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Full text of "Zeitschrift für deutsche Philologie"

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ZEITSCHRIFT 


FÜR 


DEUTSCHE  PHILOLOGIE 


BEGRÜNDET  von  JULIUS  ZACHER 


HERAUSGEGEBEN 


VON 


HUGO  GERING   UND   FRIEDRICH  KAUFFMANN 


FUNFUNDDREISSIGSTER  BAND 


vk.i 


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HALLE  a.  S. 

VERLAG    DER    BUCHHANDLUNG    DES    WAISENHAUSES 

1903. 


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3  003 
Sc/,  3f 


INHALT. 

Seite 

"Wanderer  und  Seefahrer.     Von  R.  C.  Boer 1 

Beiträge  zur  kritik  und  erklärung  der  Gudrun.  II.     Von  Fr.  Panzer  .     .     .     .  28 

Über  das  lied  vom  Hürnen  Seyfrid.    Von  Chr.  A.  Mayer 47.  204 

Konrad  Maurer.     Von  W.  Golther 59 

Beiträge  zur  mittelhochdeutschen  syntax.     Von  E.  Bernhardt   .     .     .     .      145.  343 

Das  Dorotheaspiel.    Von  Heinr.  Schachner 157 

Die  entstehungszeit  von  Wolframs  Titurel.     Von  Karl  Helm 19G 

Sigrdrifumäl  und  Helreiö.    Von  E.  C.  Boer 289 

Über  causalen  ausdruck  in  Minnesangs  frühling.    Von  James  Hey  mann     .     .  330 

Aus  deutschen  handschriften  der  königl.  bibliothek  in  Brüssel.  Von  R.  Priebsch  362 

Eine  mittelhochdeutsche  Übersetzung  des  Lebens  der  väter.   Von  Reinh.  Nehert  371 
Beiträge  zur  quellenkritik  der  gotischen   bibelübersetzung.  VI.     Die  Corinther- 

briefe.     Von  Fr.  Kauffmann 433 

Über  die  quellen  von  c.  26  —  29  der  Vojsunga  saga.     Von  R.  C.  Boer     .     .     .  464 

Zur  frage  nach  den  quellen  des  Opus  imperfectum.    Von  Fr.  Kauffmann  .     .  483 

Zu  den  quellen  Heinrich  Kaufringers.    Von  A.  L.  Stiefel 492 

Die  Berliner  liederhandschrift  vom  jähre  1568.    Von  Arthur  Kopp    ....  507 


Miscellen. 


Die  ersten  versuche  einer  nachahmung  des  altdeutschen  minnesangs  in  der  neueren 

deutschen  litteratur.    Von  Rud.  Sokolowsky 71 

Zu  Johann  Oldekop.    Von  Karl  Euling 80 

Ein  unbekanntes  schwankbnch  des  16.  Jahrhunderts.    Von  A.  L.  Stiefel       .     .  81 
Zur  kenntnis  der  altd.  litteratur  (Ein  lied  aus  den  Carmina  Burana;  Eint'  mhd. 
strophe;  Zum  Baum  garten  berger  Johannes  baptista).    Von  Konrad  Schiff  - 

mann 86 

Zum  ahd.  Heinrichsliede.    Von  F.  Holt  hausen 89 

Zu  Goethes  gesprächen.    Von  Fr.  Kauffmann 90 

Klopstock,  Gleim  und  die  Anakreontiker  als  nach  dichter  des  altdeutschen  minne- 
sangs.   Von  Rud.  Sokolowsky lMl' 

Hartmanns  kreuzlieder  und  MF  206,  10—19.    Von  P.  Machule 396 

Zur  titteneinteilung  des  Heliand.    Von  Willi.  Brückner 533 

Zu  Fischarts  bilderreimen.    Von  Anton  Englert 

Zu  Gottfr.  Aug.  Bürger.    Von  Erich  Ebstein 540 


Litteratur. 


A.  Wuttke,  Der  deutsche  volksaberglaube  der  gegenwart,  bearbeitet  von  E.  H. 

Meyer;  von  Fr.  Kauffmann 90 

E.  Hoffmann-Kraycr,  Die  Volkskunde  als  Wissenschaft;  von  Fr.  Kauffmann       \<\ 

R.  Andree,  Braunschweiger  Volkskunde2;  von  Fr.  Kauffmann 

E.  Björkman.  Seandinavian  loan-words  in  Middle  English;   von  0.  Binz    .     .       96 

P.  Herrmann,  Deutsche  mythologie;  von  Fr.  kauffmann ld 

G.  Roethe,  Die  reimvorreden  des  Sachsenspiegels;  von  G.  Ehrismann      .    ,     hr2 
K.  Drescher.  Arigo  der  Übersetzer  des  Decamerone  und  des  Fiore  di  virtfi; 

von  G.  Ehrismann 106 

H.  Badstüber,  Die  nomina  agentis  auf  -<sre  bei  Wolfram  und  Gottfried;  von 

G.  Ehrismann 113 


IV  INHALT 

Seite 

P.  Tr.  Schulz,  Typischei  der  Heidelberger  liederhandi  chrift;  von  G.  Ehrismann  114 

M.  J.van  der  Meer,  Goti  ob                ataxis  I;  von  II.  Reis 120 

W.  Meyer.  Der gelegenheil  dichter  Venantius  Fortunatus;  von  Fr.  Kauf f mann  124 

A.  Schaer,  Die  altdeutschen  Eechter  und  spii               m  W.  Brückner  .    .    .  125 

II.  G.Graf,  Goetlio  über  sein-  dichtungen;  von  ES.  liruhn 127 

A.  Noltc,  Der  cingang  des  Parzival;  von    \.  Leitzmann 129 

L.  P.  Betz,  La  litterature  comparee;  von  IL  Drescher     ...        ....  L38 

A.  Polzin,  Studien  zur  geschichte  des  deminutivurns  im  deutschen-,  von  M.  Jl. 

Jellinefc 140 

•I.  <!.  Schottelius,  Friedens  sieg  hrg.von  Fr.  ES.  Koldewey;  von  M.H.  Jellinek  141 
J.  Zimmerli,  Die  deutsch -franz.  Sprachgrenze  in  der  Schweiz  III;  JI.  Morf, 

Deutsohi    und  Romanen  in  der  Schweiz;   Tappolet,  I  stand  der 

mundarten  in  der  deutschen  und  französischen  Bchweiz;  von  II.  Suchier  142 
0.  Behaghel,  Der  gebrauch  der  Zeitformen  im  ennjunet.  nebensatz  des  deutschen; 

von  0.  Men  sing 224 

E.  Steinmeyer  und  E.  Sie  vers,  Die  ahd.  glossen  III.  IV;  von  II.  l'alander  230 
AVolframs  von  Esehenbach,   Parzival   u.  Titurel  hrg.  von   E.  Martin;   von 

A.  Leitzmann 287 

A.  Beck,  Die  Amberger  Parzivalfragmente;  von  A.  Leitzmann     .....  244 

Kudrun  hrg.von  E.  Martin2;  von  Fr.  Panzer 245 

S.  Benedict,  Die  Gudrunsage  in  der  neueren  deutschen  litteratur;  von  Fr.  Panzer  247 

Laurin  und  der  Kleine  Rosengarten  hrg.von  G.Holz;  von  W.  Uhl   .     .  248 

E.  Consentius,  Lessing  und  die  Vossische  zeitung;  von  A.  Schöne  .  .  .  255 
Friedrich    der   grosse,    De  la  litterature    allemande  hrg.  von  L.  Geiger2; 

Justus  Moser,  Über   die    deutsche    spräche  und   litteratur   herausg.  von 

C.  Schüddekopf;  von  Hashagen 259 

R.  Tombo,  Ossian  in  Germany;  von  W.  Golther 285 

A.  Olrik,  Om  Ragnarok;  von  Fr.  Kauffmann 402 

Fr.  Gotthelf,   Das  deutsche  altertum  in  den  anschauungen  des   10.  und   17. 

Jahrhunderts;  von  Fr.  Kauffmann 407 

H.  May,  Die  behandlungen  der  sage  von  Eginhard  und  Emma;  von  Fr.  Panzer  407 
G.  F.  Benecke,  Wörterbuch  zu  Hartmanns  Iwein3  bes.  von  C.  Borchling; 

von  Fr.  Panzer 412 

Luthers  sprichtwörtersammlnng  hrg.  von  E.  Thiele;  von  A.  E.  Berger  .  .  413 
Luthers  vermischte  Schriften  weltlichen  Inhalts  hrg.  von  R.  Neubauer2;  von 

A.  E.  Berger 418 

M.  Gorges,  Mittelhochdeutsche  dichtungen;  von  G.  Rosenhagen  .....  419 
E.  Martin  und  H.  Li en hart.  Wörterbuch  der  elsässischen  mundarten  I;   von 

M.  Erdmann 421 

Joh.  von  Schwarzenberg,  Das  büchlein  vom  zutrinken  hrg.  von  W.  Scheel; 

Johann  Fischart,    Das    glückhafte    schiff   hrg.  von  G.  Baesecke;    von 

A.  Hauffeu 553 

A.  Ölinger,  Deutsche  grammatik  hrg.  von  W.  Scheel;  von  H.  Wunderlich  556 
Ang.  Silesius,  Heilige  seelenlust  hrg.  von  G.  Ellinger;  von  L.  Pariser  .  .  559 
H.  v.  Kleist,  Michael  Kohlhaas  hrg.  von  E.  Wolff;  von  R.  Schlösser    ...  560 

H.  Roetteken,  Poetik  I;  von  Th.  A.  Meyer 562 

Jean  Pauls  briefwechsel  mit  seiner  frau  und  Chr.  Otto  hrg.  von  P.  Nerrlich; 

von  R.  M.  Meyer 565 

K.  Burdach,  Walther  von  der  Vogelweide;  von  W.  Golther 567 

Fr.  Vogt,   Die  schlesischen  weihnachtsspiele ;  von  AV,  C  reizen  ach     .     .     .     .  568 

B.  Patzak,  Er.  Hebbels  epigramme;  von  R.  M.  Meyer 570 

Nachträge  und  berichtigungen 429 

Neue  erscheinungen 286.  430.  571 

Nachrichten 144.  288.  432 

Register  von  W.  Beese 573 


WANDERER  UND  SEEFAHRER, 
I. 

Analyse  des  'Wanderers'. 

Fünf  zeilen  sagen  aus,  dass  der  änhaga,  der  über  das  kalte  meer 
fährt,  des  scböpfers  hülfe  von  nöten  hat.  Das  geschick  ist  sehr  grau- 
sam (?).  Z.  6  führt  den  eardstapa  ein;  er  spricht:  „Morgens  klage  ieh 
einsam  meine  not  (8-9);  es  lebt  keiner,  dem  ich  mein  innerstes  mit- 
teilen kann  (9 — 11).  Ich  kann  aus  eigener  erfahrung  sagen:  das  ist 
eine  sitte,  welche  für  einen  eorl  sich  ziemt,  dass  er  sein  herz  fest  ver- 
schliesst,  —  er  möge  denken,  was  es  sei  (11  — 14).  Ein  herz,  welches 
der  trauer  sich  hingibt,  vermag  dem  geschick  keinen  widerstand  zu 
leisten"  (15—16).  —  Über  z.  17  — 18  vgl.  unten.  —  „So  habe  ich 
unglückseliger,  meiner  heimat  beraubt,  fern  von  meinen  verwandten, 
oft  mit  fesseln  mein  gemüt  verschlossen,  nachdem  vor  langem  die  erde1 
meinen2  herrn  bedeckt  hat  und  ich  verachtet  über  das  meer  führ,  den 
saal  eines  schatzgebers  suchend,  ob  ich  nah  oder  fern  (einen  solchen?) 
finden  konnte,  der  in  der  halle  an  liebe  dächte  und  mich  armen  trösten 
wollte  (19  —  28).  Wer  das  empfunden  hat,  weiss,  welch  ein  grausamer 
gefährte  der  schmerz  ist  für  denjenigen,  der  keine  teuren  freunde  hat 
(29 — 31).  Die  Verbannung,  kein  goldschmuck,  ein  kaltes  herz,  kein 
erdenglück  wird  ihm  zu  teil  (32  —  33) s.  Er  erinnert  sich  an  den  saal,  die 
männer4,  die  schatzgebung,  wie  in  seiner  Jugend  sein  goldfreund  ihn 
festlich    bewirtete.     Die    herrlichkeit   ist    vorüber   (34  —  36)."  Über 

z.  37  —  38  vgl.  unten.  —  „Dann  wird  der  arme  änhaga  oft  durch  schlaf 
und  schmerz  überwältigt  (39  —  40).  Er  glaubt  seinen  herrn  zu  streicheln 
und  zu  küssen,  haupt  und  bände  auf  dessen  knie  zu  legen,  wie  et  früber 

1)  hruscm  heolster  biwräh,  1.  hn'tse  biivrdk? 

2)  Statt  mine  ist  mit  Ettmüller  m'nnh    zu  lesen. 

3)  warafi  hinc  vn<<-l,isl  usw.  Anstatt  hinr  lese  ich  ki.  Oder  ist  das  richtige 
kirn  (Rieger)? 

4)  sele,  seegas,  so  Rieger  und  Gr.  (Bibl.).  Oder  1.  selesecgas  mit  Gr.  (Germ.  10) 
und  Sweet?  Der  eardstapa  wird  kaum  seine"  vertfanäte*i  als  'aulioos,  domesticos'  be- 
zeichnen (vgl.  seleßegen). —  Dass  z.  (Ü2  von  magitßög'rtäs  redet,  hat  keine  beweiskraft, 
vgl.  unten  s.  5fgg. 

ZETTsrnmKT    K.    DEUTRCTTR   PHTT.OT.OOTK.       BD.  XXXV  1 


widerholt  zu  tun  pflegte,  wenn  er  in  alten  tagen  geschenke  empfieng 
(41 — 44)'.  i);mii  erwachl  der  wineUas  guma;  \<>r  ihm  breiten  sich 
die  falben  wogen  (45—  46)2;  er  sieht  seevögel  Bicb  baden  und  die  flügel 
ausbreiten  (47);  er  aiebl  reif  und  schnee  fallen,  mit  bagel  gemengt 
Dann  worden  die  durch  den  verlust  der  teuren  entstandenen  schmerz- 
haften berzenswunden  um  so  schwerer  zu  ertragen;  die  sorge  kehrt 
zurück  (49  —  50).  Dann  durchwühlt  die  erinnerung  an  die  verwandten 
die  brüst;  er  weint  freudentränen8;  eifrig  schant  er  um  sich  (51—  52); 
die  scliaar  der  freunde  entschwindet  widerum  (dem  blicke),  die  menge 
der  schwimmenden,  und  sie  bringen  dort  Dicht  riele  bekannten  grüsse  (53 
bis  55a)4.  Der  schmerz  erneuert  sich  dessen,  der  jedesmal  Bein  be- 
trübtes herz  ofer  wapema  gebind  senden  muss  (55b — 57). a  J'i>  dahin 
erzählt  nicht  der  dichter  sondern  der  von  ihm  z.  6  eingeführte  eardstapa. 

i)  Mit  Thorpe  1.  giefstöles  anstatt  giefstolas. 

2)  fealwe  wegas  i.  e.  wdegas,  vgL  Sweet  in  den  anmerkungen;  fealone  wdg  auch 
sonst,  s.  Gr.  s.  v.  fealo. 

3)  greteS  gliwstc&fum.  gliwstcef,  zeichen  der  freude:  zum  ausdrack  vgl.  nltn. 
grata  hdstofnm.  ce/pa  hdstqfum. 

4)  Die  nicht  ganz  richtig  überlieforte  stelle  wurde  von  den  herausgebern  nicht 
verstanden  und  falsch  interpungiert.  secga  geseldan,  nom.  oder  acc.  pl.,  'aus  männern 
bestehende  genossen',  d.  h.  'schaar  der  freunde'  (gesrlda,  socius).  Wenn  secga  geseldan 
subject  zu  swimmad  ist,  so  ist  geondsceaiceS  intransitiv,  'schaut  um  sich'.  Doch 
sind  alle  Zusammenstellungen  mit  geond-  transitiv,  s.  Gr.  I,  498;  vgl.  zumal  das  nahe- 
stehende gcondseon;  auch  geondsceawian  an  der  einzigen  stelle  wo  es  ausser  hier 
vorkommt,  s.  Bosworth- Toller  426a.  Es  liegt  also  auf  der  hand  secga  geseldan  als 
object  zu  geondsceawad>  aufzufassen:  'er  blickt  eifrig  nach  ihnen  aus'  (um  die  traum- 
bilder  deutlicher  zu  sehen).  Wenn  das  richtig  ist,  hebt  der  neue  satz  mit  swimmad, 
nicht  mit  secga  an.  Dann  folgt  swimmad  eft  onweg.  Das  verbum  swimman  ist 
sehr  richtig  gewählt,  denn  das  traumbild  entschwindet  über  das  meer,  an  dessen 
strande  der  wineleas  guma  sitzt  (vgl.  46  —  48).  cft,  wie  auch  das  bild  des  mondryhten 
entschwunden  ist.  Im  folgenden  fleotendra  ferd  ist  ferä  zu  emendieren  zu  ferd,  i.  e. 
I'icrd,  fyrd,  agmen,  exercitus.  "Wer  glaubt,  dass  geondsceawad  absolut  steht,  und 
dass  secga  geseldan  das  subject  zu  swimmad  ist,  muss  fleotendra  ferd  als  appositiou 
dazu  auffassen,  fleotende  heissen  die  männer,  nicht  weil  sie  im  leben  Seefahrer  waren, 
sondern  weil  sie  onweg  swimmad.  Das  bild  ist  schön  durchgeführt,  bringet  steht 
dann  im  singular  durch  anlehnung  an  das  collectivum  ferd.  Doch  glaube  ich.  dass 
fleotendra  ferd  subject,  und  dass  sivimmad  ein  fehler  ist  für  swimmeS,  welcher  sich 
aus  einer  irrigen  auffassung  des  secga  geseldan  als  subject  erklärt.  Auf  keinen  fall 
ist  es  richtig,  mit  "Wulker  und  Sweet  nach  omeeg  semicolon  oder  sogar  colon  und 
zu  gleicher  zeit  nach  ferd  nichts  zu  schreiben.  —  nö  fcla  cüdra  ewidegiedda,  denn 
das  traumbild  spricht  nicht.  —  Ich  lese  demnach  wie  folgt: 

georne  grondsceatvad 
secga  geseldan.  SwimmeS  eft  onweg 
fleotendra  ferd,  nö  peer  fela  hringed 
cüdra  cw  ideg  iedda . 


WANDBRER    ÖNB    SF.F.FAHKRR 


Das  object  der  erzählung  ist  der  ivineleas  guma  (45),  und  zwar  von 
z.  30  —  31  (l>äm  Jjc  htm  lyt  hafats  Uofra  geholena)  an.  Dieser  ist  frei- 
lich mit  dem  eardstapa  identisch;  der  eardstapa  aber  hält  ihn  mit  grosser 
epischer  Selbständigkeit  dadurch,  dass  er  durchgehend  von  ihm  in  der 
dritten  person  redet,  von  sich  fern.  Auf  einmal  fällt  nun  der  eardstapa 
z.  58  aus  der  rolle.  Aus  der  dritten  person  geht  er  in  die  erste  über, 
und  zu  gleicher  zeit  vernehmen  wir  nichts  mehr  von  seinen  noch  von 
des  ivineleas  guma  subjectiven  empfindungen,  sondern  es  folgen  all- 
gemeine betrachtungen  ,, Darum  kann  ich  in  der  ganzen  weit  keinen 
grund  finden,  weshalb  ich  nicht  betrübten  herzens  sein  sollte,  wenn  ich 
das  ganze  leben  der  eorlas  erwäge,  wie  plötzlich  die  mutigen  helden 
starben."  Wäre  hier  noch  ein  zweifei  berechtigt,  ob  von  allen  eorlas 
ohne  unterschied  die  rede  ist,  oder  ob  das  praeteritum  auf  die  ver- 
wandten des  ivineleas  guma  deutet,  das  folgende  (62  b  —  63)  lässt  nur 
eine  auffassung  zu.  „So  fällt  diese  weit  jeden  tag  hin".  Es  folgt  eine 
Schlussfolgerung,  welche  man  kaum  erwartet  hätte.  „Darum  kann  ein 
mann  nicht  weise  Averden,  bevor  er  einen  (guten)  teil  der  winter  in  der 
weit  (erlebt)  hat."  Das  klingt  einigermassen  sententiös,  und  unmittelbar 
daran  schliesst  sich  eine  reihe  sprüche,  welche  lehren,  welche  fugenden 
ein  wita  besitzen  soll,  dass  ein  beorn  nachdenken  soll,  bevor  er  spricht, 
dass  ein  vernünftiger  mann  erwägen  soll,  wie  geistlich  (er??)  ist  [(73) 
ist  die  absieht  zu  sagen:  wie  nur  das  geistliche  bleibt?],  wenn  der  weit 
Herrlichkeit  vergeht;  und  dieser  gedanke  führt  zu  der  z.  63  erwähnten 
tag  für  tag  alternden  weit  zurück;  z.  75fgg.  heisst  es:  „so  stehen  nun 
an  mehreren  orten  in  dieser  weit  wälle,  durch  die  der  wind  weht,  mit 
reif  bedeckt;  häuser  liegen  in  schutt;  weinsäle  verfallen;  ihre  besitzer 
liegen  des  glückes  beraubt  (tot)  (79);  alle  stolzen  krieger  sind  bei  dem 
walle  gefallen  (80);  einige  nahm  der  kämpf  fort;  andere  trug  ein  vogel 
[nach  einigen  interpretatoren  'ein  schiff'  (vgl.  s.  6  anm.)]  hin  über  das 
hohe  meer;  einige  tötete  (?)  der  graue  wolf  (vgl.  s.  6  anm.);  einige  be- 
grub weinend  ein  eorl  in  ein  grab  (80  b  —  84).  Auf  diese  weise  hat 
der  schöpfer  diese  wohnstätte  (oder  diese  erde?  pisne  eardgeard)  verödet, 
bis  die  alten  riesenschöpfungen  (die  gebäude)  der  burgbewohner  leer 
standen  ohne  jubel  (85  —  87)."  Hier  lenkt  die  Überlieferung  wider  in 
die  z.  58  verlassene  spur  ein.  „Dieser  betrachtet  dann  in  seinem  an  er- 
fahrungen  reichen  gemüte1  diese  ruine  (pisne  wealsteal)  und  dieses 
finstere  leben,  weise  im  gemüte  (fröd  in  ferhe  wise  geflöhte) ;  oft 
denkt  er  an  die  vielen  schlachten  zurück,  und  er  spricht  die  folgenden 
worte  (88  —  91):  lWo  kam  das  pferd  bin,  wo  der  mann,  wo  der  schatz- 

1)  geflöhte  verstehe  ioh  mit  Grein  als  substantivum ;  wise  instr,  - 

1* 


geber?  Wo  sind  die  festsäle  geblieben,  wo  die  freude  in  der  halle V 
Ach,  glänzender  becher!  acb,  panzerkämpfer!  ach,  dem  forsten  dienende 
schiir!  Wie  ist  die  zeil  vergangen,  verschwunden  unter  der  bulle  der 
nacht,  als  wäre  de  niedagewesen!  (92  96)  Auf  der  spur  der  teuren 
schar  (d.h.  an  dem  orte,  wo  sie  gefallen)  steht  jetzl  ein  wunderhoher 
wall  (ein  denkmal,  vgl.  s.  7),  mit  Schlangenbildern  geschm  ickl  (97  98); 
die  männer  oabra  die  krafl  der  äpeere  fort,  die  nach  toten  verlangenden 
waffen,  das  mächtige  geschieh  (99  -100);  und  stürme  schlagen  wider 
die  steinmassen  (101);  tobendes  wetter,  des  winters  ungestüm,  bält  die 
erde  in  knechtschaftJ;  dann  kommt  der  beengende  finstere  schatten  der 
Miicht  und  sendet  vom  norden  her  wilde  hagelschauer,  den  helden  zum 
höhn  (anda,  vexatio;  102 — 105).  Das  ganze  erdenreich  is<  voller  be- 
schwerdon;  das  geschick  wendet  die  well  unter  dem  himmei.  Hier  sind 
besitztümer  vergänglich;  hiev  ist  der  freund  vergänglich;  hier  i>t  der 
mensch  vergänglich;  hier  ist  der  verwandte  vergänglich:  dieser  ganze 
erdenraum  ist  eitel'  (106 — 109).  So  sprach  der  im  gemüte  weise;  er 
setzte  sicii  abseits  und  sann  (111)".  Es  fplgen  noch  einige  spräche 
(112  — 115),  welche  mahnungen  enthalten  zur  treue,  zur  mässigung  in 
zornesäusserungen,  falls  keine  aussieht  auf  räche  vorhanden  ist;  schliess- 
lich eine  Seligsprechung  dessen,  der  sein  glück  beim  himmlischen  vater 
sucht,  in  dessen  hand  unser  aller  heil  ruht. 

Es  ist  klar,  dass  der  wineleas  guma,  über  den  der  eardstapa  z.  31 
zu  reden  anfängt,  und  den  er  z.  58  aus  dem  äuge  verliert,  gegen  das 
ende  des  gedichtes  wider  auftritt.  Z.  91  steht:  päs  word  ucicih.  und 
darauf  folgt  die  klage  über  pferd,  mann,  schatzgeber  usw.,  welche  z.  110 
mit  der  bemerkung  über  die  eitelkeit  alles  irdischen  schliesst.  Hier 
sind  zwei  auffassungen  denkbar.  Entweder  sind  päs  word  äcitib  worte 
des  dichters  und  z.  92  — 110  werden  vom  eardstapa  gesprochen,  den  er 
z.  6  —  7  sprechend  einführte.  Oder  der  eardstapa  spricht  päs  word  äcwfiS, 
und  was  folgt,  sind  worte  des  wineleas  guma  (z.  31.  45).  Im  ersteren 
fall  hat  der  dichter  selbst  z.  58  den  eardstapa,  der  erzählte  wie  dem 
wineleas  guma  bei  seinen  visionären  träumen  zu  mute  war,  unter- 
brochen, und  er  hat  es  für  notwendig  erachtet,  ihm  von  neuem  das 
wort  zu  geben  und  zu  motivieren,  dass  er  zu  reden  anhebt.    Die  einzig 

1)  hrüse.    1.  mit  Sweet  hrüsem.     Die  interpunetion  ist: 
101:   and  ßäs  stdnhleopu  stormas  cnyssaÖ; 
hriS  kn'osande  hr/isan  bindet, 
wintres  wöma;  ßonne  ivon  eymeS, 
nipeS  nihtscua  usw. 


WANDERER    UND    SEEFAHHEK 


richtige  motivierung  aber  wäre  diese,  dass  der  dichter  mit  seinen  eigenen 
beraerkungen  fertig  war;  wir  vernehmen  statt  dessen,  dass  der  eardstapa 
zu  reden  anhebt,  weil  er  einen  wealsteal  betrachtet,  weil  er  über  das 
düstere  leben  nachdenkt,  und  weil  er  sich  an  frühere  schlachten  erinnert. 
Das  ist  doch  keine  weise,  jemand,  den  man  selbst  unterbrochen  hat. 
seine  rede  fortsetzen  zu  lassen.  Und  was  der  eardstapa  dann  sagt,  ist 
auch  keineswegs  eine  mögliche  fortsetzung  seiner  unterbrochenen  rede. 
„Wo  sind  pfercl,  mann  usw.  hingekommen?"  Hat  er  denn  zuvor 
pferd,  mann  usw.  gesehen?  Keineswegs.  Also  ist  es  auch  nicht  der 
eardstapa,  der  spricht:  'Hurer  civom  mearg'  usw.;  im  gegenteil.  die  worte 
päs  word  äcivib  sind  worte  des  eardstapa,  und  damit  führt  er  den 
wineleas  guma,  von  dem  er  bisher  in  der  dritten  person  gesprochen, 
redend  ein.  Dem  widerspricht  nicht,  dass  z.  110  mit  der  rede  des 
wineleas  guma  auch  die  des  eardstapa  schliesst,  denn  dieser  hat  seiner 
erzählung  von  dem  ivineleas  guma,  der  ja  niemand  anders  als  er  selbst 
ist,  nichts  hinzuzufügen,  und  er  schweigt  daher,  sobald  seine  in  der 
klage  über  die  Vergänglichkeit  alles  irdischen  culminierende  erzählung 
zu  ende  ist.  Nun  sind  z.  92  fgg.  durchaus  dazu  geeignet,  von  dem 
ivineleas  guma  gesprochen  zu  werden.  Denn  diesem  hat  ein  traum- 
gesicht  sich  gezeigt.  Er  glaubte  seinen  herrn  zu  sehen;  er  erwachte 
und  sah  nur  badende  seevögel.  Er  glaubte  sodann  seine  verwandten 
zu  sehen;  er  erwachte,  und  die  erscheinung  glitt  über  das  meer  fort, 
wo  seine  gedanken  ihr  folgen  (56  —  57).  Fürwahr,  dieser  mensch  hat 
guten  grund  zu  fragen:  wo  sind  sie  hingekommen,  mann,  pferd,  herr. 
saal  —  die  ganze  ausmalung  ist  nur  eine  weitere  ausführung  des  vorher 
kurz  skizzierten  traumbildes.  Aber  das  bewusstsein  kehrt  vollständig 
wider,  und  das  hivcer  civom,  das  sich  im  gegebenen  Zusammenhang 
nicht  direct  auf  die  Wirklichkeit,  sondern  auf  die  Scheinwirklichkeit  des 
traumes  bezog,  geht  in  ein  ed  14/  über. 

Es  wäre  nun  in  der  tat  höchst  auffällig,  wenn  der  eardstapa^  der 
das  wesen  des  ivineleas  guma  so  tief  auffasst  und  so  plastisch  vor  äugen 
führt,  der  es  auch  nicht  für  notwendig  erachtet,  der  klage  seines  beiden 
ein  einziges  wort  hinzuzufügen,  seine  erzählung  auf  ihrem  höhenpunete 
unterbrochen  hätte,  um  mitzuteilen,  von  welcher  beschaffenheil  der  Lau! 
der  weit  ist,  und  wie  ein  wita  und  ein  beorn  sich  zu  betragen  haben. 
Und  doch  muss  man  sich  jene  rerse,  ';,"s  s'<->  /u  dem  ursprünglichen 
gedichte  gehören,  als  einen  teil  der  rede  des  eardstapa  verstellen:  als 
directe  äusserung  des  dichters  haben  sie  gar  keinen  zweck  und  stören 
den  Zusammenhang  weit  mehr,  denn  nicht  nur  die  mitteiluug,  dass  der 
eardstapa  zu  reden  aufhört,   sondern    auch    die  in  solchem    falle  uneni- 


6  BOBB 

behrliche  nachricht,  dasa  er  wider  anhebt,  fehlt.  Aufgrund  diesei  er- 
wägungen  ist  man,  wie  ich  glaube,  rollständig  dazn  berechtigt,  /..  '^ 
bis  87  für  einen  jüngeren  zusatz,  für  den  in  der  Ökonomie  des  gedientes 
kein  platz  vorhanden  ist.  zu  erklären1. 

Di«'  person,  welche  z.  88  w'  genannt  wird,  isl  also  der  ivineUas 
guma  aus  z.  31  —  57.  Das  pronomen  genügt  kaum  zur  bezeichnung 
einer  person,  von  der  in  den  letzten  30  /.eilen  (58  —  87)  nichl  die  rede 
war.  A i m ■)■  es  ist  doch  eine  art  hinweisung,  und  mau  darf  ruhig  be- 
baupten,  dass,  wenn  es  unter  diesen  umstünden  kein  leichtes  ist  zu 
verstehen,  auf  wen  z.  88fgg.  sich  beziehen,  solches  vollständig  unmög- 
lich wäre,  wenn  das  pronomen  nicht  dastünde.  Wenn  aber  z.  58  —  87 
ursprünglich  nicht  zu  diesem  gedichte  gehörten,  so  war  eine  solche  hervor- 
hebung  einer  person,  welche  das  subject  des  unmittelbar  vorhergehenden 
Satzes  war,  wenigstens  überflüssig.  Dass  se  tatsächlich  ein  zusatz  des 
interpolators  ist,  der  die  anfangs-  und  Schlusszeilen  von  z.  58—87 
schrieb,  beweist  nun  der  parallelismus  im  ausdruck  mit  den  ursprüng- 
lich vorhergehenden  zeilen. 

]  I  Kino  nähere  betrachtung  dieses  absehuittes  folgt  in  einem  anderen  zusammen- 
hange. Hier  weise  ich  noch  auf  den  Widerspruch,  in  dem  z.  80  — 84  mit  ihrer  an- 
geblichen aufzählung  von  todesarten  mit  den  echten  zeilen  7  und  91  stehen.  Die 
verwandten  des  wincleas  guma  sind  im  kämpfe  oder  sonst  nirgends  gefallen,  vgl.  auch 
z.  97  —  98  (z.  99  — 100,  welche  gleichfalls  von  mehreren  todesarten  nichts  wissen, 
übergehe  ich  aus  gründen,  welche  sicli  später  ergeben  werden).  Unter  solchen  um- 
stünden will  es  mir  nicht  einleuchten,  weshalb  der  vogel  z.  81  sutiu/c  oßbeer,  als 
ein  schiff  erklärt  werden  soll,  bloss  damit  der  interpolator  nicht  menschen  von 
einem  vogel  über  das  meer  tragen  lasse,  denn  er  gibt  uns  wol  härtere  nüsse  zu 
knacken,  und  ein  märchen  dieses  inhalts  kann  ihm  leicht  bekannt  gewesen  sein,  wenn 
er  auch  niemals  von  Hagen,  dessen  Jugendgeschichte  Wülker,  Grundr.  d.  gesch.  d.  ags. 
litt.  s.  206,  ohne  grund  in  diesem  zusammenhange  anführt,  gehört  hatte. —  Bezeichnend 
ist  der  umstand,  dass  der  interpolator  seiner  eigenen  aussage  widerspricht,  denn  wenn 
(l)if)iii)  eal  gecrong  wlonc  bi  ivealle  (79b — 80a),  wer  bliebe  dann  gespart,  um  auf  eine 
andere  weise  sein  leben  zu  verlieren?  Übrigens  glaube  ich  nicht,  dass  in  diesem 
wirren  gerede  eine  aufzählung  aller  denkbaren  todesarten  beabsichtigt  worden  ist; 
namentlich  scheint  mir  die  Übersetzung  deaSe  gedcelde  'übergab  dem  tode,  tötete1, 
trotz  Andreas  955  sehr  zweifelhaft;  auf  den  wolf  angewendet,  dem  es  um  einen  frass, 
nicht  um  ein  opfer  für  den  tod  zu  tun  ist,  ist  das  eine  sehr  verschrobene  ausdrucks- 
weise, angenommen,  dass  sie  an  sich  möglich  ist.  —  Ist  vielleicht  deade  geddlde 
'teilte  mit  dem  tode'  so  zu  verstehen,  dass  diesem  die  seele,  dem  wolfe  der  körper  zufiel? 
Natürlich  auf  dem  schlachtfelde.  Dann  müsste  man  vielleicht  z.  80  ealle  für  stime  lesen 
(eal  geht  z.  79  unmittelbar  voran,  und  summe  folgt  z.  81.  82.  83),  und  der  sinn  der 
ganzen  stelle  wäre :  „  alle  nahm  der  kämpf  fort  (79) ;  einige  trug  (nachdem  sie  gefallen) 
ein  raubvogel  (adler,  rabe,  meinetwegen  der  Seeadler)  über  das  meer  dahin;  andere 
frass  der  wolf;  einige  (diejenigen  unter  den  gefallenen,  welche  nicht  von  den  raubtieren 
verspeist  wurden)  begrub  ein  eorl. 


WANDERER     USD    SEEFAHRER 


Der  eardstapa  erzählt  die  ernpfindungen  des  ivineleas  guma  in 
chronologischer  reihenfolge;  jedesmal  wird  die  mitteilung  mit  demselben 
worte  eingeleitet:  z.  39:  tonne  sorg  and  slcep  .  .  .  earmne  anhogan 
oft  gebindat;  z.  45:  tonne  onwcecnet;  z.  49:  ponne  beot  py  heßgran 
heortan  benne ;  z.  51:  ponne  mäga  gemynd  mod  geondhweorfeÖ1.  Daran 
schliessen  sich  in  völlig  gleicher  weise  z.  88fgg.:  ponne  .  .  .  geond- 
pe ncet,  .  .  .  oft  gemon  wcelsleahta  worn.  Dieser  parallelismus  liefert 
einen  neuen  beweis  dafür,  dass  oben  z.  58  —  87  mit  vollem  rechte  aus- 
geschieden wurden. 

Es  sieht  aus,  als  habe  der  interpolator  an  dieser  stelle  sich  nicht 
damit  begnügt,  das  pronomen  se  hinzuzufügen;  er  hat,  wie  es  scheint, 
auch  versucht  einen  gewissen  Zusammenhang  mit  seiner  interpolation  zu 
stände  zu  bringen.  Formelle  einwendungen,  welche  sich  wider  z.  88  —  89 
erheben  lassen,  werden  ihre  beweiskraft  nur  einer  näheren  betrachtung 
des  ganzen  entlehnen.  In  bezug  auf  den  inhalt  ist  zu  bemerken,  dass 
die  beiden  Zeilen  sich  weder  auf  z.  57  noch  auf  das  was  folgt,  sondern 
auf  das  unmittelbar  vorhergehende  beziehen,  pisne  wealsteal  (88),  „diese 
m  auer  statte  "  scheint  eine  ruine  zu  bezeichnen.  Nun  ist  z.  86.  87  von 
einer  ruine  die  rede,  und  auch  z.  76fgg.  beschreiben  eine  solche,  aber 
das  ursprüngliche  gedieht  weiss  davon  nichts.  Der  wineleas  guma  sitzt 
am  meeresstrande  (z.  57)  und  aus  z.  98  lässt  sich  folgern,  dass  in  der 
nähe  ein  grabmal  sich  befindet2,  obwol  er  dasselbe  erwähnen  kann, 
auch  wenn  er  nicht  selbst  am  orte  steht.  Aber  obgleich  zweimal  von 
wcelsleahtas  die  rede  ist,  dass  die  bürg  des  herrn  zerfallen  ist,  wird 
nirgends  berichtet.  Man  könnte  fragen,  ob  pisne  wealsteal  nicht  auf  den 
iceal  wundrum  he'ah  sich  beziehen  kann.  Abgesehen  davon,  dass  das  eine 
wunderbare  bezeichnung  eines  unversehrten  grabmals  wäre,  verbietet  auch 
pisne  (88),  welches  auf  das  unmittelbar  vorhergehende  weist,  eine  solche 
auffassung.  Z.  88  —  89  hängen  also  mit  58  —  87  zusammen.  Das  beweist 
nun  nicht,  dass  58 — 87  echt,  sondern  dass  auch  88  —  89  unecht  sind. 
Denn  es  ist  auch  zwischen  88  —  89  und  90  ein  directer  Widerspruch  in 
der  ausdrucksweise  vorhanden.  Aus  z.  90  geht  nämlich  hervor,  dass  die 
betrübte  Stimmung  nicht  ein  einziges  mal  durch  den  einmaligen  anblick 
einer  bestimmten  statte,  sondern   widerholt   durch   das    verschwindende 

1)  Dieser  parallelismus  zeigt  deutlich,  welche  iuterpunctiou  des  betreffenden 
abschnittes  die  richtige  ist:  jedesmal  hebt  mit  ponne  ein  neuer  satz  an.  Falls  die 
herausgeber  darauf  aufmerksam  gewesen  wären,  hätten  sie  nicht  an  einigen  stellen 
ponne  als  unterordnende  conjunetion  aufgefasst. 

2)  Das  grabmal  kann  ein  am  strande  errichtetes  weil  sichtbares  de*ukmal 
gewesen  sein,  wie  ein  solches  im  Beowulf  beschrieben  wird. 


trau pibild  erweckl  wird,  feor  oft  gemon  wcehleahta  wom\  da-  oft  be- 
finde! sich  in  bestimmtem  Widerspruch  mit pünt  .  steht  aber  in  voll- 
ständigem einklang  mit  39  57,  vgl.  39;  hoivne  sorg  and  sldp  .... 
änhqgan  oft  gebindet]  vgl.  aucli  z  56  /»in/  j>e  sendan  eceal  swlfti 
geneahht  i  oft)...  we'rigne  sefan  (vgl.  noch  z.  8.  20),  Die  erinne- 
rung  an  die  schlachten,  wo  die  verwandten  gefallen,  Bchliessi  sich  ferner 
auf's  beste  an  die  bemerkung,  dass,  die  träum  gestalten  verschwinden. 

Angesichts  dieser  tatsachßn  weise  ich  nur  der  Vollständigkeit 
halber  auf  das  geschmacklose  wUe  gepöhte,  eine  unklare  widerholung 
von  fröd  in  ferhe,  auf  den  schlechten  stil,  der  geondpencet  und  feor 
oft  gemon  olino  Verbindung  nebeneinander  stellt,  und  auf  den  Welt- 
schmerz, der  z.  89  zum  ausdruck  kommt  und  zwar  an  die  eingebildete 
weltklugheit  des  interpolators  aber  nicht  an  den  positiven  schmerz  des 
wineÜas  guma  malint;  dass  dieser  seine  klage  mit  einer  stilistisch  sehr 
hoch  stehenden  allgemeinen  bemerkung  schliesst,  ist  eine  ganz  andere 
erspheinung.  Das  ergebnis  ist,  dass  die  fortsetzung  von  z.  57  ursprüng- 
lich lautete  (88/90.  91):  ponne  froä  in  /erbe  fear  oft  genton  iral- 
sleahta  ivorn  and  pds  ivord  dciviö. 

Dieses  resultat  ist  für  die  beurteilung  der  übrigen  teile  des  ge- 
wichtes massgebend.  Z.  29  —  36  wird  der  wineleas  guma  eingeführt: 
wer  das  erlebt  hat,  weiss,  wie  schwer  sein  geschick  ist.  Weder  gold 
noch  freuden,  Verbannung  und  ferbloca  freorig  werden  ihm  zu  teil. 
Er  erinnert  sich  entschwundener  Seligkeit.  Darauf  folgt  z.  37  —  38:  for- 
pon  wdt  se  pe  sceal  his  winedryhtnes  leofes  larcwidum  lange  forpolian. 
Dann  die  aufzählung  von  traumerscheinungen  und  empfindungen,  mit- 
einander verbunden  durch  das  widerholte  ponne  am  anfange  des  satzes. 
Dieses  ponne  steht  mit  dem  vorhergehenden  in  keinem  syntactischen 
Zusammenhang.  Man  fragt  nun:  was  bedeuten  z.  37  —  38?  Was  weiss 
derjenige,  der  die  lehren  seines  winedryliten  lange .  entbehren  muss? 
Der  text  bleibt  die  antwort  schuldig.  Eben  so  unmöglich  wie  die  con- 
struetion  ist  der  sinn.  Denn  das  einzige  was  folgen  könnte  ist,  dass 
diese  person  weiss,  wie  schwer  das  leben  ohne  herrn  und  ohne  ver- 
wandten ist.  Aber  das  wissen  wir  schon  lange.  Das  wurde  z.  29fgg. 
mitgeteilt  und  mit  derselben  wendung  eingeleitet:  Wdt  se  pe  eunnaft  usw. 
Dort  war  die  bemerkung  am  platze.  Hier  aber,  wo  von  den  vorstellungs- 
complexen  jenes  wissenden  die  rede  ist,  ist  die  mitteilung,  dass  er 
weiss,  nicht  nur  überflüssig,  sondern  in  hohem  grade  störend.  Die 
beiden  Zeilen  lassen  sich  charakterisieren  als  ein  äusserst  ungeschickter 
versuch,  deutlich  zu  sein.  Mit  einer  gelehrten  miene  setzt  sich  der 
interpolator    an    die    erklärung,    forpon,   'desshalb'    sagt    er,    und    nun 


WANDhHKK    UMj    SKKiAÜKER 


widerholt  er,  was  schon  gesagt  worden  ist,  bleibt  aber  mitten  in  seiner 
erklärimg  stecken.  Den  winedryhten  hat  er  aus  dem  yoldivine  (35) 
und  dem  mondryhten  (41)  zusammengeleimt1.  Eine  ähnliche  stelle  ist 
z.  17  — 18.  Z.  12fgg.  sagt  der  eardstapa:  „einem  eorl  ziemt  es,  dass 
er  sein  herz  fest  verschliesst,  was  er  auch  denken  möge.  Ein  gemüt. 
das  sich  dem  schmerze  hingibt,  vermag  dem  geschicke  nicht  zu  wider- 
stehen." Die  allgemeine  Wahrheit  wird  dann  z.  19  —  20  an  der  redenden 
person  exemplificiert.  „So  musste  auch  ich  unglückseliger  verbannter 
oft  mein  herz  mit  fesseln  binden."  Zwischen  der  lehre  und  dem  bei- 
spiele  steht  nun  (z.  17  — 18):  forpon  dömgeorne  dreoriyne  oft  in  hyra 
breostcofan  bindafi  fceste.  Der  fall  ist  dem  oben  besprochenen  voll- 
ständig analog.  Der  gedanke  ist  nur  eine  widerholung  von  z.  13  — 14. 
und  dieselben  Wendungen  werden  benutzt:  bindaft  fceste  =  z.  13  fceste 
binde;  für  Jiordcofan  findet  der  exeget  die  geringe  Variation  breostcofa; 
das  ganze  wird,  wie  z.  37,  mit  forpon  erklärend  eingeleitet,  und  auch 
die  grammatische  ungeschicktheit  fehlt  nicht,  denn  das  adjectivum 
dreoriyne  schwebt  in  der  luft,  und  das  object  möd  oder  hyge,  zu 
welchem  es  als  bestimmuug  gedacht  ist,  muss  aus  dem  vorhergehenden 
satze  ergänzt  werden.  Es  fällt  auf,  dass  dieses  forpon,  welches  zwei- 
mal die  schlechte  widerholung  eines  schon  mitgeteilten  gedankens  ein- 
leitet, auch  in  der  grossen  interpolation  (z.  58  —  87)  zweimal  begegnet, 
das  erste  mal  sogar  gleich  am  anfang.  Und  beide  male  gleichfalls  ohne 
jede  bedeutung.  Denn  man  versteht  in  der  tat  nicht,  wesshalb  der 
sich  erneuernde  schmerz  desjenigen,  der  seine  gedanken  ofer  wapema 
gebind  sendet,  für  einen  anderen  einen  grund  abgeben  kann  um  mehr 
als  sonst  der  fall  sein  würde,  traurig  gestimmt  zu  werden,  wenn  er 
an  das  ganze  leben  und  den  tod  der  eorlas  denkt  (58  —  62  a),  und  noch 
weniger  leuchtet  es  ein,  wie  aus  der  Vergänglichkeit  der  weit  sich  er- 
geben soll,  dass  ein  mann  nicht  weise  werden  kann,  bevor  er  alt  ist 
(64 — 65a).  Die  frage,  wie  jemand  auf  den  gedanken  kommen  konnte, 
so  viele  unnütze  bemerkungen  mit  forpon  einzuleiten,  lässt  sich  von 
dem  bisher  gewonnenen  Standpunkte  aus  noch  nicht  beantworten;  doch 
genügt  das  forpon,  um  für  die  vier  stellen  einen  ein/igen  nichts 
weniger  als  genialen  dichter  zu  constatieren.  Zu  gleicher  zeit  verdient 
es  beachtung,  dass  ein  weiteres  forpon  in  dem  gedichto  nicht  vor- 
kommt. 

lj  Damit  soll  wie  sich  versteht  nur  gesagt   »m.    woher   das    übrigens  öftor 
begegnende  wort  an  dieser   stelle   stammt.     Das  verfahren   des    mterpolators    an 

anderen   stellen    (vgl.  unten)  und   auch    am   anfang    dieser   zeile   berechtigt   zu  dioser 
annähme. 


10  BOEU 

Noch  eine  stelle  in  der  ersten  bälfte  « 1 «  gedientes  ist  mir  sein' 
verdächtig,  nämlich  z.  24b  —  29a.  So  lange  man  die  ganze  Über- 
lieferung mit  all  ihren  Zusätzen  als  eine  einheil  betrachten  konnte, 
Gelen  diese  zeilen  nicht  besonders  auf,  da  ihr  Inhal!  doch  einigermassen 
dem  stoffe  des  gedientes  sich  fügt.  Nachdem  aber  der  gedankeng 
des  dichters  als  ein  sehr  subtiler  und  ein  sehr  logischer  sich 
hat,  ist  <I<t  nachweis,  dass  sieden  Zusammenhang  stören,  kein  schwie- 
riger. Der  eardstapa  hat  gelernt  sein  herz  zu  verschli  essen,  ><-it  die 
erde  seinen  herrn  deckt  und  er  Geringschätzung  erduldend  von  dannen 
gieng  (19  —  24a).  Wer  das  erlebt  hat,  kennt  die  sorge  dessen,  der 
keine  freunde  hat  (29b fgg.).  Der  herr  und  die  verwandten  leben  in 
der  erinnerung  fort  (34  fgg.).  Was  stellt  nun  zwischen  24a  und  der 
fortsetzung?     Der  eardstapa  ging  von  dannen: 

ofer  wapema  gebiml 
25  söhte  sele  dreorig  sinces  bryttan, 

hivccr  ic  feor  öppe  neah  fmdan  meahtc, 

Pone  pe  in  meoduheaUe  mine  ivisse 

oppe  mec  freondledsne  frefran  ivolde 

wenian  mid  wynnum. 
Dass  der  eardstapa  sofort  einen  Stellvertreter  seines  herrn  sucht, 
stimmt  schlecht  zu  der  Stimmung  unseres  visionärs.  Doch  hätte  dieser 
einwurf  bloss  den  wert  eines  subjeetiven  Urteils,  wenn  nicht  sprach- 
liche und  stilistische  erwägungen  hinzukämen.  Das  antecedens  zu 
pone  pe  (27)  kann  nur  sinces  bryttan  sein  —  der  aecusativ  pone  im 
anschluss  an  z.  26  und  unter  dem  einfluss  von  söhte  —  denn  wenn 
man  pone  mit  findan  verbindet,  so  steht  in  den  zeilen,  dass  der 
eardstapa  den  saal  eines  bestimmten  schatzgebers  sucht,  um  zu  sehen, 
ob  vielleicht  irgend  einer  (der  anwesenden  etwa)  ihn  zu  trösten  bereit 
sei;  ohne  die  nähere  bestimmung  in  z.  27  wäre  nur  der  plural  sinces 
bryttena  am  platze.  Wenn  aber  z.  27  zu  z.  25  [gehört,  wo  ist  dann  das 
objeet  von  z.  26?  Wie  man  die  stelle  auffasst,  der  ausdruck  bleibt 
verschroben.  Und  was  soll  es  heissen,  dass  der  eardstapa  jemand 
sucht,  „der  von  liebe  weiss  —  denn  mine  kann  nur  =  myne  sein  — 
oder  mich  freundlosen  trösten  wollte"?  Dazu  kommt  der  uns  schon 
zur  genüge  bekannte  mangel  an  Originalität  des  ausdrucks.  24b:  ofer 
wapema  gebind  =  57  a.  25:  sele  .  .  .  sinces  bryttan  vgl.  34:  sele  .  .  .  and 
sinepege.  29:  wenian  mid  ivynnum,  vgl.  36:  ivenede  tö  wiste.  28: 
freondleasne ,  vgl.  45:  wineUas  guma.  —  25:  dreorig  zeugt  bloss  von 
armut  des  ausdrucks,  denn  dreorigne  (17)  stammt  aus  derselben  feder. 
Zu  24b  ist  noch  zu  bemerken,  dass  ausser  der  einleitung,  über  welche 


WANDERER    UND    SEEFAHRER  11 

unten  s.  21  fg.  zu  vergleichen  ist,  nur  an  dieser  stelle  berichtet  wird, 
dass  der  eardstapa  über  das  meer  fuhr;  z.  56  sendet  er  bloss  seine 
gedanken  in  jene  richtung;  z.  97  scheint  er  am  grabe  seiner  verwandten, 
also  wahrscheinlich  auch  wol  in  ihrem  lande,  zu  stehen.  Es  kommt 
noch  der  metrische  fehler  (27b)  mine  (=  myne)  wisse  hinzu,  der 
schon  mehrere  emendationen  hervorgerufen  hat,  der  aber  nur  ein  nicht 
alleinstehendes  zeugnis  des  metrischen  Ungeschickes  unseres  interpola- 
tors  ist.     Der  richtige  anschluss  ist  demnach: 

23b.  24a/29b: 

and  ic  hean  poiion 
wöd  wintercearig.     Wdt  se  pe  cunnah  usw. ; 
wadan  ohne  Ortsbestimmung  in   der  bedeutung  'meare,   progredi',  be- 
gegnet auch  sonst,  z.  6.  By.  130. 

Dass  in  der  rede  des  wineleas  yuma  z.  99  — 100  ein  zusatz 
sind,  lässt  sich  kaum  bezweifeln.  Zwar  fehlt  ein  so  direktes  äusseres 
zeichen  der  interpolation,  wie  an  mehreren  der  oben  behandelten 
stellen.  Aber  der  satz  stört  den  direkten  Zusammenhang  von  98/101, 
welche  von  dem  denkmal  reden,  um  zu  widerholen,  was  man  lange 
weiss,  dass  die  männer,  für  welche  ein  denkmal  errichtet  wurde,  tot 
sind.  Die  aufzählung  asca  firyfte  usw.  erinnert  an  z.  80fgg.;  namentlich 
ist  wyrd  seo  märe  verdächtig  (vgl.  unten  s.  21);  zu  den  eorlas  ist  z.  60 
und  auch  84  zu  vergleichen;  der  eardstapa  nennt  seine  verwandten  mit 
herzlicheren  namen;  noch  unmittelbar  vorher  heissen  sie  leof  dugufy 
und  ähnlich  an  allen  anderen  stellen,  wo  er  sio  erwähnt. 

Auch  z.  112  — 115  gehören  nicht  zu  dem  ursprünglichen  ge- 
dichte;  das  zeigt  der  direkte  Zusammenhang  mit  65bfgg.  Der  inhalt 
der  Sprüche  steht  dem  gedichte  durchaus  fern;  der  hinweis  auf  diu 
himmel  (z.  115)  lässt  sich  überall  anbringen.  Mit  einem  gewissen 
geschmacke  sind  hier  schwellverse,  welche  allerdings  auch  z.  74  a.  75a 
vorliegen,  für  den  schluss  gewählt  worden,  vielleicht  im  anschluss  an 
die  letzte  feierliche  zeile  des  ursprünglichen  gedichtes1. 

Die  längere  interpolation  z.  58  —  87  lädt  zu  einer  genaueren  be- 
trachtung  ein.  Zwei  demente  lassen  sich  in  ihr  deutlich  unterscheiden. 
Zunächst  die  ausführungen  über  die  eorlas,  welche  plötzlich  starben, 
über  die  täglich  alternde  weit,  über  die  in  trümmem  liegenden  wein- 
säle  und  was  damit  zusammenhängt;  sodann  die  Sprüche,  die  mit  den 
denksprüchen  derselben  (Exeter-)  handschrift  eine  enge  Verwandtschaft 

J)  Als  einen  schwellvers  des  dichtere  fasso  ich  auch  z.  107 a  auf.  liier  ist 
der  aulass  dazu  derselbe  wie  111,  eine  gehobene  stimmuug,  welche  einen  entsprechenden 
ausdiuek  sucht;  vgl.  auch  die  form  der  y-  108  —  9.     A.uoh  LlOa  ist  bo  zu  verstehen, 


zeigen,  welche  unten  Doch  klarer  zu  tage  treten  wird.  Die  frage,  ob 
die  sprüohe  von  demselben  oder  von  einem  jüngeren  interpolator  wie 
die  übrigen  zusätze  herrühren,  —  von  einem  alteren  kann  nicht  die 
rede  sein,  da  die  spräche  inmitten  der  grossen  Interpolation  angebracht 
worden  sind  ist  oiehl  leicht  zu  beantworten.  Gegen  die  Identität 
der  Verfasser  der  Interpolationen  1  und  II1  scheinen  mehrere  gründe 
ZU    reden:    I    dichtete   selbst3,    denn    v  igt,    bezieht    sich    auf   den 

inhalt  des  gedientes;  die  rerse  haben  ausserhalb  dieses  zusammenhai 
niemals  existiert.  II  nimmt  verse  auf,  welche  er  nicht  Berber  gedichtet 
hat,  aus  seinem  gedäcbtnisse  oder,  weniger  wahrscheinlich,  aus  einem 
geschriebenen  buche.  Ferner  ist  es  a  priori  nicht  Behr  wahrscheinlich, 
dass  I  seine  predigt  über  die  Vergänglichkeit  dieser  erde  unterbrochen 
haben  würde,  um  Sprüche  aufzunehmen,  deren  inhalt  seinem  gedanken- 
gange  gerade  so  fern  steht  wie  dem  des  alten  gedichtes.  Demgegen- 
über ist  daran  zu  erinnern,  dass  wir  von  I  nicht  genug  wissen,  um 
mit  Sicherheit  zu  entscheiden,  wozu  er  im  stände  gewesen  sein  kann. 
Dass  der  Zusammenhang  bei  ihm  zuweilen  manches  zu  wünschen  übrig 
lässt,  kann  aber  nicht  geleugnet  werden.  Es  fragt  sich  somit,  ob  eine 
scharfe  grenzlinie  zwischen  I  und  II  gezogen  werden  kann.  Zu  I  ge- 
hören 58  —  63.  75  —  87;  zu  II  65b  — 72;  fraglich  bleiben  64— 65a; 
73 — 74.  Letzteres  verspaar:  ongietan  sceal  gleaiv  hcele,  hu  gdstlw  biö, 
po?i?ie  ealre  pisse  worulde  wela  iceste  stondeft,  zeigt  einen  einigermassen 
gnomischen  Charakter  und  stimmt  auch  darin  mit  den  vorhergehenden 
Sprüchen  überein,  dass  es  eine  Vorschrift  enthält.  Der  verseingang: 
verbum  oder  substantivum  mit  folgendem  sceal  ist  dem  von  65b.  70 
gleich.     Andererseits  mahnt  der  schlechte  stil  —  das  subjeet  des  satzes 

1)  Wo  die  Unterscheidung  notwendig  ist.  nenne  ich  die  beiden  interpolationen- 
gruppen  I  und  II  und  deute  mit  diesen  zahlen  auch  ihre  Verfasser  an.  ohne  dadurch 
über  die  frage,  ob  tatsächlich  zwei  verschiedene  Verfasser  anzunehmen  sind,  zu 
präjudicieren.  Zu  I  gehören  z.  58  —  87  mit  ausschluss  der  Sprüche,  ferner  16  — 17. 
24b  —  29a.  37  —  38.  99  — 100;  zu  II  die  Sprüche  in  der  grossen  interpolation  und 
z.  112  —  115. 

2)  Damit  wird  ihm  keine  dichterische  Selbständigkeit  zugesprochen;  Originalität 
des  ausdrucks  geht  ihm  völlig  ab.  Wo  er  nicht  dem  gedichte  selbst  seine  formein 
entlehnt,  benutzt  er  andere  quellen,  vgl.  unten  s.  21  fg.,  wo  mehrere  beispiele  an- 
geführt werden.  Z.  87  enta  geiveorc  stammt  ferner  aus  Euine  2;  eine  andere  ent- 
lehnung  aus  demselben  gedichte  unten  s.  17;  schwächere  anklänge  finden  sich  in 
dem  vorliegenden  passus  (58  —  87)  au  mehreren  stellen.  —  Hierher  gehört  auch  die 
von  Rieger  hervorgehobene  stelle  Wa.  75  'Der  menschen  geschicke'  64  —  5  [Swä 
missenlice  .  .  .  geond  eorßan  sceat).  Sume  .  .  .  swnne  usw.  (z.  80  fgg.)  findet  sich 
durch  dasselbe  gedieht  durchgeführt,  aber  auch  anderswo  (z.  b.  in  "Des  menschen 
gaben'. 


WANDERER    UND    SEEFAHRER  13 

hu  gdstlic  bib  fehlt  —  an  I;  und  der  inhalt  klingt  wenigstens  un  das 
folgende  swld  ml  .  .  .  winde  biiväune  iceallas  stondab  an.  Freilich  lässt 
sich  das  auch  daraus  erklären,  dass  die  folgenden  zeilen  II  an  einen 
sprnch  über  die  Vergänglichkeit  mahnten,  und  der  schlechte  stil  könnte 
in  diesem  falle  auf  mangelhafter  Überlieferung  beruhen.  Eine  entschei- 
dung  ist  hier  schwer  zu  treffen1.  Die  fortsetzung  zu  63  bildet  aller- 
dings 75,  nicht  73,  aber  auch  das  beweist  nichts,  da  auch  dann,  wenn 
man  73  —  74  zu  II  stellt,  doch  64  —  65a  noch  63  von  ihrer  natürlichen 
fortsetzung  trennen.  Denn  dass  diese  l1*  Zeilen,  welche  einerseits  den 
Zusammenhang  zwischen  63  und  75  stören,  andererseits,  obgleich  sie 
einen  gnomischen  Charakter  tragen,  doch  den  folgenden  Sprüchen,  welche 
alle  in  einer  und  derselben  weise  anheben,  formell  fernstehen,  zu  I 
gehören,  beweist  das  forpon  am  anfange.  Auch  hier  wäre  also  die 
entscheidung  unsicher,  wenn  nicht  ein  äusseres  kennzeichen  (forpon)  zur 
hilfe  käme.  Das  würde  darauf  weisen,  dass  tatsächlich  eine  scharfe 
grenzlinie  nicht  vorhanden  ist,  und  zu  dem  Schlüsse  führen,  dass  I 
und  II  von  einem  interpolator  herrühren.  Aber  gerade  an  dieser  stelle 
wird  eine  naht  sichtbar.  Während  überall,  auch  in  den  Sprüchen,  eine 
gewisse  regelmässigkeit  des  Versbaues  wenigstens  angestrebt  worden  ist. 
steht  man  bei  z.  65:  wintra  dcel  in  woruldrice.  Wita  sceal  gepyldig 
vor  einem  metrischen  ungeheuer.  Die  zeile  ist  überfüllt:  ihre  erste 
hälfte  kann  gar  nicht  zwei-  und  schwerlich  dreihebig  gelesen  werden; 
es  hat  den  anschein,  als  bilde  diese  hälfte  eine  volle  langzeile.  Wenn  I 
blos  diese  hälfte  schrieb,  so  war  das  freilich  keine  tadellose  langzeile. 
aber  das  liesse  sich  doch  recht  wol  verstehen.  Er  hatte  eine  vollständige 
langzeile  wie  Gen.  1185  wintra  gebidenra  on  woruldrice  im  gedächt- 
nisse.  Als  er  nun  nach  dem  muster  von  gebidenra  </>>'l  eine  erste  halb- 
zeile  schrieb,  wurde  diese  um  eine  silbe  zu  kurz:  aber  ein  dichter 
der  unmittelbar  vorher  (64)  einen  vers  schreiben  konnte  wie: 

forpon  ne  mag  iceorjum   wis  wer.  cer  //'•'  äg< 

wird  auch  kein  bedenken  gehegt  haben,   z.  65   on   sui   ersten    halbzeile 
zu  stellen.     Die  zweite   halbzeile:   woruldrice  steht   dann    metrisch   auf 

1)  Das    steht    aber   fest,    oh    man    nun    für   z.  73 — 74    and  75fgg.    einen 
zwei  dichter  annimmt,   dass  z.  7.~>   ein    neuer   satz   anhebt  und  nach    74    punctum   — 
nicht  semicolon,  wie  die  herausgebe!  schreiben       stehen  muss.     Der  Zusammenhang 
zwischen  63  und  75  ist  vollständig  klar,  und  durch  die  gewaltsame  Verbindung  von 
73  —  74  und    75    zu   einem    safze    wird    zwar    75    verständlich,   7S— 74   bleiböi 
unklar  wie  zuvor. 

