barbotine aufgelegter Blät-
ter; Schale aus Sigillata mit Löwen-
kopf als Ausguss H. 10 cm, Dm. 20 cm.
Aus Bronze : Statuette eines Jünglings
mit Kranz, vielleicht Apollo, H. 15 cm
und auf einem zur Befestigung be-
stimmten Untergestell eine Taube.
(Ed. Herstatt.)
KOIn, Sammlung von Hm. Fr. Merkens 87
I S. 272, H-VII.
KOIn, Sammlung von Hm. F. H. WolffSB
I S. 273, II.
KOIn, Sammlung von Hm. W. Forst. YH. 88a
Die Sammlung römischer Altertümer
vermehrte sich seit dem letzten Be-
richte um etwa 60 Nummern, von denen
die bemerkenswerteren nachfolgen.
L Stein. Ring aus milch weissem
Onvx geschnitten. Auf dem Petschaft
opfert ein nackter Mann am Altare
des Priap, neben welchem die Bild-
säule der Diana von Ephesus und ein
Hündchen steht. Rechts und links die
Buchstaben ^ £ und SL 77, (äusserer
Durchm. 3 ä 2*/» cm. — Messergriff
aus Lava (Gagat) geschnitzt, in wel-
chem aber anstatt einer Klinge eine
lange und starke runde Nadel von
dunkelgelbem Glase steckt. (Griff lOV«)
Nadel 9 cm lang). — Ring aus Bern-
stein, welcher statt des Petschaftes
die geschnitzte Figur einer liegenden
Dogge trägt, welche sich mit dem
Fusse hinter dem Ohre kratzt. (Äusse-
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278
Mnseographie.
rer DtirchiiL 4 k 3*/« cm). — Brach-
stück einer menschlichen Gruppe aus
Bernstein: zwei tanzende Kinder, hin-
ter denen an^heinend eine dritte
grössere Fieor stand, deren ohere
H&lfte aber fehlt 3 cm hoch und breit.
n. Terracotta. Dunkelgrüner Bar-
bontinetopf mit Hirsch, Hündin, Hase
und Hund, 12 cm hoch. — Statuette
eines Schauspielers in der Rolle des
Silen, 12 cm hoch. — Desgl. in der
Rolle eines Auguren, 12 cm hoch. —
Dunkelgrüner Topf mit aufgelegten
weissen Ranken verziert und der Um-
schrift hüaris sie, 13 cm hoch. —
Desgleichen mit kumpigen Eindrücken,
weissen Ranken und der Umschrift Mi
vwatis omto, 13 cm hoch. — Lampe
von rötlichem Thon und in Form ei-
nes Faunkopfes. — Roter Barbo-
tinetopf mit zwei Pfouen und reichem
Pflanzenomament, 14 cm hoch.
UL Metall. Goldene Fibula (Da-
menbroche) mit eleganten Verzierungen.
— Goldener Ohrring mit Filigranarbeit
und einem zierlichen Anhänj^el. —
Ein Paar goldene Ohrringe in Form
von verzierten Hohlringen von 2Vt cm
Durchm. — Goldener Damenring, mit
einem ungeschliffenen Smaragd ver-
ziert. — Goldener Ohrring mit zwei
grösseren roten Steinen und einem
kleinen spitzen Rubin verziert. — Gol-
dener Ohrring mit drei linsenförmigen
roten Steinen. — Silbervergoldete Gür-
telschliesse in feinster durchbrochener
Arbeit.
Bronze. Fingerring mit der in Sil-
ber eingelegten Umschrift Eusebiae, —
Siegelring mit rotem Steine, darauf
eine Minerva mit der Lanze. — Sta-
tuette des Mars in voller Rüstung
(Helm, Panzer nebst Unterkleid und
Beinsdiienen), die erhobene Rechte
hMt die Lanze, die Linke hielt den
Schild, welcher jetzt fehlt, 14 cm hoch.
— Statuette des sitzenden Jupiter Se-
rapis, 16 cm hoch. — Statuette eines
geflügelten (Genius mit Haken zum
Aufh&ngen auf dem Kopfe, in der Lin-
ken eine Ampulla haltend, 10 cm hoch.
— Statuette eines Pontifex im Opfer-
gewande, den Kopf verschleiert, in der
Rechten die Patera, in der Linken den
Lituus haltend, 8 cm hoch. — Deckel
eines Kästchens, den auf der Löwen-
haut ruhenden Herkules darstellend,
5 cm lang, 3 cm hoch. — Statuette ei-
nes nackten Pferdebändigers in stark be-
wegter Stellung, anscheinend Teilstück
einer Gruppe, 8 cm hoch. — Statuette
eines jungen Mannes (Läufers oder
Disknswe^ers ?), ganz nackt, 15 cm
hoch. — Bronzeplättchen mit feinster
und vollkommen erhaltener Email,
buntfarbig und reich verziert, 4 cm
lang, Vit cm breit. — Maske eine«
Wassergottes mit spitzen Ohren, schilfi-
gem Haar und Barte, in letzterem zwei
Fiscbchen spielend, mit Wasseriinsen
auf Stirn und Wangen und zwei frei
stehenden Krebsscheeren über dem
Scheitel, 20 cm lang, 10 cm breit
lY. Elfenbein. Geschnitzter Ring,
Cladua
auf dem Petschaft die Namen ^^^ »
an beidei^ Seiten menschliche Köpfe,
3 cm Durchm. — Ring mit männlichem
Brustbilde, 4 cm Durchm. — Taschen-
messer mit geschnitztem Griff aus Elfen-
bein und eingeschagener zugerosteter
Klinge.
V. Glas. Verschiedene kleinere
meist bunte Gläser, sowie eine hohe
Kanne mit umlaufenden Nuppen und
geflochtenen Henkel, 16 cm hoch.
Die aufgeführten Gegenstände sind
durchweg in KöUi aufgefunden, mit
Ausnahme vielleicht der sub HI ge-
nannten goldenen Fibula und goldenen
Ohrringe. Diese Gegenstände zeigen
nämlich einen italischen Typus, doch
ist dadurch nicht ausgeschlossen, dass
dieselben schon im Altertume nach
Köln gelangt sind, und würden sie in
diesem Falle ebenfalls als Kölner
Funde zu bezeichnen sein. Das Näm-
liche gilt von einigen sub V erwähn-
ten kleinen bunten Gläsern. Für alle
übrigen Gegenstände ist der Fundort
zweifellos Köln. (W. Forst.)
KOlfi, Sammlung von Hrn. Cari 8tedt-88b
feld I S. 273.
KOIn, Sammlung des Hrn. C. A. NIessen. 88c
Hervorragende Sammlung, von dem Be-
sitzer durch einen Katelog (Jan. 1889)
und Photegraphieen (letztere käuflich
bei Hofphoto^ph A. Schmitz, Klingel-
pütz) allgemeiner zugänglich gemacht
Ober die Entstehung der Sammlung
entnehmen wir dem Vorwort : „Als ich
in reiferen Jahren im British Museum
zu London, im Louvre zu Paris und
an manchen anderen Städten des Aus-
landes mit tiefem Bedauern sah, wie
die im deutschen Yaterlande, nament-
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Museogntphie.
279
lieh im Rheinlande aufgefundenen Ge-
genstände aus der Romerzeit in die
Fremde verschleppt und so diese wert-
ToUen Zeugen längst verschwundener
Zeiten der heimischen Altertumskunde
für immer entzogen worden sind, fasste
ich den Entschluss, keine Zeit, Mühe
und Kosten zu scheuen, um meinerseits
soviel als möglich der ferneren Ver-
schleppung vorzubeugen und neue, be-
sonders für die Geschichte der Rhein-
provinz — meiner Heimat — wichtige
Funde dem Vaterlande zu erhalten.
Von dieser Gesinnung beseelt, habe
ich seit mehr als 15 Jahren die mir
häufig, namentlich bei der Erweiterung
der Stadt Köln und den zahlreichen
grossen Bauten^ bezw. Ausschachtun-
gen in der Altstadt, gebotene Gelegen-
heit zum Ankauf solcher Gegenstände
mit Eifer benutzt.
Summarinche Übersüß: Gläser 282
Nrn., Gefässe aus terra nigra, terra
sigillata und Thon 276 Nrn., Lampen
187 Nm , Etruskische Gegenstände 25
Nrn. — Statuen, Büsten, Tiere 55
Nm. — Bronzen 265 Nrn., darunter
ein 'Florakopf in getriebenem Golde'.
Elfenbein 31, Schmucksachen 141, Waf-
fen 34, Egyptisches 11 Nrn., Münzen
60 Stück.
Zuwachs van 1889, aufgeführt nach
einem gedruckten Nachtrag zum Kata-
log. Gläser 25 Nummern, darunter
weisse Henkelflasche mit tief geschnit-
tener reicher Ornamentik am Bauch.
Grüne zweihenklige Flasche in Form
einer Traube. Thongefasse 32 Nrn.,
darunter viele Becher mit Aufschriften,
aus denen erwähnt seien: becUe tibi
säväa; fdix; disce; vincas; uti, Schüs-
sel aus terra sigillata mit Jagdscenen,
Dm. 26 cm. Topf aus terra nigra,
dünn wie ein Karteoblatt, die untere
Hälfte kegelförmig, die obere ausge-
baucht, mit Stempel CAMYS. Lampen
6 Nrn.; Statuen, Büsten, Thiere u. dgl.
8 Nrn.: Venus aus Thon, auf einer
Halbkugel stehend; zwei nebeneinander
sitzende Figuren mit Polychromierung,
am Oberrhein gef. ; Juppiterkopf (Bai-
samarium) aus Marmor. Aschenkiste,
37 cm lang, 18Vt cm br., 24 cra hoch,
aus rosso antico, gefunden in Rom,
versehen mit der Inschrift: L. Marci
HHare, dem Brustbild des Verstorbe-
nen und Meergottheiten. Bronzen 23
Nrn. Elfenbein : Figürchen eines Her-
cules. Schmuksachen 11 Nm. Mehrere
Ringe mit Gemmen, mehrfacher Schmuck
aus Gagat. Römischer Helm, Mfinz-
formen aus terra nigra von Gordian,
Trajanus, Decius, Hostillian.
Aadün, Siermond • Museum I S. 270,89
n—vn.
Dr. Alfred von Reumond, Greheimer
Legationsrat, hatte seine reichhaltige
BüchersammluDg der Stadt Aachen ver-
macht mit der Bestimmung, dass die
Werke kunst^eschichtlichen und kunst-
wissenschaftlichen Inhaltes, sowie alle
Abbildungswerke dem städtischen Mu-
seum überwiesen werden sollten. Nach
dem 1887 erfolgenden Tode A. von Reu-
monts wurde eine Teilung der gesamten
Büchersammlung ftkr die Stadtbibliothek
und das Museum vorgenommen. Der auf
das Letztere fallende Teil wurde von der
Miiseumsverwaltung katalogisiert und,
nachdem die räumlichen Verhältnisse
hierfür hergerichtet worden waren, im
Kupferstichkabinet in einem eigens an-
gefertigten Schrank von Eichenholz in
würdiger Ausstattung und Verzierung
aufgestellt und durch die auf dem Kopt-
teil des Schrabkes angebrachte In-
schrift: „Büchersammlung Alfred von
Reumond** bezeichnet. Die Sammlung
umfasst bei einer langen Reibe sehr
wertvoller Werke 523 Nummern mit 863
Bänden. (Fritz Berndt.)
Neuss, Städtische Sammlung I S. 273, 90
H— VII.
Bei einem Haus - Abbruche wurden
früher mehrere mittelalterliche Münzen
gefunden und in diesem Jahre vom hie-
sigen Altertumsverein erworben. Die-
selben sind in Silber geschlagen von:
Wilhelm I, Herzog von Berg (1360—
80), in Mülheim a. Rh. geprägt WU-
helm n (1356—61), Herzog von Jülich,
in Düren geschlagen. Friedrich von
Saarwerden (1370—1414}, Erzbischof
von Kohl, in Deutz geschlagen. Zwei
Exemplare von Guno von Falkenstein,
Bischof von Trier (1362—88), in Kob-
lenz geschlagen. Die Münzen sind
von guter Erhaltung.
An interessanten Drucken erhielt
unsere Sammlung, ausser mehreren
Neusser Stadtansichten von Hogenberg,
ein Exemplar der seltenen Reimchro-
nik von Wierstraut; diese erschien
zuerst 1497 in Köln; im Jahre 1564
wurde die erste Auflage mit veränder-
tem Texte in zweiter Auflage in Köln
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280
Museographie.
bei Hirtzborn herausgegeben; unser
Exemplar ist eins der zweiten Aas-
gabe, leider fehlt Titel und mehrere
Schlussbl&tter. Wierstraut war wäh-
rend der Belagerung von Karl dem
Kühnen von Burgund Stadtsekretär
und hat als Augenzeuge dieses in der
Litteraturgeschichte bekannte Gedicht
verfasst; dasselbe existiert nur noch
in wenigen Original drucken.
Im verflossenen Winter legte der
Ziegeleibesitzer A. Broix eine Sand-
grube an in dem Strassenwinkel, wel-
cher von der alten römischen Rhein-
strasse und dem Wege von Novesium
nach Tolbiacum gebildet wird ; in den
oberen Erdschichten fanden sich ver-
schiedene mittelalterl. Lanzeuspitzen,
Hufeisen, Pferdekopfzeug, sowie Scher-
ben von kölnischen Trinkkrdgen, wahr-
scheinlich aus der burgundischen Be-
lagerung herrührend; in der Nähe
des Fundortes hatte karl der Kühne
sein Hauptquartier. In den tieferen
Schichten (von 1 m) fanden sich meh-
rere röm. Thonscherben mit schönen
Relieffiguren von terra sigillata, sowie
ein Säiüenfuss in Weibemstein. Herr
Broix schenkte die Fundobjekte dem
Altertumsverein. An derselben Stelle
wurden mehrere römische Mittelbronze-
münzen von Nero, Vespasian und Do-
mitianus, sowie bei diesen einige kleine
gallische Münzen gefunden, welche in
Privatbesitz kamen ; dieselben sind ohne
Schrift mit Tierfiguren (Pferd, Vogel
oder einem sternförmigen Zeichen)
versehen. In der Nähe des Fundortes
wurde im Anfang des Jahrhunderts bei
Anlage des Ifnäzösischen Kanal du
Nord ein Bacchusaltar gefunden.
(Dr. Sels.)
91 Dflsteldorff, klttorisches Museum I S.
274, ir, III.
92 Dflsseldorf, Sammlung des Herrn Gunt-
rum IL
93 Elberffeld, Sammlung des bergiichen
Qeschichtsvereins I S. 274, U.
94 Uerdingen, Sammlung des Herrn Fr.
Stellwerk I S. 524.
94a Crefeld, Sammlung des Museumsvereins
VII.
Es wurden 108 Gegenstände im Be-
trage von M. 3600,97 erworben, da-
runter sind als die hervorragendsten
die folgenden Nummern zu verzeich-
nen : Eine Anzahl kampanischer Vasen
und Urnen aus der Sammlung Luigi
Gabrielli aus Neapel. 1 Tabernakel-
Rahmen, Stuckrelief, vergoldet und
mit gemalten Ornamenten, Italien,
16. Jahrh. 2 Bilder - Rahmen, vergol-
det und mit gemalten Ornamenten,
Italien, 16. Jh. 1 Truhe, Renaissance,
geschnitzt, Italien, Ende des 16. Jhs.
Eine Anzahl Kacheln und Fliese aus
Süd- und West -Deutschland, 13. bis
18. Jh. Eine Anzahl schmiedeeiserne
Gegenstände : Glockenstuhl , Gitter,
Leuchter, Wandanne, Schlösser u. s. w.,
16. bis 18. Jh. Schreibtisch mit Uhr,
Palisanderholz mit Metall-Marqueterie-
Arbeit, 17. Jh. Kabinetschrank in ver-
schiedenen Holzarten. Renaissance,
16. Jh., Süddeutschland. Stühle und
1 Wiege, geschnitzt und bemalt, vom
Jahre 1689, Süddeutscbland.
(Nach dem 4. Bericht des Vereins.)
Rheinberg, Sammlung des Vereins von 94b
Getchickfsfreunden I S. 274.
Xanten, Sammlung des niederrbeiii. 95
Altertumsvereins U-VH.
Geschäftsjahr 1888/89. A. Unter-
nehmungen: Die Aufdeckung der in
den let7,ten Jahresberichten beschrie-
benen Umfassungsmauer wurde nahezu
vollendet. Es wurde der noch feh-
lende Teil der NW -Mauer nachge-
graben und die nördliche Ecke fest-
gestellt. In dieser abgerundeten Ecke
befanden sich 2 unzusammenbängende
Fundamente von 12 bez. 2.50 m Länge
und 1,.50 m Br. In dem Verlaufe der
NW-Mauer zeigten sich die Substruk-
tionen eines Turmes, die 3,50 m nach
innen sich erstreckten und nach aussen
0,50 m aus der Mauer hervorragten
bei einer Breite von 5,60 m. In seinem
Inneren war ein leerer Raum von 3,50
zu 2,50 m. Genau auf die Mitte dieser
Fundamente läuft in den Ackern des
nördlichen Teiles der Flur „op de aide
Burg**, kaum 2 Zoll von Humus be-
deckt, ein alter Kiesweg und wo dieser
den Turm trifft, war in einer Breite
von 1 m alles Mauerwerk ausgebrochen
uud zwar nach seiner Errichtung, wie
die unregelmässigen Seitenflächen be-
weisen, denn wäre diese Öffnung beim
Aufmauern gelassen, so würden die
Wände platt sein. Es ist so ein Zu-
gang zu dem Innenraum und ein Aus-
gang durch die Umwallung gebildet.
Westlich von diesem Turm 60 m
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Museographie.
281
entfernt wurde ein zweiter Ausbau auf-
gedeckt und zwar in der Nähe der
Stelle, wo die alte Rumerstrasse von
Köln nach Nymwegen sich hinzieht
Die äussere Seite derselben springt
1^60 m Tor, der nach innen ragende
Teil hat 5 m Länge bei 6 m Breite.
Der leere Innenraum zeigt nach zwei
Seiten eine sich abrundende Verdickung,
wodurch ein 2 m im Durchmesser hal-
tender Kreis entstand, in dessen ge-
nau gemauerten Wänden drei Nuten
sind, deren Zweck unklar ist. - Diese
Fundamente werden wahrscheinlich
Teile der nördlichen Thoranlage sein.
Dieselben stossen an den mit Bäumen
besetzten Hofplatz eines Hauses, den
auch der oben erwähnte Römerweg
schneidet. Einer weiteren Aufgrabung
war mithin hierdurch leider ein Ziel
gesteckt.
Für die Mitglieder des Vereins wurde
eine Karte der Umfassungsmauer an-
gefertigt, die auf Taf. 12 im verkleinerten
Massstab wiedergegeben ist Die Mauer
umschllesst in Trapezform ca. 83Hectar.
B. Zuwachs, a) Durch Fundstäcke
bei den Ausgrabungen: Schalen und
Bruchstücke von Terra sigillata mit
Stempel: Albini, Of AcuH, 0/ Bassi,
0/ Man., Sabinus, Rundstempel um ^t
Caius fe, T. Mal. FoHÜs) feci. Mün-
zen von Constantinus, Nerva (Coh. 61 >,
Vespasian. b) Durch Ankauf: 1 Gold-
münze dos Claudius (Coh. 5) gef. in
Birten, 15 Gemmen ger. teils alte Burg,
teils Birten. Verschiedene Gegenstände
von Bronze wie Schlüssel, Ring, Schnalle,
Gewandnadel, Nagel. Denar von An-
gustus, Antoninus. Mittelerz vonTraian,
Nero, Faustina, Postumus.
(Dr. Steiner).
96 Clave, Sammlung im Rathaus I S. 523.
Holland.
97 NymweiM, StfldUscIi« Sammlung I S.
276, U-VlI.
7 Stück rum. Mosaik unbekannter
Herkunft Gemmen:!) Achat, Intaglio,
Frauenbild, in silbernem Ring, gef.
bei der Winseling. 2) Blaue Glaspaste,
ein römischer Gelehrter, gef. bei Nym-
wegen. 3) Nicolo, 2 Fische, in silber-
nem Ring, gef. auf dem Hunerberg. —
Bronzene weibliche Pudenda auf sechs-
eckigem Plättchen, lang 2>/s cm, gef.
bei der Winseling. Bronzestatuette
eines Priesters, hoch 4 cm, gef. auf
dem Hunerberg. Mehrere Münzen.
(Nach gedrucktem Bericht).
Utrecht, Provinzialmuseum 1SS7/SS98
I S. 276, Il-V, VH.
Kein Zuwachs aus dem Altertum.
(Hulsebos.)
Leyden, KOnigl. Niederländisches Reichs- 99
museum der Altertümer I S. 27ö, H— VU.
Erwerbungen von den in Niederlän-
dischem Boden gefundenen oder auch
in Niederland durch Ankauf erworbenen
Altertümern, 1888,
Provins Noord'Brabant, Aus M o o k :
Bei den Arbeiten für die Eisenbahn-
linie Nymegen-Venlo wurde in der Nähe
der Brücke über die Maas, bei den
Ausgrabungen an beiden Ufern, eine
ansehnliche Zahl römische Altertümer
gefunden und von den Beamten der
Reichswerke dem Museum Übermacht
Diese recht hübsche Sammlung ent-
bielt viele Thongefässe : Drei Schüsseln
mit Gussröhre H. 8—9,5, Dm. 24—30
cm. Zwei Schalen H. 3,^ u. 2,7, Dm.
18 und 20 cm. Eine Schale H. 7,8,
Dm. 24,5 cm, mit eingedrückter Marke
in dem Boden. Acht Schüsseln von
terra sigillata H. 3,5-4,9, Dm. 16—18
cm, eine mit eingedrückter Marke:
OF PRIMI, und eine mit Epheublät-
tern auf dem Rande Dreizehn Töpfe
oder Urnen von 7,2 — 14 cm H., Dm.
8,5—23,5 cm. Ein Töpfchen von sel-
tener Form H. 11,5, Dm. 16 cm. Drei
Töpfchen mit eingedrückten Streifchen
und Höhlungen H. 10—14,5, Dm. 10
16,5 cm. Sechs Schalen und Schfissel-
chen von terra sigillata, zwei mit Fa-
brikmarke, einige mit Reliefverzierun-
gen. Siebenzehn Krüge mit und ohne
Henkel H. 14-27, Dm. 12-16 cm.
Zwei kleinere H. 8, Dm. 7 cm. Zwei
Lampen mit Reliefv^rzienmg. Ein
Weiberhaupt als Ölflasche H. 10,3, Dm.
4 n. 6 cm. Ein gläserner Trinkbecher.
Drei Bronzeglöckchen und vier Kaiser-
münzen l«r und Mittelgrösse.
Provinz Odderiand. Aus Ewyk:
Ein Steinbeil oder Keil von einfacher
Form L. 5 cm.
Provinz Utrecht. Aus Wo erden:
Einige Fragmente von .römischem
Geschirr. Ein Denarius von Galba;
Rev. Lorbeerkranz mit s. p.T\ oh\c. s.
und zwei Bronzen 1«' Gr., von Ves-
pasianus und Traianus.
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282
Museogn^hie.
Provim Friedand, Von Terschiedenen
Terpen*): Za Jelsam: Viele Cber-
rette yon Töpferwaren, meist sehr roh
bearbeitet; Fass und Teil einer Urne
Dm. 18,5 cm. Drei Töpfchen von 2,1
— 5,2 cm H., Dm. 3,5 — 6 cm ; eins mit
Deckel Kugelrunder Knopf eines Stabes
oder Stockes. Kegelförmiger Stopfen.
Fünf Spinnrockensteinchen. Gläserne
Korallen. Ein Fläschchen mit parallelen
Rippchen. Drei Metatarsen von Pferden,
als Schlittschuhe bearbeitet. Zwei bei-
nerne Lanzenspitzen (?) L. 8 cm. Ein
Pfriemen L. 10 cm. Ein do. nach
beiden Enden spitz auslaufend (Haar-
nadel?), L. 18,8 cm. - Zu Beetgum:
Fragmente von Andemachschem Tuf-
steine (Handmühle); von tannen- und
eichenhölzemen Tonnen. T o p f w a r e n :
Fragmente meistens von rohen Ge-
stosen aus ziemlich hart gebacke-
ner Erde; darunter von einem ziem-
lich grossen Gefässe, Dm. 2ö cm. Auch
einzelne mit in dem Rande eingedrück-
ten Verzierungen und mit Henkeln.
Eine kugelförmige Urne H. 21, Dm.
22 cm. Eine kleinere H. 15, Dm. 18
cm. Ein Sch&lchen mit drei durch-
löcherten Henkelchen H. 3,7, Dm. 5,5
cm. Sehr kleine Töpfchen H. 2,2, Dm.
6,5 cm. Ein l&ngliches GefiLss, sehr
roh und grob, in der Form eines Körb-
chens H. 3,6, Br. 12^, D. 6,5 cm.
Plattrunde Scheiben mit grosser Öff-
nung in der Mitte H. 4,5, Dm. 11,5 cm.
Ein dicker Ring H. 3,9, Dm. 11 cm.
Korallen, Knöpfe, Spinnrockenstein-
chen. Von Bein: Metatarsen von
Pferden als Schlittschuhe. Henkel eines
Pfriemes. Eine Haarnadel L. 17,8 cm.
Eine Nähnadel L. 12,5, Br. 1,3 cm.
Ein Knöchelchen (Spielzeug) mit 16
hineingestochenen Pünktchen L. 1,7,
Br. 2,5, D. 1,6 cm. Viele bearbeitete
Hirschhörner. — Zu Beetgumermo-
len: Fragmente von Handmühlsteinen.
Töpferwaren: Grosse Scheibe oder
Deckel eines Gefässes, mit eingedrück-
ten Verzierungen auf dem Rande, Dm.
15,5 dick 3 cm. Scherbe eines grossen
römischen Kruses. Fragmente vieler
verschiedenen Gef&sse in verschiede-
nen Formen, Bearbeitung und Verzie-
1) Terpen sind die AnhOhen nnd hDher
gelegenen Teile des Landes, wo die Altesten
Bewohner und anoh sp&tere Bevölkerung sich
niederllessen, nm sich gegen die täglichen
Überschwemmungen des Meeres su schOtzen.
Hingen. — Zu Wilaard: Ein Spinn*
rockensteinchen von Töpfererde.
Aus Bein: Spinnrockensteinchen. Ein
Pfriem L. 11,7, 1,2 cm. Eine Näh-
nadel L. 8,1, Br. 0,6 cm. Eine vier-
seitige Nadel mit der Öffnung in der
Mitte L. 7, Br. 0,6 cm. Eine uner-
kennbare römische Kaisermünze 1*' Gr.
— Zu Wytgaard: Fragmente ven
Handmühlsteinen. Töpferware: Töpf-
chen mit umgebogenem Rande, Henkel
und platten Boden ; unter dem Henkel
zwei vor dem Backen eingedrückte Bie-
gungen. — Zu Teerns: In Stein:
Schiefer. Platter ovaler Reibeetein
H. 1,35, Br. 66, D. 4 cm. Töpfer-
ware. Gebackene Steine: Frag-
ment eines roh geformten sehr grossen
Geftsses H 18,5, D. 5 cm. Rundes
cylinderförmiges Gefäss, dessen Boden
mit fünf Löchern durchbohrt, und ein
in dem Geftsse schliessender und be-
weglicher Cylinder, eine Art Mühle,
wie man sich derer noch in späteren
Zeiten, um Senf zu bereiten, bediente
H. 10,4, Br. 9,6, Dm. 17, D. 11,5 cm.
Viereckiges Gefäss mit aussteckendem
Teile an einem Ende H. 9,5 Br. 22,
Dm. 13,5, D. 1,5 cm. Viele Scherben
von Gef&ssen, mit und ohne Henkel;
Töpfchen mit Henkel H. 4,6, Dm. 8,5
cm. Zwei Töpfchen, nach unten spitzig
H. 4, Dm. 4 u. 5,6 cm. Terra si-
g i 1 1 a t a : Drei Scherben von römischen
Schien. Schüsselchen innen und aussen
mit eingedrückten dreieckigen Figuren
H. 3,7, Dm. 9 cm. Scheibe (oder
Deckel) mit Knopf Dm. 10,1 cm.
Dicke Scheibe mit grosser Öffnung in
der Mitte H. 5,7, Dm. 11,5 cm. Knöpfe,
Spinnrockensteinchen, Korallen. Ein
Ball Dm. 5 cm. In Metall, Bronze:
Bienenkorbförmiges Glöckchen H. 6,
Dm. 4 cm. Ein Instrument unsicherer
Bedeutung L 13,5 cm. Ein Stift L. 8,5
cm. Eisen: Eine Schere L. 15,7 cm.
Ein Hufeisen Br. 2,5 cm. Ein Ring
H. 1,3, Dm. 3,1 cm. In Glas: Zwei
Korallen, grün und blau. In Bein:
Eine länglich viereckige Platte, mit
fünf Löchern durchbohrt, und rund-
umher eingravierten Kreisen. Ein Halb-
cylinder mit eingravierten Kreisen. Ein
langer HaaiiEamm L. 17 cm. Oberteil
eines dreieckigen Haarkammes mit ein-
gravierten Kreisen L. 3,5 cm. Teil
eines Doppelkammes L. 3,5 u. 2,8 cm.
Ein Schächtelchen H. 5,6 cm. Ein
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Museographie.
283
Sp&telchen L. 8,9 cm. Vier Pfriemen
L. 8,7, 8,8, 9,5 u. 10,5 cm. Eine Haar-
nadel L. 9,4 cm. Ein Löffelchen mit
Stiel L. 13,5 cm. Eine Nadel mit Öhre
L. 8,4 cm. Henkel eines Instruments
mit Linienverzierong L. 11,2 cm. Fünf
Spitzen für Lanzen (?) L. 12— 18 cm.
21 Metatarsen von Pferden und Rin-
dern, deren einige als Schlittschuhe
bearbeitet Mensdiliche Schädelkappe
(dolichocephal) mit einer öffiiung in
dem rechten Wandbeine, entstanden
durch Verwundung mit einem scharfen
Instrumente, H. 18, Br. 13,1 cm. Spinn-
rockensteinchen von dem Kopfe eines
menschlichen Schenkelbeines angefer-
tigt Eine Menge bearbeitete Hirsch-
hörner. Zwei Schweinezähne. Drei
Rippen eines eidechsenartigen Tieres
! Saums,?), L. 9, 1(«,8 u. 19 cm. — Zu
rinkum: Bein: Metatarse eines
Pferdes zu Schlittschuhen bearbeitet
Olas: Eine plattrunde blaugrüne Ko-
ralle Dm. 1,2 cm. — Zu Aalsum:
Bein: Metatarse als Schlittschuh. Ein
sehr schön bearbeiteter und ausge-
zeichnet conservierter Haarkamm, dem
blos sieben Zähne fehlen L. 18,5, Br.
5 cm. Töpferware: Zwei Knöpfe
Dm. 2,8 cm. Olas: Zwei plattrunde
Korallchen, lichtgrün und dunkelrot
Dm. 1,5 n. 0,9 cm. — Zu Dein um:
Schiefer: Wetzstein, oval, L. 16, Br.
4, D. 2,6 cm. Roter Porphyr: Wetz-
stein, länglich vierseitig, L. 12,4 und
3,6 cm. Töpferware: Acht Frag-
mente von Gelassen mit einem Henkel.
Fünf Fragmente von Geftssen, eines mit
einffedrückter Verzierung in dem Rande
und drei mit Henkel. — Zu Jorwerd :
Bein: Haarkamm mit zehn ganzen uod
zwei gebrochenen Zähnen L. 15 cm.
Halbkugelförmiges Spinnrockenstein-
chen, von dem Kopfe eines mensch-
lichen Schenkelbeines verfertigt — Zu
Menaldum: Stein: Fragment eines
Handmühlsteines. Töpferware: Bo-
den eines Gefässes Dm. 9 cm. Frag-
ment mit eingedrückter Verzierung in
dem Rande.
ProvmMOronmgen, ZuKlein-Garn-
werd in einer Terp: Bernstein,
Glas, Thonerde u. s. w.: 27 Ko-
rallen (14 in Bernstein) von plattrun-
den und länglichen Formen, rot, weiss,
blau, grün und braun. Dm. 0,4—0,8 cm,
gefunden auf dem Skelette eines Weibes,
und wahrscheinlich zu einem Hals-
schmuck^ gehörig. In der Nähe war
auch ein Skelett eines Mannes mit
Überresten eines fränkischen (?) Schwer-
tes gefunden.
Provmg Drenthe. Ein Beil oder Keil
von Schiefer L. 9A Br. 6 u. 2,7 cm,
der mutmasslich aus Drenthe im An-
fange dieses Jahrhunderts an das
damalige Reichsmuseum zu Amster-
dam geschickt und daher bei dem mi-
neralogischen Museum in Utrecht in
Verwabrung gegeben wurde, während
die übrigen aus Drenthe in Amster-
dam befindlichen Altertümer nach dem
Reichsmuseum der Altertümer in Leiden
überführt wurden. Ein grosses Beil
von Diorit (?), sehr sauber und glatt
poliert, mit scharfer Schneide L. 20,
Br. 9 u. 4 cm (abfeb. Taf. 13 Nr. 4),
mutmasslich aus dem niederländischen
Boden und aus dem mineralogischen
Museum in Utrecht nach Leiden ge-
schickt — Aus Kolderveen bei
Mepp el : Ein Kanoe, aus einem Eichen-
baum ausgehöhlt, wurde unter dieser
Gemeinde, bei dem Austiefen eines
Grabens, auf einer geringen Tiefe unter
dem Boden entdeckt und mit vieler
Sorae ausgegraben. Nach dem Museum
zu Leiden überführt, wurden alle ver-
schiedenen Fragmente, nachdem sie
Sehörig getrocknet waren, mit einan-
er vereinigt und zu einem Ganzen in
der ursprünglichen Form sehr genau .
wiederhergestellt Die Masse sind:
Länge 5,76 m. Breite in der Mitte
0,76, auf dem Boden 0,40 m. Tiefe
ungefähr 0,13 m. Die weniger ausge-
höhlten Teile an den beiden etwa
spitzig zulaufenden Enden oder Steven
haben eine Länge von 1,33 u. 1,42 m.
In dem Boden sind, in regelmässigen
Abständen, drei viereckige Löcher von
etwa 3 cm mit hölzernen Zapfen ge-
schlossen (abgeb. Taf. 13 Nr. 5 u. 5«).
(C. Leemans.)
LeMmrOa, MuseMin I S. 276, U. 100
Erhielt das hervorragend wichtige
Deokmal der Hludana, vgl. Wd. Korr.
vni, 5.
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284
Museographie.
2. Decouvertes d'antiquites en
Par H. Sehaermans.
ue.
Epoque antähistorique. Le
„dolmen** de Solwaster (Sart, pr^s de
Spa) dont il a ^t^ question dans le compte
rendu de l'annde prdcddente, continue
ä Stre aussi vivement contestä que
d^fendu avec ardeur. Les g^ologues,
MM. Moreels, de Walque, y voient une
pierre de grande dimensioD, rien de
plus; MM. Comhaire, Uarroy soutien-
nent m^me que d'autres blocs, par-
sem^s dans la lande, ont fait partie
de cromlechs : on a beaucoup ^crit sur
CO sujet, saus Tavoir ^puis^.
Le congr^ arch^ologique de Char-
leroy a donn^ une grande impulsion
aux recherches arch^ologiques.
Je r ecueil] e dans les documents re-
latife k ce congres, les notes suivantes,
en ^liminant tout ce qui a d^jä fait
Pobjet des listes de Schayes et van
Dessel: Hainaut, un dolmen k Bouf-
fioulx, un autre äPresles; des menhirs,
dits les Zeupires, äGoz^e; un autre
k Velaines - sur- Sambre ; Naraur, un
menhir k Fayat ; Limbourg, un dolmen
k Diepenbeek (on y mentionne encore
un cromlech de buit grandes pierres
brutes, qui aurait disparu: c'est tout
simplement le cercle form^ par les
bornes de la commune d'Overpelt).
A W^ris (Luxembourg), M. Moreels
a d^couvert un deuxi^me dolmen (cham-
bre s^pulcrale) ; mais il y a lieu, sinon
de ne pas consid^rer comme menhir
une pierre isoläe situ^e non loin, au
moins de rejeter comme argument, en
faveur de son caract^re, son nom qui
ressemble k celui de menhir: ce mot
est, en effet, un terme conventionnel
emprunt^, au siäcle pass^, par Legrand
d'Aussy k la langue des Bretons mo-
dernes: c'est ce qui a 6iä objecto k
la röche minir de M. Grandgagnage,
qui n'^tait qu*une röche des minie-
res, ou une pierre des rouges mi-
nieres (nom d'un ruisseau voisin),
pr^s de Remoucbamps (Aywaille).
A Oppagne (Luxembourg), M. Mo-
reels indique un autre dolmen, k 500
pas de celui de W^ris.
On Signale > Andenne (Namur), au
lieu dit : les Echavdes, ancienne route
dite „des Sarrazins", un tombeau qu'on
rapporte k P^poque antd-historique.
Des instruments en silex ont 6i6
d^couverts k Baileux (Hainaut), et
dans le Limbourg on signale: deux
„haches", I'une de 0^ 24 de long, et
silex gris jaunätre, provenant de Me-
chelen, l'autre en röche vert p&le, tr^s
petite, de Caulille ; de plus, un coutean
en silex roux jaune, de Sutendael, et
une pointe de fläche, de Maeseyck.
L'äge dit „de bronze*^ a fourni, dans
un tumulus k Wavre (Brabant), un vase
d^peint comme ayant des dessins poly-
chromes (?), plus un fragment d'^p^e
et ce qu*on appelle „rasoir", objet
d'une forme caractäristique pour ladite
Epoque.
J'ai d^crit dans le Bulletin ar-
chäologique lidgeois, un petit
cheval en bronze, de forme träs pri-
mitive, trouv^ en remaniant une route
romaine k Glavier (Liöge) : je rapporte
cet objet k T^poque ant^rieure k la
conqu^te romaine, et j'en Signale la res-
semblance avec ceux d'^trurie et de
Hallstatt.
Epoque romaine. On Signale k
Burtscheid , präs d' Aix - la - Chapelle,
la d^couverte d'une conduite d'eau,
pour bains, avec tuiles portant la
marque leg VI vic p /.
A Montigny-sur-Sambre (Hainaut),
on a Signal^ comme pont romain un
ouvrage n'ayant que 2™65 de large,
montä sur arcades, et auquel on n^avait
pas fait attention jusqu*ici ; dans Thy-
pothäse qui est contest^e, que ce
serait un ouvrage des Romains, il y
a lieu de se demander si ce n'est pas
un petit aqueduc, k raison de l'en-
caissement de ce qu^on pourrait prendre
pour la cunette; mais on n'indique
pas la pente caract^ristique d'environ
IVt p. Vo qui distingue les aqueducs de
cette Epoque. C'est un siget k Studier.
A Messancy et k Villers-sur-Semois
(Luxembourg), on a trouv^ deux autels
romains, le premier portant k ses faces
Apollon, Mercure, Junon, Minerve;
ApoIIon seul est reconnaissable sur le
second ; k Sainte-Marie (ibid), au haut
du Fay^ (hameau de Fratin), on a
trouv^ un monolithe cubique, qu'on
considöre aussi comme un autel, mais
ant(^- romain.
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Maseographie.
285
A Xhoris (Li^ge), on a d^couvert
une n^cropole bolgo-romaine, d'oü Poii
a extrait notamment une fibule en
bronze orn^e d'un buste de dame ron
maine, d'on fort beau travail; an bou-
ton en bronze, incrustä d'une s^rie de
petita triangles en argent dispos^s en
cercle; une botte ovale, anssi en bronze,
doublte en argent, et un silex taill^,
en forme de pointe de flache en
amande. Dans le voisinage, on indique
une grotte artificielle, jadis mur^e,
que Ton fouillera.
Dans le parc de Modave, pr^s de
Huy, M. Ivan Braconnier a pr^id^ ä
des fouilles dans une villa belgo-ro-
maine; j'ai vu une partie du resultat
des trouvailles et j'y ai distingu^ des
fragmenis de peiotures murales, une
brique briste: sur deux lignes, frag-
ment d'un aiphabet, en ^rnffitto. Des
tuiles ont le marque (N£)H (les deux
premiäres lettres en monogramme), que
j'ai d^jä signal^e aux environs de
Landen, etc.
Dans le Hainaut, on a fait des trou-
vailles de la mSme ^poque k Courcelles,
Fontaine-Valmont, Gougnies, Hantes-
Wiheries, La Buissi^re, Sart-la Buis-
si^re, Solre-sur-Sambre, Str^e, Thiri-
mont, Try-Saint-Pierre.
M. Bernier, d'Angre, a d^couvert en
sa commune des monnaies de bronze
de Domitien, Trajan, Constantin, des
vases avec marques de potior: atJi,
pilis, otdloSf aetemim, verenus, oppasi ofy
et sur le bord d'une terrine: viräisse,
des dpingles en bronze, un bracelet,
id., omd de six pendeloques. des fibules,
^pingles, une pince ä ^piler.
Le m^me Signale dans les environs
d^Angre : ä Rombies, des monnaies de
N^ron, Hadrien, Antonin, Marc- Auröle,
Faust ine. Postume, un grand vase de
verre. A Curgies, 449 monnaies de
193 ä 260; k Sebourg, une monnaie
de la famille Plancia, une id. en bronze
de Faustine.
A Havrd (^galement Hainaut), on a
d^combr^ des umes, des monnaies
d^ Antonin, Faustine, Postume, £laga-
bale, Gordien et Julia Domna.
Antiquit^s frankes. A Sainte-
Marie (Luxembourg), la section de
Fratin, d^ja signal^e, a r^väl^ une
tombe franke, contenant outre des
umes et une petite bouteille de verre
fortement bombde, tont Pattiraii d'un
guerrier frank: petita couteaux, fran-
cisque, petite hache, fram^e, boucle de
ceinturon, plaques de bronze avec rivets,
silex, briquet, ciseaux, etc.
A Oteppe et k Vierset-Barse (Liöge),
ont ^tä ^galement visitäes des s^ul-
tures frankes.
Mais oü Pon s'est vraiment piquä
d'honneur pour trouver des antiquit^s
frankes en vue du congrös cit^, c^est
en la province du Hainaut. On a trouv^
du frank partout, k Acoz, Ecaussines
d'Enghien, ^^louges, Feluy, Fontaine-
Valmont, Forges-lez-Chimay, Gougnies,
Hantes- Wiheries, Harmignies, La Buis-
söre, Marcinelle, Momignies (au Fort-
Matot) , Montigny - Saint - Christophe,
Spiennes, Str^e, Thirimont, Trivieres
(plusieurs de ces localit^s d^jä signaläes
pour les trouvailles romaines).
On a m^me eu, au congrös de
Charleroy, Pambition, louable certes,
mais peut-^tre un peu exagär^e, de
classer les s^pultures frankes, en n-
puaires, en saliques, de la premiöre
dpoque, de la deuxiöme, de la troi-
siäme. Tout le monde n'a pas ^td
d'avis de proc^der avec cette rapidit^,
et notamment, M. Eurth, professeur
k Puniversit^ de Liäge, a präsente de
s^rieuses objections au Systeme pr^sentd.
Quoi qu'il en soit, parmi les s^pul-
tures indiqu(^es, il en est d^jä qui sont
d^crites sommairement , notamment
Celles d'Harmignies , oü une tombe
contenait: couteaux, scramasaxe, fran-
cisque, fer de lance, grande et large
(^pee, pointes de flache, d^bris d'un
bouclier, boucles de ceinturon en fer
damasquinä d'argent, anneau de trousse,
amulettes, laniöres en cuir, plus des
vases en terre, etc. ; d'autres tombeaux
ont fourni une boucle d'oreille en
argent, une pierre tailläe assiyettie au
bronze par un tenant en fer.
Les fouilles d'Harmignies ont 4i4
effectu^es par MM. le baron Alf. de
Loe, Victor Dejardin, etc.
(H. Schuermans.)
»o^SO^*-«
Wettd. Zeitoohr. f. Oetoh. n. Kanst. VIII, UI.
22
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Du Um/assan^snuaur/Us Haüwifddis
vor jtUnt CUperihor*
der Stadt Xanten.
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WtHld Xeilscnr vm /a/. u.
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ReüungjnäJker' Funde ^kH)n
Sindeifui^en^
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vor jcUnt Cleperihor*
der Stadt Xanten.
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C»x.9m9tLff9^mrk^rmiß^LiMMJ).
IVes/d ^eitscAn Mm IS
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4 -J"* Ifiyd^'M .
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Reihtnai^äber- Fumü^ 'von
SiiuLUTui^eiv
Origr Grösse,
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U'efld. ^f/tscAr mTb/^f^.
SAALBURG- FUNDSTUCKE.
HOMBURG V.O.H. 1889.
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V /;./; --i*:^.
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Limes-Studien.
Von A. Uanueran.
[. All;;emeine8. Der Tanntts-Limes.