2)  Man  beachte  auch  die  durchaus  sprachwidrige   verebetouung  ».58,  " 
/..  59,  wo  min  die  hauptatäbe  sind. 


I  I  B01  K 

einer  linie  mit  der  von  demselben  interpolator  gedichteten  z. 27b:  mim 
wisse.  Als  nun  darauf  die  Sprüche  in  den  texl  aufgenommen  werden 
sollten,  Iml)  der  erste  spruch  --  wie  viele  andere—  mit  einer  zweiten 
balbzeile  an,  und  nun  wurde  z.65  für  die  anknüpfung  verwendet 

Da  wir  bisher  bei  I  keiner  zeile  begegneten,  welche  bis  zu  dem 
grade  wider  die  metrischen  regeln  Verstoss!  wie  diese,  liegt  der  ge- 
danke  an  einen  zweiten  interpolator  nahe.  Indessen  ist  doch  zu  er- 
wägen, dass  die  zeile,  auch  wenn  sie  ganz  aus  der  feder  von  I  stammt, 
doch  in  gewissem  sinne  einen  ausnahmefall  darstellt  Denn  wo  es 
galt,  etwas  fertiges  wie  einen  spruch  aufzunehmen,  war  die  metrische 
Schwierigkeit  grösser  als  da,  wo  es  bloss  darauf  ankam,  den  eigenen  ge- 
danken  oder  die  eigene  gedankenlosigkeit  weiterzuführen. 

Unser  vorläufiger  schluss  ist,  dass  einige,  freilich  nicht  zwingende 
gründe  für  zwei  interpolatoren  reden,  dass  aber,  falls  im  weiteren  laufe 
der  Untersuchung  gründe  für  eine  entgegengesetzte  auffassung  sich  er- 
geben würden,  die  verschiedenen  zusätze  des  'Wanderers1  sich  auch  als 
arbeit  eines  einzigen  interpolators  erklären' lassen. 

IL 

Untersuchung  des  'Seefahrers'.     Das    gegenseitige  Verhältnis 
zwischen  'Wanderer'  und  'Seefahrer'. 

Mit  Kluge  (Engl.  Stud.  6,  312 fgg.)  nehme  ich  an,  dass  z.  64b— 124 
ein  jüngerer  zusatz  sind.  Es  ist  aber  leicht  zu  ersehen,  dass  das  gedieht 
ursprünglich  nicht  mit  64a  aufhörte;  die  Überlieferung  ist  also  an  dieser 
stelle  fragmentarisch,  und  kein  grund  ist  vorhanden,  die  möglichkeit 
zu  leugnen,  dass  sie  auch  an  anderen  stellen  lückenhaft  ist.  Ferner 
glaube  ich  mit  Rieger  (Zschr.  1,  330),  dass  das,  was  dem  zusatze  vor- 
hergeht, ein  dialog  ist,  wobei  ich  nicht  entscheide,  ob  derselbe  von 
zwei  personen  geführt  wird,  oder  ob  eine  person  mit  sich  selbst 
redet.  Ich  kann  aber  nicht  die  ganze  erste  hälfte  des  überlieferten 
gedientes  (1  —  64a)  für  einen  dialog  halten,  und  zwar  aus  folgenden 
gründen:  1.  die  grenzlinien  zwischen  rede  und  gegenrede  sind  über- 
all scharf  gezogen.  Rede  und  gegenrede  sind  durchgehend  ungefähr 
gleich  lang.  Die  reiselustige  person  spricht  33b  —  38  (=  S'/i  z.) 
—  über  39  —  43  vgl.  unten  —  der,  welcher  von  der  reise  abhält, 
44  —  47  (=  4  z.).  Die  übrigen  Zeilen  verteilen  sich  in  folgenderweise: 
48  —  52  (5  z.).  53  —  57  (5  z.).  58  —  64a  (6 Vi  z-)-  Dazu  steht  nun  in 
keinem  proportionellen  verhältniss,  dass  derjenige,  der  die  reise  wider- 
rät, mit  einer  rede  anfängt,  welche  länger  ist  als  alles,  was  folgt  (32x/2  z. 


WANDERER    UND    SFFFAHRER  15 

gegenüber  32  z.  im  dialog).  2.  die  person,  der  das  reisen  keine  freude 
macht,  spricht  z.  1 —  33a  in  einem  ganz  anderen  tone  als  später. 
2.1  —  33a  teilt  er  seine  persönlichen  erlebnisse  mit;  die  besch werden 
und  gefahren,  welche  er  persönlich  erfuhr,  erfüllen  ihn  ganz;  kein  wort 
von  allgemeinerer  bedeutung,  nicht  einmal  der  rat  zu  hause  zu  bleiben, 
wird  vernommen.  Demgegenüber  malen  z.  44  —  47.  53  —  57  in  ganz 
allgemeinem  sinne  die  entbehrungen  des  seemannslebens  aus,  der  See- 
fahrer aber,  der  aus  eigener  erfahrung  spricht,  ist  verschwunden;  der 
ton  der  zeilen  ist  ausschliesslich  adhortativ  —  von  einer  klage  keine 
spur.  3.  das,  was  die  reiselustige  person  z.  33b  fgg.  aussagt,  ist  keines- 
wegs eine  antwort  auf  das,  was  vorhergeht.  „Darum  treibt  mich  mein 
herz  dazu  an,  dass  ich  selbst  den  hohen  meeresstrom1  kennen  lerne." 
Warum?  Weil  es  einem  anderen  dort  unbehaglich  zu  mute  geworden? 
Was  ist  das  für  eine  logik? 

Der  dialog  —  besser:  der  uns  bekannte  teil  des  dialogs  —  hebt 
also  z.  33b  an;  die  ersten  worte  zeigen,  dass  etwas  vorangegangen,  dass 
also  am  anfang  wie  am  ende  ein  stück  fehlt.  Was  vorhergeht,  ist  ein 
anderes  gedieht,  die  klage  eines  Seefahrers,  gleichfalls  fragmentarisch, 
welches  auf  grund  der  ähnlichkeit  des  inhaltes  mit  dem  dialogischen 
gedichte  verbunden  wurde.  Inhaltlich  steht  es  in  der  mitte  zwischen 
'Wanderer'  und  dialog.  Der  mann  klagt  über  seine  einsamen  reisen. 
Die  einsamkeit  teilt  er  mit  dem  eardstapa  des  'Wanderer',  die  seereise 
als  hauptinhalt  ist  der  berührungspunkt  zwischen  'Klage'  und  dialog. 

Betrachten  wir  zunächst  noch  den  'Seefahrer'  als  ganzes,  so  zeigt 
sich  mit  dem  'Wanderer'  nicht  bloss  stoffliche  Übereinstimmung,  sondern 
auch  gleichheit  des  ausdrucks.  Das  haben  auch  andere  bemerkt.  Zu 
welchen  Schlüssen  aber  berechtigen  diese  Übereinstimmungen?  Weisen 
sie  darauf,  dass  beide  gedichte  aus  einer  schule  stammen,  wo  bestimmte 
gefühle  und  stereotype  gefühlsausdrücke  zur  manier  geworden  waren? 
Oder  hat  während  der  mündlichen  oder  schriftlichen  tradition  eines  der 
beiden  gedichte  das  andere  beeinflusst,  sei  es  durch  irrtümliche  Über- 
führung von  motiven,  sei  es  durch  absichtliche  Umarbeitung?  Wenn 
die  gleichheit  aus  der  schule  stammt,  lässt  sich  erwarten,  dass  die 
Übereinstimmungen  einigermassen  gleicbmässig  über  das  ganz»'  verteilt 
sein  werden.  Auch  wird  mehr  ähnlichkeil  als  vollständige  gleichheit 
sich  zeigen.  Hingegen  weisen  gruppenweise  auftretende  Übereinstim- 
mungen, zumal  bei  starker  ähnlichkeit,  auf  direkte  beeinflussung.  Wie 
verhält  sich  in  dieser  hinsieht  der  'Seefahrer'  zum  'Wanderer'? 

1)  hean  streamas  1.  mit  Kumulier  heahstreamas.    Oder  hin  striamas^ 


I  <)  BUKK 

An  anklängen,  welche  aus  der  ähnlichkeit  der  dichtungsart  sich 
leicht  erklären,  linde  ich: 

Se.  12  mertw&rig.  29  icrr'xj.     Wa.  57  Uüirig  \e  sefdn.   15  wirig  möd. 

[2  55  /ra  /  se  wow   (se  beorn)  ne   wät.      Wa.  11    7c  ftj  sdj5« 

//v/7.     29    Wät  sr  />r  cunnat    vgl.  ::7  (interjwl.  I).     Wät  sä 

/>r  sceal  usw. 

Sc.  l  i   earmceärig  (Vgl.  5  ökatseld).     Wa.  2  mödeeärig.  20  earm- 

iriiriij.     21    irinlercearig. 
Von  grösserer  bedeutung  sind    die  folgenden   zum  teil  schon  von 
Riegef  verzeichneten   Übereinstimmungen,   welche   ich   in   vier  grnppen 
teile  (über  eine  fünfte  gruppe  s.  die  amtierkung  zu  s.  24). 

1.  Se.  23   Stormas  pcer  stänclifu  böotan.     Wa.  101    /V/n  stänhleopu 

stör  ums  enyssaft. 
Se.  31  JV/y;  nihtscüa.     Wa.  104  w^eö  nihtscüa. 
Se.  31  norpan  snhvde.  Wa.  104  —  5  norptm  onsendeÜ  farSo  h&glfare. 
Se.  32  ///////  hrusan  band.  Wa.  102 — 3  hf&saft  bindet!  tbintres  wörtiä. 
Se.  32  luegl  feol  on  eorpan.     Wa.  hrio  hcejflfeers,    vgl.  auch  102 

hrib  hreoscnde. 
Falls  Se.  26  mit  Gr.  und  Rieger  frefran   statt  feran  zu  lesen  ist, 
kommt  noch  hinzu: 
•     Se.  25  b  —  26  nd?iig  hleötncega 

feasceaftig  ferb  frefran  meahte. 

Wa.  28  oppe  mec  freondleasne  frtfmn  ivolde. 

2.  Se.  65 — 66  pis  deade  lif  lehne   on  lande.     Wa.  108  —  9   lnJjr   InCs 

fe'oh  lerne  usw. 

3.  Se.  14  iscealdne  sä.     Wa.  4  krimeealde  sce. 

Se.  15   ivunade    ivrceccan    lästum.     57  pe  pd  lurcecldstas    ividost 
leegab.     Wa.  5  wadan  ivrcecldstas. 

4.  Die  Sprüche  Se.  106fgg.,  vgl.  Wa.  112:  dazu  der  schluss.  der  in  red- 
seliger weise  dazu  auffordert,  den  himmel  zu  suchen,  vgl.  Wa.  114b — 115. 

Es  fällt  sofort  auf,  dass  die  Übereinstimmungen  nicht  gleichmässig 
verteilt  sind,  sondern  gruppenweise  auftreten.  Zumal  zeigt  sich  das 
deutlich  an  gruppe  1,  auf  welche  allein  in  einem  räume  von  10  zeilen 
von  den  9  bis  10  in  den  grnppen  1  —  3  enthaltenen  stellen  5  bis  6 
fallen,  während  in  32  aufeinander  folgenden  zeilen  (33  —  64)  keine 
einzige  Übereinstimmung  mit  dem  Wanderer  vorhanden  ist.  Jene  zehn 
zeilen  mit  fünf  bis  sechs  parallelstellen  zum  Wanderer  stehen  nun 
gerade  am  Schlüsse  des  ersten  gedichtes,  der  'Klage':  es  stehen  sogar 
vier  der  genannten  stellen  in  direktem  zusammenhange  miteinander  in 
den  letzen  21/,  zeilen.     Die  folgerung,  dass  diese  zehn  zeilen  in   der 


WANDKRKR    UND    SKKFA11RER  17 

vorliegenden  gestalt  die  arbeit  jenes  compilators  sind,  der  die  "Klage' 
mit  dem  dialoge  zu  einem  ganzen  vereinigte,  und  dass  dieser  bearbeiter 
dabei  den  "Wanderer  benutzte,  liegt  auf  der  hand.  Vorläufig  constatiere 
ich,  dass  wenigstens  z.  31 — 33a  ganz  von  ihm  herrühren. 

Die  zweite  gruppe  enthält  nur  eine  stelle:  Se.  65  —  6.  Wa.  108  —  9. 
Welches  gedieht  hier  der  entlehnende  teil  ist,  kann  nicht  zweifelhaft 
sein.  Die  prächtige  lyrik  des  Wanderers  ist  im  Seefahrer  zu  albernem 
gerede  benutzt  worden1.  Die  worte  stehen  an  einer  ähnlichen  stelle 
wie  gruppe  1,  nämlich  unmittelbar  hinter  dem  dialogfragmente  am 
anfange  der  hinzugefügten  langen  predigt;  die  einleitungsphrase  musste 
widerum  der  Wanderer  hergeben;  derselbe  pfuscher  schrieb  diese  zeilen 
'und  jene.  Die  erkenntnis  aber  der  Umarbeitung  resp.  der  unursprüng- 
keit  der  z.  22  —  33a  und  64bfgg.  führt  zu  der  entdeckung  einerneuen, 
sehr  wichtigen  Übereinstimmung,  welche  auch  über  die  person  des  mn- 
arbeiters  ein  licht  aufgehen  lässt.  Denn  an  beiden  stellen  begegnen 
wir  dem  unglückseligen  aus  den  Zusätzen  des  Wanderers  schon  zur 
genüge  bekannten  forpon.  Der  Zusammenhang  lässt  keinen  zweifei 
daran  übrig,  dass  derselbe  interpolator  I,  der  die  mit  forpon  anhebenden 
teile  des  Wanderer  schrieb,  auch  Se.  27  und  64  niedergeschrieben  hat. 
Se.  27  fgg.  liefert  sogar  ein  vollständiges  analogon  zu  Wa.  17  — 18.  37  —  38. 
Was  lange  vorher  erzählt  worden  ist,  wird  noch  einmal  widerholt  und 
obgleich  es  nichts  erklärt,  mit  einem  erklärenden  forpon  eingeleitet. 
Z.  12  fgg.  heisst  es:  „das  weiss  ein  glücklicher  mensch  nicht,  wie  ich 
unglücklicher  im  winter  auf  dem  kalten  meere  mich  aufhielt".  Es 
folgt  eine  beschreibung  der  Situation:  reif,  hagel,  wasservögel;  und 
dann:  „darum  (!)  weiss  ein  glücklicher  mensch  nicht,  welches  elend 
ich  auf  dem  meere  erduldet  habe''.  Zum  ausdruck  ist  zu  bemerken, 
dass  wlonc  and  wingäl  (29  a)  aus  Ruine  35  a  stammt.  —  Gerade  so  ein- 
fältig steht  forpon  z.  64  da.  „Mein  gemüt  reizt  mich  unwiderstehlich 
über  das  meer  zu  reisen,  darum  (sie!)  mache  ich  mir  mehr  aus  des 
herrn  jubel  als  aus  diesem  toten,  vergänglichen  leben  auf  dem  lande" 
(oder  „auf  der  erde"?  es  ist  gerade  so  deutlich  wie  es  Wa.  61  ist,  ob 
von  bestimmten  oder  von  allen  eorlas  die  rede  ist). 

Man  sieht  leicht,  dass  eine  und  dieselbe  nicht  sehr  gewissenhat'u- 
person  den  Wanderer  und  den  Seefahrer  umgearbeitet  hat.    Es  ist  der- 

1)  leene  als  adj.  zu  Vif  begegnet  oft;  in  diesem   falle   beweist  die  grosse  zahl 
der  Übereinstimmungen    den   Zusammenhang.      Auch   im   'Traumge&iohi    \"m    \u 
z.  138  steht  diese   Verbindung;   da   aber  der  Wanderei   mit    dem  Iraumgesioht 
nichts  gemein    hat   (ein  genügender  gnuid,    um   den  behaupteten    zusammenhao 
beiden  gedichte  zu  leugnen)*  beweist  liier  die  —  öfter  belegte        Formel   niohts. 

ZEITSCHRIFT    V.    DRUTSCITE    PHTT.OT.OQtR.       BD.    XXXV.  _' 


18 

selbe,  der  die  Fragmente  der  "Klage'  und  des  dialoges  zu  einem  ganzen 
vereinigte,  und  mit  diesen  beiden  ein  drittes  stück,  von  dem  man  sogar 
mit  grund  annehmen  kann,  dass  er  es  selbst  gedichtel  bat  Wenigstens 
ist  ein  bruchslück  dieser  stabreimenden  homilie  sein  mach  werk;  das  zeigt 
u.  a.  ein  weiteres  fordern  z.  72.  „Ton  diesen  drei  dingen  eines:  krank; 
heit,  alter  oder  das  schwort  ist  stets  die  arsache  des  todes  der  men- 
schen1, darum  (ist)  für  jeden  (\cv  eorlas  das  lob  derjenigen,  die  nach 
ihm  leben  und  nach  seinem  hingange  über  ihn  reden,  das  beste  der  nach- 
reden (lästworda) " ;  der  ausdruck  isl  so  stümperhaft  wie  der  gedanke; 
in  Übereinstimmung  mit  seiner  gewohnheit  hisst  überdies  der  dichter 
widerum  einen  unentbehrlichen  satzteil,  diesmal  die  copula,  fort. 

Der  dialog  hat  mit  dem  Wanderer  wenig  "der  nichts  gemein  und 
scheint,  soweit  überliefert,  ziemlich  gut  erhalten  zu  sein.  Abgesehen  von 
seinem  eigenen  werte,  hat  er  auch  für  die  jüngere  geschichte  der  Über- 
lieferung seine  bedeutung.  Er  belehrt  uns  darüber,  wie  der  interpolator  zu 
seinem  forpon  gelangt  ist.  Denn  das  wort  begegnet  im  dialuge  zweimal  an 
durchaus  richtiger  stelle.  Die  eine  steht  gleich'  am  anfang.  Die  reiselustige 
person  antwortet.  Man  muss  annehmen,  dass  der  andere  auf  die  besebwer- 
den  der  seereise  hingewiesen  hat.  Allein  nicht  bloss  achtet  er  dieselben 
nicht,  im  gegenteil  treiben  sie  ihn  zur  fahrt  an:  ein  'darum'  hat  also 
guten  grund.  Gerade  so  58:  „der  glückliche  mensch  weiss  nicht,  was 
diejenigen  leiden,  welche  die  wege  der  Verbannung  ziehen.  Gerade 
deshalb  verlangt  mein  herz  nach  dem  meere."  Das  ist  tadellos.  Aber 
nicht  für  einen  nüchternen  bücherwurm,  der  nicht  versteht,  wie  gerade 
drangsal  und  gefahr  mit  magischer  gewalt  das  herz  anzuziehen  vermögen. 
Unser  interpolator  verstand  von  dem  gediente  nicht  mehr  als  dass 
widerholt  eine  vollständig  heterodoxe  behauptung  mit  fotpon  eingeleitet 
wurde  —  dass  das  gedieht  ein  dialog  war,  scheint  er  nicht  einmal 
gesehen  zu  haben  —  und  er  machte  nun  selbst  von  dem  von  ihm 
entdeckten  stilmittel  einen  freien  gebrauch.  Überall  wo  es  ihm  einfiel, 
etwas  zu  schreiben,  was  mit  dem  vorhergehenden  nicht  im  geringsten  Zu- 
sammenhang stand,  oder  wo  er  doch  die  logische  entwicklung  der  ge- 
danken  durch  eine  widerholung  oder  eine  unerwartete  wendung  unter- 
bricht, da  schob  er  sein  forpon,  welches  ja  im  ursprünglichen  gedichte 
in  für  ihn  gleich  unverständlicher  weise  verwendet  wurde,  dazwischen.. 

Im  forpon  des  dialoges  zeigt  sich  Stilgefühl.  Es  ist  darin  etwas 
refrainartiges,  welches  die  widerholten  ausbrüche  des  Verlangens  charak- 
terisiert.    Aber   es  wurde    mit  feinem    geschmack  benutzt.      Nicht  alle 

1)  Statt  gehwylce  (68)  lese  ich  gehwyleum.    Aber  was  bedeutet  rir  his  t'ul  dgd  ? 


WANDKRKR   UND  SERFAHRER  19 

reden  des  reiselustigen  mannes  beginnen  mit  diesem  werte.  Z.  48 
hebt  er  einfach  an:  „die  bäume  blühen,  die  maulbeeren  sehnnicken 
sich".  "Wo  aber  einmal  forjjon  refrainartig  zur  Charakterisierung  des 
gefühls  der  reiseinst  verwendet  wird,  ist  die  möglichkeit  ausgeschlossen, 
dass  auch  die  andere  person,  welche  vor  der  reise  Avarnt,  ihre  rede 
auf  dieselbe  weise  anfangen  wird.  Doch  hat  der  interpolator  auch  das 
zu  stände  gebracht.  Nachdem  z.  33  b  —  38  das  verlangen  nach  der  reise 
zum  ausdruck  gekommen  ist,  malt  der  erfahrenere  mann  die  entbeh- 
rungen,  welche  der  reisende  erduldet,  in  beredten  worten  aus.  Vier 
zeilen  (44 — 47)  erwähnen  die  harfe  und  die  ringe,  frauenliebe  und 
weltfreude;  alles  das  existiert  für  den  reisendeD  nicht;  "immerfort  wird 
der,  welcher  auf  dem  meere  fährt,  von  verlangen  heimgesucht".  Zwischen 
rede  und  gegenrede  sind  fünf  zeilen  eingeschoben,  mit  denen  sich 
nichts  anfangen  lässt.  „Darum"  (also  weil  der  erste  redner  gerne  reisen 
will!)  „ist  kein  mann  auf  erden  so  stolz  noch  so  vom  glücke  begünstigt, 
noch  in  seiner  jugend  so  tüchtig,  noch  in  seinen  taten  so  stark,  noch 
ist  ihm  sein  herr  so  hold,  dass  er  auf  dem  meere  nicht  stets  in  sorge 
verkehren  müsse,  wohin  (auch?)  sein  herr  ihn  senden  (?)  will".  Wer 
das  versteht,  dem  ist  wol  keine  stelle  der  Überlieferung  unverständlich. 
Soll  das  ein  teil  des  ursprünglichen  gedichtes  sein,  so  können  die  worte 
nur  zu  der  rede  dessen,  der  von  der  reise  abrät,  gehören.  Aber  welch 
eine  spräche!  Der  interpolator  erleichtert  uns  widerum  die  beurteilunu 
der  stelle  durch  den  gebrauch  seines  gewohnten  flickwortes,  welches 
er  diesmal  vollständig  im  sinne  des  Originals  anzuwenden  glaubte.  Unser 
urteil  wird,  sofern  das  noch  nötig  ist,  durch  die  ausserordentlich  stümper- 
hafte metrische  form  der  z.  40  —  41,  von  denen  41  den  höhepunkt 
der  missgestaltung  erreicht,  bestätigt.  Abgesehen  von  diesem  zusatze 
und  von  geringern  fehlem  der  Überlieferung  halte  ich  33b  —  64a  für 
ein  gut  erhaltenes  fraginent,  lang  genug,  um  eine  ästhetische  Würdigung 
zuzulassen.  Der  poetische  wert  ist  nicht  gering  anzuschlagen.  Drei- 
mal wird  die  äusserung  der  reiselust  widerholt  Gegenüber  dieser, 
einigermassen  monotonen,  refrainartigen  widerholung  steht  auf  der  seit.' 
des  warnenden  ein  Verständnis  für  das  was  gesagt  wird  und  ein  weh- 
mütiges eingehen  auf  die  worte  des  ersten  redenden.  Am  schönsten 
kommt  diese  Stimmung  z.  53fgg.  zum  ausdruck.  Der  jubel  über  das 
frühjahr  wurde  erwähnt:  bäume  blühen,  maulbeeren  schmücken  -ich. 
die  flur  gewinnt  ein  Liebliches  aussehen ;  das  alles  fordert  /.um  schleunigen 
aufbrach  auf.  Die  antwort  zeigt,  dass  die  rede  verstanden  wurde;  auch 
der  warnende  hört  die  stimme  der  oatur:  „aber  gleichfalls  singt  der 
kuckuck,* der  böte  des  sommers  mit   klagendem   rufe:  er  kündi 


20  BOKR 

bitter  im  herzen".    Ich  kann  Sweet  nicht  beistimmen,  der  im  kucku 
gesang  einen   ruf  Bieht,   der  zum  aufbrach   mahnt,    und   die  ,atriking 

parallel'  welche  er  (Reader7  223)  aus  Kennan's  Siberia   anführt,  scheint 
mir  dem  gedanken  der  stelle  durchaus  fern  zu  stehen. 

Über  die  form  des  dialoges  ist  noch  einiges  zu  bemerken.  ESs  zi 
sich  schon,  dass  rede  und  gegenrede  in  ungefähr  gleich  langen  perioden 
aufeinander  folgen.  Eine  rede  besteht  aus  4  Zeilen,  zwei  aus  5,  6ine  am 
anfange  aus  5x/2,  eine  am  Schlüsse  aus  61/,  zeilen.  Das  steht  auf  der 
grenze  der  strophischen  form1.  Die  ähnlichkeil  mit  mehreren  dialogischen 
Eddaliedern,  in  denen  es  gleichfalls  rege!  ist,  dass  jeder  der  redenden 
jedesmal  eine  Strophe  spricht,  und  wo  häufig,  wenn  die  Strophe  für  den 
gedanken  nicht  ausreicht,  eine  zeile  hinzugefügt  wird,  lässt  sich  nicht 
verkennen.  Unser  gedieht  scheint  darin  eine  alte  tradition  fortzusetzen. 
Dass  die  freie  strophenform  beim  dialog  bewahrt  blieb,  während  sie  dem 
epos  —  ich  sage  nicht  verloren  ging,  sondern  -  abgeht,  erklärt  sich 
aus  der  natur  der  verschiedenen  dichtungsarten.  Auf  teilung  in  formell 
markierte  abschnitte  weist  im  vorliegenden  gediente  auch  eine  eigen- 
tümliche erscheinung  bei  der  alliteration.  In  den  beiden  fünfzciligen 
reden  zeigt  nämlich  die  letzte  zeile  doppelalliteration;  52:  on  flodwegas 
feor  gewltan;  57:  pe  pd  wrcecldstas  widost  leegab.  Ist  eine  Schluss- 
markierung der  überfüllten  strophe  oder  bloss  die  hervorhebung  des 
Schlusses  der  rede  beabsichtigt?  Die  widerholung  der  erscheinung  an 
der  entsprechenden  stelle  ist  wol  nicht  zufällig'2. 

Ich  unterziehe  nun  die  'Klage'  einer  näheren  betrachtung  und 
untersuche  zunächst  die  dritte  der  oben  angeführten  gruppen  von  Über- 
einstimmungen mit  dem  Wanderer.  Se.  14  iscealdne  sä.  Wa.  4  hrim- 
cealde  sä  (vgl.  noch  Se.  17  hrimgicelas). 

Se.    15    tvunade  ivrceccan  lästum  (vgl.  57) 

Wa.    5    wadan  wrcecldstas. 

Die  beiden  stellen  nebeneinander  schliessen,  wenn  man  in  be- 
tracht  zieht,  wie  gruppe  1.  2  zu  stände  kamen,  den  zufall  aus;  das 
wahrscheinlichste  ist,  dass  hier  derselbe  interpolator  an  der  arbeit  ge- 
wesen ist  wie  dort.     Aber  auch  im  Wanderer  stehen  die  beiden  stellen 

1)  Obgleich  einzelne  reden  sich  kürzen  Hessen .  ohne  dass  dadurch  der  Zusammen- 
hang gestört  würde,  fehlt  die  berechtigung  zu  einem  solchen  verfahren,  wo  äussere 
und  innere  kennzeichen  mangeln. 

2)  Im  Wanderer  zeigt  sich  die  erscheinung  am  schluss  des  gedichtes  z.  108  —  9, 
wo  freilich  eine  starke  Wirkung  der  feierlichen  rede  beabsichtigt  wird,  aber  die  doppel- 
alliteration wird  hier  durch  die  widerholung  des  Wortes  laue  bedingt. 


WANDERE«    UND    8EKFAHREK  21 

unmittelbar  nebeneinander,  und  die  frage  erhebt  sich,  welches  der  beiden 
gedichte  hier  die  quelle  des  anderen  ist1. 

Im  ,Wanderer'  können  die  einleitenden  Zeilen ,  welche  die  erwähnten 
ausdrücke  enthalten,  leicht  entbehrt  werden;  das  gedieht  hebt  dann 
mit  z.  6  an.  Auffälligerweise  teilt  die  einleitung  etwas  mit,  wovon  das 
gedieht,  soweit  ursprünglich,  sonst  nichts  weiss,  nämlich,  dass  der 
dnhaga,  d.  i.  der  eardstapa  auf  dem  meere  fährt.  Das  wird  sonst  nur 
noch  in  der  interpolierten  z.  24b  gesagt.  Der  name  eardstapa  deutet 
eher  darauf,  dass  er  zu  fuss  reist.  Doch  ist  darauf  kein  grosser  wert 
zu  legen.  Auf  jeden  fall  wäre  es  aber  auffallend,  dass  jede  weitere 
andeutung  der  seereise  dem  ursprünglichen  gedichte  fehlen  würde, 
wenn  die  reise  dem  wanderer  solche  grosse  beschwerden  verursacht, 
wie  z.  3  —  5  aussagen.  Die  Vorstellung,  dass  der  eardstapa  auf  dem 
meere  fuhr,  kann  der  interpolator  dem  'Seefahrer'  entlehnt  haben,  aus 
dem  auch  die  ausdrücke  stammen,  in  denen  die  fahrt  mitgeteilt  wird. 
Auch  die  metodes  milts  sieht  unecht  aus,  vgl.  Wa.  114 — 115  und  die 
ganze  predigt  in  der  zweiten  hälfte  des  Seefahrers,  namentlich  z.  116  -\ 
Formell  lassen  sich  z.  1  —  5  leicht  beseitigen;  z.  6  bildet  einen  der 
schlusszeile  111  vollständig  entsprechenden  anfang. 

In  der 'Klage 'sind  die  Zeilen  (12  b —  15)  unentbehrlich.  Der  bericht. 
dass  der  mann,  welcher  die  klage  spricht,  auf  dem  meere  fährt,  ist  in  voll- 
ständigem einklang  mit  dem  inhalte  des  gedichtes.  Sodann  beginnt  der 
passus  in  der  cäsur,  und  wenn  man  ihn  ausscheidet,  ist  an  12  a  kein 
anschluss  zu  finden.  Ist  die  stelle  ein  zusitz,  so  ürass  wenigstens 
etwas  verloren  sein.  Ferner  wurde  s.  17  gezeigt,  dass  z.  27  —  30 
eine  nachbildung  von  zeile  12b  — 15  sind,  welche  also  älter  sein 
müssen,  als  die  von  demselben  interpolator  (I),  von  dem  hier  die 
rede  ist,  gedichteten  z.  27  —  30.  Das  einzige,  was  wider  z.  12b  — 15 
zeugen  könnte,  ist  der  parallelismusmit  einer  stelle  im  dialoge,  Se.  55fgg.  : 
peet  se  beom  (mon  12)  ne  wdt  (=  12)  estradig  (vielfach  angenommene 
conjeetur  für  efteadig,  deren  richtigkeit  durch  13  J>e  him  <>n  foldam. 
feegrost  Umyeh  bewiesen  wird)  secg,  hwat  J»i  &time  dm>gn(s  pt 
wrcecldstas  ividost  leegab  (I:  14  — 15  hu  ic  earmeeang  Iscealdm  - 
ivinter  wunade  ivrccccan  Idstitm).     Zwischen  diesen  beiden  stellen  muss 

1)  Wa.  32  ivaraö  hine  (?)  torcBcldst,  welches  Etiegex  zu  Se.  11  stellt,  trenne 
ich  von  diesen  beiden  stellen,  sowol  auf  grund  des  grösseren  Unterschiedes,  als  weil 
die  stelle  Wa.  32  isoliert  steht.  Das  wori  wreecldst  ist  auch  sonst  mehrfach  belegt 
2)  Der  interpolator  des  'Wanderer'  erwähnl  /..  2  tnetud:  t.  10»  ►  wijrd,  wu 
dasselbe  ist;  Seef.  115  —  116  stehen  beide  zusammen:  wyrd  biö  Btotör«,  mtotud 
vieahtigra  usw. 


22  HOKK 

ein  Zusammenhang   existieren.     Aber   auf  die    wirksamkeil    des    inter- 
polators  kann  derselbe  nicht  zurückgefübrl   werden.    Denn  beide  stellen 

sind  in  ihrem  zusan mhange   unentbehrlich.     Ich   glaube  daher,  d 

beide  von  anfang  an  dort  gestanden  haben,  wo  sie  stehen,  und  dass 
die  Übereinstimmung  in  diesem  MI  aus  der  schule  erklärt  werden  muss, 
was  auch  die  möglichkeit  einschliesst,  dass  eines  der  beiden  . 
—  Klage  oder  dialog  --  bei  seiner  entstehung  von  dem  andern  beein- 
tlusst  worden  ist.  Jedweder  dichter  hat  den  gleichen  gedanken  in 
seinem  eigenen  stile  ausgearbeitet,  der  der  Klage  erzählend  in  der 
ersten  person  des  praeteritams,  der  des  dialogs  sententiös  in  der  dritten 
person  plur.  des  präsens1. 

Wanderer  1 — 5  ist  also  die  arbeit  des  interpolators  J  und  die  Klage 
des  Seefahrers  ist  das  von  ihm  benutzte  vorbild.  Unter  solchen  um- 
ständen ist  auch  wol  mödcearig  (Wa.  2)  zunächst  unter  dem  einfluss  von 
S.  14  earrncearig  geschrieben  worden,  obgleich  earmcearig  auch  Wa.  20 
begegnet:  vgl.  noch  Wa.  24  wintercearig;  zu  z.  3  vgl.  Andreas  314  jW/// 
pe  lagoldde  langa  cunnap;  zu  z.  4  (neben  Se.  14)  Metra  27,  3  b  —  4  swä 
swd  mereflödes  yha  hreraü  iscalde  sce. 

Andererseits  hat  der  bearbeiter  auch  die  Klage  mit  Zusätzen  ver- 
sehen und  dabei  den  Wanderer  benutzt.  Auf  wrceccan  lästum  (z.  15) 
folgt  winemcegum  bidroren.  Das  ist  ein  halber  vers;  die  andere  hallte 
fehlt.  Die  herausgeber  ergänzen,  vollständig  willkürlich,  wynnum  biloreii. 
winemcegum  bidroren  ist  ein  deutlicher  zusatz,  dessen  quelle  Wa.  7  ist, 
wo  der  eardstapa  sich  winemcega  hryre  erinnert.  Die  halbe  zeile  alli- 
teriert mit  der  vorhergehenden  (15),  und  so  liegt  hier  ein  beispiel  — 
vielleicht  ein  zweites,  vgl.  oben  s.  13 fg.  —  vor,  dass  der  bearbeiter 
an  einer  stelle,  wo  er  eine  Verbindung  macht,  aus  drei  kurzzeilen  eine 
langzeile  zusammensetzt.  Dass  der  Seefahrer  der  freunde  beraubt  war. 
steht  im  ursprünglichen  texte  eben  so  wenig  zu  lesen,  als  dass  der 
eardstapa:,  der  ivineleas  guma  im  Wanderer  zur  see  fuhr;  beides  hat  der 
bearbeiter  hinzuphantasiert  und  dadurch  eine  ähnlichkeit  der  beiden  ge- 
dichte  zu  stände  gebracht,  welche  weder  dem  einen  noch  dem  anderen 
zum  segen  gediehen  ist;  z.  17  schliesst  sich  vortrefflich  an  15. 

Unter  diesen  umständen  ist  es  auch  nicht  unwahrscheinlich,  dass 
Se.  25b  —  26  vom  interpolator  verfasst  worden  sind,  in  welchem  fall 
die  richtige  lesart  wol  ferb~  frefran  ist  (vgl.  oben  s.  16).  In  diesem  fall 
enthält  die  zeile   eine   ähnliche  klage  wie  z.  16.     Doch  muss   bemerkt 

1)  Eine  ähnliche  stelle,  welche  vielleicht  auf  eine  tiefere  Verwandtschaft  von 
'Klage'  und  dialog  weist,  ist  z.  6  (Klage)  atol  yßa  gewealc,  z.  46  (dialog)  ypa  gewealc. 
Übrigens  begegnet  diese  forniel  öfter,  s.  Gr.  s.  v.  gewealc. 


WANDERER    UND    SEEFAHHER  23 

weiden,  dass,  wo  die  hs.  ferft  feran  hat,  die  ernendation  von  ferft  zu 
ferd  eine  geringere  änderung  erheischt  als  die  von  feran  zu  frefran; 
sie  würde  aber  wol  die  änderung  feasceaftig  >  —  e  nach  sich  ziehen. 
Übrigens  ist  die  ganze  stelle  23  — 33  a,  sofern  sie  noch  etwas  ursprüng- 
liches enthält,  bis  zur  unverständlichkeit  verderbt.  Da  steht  zunächst 
z.  23a,  eine  nachbildung  von  Wa.  101  (vgl.  s.  16).  Dann  singt  der  siearn, 
der  isigfepera  ist;  dann  der  earn,  der  ürigfepera  ist.  Dann  folgen  die  un- 
verständlichen z.  25b— 26,  wobei  zu  beachten  ist,  dass  z.  25b  metrisch 
an  das  vorhergehende  sich  nicht  anschliesst,  die  alliteration  fehlt.  Dann 
zum  schluss  z.  27  —  33a,  welche  zugesetzt  sind  (s.  oben  s.  17).  "Was 
soll  man  glauben?  Ist  der  ganze  passus  von  23  an  ein  fabrikat  des 
bearbeiters?  Aber  sonst  versucht  er  doch  immer,  der  metrik  einiger- 
massen  gerecht  zu  werden.  Und  die  singenden  vögel  z.  23  b  fg.  setzen 
den  gedanken  von  z.  22  fort.  Doch  können  isigfepera  und  ürigfepra 
nebeneinander  nicht  bestehen.  Auch  kann  man  fragen,  auf  was  pect 
(ful  oft  peet  earn  bigeal)  sich  bezieht;  die  übrigen  vögel  singen,  der 
adler  besingt  lpcet\  Ich  glaube,  dass  z.  23  ursprünglich  lautete  (in  un- 
mittelbarem anschluss  an  22):  ficer  him  earn  onewafo  isigfepera,  und 
dass  damit  das  fragment  schloss.  Der  interpolator  fügte  nun  erst  nach 
z.  22  hinzu:  Stormas  peer  stänelifu  beotan.  Vielleicht  sollte  das  eine 
langzeile  werden,  wie  auch  die  entsprechende  stellt'  im  Wanderer  eine 
langzeile  füllt.  Aber  das  benutzte  material  reichte  dazu  nicht  aus,  und 
der  interpolator  entschloss  sich  einen  teil  der  folgenden  zeile  für  seine 
langzeile  zu  benutzen;  aus  dem  earn  machte  er  dann  einen  siearn. 
So  entstand  das  metrische  ungeheuer  z.  23.  Nun  begann  der  folgende 
vers  mit  dem  worte  isigfepera.  Der  reim  erforderte  in  der  zweiten 
halbzeile  ein  vocalisch  anlautendes  wort,  und  da  eartt  dem  inter- 
polator noch  frisch  im  gedächtnis  war.  schrieb  er:  ful  oft  peet  earn 
bigeal.  Im  ursprünglichen  gedichte  hiess  es  earn  isigfepera.  I>a>  wort 
hatte  er  schon  benutzt;  er  wählte  nun  das  ihm  aus  anderen  ge- 
dienten bekannte  iirigfejjera.  Dann  aber  wusste  er  sich  nicht  weiter 
zu  helfen  und  liess  eine  halbzeile  ohne  Stabreim  folgen.  Hie  mög- 
lichkeit  wird  zugegeben,  dass  z.  25b  — 26  ein  verderbter  resl  des 
ursprünglichen  gedichtes  sind.  Eine  hallte  /eile  ist  dann  verloren  ge- 
gangen. Das  fehlen  der  alliteration  erklärt  sich  daraus,  dass  der 
interpolator  für  25a  kein  wort  mit  dem  anlaut,  den  der  im  voraus  fertige 
Stabreim  forderte,  finden  konnte  und  darum  nur  ein  wen  schrieb,  welches 
durch  association  an  das  vorhergehende  isigfepera  ihm  eingefallen  war. 
Noch  eine  gruppe  (1)  von  Übereinstimmungen  zwischen  'Wanderer' 

und  'Seefahrer'  lenkt  unsere  aul iuciks;ini U<  1 1  aut  sieh.    Es  sind  die  Sprüche 


24  BOER 

in  der  mitte  und  am  Schlüsse  des  ersten  und  gegen  den  schluss  des 
zweiten  gedichtes.  Die  Übereinstimmung  besteht  hier  weniger  im  Wortlaut 
als  in  der  tatsache,  dass  spräche  aufgenommen  worden  sind,  und  in  der 
art  und  der  form  jener  spräche.     Man  sieht  sofort,  das  ausspräche  wie: 

TU  bip  se  pe  Ins  In'owe  geheafdeti  (\V;i.  L12)  und 
Dol  bip  se  pe  Ins  dryhien  ne  ondreedeb  (Se.  106) 
einer  und  derselben  kategorie  angehören.  Da  nun  diese  spräche  nicht 
früher  als  die  übrigen  Interpolationen  aufgenommen  sein  können  (aueh 
im  Seefahrer  stehen  sie  mitten  in  einem  zugesetzten  stücke),  und  da 
eine  schicht  von  interpolationen,  welche  nicht  jünger  als  die  sprüche 
sind,  in  beiden  gedienten  der  Wirksamkeit  eines  und  desselben  bear- 
beiters  ihre  entsteh ung  verdankt,  müssen  wir  auch  die  aufnähme  der 
sprüche  in  beide  gedachte  einem  einzigen  interpolator  zuschreiben. 
Die  sprüche  im  Seefahrer  stehen  den  s.  1 1  fg.  erwähnten  denksprüchen 
noch  näher  als  die  im  Wanderer;  z.  106  ist  wörtlich  =  Denkspr.  Ex. 
hs.  35;  mit  z.  107a  vgl.  Denkspr.  37.  109a  =  Denkspr.  51a.  Das 
erhebt  die  ausgesprochene  Vermutung,  dass  die  sprüche,  wenigstens  zum 
grossen  teil,  nicht  vom  interpolator  verfasst  wurden,  sondern  dass  er  sie 
aus  dem  gedächtnisse  niederschrieb,  zur  Sicherheit1. 

Wir  treten  nun  mit  neuen  erfahrungen  an  die  frage  heran,  ob 
die  interpolatoren  I  und  II  identisch  sind.  Der  Seefahrer  bietet  für 
die  beurteilung  der  frage  die  folgenden  data.  Die  zweite  hälfte  des 
gedichtes  von  z.  64b  an  ist  ein  zusatz.  Ihr  anfang  ist  ganz  gewiss  die 
arbeit  von  I.  Die  sprüche  darin  gehören  zu  IL  Einen  dritten  bearbeitet' 
zwischen  I  und  II  anzunehmen,  der  etwa  den  grössten  teil  dieser  sehr 
verwirrten  homilie  gedichtet  hätte,  hiesse  die  frage  nur  complicierter 
machen;  es  wäre  auch  unmöglich,  seine  Wirksamkeit  (I  und  II  gegen- 
über) zu  begrenzen,  noch  abgesehen  davon,  dass  man  auch  im  Wan- 
derer vergebens  die  spuren  davon  suchen  würde.  Also  sind  z.  64  b  — 124 
auf  I  und  II  zu  verteilen.  Da  der  hauptgrund  II  von  I  zu  trennen  der 
ist,  dass  II  sprüche  mitteilt,  und  auch  im  Wanderer  nur  die  sprüche 
ihm  zugeteilt 'werden   können,    wird    man    hier  in  gleicher  weise  ver- 

1)  Eine  fünfte  gruppe  von  Übereinstimmungen  lässt  sich  nach  dem  vorher- 
gehenden in  wenigen  worten  abtun:  Wa.  78b  —  79  (dazu  Beow.  1113),  vgl.  Se.  S6; 
"Wa.  75,  vgl.  Se.  90.  Die  beiden  stellen  im  "Wa.  stehen  in  der  grossen  interpolation 
und  wurden  als  I  zugehörig  erkannt.  Die  beiden  stellen  im  Se.  stehen  in  der  am 
ende  hinzugefügten  homilie,  welche  gleichfalls  —  zum  grossen  teil  wenigstens  —  zu  I 
gehört.  Die  Übereinstimmung  beruht  hier^also  auf  der  identität  des  Verfassers.  Zu 
gedroren  (Se.  8(1)  und  dreäme  bidrorene  (Wa.  78)  vgl.  auch  noch  das  oben  besprochene 
winemeegum  bidroren  (So.  16),  welches  von  demselben  verfasset'  herrührt. 


WANÜKKEK    UND    SEKFA11RER  25 

fahren  müssen.  Nur  ist  es  im  Seefahrer  noch  schwieriger  als  im 
Wanderer  zu  entscheiden,  wo  die  spruchdichtung  anfängt  und  wo  sie 
aufhört.  105  — 111  gehören  ohne  zweifei  dazu;  103  wol  auch.  Aber 
103  steht  doch  aussprüchen  wie  115b  fg.  nicht  fern.  Gehören  auch  die 
zu  II?  Trennt  man  103  von  115b — 116  auf  grund  der  freien  metri- 
schen form  ersterer  zeile,  wozu  sich  die  metrische  form  der  Sprüche 
im  Wanderer  vergleichen  liesse,  was  muss  man  dann  von  104 — 5 
denken,  welche  syntactisch  zu  103  gehören,  aber  vollständig  regel- 
mässigen versbau  zeigen?  Auch  bei  111  —  115a  ist  zweifei  möglich. 
Wie  dem  aber  sei,  man  wird  nicht  umhin  können  wenigstens  64b — 102 
und  115b — 124  dem  autor  von  I  zuzuweisen1.  Diese  verse  beleuchten 
sehr  deutlich  sein  verfahren,  wo  er  nicht  einzelne  oder  wenige  zeilen 
hinzufügt,  deren  inhalt  und  ausdruck  er  anderen  stellen  des  gedichtes 
entlehnt,  sondern  wo  er  sich  gehen  lässt;  sie  zeigen,  dass  er  in  der  tat 
nur  selten  mehrere  zeilen  nacheinander  einen  gedanken  festzuhalten 
oder  fortzuführen  versteht.  Die  stillosigkeit  und  der  mangel  an  Zu- 
sammenhang gehen  viel  weiter  als  die  längere  interpolation  des  „Wan- 
derers1' auch  nur  vermuten  liess.  Darum  haben  wir  keinen  grund  eine 
oder  mehrere  zeilen  zu  verwerfen,  weil  sie  einen  bei  ihm  vermuteten 
Zusammenhang  unterbrechen;  der  hauptgrund,  II  von  I  zu  trennen,  fällt 
somit  hin.  Schwache  berührungen  zwischen  I  und  II  sind  noch  die 
folgenden.  In  den  Sprüchen  des  Seefahrers  begegnet  zweimal  das  bei  I 
beliebte  forpon.  Doch  bedeutet  das  nicht  viel,  denn  z.  103  (meotudes 
egsa,  forpon  hl  seo  molde  oncyrred)  ist  pon  mit  Rieger  als  pronomen, 
for  als  praeposition  aufzufassen;  z.  108  bedeutet  forpon  auch  nicht 
, darum',  sondern  ,weil',  und  es  ist  an  dieser  stelle  kein  flickwort  wie 
sonst  bei  I.  Mehr  bedeutet  es,  dass  auch  I,  was  II  mehrfach  tut,  an 
die  denksprüche  der  Ex.  hs.  wenigstens  an  einer  stelle  deutlich  anklingt: 
Se.  70:  ddl  oppe  yldo  oppe  ecghete  (die  stelle  gehört  ganz  sicher  zu  1, 
vgl.  oben  s.  18),  vgl.  denkspr.  9b— 10a:  ne  hine  mht  drecep,  ddl  ur 
ijldu.  Zu  beachten  ist  auch,  dass  der  erbauliche  schluss  des  Seefahrers, 
der  doch  inhaltlich  und  formell  zu  I  gehört,  von  der  schlusszeile  des 
Wanderers  sich  auf  grund  des  inhalts  nicht  trennen  Lässt,  während 
doch  die  vier  letzten  zeilen  des  Wanderers  ohne  zweifei  einem  ein- 
zigen bearbeiter  zugewiesen  werden  müssen,  der  widerum  nur  II  sein 
kann.  Schliesslich  muss  noch  einmal  die  naht  Wa.  65  betrachtet  wer- 
den.    An  und  für  sich  scheint  dieselbe  dafür  zu  zeugen,  dass  1  und  11 

1)  Seine  directe  spur  wunle  übrigens  oben  i>is  z.  90  nachgewiesen,  die  folgen- 
den zeilen,  wenigstens  bis  94,  lasson  sieb  von  90  nicht  trennen. 


2G  BOKK 

zu  trennen  seien;  sie  liess  jedoch  auch  eine  andere  erklärung  zu,  Nach- 
dem wir  min  im  ,Seefahrer'  auf  zwei  vollständig  analoge  fälle  (15.  2 
welche  nur  I  zugeschrieben  werden  können,  gestossen  sind,  legt  auch 
W'u.  65  zeugnis  dafür  ah.  dass  65b  nicht  eine  interpolation  zweiten 
grades  beginnt,  sondern  dass  die  überfüllte  zeile  durch  «las  zusammen- 
stossen  eigenen  machweikes  von  I  und  von  ihm  vorgefundenen  fertigen 
materials  entstanden  ist. 


Wenn  es  mir  gelungen  ist,  die  spur  der  Überlieferung  richtig  aufzu- 
decken, so  enthalten  die  unter  den  titeln  'Wanderer'  und  'Seefahrer'  be- 
kannten dichtungen  reste  dreier  alter  gedieh  te.  Im  ersten  beklagt  ein  eard- 
stapa  den  verlust  seines  teuren  herrn  und  seiner  verwandten  und  er  teilt 
in  der  dritten  person  seine  visionären  träume  mit.  Das  gedieht  umfasst 
Wa.  6—16.  19  — 24a.  29b  -  36.  39  —  57.  90  (mit  ponne  aus  88)—  98. 
101  — 110.  Es  sieht  danach  aus,  als  sei  es  ohne  schaden,  bloss  in 
interpolierter  gestalt,  auf  uns  gekommen-.'  Das  zweite  gedieht  ist  die 
klage  eines  Seefahrers,  der  auf  dem  meere  viel  leid  und  mühsal  er- 
duldet hat.  Es  ist  ein  fragment  und  umfasst  Se.  1  — 15.  17  —  22;  eine 
zeile  aus  23  —  24a.  [25b  —  26?].  Das  dritte  ist  ein  dialog,  in  dem 
abwechselnd  dem  verlangen  zu  reisen  und  dem  schrecken  vor  den  ge- 
fahren der  reise  ausdruck  gegeben  wird;  er  umfasst  33b  —  38.  44  —  64a 
und  ist  in  einigermassen  freien  Strophen  gedichtet. 

Der  stil  dieser  drei  gedichte  ist  einfach  und  klar,  an  mehreren 
stellen  gehoben  und  voll  tiefer  empfindung.  Von  dem  überlieferten 
formelschatz  machen  die  dichter  einen  geschmackvollen  gebrauch. 
Mehrere  anah,  leyofieva,  nicht  archaistische,  sondern  aus  dem  vorhan- 
denen poetischen  Sprachmaterial  richtig  gebildete  Wörter,  zeigen  die 
fähigkeit    der    dichter    zu    selbständiger    behandlung    der    dichterischen 

1)  AVa.  65  wintra  dal  in  woruldrice  |  Wita  sceal  geßyldig  (oben  s.  13  fg.). 
Se.  15  icinter  icunade  icrc&ccan  Idstum  \  ivinem&gum  bidroren  (s.  22). 
Se.  23  Stormas  ßcer  stdnclifu  beotan  |  ßc&r  Mm  stearn  oneured  (s.  23). 

2)  Die  berührungen  des  'Wanderers'  und  zwar  des  echten  gedicktes,  nicht  der 
interpolation.  mit  GuSläc  131S  fgg. ,  auf  welche  Bieger  hingewiesen  hat.  lassen  sich 
nicht  mit  Wülker  (Gmndriss  s.  206)  auf  nichts  reducieren,  doch  sind  sie  entfernt 
nicht  derart,  dass  sie  dazu  berechtigen,  auf  einen  gemeinsamen  Verfasser  zu  schliessen. 
Ich  gehe  auf  diese  frage  nicht  ein,  bemerke  aber,  dass  es  mir  wahrscheinlicher  ist, 
dass  die  stelle  des  GuSläc,  welche  im  gedichte  allein  steht,  vom  Wanderer  beeinflusst 
worden  ist,  als  dass  das  umgekehrte  der  fall  ist.  —  Kurz  vorher  z.  1310  mahnt 
gnornsorge  weeg  häte  cet  heortnn  an  Se.  10 — 11. 


WANDEKER   UND    SEEFAHRER  27 

spräche '.  Im  gegensatze  zu  dem  überlieferten  interpolierten  texte 
fehlen  widerhohmgen  fast  ganz,  und  die,  welche  nicht  ganz  bedeutungslos 
sind,  sind  auch  nicht  zufällig,  sondern  haben  einen  stilistischen  zweck-. 
Alles  übrige  ist  das  machwerk  eines  einzigen  interpolators,  der  die 
Klage  und  den  dialog  miteinander  verband  und  weitere  zusätze  aus 
folgenden  dementen  zusammenstellte:  1.  widerholung.  2.  Überführung 
von  Vorstellungen  aus  einem  gedichte  in  das  andere,  wobei  der  in 
beiden  gedienten  (Klage  und  dialog  zähle  ich  für  eines)  vorhandene 
formelschatz  stark  benutzt  wurde.  Dem  dialog  entlehnte  er  ein  von 
ihm  nicht  verstandenes  forpoii  als  einleitung  zu  zwecklosen  eigenen 
bemerkungen.  3.  Sprüche,  welche  er  zum  teil  wörtlich  anderswoher 
aufnahm,  zum  teil  vielleicht  nach  fremden  mustern  selbst  dichtete  oder 
seinen  bemerkungen  anpasste.     4.  frommes  gerede. 

In  der  handschrift  sind  'Wanderer'  und  'Seefahrer'  durch  'Des 
vaters  lehren'  (Bibl.  I2,  353)  und  'Des  menschen  gaben'  (Bibl.  III2,  140) 
voneinander  getrennt.  Inhaltlich  sind  diese  gedichte  mit  jenen  nicht 
verwandt  und  ihre  Überlieferung  zeigt  auch  keine  spur  einer  solchen 
Umarbeitung  wie  jene  sie  erfahren  haben.  Man  muss  annehmen.  dass 
' Wanderer'  und  'Seefahrer'  zu  der  zeit,  da  sie  so  grausam  misshandelt 
wurden,  noch  nicht  durch  jene  beiden  dichtungen  voneinander  getrennt 
waren,  sondern  dass  sie  in  einer  handschrift,  von  welcher  die  Über- 
lieferung der  Exeterhs.  stammt,  unmittelbar  aufeinander  folgten.  Es  ist 
sehr  wol  möglich,  dass  derjenige,  der  sie  zuerst  aus  mangelhaftem 
gedächtnis  aufschrieb,  sie  interpoliert  hat. 

1)  Der  'Wanderer'  hat  die  folgenden  an.  ).ty.  mafrpwfngifa;  wyrmlic;  hrim- 
ceald.  Die  'Klage':  gesivinedagas;  merewerig;  hrimgicel;  hurilpe]  isgicel.  Der 
dialog:  hringpegu;  ('(s)teadig;  ä/nfloga. 

2)  Der  (ursprüngliche)  'Wanderer'  zeigt  die  folgenden  widerin  düngen: 

a)  beabsichtigte:  mödsefan  mirme  z.  10.  19.     Der  gegeusatz  äseegan:   sdlwn 

zum  ausdruck  kommen. 

wcelsleahta  6.  91.     Dieselbe  erinnerung  treibt  z.  6  den  eardstapa,  ■/..  91   den 

wineleas  giima  zum  reden  an. 

sorg  (cearo)  biS  geniivad  50.  55.     Die  widerholung  des  ausdruoks  malt  die 

erneuerung  des  tiefen  Schmerzes, 
b.  wie  es  scheint  unbeabsichtigte,  alle  geringfügig: 

wirig  15.  57.    goldwine  22.  35.    hriese  23.  102.    gemon  34.  90. 
Die  'Klage'  hat: 

iscealde  sd&  (wäg)  14.  li),   vgl.  auoh   isigfeßera  24.     Die   widerholui 

darauf,   dass   die  kälte  diesem    diohter  als  das  grösste  der   Bohreoknisse   der 

meeresfahrt  erschien. 
Der  dialog  hat: 

SG&ltyßa  35     ppa  46.  —  hwales  c/>el  60,  vgl.  hwalto», 


28  PANZBB 

Dass  sie  jemals  in  schriftlicher  Überlieferung  ohne  jene  zutaten  existiert 
haben,  Lässt  sieh  nicht  erweisen.  Die  veranlassung,  sie  zusammen 
aufzuschreiben,  war  ohne  zweifei  ihre  inhaltliche  rerwandtechaft.  Aber 
der  bearbeite)'  hat  sie  nicht  wie  die  'Klage'  und  den  dialog,  deren 
wahres  Verhältnis  ihm  vielleicht  unbekannt  war,  zu  einem  ganzen  ver- 
bunden; das  beweist  der  umstand,  dass  sie  später  widerum  getrennt 
werden  konnten.  Das  zeigt  auch  der  fromme  schluss,  den  er  dem 
'Wanderer'  anhängte  und  der  deutlich   als  ein  schluss  beabsichtigt  ist. 

AMSTERDAM.  R.  C.  I50KK. 


BEITRÄGE  ZUR  KRITIK  UND  ERKLÄRUNG  DER  GUDRUN. 
2.    Zur  kritik   und  erklärung  des   textes1. 

1,4  hatte  C.  Hofmann,  MSB.  1867,  2,223,  das  überlieferte  so 
gexam  dem  riehen  ivol  ir  minne  gebessert  in  dem  ricke  =  dem  könige. 
Martin  hatte  die  sehr  ansprechende  conjeetur  ursprünglich  aufgenommen, 
jetzt  aber  wider  fallen  lassen  vermutlich  von  Sijmons  einwand  bekehrt, 
dass  riche  in  diesem  sinne  nur  „mit  bestimmter  beziehung  auf  den 
deutschen  kaiser"  gebraucht  werde.  Das  ist  aber  doch  nicht  richtig. 
Füetrer  erzählt  im  Merlin,  dass  der  herzog  von  Tintayol  in  der  nacht 
Uterpandragons  hof  heimlich  verlässt,  ohne  vom  könig  Urlaub  genommen 
zu  haben.  Da  heisst  es  str.  197,  1  meiner  ausgäbe:  Dy  fit  raten  all 
geleiche  massen  sein  gähe  flucht  an  vrlaub  von  dem  reiche  zu  spät 
vnd  zu  lästerlicher  vnzucht.  Hier  ist  von  dem  reiche  =  vom  könig 
von  Britannien.  Die  stelle  beweist  ja  zunächst  nur  fürs  15.  jh.;  aber 
gerade  diese  Verwendung  von  riche  ruht,  wie  das  gotische  und  die  ver- 
wandten sprachen  beweisen,  doch  wol  auf  uraltem  gründe. 