Eine Frage von grösster Bedeutung für die Beurteilung des Limes ')
betriiTt seine Geschichte. Sie ist meines Erachtens noch nicht hin-
reichend in Betracht gezogen, gesell weige beantwortet worden. Dennoch
rauss jede gewissenhafte Detail-Untersuchung zu der Erwägung kommen :
*) Wie der römische Limes mit einer deutschen Bezeichnung zu nennen
sei, darüber ist bis heute keine Übereinstimmung erzielt. Man hat ihn vor
Jahrzehnten mit Vorliebe „Pfahlgraben" genannt und diesen im rheinischen
Lande allgemein volkstümlichen Namen auch in die wissenschaftliche Nomen-
claiur eingeführt, aber gerade er (wie das älteste „pfal") beruht auf einem
seiner Attribute, das wir bisher wissenschaftlich nicht mit Bestimmtheit er-
klären können (der eine denkt an durchgehende Pallisadierung, der andere
an vereinzelte Grenzpfahle, ein dritter an den Gott Phol) und der „Graben"
ist nicht einmal überall vorhanden. „Grenzwehr" hat Rössel bevorzugt,
„Grenzwall" Hübner und Cohauscn. Ersteres präjudiciert die Bestimmung,
Letzteres setzt einen Wall voraus, der nicht überall besteht, den Cohausen
selbst an der Donau leugnet und im Odenwalde nicht als Grenze gelten lassen
will. Angesichts dieser Unsicherheit blieb ich stets und bleibe bei der rö-
mischen Bezeichnung Limes als einer wissenschaftlich unzweideutigen, nichts
voraussetzenden und bin der Meinung, dass es auch jetzt noch ratsam er-
scheint, alle jene neueren Deutungs - Namen abzulehnen. Unter Limes lässt
sich die Rhein-, die Donau- und die Odenwald - Neckar - Linie ohne inneren
Widerspruch zusammenfassen, so verschieden ihr Bau auch ist: die crsterc
ist ein Wall mit Graben, die zweite eine Mauer, die dritte keines von beiden.
Mommsen hat längst den Begriff des Wortes Limes als Weg und Grenze
bündig erläutert, nichts widerspricht dieser Definition in der uns vorliegenden
Erscheinung des grossartigen Werkes und dass das römische Gebiet sich
durch dasselbe vom Barbaren - Lande abschloss, beweist schon das resolute
Aufhören jedes römischen Anbaues jenseits dossolbcn.
We«ta. ZaiUobr. f. Oe«ch. n. Kunst VIII, IV. ^«^
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288 A. Hammeraü
wie war die älteste Anlage beschaffen und welches waren die Verände-
rungen und Formen, die er im Laufe der Zeit durchlief? Im Allge-
meinen beruhigt man sich bei der noch heute vorliegenden Erscheinung.
Aber diese ist nicht überall maassgebend, da sie naturgemäss die
späteste ist und unzweifelhaft hat ein so wichtiges militärisches Werk
im Laufe der Zeit zahlreiche Modifikationen erfahren. Wir haben zu
bedenken, dass zwei Jahrhunderte für den nahezu intakten Bestand,
wohl auch für die Besetzung der deutschen Linie in Anspruch genommen
werden müssen. In der ersten Hälfte des ersten Jahrhunderts erscheinen
überall Vorarbeiten in Form von Abschnittswällen, Befestigungen und
Umhegungen einzelner Landschaften, alle sind ausgesprochen militärischer
Natur. Nach meiner Überzeugung, die im Folgenden näher begründet
werden soll, hat der Limes selbst in der Hauptsache ebenfalls eine
militärische Bestimmung. Am Niederrhein kennt man die Umiies schon
zu Tiberius' Zeit und am Mittelrhein, im Main- und Nidda-Thal wird
keine andere Methode zur Anwendung gekommen sein. Muniliones
viarum et ßuminum erwähnt Tacitus Ann. I, 56 gelegentlich des Feld-
zugs des Germanicus im Nidda-Gebiet, am Südhang des Taunus. Da-
mals bestand also bereits ein System der Sicherung in jener wasser-
reichen und fruchtbaren Wetterau, die später von den llömern (vermutlich
auch wegen ihrer Fruchtbarkeit und Zugänglichkeit) in ihr Grenzland
einbezogen wurde.
Wo Verteidigungsbauten in Form von Erdwerken oder befestigten
Strassen bestanden, mussten auch Castelle sein. Eines bedingt das
Andere. In der That erwähnt Tacitus schon in jener Frühzeit ein
solches : posito vasicllo — in monte Tauno. Man baut das Castell bei
dauernder Okkupation nicht ohne die Strasse, und nichts erläutert
dieses echt römische Prinzip schöner als die Saalburg, zu welcher von
der römischen Ansiedlung bei Heddernheim eine schnurgerade Militär-
strasse heraufzieht. Sie redet lauter als jede historische Thatsache
einerseits für die im Taunusgebiet so notwendige Theorie der Etappe,
d. li. sie zeigt, dass bei Heddernheim das Niddagebiet erst gasichert
sein rausste, ehe man sich auf die Höhe begab und den Pass ab-
sperrte, und andererseits sagt sie uns, indem sie die verlängerte Cast^ll-
achse darstellt, dass die Anlage des Castells der Anlage der Strasse
in keinem Falle vorau.sging. Herr von Cohausen hat Ursache und
Wirkung hier treffend bezeichnet, indem er bemerkt (Grenzw. S. 117),
dass man ^die mehr östliche oder mehr westliche Lage des südlichen
Endpunkts der Strasse flicht von der zufälligen Lage und Richtung
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Limes- Studien. 289
des Castells abhängig gemacht haben würde" ; man könne «daher, fügt
er hinzu, nur „aus geometrischen Gründen sagen, dass die Strasse
schon vorhanden war, als man das Castell erbaut hat, oder wenigstens
dass Strasse und Castell gleichzeitige Anlagen sind". Unzweifelhaft ist ^
man fernerhin berechtigt, bei der Saalburg geltend zu machen, dass sie
ursprünglich, wenn sie auch nachweisbar nicht so umfangreich war wie
sie heute sich darstellt, als vorgeschobener Posten im Gebirge ohne
reguläre Militärstrasse gerade an diesem wichtigen Passe nicht
hätte bestehen können. Dieser Umstand bekräftigt meines Erachtens
in der nachdrücklichsten Weise die Theorie jener geraden Linie, die
so zweckmässig geführt ist wie sie heute noch geführt werden müsste.
Die römische Okkupation, das sollte eindringlicher betont werden,
hat überall zur Grundlage den Bau der Militärstrasse. Darum
ist sie meist unabhängig von Ansiedlungen der Lande^bevölkerung,
schreibt vielmehr vielfach die Entstehung der Ortschaften vor. Es ist
sehr beklagenswert, dass das Strassensystem des Limes seither eine
durchaus untergeordnete Rolle bei den Untersuchungen spielt. Castelle
lagen jedesfalls an diesen Strassen auch im Binnenlande während der
Entwicklung des Verteidigungs - Systems. Wir finden noch die Rudi-
mente solcher im Taunusgebiet in Wiesbaden, Hoflieim, Kesselstadt etc.,
ohne dass wir sagen können, in welcher Entwicklung und Erscheinungs-
form der Sturm des 3. Jahrhunderts sie traf Die ilickliegenden Castelle
waren naturgemäss die ersten und wichtigsten im ersten Jahrhundert
vor der Anlage des Limes, wenn sie auch im dritten vielleicht bedeu-
tungslos waren und nur gelegentlich als Soutiens dienten.
Ich nehme zwei erste Angriffslinien am Mittelrhein an, die
dem liimesbau vorangingen und vorarbeiteten. Die Hauptlinie geht von
Mogontiacum und dem Brückenkopf Castellum Mattiacorum in das Ge-
biet der Taunusebene, dem Lauf des Maines parallel, bis in die Wetterau ;
sie diente stets als Operationslinie gegen die Chatten. Die andere nimmt
einen kürzeren Anlauf in das nassauische Gebirgsland ; wenn nicht alles
trügt, war sie eine zu Beginn der Kämpfe viel benutzte und stark be-
drohte: sie zieht von Castel nach Wiesbaden (dem Castell auf dem
lleidenberg) und alsdann auf die Höhe, wo Castell Zugmantel bei Orlen-
Libbach liegt. Die erste Linie ist überall anerkannt, ihre Wichtigkeit
und gleichsam historische Bedeutung testieren die Schriftsteller von
Tacitus an gleichwie der Gang der Ereignisse, ihre topographische
Plastik in der Landschaft erläutert die Elisabethenstrasse noch durch
ihre lebendige Fortdauer im Mittelalter und vor allem dokumentiert
23*
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290 A. Hammeran
ihre Defensivkraft jener grosse Gentralponkt bei Heddernheim, der kein
Castell, sondern eine römische Stadt von gewaltigen Festangsmanern
umgeben darstellt, wie wir Ähnliches auf dem rechten Rheinafer nicht
mehr begegnen.
Anders verhält es sich mit der zweiten Linie. Wenn ich ihre
Bedeutung im ersten Jahrhundert hervorhebe, so kann ich keine Zeugen
historischer Art für dieselbe reden lassen, kaum einige lokale Beobachter,
da im Wesentlichen Niemand als die alteren Antiquare des Nassauer
liandes sich um diese wichtigen Untersuchungen gekümmert hat. Aber
es gibt zwei Momente, die sehr eindringlich die Bedeutung dieses Terrain-
Abschnitts bezeugen. Einmal ist die Senkung des breiten Thaies der
Wörs und Ems (der sogenannte „Goldene Grund") für die Be-
völkerungen, die zwischen Rhein und Lahn verkehrten, ein jederzeit
geöffneter und betretener Pass gewesen. Die Thalweitung von Idstein
hat in der römischen Zeit unzweifelhaft bei feindlichem und bei fried-
lichem Zusammentreffen eine grosse Rolle gespielt. Hier geht die wichtige
sog. Siebenkippel - Strasse hindurch und hier hat der Limes eine aus-
nahmsweise umfangreiche Verstärkung in Form des „Triangels" erfahren,
die noch heute für die Wichtigkeit dieser Thalsperre spricht. Sodann
finden sich auf beiden Seiten des Passes zwei Befestigungen, die von
ganz aparter Art sind und eine genauere Betrachtung verdienen als sie
seither gefunden haben, Castell Zugmantel und das kleine Werk
Eichelgarten. Bevor jedoch diesen Umständen näher getreten werden
kann, ist auf die Situation des Castells Wiesbaden Bezug zu nehmen.
Unzweideutig ist dies eine sehr alte Anlage, sie hat zur Strasse ins
nassauische Gebirgsland die gleiche Beziehung wie Heddemheim znm
Saalburg-Abschnitt des Limes und sie hat den Vorteil vor jenem, dass
sie eine kürzere Rückzugslinie zum Hauptquartier Mogontiacum darbot,
folglich auch einen entschiedeneren Offensivstoss in das feindliche I^nd
gestattete. Ebenfalls war hier noch kein Limes nötig, sobald einmal
das Castell auf <lem Heidenberg bestand, wohl aber waren die Strassen
und die Befestigungen auf der Passhöhe erforderlich. Wenn man sich
auf den Vorhöhen des Taunus an der Nidda festgesetzt hatte und von
hier, wie Germanicus und später Pomponius es thun, Streifzüge unter-
nahm, so konnte man via Wiesbaden-Orlen jederzeit dem Feind in die
Flanke kommen.
Ich behaupte deshalb, dass die Anlage des Wiesbadener Castells
eine der ältesten Unternehmungen auf der rechten Rheinseite darstellt,
wahrscheinlich dem ersten Drittel des ersten Jahrhunderts angehört und
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Limes-Studien. 291
dass Straube und Castell auf alle Fälle uicht später als die Strasse
Castel - Ileddernlieiui erbaut sind. Wie konnte auch hier tiber der
friedlichen Bäderstadt der Mattiaker ein römisches* Castell entstehen,
wenn es nicht eine wichtige Position nach dem Feindeslande hin zu
schützen galt V Die Einfälle der trotzigen Bevölkerung des Grebirgslandes
mussten an dieser gefahrvollen Einsattlung des Taunus von unmittel-
barer, furchtbarer Wirkung sein; denn jene hatte kein Vorterrain zu
durchlaufen. Man ziehe doch in Erwägung, dass hier die Usipier
gegenüber standen, die als Gegner kaum minder gefürchtet waren wie
die Chatten (sie haben Mainz einmal tüchtig mitgespielt), dass ferner
die Sigambrer nicht sehr entfernt wohnten (noch im nördlichen Lahn-
gebiet und im Westerwald) und jenen stets bereite Helfer waren.
Man bedenke endlich, dass gerade dieses Gebiet niemals von den
Römern bezwungen worden ist. Noch im dritten Jahrhundert zog
hier der Limes in respektvollem weitem Bogen um das Waldgebiet des
eigentlichen Nassau her und es bietet sich infolge dessen die merk-
würdige Erscheinung, dass er im Osten (längs der Wetterau) die Front
nach Westen und im Westen (längs des Rheins) die Front nach Osten
richtet. £r hat dergestalt ein grosses Gebiet unberührt gelassen, gleich-
sam nur umklammeit, das der mittleren Lahn mit ihren südlichen und
nördlichen Zuflüssen bis zum Westerwald, während — so sollte man
beim ersten Zusehen annehmen — eine direkte Linie von der „Hune-
burg** bei Butzbach mindestens bis zur Lahnmündung nicht nur einen
schwierigen Gegner durch Einfriedigung geschwächt oder beseitigt, son-
dern auch einen weit weniger mühsamen Bau verursacht hätte. Aber
dass diese gerade Linie nicht gewählt wurde, das hatte seinen guten
Grund; denn hier musste der Limes ohne Rücksicht auf die Wasser-
scheide gezogen werden und dies haben die Römer überall zu vermeiden
gesucht. Gebirgskämme sind Grenzen in höherem Maasse als Flüsse
oder als schwächer profiliertes Gebirgsterrain — dieser Grundsatz ist
in römischer Zeit als massgebend für die Terrain-Absteckung erkannt
und befolgt worden.
Vor Allem aber bot die bogenförmige, fast einen Halbkreis be-
schreibende Linie den ausserordentlichen Vorteil, den Gegner zu
doppelter Frontstellung zu zwingen und ihn zu umfassen.
Ich möchte zu erwägen geben, ob nicht dieser Umstand, der von höchster
Bedeutung für die Verteidigung des gesamten Mittelrhein-Gebietes war,
vielleicht die Hauptursache des merkwürdigen und bisher noch uner-
klärten ausspringenden Winkels des Wetterau-Limes sein könnte. Die
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292 A. ilammerau
rüuiisdie Üft'ensiv-Taktik ist schon im ersten Jabrliundeit reichlich durch
die Streifzüge ins Chattenland bezeugt und sie wird hier auch für die
Folgezeit sehr wirksam gewesen sein. Es muss doch im höchsten Grade
auffallen, dass, wenn eine solche Offensiv-Taktik nicht bestand, die Ent-
wicklung der Linie als eine so umfangreiche sich darstellt; sie war
alsdann eher ein Hindernis, eine Verlegenheit für den Besitzer des um-
schlossenen Gebietes, da es ihn im Angriflfefäll zu erhöhter Aufmerk-
samkeit und gi'össerer Truppen-Entwicklung nötigte. Auch dies ist ein
Beweis gegen die Theorie von der Zoll-Linie ; für eine solche wäre diese
ungemessen entwickelte Front, die halb Ost-, halb West-Stellung, höchst
unpraktisch, eigentlich zwecklos gewesen, für die Offensiv-Vorstösse auf
einer vorwiegend militärischen Linie war sie durchaus zweckentsprechend
und wirkungsvoll.
Dass die doppelte Front des Limes eine Absicht und kein topo-
graphischer Zufall ist, dafür scheint mir auch die Energie zu sprechen,
mit der sich die westliche Linie, dem Rheine parallel, mit einem schmalen
Ufersaum begnügt, während man doch bequemer die Strecke Kemel-
Hönningen hätte aufgeben und den Rhein als Grenze, wie in Unter-
germanien, benutzen können. Das Rheingau war damit umschlossen und
an dem flussabwärts gelegenen Streifen Landes bis zur Lahn und zum
Wiedbach konnte an und für sich nichts gelegen sein, zur Zollgrenze
war diese Linie ganz ungeeignet. Aber es galt eben, einen gewissen
Raum für die Entwicklung von Strassen und Castellen zum Angriff und
zur Verteidigung, eine Operationsbasis zu gewinnen, wenn man den
Feind so wie geschildert wurde zwischen zwei Feuer bringen wollte.
Mit der Annahme eines militärtechnischen Grundes für die Bogen-
führung des Wetterauischen Limes mOsste notwendig die hier und da
herrschende Ansicht von einer späteren Entstehung dieses Teils der
Linie, von einer Erweiterung nach Nordosten hinfällig werden.
In der That ist bisher kein Moment hervorgetreten, das die letztere
hätte begründen können. Weder bautechnische Merkmale noch zeitliche
Kennzeichen inschriftlicher oder sonstiger Art sind vorhanden, die für
die Anlage eine wesentlich spätere Periode bezeichnen könnten, als sie
die nassauische Strecke erkennen lässt. Im Gegenteil haben bisher
gerade die ältesten Stempel-Typen der 22. Legion sich in den
gleichen Abdi-ücken in der Wetterau gefunden wie z. B. auf der Saal-
burg. Ich halte bis zum Beweis des Gegenteils die Wetterau-Linie für
gleichzeitig mit der Taunus-Linie und für ein Werk desselben Entwurfs.
Dass dieser grosse und zusammenhängende Entwurf aus der Zeit Do-
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Limes-Studien 293
initiaiis Iieirübrt, dafür spricht unter Anderem auch Folgendes. In
der römischen Wetterau mtlssen Angehörige, vielleicht versprengte Teile
des usipischen Stammes gewohnt haben. Die Chatten mochten sich
nach der Anlage des Limes der fremden Botmässigkeit in keinem Falle
fügen, mit aller Bestimmtheit werden von Tacitus Germ. 32 die üsipier
und Tenkterer zunächst dem Rheine, d. h. zwischen Chatten und
Uhein, genannt Da aber nach dem einen Abschnitt bezeichnenden
Feldzug des Domitian im Jahre 83 eiue Aushebung unter den Usipiern
vorgenommen wird und eine Cohors Usipiorum alsbald in Brittannien
erscheint (Tac, Agr. 28), so liegt es nahe, an eine wenn auch unbe-
deutende Abteilung dieses Völkchens zu denken, die gerade durch die
Führung des Limes im Taunusgebiet und in der Wetterau von dem
Hauptstamm abgetrennt wurde und das Schicksal der Mattiaken erlitt.
In einem anderen Teile des römischen Gebietes konnten Usipier nicht
wohnen, als äusserste Grenze wäre ihnen innerhalb desselben Hochtaunus
und Osttaunus oder der schmale Ufersaum zwischen Schwalbach und
Ems zuzuweisen. Die üsipier sind schon in früher Zeit vom Nieder-
rhein nach Süden gedrängt, sie erscheinen im Jahre 69, zusammen
mit Chatten und Mattiaken, vor Mainz, wo sie plündern (Tac,
bist. 4, 37), und wir haben demnach anzunehmen, dass sie schon da-
mals nicht ferne von den beiden anderen Stämmen wohnten und dass
alle zusammen die Territorien Nassaus und Hessens einnahmen. Hat
Domitian, wie es wahrscheinlich ist, im Jahre 83 oder 84 die Unter-
werfung dieser Landschaften durch die planmässige Anlage des Limes
begonnen, so war gerade die Einbeziehung der Wetterau in das römische
Gebiet jener neue und wirkungsvolle Gedanke, der die Besitznahme von
der seitherigen Methode der Okkupation unterschied und der die Ursache
ward, dass eine Epoche der relativen Beruhigung folgte.
Umsomehr dürfen wir nicht unterlassen, uns nach Merkmalen des
früheren Zustandes umzusehen. Die Schwierigkeit dieser Untersuchung
ist offenkundig, da in den meisten Fällen jede Spur des ältesten Be-
standes verwischt ist und der Limes selbst eine radikale Beseitigung
der früheren Formen der Okkupation mit sich brachte.
Friedberg und die Saal bürg lassen sich jetzt bereits in die
Achtziger Jahre des ersten Jahrhunderts zurück datieren. Bezüglich
letzterer liegt in neuester Zeit als Beweis hierfür der Fund eines Stem-
jHjls der 14. L^ion auf einem Wagenrad vor, der nicht nach dem
Jahre 89 dort zurückgelassen sein kann. Bekanntlich war bisher nicht
die leiseste Spur der 14. Legion am Limes vorgekommen. Friedberg
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294 A. Hammeran
hat bauliche Anlagen, die ebenfalls der 14. Legion angehören und die
schon auf zerstörten Bauten lagern. Das Wiesbadener Castell war,
gleich der Saalburg, zu einer gegebenen Zeit der Endpunkt einer Mili-
tärstrasse und es musste also diese Zeit vor die Anlage des Limes
fallen. Sobald aber ein wirksamer Schutz 'gegen die Einfälle der Ger-
manen erreicht werden sollte, musste auf der Passhöhe des Taunus für
Befestigungen Vorsorge getroffen sein. Wir finden nun hier, wie bereits
bemerkt wurde, zunächst das Castell Zugmantel und zwar in einer
merkwürdigen Situation. Es ist, gleich den beiden benachbarten Castellen
Holzhausen und Eichelgarten, mit den Prinzipalseiten (den Lang-
selten) nach dem Limes gelegen, was durchaus gegen die Regel ist.
Bei Castell Holzhausen richtet sich diese Lage deutlich nach dem Lauf
der alten Strasse (Hessenstrasse), bei Eichelgarten nach dem Fürsten-
weg. Was liegt näher als anzunehmen, dass diese Castelle ursprüng-
liche Anlagen sind, die dem Limesbau vorausgehen und einer Zeit an-
gehören, wo es nur einzelne gefährdete Punkte zu schützen galt.
Zwischen Castell und Limes hat schon Krauss einen grossen erhöhten
Platz, einen „Lagerplatz^, wie er ihn nennt, konstatiert; Rössel be-
zeichnet ihn als eine Art Manöverfeld. Vielleicht war es ein Markt-
platz, wie wir deren mehrere bei den Limescastellen kennen, der zum
friedlichen Verkehr mit den überhöhischen Nachbarn an dieser Stelle
passend gelegen hätte; allerdings befindet sich der Marktplatz der
„Alteburg" bei Heftrich sehr nahe.
Auffallender noch als die Lage dieser jedesfalls sehr alten Castelle
ist der Umstand, dass das nahe gelegene „Eichelgarten" *) ein Erd-
werk, das einzige des Limes darstellt*). In der unmittelbaren Nähe
kommt dieser Fall noch einmal vor, beim sog. „Heidekringen** bei
Wehen, der nach Cohausens Urteil ein römisches Werk darstellt und
ebenfalls diesem Terrain- Abschnitt angehört, wenn er auch etwas zu-
rückliegt und zum Limes nicht in sichtbare Beziehung tritt. (Castell
Neu-Wirtshaus bei Hanau ist kein reines Erdwerk, da es eine leichte
Trockenmauer im Inneren ergab). Ich kann mir diese Anlagen nicht
anders erklären, als dass sie der Frühzeit der Occupation augehören
') Der Name dieses Castells hat mit einer Eicheuptiauzung nichts zu
thun; da niemals eine solche hier bestand und der Boden dafür ungeeignet
ist, erscheint er Cohausen rätselhaft. Ich bin überzeugt dass er, ebenso
wie der „Eichelstein" in Mainz und die „Igelsäule", von Aigil abzuleiten ist.
^) Kofler glaubt neuerdings Erdwerke in der Wetterau gefunden za
haben, die er jedoch nicht für Castelle erklärt.
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Limes-Studien. 295
und kann nur Cohausen beistimmen, wenn er dem Castell Eiclielgarten
aus Anlass seiner inkorrekten Form und seines „elenden Protils^' (es hat
auch keine Eingänge oder Thore) eine Ausnahmestellung vindiziert
und es ^^ entweder einer dem Bau des Pfahlgrabens vorausgegangeneu
oder seinem Verlust nachfolgenden Zeit" zuschreibt, den Heidekringen
aber als Marschlager vielleicht der Zeit vor Anlage des Limes bezeich-
net. Von der Zeit nach dessen Aufgabe kann wohl bei Eichelgarten
nicht die Rede sein, da das Castell diesem unmittelbar anliegt. Ehe
man die systematischen Limescastelle baute, die in bestimmten Abstän-
den angelegt sind, waren solche Erdkastelle nötig, um als „praesidia**,
yfiQ sie Tacitus nennt, den ersten Halt im feindlichen Land zu ge-
währen. Es kann wohl sein, dass auch der Heidekringen eine erste
Unternehmung oberhalb Wiesbaden darstellt.
Aus allen diesen Erscheinungen, die etwas Aussergewöhnliches
darbieten, ergiebt sich mit Bestimmtheit, dass der ganze Abschnitt der
sog. Libbacher Heide und des Idsteirier Thaies, der schon in einer
frühen Zeit in Beziehung zu dem Bheinthal steht und einen unmittel-
baren Weg auf Castel und Mainz ei'öffnete, die besondere Aufmerksam-
keit der römischen Kriegskunst schon in der Zeit vor dem Limesbau
auf sich zog und als eine Haupt- Ausfallspforte des germanischen Landes
betrachtet wurde.
Es gab unzweifelhaft eine Periode, wo die Verteidigung des Mit-
telrhein-Gebietes nur auf den Brückenkopf zu Castel und die zurück-
liegenden Castelle zu Heddernheim, Wiesbaden und vielleicht Fiiedberg
gegründet war. Dass dies als ein Verteidigungssystem gelten
musste, beweist allein schon, wie wenig man sich bei der Erweiterung
und der eigentlichen Feststellung der Grenze mit der Idee einer Zoll-
linie begnügte. Ich kann diese Idee der vorwiegenden Bestimmung: des
Limes als Zolllinie angesichts der ganzen Geschichte und Entwicklung
desselben, angesichts seiner immensen Verteidigungsmittel und kompli-
zieilen Anlagen nur höchst verwunderlich finden. Sie ist meines Er-
achtens ein warnendes Beispiel, wieweit eine theoretische Interpretation
in solchen Dingen von der einfachsten Wahrheit abirren kann. Wozu
in aller Welt bedurfte es zu einer ausschliesslichen Zollgrenze (der
Nebenzweck der Ahsperi-ung soll nicht geleugnet werden) so sorgsam
verwahrter und mit allen Mitteln römischer Kriegskunst ausgerüsteter
Castelle, ihrer Thortürme und Ausfallpforten, des doppelten Spitzgrabens
und des ganzen wohlausgedachten Wehrsystems V Waren vielleicht die
Mengen von schweren Geschützkugeln aus Stein, die man jetzt schon
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296 A. Hammeran ,
mehrmals in und bei den Castellen aufgefauden bat, auch nur für
Banden von Scbmugglem und Plünderern bestimmt, von denen bestän-
dig gefabelt wird V Sie sind gefunden in den Castellen von Wiesbaden^
(Cohansen, Grenzw. 171), Mainhardt, Hainhaus-Vielbrunn im Odenwald
(Knapp, röra. Denkra. d. Odeuw. S. 78) und Cohausen hat selbst darauf
hingewiesen, dass sie nur für Wurfmaschinen verwendet werden konnten,
die auf den Mauertürmen Aufstellung fanden. Wenn das kein grosser
Krieg ist und keine Verteidigungsanstalt, so muss man eine neue Defi-
nition für diese Sache und für römische Castelle feststellen. Der mili-
tärischen Absicht des Limes wird widersprochen und doch wird überall
(z. B. von Cohausen, Grenzw. 116) von der „strategischen und
taktischen Absich t^^ der einzelnen Castelle rühmend geredet, wird die
Saalbnrg als ein Lehrobjekt ersten Ranges gepriesen! Wozu bedurfte
es solcher Muster für eine Zollbehörde und eine Schmuggler-Gesellschaft?
War die Linie nur eine Zollgrenze, so erscheint der Wetterauer Bogen
geradezu abenteuerlich und eine Linie Friedberg- Altenstadt oder Fried-
berg-Krotzenburg war einzig rationell. Fragen wir, was die Anhänger
der Zoll-Idee veranlasst hat, den Limes für nichts Besseres zu halten,
so ist es im Wesentlichen die Annahme seiner angeblichen in der
Konstruktion begründeten geringen Widerstandskraft bei ausgedehnter
Entwicklung, der nicht ausreichenden Truppenzahl und der nicht überall
strategisch sinnvoll gelegten Trace, die öfters vom feindlichen Gelände
überhöht ist. Alles dies hat Herrn von Cohausen zu dem bündigen
Satze geführt (S. 348): „der Pfahlgraben selbst diente nirgends
zur Verteidigung". Und nach Mommsen, Rom. Gesch. 5, 142, soll
bei der Tracierung des Limes „an Kriegszwecke überhaupt nicht
gedacht" sein. Nun kennen wir aber vor Allem den ganzen Apparat
der Verteidigung noch nicht hinreichend, um darüber abzuurteilen,
welchen Schutz der Limes durch seine Konstruktion bot; wir wissen
noch nicht, was eigentlich der Pfahl bedeutete und ob und wie der-
selbe zur Verstärkung der Linie wirkte. Es ist begreiflich, dass selbst
eine durchgehende Pallisadierung bei solidester Verfassung an und für
sich einer feindlichen Truppe den Durchbi-uch nicht wehren konnte,
sobald diese ungestört blieb. Aber wer sagt uns, dass dieser Fall
im römischen Sinne überhaupt eintreten konnte? Man muss vielmehr
annehmen, dass das ganze Gewicht der Verteidigung in dem vorzüg-
lichsten Signalsystem beruhte und dass hierbei eine Pallisade gar
wenig in Betracht kam ; dies lässt sich durch die Lage der Türme und
Stationen beweisen.
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Limes-Studien. 207
Ich muss gestehen, dass ich mir die Idee der Pallisadierung
bis heute noch nicht zurechtzulegen vermag und letztere in keiner Weise
für nachgewiesen erachte. Im Wesentlichen spricht für sie der Name
Pfahlgraben, aber es muss mit Nachdmck darauf hingewiesen werden,
dass, wissenschaftlich genommen, bisher nicht der geringste Beweis
für eine solche A^erstärkung vorliegt. Der merkwürdige Umstand, dass
auf dem bayrischen Teil der Linie, der „Teufelsmauer", wo doch un-
zweifelhaft kein Erdwall sondern eine Mauer besteht, ebenfalls die
Namen Pfahlheck, Pfahlrain, Pfahlranken im Volksmund vorkommen
(CJohausen S. 9), aber nirgends die Bezeichnung Pfahlgraben
erscheint und dass diese Strecke thatsächlich keinen Graben
aufweist, muss uns zunächst klar machen, dass, wenn Pallisaden be-
standen, diese hier nicht auf der Sohle eines Grabens angebracht
waren. Da nun aber ferner auch kein Wall hier existiert, so fragt
man sich, wo denn der Pfahl gestanden haben soll. Er müsste
auf einer Mauer von c. 3 m Höhe und 1 m Breite (so berechnet
Paulus ihre Dimensionen*)) als Brustwehr angebracht gewesen sein.
Andererseits ist ein auffallender Umstand, der noch nicht genügend be-
achtet ist, das totale Fehlen jeder Bezeichnung, die auf Pfahl,
Pfahlgraben oder damit zusammengesetzte Orts- und Flur-
namen sich bezieht, im ganzen Bereich der Odenwaldlinie.
Dort haben wir thatsächlich keinen Wall und Graben, sondern nur
eine zusammenhängende Linie von Castellen und Wachtürmen. Diese
hiess im Yolksmund niemals Pfahl oder Pfahlgraben. Daraus geht
hervor, dass nicht die Befestigungslinie an und für sich, sondern eben
nur die sichtbare Verbindung derselben (in Form von Mauer oder
Wall) mit dem „Pfahl" in Beziehung gesetzt wird.
Es sei mir gestattet, die immerhin bemerkenswerthe Auslassung
Jacob Grimms in der „Deutschen Mythologie", II. Ausg. S. 975,
hierher zu setzen, da sie die mythische Deutung des Namens aus-
giebig behandelt und da sie mir gegenüber unseren einseitig archäo-
logischen Untersuchungen allzu wenig bekannt geworden zu sein scheint.
Grimm sagt: „Das Volk nennt die römischen Festungswerke in Bayern,
Schwaben, Franken und der Wetterau nicht nur Teufelsmauern, sondern
auch Pfalgraben, Pohlgraben, Pfahltöbei, ja ganz einfach den
*) Vgl. Westd. Zs. V, 15(). Cohausen hat nach emer irrigen Berech-
nung 10 Fuss Breite angenommen; aber Paulus weist nach, dass nur die
Trümmerüäche der Mauer 10—12 Fuss breit ist, weshalb man früher auf
eine Strasse schloss.
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298 A. Uammera ^
Pfal, pl. die Pfäle, was mau aus Pfahl, palus, einem schon früh in
unsere Sprache aufgenommen lat. Wort (Graff 3, 331) deutet. Doch
in diese Mauern sind nur Steine und Ziegeln, keine Pfäle verwandt;
richtiger scheint es, die Benennung wiederum auf Phol [den Oott] zu
ziehen, wofür deutlich spricht, dass in der Wetterau die Form Wuls-
graben vorkommt (Dieffenbach, Wett. 142), eine blos erweichte Aus-
sprache statt Pbulsgraben, wir haben schon verschiedentlich erkannt,
wie Phol, Pfal, Pfui wechseln. Noch mehr, die Teufelsmauer heisst
auch hin und wieder der Schweingraben, und eine merkwürdige
Schwäbische Volkssage meldet, er sei Nachts von einem Gockelhahn
und einem Schwein in dem Erdboden aufgehackt und aufgewühlt
worden. (Prescher's bist. Bl, Stuttgart 1818 S. 67. Da, wo der
Wall sich über den Kochersberg an den Murrfluss zieht nennen ihn die
Landleute allgemein den Schweingraben). Weist das nicht unverkenn-
bar auf Phol den Eber? Ich zweifle kaum, es werden sich aus Volks-
Überlieferungen und örtlichen Namen • weitere Bestätigungen ergeben.
Christnachts soll der Teufel auf der Teufelsmauer einher fahren (Abb.
der Münchener Akad. I 23 vgl. 38), wie in den Zwölften fast alle
heidnischen Götter sich rühren. Nicht zu übersehen ist, dass auch in
solchen Gegenden Teufelsgraben, Dükersgraben vorkomme^, z. B.
in Niederhesseu, wo gar keine römische Mauern gezogen waren; alle
auffallenden Steinfelsen und Mauern werden von der Phantasie des
Volkes entweder auf Riesen und Teufel oder auf Römer und Hellenen
zurückgeschoben". Soweit Grimm.
Es giebt aber auch ein Pohlfels, einen Pohlbach in Gegenden,
wo kein römischer Limes existiert (ersteres bei Waldweiler, letzteres
im Kreise Prüm auf dem linken Rheinufer); ich entnehme dies den
Nachträgen zu Grimm Myth. 4. Ausgabe von Elard Hugo Meyer B. Hl
S. 80. Dort wird auf die einschlagenden Eigennamen hingewiesen :
Baiborn (Weist. 1, 778 u. 779) in der Pfalz, Baldeburnen, Polbom,
Vollbom, FüUeborn; auch der Ortsname Palgunse (= Pohlgöns), der
zum Eigennamen wird, gehört hierher. Meyer hält für „höchst an-
nehmbar", dass Phol blosse Koseform von Balder oder Paltai- sei, da
die Verschiedenheit des Anlauts nicht störe. Der Wirbelwind heisst
Pulhoidchen, Pulhaud. Ich füge hinzu, dass in der Schweiz, dem
Elsass und der Pfalz der „Bollhammel" ebenfalls in der Christnacht
als „Dorftier" auftritt (wie der Teufel auf der bayerischen Teufels-
raauer), bald als Hammel, bald als Kalb, Rind oder Gans (Becker, die
Pfalz und die Pfalzer S. 470).
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Limes-Studien. 299
Die Bezeichnung „Schweinegraben" kommt ausser in Bayern,
bekanntlich auch sonst mehrfach am Limes vor, z. B. zwischen Mar-
köbel und Altenstadt, bei Welzheim am Württembergischen Limes
(Cohausen S. 27). Zwischen Walldürn und Miltenberg (S. 32) heisst
der liimes an einer Stelle Saugraben, zur Capersburg im Taunus führt
ein Sausteg. Bei Marköbel liegt der Sauberg.
Dass für Pfal auch öfters Pfui oder Faul auftritt, wie bemerkt
wird, ist gewiss sehr beachtenswert; dies kommt vor bei Langenhain
(Coh. S. 91), ein Pfuhlborn entspringt am Limes südwestlich der
Capersburg, an der Strasse von Rodheim nach Wehrheim ^).
Der Graben fehlt öfters auch beim Taunuslimes auf sonst gut
erhaltenen Strecken; er ist also auch hier nicht für eine Pallisade
verwendbar. Aber ebendort tritt auch öfters in felsigem Terrain eine
ausschliessliche Konstruktion des Walles aus Steinen auf (wie zwischen
Saalburg und Feldberg - Castell) ; es ist ganz unerfindlich, wo auf
diesem die Pfähle befestigt gewesen sein sollten, wir müssten denn eine
ausdrückliche Mauerkonstruktion voraussetzen, was doch wohl hier nicht
zulässig ist nnd was ein Fundament ergeben müsste. Ich will nach
allem die Pallisaden nicht von vornherein leugnen oder für unmöglich
erklären, aber ich kann sie aus der Bezeichnung Pfahlgraben und aus
dem Befund nicht ohne weiteres entnehmen*').
^) Bei Rückiogen sind einige sehr wichtige Bezeichnungen im Volks-
mund erhalten: das Foelche, der FaHlgraben (mit ganz klarem Wasser),
südlich am Pfaifendamm die Faulbrücke (Duncker, Beiträge etc. S. 39,
40, 41).
•) Herr Prof. R. Uenning in Strassburg hatte die Güte, mir auf
/meine Anfrage folgenden Bescheid zu geben, der im Wesentlichen sich für
die Herleitung des Wortes von Pfahl ausspricht: die Form des Namens
Phol für den Gott sei bereits in der alten Zeit (2. Merseburger Spruch)
sicher überiiefert. Zwischen ihr und phäl, pfal Pfahl bestehe keineriei
sprachliche Brücke. „Beide Formen können in alter Zeit niemals vermischt
worden sein. Nun sind aber die Ortsnamen Phal, Phalbach, Pfahlheim,
Pfahldorf aus dem 9.-11. Jahrhundert sicher belegt (Förstemann 2. 1187 f.)
und sie liegen an solchen Stellen, dass man ihren Zusammenhang mit dem
Valium oder Limes und dem im Mittelalter so genannten Pfahl oder Pfahl-
graben nicht bezweifeln kann. Das Phal dieser Ortsnamen muss auch un-
bedingt mit ahd. phal, lat. palus identisch sein, welches letztere bereits vor
der Lautverschiebung in's Germanische drang. Das Wort muss im Vulgär-
Latein bereits eine technische Bedeutung gehabt haben." Henning erwähnt
alsdann die bekannte Stelle bei Ammian 18, 2, 15 (regio, cui Capellatii vel
Palas nomen est) imd fragt : „sind danach die pali eigentlich die Grenzpfähle
oder die Wftllc mit Verhauen, wie sie auch sonst zwischen den Territorien
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BOO ^- Hammeran
Man hat sich vielfach den Kopf darüber zerbrochen, wie der
Zug des Limes, namentlich im Gebirge, wo er von ^er geraden Linie
abweicht und wo aller Orten Überhöhungen und schroffe unstra-
tegische Positionen vorkommen, zu erklären sei. Aus letzteren hat
Herr von Cohausen nicht den geringsten Teil seiner Argumentation gegen
die mUitärische Bestimmung des Werkes abgeleitet. Die Erklärung ist
folgende. Für die Führung des Limes waren den Römern zwei Prin-
zipien massgebend: die möglichst gerade Linie als die kürzeste und
rationellste Verbindung der Stationen und die grundsätzliche Einhal-
tung der Wasserscheide bei Vermeidung der höchsten Berge.
Aus der Kombination dieser beiden Faktoren lässt sich auf der Karte
mit Leichtigkeit gerade diejenige Linie im Gebirgsterrain
ausfindig machen, die thatsächlich gewählt wurde. Massgebend
ist dabei, dass das Prinzip der geraden Linie stets die Vorhand behält;
so zwar dass im Falle eines nötigen Entscheids zwischen beiden Mög-
lichkeiten, wie sich öfters beobachten lässt, lieber ein kleiner Wasser-
lauf, in der Ebene stets auch ein grösserer Bach oder ein Fluss direkt
und ohne Umweg durchschnitten wird. Wo es aber angeht, wird im
Gebirg überall die Wasserscheide eingehalten. Es geschieht dies
aus einem Grunde, den schon Yates mit nüchternem Sinne erkannt und
her\orgehoben hat: das Wasser, namentlich der Gebirgsbäche war von
verderblichster Wirkung auf den Bestand des Walles und es galt, dem-
selben die thunlichst geringe Fläche zu bieten, womöglich ganz auszu-
weichen. Das ist im Taunus meisterhaft durchgeführt. Wo Ausnahmen
vorkommen, wie beim Durchschneiden des Erlenbachs im Köppemer
Thal (bei dem Lochmühle- Castell), der Use bei Langenhain, des Datten-
bachs bei Cröftel, des Mühlbachs, Emsbachs, Wiedbachs war eine andere
Führung ohne fast unmögliche Umwege nicht ausführbar, der Knoten
musste zerhauen werden. Dieselbe Erscheinung finden wir natürlich
bei grösseren Wasserläufen, vorwiegend in der Ebene: die Kinzig bei
Rückingen, die Nidda bei Staden, die Horloff, die Aar, die l^sAm
bei Ems konnten nur direkt geschnitten werden. Aber wie sorgsam
und berechnend verfuhr man mit der Ausstossung des kleinsten Bäch-
leins, wenn es keinen grossen Umweg kostete I Bei Marköbel wird der
Krebsbach aufs Genaueste umschlossen (in diesem Falle genügte die ge-
verschiedener Stämme erwähnt werden und ist der Phal danach überhaupt
nur als ein Grenzwall oder Grenzgraben zu verstehen ? Jedenfalls aber kann
sich die Vermischung zwischeH Phal und Phol erst in den Dialekten seit dem
IH. Jnhrliundcrt voll/o«;on haben, fn'ihcr nicht**.
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Limes-Studien. 3Ö1
rade Linie), zwischen Bisses und dem Schwalheimer Hof in der Wetterau
wird das Echzeller Ried umgangen, in unmittelbarer Nähe von Langen-
hain wird der Bach des Vogelthales rund umschlossen (damit er deu
Limes nicht durchbreche, läuft dieser parallel); vor allem die Quelle
der Wörs vor Idstein ist aufs Genaueste verwahrt und eingeschlossen.
Am Nordabhang des gi*ossen Feldbergs, oberhalb Reiffenberg, entspringen
drei kleine Quellen dicht beim Limes (darunter der sog. Pohlborn),
eine im Walle selbst, zwei etwas oberhalb. Sie haben bis heute fast
nicht das Mindeste am Walle zerstört, so dass es scheinen könnte, als
seien sie in einer Fassung durchgeführt gewesen.
Diesen Traceu gegenüber, die doch gewiss auffällig genug sind,
ist keine andere Erklärung möglich, als dass man einen grossen Wert
auf die Erhaltung legte und das Wasser als zerstörende Kraft genau
in Rechnung zog. Am deutlichsten zeigt sich jedoch dieser Grundsatz
in dem Bestreben, die Übergänge der Wasserläufe durch besondere
Vorkehrungen zu verwahren und zu verstärken. Solche Verwahrungen
und Verdoppelungen des Walles zeigt der Kümmelbach in Württemberg
(Cohausen 28), die sorgfältige Zangen-Anlage vor dem Feldberg-Castell an
den Quellen der Weil, der sog. Triangel bei der W^örsquelle, wahrschein-
lich auch eine Verdopplung beim Köpperner Thal. Bei Arnsburg ist
die Durchschneidung der Wetter mittels einer sehr merkwürdigen Ab-
setzung der Linie bewirkt, die den geradlinigen Lauf unterbricht und
unzweifelhaft irgend eine auf die Verteidigung bezügliche Bedeutung hat.
Auch bei Oberbiber ist die gleiche Erscheinung zu beobachten (Cohausen
Taf. 38), wo der Durchgang der Aubach stattfindet. Eine bemerkens-
werte Anlage zeigen ferner einige Stellen des Limes, die durch Sümpfe
hindurchffihren. Bereits in Band VII, S. 61 der „Westd. Zs.*' hat Dahm die
Durclileitung desselben durch den sog. Doppelbiersumpf zwischen Krotzen-
burg und Rückingen mittels Pfählen nachgewiesen. Ganz in derselben
Weise fand auch Pfarrer Möbius im Sumpf der Horlof eine Reihe enge
zusammenstehender Eichenpfähle, die freilich seither nicht richtig ge-
deutet sind (Cohausen 66) und Kofler hat dort Ähnliches im Bett das
Flüsschens beobachtet, was er für einen CT)ergang (eine Furt) auf
Pfählen hält.
Sind demnach die Führungen des Limes durch die Wassergebiete
überall durchaus rationell, so dürften auch andere seither beanstandete
Erscheinungen, sobald sie nur im Zusammenhang betrachtet werden,
unserem Verständnis sich erschliessen. Zwischen Langenbain und dem
südlicher gelej^enen Castell Kaisergrube, weiterhin bis zur Saalburg
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•i02 A. Hammeran
ist der liimes so gelegt, dass der Blick nach dem Niddathal und der
Wetterau entzogen ist, indem nirgends die höchste Bergknppe er-
strebt, wohl aber die Wasserscheide gewahrt wird. Ganz ähnlich, nur
nach umgekehrter südlicher Richtung, läuft die Strecke beim Kiesshübel
und Rosskopf (zwischen der Saalburg und dem Feldberg). Cohausen
wundert sich, dass der Limes dort nicht den Winterstein, hier nicht
den Gipfelpunkt des Rosskopfs und des Einsiedlers erstiegen habe. Ich
sehe nicht ein, wozu dies nötig war. Übei^schau zu gewinnen, war für
das eigene Land nicht erforderlich; fehlte dieselbe doch fOr das feind-
liche an vielen Stellen und war gar nicht so wichtig, als man sie in
unserer Zeit der ferntragenden Geschosse wichtig hält. Den Feind sah
man immer noch früh genug, um ihn aufzuhalten ^). Was aber sollte die
völlig nutzlose Arbeit, den Limes auf einen hohen Berg zu führen und
die Truppen dann auf- und abmarschieren zu lassen? Am Nordabhang
des grossen Feldbergs zieht der Wall sicher und unbekümmert auf halber
Höhe; wenn er die höchste Kuppe erklommen hätte, würde er aller-
dings einen Ausblick ins Mainthal gewonnen haben, aber wofür? und
um welchen Preis ! Die Wasserscheide hat er auf seine Weise trefflich
eingehalten.
Es führt mich dies nunmehr auf einen sehr wichtigen und sehr
verschieden beurteilten Punkt, das Signalsystem, welches Cohausen,
da er eine komplizierte Methode der Inland-Signale voraussetzt, haupt-
sächlich veranlasst hat, eine neue und eigenaitige Erklärung der sog.
Begleithügel zu geben. Wohl kann er sich den Unterschied zwischen
den einzelnen Strecken nicht erklären und fragt verwundert (S. 128),
weshalb auf der Linie Langenhain-Capersburg eine solche Signalisierung
nicht vorhanden und thatsächlich nicht möglich war, da jene auf dem
westlichen Hang des Gebirges liegt. Man muss antworten, dass, wenn
überhaupt solche Feuersignale zur Alarmierung in das Land gegeben
worden wären, sie in der Wetterau sicherlich so wenig gefehlt hätten
wie im Main- und Niddathal. Da.s allein genügt, um die Idee der
grossen Feuersignale vom Gebirg in die Ebene für gänzlich hinfillig
zu erklären.
') Es wird meist gar nicht beachtet, dass vorgeschobene Werke
vor dem Limes existiert haben müssen. Ein solches ist der sog. Dnisns-
kippel vor der Saalburg (Schmidt sah auf ihm noch die Fundameute eines
runden Turmes, vermutlich eines Holzturmes), Paulus hat die Existenz
ähnlicher Schanzen in Württemberg behauptet (Wcstd. Zs. V, 151) imd Con-
rady hat mir ncucnlinjjs eine vorliegciulo Befestigung^ bei Walldürn avisiert.
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Limes-Studien. 303
Es müsste seltsam und unerklärlich erscheinen, wenn nur an ganz
vereinzelten Stellen des Limes ein solches Fernsignal durch Fanale be-
standen hätte. Wir kennen aber im östlichen Taunus-Limes nur neun
solcher Gruppen, Thflrme mit Begleithügeln. Sie liegen auf der Strecke
vom Castell Eaisergrube bis zum Kothen Kreuz beim kleinen Feldberg ;
weiter westlich bis zum Castell Holzhausen finden sich dann in der Linie
der anderen Befestigungen noch drei einzeln gelegene Erdhügel oder
Schanzen ohne Turmkern, deren Situation nicht ganz die gleiche ist.
Kofler hat bereits ganz richtig geltend gemacht, dass die Begleit-
hQgel schon deshalb nicht für Feuersignale dienen konnten, weil sie häufig
dicht an den Türmen liegen und diese mithin leicht in Brand gesetzt wor-
den wäi*en. Auch hat Cohausen selbst bemerkt (S. 128), dass auf dem
Rosskopf die Türme südlich der Begleithügel, d. h. nach der Ebene
liegen, wodurch der Feuerschein ganz unbegreiflicher Weise dem Binnen-
land teilweise entzogen oder wenigstens die Sichtbarkeit erschwert würde.
Man könnte gegen den Einwand der Gefährdung der Türme durch
die Nähe der Signalhügel (als Fanale gedacht) geltend machen, dass die
letzteren mit den ersteren nicht gleichzeitig zu sein brauchen, dass
eines früher bestand als das andere. Diese Erwägung ist meines
Erachtens von allergrösster Bedeutung für die ganze Frage, wenn sie
auch an der Unzulässigkeit der Signal-Idee nichts ändern kann.
Vergegenwärtigen wir uns zunächst die Situation und Beschaffen-
heit der sog. Begleithügel. Die Odenwaldlinie besitzt deren eine ganze
Zahl, ebenso kommen sie am Donau-Limes vor. Es sind Erdhügel, die
von einem 1^J2 — 2 m tiefen Graben umgeben sind und eine mehr oder
minder flache Erhebung von meist nicht bedeutendem Umfang (durch-
schnittlich 12 — 15 Schritt Durchmesser) darstellen. Bei der Durch-
grabung, wie sie schon mehrfach stattgefunden hat, fand man sich ge-
wöhnlich sehr enttäuscht, wenn man irgendwelchen charakteristischen
Inhalt erwartete. Es ergaben sich meist ganz unbedeutende Reste, zu-
weilen Trockenmauern, aber nirgends ein eigentliches in Mörtel gesetztes
Mauerfundament. Nun hat Cohausen diese Hügel zu sehr einander
entfremdet, in Kategorieen von allzu verschiedener Bestimmung einge-
teilt und eine Anzahl derselben dadurch aus der Reihe der sog. Signal-
hügel ausgeschieden, die einen für Grabhügel, die andern für Wohn-
hügel erklärend. Die Frage ist dadurch in hohem Grade verwirrt
worden. Es lässt sich dem gegenüber nur konstatieren, dass kein
wesentlicher Unterschied in der Konstruktion dieser
!Krd-Hügel besteht. Ihnen aUen.ist die flache innere Erhebung,
Westd. ZeiUchr. f. Gesch. u. Kunst Vfil, rv. 24
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304 A. Hammeraü
der kreisrunde Graben und der Mangel eines in Mörtel gesetzten bau-
lichen Kernes gemeinsam. Die unwesentlichen Merkmale, wodurch sie
sich von einander unterscheiden, lassen sich in kurzem zusammenfassen.
Ich gebe zu diesem Behufe eine Übersicht der sämtlichen derartigen
Vorkommnisse des Taunus-Limes, die bis jetzt fehlt und die wegen der
disparaten Behandlung des Themas in Cohausens Werk für den Leser
ausnehmend erschwert ist. Die Gruppen sind folgende:
1) 3 Hagel etwas südlich von dem Castell „Kaisergrube*' bd
Langenhain.
2) 3 Hüg., die „Rittergräber", bei der Capersburg.
3) 4 Hüg. am Grauenberg.
4) 3 Hüg. auf dem Weissenstein..
5) 3 Hüg. auf dem Kiesshübel.
6) 4 Hüg. am Rosskopf.
7) 2 Hüg. auf dem Klingenkopf.
8) 2 Hüg. zwischen Castell „Altes Jagdhaus^^ und Turm Stockplackeu.
9) 2 Hüg. auf dem Kleinen Feldberg, oberhalb des „Rothen Kreuzes''.
Mit Ausnahme von Nr. 1, 7, 8 und 9 sind diese Gruppen
mehr oder weniger untersucht; die meisten hat Cohausen aufgegraben,
einige Kofler und Andere, über die Untersuchungen haben wir meist nur
sehr summarische Berichte. Ich fasse die Ergebnisse zusammen, um
die jedesmaligen Unterschiede und Übereinstimmungen zu kennzeichnen.
Mindestens ein Hügel birgt in der Regel in jeder Gruppe ein Turm -
fundament; aber es giebt auch Ausnahmen. Keinen Turm
hat Gruppe 2; nicht bekannt ist das Verhältnis bei Nr. 1, 7, 8, 9.
Gruppe 1 ist, wie bemerkt, noch nicht untersucht.
Gruppe 2, welche Kofler für drei „Hünengräber" ansah, welche
aber schon wegen ihrer Gräben nicht als solche gelten können, hat
Cohausen durchgegraben (S. 100) und in dem mittleren eine runde
Steinlage von 5,65 zu 6,15 m äusserem Durchmesser aus „ein>
fachen Quarzblöcken ^ gefunden; innerhalb derselben ähnliche Steine wie
ein Rechteck mit kleineren Vierecken von ca. 40 zu 40 cm gestdlt,
darin wenige schlechtgebrannte ziegebrote Thonscherben. Cohausen hält
das Ganze für ein Grab, d. h. ein römisches Grab, wofür er gewiss
nicht viele Gläubige finden wird, da römische Gräber auf dem i*echten
Rheinufer nirgends als Hügel aufzutreten pflegen. (S. 102 hat dies
Cohausen selbst betont.) Die beiden äusseren Hügel enthielten nichts
als eine Lage gelben steinfreien Lehms, darin ebenfalls geringe
Scherbenreste und ein zollgrosses Stück Eisen, dagegen keine Kohlen
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Limes-Studien. 305
noch Steine. Diese beiden Hügel erklärt der Untersuchende für
Wohnhügel, etwa mit einer Hohshütte besetzt.
Gruppe 3 enthält unter den 4 Hügeln einen Turm, den Kof-
ier 1876 aufdeckte (Eofler, Der Pfahlgraben und die Pfahlgr.-Castelle
in der Umgebung von Homburg 1877, S. 14). Einer der anderen
Hügel ergab weder Mauerwerk noch Steine, ein dritter (auffallender
Weise ebenfalls von Kofler als „Hünengrab", von CJohausen als
„Grabhügel" angesehen) in 45 cm Tiefe eine runde Steinsetzung
(„Kranz") 40—60 cm dick. „In gleicher Tiefe mit den untersten
Steinen fand sich ein Pflaster von 13 — 17 grösseren Steinen, darunter
etwas grau-gelbe Erde und dann der gewachsene Boden." (Der Bericht
Koflers, welchen Cohausen benutzte, ist nach seinem hiei* gegebenen
Wortlaut klar genug und einer der wichtigsten dieser Untersuchungen;
gleichwohl verflüchtigt ihn letzterer in folgende Fassung: „Auch dieser
Hügel wurde 1872 [richtig: 1874] aufgegraben und soll man in der
Mitte eine Steinpackung und vor dieser mit einem Abstand einen Stein-
kreis gefunden haben." Der Grundriss des Hügels Taf. 11 ist aber
doch wohl Koflers Tafel entnommen.
In Gruppe 4, den Hügeln auf dem Weissenstein, ergab sich der
südliche Hügel als Turm; die beiden anderen, dicht am Limes gele-
genen sind von Gräben umgeben: der östlichere bestand, wie Co-
hausens Durcbgrabung ergab (S. 122), „ausschliesslich aus Steinen und
ergab nur dies, von Mauer, Töpferei und Kohlen keine Spur" (es wird
dazu erklärt, dass, weil ein Graben um den Hügel zieht, dieser kein
Grab sein könne, während doch der die runde Steinsetzung bergende
in Gruppe 3 ebenfalls mit Graben versehen ist und von Cohausen als
Grab erklärt wird). Von dem westlicheren sagt Cohausen Folgendes:
„der Hügel C liess bei seiner Ausgrabung unter einer fast nur aus
Steinen mit wenig Erde bestehenden Umhüllung die Fundamente eines
viereckigen Turmes von 5,35 ä 5,18 m mit 80 cm starken trocknen
Bruchstein-Mauern, jedoch keinen Verputz und kein Fundstück ent-
decken." Schon Rössel, Grenzwehr S. 42, glaubte nun aber nur „rohes
unverbundenes Steinbrockmaterial" in diesem Hügel wahrzunehmen
und als ich die Hügelgruppe nach Cohausens Aufgrabung aufsuchte,
flel mir auf, wie wenig der äussere Habitus einem Turm entspricht:
der Graben, der den Türmen fehlt, ist deutlich vorhanden, von
einem Fundament sah man nichts (hier ist nämlich Alles wieder zuge-
deckt, während der dahinter liegende Turm aufgedeckt und verwahrt
daliegt) und nur einige grössere Steine ragen aus der Oberfläche her-
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306 A. Hammeran
vor. Ich veimute, dass in dem ErdhOgel ein Trockenmauer-Fnnda-
ment (Steinsetznng) vorliegt wie in Gruppe 2 und 3, aber kein Steinturm.
Gruppe 5, auf dem Kissbübel, enthält 3 Hügel. Es ist um-
ständlich, sie zu identifizieren, da Cohausen ihre von Rössel herstam-
menden Namen verwechselt: Hflgel A heisst bei Rössel Blanc (nicht
Steinhäusser), B heisst Steinhäusser (nicht Jacobi), C Jacob i
(nicht Blanc) : Hügel B enthielt einen Turm, C angeblich ebenfalls einen
solchen mörtellos gebauten, mir aber sehr zweifelhaften (er liegt
nämlich mitten auf dem Limes, was bei Stein-Türmen nicht der Fäll
zu sein pflegt; von der Freilegung ist nichts mehr zu sehen, der
Hügel ist wieder zugedeckt, während der daneben befindliche Torrn
abermals frei liegen blieb). A hat einen Graben und scheint bei der
Aufgrabung Cohausens auch wieder eine Rundsetzung von Steinen
ergeben zu haben. Dies ist so ausgedrückt: „der Hügel fand sich aus
grossen hochkantig schräg gestellten Steinblöcken bestehend, welche in
<ler Mitte einen mit Boden [Erde?] gefüllten Kessel bildeten; darin
zeigten sich 3 oder 4 Schichten ausgelaugter Asche mit sehr wenig
Kohle, keine Topfscherben".
Gruppe 6, auf dem Rosskopf. Hügel A liegt mitten auf dem
Wall des Limes, hat einen Graben und ergab bei der Aufgrabung
„mehrere Schichten von Asche und Kohlen". Genau dasselbe zeigte D,
während C einen Turm enthielt und von B das Gleiche erklärt wird.
Gruppe 7, Klingenkopf, ist noch uneröflfnet.
Gruppe 8 und 9, desgleichen noch nicht untersucht.
Soweit reicht der Befund. Die Deutung ist eine weit auseinander-
gehende und Rössel hat sogar die ungeheuerliche Idee von „germani-
schen Rundtürmen** (Grenzwehr S. 45) ausgesprochen, er hielt die
äussere Form der Hügel vor deren Aufdeckung für massgebend und
bezeichnete sie als „Bauten von primitivster Kunstlosigkeit, die auf
kreisrunder Basis zu kegelförmigem Haufwerk von Steinblöcken ge-
staltet" seien, indem er (auch bei den Türmen) „keine Spur von Kalk-
mörtel** annimmt (S. 41). Kofler hat, wie bereits bemerkt, einige der
Begleithügel als „Hünengräber" bezeichnet, Cohausen hält sie teils für
Fanale, teils für Wohn-, teils für Grabhügel. Grabesbeigaben sind
nirgends nachgewiesen, Thonscherben sind natürlich nicht massgebend.
Wenn wir uns nun vergegenwärtigen, wie anderwärts jene Erdhügel be-
schaffen sind und was das Gemeinsame der hier untersuchten darstellt,
so müssen wir zu der Überzeugung gelangen, dass dieselben aus den
bereits angegebenen Gründen weder als Standplätze für grosse Feuer-
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Limes-Studien. 307
idignale (Feuersäuleo), wozu nicht einmal eine so geringe Erhöhung er-
forderlich war, noch als Grabhügel gedient haben können.
Dagegen ist die weiterhin vermutete Bestimmung, die der Wohn-
hügel, sehr diskutabel und unzweifelhaft hat ein Teil dieser Plätze,
wie auch Kofler neuerdings in seinem Bericht über die Odenwaldlinie
■annimmt, als pallisadierte und zum Schutze gegen Menschen und Tiere
mit einem Graben umgebene Standplätze von kleinen Holzhäusern ge-
dient. Hierfür wäre die Erhöhung im Terrain genügend gerecht-
fertigt, im andern Falle nicht ; denn unmöglich kann ich Cohausen Recht
geben, wenn er seine Fanale mitten im Walde gelegen annimmt^) und
dadurch gerade die behauptete Sigoalisierung wie die Verbindungen er-
schwert. Vielmehr ist es mir nicht zweifelhaft, dass, ebenso wie das
Vorterrain des Limes in römischer Zeit abgeholzt und sturmfrei sein
niusste, auch das nächstgelegene Binnen -Terrain nicht im Walde ver-
steckt liegen durfte, einerlei ob Feuersignale oder nicht bestanden. Es
hätte somit gar keinen Unterschied gemacht, wenn in freiem Terrain
das Feuersignal zwei Meter höher lag. Ich habe bereits nachgewiesen,
wie sehr die Erdhügel als Signalhügel des offenen Landes unver-
ständlicher Weise lokalisiert und irrationell gelegt wären, wie sie in der
Wetterau (weil am unsichtbaren Westhang des Gebirgs verborgen oder
überhaupt fehlend) gar nicht als Signale dienen konnten. Aber es giebt
noch einen merkwürdigeren Fall, er betiifft die zwei Hügel am
kleinen Feldberg (Nr. 9). Diese konnte Cohausen als Signalhügel
überhaupt nicht gebrauchen, sie liegen auf dem Nordabhang des ziem-
lich hohen Berges und jede Möglichkeit, dass Feuerzeichen von hier ins
südliche Land hätten leuchten können, ist durch den vorliegenden Berg
abgeschnitten. Hier also wird das Signal-Prinzip unbedenklich verlassen,
«s werden ausschliesslich zwei Wohnhügel angenommen. Aber in keinem
wesentlichen Punkte unterscheiden sich diese beiden Hügel von den übrigen ;
sie sind ein wenig mehr abgeflacht und vom Limes um 160 Schritte
{nicht 400 wie Cohausen sagt) abgerückt, worauf ich zurückkomme.
Neuerdings ist, worüber mir im Augenblick eine gütige Mitteilung
des Herrn Conrady in Miltenberg vorliegt, innerhalb der Mümling-
Linie eine für unser Thema hochwichtige neue Entdeckung gemacht
worden. Neben dem Turm bei Hesselbach, der im Sommer dieses
Jahres die Inschrift der Triputiensischen Brittonen ergab, befinden sich
zwei Erdhügel. Sie wurden, einige Zeit nach jenem Funde, gleich-
^) S. Grenzwall 128: „Die Hügel smd mit Gräben umgeben, um das
Feuer zu beschränken und einen Waldbrand zu verhüten^'.
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308
A. Hammeraii
falls untersacbt und es zeigte sich in dem einen derselben ein Trocken-
Mauerwerk von dieser Gestalt:
Die Maner, welche 80 — 90 cm
Dicke hat, ist an zwei Seiten der quad-
ratischen Fläche mit Schlitzen ver-
sehen, in welchen vielleicht Holzpfosten
eingesetzt waren ®). Daraus ergiebt sich
meines Erachtens mit Notwendigkeit,
dass sie das Fundament eines Holz-
baues war, vermutlich eines Wohn-
gebäudes. Kofler hat ein ähnliches
Trockenmauer - Fundament in einem
ErdbOgel des LUtzelbacher Bannholzes
aufgegraben (Westd. Zs. VIII, S. 143), das 5, 20 m lang und breit
und ebenfalls 1 m dick war, innen lag eine 5 cm starke gestampfte
I^ttenschichte. Er sagt, es hätten die 4 Ecksteine gefehlt (war die
Setzung vielleicht abgerundet oder standen hier ursprflnglich ebenfalls
Holzpfosten?) und einzelne Steine seien behauen gewesen.
Diese beiden Vorkommnisse stimmen vollkommen zu unseren oben
aus dem Taunus beschriebenen. Was begegneten wir dort? In nicht
bedeutender Tiefe wiesen die ErdhOgel in mehreren Fällen runde oder
viereckige Steinsetzungen, Trockenmauern auf (Gruppe 2, 3,
5, vermutlich auch 4). Nun ist es wahrscheinlich, dass die runden
Fundamente etwas anderes zu bedeuten haben als die viereckigen. Auf den
ersteren stand meiner Meinung nach ein Holzturm und hier können
wir unbedenklich die Signal-Idee acceptieren. Diese Türme signalisierten
aber sicherlich nicht in die Ebene, ins Binnenland, sondern sie waren
nur längs der Linie des Limes von Nutzen und dienten in der
Hauptsache keinem anderen Zwecke als die gemauerten Türme.
Wir kommen damit zu dem Kernpunkt der Frage. War das
letztere der Fall — ich nehme natürlich bei Nacht Fackelsignale, wie
*) Die Mauer war aus unbehauenen Steinen mangelhaft ausgeführt,
noch etwa 1 m hoch, stark anlaufend. Jede Seite des Quadrats mass c. 5 m^
der umschlossene Erdkern bestand aus gewachsenem und aufgefülltem, mit
Steinen untermischtem Grund. Die Schlitze hatten nnregölmässige Abstände
und waren zwischen 12 und 20 cm breit ; sie gingen durch die ganze Mauer-
dicke, jedoch nur auf der Nord- und Ostseite. Die Westseite zeigte keine
Schlitze und die Südseite war durch frühere Aufgrabnng zerstört. — Der
zweite Hügel ergab auf allen Seiten ebenfalls geschlitzte Trockenmauem^
nicht anlaufend. (Holzbauten beweist auch Knappes „Brandasche*').
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Limes-Studien. 309
sie auf der Trajanss&ule gezeigt sind, am Tage aber (was gewiss zu
wenig beachtet wird), Hom- oder andere tönende Signale an — , so
können die Holztarme unmöglich gleichzeitig mit den
Steintürmen sein. Gegen diese Gleichzeitigkeit spricht auch in den
meisten Fällen ihre gegenseitige Lage : in zwei Fällen (5 und 6) fanden
wir sie auf den WaU des Limes aufgesetzt und daraus leiteten Rössel
und Gehäusen die seltsame Anschauung ab, dass der Wall sie gleichsam
als Richtpunkte benutzt hätte und gegen sie hin gebaut wäre. So be-
quem erscheint mir nun die Sache nicht. Der Limes führt seine
Trace nach anderen Rücksichten. Wir dürfen zunächst Eines als ge-
sichert betrachten : die Steintürme, wie sie jetzt neben den leeren Hügeln
der Holztürme stehen, konnten nicht mit jenen zusammen existieren.
Waren die Holztürme nun die früheren oder die späteren? Ich bin
keinen Augenblick zweifelhaft, mich für die letztere Eventualität zu ent-
scheiden. Aus der überraschenden Sorglosigkeit, mit welcher die Türme
den Wall besetzt und durchbrochen haben (auf dem Rosskopf be-
steht er an dieser Stelle nicht mehr, ('ohausens Aufnahme ist unrichtig),
ist zu schliessen, dass der Limes zu der Zeit ihrer Anlage keinen oder
fast keinen Verteidigungswert mehr hatte und nur für vorübergehende
Zwecke besetzt wurde. Ebenso beweist die so sehr lokalisierte Anlage
der Holztürme, die Beschränkung auf kurze Strecken, ihre mit dem
eigentlichen ursprünglichen Plan und Defensivsystem des Limes nicht
im mindesten zusammenhängende, zeitlich wahrscheinlich sehr begrenzte
Dauer. Die alten Yerteidigungs- und Beobachtungstürme, die der
früheren solideren Anlage gemäss durchweg aus Stein erbaut
sind, waren, infolge der stets wiederholten germanischen Einfälle, im
dritten Jahrhundert, vielleicht erst gegen dessen Mitte, zerstört und es
blieb keine Wahl als sie im Yerteidigungs - Falle durch Holzbauten an
derselben Stelle zu ersetzen, da man für Steinbauten keine Zeit hatte.
Sobald aber den Truppen keine dauernde Okkupation des Limes ge-
stattet war und keine umfangreichen Stationen zustanden, musste für
die Wachtposten dieser Türme wenigstens ein bewohnbarer unmittel-
barer Aufenthalt geschaffen werden; so entstanden die umgrabenen
Wohnhügel neben den Turmhügeln.
Es giebt noch ein schönes Beweisobjekt für meine Theorie. Rössel
hat vor dem Gasteil Zugmantel (zwischen ihm und dem Limes) einen
leeren umwallten Hügel entdeckt, den er den Signalturm Forst
nennt. Er bat 48 Schritt Durchmesser, ist also beträchtlich grösser
als die Erd-Hügel im Osttaunus, die durchschnittlich höchstens 15 — 20
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310 A- Hammeran.
Schritt messen. Cohausen hält die Umwallang fOi* eine Art Ringwall
oder Rundschanze, etwa eine ,, alemannische Grenzburg". Aber Rössel
hat richtig erkannt, dass nichts Anderes als ein römischer Signaltarm
auf diesem wichtigen Punkte stand. Nun ist aber klar, dass dieser
zur Zeit des Bestehens des Castells Zugmantel gar keine Existenz-Be-
rechtigung hatte. Er müsste entweder vor oder nach ihm bestanden
haben. Vor ihm aber kann er in keinem Falle bestanden haben, da
die Römerstrasse, von Wiesbaden kommend, genau in die Castell- Achse
einläuft und deshalb gleichzeitig mit dem Castell gebaut ist. Folg-
lich bestand der umwallte Turm zu einer Zeit, als wohl noch die Strasse
vorhanden, das Castell aber bereits zerstört war.
Ein zweites gewichtiges Argument fOr die Spätzeitlichkeit der
Rundtflrme bilden die beiden Hügel am kleinen Feldberg. Sie
sind beträchtlich höher gelegen als der nächste Steinturm des Limes
am Roten Kreuz. Man hätte sie gewiss nicht von Anfang an, zu Be-
ginn der Okkupation dorthin verlegt. Als aber in der Spätzeit der
Steinturm zerstört war, suchte man zu Signalzwecken eine etwas
höhere Lage, da man vom Limes unabhängiger war. Die eine der
Umgrabungen ist etwas quadratisch. Auf einer ähnlichen bei Orlen
fasst Cohausen selbst (S. 157) einen Holzturm ins Auge.
Dass es sich bei diesen Erdhügeln (wie ich, objektiv genommen,
dieselben lieber als „Begleithügel" nennen möchte) wirklich um Rund-
türme handelt, glaube ich durch obige Untersuchung nachgewiesen zu
haben. Unzweifelhaft spricht dieser Umstand selbst für die späte
Zeit ihrer Entstehung. Ich halte es für unglaublich, dass, entgegen
allen uns bekannten Militärbauten der besseren Zeit, römische Wart-
türme mit kreisförmigem Grundriss und in Holzbau vor dem dritten
Jahrhundert ausgeführt worden sein sollen. Gegen die Möglichkeit aber,
dass die viereckigen Trockenmauern das Fundament von Türmen,
nicht von Häusern bildeten, spricht, wenn wir nur ein Beispiel heraas-
nehmen. Folgendes: die beiden zusammenliegenden Hügel beim Turme
von Hesselbach können nur Wohnhäuser getragen haben, da für zwei
Holzthürme an jener Stelle sicherlich kein Anlass vorlag. Dass aber
kein Holzturm neben ihnen stand, ist leicht erklärlich: der Steinturm
war hier noch aus früherer Zeit erhalten, wie dies gewiss öfters vorkam.
So, glaube ich, werden frühe und späte Formen der Limes-Befestigungen,
ein bestimmtes Nacheinander und eine Entwicklung aus Obigem mit
einiger Wahrscheinlichkeit hervorgehen.
•^>^o^*
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Vier Ringwälle im Hunsrück.
Von Friedr. Kofler in Darmstadt.
(Hierzu Tafel 16 u. 17.)
Das reizende Idartbal, das sich vom Idargebirge aus zu beiden
Seiten des Idarbaches bis nach Oberstein hin ausdehnt, gleicht sowohl
in landschaftlicher, wie in kulturgeschichtlicher Beziehung vielfach dem
kleinen ürselbachthale im Taunus, in der Nähe von Oberursel und
Homburg vor der Höhe. Wie hier, bei der Heidtrftnke, die Hänge
<les Altkönigs (der Althöfer Mauer und des Hesseibergs) und die des
Hangelsteins (Goldgrube) sowie des Lindenbergs so nahe zusammentreten,
dass neben dem Bach kaum Raum für einen Fahrweg gelassen ist, so
finden wir dort am Eatzenloch die Hänge des Sandkopfs, des Hohefels
und des Silberichs so nahe zusammengerückt, dass der Idarbach und
4ie von Oberstein nach Kempfeld führende Strasse, den im Thale
häufig vorkommenden Schleifmühlen kaum Raum zu vergönnen scheinen.
Hier, wie dort, sind die Berge bedeckt mit schattigen Eichen- und
Buchenwäldern, zwischen denen kahle, rauhe, aus Grauwacke und Quarzit
bestehende Rossein sich grossen erstarrten Strömen gleich zu Thal
senken; hier, wie dort, sind aber auch die Bergkuppen gekrönt mit
Bollwerken vorgeschichtlicher Zeit, welche uns Nachricht geben von der
frühen Bevölkerung der östlich vorliegenden Thalgelände.
Auf der Rückkehr von der Generalversammlung des deutschen
anthropologischen Vereins zu Trier im Jahre 1883 hatte ich in Ge-
meinschaft mit dem leider so früh verstorbenen Oberlehrer Fr. Möller
aus Metz, der bei den geehrten Lesern dieses Blattes gewiss noch in
gutem Andenken stehen wird, diese vorgeschichtlichen Anlagen zum
<jegenstand einer Untersuchung gemacht. Die Generalversammlung des
Oesamtvereins der deutschen Geschichts- und Altertumsvereine zu Metz
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312
Fr. Kofler
gab mir bei der Fahrt durch das Nahethal Grelegenheit diese Werke
in Gesellschaft des land- und wegkundigen Herrn Gymoasialdirektor
Back aus Birkenfeld auch in diesem Jahre zu besichtigen und meine
früheren Notizen mit den Örtlichkeiten zu vergleichen, so dass ich jetzt
im Stande bin ein ziemlich genaues Bild dieser interessanten Zuflucht-
Stätten zu geben.
Die vorgeschichtlichen Befestigungen, welche sich nördlich und
sfldlich vom Katzenloch in einer Linie von 5 km Länge befinden und
das Thal gleichsam zu sperren und zu beherrschen scheinen, sind:
1. Die Wälle der Wildenburg.
Hoch in die Lüfte ragt noch der Fels, an dessen Hängen einst
die mächtige Feste Wildenburg erbaut war und macht sich schon von
Weitem her dem Auge
bemerkbar. Die stolze
Burg aber ist gebrochen
und zerfallen und was
das Mittelalter mit allen
Mitteln der Kunst ge-
schaffen hatte . das
deckt nun Donige-
strüpp, Laub. Immer-
grün und Rasen, kaum
erinnert noch ein Stück-
chen Mauerwerk an
frühere Stärke und ver-
gangene Pracht. Merk-
würdig bleibt es. dass
dicht bei dieser Stätte
der Zahn der Zeit
Werke verschont hat,
welche Menschenhand
ohne alle Mittel der
Kunst aufgeführt hat.
Denn es erheben sich
dort mächtige Stein-
wälle, die, wenn auch
von oben her verfallen, nun wilden Steinhaufen und Rossein gleichen,
in ihrem innersten Kerne noch glatt geschichtete Trockenmauern bergen
200 SchriU
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Vier Ringwälle im Hunsrück. 313
werden; Wälle die in ihrer Anlage die grdsste Ähnlichkeit mit den
berühmten Befestigungen des Altkönigs im Taunus und dem Hunnen-
ringe bei Otzenhausen im Hunsrack zeigen.
Die Kuppe, auf welcher die Feste Wildenburg einst gelegen war^
bildet einen schmalen Gebirgsgrat, der gegen 300 Schritt weit von 0.
nach W. zieht und hier mit einem höheren, turmartigen Felsen ab-
schliesst. Nördlich von diesem Grat dehnt sich ein schmales 10 — 30
Schritt breites Plateau aus, dessen Nordrand steil zum Thale abfällt.
Südlich vom Grat dacht sich der Bergrücken in Hängen von 25 — 30-
Grad Böschung ab. Der Nordrand des Plateaus wird an verschiedenen
Stellen Oberragt von 8—10 Fuss hohen senkrecht aufsteigenden Fels-
gebilden. An den Orten, wo diese fehlen, machen sich Überreste eines
Stein walles bemerkbar, der mit jenen zusammen einen 263 Schritt
langen Abschluss nach N. und NW. bildet und sich an den obenge-
nannten turmartigen Felsen und die seitlich liegenden Felsmassen an-
lehnte, durch die Burgbefestigungen aber durchbrochen ward. Der
Wall ist jetzt vielfach geschleift und an einzelnen Stellen bis auf ganz
Weniges abgetragen, sein höchster Teil erreicht kaum mehr die Höhe
von 1 m. An diesen Wall reihen sich zwei mächtige Wälle in Bogen-
form, die in 139, resp. 246 Schritt Entfernung von der Mitte des
Nordrandes aus gerechnet hinziehen, am Anfangs- und Endpunkte des
dort befindlichen Walles sich anscbliessen und auf diese Weise einen
grösseren Hof mit einem Vorhofe bilden.
Der kleinere dieser Wälle hat, von innen gemessen, eine absolute
Höhe von etwa 1 m. Die Mauer, welche ihn einst bildete, ist beim
Zusammensturz den südlichen Hang lünabgerutscht und bildet jetzt eine-
Böschung von 5 — 6 m Länge. Er beginnt bei Felsmassen, welche den
Nordrand der Kuppe samt den daran hinlaufenden Wall nach Osten
hin begrenzen und zieht in einem sanften Bogen nach W. In 140^
Schritt Entfernung von dem Anfangspunkte zeigt er einen 4 Schritt
breiten Eingang (Thor), der durch eine Unterbrechung des Walles in
der Weise gebildet wird, dass der von Ost kommende Arm etwa 4 m
weit über den von W. kommenden übergreift. Der letztere lässt sich
noch auf weitere 173 Schritt verfolgen, scheint sich früher an den
turmartigen Felsen angelehnt zu haben und bei der Anlage der Wilden -
bürg auf eine Länge von 107 Schritt geschleift worden zu sein, denn
der Wall mit dem westwärts liegenden tiefen Graben, an dem der
Steinwall jetzt endet, gehören zu den Befestigungen der mittelalterlichen
Burg. Die Gesamtausdehnung würde demnach 420 Schritt betragen haben.
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314 Fr. Kofler
Der zweite Stein wall beginnt, wie der erste, an dem Felsen,
welcher den Nordrand nach Osten hin abschliesst. Er zieht zuerst
126 m weit von N. nach S. und wendet sich dann in einem Bogen
-westwärts. Hier wird er in kurzer Entfernung von zwei Weganlagen
-der Neuzeit durchschnitten, zeigt 20 Schritt weit Bogenform, läuft dann
ganz gerade und dreht sich nach 170 Schritt mehr nach NW. In
•dieser Richtung zeigt er nach 96 Schritt ein Thor von derselben Be-
schaffenheit, wie das oben erwähnte, welches in den Uaupthof führt,
während das zweite zum Vorhof leitet. Das letztere ist, da es wohl
seit langer Zeit nicht mehr durch Fuhrwerk benutzt wird, stark zu-
sammengebrochen, scheint aber ebenfalls 4 m Breite gehabt zu haben.
16 Schritt östlich davon liegt unmittelbar am Walle ein auffälliger
Steinhügel. Von dem Thore ab bis zur Försterwohnung, 117 Schritt
Entfernung ist der Wall noch auf 64 Schritt bemerkbar, der Rest, der
wrahrscheinliche Anschluss an den hohen Fels, wurde bei Anlage der
Burg geschleift. Die Gesamtlänge dürfte auf 613 Schritt, der Umfang
«des ganzen äusseren Walles auf 883 — 900 Schritt zu schätzen sein.
Innerhalb der Befestigung sind zwei Brunnen. Der erste bildet
«ine 5 — 6 ra im Durchmesser haltende, 1 m tiefe Lache oder Cisteme,
bei der sich auf zwei Seiten eine ehemalige Steinsetzung erkennen lässt.
In heissen Sommern soll sie versiegen, doch war dies 1883 und 1889
nicht der Fall ! Der zweite Brunnen ist eine (Quelle, welche am Rande
des inneren Walles entspringt und ähnlich wie die Quelle im Hunnen-
ring bei Otzenhausen gefasst ist. In ihr soll das Wasser nie versagen.
Ein mit Steinwällen besetzter, nach der Wildenburg führender Weg
weist auf eine Benutzung der Zufluchtstätte durch die Bewohner der
Gegend von Herbom und Veitsrodt hin, von welch letzterem Orte
auch eine festangelegte, breite Strasse nach der Wildenburg geführt
haben soll. (Mitteilung des Herrn Landtagsabgeordneten Peter Wagner
in Kii*sch Weiler).
2. Die Befestigung auf dem Hohefels, genannt „die Schanz'*.
Von der Wildenburg aus gehen in der Richtung nach dem Katzen-
loch zwei Höhenztlge, die nur durch eine kleine Thalmnlde von einander
getrennt sind. Der eine endet mit dem Sandkopf, der andere mit dem
Hohefels. Der letztere bildet anfangs ein ziemlich ebenes Plateau, da^
5ich nach dem Katzenloch hin allmählich an Breite verringert, bis es
in einzelne Felskegel übergeht, die mit dem genannten, senkrecht ins
Thal abfallenden Hohefels enden. Etwa 80 Schritt östlich von diesem
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J^o/Uxler ScAccyuce-.
Vier Ringwälle im Hunsrück. 315^
Fels zieht zwischen zwei Felskuppen ein 50—55 Schritt (die Stelle ist
schwer zu begehen) langer, 3^2 m breiter und 1 m tiefer Graben,
jetzt ohne Auf-
a; ^ wurf, quer über
/ _ ^^ ' — """^ den Gebirgsrük-
i ■ - \ Ä-------- = «.-=• -'-^ j^ßn ^n(J schliesst
<^ I somit einen 80
^ Schritt langen,
^ 30—35 Schritt
^ breiten Raum
von dem weiter
'^'Ot^cA/Ui^ \ östlich liegenden
Plateau ab. Nach
drei Seiten hin
MaasBsta^ wie s. 812. fallen die Ränder
dieses Raumes in Felsmassen und Rossein steil nach dem Thale ab.
Der Nordseite entlang ziehen die Überreste einer Mauer aus horizontal
geschichteten Steinen, die bei dem äussersten Felsen im Westen anfängt
und sich mit wenig Unterbrechungen bis zum genannten Graben fort-
setzt. An den Stellen, wo sie am besten erhalten ist, hat sie eine
Hohe von 1 m, an anderen Stellen gleicht sie mehr einer Rampe. I)ie
Westseite ist durch Felsen geschützt, die Südseite ward an allen Orten
wo man den Schutz durch die Steinrossein nicht für ausreichend hielt,
durch künstlich angelegte steile Böschungen aus Steinen und aus Erde
verstärkt. Die beiden Endpunkte des oben genannten Grabens werden
nach dem Thale hin durch horizontal geschichtete Steinmauern ab-
geschlossen.
Östlich von diesem Graben oder AbschnittswaUe lassen sich am
Rande der Nordseite entlang spärliche Reste einer Mauer und wo diese
fehlt, künstlich hergestellte Böschungen noch etwa 100 Schritt weit
verfolgen und legen den Gedanken nahe, dass die Zufluchtstätte, die
wir trotz der Beschränktheit des Raumes hier annehmen mtLssen, einst
mit einem Vorhofe versehen war, der im Laufe der Zeit verschwunden
ist, da man das Material desselben zu industriellen Zwecken vernutzte.
Der Felsgrat besteht, wie Herr Wagner mir sagte aus einem sehr feste»
Quarzit, der in den zahlreichen Schleifereien des Thaies zum Herrichten
der Vertiefungen in den Schleifsteinen benutzt und so häufig abgeholt
wird, dass man oft in Zeiträumen von 3 — 4 Monaten die grössten
Veränderungen an den Gesteinsmassen wahrnehmen kann. 232 Schritt
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316
Fr. Kofler
ösüich von dem Abschnittsgraben bemerkt man die Überreste eines
Weges und es ist möglich, dass sich der Yorhof einst bis hierher
erstreckte.
3. Der Wall aof dem Silberieh, genannt „die Festnni^.
Auf der rechten Seite des Idarbaches, südlich vom Katsenloch.
macht sich schon von weit her eine bewaldete Felsknppe bemerkbar,
welche der Silberg oder Silbe-
rich genannt wird. Der höchste
Teil desselben ist ein von SW.
nach NO. streichender Fels-
grat, der vielfach verwittert
und geborsten eine wQste TrOm-
mei*stätte zeigt, wie sie kaum
in den Bergen wilder ange-
troffen wird. Es scheint, als ob
MaassAiab wie s. SIS. Riesenhände einst an diesen
Felsen gerQttelt hatten, so eigentümlich wild liegen die Qoader, ans
welchen einst diese Lei bestand, nnter nnd übereinander, teils noch
im losen Verbände emporragend, teils in Rossein zu Thal geworfen.
Hier haben Menschenhände ans rohen Steinen ohne allen Verband
ein Bollwerk geschaffen, das in manchen seiner Teile \ie\e Jahr-
hunderte hindurch dem Zahne der Zeit wiederstanden hat and uns
heute ein Bild der Zuflochtstätten vorgeschichtlicher Zeit giebt wie es
kaum an einem anderen Orte angetroffen wird.
Ähnlich wie bei der Wildenburg zieht auch hier ein Felsgrat
von 152 m Länge in der Richtung SSW. nach NNO. auf der Kuppe
hin, schmal beginnend und sich nach und nach bis zu 30 Schritt aas-
breitend, welcher beinahe nach allen Seiten hin, in Entfernungen von
14 — 30 Schritt von einem Walle umgeben ist, der einen etwa 521
Schritt im Umfang messenden Raum einschliesst. Dieser besteht den
Bodenerhebungen nach aus drei verschiedenen Plateaus^ einem südlichen,
nördlichen und mittleren. Das letztere besteht, wenn man es so be-
jKeichnen darf, aus zwei übereinander liegenden Terrassen von 2 — 3 nnd
2 — 6 m Höhe, zu denen treppenartige Felsstufen emporführen. Dieser
mittlere Raum hat die Form eines spitzwinkeligen Dreiecks, dessen
Basis etwas kürzer als die grösste Breite des Raumes selbst ist, die
von mir zu 32 Schritt angenommen wird. (Des zerklüfteten (Gesteins
wegen war es unmöglich allerwärts genaue Maasse zu nehmen).
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Vier Ringwälle im Hunsrück. 317
Der sfldlicbe Raum kaon beinahe mit einem rechtwinkeligen
Dreieck verglichen werden, dessen Hypotenuse an der weitesten Stelle
etwa 30 Schritt von der längeren der beiden Katheten entfernt ist.
Der nördliche Raum, von ganz unregelmässiger Form, welcher
der vielen scharfkantigen Steine wegen kaum zu beschreiten ist, erreicht
ebenfalls mit 30 Schritt seine grösste Breite.
Im südlichen Teile wird der in steilen Rossein abfallende Rand
von einzelnen Felsmassen überragt. Wo diese fehlen, ist ein Steinwall
bemerkbar, der noch hin und wieder Spuren ehemaliger horizontaler
Schichtung zeigt. Er zieht von der Ostecke aus sich stets an Fels-
massen anlehnend 97 Schritt weit in südsüdwestlicher Richtung, wendet
sich dann beinahe in einem rechten Winkel nach W. sich stets wieder
an Felsmassen anlehnend. Diese Richtung mit wenigen Abweichungen
beibehaltend zeigt er nach weiteren 130 Schritt einen Eingang, der
ebenfalls durch das Übereinandergreifen der Wallarme gebildet wird.
Der innere Wallarm zieht von diesem Thore aus noch 28 Schritt weiter
nach W. und wendet sich dann in einem spitzen Winkel nacli NO.,
läuft 29 Schritt weit in dieser Richtung und endet bei einer gewaltigen,
80 Schritt breiten, aus grossen prismatischen Quarzitblöcken bestehenden
Rössel mit steilem Abfall nach Norden. Jenseits derselben setzt sich
der Wall auf eine Länge von 84 Schritt als schön erhaltene 6 bis
8 Fuss hohe, horizontal geschichtete Trockenmauer fort und
lehnt sich an der Ostecke wieder an den Fels und den Wall an, von
denen aus wir unsere Wanderung begannen.
In der nördlichen Abteilung bemerkt man einige unregelmässige,
doch beinahe kreisrunde freie Plätze von 5 — 6 m Durchmesser, in-
mitten der Steinwüste. Ob wir hier Wohnräume, Pferche für das Vieh
oder Cisternen zu suchen haben, müsste erst durch Nachgrabungen er-
wiesen werden. Eine Quelle befindet sich in 500 Schritt Entfernung
westlich vom Walle.