Zu  10, 1  In  magetlichen  eren,  die  ir  da  vuoren  mite,  si  brähtens 
im  ze  lande  bemerkt  Martin  vdie  ir  da  vuoren  mite  ist  armselig  aus 
9, 4  widerholt."  Ich  weiss  aber  nicht,  ob  eine  solche  Interpretation  der 
stelle  (die  auch  Bartsch  und  Piper  teilen)  richtig  ist.  Nach  der  Wort- 
stellung bezieht  man  die  ungezwungener  auf  eren  und  hat  dann  zu  er- 
klären: „in  den  jungfräulichen  ehren,  die  ihr  eigen  waren,  brachten  sie 
ihm  die  prinzessin  in  sein  land."  Es  ist  das  wol  eine  nachahmung 
Wolframscher  ausdrucksweise,  vgl.  aus  den  von  Kinzel,  Zeitschr.  5.  18 
gesammelten  stellen  bes.  Parz.  54,  24  der  frouwen  herze  nie  vergaz  im 
enfüere  ein  iverdiu joolge  mite,  an  rehter  lausche  iviplich  site,  ebenda 

1)  Vgl.  Zeitschr.  34,  425. 


beiträgt:  ztjtl  kritik  tjn*d  Erklärung  der  ottdrun  29 

116,  13  wipheit,  d/n  ordenlicher  site,  dem  rerf  und  fuor  ie  triuwe 
mite.  Eine  ähnliche  auffassung  zeigen  in  unserem  gedichte  7,  4  nach 
sines  vater  töde  volgte  im  beide  vröude  und  michel  iciinne  und  1324.  3 
si  /ras  die  naht  dt  eine  gescheiden  von  ir  sichre,  wo  gemütszustände 
als  gefolge  und  gesellschaft  gedacht  werden.  An  unserer  stelle  liest 
man  vielleicht  am  richtigsten  die  ir  ie  vuoren  mite;  die  hs.  hat  die  ye 
da  v.  vi.  —  Zu  v.  3  die  si  da  sahen  gerne,  die  begnnden  Heil  bemerkt 
Piper:  vdä  ist  nicht  lokal,  sondern  verstärkt  das  relativum:  wer  neu- 
gierig war  sie  zu  sehen,  eilte  herbei".  Das  ist  gewiss  nicht  richtig. 
Vielmehr  ist  da  wirklich  lokal  und  die  si  sahen  gerne  bedeutet  nicht 
,die  neugierig  waren  sie  zu  sehen',  denn  das  müsste  heissen  die  si 
scehen  gerne  oder  die  si  da  sehen  ivolden  (vgl.  328,  4.  1175,  4).  Die 
stelle  besagt:  eilig  machten  diejenigen  sich  auf,  welche  sie  hier,  im 
lande  des  bräutigams,  mit  freuden  sahen,  willkommen  hiessen  (vgl. 
46,  1);  gemeint  ist  dabei  in  erster  linie  Sigeband  und  seine  Umgebung. 

48,  3  kann  man  hinter  verdriexen  doch  wol  nicht  punkt  setzen, 
wie  alle  herausgeber  tun,  sondern  nur  komma.  da  doch  nicht  v.  2. 
sondern  v.  4  das  logische  subjeet  zu  verdriexen  enthält:  „was  auch  die 
ritter  um  Sigeband  taten,  die  fahrenden  Hessen  sich  dabei  keine  mühe 
verdriessen  (diese  spiele  etc.  der  ritter  durch  ihre  kunst  zu  verschönen). 
Das  auffällige  für  uns  ist  nur,  dass  v.  4  wie  so  oft  paratactisch  fort- 
gefahren wird  statt  hypotactisch. 

57,  4  Zu  den  von  Martin  gesammelten  parallelstellen  vgl.  noch 
Merigarto  41  dax,  ist  ouh  ein  ivunter,  dax  sertbe  ivir  liier  unter.  Rol. 
5986  er  gefrumete  umbe  sih,  thax  man  ivole  uone  ime  scriben  malt 
unxe  an  then  jungisten  tah,  ebd.  8236  er  gefrumeti  unter  PaUganes 
mannen,  thax-  man  ix  iemer  scriben  mah  unxe  an  tfnn  jungisten  tah. 
ebenda  6237  thiu  siniu  manigiu  wunder  scriben  stt  tkie  heithenen, 
j.  Tit.  3064,  4  dax  solt  man  immer  für  ein  wunder  schriben,  ebenda 
4549,  2  geschriben  und  geprüeft  (?  1.  gebrieft)  ist  unser  strifen,  Dietrich 
und  der  Wunderer  242  (v.  d.  Hagens  heldenb.  2,  531)  die  konig  vnd 
fursten  gut  das  wunder  (Dietrichs  kämpf)  liesents  sekriben.  I>a<s  auf- 
zeichnung  in  annalen  und  dergl.  gemeint  ist.  zeigen  Spiegel  1S2,  3-1 
man  wirt  dax  ivunder  sohriben  in  (in  coronick  noch,  und  besonders 
deutlich  j.  Tit.  2680  die  höhen  niht  Hexen  beltben:  durch  sagebeeriu 
/runder  si  hiexen  alle  schrtben  den  strit  iegltcher  in  sin  tun/  besunder 
an  si/t  geh ü 'gdebuoch ,  und  si  de»  jähen,  ihr.  e;  unglaublich  wäre  ivan 
(Hahn:  von)  allen,  die  <r\  horten  oder  sähen.  Dagegen  hat  mündliche 
tradition  im  äuge  Klage  B  317  für  /runder  so/  uiun:  immer  sagen >  tkttt 
so   vil  helede    wart   erslagen    VOn    eines    tri  lies    \orne. 


30  l'ANZKI; 

Str.  N:")  erzähli  den  Schiffbruch  der  pilger;  zu  v.  4  die  eilenden 
meide  heten  ungemüeies  deste  mire  fragt  Martin:  „Sahen  die  Jungfrauen 
dem  Untergang-  der  flotte  mit  schrecken  zu?"  Das  ist  doch  wo!  nicht 
die  meinung;  die  bemerkung  will  vielmehr  sagen:  das  leid  der  Jungfrauen 
wurde  durch  den  Untergang  der  flotte  umso  grösser,  weil  hiermit  die 
möglichkeit  ihrer  errettung  aus  dem  Greifenlande  zerstör!  war,  die  sieb 
eben  mit  dem   nahen  dieser  schiffe  so  glücklich  gezeigt  hatte. 

116,  2  kann  diu  ungewonheite  nicht  „die  ungewohnte  Umgebung" 
(Bartsch)  meinen  oder  „das  tragen  fremder  kleider"  (C. Hofmann),  sondern 
das  tragen  männlicher  kleidung  (denn  nur  solche  hatten  die  pilger  natür- 
lich an  bord);  vgl.  die  —  auch  in  der  missbilligenden  beifügung  des 
dichters  —  der  unsern  vollkommen  anlöge  stelle  1233,  2  fg. 

Dass  118,  4  die  herstellung  von  Bartsch  min  vater,  dö  er  lebete, 
da  ich  kröne  leider  nimmer  mer  gewinne  das  richtige  trifft,  erhält  von 
aussen  bestätigung.  Unsere  königstochter  aus  India  ist  mit  vielem 
anderen  dieses  abschittes  aus  dem  Herzog  Ernst  entlehnt  (Hilde-Gudr. 
s.  197);  von  ebendaher  stammt  auch  unser  vers  nach  wort  und  ge- 
danken.  B  3536  erzählt  ausführlich,  wie  der  vater  der  Jungfrau  in 
ehren  könig  war  die  wile  daz  er  mohte  leben,  dann  wird  er  getötet 
und  seine  tochter  sollte  als  sein  einziges  kind  das  reich  erben:  3562 
von  rehte  sol  da  nieman  tragen  kröne  wan  daz  houbet  min.  Aber  das 
ist  durch  ihre  entführung  unmöglich  geworden:  daz  ist  leider  anders 
gewant.     ich  muoz  diz  eilende  lant  büwen  unz  an  den  suontac. 

193,  4  schreiben  alle  herausgeber  ausser  Bartsch  genendieliche  und 
Martin  erklärt:  „da  gieng  es  ihr  so,  dass  sie  stolz  sein  durfte".  Eine 
solche  Verwendung  und  ausdeutung  des  wortes,  das  überall  sonst  nichts 
anderes  als  „mutig,  kühn"  bedeutet,  hängt  ganz  in  der  luft.  Das  über- 
lieferte gencedecliche  gibt  einen  vollkommen  befriedigenden  sinn;  vgl. 
besonders  957,  2,  wo  Gudrun  von  Ludwig  aufgefordert,  den  Kormannen 
gencedic  zu  sein,  mit.  der  geistigen  und  sinnlichen  bedeutung  des  wortes 
spielend,  antwortet:  ivem  mohte  ich  sin  gencedic1?  wan  diu  genäde  min 
von  der  bin  ich  so  verre  leider  nü  gescheiden.  Unsere  stelle  besagt 
umgekehrt,  dass  die  Jungfrau  nach  langem  leiden  wider  zu  genäde,  zu 
ruhe  und  behagen,  gekommen  ist. 

246,  4  sollte  doch  die  herstellung  Ziemanns  der  sol  selbe  entriuwen 
mit  mir  dulden  aus  den  ausgaben  verschwinden,  da  sie  das  überlieferte 
in  jedem  betracht  verschlechtert.  Unser  gedieht  kennt  kein  absolutes 
dulden  (vgl.  157,  2.  408.  3.  979,  3.  1047,  3)  und  der  ausgesprochene 
gedanke  ist  im  munde  Wates  unmöglich.     Das  überlieferte  der  sol  die 


BffTTRAOK    ZUR    KRITIK    UND    ERKLÄRUNG    PER    GTTPRTW  31 

selben  triuwe  von  (so  mit  C.  Hofmann  statt  mit1)  mir  dulden,  bringt 
vortrefflich  den  in  gegenwart  des  königs  mühsam  zur  ironie  gemässigten 
zorn  Wates  zum  ausdruck. 

249,  4  liest  die  hs.  von  silherweysse  spangen  suUen  seule  werden 
geslagen.  Sijmons  behält  das  bei  und  erklärt:  „es  sind  hier  wol  die 
mastbäume  gemeint,  vgl.  Mies  sül  Ernst  3328;"  ich  muss  aber  gestehen, 
dass  ich  mir  nicht  vorstellen  kann,  was  „aus  silberspangen  geschlagene 
mastbäume"  sein  sollten.  Martin  liest  mit  silberwizen  spangen  suln 
sie  (nämlich  die  ciperboume)  werden  beslagen,  aber  dagegen  muss  man 
doch  wider  einwenden,  dass  nicht  die  cypressenbäume,  sondern  höchstens 
die  aus  ihnen  verfertigten  schiffsplan ken  beschlagen  werden  müssen.  Die 
stelle  muss  wol  aufgefasst  werden  in  hinblick  auf  264,  4  und  danach 
darf  man  als  das  richtige  vermuten:  mit  silberwixen  spangen  suln  du 
siten  werden  beslagen,  d.  h.  also  die  schiffswände  (so  wird  Site  von  der 
arche  Noah  gebraucht:  Mhd.  wb.  2,  2.  336b).  —  In  264,  4  die  weneU 
auo  den  steezen  wurden  icol  mit  silber  gebunden  ist  wider  das  %uo 
den  steexen  eine  wahre  crux  interpretum.  W.  Grimm  will  darin  „die 
balken,  das  gerippe  des  schiffes"  erkennen,  nach  Ettmüller  bedeutet  stdz 
den  ort,  „wo  die  langseiten  des  schiffes  zusammenstossen " ;  aber  beide 
deutungen  schweben  in  der  luft,  da  stöx  weder  in  dem  einen  noch  dorn 
andern  sinne  je  vorkommt  und  schwerlich  so  vorkommen  kann.  Man 
muss  doch  wol  mit  Bartsch  „die  stösse  derweilen"  darunter  verstehen, 
dann  aber  wol  xuo  in  gein  ändern.  Denn  dagegen  werden  schiffe  ge- 
spengt  oder  gebunden  wie  der  term.  tech.  lautet  —  in  Wirklichkeit  mit 
eisen,  hier  phantastisch,  nach  dem  vorbild  von  Salomos  schiff,  mit  silber, 
wie  1109,  3  mit  messing.  Das  zeigt  klar  eine  stelle  wie  j.  Tit.  2533,  2 
(In  wende  gein  icazzer  volle  man  spengtt  wol  und  zwar  mit  eisen, 
wie  2538,  3  lehrt:  weern  die  kiel  mit  tsen  niht  gebunden  nach  des 
talfins  lere,  ir  ivcere  keiner  nimmer  lebendic  funden.  In  demselben 
abschnitte  des  j.  Tit.  findet  sich  auch  noch  stdxen  vom  anprall  der  wollen: 
2536,  1  man  sach  die  ünde  stözen  sam  berge  tobendi   slüegen. 

Zu  der  redensart  280,  4  vergleiche  mau  ausser  den  von  Martin 
citierten  beispielen  noch  j.  Tit.  2379,  1  swes  mau  eines  gerU  .  der  wirt 
het  den  knallen,  so  dax  er  sie  mir  ein*   ><■<>/  vieriu  werte. 

302,  4  sol  ieman  l<>[>  erkoufen,  der  gäbe  muosen  si  do  habe// 
rre  könnte  eine  nachbildung  sein  von  Parz.  404,  2  I  sol  wtplich  ere  sin 
geivin,  des  houfes  het  si  iil  gepflegt  n 

1)  Vielleicht  Hesse  auch  mit  sich  verteidigen.     Es  müsste  dann  der  seUx 
oft  noch  im  mhd.,  nicht      ii lein .  sondern  rein  deiktisch  genommen  nnd  erklär!  werden: 
der  soll  diesen  seinen  -treuen"  rat  mit  mir  ausbaden. 


32  PANZER 

303,  4  werden  die  xwelf  Schilde  gevaxxet  mit  golde  doch  wol  rich- 
tiger mit  Bartsch  (und  Piper)  gegen  das  MM.  wb.,  C.  Hofmann  und 
die  übrigen  erklärer  als  „Schilde  mit  gold  gefüllt"  aufgefasst.  Denn 
wenn  auch  goldene,  vergoldete  oder  mit  goldenen  bilden]  geschmückte 
sohilde  nicht  selten  erwähnt  werden  (der  I'im-cksaga  c.  180  gelten  sie 
gar  als  abzeiohen  adlicher  geburt,  vgl.  c.  81  und  175),  so  führt  doch 
str.  308  unbedingt  auf  die  auffassung  von  Bartsch:  die  hier  erwähnten 
(Mlt'lsteingeschmückten  ,vaz'  von  silber  und  gold  waren  offenbar  in 
jenen  Schilden  gebracht  worden.  Denn  der  schild  ist  das  alte  mass  des 
freigebigen  fürsten  für  auszuteilendes  gold  und  gestein  (beides  natürlich 
verarbeitet)  und  lebt  als  solches  in  den  gedienten  der  heldensage  fort; 
vgl.  zu  den  beispielen,  die  Jacob  Grimm,  Kl.  sehr.  2, 202 fg.1  und  Heyne 
im  DWb.  s.  v.  geben,  noch  Orendel  2195  einen  schilt  hiex  si  dar  strecke?! 
und  den  mit  rotem  gold  bedecken,  Alph.  201,  2  sirer  suochen  ivil  die 
warte,  der  neme  riehen  solt,  golt  und  edel  gesteine,  sivax  üf  schade 
mac  geligen,  Dietrichs  flucht  8078  Exel  hiex  üf  den  ho  f  tragen  manegen 
wol  geladen  schilt.  Exel  der  ivart  nie  so  milt  xe  geben  mit  dem  guote, 
Wolfd.  A  559, 1  ex  wurden  sicherlichen  Schilde  dar  getragen  mit  schätze 
für  den  recken,  Nib.  317,  1.  358,2  (gesteine).  1487,1.  2025,  3.  2130,2; 
Ortnit  175,  4  bringt  Alberich  die  goldbrünne  im  schild.  In  den  höfischen 
epen  ist  die  redensart  selten,  doch  wol  weil  sie  den  alten  grossen  schild 
(tragen  dar  sin  golt  üf  den  breiten  Schilden  Nib.  1487,  1)  voraussetzt, 
nicht  den  kleineren  des  modernen  ritters;  ausser  Lanz.  7707,  Wig.  11251, 
j.  Tit.  4258,  die  schon  Grimm  anführt,  vgl.  noch  j.  Tit.  3019  golt  und 
edel  gesteine  mixxet  er  niht  kleiner  niur  bi  dem  Schilde. 

Sehr  wichtig  wäre  für  die  geschichte  der  sage  die  str.  288,  wenn 
wir  sie  nur  verstünden.     Sie  lautet  in  der  hs. : 

Sy  het  wol  tausent  meyle  das  wasser  dan  getragen 
hin  xe  Hagenen  purg  xe  Baliane     so  wir  heeren  sagen 
da  er  herre  weere  xe  Polay  lasterliche 

sy  liegent  tobeliche  es  ist  dem  meer  nicht  geliche. 

Aus  v.  4  geht  klar  hervor,  äass  der  dichter  hier  eine  von  der 
seinigen  abweichende  darstell ung  der  sage  bekämpft;  vergl.  die  von 
Martin  (Zeitschrift  15,  209)  aus  anderen  dichtungen  beigebrachten 
parallelen.  Worin  aber  bestand  die  abweichung?  Offenbar  kommt 
alles  an  auf  das  richtige  Verständnis  von  v.  3b.  Polay  ist  nichts,  muss 
also    jedenfalls    geändert    werden.      Haupt    (Zs.  f.  d.  a.  2,  383)    setzte 

1)  Vgl.  auch  den  friesischen  klippschilling  und  verwandtes  RA3  77  fg. ;  der  nach- 
druck  liegt  hier  aber  auf  dem  klänge  der  in  den  schild  geworfenen~nüinzen. 


BEITRÄGE    ZUR    KRITIK    UND    ERKLÄRUNG    DKR    GUDRUN  33 

dafür  Baijan  und  sämtliche  herausgeber,  Martin,  Sijmons,  Bartsch  and 
Piper  haben  sich  diesem  vorschlage  angeschlossen1.  In  diesem  falle 
richtet  sich  die  polemik  natürlich  nur  gegen  das  lasterliche,  d.  h.  gegen 
eine  darstellung  der  sage,  nach  der  Hagen  lasterliche  geherrscht  habe. 
Wilmanns  (s.  231),  dem  Sijmons  (Beitr.  9,  94 fg.)  und  Martin  (Zeitschrift 
15,  209)  sich  anzuschliessen  geneigt  sind,  meint.  Hagen  sei  dort  als 
., schlimmer  herr"  („grausamer  herrscher",  „tyrann"  sagt  Sijmons)  dar- 
gestellt gewesen.  Wie  unser  dichter  dagegen  mit  solchen  kraftausdrücken 
hätte  polemisieren  können,  ist  mir  unverständlich ;  hat  er  seinen  Hagen, 
den  välant  aller  künege,  der  als  knabe  schon  im  zorne  einem  ganzen 
schiffe  voller  männer  furchtbar  wird,  der  als  könig  in  einem  jähr  mehr 
als  achtzig  enthaupten  lässt,  der  alle  freier  seiner  tochter  tötet,  ihre 
boten  sogar  aufhängen  lässt,  der  im  kämpfe  wie  ein  berserker  tobt,  denn 
weniger  als  einen  schlimmen  herrn  und  tyrannen  gezeichnet?  Das  läster- 
liche müsste  schon  auf  einen  Vorwurf  anderer,  moralischer  art  gehen 
und  ich  möchte  denken,  dass  jene  sagenfassnng  vielleicht  das  Hilde  - 
Gud.  s.  218  besprochene  incestmotiv  verwendet,  also  Hagens  verhalten 
gegen  die  freier  damit  motiviert  hätte,  dass  er  seine  tochter  selbst 
heiraten  wollte;  dazu  würde  auch  die  ebenso  heftige  als  unbestimmte, 
den  kern  der  sache  verhüllende  art  passen,  in  der  unser  dichter  da- 
gegen polemisiert. 

Ich  kann  mir  freilich  nicht  verhehlen,  dass  die  Vermutung  Polay 
sei  für  Baijan  verschrieben,  nicht  ohne  bedenken  ist;  der  name  steht 
einen  vers  vorher  richtig  und  ist  auch  sonst  (161,  2.  293,  1.  441.  1. 
559,  4)  nie  verschrieben.  Sijmons  berufung  auf  den  fehler  Gottelint 
statt  Gerlint  629,  4  ist  nicht  danach  angetan,  die  sache  wahrschein- 
licher zu  machen,  denn  wer  den  Schreibfehlern  der  hs.  im  zusammenha 
nachgeht,  sieht  leicht,  dass  eigennamen  regelmässig  nur  dahin  ver- 
schrieben sind,  dass  statt  des  richtigen  namens  ein  anderer  gesetzt  ist. 
nie  aber  ein  sinnloses  wort  (Hagnen  statl  Hetelen  548,  1.  Morlanden 
und  Sturmlannde  statt  Schinde  718,  3.  733,  :'>,  Horant  und  Hartman 
statt  Hartmuot  892, 1.  1650,4,  Normandine  statt  Nortlande  L678,  1.  Hilde 
statt  Küdrün  [citat  verluren  |).  Höchstens  findet  ganz  geringe  entstellung 
statt  wie  Gelinde  statt  Gerlinde  746.  ::  oder  Horlant  statt  Hortlant 
1417,4.  So  steht  auch  C.  Hofmanns  Polan  (Münch.  SB.  L867,  2,230 
dem  überlieferten  Polay  sehr  nahe8;  ich   würde  dann  lesen: 

1)  Unbrauchbar,  weil  reine  willkür  and  mii  den  sonstigen  angaben  der  diohtuog 

nicht  übereinstimmend,  ist  Haupts  weitere  änderung  der  riehen  statt  lasterliche. 
Martin,  der  ihr  früher  gefolgt  war,  bat  sie  aufgegeben. 

2)  Eofmanns  berufung  auf  dir  paläogr.  bräuohe  des  L5.  jhs.  musa  natürli  I 
strichen  werden,  denn  dir  vorläge  unserer  lis.  wai 

ZKITSCIllfIBT    F.    DEUTSCHIC    PHILOLOQIU.       HI'.    .  \  \  V 


34  I-AN'/tR 

Si  het  wol  tüsent  mite  da:   waxxer  dan  getragen 

hin   :r  Hagenen  burc  z,e  Baijan1,    so  wir  huren  sagen, 

daz  er  herre  weere  ze  Polän  lasterliche: 

si  liegent  tobeltche;  e%  enist  dem  meere  niht  geliche. 

Der  hauptsatz  si  liegent  I.  ist  anakoluthisch  angeknüpft  (eigentlich 
braehylogisoh :  „wenn  sie  das  sagen,  so  ist  das  nichl  wahr,  sondern  Sie 
lügen").  Bei  dieser  lesart  richtet  sich  die  polemik  des  dichters  natür- 
lich gegen  eine  lokalisierung  Hagens  in  Polen,  Eine  solche  hätte,  wie 
die  Walthersage  beAveist,  nichts  auffälliges.  Nur  der  gedanke,  dass  sie 
lasterliche  sei,  möchte  für  das  mittelalter,  dem  die  polnische  Wirtschaft 
noch  nicht  sprichwörtlich  geworden  war,  sonderbar  erscheinen.  Aber 
man  erinnere  sich,  dass  bei  Walthcr  ,Polä?i'  wirklich  als  verächtliche 
bezeiohnung  für  einen  „obskuren  kerl "  gebraucht  wird,  vgl.  80,  30  und 
Wilmanns  anm. 

Zu  301,  .'!  purpur  unde  baldekin  hete  man  da  unwert  fanden 
vgl.  En.  12  940  die  kolter  van  samite,  van  pelle  end  van  dimtte  lieht 
ende  menichvare.  man  nam  da  vel  luttel  wäre  op  ein  Hellte  baldehin 
ende  op  ein  kateblatin  end  op  ein  verbleiten  gewant. 

314,  2.  3  ist  wol  mit  engem  anschluss  an  die  Überlieferung  und 
constr.  dreb  v.oivov  zu  lesen:  .sin  kraft  und  ouch  sin  eilen  sint  starc 
und  ouch  sin  haut  hat  uns  gemachet  eine  maneger  fröuden  guot. 

Str.  316  stimmt  sehr  genau  zu  Bit.  6118  fg.,  wo  Günther  dem 
Rüdeger,  da  er  ihn  von  Ezel  vertrieben  wähnt,  anbietet:  nu  sult  ir 
mich  daz  ivizxen  län,  ob  ir  ivelt  beliben  hie;  so  gap  in  der  künic  nie 
von  Hinnen  landen  also  vil;  fünvär  ich  iu  daz  sagen  ivil,  ich  gibe 
iu  dristunt  mere. 

321,  4  fand  Hildebrand,  Zeitschr.  2,  469,  den  gedanken  unvoll- 
ständig und  wollte  lesen  dann  si  sus  gelückes  nach  der  scheenen  Hilden 
solden  biten.  Aber  die  ergänzung  ist  wol  unnötig,  denn  der  nachdruck 
liegt  auf  gelückes,  das  schon  den  gegensatz  zu  v.  3  enthält:  sie  hätten 
den  erfolg  lieber  im  kämpfe  gesucht  und  also  ihrer  persönlichen  kraft 
verdankt  als  der  günstigen  gelegenheit.  —  Zu  dem  seltsamen  nach  der 
scheenen  Hilden  lässt  sich  etwa  die  fügung  in  Hermann  und  Dorothea 
(1,42)  vergleichen:  Macht  ich  doch  auch  in  der  hitze  nach  solchem 
Schauspiel  so  weit  nicht  laufen  und  leiden. 

Dass  323,2  eine  erinnerung  an  das  FröSa  mjgl  vorliegt  (Hilde- Gud. 
s.  314)  hat,  wie  ich  jetzt  sehe,  schon  Unland  bemerkt  (Schriften  3,  338). 

1)  xe  Baijan  darf,  wie  Klee,  Germ.  25,  398  richtig  bemerkt,  des  kontrastes 
wegen  nicht  gestrichen  werden;  vgl.  anch  161,2  xuo  der  hure  xe  Baijan.  293,1  ron 
der  burc  xe  Baijan. 


BEITRÄGE    ZUR    KRITIK    UND    ERKLÄRUNG    DER    GUDRUN  35 

331,  4  ist  die  Überlieferung  lückenhaft.  Die  herausgeber  ergänzen 
gnoten  und  lesen :  ja  mohte  man  in  selben  einen  guoten  swertdegen 
rinden.  Bartsch  (und  danach  Piper)  erklärt  swertdegen  .einer,  der  mit 
dem  Schwerte  umgehen  kann',  aber  das  bedeutet  das  wort  nie  in  der 
Gud.,  die  den  ausdruck  nur  in  seinem  ritterlich -technischen  sinne  kennt1. 
Martin  constatiert  denn  sehr  richtig,  dass  swertdegen  eine  für  Wate 
sehr  passende  bezeichnung  sei,  und  man  wird  weder  die  erklärung  von 
Sijmons  plausibel  finden,  dass  die  bezeichnung  hier  ironisch  zu  ver- 
stehen sei,  noch  die  von  Klee  (Germ.  25,  399),  sie  sei  scherzhaft  schon 
im  hinblick  auf  den  Zweikampf  mit  Hagen  gebraucht,  in  dem  Wate 
sich  361,  4  als  gelehriger  schermknabe  erweist.  Zudem  wird  man  guot 
schwerlich  irgendwo  als  epitheton  bei  swertdegen  finden.  Offenbar  ist  der 
vers  anders  herzustellen  und  da  im  vorangehenden  und  folgenden  von 
der  kleidung  der  Hegelingen  die  rede  ist,  so  hat  wol  auch  liier  nichts 
anderes  gestanden  als  ja  mohte  man  in  selben  gekleit  (oder  geziert)  als 
einen  swertdegen  vinden,  d.  h.  Wate  war  so  kostbar  angezogen  als  sollte 
es  zur  schwertleite  gehen,  vgl.  305,  3  si  wären  so  gekleidet,  sam  si  des 
tages  swert  nemen  solden. 

Zu  339,4  vgl.  auch  Trist.  643  dar  zwo  /ras  in  der  ouwe  manet 
ander  schoeniu  frouwe,  der  iegelichiu  mohte  sin  von  scheene  ein  ricJiin 
künigin. 

Für  die  341.  3  erwähnte  haartracht  hat  Hertz,  Paizival  anm.  185 
nachweise  gegeben,  die  Martins  bemerkungen  ergänzen  und  richtig  aut 
den  orientalischen  Ursprung  dieser  sitte  verweisen;  nachzutragen  ist  eine 
interessante  stelle  aus  Heinrichs  von  Neustadt  Apollonius,  die  gerade 
diesen  punkt  bestätigt.  Dort  (Strobl  s.  60)  trägt  der  alte  Candor  edel- 
steine  in  sein  haar  gerigen  nach  der  heidenscJ/en  ort. 

342,  1  vor  ir  gesidele  stuonden  die  wcetlichen  man  hat  anstoss 
erregt,  weil  die  Hegelingen  ja  341,  4  (si  hiez  si  sitzen  beide  Waten  und 
ron  Tenemarke  Fruoten)  ausdrückliche  aufforderung  sich  zu  setzen  er- 
halten haben.  Hierin  liegt  aber  durchaus  nichts  auffälliges;  denn  es 
ist  im  mittelalter  genau  so  sitte  gewesen  wie  noch  heutzutage  trotz  er- 
haltener aufforderung  zum  sitzen  höflich  stehen  zu  bleiben  (und  stuonden 
342,  1  ist  perfectiv:  sie  blieben  stehen).  Nachdem  Gawan  auf  Schastel- 
marveile  sich  im  bette  ausgeruht  hat  Parz.  581,  25  >  r  riht  sich  üf  und\ 
saz,  mit  guoten  freuden  er  az.  ril  manec  frouwe  vor  im  stuont,  gehl 
dies  dem  galanten  manne  wider  den  strich  und  er  bittet  dir  alte  königin: 
,  frouwe,  ex-  krenkt  mir  mine  xuht,  ir  meget  >»ir\  jehen  vür  ungenuht, 

1)  Für  den  allgemeinen   gebrauch    von   swertdegen       held  sind   mir  qui 

beispiele  aufgesessen :  Lampr.  \l»'\.  3668  and  Wolffl,  D  \  II.  ~'~.  l 


36  PANZER 

suln  dise  frouwen  vor  mir  stän.  gebiet  in,  daz  si  sih.cn  gen  oder 
heizt  si  mit  mir  exxen'.  Die  königin  leimt  das  ab:  ,ulhi<:  ivirt  niht 
gesezzen  von  ir  enkeiner  um  an  mich,  her,  si  mähten  schämen  sich, 
soltens  iu  niht  dienen  viV  und  die  damen  wünschen  selbst  stehen  bleiben 
zu  dürfen:  ir  süezen  munde  in  bäten  da  stenes  unx  er  geeze,  dax  ir 
enkeiniu  seeze.  Wie  hier  die  jungen  damen  vor  Gawan,  so  stehen  sonst 
die  raänner  in  gegen  wart  vornehmer  trauen.  Hartmann  von  Aue  be- 
klagt sich  über  die  ermüdende  etiquette  MSR  216,  35  Li  rrouuwn  Inner 
ich  nicht  vervän  wan  dax  ich  müede  vor  in  stän,  galanter  denkende 
halten  sie  fest,  trotz  ausdrücklicher  erlaubnis  sichs  bequem  zu  machen. 
So  Meleranz  im  gedichte  des  Pleiers  v.  894  fgg.  Der  Tydomie  ir  herxe 
steet  gap  den  rät,  ze  dem  juncherreu  sprach  si  sän:  Juncherre,  ir 
sali  sitzen  gän,  ir  habt  gestanden  hie  gennoc'.  dö  sprach  der  junc- 
herre klaoc:  jfrouwe,  lät  mich  bi  ivitzen.  solt  ich  vor  in  sitzen,  des 
weer  mir  armen  kneht  ze  vil.  immer  ich  daz  dienen  teil,  dax  ir  mir 
günnt  der  zühte  min'.  Tydomie  muss  ihre  aufforderung  widerholen 
und  begründen,  dass  sie  wolanstehendes  verlange  (ein  gast  tuon  sol, 
swax  im  geblutet  sin  ivirt;  ist  dax  er  sin  gebot  verbirt,  daz  ist  un- 
gezogenlich),  dann  erst  setzt  sich  Meleranz.  Eine  ähnliche  scene  spielt 
sich  ebd.  1181  fgg.  ab.  Ebenso  verhält  der  ritter  sich  in  einem  gedichte 
Hermanns  von  Sachsenheim,  Hätzl.  II,  14,  557 fgg.  Er  führt  die  dame 
an  einen  quell:  nider  sitzen  ich  sy  bat.  sy  sprach:  das  tun  ich  geren. 
ich  ivill  aber  nit  emperen,  ir  müszt  auch  sitzen  nider.  ich  stund  still 
und  sprach  hinwider:  ,genad,  fraw  edel  unde  scheen'  usw.  Auch 
Dietleib  ist  ein  so  züchtiges  junkerlein.  Als  er  mit  seinem  vater,  nach- 
dem ihre  abkunft  erkannt  ist,  von  Etzel  und  Helche  feierlich  empfangen 
wird,  Bit.  4442  dö  danete  vlizeclichen  her  Biterolf  und  ouch  sin  hint 
dem  künege  und  ouch  froun  Heichen  sint.  si  bätens  sitzen  neben  in. 
der  knabe  niht  hete  den  sin,  daz  er  sitzen  solde.  der  künec  dö  niht 
enwolde  enbern  erne  seeze  nider.  Konrad  von  Haslau  im  Jüngling  tadelt 
solches  zieren  v.  653:  so  ist  manc  kneht  in  den  toitzen,  so  in  der 
herre  heizet  sitzen,  so  sprichet  er:  'ja  sten  ich  woV.  der  tuot  ouch 
niht  als  er  sol.  Umgekehrt  hat  der  Seifr.  Helbl.  IV,  258  sich  über 
lümmelei  zu  beklagen:  ze  hove  hän  ich  daz  gesehen:  der  herzog  stuont, 
sie  säzen,  so  sie  sin  verwäzenf  saz  er  bi  in,  si  lernten,  da  mit  si 
bescheinten  ir  unzuht:  daz  tvas  unreht.  Dass  höfische  sitte  in  Deutsch- 
land schon  im  11.  Jahrhundert  den  höflichen  verpflichtete,  in  gegen- 
wart  von  respectspersonen  stehen  zu  bleiben  und  erst  auf  ausdrückliche 
aufforderung  sich  zu  setzen,  zeigt  Kuodl.  Y,  43  alter  rex  surgens  huic 
dignas  dicere  grates  a  nostro  vetitus  residet.    Und  so  bleiben  also  auch 


BKITRÄGh;    ZUR    KRITIK    UND    ERKLÄRUNG    DER    GUDRUN  37 

die  Hegelingen,  denen  der  dichter  durchweg  (Hilde-Gfud.  s.  123)  und 
nochmals  nachdrücklich  hier,  v.  2a,  nachrühmt,  dass  sie  manege  zuht 
künden,  vor  ihren  stuhlen  stehen  oder  zunächst  stehen,  bis  die  auf- 
forderung  zum  sitzen  vermutlich  dringender  widerholt  war.  Denn  343,  3. 
344,  2  sind  sie  doch  wol  sitzend  gedacht.  Die  zwischen  den  beiden  acten 
erfolgte  Sinnesänderung  ist  nicht  ausdrücklich  erwähnt:  eine  stilistische 
eigen tümlichkeit  des  gedieh tes,  die  Hilde- Gud.  s.  118  mit  weiteren  bei- 
spielen  belegt  und  in  den  gehörigen  Zusammenhang  gerückt  ist. 

Zu  den  mannigfachen  parallelen,  die  für  die  fechtscene  354  fgg.  zu- 
sammengetragen sind,  gesellt  sich  noch  eine  (in  Sonderheit  dem  Seghelyn 
verwandte)  episode  im  prosaroman  Ysaye  le  Triste.  Dort  bittet  der  held 
seinen  erzieher,  den  einsiedler,  ihn  fechten  zu  lehren.  Sie  fechten 
zuerst  mit  Schwertern,  dann  mit  baumzweigen.  In  beiden  fechtarten 
zeigt  sich  Ysaye  überlegen;  vgl.  Zs.  f.  rom.  Phil.  25,  184. 

365,  4  sivaz  man  sach  ir  sterke,  doch  hete  ir  Hagene  da  bezeiget 
mere  Avill  Sijmons  Beitr.  9,  95  fg.  (im  anschluss  an  Wilmanns)  statt 
Ilagene  einsetzen  Wate,  „denn  hätte  Hagen  die  grössere  kraft  gezeigt. 
so  wäre  kein  grund  zu  einem  mühsam  verhaltenen  zorne  da  gewesen." 
Richtig  verstanden  ist  die  Überlieferung  aber,  wie  ich  glaube,  voll- 
kommen in  Ordnung  und  viel  feiner  als  die  vorgeschlagene  änderung. 
Der  dichter  will  offenbar  sagen,  Hagen  habe  bei  diesem  ersten  gange 
bereits  mit  dem  aufwände  aller  kraft  gefochten,  während  Wate  solches 
noch  nicht  nötig  hatte,  noch  listig  zurückhalten  konnte. 

381,  2  schreiben  Sijmons  und  Piper  nach  C.  Hof mann  die  säxen 
linde  loseten,  da  diu  vogellin  vergäxen  ir  dopne,  denn  „die  zuhörer 
können  unmöglich  auf  das  verstummen  der  vöglein  horchen."  Sollten 
sie  wirklich  nie  erfahren  haben,  dass  mim  eine  überraschende  stille 
tatsächlich  hört,  dass  man  ihr  recht  eigentlich  lauschen  kann?  Goethe 
wusste  es  offenbar,  als  er  —  denn  von  ihm  wird  das  lied  doch  sein  — 
sang:  Horch,  Philomelens  kummer  schweigt  heule  still. 

398,  1  ist  %e  lobe  eine  unnütze  änderung  des  überlieferten  u 
hove,  das  hier  wie  397,  4  natürlich  bedeutet:  vor  der  königstoehtei . 
Vgl.  darüber  Hildebrand  Zeitschr.  2,  469. 

449,  2  mutet  das  überlieferte  erglixen  der  phantasie  doch  allzu- 
viel zu.  Von  den  rüstungen  der  zum  wasser  dringenden  mannen  Hagens 
konnten  allenfalls  die  wollen,  aber  doch  wahrhaftig  nicht  der  mei 
boden  erglänzen;  zum  überfluss  können  die  leute  Eagena  der  ganzen 
Situation  nach  gar  keine  rüstungen  angehabt  halten.  Man  muss  also 
wol  lesen:  der  grund  begunde  erdiexen;  strtten  wart  getan,  was  ja 
auch    sonst   betont   wird,   vgl.  ."»67,  2  der   sal  begunde   diexen    von   w 


38  PANZER 

beider  siegen,  515,  1  di>  sluoc  Wate  der  alte,  dar,   im  erwäget  der  wert, 
1394,  2  dax  im  der  wert  erwagete  und  im  der  war  erddz,  Roth.  4223. 

481,  4  wird  der  , gesuchte'  aüsdrack  ir  lop  man  mähte  kroznen 
ja  gewiss  erst  dem  caesurreimer  verdankt,  ist  aber  doch  nicht  gerade 
unerhört.  Sie  gfelt  mir  wol,  ir  lob  ich  krön  sagt  Hans  Sachs,  Giiselua 
v.  668,  ir  hoher  preis  mus  immer  ivesen  gekrönt  in  allen  ecken  Dietr. 
ausfahrt,  Stark  448,  9.  Das  gewöhnliche  und  natürliche  ist  freilich 
einen  mit  lobe  kromen,  Wilmanns  zu  Walth.  40,  24. 

508,  3  nimmt  Martin  an  dem  ausdrucke  mit  disen  werden  gesten 
anstoss:  er  könne  nicht  Hagens  leute  bezeichnen,  da  die  von  Irrtche 
davon  unterschieden  werden,  auf  die  Hegelingen  aber  passe  er  umso- 
weniger,  als  diese  sich  ja  in  ihrem  lande  befinden.  Es  ist  nun  wol 
möglich,  dass  der  ausdruck  erst  dem  caesurreimer  verdankt  wird;  aber 
erklären  lässt  er  sich  schon.  Es  sind  damit  die  eben  aus  der  fremde 
in  die  heimat  zurückgekehrten  Hegelinge  gemeint,  die  ebenso  470,  4 
geste  genannt  sind.  Auch  die  aus  Hegelingen  in  die  heimat  zurück- 
gekehrten Normannen  heissen  974,   1  geste. 

644,  3  daxhete  si xongenweide  soll  nach  Martin  ironisch  gemeint  sein, 
„da  Gudrun  die  feinde  nicht  mit  begehrlichen  äugen  ansehen  konnte". 
Von  begehrlichem  anschaun  ist  bei  ougenweide  aber  auch  keine  rede; 
der  ausdruck  bedeutet  hier  wie  sonst  , Gudrun  freute  sich  daran",  weil, 
wie  v.  4  erklärt,  tapferkeit  den  frauen  immer  eine  wonne  ist,  auch  am 
feind.     "Wirklich  ironisch  gebraucht  ist  der  ausdruck  756,  4. 

Auch  649,  4  ist  bei  Martin  nicht  richtig  aufgefasst.  In  der  ersten 
aufläge  stand  ir  vater  und  dem  gaste  si  wünschte  des  si  gedähte  in 
beiden  und  das  wurde  erklärt:  ,da  wünschte  sie  ihrem  vater  und  dem 
fremden,  was  sie  auch  gegen  beide  aussprach',  was  denn  freilich  ein 
sehr  wunderlicher  ausdruck  wäre.  In  der  zweiten  aufläge  ist  der 
überlieferte  text  (im  anschluss  an  Erdmann,  Zeitschr.  17,  227)  geändert 
zu  ir  vater  und  dem  gaste  si  wünschte  des  si  in  gedähten  beide  und 
erklärt:  „sie  wünschte  ihnen,  was  sie  beide  erwarteten."  Aber  zu  einer 
änderung  der  Überlieferung  liegt  gar  kein  anlass  vor,  da  sie  richtig 
interpretiert  einen  vollkommen  befriedigenden,  ja  den  für  den  Zusammen- 
hang allein  möglichen  sinn  gibt:  Gudrun  wünschte  dem  vater  und  dem 
freunde,  was  sie  ihnen  beiden  zudachte;  d.  h.  sie  wünschte  beiden 
gelückes  oder  dax  in  möhte  gelingen  wie  es  727  heisst.  Denn  ihrem 
vater  ist  sie  durch  kindliche  liebe,  dem  fremden  durch  die  Zuneigung, 
die  seine  tapferkeit  ihr  abgerungen,  zu  solcher  Sympathie  verpflichtet, 
und  so  wird  ihr  Herwigs  sieg  beide  liebe  unde  leide,  macht  sie  gexweiet 
in  ir  muote,  wie  es  654,  2   (nach   der  allein  möglichen  lesung)  heisst. 


BKITRAÜK   ZUK   KBlTIli    UND    KKliLÄllUNG    DEU    GUDRUN  ?/.) 

Gudrun  steht  also  den  kämpfenden  parteien,  indem  sie  beiden  gutes 
wünscht,  genau  so  gegenüber  wie  Wolfram  dem  kämpfe  Parzivals  mit 
Feirefiz;  er  drückt  das  in  seiner  originelleren  art  so  aus  (Parz.  742,  14): 
gut  ner  da  Gahmuretes  leint!  der  wünsch  wirt  in  beiden,  dem  getoußen 
und  dem  Jieiden:  die  nante  icli  e  für  einen. 

Zur  beurteilung  des  Herwig  667,  2  erteilten  rates  vgl.  2.  Büch- 
lein 512  fgg.  und  Zeitschr.  31,  544. 

681,  4  überliefert  die  hs.  den  überladenen  halbvers  si  klaget e 
dax  verloren  weere  ir  laut  und  ir  vre.  Martin  und  Sijmons  schreiben 
nach  Müllen  hoff  si  klagete,  vlorn  weere  laut  und  vre.  Aber  das  ir  kann 
unmöglich  fehlen,  da  darauf  aller  nachdruck  liegt,  wirklich  ja  auch  nur 
ihr,  d.h.  ihr  und  Herwigs  land  verloren  ist,  nicht  das,  in  dem  sie  weilt: 
vgl.  685,  3  wo  sie  ihrem  vater  melden  lässt,  man  sliiege  ir  die  Hute 
und  breeche  ir  bürge  uiteu.  —  Bartsch  schreibt  si  klagete  vlorn  ir  lant 
und  ir  vre,  richtiger  ist  vielleicht  si  klagete  dö  ir  land  und  ir  vre,  vgl. 
887,  4.  901.  2.  902,  2.  927,  3.  939,  2.   1471,  2.  1478,  4  u.  ö. 

Zu  685.  1  von  sedele  stuont  dö  Küdrün  bemerkt  Martin:  ,um 
zum  könige  zu  gehen'.  Aber  diese  ausdeutung  wird  dem  tieferen  sinn 
der  stelle  keineswegs  gerecht.  Nicht  umsonst  hat  der  dichter  682,  1 
ausdrücklich  bemerkt:  mit  triuivvu  tele  si  dax,  dax  diu  maget  vil  edele 
weinende  sax:  Gudrun  sitzt,  weil  der  trauernde  nach  mittelalterlicher 
gebärdensprache  sich  niedersetzt  und  wenn  sie  685,  1  aufsteht,  so  will 
der  dichter  damit  sagen,  dass  sie  jetzt  ihre  trauer  unterdrückt,  um 
kraftvoll  das  notwendige  zu  tun.  Zum  beweis  ein  paar  belege  für 
viele:  dö  sach  sie  bi  der  scharte,  dax  ex  Tristrant  uns.  nedir  saxte 
sie  sich  an  dax  gras:  gröxir  jämir  sie  b&vtng  Eilli.  Trist.  1884.  alre 
herre  sinne  st  vergat;  onsachte  si  bi  lieni  gesät,  si  weinde  rele 
En.  2015,  nach  klägelichen  suchen  gesa:  er  riuwecltchen  nider  G.  Trist. 
1436,  er  sax  vor  leide  der  nider  Strickers  Karl  1814,  wie  sitxent  ir  so 
trürecUch?  Virg.  511,  1,  oivv,  ir  vreuden  si  vergäxen,  mit  jämer  si 
uf  dax  gras  nidersäxen  Rabenschi.  983,  5,  von  jt&merlichem  leide  sau 
er  üf  dax  gras,  er  muost  vor  grdxem  leide  sich  legen  üf  <l<r.  taut 
Wolfil.  I)  IX.  70,  2,  wie  sin  wir  versexxen  zwischen  vröuden  nider  an 
die  jämmerlichen  stat  Walth.  13,  19,  pe"oden  uribltße  scet  Beow.  130  usw. 

Zu  720,  1.  2  führt  Zingcrle,  Z.  f.  d.  a.  44, 143 fgg.  aus,  die  be- 
festigang,  in  die  Sifrid  mit  seinem  beere  sich  wirft,  hätte  niemand 
als  warte  bezeichnen  können  und  will  dahei  lesen:  si  wichen  von  dem 
strfte  w  einem  waxxer  dan,  da  te  einer  Site  ein  grdxer  phlüm  in 
ran.  Er  muss  nun  erklären,  dass  mit  waxxer  „das  raeer,  eine  meeres- 
bucht"  gemeint  sei,   was  schwerlich  jemand   glaubwürdig   finden    wird. 


40  ''•-  «ZBK 

Gewiss  hat  Martins  besscrung  ze  einer  warte  das  richtige  getroffen; 
in  v.  2  aber  ist  keine  notwendigkeit,  das  überlieferte  hin  ran  aufzugeben. 
Ich  glaube  Hilde-Gud.  s.  346  fgg.  nachgewiesen  zu  haben,  dass  Sifrids 
kämpf  gegen  Herwig  und  Hetel  auf  den  geschichtlichen  ereignissen  der 
jähre  881/882,  speziell  den  kämpfen  um  Elslow  an  der  Maas  beruht. 
Ebd.  s.  348  ist  bereits  betont,  dass  die  sage  auch  das  historische  lokal 
dieser  geschehnisse,  die  befestigung  am  iluss.  genau  festgehalten  hat. 
Sie  kann  warte  heissen,  weil  sie  den  Normannen  wirklich  als  solche 
diente;  denn  es  war  keine  eigentliche  bürg,  sondern  lediglich  ein 
befestigtes  lager.  Sifrid  von  Morland  befolgt  genau  die  kriegsführung 
der  Normannen,  die  bei  ihren  einfallen  sich  stets  einen  befestigten 
Stützpunkt  aussuchten,  von  dem  sie  das  land  verwüsteten,  wohin  die 
beute  zusammengeschleppt  wurde,  auf  den  sie  beim  nahen  eines  heeres 
rasch  zurückfallen  konnten.  So  hatten  ihnen  besonders  Gent  und 
Kortrijk  lange  gedient,  863  setzten  sie  sich  in  Nimwegen  fest,  882  in 
Conde  im  Hennegau,  883  in  Duisburg,  883/84  in  Amiens,  884  in  Löwen, 
885  in  einem  befestigten  lager  an  der  Seine,  später  vor  Paris  usw., 
vgl.  Dümmler  3,  129 fgg.,  148 fg.,  209,  228.  222,  229 fg.,  232.  247, 
263  fg.  usw. 

737,  4  heisst  es  von  Gerlind  si  ivunschte  daz  si  hähen  solden 
beide  Waten  unde  Fruoten.  Da  der  Gudrundichter  das  Rolandslied  nach- 
weislich gekannt  hat,  so  ist  auch  dieser  vers  vielleicht  angeregt  durch 
Rol.  3590,  wo  Marsilie  von  Roland  und  Olivier  wünscht:  thie  sehen 
gesellen  beide  scolten  billichen  hangen,  so  wäre  min  xcille  icol  er- 
gangen. 

Für  den  uns  seltsamen  ausdruck  in  dax  vierde  laut  805,  1  hat 
Martin  mehrere  parallelen  gesammelt;  vgl.  noch  Ottokar,  Ost.  reimchr. 
87901  sin  tohter  ist  diu  schmnist  magt,  di  man  ze  diser  stunde  in  vier 
landen  vunde,  Rol.  8183  ther  ime  sin  spise  hete  gesant  über  einlif 
lant,  "Willeh.  342,  5  von  Halzebier  an  sin  selbes  her  über  fünf  laut 
diu  her  ze  helfe  im  wären  benant,  ebd.  339,  2  etzlicher  (von  den  heiden- 
königen)  über  daz  fünfte  mer  mit  maneger  rotte  dar  was  komm, 
ebd.  377,  7  sus  prüeve  ich  Poydjuses  her,  daz  dar  kom  über  daz  fünfte 
mer,  Eckenlied  81,  5  do  vuortenz  zivei  wildiu  getiverc  ivol  durch  niun 
künecriche.  Nicht  selten  finden  sich  ähnliche  bestimmungen  im  nor- 
dischen Volkslied.  DGF.  1,  49.  str.  20  antworten  die  Burgunden  dem 
Wächter  Grimilds  auf  die  frage,  woher  sie  seien:  hid  saa  ere  ici  kommen 
äff  trinde  tyde  land,  d.h.  aus  weiter  ferne;  ebd.  2,  200  str.  35  räflnen 
sluo  synn  wynnger  offner  thrinde  konnge-rygge;  Isl.  fornkv.  nr.  8, 
str.  7  sagt  die  mutter  zu  ritter  Stig  pö  pü  siglir  d  pn'Sja  pjööland  (d.  h. 


BEITRÄGE   ZUR   KRITIK    USD   ERKLÄRUNG    DER    GUDRUN  41 

sehr  weit),  i  nätt  gisiir  Regisa  pina  sceng.  In  einem  slavischen  Volks- 
lied (A.  Grün,  Volkslieder  aus  Krain,  s.  35)  heisst  es:  „trinket,  fresset, 
meines  bruders  rösslein!  Dann  heisst's  laufen  bis  zum  neunten  lande, 
dort  zu  finden  meines  bruders  liebste."  Dem  Volksmärchen  ist  die  be- 
stimmung  noch  sehr  geläufig.  Bei  Wolf  DHM.,  s.  280  trägt  das  treue 
füllchen  den  beiden  „über  drei  königreiche  weg  ins  vierte",  ebd.  s.  316 
liegt  das  haus  des  vogel  Greif  „hinter  drei  königreichen  und  einem 
grossen  wasser";  im  ungarischen  märchen  gehen  weite  reisen  regel- 
mässig über  sieben  mal  sieben  lande,  vgl.  Sklarek,  Ungar,  volksm. 
s.  88.  91.  99.  103.  142.  162.  165.  166.  167.  181.  183.  188  u.  ö;  in 
russischen  märchen  wird  oft  die  aufgäbe  gestellt,  durch  siebenund- 
zwanzig länder  ins  dreissigste  königreich  zu  wandern ,  vgl.  z.  b.  Dietrich 
nr.  3,  4  usw. 

838,  2  got  tuot  mit  gewalte,  als  ex  umbe  in  stät  ist  verderbt 
und  zwar  sicher  durch  den  caesurreimer  {: cid  sprach  Wate  ihr  alte  la), 
sodass  man  nicht  mit  Bartsch  an  dem  zweiten  halbvers  ändern  darf. 
Ich  vermute,  dass  ursprünglich  gestanden  hat:  got  tuot  ie  dem  manne, 
als  ex  umbe  in  stät  d.h.  gott  verfährt  mit  dem  menschen  nach  den 
umständen.  Vgl.  Mhd.  wb.  3,  135a,  besonders  U.  Trist.  706  er  tuot  ir, 
als  man  ie  tete  bi  ligenden  toiben. 

Zu  864,  3  findet  Martin  es  anstössig,  dass  hier  ein  hemd  unter 
der  brünne  gegen  einen  kopfhieb  schützen  soll,  und  Sijmons  erklärt: 
„Natürlich  schützt  nicht  das  seidene  hemd  unter  der  brünne  Ludwig 
gegen  den  köpf  hieb,  sondern  die  in  dasselbe  eingenähten  reliquien." 
Aber  diese  künstliche  erklärung  ist  gar  nicht  erforderlich,  indem  wir 
einfach  anzunehmen  haben,  dass  die  seidene  haube  mit  dem  hemd 
ebenso  aus  einem  stücke  war  wie  das  hersenier,  unter  dem  Ludwig 
sie  trug,  mit  der  brünne.  Dass  die  brünne  im  gegensatz  zum  halsberg 
kein  hersenier  besessen  habe  (Härtung  s.  440),  ist  eine  behauptumr.  der 
die  quellen  mindestens  des  12.  js.  aufs  bestimmteste  widersprechen, 
vgl.  Schultz  2,  32  anm.  4. 

961,  4  stellt  das  schon  von  Vollmer  vermutete  anders  mohtt  <r 
ir  sterben  niht  erwenden  den  text  gewiss  richtiger  her  als  Bartschens 
<i.  »lohte  ir  st.  n.  erw.,  dem  die  neueren  herausgebei  folgen.  Denn 
aller  nachdruck  liegt  darauf,  dass  selbst  er.  der  milde  und  feine  Hartmut. 
Gudrun  auf  keine  andere  weise  aus  der  üblen  läge  retten  konnte,  in 
die  sein  vater  sie  gebracht,  als  durch  eine  solche  Verletzung  des  an- 
standes.  Vgl.  zu  dem  gedanken  str.  L523  und  EUldebrands  treffende 
erläuterung  Zeitschr.  4,  362. 


42  1ANZKR 

978,  4  ist  die  besserung  von  Sijinons,  der  muh' ruhen  für  das 
überlieferte  emphähen  einsetzt,  durchaus  unberechtigt  und  von  nhd. 
Sprachgefühl  eingegeben.  Das  mhd.  emphähen  besteht  eben  in  kuss 
und  umarmong. 

Str.  1006  haben  Unlands  bemerkungen  Germ.  H.  81  ins  rechte  licht 
gerückt.  Spinnen  und  sticken  als  soziale  gegensätze  zeigt  auch  deutlich 
die  bemerkung  über  den  bäurischen  emporkömmlingSeifr.  Helbl.  VIII.  208: 
sin  toJäer  vor  frouwen  ncet  schön  ab  einem  bildcer,  diu  billich  da  keimt 
wcer,  daz  sie  ir  muoter  spanne.  Vgl.  auch  Kaiserchr.  L1987  von  der 
vom  fischer  aufgefangenen  Crescentia:  ja  ehan  si  trol  mit  siden  [wurchen 
swaz  ir  gevallet:  an  sivelhen  borten  man  si  stellet]  da  mag  man  ir 
tiure  ivol  an  kiesen. 

1104,  1  wird  das  Hegelingische  beer  gezählt:  man  aide  Li  den 
Schilden,  wie  vil  ir  mühte  sin.  ..  der  wurden  sibenzic  tüsent.  Martin 
bemerkt  dazu:  „doch  wol  nicht  nach  den  Schilden  der  einzelnen,  da 
man  ebenso  gut  die  mannen  selbst  hätte  zählen  können,  sondern  nach 
denen,  die  die  hauptleute  aufgehängt  hatten".  Das  ist  gewiss  nicht 
richtig.  Freilich  hätte  man  ebensogut  die  personen  zählen  können; 
aber  im  kriege  kommt  es  eben  in  erster  linie  auf  die  zahl  der  zur 
Verfügung  stehenden  waffen  an  und  hinter  diesen  verschwinden  die 
lebendigen  personen,  die  sie  bedienen.  Auch  das  mittelalter  zählte 
seine  kämpfer  nacb  helmen,  Schilden,  halsbergen,  spiessen  usw.  Da 
Zupitza  zu  Virg.  177.  8  diesen  Sprachgebrauch  nur  mit  drei  stellen 
belegt,  auch  die  Wörterbücher  versagen,  führe  ich  an,  was  ich  mir 
dafür  notiert  habe.  Zählung  nacb  Schilden:  Ruodl.  VI,  15  multi  sunt 
hie,  quos  non  stwpefieri  sat  scio,  si  centnm  scutis  comes  appetat  uniun, 
Roth.  4052  xwelf  hundirt  schilde  brähter  zö  deine  schalle,  En.  143 
doe  der  herre  Eneas  üi  der  horch  leomen  ivas,  doe  hade  der  helet  milde 
dri  düsont  skilde  ende  ridder  also  vele,  ebd.  6694  doe  quam  der  gräve 
Volzan  van  Laurente  toe  gevaren  met  einre  mekelen  skaren:  he  furch 
ivale  hundert  skilde,  Gud.  632,  3  er  ivolde  niht  erwinden,  er  enscehe 
in  da  mit  Schilden,  Dietr.,  Flucht  5915  so  bringt  iu  vil  der  scliilde 
Rüedeg er  der  milde,  Rabenschi.  562,  1  nach  Rüedeger  dem  milden  zogt 
her  Bloedelin  mit  achzehen  tüsent  Schilden,  ebd.  838,  5  Rüedeger  der 
milde  dem  volgten  sechzehen  tüsent  schilde,  Wolfd.  DX.  197,  3  mit  fünf- 
hundert Schilden  er  ir  engegenc  reit,  Helbl.  VII.  597  wol  zehentüsent 
schilde  het  wir  daunoch  hitite  fruo.  Ebenso  wird  buckelcere  verwandt: 
Rol.  2633  der  kuninc  von  Marsilien  iher  vuorte  üz  siner  iselen  niwen 
tüsent  puckelare  (=  Karl  3101  fg.). 


BEJTRiGJä   ZUR   KRITIK    UND    ERKLÄRUNG    DER    BÜDBDN  43 

Zählung  nach  helmen:  Rol.  2659  ther  kuninc  von  Thüse  ther 
vuorte  ü%  slner  clüse  manegen  heim  prünen,  Eilh.  5899  mit  . 
hundert  heimln  reit  he  do  selbe,  ebd.  8426  und  sohle  schtre  sin  geretin 
nach  üch  her  selbe  mit  drihundert  helmen,  Orend.  2939  (=  2959) 
hie  so  kument  si  selber  mit  drixig  tüsent  helmen,  die  ivellent  si  machen 
dem   Grclicen  Roc  undertän;  jüngere  beispiele  im  DWß.  4,  2.  977. 

Zählung  nach  halsbergen:  Athis  A*  112  Dionisin  sie  saztin  mit 
dusint  halspergin  an  die  huote  vor  den  bergin ,  En.  8378  der  heiser  Freder  icl, 
te  Romen  geiviet  wart  nä  sinre  ersten  lierevart.  di  he  für  over  berge 
met  nieucgeu  halsberge  te  Laneparten  in  dax  Unit,  Nib.  1921.  2  mit 
tüsent  halspergen  kuoben  si  sich  dar,  1523.  1  die  Xibelunges  helde 
körnen  mit  in  dan  in  tüsent  halspergen ,  Wolfd.  A.  144.  4  sehxic  hals- 
perge  heix,  dringen  nach  dir  in,  ebd.  159,  2  die  halsperge  dringen  man 
nücJi  dem  künege  sach,  ebd.  187.  1  mit  hundert  halspergen  erbeixte 
er   üf  dax  gras. 

Zählung  nach  spiessen:  Rol.  2673  thare  kam  Maragriex,  th<  r 
vuorte  manegen  freissamen  spiez  (=  Karl  3143),  Virg.  177,  8  im  volgtt 
vil  der  spiexe;  nach  hornbogen:  Rol.  2609  Antelin  von  Horre  vuorte 
vünfzehen  tüsent  hornbogen,  ebd.  2623  ther  kuninc  Maglierte,  ther 
vuorte  vermexxene  thiete,  xwelef  tüsent  hornbogen,  ebd.  4665  mit  in 
wären  thar  komen  siven  hundert  hornbogen. 

Nach  Schilden,  helmen  und  brünnen:  Heinr.  v.  Melk,  Erinnerung 
412  mugen  si  der  schilde  vil  geleisteit:  helme  uut  brunne,  dax  ist 
(Uin  ir  wunne,  dax  si  mit  menige  riten,  nach  Schilden  und  helmen 
Ortn.  53  die  siner  kamere  phlägen,  die  schwofen  dax  man  sr]inij> 
drixic  tüsent  schilde  und  als  manegex  ritters  dach,  Wartb.  164,  9  fünf- 
hundert helme  brühten  si  und  liehter  schilde  gliz ;  nach  Schilden  und 
rossen:  Rabenschi.  552,  1  vrou  Helche  diu  milde  hat  dir  gesendet  her 
vünfxec  tüsent  schilde  und  als  manic  ors  verdecket. 

1109,  3  von  spanischem  messe  wären  si  gebunden  ist  anver- 
ständlich, so  lange  man  den  vers  auf  die  anker  bezieht  Schönbachs 
deutung  (Christentum  s.  175)  hilft  nicht,  denn  abgesehen  davon.  das> 
gebunden  in  der  von  Schönbach  angenommenen  bedeutung  „vermischt" 
nicht  vorkommt,  hätte  doch  niemand  sagen  können:  „die  aus  glocken- 
speise  gegossenen  anker  waren  mit  niessing  vermischt*',  sondern  höchstens 
„die  glockenspeise,  aus  der  die  anker  gegossen  waren,  war  mit  messing 
vermischt".  Offenbar  darf  eben  si  nicht  auf  die  1107,  l  genannten 
anker,  sondern  muss  auf  die  schiffe  11<>7,  1  bezogen  werden  und  ge- 
bunden steht  in   dem  gewöhnlichen  technischen   sinne  von   beschlagen, 


■14  1'aNZBK 

oben  zu  264,  4.  Eine  solche  für  uns  auffällige  umspringende  beziehung 
der  pronomina  ist  in  der  Gud.  sehr  gewöhnlich. 