Herr Landtagsabgeordneter Wagner in Kirschweiler, der mich
vor 6 Jahren auf die eigentümlichen Felslagerungen des Silberichs
und dieses Jahr auf die Schanze aufmerksam machte, teilte uns mit,
dass das Bollwerk, welches im Volksmunde die „Festung** heisst, noch
im Laufe des französischen Revolutionskrieges von den Bewohnern
Kirschweilers als Zufluchtstätte benutzt wurde.
Die Festung ist gewiss der interessanteste Ringwall, der je von
mir besichtigt wurde.
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5Ct
31g * van Weneke
4. Der Wall auf dem Ringskopf.
Von dem Silberich aus zieht ein Höhenrücken in sOdwestlicher
Richtung, der in einem nur wenig höher aufsteigenden, nach 3 Seiten
^ ziemlich steil abfallenden
Bergvorsprnng endigt, und
der Ringskopf genannt
wird. Er tragt seinen
Namen von einem ihn
umgürtenden Steinringe,
der auf der Angrifiisseite
mit 1,75 m Höhe seine
MMBBstab wie s. 31«. bedeutendste Starke zeigt.
Er ist beinahe herzförmig, hat eine Längsachse von 182, eine mittlere
Querachse von (42. 73. 122) 79 Schritt, sein Umfang betragt 555
Schritt. In der Xordecke lehnt er sich an Felsen an. 48 Schritt
von der Ostecke entfernt befindet sich auf der SO-Seite des Bollwerks
ein Thor, das ebenfalls durch das Übereinandergreifen der Wallarme
gebildet wird. Zwei weitere Eingänge stammen aus neuerer Zeit. Das
innere ist geebnet und ziemlich frei von Steinen. Quellen befinden sich
in 5 und 10 Min. Entfernung südlich und nördlich vom Wall.
Auffällig bleibt es, dass sich an keinen der hier beschriebenen
Wälle irgend welche Sagen knüpfen, wie dies bei den Wällen des
Taunus, des Vogelsberges und andern der Fall ist.
<»^>^o^<>^«
Fund römischer Münzen zu EttelbrUck.
Von Prof. van Werveke in Luxemburg.
Am 9. Oktober d. J. fand der Ziegenhirte von Ettelbrück in einem
Grundstücke aufLopert, unfern der Stelle, wo im J. 1856 600 Silbermünzen
von Gordian bis Postumus gefunden wurden (vgl. Wd. Zs. VIT, 169), beim
Kartoffelausnehmen, in einer Tiefe von etwa 20 cm ein grau irdenes unge-
henkeltes Gefäss mit ca. 2000 Kupfermünzen, Mittel- und Kleinerzen, aus der
zweiten Hälfte des dritten Jahrhunderts. Herr Schmit-Krombach von Ettel-
brück, dem hierfür der wärmste Dank gebührt, meldete einige Tage nachher
den Fund Seiner Exe. dem Staatsminister Herrn Eyschen, infolge dessen ich
schon am 14. desselben Monats den gesamten * Fund, mit Ausnahme von
ca. 50—60 Stück, für das Museum der historischen Gesellschaft erwerben
konnte. Die Münzen der früheren Kaiser, von Gallien bis Quintillns, sind
zum Teil von mittelmässiger Erhaltung, die der späteren Kaiser, von Tacitus
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Fund rumischer Münzen zu fittelbrück.
319
bis CoDStantius Chlorus, meistens fleur de coin und mit wohlerhaltenem
Silbersud versehen. Im Ganzen habe ich 1982 Stück erworben, unter denen
ich 912 Varietäten konstatiert habe; 127 derselben sind teils mehr oder minder
bedeutende Varietäten von bei Cohen aufgeführten Münzen, teils neue Typen ;
mehrere sind bei Cohen nur nach Banduri. beschrieben.
Der Fund enthält Münzen folgender Kaiser:
Cohen j Revers
2. AufL
Zeichen im
Felde und
Abschnitt
Cohen
St. Aufl.'
Bevers
Zeichen im
Felde und
AbBchniU
20
24
25
38
35
Un-
ediert
72
73
76
153
154
156
157
158
161
Abundantia aug.
Aequit. aug.
Aequitas aug.
Aetemitas aug.
Aetem. aug.
Apoliniconservat
Apollini cons. aug.
»t »» »»
Dianae cons. aug.
»1 »»
»» »t
B|-
31-
-|VI
«I-
fiallienut.
161V.
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II
AzL
H
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-I-
J
€
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X
X
XI
162
165
166
ün-
ediert
179
192
246
265
269V.
270
261
304
Un-
ediert
Dianae cons. aug.
Eternitas aug.
Fccunditas aug.
Felicit. publ.
Fides militum
Fortuna red.
Fortuna redux
Fort, redux
Genius exerci.
Indulgent. aug.
-I-
XI
r
-I-
XII
-I-
XII
-\J
T
-IN
II|-
-|S
-u
-I«
MS
*) y. hint«r den Nnmmem ron Cohen beseichnet eine nnedierte Varietit
Westd. Zeitiohr. f. Geioh. n. Kamt. VIII, IV. 25
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320
van Werveke
Cob«n
rAnfl.
342
340
barb*-
riMh
344
345
361
382
388
389
404
416
423
425V.
Un-
ediert
563
586
596
617
667
668
699
699V.
Un-
adiert
Un-
•di«rt
Beven
iovi cons. aug.
Iovi8 cons. ang.
lovi con8. aug. 12
»» »» »»
lovi conaervat
lovi propugnat.
lovis Stator.
lovi ultori
luno conservat
Laetitia augg.
Laetitia augg.
Liberal, aug.
Libero. P. cona
aug.
Liberias aug.
Marti pacifero
Neptuno cons.
aug.
Neptuno cons.
aug.
Oriens aug.
Oriens augg.
Pannoniae
10
' -I-
-|V
Z|-
Cohen
S-Anfl.
Rerer«
717
718
719
720
727
728
774
786
818
859
873V.
Un-
ediert
934
Un-
ediert
951
952
Pax aetema
Pax aetema ang.
Pax aug.
Pax publica.
Pietas aug.
P. m. tr. p. VII
cos.
Provid. aug.
Providentia aug.
PROVIOENTIA
AVG.
Pndicitia
Salus aug.
Seculares
Securit. aug.
Securit. orbis.
Zeichen üb
Felde und
Abeehnitt
0|-
j\-
AI-
^1-
A|_
S|l
T|-
V|-
T|-
-|P
D!-
-|X
S|_
-|SI
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Vnnd römischer Mänzen in flttelbrück.
321
Cohen
2. Aufl.
Revers
J4
1
Zeichen im
Felde und
Abschnitt
Cohen
2. Aufl.
Berers
1
Zeichen im
Felde und
Abschnitt
961
962
979
981
983
985V.
1008
Securit perpet.
Soli cons. aug.
•» »1 1»
Uberitas aug.
3
20
1
2
16
1
1
1
8
-|H
-IM
-|H
ToIh
"xt
1009
1071
1073
1076
1118
1221
1322
Uberitas aug.
Victoria aet.
Victoria aug.
Victoria aug. III
Virtus. aug.
Virtus augusti
Summa
21
1
1
2
9
2
1
1
1
2
3
-|C
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Z|-
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-|P
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17
39
40
56
69
70
58
199
Aug. in pace
Fecunditas aug.
luno conservat.
lunoni cons. aug.
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luno regina
Moneta aug.
36
Fides militum
1
77
Oriens aug.
1
79
Pax aug.
1
83
»» »
1
Salonina.
Pax publica
Pietas augg.
Provid. aug.
Pudicitia
Venus genetrix
Venus victrix
Vesta
Posiumuf.
Victorinus.
V|*
112
131
I
Salus aug.
Virtus aug.
Zerstört
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322
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Felde und
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Felde und
2. Aufl. ttever»
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2. Aufl.
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Mariut.
20
Victoria aug. 1
1
1
1
Tetricw Vater.
Ilarits (sie) aug.
1
Salus aug.
1
54
Hilaritas aag.
l
Sped aug. (sie)
1
76
Laetitia aug. n.
1
207
Virtus augg.
1
95
Fax aug.
1
barbarisch
12
Tetricn Sohn.
FAX (od. FAXS)
4
Fietas aug.
1
AVg (barbarisch)
Spes augg.
1
6
1
Claudius II.
1
Aequitas aug.
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11
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1
14
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3
69
Diana lucif.
2
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16
Aetemit. aug.
1
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11 11
1
2
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1-
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3
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11 11
N
79
Felicitas aug.
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17
11 11
1
N|-
11 »
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11 11
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11 11
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Un-
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Anona aug.
1
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9
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Apolli cous.
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Conco
1
87
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Fuud römischer Miinzeu zu EUelbrück.
323
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Felde und
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Felde und
2. Aufl.
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Abschnitt
2. Aufl.
2
Abschnitt
88
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3
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Marti pacif.
2
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169V.
Marti pacifero
1
Un-
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1
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Un-
ediert
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1
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S.P.Q.R.
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Fortuna redux
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Fax aug.
3
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11 11
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Geniue aug.
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Fax augus.
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11 11
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11 11
1
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11 ' 11
1
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Un-
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130
11 11
lovi Stator.
1
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11 11 (Büste)
6
27
-IN
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11
214
Fax augusti
F. m. tr. p. II.
131
11 11
1
2
-IN
215
cos. p. p.
F. m. tr. p. II
132
138
11 11
11 11
Laetitia aug.
11 11
1
3
1
-|P
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220
223V.
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Frovid. aug.
11 11
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11 11
3
11 11
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1
138V.
11 11
1
224
11 11
^
139V.
140
11 11
11 11
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225
227
11 11
Froviden. aug.
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Laetitia fund.
1
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230
11 11
Frovident. aug.
11
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144V.
Liberalitas aug.
1
230V.
11 11
1
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144
11 11
3
233
11 11
4
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Liberitas aug.
1
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1
151
Libert. aug.
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11 11
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1
152
11 11
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11 11
1
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11 11
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Mars ultor.
7
13
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262
11 11
Salus aug.
13
169
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11 11
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268
Un-
Securit aug.
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Abschnitt
8. Aufl.
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1
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Abschnitt
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1
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Spes publica.
7
308
Victoriae gothic.
1
284
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3
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313
314
Virtus aug.
31
11
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285
Temporum feli.
1
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Un-
ediert
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1
286
293
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Victoria aug.
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315
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1
1
769
303
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2
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Zerstört
J2
791
5
8V.
17
25
28
28V.
39
23
Un-
ediert
50
60
Un-
ediert
Aetemit. aug.
Apollini coDS.
Conco. exerc.
Concordia aug.
Fides milit
Fides militum
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Laetitia aug.
CoDcord. milit.
Concordia mili.
Concordia mili-
tum
Fides militum
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60
52
57
57V.
59
63
Laetitia aug.
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Securit aug.
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105
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131
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Fuud römischer Münzen zn Ettelbrück.
326
Cohen
8. Aufl.
140
141
142
144
Ln-
ediert
169
161
166V.
171
Bevers
Oriens aug.
Pacator orbis
Pannoniae
Pietas aug.
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Felde und
Abschnitt
Q
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S
Cohen
8. Aafl.
Bevers
192
198V.
201
210
219
220
257
274
285
28ÖV.
Severina.
7
14
9
15
16V.
35
45
CoDCordiae mili-
tum
Venus felix
MrF
Restitut. orbis
Restitut. orientis
Restitutor orbis
Romae aeter.
Romae aetemae
Victoria aug.
Virtus aug.
Virtus militum
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Venus felix
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Felde und
Abschnitt
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1
2
1
43
1
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47
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65
Fides militum
Laetitia fund.
Mars Victor.
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Pax aetema
Pax aug.
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326
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Cohen
2. Aufl.
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1
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Abschnitt
Cohen
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Revers
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Felde and
Abschnitt
73
75V.
123
Fax augusti
Salus aug.
1
1
1
137
144
Spes publica
Temporum feli-
citas
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1
1
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Florianut.
15
25
Coucordia mili-
tum
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35
46
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I-
III
Probus.
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2. Aofl.
1
Un-
odiert
36
36
36
39
39
41
Un-
edlert
74
84V.
87
101
102
105
108V.
150
157
121
126
137V.
137V.
146
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Abuudantia aug. .
Adventus aug.
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Aequitas aug. .
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Abschnitt
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XXI
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327
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2. Aufl.
Revers
Ötttck
179V.
191
210
216
230
239
252
255
256V.
281
Un-
edieri
305
306
«Un-
ediert
Un-
edi«rt
334
336
350
358
358
389
401
401
420
417
427
435
437
509V.
528
531
566
599
610
Un-
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650
Conservat. aug.
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Felicitas aug. .
Felicitas sec. .
Fides milit.
Fides militum
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Herculi pacif. . . .
£rculi pacifero . .
loTi cons. Prob. aug.
lovi conservato.
Laetitia aug. .
Mars Victor
Marti pacif.
Ories (sie) aug.
Fax aug. . .
Fax augusti
Piaetas aug. .
Fietas aug.
Kestitut orbis
Romae aeter. .
Salus aug. .
Salus public.
Secnrit. perp.
Soli invicto
Feld
A|-
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328
van Werveke
Cohen
2. Aufl.
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Feld
Abidukitt
677
701
713
727
739
762
766
773
816
826
833V.
849
869
912
10
18
50V.
79
93
98
99
9
9
31V.
45
74
83V.
115
116
120
120V.
Soli invicto
Spes aug. . .
Tempor. fellci.
Tempor. felicit.
Victoria aug. .
Victoria aug. n.
Victoria germ.
Virtus aug.
Virtns augusti
Virtus Probi aug.
Aeteruit. imperi.
Consecratio
Pax augg. .
Spes publica.
Victoria aug.
Victoria augg.
Aequitas augg.
Fides militum. .
lovi victori. . .
Pietas augg. . .
Principi iuventut.
Saeculi felicitas .
105
Carut.
Carinus.
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329
Cohen
8. Aufl.
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16V.
18
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43
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76
107
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17V.
69
71
147
147
153 {
151
163V.
165V.
169
171
171V.
183
184
198
206
Numerlanut.
lovi victori
Mars Victor
Fax augg. . .
Pietas augg. . .
Principi iuventut
Virtus augg. . .
Undique victores.
Magnia Urbica.
Venus genetrix
Veuus victrix
Abundat (sie) augg.
Abundant. augg. .
Ciaritas augg.
Fides milit. . .
lovi augg.
lovi coDser. augg.
lovi conservat
• Diocietianut.
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330
van Werveke
Coheu
a. Aufl.
214V.
215V.
237
240V.
Un-
ediert
296
297
Un-
ediert
354
356
362
366
367
372
Un-
ediert
376
Un-
edJert
383V.
410
453
Un-
ediert
526
536
Revers
lovi conservat. aug.
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lovi couservat. augg.
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lovi consenatori
Stttck I Feld
Abschnitt
lovi tutatori augg.
Laetitia fund.
Oriens augg.
Fax aetern.
Fax augg. .
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Frovidentia aug
Saecurit perp
Securit perp
Virtuti augg
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8. Aufl.
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Fund römischer Münzen zu tlttelbrück.
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Fund römiscber Münzen zu Ettelbrück.
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334
van Werveke
Es ergiebt sich daraus, dass von den zu Trier geprägten Kleinerzen
unseres Fundes kein Exemplar nur mit zwei Buchstaben signiert ist; sie
würden demnach, entsprechend der von Direktor Dr. Hettner angestellten Folge
der Trierer Prägungen, Westd. Zeitschr. VI, S. 143, nicht vor das Jahr 299
fallen. Indessen fuhren mehrere der Reverse auf einen früheren Zeitpunkt;
der Revers AVSPIC. FEL. wohl auf den Regierungsantritt der beiden Cae-
saren Constantius und Galerius, VOT. X. M. XX. und VOTIS X auf die
Decennalien der beiden Kaiser oder Diocietians allein, alle drei also auf die
Jahre 293 oder 294. Dass übrigens die neun Reverse, die wir auf den Trierer
Kleinerzen dieser Zeit finden, derselben Periode angehören, ergiebt sich klar
aus den Prägevermerken, die wir der besseren Übersicht halber in folgender
Tabelle zusammenfassen.
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Constantius
Galerius
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VOTIS AVGG.
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Fund römischer Miinzen zu Ettelbrück. 335
Der Sachverhalt scheint mir demnach folgender zu sein: Die Münze
von Trier wurde eingerichtet, nachdem Constantius Chlorus, Caesar ernannt,
Gallien zu seinem Teilreiche erhalten hatte; es wurde in ihr nur Gold und
Kleinerz geprägt bis zur Diocletianischen Mönzreform des Jahres 296. Mit
diesem Jahre hörte die Prägung von Klcinerz auf; die Mittelerze traten nun-
mehr an die Stelle und zwar zuerst, während mehrerer Jahre und Emissionen,
der Revers GENIO POPVLI ROMANI.
Während nun die Kleinerze unseres Fundes nicht über 296 hinaus-
gehen, gehören die Mittelerze nur den zunächst folgenden drei, höchstens vier
Jahren an. Vertreten sind nämlich nur die vier ersten Emissionen, '^und, was
besonders auffallig ist, die vierte nur mit 2, die fünfte nur mit 1 Exemplare.
Nur wenige Mittelerze sind nicht aus Trier, wie es sich ja bei der Lage des
Fundortes nicht anders erwarten Hess ; wir sind daher berechtigt anzunehmen,
dass der Fund erst ganz kurze Zeit nach der Ausgabe der 5. Emission ver-
graben wurde, andererseits die vierte Emission nur kurze Zeit währte und
eben daher nur wenig Exemplare derselben in unserm Funde vertreten sind.
Die vierte Emission wird von Dr. Hettner'etwa in das Jahr 298 verlegt, die
fünfte in die Jahre 299—305 Mai. Wir nehmen also an, dass der Fund im
Jahre 299, möglicherweise bereits gegen Ende des Jahres 298, vergraben
worden ist.
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Die ursprüngliche Fassung des Trierer Silvester-
Privilegs').
Von H. V. Sanerland in Trier.
Über die älteste Fassung and die Entstehungszeit der in der
Aufschrift genannten Trierer Falschurkunde ist im Laufe der letzten
45 Jahre viel hin und her gestritten worden. Fttr ihre ehedem be-
hauptete Echtheit hat zwar keiner mehr einzutreten gewagt ; doch suchte
man vielfach den Text wenigstens möglichst weit ins Altertum zu rücken,
nämlich bis in die zweite Hälfte des fünften Jahrhunderts unserer Zeitrech-
nung. Dieses angebliche hohe Alter des Privilegs haben in dem all-
bekannten Streite um die Echtheit oder Unechtheit der Trierer „tunica
inconsutilis^ der Trierer Seminarprofessor Marx, der Bonner Privat-
docent Dr. Clemens, der Büker Pfarrer Binterim und endlich Joseph
Görres zu behaupten gesucht. Der Hauptgrund, worauf sie ihre Be-
') Die irrige, aber bisher ausschliesslich angewandte Bezeichnung der
Urkunde als eines Diploms habe ich aufgegeben, und möchte ich ersuchen,
auch andererseits die richtige Benennung derselben als eines (angeblichen)
Privilegs zu gebrauchen.
Westd. Zeitachr. f. Geioh. n. Kunst. YUI, IV. 26
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336 H. V. Sauerland
hanptung stützten, war die Angabe der Gesta Treveromm, dass der
Trierer Erzbischof Volosian, dessen Pontifikat in die zweite Hälfte des
fünften Jahrhunderts gesetzt wird, das Silvesterdiplom von dem Römischen
Papste habe emeaem lassen (rescribi fecit). Ihnen gegenüber hat
H. V. Sybel in den von ihm and Gildemeister während jenes Streites
publizierten Brochuren mehrfach die erst ins 11. Jahrhundert zu setzende
Entstehung jener Fälschung zu erweisen sich bemüht. Obschon seine
über diesen Punkt handelnden Ausführungen mehrfach nicht ausreichend
begründet sind, muss doch jeder Unbefangene gestehen, dass jene vier
Herren ihre Ansicht über das hohe Alter des Diploms mit wenig Ge-
schick und Glück vertreten haben, so dass Sybels Ansicht bis in die
neueste Zeit als die richtige gegolten hat. Meinerseits habe ich dann
noch im vorigen Jahre versucht, als Entstehungszeit des Privilegs nach-
zuweisen die Zeit nach dem Tode des Kölner Erzbischofs Bruno (965)
und vor dem Privileg des Papstes Johann XIU zu Gunsten der Trierer
Kirche (969 Jan. 22) *). Indes will ich schon jetzt bei dieser
Gelegenheit bemerken, dass ich mit Rücksicht auf teils schon von Sybel
geltend gemachte, teils neuerdings von mir gefundene Gegengründe nicht
mehr imstande bin, die Behauptung dieser Entstehungszeit aufrecht zu
erhalten. Keineswegs aber habe ich Grund, irgendwie mich der An-
sicht BeissePs anzuschliessen, der bald nach dem Erscheinen meiner
„Trierer Geschichtsquellen des 11. Jahrhunderts^ im zweiten Teile seiner
„Geschichte der Trierer Kirchen" (S. 26 — 62) wieder auf die von den
genannten vier Herren vor 45 Jahren behauptete Ansicht zurückgriff. Nach
Beissel (S. 56) sind es „Thatsachen, dass Silvester, vielleicht nur in einem
Briefe, dem Agritius auf Betreiben Helena 's eine hervorragende Stellung
unter den Bischöfen Galliens und Geimaniens vermittelte, und dass das
Schriftstück Silvesters, welches zur Zeit Volusians erneuert wurde, im
Wesentlichen in der heute vorliegenden Silvesterurkunde enthalten sei".
Doch räumt er ebendort ein, dass diesen zwar „eine streng wissen-
schaftliche und sichere Begründung fehle", meint aber, dass man die-
selben noch als „wahrscheinlich richtige hinnehmen kann, obgleich frei-
lich mehr Sicherheit und gegründetere Überzeugung geboten wäre, wenn
höher hinaufreichende Zeugen als Bürgen aufträten". Man merkt es
der ganzen gewundenen und verklausulierten Redeweise hier an, wie
misslich es mit seiner Zuversicht bezüglich der hier behaupteten „That-
sachen" bestellt ist. Es sieht dann auch schon fast wie eine Brücke
») Vgl. meine Trierer Geschichtsquellen des 11. Jahrh. S. 97—106.
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Die ursprüngliche Fassung des Trierer Silvester-Privilegs. 337
fOr den Fall des Rückzugs aus, wenn er wenige Seiten weiter (S. 61)
mit dem vieldeutigen Ausspruche nachkommt: „Vielleicht ist die heute
erhaltene Form des Silvesterdiploms nur eines der Httlfsmittel, durch
<Ue man in Trier die alten Vorrechte zu verteidigen suchte", und wenn
er dann sogleich hinzufügt : „Sie mag falsch sein in der Form, ist aber
richtig in ihrem Inhalte**. Zum Rückzüge bläst denn auch schon ein
anonymer Anhänger Beissels in einem der jüngsten Hefte der „historisch-
politischen Blätter" (Bd. 103, 1889, Juni-Heft XI). In seinem langen
(17 Seiten umfassenden) lobesvollen Referate über Beissels zweiten Band
sieht er sich doch genötigt, dessen Behauptung über eine Entstehung
4es Textes zur Zeit Volusians aufzugeben und die Entstehungszeit um
die Kleinigkeit von etwa 400 Jahren später zu datieren, weil es seines
„Erachtens sicher ist, dass die heutige Fassung nicht in der Zeit des
Bischofs Volusian entstanden ist", da „man fast genötigt wird, die
Entstehung der heutigen Fassung in jene Zeit zu verlegen, während
welcher das Reich Lothars II bestand" (S. 841, 842). Er citiert dann
noch jenen oben charakterisierten vieldeutigen Ausdruck Beissels, der ja
auf die Annahme jeder noch so späten oder noch so frühen Abfassungs-
zeit passt, sendet aber diesem Citat die Bemerkung voraus : „Das End-
urteil Beissels über dieselbe (Urkunde) wird trotzdem bestehen bleiben"
(S. 843). So bringt er es mit anerkennungswerter Geschicklichkeit
fertig, vor seinem Lesepublikum das Silvesterprivileg 400 Jahre später
zu datieren als Beissel und doch in demselben Lesepublikum die An-
sicht zu erzeugen, dass „das Endurteil" desselben Beissel über dasselbe
Silvesterprivileg „bestehen bleiben wird". Vielleicht dass er sich später
einmal der Ansicht Sybels zuwendet, welcher die Abfassungszeit des
Silvesterdiploms ins 10. oder 11. Jahrhundert setzt; dann wird es ihm
voraussichtlich wieder ein Leichtes sein, bei seinen Lesern die Ansicht
zu konservieren, dass auch desfalls „das Endurteil Beissels über dieselbe
Urkunde bestehen bleibt".
Es ist nun hier nicht meine Absicht, die Ansichten Sybel's,
BeissePs und des Anonymus der bist. -pol. Blätter über die Entstehungs-
zeit des Silvesterprivilegs zu prüfen. Dies kann nämlich erst dann mit
Sicherheit geschehen, wenn die Vorfrage über die älteste Fassung
oder den ursprünglichen Text der Falschurkunde entschieden ist. Zwar
behauptet nun Beissel (a. a. 0. S. 36 u. 37) mit grosser Zuversicht,
eine sichere Lösung dieser Frage und eine völlige Widerlegung der
Ansicht Sybel's auch in diesem Punkte geliefert zu haben; indes sind
seine Gründe, wie sich im Folgenden ergeben wird, hinMig, und
26*
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338 H. V. Sauerland
ebenso auch der weitere Grund, womit ihm in dieser Frage der Ano-
nymns der historisch-politischen Blätter (S. 840) zu Hülfe kommt.
Bei der Frage nach dem ursprünglichen Texte des Silvesterpriyi-
legs kommen beute nur mehr zwei Fassungen in Betracht'): Die eine
kürzere findet sieb im Drucktexte von Brower's Antiquitates et Annales
Trevirenses*) und in Brower-Masen's Metropolis Ecclesiae Trevericae ^) ;
die andere ist der Text, auf welchen zuerst von Sirmond hingewiesen
ist und der uns ausser von Papebroch noch von Wiltheim und Calmet.
femer auch durch den Trierer Codex Egberti ^ und durch die Chronik
Hugo*s von Flavigny ') überliefert ist. Im Nachstehenden stelle ich
beide Texte, den kürzeren unter der Bezeichnung B, den längeren unter
der Bezeichnung S, neben einander*).
B: 8:
Sicut in gentilitate propria virtute, Sicut in gentilitate propria virtute^
sortire et nunc Trevir super Gallos sortire et nunc Trevir") primas su-
et Germanos pnmatum, qnem tibi prae per **) Gallos spiritualem ") et Ger>
Omnibus harum gentinm episcopis in manos prioratum, quem tibi prae cm-
primitiris christianae religionis doc- nibus harum gentium episcopis in
toribus, Euchario, Valerie, Matemo, primitivis christianae religionis doc-
per baculum caput ecclesiae Petrus toribus scilicet Eucbario, Yalerio,
significavit babendum, suam quodam- Matemo ^^) ac *') per baculum ^*) ca-
modo minuens dignitatem, ut te par- put ecclesiae") Petrus signavit ha«
ticipem faceret, quem ego Silvester bendum , suam ^^) quodammodo mi-
eius servus successioneque indignus nuens '^) dignitatem, ut te participem
per patriarcharo Agricium renovans faceret Quem '^) ego Silvester eius
confirmo. servus *') successioneque indignus per
patriarcham Agricium*^) renovans con-
ßrmo ad honorem dominae *') Helenae
augustae, eiusdem metropolis indi-
genae, quam ipsa felix per apostolum
3) Vgl. meine Trierer Gescb.-Qu. des 11. Jh. S. 88 ff. ~ In der neuen
Ausgabe der RegesCa Pontificum Nr. 179 ist die Urk. mit den späteren Inter-
polationen citiert.
*) Ed. I*. Coloniae 1626 p. 243. Ed. II*. Leodü 1670 p. 215.
*) Ed. Chr. de Stramberg, Confluentiae 1856. I. p. 22.
«) Trierer Stadtbibl. cod. 82 fol. 1.
') Mon. Germ. Scriptt. VlII. 298.
^) In den nächstfolgenden textkritischen Anmerkungen bezeichnet W
die Varianten bei Wiltheim, C die bei Calmet, E die im Codex Egberti, H die
in Hugo's Chronik, A die in der Vita s. Agritii (II, 7).
•) Treviri H. — »<>) ac super C. — »•) spiritali E, spirituali W. —
»«) et Martino W. — ^») fefüt H, — ") baculum suum Hu. TT. — '*) aec-
clesiae E. — ") fehU E. — »') innuens W. — ") Que E, quomodo H, —
") servus eius H. — *®) Antiocenum A, — '*) patriae dominae E und A.
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Die ursprüngliche Fassung des Trierer Silvester-Privilegs. 339
Mathiam Judea") translatum caete-
risque^*) reliquiis domini magnifice
ditavit 2*) specialiterque provexit. Hu-
ius**) privilegii conscii-*) nocivi aemuli
communione dirimantur, quoniam ana-
themate maculantur.
Privilegium") quod Volusianus epis-
copus''**^ rescribi*') iussit.
Die Gründe, weshalb Sybel die Fassung B für die ursprüngliche
ansah, hatte er in der Streitschrift: Der h. Rock zu Trier u. s. w.
(Düsseldorf 1845) I S. 26 dargelegt:
„Brower sagt, er gebe die Urkunde nach einer sehr alten Handschrift.
„Masenius bemerkt, die Handschrift sei von verdächtiger Glaubwürdigkeit, er
^hat aber keinen Grund für die Anklage, als dass in seinem Exemplar frei-
^lich die h. Helena und die h. Tunika erwähnt werden. Wenigstens gesteht
„er ehrlich genug dabei, dass sein Exemplar erst im 14. Jahrhundert ge-
^schrieben sei. Dass in Browers Exemplar mehr gestanden, dass er es aus
„irgend einem Gnmde weggelassen habe, um es vielleicht später irgendwo
„einzurücken, daran ist gar nicht zu denken. Gleich nachher erörtert er
„weitläufig die Reliquien und die Heimat der Helena, giebt zu, dass vor dem
„11. Jahrhundert niemand in Trier etwas von dem Rocke gewusst habe,
.„iindet, dass überhaupt niemand seine Ansprüche an Helena beweisen könne.
„Das Alles wäre unmöglich, wenn er in seiner Urkunde ein Zeugnis darüber
^gehabt hätte. . . . Ihm pflichtet, mit ausdrücklicher Verwerfung des Ma-
„senius, der Bearbeiter des Lebens der h. Helena in den Bollandisten bei^.
Diesen Gründen Sybels tritt Beissel in seiner Geschichte der
Trierer Kirchen, II. Teil: Geschichte des h. Rockes S. 36—37 mit
folgenden Ausführungen entgegen:
„Wo Brower die Urkunde einfügt, handelt es sich keineswegs um einen
„vollständigen Abdruck, sondern nur um den Nachweis, dass Agritius von
„Sylvester die Primatialwürde erhielt. Dazu genügte die erste Hälfte der
„Urkunde. Es ist demnach in keiner Weise sicher gestellt, dass Brower
„wirklich eine Fassung der Urkunde vor sich liegen hatte, welche nicht mehr
^enthielt, als er dort abdruckt, wo er, wie gesagt, nur ein Beweisstück für
„den allen Vorrang der Trierer Metropole zu geben beabsichtigt. Hat Brower
„aus guten Gründen nur die erste, nur die ihm dienliche Hälfte der Urkunde
.„abgedruckt (das konnte er thun, weil er ja eine Geschichte, nicht eine Ur-
„kundensammlung veröffentlichen wollte), so deckt sich sein Text im Wesent-
„liehen mit dem Verduner '*). Brower sagt nirgendwo, er habe eine kürzere
") a Judaea W, H. — *') ceteris H. — cum clauo caeterisque A, — **) do-
tavit W. — **) Huius — maculantur fdüt W, — ««) cleri Ä — *^ Pr
iu . . . TT, Exemplar E, EPR (Exemplar) H. — ««) archiepiscopus TT, H.
— **) conscribi C, inscribi If.
'°) So nennt Beissel die Fassung S.
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340 H. V. Sauerland
„Fassang gefunden, und man hat keinerlei Beweis daför beigebracht, dass^
„Brower alles abdrucken Hess, was ihm vom Silvesterdiplom vorlag. Da
„äussere Gründe fehlen, wollte v. Sybel u. s. w. u. s. w.*"").
Um den Wert oder Unwert dieser beiden einander entgegenge-
setzten Aasfahmngen richtig zu bearteUen, moss man an erster Stelle
berücksichtigen, dass in Browers Dmcktexte die Echtheit des Silvester-
privilegs voransgesetzt wird**). Unter dieser Yoraassetznng ist aber
letzteres eine der wichtigsten, ja wohl die wichtigste von allen Trierer
Urkunden. Darf nun aber von jedem auch nur einigermassen ver-
ständigen Geschichtsschreiber, der aberhanpt Urkunden seinem Werke
einverleibt, vorausgesetzt werden, dass er eine Urkunde von so ausser-
ordentlich grosser Wichtigkeit auch sicherlich ganz mitteile und nicht
einen sehr wichtigen Teil derselben auslasse, zumal da sowohl jenes
Ganze als auch dieser Teil nur den sehr geringen Raum weniger Zeilen
in Anspruch nehmen, so gilt diese Voraussetzung ganz besonders gerade
von Brower. Dieser erweist sich in seinem grossen Trierer Geschichts-
werke nicht nur überhaupt als ein sehr scharfsinniger und besonnener
Geschichtsschreiber, der eine so wichtige und dazu so kurze Urkunde
sicher nicht in verstümmelter, um einen sehr wichtigen Bestandteil ge-
kürzter Form gegeben haben würde, sondern er zeigt sich auch ins-
besondere inbezug anf die Urkunden als ein Mann, der auf diese mit
Recht sehr grossen Wert legt und jede wichtigere mit einer für jene
Zeit noch seltenen diplomatischen Genauigkeit und möglichsten Voll-
ständigkeit in seinem Werke aufführt. Unter solchen Umständen wtlrde
es schon an und für sich ganz unbegreiflich sein, wenn Brower das
für echt gehaltene Silvesterprivileg nicht vollständig mitgeteilt hätte.
Nun kommt aber noch hinzu, dass in jenem Abschnitt des Dmck-
textes Brower's (lib. IV), wo zu Anfang der Wortlaut des als acht
behaupteten Sylveslerprivilegs — sei es ganz oder teilweise — mitge-
teilt wird (S. 215), gleich darauf in grosser Ausführlichkeit über Helena
und ihre angebliche Geburt in Trier, über ihre Reliquiensendung dahin
'>) Im Folgenden polemisiert Beissel noch gegen Sybel, weil dieser ia
seiner Übersetzung der Urkunde das Wort „Trevir** nicht wörtlich durch
„Trierer^ sondern durch „Trier" übersetzt und hierauf die Behauptung ge-
gründet hat, dass, da in der längeren Fassung (S) am Schliisse die Stadt
Trier in dritter Person, dagegen anfangs in zweiter Person erwähnt werde.,
sich diese längere Fassung als ein späteres „Flickwerk^ charakterisiere.
'^ Vgl. die unmittelbar voraufgehenden Worte: Ceterum, diploma a
Silvestro traditum, etsi renim et temporum tot iniuriis casibusque periit, sen-
tentia tarnen, vetustissimis asservata schedis, mansit.
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Die arsprüngliche Fassung des Trierer Silvester-Privilegs. 341
und über den „Patriarchen" Agritius gehandelt wird. Euer wird nun
zwar gerühmt, dass fast alle Schriftsteller des Mittelalters einstimmig
melden, Helenas Reliqniensendung sei durch Agritius nach Trier ge-
langt'^); aber das einzige angebliche Zeugnis dafür aus der antiken
2^it, ein Satz in der Chronik des Eusebius, wird als eine spätere Rand-
glosse in einer Handschrift der Trierer Dombibliothek nachgewiesen, so
dass in Browers Drucktext jene behauptete Trierer Geburt der Helena
und ihre Reliquiensendung durch Agritius ganz ohne ältere Bezeugung
bleibt. Gerade hierfür aber wären die nach „confirmo" folgenden
Worte der längeren Fassung des Silvesterprivilegs, so lange dieses für
acht gehalten wurde, das älteste, gewichtigste und nächstliegende Zeugnis
gewesen. Und so wird es ganz widersinnig, dass Brower auf dieses
Zeugnis sich nicht bezogen, ja sogar das unmittelbar vorher wörtlich
mitgeteilte Privileg gerade um jene Schlussworte verstümmelt haben
sollte, die als das beste Zeugnis für seine folgenden Ausführungen über
Agritius, Helena und ihre Reliquienschätze hätten dienen können.
Die Wichtigkeit der Urkunde an sich, so lange diese als acht
ausgegeben wurde, ferner die vielfach erprobte Sorgfalt Browers in der
unverkürzten Wiedergabe wichtiger Urkunden und endlich die Beweis-
kraft der im Drucktext fehlenden Worte für seine nächstfolgenden Aus-
führungen nötigen zu der Annahme, dass Brower den ganzen Text der
Urkunde habe bringen wollen. Somit scheint Sybel ganz im Rechte
gewesen zu sein, wenn er den in Brower's Drucke gebotenen und, wie
dort versichert wird, aus sehr alten Handschriften geschöpften Wortlaut
(vetustissimis asservata schedis) auch als den ursprünglichen und voll-
ständigen angesehen hat.
Beissel ist dagegen im Unrecht, wenn er behauptet, da, wo
Brower die Urkunde einfüge, handele es sich nur um den Nachweis,
dass Agritius von Silvester die Primatialwürde erhielt. Nein! ebenda
handelt es sich ferner auch um den noch viel wichtigern und \\e\ aus-
führlicher besprochenen Nachweis, dass Helena eine Triererin sei, dass
sie die bedeutendsten Reliquien durch den Agritius nach Trier geschickt
habe, und für diesen Nachweis wäre in Browers Druckausgabe gerade
das angeblich ausgelassene Stück der Urkunde das beste Beweismittel
gewesen. Ja gerade jenen Nachweis über die von Silvester auf Agritius
^) Quorum sane reliquiarum monumentis dum perquirendis et in-
vestigändis pro virili me trade, conspirasse quidem mediae aetatis scriptores
fere onmes observo, eas Helenae Augustac munificentia per Agiitium haec
in loca . . . translatas. S. 216.
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342 H. V. Saucrland
gegebeoe „Primatialwürde" erklärt der Brower'sclie Drucktext an dieser
Stelle tibergehen und erst anderwärts liefern zu wollen^). Beissel ist
femer im Unrecht, wenn er behauptet, nur die erste Hälfte der Urkunde
sei Brower „dienlich" gewesen ; nein gerade die zweite nicht gedruckte
Hälfte wäre ihm zum Erweise des Nächstfolgenden sehr dienlich ge-
wesen. Und darum ist Beissel auch im Unrecht, wenn er behauptet,
Brower habe „aus guten Gründen nur die erste Hälfte der Urkunde**
mitgeteilt ; nein, im Drucktexte wäre aus viel besseren Gründen, nämlich
zum Erweise des Nächtfolgenden, auch die Mitteilung der zweiten Hälfte
am Platze gewesen. Beissel ist im Unrecht, wenn er behauptet, dass
Brower die zweite Hälfte auslassen „konnte, weil er ja eine Geschichte,
nicht eine Urkundensammlung veröffentlichen wollte**. Denn diese Be-
hauptung geht von der ganz irrigen Voraussetzung aus, dass nur der
Hersteller eines ürkundenbuches, nicht aber unter bestimmten Um-
ständen auch der Verfasser einer Geschichte ausreichend veranlasst, ja
mitunter moralisch genötigt sei, die ganze Urkunde abzudrucken; und
dass eben dieser Fall hier vorliege, ist oben erwiesen worden Beissel
dreht den Sachverhalt völlig um, indem er demjenigen, der behauptet,
dass Brower an jener Stelle „alles abdrucken Hess, was ihm^ — in den
„vetustissimis schedis" — ;,vom Silvesterdiplom vorlag", die Pflicht dies
zu beweisen zuschiebt. Im Gegenteil liegt die Beweispflicht hier dem-
jenigen ob, der da behauptet, Brower habe den in „vetustissimis schedis**
vorgefundenen Wortlaut am Schlüsse nur verstümmelt mitgeteilt.
Gerade zu kläglich aber ist dasjenige, was der Anonymus in den
bist, polit. Blättern (a. a. 0. S. 840) zu Gunsten der Ansicht Beissel 's
anführt:
„Auch darin dürfte Beissel gegen von Sybel das Hichtige für sich
haben, dass die als älteste ausgegebene Browersche Fassung der Urkunde
nur eine Verkürzung derselben ist. Das bezeugt schon Masen . . . einige
Jahrzehnte später in seinen Additamenta zu dessen Annales Trevirenses, in-
dem er am Rande als Quelle, aus welcher Brower, allerdings nicht wortge-
treu geschöpft habe, Pergamenthandschriften des Domes anführt, wahrschein-
lich die Urkundensammlung von Balduin. Nichts desto weniger giebt auch
'*) Verum hanc de primatu et sacratissimae metropolis honore discep-
tationem, alium in locum reservare placuit. A. a. 0. Brower hat dann auch
dieses Versprechen erfüllt in dem von ihm verfassten, später von Masen über-
arbeiteten und endlich von Stramberg herausgegebenen Werke Metropolis
Ecclesiae Trevericae, wo in Buch I Kapitel 5 8. 21 ff. unter der Aufschrift:
„Ecclesiae Trevericae primatus aliunde stabilitur^ jene „disceptatio de primatu
et sacratissimae metropolis honore" geliefert wird.
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Die ursprüngliche Fassung des Trierer Silvester-Privilegs :543
Maseh das Silvesterdiplom in derselben gekürzten Fassung wie Brower, wo
«r in der Metropolis den Trierer Primat daraus beweist. Er selbst, wie
Brower an der entsprechenden Stelle wollte blos den Trierer Primat beweisen,
und dazu genügte es, die erste Hälfte des Dokumentes anzuführen. Die zweite
Hälfte zu geben war zwecklos. Wenigstens fehlt bis jetzt völlig der Beweis
ftir die Annahme der Gegner, Brower habe den vollständigen ihm vorliegen-
den Text gegeben".
Die letzten drei Sätze sind eine blosse Wiederholung der Behaup-
tungen Beissels. In den voraufgehenden aber stützt sich Anonynaus auf
die Angaben Masen's, des Herstellers der zweiten Ausgabe des Brower-
schen Drucktextes. Dies ist schon von vorn herein ein bedenkliches
Verfahren. Denn wenn Anonymus sich einmal die Additamenta Masen's
näher ansieht, so wird er erkennen, dass letzterer in den Vorkenntnissen
der geschichtlichen Forschung sehr schwach ist. Zum Erweise diene
hier ein Additamentum Masen's (II, 553), worin er einen angeblich von
Brower übersehenen Irrtum berichtigen will. Dieser hatte (I, 567) eine
Trierer Inschrift gebracht, welche „Anno incarnationis dominicae 1088
indictione XI. X Kai. Oct. . . . regnante Heinrico imp. III imperii sui
qointo", also ganz richtig datiert ist. Masen bemerkt dagegen, dass
das Jahr 1088 doch „juxta calculum Browerianum Henrici IV. Imp.
XXII." sei und dass also wohl in dieser Inschrift „ignorantia lithogra-
phorum peccatum fuisse, qnibus Christi quam Henricorum anni numerique
notiores fuerint". Offenbar aber verhält die Sache sich genau umge-
kehrt. Es zeigt sich, dass der Hersteller der Inschrift sowie auch
Brower ganz richtig gerechnet haben, dass dagegen — solius historio-
graphi Jacobi Masenii ignorantia peccatum fuisse, cui Christi (juaui
Henricorum anni notiores fuerint. Unmittelbar darauf rügt Masen noch
einen ganz ähnlichen vermeintlichen Fehler Browers. Dieser bringt
(II, 20) eine Inschrift von Orval, welche „anno dom. incarn. 1124
indict. III. pridie Kai. Oct. . . . regnante imperatore Henrico huius
nominis quarto anno secundo reconciliationis inter regnnm et sacerdotium"
datiert ist; dazu bemerkt Masen, hier sei irriger Weise das Jahr 1124
, „mit dem zweiten Jahre des Kaisers Heinrich IV. verbunden**, da jenes
doch „iuxta eiusdem Browerianae historiae seriem annus Henrici V.
regnantis XIX.** sei! Auch gerade in jenem Additamentum (I, 577),
welches Anonynäus als Beweismittel für BeissePs Ansicht zu verwerten ver-
sucht, bekundet Masen die Unzuverlässigkeit seiner Angaben. Die jüngste
und am meisten interpolierte Fassung des Silvesterprivilegs, welche im Bal-
dnineum überliefert ist, wirft er unterschiedslos mit der viel älteren
und kürzeren Fassung S zusammen, ja er hält letztere für eine unge-
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a44 H. Y. SauerUnd
Qiuie Abschrift der ersteren. Nachdem er diese beiden FassoDged er-
wähnt hat, verspricht er den getreuen Wortlaut des Privil^s zn geh»,
liefert aber nun in Wirklichkeit weder den Wortlaut da* einen noch
den der anderen Fassung, sondern einen solchen, welcher mit der in
den Gesta Treverorum enthaltenen Fassung identisch ist, die an
Alter und Umfang zwischen jenen beiden steht. So tritt zu Tage, dass
er alle drei Fassungen confnndiert und von ihrer Verschiedenheit, sowie
von dem durch Tnterpokttion^ bewirkten Entstehen der mittleren aus
der kürzeren, sowie der längsten ans der mittleren gar keine Ahnung
hat. Einem so unzuverlässigen Schriftsteller gegenober wäre entschie-
denes Misstrauen angemessen gewesen, wenn er, wie Anonymus dessen
Text versteht, versichert, dass Brower den Wortlaut, aus „Pergament-
schriften des Domes, wahrscheinlich aus der Urkundensammlung von
Balduin geschöpft habe". Eine einfache Yergleichung des von Masen
gebrachten „ wortgetreuen*' Textes mit dem des Baldnineums '^) würde
die Unrichtigkeit dieser Versicherung sofort ergeben haben.
Somit bleiben die Gründe, welche Sjbel für die Annahme, dass
B die ursprüngliche Fassung des Silvesterprivilegs sei, gebracht hat,
gegenüber den Gegengründen Beissels und des Anonymus bestehen, und
es scheint demnach sicher, dass nach Sybel B und nicht S, wie jene
beiden zu beweisen versucht haben, die ursprüngliche Fassung der
Urkunde sei. Und doch ist wegen eines sehr sonderbaren Umstandes^
den darzul^cn mir nun noch erübrigt, gerade das Umgekehrte der Fall.
Sybel's Ansicht ist trotz der dafür geltend gemachten guten Gründe
iiTig; BeissePs und des Anonymus Gegenansicht ist trotz der Hin-
fälligkeit ihrer Gründe die richtige. Nicht B, sondern S ist die
ursprüngliche Form des Silvesterprivilegs!
Auf beiden Seiten ist man nömlich bis heute von der ganz natür-
lichen Voraussetzung ausgegangen, dass der unter Brower's Na-
men gedruckte Text an jener Stelle (1 215) auch wirklich
von Brower herrühre, und dass also insbesondere die in Brower^s
Drucke dem Wortlaut des Silvesterprivilegs voraufgehenden und nach-
folgenden Sätze ein einheitliches, auf denselben Grundgedanken und von
demselben Schriftsteller aufgebautes Ganze seien. Diese Voraussetzung
aber erweist sich thatsächlich als ganz irrig. Denn in der Druck aus-
gäbe des Brower'schen Werkes rührt der Text des Silvester-Privi-
legs samt den zunächst voraufgehenden nnd nächstfolgenden Stücken
«*) Vgl. Masen-Brower AntiJiu. et Ann. Trev. I 577 mit Beyer Mittelrh.
Urk.- Buch I, 1.
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Die ursprüngliche Fassung des Trierer Silvester-Privilegs. 345
gar nicht von Brower her, sondern ist vielmehr ein Einschub von
anderer Hand, welche an dieser Stelle den ursprünglichen Text Browers
ausgeschaltet und dafür einen neuen eingefügt hat. Der Sachverhalt
im einzelnen ist nämlich folgender:
P. Christoph Brower S. J. hat sein grosses Trierer Geschichts-
werk, an welchem er gegen 30 Jahre lang gearbeitet haben soll, zwar
selber vollendet, aber den Druck desselben nicht mehr erlebt. Erst
neun Jahre nach seinem Tode (1617) erschien es zu Köln unter dem
Titel: Annalium Trevericorum cum proparasceue et metropoli libri
XXIV. ed. per Bernardum Gualterum ^% aber mit zahlreichen und
grossen Veränderungen namentlich in den ersten Büchern. Jedoch auch
diese erste Druckausgabe missfiel an massgebender Stelle. Hierüber
meldet Wyttenbach in zwei Vorblatt-Notizen des Exemplars der Trierer
Stadtbibliothek: „Die Exemplare dieser ersten Auflage sind äusserst
selten. Die öifentliche Gewalt hatte sich ihrer zu bemächtigen gesucht.
Die wenigen, die gerettet wurden, wurden gewöhnlich des Titelblattes
und der Vorrede und einiger Blätter am Ende beraubt, um sie unkennt-
lich zu machen. Das sieht man an dem Exemplare der öffentlichen
Bibliothek dahier, wie auch an dem meinigen** . . .^"*) „Praesens editia
Coloniae facta est per Bernardum Gualterum 1626. Prima est, maxi-
maetiue raritatis, nam supremae auctoritatis iussu fuit suppressa**. Nach
einer nochmaligen „Verbesserung" erschien dann in Lüttich im J. 1670
die von Jacob Masen besorgte neue Ausgabe, nach welcher gewöhnlich
citiert wird. Beide haben an der das Silvesterprivileg enthaltenden
Stelle keine Textverschiedenheiten, so dass bezüglich solcher nur einer-
seits der Drucktext überhaupt und andererseits der Wortlaut des ur-
sprünglichen Browerschen Werkes in Betracht kommt. Von letzterem
ist uns nun glücklicher Weise gerade der erste Teil, welcher fast bis zum
Tode des Erzbischofs Eberhard (1066) reicht, erhalten. Es ist dies
Handschrift 1362» der Trierer SUdtbibliothek mit der Aufschrift:
Trevericarum Antiquitatum. Sowohl die Schrift als auch der Inhalt
weist dieselbe als das ursprüngliche Werk Browers nach. Ausserdem
befindet sich darin auf Blatt 2' eine aus dem Anfang dieses Jahrh.
stammende Einzeichnung : „Codex autographus Broweri^^), olim in
^) In Wirklichkeit ist nur der erste 18 Bücher umfassende Band, der
bis zum Tode des Kurfürsten Otto von Ziegenhain (1429) reicht, publiziert.
^^) Ebenso auch an den beiden Expemplaren, die sich in der Gräfl.
Y. Kesselstatt'schen Bibliothek zu Trier befinden.
^^) Dass die Handschrift von Brower selbst angefertigt sei, scheint mir
sehr zweifelhaft ; ich möchte sie fi\r eine in seinem Auftrag angefertigte Rein-
schrift halten.
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346 H. Y. Sauerland
Archivio Eccles. Catli. nostrae asser vatus" und darunter von Wytten-
bachs Hand die Notiz: „Recepi hunc codicem ... ex dono D. Leib-
fried Advocati Trevir. die 28 •. Febr. 1819. Wyttenbach'^.
Der das Silvesterprivileg umgebende Teil dieses handscbnftlicben
Textes, welcher hier zu Anfang des fünften Buches erscheint, während
der entsprechende Teil des Drucktextes im Eingange des vierten Buc*hes
sich befindet, lautet nun folgendermassen :
„Fuit**) is Agritius Antiochenus Patriarcha, ut in omnibus ecclesiae
nostrae mandatum literis inuenio monumentis. Hunc ergo, cum aliis prae-
stantibus ab Imperatrice muneribus exQuItum, tum haud exigua portione gazae
nuper e Palestinae sacris locis erutae donatum venisse ferunt in Treviros;
tulisse autem a 6. Siluestro priuilegium id, cuius formam quandam Gestorum
liber in haec verba contulit:
Sicut in gentilitate propria virtute sortire et nunc Treuir primas super
Gallos et Germanos prioratum obtine ^*), quem tibi prae omnibus hanim gen-
tium Episcopis in primitiuis Christianae religionis doctoribus, scilicet Euchario,
Valerio et Materno, tum etiam per Baculum caput Ecclesiae Petrus signauit
habendum, suam quodammodo minuens dignitatem, ut tc participem faceret.
-Quem ego Siluester eius seruus successioneque indignus per Patriarcham
' Antiochenum Agricium ronouans confirmo ad honorem patriae Dominae Helenae
Augustae, Metropolis eiusdem indigenae, quam ipsa felix per Apoßtolum Ma-
thiam e Judaea translatum cum Tuuica et clauo Domini et dente S. Petri
«t Sandaliis S. Andreae ApostoH et capite S. Cornelii cetorisque relii^uüs
magnifice dotauit specialiterque prouexit.
Ceterum acriore quadam in huius inquirendam narrationis veritateiu
^ura mihi incumbenti persaepe venit in mentem vereri, ne, si tanquam admi-
niculis quibusdam huius historiae fides aliunde fulciretur, panim aut imperi-
torum sustentaretur imbecillitas aut obtrectatorum obuiam iretur calumniis;
praesertim cum haec ab scriptoribus quibusdam, bona eorum venia dixcrim,
(Daneben steht am Rande von derselben Hand: Sceckmann in praefatione
ad Agritii vitam*®) et homiliae quaedam variarum Bibliothecarum.) et licentius
tractata et inconsultius exaggcrata reperiam. Quibus cum praeter ipsius
Agritii aduentum et reliquias in Belgicam transport-atas tum Treuiros ipsos
Idolorum cultu demum maiore studio abstentos cum nihil liquere per vetustatis
obliuionem vel ipsorum confessione pateat, haec omnia tamen et inflatius
•commemorare cum damno et periculo summae rei non destiterunt. Quod
itaque ad caput historiae facit, excutienti primariae aedis vetera monumenta
**) Vgl. dazu den Drucktext I. S. 215: Silvester nil negandum ratus . . .
bis S. 216: ... bis litterarum tanquam vestigiis impressam.
'®) Ist irrig am Schluss der Seite hinzugefügt.
*^) Es scheint die von Scheckmanu verfasste Vita s. Agritii gemeint
zu sein, die sich in einem Sammelbande unter den Handschriften der Trierer
Stadtbibliothek findet und eine mit Benutzung der illtereu Vita s. Agritii in
«ehr schwulstigem Stil hergestellte Arbeit ist.
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Die ursprüngliche Fassung des Trierer Silvester- Privilegs. 347
liher temporum in membrana eleganti exaratus venit in manus. Huius series
ex Eusebio, Hieronimo, Prospero et Reginone pertexta et ad annura Christi
l)erdacta DCCCCLXXXIII, ubi Helenae mentionem post Constantii obitum
intulit, denique subnectit : Haec Helena Trevereos . . . Nun folgt das Cäat
wie auf S, 210 der Druckausgabe.
Aus diesem bandschriftlichen Texte geht zunächst hervor, dass
Brower die Herkunft Helena's aus Trier, die von ihr bei Papst Silvester
erwirkte Sendung des Agritius nach Trier und ihre durch letzteren an
ihre angebliche Vaterstadt überbrachtes Reliquiengeschenk als geschicht-
liche Thatsachen auffasst. Insofern herrscht Übereinstimmung zwischen
Browers achtem Texte und dem unter seinem Namen veröffentlichten
Drucktexte. Brower führt dann als Zeugnis für diese angeblichen
Thatsachen zunächst das Silvesterprivileg an, citiert dessen vollstän-
digen Wortlaut und zwar nach eigenem Eingeständnis aus den Gesta
(Trevirorum), setzt aber in dessen Wortlaut und Beweiski'aft durchaus
kein festes Vertrauen. Dies ergiebt sich schon aus den voraufgehenden
Ausdrücken (venisse ferunt, formam quandam, in haec verba contulit)^
noch mehr aber aus den zunächst folgenden Worten, worin er sich in
scharfen Ausdrücken gegen Scheckmann und andere Neuere wendet«
welche der Urkunde zu hohen Wert beigemessen und dadurch nur den
Gegnern günstige Gelegenheit zu Angriffen geboten hätten. Er erklärt
deshalb anderweitiges Beweismaterial für die angeblichen Thatsachen für
wünschenswert oder gar für notwendig; und er rühmt sich, solches in
einer uralten Handschrift der Dombibliothek gefunden zu haben. Nach
der von ihm gelieferten Beschreibung scheint sie ein Exemplar der
Chronik Regino's mit einer bis zum Jahre 983 reichenden Fortsetzung
gewesen zu sein. Die darin vorgefundene Notiz über Helena, Agritius und
über die von jener durch diesen nach Trier gesandten Reliquien erschien.
Brower von viel grösserer Beweiskraft als das in seinen Augen sehr
zweifelhafte Silvesterprivileg, und er verzichtete demgemäss darauf, im
folgenden über Helena, Agritius und die Reliquiensendung handelnden
Texte sich noch auf diese Urkunde zu berufen. Sein hier eingeschla-
genes Verfahren wäre völlig richtig, wenn jene Notiz ein ursprüng-
licher Bestandteil der mit dem Jahr 983 abschliessenden Chronik ge-
wesen wäre. Nun aber fand man, als man Browers Text für den
Druck bearbeitete, dass eben jene Notiz ein Zusatz von zweiter Hand
sei. Durch diesen Umstand wurde die Beweiskraft der Notiz selbst-
verständlich für die ersten 10 Jahrhunderte vernichtet, und die rüh-
menden Worte, womit Brower auf den Wert der Notiz hingewiesen
hatte, mnssten getilgt werden. Das einfachste und einzig richtige für
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348 H. V. Sauerland
die Bearbeitung seioes handschriftlichen Textes wäre nun gewesen, offen
anzuerkennen, dass ein Beweis für jene Behauptungen über Helena,
Agritius und deren Trierer Reliquienschätze aus dem ersten Jahrtausend
gar nicht zu erbringen sei, und dass man sich desfalls lediglich auf
spätere Zeugnisse beschränken müsse. Indes zu einem so radikalen
Verzicht konnten oder wollten die Herausgeber sich nicht entschliessen.
Zunächst tilgten sie den von Brower geäusserten Zweifel über die Ächt-
heit des Silvesterdiploms und strichen auch jenen Satz Browers, woiin
die überschwänglichen Darstellungen von Scheckmann und Genossen
über die angebliche Thätigkeit der Helena und des Agritius für Trier
getadelt wurden. Den Wortlaut des Zusatzes zur Chronik Regino's
brachten sie mit der Bemerkung, dass er zwar von einem zweiten ge-
schrieben und ausserhalb des Textes sei, aber „von alter und getreuer
Hand" stamme und „wenn auch aus späterer 2^t" stammend, doch den
ijlauben der Vorfahren erweise und festhalte. Vom Silvesterprivileg
aber gaben sie nur die zwei ersten Drittel des Wortlauts, welche über
den angeblich von Petrus der Trierer Kirche verliehenen Primat han-
delten mit der Versicherung, dass zwar die von Silvester (an Agritius)
übergebene Urkunde verloren sei, dass aber deren Ausspruch in alten
Schriftstücken erhalten sei^'). Warum sie nun aber das letzte Drittel
der Urkunde, welches über Helena's Herkunft aus Trier, über Agritius
und über die von Helena durch Agritius nach Trier gesandten Reliquien
handelt, fortgelassen haben, darüber lassen sich nur Vermutungen auf-
stellen, die einzeln aufzuführen sich nicht lohnt.
Indes sollte doch nicht vielleicht der Bearbeiter des Brower-
schen Werkes ^sehr alte Handschriften*' gefunden haben, die überem-
stimmend nur die ersten beiden Drittel der Urkunde (S) enthielten?
Nach meinem Dafürhalten sicher nicht ! Wären wirklich gegen Anfang
des 17. Jahrhunderts solche „sehr alte Handschriften" mit der kürzeren
Fassung der Urkunde vorhanden gewesen, so würde doch sicher Brower
während der langen Jahre seiner Forschungen in der Trierer Geschichte
wenigstens eine von diesen „sehr alten Handschriften" aufgefunden haben
und dann die Urkunde nach dieser Fassung, nicht aber nach den fabel-
reichen Oesta Trevirorum seinem Werke einverleibt haben. Einen An-
haltspunkt, um zu bestimmen, was die Bearbeiter der ersten Druckaus-
gabe unter den „vetustissimis schedis" verstanden haben, geben uns
diese selbst durch ihre Bezeichnung der Chronik, in welcher sich der
*^) Sententia tarnen vetustissimis asservata schedis mansit.
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Die ursprüngliche Fassung des Trierer Silvester-Privilegs. 349
oben erwähnte Zusatz über Helena und Agritius befunden hat. Brower
beschreibt sie ziemlich genau als ^liber tempornm" und als „series ex
Eusebio, Hieronymo, Prospero et**) Reginone pertexta et ad annum
Christi perducta DCCCCLXXXIII" ; dagegen wird sie von den Bear-
beitern des Brower 'sehen Drucktextes einfach „Manuscriptum Eusebiani
Chronici^ genannt. Bei einer so nachlässigen und ungenauen Bezeich-
nungsweise wird es dann auch ganz erklärlich, wenn unmittelbar vorher
die verschiedenen Handschriften der Gesta Treverorum, denen Brower den
Text der Urkunde entlehnt hat, von den Bearbeitern als „vetustissimae
schedae" bezeichnet werden. Für meine Ansicht zeugt dann auch endlich
der noch erhaltene ältere handschriftliche Text der Metropolis, deren
erster Entwurf und ältester Text ja gleichfalls von Brower herrührt.
Nicht das Concept Browers, sondern vielmehr eine nach seinem Tode von
J. Masens Hand hergestellte Umarbeitung liegt uns vor im Codex Nr. 1364a
(Standnr. 114) der Trierer Stadtbibliothek. Der Text weist viele ge-
tilgte Stellen auf, deren Ersatz nur selten am Rande, sondern meistens
unmittelbar nach der getilgten Stelle und innerhalb des Schriftrahmens
gebracht ist, sodass sich die Arbeit als Entwurf kennzeichnet. Von
dieser Handschrift abzuleiten sind zwei jüngere Abschriften : die eine in
der Trierer Dombibliothek, Cod. 256 A u. B, über dessen Provenienz
eine auf die Innenseite des vorderen Einbanddeckels des zweiten Bandes
eingetragene Notiz genügende Auskunft giebt*^; die andere in der
Trierer Stadtbibliothek, Cod. 1364b (Standnr. 72). Nach dieser letzteren
Abschrift scheint Chr. v. Stramberg seine Druckausgabe besorgt zu
haben. Denn hier wie dort fehlen die in den beiden erstgenannten
Handschriften enthaltenen Randanmerkungen, welche über die von dem
Verfasser benutzten Quellen Aufschluss geben. Eben wegen dieser An-
merkungen aber sind die beiden erstgenannten Handschriften von be-
sonderem Werte wie überhaupt so auch insbesondere in Beziehung auf
den Wortlaut des Silvesterprivilegs. Denn dieses findet sich ja auch
im Drucktexte der Metropolis und zwar auch hier in derselben kürzeren
Fassung (B) wie im Drucktexte der Antiquitates et Annales Trevirenses.
Suchen wir nun in der älteren Handschrift die entsprechende Stelle, so
finden auf Seite 16/16 wir folgenden Text:
") Beda ist vergessen.
^) Liber Imperialis et exempti monasterii sti. Maximini prope Treviros
sub Alexandro Abbate descriptus ex antographo Auctoris eidem a. R. Patre
Bondet Rectore Collegii Trevircnsis communicato.
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350 H. V. Sauerland
n . . . quam in rem, coustanti maiorum traditione , tabularum, quas oHm
prompsimus "), sententia, si non tenor ipse, veteribus manu scriptis est
commendata :
Sicut in gentilitate propria virtute, sortire et nunc Trevir — lüerauf
ist von derselbm Hand über dem michstfoigenden Worte *super' nachgetrctgen :
primas et' — super Gallos et Germanos Primatum — am letzten Worte ist
von derselben Hand 'matum' getilgt und dafür 'oratum' übergeschrieben —
quem per Agritium patriarcham — zum letzten Worte ist am Bernde
con derselben Haml zugesetzt 'Antiochenum* — renovans confirmo".
Neben diesem Texte sind am Rande von derselben Hand zwei
Quellenvermerke verzeichnet :
-M. S. gest. et MeduUa gestor. lib. 2 cap. 4/ und
„NB alia lectio habet: Sortire et nunc Trevir Primas super Gallos et
Germanos prioratum".
Der zweite Vermerk ist wieder mit derselben Dinte durchstrichen ; offen-
bar ist er durch die im Texte der Urkunde eingetragenen Konjekturen
überfltlssig geworden. Der erste Vermerk aber, welcher auch in der Hand-
schrift der Dombibliothek (256 A. Seite 40) wiederkehrt, ist geblieben und
giebt uns die Thatsache, dass der Schreiber für den Text des Privilegs nur
die Gesta Trevirorum und (Enen-Scheckmann's) Medulla Gestorum als
Quelle anführt. Da das letztgenannte Werk erst im zweiten Jahrzehnt
des 16. Jahrhunderts entstanden und dann auch sogleich im Druck er-
schienen ist, so wird es doch unmöglich zu den „veteribus manu scrip-
tis" gehören, auf die sich der Schreiber in den dem Privileg vorausge-
sandten Worten beruft. Also reduzieren sich die „vetera manu scripta*
des Überarbeiters der Metropolis gerade wie die „vetustissimae schedae*'
des Überarbeiters der Antiquitates Treviricae in Bezug auf den Wort-
laut des Silvesterprivilegs auf die Gesta Trevirorum. Obschon nun, wie
gesagt, auch in der älteren Handschrift der Metropolis nicht mehr der
ursprüngliche Text Browers, sondern schon eine Überarbeitung vorliegt^
so ist doch nicht der geringste Grund vorhanden, daran zu zweifeln^
dass Brower selbst in dem ursprünglichen Texte der Metropolis nur
die ersten zwei Drittel des Silvesterdiploms, welche über den Primat
^er Trierer Kirche handeln, mitgeteilt hat, da er in dem betreffenden
Kapitel laut Aufschrift und Inhalt nur diesen Primat behandelte und
sich somit gar nicht veranlasst sah, das letzte Drittel, welches über die
von Helena durch Agritius bewerkstelligte Reliquiensendung meldete,
mitzuteilen, zumal da er schon vorher in den Antiquitates et Annales
den ganzen Wortlaut einschliesslich des letzten Drittels mitgeteilt hatte.
^) Also ist der Text dieser Handschrift geschrieben nach dem Er-
scheinen der ersten Druckausgabe der Antiquitates et Annales (1626), folglich
nach Browers Tode (1617) und nicht von Brower.
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Die ursprungliche Fassung des Trierer Silvester-Privilegs. 351
Vielleicht mag dann gerade diese in Browers handschriftlicher
Metropolis vorgefundene Kürzung des Urkundentextes für den ersten
Bearbeiter des Browerschen Textes der Antiquitates die Veranlassung
gewesen sein, nun auch hier, freilich in seltsam zweckwidriger und
kurzsichtiger Weise, den Urknndentext gleichmässig zu kürzen.
Somit ist nunmehr Sybels Ansicht, dass der in Browers Druck-
ausgaben enthaltene kürzere Text des Silvesterprivilegs auch der älteste
und ursprüngliche sei, endgültig beseitigt. Es fragt sich nur noch, ob
auch nun wirklich diejenige Fassung, welche ich mit S bezeichnet habe,
als die älteste zu gelten habe. Was ihre handschriftliche Überlieferung
betriflft, so ist das Alter der von Sirmond gefundenen Handschrift, seit
diese verloren gegangen ist, nicht mehr zn bestimmen. Der Text auf
dem ersten Blatte des Codex Egberti wird von Kraus ins 11., von
mir ins 12. Jh. eingeschätzt. Falls erstere Ansicht sicher die richtige
wäre, so würde sich hierdurch ergeben, dass diese Fassung (S) älter
wäre als die der'Gesta Treverorum. Aber eine solche Sicherheit be-
steht nicht. "Besser eignet sich zur Zeitbestimmung der Text in der
Chronik Ilugo's von Flavigny. Weil derjenige Teil der Chronik, welcher
die Fassung S des Silvesterprivilegs enthält, zwischen den Jahren 1090
bis 1096 geschrieben ist^^), so ist oben diese Fassung von älterer Be-
glaubigung als die der Gresta Treverorum, deren Entstehung um einige
Jahre jünger ist als Hugo's Chronik. Ungefähr ein gleiches Alter ist
nachweislich für diejenige Fassung, welche uns in der Vita s. Agritii
überliefert ist, deren Abfassungszeit sicherlich die zweite Hälfte des
11. Jahrhunderts ist. Indes sind die Abweichungen beider so gering ^^),
dass ich, nachdem B als älteste und kürzeste Fassung beseitigt ist,
mich ausser Stande sehe, den Wortlaut der Urkunde in der Vita s.
Agritii noch als eine besondere Fassung anzusehen. Aus diesem Grunde
habe ich dann auch schon oben (S. 7) deren drei Abweichungen zu S
eingetragen. Letzteres ist die ursprüngliche Fassung des Silvesterprivi-
legs, das im zweit- und drittletzten Jahrzehnt des 11. Jahrhunderts
nachweislich schon vorhanden ist. Ob es zu eben dieser Zeit oder in
einer früheren entstanden ist, dies behalte ich einer späteren Unter-
suchung vor. Was ich aber schon jetzt mitteilen will, ist, dass die
bereits oben erwähnten Ansichten Beissels und des Anonymus in den
hist.-pol. Blättern über die Entstehungszeit der Urkunde sicher falsch sind.
*^) Vgl.lSön. Germ. VIII. 281.
♦«) Vgl. meine Trierer Gesch.-Quellen des 11. Jahrii. 8. 90.
Weatd. Zeitaohr. f. Geioh. ii. Kunst. VIII, IV. 27
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352 t*. Bahlmaiiil
Neue Beiträge zur Geschichte der Kirchen-Visitation
im Bistum Münster. 1571—1573.
Von Custos Dr. P. BahlBann in Münster i. W.
Die von dem Bischof Johann von Hoya^) veranlasste allgemeioe
Kirchenvisitation erregt ein besonderes Interesse hauptsächlich deshalb,
weil deren Protokolle neben den um dieselbe Zeit erstatteten BerichteD
der Archidiakonen über die kirchlichen Zustände der Diöcese Münster
im 16. Jahrhundert den ersten näheren Aufschluss geben. Freilich
lassen sich g^en die Glaubwürdigkeit derartiger Schriftstücke mancherlei
Einwände erheben*), doch sind die unseren wenigstens frei von jeder
absichtlichen Verdunkelung der thatsächlichen Verhältnisse, da sie dem
glaubenstreuen und energischen Bischof das Material liefern sollten für
die erforderlichen Massnahmen gegen die offenkundigen Übelstände, die
sich infolge der Sorglosigkeit oder . Schwäche seiner Vorgänger einge-
schlichen und festgesetzt hatten. Die aber wegen der häufigen Wider-
s[)rüche beider Quellen von Keller ^) geäusserten Bedenken hat bereits
HOsing^) zurücligewiesen.
A. Die Archidiakonats-Berichte.
Zu dem Wirkungskreise der Archidiakonen gehörte nach Soke-
land'') die Aufsicht sowohl über den persönlichen Wandel der €reist-
lichkeit und den Gottesdienst, als auch über das Vermögen der Pfarren
und Kirchen, die Küstereien, Schulen und Armenhäuser, die Investitur
der Geistlichen, Küster und Schullehrer, die Prüfung der Ausgaben
und Einnahmen, die Genehmigung der Verkäufe aus dem Pfarrei- und
Kirchenvermögen und aller dasselbe betreffenden Verträge. Überdies
hielten die Archidiakonen zweimal im Jahre, im Frühlinge und Herbst,
an Ort und Stelle die Kirchenvisitation und das Sendgericht. Wörtlich
Zum Bischof von Münster erwählt am 26. Oktober 1566, seit 1553
Bischof von Osnahri'ick und von 1568 auch Bischof von Paderborn ; gcst am
5. April 1574.
^) Vgl. H. Hering, Mitteilungen aus dem Protokoll der Kirchen-Visitation
im Sachs. Karkreise v. J. 1555. Osterprogr. der Universität Halle. Witten-
berg 1889, p. 3 f.
^) Die Gegenreformation in Westfalen und am Niederrhein. Teil I
(Publikationen aus den K. Prcuss. Staatsarchiven. Bd. IX) Leipzig 1881, p. 288.
*) Der Kampf um die kathol. Religion im Bistum Münster. 1535—1585.
Münster 1883, pag. IX. — Vcrgl. : Histor.-polit. Blätter für d. kathol. Deutsch-
land Bd. 92. München 1883, p. 298-303.
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Keue Beitr. z. Gesch. d Kirchen- Visitation im Öistum Münster. 35S
bestimmte das gleich nach des Bischofs Johann Regierungsantritte ent-
worfene und 1569 erschienene Capitular-Statut des Domkapitels : „Item
es sollen und willen die Herrn so de Archidiakonaten haben dieselbige
entwidder durch sich selbst oder eine kundige Erbare Geistliche Persone
und nicht durch Leien oder geringschätzige leichtfertige Dienere oder
Schreibers so nit geistlichen Stands und Erbarlichen ansehnlichen Wesens
sein dess Jars zweimal lassen visitiren oder bereiden, mit getrauwen
Fleiss Ufsicht daruif tragen, dass die Pastoren Vicecuraten und Kirchen-
diener eine^ unlesterlichen erbaren Wandels und Lebens sein von un-
verfelschder Christlicher Catholischer uifrichtiger Lehr, die Sacramenten
nach Ordnung der alter Catholischer Kirchen aussteilen und sunst geine
Neuwerung inzufueren gestatten nnd die Excessen raher zur Straif der
Ergernisse und Besserung des Negsten dan umb eigen Profeit oder Geldes
willen corrigirt vorgenommen und exercirt werden" **). Noch in dem-
selben Jahre (1569) genügte denn auch der neu ernannte Domdechant
Gottfried von Raesfeld seiner Visitationspfiicht in Bocholt '') und dass
ihm andere Archidiakonen bald folgten, zeigen deren Berichte aus dem
Jahre 1571-, die wir nach einem auf der KOnigl. Bibliothek in Berlin
befihdlichen Auszuge*) hier wiedergeben.
1) Archidiakonat des Canonicus Job. Nagel.
Canonici, Vicarii et verbi divini praecones Ecciesiao Beclicmensis hoc
quidem nomine commendandi, quod avitae et CathoHcAe religionis amatorcs
ritiis et laudabiles Ecclesiae consuetudines inconcusse servantes, singtdis
diehus matutinas preces, Missae sacrificium aliasquo horarias preccs sedulo
cantent. — (juoad Senatum et communes cives nuila haereseos suspicis habetur,
nam quantum ego quidem animadvertcro potui, ne latum unguem ab universal!
tidc descivenmt: eo tarnen salvo, st fortassis morbida quaedam ovis intcr
*) Zeitschrift für vaterl. Geschichte und Altertumskunde. Band XVI.
Münster, 1855, pag. 65.
«) Keller, 1. c. Aktenst. Nr. 27.5, pag. 372. — Das Statut ist unter-
zeichnet von Bernh. Morrien Praep. m. p., Godefr. a Raesfeld Scholasticus,
Bitterus a Raesfeld Thesaurarius, Ravenus ab Iloerde Vicedominus, Casparus
de Wrede, Diderich von der Reck, Johan Nagel, Balth. von Büren, Melchior
von Buren, Heidenrick von 0er, Arndt von Buren Cantor, Goesen von Ras-
fei dt, Heidcnrich Droste, Wilhelm Schenkink, Rodolph von Munster, Bern-
hard Smisingh, Bernhardus a Beuren, Herman von Depenbroick, Jasper
Schenkink, Adolph von Rasfeld, Conrad Ketteier, Herbordt de Baer, Diederich
von Rasfeldt, Mensse von Heiden, Heinrich von Reede, Wennemar von Asche-
broick. — Über die Pflichten der Archidiakonen vgl. auch Form, visit. V, 16--23.
') Keller, 1. c, pag. 285.
») MS. Boruss. Fol. 845. — Bei Keller (1. c. Aktenst. Nr. 287—291)
nur zum Teil abcrcdriickt.
27*
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B54 P. Bahlmann
cives aliunde aliquam pravae doctrinae labern hausisset, iinde nee mihi nef
Captuio Senatnivc constaret, esset, illa per hanc meam attestationem non
excusabitur. Joannes Trippelfoeth
Promoter officii licet indignus mpp.
2) Archidiakonat des Thesaurars B. von Raesfeld.
a) Über die ,,der Dom Custerien annectirte Archidiaconatpfarr*
kirchen" s. Keller 1. c. Aktenst. Nr. 287. — Das von demselben benutxtc
Original (?) im Kgl. Staats-Archiv zu Münster (M. L.-A. 552, 9) fahrt — mit
der uns vorliegenden Abschrift völlig übereinstimmend — fort:
b) Verzeichnusse der angehoerenden pfarrkirchen und Sendtstoelen
dem Archidiaconatt der Thesaurarien zu ewigen tagen einverleibt, dwelcbe
durch verhinderunghe der weltlichen obrichkeit, dair under sie verscheident-
lich gelegen, deren Sendtge richten eine zeitlacck hero nitt gehorsamet nnd
nhun also zu mehren theill durch die nuwe angestelte Bischovcn in den
nidderlanden dem Stifft Munster abgezogen werden.
Grolle und Leichtenvorde im ampt Bredevorde : in diesen Kirchen
hab ich etzliche mael Personen investiret und noch, lestlich im jetzigen
71. Jair, also dass maeu dieser in possession ist, aussgenommen itzighe nuwc-
lieber zeit perturbation : Alten im ampt Bredenvorde, Dinxberloe im ampi
Bredevorde, Hengell.uppen Goy, Seilern uppen Goy, Verseveldt in des Herrn
Berghlandt, Syvoldt in des Herrn Berghelandt.
Neede in der Herschaft von Borckeloe: dweil diss kerspell (insampt
noch zwei anderen der Yicedominatljurisdiction zugehörig, als nemplich
Geistern und Eyberghen) ohne mittel im Stiftt Münster gelegen, haben far
7 oder 8 Jairen ungefehrlich der Yicedominus, dhomaels Herr Rave von
Hoerde, und ich bie der graiffinnen von Brunckhorst zweymael schriftlichen
angehalten, umb zu gestatten die Sendtgerichte widdemmb zu intimeren nnd
in ihre übunghe zu brengen, ist unss aber ider zeit abslegige antwort Woll
ich nochmals zu Nede versuchen, das Sendtgerichte verkündigen zu laissen
umb zu besuchen, wess dairgegen furgewant wirdt, der Zuversicht, ess werden
die Herrn Commissarien und Visitatoren auch daselbst der Visitation sich
undcrnemmen und also im schwunck widdemmb helffen bringen..
Nhun hab ich nitt unterlaissen, als sich der Pastoir zu Grolle angeben,
da8S der Bischoit' von Deventer edictnm hab aussgehen laissen, ihnen allein
für einen ordinarium zu erkennen, dass ich sulchs auff Rhom geschrieben
und Kaeths begert, darauif mir die antwort worden, quoad edictum Episcopi
Daventriensis, qui qucrit vestras parochias deglutire, audivi a multum Reve-
rendissimo Patre N. N. •), cum hac de causa Suam Reverendam Patemitatem
convenissem, hoc idem contigisse Episcopo Leodiensi cum quibusdam nons
p]pi8copis et propterea ipsum impetrasse a Summo Pontifice rescriptum, qno
mandabatur quibusdam in dignitate Ecclesiastica illis in partibus constitiiiis,
ut constito [sie!] de antiqua possessione jurisdirtionis Episcopi Leodicnsis
illum manutenerent et Episcopos ptos coercerent etc.
9) Domino G»apare Groppero dnrchgedtrichen, dafür N. N. gesetzt
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Xeue Beitr. z. Gesell, d. Kirchen- Visitation im Bistum Münster. 355
Hanc eandeni viam iugredi pro dominatiene Yestra lleverenda cogitavi
etc., sed haec a Keverendissimo Episcopo ei Principe liuius dioecesis provenire
satius est
3) Archidiakonat des Yicedominus Bernh. von Büren.
Ascheberg, Südtkerken, Borck, Ilalteren cum adliaerentibus llüldereu
et Lipramssdorff, Hervest cum iilia Holterhuessen, Lembeck, Dodorif et Rorup
lilia, Telgt cum Handrup, Westbeveren, Oestboveren, Ewerswinkel, Stromberg,
Boesensehl : hi se habent Catholice secundum Romanam Ortbodoxam Ecclesiam ;
in Nordtkerken: inter annos circiter tres vel quatuor nullus fuit aedilis
aut aedituus propter discordiam Marschalci cum Domino de Kuiven (V) in
maximum Ecclesiae detrimentum.
Wulff en autem et Radde, tiliae in Lembecke, asseclae Martini Lutberi.
Geisteren et Eibergen: Synodus desolata.
4) Archidiakonat des Domherrn Balth. von Büren.
Erstattet vom Promotor ofticii, dem Vicarius Diederich Morrien. —
Abgedr. bei Keller (1. c. Aktenst. Nr. 289).
5) Archidiakonat des Cellerars Melchior von Bueren.
Capitulum [Dulmaniense] omnia antiquam religionem decentia ordine
uptime servat, excessus ibidem sunt simplicis fornicationis.
6) Archidiakonat des Propstes Bernh. Schmising.
Ennigerloh ist guet catholisch, item tho Oestenfelde, communicert
sub utraque specie, item tho Ol de ist gueth, item tho Velde die Capellan
ist sehr guth, item tho Diestedde weiss nicht anders alss guet, item tlio
Warrssloh ist gueth, darin ist gehörig die Capelle tho Oestholte, ist
Rittberges [gehörig] und ist filia in Warrslohe, dae sie willen nicht länger
folgen, hebben ihren eigen Pastom, ihre selbst begrebnusse und fragen nicht
nach dem Archidiacon, noch pastorem, noch nach keinem menschen der weit,
item tho Hertzfelde ist es gueth, item tho Libborgh, dragt uff beiden
schulderen, item tho Untrop ist Martinisch, item tho Dolbergen ist sehr
guth, item tho He essen ist sehr gueth, item tho Ho v eil doocht nichts, ist
Martinisch, item tho Beckumb ist nuhn sehr gueht.
7) Archidiakonat des Canonicus Bernh. Morrien.
Albo officio mi^ori Archidiaconatus annexus dicitur Aldenlunen, in qua
una solummodo est parochia, cuius pastor Diricus Alstedde, vir sincerus
omnino Catholicus et fidei Catholicae adversus vicinos Lunenses, a quibus
ante aliquot annos non leves contumelias et multiplices irrisiones passus,
acerrimus propugnator, ob cuius zelum nihil haereticae pravitatis hoc tem-
pore in ea parochia deprehenditur. Promotor officii
Diricus Morrien, Vicarius.
Darauf folgt; „Verzeichnuss desjenig, was Pastor und Kirchrätlie zu
Altenlühnen wieder dem Richter, auch Burgermeister, Rath und Gemeinde zu
Lünen der fürgenohmmenen Vemewerungen und zugefügeter Beschwehr für
und für beklaget und noch klagen".
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356 P. Bahlmann
8) Arcbidi&konat des Cauonicus Goswin von Raesfeldt,
Dieweil aber gemelter Herr Archidiaconus newlich nach absterben
weilaudt Herr Diederichs von der Recke abn diese Archidiac^nat geratben, bat
man bisshero sonderlich keine defectus vornehmen mögen mit freiindtlichen Be-
gehr, [dass] die Herrn Visitatoren fleissige erforschung furwenden wollten, ob
einige Unrichtigkeit, die hieher verschwiegen gewesen, zu richtigkeit und
vorigen Wohlstandt zu bringen ungespahreter weyse sich nicht unterwinnen
lassen.
9) Archidiakonat Wilhelm's von Elberfeld.
a) Sedes synodales Praepositurae Sancti Ludgeri Monsis.
Rinlterodde, Herberen, Sendenhorst, Oldenberge, Borg-
horst, Embsdetten, Reine cum adjacentibus Nienkerckcn, Saltz-
bergen et Messumb, Saerbecke, Greven cum Hembergen: hae
parochiae insistunt Catholicae religioni quorundarum sacerdotum concubinatu
excepto.
Schüttorp vero Nordthorn et Gildehuessen profitentnr Au-
gustanam confessionem, nemo autem hisce locis statutis temporibus ad syno-
dum comparet, quo authore id fiat incertum est
b) Sedes synodalea Arcbidiaconatus m Winterswijk.
Dingden et Brünen: religio satis comipta. — Oldenscherenbeck :
pastor quidem catholicus, sed per magistratum impeditur, Erle alter C-al-
vinis [?] — Raessfeldt, Boreken, Groten, Reckumb, Lütken-
Reckumb: hae perseverant in Catholica religione. — Ve ersehe [c. i. We-
seke]: vacillat. — Velen: professionis Augustanae. — Gescher, Oester-
wick etHoltwich: Catholicae sunt. — Mores et religio Commendatoris
in Borgsteinvorde cum tota civitate nullum non latent. — Embsbühren
et Schepstorp: satis catholici, si per magistratum Benthemensem delatio
ad synodum suis non esset prohibita.
Verteilt waren die Archidiakonate der Diözese Münster'^) damals
folgendermassen :
1 . Arcbidiaconatus Cancellariae: Horstmar, Ahaus, Be vergem, Sassen-
berg et similes Ecclesiae iuxta castra Reverendissimi Episcopi Monasteriensis.
2. Rabanus de Hoer de, Praepositus Maioris Ecclesiae, Archidiaconus
in civitate Monasteriensi (exceptis Transaquensibus '^) et in Angelmodde.
3. Godefridus a Raesfeld, Decanus Maioris Ecclesiae, Arch. in
Bocholt et Gimbte.
4. Bitterus a Raesfeld, Thesaurarius Maioris Ecclesiae, Arch. in
Vreden, Rhede prope Bocholt, WüUen, Wessum, Alstedde, Epe, Gronau,
Ileek, Nienborg, Leer, Roxel, Albachten et Alverskirchen ") ; im AmtBrede-
10) Kin Yerzeiclmii aus dem J. 1818 t. Jos. Niesert, MOnitersohe UrkandenBamm-
luug. Bd. VII. Coeifeld 1887, pag. 141— U*, ipfttere ibid. p»g. 114—118 n. 119-137, sowie
A. Tibat, Gesch. Nachrichten über die WeihbischOfe ron Münster. Münster 1868 p. 164—166.
— Vgl. auch Allgem. Archiv für die (ieichichtikunde des Prens». Staatei. Uerausg. von
L. von Ledebur. Bd. IV. Berlin, Posen und Bromberg 1831, S. 214—256.
11) Cfr. Nr. 24.
12) Die genannten Orte gehörten sam Archidiakonat der Domkttsterei, die folgenden
zu dem der Dom-Thesaararie. — Vgl. den Archidiakonats-Bericht Nr. 2.
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Neue Beitr. z. Gesch. d. Kirchen- Visitation im Bistum Münster. 357
vourt: Groll [vel Groenlo], Lichtenvöorde, Aalten, Diuxperlo et Hengelo; in
des Heren bergland : Varsseveld et Silvold ; Neede in der Herrschaft Borkelo.
5. Bernardus a Bueren, Vicedominus Maioris Ecclesiae, Arch. in
Ascheberg, Südkirchen, Nordkirchen, Bork, Haltern, Hullem, Lippramsdorf,
Hervest cum Holsterhausen tilia, Lembeck filia Wulfen, Ilhade, Darup et Rorup
filia, Telgte cum Handorf, Westbevem, Ostbevem, Everswmkel, Stromberg,
Boesensell, Geistern, Eibergen.
6. Godefridus a Raesfeld, Praepositus Ecciesiae St. Mauritii, Arch.
in: Hoetmar, Westkirchen, Eimiger, Vorhelm, Walstedde, Drensteinfurt, Ott-
marsbocholt, Seim, Olfen, Seppenrade, Lüdinghausen, Senden, Amolsbüren.
7. Melchior a Bueren, Yeteris Ecciesiae Praepositus uec non
Maioris Eccles. Canonicus et Cellerarius ac rationc Cellerariae Praepositus
Saucti Victoris Dulmaniensis, Arch. in Dülmen.
8. Goswinus a Raesfeld, Maioris Ecciesiae Canonicus, Arch. in
Stadtlohn et Südlohn.
9. Joannes Nagel, Maioris Ecciesiae Canonicus et Praepositus in
Beckum, Arch. in Beckum.
10. Balthasar a Bueren, Maioris Ecciesiae Canonicus, Arch. in
Warendorf, Einen, Mike et Füchtorf.
11. Bernardus Morrien, Maioris Ecciesiae Canonicus, Arch. in
Alt-Lünen.
12. Ueidenricus ab Ohr, Maioris Ecciesiae Cauonicus, Arch. in
Billerbeck, Darfeld et Holthausen.
13. Arnoldus a Bueren, Canonicus et Cantor Maioris Ecciesiae,
Arch. in Albersloh.
14. Bernardus Schmising, Bursarius et Praepositus St. Martini,
Arch. in Ennigerloh, Ostenfelde, Oelde, Vellern, Sünninghausen, Wadersloh
ülia ('apellae zu Ostholte *'), Herzfeld, Lippborg, Uentrop, Dolberg, Heessen,
Hövel, Bockum, Diestedde.
15. Guilielmus ab, IMberfeld, Praepositus S. Ludgeri, Arch. in
llinkerode, Herbern, Sendenhorst, Altenberge, Borghorst, Emsdetten, Rheine,
Neuenkirchen, Salzbergen, Mesum, Saerbeck, Greven, Hemberge, Schüttorf,
Nordhorn et Gildehaus.
[Archidiaconatus in Winterswyk]: Dingden, Brünen, Alt-Schermbeck,
Erle, Raesfeld, Borken, Gross-Reken, Klein-Reken, Weseke, Velen, Gescher,
Osterwick, Holtwick, Burgsteinfurt, Emsbüren et Schepsdorf.