Die  episode  1125fgg.  hat,  wie  ich  nachträglich  sehe,  vor  meinen 
ausführungen  Hilde-Gud.  s.  361fgg.  auch  Graf  in  seiner  abhand- 
lung  über  den  magnetberg  (Miti,  Leggende  etc.  2,  363 fgg.)  besproclien. 
Graf  stellt  die  angäbe  unserer  stelle,  dass  im  magnetberg  ein  paradies 
verborgen  sei,  mit  einer  reihe  von  Überlieferungen  zusammen,  die  den 
berg  von  Zauberern,  f'ecn  usw.  bewohnt  sein  lassen.  Das  entspricht  der 
orientalischen  tradition ,  die  bereits  (Erzählung  des  3. Kalenders  Weil  l,85fg.) 
einen  Zauberer  auf  seiner  spitze  kennt;  die  angaben  unseres  gedichtes 
haben  damit  aber  m.  e.  nichts  zu  tun  und  erklären  sich  befriedigend 
in  der  Hilde-Gud.  s.  365  fgg.  angegebenen  weise.  Auch  das  zusammen- 
treffen mit  dem  Roman  de  Mabrian,  auf  den  Graf  verweist,  ist  ein  zu- 
fälliges. "Wenn  dieser  (Grässe,  Sagenkreise  s.  339)  angibt,  dass  au  dessus 
de  Vaiement  en  la  vallec  un  chasteau  nompareil  q'on  appelle  fae, 
parceque  Artus  et  les  fayes  y  habitent  stehe,  so  ist  das  eine  sekundäre 
und  gewiss  sehr  naheliegende  Identifizierung  des  von  feen  bewohnten 
chastel  d'aimant,  von  dem  auch  andere  quellen  (Fortsetzung  des  Huon 
de  Bordeaux;  spätere  redaktion  des  Ogier)  erzählen,  mit  dem  chastel 
der  Morgane,  wie  es  im  Florian  und  Florete  geschildert  wird,  während 
die  combinationen  unseres  dichters  ganz  anderer  art  waren.  Die  be- 
richte im  Wartburgkrieg  und  Reinfried  v.  Braunschweig  von  zauber- 
büchern,  die  Sabulon  und  Yirgil  auf  dem  magnetberg  bewahrt  bezw. 
geholt  haben  (Graf  s.  369),  scheinen  mir  nebenbei  bemerkt,  wider  zwei 
wunderberge  zu  vermengen:  den  von  Zauberern  bewohnten  magnetberg 
und  den  Monte  del  lago  della  Sibilla,  auf  dem  nach  vielen  berichten 
auch  die  deutschen  nekromanten  ihre  zauberbücher  zu  weihen  pflegten. 

Zu  1195,  4  wanne  in  diu  vogellin  ze  Ormanle  guote  ritter 
brcehten  bemerkt  Martin:  „diu  vogellin  ist  ungenau,  da  nur  ein  vogel 
gekommen  war".  Der  ausdruck  wäre  freilich  mehr  als  ungenau,  wenn 
wirklich  der  schwan  darunter  zu  verstehen  wäre,  der  Gudrun  er- 
schienen war;  er  soll  doch  auch  die  ritter  nicht  , bringen'!  diu  vogellin 
meint  natürlich  die  Trompeter  der  morgeuröte,  wie  Basile  sie  einmal 
nennt,  die  vöglein,  die  den  morgen  verkünden.  Der  satz  ist  lediglich 
eine  anmutige  Variation  von  v.  2  (si  erbiten  beide  Mime)  ivanne  ex, 
wurde  tac. 

1247,  2  ob  ir  dax  golt  erkennet,  so  bin  ich  Hei'ivic  genant,  d.  h. 
„wenn  ihr  den  ring  erkennt,  so  heisse  ich  Herwig",  ist  sinnlos;  die 
deutungen  von  Bartsch  und  Martin  aber  sind  gewunden  und  müssen 
allerlei  hineintragen,  was  nicht  dasteht;   Bartsch   ändert  ausserdem   die 


BEITRÄGE    ZUR    KRITIK    UND    ERKLÄRUNG    DKK    (iUJ)RUX  45 

I  Überlieferung.  Es  ist  alles  in  Ordnung,  sobald  man  richtig  konstruiert 
9  und  interpungiert:  komma  nach  v.  1  und  2  b  als  parenthese:  seht  auf 
.  meine  band,  ob  ihr  den  ring  erkennt  —  ich  selbst  heisse  Herwig  — 
j  mit  dem  ich  Gudrun  vermählt  ward.  Die  parenthese  ist  nicht  auf- 
;  fälliger  als  zahlreiche  andere  in  unserem  gedieht  und  vielleicht  mit 
jl  feiner  absieht  gesetzt;  Herwigs  sich  überstürzende  rede  malt  sehr  schön 
|  seine  bewegung,  sein  drängen  gewissheit  zu  erlangen.  Das  so,  mit 
I  dem  die  parenthese  eingeleitet  wird,  ist  das  bekannte,  uns  nicht  mehr 
|  geläufige  so  des  leisen  kontrastes  (zwischen  golt  und  ich),  den  ich  in 
i  der  Übersetzung  mit  „ich  selbst"  widerzugeben  versuchte. 

Zu  1372,  4  der  hax  der  Hegelinge  ivirt  e    morgen  äbent  vil  tcol 
!j  lande  (vgl.  998,  4)  vgl.  j.  Tit.  1360,  2  er  muox  mir  tiure  gelten  den 
kleinen,  e  sich  der  tac  in  äbent  habe  gewendet. 

1385,  3fg.  verspricht  Gerlind  mit  ihren  trauen  den  normannischen 
jj  kriegern  in  den   ärmeln  steine  zuzuschleppen,    wenn   sie    in   der  bürg 

sich  verteidigen  wollen:  ich  und  mine  meide  tragen  iu  die  steine  in 
\  den  stächen.     Der  brauch  ist  m.  w.  sonst  nirgends  nachgewiesen,  doch 

scheint  eine  stelle  der  Virginal,  richtig  gelesen,  ihn  zu  belegen.  Hier 
i  fordert  Dietrich,  als  Hülle  vor  der  bürg  erscheint,  seine  schöne  freundin 
I  Ibelin  auf  516,  1:  Juncvrouwe  ir  sulnt  xe  hove  gärt  und  läxent  mich 
\  dl  eine  stän  und  reichent  mir  der  steine  ein  sehse  raste  nähe  bi. 
jj  Dazu  bemerkt  Zupitza:  ein  sehse  ,etwa  sechs'?  Oder  ist  etsliche  zu 
,    sehreiben?"     Vielleicht    ist    die    richtige    lesart    vielmehr    ein    stächt u. 

vgl.  517,  1  diu  maget  Mre  niht  enlix  si  tele  dax  si  der  vürste  hie: 
1  und  langte  im  vil  der  steine.     Auch  an  das  bild,  das  die  Manessische 

hs.  (F.  X.  Kraus  s.  75)  dem  Düring  gibt,  mag  man  sich  erinnern.  Es 
|  stellt  eine  belagerte  bürg  dar;  auf  der  zinne  steht  eine  frau,  im  be- 
[  grille  einen  stein  auf  die  belagerer  hinabzuschleudern. 

1412,  1  ist  Herwiges  doch  wohl  fehler  der  Überlieferung  (nach 
D  1413, 1)  für  Hartmuotes.  Sichere  fälle  derartiger  namensvertausehungen 
I  durch  den  Schreiber  unserer  hs.  sind  oben  s.  33  angemerkt. 

Zu  1428,  1  man  künde  iu  von  in  allen  geliche  niht  gesogen  be- 
I  merkt  Martin,  der  vers  werde  durch  z.  4  erklärt:  „die  kämpfer  waren 
|  nicht  alle  gleich  tapfer;  aber  in  dem  getümmel  konnte  man  sie  nieht 
unterscheiden";  Piper  schliesst  sich  dem  an.  Das  ist  aber  sicher  un- 
richtig. Der  dichter  will  vielmehr  sagen:  „es  ist  nieht  möglich  euch 
von  taten  und  leiden  jedes  einzelnen  der  vielen  tausend  Streiter 
in  gleicher  ausführlichkeit  zu  erzählen",  ganz  wie  Heinrich  von  Veldeke 
En.  11965:  et  war  te  seggeu  al  te  laue  w$  da  genas  end  we  d<i  starf, 


4P)  PANZER,    BKITRÄOK    ZUR    KRITTK    CRP    KRKLÄRUKG    DKH    81  : 

dt  man  al  gencemen  niet  endarf  noph  al  gencemen  nietenmach,  wan 
dat  her  vele  da  döt  lach. 

Martin  hat  zu  1463  eine  reihe  von  beispielen  gesammelt  iiii  die 
„altepische"  art,  in  der  hier  die  höchste  unentrinnbare  not  formuliert 
wird;  ich  habe  mir  noch  notiert:  Ortnit  486,  3  dö  sprach  der  jeger  wtse: 
ich  muo%  in  vware  hüben,  hiet  er  sieh  under  erde  vor  diu  Muten 
vergraben,  Strickers  Karl  6930  ich.  bringes  noch  in  gröxer  ndt,  si 
entrinnen  mir  under  di  erden,  Nicl.  Manuel,  Ablasskrämer  v.  93  ich 
ivil  dir  sunst  die  term  von  rippen  roufen  oder  du  musst  mir  unders 
erhielt  enthufen,  Jourd.  3732  la  cite  ont  si  dose  et  enserree  n'en  puet 
issir  uns,  qui  soit  a  emblee,  se  par  am  ont  n'en  ist  a  la  roter.  Vgl. 
auch  Erec  6655  mit  Bechs  anmerkung. 

Zu  1523,3  er  vienc  si  bi  dem  hure:  wer  het  im  dax  erhübet? 
vgl.  Xeidh.  81,  2  Lanxe  der  besivärte  ein  vil  stolxex  magedin:  eine 
kleine  risen  guot  Karte  er  ab  ir  houbet,  dar  %ao  einen  bluomenhuot: 
xoer  het  im  dax  erhübet? 

1576,  2  iver  möhte  in  widenvegen  mit  guoie  dise  vröude,  die  si 
dö  gewunnen  schilt  Martin  einen  trivialen  gedanken.  Möglich,  dass 
er  uns  so  erscheint;  in  der  alten  dichtung  aber  begegnet  diese  art 
der  abschätzung  sehr  oft  und  zwar  gerade  wie  an  unserer  stelle,  um 
das  erwünschte  des  anblicks  oder  widersehens  geliebter  personen  recht 
drastisch  zu  bezeichnen.  In  Strickers  Karl  5396  sagt  Kursables  zu 
Turgin:  du  solt  des  vil  gewis  sin,  dax  ich  niht  goldes  dtie  list  so  grox 
nceme  so  du  bist,  für  dax  ich  dich  gesehen  hdn;  im  Goldemar  6.  9 
sagt  Dietrich  zu  den  zwergeu,  die  ihn  die  frau  nicht  sehen  lassen: 
mbht  ex  mit  iuwer  hulde  sin,  dax  ich  si  sehen  solde,  da  für  na>.m 
ich  niht  tüsent  marc;  von  Karl,  der  die  Galie  begrüssen  darf,  heisst 
es  im  Karlmeinet  102,  35  wer  eme  gelouet  an  der  sinnt,  hundert  off 
dnset  punt  van  seiner  offte  van  golde,  ich  wene  heg  it  neu  en  sonlde 
vur  dt  groesse  hauen  genomen;  als  Biterolf  und  Dietleib  sich  durch 
Rüedegers  Vermittlung  gefunden  haben,  heisst  es  Bit.  4302  Büedeger  der 
ivigant  hete  niht  tüsent  marc  genomen,  si  enweeren  bede  dar  bekomen; 
Yirg.  431,  1  der  äventiur  diu  magt  verjach:  so  liebex  ich  nie  nie 
gesach  von  kleinäte  noch  von  mägen,  da  vür  sceh  ich  hern  Hilte- 
brant;  als  Jourdain  seine  gattin  endlich  widergefunden  hat,  sagt  der 
dichter  2477:  ne  fust  si  Hex  por  Vor  d'une  contree;  Herr  Konrad  von 
Altsteten  meint  von  seiner  geliebten  ir  kus  der  weere  ein  phant,  den 
ich  für  tüsent  marke  ncenie  sä  xe  hont  MSH  2,  65  usw. 

FREIBURG    I.  B.  FRIEDRICH    PANZER. 


THR     A.   MAYK.R.    HDRKEN    RBYFRTD  47 

ÜBER  DAS  LIED  VOM  HÜRNEN  SEYERID. 

Seit  v.  d.  Hagen  (Grdr.  1812,  48  —  53)  ,das  Seyfridslied'  oder 
.das  Lied  vom  hürnen  Seyfrid'  in  die  deutsche  litteraturgeschichte  ein- 
geführt hat,  ist  in  der  sagengeschichtlichen  forschung  viel  von  ihm  die 
rede  gewesen.  Über  dem  sagengeschichtlich  bedeutsamen  inhalt  hat 
man  aber  das  äussere  gewand,  die  sprachliche  form,  vernachlässigt; 
noch  der  letzte  herausgeber,  W.  Golther,  hat  diesen  teil  seiner  auf- 
gäbe mit  ein  paar  bemerkungen  für  abgetan  erachtet.  Eine  Unter- 
suchung dieser  fragen  wird  um  so  notwendiger,  als  die  von  Golther 
über  den  h.  S.  vorgetragenen  ansichten  ebensosehr  kanonische  geltung  zu 
gewinnen  scheinen  (vgl.  Mogk,  N.  Jb. f. phil.gesch. paed.  1  (1898)  72fgg.: 
Sijrnons,  Grundr.  III-,  639;  Vogt,  Grundr.  II2,  300),  wie  sie  in  Wirk- 
lichkeit wegen  der  ungenügenden  berücksichtigung  grammatisch -metri- 
scher fragen  fast  auf  schritt  und  tritt  zum  Widerspruch  herausfordern 
oder  der  ergänzung  bedürfen1. 

I.   Lied  oder  lieder? 

Es  wird  zunächst  zu  untersuchen  sein,  ob  Golthers  ansieht  über  die 
äussere  geschichte  des  h.  S.  richtig  ist. 

Nach  Golther  ist  der  h  S.  in  der  uns  vorliegenden  gestalt  keine 
Originaldichtung,  sondern  die  überarbeitete  zusammenfügung  zweier 
älterer  lieder  (I  und  II),  von  denen  I  in  1  — 15  des  h.  S.,  II  in  16  — 176 
wiederzuerkennen  ist.  Ausserdem  sind  eine  reihe  Strophen  interpoliert: 
38.  134—144.  154—157.  164  —  167.  170.  177  —  179  (Ji).  I  ist  am 
stärksten  überarbeitet,  wahrscheinlich  von  demselben  manne,  der  Ji 
in  II  einfügte. 

Golthers  kriterien  für  diese  Scheidung  älterer  und  jüngerer  be- 
standteile  des  h.  S.  sind  sachliche  Widersprüche  und  formelle  Ver- 
schiedenheiten innerhalb  des  gedichtes.  Ich  wende  mich  zunächst  einer 
betrachtung  dieser  zu. 

Drei  punkte  führt  Golther  an: 

1)  Golthers  arbeiten  über  den  h.  S. :  Das  lied  vom  hürnen  Seyfrid.  bg.  v.  Wolf- 
gang Golther.  Halle  1889  =  Braunes  Neudrucke  81  —  82.  Geschichte  d.  d.  litt. 
Kürschner  D.N.L.  163,1.  319-20.  Germ.  3-1  (1889)  265  —  97  pass.  Littbl.  IS'.»",. 
148.  Z.  f.  vgl.  litg.  n.  f.  12  (1898h  186  —  200.  2«9  —  31»;  pass.  Die  folgenden  aus- 
führungen  waren  niedergeschrieben,  als  der  aufsatz  von  M.  Herrmann,  Z.f.d.A. 
46  (1903),  ölfgg.  erschien.  Ich  hoffe  an  anderer  stellt!  auf  Hermanns  ausführnngen 
über  das  verwandtschaftsverhältnis  der  drucke  des  Seyfridliedea  einzugehen,  möchte 
aber  hier  schon  bemerken,  dass  ioh  seine  aufstellungen  für  ebenso  anriohti)  wie  die 
Golthers  halte. 


48  OHR.    A.    MAYKR 

1.  die  nhd.  reime  sollen  in  I  und  Ji  vorwiegend  herr- 
schen.   (XX.) 

Zum  beweise  werden  5  reime  angeführt,  in  denen  die  3.  sg.  ind. 
praet.  der  verba  der  ersten  ablautsreihe  die  jüngere  form  mit  l  zeigt. 
Allerdings  zeigt  II  nur  die  form  mit  ei  (rayss : hayss  131,6.  reytj 
gemeyt  159,0).  Aber  I  u.  Ji  haben  die  ei-  und  /'-form  [steyg:feyg 
1  13,  2;  treyb :  iveyb  160,  6 ;  lidl :  rät  11, 2;  vertrieb-:  lieb  14.2:  lid :  Sey- 
frid  139,2;  ritt :  nit  17 0 ,  2).  Golther  irrt,  wenn  er  dem  dichter  106,  0 
einen  reim  wie:  trib :  ulp  zutraut.  Die  nhd.  diphthongierung  ist  dem 
h.  s.  durchaus  geläufig:  vgl.  iveyt  :  yemayt  32,0;  seyn  :  stayn  14,6; 
seyn  :  rayn  103, 2;  vertraw :  fraw  30,  0. 

Für  mhd.  in  fehlen  —  zufällig  —  belege.  166,6  ist  also  nur  der 
reim  ireyb :  iveyb  möglich.  Damit  verliert  unser  kriterium  die  ihm 
von  G.  zugeteilte  beweiskraft.  Der  „jüngere  teil"  zeigt  beide  formen. 
Ihre  anwendung  richtete  sich  offenbar  nach  dem  reimbedürfnis,  d.  h. 
der  gebrauch  beider  formen  ist  eine  eigentümlichkeit  der  reim- 
technik  des  dichte  rs,  wie  sie  aus  der  früh -nhd.  zeit  sich  durch 
zahlreiche  analoga  erweisen  lässt.  Wenn  II  nur  die  alte  form  kennt, 
reicht  auch  hier  der  gleiche  grund  aus,  abgesehen  davon,  dass  das 
material  zu  knapp  ist,  um  ex  silentio  so  weitreichende  Schlüsse  ziehen 
zu  dürfen. 

2.  Stark  apokopierte  formen  und  rohe  reime  sollen  sich 
besonders  in  I  u.  Ji  zeigen.    (XX.) 

G.  begnügt  sich  mit  den  belegen  aus  I  u.  Ji  und  gibt  nicht  an, 
was  II  bietet.  Es  müssen  aber,  wenn  G.  von  „rohen"  reimen  spricht, 
alle  von  der  mhd.  technik  abweichenden  bindungen  angeführt  werden. 
Diese  verteilen  sich  gleichmässig  über  das  ganze  gedieht.  Endlich 
fragt  es  sich  noch,  wie  diese  „rohen"  reime  zu  beurteilen  sind,  ob 
sie  sich  mit  den  „reinen"  nicht  zu  einem  bilde  vereinigen  lassen,  das 
der  ausdruck  der  technik  eines  dichters  ist. 

3.  Die  überlaufenden  konstruktionen  sollen  in  I  u.  Ji 
häufiger  und  schwerer  sein  als  in  II    (XXI.) 

Über  den  wert  dieses  kriteriums  vgl.  Jiriczek,  Beiträge  XVI 
(1892),  116fgg.,  Schönbach,  D.  Christentum  i.  d.  ad.  heldd.  236.  Zudem 
sind  G.s  aufstellungen  anfechtbar.  Die  häufigkeit  (6  :  5)  beweist  bei 
so  geringem  material  nichts.  Und  die  schwere  ist  doch  nicht  gefühls- 
sache,  sondern  sie  richtet  sich  nach  dem  syntaktischen  Ver- 
hältnisse, in  dem  die  glieder  des  auf  zwei  Strophen  verteilten  Satz- 
gefüges zueinander  stehen.     Ich  gehe  die  belege  durch. 


HÜRST.N    SF.VFRID  49 

10/1 1 :  wol  mit  demselben  bache 

10,  8  schnürt  er  den  leybe  seyn, 
11,1  das  er  ward  aller  hürnen. 

Vgl.  136/137:  er  würde  Seyfrid  nötten. 

so  würd  der  wurm  die  zwerge 
136,  8  darnach  alsampt  ertödten, 
137, 1  so  er  das  magtlich  bilde 

durch  die  zwerg  so  verlür. 
In  II:  128/129:  ..  .  holen,  die  da  was 

under  dem  trachenstayne 
128,8  inn  berg  gieng,  glaubet  das, 
129,  1  biss  das  der  trach  gefriste. 

14/15:  darumb  sich  von  den  hewnen 

14,  8  hüb  jamerlicher  mordt 

15,  1  an  manchem  held  vil  küne. 
Vgl.  135/136:      135,8  das  leer  da  was  der  berg 

136, 1  darinn  auch  von  dem  schätze. 
Ferner  177/178:  ob  eynem  prunnen  kalt 

erstach  jn  der  grymmig  Hagen 

177,8  dort  auf  dem  Ottenwaldt 

178,  1  zwischen  den  seynen  schultern. 
In  II:  173/174:  das  wöll  der  teuffei,  sprach  Gynther. 

173, 8  das  man  so  werdt  hie  held 

174,  1  für  ander  held  so  küne. 

134/135:  da  Hessen  die  zwen  künge 

134,  8  den  schätze  ausher  tragen 

135,  1  unnd  stiessen  jn  in  ein  h5len. 
Vgl.  II:  66/67:  Seyfrid  sprang  als  ein  helde 

66,  8  fünff  klaffter  hinder  sich 

67,  1  und  fünff  klafftet-  herwider 

sprang  zu  jm  der  vil  werd. 
Desgl.  159/160:  nun  sag  mir,  helt  genieyt, 

160,  1  lass  mich  deyner  kunst  geniessen. 
Nur  II  hat  eine  form  für  sich,  und  die  ist  gerade  die  „schwerste": 

146,  7  yedoch  so  müst  er  leyden 

vom  wurme  vngemach 

147,  1  (er  schlug  so  weych  das  boren 

mit  seynem  schwort  so  gut) 
und  auch  die  liitz  vom  tracheu. 
Also  zwischen  die   zusammengehörigen  glieder  (146,  7/8   und  147,  3)   ist   eine 
parenthese  (147,1.2)  eingeschoben. 

Ich  vermag  mich  allem  G.s  gründen  für  eine  formelle  Verschie- 
denheit gewisser  teile  des  h.  S.  keine  berechtigung  zuzumessen.  Form  e  1 1 
ist,  der  h.  S.  aus  einem  guss.  Den  beweis  gibt  die  metrische  Unter- 
suchung des  liedes. 

ZEITSCHRIFT   F.    DEUTSCHE    PHILOLOGIE.       Uli.   \\xv.  i 


50  <;MR.    \.   MAYBR 

II.   Die  metrische  form. 

An  erster  stelle  ist  zu  prüfen,  ob  und  in  wieweit  reste 
älterer  verstechnik  im  h.  S.  widerzufinden  sind1. 

a)  Das  versende. 
1.  V  o  c  a  1  d  e  h  n  u  n  g. 
a)  Nach  der  strophenform  des  Hildebrandtones:  3x,  3;  3x,  3; 
3x,  3;  3x,  3  mit  reim  auf  den  geraden  verszeilen,  reimlosigkeit  der 
ungeraden  wird  für  diese  klingender  ausgang  verlangt.  Dem  fügt  sich 
die  mehrzahl  der  verse;  aber  zahlreiche  belege  weisen  nach  mhd.  technik 
vix  auf. 

Vor  1 :  -  er :  koler  7,  7.  .9,  5. 

-en:  holen  131,1.  135,1;  kolen  147,5. 
vor  r :  -  e  :  gespore  35,  5. 

-en:gefaren   129,5;    erweren   111,7;    verloren   G8,  5.   105,3.    121,3; 
-horen(!)  147,1;  zoren(!)  58,1;  kuperan(!)  66,1.  157,1. 
vor  m:  -e:neme  142,7. 
vor  n:  -e:süne  134,1.  168,  5(!). 

-ig  :  kunig  156,  5. 
vor  f:  -e:hofe(!)  11,  7. 
vor  s:  -e:wase(!)  79,5;  rise  75,1.  85,1.  108,5.  153,3. 

-en:  genesen  115,7.  117,5;  wesen  133,3;  risen  109,1. 
vor  h:  -en:  besehen  86,5.  114,3. 

vor  b:  -en:  haben  126,5.  155,5;  geben  63,7;  leben  26,3.  31,3.  56,1.  82,5; 
triben  139,  5. 

-ich:Gybich  12,  3.  51,1.  169,1.  176,5. 
vor  d:  -e:schmide  4,5.  7,1;  Seyfride  34,1.   39,1.   41,1.   47,1.   51,5.  57,1. 
60,7.   61,1.  63,3.  68,7.    69,5.   74,7.   87,5.   88,1.  89,1.   92,1.   94,1.   97,1.   98,7. 
100,3.   101,3.   103,1.   104,1.   105,1.   106,1.   111,1.5.   114,1.    115,1.  116,5.  117,1. 
118,5.  121,5.  127,1.  132,7.  140,1.  141,3.  143,1.  153,1.  159,1.7.  176,7. 
-el:adel  174,3;  edel  88,3.  107,5. 
-er:  wider  67,1.  78,3. 
-  en  :  Seyfriden  91,3.  145,3;  vermiden  75,3. 
vor  g:  -e:gelage(!)  150,1.  177,5;  sage  28,1;  tage  22,1.  174,5. 
-el:nagel  172,7. 

-en:  Hagen  175,1.  177,  7;  jagen  34,3.  42,3;  sagen  29,1;   erschlagen 
7,5.  38,  7.  67,7.  163,5;  getragen  62,5.  173,3;  degen  170,1.  176,1;  schlegen  78,7. 
131,3;  ligen  8,5.  150,5;  geschwigen  177,3;  betrogen  40,7;  geflogen  141,5. 
-et:maget  151,  7. 
-est :  mugest  104,  3. 
vor  t:  -er:vater  31,5. 

In  diesen  125  beispielen  muss,  damit  klingender  ausgang  vor- 
handen ist,  die  nhd.  vocaldehnung  als  geltend  angenommen  werden. 
Ebenso  in  folgender  gruppe  von  cäsuren: 

1)  Die  belegstellen  für  I  und  Ji  sind  cursiv  gedruckt. 


HÜROT.N    SKYFRTD  51 

himel  40,5.  41,5.  109,7.  150,7;  zusamen  78,5.  84,1;  gekonieu  93.3.  158,1; 
genomen  130,  1;  darvone  (!)  15,5;  state  11,  3;  gote  (!)  56,  5;  erliten  106,3;  ge- 
striten  105,  5. 

Das  sind  im  ganzen  125  +  14=139  von  716  im  gedieht  vor- 
kommenden cäsaren,  in  denen  mhd.  vocalqaantität  für  mhd.  versschluss 
nicht  ausreicht,  sondern  nhd.  dehnung  anzunehmen  ist,  also  fast  20  °/o- 
Das  kann  kein  zufall  oder  sonst  eine  nachlässigkeit  des  dichters  sein, 
sondern  muss  in  der  spräche  des  dichters  seinen  grund  haben. 
Zugleich  zeigt  das  auftreten  der  erscheinung  in  I,  Ji  und  II  20  +  2  :  105 
+  12,  dass  beide  stücke  nahezu  gleichmässig  teilnehmen. 

ß)  Zu  dieser  annähme  der  dehnung  ursprünglich  kurzer  stamm- 
silbenvocale  fügt  sich  eine  erscheinung,  auf  deren  wert  Wilmanns 
aufmerksam  gemacht  hat  (Untersuchungen  zur  mhd.  metrik,  Bonn  1888 
=  Beiträge  4,  93  —  94),  die  Verwendung  von  ^x  als  vollständiger  fuss 
im  versinnern. 

vor  w:  -en:das  er  die  löwen  fing  33,6. 
vor  1 :  -  er :  ein  koler  sass  im  walde  6,  5. 

-enrauf  disem  holen  stayn  31,2.  64,5.  110,7.  118,7.  119,3.  133,2. 
155,  2;  der  solt  jm  kolen  geben  6,  8. 

vor  r:  -e:die  vor  jm  here  triben  139,5;  wo  mag  die  thüre  seyu  86,5. 

-en:sie  waynt  aus  jren  äugen  31,7;  noch  must  er  jn  verloren  han 
89,8.  90,8.  110,2.  167,6. 

-es:  auf  nie  res  flute  fert  72,4;  in  jres  vatters  lande  52,8. 
-et:  nun  weret  die  hochzeyte  172,  1. 
vor  m:  -enrvmb  siinst  liie  nemen  an  53,4.  126,4.  127,2. 
vor  n:  -ig:vnd  dass  der  künig  Gybich  12,3.   16,4.  48,7.  159.5.  164,5;    die 
edel  künigein  22,8. 

vor  s:  - e :  hilff  gewinnen  dise  maydt  77,4;  vnd  den  der  ryse  trflg  79,  6. 
80,6.   81,2. 

-er:  das  nie  auff  diser  erden  44,3.  103,6.  110,6.  116,2. 
-em:alhie  jn   disem    lied   1,8.   31,2.   37,2.   41,7.   50.  1.    53,8.    02.7. 
64,5.  131,2.  174,8. 

-eil :  aus  nasen  vnd  aus  munde  88,  7;  er  must  jn  genesen  lassen  97,5; 
des  wesen  werdt  jr  hören  1,  7;  gewesen  seyn  jar  47.  2:  vher  disen  holen  stayn*'  1 10,  7: 
tausent  rysen  vnderthan  59,4.  61,6.8.  80,1. 

-  es  :  wem  solt  dann  dises  gute  16  7.  7. 
vor  li :  -el:von  stahel  ein  heim  hört  72.2. 

-en:jm  schlahen  auf  das  eysen  4,  7.  146,4;  het  ye  gesehen  ligen    v  ~> 
39,4.  44,4;  viertzehen  tag  genfig  119,2.  172,2;  zfl  tisch,  die  iluhen  hin  122,8. 
vor  b:  -e:die  drey  künig  lobesam    102.0. 

-el:es  nam  ein  nebel  kappen  89,5;  wie  vbel  haut  jr  than  22,  1. 
-er:ryss  die  aus  vberall  9,8.  29,6.   75,8.    141,8.    L75,6;   den  obern 
stayn  gewan   1 1 5,  2. 

-en  :  das  er  solt  haben  frag  6,4.  141,  6 \  bo  lolereben  Bohawen   I 
so  wil  ich  geben  dir  82.  0;  deyn  leben  must  du   lau   10.4.   70,  S.    113,3.    133,8     161,8. 
-ich:  mit  babioh  vnd  mit  hunden  34,  i 

l- 


52  CHR.  A.  MAYER 

Tor  d:  -eltdie  edel  künigein  22,8. 

-er:  es  sass  im  Niderlande  1,1:  vnd  (Aren  wider  Laym  24.2.4.  31,4. 
78,  2.  104,  4.  138,  7.  150.  2.  3. 

-en:vnd  lieff  Seyfriden  au  08,  2.  144,  2.  6.  177,  2;  hernideu  au  den 
Keyn  175,4. 

-es:  der  les  Seyfrides  hochzeyt  179,5. 
-ig:da8.s  er  seyn  ledig  wür  5,8. 
vor  g:  -e:dass  ich  gelige  tot  110,8;  an  Seyfrid  sigelos  84,6. 

-en:mit  gold  beschlagen  wol  42,7;  erlöst  ein  degen  gmeyt  32,8. 
34,6.7.  40,  4.  41,  6.  57,  4.  81,  3.  8.  84,  3.  91,  7.  95,  1.  156,  6;  hie  gegen  mir  zu 
schätzen  82,3.  170,2;  für  dir  hie  ligen  tot  116,4.  164,8;  geflogen  in  den  rafften 
17,  7;  verzogen  da  den  wald  34,8;  er  ging  gezogenliehe  115,3;  vnd  flugen  wider  ir 
Strassen  143,  7. 

-et :  die  maget  von  dem  stayn  76,  6.  83,  4.  98.  2.  101,  4.  114,  4.  115,  4.  8. 
154,  6;  du  schönes  mägetleyne  26, 1.  30,  4.  55,  6.  83,  8.  120,  6.  141,  2\  er  sprach:  nun 
saget,  herre  45,  7 ;  dem  trachen  siget  an  107,  6. 

-ent:du  tugentreyne  fraw  30,6.  45,5.  58,2.  76,2.  86,6.  113,4. 
Mit  dehnung  der  stammschliessenden   consonanz: 
vor  t:  -er:  an  meynem  vatter  here  22,5.  25,3.  46,6.  48,7.  51,1.  176,5;  in 
jres  vatters  land  51,  8.  134,  5. 

-en:das  werde  boten  brot  169,2. 
vor  m :  -  el :  im  hymel  vnd  auf  erden  29,  5.  30,  2. 

-en  :  warlich  nit  kumen  her  76,4.  143,8;  on  ausgenuinen  gotte  56.5.  60.8. 
vor  n:  -e:  den  trachen  ane  sach  40,2. 

-igrvil  manig  schleg  on  zal  66,2. 
vor  t:  -  en  :  funff  tzehen  fürsten  riten  ein  171,4. 
-es:on  gotes  erbarmunge  50,7. 
Mit  enthetischem  -e:erst  ward  das  hören  weychen  147,  7.     Auf  I,  Ji  fallen 
31  belege,  auf  II:  136. 

y)  Endlich  weist  das  gedieht  eine  reihe  von  reimbindungen  kurzer 
und  langer  vocale  auf,  bes.  mhd.  ^  (x) :  j.  (x)  =  nhd.  j.  (x) :  j.  (x). 

faren  :  waren  9,  2.  35,  6.  123,  2.  127,  6.  143,  6;  -er  :  herr  156,  2;  erdt :  leer  5,  2; 
her:  leer  76,2;  tor  :  fürwar  72,6;  -nam  :  kuperan  80,6;  lobesam  :  lan  102,6;  wunne- 
sam  :  plan  91,2;  -trib  :  lieb  14,2;  -  Seyfrid  :  lied  1,6;  -  erschlagen  :  fragen  163,2; 
tagen  :  lagen  8,2;  tag:  frag  6,2;  magt :  gewagt  37,6  (7:11). 

Nach  allem  dem  kann  kein  zweifei  sein,  dass  der  spräche  des 
dichters  die  nhd.  dehnung  geläufig  war. 

2.   Epithese  und  enthese. 

Ein  zweites  mittel,  das  erforderliche  mass  der  verse  vor  der  cäsur 
zu  erreichen,  ist  die  anwendung  der  nhd.  epithese  und  enthese  von  -e. 

mute  (nom.  sg.)  2,  7;  wille  (3.  sg.)  3,3;  schmide  (nom.  sg.  m.)  7,1;  hofe  (acc. 
sg.)  11,  7;  jare  (acc.  pl.)  12,5.  26,5.  64,7.  125,3.  161,3;  Nyblinge  (acc.  sg.)  14,1. 
156,  7;  warde  (3.  sg.)  16,  7;  stane  (inf.)  17,  5;  haupte  (acc.  sg.)  21,  1.  55,  7.  72,  1. 
98,3;  mägetleyne  (nom.  sg.)  26,1;  seine  (inf.)  28,5;  Seyfride  (nom.  sg.)  34,  1.  39,  1. 
47, 1.  51,  5.  57, 1.  59,  7.  60.  7.  63,  3.  68,  7.  69,  5.  74,  7.  87,  5.  89. 1.  92, 1.  94, 1.  97, 1. 


HÜKNEN    SKYFR11)  53 

98,7.  100,3.  101,3.  103,1.  104,1.  105,1.  106,1.  111,1.5.  114,1.  115,1.  116,5. 
117,1.  121,5.  127,1.  140,1.  141,3.  143,1.  159,1.7.  176,7;  hinache  35,3;  gespore 
(acc.  sg.)  35,5;  helde  (nom.  sg.)  40,1.  66,7.  162,5;  Eugleyne  (nom.  sg.)  42,5.  45,1; 
gotte  (acc.  sg.)  56.5;  hineine  61,5;  maide  (acc.  sg.)  69,7;  zöge  (3.  sg.)  71,7;  fürware 
76,7;  fewre  (acc.  sg.)  79,3;  wase  (3.  sg.)  79,5;  wende  (nom.  sg.)  86,  3;  leibe  (acc.  pl.) 
94,3;  kuperane  (nom.  sg.)  95,7;  staine  (acc.  sg.)  107, 1 .  110,7.  118,7.  135,3;  arbeite 
(nom.  sg.)  111,3;  weibe  (acc.pl.)  115,5;  weite  (nom.  sg.)  121,  1;  vernunfte  (acc.  sg.) 
125,1;  jüngelinge  (nom.  sg.)  125,5;  schätze  (acc.  sg.)  134,5.  166,5;  steyge  (acc.  sg.) 
137,3;  gelage  (3.  sg.)  150,1.  177,5;  Urlaube  (acc.  sg.)  156,1;  leibe  (nom.  sg.)  161,5; 
weibe  (nom.  sg.)  163,7;  wurme  (acc.  sg.)  165,3;  rosse  (acc.  sg.)  166,  7;  Heyn©  (acc. 
sg.)  167, 1;  zeyte  (acc.  sg.)  167,  3.  172, 1;  gute  (nom.  sg.)  167,  7;  sune  (nom.  sg.)  168,  5; 
gienge  (3.  sg.)  179,7;  (22:76). 

Mit  enthese :  zoren  58, 1 ;  hören  147, 1 ;  (0  :  2> 

Die  schon  unter  a)  1  angeführten  fälle  abgerechnet,  bleiben  54 
belege  =  7,54  °/0 ,  in  denen  durch  anfügung  des  unorganischen  e  das 
wort  auf  das  erforderliche  mass  gebracht  wird.  Von  den  716  eäsuren 
des  ganzen  gedichtes  sind  demnach  rund  27  °/0,  d.  h.  mehr  als  ein 
viertel  nach  mhd.  technik  unrichtig.  Zum  gleichen  ergebnis  führt  eine 
betrachtung  von  apokope  und  synkope  am  versschluss. 

3.   Apokope  und  synkope. 

Beide  werden  in  weitgehendem  masse  angewandt,  um  im  reime 
stumpfen  ausgang  zu  erreichen. 

«)  Apokope. 

«)  nach  kurzer  silbe;    ß)  nach  langer  silbe1. 

nom./acc.  sg.  st.  n.:  ß)  gezwerg  153,2;  gespräch  178,6;  gericht  173,2. 

nom.  sg.  sw.  m. :  ß)  werd  67,2;  trach  17,6;  feyg  143,2. 

nom./acc.  sg.  st.  f. :  a)  zal  66,2;  tür  137,4;  klag  144,  8;  ß)  fraw  30,6;  leer 
o,  ■/;  frag  6,4;  hüt  38,8  (N.!  a.  La.:  rüw:)  speis  118,6;  erd  5,2;  wund  108,6. 

dat.  sg.  st.  m./n.:  a)  tal  8,6;  zil  68,6;  tan  34,4.  37,2.  53,8.  78,8;  ß)  lied 
1,8;  Wut  70,6;  mut  167.2;  stain  31,2.  76,6;  Reyn  51,  2.  102,4.  175,4;  leyb  56.  4; 
laid  64,8.  156,8;  wald  177,8;  schwerd  131,2;  berg  133,2.  164,4.  168,2;  gezweig 
135,6.  164,2;   land  51,8;  grund  27,6;   gang  137,6;  witz  165,6;  geschlecht  171.4. 

dat.  sg.  st.  f.:  ß)  natur  125,  2;  gemeyn  169,  8;  nas  178,  4;  wag  28.  8;  hrit  119,  8; 
erdt  67,4;  stund  151,6;  hitz  129,2. 

nom./acc.  pl.  st.  m./n.:  «)  tag  172,2;   ß)  zweig  133,4;  ring  174,6;  gest  84,2 

pron.  pers.  3.  dat.  sg. :  «)  im  9,  6. 

1.  sg.  ind.  praes.  v:  «)  sag  17,2.  56,8;   ß)  vertraw  30,8. 

3.  sg.  conj.  praes.:  a)  seh  175,6;    ß)  räch  175,8. 

3.  sg.  ind.  praet.  sw.  v:  ß)  wolt  127,2.  130,8;  solt  130.  ü:  gert  130,  l. 
131,4;  het  126,2;  rant80,2.  147,8;  kunt  149,6;  verflucht  125,8;  gerächt  150,2; 
sucht  150,4. 

3.  sg.  conj.  praet.  st.  v:  u)  verlür  133,8.  137,2;    ß)  war  126,6;    würd 
125,4;  erstach  178,8;  tat  126.4.     (21  :  GH. 

1)  Ich  ordne  die  belege  noch  nach  grammatischen  gruppeu. 


54 


OHU.  A.  MA^EH 


p)  Synkope  (mit  ■■f>''>  <tclili<-h  einsilbigen  Wörtern I) 
Nach  "kurzer  silbe;  faren  9,  2;  gefaron  35,  6.  123,  4.  127,6.  143,  %\  geboren 
16,6.  48,6.  63,4.  114,4.  1-12,  2;  verloren  16,8.  49,8,  63,2.  114,2.  142,  l\  nemen 
26,4;  Schemen  26,2;  kumen  161,8;  genuinen  161,6;  verjehen  93,2.  101,6.  104,8. 
161,2;  gesehen  101,8.  104,6.  161,4;  geschehen  ^  4;  eben  6,6;  geben  6,8.  71,6; 
gegeben  121,8;  leben  71,  8.  121,6;  behagen  43,  6;  sagen  15,  i.  40,8.  43,4;  erschlagen 
15,2.  43,2.  95,8.  163,2;  tagen  8,4;  tragen  134,8;  getragen  40, 6.  43,8;  v, 
134,  6;  geholet  127,4;  maget  17,8.  37,8.  95,6;  verjaget  96,4. 

Nach  langer  silbe:  waren  9,4.  35,8.  123,2.  127,8.  143,8;  kainen  39.4; 
fliessen  10,2;  beleiben  159,  2;  treibeu  159,4;  fragen  163,4;  lagen  8,2;  noten  136,  ff; 
ertöten  136,8;  erbarmen  151,2;  erden  54,  2;  worden  48,8;  verborgen  136,2;  sorgen 
136,4;  dannen  172,6;  verbrinnen  9,8;  besitzen  165,8;  verzoret  140,4;  geschmähet 
174,2;  verfluchet  75,2;  gesüchet  75, 4.  125,6;  bleibet  162,0;  beweibet  162,8;  ge- 
waget 37,6;  gezeyget  157,6;  bestellet  173,6;  heltet  173,8;  gespeiret  100,2;  triftet 
141,8;  berichtet  179,6;  zerrüttet  129,8;  erschüttet  129,6;  zwergen  168,4.   (25:64). 

b)  Der  verseingang. 
Ich  gehe  im  folgenden  von  der  Voraussetzung  aus,  dass  der  deutsche 
reinivers  des  16.  jhs.  silbenzählend  mit  nichtbeachtung  des  natürlichen 
accentes  gebaut  ist.  Den  beweis  dafür  bringt  meine  ,  Metrik  des 
Hans  Sachs',  die  in  kürze  erscheinen  soll;  vgl.  vorläufig  Minor:  Nhd. 
Metr.2  333  fgg.  und  528;  537. 

Auftact. 

1)  ein  einsilbiges,  logisch  tonloses  wort  steht  vor  einem  logisch 
betonten:  i.  gz.  989x.  (209:780.)  z.  b.:  1,  1:  es  säss  im  Niderlände;  1,2:  ein 
kunig  so  wöl  bekändt;  1,3:  mit  grosser  mächt  vnd  gewälte. 

2)  eine  unbetonte  vorsilbe  steht  am  anfang  des  verses:  i.  gz. 
63x  (15:48)  z.  b.:  1,8.:  alhie  in  disem  lied;  2,2:  darzü  stark  vnd  auch  gross;  13,3: 
gefunden  wärdt  so  reyche. 

3)  ein  einsilbiges  wort  steht  am  anfang  des  verses:  i.  gz.  298x 
(65:233.)  z.  b. :  2,8:  dass  er  nur  züg  darvön;  3,3:  so  er  nicht  bleyben  wille;  4,8: 
als  ein  ander  schmidtknecht. 

4)  ein  zweisilbiges  auf  der  ersten  silbe  betontes  wort  steht  am 
anfang  des  verses:  i.  gz.  82 x  (23:59.). 

«)  Namen:  28x.  z.  b.:  1,4:  Sigmund  was  er  genant;  36,  1:  Seyf rid  eylt  nach 
jn  bälde;  36,7:  Seyfrid  des  nicht  verdrösse. 

ß)  Nominalkompositum:  6x.  z.  b.  8,  3:  lindtwürm,  krötten  vnd  ättern; 
26,8:  junkfräw  vil  wöl  gethän;  119,2:  viertzehen  tag  genüg. 

y)  Verbalkompositum:  lx.  131,8:  abrän  das  wässer  hayss. 

5)  Komponierte  partikeln:  9x.  z.  b.:  4,  1:  also  schied  er  von  dannen; 
21,3:  dennöcht  so  was  seyn  steYcke;  27,  1:  also  müst  du  mir  beyten. 

()  Ableitungen:  2x.  76,4:  warlich  mit  kümen  her;  170,7:  künig,  fürsten 
vnd  herren. 

C)  un  -  unbetont:  lx  :  117,7:  vngessen  vnd  vntrüncken. 

>])  Stammsilbe  -J- flexionssilbe:  35  x  :  z.  b. ;  14,6:.  hütten  Nyblinges  hört; 
41,  2:  finstern  alda  begän ;  46,  3 :  deyner  tugent  vnd  trewe.. 


HÜKNEK    SEYFK1D  55 

Die  mehrzahl  aller  verse  hat  demnach  jambischen  ein- 
gang:  989  +  63  =  1052  =  73,5  %. 

c)  Das  versinnere. 
1)  Apokope. 
Ich  gebe  zunächst  eine  Zusammenstellung  der  belege  für  str.  1  —  60. 

«)  Nach   kurzer  silbe: 
im  auftact:  (ich)  kum  wider  24,4; 
in  der  Senkung:  (er)  thet  fliessen  10,2] 

in  der  hebung:  (die)  sün  vil  14,  3;  (die)  sün  so  16,6;  (der)  knäb  was  2,1; 
(er)  züg  därvon  2,8;  (er)  het  mit  1,5.  16,5;  (er)  het  sie  20,1;  (er)  het  den  34,7; 
(er)  het  Seyfrid  38,1;  (er)  het  bey  39,3;  —  (ich)  höret  sägen  43,4;  (den)  künig 
seyn  12,  2. 

ß)  nach  langer  silbe: 

im  auftact:  als  vil  9,4;  (die)  leng  hat  28,4; 

in  der  Senkung:  all  müsten  9,  3;  kein  creature  25,  5;  (der)  träch  was  35,  6; 
(er)  sölt  haben  6,4;  (er)  eylt  nach  36,  1;  (er)  möcht  fären  9,2;  —  (er)  dienet  willigk- 
licheu  12,1;  (es)  wundert  Seyfrid  10,3;  etlich  jär  (acc.pl.)  3,8; 

in  der  hebung:  (ich)  frew  mich  60,7;  (er)  wöll  dann  41,  5;  (er)  kern  von 
52,7;  ündtwürm  krotten  8,3;  (der)  träch  legt  21,2;  (der)  träch  zv  22,2;  (ich)  sech 
sie  23.  7 ;  (ein)  träch  wönt  49,  6 ;  (ich)  empfilch  mich  30,  3 ;  (du)  zeyg  mir  59,  7 ;  (der) 
ding  gär  2,4;  (er)  dänck  dir  46,1;  (ich)  bitt  däss  46,7;  (er)  wölt  nie  2,5;  (er)  wölt 
reyten  42,2;  (er)  wält  sein  58,7;  (er)  fürt  sie  19,1;  (er)  rneynt  der  7,1;  (er)  west 
noch  37,  7;  (er)  beyst  der  39,7;  (er)  dächt  der  5,1. 

vor  einer  vorsilbe:  (die)  wurm  verbrinn  .9,8;  (er)  würd  bekänt  32,4;  ferr 
versendet  47,5;  (das)  weyt  gefilde  59,3;  (er)  möcht  geleychet  44,8;  —  (der)  wurm 
begünt  weychen  10, 1. 

Diese  belege  dürften  genügen,  um  zu  erweisen,  dass  die  apokope 
willkürlich  nach  dem  versbedürfnis  stattfindet. 

2.  Wörter  vom  typus  v^x. 
Sie  werden  im  innern  des  verses  teils  als  hebung  +  Senkung 
gebraucht,  teils  als  hebung  oder  als  Senkung  (oder  als  auftact).  An 
sich  kann  das  ein  rest  älterer  technik  sein.  Es  ist  aber  schon 
oben  u.  IL  a.  3.  ß.  darauf  hingewiesen,  dass  von  den  89  zweisilbigen 
reimen,  57  auf  grund  der  allgemeinen  Sprachentwicklung  als  einsilbig 
anzunehmen  sind.  Die  anderen  32  sind  mundartlich  einsilbig.  In 
fällen  wie  leben,  stadel,  sagen  (19 x)  ist  für  die  mundartliche  aus- 
spräche einsilbigkeit  anzunehmen  als:  lö'm,  stä'l,  säi^.  Auch  beleihen. 
treiben,  fragen,  lagen  (4x)  haben  als  einsilbig  zu  gelten:  bleim.  trenn. 
fräii^,  lärn  Auch  erden,  worden  (2x)  sind  bei  H.  Sachs  einsilbig 
(>  em,  worn).  Es  bleiben  als  schwere  synkopon  verborgen,  sorgen, 
xwergen,   fliessen,   besitxcn,   töten,    //ofen    (7x).     Es   darf  hier  auf  die 


56  OHR.    a.    M,\i  Kl: 

Orthographie  des  H.  Sachs  verwiesen  werden,  dessen  starke  wortver- 
k  Urningen  sich  aus  dem  bestreben  erklären,  die  eigene  ausspräche  und 
das  übliche  Schriftbild  eines  Wortes  in  einklang  zu  bringen.  Daher 
heisst  es  vber,  wenn  der  vers  zwei  silben  fordert,  vor,  wenn  nur  eine 
stehn  soll;  entsprechend  verborgen  und  verporgn,  Leiptzig  und  Leiptzg, 
und  dergl.  mehr. 

«)  Kurze  silbe  in  clor  hebung: 
nemen  das  121,(3;  kunig  so  1,  2;  künig  Gybichs  11,  7;  künig  seyn  12,2;  künig 
böten  32,  1 ;  kunig  so  43,  5;  künig  als  156,  4;  kunig  im  168,  2;  vberälle  115,5  lebendig 
162,6;  neben  im  92,3;  sibentzig  54,3;  döben  verzert  140.  4 ;  edel  ein  108,6;  —  wider 
vnd  5,  6;  wider  ir  143,  7;  Hagen  befolchen  178,  7;  sägen  die  30.  5;  gelegen  in  64,  8. 
väter  vnd  18,  7;  23,  3;  47,  3;  102,  3  (8  :  15). 

ß)  Kurze  silbe  in  der  Senkung: 
kunig  Jobesam  102,  6;  künig  hoch  158,  4;  künig  Gybich  169.  1 ;  künigtochter  27,  7; 
Gybichs  hofe  11,  7;  städel  thor  72,6;  riten  ein  171,4  (1  :  6). 

y)  Kurze  silbe  im  auftact: 
oben  aller  132,2:  —  vber  aller  29,4;  vber  disen  110,7;  nider  in  66,4;  oder 
sich  103,4;  oder  ich  116,  3  (0:6). 

d1)  Lange  silbe  in  der  hebung: 

vor  vokal:  jämer  vnd  22,7;  finger  erkalte  10,  5;  —  essen  vnd  119,1;  linden 
all  6,2  (2:  2); 

vor  konsonant:  teuffei  hin  74,3;  90,3;  teuffei  sprach  173,7;  —  hinder  sich 
159,  3;  vnter  der  99,  7;  vnder  dem  138,  3;  —  wünders  niht  36,  7;  —  eisen  schlug  5, 1; 
zwischen  den  11,2;  —  sprächen  des  3,1;  trachten  nicht  104,4;  —  gäben  dem  38,5; 
fürsten  riten  171,4;  brächten  mich  31,4;  —  scheützlich  nicht  105,2  (5:10). 

*)  Lange  silbe  in  der  Senkung: 

vor  vokal:  bergen  in  8,  6; 

vor  vorsilbe:  trächen  gewinnen  107,8; 

vor  konsonant:  deyner  hilfe  152,6;  deyner  künst  160,  1;  meyner  grossen 
150,8;  seyner  bräcken  35, 1;  —  meyner  väter  23,3;  trächen  stain  109,3;  alten  zwerg 
168,  4;  verborgen  schon  99,8;  —  junges  bübeleyn  62,  6;  —  zweintzig  stercke  48,  1; 
grimmig  Hägen  177,  7  (2  :  11). 

O  Lange  silbe  im  auftact: 
vor  konsonant:   seyner  seel  124,  7;  vnser  taiisend  158,8;  yedermänn  170,  2 
(1  :  2). 

3.    Die  vorsilben. 

«)   bleiben    erhalten: 

im  auftact:  z.  B.:  bewär  111,  2;  beschleüsst  64,  4;  bezwungen  153,  4;  — 
gewesen  47,  2;  gewüchs  34,2;  gelegen  64,8;  —  erlost  32,8;  ersäch  101,4;  erstach 
177,  7;  —  vermag  93,6;  verlieren  112,  4;  verzogen  34,8  (5:  17); 


HÜBKEN    BEYFK1D  57 

in  der  Senkung:  z.  b.:  hie  beleyben  159,  2;  fru  bereyt  178,  4;  da  begiin 
41.2;  —  du  gewältig  29,  3,  hie  gewännen  5,5.  5 ;  hie  gemachet  154,  2;  —  do  empfand 
(59,  2;  wol  empfangen  171,  5;  —  jm  entwichen  149,  7;  war  entbrannt  18,  2;  ward  ent- 
schlössen 100,1;  —  zu  erneren  111,  7;  da  ergieng  12,  6;  wöll  ergan  94,8;  —  neu 
verirret  37,  1;  tür  verborgen  99,  8;  wol  vergelten  75,3;  —  was  zerrüttet  129,  8; 
weit  zergan  98,  4;  wort  zerbrach  29,  7;  (48  :  210); 

in  der  hebung:  dö  begund  101,5;  —  gottes  erbarmunge  50,  7 ;  wirds  erlöst 
50,  8  (—  :  3). 

ß)  werden  verkürzt: 

vor  der  hebung,  nach  der  Senkung:  nach  einer  apokope:  vnd  gewalte 
1,3;  werd  ge war  93,  8:  het  gelan  165,  4;   —   thur  verborgen  99,  8; 

nach  vollständigem  wort:  das  begündt  143,3;  mich  betrogen  40,7;  — 
seyden  gewänd  85,  6;  ein  gewilde  5',  1;  hilf  gewinnen  77,  4;  —  schlug  er  entzweye  5,  / ; 
—  stain  erzittert  109,3;  finger  erkalte  10,5;  —  jn  verloren  89,  8 ;  dich  verloren  90,8; 
doben  verzert  140,4;  —  dich  villeicht  75,  G;  —  jn  zemorden  130,  4  (13:29); 

vor  der  hebung,  hinter  dem  auftact:  so  behieltst  60,  2;  do  begündt  150,  3; 
do  begriffe  109,  1;  —  so  entgult  56,  3;  —  er  gewän  48,  1;  nun  gewan  169,  1;  des 
gewert  24,5;  —  ich  empfilch  30,3;  —  es  empfing  45,5  ( — :9); 

vor  dem  auftact:  gelust  keyner  77,8;  gewaltiger  29,2  (0  —  2); 

vor  der  Senkung,  nach  einer  apokope:  würm  begünd  10, 1; 

nach  vollständigem  wort:  sünst  geschech  126,8  (1:1). 

4.    Epithese. 

Seyfride  der  40, 1;  52, 1;  —  begriffe  er  109, 1:  den  schätze  aus  her  134,  8;  — 
den  leybe  seyn  10,  8;  den  tode  litt  11,  4;  hayme  lassen  24, 1;  (den)  rathe  gab  128,  2; 
das  fewre  schoss  132,8;  der  berge  vol  155,8  (3:7). 

5.  Accentverletzung. 
Verstösse  gegen  den  grammatischen  accent  sind  an  jeder  stelle  des 
verses  und  in  jeder  grammatischen  katogorie  zu  finden.  Im  ganzen 
zähle  ich  in  den  1432  versen  des  h.  S.  235  verse  mit  tonverletznng 
=  16,4%;  darunter  15  x  ton  Verletzung  innerhalb  eines  verses  an  zwei 
stellon,  lx  (156,7)  an  drei1. 

1.   das  zweite  glied  eines   nominalcompositums  ist  betont: 
(c)   Namen, 
an  erster  stolle:  Seyfrid  36,1.7;  49,2;   i.  gz.  24  x ;   Sigmund   /.  /;    Kriin- 
hild  51,3;  Gybich  1697.  (6:21); 

an   zweiter   sttelle:   Seyfrid   13,5;  33,3;  35,3;   i.  gz.    14  x;    Nyblin 
13,  2.  8;  14,  6;  Gyrnot  176,  1  (9  :  9); 

an  dritter  stelle:   Soyfrid(e)  1,6;    39,  1;   41.  1;   i.  gz.  46  >: ;   ffigli 
Nyblinge  156.  7;  Krimhilde  179,  1  (7  :  42). 

1)  Nur  eine  accentverletzung  und   zwar   vor  der  oäsui  oder  im   reim  i 

93  verso. 


58 

r'uu-  A.  MAYEH,    IIÜHNKN    titVlKfO 

/?)  substantiva  und  adjectiva  u.  a.. 
an  erster  stello:  lindtwiirm  <S,  3;  junckfraw  26,8;  viertzehen  1 10,  2;  fünfft-- 
zehen  171,4;  dennocht  21,3  (1:4). 

an  zweiter  stelle:  junckfraw  18,4;  viertzehen  172,2  ( — :2); 
an  dritter  stelle:  mutwillig  2,1;  schmidtknecht  4,6';  junckfraw  30,6;  u.  a. 
11  x.  (2:9). 

2.    Eine  ableitungssilbe  ist  betont: 

an  erster  stelle:  gwaltiger  29,2:  künig  170,  7;  warlich  76,4  (1:2); 

an  zweiter  stelle:  endtlichen  28,  2;  herlich  43,  4;  menschlichen  126,  2; 
seltzam  35,5;  stählein  80,4;  teufflische  124,2  (—  :  6). 

an  dritter  stelle:  taglichen  20,7;  freundlichen  61,7;  Eugleyne  42,5.  45,1; 
erbafmunge  50,7;  küuigin  51,3;  weygändt  121,4;  bulschaffte  125,7.  (—  :  8.) 

3.  Eine  flexionssilbe  ist  betont: 
-e:  au  erster  stelle:  beyde  39,6.  172,8;  brinne  82,  7;  stunde  121,3.  (—  :  4.) 
an  zweiter  stelle:  Seyfride  40,1.  52,1;  beyde  128,5.  (— :  3.) 
-el:  an  erster  stelle:  zobel  43,  2;  Eugel  118,  2.  153,2.  164,5.  168,5.  (1:4.) 
-er:  an  erster  stelle:   hinder   6,  7;  oder  21,6.   90,4.  155,6;  under  21,8. 

88,  4.  128,  7.  135,  3;  über  36,  6.  64,  2;  deyner  46,  3.  55,  3;  vnser  156,  7;  edler  158,  4; 

welcher  165,4;  kuperan  153,3.  (5:11.) 

an  zweiter  stelle:  vatter  2,3.  156,  7;  ander  4,8;  über  26,5.  89,5.  140,6. 

u.  a.  i.  gz.  13  X.  (4  :  9.) 

-ern:  an  erster  stelle:  finstern  41,2.  ( — :  1.) 

-en:  an  erster  stelle:  zwischen  8,  6;  Mitten  14,  6;  westen  31, 1.  i.  gz.  8x.  (4:4.) 

an  zweiter  stelle:  krötten  8,  3;  wurden  15,  2;  botten  32, 1.  i.  gz.  15x.  (4:11.) 

-ens:  an  zweiter  stelle:  essens  36,3;  hettens  38,8.  (1:1.) 

-ent:  an  zweiter  stelle:  tugent  55,3.  (— :  1.) 

4.  Präfix  un-,  ur-  u.a.  ist  unbetont: 

an  erster  stelle:  vngessen  117,7;  (— :  1.) 
an  zweiter  stelle:  vnmassen  21,4;  vntrewen  108,4.  (— :  2.) 
an  dritter  stelle:  vntruncken  117,7;  vnrnere  MZ,  2;  vrlaube  156,1;  — auf- 
sitzen 152,  3.  (2  :  2.) 

5)  Das  erste  glied  eines  verbalcomposituras  ist  betont: 

an  erster  stelle:  begund  101,5;  erlöst  50,8;  gestorben  156,  8.  (1:2.) 

an  zweiter  stelle:  erbarmünge  50,7.  ( — :  1.) 

Die  accentversetzungen  gehen  so  gleicbmässig  durch  das  ganze 
gedieht  hindurch,  dass  sie  die  möglichkeit  zweier  Verfasser  für  die  1432 
verse  des  h.  S.  ausschliessen  oder  wenigstens  zu  bemerken  gestatten, 
dass  Golthers  hypothese  in  der  metrischen  form  des  h.  S.  keine  stütze 
findet.  Die  erscheinungen  der  vocaldehnung,  epithese  und  enthese, 
apokope  und  synkope,  weisen  über  die  mhd.  zeit  als  entsteh ungs- 
zeit  des  h.  S.  hinaus;  die  rhythmische  technik  zeigt  volle 
Übereinstimmung  mit  der  des  Hans  Sachs. 