16. Praepositus in Cappenberg; Arch. in Ahlen et Werne.
17. Gerhardus ab Es sehe de, Praepositus in Yarlar, Arch. in Coesfeld.
18. Everwinus Droste, Decanus Ecciesiae St. Martini, Arch. in
Buldem et Hiddingsel.
19. Theodorus ab Ham, Thesaurarius Ecciesiae St. Martini, Arch.
in Ilavixbeck.
20. Thesaurarius Veteris Ecciesiae : Arch. in Laer, Eggenrode, Asbeck
et Schuppingen.
13) Wohl Oethöve. Vgl. Ad. Tibni, (iraudangtgetchichte der Stifter . . . dei alten
Bistums Monster. Teil I. MOnster [1867—1 1885 Anmerkang Nr. 1197.
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358 P. Bahlmauu
2L Teod. Maiss, Dccanus in Nottulo, Arcli. iu Nottuln, Appelliülsen
et Schapdetten.
22. Joannes a SyborgU, Decanus in Langenhorst, Arcb. in Laugen-
horst, Ochtrup et Wettringen.
23. Henricus Bisschopinck, Thesaurarius Ecclesiae St. Ladgeri,
Arch. in lliltrup.
24. Michael Rupcrti, Decanus Transaquensis , Arch. in parochia
Trausaquas et Nienberge.
B. Die Visitations-Protokolle.
Am 1. Juli 1571 beauftragte Bischof Johann den Präses de:»
Officialats Theodorich von Hamm, den Generalvicar Jacob Voss, die
Dechanten Everwin Droste und Michael Ruperti, den Domprediger Niko-
laus von Steinlage und den Pfarrer Caspar Modewich, eine allgemeine
Visitation der Diözese abzuhalten und den Befund durch besondere
Notare ^*) ausführlich aufzeichnen zu lassen **), welchem Befehl die Com-
mission vom 16. August desselben Jahres bis zum 9. September 1573 *®)
gewissenhaft nachkam. Ein vollständiges Bild ihrer Thätigkeit giebt
die nachstehende Übersicht.
Es wurden laut der Original-Protokolle examiniert zu
1517. Münster:
August 16. Capitel des Alten Doms (Dechant: Jakob Voss).
„17. „ zu St. Mauritz (Dechant: Schenckingh).
„18. jj zu St. Ludgeri (Dechant: Christoph Bremer).
„ 20. „ zu St. Martini (Dechant: Everwin Droste).
„ 21. Geistl. von Überwasser (Dechant: Michael Ruperti), Nien-
berge und Kinderhaus.
„ 22. Geistl. von St. Aegidii (Propt Wesselus Hessman, nach
Hüsing pag. 44: Wilh. Huismann).
„ „ Geistl. von St. Lamberti (Pfarrer Caspar Modewyck).
„ 24. CoUegium ad fontem salientem, Fraterherren (Henricus
Stuitwerck *') und Conventualen). — (Non habent cer-
tam Regulam).
") Als solche ernannten die Visitatoren am 9. August: Clmstian Lennep
und Franz Holten.
'*) Keller, 1. c. Aktenst. Nr. 286.
'•) Nach Keller und Hüsing wurde die Visitation schon 1572 beendet.
Letzterer (cf. pag. 53) hält die vorgefundene Jahreszahl 1573 anscheinend
für einen Schreibfehler; jedoch beseitigen die im Original den einzelnen Daten
beigefügten Wochentage jeden Zweifel an der dreyährigen Dauer.
") Vielleicht der 13. Pater, der in dem von Erhard (Zeitschr. für
vatcrl. Gesch. u. Altert. Bd. VI, Münster 1843, pag. 89 flF.) mitgeteilten Ge-
dächtnisbuch des Fraterhauses fehlt.
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Neue Beitr. z. Gesch. d. Kirchen- Visitation im Bistum Müuster. 3o9
August 25. Minoriten-Kloster in Münster (Joh. Sickman, Pater Custos).
„ „ Heinr. Bisschopinck, Senior et Thesaurarius St. Ludgeri,
der am 18/8 nicht erschienen war.
„ 28. Geistl., von St. Servati (Pfarrer : Joh. Krytt).
„ „ Augustinerinnen-Kloster Kosendahl in Münster.
„ ^ Beghinenhaus Hofringe in Münster. (Non habent singu-
lerem Begulam).
„ 20. Augustinerinnen-Kloster Niesing in Münster.
„ „ Tertiarierinnen-Kloster Ringe in Münster.
„ ;, Beghinenhaus Reine in Münster. (Non habent Kegulam).
Varlar:
Septbr. 1. Prämonstratenser - Kloster in Varlar (Grerh. ab Eschede,
Praepositus).
Coesfeld:
„ 2. Geistl. von Coesfeld und Lette.
„ 3. Cistercienserinnen - Kloster Marienborn zu Coesfeld**) (Al-
heidis Travelman, Abbatissa).
„ „ Beghinenhaus Stoltering zu Coesfeld (Non habent Regulam).
„ „ Franziskanerinnen-Kloster Annenthal (Kleines Schwestern-
haus) zu Coesfeld. (Elis. Herde, Mater).
„ „ Grosses Schwesternhaus (Augustinesseu - Kloster) zu Coes-
feld. (Apollonia Hagenbeck, Mater).
Bocholt^»):
„ 5. Geistl. von Bocholt.
„ „ Vicecuratus Lubbert Eisinck in Rhede.
„ 6. Adeliges Damenstift (Grosses Weisses Kloster) in Bocholt.
(Non habent^ Regulam).
„ „ Domus Soromm St. Agnetis genannt Marienberg in Bocholt.
(Mechtildis Buenink, Mater). — (Habent Regulam
Sancti Augustini).
n 7. Vicecuratus Everh. Kock und Vicar Simon Busschius in
Dingden.
„ „ Pfarrer Frider. Jegeringh in Dinxperlo.
„ 8. Cistercienser-Kloster Gross-Burlo (Arnold Provestinck, Prior).
Weseke:
„ „ Pfarrer Herrn. Traa in Weseke.
'**) Unterstand dem Abt von Kamp bei Rheinberg.
") Auf der Durchreise (4. Septbr.) wurden die Kirchen in Velen und
Rhede visitiert.
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360 P. Bahlmanii
Borken:
Septbr. 9. Capitel von Borken.
„ 10. Schwesternhaus zu Marienbrinck in Borken (Anna Sweders,
Mater). — (Habent Regulam S. Augustini).
„ „ Geistl. von Ramsdorf, Reken, Heiden und Velen*®).
Horstmar:
„ 12. Capitel zu Horstmar. (Dechant: Heinr. Droste).
Münster:
October 3. Geistl. von Ostbevern, Boesensell, Westbevem, Billerbeck,
Darfeld, Alverskirchen, Handorf und Ascheberg.
„ 4. Geistl. von Senden, Enniger, Ottmarsbocholt, Westkirchen,
Hoetmar, Walstedde, Drensteinfurt, Amelsbüren, Vor-
helm und Gimbte.
„ 5. Geistl. von Angelmodde, Sendenhorst, Hiltrup, Havixbeck,
Hembergen, Rinkerode, Roxel, Greven, Altenberge.
„ 12. Cistercienserinnenkloster St. Aegidii**).
Decbr. 11. Pfarrer von Coerde.
„ „ ünterkaplan an der Kapelle zu Emmer (Pf. Albersloh*^.
„ „ Pfarrer in Wolbeck.
„ 12*^) Geistl. von Nottuln und Appelhülsen.
1572. Telgte:
Februar 7. Geistl. von Telgte und Everswinkel.
Rengering:
„ 8. Cistercienserinnen - Kloster zu Rengering (Angela Nucks,
Abbatissa) ^).
Vinnenberg:
„ „ Benediktinerinnen-Kloster zu Vinnenberg. [Protokoll selbst
fehlt!].
Warendorf:
„ 9. Geistl. von Warendorf, Milte, Fttchtorf, Sassenberg, Einen.
^^) Nach Hüsing 1. c. pag. 47 visitierte inzwischen ein Teil der Visita-
toren die Pfarreien Erle, Rhade, Lembeck und Wulfen, [cf. lO/o 1572 und
Hüsing 1. c. pag. 51].
^^) Unterstand dem bei der Visitation auch anwesenden Abte von Liesboru.
*2) Diese Kapelle war bis 1885 vorhanden.
-^ Nach Hüsing 1. c. pag. 48 erschienen am 12. Dezbr. die Geistlichen
von Romp und Darup und erst am 13. die von Nottuln und Appelhülsen.
-*) Unterstand dem Abte von Marienfeld.
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Neue Beitr. z. Gesch. d. Kirchen- Visitation im Bistum Münster. 361
Marienfeld:
Febr. 11. Cistercieoser-Kloster Marienfeld. (Herrn. Fromme, Abbas).
„ „ Pfarrer von Lette, Beelen und Greffen und Dechant von
Harsewinkel.
Freckenhorst:
April 31. Adeliges Damenstift zu Freckenhorst.
Stromberg:
Mai 1*^) üeistl. von Stromberg. [Protokoll fehlt; nur der Kopf
vorhanden !]
„ „ Geistl. von Oelde, Ennigerloh, Ostenfelde, Sünninghausen
und Vellern.
Liesborn:
„ 2. Benediktiner-Kloster Liesbom.
„ „ Vicecuratus von Wadersloh und die Pfarrer von Diestedde
und Herzfeld.
Beckum:
„ 3. Angustinerinnen-Kloster zu Beckum.
„ „ Capitel zu Beckum (z. Z. ohne Dechant).
Ahlen:
„ 4. Augustinennnen-Kloster zu Ahlen.
„ „ Vicecuratus Gerh. Eggelman in Lippborg.
„ 5. Geistl. von Ahlen.
Werne:
„ 6. Geistl. von Werne.
„ 7. Prämonstratenser-Kloster Cappenberg.
„ r, Geistl. von Bork, Alt-Lünen, Heessen, Dolberg, Hövel,
Beckum, Südkirchen, Nordkirchen, üentrop.
Dülmen*^):
„ 8. Augustinerinnen-Kloster in Dülmen.
„ 9*^) Capitel zu Dülmen (z. Z. ohne Dechant).
„ „ Geistl. von Haltern, Hullern [nach Hüsing 1. c. pag. 50
auch:] Hervest, Lippramsdorf und Haus Dülmen. —
[Das Protokoll fehlt!]
„ 10. Geistl. von Alt - Schermbeck , Holsterhausen, Lembeck,
Rhade, Wulfen*^), Schloss Raesfeld, Hiddingsel u. Buldern.
") Bei Hüsing 1. c. pag. 49 irrtümlich „1. März".
-•j Nach Hüsing 1. c. pag. 50 besuchten die Visitatoren auf der Reise
nach Dülmen die Kirchen zu Olfen, Hullern und Haltern.
*^ Bei Hüsing 1. c. pag. 46 irrtümlich „9. März".
^) Vgl. Anmerkung 20.
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362 P- Btthlmauu
Lüdinghausen:
Mai 16. Geistl. von Lüdinghausen, Olfen, Seim, Sepi)enraüe, Venne
und Herbern.
„ 17. Karthäuser-Kloster zu Weddern.
Nottuln.
D „ Adelige Damenstift Nottuln.
1573. Uohenholte:
August 29. Kloster Hohenholte.
Klein-Burlo:
„ 30. Cistercienser-Kloster Klein-Bnrlo.
Asbeck:
n 31. Adeliges Damenstift zu Asbeck.
„ „ Geistl. von Asbeck , Eggenrode , I^egden , Schöppingen,
Holtwick, Osterwick und Gescher.
Ahaus:
Septbr. 1. Geistl. von Ahaus, WüUen, Epe, Heek, Nienborg (Novum
castrum), Wessum und Alstedde.
Vreden:
„ 2. Geistl. von Stadtlohn, Südlohn und Vicarius von Ottenstein.
„ 3. Adeliges Damenstift nebst Collegiatcapitel zu Vreden.
Langenhorst:
„ 4. Geistl. von Langenhorst, Ochtrup, Wettringen, Weibergen
und Vicecuratus von Ottenstein.
„ „ Kloster Langenhorst.
Metelen:
f „ 5. Adeliges Daraenstift und Geistl. zu Metelen.
Borghorst:
^ 6. Adeliges Damenstift nebst Collegiatcapitel zu Borghorst.
„ „ Geistl. von Nordwalde, Laer und Holthausen.
Burgsteinfurt:
„ 7. Johanniter-Commende zu Burgsteinfurt (Henricu sab Hövell,
Balivus).
Bentlage:
„ 8. Kreuzherren - Kloster zu Bentlage (Habent Regulam St.
Augüstini).
„ 9. Geistl. von Rheine, Bevergern, Emsdetten, Mesum und
Emsbüren.
Die betreffenden Protokolle, diejenigen der Klosterkirchen und
weniger Pfarrkirchen ausgenommen, fand Tibus *^) im bischöfl. General-
^•) Weihbischöfe pag. 93 und Gründungsgeschichte Anmerk. Nr. 326.
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Neue Beitr. z Öesch. d. Kirchen-Visitation im Bistum Munster. 363
Vicariat zu Münster, das vollständige Original Keller ^®j auf der Königl.
Bibliothek zu Berlin (Msc. Boruss. Fol. 845) wieder. Auszüge daraus
veröffentlichten :
Niesert, 1. c. pag. 27 — 28 nach einer jetzt der Kgl. Bibl. zu
Berlin gehörigen Abschrift ^^) aus dem 16. Jahrb., allerdings
unter Beibehaltung der fehlerhaften Überschrift „Visitatio habita
ab Episcopo Monasteriensi Emesto Bavaro, Archiepiscopo
Coloniensi«. Anno 1592").
Keller, 1. c. pag. 288—290 und Aktenst. Nr. 292 nach einer
in demselben Berliner Volumen befindlichen Abschrift aus dem
18. Jahrb.
Ilüsing, 1. c. pag. 42—54 und 234 — 236 nach Aufzeichnungen
des verstorbenen Domdechanten Krabbe aus dem Exemplar des
General- Vicariats, dem auch
Tibus, Weihbischöfe pag. 95 — 102 den Bericht über die Visitation
der St. Aegidii-Pfarre wörtlich entnommen hat.
Hoffentlich lässt auch die schon von Keller '^) und Diekamp ^) als
wünschenswert bezeichnete unverkürzte Drucklegung und Bearbeitupg
der Protokolle nicht mehr allzulange auf sich warten. Die Haupt-
schwierigkeit lag bisher darin, dass das allein zugängliche Berliner
Original „nur die Antworten der Geistlichen und Lehrer auf die ihnen
nach der Formula visitandi vorgelegten Fragen, nicht aber die letzteren
wiedergiebt. Da die Formula bis jetzt noch nicht wieder aufgefunden
worden ist und die Antworten in vielen Fällen einfach Ja oder Nein
^) Keller 1. c. pag. 287. — Das Schriftstöck umfasst 87 eng geschrie-
bene Folioblätter; doch sind leer: El. Ib, 19b, 20a, 27b, 28a, 2S)b, 4()b, 41a,
42b, 52b und Bl. 69.
3») In Msc. Boniss. Fol. 845.
") Diesen Irrtum berichtigt bereits Tibus, Weihbischöfe Anm. Nr. 134.
— Das von Niesert benutzte Schriftstiick trägt zwar die von ihm wioderge-
gebene Überschrift, doch lässt sich noch deutlich erkennen, dass die ursprüng-
liche Jahreszahl 1572 erst später — wohl um sie mit der Regierungszeit des
Bischofs Ernst von Baiem (1'685— 1612) in Einklang zu bringen — in 1592
umgewandelt ist. Von einer Visitation im J. 1592 hat Tibus (1. c. pag. 141)
in den Akten des General - Vicariats nichts vermerkt gefunden und dürfte
desshalb die von Erhard (Geschichte Münsters, Münster 1837, pag. 436) ge-
brachte Nachricht über eine solche lediglich durch Niesert's Protokoll ver-
anlasst sein.
»>) 1. c. pag. 287.
^) Zeitschr. für vateri. Gesrh. u. Altertnmsk. Bd. 42. Münster 1884.
I. pag. 172.
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364 P. Bahimann
lauten, so lässt sich häufig der eigentliche Inhalt der Aussage gar nicht
mehr constatieren" ^^). Die Benutzung der Protokolle erleichterte auch
nicht der inzwischen von Uüsing (1. c. pag. 39 — 41) aus dem Nach-
lasse Krahbe's mitgeteilte Auszug der Formula; sehr erfreut waren
wir daher, auf der Königl. Paulinischen Bibliothek zu Mttnster in dem
aus der Bibliotheca Cathedralis Ecclesiae Monasteriensis stammenden
Msc. Nr. 245 eine Abschrift derselben zu finden, der nur die ei-sten
43 Fragen fehlen, welche dem anderen, im dortigen bischöflieben
General - Vicariats - Archive ruhenden Exemplare entnehmen zu dürfen,
uns durch Vermittelung des Herrn Domkapitulars Tibus gütigst gestattet
wurde. Das von dem Bischof selbst unterschriebene Formular lautet:
I. Intorrogatoria Parochit et hit, qui animarum curam habont, circa fiden ei
doctrinam propononda.
l.'*) An credant ea omnia, quae continentur in Symbolo ApostoHco,
et in 60 symbolo fidei, quo sancta catholica orthodoxa et ApostoUea Romana
Ecclesia utitur, quodque in Missae officio legi seu decantari consnevit?
2. An credant veritatem fidei ac disciplioam vitae Christianac non
tantum in veteri et novo testamento tamquam scripto Dei verbo, sed etiam
in traditionibus tamquam verbo Dei non scripto magna ex parte contineri.
Kt quod traditiones, quas Ecclesia catholica ab Apostolis et sanctis Patribus
acccptas continua successione tamquam fidele depositum conservant, non
minori vcneratione suscipiendae sint quam ipsa scriptura sacraV
3. An recipiant omnes tam veteris quam novi Testamenti libros integre,
prout in vulgata veteri editione habeutur et ab Ecclesia pro Canonicis recepti
sunt, et (|ui sint isti. Et praesertim an recipiant libros Machabeorum, Epi-
stolam D. Jacobi, Apocalipsim Sancti Joaunis?
'4. An sentiant cum tantum modo verum esse sacrae scripturac intcl-
lectum, quem Catholica et Apostolica Romana Ecclesia semper tenuit et
tcnet, et quod dumtaxat ad illam pertineat de vero sensu et interpretatione
sacrarum scripturarum judicare ac dubia circa iidem et religionem oborta
decidcre nee esse illud cuiusvis privati hominis?
De peccato originali et de iustificatione.
ö. (1) An credant Adamum primum hominem per divini mandati trans-
gressionem iustitiam, in qua positus erat, amisisse, a Dei gratia excidisse et
in mortem diabolique potestatem incidisse. Et quod propter Adami lapsum
omnes homines, quotquot postmodum nati sunt et nascentur, peccato originali
teneantur obnoxii et natura filii irae censeantur: tametsi de sola beata et
mmaculata virgine Maria pie fateantur, quod et sancta Tridentina Synodus
dcclaravit?
6. (2) An credant ab huiusmodi peccato origine et propagatione con-
»*) Keller 1. c. pag. 288.
36) Di« in beiden Abtohriften meist fehlenden Zahlen haben wir in möglichster
C^boreinttimmunK mit den betr. Nummern der Antwnrton in den Origiualiirotokollen der
Übersichtlichkeit nud leiclitereii Citieruug lialber durchweg vorgoxetzt.
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Neue Beitr. z. Gesch. d. Kirchen- Visitation im Öistum Münster. 365
tracto ac a mortis diabolique potestate nullo alio medio humanum genus
liberatum esse aut liberari potuisse quam merito beatissimae passionis et
gloriosissimae resurrectionis Jesu Christi, unici domini redemptoris ac mcdia-
toris nostri?
7. (3) Cumque huius redemptionis fides et confessio omnibns hominibus
ad salutem consequendam sit necessaria. An non sentiant in eo praecipue
ecclesiastici doctoris operam versari debere, ut fideles scire ex animo cupiant
Jesum Christum et hunc crucifixum aliudque nomen non esse datum hominibus
sub coclo, in quo oporteat nos salvos tieri, siquidem ipse est propiciatio pro
peccatis nostris?
8. (4) An firmiter credant, quod, tametsi Christus pro omnibus sit
mortuus, non tamen omnes mortis ac passionis ^us beneficium recipiant; et
quod post promulgatum Evangelium omnibus, qui iustificari et a statu irae,
in quo nati sunt, in statum gratiae ac adoptionis filiorum Dei transferri atquc
adeo aetemam vitam consequi velint, necessarium omnino sit, ut priroum
omnium per baptismum, regenerationis lavacrum, Christo et Ecclesiae inse.
rantur ac deinde in sincera fide, spe et charitate per sacramentorum Ecclesiae
communionem ac mandatorum Dei observationem pic et juste vivendo ad
linem usquc perseverentV
9. (5) An credant, quae de praeparatione sive dispositione ad iustifi-
rationem in adultis sancta Tridentina Synodus ulterius explicavit?
De sacramentis in generc.
10. (1) Utrum credant Septem esse novae legis seu Evangelii vcra av
propria sacramenta nee plura aut pauciora recipi debere eaque a sacramentis
veteris legis longe lateque diversa esse?
11. (2) An credant illa ipsa sacramenta a Christo instituta ad humani
generis salutem (licet non omnia singulis) necessaria esse, et unum quodquc
eorum praeter visibile Signum specialem gratiam in sc continere et his, qui
impedimentum non ponunt, conferre?
12. (3) An fateantur receptos Ecclesiae ritus, in solenni sacramen-
torum obscrvatione adhiberi solitos, sine peccato et haeresis nota contemni,
rcjici aut pro cuiuscunque libitu mutari vel etiam lingua germaijica translatos
exerceri non posse?
13. (4) An credant per haec tria sacramenta videlicct Baptismum,
(-onfirmationem et Ordinem characterem indelebilem imprimi et ideo illa
reiterari non posse nee debere V
De Baptismo.
14. (1) Utrum credant in Sacramento Baptismi non solum originale
peccatum, sed etiam omnia actualia peccata et crimina plenissime cum culpa
et pocna rcmitti: et praeterea justitiami et sanctitatem in eo donari csseque
illud sacramentum ita necessarium, ut post eins institutionem nullus, etiam
ex Christianis parentibus ortus, sine eo ip partem sortis sanctorum recipi
potuerit aut possit?
15. (2) An credant infantes, etiamsi actu proprio fidem proüteri non
possint, recte tamen in fide Ecclesiae baptizari. Etsi in iusta aetate deces-
serint, polum eis baptismum ad salutem suffirere, nee debere cos, si ad annos
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366 ^- BahlmanA
discretionis penenerint, rebaptixari ant saltem interrogari, an baptismnm ratiim
habeant V
16. (3) An credant huias aacramenti ministros soIos ease sacerdotes
nee. posae i>er alios, nisi extremo necessitatis casu, ministrari qaodqne vcra
de hoc sacramento doctrina et venu einsdem osns in sancta cathoHca et
Apostolica Bomana Eccieaia faerit et adhuc sit?
De fide et operibus.
17. (l) Utrum credant bapUzatis, cum adolescerint, non solnm üdem
(licet illa fiindamentam sit et radix jostificationis nostrae) vertun etiam cha-
ritatis opera, qnae per Observationen! mandatomm I>ei et Ecclesiae exer-
centor, necessaria esse, si vitam ingredi velint, atque adeo veram esse sen-
tentiam Ecclesiae, quae cnm beato Jacobo Apostoio asserit: fidem sine
operibus mortuam et üdera solam sine operibns non iustificare?
18. (2) Anne sentiant impiam eorum esse sententiam, qui omnia etiam
fidelium bona opera peccata esse affirmantf sanam antem et rectam esse
doctrinam Ecclesiae, qua dicitur: Bona üdelium opera, qui in Christo renati
in sanctitate et justitia ambulant, Deo grata esse ac vitae etiam aetemae
meritoria: non qnidem sna vi et dignitate, sed quatenus ex spiritu fidel et
cbaritatis proficiscunt et misericordi Dei promissione ac gratia, qua benc ope-
rantibus in finem et in ipso sperantibns vitam aetemam tamquam roercedem
opcrum et labonun se tamquam justum iudicem redditurum polliceturV
De Confirmatione.
19. (1) Utrum credant baptizatis per sacramentum Contirmationis dari
spiritum sanctum ad robur, tutelam et incrementum tidei, neque possc hoc
sacramentum ab adultis, qui eins cepiam habere possunt, sine gravi peccato
contemni?
20. (2) An credant huius sacramenti ordinarium ministrum esse sohun
Episcopum: non etiam inferiores sacerdotes aut alios clericos nedum laicos?
De sacramento Eucharistiae.
21. (1) An credant in Sacramento Eucharistiae per verba consecrationis
ipsam substantiam panis et vini, quam natura formavit, vere converti in ipsum
corf)us et sanguinem Domini nostri Jesu Christi: manentibus ibidem dumtaxat
exterioribus speciebus panis et vini ita, ut consecratione peracta incomprc-
hensibili Dei potentia in ipsa Eucharistia vere, realiter et substantialiter sit
corpus et sanguis cum anima et divinitate domini nostri Jesu Christi?
22. (2) An credant non modo sub una spccie, panis scilicet et vini,
sed etiam sub minima particuta cuiusque speciei integnim corpus et sanguinem
Christi verumqne sacramentum contineri et sumi?
23. (3) An credant in hostia consecrata etiam extra usum et sump-
tionem esse et manere verum corpus et sanguinem Christi: et ideo sacram
Eucharistiam in sacrario recte secundum antiquissimam Ecdesiae consue-
tudinem asservari et in ecclesiis pro decumbentibus et infirmis omnino pie et
ncccssario custodiri?
24. (4) An credant huic sacramento propter praesentiam Christi eura
honorem, qui regi rcgum et doraino dominantium debctur, exhibcndum esse?
25. (5) An veram rredant ac etiam recipiant S. Ecx^lesiae doctrinam,
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Neue Beitr. z. Gesch. d. Kirchen- Visitation im Bistum Münster. 367
quae tradit laicos et sacerdotes non celebrantes nequaquam ex institutione
Christi necessario teneri ad utramque speciem tenendam. Et an fateantur,
cum non minus sub una quam sub utraque specie continoatur ac sumatur,
non posse istam sub una specie communicandi consuetudinem tot saeculis in-
concusse observatam privata alicuius ant aliquorum temeritate sine schismatis
crimine mutari aut rejici?
26. (6) An fateantur veros huius sacramenti ministros esse solos pres-
byteros in catholica Ecclesia rite ordinatos, non laicos aut minores clericos,
ut maxime consecrationis verba super pane et vino proferant, nee debere
etiam ipsos sacerdotes rite ordinatos et in catholicae Ecciesiae communione
existentes corpus et sanguinem Christi conficere, nisi in solenni Missae sacrificio?
De sacrificio Missae.
27. (1) An de Missae sacrificio idem sentiant ac profiteantur, quod ab
Apostolorum temporibus in hunc usque diem sancti Patres et catholica Ecclesia
semper sensit et professa est sentitque et profitetur: videlicet in Missa offeri
verum proprium ac non tantum laudis et gratiarum actionis, sed etiam pro-
piciatorium sacrificium corporis et sanguinis domini nostri Jesu Christi, et id
quidem incruentum ac commemorativum et representativum eins sacrificii, quo
Christus semel semetipsum in ara crucis in sanguine suo Deo Patri in odorem
suavitatis obtulit ad operandam totius mundi redemptionem ?
28. (2) An sentiant hoc sacrificium a Christo tamquam sacerdote
secundum ordinem Melchisedech in ultima coena institutum omnibus sacrificiis
veteris legis, quibus Christus sua morte finem imposuit, successisse ac novae
legis novum sacrificium merito appellari esseque hanc illam hostiam, quam
Dominus per Malachiam nomini suo in omni loco mundam ofTerendam praedixit?
29. (3) An profiteantur hoc sacrificium et hanc oblationem pro vivis
ac defunctis, pro bonis impetrandis et malis avertendis et omnibus necessi-
tatibus recte ofTerri nee quicque in Canone aut toto Missae officio contineri,
quod impium aut etiam erroneum sit. Quodque huius sacrificii offerendi po-
testatem Christus in ultima coena Apostolis eorundemque in sacerdotio suc-
cessoribus dederit et commiserit?
De Poenitentia.
30. (1) An credant baptizatis in peccata lapsis summe necessarium
esse, ut per sacramentum Poenitentiae reconcilientur Deo, cum poenitentia
Sit secunda post naufragium tabula?
31. (2) An cum Ecclesia fateantur in hoc sacramento praeter abso-
lutionem tria potissimum requiri: primo contritionem. qua hominis veterem
vitam ex animo et vere detestentur novamque et innocentem certo inchoare
proponant, deinde confessionem sacramentalem, qua primum Deo, deinde
sacerdoti tamquam iudici et medico animae vulnera sua peccata praesertim
mortalia omnia post diligentem conscientiae explorationem occurrentia
detegant: postremo satisfactionem, qua fmctos poenitentiae dignos ad
veteris quidem yitae castigationem et vindictam ad novae autem costodiam
accommodatos &cere studeant?
32. (3). An sentiant claves Ecciesiae, hoc est remittendi et retinendi
peccata, solvendi et ligandi animas hominum, item excommunicandi et ad
Westd. ZeiUchr. f. Gesch. n. Knntt YIU, IV. 28
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3(58 P. Bahlmann
communionem recipiendi inter lepram et non lepram iudicandi potestatem et
auctoritatem, nequaquam aliis quam sacerdotibus in catholica Ecclesia rite
ordinatis traditam et coocessam?
De Extrema Unctione.
33. An profiteantur extremam Unctionem verum esse sacramentum a
Christo quidem institutum, a Divo autem Jacobo promulgatom: nee posse
illud sine gravi peccato et aperta baeresis nota contemni, sed omnino per
sacerdotes rite et catholice ordinatos graviter decumbentibus administrari
debere, ut aegrotus per dominum allenietur et, si in peccatis sit, eidem
remittantur?
De Ordine.
34. (1) An ürmiter credant Jesum Christum peculiare ordinis seu
sacrae Ordinatimis sacramentum instituisse, per quod publici ministri verbi
divini et sacramentorum Ecclesiae legitime assumerentur et vocarentur, quo
etiam sacramento per manum Episcopalium impositionem spiritualis potestas
et gratia daretur, qua ratum esset ac tieret ministerium illis concreditum, ita
ut hi, qui in catholica Kcclesia ritu ac more catbolico ab Episcopis, quorum
herum proprium munus est, legitime ordinati non sunt, sed vel sua sponte
currunt val a laicis seu etiam haereticis extra Ecclesiae communionem existen-
tibus instituuntur, assumuntur seu mittuntur, nuUam habeant re vera in eccie-
siasticis et spiritualibus punctionibus potestatemV
35. (2) An fateantur illam esse ordinatissimam et a Spiritu Sancto
profectam dispositionem, qua in Ecclesia multi sunt ministrorum ordines non
tantum nominibus verum etiam ofiiciis et potestate spirituali diflferentes
alüsque alii digniores et superiores, et ad conservandam illam üdei unitatem
morumque disciplinam plurimum valere ecclesiasticum hierarchiam, in qua,
dum singuli suiun exsequuntur ofHcium et Episcopi atque Archiepiscopi maiorem
caeteris presbyteris potestatem obtinent, unus tamen pro tempore agnoscitur
summus pontifex, Sanctae Romanae Ecclesiae Episcopus, Beati Petri Aposto-
lorum principis in cathedra successor. Esse autem plane haereticos et schis-
maticos, qui hunc ordinem et hanc hierarchiam ecclesiasticam perturbant,
oppugnant et sublatam volunt?
^e Matrimonio.
36. (1) An credant in sacramento Matrimonii gratiam conferri, qua et
naturalis amor coniugum periiciatur et indissolubile illud vinculum confirmetur
et coniuges sanctiücentur jamque non amplius duo sint, sed quod mirabile
est una caro: ita ut, quos Deus coniunxit, homo separare non debeat nee
possitV
37. (2) An sentiant et agnoscant eam potestatem semper penes Eccle-
siam fuisse et etiamnum esse, ut plures consanguinitatis et afßnitatus gradus
matrimonium impedientes, quam in levitico expressi sunt, constituere nee non
certis anni temporibus solennitatem nuptiarum prohibere possit, et quae sint
ista tempora?
38. (3) An fateantur proptcr adulterium ita matrimonium dissolvi non
posse, ut utroque vivente uterque vel etiam alter etiam innocens ad alias
nuptias possit transire, nee posse inter coniuges sine iudicio Ecclesiae ullo
modo divortium fieri V
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Neue Beitr. z. Gesch. d. Kirchen- Visitation im Bistum Münster. 369
39. (4) An observent ea, quae patres oecumenici Tridentini Synodi
propter hominum inoboedientiam decreverunt de clandestinis matrimoniis deque
reformatione matrimonii, et an habeant librum, in quo coniugum et testium
oomina diemque et locum contracti matrimonii describant. An fiituros con-
iages hortentur, ut antequam contrahant vel saltem triduo ante matrimonii
•consummationem sua peccata dili^enter confiteantur et ad sanctissimae Eucha-
ristiae sacramentum pie accedant ?
De purgatoriO) sanctorum invocatione, reliqniis et immaginibus,
ciborum delectu, sacris Bibliis, praedicationibus etc.
40. (1) An etiam credant Ecclesiam catholicam ex traditione Apostolica
habere usum orandi pro fidelibus defimctis?
41. (2) An igitur sentiant etiam Ecclesiam catholicam recte credere,
purgatorium esse animasque defunctorum in eodem detentas eleemosynis
Tivorumqne fidelium pietate et potissimum acceptabili Altaris sacriücio iuvari?
42. (3) An credant Sanctos cum Christo regnantes recte tamquam
intercessores invocari eorumque preces apud communem Dominum plurimum
valere eorundemque Sanctorum reliquias et imagines in ecciesia retinendas
•esse, quodque non solum dies dominica sed etiam alii dies, quos Ecciesia pro
festis haberi voluit cum honore et Dei servitio, postpositis aliis operibus ser-
vitibus transigendi sint?
43. (4) An credant jejunia ab Ecciesia instituta observanda esse nee
posse extra necessitatis extremae casum sine peccato violari, et qui sint dies
«t tempora jejuniis dicata?
44. (5) Ütnim habeant sacra Biblia, vetus videlicet et novum Testa-
mentum, et ex cuius editione seu versione ?
45. (6) An ipsi per se diebus dominicis et festivis populo Evangelia
-et Epistolas explicent orthodoxe et sincere, et quorum expositiones, Postillas
<et homilias in expositione eorundem sequantur?
46. (7) An instruant et doceant populum de bis, quae ad fidcm et
-quae ad morum disciplinam pertinent, ut scire possit et clare intelligere, quid
credere et quomodo vocatione pie et honeste vivere debeat, et an propositis
populo praec^ptis Decalogi non misericordiam solum, verum etiam iustitiam
Dei proponant, ut et poenitentes ad bene sperandnm inflamment, et malos
propositis gehennae cruciatibus a vitae pravitate deterreant?
47. (8) An rüdes et parvulos suae Parochiae certis temporibus instruant
«t doceant symbolum Apostolicum, orationem Dominicam, salutationem An-
gelicam et decem praecepta Domini, an saltem habeant virum catholicum et
idoneum, qui id faciat, et ex cuius Catechismo ista tradantur?
48. (9) An freqnenter admoneant suos Parochianos, ut dominicis et
festis diebus, dum divina celebrantur, semper praesentes sint, concionem sub
.^lentio audiant, ut, quae audita, memoriae commendent, liberos suos ac
familiam ad pietatem instruant hisque imprimis symbolum fidel, orationem
Dominicam, salutationem Angelicam et Decalogum inculcent et ab iisdem
frequenter recitari curent, atque ut juniores adnltos et in supradictis bene
instructos ad Episcopum pro Confirmationis sacramento accipiendo deducant ?
49. (10) An populum frequenter doceant de sacramentis Ecclesiae
•et eonim gratia et mysteriis, et ut Ulis pie et religiöse ad salutem suam utatur?
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370 P- Bahlmann
50. (11) An soleant ipsi fontem Baptismi statutis temporibus iuxta.
Ecclesiae consnetudinem benedicere atque etiam sacramentam Baptismi secuo-
dum Agendam ecclesiasticam adhibitis omnibos ritibus et ceremoniis in £c-
clesia catholica hact^nus observari consuetis administrare, an vero aliquid
mutaverint?
51. (12) An sciant et intelligant ipsi atque etiam populum de soggestn
instruant, ad quid sacramentum Baptismi conferatur, cur aqua baptismalis
benedicatur et consecretur, cur baptizandus renunciet diabolo per susceptores?
cur exortizetur et exsuffletur contraria potestas, cur Signum crucis toties
Imprimatur, cur sal benedictum detur et aures baptizandi aperiantbr, cur in
pectore, scapulis et vertice capitis inungatur, cur induatur veste Candida, cur
praeferatur ei cereus ardens ad altare, et cur illic de absolutione et vino^
benedicto accipiat?
52. (13) An admoneant populum in concionibus, ut Baptizandis sus-
ceptores adhibeant provectioris aetatis, qui intelligenter ad interrogata respon-
dere queant; an tide catbolica ita sint instructi, ut, si necesse sit, paniilos
in eadem instruere possint?
53. (14) An sint ipsorum inter Parochianos Anabaptistae et impie de
hoc sacramento sentientes, et qui infantes non curent, aut alibi et aiiter
baptizari faciant, quam consuetudo Ecclesiae patitur, an tales corrigant, aut
saltem superioribus corrigendos denuncient ?
54. (15) Utrum ipsi sacrificium Missae frequenter, praesertim vero^
diebus dominicis et festivis, atque alias secundum fundationem suorum bcne-
ticiorum celebrare soleant V
55. (16) An in celebranda Missa morem ac ritum catholicum omnino
sequantur, nullo addito, detracto vel immutato; an etiam Canonem integre
legant, an vero eundem omittant seu mutilatum legant?
56. (17) An cantiones ab Ecciesia receptas reiecerint vel mutarint, et
an germanicas cantiones in Missa admiscere soleant, quae et quales illae sint^
et qua auctoritate eas in Ecclesiam introduxerint ?
57. (18). An ipsi intelligant, in quem finem Missae sacrificium pera-
gatur, quem fructum et celebrans et populus astans ex eo capere posstt et
debeat, quid vestes sacrae et ceterae ceremoniae omnes significent Et an
de bis Omnibus pie et religiöse populum instruant eumque admoneant, ut
libenter officio Missae intersit et votis Ecclesiae vota sua coniungat, utque
ima cum sacerdote mortem Christi Deo Patri pro peccatis suis offerat et
frequenti confessione se expurgans si non sacramentaliter, saltem spiritualiter
corpus et sanguinem Christi manducet atque una cum sacerdote pro legitimis
suis Magistratibus, tam ecclesiasticis quam saecularibus, pias ad Deum obse-
crationes fundantV
58. (19) An sint ex ipsorum Parocbianis, qui de Missa impie et irreli-
giöse vel saltem scurriliter et irreverenter sentiant?
59. (20) Utrum doceant populum, quam magnum et sublime sacramentum
Sit Eucharistia, et quantam gratiam, quam magnos fructus ex digna eins per-
ceptione consequi valeat, admonentes, ut unusquisque in summis festivitatibos
et ad minimum semel quotannis, idque in Paschatis festo, ieiunus et confes8u&
piligenti probatione p'raemissa ea fidei puritate et animi devotione ad meosam
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Neue Beitr. z. Gesch. d. Kirchen- Visitation im Bistum MUnster. 371
Domini accedat, ne in poenas a D. Paulo indigne sumentibus comminatas
incidat ?
60. (21) Au soleant Eucharistiam in sacrario seu loco honesto cum
perpetuo lumine conservare et an semper in suis ecclesiis hostias consecratas-
habeant pro infirmis, et, cum Eucharistiam ad infirmos deferunt, lumen et
«ampanellam faciant praeferri ad dandum fidelibus Signum?
61. (22) An in festo corporis Christi aliisque festivitatibus solitis sanc-
tam Eucharistiam cum reverentia circumferant populumque doceant, ut remotis
•Omnibus profanis ludis, iocis et confabulationibus religiöse ac devote pro-
<:edat et oret?
62. (23) An hostias consecratas superfluas religiöse in sacrarium re-
pouere, nee non frustula seu fragmenta hostiarum consecratarum ante ablu-
tiouem tempore oportuno in Missa reverenter sumere soleant?
63. (24) Quomodo soleant administrare sacramentum Eucharistiae ;
Titruni subditos et Parochianos suos sub una an sub duabus speciebus soleant
•communicare, et si sub duabus, qua auctoritate id faciant?
64. (25) An habeant Parochianos, qui sacram Eucharistiam vel omnino
•contemnant vel saltem sub una specie illud sumere recusent, et quorsum isti
se conferant, an illos informent et corrigant aut saltem incorrigibiles superiori-
l)us suis denuncient? *
65. (26) ütrum doceant populum verum usum extremae Unctionis et
^n sacramentum hoc iuxta Agendam Ecclesiae cum orationibus et Litanüs
-aegrotis impertiant. Et an sint ex eorum Parochianis, qui illud sacramentum
contemnunt, atque an tales ab ecclesiastica sepultura arceant?
66. (27) An similiter populum de sacramento Poenitentiae saepe in-
stituant sintque in audiendis confessionibus circumspecti, ut pro peccatorum
•et personarum qualitate salutares et medicinales satisfactiones ininngant et
frequenter admoneant unumquemque Christiauum hominem ex praecepto
Ecclesiae teneri, in summis festivitatibus saltem semel in anno, videlicet in
festo Paschatis, et confiteri delicta et Eucharistiam sumere?
67. (28) Qua verborum forma soleant uti in absolvendo, et an usum
privatae seu auricularis confessionis in Ecclesiis suis retineant an vero eum
immutaverint. Et an sint, qui nunquam aut raro confiteantur?
68. (29) An etiam instruant eos, qui matrimonio iungi affectant, qua
tide et religione in Christo convenire debeant, quem honorem mulier viro
•et vir mulieri debeat?
69. (30) An praemittant tres proclamationcs tribus diversis festivis
•diebus ?
70. (31) An sciant, quot sint tam camalis quam spiritualis cognationis
«ec non affinitatis gradus, in quibus matrimonium sit prohibitum, et an eos
iiumerare possint?
71. (32) An soleant quoscunque advenas et ignotos non ferrentes
testimonia, unde venerint, aut etiam alicnos Parochianos sine istorum Pastorum
lieentia matrimonialiter coniungere?
72. (33) An sint in eorum Parochiis, qui in gradibus prohibitis con-
traxerint saltem clandestine, aut qui divortio facto mutuo consensu sine iudicio
Ecclesiae discesserint?
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73. (34) Utrum doceant plebem orare pro defanctis, ut a peccati»
solvantur, et item pro quibus defdnctis orare debeant, eandemqae pl^iem
institaant, quomodo Sanctos Dei invocare eorundemque intercessionee flagitare
nee non eorimdem reliquias, imagines et dies festos honorare debeant?
74. (85) An de suggestu denuncient, qaibos diebus et temporiba&
jejonia ab Ecciesia sint indicta, diligenter eos admonentes, ut ea semper
servare et a cibis prohibitis oboedienter abstinere studeant?
75. (36) An sint in eorum Parochiis, qui exseqnias et iusta parcntibus^
liberis aut aliis cognatis persolvere recusent, haud aliter ac si cum corporibas
etiam animae illorum essent extinctae?
76. (37) An sint item, qui jejunia Ecciesiae contenmeutes nullo dierum
habito discrimine magno aliorum scandalo cames vorent, aut qui in Sanctos-
Dei eorundemque reliquias et imagines blasphemi ac inter festos ferialesque
dies nullum discrimen facere reperiantnr?
77. (38) An Processiones diebus solitis in signo crucis et vexiliis nee
non aqua benedicta peragant ipsique sciant populumque instruant, quid illa ac
ceterae cremoniae ecclesiasticae significentV
78. (39) An soleant ignotos et vagos sacerdotes aut etiam fugitivo»
et extra oboedientiam constitutos monachos absque suorum Praelatonim seu
Ordinarii testimoniis ad celebranda divina et praedicandum Dei verbam
admittere ?
79. (40) An sint seu in eorum Parochiis venire soleant lupi quidam^
qui vel aperte haeresibus suis gregem sibi non commissum invadant aut saltem
n castris aliisque conventiculis occultis dogmata catholicae iidei contraria
disseminare et sacramenta schismatico more administrare praesumant : qui et
quales illi sint?
80. (41) An sint in ipsomm Parochiis monachi seu moniales apostatae^
qui vel in babitu extra tarnen suum monasterium vivant, vel abiecto etiam
habitu incestas nuptias contraxerint ?
81. (42) An vigeant sub eorum Parochia superstitiones, malaficia^
publica perjuria, adulteria, stupra, incestus, odia, invidiae et praesertim usurae?
82. (43) An sit ibidem contemptus ecclesiasticae jurisdictionis, et an
saeculares judices et magistratus de causis spiritualibus et correctione ecde-
siasticarum personarum se intromittere et sie immunitatem et jurisdictionem
ecclasiasticam perturbare praesumant?