BRÜHL    BEI    KÖIJf.  CHR.  AUG.  MAYER. 


gOLTHER,    K.ONKAÜ   MAUKE«  5§ 


Conrad  m  aurer1. 

Konrad  Maurer  wurde  am  29.  april  1823  in  Frankenthal  in  der  Rheinpfalz  ge- 
boren als  einziger  söhn  Georg  Ludwigs  v.  Maurer,  der,  seit  1826  an  die  Münchner 
hochschule  berufen,  als  lehrer  der  deutschen  rechtsgeschichte  und  als  Staatsmann  zu 
hohem  ansehen  gelangte.  Alois  firinz  hat  in  der  „Allgemeinen  deutschen  biographie", 
band  20,  die  Wirksamkeit  L.  v.  Maurers  eingehend  gewürdigt.  Konrad  Maurer  genoss 
eine  sorgfältige  erziehung.  Er  begleitete  1832  seinen  vater  nach  Griechenland,  be- 
suchte nach  seiner  rückkehr  1834  ein  Münchner  gymnasium  und  bezog  1839  die 
Universität.  Das  Vorbild  seines  taters  führte  ihn  zu  geschichtlichen  und  rechts- 
geschichtlichen förschungen,  die  er  in  München  und  Leipzig  unter  Albrecht,  vornehm- 
lich aber  in  Berlin  unter  Homeyer,  Richthofen  und  Jacob  Grimm  eifrig  betrieb.  Äti- 
häehst  aber  wandte  er  sich  zum  praktischen  beruf  und  bestand  1844  die  Staatsprüfung. 
1846  promovierte  er  mit  der  abhandlung:  „Über  das  wesen  des  ältesten  adels  der 
deutschen  stamme".  Diese  arbeit,  die  noch  heute  wertvoll  ist,  ragt  weit  über  den 
durchschnitt  der  gewöhnlichen  doktorschriften  hervor  und  lässt  bereits  die  besonderen 
Vorzüge  des  scharfsinnigen,  kritisch  denkenden,  historisch  und  philologisch  gründlich 
geschulten  forschers  klar  erkennen. 

Dem  wünsche  seines  vaters  gemäss  betrat  Konrad  Maurer  jetzt  die  gelehrte 
lauf  bahn  und  wurde  1847  ausserordentlicher.  1855  ordentlicher  professor  des  deutschen 
rechts  an  der  Münchner  hochschule.  Seine  vortrage  behandelten  deutsches  privat- 
und  handelsrecht,  deutsche  rechtsgeschichte,  erstreckten  sich  aber  auch  auf  nord- 
germanisches recht,  religionsverfassung  im  germanischen  heidentum  und  die  Germania 
des  Tacitus.  Vom  sommer  1868  an  las  er  nur  noch  über  altnordisches  recht  (Staats-, 
privat-  und  kirchenrecht)  und  nahm  als  professor  der  nordischen  rechtsgeschichte 
eine  ausserordentliche,  nur  für  seine  person  geschaffene  Stellung  untor  den  deutschen 
rechtslehrern  ein.  Bis  1888  hielt  er  seine  Vorlesungen  vor  einem  kleinen,  aber  ge- 
wählten kreis  von  zuhörern,  die  fast  alle  unter  seiner  leitung  und  anregung  zur 
akademischen  lauf  bahn  als  Juristen,  historiker  oder  philologen  sich  ausbildeten.  Das 
gebiet,  auf  dem  Maurer  inzwischen  anerkannter,  unerreichter  und  unvergleichlicher 
meister  geworden  war,  lag  weitab  von  der  heerstrasse  der  gewöhnlichen  berufswissen- 
schaften.  Maurers  Vorlesungen  setzten  die  kenntuis  der  nordischen  spräche,  geschichto 
und  altertumswissenschaft  voraus  und  führten  unmittelbar  in  die  feinsten  und  schwie- 
rigsten wissenschaftlichen  Untersuchungen  hinein. 

1888  gab  Maurer  aus  gesundheitsrücksichten  seine  Vorlesungen  auf,  war  aber 
noch  längere  zeit  wissenschaftlich  tätig,  bis  die  zunehmenden  mühen  des  hohen  alters 
ihn  zur  ruhe  zwangen.  So  entschwand  der  verehrte  manu  langsam  unseren  blicken. 
Sein  am  16.  September  erfolgter  tod  bewegte  viele  herzen  in  Deutschland  und  im 
norden  und  wird  besonders  bei  den  Isländern,  bei  denen  Konrad  Maurer  geradezu 
volkstümlich  War,  tiof  schmerzlich  empfunden  werden.  Mit  Eonrad  Maurer  ist  einer 
der  letzten  dahingegangen ,  die  noch  Jacob  Grimms  persönliche  leine  und  Freund- 
schaft erfuhren,  oin  mann,  der  die  germanische  altertumswissenschaft,  wenn  auch 
nur  auf  einem  sondergebiet,  begründen  und  aufbauen  half. 

Konrad  Maurer  lebte  in  stiller  zuiüoktje/.ogenheit  mit  rastlosem  tl.-is.-e  nur 
seiner  Wissenschaft  und  trat  niemals  in  die  öffentlichkeit.  Das  von  ihm  vertretene 
lehrgebiet  der  nordischen  rechtsgeschichte  ist  in  Deutschland  nur  wenigen  faohmännern 

1)  Vgl.  auch  Philipp  Zorn  in  der  Allgemeinen  zeitung  L902,  bei  läge  ox.  249. 


60  ÜOLMU.K 

bekannt.  Darum  wusstc  man  in  weiteren  kreisen  nicht  viel  von  dem  ausgezeichneten, 
in  ganz  ungewöhnlichem  sinne  hervorragenden  manne.  Er  entzog  sich  so  viel  als 
möglich  äusseren  ohren  und  lehnte  darum  auch  die  rektorwürde  ab.  Wo  aber  die 
pflicht  rief,  stellte  er  sich  mit  rat  und  tat  freudig  zum  dienst.  Auszeichnungen, 
die  er  nie  suchte  und  von  denen  auch  seine  nächsten  freunde  kaum  etwas  hörten, 
wurden  ihm  reichlich  zu  teil.  Seit  1865  gehörte  er  der  bayerischen  akademie  der 
Wissenschaften  an,  wurde  im  laufe  der  jähre  mitglied  der  Wiener  und  Berliner 
akademie  und  aller  nordischen  gelehrten  gesellschaften,  er  war  ritter  hoher  bayerischer 
orden,  seit  1875  auch  des  Maximiliansordens,  und  besass  die  ersten  dänischen,  nor- 
wegischen und  schwedischen  orden.  1892  ward  er  zum  geheimrat  ernannt.  187G 
hielt  er  auf  ehrenvolle  berufung  der  norwegischen  regierung  in  Kristiania  Vorlesungen 
über  nordische  rechtsgeschichte.  Man  suchte  ihn  dauernd  im  norden  festzuhalten, 
aber  er  kehrte  nach  München  zurück. 

1858  vermählte  er  sich  mit  Valerie  v.  Faulhaber  und  gewann  in  ihr  die  treuestc 
genossin,  die  ihn  mit  ganzer  seele  verstand  und  verehrte.  Von  Maurers  einfach -vor- 
nehmer häuslichkeit  schreibt  ein  Norweger,  Ebbe  Hertzberg,  dass  man  da  mit  herz- 
licher und  wahrhaft  nordischer  gastfreiheit  aufgenommen  wurde,  und  dass  sie  zu  den 
liebsten  erinnerungen  zähle,  die  ein  skandinavischer  gelehrter  aus  München  mitnehme. 
Alois  Brinz  schreibt  auf  seine  treuherzige  art  in  der  Allgemeinen  deutschen  bio- 
graphie  20,  707  „in  Konrad  Maurer  hat  aber  jeweilen  einer,  der  keine  gleich  sichere 
Vorschule,  keine  gleich  bildsame  Umgebung,  keine  gleich  bewusste  festigkeit  des 
wesens  mit  sich  brachte  —  ohne  ansehen  von  geburt  und  stand  —  noch  in  jungen 
jahren  seinen  freund,  eine  stütze  im  leben,  und  sein  vorbild  im  denken  und  handeln 
gefunden  und  dankt  dem  geschicke,  das  dieses  geschlecht  in  die  Isarstadt  verpflanzt 
hat".  Zwischen  diesen  beiden  inännern  bestand  eine  besonders  innige  freundschaft, 
die  in  diesem  falle  ganz  und  gar  auf  persönlicher  neigung  und  achtung,  nicht  auf 
gemeinsamer  Wissenschaft  beruhte.  Maurers  schlichte,  edle  grosse  wirkte  schon  durch 
die  rein  menschlichen  Vorzüge  auf  jeden,  der  ihm  einmal  nahe  treten  durfte. 

Von  Jacob  Grimm  in  Berlin  war  Maurer  auf  germanistische  Studien  überhaupt 
und  rechtsgeschichtliche  im  besonderen  gewiesen  worden.  Er  begann  schon  als  student 
eine  Untersuchung  über  angelsächsische  rechtsquellen,  die  hernach  in  der  „Kritischen 
überschau  der  deutschen  gesetzgebung"  1853  erschien.  Ein  Norweger,  der  architekt 
Peter  Holtermann,  machte  ihn  zur  selben  zeit  zuerst  auf  die  nordischen  quellen  auf- 
merksam, und  Grimm  empfahl  dem  jungen  gelehrten  nachdrücklich  deren  Studium. 
Von  J.  Grimm  und  Wilda  waren  die  damals  noch  wenig  erforschten  nordischen  rechts- 
denkmäler  zum  erstenmal  für  die  deutsche  und  germanische  rechtsgeschichte  heran- 
gezogen worden.  Aber  erst  nach  Übernahme  seines  lehramts  in  München  beschäftigte 
sich  Maurer  mit  dem  gebiet,  auf  dem  er  seine  lebensaufgabe  finden  sollte.  1852  er- 
schien bei  Christian  Kaiser  in  München,  dessen  verlag  die  meisten  bücher  Maurers 
übernahm,  seine  erste  schrift:  „Die  entstehung  des  isländischen  Staates  und  seiner 
Verfassung",  worin  der  Verfasser  eine  schier  erschöpfende  kenntnis  des  altisländischen 
volkes,  seiner  spräche,  geschichte  und  rechtsverfassung  bewies,  die  allgemeine  be- 
wunderung  im  norden  und  in  Deutschland  hervorrief.  Es  war  damals  überhaupt  und 
namentlich  in  Deutschland  noch  sehr  schwierig,  mit  den  denkmälern  des  nordens 
bekannt  zu  werden.  Die  rechtsquellen  waren  nur  ganz  ungenügend  herausgegeben 
und  daher  lag  auch  ihre  geschichte  völlig  im  dunkel.  Maurer  erkannte  mit  scharfem 
blick,  dass  eine  behandlung  der  rechtsquellen  nur  auf  grund  einer  erschöpfenden 
kenntnis  der  geschichtsquellen    möglich  sei.     Dem    deutschen    forscher    stellten   sich 


KONRAD   MAURKR  61 

zahlreiche  Schwierigkeiten  entgegen,  die  masse  des  stoffs,  die  spräche  der  quellen, 
die  geringfügigkeit  der  hilfsmittel ,  der  mangel  an  Wörterbüchern ,  die  beschaffung  der 
meistens  im  norden  gedruckten  buche*-,  von  denen  auf  den  öffentlichen  bibliotheken 
Deutschlands  nur  wenige  vorbanden  waren.  Es  ist  ein  erstaunlicher  beweis  von  Maurers 
gewaltiger  arbeitstraft,  dass  er  alle  diese  hemmnisse  neben  den  anforderungen  seines 
lehramts  für  deutsche  rechtsgeschichte  in  kurzer  frist  überwand.  Dabei  wurde  er 
von  anfang  an  auf  unmittelbare  beschäftigung  mit  den  quellen  selbst  hingewiesen. 
Galt  es  doch  keineswegs,  eine  im  norden  bereits  ausgebildete  Wissenschaft  kennen  zu 
lernen  und  deren  ergebnisse  den  deutschen  gelehrten  zu  vermitteln;  vielmehr  war 
diese'wissenschaft  selbst  aus  den  quellen  erst  aufzubauen.  Maurer  gewann  aber  dadurch 
auch  eine  durchaus  selbständige  Stellung  zur  nordischen  Überlieferung,  die  er  bis  ins 
kleinste  beherrschte.  Damals  legte  er  auch  den  grund  zu  seiner  grossartigen  bücher- 
sammlung,  die  für  germanische  philologie  überhaupt  sehr  reich,  für  nordische  voll- 
ständig war,  deren  ausgiebige  benutzung  er  seinen  freunden  und  Schülern  gerne 
gestattete.  Schon  diese  erste  schrift  über  Island  ist  in  der  Verarbeitung  der  quellen 
und  in  der  darstellung  musterhaft.  Noch  1882  wurde  sie  von  Sigurd  Sigurdsson  ins 
Isländische  übersetzt  und  gilt  mithin  auf  Island  selbst  für  eine  klassische,  unüber- 
troffene Schilderung.  Maurer  beabsichtigte,  solche  „Beiträge  zur  rechtsgeschichte  des 
germanischen  nordens"  in  zwanglosen  heften  herauszugeben  und  zunächst  die  begrün- 
dung  der  christlichen  kirche  und  ihrer  Verfassung  auf  Island,  sodann  die  gemeind- 
lichen und  nachbarlichen  Verhältnisse  im  isländischen  freistaat  zu  schildern.  Diese 
plane  wurden  hernach  in  weit  grösserem  umfang  ausgeführt,  als  Maurer  zuerst  sich 
vorgestellt  hatte,  sie  erwuchsen  zu  grossen  werken,  die  an  gehalt  und  umfang  das 
erste  heft  der  „Beiträge"  weit  überragen. 

Das  kleine  buch  war  nur  ein  Vorläufer  zu  dem  zweibändigen  hauptwerke:  „Die 
bekehrung  des  norwegischen  stummes  zum  Christentum  in  ihrem  geschichtlichen  ver- 
laufe quellenmässig  geschildert"  1855/56.  Vom  isländischen  volke  wendet  sich  Maurer 
hier  zum  norwegischen  stammland,  ja  zum  gesammten  norden  und  erzählt  eines  der 
wichtigsten  ereiguisse  mit  wahrhaft  klassischer  Schönheit. 

Die  bekehrung  Islands,  die  Maurer  ursprünglich  allein  hatte  behandeln  wollen. 
war  nicht  „ohne  gleichzeitige  stete  berücksichtiguug  der  untrennbar  in  sie  verlloch- 
teneu  norwegischen  bekehrungsgeschichte  zu  bearbeiten  und  verständlich  darzustellen; 
andererseits  gewann  die  so  erweiterte  aufgäbe  ein  selbständiges  interesse,  indem  sich 
nicht  verkennen  Hess,  wie  die  kirchengeschichte  Norwegens  und  Islands  ganz  vor- 
zugsweise geeignet  sei,  die  ebenso  schwierige  als  wichtige  frage  nach  dem  inneren 
hergauge  bei  dem  übertritt  der  germanischen  stamme  vom  heideutume  zum  Christen- 
tum ihrer  lösung  näher  zu  bringen1".  Im  ersten  band  wird  die  äussere,  im  zweiten 
die  innere  geschichte  der  bekehrung  erzählt.  Den  norwegischen  historikeru  Manch 
uud  Keyser  gegenüber  steht  Maurer  ganz  selbständig  und  unabhängig.  Von  Munchs 
„Det  norske  folks  historie"  kamen  Maurer  die  zwei  ersten  bände  heftweise  zu.  nach- 
dem die  vorarbeiten  und  der  erste  entwurf  der  eigneu  schrift  bereits  beendigt  waren: 
Keysers  „Den  norske  kirkes  historie"  (1856/8)  erschien  erst  nach  der  Bekehrung 
viel  Maurer  dem  werke  Munchs,  das  er  überall  zu  rate  zieht,  für  den  ersten  teil 
auch  verdankt,  so  behauptet  er  doch  an  vielen  stellen  seine  eigene  abweichende 
meinung,  gestützt  auf  schwerwiegende  gründe.  Zu  den  glänzendsten  abschnitten  des 
ersten  teils  gehören  die  prächtigon,  wahrhaft  künstlerisch  gestalteten  Charakterschil- 
derungen der  norwegischen  könige,  HakonE  des  guten  und  der  beiden  Olafe.  Eine 
darstellung,  wie  sie  der  zweite  teil  gibt,  war  Doch   Die   versuch!  worden;   hier  steht 


62  nnistnr.it 

Maurer  ganz  allein.  Aus  zahllosen  in  den  SQgur  verstreuten  einzelzügen  gewann  er 
ein  lebendiges  und  wirkungsvolles  gesamtbild  vom  glaubenswechsel,  wie  er  in  der 
seele  einzelner  personen  und  des  ganzen  Volkes  sich  spiegelt.  Die  Sammlung  und 
Verarbeitung  der  einzelheiten  zur  abgerundeten  abgeklärten  Schilderung  ist  ein  meister- 
stück.  Dem  heidentum  sowol  als  der  mittelalterlichen  kirehe  geschieht  volle  ge- 
rochtigkeit. 

So  hatte  Maurer  bereits  für  seine  ersten  bücher  die  gesamte  überlieferunj 
Nordgermanen  sich  angeeignet,  rechts-  und  geschichtsquellen  und  gedichte.  — 
bereiste  er  mit  dem  geographen  Winkler,  der  die  reise  in  einem  hübschen  buche 
1861  beschrieb,  Island,  um  land  und  leute  persönlich  kennen  zu  lernen.  Das  ganze 
laud  wurde  durchritten;  Maurer  war  bei  den  isländischen  gelehrten,  pfarrera  und  bauern 
zu  gast.  Er  vermied  es,  mit  dänischen  empfehlungon  in  Island  zu  reisen  und  gewann 
gerade  dadurch  das  besondere  vertrauen  der  Isländer,  die  in  dem  deutschen  gelehrten 
bald  einen  warmen  und  verständnisvollen  freund  und  fürsprecher  ihrer  vaterländischen 
sacho  erkannten  und  daher  ihm  gegenüber  aus  ihrer  Zurückhaltung  heraustraten  und 
ungewöhnlich  mitteilsam  und  umgänglich  wurden.  Maurer  beherrschte  die  isländische 
spräche,  die  er  sich  nur  aus  büchern  angeeignet  hatte,  so  vollständig,  dass  er  mit 
den  Isländern  wie  ihr  Volksgenosse  verkehren  konnte. 

Nach  seiner  rückkehr  gab  Maurer  eine  isländische  saga,  die  geschichte  von 
Gullthorir,  heraus  und  bewies  in  der  behandlung  des  textes,  dem  eine  ausführliche 
einleitung  über  alter,  glaubwürdigkeit  und  wert  der  saga  vorausgeschickt  ist,  seine 
philologischen  kenntnisse.  1860  kamen  die  „Isländischen  volkssagen  der  gegenwartu 
heraus,  die  Maurer  auf  seiner  reise  grossenteils  unmittelbar  aus  mündlicher  Über- 
lieferung aufgezeichnet  hatte.  In  diesem  buche  bewährte  er  sein  tiefgründiges  Ver- 
ständnis für  die  Volkskunde,  die  er  stets  mit  besonderer  Vorliebe  pflegte.  Seinen 
bemühungen  ist  es  zu  danken,  dass  die  reiche  Sammlung  von  isländischen  volkssagen 
und  märchen,  die  Jon  Arnason  und  Magnus  Grimsson  veranstaltet  hatten,  zum  ab- 
schluss  kam  und  1862/64  in  zwei  grossen  bänden  bei  Hinrichs  zu  Leipzig  gedruckt 
wurde.  Und  aus  der  isländischen  Sammlung  ist  wiederum  nachträglich  zu  ersehen, 
wie  trefflich  und  übersichtlich  Maurer  selbst  gesammelt,  ausgewählt  und  verdeutscht 
hat.  Jacob  Grimm  sprach  in  einem  briefe  au  ihn  eine  wahrhaft  rührende  freude 
über  diesen  ebenso  reichen  wie  eigentümlichen  Zuwachs  zur  germanischen  sagenkunde 
aus.  Maurer  hat  die  Islenzkar  bjödsögur  og  aefintyri  im  7.  und  9.  band  der  Germania 
ausführlich  besprochen  und  ebenso  im  14.  band,  zu  Willatzens  Altisländischen  volks- 
balladen  und  heldenliedern  der  Fagringer,  land  und  leute  und  ihre  lieder  meisterhaft 
geschildert.  Der  schöno  aufsatz  Zur  Volkskunde  Islands  im  ersten  band  der  Zeit- 
schrift des  Vereins  für  Volkskunde  ergänzt  und  erweitert  Gudbrands  Vigfüssons  ein- 
leitung zum  ersten  band  von  Jon  Arnasons  Sammlung  (verdeutscht  in  den  isländischen 
volkssagen  von  M.  Lehmann  -  Fühes  II,  1891).  Man  gewinnt  daraus  einen  überblick 
über  die  wissenschaftlichen  bestrebuugen  der  isländischen  Volkskunde  in  alter  und 
neuer  zeit.  Einen  beitrag  zur  deutschen  Volkskunde  liefert  Maurers  abhandlung  über 
die  bayerischen  sagen  (Bavaria  I,  1). 

Nachdem  Maurer  so  auf  breitester  grundlage  das  norwegisch -isländische  Volks- 
tum und  seine  geschichte  quellenmässig  erforscht  hatte,  wandte  er  sich  nach  einigen 
kleineren  in  der  „Kritischen  überschau  der  deutschen  gesetzgebung"  und  der  „Kritischen 
vierteljahrsschrift"  erschienenen  aufsätzen,  die  sich  mit  den  ausgaben  der  isländischen 
gesetze  befasst  hatten,  zu  seinem  hauptgebiet,  zur  nordischen  rechtsgeschichte 
und  quellenkritik.     Neben  den  rechtsdenkmälern   selbst  wird   der  vielfach  rechts- 


KONRAD    MAURF.R  63 

geschichtliche  inhalt  der  sogur  herangezogen  und  somit  das  angewandte  recht  auf- 
gezeigt. Und  die  ergebnisreiche  quellenkritik  der  gesetze  führt  zu  einer  ebenso 
strengen  kritik  der  sogur  und  damit  zu  sehr  wertvollen  literargeschichtlichen  Unter- 
suchungen. 

In  diesen  Untersuchungen  treten  Maurers  kritische  begabung,  wissenschaftliche 
gründlichkeit  und  schöpferische  kombinationskraft  ins  hellste  licht.  Keine  überlieferte 
meinung  wird  ungeprüft  hingenommen,  meist  fällt  sie  vor  seiner  scharfsinnigen  und 
umsichtigen  beweisführung  gänzlich  dahin,  und  ein  neues,  mit  gründen  und  beweisen 
wol  gesichertes  ergebnis  tritt  an  ihre  stelle.  Maurer  beherrschte  alle  wissenschaftlichen 
hilfsmittel  philologisch -historischer  kritik,  er  besass  ein  feines  Sprachgefühl  für  die 
unterschiede  norwegischer  und  isländischer  rechtsausdrücke  und  vermochte  aus  eigenen 
Sammlungen  die  altnordischen  Wörterbücher,  die  er  in  gründlichen  anzeigen  im  An- 
zeiger für  künde  der  deutschen  vorzeit  1863,  in  der  Germania  12,  in  der  Allgemeinen 
zeitung  1870,  beilage  nr.  6/7  und  in  der  Kritischen  vierteljahrsschrift  1886  besprach, 
oft  zu  ergänzen  und  zu  berichtigen,  er  gieng  mit  grösster  gewissenhaftigkeit  und 
strengster  Sachlichkeit  zu  wege.  So  erfuhr  jede  frage,  die  er  behandelte,  stets  be- 
deutende förderung,  wenn  nicht  überhaupt  endgiltige  lösung. 

Nun  beginnt  die  lange  reihe  glänzender  einzeluntersuchungen,  an  deren  spitze 
1863  die  abhandlung  über  die  „Grägäs",  das  isländische  rechtsbuch ,  in  der  Hallischen 
encyklopädie,  band  77,  s.  1  — 136,  steht,  und  die  meist  in  den  denkschriften  und 
Sitzungsberichten  der  Münchner  akademie,  aber  auch  in  zahlreichen  juristischen, 
historischen  uud  philologischen  fachzeitschriften  veröffentlicht  wurden. 

Der  aufsatz  über  die  Grägäs  bespricht  zunächst  die  handschriften  und  ausgaben  und 
erörtert  dann  die  entstehung  der  rechtsaufzeichnung  auf  breitester  geschichtlicher  grund- 
lage,  aus  der  betrachtung  der  gesamten  isländischen  gesetzgebung  seit  den  ülfljotstyg. 
Dieser  letzte  teil  wird  1869  durch  die  akademieabhaudlung:  „Die  quellenzeugnisse  über 
das  erste  landrecht  und  über  die  Ordnung  der  bezirksverfassung  des  isländischen  frei- 
staates"  ergänzt.  Nun  folgt  der  beweis,  dass  die  handschriften  der  Grägäs  nicht  etwa  bloss 
verschiedene  recensionen  eines  und  desselben  amtlichen  rechtsbuches  sind,  vielmehr 
völlig  verschiedene  kompilationen ,  die  nur  grösstenteils  aus  denselben  quellen  geschöpft 
und  dadurch  eine  gewisse  gleichartigkeit  gewonnen  haben.  Diese  quellen  siud  aber 
teils  gesetze,  teils  rechtsvorträge  von  gesetzsprechern,  deren  mehrere  namentlich 
genannt  werden,  teils  privatarbeiten  und  formelsammlungen.  Die  texte  der  zwei 
haupthandschriften ,  codex  Regius  und  Arnamagn;ranus,  entstanden  in  den  jähren 
1258  —  62  und  1262  —  71.  Der  name  Grägäs  für  diese  niemals  unter  einem  gemein- 
samen namen  zusammengefassten  rechtsaufzeichnungeu  kam  erat  am  anfang  des 
17.  Jahrhunderts  und  nur  durch  einen  irrtum  auf.  Dabei  erörtert  Maurer  s.  98/9 
auch  zum  erstenmal  die  frage,  wie  die  liedersammlung  des  codex  Regius  zur  be- 
nennuDg  „Edda  Sa-munds"  kam.  Alle  meinungen,  die  jemals  von  den  älteren  in- 
ländischen gelehrten  über  die  Grägäs  geäussert  wurden,  unterwirft  Maurer  einer 
strengen  sachlichen  kritik.  Seine  besonders  auch  au  alten  ausgaben  und  abhandlungen 
reiche  büchersammlung  und  seine  aus  genauen  erbundigungen  geschöpfte  kenntnif 
nur  handschriftlich  vorhandenen  gelehrten  Schriften  der  Isläuder  ermöglicht  auch  in 
diesem  abschnitt  eine  sorgfältige  und  durchaus  zuverlässige  darstellung.  Die  Q] 
frage  ist  durch  Maurer  in  der  hauptsache  allseitig  beleuohtel  and  der  Lösung  nahe 
geführt  worden. 

Mit  derselben  beispiellosen  umsieht,  gründlichkeit  und  klarheit  sind  auoh  alle 
übrigen  Untersuchungen   Maurers  geführt,  so  z.  b.  die  über   die  entstehung  teil   der 


64  GOLTHKR 

iiltereu  Gula|)ings-  und  Frostaf>iii{,'s]og  in  den  Abhandlungen  der  Münchener  akademie 
1872  u.  1875  und  in  der  Hallischen  encyklopädie  97  (1878)  oder  die  über  das  an- 
gebliche Christenrecht  könig  Sverrirs  (1877).  Art  und  weise  der  betreffenden  r< 
auf  Zeichnungen,  Ursprung  und  alter,  quellen,  aus  denen  sie  sich  zusammensetzen, 
werden  gründlichst,  lichtvoll  und  überzeugend  geschildert.  In  der  hauptsache  ergibt 
sich,  dass  die  älteren  norwegischen  reehtsquelfen  bis  auf  Magnus  lagaboetir  keine 
gesetzbücher,  sondern  privataufzeichnungen  sind,  entstanden  in  anlehnung  an  den 
Vortrag  der  gesetzsprecher.  Keines  der  denkmäler  ist  älter  als  der  anfang  des 
12.  jhds.  Wenn  wir  den  nordischen  gelehrten  Keyser,  Munch,  G.  Storni,  Vilbjalmr 
Finsen,  Schlyter,  Kolderup- Rosen vinge,  die  ausgaben  der  nordischen  rechtsquelleu 
verdanken,  so  steht  Maurer  an  aller  erster  stelle  unter  denen,  die  uns  jene  denk- 
mähler  verstehen  gelehrt  haben.  Er  darf  mit  fug  als  der  schöpfer  der  nordische); 
rechtsgeschichte  gerühmt  werden. 

Neben  den  aufsätzen,  die  sich  mit  den  rechtsquellen  selbst  beschäftigen  und 
deren  Hauptergebnisse  der  „Überblick  über  die  geschichte  der  nordgermanischen 
rechtsquellen"  in  Holtzendorffs  Encyklopädie  der  rechtswissenschaft  (5.  aufl.  1889)  und 
die  erweiterte  norwegische  Übersetzung  „Udsigt  over  de  nordgermaniske  retskilders 
historie"  (Kristiania  1878)  zusammenfasst,  stehen  ebenso  glänzende  Schriften  über 
den  inhalt  der  rechtsbücher,  über  rechtsformen  und  verfahren  und  gerichtsleute. 
Dabei  wurden  die  geschichtsquellen  in  vollem  umfange  herangezogen.  Hierher  ge- 
hören u.  a.  „Zur  Urgeschichte  der  godenwürde"  im  4.  band  dieser  Zeitschrift,  „Das 
alter  des  gesetzsprecheramtes  in  Norwegen  "  1875,  „Über  die  einziehung  der  norwegi- 
schen odelsgüter  durch  Haraldr  härfagri"  in  der  Germania  14,  „Über  die  norwegischen 
höldar"  in  den  Müuchener  Sitzungsberichten  1889,  „Über  die  Schuldknechtschaft  nach 
altnordischem  recht"  in  den  Münchener  Sitzungsberichten  1874,  „Über  das  väpnatak 
der  norwegischen  rechte"  in  der  Germania  16,  „Über  die  eingangsformel  der  alt- 
nordischen rechts-  und  gesetzbücher"  in  den  Münchener  Sitzungsberichten  1886,  „Die 
rechtsrichtung  des  älteren  isländischen  rechts"  1887,  „Über  das  bekenntnis  des  christ- 
lichen glaubens  in  den  gesetzbüchern  aus  der  zeit  des  k.  Magnus  lagabeetir"  in 
den  Sitzungsberichten  1892,  „Über  zwei  rechtsfälle  in  der  Eigla  und  Eyrbyggja"  ebd. 
1895  und  1896.  Zur  kultur-  und  kirchengeschichte  gehören  die  beiden  akademie  - 
abhandlungen  „Über  den  hauptzehnt  einiger  nordgermanischer  rechte"  und  „Über  die 
wasserweihe  des  germanischen  heidentumes",  in  der  Maurer  eine  nachahmung  der  christ- 
lichen taufe  vermutete.  Die  „"Wasserweihe"  veranlasste  den  bedauerlichen  ausfall  Müllen- 
hoffs  im  Anzeiger  7,  404  fgg.,  dem  Konrad  Maurer  mit  recht  nur  mit  vornehmem 
schweigen  begegnete.  Alle  diese  in  anläge,  beweisführung  und  gedankenreichtum,  an- 
schaulicher darstellung  und  strenger  Sachlichkeit  unvergleichlichen  Schriften  waren 
eigentlich  nur  vorarbeiten  zu  einer  umfassenden  nordischen  rechtsgeschichte, 
die  leider  nicht  mehr  zur  ausführung  kam.  Maurer  verlor  sich  schliesslich  zu  sehr 
in  einzelfragen,  dass  es  ihm  nicht  mehr  gelang,  das  ganze  zusammenzufassen,  wie 
es  ihm  früher  z.  b.  in  der  „Bekehrung"  so  herrlich  geglückt  war.  Im  mittelpunkt 
der  Studien  Maurers  stand  dabei  das  norwegisch  -  isländische  recht  mit  seiner  auf  ge- 
meinsamer grundlage  ruhenden ,  aber  im  freistaat  und  unter  dem  königtum  doch  höchst 
eigenartigen  und  verschiedenen  entwicklung.  Aber  auch  die  dänischen  und  schwedi- 
schen rechte  durchforschte  er  aufs  gründlichste,  wovon  einzelne  abhandlungen  wie 
die  gesamtdarstellung  im  „Überblick"  zeugnis  ablegen. 

Maurers  befähigung  für  quellenmässige  geschichtschreibung  bewährt  siel 
wiederum  trefflich  in  der  geschichte  der  entdeckung  Ostgrönlauds  (Grönland  im  mittel- 


KONRAD    MAURER 

alter  und  Wiederentdeckung  Grönlands),  die  er  für  ..Die  zweite  deutsche  nordpolfahrt 

unter  führung  von  Koldewey"  1873  verfasste.  Als  einen  besonders  wertvollen  ge- 
schichtlichen beitrag  liehe  ich  noch  den  im  zweiten  band  dieser  Zeitschrift  veröffent- 
lichten aufsatz  „Islands  und  Norwegens  verkehr  mit  dem  Süden  vom  9.  bis  13.  Jahr- 
hundert" hervor. 

Maurer  hat  sich  endlich  um  die  altnordische  litteraturgesehichte  grosse 
Verdienste  erworben,  namentlich  um  die  geschichtlichen  sagas,  sowol  die  Islendinga- 
als  die  konungasogur,  während  er  die  mythischen  sagas  und  die  skaldenlieder  mehr 
bei  seite  lässt.  Die  beiden  arbeiten  „Über  die  ausdrücke  altnordische,  altnorwegische 
und  isländische  spräche"  in  den  Abhandlungen  der  akademie  1809  und  „  über  die 
norwegische  auffassung  der  nordischen  litteraturgesehichte"  im  ersten  band  dieser 
Zeitschrift  sind  hier  vor  allem  wichtig.  Maurer  weist  die  dänischen  und  schwedi- 
schen anspriiehe  auf  anteil  am  altnordischen  Schrifttum  als  völlig  unberechtigt  zu- 
rück, wendet  sich  aber  ebenso  entschieden  gegen  Keysers  meinung,  dass  die  so"ur 
in  der  mündlichen  Überlieferung  der  Norweger  schon  völlig  ausgebildet  gewesen  seien, 
so  dass  sie  von  den  Isländern  nur  niedergeschrieben  worden  wären.  Den  Isländern 
gebührt  der  rühm,  die  meisten  sogn.  altnordischen  werke  selbständig  und  kunstvoll 
geschaffen  zu  haben.  Die  Norweger  haben  verhältnismässig  nur  wenig  geschrieben 
und  viel  später  als  die  Isländer.  Mit  grosser  gclehrsamkeit  werden  alle  sogar  ein- 
zeln besprochen,  ihr  alter  und  Ursprungsland  bestimmt,  und  damit  wird  die  wis 
schaftliche  behandlung  der  altnordischen  litteraturgesehichte,  wonach  Isländern  und 
Norwegern  der  ihnen  gebührende  teil  sorgsam  und  gerecht  zugemessen  wird,  begründet. 
In  den  berühmten  72  anmerkungen  werden  beweise  und  belege  erschöpfend  ge^ 
Die  geschichte  der  altnordischen  prosa  ruht  fest  und  sicher  auf  dem  von  Mann 
legten  gründe.  Nur  wenige  punkte,  z.  b.  die  von  Maurer  geleugnete  Verfasserschaft 
Snorris  für  die  ganze  Heimskringla,  waren  später  zu  berichtigen.  Aus  der  akademie- 
abhändlung  zweigten  sich  mehrere  einzelne  aufsätze  ab.  So  die  ausgezeichict-n 
arbeiten  über  Ari  im  15.  u.  36.  band  der  Germania  und  die  akademieabhandlung  über 
die  Hcensa- Poris  saga  1871.  Ari  war  Maurers  besondrer  liebliug.  Mit  unermüdlichem 
eifer  kehrte  er  immer  wieder  zu  ihm  zurück  und  durch  forschte  die  sogar  nach  den 
spuren,  die  sein  verlorenes  Isländerbuch  darin  hinterliess.  Feinsinnig  wusste  er  Alis 
eigenart  und  schlichte  Zuverlässigkeit  gegen  die  glänzenden  leistongen  Snorris  her- 
vorzuheben. 

Auch    der  späteren   isländischen  dichtung    widmete  Maurer  gründliehe   anter- 
suchungen.    So  gab  er  überhaupt  zuerst  die  Skiöarima  1869  heraus  und  stellte  m 
haft  genau  die  vorlagen  fest,  aus  denen  der  dichter  dieser  prächtigen  humoristis 
reimerei  schöpfte.    Selbst  die  apokryphen  sogur  des  17.  18.  jhds.  behandelt  ein  au 
im  13.  baud  der  Germania  und  noch  die  Letzte  grosse  akademieabhandlung  von  1894 
beschäftigt  sich  mit  der  lluldar  saga.    Allen,  auch  den  minderwertigen  geisl 
nissen  der  Isländer  wandte  Maurer  liebevolle  und  eingehende  Aufmerksamkeit  zu.    Er 
strebte  nach  einer  lückenlosen,  umfassenden   kenntnis  der  gesohiohtfl  Islands  von  den 
/eilen  der  besiedelung  bis  zur  gegenwart  herunter,     und  es  ist  bewundernswert,  wie 
er  dieses  ziel  fern  von  Island  und  ohne  unmittelbaren  Zugang  zu  den  handschriftlichen 
schätzen  der  nordischen  bibliotheken  in  unübertrefflicher  weise  erreichte.     Bein  urteil 
über  einzolheiteu  der  isländisch -norwegischen  zustände  im  mittelalter  fallt  darum  so 
gewichtig  in  die  wagschale,  weil  er  wie  kaum  sonst  jemand  den  Zusammenhang 
ganzen  überschaute. 

ZKllscitini  1    I.    DKUTSCHB    PHILOLOÜIK.       IM ».   \\X\. 


66  G0T.THER 

Zum  Jubelfest,  das  die  insel  in  der  erinnerung  an  den  tausendjährigen  bestand 
ihrer  bevölkerung  feierte,  schrieb  Maurer  1871  ..Island  von  seiner  ersten  entdeckung 
bis  zum  untergange  des   freistaates".    Es  ist  vorwiegend  eine  verfassungs-,  rechts  - 

und  kulturgeschichte.  Was  Maurer  in  seinem  ersten  buch  über  Island  1852  ver- 
sprach, die  gemeindlichen  und  nachbarlichen  Verhältnisse  im  isländi  chen  freistaat  zu 
schildern,  wird  hier  erfüllt.  Die  ergebnisse  der  früheren  Bchriften  werden  hier  noch 
einmal  geprüft  und  kurz  zusammen^efasst.  Neu  tritt  hinzu  die  ge.sehicb.te  vom 
Untergänge  des  freistaats.  Das  hauptgewicht  fällt  auf  die  darstellung  der  inneren  zu- 
stände des  freistaats  auf  seinem  höhepunkt.  Es  werden  auf  grund  der  geschieht»- und 
rechtsquellen  der  staat,  die  kirclic,  die  gemeinde,  die  Verwandtschaft,  die  nachbar- 
schaft,  die  wirtschaftlichen  zustände,  die  geistige  kultur  und  insbesondere  die  litteratur 
geschildert.  Die  Verhältnisse,  aus  denen  die  rechtssätze  der  Grägäs  erwuchsen,  ti 
lebendig  vor  unsere  äugen.  Mit  der  ihm  eigenen  bescheidenheit  schreibt  Maurer  über 
sein  in  jeder  hinsieht  so  gründliches  werk:  „Man  wird  der  schritt  die  raschheit  ihrer  enf- 
stehung  in  mehr  als  einer  beziehung  ansehen  . . .  Aber  man  soll  dem  buche  hoffent- 
lich auch  ansehen,  dass  es  auf  mehr  als  dreissigjährigem  Studium  der  isländischen 
rechts-  und  geschichtsquellen ,  sowie  auf  eigener  bekanntschaft  mit  land  und  leuten 
ruht ..  ansehen  auch  die  innige  liebe  zudem  isländischen  volke,  welche  mir  nicht  am 
wenigsten  an  den  stellen  die  feder  geführt  hat,  an  welchen  ich  von  übelständen,  sei 
es  nun  der  vorzeit  oder  der  gegenwart,  zu  sprechen  hatte."  Aber  auch  die  Schick- 
sale der  heutigen  Isländer  lagen  Maurer  am  herzen.  Schon  1856  trat  er  in  aufsätzen 
zum  isländischen  Verfassungsstreit  in  der  Allgemeinen  zeitung  warm  für  die  politische 
und  wirtschaftliche  Selbständigkeit  der  Isländer  ein.  Nach  seiner  reise  1859  schrieb 
er  für  Sybels  Historische  Zeitschrift  I  u.  II  auf  grund  eigener  anschauung  und  ge- 
schichtlicher betrachtung  abermals  für  die  isländische  sache;  1870  wieder  in  der 
Allgemeinen  zeitung.  1874  durfte  er  ebenda  die  erfüllung  der  gerechten  isländischen 
forderungen  freudig  begrüssen.  Diese  aufsätze,  die  eine  staatsrechtliche  frage  der 
gegenwart  mit  reifstem  urteil  und  voller  geschichtlicher  kenntnis  aufklären,  erschienen 
1880  in  einer  buchausgabe  „Zur  politischen  geschichte  Islands." 

Maurer  verfasste  neben  seinen  schritten  noch  zahlreiche  anzeigen,  nachrufe 
und  dergl.,  die  fast  alle  besonderen  wert  behaupten.  "Was  von  nordischen  gelehrten 
auf  dem  gebiet  der  altertumskunde  veröffentlicht  wurde,  besprach  Maurer  in  deut- 
schen fachzeitschriften  und  hielt  so  den  Zusammenhang  zwischen  deutscher  und  nordi- 
scher Wissenschaft  aufrecht. 

Diese  anzeigen  betreffen  die  verschiedenartigsten  gebiete,  und  fast  überall 
weiss  Maurer  dem  gegenstände  neue  Seiten  abzugewinnen  und  wichtige  ergänzungen 
beizusteuern.  Manchmal  wachsen  die  besprechungen  zum  umfang  selbständiger  ab- 
handlungen  an  z.  b.  „Nogle  benuerkninger  til  Norges  kirkehistorieu  in  „Norsk  historisk 
tidskrift"  3,  III  (1893),  wo  Tarangers  arbeit  über  den  einfluss  der  angelsächsischen 
kirche  auf  die  norwegische  auf  113  Seiten  kritisiert  wird.  Maurer  trat  in  die  nordi- 
schen Studien  ein  in  einem  augenblick,  wo  alle  bereits  vorhandenen  gelehrten  Schriften 
noch  verhältnismässig  leicht  und  schnell  übersehen  und  gründlich  durchgearbeitet  wer- 
den konnten.  Den  aufschwuug  der  nordischen  altertumswissensebaft  von  1850  ab 
machte  er  in  ihrem  gesamten  umfange  in  selbständiger  arbeit  mit.  So  besass  er  für 
alle  nordischen  dinge  fast  erschöpfende  kenntnisse  und  klares  eigenes  urteil. 

In  allen  anzeigen  tritt  Maurers  streng  sachliches,  oft  auf  überlegener  kenntnis 
begründetes  urteil  zu  tage;  seine  einwände  und  sein  Widerspruch  sind  immer  förder- 
lich und  niemals  verletzend.     Maurer  war  viel   zu  vornehm  uud   milde,  als  dass  er 


KONftAÜ    MATJRKU  67 

im  wissenschaftlichen  streit  jemals  persönlich  geworden  wäre.  Er  wollte  immer  nur 
belehren,  nie  kränken.  Im  nachruf  auf  Vilhjalmr  Finsen  hebt  Maurer  hervor,  dass 
er  in  ?>0  jähren  mehr  als  irgend  ein  anderer  gelegenheit  gehabt  habe,  wissenschaft- 
liche Streitigkeiten  mit  Finsen  durchzufechten;  aber  kernen  augenblick  wurden  dadurch 
die  freundschaftlichen  heziehungen  gestört:  „In  unbefangenster  weise  wurden  viel- 
mehr alle  Streitpunkte  unter  uns  brieflich  verhandelt,  und  ermöglicht  wurde  dies  da- 
durch, dass  keiner  von  uns  beiden  sich  für  unfehlbar  hielt,  und  dass  jeder  dem 
andern  das  zutrauen  schenkte,  dass  auch  er  ohne  jede  rechthaberei  lediglich  um  die 
geschichtliche  Wahrheit  nach  bestem  wissen  und  gewissen  sich  bemühe".  Und  dieser 
eine  fall  gilt  für  alle  andern. 

In  den  zahlreichen  nachrufen,  an  deren  spitze  der  auf  Wilda  im  4.  band 
der  Kritischen  überschau  steht,  die  aber  meistens  nordischen  gelehrten  wie  Vilhjalmr 
Finsen,  dem  herausgeber  der  isländischen,  und  Schlytor,  dem  herausgeber  der 
schwedischen  gesetze,  Jon  Sigurösson,  dem  isländischen  forscher  und  politiker,  Guö- 
brandr  Vigfüsson,  Möbius  u.  a.  gewidmet  sind,  gibt  Maurer  anschauliche  treue 
Schilderungen  von  der  persönlichkeit  und  dem  schaffen  der  ausgezeichneten  männer, 
denen  er  die  letzte  ehre  erweist. 

Maurers  Vorlesungen  waren  wie  seine  Schriften  durch  den  zauber  seiner 
vornehmen  persönlichkeit  geadelt.  Er  sprach  stets,  auch  über  die  schwierigsten 
gegenstände,  frei,  ruhig  und  sachlich,  dabei  höchst  lebendig  und  anschaulich.  Seine 
vortrage  waren  selbständige  wissenschaftliche  Untersuchungen;  sie  forderten  scharfes 
mitdenken  und  mitarbeiten,  waren  aber  musterhaft  klar  und  fein  durchdacht  und 
darum  bis  ins  einzelne  verständlich.  Er  erschien  uns  wie  die  leibhaftige  Verkörperung 
eines  jener  weisen  nordischen  gesetzsprecher,  deren  amt  und  würde  er  so  trefflich  zu 
schildern  verstand.  Die  fülle  von  wissenschaftlicher  forschung  und  reichen  ergebnissen, 
die  hier  geboten  wurden,  lassen  bedauern,  dass  so  vieles  davon,  z.  b.  die  geschichte 
des  isländischen  und  norwegischen  gerichtswesens,  des  altnorwegischen  prozesses, 
des  isländischen  strafrechts,  nicht  allgemein  zugänglich  gemacht  wurde,  weil  Maurer 
in  übergrosser  gewissenhaftigkeit  den  für  die  Vorlesung  bereits  gründlich  durchdachten 
und  verarbeiteten  stoff  noch  nicht  für  reif  und  abgeschlossen  zum  druck  hielt. 

Trotz  allen  wissenschaftlichen  erfolgen,  trotz  der  auerkauuten  führenden  Stellung, 
die  er  einnahm,  wähnte  Maurer  seltsamer  weise,  in  dem  augenblick,   wo  er  aus  der 
praxis  zur  Wissenschaft  übertrat,  seinen   eigentlichen   beruf  verfehlt  zu  haben.     Er 
stellte  an  sich  selbst  zu  hohe  auforderuugeu  und  nahm  das  leben  recht  schwer.     Daran 
war  zum  teil  das  gefühl  der  Vereinsamung  schuld,  da  er  fern  vom  norden  seine 
nur  im  Studierzimmer,    nicht  im   lebendigen,   anregenden    verkehr   mit    fa< 
vollbrachte.     Mit  besonderer  freude  gedachte  er  seiner  Vorlesungen   in  Kristiania,    wo 
ihm  ein  grosser  kreis  von  hörern,  unter  ihnen  die  ersten  norwegischen  gelehrten,  be- 
schieden war.     Da  fühlte  er  sich   durch   den    regen   gedankenaustausoh    in    seinem 
berufe  einmal  wirklich  glücklich  und  zufrieden.     Vielleicht  wäre  es  ihm  unter  solchen 
Verhältnissen  auch  leichter  geworden,  seine  grossen   plane  zum  ahsohluss  ZQ  brii 
statt  in  der  Münchener  einsamkeil  sich  schliesslich  in  einzelfragen  zu  vergrübein. 

Der  grundzug  in  Maurers   wesen   war   hohe  gute,   die   sich   auch   durch  weit- 
reichende, in  aller  stille  geübte  wohltätigkeil    kundgab.     Welche  förderung  er  -einen 
Schülern  zuwandte,  wie  er  mit  rat  und  tat  an  allen  ihren    Schicksalen   teilnahm,   das 
wissen  alle,  dio  er  seiner  teilnähme  würdigte,  dankbar  zu  rühmen.     Neben  Bi 
rastlosen    tätickeil     il     foi  jeher    und    lehrer    untcrhiell    or   mit   seinen   in  dei    ferne 


08  QOWHRH 

weilenden  freunden  bis  in  die  letzten  jähre  seines  leben  einen  regen  und  umfang- 
reichen brief Wechsel,  in  döm  er  freigebig  aus  seinem  reichen  wissenshort  spendete. 
Maurers  prächtige  gestalt  erregte  aufsehen  und  be wunderung,  wenn  er  bei  universitäts- 
feiern  im  roten  talar  der  juristenfakultHt  erschien.  Bein  edel  geformtes,  ausdrucksvolles 
haupt  in  schneeweissem  hart  und  haar  mit  dem  klaren  äuge,  aus  dem  mitunter  die 
geistige  Überlegenheit  schalkhaft  wolwollend  hervorblitzte,  blieb  jedem  unvergesslich. 
Sommer  und  winter  ging  er  im  einfachen  Überrock  ohne  jeden  Schutz  gegen  wiud  und 
wetter.  So  schritt  er  durchs  leben  wie  ein  abbüd  Odins,  der  als  wanderet-  mit  weisem 
rat  und  kluger  rede  bei  den  menschen  zu  gast  kommt. 

Schriftenverzeichnis. 
Ich  verzeichne  sämtliche  mir  bekannte  Schriften,  die  selbständigen  werke  und 
abhandlungen  vollzählig,  von  den  kleineren  anzeigen  wenigstens  die  Zeitschriften,  in 
denen  sie  stehen.  Ilerrn  general  von  Belleville  in  München  habe  ich  für  freundlich« 
hilfe  zu  danken.  Ein  bis  1875  reichendes  Verzeichnis  fügte  Ebbe  Hertzberg  seinem 
aufsatz  über  Konrad  Maurer  in  (Norsk)  Historisk  tidskrift  3,  1875,  s.  381—4  bei.  Vgl. 
auch  den  Almauach  der  k.  b.  akademie  der  Wissenschaften  1884  s.  197 fgg;  1890  s.  95; 
1897  s.  125. 

Selbständige  Schriften. 
Über  das  wesen  des  ältesten  adels  der  deutschen  stamme  1840. 
Die  entstehung  des  isländischen  Staates  und  seiner  Verfassung  1852. 
Dasselbe  in  isländischer  Übersetzung:  Upphaf  allsherjarrikis  älslandi  og  stjörnarskipunar 

pess.  Islenzkatt  af  Sigurdi  Sigurdarsyni.     Reykjavik  1882. 
Die  bekebrung  des  norwegischen  Stammes  zum  Christentum  1855/6. 
Die  Gull-Poris  saga  1858. 
Isländische  volkssageu  der  gegenwart  1860. 

Island  von  seiner  ersten  entdeckung  bis  zum  Untergang  des  freistaates  1874. 
Das  älteste  hofrecht  des  nordens  1877.     (Festschrift    zur  Jubelfeier  der    Universität 

Upsala.) 
Zur  politischen  geschichte  Islands  1880. 

Beiträge  in  festschriften  usw. 
Das  alter  des  gesetzsprecheramtes  in  Norwegen  (festgabe  für  L.  Arndt)  1875. 
Studien  über  das  sog.  christenrecht  könig  Sverrirs  (festgabe  für  Spengel)  1877. 
Die  rechtsrichtung  des  älteren  isländischen  rechtes  (festgabe  für  Planck)  1887. 
Grönland  im   mittelalter  in  der   „Zweiten  deutschen  nordpolfahrt  unter  führung  von 
Koldewey".     Leipzig  1873. 

Abhandlungen  der  k.  b.  akademie  der  Wissenschaften  zu  München: 
Über  die  ausdrücke  altnordische,  altuorwegische  und  isländische  spräche  1869. 
Die  quellenzeugnisse  über  das  erste  landrecht  und  über  die  Ordnung  der  bezirksvor- 

fassung  des  isländischen  freistaates  1869. 
Die  Skidarima  1869. 
Über  die  Hcensa-Poris  saga  1871. 
Die  entstehungszeit  der  älteren  Gulabingslög  1872. 
Über  den  hauptzehnt  einiger  nordgermanischer  rechte  1874. 
Die  eutstehungszeit  der  älteren  Prostupingslög  1875. 
Norwegens  Schenkung  an  den  heiligen  Olaf  1877. 


KONRAD    MAURER  69 

Über  die  wasserweihe  des  germanischen  heidentums  1880. 
Die  Huldarsaga  1894. 

Sitzungsberichte  der  k.  b.  akademie  der  Wissenschaften 
zu  München: 
Über  ein  isländisches  lied  auf  kaiser  Friedrich  den  rotbart  1867. 
Die  Schuldknechtschaft  nach  altnordischem  recht  1874. 
Die  berechnung  der  Verwandtschaft  nach  altnorwegischem  rechte  1877. 
Die  freigelassenen  nach  altnorwegischem  rechte  1878. 
Die  ärmenn  des  altnorwegischen  rechtes  1879. 
Über  die  entstehung  der  altnord.  götter-  und  heldensage  1879. 
Über  die  norwegisch -isländischen  gagnföstur  1881. 

Der  Elisabeth  von  Schönau  Visionen  nach  einer  isländischen  quelle  1883. 
Die  unächte  geburt  nach  altnordischem  rechte  1883. 
Das  Verdachtzeugnis  des  altnorwegischen  rechtes  1883. 
Die  eingangsformel  der  altnord.  rechts-  und  gesetzbücher  1886. 
Das  angebliche  vorkommen  des  gesetzsprecher-amtes  in  Dänemark  1887. 
Die  norwegischen  höldar  1889. 
Das  bekenntnis  des  christlichen  glaubens  in  den  gesetzbüchern  aus  der  zeit  dos  königs 

Magnus  lagabujtir  1892. 
Ein  neues  bruchstück  von  Södermannalagen  1894. 
Zwei  rechtsfälle  in  der  Eigla  1895. 
Zwei  rechtsfälle  aus  der  Eyrbyggja  1890. 

Zeitschrift  für  deutsche  philologie. 

Bd.  1.  Über  die  norwegische  auffassung  der  nordischen   litteraturgesehiehte.     1869. 

IM.  2.  Islands  und  Norwegens  verkehr  mit  dem  südeu  vom  9.  — 13.  jhd.     1870. 

Bd.  4.  Die  älteste  cetologie.     Zur  Urgeschichte  der  godenwürde.     1S7:!. 

Bd.  21.  J6n  Arnason.     1889. 

Bd.  22.  Gudbrandr  Vigfüsson.     1890. 

Bd.  23.  Aug.  Theod.  Möbius.     1891. 

Bd.  24.  Arthur  Reeves.     1892. 

Bd.  25.  Zur  geschichtc  des  begräbnisses  morc  teutonico.     1893. 

Bd.  27.  Johan  Fritzner.     1S95. 

Bd.  31.  Kälund,  Gullporis  saga.     1899. 

Germania. 
IM.  2.      Schneewitchen.     1857. 
Bd.  7.       Dasent,  The  story  of  Burnt  Njäl.     1862. 
Bd.  7  und  9.     Jon  Arnason,  I'joösogur.     1862  und   1864 
Bd.  10.     Zur   geschichte    der   isländischen    litteratur.      (Bruchstücke    des    Bauksbök; 

Eyrbyggja  ed.  Vigfüsson).     1865. 
Bd.  12.     Ein   altes   kindergebet.     Altnordische  WÖrterbÜoher.     Fall  Sveinsson,    Kröka- 

refssaga  usw.     1867. 
Bd.  13.    Über  isländische  apokrypha.     1868. 
Bd.  1  1.     Über  die  einziehung  der  norwegischen  odelsgüter  durch  könig  Harald  hurfagri. 

Willatzen,  Altisl.  volksballaden  und  heldenlieder  der  Feeringer.  Jon  Porkolsson, 

/Efisaga  Gizurar  Porvaldsonar.     lsiü». 
IM.  I.").     liier  das  alter  einiger  isländ.  rechtsbücher.     Ober  Ali   Porgilsson  und  sein 

[sländerbuch.     Bildebrand,  Konungaboken  af  Snorre  Sturiason. 


70  KONRAD   m  '.nun 

Bd   L6.     Öher  das  väpnatak  <ler  nordisohen   rechte.     Die   Programme   der  gelehrten 

BChulen   Islands.      1871. 
Bd.  17.    [var  Aasen,  Ne.r.-k  ordbog.     \  b  Ite  folkeeventyr.     1872. 

Bd.  18.     Kölbing,  Riddarasögur.    Bildebrand,  :  folket  under  hednatidon.   1873. 

Bd.  L9.     Freimarkt,     Zur    neueren    litteratur   aber   nord.  philologie   und  geschichte. 

Da    gottesurteil   im  altnord.  rechte.    Cederschiöld,  Bandamannasaga, 
Bd.  20.     Über  isländische  apokrypha.     1875. 
Bd.  23.     li"T  runenhandschriften.    Johan  Erik  Rydqvist.     1878. 
Bd.  24.    Zur  topographie  Islands.    Zum  alten  schwedischen  hofrechte      ls70. 
Bd.  25.     Die  Sprachbewegung  in  Norwegen.    Gragas  hrg.  von  Finsen.    1880. 
Bd.  26.    Die  riesin  Hit.    1881. 
Bd.  36.     Grber  Ari  frodl  und  seine  Schriften.     1891. 

Germanistische  Studien    bd.  1. 
Das  sog.  christenrecht  konig  Sverrirs.     1872. 

Anzeiger  für  künde  der  deutschen   vorzeit   1 
Waldbär  und  wasserbär  (zn  Dhland,  Germ.  6,  307  fgg.).     Altnordische  Wörterbücher. 

Zeitschrift  für  deutsches  altertu'm  1  >d.  18  (1875). 
Runen  in  Berlin. 

Zeitschrift  des  Vereins  für  Volkskunde. 
Bd.  1   und  5.     Zur  Volkskunde  Islands.     1891   und  1895. 
Bd.  2.     Das  schneeschuhlaufen  in  Norwegen.     1892. 
Bd.  3.    Zum  aberglauben  auf  Island.     1893. 

Bd.  4.     Die  hölle  auf  Island.     Zahlenbezeichnungen  und  rechtsleben.     IS94. 
Bd.  6.     Die  königslösung.     Die  bestimmten    familien   zugeschriebene  besondere    Heil- 
kraft.    Zum  wettkampf  des  zaubereis  mit  seinem  lehrling.     1896. 
Bd.  8.     "Weiteres  über  die  hölle  auf  Island.     Das  clbenkreuz.     1S98. 

Arkiv   för  nordisk  filolo.ui. 
Bd.  4.     Vopu  und  vokn.     1888. 
Bd.  5.     Vigslodi.     1889. 
Bd.  6.    Reksbegu.    1890. 
Bd.  7.    Theodor  Möbius.     1891. 

Historisk  tidskrift  (Kristiania). 

II,  3,  1887.     Die  einteilung  der  älteren  Frostupingslög. 

III,  2,  1893.    Nogle  bemserkninger  til  Norges  kirkehistorie. 

Sybels  Historische  Zeitschrift. 
Bd.  1/2  1859.     Der  Verfassungskampf  Islands  gegen  Dänemark. 

Allgemeine   zeitung. 
185G,  2.,  10.,  11.  okt.;  1870,  7..  25..  20.  märz;  11.,  12.  april;  1874,  21.,  27.,  28.jan. 

und  beilage  von  210,  222,  22.'.!:  Zum  isländischen  Verfassungsstreit. 
1870,  beil.  (3/7.     Gudbrand  Vigfusson,  Au  icclaudic  english  glossary. 
1880,  beil.  41.    Jon  Sigurdsson. 
1885,  beil.  53.     Asbjörnsen. 


SOKOLOWSKY,  NACHAHMUNG  DES  ALTÜ.  MINNESANGS  IN  DER  NEUEREN  DEUTSCH.  LITTKRATCR        7  1 

Allgemeine  encyklopädie  der  künste  und  Wissenschaften. 

Band  77  (1863),  s.  1  —  136.     Graagaas. 

Band  96  (1877),  s.  377—418.     Gulabing. 

Band  97  (1878).  s.  1  —  74.     Gulapingslög. 

Encyklopädie  der  rechtswissenschaft  von  F.  v.  Holtzendorff  1?  1S72, 
247  —  85;  I5  1889,  251  —  385.  Überblick  über  die  geschichte  der  nordgermanischen 
rechtsquellen.  Dasselbe  in  erweiterter  norwegischer  fassung:  Udsigt  over  de 
nordgermaniske  retskilders  historie  (oversat  af  Ebbe  Hertzberg)  Kristiania  187S. 
Der  abschnitt  über  das  isl.  recht  ist  im  ,  Lögfoedingur '  III,  1899  ins  isländische 
übertragen:  Yfirlit  yfir  lagasögu  Islands. 

Kritische  überschau  der  deutschen  gesetzgebung  (1853  —  9). 

Bd.  1,  2,  3.     Über  angelsächsische  rechtsverhältnisse. 
Bd.  1.     Über  die  isländischen  gesetze  und  deren  ausgaben. 
Bd.  2.     „Über  den  begriff  der  autonomie"  von  Gerber. 
Bd.  4.     Nachruf  auf  Wilda. 

Bd.  5.  Das  beweisverfahren  nach  deutschen  rechten. 
Bd.  6.     Zur  isländischen  rechtsgeschichte. 

Die  Eritische  vierteljahrsschrift  für  gesetzgebung  und  rechts- 
wissenschaft (seit  1859)  enthält  fast  in  jedem  band  berichte  über  rechtsgeschicht- 
liche, besonders  nordische  werke.  Ich  nenne  hier  nur  den  aufsatz  in  bd.  23:  Der 
verfassungskampf  in  Norwegen  und  die  nachrufe  auf  Albrecht  19,  Sehlyter  31,  Frederik 
Brandt  34,  Yilhjälmr  Finsen  35,  Aubert  38. 