83. (44) Utrum vicini pastores sint catholici an vero schismatici seu
haeretici; utrum in Baptismatis, Eucharistiae, Poenitentiae et Extremae
Unctionis sacramentis catholicam doctrinam et ritus sequantur; an aliquam
immutatiouem fecerint ; an Missam celebare soleant et quomodo ; an admisceant
cantiones germanicas, et quales illae sint; item an praesumant alienos Paro-
chianos ad se trahere et iis sacramenta administrare; qualem vitam agant
et quae de iis bonorum hominum existimatio?
84. (45) An palam criminosos et qui peccati certissimam occasionem
dimittere nolunt, item excommunicatos a sacramentorum communione sanc-
tisjue mysteriis abarceant ac publica peccata publice, privata vero in privativ
confessionibus corrigant Et an fideliter doceant, ut hi, qui criminibus iigati
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Neue Beitr. z. Gesch. d. Kirchen- Visitation im Bistum Münster. 373
sunt, tantisper a sanctoram perceptione mysteriorum- abstineant, donec verae
emendationis propositum sumant et absolvantur?
II. De Vita et moribut Parochorum et reliquorum Clericorum.
1. Quod Sit istorum nomen et cuius sint aetatis. An legitimi vel
illegitimi nati. Et illegitimi, an super defectu natalium habeant dispensationem;
atque ut eam ostendant.
2. Ubi et a quo Episcopo sint ordinati; utrum examinati et admissi,
tarn minores quam maiores ordines successive statis temporibus acceperint,
an vero furtim et per saltum aut etiam extra tempora : et an ad hoc habuerint
dispensationem, ut super his omnibus tarn formatas quam etiam dispensationes
ostendant.
3. An sint veri pastores et cauonicam habeant institutionem, et a quo
illam habeant ; et ut eam ostendant.
4. Quod si sint vicecurati, quisnam verus sit pastor. An ab Archi-
diacono seu Ordinario sint probati et admissi et an habeant tantum, ut honeste
snstentari possint?
5. An alibi professi fuerint monachatum et relicto habitu facti sint
apostatae V
6. An singulis diebus horas canonicas soleant legere, prout tenentur ;
atque ut Breviarium suum ostendant.
7. An concubinam domi detineant aut aliam mulierem, quam sibi
fortassis de facto matriomonialiter copulari fecerint, et quis eos coniunxerit.
Quot habeant proles. Et an plures habeant seu habuerint concubinas?
8. An vestes, nee non tonsurara seu coronam ferre soleant clericalem,
6t quoties eam quotannis tonderi curent. Et an longam hispidamque barbam
consueverint alere?
9. An siot vinolenti et ebriosi, percussores, tabernarii, negotiatores,
venatores, aleatores, usuarii et alioquin reprehensibiles, ut a bonis viris non
bonam habeant testimonium?
10. Utrum custodes Ecclesiarum suarum sint viri catholici et vitae
irreprehensibilis. An norint cantum ecclesiasticum ; an veste alba semper in
Ecclesia utantur; au etiam hirsutam alant barbam, ac alias; an ea, quae
ipsis concredita sunt, rite administrent et custodiantV
11. An patiantur oenopolia et tabemas ante sacrum in Ecclesia
peractum patere ac populum sub divinis et concione circumambulare in coe-
meteriis, ita ut ipsi eundem non corrigant aut saltem superioribus corrigen-
dum denuncient?
12. An habeant populum morigerum et qui in quatuor summis festi-
vitatibus oblationes suas ad altare deferant et missaticum ac alia jura paro-
chialia secundum veterera Ecclesiae ritum solvant?
III. De eccietlit beneficlitque eccietlatticit et eorundum bonit.
1. Sab cuius Sancti aut quorum Sanctorum invocatione aut patrocinio
ipsa principalis ecclesia sit fündata, et quis sit eiusdem Collator. Et an
tantum habeant in annuis reditibus, ut inde honeste snstentari possint?
2. Utrum in eadem ecclesia sint alia beneticia et in quorum honorem
eadem fnndata et dotata; qui sint eorundem Collatores, qui sint eonmdem
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374 P- Bahlroann
veri possessores; ütrum persooaliter resideant an per alios beneficii onus et
debitnm curari faciant. Et an Canonici iustitiiti sintV
3. Uti-um preterea sint alia hospitalia aut sacella in castris nobilium
aut alias in ipsa Parochia sita et quot in illis beneficia sint, ad cuius colla-
tionem pertineant, qui sint eorondem possessores?
4. Utrum omnia omamenta praedictarum principalium ecciesiarum nee
non aliorum beneficiorum aut vicariorum, puta calices, monstrantia, vestes et
similia recte sint conservata; an vero aliquid ex illis alienatum, distractum
aut sublatum sit, per quos illud factum?
5. An praedicta ornamenta decenter sub clausuris a situ, rubigine et
tineis incomipta custodiantur, laventur ac mundentur?
6. An altaria, statuae, imagines sublatae, disiectae et confraetae, per
quos et quando illud factum?
7. An bona ecciesiarum ac aliorum beneficiorum immobilia, ut sunt
agri, praedia, census annui, in totum vel aliqua ex parte sint deperdita, aut
saltem vendita et alienata; per quos et in quos tales alienationes factae, et
quorum auctoritate. Utrum quicquid ex huiusmodi alienationibus redactnm
est in usus ecclesiae, ut beneficii totum bona fide sit conversnm?
8. An sint, qui huiusmodi beneficia supprimant vel extinguant vel
saltem bona et res ad ea pertinentes ipsi occupent eaque sibi usurpent, licet
aliis nomine et titnio tenus conferant: et qui sint isti?
9. An Provisores tarn Parochialium ecciesiarum quam hospitalium
quotannis rationem legitime reddant et de rebus ecclesiae et hospitalium cum
ipsius Plebani consensu ita disponunt, prout debent?
10. An sint ecclesiae, altaria et coemiteria nondum consecrata, aut
consecrata quidem sed postmodum violata et profanata ac nondum reconciliata.
Et an de hoc Ordinarius factus sit certior?
11. An coemiteria sine cognitione et assensu Ordinarii sint angustata
et restricta: per quos et quando id factum?
12. An pro infantibus sine Haptismate mortuts separatim habeant
sepulturas et an loca illa ad alium usum translata aut vendita sint ex toto
vel ex parte, et per quos id factum?
13. An morentur in coemiteriis tabernarii, caupones aut etiam aliae
personae turpes et infames?
14. An ecclesiae adiecta sit aut olim fuerit schola seu paed«go^ium
et an adhuc in vigore sit et quare esse desierit?
IV. De tchola.
1. Quot didascali scholae praepositi sint, et quomodo unicuique corum
de salario suo sit pro vis um ; an certi reditus ad scholam pertineant et quanti
illi sint?
2. Unde ludimagistri illi seu paedagogi sint oriuudi ; utrum sint mouachi
apostatae, scbismatici seu haeretici: an vero catholici, docti honestaeque
conversationis et vitae ac iuventutem diligenter et sedulo instituentes. Et a
quibus isti didascali ab antiquo assumi seu deputari consueverint ac iam
deputentur ac assumantur?
3. Utrum imprimis ea iuventutem doceant, quae ad fidel et religionis
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Neue Beitr. z. Gesch. d. Kirchen-Visitation im Bistum Münster. 375
nostrae fundamentum, hoc est catechismum, spectant, et an hoc ipsum plaue
«t per omnia catholice üat?
4. Utrum libros iuventuti proponant obscoenos, suspectos et contagiosos,
<inibus vel aperte catholica fides oppugnatur vei saltem oblique pueris aliud
agentibus et id ipsum nequaquam sentientibus ea instiliantur, quae noo ex
omni parte sana, incorrupta et catholicae religioni conformia existimantur,
^uales nonnuUorum grammaticae, dialecticae et rethoricae institutiones ac
colloquia V
5. An pueros doceant cantum ecciesiasticum, una cum illis diebus
praesertim festis sacro Mtssae officio, concionibus et aliis divinis laudibus
intersint: an potius eos doceant germanicas Psalmorum cantiones suspectas
et profecto contra genuinum scripturae sensum et intellectum traductas?
V. Inquirenda in collegiatit ac aliit ecciesiit, in quibus Praepositi, Decani aut
Pattoret pluribut Vicariit praesunt'^).
1. Initio sub cuius Sancti patrocinio ecclesia sit fundata. Quot in ea
•existant canonicatus et praebendae, item vicariae, commendae et officiationes V
2. Ad quem seu quos canonicatuum reliquorumque beneficiorum coUatio,
provisio seu quaevis alia dispositio pertineat?
3. Quot et quos habeant in ecclesia Praelatos et in dignitate constitutos.
An habeant jus illos eligendi et quem modum in eligendo sequantur et an
in electione hoc solum spectetur, ut digni et idonei eligantur?
4. An ipsorum Praepositi res, bona, privilegia, Status ac jura eccle-
«iaruro, nee non personas et seiTos ad eas pertinentes potenter et patenter,
prout ex officio tenentur, defendant et vocati a suis debitam praebeant
assistentiam ?
5. An Decanus item Praepositus aut Pastor personaliter apud ecclesiam
resideant: quis ille sit et, si nullum forte superiorem habeant aut is non
resideat, quae sit eins rei causa V
6. An Decanus vel superior laudabili exemplo praecedat, officio suo
strenue fungatur, excessus et insolentiam tam Canonicorum quam Vicariorura
aliorumque subditorum sine personarum respectu poena competenti coerceat V
7. Quoties singulis annis et quibus temporibus capitula disciplinae
•observentur et utrum in bis ea, quae debet gravitas tam in monendo quam
corrigendo adhibeatur. Et praesertim num Decanus tam Canonicos quam
Vicarios ad sacrae scripturae Studium diligenter adhortetur, ut, quid in
•ecclesiis canatur, recte intelligentes non labiis tantum sed etiam cordibus
Deo psallant, gratias agentes ac semper pro omnibus Deum orantes ?
8. An cum Decanus aut superior ex causa rationabili abest, alii idoneo
vices suas committat, ne subditi sine rectore tamquam oves absque pastore
vagenturV
9. An sit in ecclesia Scholastor seu Scholasticus : quis ille sit et an
muneri suo cum dignitate praeesse possitV
10. An caveat diligenter, ne quem emancipet aut emancipandum prae-
sentet nisi idoneum et an scholam trivialem ecclesiae adhaerentem per sincere
^^atholicum, doctos ac probos administrari curet magistrosV
87) Die Fragen 6, 7, 21-30, 32—37 ». 41-tf4 t. bei Tibut, \Veihbi«chöfe pftg. 95^101.
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376 P. Bahlmann
11. An curatum sit, ut in ista schola certos puerorum numerus ad
pietatem et religionem a teneris annis informetur: ac in discipiina ecclesiastica
erudiatur, ex quo tamquam seminario quodam desumi possint ad officia
ecclesiastica idonei, prout in Conc. Trident Sess. 7 sub Pio IV salubriter
constitutum reperitur?
12. An Thesaurarii luminum, oraamentorum ac totius ecclesiae thesauri
diligentem rationem habeant curentque, ne ad sacra admittentur suspensiv
excommunicati, interdicti aut alioquin publice criminosi ac indigni, cum iUud
antiquitus eorum tamquam ecclesiarum custodum fuerit officium?
13. An itidem per Tbesaurarios aut eos, ad quos id de sonsuetudine
spectat, mercimonia, deambulationes sub divinis et quicquid divini officii cele-
brationem impedit aut dehonestat aut alioquin in ecclesiis committere turpe
sceleratumque est, serio prohibeant?
14. An ceteri item Oftiriati ecclesiae, quales sunt Cellarü, Bursarü,
Fabricae Magistri et consimiles, suis quique ofüciis honeste praesint, rationem
ad caiculum legitime suis temporibus reddant, ecclesiae non autem suam
utilitatem quaerentes?
15. An sint in ecciesia Praelati, qui Archidiaconatum habeant annexum :
qui sint illi; quot et quas Parochias* in sui Archidiaconatus regiuncula subiec-
tas habeant?
16. An illi ipsi Archidiaconi suas Parochias ac regiunculas quotannia
bis idque ante Episcopalem Synodum satis mature visitent et an hoc ipsum
per se aut saltem probos et idoneos Presbyteros faciant, an vero coniugatis,
scribis aut alioquin levibus, indoctis et ad tantam rem ineptis hominibus vices-
suas committant?
17. An sollicite Intendant, ut tarn pastores ac aliae ecclesiasticae
personae, quam etiam laici ipsis subiecti in üde et catholica religione tenean-
tur, ut bonis operibus abundent utque tam nascentes haereses et Schismata
quam alia vitia et crimina quamprimum exstirpentur, antequam radices agant
altius, ut re ipsa Episcoporum oculi et sint et dicantur?
18. An vitia et delicta in visitando comperta pro eorundem gravitate
salutaris poenitentiae impositione corrigant, pro publicis criminibus publica»
inungentes poenitentias atque, ubi delicti enormitas id ipsum postulare videtur,
censuris et poenis ecclesiasticis ac canonicis, puta excommunicationis, et aliis
non leviter sed cum maturitate et gravitate utantur, et sie aliis etiam terror
quidam incutiatur?
19. An poenitentiae loco nihil aliud quam pecunias emungant et aa
mulctas pecuniarias in bis casibus, quibus Canones permittant, exactas ia
privatum aut alium pium usum convertant?
20. An acceptis nummis delicta patiantur impunita coniunctosque et
dissimulantes patiantur criminosos in suis insordescere sceleribus magis de
suo lucro quam de animarum sibi commissarum salute solliciti, baudquaquam
cogitantes eas aliquando Deum in die lila magna et valde tremenda ab ipso-
rum requisiturum manibus?
21. An itidem Archidiaconi omnes in Synodo Episcopali personaliter
compareant ibidemque statum et conditionem regiunculae suae exponant et
ad eandem Synodum graviora crimina, ut decet, referant Imprimis an sine
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Neue Beitr. z. Gesch. d. Kirchen-Visitation im Bistum Münster. 377
dissimulatione in ista Synodo aperiant, si quid ad versus fidem catholicam.
pietatemque christianam in suis regiunculis emersisse compererint?
22. Num iidem Archidiaconi de causis et casibus soIi Episcopali po-
testati et jurisdictioni se intromittant ?
23. An iidem designatos ad beneficia diligenter examinent nee ante
admittant, quam et idonei judicati fuerint et solitum juramentum de üde et
^atholica religione servanda, de oboedientia Episcopo, Archidiacono aliisque
Snperioribus praestanda, item de officio beneficii sui implendo eiusdemque
bonis conservandis praestiterint personaliter?
24. Latius an collegiatae ecciesiae annexa sit Parochialis, quis eiusdem
curam habeat, Decanus an Capitulum ; per quem aut quos verbum Dei populo^
annuncietnr ac sacramenta administrentur, an illi per omnia sincere catholici
an vero de schismate et haeresi sint suspecti. Num res sacrae divinaque
officia tam quoad sacramentorum administrationem quam ceremoniarum can-
tusque ecclesiastici observationem more catholico observentur, quemadmodum
antiquitus consuevit atque etiamnum hodie in Maiori Ecclesia Monasteriensi
observatur: an vero aliqua sit facta mutatio, quaenam illa, quamdiu et per
quem seu quos introducta? Et ut novatores illi accersantur a Visitatoribus
examinandi in fide et religione quemadmodum supra de Pastoribus.
25. An divinus cultus in collegiatis ecclesiis quotidie statutis horis
devote et reverenter observetur, prout Canones et ipsorum collegiorum re-
quirit fundatio?
26. Anne verum quod saepenumero et matutinae et vespertinae precea
nonnunquam sacrae Missae officium omittatur in maximnm Christi fidelium
scandalum, et quae sit istius rei causa; num ab ipso Decano et Snperioribus
an ab aliis istius negligentiae trahatur occasio et a quibus?
27. An omnes tam Canonici quam Vicarii suum quisque officium, ad
(|uod ex fundatione vel ex gradu aut alioquin ex ordinatione Su^erioris-
tenentur, sedulo ac prompte faciant. An vero sint, qui id facere recusent
aut negligant aut prae inscitia nee possint nee addiscere curent?
28. An Psalmi et reliqua cantica divina pronuncientur seu canantur
tractim idque voce et sono mediocri, ut mens sensum verborum, priusquam
verba ipsa transmittantur, assequatur. Et anne potius verum ita plerumque
raptim et cursorie cani quasi aut (empus deficiat aut stipis potius quam
divini cultus gratia in Ecclesia fuerint congregati non sine magno bonorum-
oifendiculo V
29. An legentes lectiones aut aliud quid canentes simplici, clara et ad
omne genus pronunciationis accommodata voce utantur, ita ut ab omnibus,.
quid legatur aut canatur, percipi possit?
30. An sub divinis altum teneatur silentium, an vero reperiantnr, qui
confabulationibus , exacrationibus et item cursitationibus non necessarii»
astantes impediant ab intentione verbi Dei, quod legitur, et num isti corri-
gantnr, ut decet?
81. An absentes et qui divinis officiis ab initio usque ad finem non
interjfuenint distributionum seu pruesentiarum fiant partidpes, et nnde illa
consuetndo seu potius corruptela irrepserit?
32. An sacerdos summam Missam celebrans nee non Diaconus et 3ub-
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diaconus, qui eidem ministrant, cum humilitate et devotione suum ofiicxam
peragant, non sub tarn tremendo mysterio circumspectantes aut etiam ad
altare aeu in sedili prope altare confabulantes ; et oum in specialibiis Missis
simüis humiiitas et devotio observetur, ne iidelis populus astans magis ex
consuetudine quam ex timore et Dei amore Missas a sacerdotibus celebratas
arbitretur ?
33. An itidem ceteri Canonici et Vicarii, qui sacris intereunt, ad ea,
quae in sacrificio Miasae aguntur, diligenter attendant vota sua sacrificanti
ac ministerium publicum agenti cum pietate accomodantes, quo eonim parti-
cipes per Dei gratiam efÜciantur, quae sacerdos omnium nomine ad altare
agit et operaturV
34. An similiter ad Eccleaiae orationes, qnas Collectas vocamua, onmcs
Stent aperto (ut Apostolus iubet) capite, idem, quod sacerdos si non ore,
saltem mente orantes. Et praesertim au a Praefatione usque ad completam
Communionem omnes Stent supplices et inclinati verbis sese Canonis accom-
modantes, in quo sacerdos ad Deum loquens omnes ait stare supplices?
3d. An Epistola, Evangelium, Symbolum, Praefatio et Oratio domxnica
tota sine decurtatione cantentur, an vero alia observetur hac in re consuetudo V
36. An Missae speciales ita celebrentur, ne summum sacrum turbetur.
Et an lectiones et orationes sacrae (Canone tamen, «lui semper submissa voce
in Ecclesia legi consuevit, excepto) in illis ita diserte pronnncientur et clare,
ut a circurostantibus audiri et intelligi possint?
37. An Organa aliqnid saeculare ac lascivum resonent et an sileant a
Praefatione eo usque, donec sacerdos pacem populo fuerit precatus, an vero
alia consuetudo observetur?
38. An sub divinis Capitulares conventus soleant liaberi aut ratione
talium tractatuum divina oroitti, et quando ea consuetudo sea potius corrup-
tela invecta, cum divinis peractis ad tales tractatus oporteat accedere?
39. An in tractatibus Capitularibus vota online a senioribus ad juniores
usque dicantnr nee ante concludatur quam omnium suffragia sint audita et
bene consideratum, quod ntaior saniorque pars senserit Et an Decani et
Superiores omnes etiam minimos patienter audiant?
40. An sint aliqui, qui in hisce tractatibus alterius sermoiiem indis-
<nrete interrumpant rixisque et clamoribus dediti nee senioribus lociuii dare
nee ea, quae ad pacem sunt, amplecti velint. Et quinam isti sunt; uum ob
hoc, prout decet, corrigantur?
41. Yigeatne amplius laudabilis illa consuetudo, ut infirmo ecclesiae
membro Extrema ünctio praesente tota congregatione im|>endatar, sicut
Psalmi, Litaniae et Orationes secundum Agendam ecclesiasticam super infir-
mum ab omnibus genibus llexis devote dicantur secundum verba Jacobi Apos-
toli: „Infirmatur quis etc." et quando illa consuetudo desierit?
42. An sint Canonici aut Vicarii de haeresi aut schismate suspecti, et
qui sint illi?
43. An inveuiantur ex Canonicis et Yicariis, qui secundum constitu-
tionem Canonis „Omnis utriusque sexus de Poenitentia et Remissionen ad
minimum semel in anno suis Superioribus aut de eorundem assensn alii
«atholico sacerdoti sua peccata confiteri et sacram Eucbaristiam secundum
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Ecclesiae ritum percipere contemnant. Et an hi secundum Canonem prae-
dictum puniantur, et quinam Uli sint?
44. An sint Vicarii seu Canonici, qui quotidianas distributiones vili-
pendentes vel in totum vel magna ex parte se ab ecciesia absentent, corpo-
ribns interim et oboedientiis et aliis beneßciorum suorum fructibus gaudentes :
non attento quod hi fructus, qui ex corporibus et oboedientiis praebendorum
beneficiorum proveniunt, non minus pro officio in ecciesia continue faciendo
a piis hominibus dati sint quam praesentiae quotidianae. Quinam sint isti et
quid rernm agant?
45. An sint itidem Canonici ant Vicarii, qui tempore divinorum aliis
psallentibus extra chorum spatiari soleant vel in choro desidentes aliud agant
quam id, quod illic ab omnibns üeri convenit?
46. An sint, qui horas canonicas raro aut uunquam legere consueve-
rint aut etiam, qui ne Breviaria quidem habeant, atque ut singuli ea Visi-
tatoribus ostendant.
47. An sint Canonici concubinas apud se publice multorum offendiculo
detinentes, ut eorum delictum nulla tergiversatione possit celari, et qui
sint istiV
48. An sint, qni tonsuram et habitum clericalem deferre contemnant,
contra statuta synodalia antiquissimamque huius Dioecesis consuetudinem
prolixam barbam alere et capillos ad cutem usque rädere non erubescant?
49. An sint, qui sine ulla verecundia publice excelsos pileos sertis
aureis, argenteis ac gemmeis atque etiam avium pennis ac plumis decoratog
imo dedecoratos gestent ac in caligis et vestibus sectis dissectisque etiam
gladiati ac pugionati (ut ita loquamur) non secus ac milites, vel, si verum
liceat dicere, scurrae potius conspiciantur in plateis: imo in ipsts etiam ec-
clesiis in totius clericalis ordinis dedecus et offendiculum piorum omnium, et
qui sint isti?
oO. An sint, quos linitis sacris talarem tunicam amplius deferre pudeat
et potius in laicali brevi pallio videri vel potius videri velint: pedes in di-
versis, alterum videlicet in sacris, alterum autem in profanis ponentes?
51. An sint inter Canonicos et Vicarios usuarii, caupones, tabemarii,
negociatores, venatores, ebriosi ac temulenti, rixis ac convitiis dediti, men-
daces, leves, nugigeruli, inoboedientes ac refractarii, qui qnotidie et laicb
offendiculum et superioribus suis negotium molestiasque praebeantV
52. An sint, qui luxu, alea, vestitu nimis delicati aut alioquin turpiter
non modo suum, verum etiam Christi Patrimonium prodigant, eleemosynas
autem, prout debent, dare omittantV
53. An sint Canonici, qui con^irationes, quas ligas vocant, inter se
contra suos superiores aut alios fratres faciant?
54. An juniores Vicarii senioribus, inferiores Canonici superioribus et
item Vicarii Canonicis, omnes autem suis Praelatis et Praepositis debitum
honorem et oboedientiam praestent?
55. An jura, litterae et monomenta ecclesianim in Archive sub clau-
sura asserventur et an diversi ad Archivum claves habeant, ita ut fraus
aliqua committi non possit?
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380 P- Bahlmann
56. Au bona ecclesiarum immobilia aiiqaa alienata sint ; quando, quibus
ex cansis et in quos alienatio facta et in quem usnm pecuniae conversae?
57. An Ecclesia ab aliquibus vi ant alia machinatione sinistra sais
juribus, bonis, decimis censibusque defraudetur; a quibns et quo colore id iiat?
58. An templa conserventur sarta tecta et an domus et aedificia ad
ecciesiam spectantia saltem in anno semel inspiciantur cureturque, ne inha-
bitatorum negligentia in dispendium ecciesiae intereant?
59. An in ecclesia altaria, statuae vel aliud quid disjectum, confractum
aut alias ablatum; quando et per quos id factum?
60. An Canonici et Vicarii Executores Testamentorum testatore mortuo
confestim in fide dignorum testium et Notarii praesentia de bonis defuncti
etiam minimis inventarium conficiant ac obsignanda obsignent, ne (ut fieri
«ölet) per familiam, cognatos ac alios bona praesertim mobilia diripiantur?
61. An tale inventarium nee non testamentum, si quod repertum est,
vel Capitulo vel etiam Sigillifero, prout quaeque ecclesia privilegiata existit,
per Executores intra debitum tempus exbibeatur, ut executionis commissionem
accipiantV
62. An sint, qui testamentorum executionem ultra annum absque causa
et dilatione impetrata protrabant, aut ea, quae ecclesiis, pauperibus vel etiam
aliis legata sunt, vel sibi retineant vel in alios usus, quam testator destinaverat,
convertant ?
63. An Campanarii, qui dicuntur, satis sint ad id officium idonei, ad
minus sint clerici et in lineis officium suum faciant nee barbam alant?
64. Au Sacra vasa, vestes, omamenta ac alia sibi commissa studiose
conservent, sollicite curantes, ut in ecclesia expurgatis sordibus mundities
appareat, aliaque sui officii quae sunt debite exequentes?
VI. Forma inquirendi in monasteriis Monachorum.
1. Imprimis fiat inquisitio de Regula Ordinis : an haec fratibus singulis
mensibus ad minimum semel praelegatur et an probe ab omnibus intellecta
eommendetur memoriae ac teneatur?
2. An sancta oboedientia vigeat, et an \ivatur in monastica paupertate
et sancta continentia?
3. An quisquam quid propra sibi vindicet, qualecunque etiam hoc sit,
aut habeat privatum peculiumV
4. An Deus die noctuque horis statutis psalmodiis et laudibus colatur
piisque precibus pro communi salute et Ecciesiae prosperitate pulsetur. Et
an Sacra Missarum solemnia tam pro vivis quam defunctis ad Regulae et
antiqui moris praescriptum et secundum fundationes eiusmodi divinorum
•officiorum celebrenturV
5. An pax inter fratres, inter Laicos identidem, qui conversi vocantur,
vel devoti totamque monasterii familiam effloreat?
6. Num clanculum mutuo invideant ?
7. Num contentionibus, rixis et dissidiis conflictentur ?
8. An humilitatem insinuent, mutuum ament et patientes sint invicem
libenter condonantes, si quis adversus alium habet querelam?
9. An rerum coelestium meditationi et aliis studüs piis et honestis
sedulam dent operam?
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Neue Beitr. z. Gesch. d. Kirchen- Visitation im Bistum Münster. 381
10. An habeant quotidie lectionem aliquam Sacrae Scripturae illastra-
tricem, qua devotionem suam alent seque ad cognoscendam et ad implendam
Dei voluntatem inflammentV
11. An habeant iustam curaro instruendae bibliothecae, quae et inspi-
cienda estV
12. An scripturas expositas diligenter tractent et secum ruminent,
quo se (quibus hoc muneris incumbit) ad praedicationem verbi divini eius-
modi exercitatione tarn pia aptos efficiant?
13. An tempore, quod eis a celebratione divinorum et lectionibus
reliquum est, semper pii et honesti aliquid agant, quo diabolus eos nunquam
otiosos, sed semper reperiat occupatosV
14. An interdum in cubiculis aliqui compotent, ludant aut luxui indul-
geant aut etiam saeculares dam ad se invitent?
15. An rebus profanis seu mechanicis artibus suam professionem non
decentibus et a pietate avocantibus incumbant?
16. An statim a completorio suum quisque petat cubiculum et in
silentio agatV
17. An iusto tempore claudatur et aperiatur dormitorium? .
18. An messium tempore rusticorumet mulierum coetibus se immisceat?
19. An monachis bonae indolis, qui progressum aliquem in litteris et
Sacrarum Scripturarum cognitione fecerint et se ad aliud snae provinciae
monasterinm, in quo schola celebrior et professio frequentior et accuratior
habetur, mitti petunt, ut illic in sacris litteris simul et religionis observantia
magis ac magis institnantur ac proficiant, copia iiat illa concedendi?
20. Quaerendum de vita et conversatione Praelatonim.
21. An visitatio proxima rite sit observata?
22. An Praelatus, quae ad observationem Ordinis et religionis pertinent,
diligenter prosequatnr et in exigenda Regula et statutis Ordinis fervens
conspiciatur ?
23. An eadem etiam ad christianam pietatem et aequitatem pro ratione
personarum et aliarum circumstantiarum moderetur, ut semper primas obtineat
fratema charitas et magis spectetur in omni opere pietas, quae ad omnia
valet, quam exercitatio corporalis, quae ad modicum utilis est, ut testatur
Apostolus 1 Timoth. 4.
24. An bonum exemplum fratibus alüsque subditis suis praebeat in
religionis observantia V
25. Num saepe ex monasterio discedens alio proficiscatur seu extra
illud habitationem suam constituat vel longam moram trahat?
26. An pacem, tranquillitatem et concordiam inter omnes sibi subiectos
nutriat ac conservet?
27. An fratres ad studia sacrarum litterarum sedulo invitet?
28. An mensa communis habeatnr, et qualis sit victus quotidianus?
29. An Praelatus convivetur communiter cum fratribus mensa communi
contentus an privata magis oblectent?
30. Num otiosos et vanos faciat sumptus?
31. An familiam superfluam, vel equos ad fastum vel pompam potius
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382 P. Bahlmann
quam ad necessitatem piincipum more nutriat magisque saecularem quam
religiosam ducat vitamV
32. An magis in hamilitate vivat frugaliter et quae ultra necessita-
tem supersunt in pauperes et educationem studiosorum, quo possint Ecclesiae
olim usui esse, expendatV
38. An honeste cum laicis conversetur et qualis sit hospitum receptio V
34. An sua negligentia fratres luxui et compotationibus studeant?
35. An ad mensam Sacrae Scripturae cum homiliis Patrum aptae tem-
poribus semper legantur?
36. An vitia fideliter et strenue corrigat citra personarum acceptio-
nem canonicam et regulärem exercens disciplinam. Et an capitula disciplinae
crebro et secundum praescriptum Regulae diligenter observentnrV
37. Item diligenter quaerendum de clausura monasteriorum et ingressa
laicorum et mulierum.
38. An Silentium iuxta Kegulam teneaturV
39. An sint inter eos, qui suos habeant privatos congressus, qui in-
vicem conspirent et dissidia excitentV
40. An mutua reverentia inter fratres colatur et an colloquia, dum
colloqui licet, pia sint et religiös^?
41. Quaerendum quoque an certus sit in monasterüs numerus perso-
narum aut incertus.
42. An suppetat victus et an res et bona suis monasteriis dicata pos-
sideant et an injustis gravaminibus laicorum divexentur?
43. An habeant ecclesias parochiales incorporatas V
44. Qualis sit talibus ecclesiis curator praefectus, cuius aetatis, vitae^
doctrinae, conditionisV
45. An sufficientem portionem ex Parochiae fructibus, unde se boneste
alere possit, ei assignaverint, ut non sit illi necesse, se sordidis ministeriis
addicere seu officium negligere?
46. An talis curator sit tab oboedientia Praelati et an per visitatio-
nem Praelati vita et mores eins interdum explorentur?
47. Quaerendum de officiis: an qui officiis praefecti sunt, ut sunt
Priores, Subpriores, Praefecti scholae, Camerarii, Sacristae, Cellarii et Pro-
curatores et id genus alii suis singulis officiis graviter et religiöse incurabant,
iuxta Regulae decreta?
48. Qui sunt illorum mores, quae vita, quae conversatio?
49. An officiis impositis ad licentiorem vitam vivendam et ad luxum
abutantur?
50. An sint in ministeriis fideles, aequi, non praefracti sed modesti et
mansueti, continentes et casti?
51. Est quoque diligenter quaerendum de habitu et conditionibus
fratrum conversorum.
52. Deinde an sint ex monasterii sodalitio aliqui facti desertores sni
monastici instituti et fugitivi, apostatae?
53. An siut, qui habitnm abjecerunt, qui sunt vel haeresi poUuti vel
de ea suspecti?
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Neue Beitr. z. Gesch. d. Kirchen- Visitation im Bistum Münster. 383
54. An facti sint quidam exiticii, qui se incestis nuptiis polluenint
aut qui extra septa monasteriorum concubinis vel feminis de incontinentia
suspectis cohabitent?
55. An sint, qui sub praetextu dispensationum Apostolicarum, quae
ab Ordinariis causa legitime cognita non fuerint approbatae, vota religionisque
suae institata deseruerint?
56. Ubi tales refractarii et votifragi foveantur et receptcntur?
57. An sint, qui parvulos in baptismo suscipiant aut nuptiarum con-
viviis intersintV
58. An comoediae ludantur in monasterio et quae?
Apud fratres quatuor ordinum mendicantium hoc interrogatorium ad-
jiciendum est : An audiendis confessionibus se intromittant alii quam praesen-
tati? Et illic quoque diligenter examinandi sunt lectores et concionatores
de doctrina, et inspiciendi libri, quibus utuntur.
Cetera pro diversa locorum, ordinum et monasteriorum conditione et
pro rerum et casuum subinde accedentium ({ualitate Yisitatorum discretio
suppleat.
VII. Formula inquirendi in monatteriit Sanctimoniallum.
De iisdem fere pro Yisitatorum tamen circumspectione et prudentia
inquirendum est de quibus in virorum monasteriis inquiri oportet, exceptis
articulis, qui solos monachos proprie respiciunt, quorum loco Visitatores alia
interrogatoria congrua personis substituent, qualia sunt: quibus affectibus et
qua forma ad electionem Abbatissarum ac aliarum, quibus monasteriorum
moderatio commissa est, procedatur.
1. An in eligendo servetur Regula cessetque omnis impressio et corruptio ?
2. Quomodo ab bis, qui ofßciis praesunt, ea gerantur?
3. Et imprimis post inquisitione^ factam de Abbatissa, Priorissa, Sub-
priosissa, Cellaria, Procuratrice et reliquis, quae in officiis sunt, quaeren-
dum erit.
4. An sit in monasterio ludimagistua .seu scholae Praefecta, quae
latine novit?
5. Et an hacc diligenter et sedulo instituat in rudimentis grammaticis
virgunculas juniores; et an formet eas ad pietatem et religionem?
6. Et quaenam rudimenta tradat et quos libellos ad pietatem perti-
nentes rudioribus virgunculis praelegat et exponat?
7. An etiam in vigiliis dierum festorum et ipsis diebns festis exponat
suis cholasticis virginibus hymnos, sequentias, Epistolam et Evangelium Dei?
8. Et an ad litteram saltem sciat exponere Psalterium ?
9. Quibus libellis vel ad suam instructionem vel ad precandum Deum
virgines utantur, qui etiam sunt inspiciendi simnl cum libris, quibus utuntur
in ofßciis divinis?
10. An habeant concionatorem aliquem virum gravem et catholicum, a
quo audiant verbum Dei diebus saltem festis?
11. Et an idem vel alius non minore gravitate, integritate, discretione
et prudentia sit eis a confessionibus?
12. An is ex iusta causa petentibus permittat virginibus etiam alii
catholico pio et discreto sacerdoti confessario confiteri?
Wettd. Zeitichr. f. Oetoh. n. Kunst. VHI, IV. 29
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384 ^' Bahlmann
13. An suis temporibos iiixU Regolae praescriptom commimicent?
14. Item de observatione cultos divini at supra de monacbis.
15. An habeant fidum, frugalem et honestum Oeconomunif qui quater
in anno et quoties poscitur, paratus sit reddere negotiorum suorum rationem ?
16. Et an hactenns res monasterii meliores fecerit seu saltem non
deteriores V
17. Et tales viri Visitatoribus sistendi sunt examinandi de Wta et
doctrina.
18. Quaerendum est de ecciesiis incorporatis (si quas habeant) ut
supra in formula inquirendorum monachorum.
19. Num sanctimoniales^ extra septa suorum monasteriorum contra
Regulam Ordinis sui se interdum proripiant, cum potius intra ea latere debeant
ac soli Deo, pudicitiae amatori, cai se consecrarunt, quemque repudiatis huius
saeculi amatoribus praeoptarunt, illibatas [se] conservare?
20. An pateant \irornm conspectibus seu an permittant nris monaste-
rium ingredi excepta inevitabüi necessitatis causa V
21. An habeant ullae picturas inhonestas et nimis saecnlares in suis
cubiculis V
22. An conversationem aliquam suspectam habeant cum extraneisV
23. An permittatur eis accipere epistolas vel dare extra monasterium,
quas non legat prius Abbatissa vel illa, cui regimen conventus incumbat?
24. An permittatur illis cum extraneis privata coUoquia habere et
suis uti diverticulis ?
25. Quibus artificiolis, quod superest temporis a finitis sacris, lectione,
precibus et contemplationibus divinis, terant?
26. Num studiosae sint artis, quae citius feratur a saecularibus quam
spiritualibus Deo dicatis virginibns, qualis est consuendi acupicta, sudariola
et inclusa?
27. Breviter num exercitationes amplectantur, quae citius meutern
Deo dicatam evertant atque in mandum retrahant, quam diabolum per otium
insidiantem propellantV
28. An sint inter eas conspirationes seu ligae quaedam, ut vocant?
29. An sint, quae dissidia, rixas et contentiones excitent, iracundae,
invidae odii, tenaces, contumeliosae seu maledicae, obtrectantes, detrahentes,
detrahentes, calumniatrices, mendaces etcV
30. Inter rogand um, ut de monachis dictum est, de oboedientia et
paupertate, an quid proprium possideant et de custodia continentiae.
31. De mensa communi et quis ac qualis victus singulis quibusque
temporibus praebeatur.
32. An propter victum vel similes ob causas sint inter eas murmu-
rationes et turbulentae indignationum specificationes ?
33. Indagandum, an alicubi religionis snae bene et sancte institutae,
quam et professae sunt, habitum deposuerint et vestes saecnlares religionis
taedio aptaverint cum fidelium scandalo et Status sui ignominia, cum videantur
religionem pro veste posuisse, sicut impudica mulier cum veste pudorem ponit
34. An tales sub excommunicationis poena monendae sint, ut habitum
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Neue Beitr. z. Gesch. d. Kirchen- Visitation im Bistum Münster. 385
Depositum recipiant, nee aliae videri velint quam quales se profitentur, hoc
est sponsas Beo dicatas?
35. An sint, quae uUa fatua superstitione teneantur, quae Ulis exi-
menda est, inflammandaeque sunt ad verum Dei cultum et vivam charitatem?
VIII. Inquirenda in monatterlis Canonissarum saecularium ^).
Cum haec monasteria fere constituta sint instar coUegiatarum eccle-
siarum proinde eorum pleraque, quae illic inquiri oportet, hie quoque secun-
dum conditionem personarum et locorum ac secundum discretionem Yisitato-
rum indaganda erunt.
Praeterea inquirendum fere de omnibus his, quae investiganda sunt in
monasteriis sanctimonialium, exceptis his, quae tria illa substantialia vota
respiciunt. Speciatim autem interrogetur :
1. De forma et modo eligendi Abbatissam et reliqua ad officia Ecclesiae
gerenda.
2. Et an eiusmodi electiones pure üant spectata tantum Ecclesiae
utilitate, an per corrupUonem, impressionem vel alio illicito modo?
3. Quaerendum de ecclesiis incorporatis.
4. Num mensam habeant communem vel suam quaeque peculiaremV
5. An communi utantur dormitorio, ne pudicitiae insidiatori sathanae
detur occasio ad incontinentiam tentandam?
6. Num nimis exquisito et procaci habitu utantur incedentes vestibus
nimis saeculariter comptis et excultis?
7. An in his monasteriis filiae nobilium discant non lascivire, non
«uperbire, sed Deum timere et pietati studere?
8. An piis exercitiis assuescant et non solum a malo sed ab omni
specie mala abstineant et non alicui malae de se suspicioni causam praebeant ?
9. An permittatur viris seu procacibus adolescentibus in ipsam etiam
noctem, quamdiu eis übet, cum virginibus commessari et confabulari. Et an
illis permittant intra monasterii septa dormire?
10. An Abbatissae collegiorum nobilium virginum, quas tanto magis
oportet collegiis suis adesse quanto virgines illae maiori custodia sunt dignae,
perpetuo apud ea resideant?
11. An eiusmodi Abbatissae diligenter prospiciant, ne quid in huiusmodi
collegiis committatur, quod aliquam habeat mali speciem?
12. Et praesertim an diligenter observent, ut omnes in dormitorio
communi nocte decumbant et in habitu ipsas decente *incedant ac hora^
canonicas rite persolvant ceteraque, quae probatae earum constitutiones et
Beformationis Caesaris etc. formula exigit?
13. An sint Abbatissae, quae plurium collegiorum in se curam rece-
perint et tamen nulli eorum suum quod debent officium rite praestent?
14. Qualis Sit illarum familia: quo Gappellano et quibus ministris et
officialibus utantur?
15. An Praepositissae, Decanissae et alia officia Ecclesiae gereutes
38) Völlig abweichend ron Diekamp^t „InterrogaU in ooUegiatis nobilium Tirginam**
(1- 0. pag. 173—176), die daher doch wohl späteren Ursprungs sind.
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386 P* Bahlmann
oMciis suis rite faagantur. £t praesertim an, quibus aliqoa administratio
bonorum commissa est, frugales sint et fideles?
16. Ante omnia diligenter quaerendum, quaenam sint [sie!] inter
Canonissas, quae virgines legere, canere et, quod legunt et canunt, intelligere
doceat. Et an illa suo munere sedulo et diligenter fungatur?
17. Qualis Sit familia virginura : an verecunda, sobria, pudica, breviter
bonae famae ac laboriosaV
18. An vero ministreut eis puellae iuvenculae, lascivae, ad saectüum
comptae, procaces, otiosae et famae non satis integraeV
19. An in bis collegiis cura pauperum babeatur: quod reliquum est
a levata mensa inter pauperes distribuatur V
In bis monasteriis, ubi ita agitur plus satis licentiose, ut nullus unquam
Pontifex bunc statum seu vivendi conditionem voluerit approbare, multa opus
est ex verbo Dei instructione, admonitione et exbortatione, quam oportet
adhibere in spiritu lenitatis, nam bic minus parum promovebit.
Quod ad inquirendos Canonicos, Vicarios et alios ministros harum
ecclesiarum attinet, eadem omnino forma servabitur, quae in collegiis viroram.
Diese Fragen gewähren selbst ebne die Antworten schon ein
wenigstens annäherndes Bild jener Zeiten, da in ihnen ebenso erschöpfend
die vorhandenen Schäden wie die Forderungen der kirchlichen Behörde
an Olerus und Volk zum Ausdrnck kommen. Als ein Beweis for die
Bedeutung, die man ihnen von vornherein zugeschrieben, darf wohl
gelten, dass noch i. J. 1571 ein Teil derselben in deutscher Über-
setzung erschien, unter dem Titel:
Affdruck | Der Inquisition ader | des gründtliken vndersochens
der trefßiken fragstücken, der | bestendiger vnde Christlicher Re-
ligion, vnd Geloueos, der | jennigen so }in Stifft Münster gesessen,
nhu neuwelick | jtziges Jaers Dusent Fünffhundert Ein vnnde
süuentich ym September von denn Geistliken des ortz gedaen, vnd
angericht, jedermen- | lick ghar nütte vnnde leeflick | tho lesen.
Malacbie 2. | (3 Zeilen) | Eseckie 13. | (1 Zeile) | Heseckie 13. | (2
Zeilen) | Gedruckt. | Mit gnaden vnde fr}heit Jhesu Christi, | der
Apostolen vnde Apostoli- | sehen Kercken. ] Im Jaer 1571. |
Ein vollständiges Exemplar vermochten wir leider nicht au&u-
treiben; der auf dem Königl. Staats-Archiv zu Münster aufbewahrte
erste Bogen (4 BU. 4^) enthält ausser dem Titelblatt in 31 Absätzen
die Übersetzung von I 1, 4, 10, 40—45, 54 — 58, 60, 61, 63, 67,
73, 75—77, 81, 83 und 11 1—3, 6, 7. — Zwölf Jahre später be-
gegnen wir allerdings nochmals einer Übersetzung von einzelnen Fragen
und zwar (wenn auch in ahderer Reihenfolge) von I 1—4, 8, 10—12.
17—19, 22—26, 29, 30, 41 — 45, 50, 53—56, 60—62, 64—69.
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Neue Beitr. z. Gesch. d. Kirchen- Visitation im Bistum Münster. 387
74, 77 und II 1 — 8; diesmal jedoch in dem von gegnerischer Seite
verfassten und 1583 nächtlicher Weile in Münster verbreiteten Buche
„Mönstersche Inquisitio", das wir nebst des Fabricius Gegenbericht und
dessen Widerlegung in der Zeitschr. f. vaterl. G^sch. u. Altertumsk.
Bd. 47 Münster 1889 I ausführlich beschrieben haben.
»-«►^0€^o-
in Sachen von Dietsch: „Evangelische Kirche
von Metz'^
Jahrgang VIII, S. 184 ff. dieser Zeitschrift wird unser Buch „Die
Evangelische Kirche von Metz'* von dem Archivdirektor des Bezirks Loth-
ringen, Herr Dr. Wolfram zu Metz, in einer Weise besprochen, welche uns
eine Erwiderung in derselben Zeitschrift zur Pflicht macht. Dr. Wolfram hat
sein Urteil auf leichtfertige Weise und auf Grund unzulänglicher Kenntnis
der von uns benutzten Quellen abgegeben. Dazu scheint er unsere Eigen-
schaft als Pfarrer, welcher vor allem für die Glieder seiner Gemeinde und
dann für die Evangelischen im allgemeinen, welche ein Interesse für unsere
hiesige Kirche haben können, schreibt, nicht haben in Betracht ziehen
wollen. Auch der Zweck unserer Arbeit ist ihm entgangen, wahrscheinlich
weil er unser Vorwort nicht gelesen hat. Seine unbegründeten, ungerechten
Angriffe werden wir so kurz als möglich beantworten, um die „Westd. Zeitschr."^
nicht über Gebühr in Anspruch zu nehmen.
Dr. Wolfram wirft uns vor, unser Buch in nicht leidenschaftsloser
noch unparteiischer Weise geschrieben und es in seinen wesentlichen Teilen
aus dem Ende 1884 erschienenen Werke von Thirion „Etüde sur Thistoire
du protestantisme k Metz** übersetzt zu haben. Und um beide Behauptungen
zu begründen, zitiert er zuerst Teile aus unserm Buche, und dann stellt er
in zwei Kolonnen Sätze aus Thirion^s Werk und aus' unserm Buche neben-
einander. Wir werden in unserer Erwiderung zeigen, wie unberechtigt letztere
Anklage ist. Was die „Leidenschaftslosigkeit^ und die „Unparteilichkeit*'
betrifft, so verweisen wir auf eine einen Druckbogen umfassende Broschüre,
welche wir in diesen Tagen über die Angelegenheit haben erscheinen lassen.
Wir bitten den Leser noch, zuerst das Vorwort unseres Buches in
Kenntnis nehmen zu wollen. Er wird erfahren, dass wir weder als Geschicht-
schreiber noch als Geschichtsforscher auftreten wollen, sondern einfach als
Pfarrer, welcher „auf Grund sicherer Quellen" den Gliedern seiner Gemeinde
die Geschichte ihrer Kirche ei-zählen will. Nicht ohne Absicht haben wir
daher unser Buch nicht „die Geschichte etc.** sondern „die Evangelische
Kirche von Metz^ betitelt. Wenn er unser ganzes Buch zu lesen sich be-
mühen wird, 80 wird er erfahren, dass wir fest, aber gerecht in unserm Ur-
teile sind. Da wir nach allen Richtungen hin einen freien, d. i. liberalen
Standpunkt, einnehmen, so können wir auch allen religiösen Anschauungen
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388 In Sachen von Dietsch: Evangelische Kirche von Metz.
gerecht werden. Nur zwei Dinge geissein wir unbarmherzig : die VerfolgnngB-
sucht, wo wir sie finden, und die dieses Laster, aus politischer und anderer
Klugheit, zuchtende Nachsicht und Schonung.
Wir haben an unserm Buche (ein ev. Pfarrer zu Metz verfugt zu
wissenschaftlichen Studien über nicht allzuviel Zeit), wie es nun vor ans
liegt, über acht Jahre gearbeitet. Als das Werk Thirion's „Etüde sur lliist.
du prot. k Metz" erschien, hatten wir alles, was wir zu Metz selbst an ge-
druckten und handschriftlichen Quellen zu unserm Zwecke finden konnten,
und manches anderwärtige bereits gesammelt und geordnet, und unsere Auf-
gabe war soweit gediehen, dass wir mit der Einteilung unserer Geschichte
in sechs Teile fertig waren. Die Doktorthese von Thirion kam uns zu sehr
ungelegener Zeit in den Weg, und machte uns zuerst stutzig und kühlte uns
ab. Wir sahen aber bald, dass dieser unsere Geschichte vom politischen
Standpunkte aus behandelte, während wir sie nur vom kirchlichen und reli-
giösen aus erzählen konnten. Somit arbeiteten wir ruhig weiter, indem wir
Thirion selbst, soweit es anging, als Quelle benutzten. An den in Paris be-
findlichen und von ihm gebrauchten Quellen konnten wir aus Mangel an 2^t
selbst nicht schöpfen, wie wir in unserm Vorwort erklären. Wir zitieren aber
Thirion, da wo wir ihn zu Rate ziehen. Hätten wir sein Buch unbenuzt ge-
lassen, so wären wir in den von Dr. Wolfram begangenen Fehler verfallen,
welcher unser Buch kritisiert, ohne die Quellen, und darunter zwar die
wichtigste — nämlich einen Aufsatz von 0. Cuvier in der Encyclop^die des
Sciences religieuses von Lichtenberger, 1880, den Thirion zweifellos reichlich
benutzt hat — wie uns scheint, nur dem Namen nach, zu kennen. Nun
zur Sache.
Einteilung der Werke.
Thirion. Dietsch.
Einleitung. I. Teil.
Kirchliches und Unkirchliches vor
der Reformation.
L Teil. n. Teil.
Von 1519 (?) bis 1552. Von 1521 bis 1561.
Von Cornelius Agrippa oder von Von Beginn der Reformation in
Anfang des 16. Jahrhunderts bis zum Metz bis zum ersten Sieg derselben
Einzug der Franzosen in Metz. und der Gründung der reformierten
Kirche daselbst.
II. Teil. in. Teü.
Von 1552 bis 1598. Von der ersten freien Religions-
Vom Einzug der Franzosen in Metz Übung der Protestanten in Metz bis
bis zur Veröffentlichung des Ediktes zur Veröffentlichung des Patentbriefs
von Nantes. von Senlis, welcher Metz das gewährte,
was das Edikt von Nantes .den Huge-
notten in Frankreich.
III. TeU. IV. Teil.
Von 1598 bis 1685. Von 1592 bis 1685.
Von der Veröffentlichung bis zur Von der Veröffentlichung des Pa-
Aufhebung des Ediktes von Nantes, tentbriefs von Senlis bis zur Aufhe-
bung des Ediktes von Nantes.
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In Sachen von Dietsch: Evangelische Kirche von Metz.
389
Thirion.
IV. Teil.
Von 1685 bis 1715 (?)
Unmittelbare Folgen der Aufhebung
des Ediktes von Nantes und Zer-
streuung der Protestanten von Metz.
Dietsch.
V. Teil.
Von 1685 bis 1787.
Von der Aufhebung des Ediktes
von Nantes und ihren Folgen bis zur
Veröffentlichung des Toleranzediktes
von Ludwig XVI, wodurch den Pro-
testanten in Frankreich ein Civilstand
gesichert wird, und zum Wiederer-
wachen der reformierten Kirche von
Metz.
VI. Teil.
Von 1787 bis 1888.
Leben und Verfassung der während
der Revolution wiederstandenen evan-
gelischen Kirche von Metz von ihrer
Neugründung bis heute.
Diese Nebeneinanderstellung beider Einteilungen bedarf keines weiteren
Kommentars. Jeder unparteiische Leser wird sich überzeugen können, dass
sie grundverschieden voneinander sind.
Um unsere ^Übersetzung des Wesentlichen '^ aus der Etüde sur l'hist'
du prot. etc. von Thirion nachzuweisen, zitiert nun Dr. Wolfram einige Aus-
züge aus beiden Werken und stellt sie nebeneinander. Die ersten ganz un-
wichtigen Sätze und Ausdrücke, die man zu hnnderten in allen Büchern finden
kann, wollen wir übergehen und an dasjenige uns halten, welches, weil ge-
schichtliche Thatsachen enthaltend, von Wichtigkeit ist. Wir fügen in einer
dritten Kolonne die Quelle bei, an welcher wir geschöpft haben.
Thirion.
S. 47. Une mal-
heureuse femme ac-
cusee d^avoir mal
parl^ de la messe et
du pape fut condam-
nee h etre noy^e.
Dietsch.
S. 76. Eine arme Frau
hatte den Mut, gegen
das Verbot unehrerbietig
vom Papste und der rö-
mischen Messe zu spre-
chen; sie wurde deswe-
gen zum Tode durch Er-
säufen in der Mosel
verurteilt. (Das Leben
wurde ihr zwar aus
besonderer Gnade ge-
schenkt, dafür aber wur-
de ihr die Zunge abge-
schnitten, und ein Ver-
bannungsbefehl über sie
verhängt).
Quelle.
Calvini opera XL Gol.
649 f. Myconius Calvino. —
Amputavit (Boysot) prae-
terea linguam mulierculae
quae invecta erat in missam
papae verius quam petulan-
tius, et haec poena fuit ex
gratia, nam sententia lata
mergi debebat. Hodie cum
multis aliis exsulibus Ar-
gentinae moratur.
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390
In Sachen von Dietsch: Evangelischo Kirche von Metz.
Thirion
8. 156. La nuit
suivante un courrier
vint annoncer ä Char-
les IX qae le 13 Mars
son frere avait vaiucu
les calvinistes k Jar-
nac . . . Ivre de joie
Charles IX ordonna,
bien qu'il föt minnit,
qu^on Bonnät aassitöt
en signe de nctoire
la grosse cloche mu-
nicipale appel^e la
Matte . . . Le lende-
main se fit en actions
de gräces une pro-
cession solennelle que
suivit la cour.
S. 338. Elle n'avait
encore subi que la
moindre partie des
^preuves qui lui
^taient räserv^es.
Olry fut remis en
possession de son
Office de notaire ro-
yal, mais la douleur
habitait cette triste
maison ou chacun se
reprochait de n'avoir
pas pers^v^r^ dans
sa foi.
Dietsch.
S. 136. Am 13. März
1569 kam es . . . zar
Schlacht bei Jamac . . .
Die Kunde von diesem
Ereignisse (kam acht
Tage später nach Metz
und) wurde dem König
in der Nacht vom 20.
zum 21. März (um 11
Uhr) überbracht. Sofort
Hess er die grosse Glocke
im Munsterturm, Mute
genannt, als Zeichen der
Siegesfreude anziehen . . .
Am andern Morgen wur-
de gleich in der Frühe
eine allgemeine Dankes-
prozession gehalten (wel-
che der König und sein
Hof mit ihrer Gegenwart
beehrten).
S. 289. Dies war je-
doch nur der erstere und
geringere Teil ihrer Lei-
den: (es erwarteten sie
noch viel härtere Prü-
fungen) Olry wurde aller-
dings wieder in sein Amt
eingesetzt; (aber er er-
füllte seine Pflicht nicht
mehr mit Freude und)
Gewissensbisse quälten
die Unglücklichen Tag
und Nacht, weil sie ihren
Glauben abgeschworen
Quelle.
Meurisse, Histoire de la
naissance et de la d^a-
dence de Tberesie ä Metz,
328 f.
Car sur les unze heures
de nuict, le sieur de Losses
estant arrive . . . apporta
nouvelles au Roy de Theu-
reux succ^s de la bataille
... de Jamac . . . en la-
quelle Tarmde du Roy est
ait demeurde victorieuse, et
celle des Religionnaires def-
faite et le Prince de Conde
... tue ... le Roy a ces
nouvelles . . . tout trans-
portd de joie, se jettA en
bas du lict et commanda
qu'on sonna la cloche ap-
pellde Mute, en signe de
victoire . . . Le lendemtin
quatrieme du mois . . 11 se
fit une procession solem-
nelle, en actions de gräces,
d^une si heureuse yictoire,
ä laqnelle le Roy assista,
avec toute sa cour . . .
Olry, la Persäcution de
rEgl.de Metz, S. 124 f....
Et Von me remit en pos-
session de mon office de
notaire royal, que je n'exer-
^ai plus qu^avec douleur
et tristesse . . . Ma con-
science me reprochait k tout
moment T^normite de ma
signature, ne laissant aucun
repos u mon esprit.
hatten.
Als Dr. Wolfram die zwei ersten Kolonnen nebeneinanderstellte, hatte
er sicherlich die von uns in der dritten angegebene Quelle nicht gelesen oder
auch gar nicht gekannt. Wir denken, dass hier mehr als Versehen oder
Leichtfertigkeit im urteile vorliegt und verweisen nochmals auf unsere diese
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In Sachen von Dietsch: Evangelische Kirche von Metz. J591 ,
Sache betreffende Broschüre. Dr. Wolfram behauptet, dass wir „in uner-
laubter Weise** die Arbeit Thirions uns zu Nutzen gemacht haben, auch noch
desswegen, weil wir dieselben Urteile flillen wie „der Gelehrte von Nancy",
dessen Arbeit eine sehr „gründliche" und "objektiv" gehaltene sei, und doch
wirft er uns vor, „leidenschaftlich" und „parteiisch" in unserm Urteile zu
sein. Wie reimt sich das? — Wir geben besondere Urteile ab über Cor-
nelius Agrippa, S. 17 f. unseres Buches. Über Jean Ledere S. 36; über
zwei in Metz ersäufte Wiedertäufer, S. 40; über Farel, S. 50; über Caroli,
S. 68; über Heinrich II, S. 84; über de Vieilleville, S. 144; über Noel
Journet, S. 158 f ; über eine Eheauflösung, S. 160 f., über die Hugenotten
von Frankreich und Metz, S. 184 f.; über Katharina von Bourbon, S. 189;
über Paul Ferry, S. 197, 211 f.; über Meurisse, S. 201 f.; über die Hinrich-
tung von Nicolas Anthoine und Michel Servede, S. 203; etc. etc. Man ver-
gleiche diese Urteile und noch viele andere mit den etwa von Thirion abge-
gebenen, die wir nur zum geringern Teile gelesen haben. Sie werden durch-
schnittlich, des Standpunktes wegen, den wir einnehmen, diesen widersprechen.
Wenn ähnliche oder dieselben Ausdrücke in beiden Büchern vorkommen, so
sind sie nachweislich auf die Quellen zurückzuftihren.
Jeder nicht voreingenommene Leser wird nun über die Kritik Dr.
Wolframs hinreichend erbaut sein. Wir aber legen die Feder nieder mit
dem Entschlüsse, jeden etwaigen neuen Angriff unbeantwortet* zu lassen, da
unser Amt zu einer solchen Polemik uns keine Zeit lässt, wir auch wenig
Neigung dazu haben, zumal wir die Überzeugimg in uns tragen, ein Stück
Arbeit gethan zu haben, das doch nicht so wertlos ist, wie Dr. Wolfram die
Leser der „Westdeutschen Zeitschrift" möchte glauben machen.
Metz, den 29. Juni 1889.
F. Dietsch, evangel. Pfarrer.
Die Beantwortung der vorstehenden Replik muss ich mit dem Bekennt-
nis eines Irrtums beginnen. Als ich das Buch von Dietscli in die Hand
nahm, auf dem Titel die stolze Ankündigung las „nach den Quellen darge-
stellt", aus der Einleitung ersah, dass der Verfasser ein „der Wahrheit
peinlich entsprechendes Bild" geben wolle, ebenda erfuhr, dass seine Quellen
zahlreiche „auf dem Stadt- und Bezirksarchiv befindliche Manuskripte" etc.
seien, da musste ich annehmen, dass ich es mit einem Werke za thun hatte,
das Anspruch auf historische Zuverlässigkeit mache. Heute belehrt mich
Herr D., er schreibe als Pfarrer, nicht als Geschichtsforscher. Das Ziel der
Geschichtsforschung und quell enmässigen Darstellung ist die Erkenntnis der
Wahrheit. In Anbetracht dessen wusste ich bisher freilich nicht, dass zwischen
einem Historiker, der Geschichte forscht und einem Pfarrer, der dasselbe
thut, ein Gegensatz bestehe. Ich kann mich auch heute noch nicht ent-
schliessen, die Ansicht des Herrn D. so allgemein anzuerkennen und glaube,
dass der aufgestellte Gegensatz zwischen Pfarrer und Geschichtsforscher eine
über die Person des Herrn D. hinausreichende Geltung nicht haben dürfte.
Ich hatte Herrn D. vorgeworfen, dass er die von ihm selbst geforderten
.„unentbehrlichsten Eigenschaften des Geschichtsschreibers, die Unparteilich-
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392 In Sachen von Dietsch: Evangelische Kirche von Metz.
#
keit und Leidenschaftslosigkeit" nicht besitze und meine Behauptung durch
Beispiele erhärtet. Um sich hiergegen zu verwahren, verweist Herr D. auf
eine Brochüre. Weshalb fuhrt er in dieser wissenschaftlichen Zeitschrift
keinen einzigen Gegengrund an. Ich darf mir die Antwort hierauf wohl sparen.
Um so breiter geht Herr D. auf meinen zweiten Vorwurf, dass er in
unerlaubter Weise das Buch von Thirion benutzt habe, ein. Hier muss ich
zunächst feststellen, was Herr D. för Ansichten von dem Begriff „Quelle^
hat Einen im Jahre 1880 in der encyclop^die des sciences relig. erschie-
nenen Aufsatz von Cuvier nennt Herr D. „die wichtigste Quelle" *) seines
Buches. Ist es glaublich, dass einem wissenschaftlich gebildeten Manne, der
ein 406 Seiten langes Geschichtswerk „nach den Quellen dargestellt" heraus-
giebt, noch die elementarsten historischen Begriffe abgehen? Wenn mir dies
Bekenntnis schon früher vorgelegen hätte, würde ich es allerdings unterfassen
haben, das Buch des Herrn D. einer wissenschaftlichen Besprechung zu
unterziehen.
Und weiter: Thirions Buch sei erschiennn, so erzählt der Verfasser,,
als er gerade selbst bei der Ausarbeitung seines Werkes gewesen sei. Doch
„wir arbeiteten ruhig weiter, indem wir Thirion selbst, soweit es anging, als
Quelle benutzten"*). Weiter habe auch ich nichts beweisen wollen; nur
dass ich meine Beobachtung in etwas andere Worte kleide, die da lauten :
Herr Dietsch hat aus Thirion abgeschrieben.
Somit wären wir uns in unserer Auffassung recht nahe gekommen,
wenn Herr D. nicht noch hinzusetzte, „wir citieren aber Thirion, da wo wir
ihn zu Rate ziehen" und infolge dessen sich angestrengt bemüht die Überein-
stimmung der von mir beigebrachten Stellen aus der Gemeinsamkeit der
Quelle abzuleiten.
Als erstes Argument für die Selbständigkeit seiner Arbeit bringt Herr
D. den Nachweis, dass sein Werk eine andere Disposition als das Buch von
Thirion habe.
Mit diesen Ausfuhrungen die Originalität einer Arbeit beweisen zu
wollen, ist — milde ausgedrückt — ein recht ungeschickter Versuch. Jeder
Primaner, der sich in Thirions Buch eingelesen hat, wird für den Stoff des-
selben die verschiedenartigsten Einteilungen in beliebiger Anzahl anfertigen
können, hierzu braucht er auch keine einzige Quelle aufzuschlagen.
Weiter zeigt nun Herr D., dass all das, was ich als Plagiat aus Thirion
angesehen habe, in einer gemeinsamen Quelle stehe.
Dass weder Dietsch noch Thirion ihre Kenntnisse aus der Luft ge-
schupft haben, glaube auch ich. Es handelt sich nur darum, ob Herr D. die
ursprüngliche Quelle wirklich angesehen hat, oder ob er Th. ausschreibt.
Auf die ersten Anzüge, die ich beiden Werken entnommen habe, geht
Herr D. bezeichnender Weise nicht ein. „Es sind ganz unwichtige Sätze
1) loh fttgtt hitr den von anderer Seit« erbrachten hOohst lattigen Nachweis hinan,
daat Herr D seine pWiohtigtte Quelle'* nach den Citaten su urteilen gerade einmal
benntxt hat.
2) Am SobluBS teiner Beplik wird Herr Dietsch wieder kAhner und behauptet, er
habe die Urteile Thirions — d. h. also, da diese im gansen Buche verstreut sind, Thirions
Buch Oberhaupt — nur sum geringeren Teile ge]e«eu.
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In Sachen von Dietsch: Evangelische Kirche von Metz. 393-
und Ausdrücke, die man za hunderten in allen Büchern findet^ Mir sind
sie sonst noch nicht begegnet, auch anderen Herren nicht, die ich danach
fragte und ich glaube fast, das Schweigen des Herrn D. ist gleichbedeutend
mit dem Geständnis, dass er ertappt ist. Wenn ich noch hinzufüge, dass
die von mir aus Seite 2, resp. 24 gegebenen Auszüge nicht wie sie Herr D.
an anderer Stelle behandelt hat, drei zusammenhangslose Bemerkungen sind,
sondern dass sie bei Thirion wie bei Dietsch eine zusammenhängende Stelle
bilden, so dürfte das genügend erklären, weshalb Herr D. sich hier so schwer
getroffen fühlt. Wenn wirklich die zufällige Konkordanz eines der drei
Sätze bei zwei Schriftstellern möglich wäre, die Wiederkehr derselben drei
Sätze in engstem Zusammenhang ist ohne die Annahme einer Abschreiberei
undenkbar.
Für die weiteren Stellen 47, 156, 338 kann sich Herr D. scheinbar
auf eine gemeinsame Quelle stützen. Bei derartigen Ausflüchten ist der Be-
schuldigte mit Sicherheit nur zu fassen, wenn er Bemerkimgen zusetzt, die in
der angeblich gemeinsamen Quelle nicht zu finden sind, wohl aber in dem
Buche, das er abgeschrieben haben soll. Und eine derartige charakteristische
Stelle, wie sie schlagender nicht sein kann, findet sich in den oben gegebenen
Auszügen in der That. Man vergleiche das Citat Thirion 388, Dietsch 289,,
da steht wohl in der angeblichen Quelle (Olry, la pers^cution de l'^glise de
Metz) wie bei Dietsch und Thirion: Olry wurde wieder in sein Amt einge-
setzt etc. Wo aber sind in der angeblich benutzten Quelle die Worte
Dietsch: Thirion:
dies war jedoch nur der erstere und eile n'avait encore subi que la moindre-
geringere Teil ihrer Leiden. partie des ^preuves.
„Das sind ganz unwichtige Sätze und Ausdrücke** wird Herr D. sagen,,
„wie sie sich zu hunderten in allen Büchern finden. '^ Merkwürdig nur, dass
sie bei Dietsch und Thirion an derselben Stelle vorkommen
Wenn ich bei meiner ersten Recension weitere Begründungen meines
Vorwurfs sparen zu können glaubte, so nötigen mich die höflichen Ausdrücke
„Leichtfertigkeit*^, „unzulängliche Kenntnis** und was „noch mehr** hier bei
dem bösen Kritiker von Herrn D. vorausgesetzt wird, heute einige weitere
Bemerkungen über die Arbeitsmanier des Herrn D. hinzuzufügen.
Man kann zwei Arten von Plagiat bei ihm unterscheiden, eine feinere
und eine plumpe. Die erste besteht darin, dass er Absatz für Absatz dem
Buche von Thirion folgt, dabei aber gelegentlich eine ihm gerade zugängliche
Quelle, auf die ihn Thirion hinweist, selbst nachschlägt und seinen Text auf
Grund der Quelle etwas erweitert oder verändert. Dass er aber trotzdem
durchaus auf Thirion fusst, das lässt sich an solchen Stellen schlagend nach-
weisen, wo die Erzählung Thirions nicht streng logisch vorwärts geht,
sondern etwas kraus, zusammenhangslos, von Eigenbemerkungen durchsetzt
ist und infolge dessen die Quellen, soweit solche zugrunde liegen, ausseror-
dentlich häufig wechseln. Herr D. macht alle Sprünge Thirions mit, folgt
ihm getreulich auf allen Irrwegen des Quellenlabyrinths und lässt im Quellen-
citat eine Lücke, wenn die betreffende Bemerkung von Thirion selbst stammt.
So beispielsweise Thirion Seite 55 ff, Dietsch Seite 38 ff.
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394 In Sachen von Dietsck: Evangelische Kirche von Metz.
Thirion:
Versuchte Rückberufiing
des Pierre Toussain.
Die Katholiken versu-
-chen einen fremden Fürs-
ten zu rufen.
Die allgemeine Stimm-
ung den Katholiken un-
günstig,
Beweis : a. Drei Män-
ner werden mit Kirchen-
visitation beauftragt.
b. Noch bedeutsamer
•eine Inschrift.
c. Verlangen des Ma-
gistrats dem Didier Abria
ein Kanonikat zu ver-
leihen.
Toussaint vielleicht in
Metz.
Merkwürdig, dass damals
kein lutherischer Predi-
ger in Metz war.
Aber Toussain stand in
Korrespondenz mit Metz.
1558 kommen drei Ana-
baptisten nach Metz.
Calvin damals in Strass-
burg ou 11 „suivait at-
tentivement ce <iui se
passait k Metz**.
Calvins Bruder in Metz.
Butzer in Metz.
Verfügung der Drcizeh-
ner gegen den Aufenthalt
Fremder.
•Calvin trägt sich .mit
der Hoffnung selbst nach
Metz zu kommen.
Les protestants y de-
venaient cependant plus
forts et plus nombreux
<de jour en jour.
Dietsch:
Dasselbe.
Dasselbe.
Quelle:
Hermiiyard, corresp. des
reformateurs.
Ferr>' obs. s^c.
Dasselbe.
Meurisse hist. de The r.
(von D. nicht citiert).
Dasselbe.
I^ Hyere ann. de Metz.
Dasselbe.
Meurisse hist de Ph^r.
Dasselbe.
Meurisse hist. des eve-
ques.
—
Hemiinjard.
Dasselbe.
—
Dasselbe.
Herminjard.
Dasselbe.
La Hyere.
„Nun kommt die Reihe Calvini opera X 357.
an Calvin" (Zwischenbe-
merkungen über Calvins
Leben), der „in Strass-
burg aufmerksam . . .
den Entwicklungsgang
der Reformation in Metz
verfolgte".
\ Dasselbe umgestellt.
Dasselbe.
Dasselbe.
Die Zahl der Protestan-
ten nahm täglich zu.
Calvini opera X 424.
» X 447.
Calvini opera X 424.
Calvini opera Thiriot X
424, Dietsch XI 55.
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In Sachen von Dietsch; Evangelische Kirche von Metz.
395
Thirion:
Verhältnisse in Deutsch-
land, Tage zu Worms,
Augsbnrg, Gründung des
schmalkaldischen Bun-
des, u. s. w. u. s. w.
Dietsch: Quelle:
Dasselbe: Tage zu
Worms (Speier) Augs-
burg, Grihidung des
schmalkaldischen Bun-
des, u. s. w. u. s. w.
Feineres Plagiat habe ich die im vorstehenden gekennzeichnete Art
und Weise der Benutzung von Thirions Werk genannt und doch ist das-
Verfahren viel schwerer zu verurteilen als das Vorgehen bei dem an sich
augenfälligeren plumpen Plagiat. Wenn es bei letzterem zunächst Worte
oder Sätze sind, die als entlehnt in die Augen fallen, hier ist es die gesamte
geistige Arbeit Thirions, die sich Herr D. zu eigen macht. Welche Mühe
hat es gekostet, all diese Quellen nacheinander durchzustudieren, sie zu ex-
cerpieren, kritisch zu sichten, die einzelnen Stücke untereinander in Zusam-
menhang zu bringen, kurz aus dem Wirrsal der Einzelheiten das ganze fertige
Bild zu schaffen — und all diesen Aufwand von Mühe und Scharfsinn giebt
Dietsch jetzt als eigene Arbeit aus.
Doch es giebt noch ein weiteres Argument, diese Art des Plagiats zu
erläutei-n und das führt uns gleichzeitig zum zweiten Teile: dem plumpen
Plagiat über. Wie schon das Vorstehende ergiebt, ist Herr D. kein selb-
ständiger Kopf und so wird es ihm besonders schwer, Übergänge von einem
zum andern Absatz zu finden. Unglücklicherweise lassen sich diese Ent-
lehnungen aber nicht durch eine angeblich gemeinsame Quelle decken.
Thirion. Dietsch.
301. Le Parlament devan^ait dans 270. Das Parlament überbot die
son zele les mesures rigoureuses prises strengsten Edikte des Königs,
par le roi.
335. [Bericht über Olry eingeleitet
durch folgende Worte :] ün de ceux
qui furent victimes de ces persecutions
a racontä lui-m^me ce qu'il endura
dans ces tristes jours; il a consign^
ces lugubres Souvenirs dans un opus-
cule . . . insitul^ la persecution de
r^glise de Metz.
370. Cette lettre regue Bouffiers
s^occnpa de mettre k ext^cution les
ordres qu'elle contenait.
377. Le terrible exemple fait par
Louvois sur Olry et les autres d^por-
tes messins semblait en effet avoir
frapp^ de terreur les r^calcitrants.
377. N^aumoins le ministre ne se
faisait aucune illusion au siget de
ces abjurations forc^es.
287. [Bericht über Olry eingeleitet
durch folgende Worte:] Jean Olry,
eines der Opfer dieser Verfolgungen
hat seine Erlebnisse in einem Werk-
chen unter dem Titel „die Verfolg-
ung der Kirche von Metz" niederge-
schrieben.
309. Der Marquis de Bouffiers be-
eilte sich, den Befehlen des Ministers
nachzukommen.
314. Die Verbannung Olrys und
einiger der vornehmsten unter seinen
Glaubensgenossen hatte auf die Metzer
Protestanten niederschmetternd ge-
wirkt.
314. Weder der König noch seme
Minister konnten sich über den Wert
dieser unter dem Stiefel der Drago-
ner .... vollzogenen Bekehrungen
täuschen.
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396
In Sachen von Dietsch: Evangelische Kirche von Metz.
Thirion.
379. Cependant comme la snrveil-
lance se relächait an pea . . . beau-
coup de r^form^ en profitaient pour
s'abstenir de prendre part aux sacre-
ments catholiques.
Dietsch.
316. Wie aber die Verfolgung nach-
liess, so erwachte aoch der protestan-
tische Geist.
Wir sehen, hier tritt schon die plumpe Art des Plagiats deutlich her-
vor. Zum Beweis, wie gründlich Herr D. diese betrieben hat, wende ich mich
jetzt Stellen zu, in denen er sich ausdrücklich auf eine Quelle beruft. Der
Nachweis der Abschreiberei ist hier erbracht, wenn sich herausstellt, daas
das Buch von Dietsch mit dem von Thirion charakteristische Ausdrucksweisen
und Eigentümlichkeiten gemein hat, die in der angeblich gemeinsamen Quelle
nicht zu finden sind.
Ich habe bereits oben ein Beispiel hierfür erbracht; weitere finden
sich auf Schritt und Tritt : So
Meurisse, bist, des
^v. 27.
Les dignitez, personnats
Offices de cest m^re egtise
sont (folgt die Au&fth-
lung): le tout ensemble
faisant quarante pro-
bendes.
Meurisse 1. c. 27.
nennt: Tausmonier, Te-
scholatre et le coustre.
Thirion 27.
La chapitre de la cathO-
drale . . . etait composO
de quarante membres.
Dietsch 4.
Das Kapitel des Mün-
sters bestand aus 40
Mitgliedern.
Thirion 27.
«ur les quels il y avait ....
quatre officiers, le cer-
•chier, F^col&tre, le coütre
•et l'aumönier.
Dietsch 4.
zahltauf: „den Wächter
(cerchier), den Schola-
ster, den Küster, den
Almosenier.
Man beachte: Die Quelle weiss nichts von cerchier; man sehe weiter
•die Reihenfolge der Ämter, die bei Dietsch und Thirion in derselben Weise
von der Quelle abweicht.
Auch auf ganze Abschnitte lässt sich diese Beobachtung ausdehnen.
•In seinem ersten Kapitel Seite 2, Zeile 24 — 31 giebt uns Herr Dietsch einen
IJberblick über die Yerfassungsverh<nisse der Stadt Metz im 12. und 13.
Jahrhundert, Thirion bringt dasselbe Seite 23, Zeile 5—24 (er ist etwas aus-
führlicher). Folgendermassen lautet die Stelle:
Le mattre-^hevin repräsentait la Der Oberschöfie . . . war der Ver-
räpublique dans ses relations avec treter der Republik in allen auswär-
les ^trangers ....
Le mattre-^chevins' en fonctions
porvoyait aux vacances qui se pro-
dnisaient dans le conseil pendant son
ann^ et s'attribuait ordinairement la
premi^re.
tigen Angelegenheiten.
Die im Laufe des Yerwaltung^ah-
res freigewordenen Stellen worden
von ihm besetzt; die erste im Rate
der Schöffen behielt er gewöhnlich ftir
sich selbst.
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In Sachen von Dietsch: Evangelische Kirche von Metz. 397
Les treize renouvel^s intägralement Die Dreizehner wurden jedes Jahr
«haque annee le jour de la chande- am Tage Lichtmess vollständig er-
leur ätaient juges sans appel au cri- nenert. Die Verwaltung der Stadt
minel .... und die hohe Gerichtsbarkeit in Cri-
minalsachen lag in ihren Händen.
Thirion verweist für die Gesamtdarstellung dieser Verhältnisse auf
Klippfei, Metz cite ^piscop. et imperiale p. 24 ; auch Dietsch citiert lediglich
Klippfei. Für unsere Stelle geben beide keine bestimmte Seitenzahl.
Sehen wir nun, wo sich der betreifende Auszug bei Klippfei findet.
Auf Seite 145 sagt er:
Le maitre ^chevin ^tait le representant de la cite (nicht r^publique
wie Thirion und — Dietsch schreiben) dans ces relations avec les puissau-
ces ^trang^res. Auf derselben Seite findet sich noch: Le maitre ^chevin
pourvoit ä tous les Offices vacants, um aber den zweiten Teil des Dietsch-
Thirionschen Satzes zu belegen müssen wir schon vier Seiten weiter gehen.
Da heisst es : Enfin il devait . . . se donner h lui-m^me le premier ^chevinat.
Von der Wahl der Dreizehner ist gar erst Seite 156/7 die Rede und über
ihre Kompetenz, die Dietsch - Thirion in demselben Absätze charakterisieren,
liest man Seite 159: Au crirainel les ti-eize jugeaient souverainement et
sans appe).
Also Herr pietsch hat genau wie Thirion den kleinen Passus von 5
Zeilen zusammengestellt aus Klippfei Seite 145, 148, 156, 157 und 159. Eine
merkwüi*dige Geistesverwandtschaft.
Auf Seite 90 erzählt Dietsch, Seite 111 Thirion von einer Verschwö-
rung zur Zeit Vieillevilles. Da heisst es
Thirion. Dietsch.
Un complot fut trame en 1555 par Die mit Vieilleville unzufriedenen
les cordeliers de Metz en vue de Franziskaner zettelten eine Verschwö-
livrer la ville au gouverneur espagnol rung an, wodurch die Stadt in die
du Luxembourg ... La co^juration Hände des spanischen Gouverneurs
fout d^couverte et les Espagnol s qui von Luxemburg gespielt werden sollte,
s'avan^aient d^jä pour susprendre la Sie wurden aber bei Zeiten entdeckt,
place furent repouss(3S par les Fran- die auf Metz marschierenden Spanier
<^ais. Quatorze des meines coupables geschlagen und 14 ^Franziskaner auf
furent pendus. Befehl Vieillevilles gehangen.
Thirion citiert hier als Quelle Carloi m^m. de Vieilleville, Dietsch
desgleichen. Thirion hat von dem fünfbändigen Werke weder Band- noch
Seitenzahl genannt, auch Dietsch unterlässt es. Und nun schlage man die
Geschichte bei Vieilleville (Band IH) nach: Sie zieht sich (unterbrochen von
einigen andern Erzählungen) hin von Seite 249 bis Seite 349. Ist es denk-
bar, dass zwei Leute in c. 6 Zeilen unabhängig von einander über den Inhalt
von 100 Seiten mit denselben Worten referieren!
Herr Dietsch, sollte man meinen, ist gründlichst überführt. Doch er
wird sich auch hier noch zu helfen wissen. Das ist die berühmte Duplicität
der Thatsachen, wird er sagen. Wie schon öfter zwei grosse Geister unab-
hängig voneinander dieselbe Entdeckung gemacht haben, so hat auch hier
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398 In Sachen von Dietsch: Evangelische Kirche von Metz.
dieselbe Eingebung zwei lieuten zu demselben Resumä verholfen. Und diese
Duplicität hat noch weiter geführt: Dietsch hat sogar, selbstverständig un-
abhängig von Thirion, dieselben Fehler gemacht wie der Gelehrte aus Nancy.
Seite 2 erzählt Herr Dietsch, dass die Dreizehner jedes Jahr zu Licht-
mess vollständig erneuert wurden. Schlägt man aber seine angebliche Quelle,
Klippfei, auf, so findet sich (S. 166/7j, dass am Lichtmesstage wohl die Ver-
eidigung der Dreizehner stattfand, dass die Wahl aber 8 Tage früher, am
25. Januar, gewesen ist.
Und was sagt Thirion? (p. 23; Quelle: Klippfei): Les treize renou-
veles intt^gralement chaque annäe le jour de la chandeleur!
Weiter: Dietsch Seite 3—4 schildert die kirchlichen Verhältnisse vor der
Reformation. Als Quelle giebt er an Meurisse, histoire des ^v^ques S. 26—30.
Unter anderem sagt er: Der geistliche Verwaltungssprengel bestand ausser
dem Kapitel des Münsters aus 12 Kollegialkirchen, dreiundzwanzig Abteien,
zwei und dreissig Klöstern u. s. w.
Meurisse führt an der angegebenen Stelle die einzelnen Kollegiate und
Klöster auf, ohne bei den letzteren eine Zahl zu nennen. Zählen wir nach^
so ergiebt sich, dass es nicht 23 sondern 22 Klöster sind. Herr Dietsch
scheint also falsch addiert zu haben. Und was sagt Thirion? (S. 27, Quelle:
Meurisse bist, des ^v^ques): Au point de vue spirituel, Peglise de Metz
comprenait le chapitre de la cath^drale, douze coll^giales, vingt-trois ab-
bayes, trente deux monast^res etc. Dietsch und Thirion haben also beide
unabhängig von einander 22 Namen in derselbee Weise falsch addiert. Man
sieht, auch heute kommen noch Wunder vor.
Dietsch') erzählt Seite 186, Meurisse schätze die Protestanten „auf
zwei Drittel der Gesamtbevölkerung der Stadt** und verweist hierbei auf
Meurisse histoire de Ther^sie S. 505.
Bei Meurisse steht aber gerade umgekehrt: catholiques qui fönt
aujourd'hui . . . plus des deux tier? de la ville.
Und was sagt Thirion? (206/7, Quelle: Meurisse bist, de Thdr^sie ä
Metz 505): L'^v^que Meurisse . . estimait qu'ils formaient (scilicet: les pro-
testants) alors ä peu pr^s les deux tiers de la population urbaine.
Will Herr Dietsch noch mehr hören?
Ich habe in der ersten Recension gesagt, dass Herr D. das Buch von
Thirion in unerlaubter Weise benutzt habe; heute, nachdem mich Herr D.
zu einer nochmaligen Prüfung des Verhältnisses der beiden Werke veranlasst
hat, muss ich mein Urteil in etwas ändern. Heute sage ich, das Buch von
Dietsch ist in wesentlichen Teilen ein dreistes Plagiat.
Herr D. behauptet, er citiere Thirion, wo er ihn benutzt habe. Herr
Pfarrer Dietsch hat damit einen Irrtum begangen.
Metz. Dr. Wolfram.
3) Das Beispiel ist bereits von anderer Seite beigebracht,
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Recensionen. 399
Recensionen.
Jahrbuch der Gesellschaft für Lothringische Geschichte und Altertums-
kunde. I. Jahrg. 1888—89. Metz. 333 S. 6 Mark. — Ange-
zeigt von H. V. Sauerland in Trier.
Wohl noch nie ist irgendwo im Gebiete des deutschen Reiches ein
geschichtlicher Verein unter so schwierigen Verhältnissen entstanden als der
XU Metz, wo einem solchen Unternehmen scharfe konfessionelle und nationale
Gegensätze widerstrebten. Um so erfreulicher ist die durch das vorliegende
erste Jahrbuch des dortigen Vereins bekundete Thatsache, dass es gelungen
ist jene Schwierigkeiten .zu überwinden. Am 20. Sept. 1888 erschien der
vom Bezirkspräsidenten Freiherrn von Hammerstein und dem Bezirksarchiv-
direktor Dr. Wolfram unterzeichnete Aufruf zur Bildung eines Vereins, der
sich dann am l.*5. Oktober konstituierte und schon kaum nach Jahresfrist
über 100 Mitglieder aus den verschiedensten konfessionellen und nationalen
Parteistellungen zählt. Dass aber diesem äusseren Gedeihen auch ein frisches
inneres Leben, welches sich in Förderung der geschichtlichen Forschung be-
thätigt, entspricht, beweist der reiche Inhalt des ersten Jahrbuches, in welchem
uns 15 grössere und 6 kleinere Beiträge zur Kenntnis der liOthringischen
Geschichte und Altertumskunde geboten werden. Jedoch befinden sich unter
diesen Beiträgen auch mehrere, welche nicht nur für die besondere Geschichte
des Lothringischen Landes, sondern auch für die allgemeine Geschichte von
Interesse sind. Was zunächst die Zeit der Römerherrschaft betrifll, so ist in
dieser Beziehung ein Aufsatz von Dr. A. Hoffmann-Metz über „die Bagau-
deusäule von Merten im Museum von Metz" hervorzuheben. Darin
wird das gewaltige, etwa 12 Meter hohe Sänlenmonument, das im Jahre 1878
bei Saarlouis auf lothringischem Gebiete in seinen Trümmern aufgefunden
wurde, in recht klarer Darstellung als ein Denkmal hinzustellen versucht, das
den Sieg versinnbilden sollte, welchen Maximian, der bekannte Mitkaiser
Diokletians, im Jahre 285 n. Chr. über die Bagauden im nordöstlichen Gal-
lien errungen hat. Für die allgemeine Geschichte des Mittelalters sind von
Bedeutung drei Arbeiten Dr. Wolfram's: die eine bringt H „ungedrucktc
Kaiserurkunden« aus den Jahren 997, 1056, ll.öO, 1210, 1214 und 1215;
die zweite liefert „Regesten der im Bezirks- und Hospitalarchiv zu
Metz befindlichen Papsturkundeu; wichtiger noch als beide ist die
dritte, welche „kritische Bemerkungen zu den Urkunden des Ar-
nulfsklosters" enthält und in einer sehr sorgfaltigen Untersuchung von den
20 ältesten Urkunden dieser Abtei aus der Merovinger- und Karoliuger«eit
8 als gefälscht erweist und dann auch noch nach einer Besprechung der
beiden (gefälschten) Bullen Leo'Su IX. für das Amulfkloster und flir das
Metzer Domkapitel (Reg. Pont. ed. II. Nr. 4186 u. 4187) den bisher un-
edierten Wortlaut zweier älterer Papsturkunden, Calixt's II. und Innocenz' II.
mitteilt. Bezüglich der von mir au zweiter Stelle genannten Papstregesten
kann ich hier als Verbesserung bezw. Ergänzung noch bemerken, dass Xr. 135
und 139 (S. 213 u. 214) irrige Datierungen haben, für welche 1379 Aug. 29
We»td. ZeiUchr. f. Gesch. u. Knntt. VIII, IV. 30
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400
Recensionen.
und 1384 März 28 einzustellen sind; dass ferner zwischen Nr. 139 und 140
folgendes Regest nachzutragen ist:
1387 Jul. 9. (Jlemens VII. incorporat ecclesiam parochialem de Roseriis
ad Salinas capitulo ecclesiae cathedralis Metensis. ^Romana mater ecclcsia.^^
Dat. Avinione 7. Jd. Jul. pont. a. 9. M. Bez. A. or. c. sig.
Aus der neueren Geschichte hebe ich hervor einen von dem eingebomen
(kath.) Pfarrer Paulus in Puzieux gelieferten Beitrag: „Politique d'annexion
fran^aise en Lorrainc ä la fin du XVII. siecle." Derselbe bringt eine
von dem franz. Generalprokurator Ravault im vorletzten Jahrzehnt des 17.
Jahrh. verfasste Denkschrift über die Mittel und Wege, wie man franzüsischer-
seits die Sympathieen der Bevölkerung Lothringens für Frankreich gewinnen
könne und solle. Diese Denkschrift liefert für die Geschichte den ganz iin-
bewussten Beweis, dass es damals, also 130 Jahre nach der Annexion von
Metz, Toul und Vordun, den Franzosen noch gar nicht gehingen war, die
alte Anhänglichkeit der Lothringer ans deutsche Reich schwinden zu machen
und diese für Frankreich günstig zu stimmen. Und so enthält denn diese
Denkschrift auch für die Staatsmänner und Politiker der Neuzeit die wichtige
Lehre, wie thöricht das ungeduldige Verlangen sei, dass ebenderselbe Volks-
stamm, der seit kaum zwei Jahrzehnten wieder dem deutschen Reiche zurück-
gewonnen ist, nun auch in dieser so kurzen Zeit seine politischen Sympa-
thieen und Antipathiocn schon gewechselt haben müsse. First viel Geduld
und viel Zeit kann und wird diese Änderung wirken.
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