In  Herzogs  realencyklopädie  für  protestantische  theologie  und  kirche.  vgl. 
Halitgar  (5),  Island  (7),  Norwegen  (10).  Kleinere  beitrage,  insbesondere  kurze  an- 
zeigen enthalten  die  Gott.  gel.  anzeigen  1880;  Athenäum  1896;  Folkeveunen  1894 
ny  rsekke  16;  Ny  felagsrit  1857  und  1864;  Litteraturblatt  f.  germ.  u.  rom.  phil.  lv^ '. 
1883,  1885,  1890;  Litterarisches  centralblatt  1877,  1880,  1881,  1S85,  1S87  — 90; 
Jenaer  litteratur-zeitung  1874/5,  1877,  1879;  Englische  Studien  16,  18,  22;  Verhand- 
lungen'der  gesellschaft  für  erdkunde  in  Berlin  1S9S;  Petermanns  mitteilungen  1S9S; 
Kevuo  critique  1S75;  Deutsche  Zeitschrift  für  geschichtswissenschaft  5,  7 — 9,  12,  u.f.  1; 
Böhms  Zeitschrift  für  internationales  privat-  und  straf  recht  I,  1S90;  Tidskrift  for  rets- 
videnskab  I;  Zeitschrift  des  Vereins  für  Volkskunde  1,  3,  5  —  7. 

ROSTOCK,    OCT.  1902.  W.  G0LTHER. 


MISCELLEN. 

Die  ersten  versuehe  einer  nacliahinnng  des  altdeutschen  minnesangs 
in  der  neueren  deatsehen  litteratur« 

In  meiner  dissertation  (Jena  1891)  habe  ich  das  auflohen  des  altdeutschen  D 
sangs  in  der  Wissenschaft  bis  zu  demjenigen  augenblick  verfolgt,  wo  durch  die  Bodmer- 
Broitingerschen  Publikationen:  .,  Proben  der  alten  schwäbischen  poesie  des  L3.  Jahr- 
hunderts" (1718)  und  „Sammlung  von  minnesingern  aus  dein  schwäbischen  Zeitpunkte11 
(1758/59)  die  grosse  sog.  Manessische  liederhandschrift  —  wenn  auch  aoeh  m 
haft  und  nur  unvollständig  —  zugänglich  gemacht  wurde.  Wie  bisher  Melchior 
Goldasts  „Paraenetici1'  die  grundlage  für  das  wissenschaftliche  Studium  der  alten 
lieder  waren,  so  giengeu  nun  seit  den  jähren  1718  und  17.'>!>  die  gelehrten  bestrebungen 


72 

und  die  nachdichtungi  i  [enen  beiden  Bo  d  veröffentHchuj 

aus.     K .  i  i  ja  ii' ii'  ait  Gleim  aad  den  Göttingern  wirklich  zag  in  die 

dichterische  erneuern ng  der  minnesinger  kam,  so  unbedeutend  im  übrigen  auch  deren 
Lohe  oooh  waren  man  jedoch  G  bearbeitungen    mter- 

nommeo   hat,  ja  dasi    auch         entgegen  der  landläuE  I  Dicht  einmal 

Bodmer  d  ler  mit  einer  derartigen  naohdichtui 

;,.■!!  Bodmer  und  Gleim  noch  andere  iih  imachl  worden 

dies  zu        i         ill  die  auf|         [es  ein '. 

dienst,  den  altdeutschen  minnesang  zuersl  zum  ind  dichterische] 

behandlung  gemacht  zu  haben ,  ;ebühiH  Mo  berosch-Fhilander,  der  im  „Weiber- 
lob" (IL  teil,  3.  gesiebt]  ein  furnier  vor  kaiser  Eeinrich  I.  ti  and  ich  dabei 
durch  den  abdruck  des  vollständigen,  in  der  Mai  handschrift  dem  grafeu 
von  Leiningen  zugeschriebenen  lied.es  augenscheinlich  bemüht,  vor  seinen  lesern  ein 
poetisches  bild  von  der  zeii  des  turniers  und  des  höfischen  minnesangs  zu  entwerfen. 
Und  auch  durch  die  wenigen  worte,  die  Philandei  in  „Von  tragedien 
und  belliscnen  geistern"  über  den  „Cavalier  Milon",  d.  h.  doch  wol  Meinloh  von 
Sevelingen  sagt:  „In  einer  Stall  Bircano  genandt,  fände  ich  einen  von  Adel,  einen 
dapfferen  schönen  jungen  mann  ....  Dieser  Cavalier  liiess  mit  Namen  Milon...  Er 
machte  schöne  Vers,  in  welchen  er  sein  Leiden  zu  erkennen  gab,  vnd  richtete  allerley 
Ritterspiel  und  Ringelrennen  seiner  Dann'  zu  Ehren-  an",  —  durch  diese  wenigen 
worte  wurde  dem  leser  des  17.  Jahrhunderts  der  typus  eines  altdeutschen  minnesingers 
mit  seinem  frauendienst,  seinem  rittorspiel  und  seinem  versemachen  ziemlich  an- 
schaulich vor  äugen  gestellt.  Aber  Moscheroscb- Philander  steht  mit  diesen  seinen 
halb  dichterischen,  halb  kulturhistorischen  bemühungen  innerhalb  seiner  zeit  ebenso 
vereinzelt  da  wie  Hofmann  von  Hofmannswaldau  mit  seinen  bestrebungen ,  einige 
Strophen  des  minnesangs  zu  erneuern. 

In  der  vorrede  zu  seinen  1673  erschienenen  „Deutschen  Übersetzungen  und 
gedichten'\  wo  er  nach  art  der  Poetereyeu  eine  kurze  übersieht  über  den  entwick- 
lungsgang  der  deutschen  litteratur  gibt,  teilt  Hofmannswaldau  nicht  nur  einige  citate 
aus  "Werner  von  Tüfen,  Wolfram  von  Eschenbach,  "Walther  von  der  Vogeiweidc, 
liVinmar  vou  Zweter  und  herzog  Heinrich  von  Breslau  naeli  Goldasts  „Paraenctici'- 
mit,  sondern  fügt  ihnen  auch  Übersetzungen  hinzu.  Dass  ihm  dabei  das  leichtfüssige 
versmass  der  minnesinger  und  der  freie  wrechsel  der  verschiedensten  versfüsse  — 
wenigstens  in  der  regellosigkeit,  wie  sie  Goldasts  Veröffentlichungen  darboten  —  nicht 
gefiel,  wer  wollte  ihm  das  verargen?  War  er  doch  der  söhn  einer  zeit,  in  der  der 
geist  der  poesie  durch  überladenheit  und  strenge  beachtuug  von  schulregeln  schon 
an  und  für  sich  scharf  gegen  den  freien  zug  und  die  naive  frische  der  mittelalter- 
lichen lyrik  abstach.  Sehr  bezeichnend  ist  es  für  Hofmannswaldau,  dass  er  schon 
bei  der  herübernahme  des  textes  das  bestreben  zeigt,  die  versfüsse  gleichmässiger  zu 
gestalten.  Hauptsächlich  tritt  dies  in  der  strophe  Walthers:  'Wer  zieret  nü  der  eren 
sal?'  (MSH  LXX,  3)  hervor.  Goldast  hatte  deren  jambisches  metrum  nicht  vollständig 
durchgeführt,  sondern  —  wie  es  die  handschrift  zeigte  —  vers  5  und  9  mit  trochaeen 
beginnen  lassen;  Hofmannswaldau  hingegen   wandelt   diese   beiden  verse  dadurch  in 

1)  Unter  dem  begriff  ..Minnesinger1',  sind  hier  selbstverständlich  alle  dichter 
der  grossen  Heidelberger  lioderhaudschrift  zusammenzufassen;  es  gehören  also  auch 
die  lehrgedichte:  ..  Der  Wiusbeke",    „Die  Wiusbekin"  und  der  „König  Tirol'1  hierher. 

2)  Dies  gesiebt  soll  übrigens  nicht  von  Moscheroscb  selbst  sein,  vgl.  Goedeke, 
Grundr.  HI2,  233. 


NACHAHMUNG   DBS  AI.TD.  MINNESANGS  IN  DKR  NEUEREN  DEUTSCH.  LITTERATÜK  73 

jambische  um,  dass  er  in  vers  5  ungeachtet  des  dadurch  entstehenden  hässlichen 
hiatus  ein  „jo"  einfügte  und  in  vers  9  „ir"  durch  „ire"  ersetzte1.  Vers  6  und  8 
fangen  aus  demselben  gründe  bei  ihm  mit  einem  zweisilbigen  auftakt  („Kernet" 
und  „Die  da")  an,  während  hei  Goldast  auch  diese  verse  trochaeisch  waren. 

Von  den  gleichen  erwägungen  wurden  auch  seine  Übertragungen,  sowol  in 
bezug  auf  den  ausdruck  wie  auf  das  versmass,  bestimmt.  Wie  in  der  poes*ie  jener 
zeit  überhaupt,  so  spielt  natürlich  auch  hier  der  Alexandriner  die  hauptrolle.  Kein 
vers  ist  mehr  an  die  regel  gebunden  und  keiner  lässt  weniger  Variationen  zu  als 
dieser.  Bekundet  seine  anwendung  daher  auch  Hofmannswaldaus  streben  nach  aus- 
gleichung  der  Verschiedenheiten  unter  den  versfüssen,  so  ist  doch  auch  seine  absieht, 
hier  und  dort  den  vers  des  Originals  beizubehalten,  nicht  zu  verkennen.  Sehr  lehr- 
reich ist  in  dieser  beziehung  seine  Übersetzung  der  Strophe  des  bruders  Wernher: 
'So  we  dir  werlt  so  we  im  der  dir  volgen  muoz'  (MSH  V,  1).  Nachdem  er  die  beiden 
eisten  lebendigen  verse  des  minnesingers  fast  bloss  in  neue  Wörter  umgesetzt  hat. 
verfällt  er  vers  3  — 10  in  das  Alexandrinermass.  Vers  11,  den  man  wol  in  zwei  zu 
zerlegen  hat,  beginnt  in  seinen  beiden  hälften  mit  dem  trochaeischeu  Schlagwort: 
„Nackend".  Vers  12  ist  wieder  ein  Alexandriner  und  vers  13  endlich  ist  ein  vier- 
füssiger  Jambus  wie  vers  7  des  Originals.  Ähnliche  vermengungeu  von  Alexandrinern 
und  minnesingerversen  finden  sich  in   allen   seinen   Übertragungen   in   reicher  anzahi. 

Der  lange  Alexandriner  aber  rief  mit  seiner  strengen  gesetzmässigkeit  eine 
gewisse  Verlängerung  des  ausdrucks  hervor.  Meist  gibt  sich  diese  in  starker  Über- 
ladung kund,  namentlich  durch  häufung  der  epitheta  (z.  b.  für  'angesiht':  ' ihr  freund- 
lich angesicht',  oder  für  'ougen':  'der  verliebte  glänz  der  äugen'),  oder  durch  reihen 
von  flickwörtern :  „gleichwie"  [für  einfaches:  wie],  gantz,  auch,  stets).  Als  eine  art 
von  flickerei  kann  man  es  wol  auch  ansehen,  wenn  er  einmal  zwei  verben,  von 
denen  das  eine  schon  an  sich  den  finalen  nebensatz  regierte,  in  eins  zusammenzieht 
und  sodann  haupt-  und  nebensatz  durch  das  einschiebsei:  'zum  zeichen  dass  .  .'  ver- 
bindet. Nur  einmal  hat  Hofmannswaldau  sich  in  diesen  Übertragungen  zu  einer 
kürzung  verstanden,  insofern  er  nämlich  einmal,  und  zwar  nicht  ganz  ungeschickt, 
zwei  verse  des  Originals  zu  einem  verschmolz.  Er  tat  es  aber  nur,  um  einen  im 
original  allein  stehenden  vers  in  die  reimverschliuguug  hineinzuziehen.  AVas  jedoch 
bei  alledem  anerkannt  werden  muss:  der  sinn  ist  im  grossen  und  gauzen  gewählt 
geblieben.  Dass  sich  zuweilen  ein  kleines  versehen  oder  ein  im  munde  der  minne- 
siuger  nicht  recht  passender  ausdruck  eingeschlichen  hat,  —  z.  b.  wenn  er  'hüsere'  mit: 
'Haus  und  weih'  übersetzt  —  wird  man  ihm  verzeihen,  wenn  mau  dagegen  hält, 
dass  auch  manches  besser  übertragen  ist,  als  man  es  bei  diesem  ersten  versuche 
hätte  erwarten  dürfen. 

Hatte  Hofmannswaldau  nur  einige  liederstrophen  übersetzt,  so  unternahm  es 
um  das  jähr  1700  Dietrich  von  Stade  als  der  erste,  auch  den  Winsbekc.  die 
Winsbckin  und  den  König  Tirol  in  das  neuhochdeutsche  zu  übertragen*.  Das  volumen 
aber,  in  dem  diese  arbeit  enthalten  gewesen,  ist  wie  die  meisten  übrigen  werke  Stades 
leider  nicht  an  das  tageslicht  getreten.  Ob  er  durch  Hofmannswaldaus  Vorbild  irgend 
welche  anregung  empfangen  hat,  lässt  sich  auch  nicht  erkennen.  Bei  Dodmer, 
der  als  der  nächste  den  versuch   einer  Übersetzung  von  minnesingerstrophen   wagte, 

1)  Hofmannswaldau  schreib!  also: 

v.  5:  Swer  zühi  hat  dei   is(  jo  ir  gouch. 
v.  9:  nur  ist  ez  i  re  werdekeit. 

2)  Interpretatio  vornacula.     Vgl.  meine  dissertaüou  s.  i'.'i. 


7  1  BOKOLOWBKY 

muss  eine  Bolohe  beeinflu     ing   unentschieden  '>         !"ns  scheint 

daraus,  dass  Bodmer  in  den  „Critischen  briefen"  (nr.  XIIli  die  spräche  der  alten 
deutflehen  heidi  ber  derjenigen  lobt,  die  „Hofmannswaldau  ihnen  in  seinen 

erdichteten  liebesbriefen  in  den  mund  leget",  kaum  etwa,  gewisses  gefolgert  werden 
zu  können. 

im  „Charakter  der  teutschen  gediohte"  (1734)  bai  Bodmer  seinen  ersten 
Buob  einer  Bolohen  Übertragung  gemacht.  Es  bandeli  Bich  am  ein  paar  rerse  der 
Winsbekin,  die  den  Strophen  13,  16,  19,  29,  31,  entnommen  und  von  Bodmer  der 
mutter  in  den  mund  gelegi  sind,  obwol  er  Bie  zum  teil  auch  aus  den  Strophen 
tochter  schöpfte.  I>a  sein  gedieht  in  Alexandrinern  geschrieben  ist,  30  wurde  dadurch 
wie  bei  Eofmannswaldau  eine  Verbreiterung  der  ausdrucksweise  bedingt,  die  Bich  in 
Zusätzen  offenbart.  Diese  zusätze  sowio  die  von  Bodmer  zugedichteten  vor-.-  z 
dass  die  alten  lehren  in  die  modernen  anschauungen  übertragen  wurden.  Ein  junger 
lierr  z.  b.,  der  „der  dame  für  die  ergebung  den  Bchön  ten  dani  bezeug!  und  seinen 
höhern  geist  zu  ihr  hernieder  neigt",  isl  ganz  gewiss  keine  figur  im  sinne  der  alten 
minnesinger.  Und  mhd.  'zuht'  ist  nicht  dasselbe  wie  das  religiös -sentimentale 
ltugend'.  Einst  hatte  die  Winsbekin  die  befolgung  von  zuht  und  Bcham  bloss  als 
lebensregel  der  tochter  vor  äugen  gehalten,  —  jetzt  sind  begriffe  wie  'tugend'  und 
Master'  bestimmter  geworden,  denn  die  tugend  ist  mit  sehranken  umzogen  und  das 
laster  ist  eine  Beuche.  Wie  trivial  aber  ist  es,  wenn  Bodmer  sogar  von  der  mutter 
sagt:  „Sie  lobt  und  liebt  es  (das  kind)  auch,  wie  eine  mutter  soll'-,  wo  das  original 
nur  hatte:  'Jun  wiplich  wip  mit  zühten  sprach  z'ir  tochter,  der  si  schone  pflac'. 

Offenbart  Bodmer  mit  seiner  lehrhaften  manier  ähnliche  grundsätze,  wie  sie 
später  Gleim  vertritt,  so  steht  seine  Übertragung  von  kaiser  Heinrichs  erstem  liede 
in  den  „Freymüthigon  nachrichten  von  neuen  büchern'-  ( 1 74."))  unter  dem  unmittel- 
baren einfluss  von  Gleims  soeben  erschienenem  „Versuch  in  scherzhaften  liedern, 
Zweeter  Theil.  Berlin  1745",  wie  er  sie  denn  auch  selbst  bloss  als  einen  beweis 
betrachtet  wisseu  wollte,  dass  in  dem  grossen  codex  „Lieder  nach  Anakreons  und 
Gleims  manier  und  geschmack"  enthalten  seien1.  Schon  das  versmass  —  reimlose 
dreifüssige  jamben  mit  ausschliesslich  weiblichem  versschluss  — ,  das  wegen  seines 
leichten,  tändelnden  ganges  von  den  Anakreontikern  so  oft  angewendet  wurde,  tut 
das  enge  Verhältnis  zu  diesen  deutlich  kund.  Anakreontisch  ist  es  auch,  wenn  er  aus 
der  'vrouwe'  des  minnesiugers  sein  „mädcheu"  oder  seine  „schöne'1  macht;  ana- 
kreontisch ferner  die  entsagungsvolle  ergebung,  wenn  er  seine  geliebte  nur  „so  ungern 
meidet1',  im  gegensatz  zu  dem  kaiser  Heinrich,  der  seiner  vrouwe  'so  gar  unsenfteclich' 
entbehrt.  Speciell  an  Gleim  dagegen  erinnert  die  selbstlose  aufopferung,  wenn  er  der 
geliebten  „bestäudig  dienen"  will,  während  der  minnesinger  sich  von  der  seinigen 
nicht  trennen  will  noch  kann.  Genau  wie  später  Gleim  sehen  wir  ihn  seiner  geliebten 
an  der  seite  „sitzen",  und  in  Gleimscher  empfindungsweise  ist  endlich  der  überdruss 
an  der  weit  infolge  des  Verlustes  seines  mädchens,  während  der  kaiser  Heinrich  in 
diesem  falle  nur  seine  niedergeschlageuheit  und  seine  untauglichkeit  für  den  verkehr 
mit  den  menschen  bekundet.  Eins  jedoch  unterscheidet  diese  Übertragung  Bodmers 
von  den  späteren  Gleims  und  der  Anakreoutiker:  der  umstand,  dass  sie  trotz  ihren 
abweichungen  vom  original  immer  noch  als  eine  Übersetzung  bezeichnet  werden  muss. 

Die  wenigen  verse,  die  Bodmer  im  13.  Critischen  briefe  aus  Friedrich  von 
Leiningeu  und  könig  Wenzel  in  neuhochdeutsche  prosa  übertragen   hat  und  die   nur 

1)  Vgl.  Zeitschr.  XVI,  Söfgg. 


NACHAHMUNG   DES  ALTD.  MINNESANGS  IN  DER  NEUEREN  DEUTSCH.  LITTERATUK  75 

;tls  eiue  erklärung  des  Originals  aufzufassen  sind,  verdienen  keine  weitere  besprechung. 
Wichtiger  aber  sind  in  den  „Neuen  critischen  briefen"  seine  versuche,  die  alte 
deutsche  spräche  wieder  zu  erwecken.  Nachdem  er  im  18.  briefe  als  Vorläufer  Gleims 
und  Klopstocks  einen  poetischen  bund,  eine  „akademie  mit  singern  und  gasten 
von  Wartburg"  vorgeschlagen  hat,  in  der  die  mitglieder  ordenskleider  nach  massgabo 
der  bilder  der  Manessischen  handschrift  tragen  und  eine  schöne  an  die  sieger  im 
poetischen  wettkampfe  die  preise  veiteilen  sollte,  unternimmt  er  es  im  63.  briefe 
nicht  nur,  die  Wiedereinführung  „der  alten  schwäbischen  spräche  als  absonderlicher 
mundart  für  die  lustige  Schreibart'1  zu  empfehlen,  sondern  teilt  auch  sogar  ein  paar 
proben  mit,  die  er  bereits  in  ihr  gedichtet.  So  sehr  man  geneigt  sein  mag,  diese 
versuche  als  eine  komische  grille  zu  bezeichnen,  so  kann  man  doch  nicht  umhin  ein- 
zugestehen, dsss  er  —  wie  es  denn  überhaupt  ein  richtiges  Verständnis  der  alten 
spräche  bekundet,  wenn  er  sie  als  ,, reich,  kurz,  klingend,  einfältig,  natürlich,  gelenk, 
leicht"  bezeichnet,  —  sich  auch  nicht  ganz  mit  Unglück  bemühte,  diese  kürze  und 
leichtigkeit  der  spräche  nachzuahmen.     Man  urteile  selbst: 

Min  sin  min  herz  und  al  der  lip 

Sint  alse  vol  gefüllt  mit  liederliebe 

Diu  mich  getwingt  durh  ein  vil  suezes  wip 

In  kau  der  liebe  iht  mere  in  mir  behalten 

Wan  das  ich  muese  nach  enzwei  gespalten 

Des  vle  ich  dich  göttin  der  hohen  minne 

Enweder  la  mich  an  der  werden  vrowen 

Niht  ellu  tage  nüwer  fügende  schowen 

Aid  nim  ein  teil  der  minen  senden  tribe 

Und  schütte  si  der  schonen  in  ir  sinne. 
Immerhin  aber:  neben  manchem  sprachlichen  mangel  sind  es  auch  keine  neue 
gedanken,  die  er  hier  zum  ausdruck  bringt.  Das  anflehen  der  göttin  Minne,  den  sinn 
seiner  herrin  zu  wenden,  und  —  in  einer  zweiten  strophe  —  das  etwas  lüsterne 
schmachten  nach  der  Umarmung  sind  ja  zu  allen  zeiten  dem  minnesaug  eigentüm- 
liche Wendungen  gewesen.  Oder  hat  mau  auch  in  dieser  beschränkuDg  auf  den  ge- 
dankenkreis  der  miunesinger  einen  bewussten  und  gelungenen  nachahmungsversueb 
Bodmers  zu  erblicken?  Die  erste  der  beiden  Strophen  hatte  er  übrigens  bereits  am 
12.  September  1747  Samuel  Gotthold  Lauge  brieflich  mitgeteilt1.  Beide  fassungen  stim- 
men jedoch  nicht  vollständig  übereiu.  Auf  der  einen  seite  verrät  es  mehr  geschmack, 
wenn  er  in  den  „Neuen  critischen  briefen"  sein  früheres:  'gewaltigiu  vrow  minne' 
durch:  'göttin  der  hohen  minne'  ersetzt;  anderseits  wird  man  aber  auch  dem  alten 
'mit  sender  liebe'   vor  dem  neuen:  'mit  liederliebo'  den  Vorzug  geben  müssen. 

Eine  dritte  strophe,  die  Bodmer  in  der  alten  spräche  gedichtet  und  die  sieh 
in  dem  märchen  „Das  erdmännchen"  (Neue  critische  briefe  74)  beiludet,  hat  mit  dem 
minnesang  nichts  weiter  zu  schaffen,  als  dass  in  ihr  seine  „erneucrung1"  prophe- 
zeit wird.  Wenn  er  aber  hierbei  alle  „sonderbare  zeichen"  dieser  Weissagung  bereits 
für  erfüllt  erklärt,  so  sollte  sich  das  unzweifelhaft  auf  die  Gottschedfehde  und  den 
durch  diese  mitveranlassten  aufschwung  der  deutschen  dichtung  beziehen.  Die  doutsche 
anakreontik  vor  allen  dingen  isl  in  Bodmers  äugen  der  wiedererweckte  minnesang, 
jedoch  erst  dann,  wenn  die  neueren  dichter  die  alten  Minnesinger  als  die  unter  allen 
umständen  nachzuahmenden  Vorbilder  anerkannt  haben  wurden. 

1)  Lange,  Sammlung  gelehrter  und  freundschaftlicher  briefe  I 


,1)  [0L0W8KY 

Nur  Doch  einmal  i  !  floh  eioer  iib<  i       aem   paar 

tropben  d  rifl  gemacht     Er  tal  nem  briefe  an  Gleim 

_'.  april  1767';  und  es  sind  dieses  mal  zwei  Strophen  Walthers:  MSll.  XXXV,  und 
Xlj\'i  Doch  beide  proben  sind  anbedeutend  und  weisen  durch  ihre flickwörter  und 
Interjektionen  wieder  auf  die  Anakreontiker  bin.  Auch  eine  Übertragung  in  bezai 
von  einer  dieser  strophon  Walthers  Bowie  einer  Strophe  Beinmars,  die  in  den  „Apol- 
linarien"  (1783,  hrsg.  von  Stäudlin)  mitgeteilt  werden,  bedürfen  keiner  weiteren  er- 
örterung. 

Einen  be  onderen  platz   in  Bödme:  eher  tätigkeit  auf 

nehmen  Beine  in,  die   minnesinger  auch  in  anderer  beziehung  poetisch   zn 

verwerten.  „Das  erdmännchen"8,  „Die  poetische  luft"3  und  „Dil  änger  Lei  aben- 
teuer  und  der  minne  auf  Kastelmarveil"4  nennt  er  drei  hierher  gehörige  geschichtchen, 
die  man  am  besten  als  märchen  oder  fabeln  bezeichnen  kann  and  die  alle  auf  ein 
dnsames,  die  selbstverberrlichung  Bodmers,  hinauslaufen.  In  allen  dreien  hat  er 
sieh  selbst  in  den  mitte  Ipunkt  gestellt.  Im  „Erdmännchen"  macht  er,  von  seinem 
freunde  Demaratus  in  den  tann  geführt,  die  bekanutschaft  eines  kobolds  und  erhalt. 
nachdem  dieser  die  alten  Weissagungen  der  Jette  auf  ihrem  bühel  am  Xeekar  über  die 
erneuerung  des  minnesangs  als  erfüllt  erkannt  bat,  von  ihm  den  Manessischen  codex, 
„um  ihn  jenen  vortrefflichen  männern  zu  überliefern,  welche  sich  zu  seinen  Zeiten 
des  minnesanges  mit  angebohrnen  gaben  annehmen.1'  In  der  „Poetischen  luft" 
erscheint  er  selbst  als  Amilbert  mit  zwölf  anderen  personifizierten  helden  -> 
werke  zum  besuch  bei  Walther  von  Maneck,  der  für  sie  die  liebe  des  vierzehnten 
bruders  hatte.  Gewiss  hat  man  hinter  diesem  Walther  den  Rüdiger  von  5Ianes.se  zu 
erblicken.  In  dem  drittou  märchen  endlich  wird  er  von  einem  Jüngling  (Hadloubi  in 
die  dichterburg  geleitet  und  wohut  dort  dem  gesange  der  alten  dichter  bei;  zum 
schluss  von  Wolfram  gefragt,  ob  die  muse  der  minne  und  der  abenteuer  die  grenzen 
Deutschlands  verlassen  habe,  berichtet  der  ehemalige  vertraute  Klopsroeks  und  einstige 
Verfasser  des  ,,-Noah"  ihm.  dass  man  sich  mehr  „um  den  einfluss  einer  heiligeren 
muse  bewerbe,  die  von  Sion  herab  zu  den  sündigen  menschen  gestiegen.1.  Aber  sowol 
diese  wie  Melpomene  seien  von  Braga  verdrängt  worden;  kein  guter  fürst  nehme 
sich  ihrer  mehr  au.  nur  er  allein  mache  unter  den  menschen  eine  ausnähme,  denn 
noch  haben 

„Achtzig  winter  und  vier  ihm  nicht  die  geister  gedämpfet. 
Noch  besucht  ihn  Siona,  noch  Alelpomene,  die  Griechinn." 
Und   Braga?     Selbstverständlich  betrachtete  der  eitle  auch  diese  als  seine  freundin. 
Nicht  umsonst  führt  er  auch   hier  die   helden  seiner  eigenen  werke  in   persona  als 
zeugen  an. 

Interessanter  als  diese  fabeln  ist  Bodmers  drama:  „Friedrich  von  Tockenburg"5, 
und  zwar  deshalb,  weil  wir  in  diesem  nach  den  schüchternen  anfangen  Moscherosch - 
Philanders  in  der  tat  den  ersten  grösseren  versuch,  die  zeit  des  minnesangs  poetisch 
zu  gestalten,  vor  uns  haben.  Der  stoff,  der  in  einzelnen  partieen  an  Schülers 
„Räuber"  erinnert,  behandelt  die  geschichte  zweier  brüder,  Diethelm  und  Friedrich 
von  Tockenburg.  von  denen  der  letztere,  da  er  der  liebling  und  günstling  des  vaters 

1)  Briefe  deutscher  gelehrten  ed.  Körte  I,  368. 

2)  Neue  critische  briefe,  brief  LXXIV,  474  fgg. 

3)  Litterarische  denkmale,  pag.  90  fgg. 

4)  Apollinarien,  ed.  Stäudlin,  pag.  194  fgg. 

5)  In  „Droy  neue  trauerspiele",  1761. 


NACHAHMUNG  DES  AI.TD.  MINNESANGS  IN  I>F,R  N'F.UF.REN  DEUTSCH.  LITTKRATÜR  77 

ist,  durch  den  ersteren  und  dessen  frevelhafte  gemahlin  um  das  leben  gebracht  wird, 
während  die  mörder  selbst  die  gerechte  strafe  ereilt.  Als  quelle  hierzu  dienten 
Goldasts  „Scriptores  rerum  Alemannicarum",  und  zwar  genauer  dessen  dort  gegebene, 
ziemlich  ausführliche  besprcchung  von  „Cunradi  de  Fabaria  Presbyteri  S.  Othmari 
über  de  casibus  Monasterii  S.  Galli  in  Alamanniau.  Für  uns  sind  an  dieser  stelle 
nur  zwei  personen  von  interesse,  die  Bodmer  nicht  in  seiner  quelle  vorfand.  Es  sind 
Kliusor  und  der  junge  Kraft  von  Tockenburg.  Der  söhn  jenes  verbrecherischen  Diethelm 
ist  von  Bodmer  wol  nur  eingeführt  worden,  um  das  geschlecht  der  Tockenburger  durch 
den  namen  Kraft  in  Verbindung  mit  dem  gleichnamigen  minnesinger  zu  bringen.  Ei' 
bekam  dadurch  gelegenheit,  auch  ein  Streiflicht  auf  die  litterarischen  Verhältnisse  der 
damaligen  zeit  zu  werfen,  wie  er  diese  auch  noch  durch  erwähnung  von  Sivrit, 
Volker,  Amphortas,  Hildebrand  und  Dietrich  zu  charakterisieren  sucht.  Auf  Klinsor 
jedoch  scheint  er  durch  Goldast  selbst  hingeleitet  zu  sein,  der  im  anschluss  an  jenes 
buch  über  ,,Die  Schicksale  des  klosters  S.  Gallen"  erzählt,  der  kaiser  habe  zum 
empfang  des  abtes  von  S.  Gallen  nicht  nur  seine  Würdenträger  zusammengerufen, 
sondern  auch  alles  zur  schau  getragen,  „quaeeunque  habuit  cara....,  coelum  astro- 
nomicum  aureum  gemmis  stellatum  habens  intra  se  cursum  planetarum:  elephantes 
etiam  et  bardos  . . . ."  Allerdings  liest  Bodmers  Klinsor  das  Schicksal  der  menschen 
nicht  aus  den  sternen,  sondern  aus  ihren  sitten.  Aber  er  ist  ein  Weissager,  und  hierin 
mag  seine  Verwandtschaft  mit  dem  Schwarzkünstler  Klinsor  begründet  sein.  Im 
übrigen  könnte  man  vielleicht  auch  in  jenen  „barden",  die  sich  im  gefolge  des  kaisers 
befinden,  die  Vorbilder  für  die  poeten  aus  der  Provence  erblicken,  deren  ankunft  auf 
der  bürg  des  grafen  von  Tockenburg  Bodmer  als  ein  geeignetes  mittel  erschien,  Klinsor 
für  einige  augenblicke  von  der  bühne  zu  entfernen. 

Schliesslich  finden  sich  in  Bodmers  werken  neben  ganzen  citaten  aus  den  minne- 
singern  auch  zahlreiche  ausdrücke,  die  er  den  mittelalterlichen  lyrikern  oder  den 
epikern  entlehnte.  Von  den  letzteren  seien  nur  genannt:  sohl  und  miete  (=  lohn), 
mähre,  wonnevoll,  minneklich,  geding,  stäte  (=  treue),  wete  oder  wat  (=  kleidung), 
gezogenlich,  gach,  biderb,  weidlich,  es  gezam.  Namentlich  seine  Übersetzungen 
„ altenglischer  und  altschwäbischer  balladen"  (1780/81)  sind  voll  von  solchen  Wörtern. 
Ganze  citate  dagegen  hat  er  mit  Vorliebe  aus  Walther  genommen.  So  in  dem  drama 
„Friedrich  von  Tockenburg" :  „  Du  bist  die  rose  ohne  dornen  und  die  taube  ohne 
galle",  das  die  verräterische  Isotte  zu  ihrer  Schwester  Isalde  sagt.  So  ferner:  „Euer 
alter  thron  steht  unter  einer  übien  traufe"  \  wie  er  den  herzog  von  Lothringen  zu 
Heinrich  dem  vierten  sagen  lässt.  Und  so  auch  die  "Walther  -  worte  in  seiner  er- 
zählung  „Maria  von  Brabant",  die  er  iu  seinen  ,, Litterarischen  denkmaleu"  (s.  184  fg.) 
und  neben  vielen  anderen  citaten  aus  Shakespeare,  Dante,  dem  Iwein  und  Freil 
Tristan  auch  in  den  ,,Beyträgen  in  das  archiv  des  deutschen  Parmasses"  (Bern  177»;; 
3.  stück)  selbst  als  solche  kenntlich  gemacht  hat. 

Gleich  Bodmer  hat  sich  aber  auch  sein  rivale  Gottsched  in  eiuer  Übersetzung 

nach  den  minnesingern  versucht.     Es  geschah  in  seiner  „  Abhandlung  von  dem  llore 

der  deutschen  poesie  zu  kaiser  Friedrichs  des  ersten  zeiten";  und  zwar   hat   er  hier 

13  Strophen  des  Königs  Tirol  aus  Goldast  ausgeschrieben  und  diesen,  wie  sein  eigener 

ausdruck  lautet,  ,,oine  art  von  Übersetzung,  so  gut  und  genau  sie  sich   in   eben   der 

versart  hat  macheu  lassen"',   hinzugefügt.     Dass  diese  „Abhandlung"  eine  rede  war, 

die  er  am  11.  Oktober  1746  zu  Leipzig  in   gegenwart    des  erbprinzon  Friedrich  von 

i 
1)  Vgl,  Joh.  Crüger,  Die  erste  Gesamtausgabe  der  Nibelungen,  Frankfurt  a.  M. 

1884,  s.  6. 


78  soKoi.ov.  • 

ßachson    and    dei    I  prinzer   Xaver  und   Kai  iuI   Beine   iiber- 

etzung  nichi  ohne  3blieben.    Behr  bezeichnend  i  t  <■    Bchon, 

den  König  Tirol  au  wählte,  and  zwar  hinwidernm  »lche    trophon',  die  sich 

auf  <las  verhälti  raten   zu    meinen   Untertanen    beziehen.     Au-    rücksichi    auf 

Beine  zuhörer  wird  in  gleicher  weise  wol  auch  die  ai le  des  königs  Tirol  an  seinen 

Bohn    ,  0  junger  piinz"  al    iibei  etzung  von  ..vil  jungei  künic"  entstanden  sein.    Im 

ig,   die  im   metrum  kleine  abweichungen  ab- 

inict  —  mit  dem  original  übereilt  Hmmt,  deutlich  den  Btil  Gottscheds  zur  Behau. 
Wie  ti'ivial  i^t  es,  wenn  er  an  die  worte:  „Damit  waokern  mann  an  »inen 

ehren  Bchwächst"  noch,  um  die  strophe  zu  vervollständigen,  hinzufugt:  .,I)as  nie- 
mand leiden  kann.1'  Da  aber  hinwiederum  gerade  dieser  zusatz  als  ersatz  für  die 
v.nrtc  dos  minnesingers :  „niht  baz  ich  dir  geraten  kan"  aufzufa  lässi  sich 

auch,  weil  der  minnesinger  sich  kurz  zuvor  ähnlicher  m  in!  hatte.  G 

bestreben,  widerholungen  zu  vermeiden,  nicht  verkennen.  Glaubt  man  nicht  aber 
widerum  den  philister  zu  hören,  wenn  Gottsched  die  worte  des  Originals:  ,. Oh  et 
muoz  diu  elich  wip  dur  zuht,  dur  vorhte  Bwigen,  si  denket  doch:  du  valscher  lip" 
übersetzt  mit:  „Und  schweigt  dein  woib  aus  zucht  und  scheu,  so  denkt  sie  doch: 
wo  bleibt  die  mir  gelobte  treu"?  Und  bei  alledem  lässt  er  auch  hier  knechtische 
devotion  durchblicken,  wenn  er:  „vil  manic  helt  gevangen"  durch  „edle  skia 
überträgt. 

Alle  diese  Übersetzungsversuche  bezogen  sich  nur  auf  einzelne  gedichte  oder 
abgerissene  partieen  der  lohrgedichte.  Ziemlich  gleichzeitig  wurde  nun  von  zwei 
litterarisch  vielfach  mit  Bodmer  verbundenen  mannen)  der  versuch  einer  Übertragung 
in  grösserem  stile  unternommen.  Es  sind  Samuel  Gotthold  Lange  und  Kaspar 
Friedrich  Renner.  Für  Lange  besitzen  wir  allerdings  kein  direktes  zeugnis  dar- 
über, aber  es  scheint  doch  aus  einem  briefe  hervorzugehen,  in  dem  ihn  professor 
Bohn  zwar  warnt  „vor  der  arbeit,  die  er  sich  auf  den  hals  geladen",  zugleich  aber 
auffordert,  ihm  sein  urteil  über  die  minnesinger  zu  schreiben  und  ihm  einige  ihrer 
lieder  zu  übersetzen.  Diesem  wünsche  willfahrt  Lange  in  einem  briefe  vom  jähre 
1757  oder  1758;  ein  arger  druckfehler  verhindert  leider  die  genaue  feststellung 
des  jähres2. 

Genau  wie  Hofmannswaldau  und  Gottsched  stellt  Lange  original  und  Über- 
setzung einander  gegenüber,  ähnlich  wie  Bödme!-  flicht  er  ein  paar  mal  bemerkungen 
über  die  eigentümlichkeiten  der  dichter  und  der  spräche  dazwischen,  aus  Bodmer 
endlich  genommen  sind  die  angaben,  die  er  über  die  lebensumstände  mehrerer  dichter 
hinzufügt.  Die  Übersetzungen  selbst  lehuen  sich  ausserordentlich  eng  an  die  originale 
an,  so  dass  man  sie  —  wie  er  es  auch  selbst  als  seine  absieht  bezeichnet  —  viel- 
fach bloss  als  Umsetzungen  in  die  neue  spräche  betrachten  kann.  Meist  wird  der 
ausdruck  unbeholfen,  zuweilen  geradezu  unverständlich.  Namentlich  in  den  reimen; 
hier  entstehen  einerseits  assonanzen  wie:  '"Wahn  — hab',  anderseits  aber  lässt  er  da, 
wo  er,  um  nicht  undeutseh  zu  werden,  den  reim  absolut  nicht  beibehalten  kann, 
den  alten  ausdruck  bestehen  und  fügt  hinzu,  was  er  bedeutet  (so  erklärt  er  das  alte 
„wiplich  bild"  als  „bildung,  Schönheit"),  oder  aber  er  weiss  sich,  wie  später  Gleim 
und  Klamer  Schmidt,  dadurch  aus  der  Verlegenheit  zu  helfen,  dass  er  einmal,   um 

1)  MSH.  26  —  36. 

2)  Der  brief  des  professors  Bohn  ist  vom  10.  November  1757  datiert,  derjenige 
Langes  aber  schon  vom  5.  März  1757.  Vgl.  ..Sammlung  gelehrter  und  freundschaft- 
licher briefe"  I,  5J.  52. 


NACHAHMUNG  DES  AT/TD.  MINNESANGS  IN  DER  NEUEREN  DEUTSCH.  T.TTTERATUR  79 

auf  das  wort  'ungemach'  einen  reim  zu  erhalten,  den  seufzer  'ach'  an  das  ende 
des  verses  stellt.  Geradezu  undeutsch  aber  wird  er,  wenn  er  'valsches  äne'  durch 
Falschheit  ohne'  oder  gar  durch  '  falschheit  ohn'  übersetzt. 

Trotz  dieses  engen  anschlusses  an  das  original  ist  nicht  nur  Langes  reimver- 
sehliugung  meist  eine  ganz  andere,  zuweilen  gestattet  er  sich  sogar  auch  leichte  Um- 
änderungen des  gedankens.  In  des  herzogs  Heinrich  von  Breslau  bekanntem  liede: 
'Ich  klage  dir  meie,  ich  klage  dir,  sumerwunne'  legt  er  einen  vers,  der  ursprüng- 
lich der  haide  gehört,  dem  dichter  in  den  mund.  Meist  sind  solche  änderungen  jedoch 
aus  missverständnissen  hervorgegangen.  Da  er  z.  b.  einmal  das  wort  'tougen'  nicht 
verstand,  ist  nicht  nur  ein  guter  gedanke  ausgefallen,  sondern  auch  der  sinn  des 
ganzen  zerstört  worden. 

Wie  Gleim  und  die  Anakreontiker  hat  Lange  eine  besondere  Vorliebe  für  den 
Superlativ  oder  für  die  Steigerung  eines  adjektivs  durch  vorgesetztes  'so'.  Auch  die 
zahlreichen  tlickwörter  (wie  'wol'  und  'auch')  erinnern  an  jene.  Gleims  eigenen  ton 
glaubt  man  zu  hören,  wenn  Lange  des  minnesingers  -huld'  mit  'gnade'  und  ,minne' 
mit  'guust'  überträgt,  und  als  eine  Übertreibung  nach  anakreontischem  geschmack  ist 
es  anzusehen,  wenn  er  den  moud,  der  bei  den  minnesingern  nur  in  den  sternen 
schwebt,  'unter  tausend  gestirnen'  schweben  lässt;  an  die  schäferlyrik  wird  man 
erinnert,  wo  Lange  von  den  „verliebten"  redet  und  beispielsweise  das  'minnekliche 
heil'  mit  'der  verliebten  heil'  wiedergibt. 

Unzweifelhaft  hat  Lange  die  anregung  zu  diesen  Übersetzungen  ursprünglich 
von  Bodmer  empfangen.  Dasselbe  muss  auch  von  dem  Bremer  stadtvogt  Kaspar 
Friedrich  Renner  gesagt  werden,  von  dem  Bodmer  seiner  zeit  durch  Friedrich 
Hagedorns  mittlerschaft  nachrichten  über  die  zu  Bremen  befindliche  Goldastische  ab- 
schrift  des  grossen  codex  erhalten  hatte.  Im  jähre  1760  veröffentlichte  Renner  unter 
dem  pseudonym  Franz  Henrich  Sparre:  „Die  Winsbekinn,  oder  mütterlicher  Unter- 
richt glücklich  zu  lieben  und  zu  heurathen".  Seine  vorrede  an  das  „schöne  ge- 
schlecht", in  der  er  bekennt,  dass  sowol  seine  dem  original  beigegebene  Übersetzung 
wie  auch  die  hinzugefügten  erklärungen  den  „schönen"  lediglich  „das  nachsinnen  bei 
den  veralteten  Wörtern  und  redensarten  erleichtern  sollen",  ist  von  bedeutung  für  die 
ganze  auffassung  der  Übertragung. 

Geschrieben  ist  sie  in  reimlosen  vierfüssigen  jamben  mit  überwiegend  klingen- 
dem versschluss.  Aber  ähnlich  wie  bei  Hofmannswaldau  der  Alexandriner  ist  dieses 
versmass  auf  Renners  Übersetzung  nicht  ohne  einfluss  geblieben.  Auch  sie  ist  durch 
zahlreiche  epitheta  und  manche  zusätze  anderer  art  breit  und  schwerfällig  geworden. 
In  vielen  fällen  sind  diese  freilich  der  sucht,  das  original  nach  dem  geschmack  der 
neuen  zeit  umzumodeln,  entsprungen. 

'Der  frommen  lob  und  rühm'  ist  hier  das  nächste  erstrebenswerte  ziel  für  die 
tochter.  So  soll  sie  leben,  'als  sich  die  frommen  stets  beflissen'.  Gott  will  sie  „als 
den  brunnquell  aller  gute  unablässig  bitten,  dass  sie  ihn  stets  vor  äugen  habe". 
„Gross  an  mute"  will  sie  zwar  sein,  „jedoch  an  demut  nicht  geringer".  Wird  sie 
wegen  ihres  züchtigen  lebens  verleumdet,  so  will  sie  „unschuldig  leiden",  .letzt 
gibt  es  überhaupt  keine  „redliche  ('staete')  mäunor"  mehr  auf  der  weit.  W o  1-. 
merker  bei  ihr  waren,  sollte  einst  die  tochter  'wilder  blicke  niht  ze  vil *  schiessen, 
—  jetzt  soll  sie  dies  unterlassen,  „weil  schlimme  lauscher  auf  sie  merken",  d.  h. 
weil  die  ganze  weit  überall  voll  von  „kläffern"  ist.  „Eingezogen  zu  leben",  ist  jetzt 
das  ideal  eines  züchtigen  Lebenswandels.  Versprach  die  tochter  ihrer  mutter  früher, 
die  wilden  blicke  zu  vermeiden,  damit  sie  nicht  -ze  halt'  würde.  30  will  - 


80  KIJI.I.'.'.       ZI       1-illANS    Ol©»  OP 

tun.  um  „nicht  fend  oder  gar  frech  and  racblo  "  zu  werden.    l Reine  wip 

in  tagende  wert'  sind  jetzt  'tugendhafte  inder'  and  aus  den  mber 

itte    sind  'wilde  ma"  eworden,    deren  zage  'reizend   and  Bcbalknaft'  lächeln 

und  die  ihre  'regen  angen  hin-  and   lieri  n,  als  ob    ie  das,   was  ihnen 

mangelt .  bai  i  ben  wollen. 

Nur  naob  'staeter  triuwe'  begehrt  im  original  da    'reine  wip'.    Jetzt  da 
ist    ausschliesslich   die   ehe   das  ideal,    'staete  triuWe'  wird   durob   'eheliehe  h 
ben  and  Renner  hat  in  1!»  von  ihm  hinzugedichteten  Btrophen  die  n 
der  tochter  Vorschriften  für  ihr  späteres  leben  nls  haus frau  erteilen  lassen.     Von  dem 
der  mittelalterlichen  dichtung  ist  .  indlicb  auch  nicht  die  Bpur  auf  ihn 

selbst  übergegangen. 

[mmerhin  aber,  worauf  es  ankommt:  der  erste  teil  der  Rennerseben  arbeit, 
der  die  eigentliche  Übertragung  der  „Winsbekin"  enthält,  isl  nicht  ohne  wolbedachte 
Sorgfalt  verfertigt,  und  es  ist  daher  zweifelhaft,  ob  ui,i"  h   mit  zu  den  „flüch- 

tigen Übersetzungen"  zu  zählen  hat,  von  denen  Renner  am  5.  april  1754  an  Hage- 
dorn sehreibt,  sie  seien  ..stehenden  fusses,  währenden  brunnentrinkens  und  auf  ver- 
anlassung der  frau  von  Yrints  gemacht"  i. 

Renner  war  ein  kind  seiner  zeit,  und  bei  der  geringen  zahl  von  Vorbildern 
verdient  sein  versuch  trotz  aller  mängel  doch  eine  gewisse  anerkennung.  Auch  jetzt 
noch  währte  es  fast  anderthalb  Jahrzehnte,  bis  die  mittelalterliche  lyrik  einer  auf- 
erstehung  eutgegengeführt  wurde.  Dies  verdienst  gehört  vater  Gleim.  Vor  dem 
erscheinen  seiner  „Gedichte  nach  den  minnesingern"  (1773)  scheint  allerdings  Bürger 
sich  schon  in  einer  nachbildung  der  minnesinger  in  ausgedehnterem  masse  versucht 
zu  haben.  Da  aber  dessen  erste  proben  auch  erst  im  jähre  1773,  und  zwar  im 
'Göttinger  musenalmanach'  erschienen,  so  ist  neben  einem  noch  vereinzelten  liede 
Gleims  ein  gedieht  Klonstocks  vom  jähre  1704,  nämlich  die  „Ode  an  kaiser Heinrich" * 
die  die  hauptgedanken  aus  dem  liede  des  kaisers  Heinrich  herübernimmt,  der  einzige 
widerbelebungsversuch,  den  ich  aus  den  jähren  1760  —  73  vorläufig  anzuführen  vermag. 

1)  Job.  Crüger,  Zeitschr.  XVI,  206. 

2)  Klopstocks  öden,  hrgb.  von  Fr.  Muncker  und  Jaro  Pawel,  Stuttgart  1889, 
bd.  I,  161  fg. 

HAMBURG.  RUD.    SOKOLOWSKV. 


Zu  Johann  Oldecop. 

Im  Jahrbuch  für  niederdeutsche  Sprachforschung  27,  154  war  die  Vermutung 
ausgesprochen,  dass  die  dort  mitgeteilten  bemerkungen  Oldecops  nach  entwendung 
und  Vernichtung  der  Originalhandschrift  seiner  chronik  vielleicht  das  einzige  wären, 
was  von  seiner  band  erhalten  ist.  Jetzt  findet  sich  noch  in  dem  neuen  (8.)  bände 
des  von  R.  Doebner  herausgegebenen  Urkundenbuches  der  Stadt  Hildesheim  (Hildes- 
heim 1901)  s.  676  eine  eigenhändige  Oldecopsche  notiz,  die  der  herausgeber  so  wider- 
gibt: „Kopbref  mynes  koffnes  (sie.)."  Dabei  ist  nicht  beachtet,  was  s.  691  der  aus- 
gäbe Oldecops  über  seine  eigentümliche  lautgebung  ffu  =  v  bemerkt  ist;  geschrieben 
hat  O.  „hoffües".  Zugleich  sei  auf  das  s.  472.  487.  599.  717.  774  des  Urkunden- 
buches  gegebene  urkundenmaterial  hingewiesen. 

KÖNIGSBERG    I.  I'R.  KARL    EfLING. 


STIKFKL,    SCHWAN KLITTERATUR    DES    16.  JUS.  81 

Ein  unbekanntes  schwankbuch  des  16.  Jahrhunderts. 

Wenn  der  vorstehende  titel  die  erwartuDgen  des  lesers  etwa  hoch  spannen  sollte, 
so  wird  es  ihm  ergehen,  wie  es  mir  mit  dem  buche  selber  ergangen  ist:  er  wird  eine 
enttäuschung  erleben.  Ich  hatte  auf  die  angaben  eines  katalogs  hin  grosse  hoffnungeD 
auf  seinen  inhalt  gesetzt  und  fand  darin  —  nicht  eine  unbekannte  erzählung.  "Wenn 
ich  gleichwol  hier  eine  beschreibung  des  buches  gebe,  so  bestimmte  mich  mancherlei 
dazu.  Einmal  scheint  es  so  gut  wie  unbekannt  zu  sein;  wenigstens  habe  ich  es  nirgends 
beschrieben  oder  angefühlt  gefunden.  Dann  ist  es  charakteristisch  für  die  zeit,  in 
der  es  erschien,  nicht  ohne  interesse  wegen  herausgeber  und  Verleger  —  beide  noch 
etwas  rätselhafte  persönlichkeiten  —  und  endlich  wegen  der  die  auswahl  leitenden 
moralischen  absieht.     Ich  lasse  sogleich  die  beschreibung  des  buches  folgen: 

AMOENIS 
SIMA  ET  PVDICA  10 

corum  Facetiarumq?  fylva,  ex  Pog/ 

gij  Florentini  Facetiarum  Libro,  a/ 

lijscp  noftro  faeculo  infignis  famae  au/ 

thoribus,  ad  leuationem  animi,  iDge/ 

nijq?  exercitium,  ftudiofae  iuuentuti 

uigilantifXime  conferipta,  ac  in 

Centurias  digefta. 

AD  LECTOREM 

Procul  eftote  Catones  tetrici,  trifteq* 

fruftra  tumentium  fupercilium,  qui/ 

bus  non  uenio,  nifi  iocos  &  fales  ue/ 

lint.    Hilarem  expeto  lectorem,  aut 

certe  mox  facio. 

Argen torati  exeudebat  M.  Iacobus 

Cammer  Lander  Moguntius 

Mense  Martio. 

Titelbordüre.     Auf  der  rückseite   des  titelblattes  drei   physiognomische   köpfe. 

Dann  folgt  auf  dem  zweiten   blatt  ein   dedikationsschreiben  „Venerabili  Viro  Domino 

Ueorgio  Rotenburgio,  D.  Stephani  Canonico  Salutem  optat  Polychorius  Senior"  auch  als 

Prologus  ad  Sophistam   bezeichnet,  über  10  seiten  lang,   und  datiert   „Kai.  Martias. 

An.  42."    Auf  der  11.,  12.  und  13.  seite  physiognomische  köpfe,  auf  der  14.  das  bekannte 

buchhändlerzeichen    Cammerlanders:    geflügelte   Fortuna    auf  einer   kugel    schwebend. 

Auf  der  15.  seite  beginnt  der  text:  114  nummerierte  und  von  A  bis  0  acht  signierte 

blätter  12°.  —  Am  schluss  (blatt  114a)  heisst  es: 

Argentorati  exeudebat  M.  Iacobus 
Cammer  Lander  Kai.  Martiaa 
An.  M.ÜXLII. 
Die  letzte  seite  (114b)  enthält  nochmals  das  buchhäiHllerzeichen1. 

1)  Die  königl.  hof-  und  Staatsbibliothek  zu  München  besitzt  zwei  exemplare  des 
büchleins,  das  eine  hat  die  Signatur:  L.  eleg.  m.  758d  8°,  das  andere  (L.  eleg.  m.  8° 
108)  ist  ein  sammelband,  der  ausser  unserem  büchlein,  dem  3.  der  Sammlung,  noch 
Bebeis:  Facetiae,  Gasts  Cnnvivalrs  Sernwnes  (beide  ebenfalls  von  1642)  sowie  die 
Pasqtiilli  extatici  (s.  1.  e.  a.)  enthält.  —  Die  physiognomischen  köpfe  in  dem  büchlein 
sind  offenbar  dem  im  jähre  zuvor  bei  Cammerlander  erschienenen  buch»1  9Physiognomiae 

ZEITSCHRIFT    F.    DEUTSCHE    PHILOLOGIE.       BD.  XXXV.  Ü 


82  stdefei 

Die  schwanke  des  buche*  Bind  drei  quellen  entnommen  von   denen  der 
i   aber  am  die   erste  und  dritte  angibt:   Poggio  und  Valerius  Kaximus. 
Waruiii  er  die  zweite  vorschwieg,  weiss  ich  niohi    I )i»s<-  >-t  dee  Ottomax  Luscinius 
i.f)L'i  erschienenes  schwankbncb  loci  <<<•  Sulesx. 

Der  oompilator  bezeichne!    auf  dem   titelblatb  olung  als   „pudioa 

iooorum  facetiarumqi  '  und  auch  im  Prologus  rühmt  er  sie  „cum  ab  omni 

fane  lafciuia  tum  etiam  a  oauillo,  dicacitate  .  . .  femper  remotiffimum*1.   Spater 
er:  „Qui ...  in  rifu  excitando  funt  immodici,  In  fcurrilitate  aut  biftrionica  labor&i  . .  . 
Eorum  tnemor  pudicas  tantum   facetias,   oe  teneras  laederemus  aures,  ex 
multis  authoribus  in  bano  confcripfimus  sylvam". 

Dass  er  das  bucb  „ex  multis  authoribus u  compiliert  habe,  ist  nicht  richtig,  er 
hat,  wie  oben  bemerkt,  nur  drei  vorlagen  gehabt,  dass  er  aber  von  dem  rühmlichen 
gedanken  ausging,  anstössige  schwanke  aus  seiner  Sammlung  auszuschliessen.  sieht 
man  sofort,  wenn  mau  letztere  mit  ihren  vorlagen  vergleicht. 

Polychorius  —  also  nennt  sich  der  compilator  —  galt  zuerst  eine  reiche  aus- 
wahl  aus  Francesco  Poggio  Bracciolini's  Liher  Facetiarum  '• '.  Er  entnahm  dem  be- 
rüchtigten Florentiner  die  nachstehenden  nummern:  2.  3.  4.  7.  8.  9.  11.  12.  13.  14. 
15.  17.  18.  19.  20.  21.  22.  23.  26.  28.  29.  30.  35.  36.  37.  38.  39.  40.  41.  48.  50. 
51.  52.  53.  54.  55.  56.  57.  58.  59.  60.  61.  70  —  72.  74  —  77.  79  —  83.  86  —  00. 
91—97.  100—104.  108—110.  113.  116.  119—121.  124—127.  129  —  132.  134—136. 
139.  147  —  149.  151—154.  158.  160.  162—166.  169.  171.  177—179.  182  —  187. 
189—190.  192.  194.  196  —  200.  202  —  206.  207  —  208.  211.  214  —  220.  224.  226  —  228. 
230.  234  —  235.  243.  245  —  248.  250  —  253.  254.  255  —  256.  258  —  263.  268.  —  Das 
sind  im  ganzen,  wenn  ich  richtig  gezählt  habe,  165  nummern. 

Polychorius  hat  wirklich  alle  die  gemeinen  zoten  seiner  vorläge  bei  seite  ge- 
lassen, ausserdem  —  wahrscheinlich  weil  nichts  witziges  darin  liegt  —  die  nummern 
„de  prodigiis"  d.  h.  nr.  31 — 34,  167,  168  und  249.  Das  stärkste,  was  man  bei  ihm 
iindet,  sind  Poggio  93  =  De  meretrice  fene  mendicante  (bl.  20*)  und  217  =  De  fatuo 
dormiente  cum  Archiepiscopo  Coloniensi  qui  dixit  eum  quadrupedem"  (bl.45b),  zwei 
stücke,  die  im  vergleich  zu  dem  weggelassenen  noch  anständig  genannt  werden  müssen. 
vVeniger  bedenklich  war  der  compilator  in  der  aufnähme  nichtsexueller  derber  schwanke. 
So  verschmähte  er  z.  b.  nicht  Poggio  nr.  4  =  De  Iudaeo  nonnullorum  fuafu  chriftiano 
facto  (bl.  2b),  70  =  De  aüaro  qui  urinam  deguftavit  (bl.  14b),  130  =  De  nomine  qui 
in  somnis  aurum  reperiebat  (bl.  28b)  und  135  =  Facetum  Eberhardi  fcriptoris  apostolici 
ijui  ad  Cardinalis  confpectum  uentris  crepitum  dedit"  (bl.  30a). 

Textliche  äuderungen  hat  Polychorius,  von  kleinigkeiten  abgesehen,  an  den 
stücken  aus  Poggio  nicht  vorgenommen. 

In  ähnlicher  weise  verfuhr  der  compilator  mit  seiner  zweiten  quelle,  mit  den 
loci  ac  ||  Sales  mire  festivi  ab  Ot  ||  tomaro  Lufcinio  Argentino  partim  felec  ||  ti  ex  bono- 

epitome"  entnommen  und  als  lückenbüsser  für  die  leeren  Jseiten  der  nichtgezählten 
präliminarblätter  angebracht. 

1)  Betreffs  dieses  buches  und  seines  Verfassers  verweise  ich  auf  Hermann 
Arthur  Liers  aufsatz:  Ottmar  Nachtigalls  „loci  ac  Sales  mire  festivi".  Ein  beitrag 
zur  kenntnis  der  schwauklitteratur  im  16.  jahrh.  (Schnorrs  Archiv,  bd.  11,  s.  1 — 50) 
sowie  auf  L.  Geigers  artikel  in  der  Allg.  deutschen  biographie,  bd.  19. 

2)  Ich  benutzte  die  Valdafer'sche  ausgäbe  von  1477  zum  vergleich,  von  der 
die  k.  hof-  und  Staatsbibliothek  ein  prächtiges,  aber  nicht  ganz  vollständiges  exemplar 
besitzt,  ferner  die  ausg.  Lond.  1798,  die  aber  sehr  dürftig  ist  —  u.  a.  fehlen  ein  halb- 
dutzend  schwanke  darin  —  und  endlich  die  franz.  Übersetzung  „avec  le  Texte  Latin", 
Paris,  J.  Liseux  1878  (2  bde.  kl.  8°). 


SCIIWANKUTTERATUR    DKS    IC.  JHS.  83 

rum  utriufqj  linguae  au  ||  thorü  mundo,  partim  Ion  ||  gis  peregrinationibus  ||  uifi  &"  auditi. 
ac  ||  in  Centurias  ||  duas  di  ||  gefti. 

Das  buch,  von  dem  aus  dem  16.  jahrh.1,  nur  eine  aufläge  bekannt  ist,  hat  sich 
wie  es  scheint,  keiner  grossen  beliebtheit  erfreut.  Das  hinderte  aber  nicht,  dass  es 
von  ein  paar  späteren  schwankdichtern,  besonders  von  Johannes  Gast  und  unserem 
compilator  gewaltig  ausgebeutet  wurde.  Die  loci  ac  Sales  umfassen  233  nummern. 
Davon  entlehnte  Polychorius  die  nachstehenden:  1 — 5.  7  —  9.  12 — 14.  26.  29  —  30. 
32.  34  —  48.  50—53.  56-60.  63.  66.  71.  72.  74.  76  —  80.  82.  85.  86  —  92.  94  —  96. 
98  —  101.  106.  108.  110.  113.  132.  136—140.  142.  143.  148.  149  —  152.  155  —  159. 
161-165.  167—170.  179-180.  182.  183.  185.  187.  188.  190—194.  196  —  199. 
201—204.  207.  209  —  211.  219  —  222.  224.  225.  232.  233. 

Das  sind  zusammen  128  schwanke,  bei  deren  auswahl  Polychorius  sich  aber- 
mals von  rücksichten  der  züchtigkeit  leiten  liess.  So  hat  er  z.  b.  ausgeschlossen 
nr.  19  (anfaug:  In  coetum  puellarum  pudicitiae  parum  probatae  .  .).  24  (Capularis 
quidam  fenex  ducta  uxore  iuuencula  quae  in  Venerem  propenfa  .  .  .),  31  (Vxoris 
cuifdam  impudicae  maritus  deprehenfum) ,  61  (Obiurgaui  olim  amicum  cui  uxor  facie 
honefta  .  .),  144  (Sacerdos  quaedam  veftalis  .  .),  145  (Increpatus  quidam  ob  linguae 
effreniorem  licentiam  .  .),  154  (Adulterae  cuiufdam  uxoris  maritus  .  .  .),  174  (Adiniffus 
quidam  a  muliere  proftitui  .  .  .)  usw. 

Andere  stücke  liess  Polychorius  v?eg,  weil  sie  witzlos,  langweilig  oder  gelehrte 
mit  griechischen  citaten  gespickte  pedauterien  waren. 

"Wie  bei  Poggio,  so  respektierte  der  Sammler  auch  hier  den  text  seiner  vorläge, 
wenigstens  im  grossen  und  ganzen.  Textlich  geändert  hat  er  nur  die  35.  nummer  aus 
loci  ac  Sales  (De  Beguttis  bl.  60 a).  Ferner  hat  er  zwei  stücke  ausserordentlich  ge- 
kürzt: „De  quodam  rhetore  gloriofo"  (bl.  67b)  =  loci  ac  Sales  56,  wo  er  über  zwei 
Seiten  auf  15  zeilen,  und  „De  Diogene"  (bl.  99 b)  =  loci  ac  Sales  204,  wo  er  über 
zwei  Seiten  auf  vier  zeilen  kürzte.  Die  vielen  griechischen  citate  des  Luscinius, 
darunter  die  aus  den  epigrammatikern  hat  er  durchweg  beseitigt,  dagegen  die  latei- 
nischen Übersetzungen,  die  Luscinius  davon  gibt,  beibehalten.  Endlich  hat  er  die  in 
den  loci  ac  Sales  fehlenden  Überschriften  zu  den  einzelnen  schwanken  hinzugefügt, 
wobei  ihm  offenbar  Poggio  als  vorbild  vorschwebte. 

"Wenn  ich  den  einfluss  der  loci  ac  Sales  auf  unser  schwankbuch  erschöpfen 
soll,  so  habe  ich  noch  zwei  punkte  zu  erwähnen:  1.  Die  einteilung  der  schwanke  in 
„Centurias",  wie  sie  der  titel  unserer  Sylva  ankündigt  („in  Centurias  tres  digesta") 
ist  durch  die  gleiche  angäbe  der  loci  ac  Sales  („  in  Centurias  duas  digesti ")  veranlasst. 
2.  Die  oben  angeführte  anrede  Ad  Lectorem  auf  dem  titel  der  Sylva  ist  nur  eine 
prosaauflösung  des  gedichtchens  Ad  Lectorem  auf  dem  titel  der  loci  ac  Sales.  Man 
vergleiche : 

Luscinius.  Polychorius. 

Hinc  hinc  procul  moneo  faceffat  tetricus  Procul   eftote   Catones    tetrici,    triftecp 

Cato  mihi,  trifte  dr*  mpercilium  fophwn  fruftra  tumentium  supercilium ,  quibus  non 

Non  iurgys  fori,  aut  curis  edacibus  uenio,  nifi  iocos  &  fales  uelint.     Hilarem 

Hie  conuenit  über,    fales  meros  habens,         expeto  lectorem,  aut  certe  mox  facio. 
Iocos,  lepores,  6^  veneres,  facetias. 
Hilarem  expetit  lectorem,  aut  certe  mox  facit. 

1)  Am  anfange  des  17.  Jahrhunderts  ist  es,  wie  schon  Lier  gezeigt  hat,  min- 
destens noch  dreimal  (1602,  1603,  1608)  mit  Michael  Scotus'  Mensa  philosophioa  in 
stark  gekürzter  form  zusammen  wider  gedruckt  worden. 


84  STIkFRL 

Ob  die  vielen  anleiben,  die  Luscinius  für  seine   bei  ae  tiales  boi  den  alten 
machte,  Polychorius  auf  den  gedenken  gebracht  haben,  zur  Vervollständigung  seiner 
Sammlung  den  Valerius  Alaximus  heranzuziehen,  will  iofa   dahingestellt  sein  \.-. 
Mut  darin  ähnelt  er  wider  dem  Vorgänger,  daas  ei   Beine  I  an  29 

aummern  überschritt,  gerade  wie  Lusoinitu  seine  „duaa  oenturiae"  um  ?,.!,. 

Bezüglich  der  dritten  quelle,  Valerius  Maximus,  kann  ich  mich  kurz  fassen. 
Porychoriufl  entnahm  dein  zweiten  und  dritten  capitel  des  VII.  buches  der  iJirta  et 
facta  36  nummern,  wobei  er,  die  reihenfolge  des  Römers  beibehaltend,  bis  Dicta  et 
facta VII,  3,  externa  3  kam.  Textliche  änderungen  nahm  er  auch  hier  nicht  vor. 
nur  liess  er  ein  paar  unbedeutende  sätzchen  weg. 

Die  arbeit  des  Polychorius  bei  der  Zusammenstellung  des  bfichlems  war  also. 
wie  man  sieht,  keine  sehr  anstrengende.  Er  wählte  aus  den  drei  quellen  das  ihm 
geeignet  erscheinende  aus  und  brachte  es  zum  drucke.  Erlebtes  oder  gehörtes  nach- 
zuerzählen, wie  Luscinius  oder  der  von  ihm  nicht  benutzte  II.  Bebel  es  tat.  oder 
auch  nur  ferner  liegende  quellen  heranzuziehen,  kam  ihm  nicht  in  den  sinn. 

Wir  brauchen  uns  deshalb  nicht  weiter  mit  dem  inhalt  der  schwanke  zu  be- 
schäftigen. Valerius  Maximus  und  die  Facetia  des  Poggio  sind  bekannt  genug  und 
soweit  stücke  aus  den  loci  ac  Sales  in  betraoht  kommen,  genügt  es,  auf  die  oben 
citierte  arbeit  von  Lier  zu  verweisen,  wo  quellen  und  arbeitsweise  des  Strassburger 
humanisten  gewürdigt  sind. 

Man  gestatte  mir  nur  noch  ein  paar  kurze  bemerkungen.  Zwei  der  quellen 
des  compilators  waren,  wie  wir  oben  sahen,  auch  in  der  form  von  einfluss  auf 
Polychorius.  Es  fragt  sich  nun,  hat  letzterer  daneben  noch  andere  Vorbilder  gehabt? 
Im  jähre  1541  —  also  ein  jähr  vorher  —  waren  die  Sermones  convivales  des  Johannes 
Gast  unter  dem  namen  Ioannes  Peregrinus  Petroselanus  zu  Basel  ans  licht  ge- 
treten1. Kannte  Polychorius  diese  Sammlung,  die  eine  gewisse  ähnlichkeit  mit  der 
seinigen  hat?  Regte  sie  ihn  vielleicht  zu  seiner  compiiation  an?  Diese  fragen  lassen 
sich  nicht  entschieden  bejahen,  aber  ebensowenig  sicher  zurückweisen.  Man  sollte 
meinen,  dass  Polychorius  etwas  von  Gasts  Sammlung  wusste.  Auch  Gast  hat  Poggio 
und  Luscinius,  aber  freilich  daneben  auch  Erasmus,  Barlandus,  Keyserspergius.  Sabel- 
licus,  Bebel.  Petrarcha  usw.  benutzt.  Auch  Gast  bezeichnet  sein  buch  „salibus  non 
impudicis  neque  lafciuis  .  .  refertus".  Diese  Versicherung  Gasts  indes  wird  durch  den 
inhalt  des  buches  lügen  gestraft.  Gast  hat  eine  erhebliche  anzahl  recht  bedenklicher 
geschichten  aus  Poggio  und  Luscinius  herübergenommen,  die  Polychorius  von  seiner 
Sammlung  ausschloss;  er  bat  Bebel  und  der  Margarita  facetiarum  vieles  entlehnt,  was 
besser  weggeblieben  wäre.  Und  so  gewinnt  man  fast  den  eindruck,  als  ob  Polychorius 
seine  Sammlung  in  der  absieht  unternommen  habe,  um  den  angeblich  „non  impudicis 
neque  lafciuis  salibus"  des  Gast  eine  wirklich  „pudica  facetiarum  sylva"  entgegen- 
zustellen. Ob  daneben  auch  der  gedanke  mitsprach,  den  Sermones  conrivales  con- 
currenz  zu  machen,  ist  schwer  zu  sagen. 

"Wie  dem  auch  sei,  das  hauptverdienst  des  buches  beruht  auf  seiner  moralischen 
tendenz.  Seit  den  tagen  des  zügellosen  florentinischen  humanisten  hatten  sowol  seine, 
wie  andere  lateinische  schwanksammlungen  circuliert  und  nicht  zum  mindesten  den 
widerlichsten  zoten  ihren  erfolg  verdankt.  Um  nur  von  Deutschen  zu  reden ,  so  waren 
Seb.  Brant  Adelphus   Bebel    und  Luscinius    in    die    fusstapfen  Poggios    getreten  und 

1)  Basileae  apud  Bartholomeum  "Westhemervm.    Vgl.  Germania  37,  223. 


SCHWANKLITTEKATÜK    DES    16.  JHS.  85 

selbst  der  protestaut  Gast  hatte  sich  nicht  von  zoten  freigehalten.  Da  war  es  an- 
zuerkennen, dass  ein  mann  sich  gegen  den  ström  stemmte  und  eine  von  anstössig- 
keiten  gesäuberte  facetiensammlung  zur  Unterhaltung  gelehrter  kreise  schrieb,  an  der 
selbst  „tenerae  aures"  reine  freude  finden  mochten  und  die  unbedenklich  der  Jugend 
in  die  hand  gegeben  werden  konnte.  Es  ändert  nichts  an  seinem  Verdienste,  dass 
er  nicht  schule  machte,  dass  spätere  Sammler  wie  Hulsbusch  und  Frischlin  und  die 
deutschen  schwankdichter  um  die  mitte  des  16.  Jahrhunderts,  wie  H.  Sachs,  Wickram. 
Lindener,  Schumann,  Frey,  Montanus  und  Kirchhof  sein  beispiel  nicht  befolgten. 

Übrigens  wird  der  litterarhistoriker  die  Sylva  faeetiarum ,  wenn  sie  auch  keine 
neuen  schwanke  aufweist,  doch  als  stoffquelle  für  spätere  dichter  im  äuge  behalten. 
Gar  mancher  schwank  des  Luscinius  mag,  als  die  loci  ae  sales  vergessen  waren, 
durch  sie  noch  Verbreitung  gefunden  haben. 

Ob  das  buch  wol  noch  eine  zweite  aufläge  erfuhr?  Ich  habe  nichts  hierüber 
ermitteln  können.  Keinesfalls  wird  es  sich  einer  grossen  beliebtheit  erfreut  haben. 
Neben  Bebel  und  Gast,  die  dem  Zeitgeschmack  besser  entsprachen  und  immer  aufs 
neue  gedruckt  wurden,  konnte  es  sich  nicht  behaupten. 

Wer  war  aber  der  Sammler  Polychorius?  B.  "Wenzel*  hat  in  einer  fleissigen, 
wenn  auch  noch  vielfach  der  berichtigung  und  ergänzung  bedürftigen  dissertation  über 
ihn  und  den  Verleger  Cammerlander  gehandelt  und  gezeigt,  dass  der  Verfasser  oder 
herausgeber  verschiedener  im  Cammerlander'schen  verlag  erschienenen  schrifteu  sich 
bald  Vielfeldt,  bald  Polychorius  oder  Multager  oder  Multicampanus  nennt.  Mit  recht 
hat  er  vermutet,  dass  alle  diese  namen  auf  einen  mann  deuten.  Er  meinte  nun. 
dass  dieser  eigentlich  Vielfeldt  hiess  und  corrector  der  Cammerlander'schen  offizin  war. 
Einen  beweis  für  diese  behauptuug  hat  Wenzel  nicht  erbracht.  Mir  hat  sich  längst 
der  gedanke  aufgedrängt,  dass  Polychorius,  Multicampanus,  Multager  und  —  Vielfeldt 
nur  andere  namen  für  Cammerlander  selber  sind.  Was  Wenzel  au  biographischen 
notizen  für  beide  personen  zusammengetragen  hat,  ist  nahezu  identisch:  beide  sind 
aus  Mainz,  heisscn  Jakob,  mussten  aus  der  Vaterstadt  fliehen,  lebten  entzweit  mit 
ihrer  familie,  hatten  eine  zeit  lang  ein  hand  werk  betrieben,  waren  in  Rom  gewesen, 
gehörten  dem  gleichen  mit  den  widertäufern  liebäugelnden  bekenntnis  an.  beide  er- 
schienen lind  verschwanden  vollkommen  gleichzeitig.  Cammerlander  war  magister; 
er  besass  also  wie  die  meisten  damaligen  buchliändler  gelehrte  bildung.  Die  tätigkeit 
der  Polychorius,  Multicampanus,  Multager  und  Vielfeldt  war  im  grossen  und  ganzen 
doch  nur  eine  solche,  wie  sie  gar  mancher  buchhändler  des  16.  Jahrhunderts  so  z.  b. 
Egenolff,  recht  wol  zu  leisten  im  stände  war:  Übersetzungen  und  compilationen.  Es 
steht  daher  nichts  im  wege  die  beiden  rätselhaften  persönlichkeiten  als  eine  anzusehen. 
Das  würde  auch  erklären ,  warum  auf  den  büchern  für  eine  und  dieselbe  person  so 
verschiedenartige  namen  erscheinen.  Der  drucker  wollte  —  wenigstens  für  nicht- 
eingeweihte  —  nicht  als  der  Verfasser  so  verschiedenartiger  werke  angesehen  werden 
und  vielmehr  als  Verleger  einer  anzahl  von  autoren  gelten.  Der  corrector  hätte 
doch  wol  sich  mit  oinem  humanistenuamen  begnügt. 

Ich  spreche  in  vorstehendem  natürlich  nur  eine  Vermutung  aus.  die  noch  der 
näheren  Untersuchung  bedarf,  um  l>"stätigt  oder  widerlegt  zu  werden.  Ich  weiss 
recht  gut,  dass  auch  manches  dagegen  spricht.  Vor  allem  wären  arohivalisohe  nach- 
forschungen  in  Mainz  und  Strassburg,  sowie  eine  erschöpfende  Zusammenstellung  der 

1)  Cammerlander  uud  Vielfeld,  Ein  beitrag  zur  litteraturgeschichte  des  sech- 
zehnten Jahrhunderts  (Rost,  dissertation)  Berlin  1891. 


8ß  BOBIPFHANM 

im  Cammerlander'schen  verla  bücher  nötig.    Wenzel  hat  in  dieser  bin- 

Bioht  noch  viel  zu  wünschen  übrig  gelassen.  Vielleicht  v  iranlai  ■'  m  diese  zeileu  einen 
jungen  forscher,  <Jie  frage  einer  gründlichen  prfifang  zu  untei ziehen,  wozu  mir  leider 
zeit  und  gelegenheit  fehlt. 

MÜNCHKN.  A.   I..    STUF]  !■■ 


Zar  kenntnis  der  nltd.  litterntur. 
A.    Kin  lied  aus  den  Carmina  Barana. 

Das  lied,  welches  J.  Huemer  im  Cod.  Co  III,  9  der  BibL  pttbL  in  Linz  fand 
und  in  seinem  'Iter  austriacum'  (Wiener  Studien  IX  1887)  -Abschied  aus  der  heimat' 
nannte,  ist  die  n.  82  von  Schmellers  Carm.  Bor. 

Der  codex,  in  dem  es  eingetragen  ist,  war  früher  eigentom  dea  llr,T 
gründeten,  1787  aufgehobenen  Benedietinerstiftes  Garsten  in  Oberösterreich  und  ent- 
hält von  einer  hand  des  12.  Jahrhunderts  geschrieben  eine  mythologie  (Miber  fabularum'), 
einen  traetat  'de  figuris  psalterii',  erörterungen  'de  posituris  et  distinetionibus,  de 
barbarismis,  de  solecismo'  etc.,  einen  'Remigius  super  Douatum'  u.  a.,  woraus  er- 
hellt, dass  die  hs.  schulzwecken  gedient  hat. 

Auf  der  zweiten  seite  des  letzten  blattes,  von  dem  etwas  weniger  als  die  untere 
hälfte  weggeschnitten  ist,  steht  das  erwähnte  lateinische  gedieht  von  einer  hand  des 
13.  Jahrhunderts  eingetragen. 

Die  Garstener  version  weicht  von  der  bei  Schmeller  abgedruckten  Benedict- 
beurener  und  von  der  Stuttgarter  (ed.  G.  Dreves  in  der  Zs.  f.  d.  a.  39  [1895],  363  aus 
einer  hs.  '1  Asc.  95'  der  kgl.  handbibl.  in  Stuttgart,  s.  XIII)  fassung  nicht  unerheb- 
lich ab.  0.  Hubatsch  in  seiner  schrift  über  die  lat.  vagantenlieder  des  mittelalters 
(Görlitz  1870)  und  W.  Wattenbach,  Die  anfange  lat.  profaner  rhythmen  des  mittelalters 
(Zs.  f.  d.  a.  15  [1872])  haben  darauf  hingewiesen ,  dass  die  an  verschiedenen  orten  ge- 
machten aufzeichnungen  infolge  nur  mündlicher  Überlieferung  in  so  erstaunlicher  weise 
auseinan  dergehen . 

Die  letzte  stropbe  des  Benedictbeurener  textes  fehlt  in  der  Garstener  hs.  Der  räum 
hätte  zur  eintragung  noch  gereicht,  wurde  aber  durch  andere  lat.  verse  ausgefüllt,  die 
ich  hiehersetze:  Benedicamus  flori  orto 

De  styrpe  dauid  die  hodierno, 
Quem  produxit  virga  virgo  Domino. 
0  Maria  pia  virgo, 
Que  portasti  alfa  et  w, 
Voce  clara  cum  iubilo 
Benedicamus  Domino. 

Beachtenswert  ist  ferner,  dass  etwas  über  der  ersten  zeile  des  gedichtes  am 
rande  des  blattes  die  zwei  worte  'Dulce  lignum'  mit  neumen  stehen.  Es  dürfte  darin 
die  angäbe  der  melodie  zu  suchen  sein,  nach  welcher  das  lied  zu  singen  war.  Da 
bekanntlich  sehr  viele  profane  rhythmen  des  mittelalters  parodien  der  kirchlichen  sind 
und  ihre  ausdrucksweise  überall  durchklingt,  so  deuten  die  worte  'Dulce  lignum'  wol 
auf  einen  kreuzeshymnus  ( Venantius  Fort.  ?) ,  dessen  rhythmus  und  melodie  der  profanen 
nachbildung  untergelegt  wurde,  der  uns  aber  leider  nicht  erhalten  ist. 

Stimmt  diese  Vermutung,  dann  dürfte  wol  auch  Burdachs  meinung  (Reinmar 
der  alte  und  Walther  von  der  Vogelweide,  Leipzig  1880),  dass  zwischen  der  musik 
der  weltlichen  lieder  und  der  geistlichen  kunstmusik  ein  scharfer  gegensatz  bestanden 


ZUR   KENNTNIS   DER   ALTD.    LITTERATUR  87 

habe,  eine  ansieht,  die  Willmanns,  Zs.  f.d.  a.  25,  nicht  teilt,  eine  kleine  einschränkuug 
erfahren. 

Da  nach  einer  freundlichen  mitteilung  des  herrn  dr.  F.  Boll  in  München  das 
lied  auch  in  der  Benedictbeurener  hs.  mit  neumen  versehen  ist,  wäre  es  von  interesse, 
durch  eine  vergleichung  festzustellen,  ob  mit  dem  texte  eines  solchen  vagantenliedes 
auch  die  melodie  wanderte. 

Was  nicht  die  Überschrift  'versus'  trägt,  d.  i.  in  hexametern,  distichen  oder 
leoninen  abgefasst  ist,  ist  in  den  Carm.  Bur.  in  fortlaufenden  zeilen  geschrieben  und 
so  ist  auch  das  Med  im  Garstener  cod.  nicht  nach  versen  und  Strophen  abgesetzt. 

Wie  die  in  der  hs.  vorkommenden  missverständnisse  schliessen  lassen,  wurde 
das  lied  aus  dem  gedächtnisse  niedergeschrieben. 

Ich  gebe  den  text  wörtlich  und  in  den  noten  die  abweichungen  der  zwei 
anderen  fassungen. 

1.  Dulce  solum  3.  Quod3  sunt  flores1 
natalis  patrie,  in  yblis5  vallibus 
domus  ioci,  etö  quod3  todna 
thalamus  gracie,                                           uestitur  frondibus7 
uos  relinquain                                                et  quod  mauant8 
aut  cras  aut  hodie                                       pisces  equoribus, 
periturus                                                       tot  habundat 
amoris  rabie.                                                amor  doloribus. 

2.  Vale  tellus.  4.  Igne  nouo 
ualete  socii,  Ueneris  saucia 
quos  benigno                                                  mensque9  privs"' 
fauore1  colui,                                               non  nouit  talia, 
et  me  uestri                                                 ut  testantur11 
consortem  stuclii  uera  prouerbia: 
deplangite 2,                                                  vbi  amor 

qui  uobis  perii.  ibi  miseria. 

B.    Eine  mhd.  strophe. 
In  dem  Codex   membr.  100  (s.  XII)  der  Lambacher  stiftsbibliothek  findet  sich 
f.  45*  folgende  mhd.  strophe  von  einer  band  des  14.  Jahrhunderts: 
Ich  waiz  ein  vrowen,  der  dient  ich  gern 
vnd  wolt  si  mich  wesunder  leren, 
wie  ich  e  scult  ier  muet  geuagen12. 
daz  wolt  ich  mit  ir  taugen  tragen, 
si  ist  aller  tugent  vol. 
daz  sprich  ich  von  der  warhait  wol. 
ir  diener  ich  immer  wesen  scol. 

1 )  B  amorc.         2)  B  et  me  dulcis  expertem  studii     S  et  vos  dulces  cniisortes 
studii  nie  plangite.    Vgl.  die  parallelstelle  in  Zs.  E.  d.  a.  5  (1845),  s.  29t5: 
0  consorti's  studii.  deprecor  valete. 
quos  benigne  colui,  lilii  dolete. 
3)  B  und  S  quot.       4)  S  apes.       5)  B  Hyble    S  Idae.       6)  fehlt  in  P.S.       7)  1!  quot 
redundat  Dodona  frondibus.     S  quot  vestitur  Dodoua  frondibus.        8)  S  nataut     B  ei 
quot  pisces  natant  equoribus.        9)  BS  mens  quo.        10)  B  pia.         1 1 1  B  ut  Fatentur 
S  nunc  fatetur. 

12)  geuagen  unsicher  [—  gemuotvagen  F.  K.J. 


88  BcmrrauNN,  zun  eshntnis  dxb  alto.  lrtbbatob 

Diese  Strophe  i  I  an  anderer  Btelle  dei  bs.  ohleoht  widerholt.  Dieselbe  hand 
sohrieh  auf  f.  33b:  Semper  ego  Bernire  aolo  t i  1  > i  rirgo  maria. 

Diese  worte  klären  uns  über  den  obarakter  der  ml  auf.     Ks  sind 

verse  auf  Maria  und  wie  anderweitige  notizen  in  der  bs.  zeigen,  Bioherlieb  in  Lambaob 
geschrieben  wurden. 

C.    Zum   Baamgartenbergei  Johannes   Baptista. 

K.    kraus    meint    {Deutsche   gediohte    de      L2.  jaluli..    Hallo    1894,    B.    105), 
Banmgartenberger  gedieht  auf  den  hl.  Jobannes  Bapt .   dessen  anfangs  verse  bekannt- 
lioh  in  die  Kaiserchronik  eingang  gefunden  haben,  sei  m  Baomgartenberg  selbst  oder 
in  einem  benachbarten  kloster  entstanden. 

Dass  Diemor  Garstun  als  ort  der  abfassung  ansehe,  kann  ich  nicht  mit  Kraus  aus 
des  ersteren  bemerkung  zu  Ezzo  17,  9fg.  herauslesen.  Es  wird  sieh  vielmehr  üiemers 
notiz  auf  die  herkunft  der  hs.  beziehen  und,  soweit  ich  sehe,  auf  einer  unrichtigen 
angäbe  beruhen,  derzufolge  Dicmer  die  hs.  gleich  anderen  Codices  der  Bibl.  publ.  in 
Linz  für  ehemaliges  Garstenor  eigentum  hielt.    Aber  auch  daran  ist  nicht  zu  denken. 

Da  es  natürlich  nicht  gleichgültig  sein  kann,  wo  der  Johannes  abgefasst  wurde, 
möchte  ich  in  den  folgenden  zeilen  eine  andere  auffassung  vorbringen. 

Ich  will  bei  dieser  gelegenheit  betonen,  dass  bei  bestimmung  und  einreihung 
altdeutscher  denkmäler  aus  klöstern  selten  gründlich  vorgegangen  wird,  wie  das  viel- 
fach unrichtige  benennungen  erkennen  lassen.  Für  klösterliche  handschriften  käme 
in  sehr  vielen  fällen  fremde  herkunft  in  betracht. 

Schon  Scherer  (Gesch.  d.  deutschen  dichtung  im  11.  und  12.  jahrh.  QF.  XII 
[1875],  s.  69)  hat  darauf  hingewiesen,  dass  die  Verehrung  des  täufers  Johannes  in 
den  auf  ihn  verfassten  gedienten  dieses  Zeitraums  in  merkwürdiger  weise  hervortrete. 

Johannes  der  tauf  er,  welcher  bei  seiner  geburt  die  von  banden  der  stummheit 
gefesselte  zunge  seines  vaters  löste,  so  dass  dieser  den  herrlichen  lobgesang,  der  als 
Benedictes  bekannt  ist,  anstimmen  konnte,  galt  im  mittelalter  als  patron  der  sänger 
und  sängerschulen.  Darum  waren  ihm  auch  die  cantoies  besonders  hörig,  seine  diener 
(J.  Kaysei',  Beiträge  zur  gesch.  und  erklärung  der  alten  kirchenhymnen  II,  Paderborn 
1886,  s.  277). 

Vielleicht  haben  wir  au  eine  solche  beziehung  zu  denken,  wenn  sich  im  Maria 
Saaler  Joh.  Bapt.  am  Schlüsse  der 'priester  Adelbreht'  als  Verfasser  des  gedichtes  eiueu 
'scalch  unde  chneht  des  heiligen  mannes,  saneti  Johannes'  nennt  und  in  ähnlicher 
weise  Heinrich,  der  Verfasser  der  litauei. 

Bemerkt  ruuss  werden,  dass  gerade  in  den  Urkunden  von  Cistercienserklöstern 
uns  weit  öfter  als  der  scholasticus  der  cantor  begegnet. 

Die  ersten  mönche  von  Baumgartenberg  (il41  gegr.),  zwölf  an  der  zahl,  mit  dem 
abte  Friedrich  an  der  spitze,  kamen  aus  dem  Cistercienserkloster  Heiligenkreuz  bei  Wien. 

Bei  diesem  umstände  darf  man  in  beziehung  auf  die  herkunft  des  codex  sowol. 
wie  des  gedichtes  auf  das  kloster  Heiligenkreuz  hinweisen,  welches  die  nach  Baum- 
gartenberg ausziehenden  brüder  doch  wol  auch  mit  büchern  versehen  haben  wird. 

Aus  einem  ausgabenverzeichnisse  des  klosters  (veröffentlicht  von  mir  in  Studien 
und  mitteilungen  aus  dem  Benedictiner-  und  Cistercienserorden  XX,  1899),  das  in 
der  zweiten  hälfte  des  12.  Jahrhunderts,  also  in  den  ersten  zeiten  des  Stiftsbestandes 
niedergeschrieben  wurde,  geht  hervor,  dass  man  in  Baumgartenberg  bald  schon  den 
bücherbestand  durch  ankaufe  zu  mehren  suchte.  Möglich  also,  dass  auch  die  Pan- 
normia  des  Ivo  von  Chartres  mit  unserem  gedichte  durch  kauf  oder  tausch  erworben 


H0LTHATJSEN,   ZU  DE  HEINRICO  89 

wurde,  möglich  aber  auch,  dass  sie  zum  ersten,  vom  mutterkloster  gelieferteu 
inventar  gehörte. 

Jedesfalls  war  der  codex  mit  dem  gedichte  schon  in  den  ersten  zeiten  des 
stiftsbestandes  eigentum  des  klosters  Baumgartenberg.  In  einem  bibliotheks-kataloge 
dieses  stiftes  (ed.  Stein meyer- Sie vers,  Ahd.  GH.  IV,  1898),  der  sich  im  Cod.  Cc  VII,  7 
der  Bibl.  publ.  in  Linz  eingetragen  findet  und  von  Th.  Gottlieb,  Über  ma.  bibliotheken 
(Leipzig  1890)  in  das  13.  Jahrhundert  gesetzt,  aber  noch  dem  ende  des  12.  Jahrhunderts 
angehören  wird,  sind  nämlich  u.  a.  auch  'Decreta  Ivonis  in  uno  volumine'  verzeichnet, 
worunter  zweifellos  die  Pannormia  Ivos  von  Chartres  zu  verstehen  ist,  in  welcher 
der  Job.  Bapt.  steht. 

Ob  nun  das  gedieht  in  Baumgartenberg  erst  eingetragen  wurde,  oder  dort,  wo 
die  hs.  früher  war,  entzieht  sich  unserer  kenntnis.  Jedenfalls  wurde  es  nicht  von 
einem  'recht  ungebildeten  landgeistlichen',  wie  Kraus  will,  sondern  von  einem  mönche 
eines  klosters  des  'grawen  ordens'  niedergeschrieben. 

URFAHR.  DR.    KONRAD    SCHIFFMANN. 


Zum  ahd.  Heinrichsliede1. 

V.  7 fg.  sind  überliefert: 

hie  adest  Heinrich,  bri(ngt)  her  hera  kuniglich; 
diynum  tibi  fore,  thir  selvemo  xe  sine. 

Ich  schlage  vor,  kuniglich  in  kuniling  (=  kunniling)  'verwandter'  zu  bessern 
und  mit  Priebsch2  fore  in  foret;  wenn  wir  daun  thir  als  unbetonte  nebenform  von 
thar  auffassen  (vgl.  thar  v.  20,  thir  v.  21),  hera  als  adverb  'her'  ansehen  und  mit 
Schade3  sine  =  sinne  nehmen,  so  erhalten  wir  einen  vorzüglichen  sinn:  'hier  ist 
Heinrich,  orbringt  einen  verwandten  her;  es  würde  dir  geziemen,  selbst  da  zu  sein', 
nämlich  wo  Heinrich  und  dessen  verwandter  sind.  Jetzt  wird  auch  die  anrede  ambo 
vos  aequivoci*  v.  13  verständlich,  mit  der  kaiser  Otto  die  beiden  besucher  anredet. 
Auf  die  schwierige  frage,  welcher  Otto  und  welcher  Heinrich  gemeint  sind,  will  ich 
hier  nicht  näher  eingehen,  sondern  nur  noch  einige  eigentümlichkeiten  dieser  stelle 
besprechen.     [Vgl.  noch  Breul,  The  Alod.  Quart,  of  Lang.  &  Lit.  I,  42  fg.] 

Wer  an  dem  artikellosen  kuniling  anstoss  nimmt,  kann  in  hera  einen  Schreib- 
fehler für  heran  sehen5,  da  bei  einem  zugefügten  adjeetiv  das  fehlen  des  artikels 
weniger  anstössig  sein  würde;  das  müsste  dann  heissen:  'er  bringt  einen  vornehmen 
verwandten'.  Die  verschreibung  fore  für  foret  erklärt  Priebsch  sehr  einleuchtend 
durch  auslassung  des  t  vor  dem  gleichen  anlaut  des  folgenden  thir;  dass  dies  nicht 
wol  =  nhd.  'dir'  sein  kann,  ist  schon  in  den  anmerkungeu  s.  100  von  MSD3  mit  hin- 
weis  auf  mi  'mir'  v.  13  fg.  und  g%  'ihr'  v.  14  begründet  worden.  Selvemo  endlich 
erklärt  sich  durch  syntactisebe  attraction  an  tibi,  vgl.  aisl.  kann  baud  pc im,  at  fara 
fyrstum  und  Delbrück,  Vergl.  syntax  III,  19. 

1)  Vgl.  die  litteraturangaben  im  Jahresbericht  XX ,  s.  73 fg.  und  XXI.  s.  66. 

2)  Deutsche  handschr.  in  England  I,  26.  Ich  war  unabhängig  von  ihm  auf 
denselben  gedanken  gekommen. 

3)  Decas  s.  7.  Der  dativ  des  ger.  xe  sinne  —  xe  wesenne  erscheint  nach  Braune, 
Ahd.  gr.-,  §  378,  anm.  1  schon  bei  Notkor. 

4)  Vgl.  darüber  Koegel,  Gesch.  d.  d.  litt.  I,  2,  360. 

5)  Schade  (Decas)  liest  bruother  Mra  'f rater  regius'. 

KIEL.  F.   HOLTHAUSEN. 


DO  KAI'Kl.MANN,     Zu    QORflSB    SMPBXOHBH 

Zu  Goethei  geaprlehen« 

„Mrs.  LADglofa  Parker  kindly  Bent  me  an  easaj  of  Mr.  Manning'fi  Erom  The 
Journal  of  tbe  Royal  Society  of  New  South  Wales  eol.  XVI  p,  159,  1883.  .Mr.  Manning 
was  an  early  settler  in  the  north  border  of  the  Bouthern  oolony.  Aboat  1832  he 
was  in  Europe,  and  mel  Goethe,  whose  nndiminisbed  curiosity,  bebeing  then  about 
eighty-five,  indnced  bim  to  bid  Mr.  Manning  ezamii  alian  bei 

Be  did,  but  lost  bis  notes,  made  in  1MJ      1848.     In  the»  wbich  he  later 

reoovered,    Mr.   Manning   used   Christian    terminology,    instead   of    making  a   verbatim 
report".  ...  A.  Lang,  Magic  aud  Religion  (London   1901)  p.  35. 

KIEL.  FR.   KAUFFMA.NN. 


LITTERATUE. 

Der  deutsche  volksaberglaube  der  gegenwart  von  dr.  Adolf  Wuttke,  prof. 
der  theol.  in  Halle.  Dritte  bearbeitung  von  Elard  Hugo  Meyer.  Berlin, 
Wiegandt  und  Grieben  1900.     XVI,  535  s.     12  m. 

Zum  erstenmal  ist  das  vielbenutzte  werk  anno  1860  erschienen.  Eine  zweite 
völlig  neue  bearbeitung  kam  1869  heraus  mit  der  "tendenz.  eine  umfassende  wissen- 
schaftliche darstellung  des  gegenständes  zu  geben.  E.  H.  Meyer  hat  nach  seinen 
eigenen  worten  das  buch  "Wuttkes  fast  unangetastet  gelassen,  schonend  einzelne  fehler 
beseitigt,  ihm  bedenklich  erscheinendes  getilgt  oder  mit  einem  f ragezeichen  versehen, 
die  auf  die  geschichte  des  hexenwesens  sich  beziehenden  paragraphen  wesentlich  um- 
gestaltet und  aus  der  bisher  minder  berücksichtigten  Überlieferung  des  deutschen  Süd- 
westens mancherlei  neue  angaben  eingefügt  (mit  zahlreichen  verweisen  auf  seine 
neueren  Publikationen:  Deutsche  Volkskunde  1898.  Badisches  Volksleben  1900).  Das 
litteraturverzeichnis  (s.  XIV  —  XVI)  ist  ergänzt  und  nimmt  sich  in  seiner  jetzigen  Zu- 
sammenstellung sehr  buntscheckig  aus.  denn  es  enthält  sehr  ungleichwertige  dinge 
und  berücksichtigt  die  seit  1869  erschienene  litteratur  viel  zu  wenig.  Zum  mindesten 
wäre  ein  hinweis  auf  weitere  bibliographische  hilfsmittel  erforderlich  gewesen,  um 
•'eden  benutzer  in  den  stand  zu  setzen,  Verbesserungen  (Zingerles  sitten,  brauche  usw. 
sind  in  der  ersten  ausgäbe  von  1857  citiert)  und  ergänzungen  vorzunehmen  (wir  ver- 
missen namentlich  eine  liste  der  Zeitschriften  und  periodischen  publikationen  der 
einzelnen  landschaftlichen  vereine).  So  entsprechen  auch  die  dem  text  am  fuss  der 
Seiten  beigegebenen  litterarischen  nachweise  durchaus  nicht  den  ansprächen  d.  h.  ge- 
statten dem  weniger  orientierten  benutzer  sehr  häufig  nicht,  sich  über  den  heutigen 
stand  der  forschung  zu  vergewissern. 

Über  den  wissenschaftlichen  charakter  des  buches  zu  handeln,  sofern  wir 
darunter  historisch -kritisch  begründete  forschungsergebnisse  verstehen,  sind  wir  über- 
hoben ,  da  E.  H.  Meyer  selbst  die  Verantwortung  ablehnt.  Das  buch  hat  seinen  wert 
nur  als  „reichste  Schatzkammer  des  deutschen  volksaberglaubens"  und  wird  deswegen 
so  lange  eine  andere,  wirklich  erschöpfende  und  streng  systematische  Übersicht  nicht 
von  anderer  Seite  geliefert  wird,  unentbehrlich  bleiben.  Nur  mahnen  die  sehr  ernsten 
mängel  auch  der  neuen  bearbeitung  gegenüber  in  allen  stücken  vorsieht  walten  zu 
lassen.  Denn  wol  hat  E.  H.  Meyer  da  und  dort  (?)  angebracht,  aber  man  sieht 
durchaus  nicht  ein,  was  den  so  gekennzeichneten  'stellen  ihr  besonders  fragwürdiges 
gepräge  gibt,  wenn  an  anderem  ort  der  blühende  unsinn  ungefährdet  steht. 


KAUFFMANN    ÜBER    WUTTKE,    DER    DEUTSCHE    VOLKSABERGLAUBE    DER    GEGENWART  91 

Es  ist  für  den  Historiker  seit  den  entdeckuugeu  J.  Grimms  kaum  etwas  so 
reizvoll  und  zugleich  so  wertvoll,  als  sich  in  diese  weit  des  Volksaberglaubens  zu  ver- 
senken. Längst  vergangene  kulturepochen  unserer  Vergangenheit  treten  hier  vor  dem 
erstaunten  blick  lebendig  zu  tage.  Es  ergeht  uns  dabei  wie  mit  den  volksmundarten: 
untergegangene  zustände  sind  in  ihnen  lebendig  erhalten.  Es  ist  im  wesentlichen 
mittelhochdeutsche  oder  mittelniederdeutsche  spräche,  was  die  dialekte  weiterführen: 
in  buchstäblichem  sinne  repräsentieren  die  mundarten  unsere  deutsche  aftersprache 
d.h.  nachgebliebene,  dem  modernen  sprachbewusstsein  verspätet  und  überholt  dünkende 
daher  der  Verachtung  anheimgefallene  Sprechweise. 

Genau  dasselbe  besagt  auf  dem  gebiet  des  glaubens,  der  brauche  nnd  der 
sitte  „afterglaube"  bezw.,  was  uns  jetzt  allein  geläufig,  „aberglaube".  Es  muss 
vielfachen  missverständnissen  in  auffassung  und  deutung  dieses  wortes  gegenüber  ein- 
geschärft werden,  dass  das  wort  „aberglaube"  nur  im  etymologischen  Zusammenhang 
richtig  verstanden  wird.  Und  danach  bedeutet  es  nichts  anderes  denn  „nachkommender, 
nachgebliebener  glaube"  (vgl.  got.  afar,  afardags,  as.  afaro,  ags.  eafora  „nach- 
komme"); die  nebenform  afterglaube  (mit  got.  afardags  vgl.  bair.  aftermontag)  ent- 
spricht genau  den  älteren,  jetzt  gleichfalls  ausser  kurs  gesetzten  bildungen  afterivinter 
(nachwinter),  afterivelt  und  afterxeit  (nachweit),  afterbürde  (nachgeburt).  Die  sub- 
jective  Wertbestimmung  des  wortes  als  „wahnglaube"  liegt  ursprünglich  nicht  darin. 
Die  entwicklung  zu  diesem  „bösen"  sinn  ist  hier  wie  dort  jüngeren  datums:  „in  dem 
uamen,  den  der  moderne  mensch  den  dingen  gibt,  heftet  er  ihnen  das  urteil  an,  das 
er  über  sie  hat"  (Beitr.  24,  464).  So  deckt  sich  also  aberglaube  mit  lat.  superstitio 
(zu  superstes)  oder  mit  dem  sinn,  in  dem  wir  seit  Tylor  und  Lang  engl,  survival  zu 
gebrauchen  gewohnt  sind.  Die  in  unserem  buche  s.  2  gegebenen  ausführungen  über 
die  Wortbedeutung  sind  hinfällig. 

Das  wesen  des  aberglaubens  ist  s.  6  zutreffend  erfasst:  „eine  ansieht,  welche 
aus  einer  früheren,  geschichtlich  bereits  überwundenen,  niedrigeren  stufe  religiöser 
Weltanschauung  zurückgeblieben  ist."  "Wenn  "Wuttke  -  Meyer  aber  fortfahren:  „aber- 
glaube ist  alles  was  aus  der  durch  das  Christentum  überwundenen  heidnischen 
Weltanschauung  als  rest  zurückgeblieben  ist",  oder  wenn  Mogk  sagt  (Pauls  Grundr.32,494): 
„im  heidentume  wurzelt  der  aberglaube",  so  kann  ich  eine  solche  voreilige  Schluss- 
folgerung in  ihrer  allgemeinheit  nicht  gutheissen.  Denn  damit  ist  die  ernste  haupt- 
frage  umgangen.  Ist  es  seit  J.  Grimm  ausgemacht,  dass  der  aberglaube  Überbleibsel 
aus  vergangenen  kulturepochen  gerettet  hat,  so  ist  damit  noch  nichts  entschieden  über 
das  alter  jener  untergegangenen,  im  aberglauben  restweise  bewahrten  kulturepochen. 
Die  analogie  der  spräche  und  andere  indicien  führen  uns  zunächst  nur  so  weit,  dass 
der  aberglaube  die  überbleibsei  des  mittelalterlichen  lebens  repräsentiert:  dass 
das  alter  tum  im  aberglauben  noch  lebendig  sei,  wird  in  jedem  einzelfall  zu  er- 
weisen sein.  Nun  ist  es  freilich  leicht,  das  eine  und  andere  als  Überbleibsel  aus  den 
fernsten  zeiten  der  Vergangenheit  tatsächlich  nachzuweisen  und  insofern  ist  es  richtig, 
dass  noch  das  heidentum  im  aberglauben  sich  fortsetze;  was  ich  vermute,  ist  nur: 
das  sind  die  ausnahmen.  Das  regelmässige  scheint,  dass  wir  im  aberglauben 
im  grossen  und  ganzen  zunächst  nicht  das  heidentum  germanischer  urzeit,  sondern 
das  volkstümliche  Christentum  des  europäischen  mittelalters  lebendig  besitzen.  Ich 
erinnere  an  die  neueren  Untersuchungen  über  das  alter  unserer  bäuerlichen  Wetter- 
regeln:1  sie   gehen   im    wesentlichen   auf  den    kirchonvater  Boda   zurück,  genau   so 

1)  Leider  von  E.  H.  Meyer  nichl   berücksichtigt! 


92  kaum 

wie  A    E.  Sohoni  dei  aberglaube,  der  ao  monate  und  tage  sich 

knüpft,   aus  Bedas   Bebrüten    Biob    bersohreibt    (Sitzungsberichte  der    Wien«  r   akad. 
CX.LII,  VII,  L49).     Derselbe  gelehrte  hat  jetrl  mau-.'  wichtigen 

gruppen  deutschen  aberglaubens  die  Verkehrtheit  der  herkömmlichen  ansichten  auf- 
gezeigt. Er  bat  denn  auch  genau  so.  wie  ich  es  widerholt  getan  bähe,  zur  aus*  i 
vorsioht  gemahnt,  „wenn  man  z.  b.  in  deutschen  Bogensf ormeln  vom  mittelalter  bis 
zur  gegenwart  spuren  des  germanisoh-heidnisoben  Volksglaubens  wahrzunehmen 
meint  So  weit  meine  erfahrung  reicht,  sind  solche  ungemischt  bo  gut  wie  gar  nicht. 
aber  auch  mit  christlichen  dingen  vermengt  Belten  vorhanden*  (a.  a.  o.  s.  130,  cfr. 
8.  49fg).  Namentlich  ist  es  durchaus  anzulassig,  die  einzelnen  formen,  deren  gegen- 
wartig die  abergläubische  Bitte  siob  bedient,  unbesehen  ins  heidentum  zurückzudatieren. 
Wol  aber  empfehlen  wir  die  motive,  die  allgemein  Keheirschenden  gedanken  gründ- 
lich herauszuarbeiten  und  von  ihnen  für  die  gesohichte  der  älteren  religion  gebrauch 
zu  machen. 

Unternimmt  man  es  auf  gruud  der  von  Wuttke  zusammengebrachten  materialien 
sich  über  die  motive  klarheit  zu  verschaffen,  so  tritt  etwas  seltsames  zu  tage.  Der 
moderne  aberglaube  ist  in  seiner  totalität  im  wesentlichen  auf  ein  einziges  motiv 
gegründet,  das  Wuttke  selbst  an  zahlreichen  stellen  seines  buches  herausgehoben 
hat.  Er  nennt  es  die  „ Sympathie".  Damit  ist  nicht  bloss  das  wesen  der  sache  zu- 
treffend bezeichnet,  sondern  auch  ein  terminus  gewonnen,  der  in  der  religionswissen- 
schaft  eingebürgert  ist.  Und  daraus  folgt  ein  weiteres.  Halten  wir  uns  an  dieses 
für  den  modernen  aberglauben  massgebende  motiv  der  Sympathie,  so  entdecken  wir 
bald,  dass  damit  nichts  speeifisch  heidnisch- germanisches  aus  dem  aberglauben  ge- 
wonnen ist.  Der  glaube  an  die  Sympathie  der  seelen  und  der  dinge  ist  ein  erbe  des 
menschen,  so  weit  er  über  die  erde  verbreitet  ist  und  hat  zu  allen  zeiten  wie  an 
allen  orten  des  völkerlebens  seine  Wirksamkeit  entfaltet.  Er  schlägt  aber  nicht  in  die 
religion,  sondern  in  die  magie  ein.  Man  vergleiche  das  hervorragende  werk  von 
Frazer,  The  golden  Bough,  London  1890  (2.  aufl.  1900).  *  Dass  jenes  motiv  der 
„ Sympathie"  in  der  altgermanischen  weit  lebendig  war,  wisseu  wir  längst;  also  auch 
damit  gewinnen  wir  für  das  heidentum  nichts  neues  aus  dem  aberglauben.  Wol  aber 
ist  uns  —  bei  der  dürftigkeit  unserer  Zeugnisse  —  verschlossen,  die  betätigung  jener 
sympathetischen  magie  im  täglichen  leben  zu  verfolgen:  hier  tritt  der  heutige  aber- 
glaube in  die  lücke,  um  selbst  für  die  fernsten  zeiten  germanischer  Vergangenheit  im 
höchsten  grad  aufhellend  zu  wirken. 

Rechnen  wir  auch  mit  der  annähme,  dass  die  grosse  masse  der  abergläubischen 
einzelformen  sich  aus  dem  deutschen  mittelalter  herschreibe  —  sehr  instruetiv 
sind  in  dieser  beziehung  die  von  "Wuttke  beigebrachten  belege  für  die  abergläubische 
geltung  des  katholischen  ritus  unter  den  evangelischen  (dieses  thema  verdiente  eine 
selbständige  zusammenfassende  bearbeitung)  —  so  sind  wir  nicht  blind  dafür,  dass 
auch  unter  den  einzelformen  survivals  aus  weit  fernerer  Vergangenheit  sich  erhalten 
habeu.  Ich  mache  auf  die  s.  462  fgg.  gegebenen  ausführungen  über  totengebräuche 
aufmerksam:  noch  werden  wie  vormals  dem  toten  die  dinge  mit  in  den  sarg  gegeben, 
die  ihm  bei  lebendigem  leibe  zum  gebrauch  gedient  haben,  so  z.  b.  der  kämm,  der 
ihm    gehörte   und   mit  dem  noch  die  leiche  gekämmt  wurde  (vgl.  S.  Müller,  Nord. 

1)  Ich  spreche  den  lebhaften  wünsch  aus,  dieses  buch  möge  bei  einer  neuen 
aufläge  unseres  Wuttke  fortlaufend  citiert  werden :  es  ist  ein  unentbehrlicher  comrnentar; 
das  urteil  Schönbachs  a.  a.  o.  s.  97  könnte  missverstanden  werden. 


ÜBER   WUTTKE,   DER   DEUTSCHE   VOLKSÄBERGLAUBE   DER   GEGENWART  93 

altertumskunde  2,  77.  105:  kämme  liegen  aus  mehr  als  hundert  grabfunden  vor!).  Es 
geht  der  glaube:  wer  sich  mit  dem  leichenkamme  kämmt,  muss  sterben;  der  kämm  wird 
wie  anderer  hausrat  dem  toten  mitgegeben,  weil  ein  hauch  seiner  seele  an  seinem 
eigentum  haftet,  weil  der  tote  im  hause  bliebe  und  die  zurückgebliebenen  beunruhigte, 
falls  seine  von  ihm  sympathetisch  berührten  gebrauchsgegenstände  ihm  nicht  mit- 
gegeben würden. 

Auch  auf  umgekehrtem  wege  ist  das  alter  der  abergläubischen  sitte  erweisbar: 
bemerkenswert  ist,  sagt  Wuttke  s.  424,  dass  die  mühle,  (d.h.  die  Wassermühle)  im 
aberglauben  fast  gar  nicht  vorkommt;  auch  der  wein  spielt  eine  verhältnissmässig 
untergeordnete  rolle  (s.  427):  aber  auch  hier  ist  die  grösste  vorsieht  geboten,  wenn 
man  sich  der  bevorzugten  rolle  der  kartoffel  erinnert!  Die  städtische  bevölkerung, 
die  im  Handelsbetrieb  und  im  bürgerlichen  gewerbe  steht,  verfügt  nicht  entfernt  über 
den  reichtum  von  abergläubischen  riten,  wie  die  ländüche  bevölkerung  (s.  11  fg.  453  fg.) 
u.  a.  Abor  auch  die  an  alte  sitte  gebundenen  lebenskreise  sind  seit  der  vorzeit  von 
erschütterungen  betroffen  worden.  Vieles  ist  in  abgang  gekommen,  weil  neue  inter- 
essen  sich  vordrängten  und  willenlos  ist  auch  die  jüngste  errungenschaft  in  die  aber- 
gläubische Sympathie  der  dinge  einbezogen  worden.  Wie  beliebt  ist  es  doch,  eine 
ganze  periode  des  urgeschichtlichen  lebens  als  die  der  (Jäger-  und)  fischervölker  zu 
bezeichnen  und  doch  fehlen  im  aberglauben  (wie  im  zauber)  die  fische  so  gut  wie 
ganz  und  gar  (nur  der  hering  tritt  stärker  hervor  s.  115  u.  ö,  [siehe  register],  sonst 
ist  noch  genannt:  der  hecht,  der  aal,  die  forelle,  die  schleie);  gelegentlich  tritt  aber 
das  motiv  des  aberglaubens  so  echt  heraus  —  weil  die  fische  stumm  sind,  dürfen 
Säuglinge  und  stillende  mütter  kein  fischfleisch  essen,  sonst  lernt  das  kind  nicht 
sprechen  (s.  394)  —  dass  wir  zweifellos  von  solch  vereinzeltem  zeugnis  auch  für  die 
Vergangenheit  gebrauch  machen  dürfen. 

Uralter  glaube  haftet  zäh  an  der  geheimnisvollen  bedeutung  der  erde,  des 
erdbodens  und  des  erdinnern.  In  der  deutschen  mythologie  nimmt  die  erdgöttin  (die 
z.  b.  Mogk  Grundr.  32,  249  mit  Frija  identificiert)  einen  bevorzugten  rang  ein  als  das 
Sinnbild  der  mütterlichen  erde:  ich  weise  darauf  hin,  dass  dieses  epitheton  aus 
dem  aberglauben  heraus  sich  nicht  erweisen  lässt.  Die  erde  hat  im  aberglauben  nur 
unheimliches  zu  bedeuten:  freundlich  und  günstig  ist  alles,  was  vom  himmel 
kommt  (so  z.  b.  der  donnerkeil  s.  91  fg.  oder  der  tau  s.  92.  436  u.  ö.);  unfreundlich 
und  gefährlich  ist  die  erde;  geheuer  und  ungeheuer  ist  es  „zwischen  himmel  und 
erde".  Ich  erinnere  an  die  im  luftrevier  erscheinenden  vögel  (Wuttke  s.  118fgg.)  im 
gegensatz  zu  den  auf  der  erde  beheimateten  kröten  (s.  117),  wieseln,  mausen,  maul- 
würfen,  schlangen,  die  alle  ebenso  gefährlich  als  jene  „herrgottsvöglein"  nützlich  sind. 
Die  erde  kann  wol  als  chthonische,  nicht  aber  als  „mütterliche"  gottheit  in  frage 
kommen,  wie  die  folgenden  belege  veranschaulichen  werden.  Weit  verbreitet  ist 
die  sitte,  reine  Schutzmittel  vor  berührung  mit  dem  erdboden  zu  bewahren  (z.  b.  wenn 
man  den  samen  des  schützenden  farnkrautes  in  der  Johanuisnacht  einsammelt  und 
die  blute  schüttelt,  muss  man  ein  tuch  unterlegen  s.  98fg.).  Die  erdleute,  erd- 
mäunchen,  erdwichtel  sind  die  „unterirdischen"  und  als  solche  gefährlich  und  feind- 
selig (s.  40fgg.)  im  gegensatz  zu  den  über  der  erde  im  hause  dienstbaren  kobolden; 
um  jene  zu  versöhnen,  bedarf  es  vielfach  geübter  opferhaudlungen,  die  alle  abwehrende 
geltung  haben:  bevor  man  trinkt,  giesst  man  etwas  auf  die  erde,  um  schaden  abzu- 
wenden (s.  291  fgg.);  wenn  am  1.  mai  das  vieh  ausgetrieben  wird,  so  legt  man  ein 
frisches  ei  und  ein  beil  etc.  unter  die  schwelle,  bedeckt  es  mit  rasen  und  liisst 
das  vieh  darüber  hinwegschroiten,   dieses  schützt  das  vieh  vor  behexung  (s.  77  etc.); 


04  KAUl'FMAN."*   liliKr:   MOH'MASN-KftAYKR.    I > t K   70UUB.UMJI  ALS   WISST.SsCHAFT 

man  vergräbt  einen  kater  anter  einem  bäum .  damit,  kein  bösei  geisi  'lern  feld  schade 
(s.205),  wie  man.  trenn  viel  pferde  fallen;  vor  der  BtaUtär  ein  lebendiges  pferd  ver- 
gräbt oder  um  die  pferde  gesund  zu  erhalten,  einen  band  unter  der  krippe  verscharrt  etc. 
is.  2992g).    In  der  Silvester-  oder  Thomasnacht  Bteoken  die  madchen  •  <-u  in 

die  erde  und  b teilen  ihre  schuhe  rings  herum,  an  anderen  morgen  linden  sie  die- 
Belben  verschoben:  die  riebtung  auf  den  kirchhof  zeigt  den  tod  an  (s.  233).    Za 
mittel  erlangen  gesteigerte  kraft,  wenn  mau  sie  in  einen  ameisenhaufen  legt  (s.  113); 
wirft  man  Bicb  auf  die  erdo  nieder,  so  hört  man  die  bitte  der  zum  tode   bestimmten 
(8.  24i)i  oder  wenn  man  sich  auf  einen   kreuzweg  stellt    und    ein    Btuca  b  auf 

den  köpf  legt,  sieht  man  die  hexen  oder  den  teufel  (s.  258  263),  den  büwisschneider 
kann  man  sehen,  wenn  man  vor  Sonnenaufgang  aus  einer  ecke  des  feldes  rasen  aus- 
sticht und  sieh  auf  den  köpf  legt  (s.  259):  unter  der  erde,  im  bereiebe  der  unter- 
irdischen ist  man  vor  behexung  sicher  (s.  283)  oder  eignet  sieh  deren  kräfte  an  (z.  b. 
s.  318).  Wenn  man  etwas  gefundenes  vom  boden  aufhebt,  muss  man  sieb  in  acht 
nehmen,  weil  einem  dadurch  leicht  etwas  angetan  werden  kann:  hebt  man  es  auf, 
muss  man  dreimal  darauf  spucken,  weil  es  behext  sein  kann;  nur  brot  kann  man 
gefahrlos  aufheben,  denn  über  gottes  gäbe  hat  der  böse  nicht  gewalt  (s.  307 fg.);  wer 
brot  auf  die  erde  fallen  lässt,  der  muss  os  küssen,  ehe  er's  isst,  oder  wer  es  auf 
dem  wege  liegen  sieht,  muss  es  auf  einen  stein  legen  (s.  31)  —  um  es  dadurch  der 
unheimlichen  gemeinschaft  mit  dem  erdboden  zu-  entziehen.  Krankheiten  werden  in 
die  erde  vergraben  und  gebannt  (s.  331  fgg.),  man  beachte  z.  b.  wie  ein  fiebernder  vor 
Sonnenaufgang  aufs  feld  geht,  mit  blossen  knien  niederkniet  und  einen  spruch  spricht 
(s.  354),  um  das  lieber  in  die  erde  überzuleiten;  umgekehrt  ist  der  Wöchnerin  zu 
raten,  nicht  mit  blossen  füssen  auf  die  erde  zu  treten,  sonst  küsst  ihr  der  teufel  die 
fussstapfen  (s.  380)  oder  dem  kriegspflichtigen ,  sich  mit  erde  zu  versehen  und  sich 
dadurch-  untauglich  zu  machen  (s.  454).  So  legt  man  denn  auch  das  neugeborene 
kind  auf  dio  blosse  erde,  um  es  fest  und  kräftig  werden  zu  lassen  (s.  381),  d.h.  um 
die  bösen  geister  durch  die  hingäbe  freundlich  zustimmen;  wie  man  vornamen  wählt, 
die  mit  erd-  anfangen  (z.  b.  erdmann),  um  die  kinder  vor  frühem  tod  zu  beschützen 
(s.  387).  Sehr  interessant  sind  in  diesem  Zusammenhang  die  gebrauche  bei  der  be- 
stellung  des  ackers.  Das  feld  ist  nicht  als  solches  fruchtbar:  es  muss  fruchtbar  ge- 
machtwerden (s.  417  fgg.),  indem  man  z.b.  die  in  den  zwölften  gebrannte  asche  aufs  feld 
streut,  oder  am  pflüg  ein  stück  holz  vom  osterfeuer  anbringt  oder  das  säetuch  am 
Weihnachtsabend  als  tischtuch  gebraucht,  in  einen  zipfel  brot  und  geld,  salz  und 
fenchel  bindet,  oder  den  samen  zuvor  vom  priester  segnen  lässt.  Man  bringt  erst 
den  unterirdischen  ein  opfer  (s.  419).  In  diesen  Zusammenhang  gehört  der  alte  ags. 
zauber:  seo  bot  hü  pu  meaht  ßine  ceceras  betan  (J.  Grimm,  Mythol.  2*,  1033fgg.), 
den  zu  citieren  für  E.  H.  Meyer  widerholt  gelegenheit  gewesen  wäre,  wie  der  spruch 
seinesteils  aus  dem  heutigen  aberglauben  eine  beleuchtung  erhält,  die  der  neuste  text- 
kritische versuch  nicht  verträgt. 

KIEL.  FRIEDRICH    KAÜFFMANN. 


Hoffmann  -  Krayer ,  E.,    Die  Volkskunde   als   Wissenschaft.     Zürich,   comm.- 
verlag  von  Fr.  Amberger  1902.     34  s.     1  m. 

Die  kleine  Schrift  ist  dem  bekannten  und  verdienten  englischen  folkloristen 
E.  Sidney  Hartland  gewidmet  und  nimmt  das  interesse  um  so  mehr  in  anspruch,  als 
ihr  Verfasser  mitten  in  der  praktischen  arbeit  steht  und  als  herausgeber  des  „  Schwei- 


KATOTMANN   1'BER    ANDREE,    BRAUNSCHWEIGF.R    VOLKSKUNDE  95 

zerischen  arehivs  für  Volkskunde  u  berufen  erscheint,  über  das  arbeits verfahren  rechen- 
schaft  abzulegen.  Er  unterscheidet  „Volkskunde  "  von  „  landeskunde  "  und  bemüht  sich 
namentlich  die  Volkskunde  gegen  ihre  nachbargebiete  (ethnographie,  kulturhistorie) 
abzugrenzen.  Die  Volkskunde  hat  ihr  eigenstes  wirkungsfeld  in  den  von  der  modernen 
kultur  durchdrungenen  Völkern  und  richtet  ihr  augenmerk  in  erster  linie  auf  das,  was 
unter  den  heutigen  kulturvölkern  noch  altertümlich -primitiv  ist,  hat  es  mit  einem 
wort  mit  dem  was  die  Engländer  survival  nennen  zu  tun;  die  „überlebsel"  aus  ver- 
gangenen und  überholten  kulturstufen  (nicht  die  „  errungenschaften  u  der  gesamtkultur 
wie  die  kulturgeschichte  sie  bearbeitet)  geben  den  specifischen  arbeitsstoff  für  den 
folkloristen  ab.  H.  will  nun  von  einer  stammheitlichen  Volkskunde,  welche  die  primi- 
tiven anschauungen  und  volkstümlichen  Überlieferungen  einer  Stammesgruppe  dar- 
zustellen hat,  eine  Allgemeine  Volkskunde  abtrennen.  Diese  disciplin  habe  den 
principien  und  grundgesetzen  volkstümlicher  anschauung  nachzugehen,  wobei  es  nichts 
verschlage,  ob  von  Bantu  -  negern  oder  von  hinterpommerschen  bauern  gehandelt 
werde  (s.  17). 

In  der  Würdigung  dieser  „  Allgemeinen  Volkskunde  "  sehe  ich  das  hauptverdienst 
des  Verfassers.  Er  betont  die  parallele  zur  Sprachwissenschaft,  die  der  principien- 
wissenschaft  sich  in  der  erspriesslichsten  weise  erfreue,  und  fordert,  den  seelischen 
kräften  nachzugehen,  die  bei  der  bildung,  Übertragung  und  Wandlung  volkstümlicher 
anschauungen  in  tätigkeit  treten.  Die  mechanistische  theorie  lehnt  er  ab,  stellt  sich 
mit  entschiedenheit  auf  den  Standpunkt  derjenigen,  die  den  Wanderungen  der  ein- 
zelnen volkskundlichen  motive  nachgehen,  ist  aber  „weit  davon  entfernt,  das  gleich- 
zeitige auftauchen  spontan  -  primitiver  Vorstellungen  hei  weit  auseinanderliegenden 
Völkern  zu  läugnen tt  (s.  29).  Nur  haben  wir  „  nicht  von  der  generellen  gleichheit 
aller  menschen,  sondern  im  gegenteil  von  der  individuellen  Verschiedenheit"  auszu- 
gehen, um  schliesslich  zu  den  kollektiv -anschauungen  zu  gelangen.  Vor  allem  tut 
uns  eine  wissenschaftliche  analyse  des  „primitiven  denkens"  not.  Über  die  grund- 
formen  des  primitiven,  des  volkstümlichen  denkens  habe  ich  TU  1,  170 fgg.  gehandelt, 
denn  ich  teile  durchaus  die  von  Hoffmann-Krayer  an  eine  „wissenschaftliche"  Volks- 
kunde gestellten  anf orderungen. 

KIEL.  FRIEDRICH    KAUFFMANN. 

Andree,  Richard,  Braunschweiger  Volkskunde.    Zweite  vermehrte  aufläge.    Mit 
12  tafeln  und  174  abbildungen,  planen  und  karten.     Braunschweig,  Vieweg  und 
Sohn  1901.     XVIII,  531  s.     5,50  m. 
Die  —  uns  nicht  zugegangene  —  erste  aufläge  war  1896  erschienen  und  wurde 
so  günstig  aufgenommen,   dass   in   sehr  kurzer  zeit  eine   zweite  nötig  wurde.     Diese 
unterscheidet  sich  „im  wesentlichen  dadurch,  dass  sie  eine  stark  vermehrte  und  aus- 
gebaute ist.     Die  kurz  gehaltene  einleitung  der  ersten  aufläge  wurde  erweitert  und  in 
abschnitte  zerlegt,   die   zahl   der  abbildungen   und   tafeln  dank  dem   entgegenkommen 
der  Verlagshandlung  um  die  hälfte  vergrössert " .     Das  schöne,   reichhaltige  buch  lässt 
der  auf  den  weitesten  gebieten  der  Volkskunde  bewährte  Verfasser  mit  einem  „geogra- 
phischen abriss"  beginnen,  behandelt  ausführlicher  die  prähistorie,  die  ethnologischen 
und  anthropologischen  fragen,  und  wendet  sich  s.  49  —  59  der  niederdeutschen  spräche 
in  Braunschweig  zu.     Es  folgen:   die  Ortsnamen  (s.  59),  die  fluruamen   uud  forstorte 
(s.  84) ',  siedelungen  und  bevölkerungsdichtigkeit  (s.  132),  die  dörfer  und  die  häuser 

1)  Sie  wären  mit  der  ortsüblichen  ausspräche  zu  verzeichnen  gewesen I 


96  ni» 

(s.  143),  der  bauer,   die  bitten   und  das  gesinde  (s.  204).  der  Bache  und  die  Bpinn- 
stubo  (h.  22:<).  gerät  in  )i"f  und  haus  (g,  239),   banernkleidung  und  schmuck  (s 
gebart,  hocbzeit  und  tod  (8.284),  das  jähr  und  die  124),  geisterweit  und 

mythische  ersoheinungen  (b.  371),  aberglaaben,  Wetterregeln  und  volksmedicio  (s.  400), 
Volksdichtung  and  spiolo  (s.  432),  die  spuren  der  Wenden  (s.  500),  register  [t  521).  — 
Leider  fehlt  immer  noch  auch  in  dieser  Volkskunde  ein  selbständiger  abschnitt  ober 
die  volkstümliche  religion  („  loli^iöse  Volkskunde1-  wie  die  theologen  sie  benennen 
und  widerholi  nachdrücklich  gefordert  haben),  die  neben  den  sog.  heidnischen  Über- 
bleibseln, wie  sie  unter  „ aberglauben "  verzeichnet  zu  werden  pflegen,  ein  dun 
selbständiges  interesse  zu  beanspruchen  hat  Mancherlei  einzelbeiten  sind  da  und 
dort  (z.  b.  in  dem  abschnitt  „das  jähr  und  die  feste")  erwähnt  und  könnten,  in 
wesentlich  ergänzter  form  zu  einem  besondern  abschnitt  ausgeweitet,  einer  neuen 
aufläge  zur  zierde  gereichen. 

KIEL.  FRIEDRICH    KAUFFMAN.V. 


Erik  ßjörkman,  Scandinavian  loan-words  in  Middle  English.  Part  1.  [A.u.  d.  t. : 
Studien  zur  englischen  philologie,  hg.  von  Lorenz  Morsbach.  Heft  VII]. 
Halle,  Max  Niemeyer  1!)00.  VI,  191  s.  10  m. 
Die  Untersuchung  der  skandinavischen  lehnwörter  im  englischen  ist  ein  altes 
desideratum  der  englischen  Sprachgeschichte  und  grammatik.  Denn  trotz  trefflicher 
ansätze  namentlich  in  den  arbeiten  von  Brate  und  Kluge  blieb  noch  manche  frage 
unbeantwortet.  Die  behandlung  des  gegenständes  musste  einem  bearbeiter  vorbehalten 
bleiben,  der  eine  gleich  genaue  kenntnis  des  skandinavischen  wie  des  englischen  mit 
einer  vollkommenen  beherrschung  des  germanischen  im  allgemeinen  in  sich  vereinigte. 
Nur  ein  so  vielseitig  ausgerüsteter  forscher  konnte  hoffen,  der  zahlreichen,  auf  schritt 
und  tritt  sich  entgegenstellenden  Schwierigkeiten  herr  zu  werden.  Lange  haben  wir 
auf  einen  so  seltenen  mann  warten  müssen;  jetzt,  da  wir  ihn  gefunden  haben,  begrüssen 
wir  ihn  mit  um  so  aufrichtigerer  freude.  Denn  —  um  das  gesamturteil  über  das 
uns  zur  besprechung  übertragene  buch  vorauszunehmen  —  die  anglistik  kann  der 
schrift  von  Björkman,  deren  schlussteil,  auf  ende  1901  in  aussieht  gestellt,  hoffent- 
lich recht  bald  nachfolgen  wird,  nur  wenige  gleich  gute  und  zuverlässige  grammatische 
Sonographien  an  die  Seite  stellen. 

Die  gründliche,  um-  und  vorsichtige  art  des  Verfassers,  von  der  er  schon  in 
seinem  aufsatze  ,,Zur  dialektischen  provenienz  der  nordischen  lehnwörter  im  engli- 
schen"1 sehr  erfreuliche  beweise  gegeben  hatte,  zeigt  sich  am  deutlichsten  schon 
in  der  einleitung,  in  welcher  er  über  die  von  ihm  angewandte  methode  und 
das  ziel  seiner  arbeit  rechenschaft  ablegt.  Er  weist  zunächst  überzeugend  nach,  dass 
eine  solche  Untersuchung  am  besten  auf  dio  skandinavischen  lehnwörter  im  me.  be- 
gründet wird.  Vom  ae.  lässt  sich  deswegen  nicht  gut  ausgehen ,  weil  in  der  ae. 
periode  die  skandinavischen  elemente  sehr  spärlich  sind.  Aus  den  von  dem  skandi- 
navischen einfluss  stark  durchtränkten  gegenden  Merciens  und  Nordhumbriens  sind 
uns  nur  unbedeutende  Sprachdenkmäler  aus  jener  zeit  überliefert.  Zudem  scheint  die 
annähme  berechtigt,  dass  hier  das  skandinavische  element  erst  mit  der  Vermischung 
der  beiden  zunächst  einander  feindlich  gegenüberstehenden  bevölkerungsschichten ,  die 
schliesslich  freilich  eine  völlige  aufsaugung  des  skandinavischen  durch   das   englische 

1)  Sprakvetonskapliga  sällskapets  i  Upsala  förhandlingar  1897  — 1900. 


ÖBEB    Ti.TÖRKMAX.    SPaKDINAVIAX    LOAN-WORDS  97 

zur  folge  hatte,  eiuen  wirklich  bedeutenden  räum  einnahm.  Während  die  in  alter 
zeit  eingedrungenen  lehnwörter  auf  die  begriffssphären  beschränkt  sind,  welche  dem 
leben  und  den  gesellschaftlichen  einrichtungen  der  eindringlinge  angehören,  haben 
sich  im  me.  diese  kreise  bedeutend  erweitert  und  sogar  formwörter,  wie  pronomina, 
adverbia,  conjunktionen  ergriffen.  Wir  dürfen  darum  zweifellos  verschiedene  schichten 
von  lehnwörtern  unterscheiden,  von  denen  die  letzte  sich  nicht  vor  1050  bis  1150 
festgesetzt  hat.  Dabei  macht  Björkman  die  sehr  richtige  Überlegung,  dass  nicht  nur 
die  Engländer  von  den  Skandinaviern  wörter  entlehnten,  sondern  dass  auch  umge- 
kehrt vielleicht  in  beträchtlichem  umfange  eine  aufnähme  englischer  Wörter  in  die 
auf  englischem  boden  gesprochene  skandinavische  spräche  stattfand.  Wir  müssen 
daher  immer  mit  der  möglichkeit  rechnen,  dass  solche  ursprünglich  echt  englische 
wörter  in  skandinavisierter  gestalt  später  wieder  an  das  englische  abgegeben  wurden. 

Aber  auch  das  neuenglische  eignet  sich  nicht  als  basis  für  die  Untersuchung. 
In  sehr  vielen  fällen  sind  wir  ohne  eine  gründliche  kenntnis  der  me.  Vorstufe  gar 
nicht  imstande,  die  ne.  Verhältnisse  richtig  zu  beurteilen.  Das  schriftenglische  zumal, 
das  in  seiner  mischung  aus  verschiedenen  dialekten  noch  eine  menge  ungelöster 
probleme  darbietet,  kann  schon  gar  nicht  in  betracht  kommen,  und  die  dialekte  sind 
noch  viel  zu  wenig  erforscht,  als  dass  man  auf  sie  mit  Sicherheit  eine  Untersuchung 
aufbauen  könnte.  Darum  ist  auch  Walls  versuch  (Anglia  20,  45fgg.),  der  eben  die 
ne.  mundarten  verwerten  wollte,  resultatlos  oder  wenigstens  vielfach  höchst  zweifel- 
haft in  seinen  ergebnissen. 

Selbst  wenn  man  vom  me.  ausgeht,  bleiben  aber  noch  Schwierigkeiten  aller 
art  zu  überwinden. 

1.  Die  unterschiede  im  Wortschatz  zwischen  dem  englischen  und  skandinavi- 
schen sind  im  ganzen  klein  gewesen.  Das  hat  eine  gegenseitige  Vermischung  be- 
deutend erleichtert  und  zur  folge  gehabt,  dass  bedeutungsverschiebungen  am  heimi- 
schen material  unter  dem  fremden  einüuss  stattfanden,  oder  dass  wörter,  die  im 
aussterben  begriffen  waren,  neue  lebenskraft  erlangten. 

2.  Was  wir  von  den  skandinavischen  sprachen  vor  ihrer  berührung  mit  dem 
englischen  wissen,  ist  recht  wenig,  und  auch  unsere  kenntnis  des  englischen  der  von 
den  Skandinaviern  besetzten  gegenden  zur  zeit  der  ersten  einfalle  eine  verhältnis- 
mässig beschränkte.  Wenn  nun  im  me.  eine  menge  von  Wörtern  auftauchen,  welche 
im  ae.  nicht  nachgewiesen  werden  können,  sind  wir  nicht  ohne  weiteres  berechtigt, 
sie  als  fremdlinge  anzusprechen.  Sie  können  schon  vorher  als  echt  englische  wörter 
existiert  haben  und  nur  zufällig  in  den  litterarischen  deukmälern  nicht  überliefert  sein. 

3.  Die  kriterien  der  lautverhältnisse,  der  Wortbildung  und  der  syntax  sind 
nicht  immer  absolut  ausschlaggebend.  Wir  haben  grund  zu  der  annähme,  dass  viele 
englische  wörter,  die  eiue  ganz  englische  form  aufweisen,  nichts  destoweuiger  aus 
dem  skandinavischen  stammen.  Denn  es  ist  kein  zweifei,  dass  die  Engländer  häufig 
bei  der  entlehnung  die  fremden  wörter  ganz  korrekt  den  Lautgesetzen  des  englischen  ent- 
sprechend umformten.  Ein  schlagendes  beispiel  liefert  das  Verhältnis  von  anlaufen- 
dem s  und  anlautendem  sk.  Zweisprachige  individuell  merkten  leicht,  dass  die  gleichen 
Wörter  skandinavisch  mit  sk,  englisch  mit  s  anlauteten;  daraus  mag  dann  leicht  Ver- 
wirrung entstanden  sein  in  der  weise,  dass  z.  b.  sk  auch  in  Wörtern  gesprochen 
wurde,  die  echt  skandinavisch  gar  nicht  vorhanden  waren.  So  können  skandinavi- 
sierte  englische  wörter  existiert  haben,  die  dann  in  dieser  form  wieder  ins  englische 
zurückkehrten;  vielleicht  ist  so  me.  seatcren  neben  shatereh  zu  deuten.  Umgekehrt  ist 
aber  auch  denkbar,  dass  skandinavische  wörter  anglisiert  wurden,   indem   der  aulaut 

ZEITSCHRIFT    F.    DEUTSCHE    PHILOLOGIE.       BP.  XXXV.  7 


ak  regelreohl  duroh  i  ersotzl   wurde;  di'-s  i-,t  vielleicht  die  beste  erkläruog  für  me. 
ahifften.     Bei   Bolchen   Wörtern  ist  eine  prüogliche   Zuge- 

hörigkeit unmöglich  darum  auch  für  <Jio  vorliegende   untersuchnng  Dicht  in 

betrat  in.     Lhnlich  verhält  es  sich  mit  einei  niohl  geringen  anzahlvoa  com- 

positis:  sie   zeigen  voll  tändig  englische  Lautgestalt,   und   doch   muss  skandinavischer 
Ursprung   für   sie  angenommen    werden,    du   sie  im   eo  inzelt   da<-tehea, 

analoga  dazu  sich  nur  im  skandinavischen  finden  ■/..  b.  forword  'vertrag',  la/nd 
rädesmann .  wäpengt 

In  erwägung  dieser  Schwierigkeiten  hat  Björkman  sich  als  ziel  gesteckt,  nicht 
den  einfluss  des  nordischen  auf  das  englische  in  jeder  hinsieht  zu  ergründen,  son- 
dern nur  festzustellen,  was  an  eigentlichen  lehnwörtem  dem  englischen  aus  dem  norden 
zugeflossen  ist.  Das  eindringen  ganzer  redensarten,  Sprichwörter  u>w.  lässt  er  ebenso 
ausser  betracht,  wie  die  nachahmung  nordischer  Wortfügung  mit  englischem  material. 
Nur  gelegentlich  berücksichtigt  er  die  Wirkung  auf  englische  Wortbildung  und  wort- 
hieguug:  für  die  erstere  citiert  er  als  beispiel  die  hänfigkeit  der  verbalableitungen  auf 
-len  und  -neu  im  me. ;  doch  äussert  er  sich  mit  grosser  vorsieht  über  die  bestimm- 
barkeit  des  skandinavischen  anteils;  mau  darf  ihm  daher,  auch  wenn  man  selbst  in 
anbetracht  der  existenz  vieler  ganz  entsprechepder  bildungen  in  den  heutigen  deut- 
schen mundarten,  den  skandinavischen  einfluss  in  diesem  punkte  geringer  anschlägt, 
nicht  den  Vorwurf  einer  Übertreibung  zu  gunsten  des  nordischen  machen.  Nur  schwer 
wird  man  mit  Sicherheit  einfluss  des  skandinavischen  auf  die  englische  flexion  er- 
weisen können.  "Wo  sich  nordische  flexionsformen  im  englischen  zeigen,  sind  sie 
durchaus  an  nordische  lehnwörter  gebunden  und  üben  als  erstarrte  bildungen  die  ihnen 
ursprünglich  zukommende  funktion  aus,  so  z.  b.  das  auslautende  r  des  nom.  sing.  masc. 
von  adjektiven,  das  in  me.  hager,  hawur  „geschickt"  das  nord.  /•  von  hagr  wider- 
spiegeln dürfte,  oder  das  auslautende  t  von  me.  tit,  ne.  scant,  das  dem  nordischen 
auslautenden  t  eines  nom.  sing,  neutr.  oder  einem  adverbium  entspricht.  Auch  auf 
die  frage  nach  der  herkunft  der  nordischen  lehnwörter  im  englischen,  ob  sie  mehr 
ostnordisch  oder  mehr  westnordisch  sind,  geht  B.  nicht  weiter  ein,  nachdem  er  das, 
was  sich  darüber  vorbringen  lässt,  schon  in  seiner  oben  erwähnten  abhandlung 
gesagt  hat. 

In  dem  bis  jetzt  allein  erschienenen  ersten  kapitel  seiner  arbeit  beschäftigt 
sich  B.  ausschliesslich  mit  der  diskussion  derjenigen  Wörter,  die  auf  grund  lautlicher 
kriterien  sicher  als  fremdlinge  agnosciert  werden  können.  Erst  wenn  man  durch  ihre 
betrachtung  eine  solide  basis  geschaffen  hat,  kann  man  versuchen,  anhaltspunkte  für 
die  beurteilung  des  englischen  Wortschatzes  nach  anderen  gesichtspunkten  zu  gewinnen. 
Um  dem  Vorwurf  der  un Vollständigkeit  zu  entgehen,  zieht  B.  alle  Wörter  heran,  von 
denen  jeinmal  nordische  abstammung  behauptet  worden  ist;  er  muss  dann  freilich 
vielen  von  ihnen  einen  endgiltigen  platz  unter  den  lehnwörtern  versagen,  aber  auch 
so  ist  die  menge  der  von  ihm  als  nordisch  festgesetzten  elemente  des  me.  eiue  ganz 
erstaunlich  grosse. 

Es  kann  nicht  meine  aufgäbe  sein,  hier  im  einzelnen  den  ausführungen  des 
Verfassers  über  den  wert  dieser  lautlichen  kriterien  nachzugehen;  ich  muss  mich  damit 
begnügen,  hervorzuheben,  dass  es  ein  geouss  ist,  seinen  ungemein  umsichtigen  und 
weitblickenden  abwägungen  aller  möglichkeiten  zu  folgen.  Vielleicht  ist  es  aber  bis 
zum  erscheinen  des  Schlusses  der  abhandlung  erwünscht,  wenn  ich  eine  vorläufig 
fehlende  inhaltsübersicht  hier  gebe: 


DBBK    BJÖRKMAX.    SCAXDIXAVTAN    LOAX-W0RDS  99 

T.   Kapitel:  Lautliche  kriterien  für  die  nordischen  lehuwörter  im  englischen. 

1.  Kriterien  hergenommen  aus  dem  vorgeschichtlichen  unterschied  zwischen 
nordisch  und  westgermanisch:  entwickelung  des  urgerm.  yu>ggii,  ii> 
gg„  im  nord. ,  wozu  im  westgerm.  kein  analogon. 

2.  Kriterien  hergenommen  aus  dem  unterschied  zwischen  der  nordischen  und 
englischen  lauteutwickelung. 

A.  Deutlich  nordische  diphthonge  und  vokale  in  nordischen  lehnwörtern. 

1.  Nordisch  ai,  ei. 

2.  Nordisch  ey,  ey. 

3.  Nordisch  qu,  au. 

4.  Nordisch  ä. 

A.  aus  germ.  <i. 

a)  "Wörter  mit  germ.  &  vor  nasal. 

b)  Wörter  mit  a  in  me.  Verkürzung  aus  ae.  ce  oder  nord.  a? 

B.  aus  anderen  quellen. 

5.  Nordisch  ä. 

6.  Nordisch  *. 

7.  Nordisch  o. 

8.  Nordisch  y. 

9.  Nordisch  y. 

10.    Bemerkungen  über  die  quantität  der  vokale  als  kriterium  für  nordische 
lehuwörter. 

B.  Kriterien   hergenommen  aus  den  Verschiedenheiten  in  der  entwickelung 
von  consonanten  im  englischen  und  nordischen. 

1.  Nordisch  s£. 

a)  anlautend, 

b)  in-  und  auslautend. 

2.  Nordisch  k, 

a)  anlautend  in  fällen,  wo  englisch  eh  zu  erwarten  wäre, 

b)  nicht  anlautend.     Dabei  eine  interessante,  Morsbachs  ansieht  über 
die  frage  der  palatalisation  wiedergebende  anmerkung. 

3.  Nordisch  g, 

a)  anlautend, 

b)  nicht  anlautend. 

4.  Nordisch  gutt.  spirans  j. 

5.  Nordisch  d  (ß). 

6.  Nordisch  r. 

7.  Nordische  consonantenassimilation, 

a)  Nordisch  dd, 

b)  Nordisch  kk  <  nk, 

c)  Nordisch  //, 

d)  Nordisch  nn, 

e)  Nordisch  tt  (t)  <  germ.  ht. 

8.  Nordische  consonantendissimilation, 

a)  germ.  mn  >  in, 

b)  3n  >  nn, 

c)  nn  >  <>>/. 

7* 


100  |  ;   ,  •;     |.o\N  -V-.   • 

9)    Nordi  mantenschw  and. 

ad : 
,.  i  oord    "  ■ 
ß)  oord 
b)  in-  and  auelautend. 
10.    töetatl 

Bei  der  fülle  der  erscheinungen,  welche  im  verlaufe  der  arbeit  zur  disku 
111  werden,  wäre  es  verwunderlich,  wenn  nichl  trotz  aller  sorgsamen  abwä 
dem  hier  and  da  eine   auffassung   sieb    als    die  olichste   ergäbe, 

welohe  auf  einen  andern  weniger  zwingend   wirkt,     [ob  muss  es  mir  biei 
überall  da,  wo  mir  eine  andere  erklärung  einleuchtender  erscheint,  dies  anzumerken 1. 
Nur  einen  punkl  möohte  ieli  herausgreifen,  weil  man  daran  die  Schwierigkeiten   vor 
äugen  fuhren  kann,  mit  denen  die  etymologische  erforschung  ohen  -•  haupt- 

sächlich in  folge  der  Vernachlässigung  der  Wortbildung  durch  die  grammatiker  —  zu 
kämpfen  hat. 

S.  135  weist  B.  mit  recht  darauf  hin,  dass  in-  und  auslautend  ae.  sc  im  me. 
lautgesetzlich   zu  8  geworden   zu   sein   scheint,  dass  daneben  "ige    fälle    sich 

linden,  in  denen  me.  und  ne.  ein  sk  auftritt,  ohne  dass  man  sonst  irgend  welche 
gründe  für  die  annähme  einer  fremden  abstammung  dieser  Wörter  anführen  könnte. 
Ganz  plausibel  wird  ein  solches  sk  als  resultat  einer  metatkese  aus  me.  ks,  x  hin- 
gestellt, z.  b.  in  asken,  aske  <  äöexe,  tusk.  Bei  der  besprechung  der  einzelnen  iu 
diesem  paragraphen  erwähnten  Wörter  scheint  aber  B.  diesen  gesichtspunkt  gelegent- 
lich doch  wieder  zu  vernachlässigen  und  Wörter  als  nordisch  zu  aeeeptieren.  nur  weil 
eine  englische  etymologie  bis  jetzt  fehlt.  So  hält  er  z.  b.  auch  bei  basken  an  nordi- 
schem Ursprung  fest,  freilich  unter  ahleitung  aus  nordischem  baska  (nicht  aus  ba 
oder  bakask),  und  indentifiziert  es  mit  ne.  (veraltet)  bask=  „to  strike  with  a  bruising 
blow",  ne.  dial.  bask  =  „to  beat  severely".  Ob  die  sehr  verschiedenen  bedeutungen 
sich  bei  gleichem  etymon  wirklich  mit  einander  vereinigen  lassen,  bleihe  dahingestellt; 
iu  der  bedeutung  „schlagen"  aber  scheint  mir  entlehnung  aus  dem  nordischen  un- 
wahrscheinlich; deun  wir  finden  neben  bask  in  gleicher  bedeutung  auch  bash,  bei  welchem 
ein  lautliches  kriterium  für  skandinavische  herkunft  vermisst  wird.  Es  dürften  viel- 
mehr meines  erachtens  im  frühme.  zwei  formen  *bascen  und  *baxen  neben  einander 
existiert  haben,  von  denen  jene  ne.  bash,  diese  ne.  bask  ergab  ganz  entsprechend 
dem  frühne.  ash  neben  ask  aus  me.  asken  bezw.  axen. 

Mit  diesem  *baxen  <  *baksen  <  *bagsen,  ae.  *bcegsian  (?)  mag  das  ne.  verburn 
to  bag  =  „to  cut  com,  peas  etc."  stammverwandt  sein  und  beide  könnten  so  mit 
dem  deutscheu  dialekt.  beette  =  „klatschend  schlagen"  <  *bakxen  zusammengehören. 
Es  existieren  im  ne.  eine  ganze  menge  solcher  auf  sli ,  selten  s^,  nur  ausnahmsweise 
auf  x  endigender  verben,  die  meist  eine  heftige  hewegung,  einen  kurzen  schlag  oder 
einen  schall  bezeichnen  und  denen  sich  fast  regelmässig  ein  gleichbedeutendes,  auf 
guttural,  weniger  oft  auf  dental  oder  labial  ausgehendes  verb  an  die  seite  stellen 
lässt.  Sie  sind  in  der  Schriftsprache  noch  nicht  lange  oder  gar  nicht  reeipiert  und 
werden  daher  von  den  meisten  etymologen,  wol  mit  unrecht,  als  junge  onomatopoetische 
neuhildungen  angesehen.  Wenn  man  der  Sache  aber  ein  wenig  nachgeht,  merkt  mau 
bald  mit  erstaunen ,   dass  auch  im   deutschen  in  sehr  vielen  fällen  ein  entsprechendes 

1)  Man  vergleiche  auch  die  anzeige  des  B.'schen  buchs  durch  Luick  und  des 
gleichen  Verfassers  aufsatz  im  Arch.  f.  d.  st.  n.  spr.  107,  412  —  419  bezw.  322  —  329. 


KAUITMANN    ÜBER    HERRMANN.    DEUTSCHE    MYTHOLOGIE  101 

wort,  freilich  fast  immer  auf  die  dialekte  beschränkt,  existiert,  dessen  lautliche ^ge- 
stalt  ein  hohes  alter  verrät,  und  so  die  Vermutung  nahelegt,  dass  ähnliches  auch  im 
englischen  gelten  könnte.  Diese  interessanten  dinge  so  zu  verfolgen,  wie  ich  es  bei 
grösserer  müsse  gerne  täte,  würde  mich  hier  viel  zu  weit  führen.  Demjenigen, 
welcher  den  gegenständ  behandeln  will,  kann  der  aufsatz  von  "Winteler  in  den  Bei- 
trägen zur  gesch.  d.  d.  spr.  14,  455 fgg.  nützliche  fiugerzeige  geben.  Ein  paar  bei- 
spiele ,  welche  diese  correlation  zu  illustrieren  vermögen ,  darf  ich  aber  vielleicht  doch 
au  fügen. 

Zu  brask  schott.  „zerbrechen,  zerschmettern"-  vgl.  to  brakc  ,,hauf  brechen, 
den  boden  aufbrechen",  brach  prov.  „egge"  —  zu  clash  vgl.  clack.  —  clish :  dick. 
—  crash :  crack.  —  dush :  duck.  —  fash  schott.  „plagen,  ärgern,  müde  werden", 
in  der  regel  aus  franz.  fächer  hergeleitet,  vgl.  aber  to  fag  „ermüden",  „sich  ab- 
arbeiten". —  flash :  flack  oder  flag.  —  flosh :  flog.  —  gnash:  dial.  gnag.  —  hash  : 
hack  oder  hag.  —  hush  :  hug.  —  lash  :  lack.  —  push:pug.  —  quash  :  quackened, 
quackle.  —  rash  :  rack  oder  rag.   —   smash :  smack.   —   swash  :  sivack  oder   sivag. 

Seltener  ne.  auf  —  sk :  fisk  (von  Björkman  vermutungsweise  mit  ae.  fijs(i)an 
in  Verbindung  gebracht):/«/,  fldget,  fach  (vgl.  Basler.  gfitsj  „unruhig  sich  hin-  und 
herbewegen"  <;  *fickexen  :  flckd,  „reiben,  kratzen").  —  flisk  :  pick.  —  frisk  :  fr  ig. 
hisk :  hie.  —  ivhisk :  tvhig.  —  Zu  dieser  gruppe  wären  wol  auch  die  von  B.  als 
dunkel  bezeichneten  pasken,  rusken  zu  ziehen. 

Auf  x:  vielleicht  ne.  box :  to  boke  „stossen",  vgl.  Schweiz,  butid  <  huk\j 
„anstossen":  auch  engl,  bush  „mit  dem  köpfe  stossen".  —  gux  =  „to  hiecup'1 ;  guck 
„jucken"  (?). 

Für  lutske,  ne.  husk  weist  B.  nordische  entlehnung  ab.  Seine  ableitung  des 
Wortes  aus  ae.  hos  (?)  =  „a  pod"  (deutsch  hose)  scheint  mir  wegen  vokaldifferenz 
bedenklich;  ich  möchte  lieber  auf  hüsk  <  *hüdsk  zurückgehen,  zumal  da  in  Schweiz, 
dialekten  hüt  =  „hülse",  „fruchtschale"  ganz  gewöhnlich  ist.  Solche  bildungen  auf 
-sk  bei  Substantiven  sind  ja  im  englischen  nicht  unerhört,  man  denke  an  frosc,  ne. 
lesk,  lisk  <  ae.  lesca,  leosca  in  den  glossen;  bei  einigem  suchen  Hessen  sich  die 
beispielo  gewiss  vermehren:  wenigstens  glaube  ich  kesh,  kex  „hohler  pflauzenstengel" ' 
(cf.  keg,  „fässchen"'?),  mush  „brei":  muck  ,, kot,  unrat";  pash  „gesiebt,  \.o\Ä'i : pat 
„klümpchen";  slush  „schlämm,  schmutz"  :  sind,  „schlämm";  squash  :  squad  „morast"; 
tusk  „  büschel "  :  tuck  „dicht  zusammenziehen"  hier  einreihen  zu  dürfen. 

Ich  schliesse  mit  dem  wärmsten  danke  für  die  reiche  und  vielseitige  anregung 
durch  die  lektüre  des  buches,  welches  ein  aufmerksames,  eindringendes  Studium  viel- 
fältig lohnen  wird.  Möge  es  dem  Verfasser  vergönnt  sein,  sein  werk  bald  zu  ende 
zu  führen;  die  englische  etymologie  wird  dasselbe,  zumal  wenn  es  durch  einen  aus- 
führlichen index  leicht  benutzbar  gemacht  wird,  auf  lange  hinaus  zu  den  grund- 
legenden Hilfsmitteln  rechnen  dürfen. 

1)  Zu  diesem  wort  vgl.  jetzt  11.  C.  "Wyld  in  Engl.  stud.  30,  381  fgg. 

BASEL.  GUSTAV    BINZ. 

Hernimmi,    Paul,    Deutsche    mythologie    in    gemeinverständlicher    dar- 
stellung  mit   11   abbildungen  im   text.     Leipzig,   W.  Engelmann  1S9S.     Vfll, 
545  s.     8  m. 
In  einom  ersten  teil  wird  der  seelenglaube  dargestellt  (s.  3 — 107),  d.h.  die 

seele  als  atem,  dunst,  uebel,  schatten,   feuer,  licht  und  blut;  die  seele  in  dergestalt 


1 02 

und  in  mensohengestalt;  ä  fenthaltsorl  der  eelen;  dei  eelenkultus;  zanberei  nnd 
bexerei;  maren-  odei  al]  ohioksalsgeistei      Dei  zweite  teil  bringt  die  fo 

der  naturverehrung  I  .  108—414);  darunt  Serrmann  die  mythologie  dei 

elbi8ohen  geister,  dei  riesen  and  dei   göttei      In  einem  dritten  teil  bebandelt  erden 
u, lins  (8.415     512):  gottesdienst,  opfer,  prie  tei     and  teropelweeen nnd  -■ 
in  ..irrten  teil  (s.513-   531)  st.-llt  er  die  Vorstellung!  a  vom  anfang  und  ende 
der  weli  zusammen.     Den  besoblnss  machl  ein  regi  »ter. 

Das  buch  ist  wolgemeint,  aber  unzulänglich    Beinen  besonderen  Charakter  bc- 
kommt  es  duroh  die  eingehende  Verwertung  dei    neueren   I  n   über  die  auf 

den  römisch -germanischen  Inschriften  genannten  ittheiten,  auf  die  der 

verf.  um  so  stärkeres  gewicht  legte,  als  er  eine  deul  che  mythologie  Bobreiben 
wollte  und  auf  die  nordische  mythologie  nicht  eingegangen  ist.  So  berichtet  er  über 
den  Matronenkult  (s.  102  — 107  mit  abbildung  des  Kölner  steins  der  Matronae  Afliae), 
über  Mars  Thingsus  (s.  274  — 277  mit  drei  abbildungen) ,  Eercules  Magusanue  (s.  348), 
Nehalennia  (s.  374—383  mit  zwei  abbildungen),  llludana  (s.  385 fg.)  u.  a.  Leider  ohne 
einen  funken  von  kritik. 

KIEL.  FRIEDRICH    KAU1FMANN. 


Die  reimvorreden  des   Sachsenspiegels   von    Gustav    Roethe.     Abhandlungen 

der  kgl.  gesellschaft  der  Wissenschaften   zu   Göttingen.     Philolog. -histor.   klasse. 

N.  I.    Bd.  II.    Nr.  8.    Berlin,  Weidmannsche  buchhandlung  1899.    110  s.    4.    8  m. 

Die  beobachtung  des  Sprachgebrauchs  und  der  reime  der  Präfatio  II  erweitert 

sich    dem    Verfasser    zur   darstellung    der   niederdeutschen    litteratursprache    des   12. 

und  13.  Jahrhunderts:  die  erscheinungen ,  die  dort  in  kleinem  rahmen  auftreten,   sind 

vorbildlich  für  die  ganze  litteratur  des  sächsischen  volkes.    Von  der  vergleichung  der 

beiden  vorreden  steigt  die  Untersuchung  auf  zu  der  revision  der  gesamten  nd.  poesie 

seit  "Wernher  v.  Elmendorf  und  Eilhart  v.  Oberge  bis  zum  pfaffen  Konemann;  mit  den 

hier  gewonnenen  resultaten  konnte  dann  Eikes  rechtsbuch  selbst  auf  seine  spräche  hin 

geprüft  werden.    Den  abschluss  bildet,  gleichsam  symbolisch  für  die  fernwirkende  kraft 

jenes  grossen  nd.  Sprachdenkmals,  der  nachhall  einiger  verse  des  prologs  II  in  Goethes 

epigramm  'Sprache'. 

Die  erste,  die  strophische  vorrede  kann,  was  Roethe  mit  meisterhafter  er- 
klärungskunst  erschliesst,  nicht  ebenfalls  von  Eike,  dem  sicher  beglaubigten  Verfasser 
der  zweiten  in  reimpaaren  abgefassten,  herrühren.  Innere  sowol  wie  äussere  gründe 
sprechen  für  zwei  verschiedene  autoren,  verschieden  sind  gedankengehalt  und  künst- 
lerische technik.  Den  nachdichter  beschäftigt  nur  ein  einziges  thema,  die  missgunst 
neidvoller  kritiker,  Eike  aber  lässt  seine  Individualität  nach  mehreren  richtungen  zur 
geltung  kommen,  und  während  jener  die  ungünstig  urteilenden  als  persönliche  feinde 
betrachtet,  fasst  Eike  dagegen,  bei  aller  schärfe  der  Selbstverteidigung,  die  kritik  nicht 
als  gegen  seine  person,  sondern  objectiv  gegen  die  in  seinem  buche  vorgetragenen 
rechtssätze  gerichtet  und  rät  darum,  dass  die,  welchen  etwas  daran  uüssehage,  sich 
bei  wisen  täten  befragen  sollen,  ivende  vil  wiser  täte  leren,  dien  an  gut  keren,  is 
bexxere  denne  myn  eines  sy  (v.  195 fgg.).  Zu  der  höhe  dieses  Standpunktes,  dem  es 
lediglich  um  die  sache  zu  tun  ist,  hat  sich  der  Strophenverfasser  nicht  aufschwingen 
können,  so  dass  sich  auch  in  dieser  hinsieht  ein  unterschied  der  büdung  und  des 
charakters  bei  beiden  dichtem  offenbart.  —  Auch  die  phautasie  arbeitet  bei  beiden 
verschieden,  wie  ßoethe  an  den  eingeflochtenen  bildern  zeigt:  die  Eikes  beruhen  auf 


ÜBER  ROETHK.  SACHSENSPIEGEL  103 

einfachen  gleichsetzungen,  der  anonyme  dichter  „sieht  lebende  wesen,  meist  sich 
selbst,  in  einer  bestimmten  Situation"  (s.  9).  Vielleicht  kann  man  den  unterschied 
noch  dahin  bestimmen:  der  dichter  der  Präfatio  I  nimmt  bekannte  und  geläufige 
metaphern,  Sprichwörter,  aus  der  traditionellen  volksweisheit,  z.  b.  gleich  im  eingang 
ich  ximbere  so  man  seget  bi  wege  (Zingerle,  Sprichw.  im  ma.  s.  165),  ja  ist 
uns  von  den  argen  kunt  ein  wort  gesprochen  lange:  der  vogel  singet  als 
yme  der  n/unt  geuassen  steit  zu  sänge,  v.  45  —  48  (Zingerle  s.  160),  und  das  passt 
auch  stilistisch  zu  der  trotz  des  aufdringlichen  hervorkehrens  der  eigenen  person  doch 
wenig  individuellen  art  der  spräche  seiner  polemisch -didaktischen  Strophen;  Eikes 
bilder  dagegen  tragen,  wenn  sie  auch  nicht  über  den  schon  in  seiner  zeit  vorhandenen 
vorstellungsstoff  hinausgehen,  doch  nicht  den  Stempel  solcher  fest  geprägten,  allge- 
mein giltigen  formein.  —  Noch  augenscheinlicher  scheidet  die  metrische  form  und 
der  reimgebrauch  die  beiden  dichter:  Eike  hält  au  dem  freieren  nd.  rhythmus  fest  unter 
Zulassung  von  Schwellversen  mit  Überfüllung  der  Senkungen ,  in  den  reimen  mischt  er 
mundartliche  formen  ein,  wie  wat,  %o,  steif,  gestüt;  der  anonymus  dagegen  folgt  mit 
regelrechter  abwechslung  von  liebung  und  Senkung  dem  höfischen  hd.  kunstprincip 
und  vermeidet  auffallende  idiotismen. 

Roethe  hat  die  beiden  Individualitäten  in  ihren  gegensätzen  scharf  von  einander 
abgehoben,  aber  immer  bleibt  es  auffallend,  dass  ein  unberufener,  an  dem  werke  gar 
nicht  beteiligter  sich  so  geharnischt  dafür  wie  für  sein  intimstes  eigentum  ins  zeug 
geworfen.  Sollte  er  doch  vielleicht  einen  gewissen  an  teil  an  der  abfassung  gehabt 
haben?  Zum  Sachsenspiegel  wurden  noch  im  13.  jh.  viele  zusätze  gemacht  (Homeyer. 
Die  extravaganten  des  Sachsenspiegels  s.  225,  Abhandlungen  der  Berliner  akademie 
1861).  Sollte  er  in  solcher  weise  daran  beschäftigt  gewesen  sein?  Wol  liesse  sich 
dann  sein  eifer  begreifen  und  auch,  dass  er  sich,  etwa  wie  der  herausgeber  einer 
zweiten  aufläge,  infolge  der  interessengemeinschaft  mit  dem  wirklichen  urheber  gleich- 
sam identificierte. 

Nicht  vollständig  scheint  mir  der  auch  von  Roethe  als  "nicht  ganz  grundlos' 
anerkannte  einwand,  die  Verschiedenheit  der  technik  in  Präfatio  I  und  II  beruhe  darauf, 
dass  jene  eben  in  Strophen,  diese  in  reimpaaren  abgefasst  sei,  widerlegt  durch  die 
entgegnung,  dass  sonst,  wenn  ein  autor  zugleich  dichtungen  in  reimpaaren  und  zum 
sprechen  bestimmte  Strophen  verfasste  —  wie  Hartmann  im  Büchlein  oder  Ulrich  von 
Lichtenstein  im  Frauenbuch  gegenüber  dem  Frauendienst  u.  a.  —  doch  nie  der  unter- 
schied in  der  taktfüllung  und  betonung  so  gross  gewesen  sei,  wie  in  den  beiden 
prologen  des  Sachsenspiegels  (s.  18).  Es  brauchte  doch  nicht  ganz  ausgeschlossen  zu 
sein,  dass  ein  dichter  das  streng  lyrische  prinzip  regelmässigen  betonuugsweohsels 
auch  auf  nicht  zum  gesang  bestimmte  Strophen  anwendete.  Hugo  v.  Trimberg  hat 
dies  in  den  gewiss  nicht  gesungenen  Strophen  von  der  Jugend  und  vom  alter  sowie 
in  den  ebenfalls  silbenzählenden  einleitungsversen  zum  Reimer  in  der  tat  getan .  während 
er  in  den  reimpaaren  des  lehrgedichts  die  Senkungen  sehr  frei  behandelt. 

Unter  den  mundartlichen  reimen  in  Kikes  vorrede  misst  Roethe  vor  allein  dem 
von  wat  (s.  oben)  auf:  hat  grosse  bedeuhing  zu,  indem  er  ebensogut  für  nieder-  als  für 
hochdeutsche  spräche  zeuge  wegen  des  'unzweideutig  niederdeutschen'  mit  (s.  2-1  fg.): 
aber  wat  ist  doch  auch  mittelfränkisch.  Und  bei  steit,  das  sowol  nid.  als  nd.  sein  kann, 
wäre  die  einschränkuiig  zu  machen,  dass  es  nicht  allgemein  md.,  sondern  wesentlich 
nifrk.  und  rheinfrk.  ist,  vgl.  Kraus,  D.  gedichte  des  12.  jhs.  s.  148.  Beide  reimpaare, 
wat :  hat  und  steit :  leit  sind  also  auch  mfrk.  gerecht.  Nun  ist  freilich  nicht  wahr- 
scheinlich, dass  Eike  sich  zu  diesen  reimen  erst  deswegen  entschloss,  weil  sie  duroh 


101  MANN 

mfrk.  Überlieferung'  sanotioniert  gewesen  wann.    Bondern  et   wird    sie  unwillkürlich 
seinem  eigenen  Sprachschatz,  wie  Boethe  glaubt,  entnommen  haben,  aber  eine  auch 
mfrk.  bindung  wie  ioat:hät  kann  nicht  ohne  weiteres  and  absolut  für  da 
einandergehen  von  od.  und  hd.  spraohe  sengen. 

Kn inzelheit  der  Interpretation  möchte  ich   noch  berühren:  nicht  eigentlich 

Eür  die  stolzen  helde  bai  Kikc  Bein  buch  geschrieben  („I  zu  einem  publikum, 

zu  den  stolzen  helden,  für  die  er  sein  buch  geschrieben  hat",  b.  6fg.),  sondern  in 
erster  iinie  hat  er  wo!  die  guten  Mite  im  sinne,  auf  die  Boethe  durch  citieren  der 
stelle  141 — 150  ebenfalls  vorwiesen  hat.  das  sind  ehrenwerte,  angesehene  leute,  die 
autorität  in  rechtsgeschäften  besitzen;  mit  'stolzen  helde'  deute!  er  nicht  etwa  auf 
alle  freien  Sachson  oder  überhaupt  auf  einen  stand,  sondern  auf  eine  bestimmte 
charakterveranlagung:  es  sind  mariner,  die  ihr  hohes  Selbstgefühl  leicht  vergessen 
lassen  kann,  dass  alles  irdische  vergänglich  ist. 

Dass  die  littcratur  Niederdeutschlands  im  mitt.-Ialter  nicht  in  einheitlicher  nd. 
spräche  abgefasst  war,  sondern  starke  anleinen  bei  der  hochdeutschen  machte,  war 
lange  bekannt,  als  tatsache  klar  gelegt  wurde  aber  dieses  Verhältnis  erst  durch  Behaghel 
(Schriftsprache  und  mundart,  1896),  indem  er  systematisch  die  einzelnen  nd.  werke 
unter  diesem  gesichtspuukte  prüfte.  Eoethes  Untersuchung,  auf  breiterer  grundlage 
angelegt,  arbeitet  die  eigenart  der  einzelnen  Verfasser  heraus  und  dringt  zu  den  be- 
dingungen  vor,  die  eine  solche  kunstsprache  entstehen  Hessen.  Nur  im  12.  und  13. 
Jahrhundert  war  sie  allgemein  in  geltung,  denn  mit  dem  beginn  des  14.  jhs.  sind  die 
lehrjahre  unter  der  zucht  hochdeutscher  bildung  vorüber,  das  nationale  sächsische 
geistesleben  wagt  sich  frei  hervor  und  damit  tritt  auch  die  niederdeutsche  spräche 
stärker  in  ihre  rechte.  In  betracht  kommen  die  noch  assonanzen  gestattenden  "W'ernher 
v.  Einiendorf  und  Eilhart  v.  Oberge,  ferner  Eberhard  v.  Gandersheim,  Berthold 
v.  Holle,  die  Braunschweiger  reimchronik,  Brun  v.  Schonebeck  und  endlich  der  pfaff 
Konemann;  Albrecht  v.  Halberstadt  aber  gehört  eigentlich  nicht  in  diesen  kreis,  da 
er  nicht  für  ein  niederdeutsches  publicum  und  nicht  in  jener  nd.  dichtersprache  ge- 
schrieben hat,  aus  welchem  gründe  ihn  wol  auch  Behaghel  nicht  in  seine  liste  auf- 
nahm; er  steht  zu  der  hochdeutschen  litteratur  in  dem  nämlichen  Verhältnis  wie 
der  Italiener  Thomasin,  der  mit  ganz  denselben  gründen  etwaige  Verstösse  gegen 
die  verskunst  entschuldigt.  Jene  dichter  nun  strebten  eine  hochdeutsche  sprachform 
an,  ohne  jedoch  das  eindringen  heimischer  elemente  gänzlich  zu  vermeiden.  Xicht 
allen  gelang  es  in  gleichem  masse  und  nicht  alle  folgten  denselben  grundsätzen.  Bei 
den  consonanten  ist  das  prinzip  der  verhochdeutschung  ziemlich  einheitlich  (auffallend 
doch,  dass  Berthold  v.  Holle  die  t  un verschoben  lässt),  aber  mit  ihrem  vocalbestand 
treten  der  Gandersheimer  und  Braunschweiger  chronist  stark  aus  der  reihe  der 
andern  heraus,  besonders  dadurch,  dass  sie  e  und  i  und  die  i- haltigen  diphthonge  im 
Verhältnis  viel  häufiger  untereinander  binden  als  die  andern ,  also  reime  haben  wie  riet  : 
geit,  liep  :  bleip,  sele  :  teile,  eigen  :  verswigen  (e  :  e).  Boethe  spricht  diese  reime  für 
entschieden  niederdeutsch  an  (s.  48),  mit  der  einschränkung ,  dass  fast  jede  einzelne 
dieser  erscheinungen  als  mitteldeutsch  nachweisbar  sein  werde,  nicht  jedoch  das 
„vocalische  gesamtbild u  (s.  39).  Diese  beiden  dichter  haben  also  ihre  mischsprache  in 
der  weise  zusammengebracht,  dass  sie  wesentlich  hochdeutschen  consonantismus,  aber 
niederdeutschen  vocalismus  einführten;  sie  nahmen  auf  die  vocale  weniger  rücksicht, 
indem  ihnen  das  charakteristische  merkmal  des  hochdeutschen  im  consonantenstand 
liegen  mochte.  Vielleicht  ist  aber  Eberhard  von  Gandersheim  allein  für  diese  freiheit 
verantwortlich  zu  machen,  denn  der  Verfasser  der  Braunschweiger  reimchronik  hat 


ÜBER  ROKTHE,  SACHSENSPIEGEL  105 

sein  werk  benutzt  und  sich  wol  auch  sprachlich  davon  beeinflussen  lassen:  das  häufige 
berichte :  gestickte  hat  er  wahrscheinlich  daher  entnommen  (Roethe  s.  39),  und  ähn- 
licher einwiivkung  kann  er  auch  bei  der  behandlung  des  vocalismus  zugänglich  gewesen 
sein.  Darf  aber  die  bindung  von  cht :  ft  als  eine  „  scharf  niederdeutsche  eigenheit 
des  consonantismus "  (s.  39)  aufgefasst  werden?  Sie  ist  in  der  mfrk.  litteratur,  der 
mundart  entsprechend,  ja  sehr  geläufig  und  sogar  von  höfischen  dichtem  zugelassen 
(von  Veldeke,  s.  Behaghels  Eneide  s.  LXXV,  Kraus,  H.  v.  Veldeke  und  die  mhd.  dichter- 
sprache  s.  136;  auch  von  Herbort  von  Fritzlar),  ja  es  ist  sogar  wahrscheinlich ,  dass 
Eberhard  den  reim  berichte :  gestickte  schon  als  traditionellen  vorgefunden  hat,  denn 
bei  Veldeke  begegnet  er  mehrmals.  Schrickt  (schrift :  Ecbricht)  ist  auch  nicht  so 
vereinzelt:  bei  Brun  spricht :  schrift  (Arwed  Fischer  s.  XLI),  und  schon  bei  Veldeke 
9497  geskrichte  :  gedickte.  Als  zugleich  mittelfränkisch  können  ferner  noch  beansprucht 
werden  die  reime  von  f(=p)  :  f(=b)  wie  scaf ':  gaf,  bischof :  lof,  oder  von  f:f 
(=  b)  wie  begreif:  schreif  (Brun  v.  Schonebeck,  Arwed  Fischer  s.  XLIII).  Die 
Schwierigkeit,  zwischen  niederdeutschen  und  hochdeutschen  elementen  zu  entscheiden, 
tritt  also  dann  ein,  wenn  eine  form  zugleich  niederdeutsch  und  mittelfränkisch  sein 
kann.  Hier  könnte  der  nachweis  litterarischer  einwirkung,  etwaiger  beeinflussung  durch 
die  mfrk.  dichtung,  aushelfen,  welche  beziehungen  freilich  sehr  verdeckt  hegen. 

Bei  diesen  dichtem  also  treten  die  dialectischen  nd.  reime  zurück  mit  ausnähme 
des  letzten,  des  pfaffen  Konemann,  ums  jähr  1300.  Zwischen  ihm  und  seinen  Vor- 
gängern ist  ein  beträchtlicher  abstand  im  zurückdrängen  der  muttersprache ,  und 
damit  ist  die  periode  der  absoluten  herrschaft  des  hochdeutschen  in  der  nd.  litteratur 
abgeschlossen,  in  der  nämlichen  zeit,  da  auch  in  Oberdeutschland  die  mundarten  mehr 
Selbständigkeit  gewinnen.  Dasselbe  resultat  wie  die  Untersuchung  der  grammatischen 
bestandteile  liefert  eine  durchmusterung  des  Sprachschatzes:  besonders  bei  Berthold 
von  Holle  das  bestreben,  geläufige  niederdeutsche  worte,  die  den  hochdeutschen 
charakter  seiner  dichtungen  beeinträchtigen  konnten,  zu  unterdrücken,  demgegenüber 
viel  stärkere  beimischung  des  niederdeutschen  bei  Eberhard  v.  Gandersheim  und  in 
der  Braunschweiger  reimchronik.  Eine  derartige  prüfung  des  sprachlichen  materials 
ist  ganz  neu  und  eröffnet  auch  neue  gesichtspunkte  für  die  Würdigung  der  betreffen- 
den autoren. 

Bei  den  lyrikern  interessiert  besonders  der  fürst  Witzlaw  von  Rügen.  Die 
Streitfrage  um  den  dialect  seiner  gedichte  hat  Roethe  endgütig  gelöst,  und  zwar  an 
der  band  der  litteraturgeschichte:  wenn  er  besondere  nd.  Wörter,  und  zwar  haupt- 
sächlich in  den  reimen,  einmischt,  so  folgt  er  der  mode  der  zeit,  die  Frauenlob  am 
stärksten  vertritt,  jener  sucht,  die  reime  zu  schmücken  mit  seltenen  Wörtern,  und 
wie  Frauenlob  (und  der  dichter  der  Minneburg,  vgl.  Beitr.  22,  314  und  24,  392,  'wilde 
rime'  oder  'spekc  rlvie')  holt  er  solche  auch  aus  seinem  heimischen  Sprachschatz. 
Aber  die  bedeutung  dieses  dichtenden  fürsten  hat  Roethe  doch  wol  zu  hoch  dargestellt 
mit  den  Worten,  er  habe  einen  befreienden  schritt  getan  (s.  61  und  66).  Dann  hätte 
er  etwas  von  einer  reformatorischen  natur  gehabt,  da  er  sich,  unter  dem  einfluss 
seines  günstlings  Frauenlob,  doch  nur  von  dem  ungeschmack  der  bankerott  gewordenen 
höfischen  richtuug  leiten  Hess. 

Im  darauffolgenden  abschnitt  (IV)  wird  die  früher  viel  behandelte  frage  nach 
der  ursprünglichen  spräche  des  Sachsenspiegels  dahin  beantwortet,  dass  Eike  sein 
rechtsbuch  ebenso  wie  die  vorrede  in  jener  temperierten  litteraturspracho  verfasst 
habe,  welche  scharf  hervorspringende  eigenhciten  des  niederdeutschen  ebenso  wie  des 
hochdeutschen  meidet.     Der  Wortschatz  gibt  hier  den  ausschlug,   und  da  fehlen   dem 


106  EllftlSMANN 

riele  der  geläufigsten  od.  form?  noehtan,  men,  ui .  rtde,  eft, 

dus,   ichi  (wenn),   tegen,  achter  u.  a  |  ,99).     Die  pruch 

erfahren,  doch  ist  ea  schon  aus  allgemeinen  gründen  wahrscheinlich,  d&^s  Eike  auch 
in  der  prosa  die  vornehmere  am  hochdeutschen  gemi — oe  od.  litteraturspraohi 
wendete,  denn  i  •  Um  ut  als  kunst-  bezw.  gelehrtei 

wie  die  gehnndene  rede.    Wie  weil   freilich  die  ooncession  gegen  das   bochdeul 
.  liisst  sich  hier,  wo  nur  clor  Wortschatz  nicht  auch  der  reimgebrauch  zen 
t,  aoch  weniger  scharf  abgrenzen  als  bei  den  gedienten;  der  .Spielraum  ist  eben 
schon  bei  der  poetischen  gattung  wi  sn  denken.  —  Die  aufgäbe,  die  deutsche 

spräche  zu  der  feinheit  eines  wiBsenschaftliohen  idioms  zu  erbeben  (Roethe 
dazu  jene  art  wissenschaftlichen  arheitens,  jenes  stilisieren  des  sprachstoffes,  war  es, 
was  ihn  zu  swere  dünkte.  Fram-k  weist  |  An/..  1'.  d.  alt.  26,  123  fg. )  darauf  hin,  dass 
sicr/f  eigentlich  'lästig'  bedeute,  nachdem  er  das  mühevolle  werk  der  lateinischen 
redaction  vollbracht,  habe  es  ihm  zu  lästig  geschienen,  auch  noch  die  deutsche  be- 
arbeitung  auf  sich  zu  nehmen.  Aber  gegen  diese  auffassung  spricht  die  äusserung 
:><  lest  er  doch  genante  des  arbeite*,  er  wagte  es  trotzdem,  und  die  bekämpfung 
bloss  einer  die  Stimmung  trübenden  unbehaglichkeit  kann  ihm  nicht  wol  gleich  als 
wagnis  erschienen  sein,  vielmehr  liegt  in  diesen  worten  doch  wol  das  bewusstsein,  dass 
er  eine  in  der  arbeit  selbst  liegende  Schwierigkeit  zu  überwinden  hatte.  Dafür  spricht 
auch  der  gegensatz:  für  die  lateinische  bearbeitung-  brauchte  er  keine  beihilfe  (äne 
helphe  vnd  ame  Ure)  —  demgegenüber  duckt  in  die  umwendung  ins  deutsche  xti 
swere.  Übrigens  hat  Eike  hier  nur  einen  typischen  zug,  der  in  prologen  beliebt  war, 
aufgegriffen,  nämlich,  die  eigenen  dichterischen  oder  schriftstellerischen  fähigkeiten  in 
übertriebener  bescheidenheit  als  unbedeutend  darzustellen.  Der  anderen  möglichkeit. 
die  Franck  anführt,  dass  er  platt  wählen  musste  um  den  litten  al  genieine  verständ- 
lich zu  werden  und  dieses  ihm  unangenehm  gewesen  wäre,  lässt  sich  entgegen  halten, 
dass  für  ihn  in  die  Sphäre  des  sächsischen  rechts  auch  Thüringen,  Meissen,  die  Lausitz 
mit  inbegriffen  waren.  Nach  alle  dem,  wenn  man  Francks  hinweis  auf  die  bedeutuag 
von  swere  =  'lästig'  aufnimmt,  so  wird  doch  Boethes  erklärung  der  ganzen  stelle 
nicht  hinfällig,  indem  swere  in  diesem  Zusammenhang  prägnant  gefasst  werden  kann 
als  'drückend,  mühe  machend  infolge  der  Schwierigkeit  der  aufgäbe',  was  zugleich 
ein  beispiel  ist  für  jenen  metonymischen  bedeutungswandel  von  schwer  =  'unan- 
genehm drückend'  zu  'der  ausführung  hindernisse  entgegenstellend'  (Paul,  "Wb.  s.  v.l. 
der  fürs  md.  schon  im  13.  jh.  zu  belegen  ist  aus  Heinrichs  v.  Krolewitz  Vaterunser 
(Mhd.  Wb.  II2,  810  fg.,  vier  beispiele).  Übrigens  ist  swere  wol  lehnwort  aus  dem  hd., 
da  die  nd.  form  ja  swär  ist. 

HEIDELBERG.  G.   EHRISMANN. 


Karl  Drescher,  Arigo,  der  Übersetzer  des  Decamerone  und  des  Fiore  di 
virtü.  Quellen  und  forschungen,  86.  heft.  Strassburg.  Karl  J.  Trübner  1900. 
225  s.    8.     6  m. 

In  planmässigem  auf  bau,  von  den  allgemeineren  beziehungen  zur  näheren  be- 
stimmung  der  persönlichkeit  vorwärts  schreitend,  stellt  der  Verfasser  zusammen,  was 
sich  aus  darstellung  und  spräche  für  die  lebensumstände  des  rätselhaften  Arigo  ergibt. 
Die  deutsche  lokalf ärbung ,  die  er  als  Übersetzer  da  und  dort  der  Schilderung  zu  geben 
weiss,  eingestreute  Sprichwörter  und  volkstümlich  klingende  deutsche  reime,  miss- 
versteh ung  der  vorläge  zeigen,  dass  er  kein  Italiener  sondern  ein  Deutscher  gewesen 


ÜBER    DRESCHER.    ARIGO  107 

ist,  die  predigtmässige  rhetorik  und  stärkeres  hervortreten  des  religiösen  elementes 
lassen  den  geistlichen  erkennen,  dialekt  und  Orthographie  weisen  nach  Nürnberg:  zur 
feststellung  dieser  momente  sind  die  eigentümlichkeiten  in  Stil  und  spräche  beweis- 
kräftig genug  und  auch  versteckt  liegende  bezüge  hat  der  Verfasser  für  diese  zwecke 
feinsinnig  herauszufinden  gewusst.  So  steht  das  bild  des  unbekannten  nun  in  schärferen 
umrissen  vor  uns,  aber  der  Verfasser  tut  auch  den  letzten  schritt,  den  zur  endgiltigen 
entdeckung  des  mannes:  Arigo  ist  Heinrich  Leuhing,  ein  humanistischen  bestrebungen 
huldigender  pfarrer  zu  S.  Sebald  in  Nürnberg1,  und  damit  haben  wir  den  festen  boden 
der  Überlieferung  nicht  mehr  unter  den  füssen,  hier  musste  die  combination  einsetzen. 
Abgesehen  von  den  litterarhistorischen  ergehnissen  ist  die  abhandlung  sehr 
lehrreich  hinsichtlich  der  stilistischen  darstellungskunst  des  deutschen  frühhumanismus. 
Arigo  benutzt  oft  bis  zum  übermass  die  Synonymik,  jenes  gepriesenste  kunstmittel 
der  rhetoriken.  Dazu  hat  er  eine  Vorliebe  für  religiöse  ausdrücke.  Wenn  nun  der 
Verfasser  auch  durch  diese,  besonders  durch  bedeutsame  stoffliche  änderungen,  den 
geistlichen  stand  Arigos  unzweifelhaft  dartut,  so  sind  doch  jene  stilistischen  elemente 
religiösen  gehalts  in  ihrem  werte  als  beweismittel  ungleich.  Ein  grosser  teil  gehört 
von  vornherein  der  allgemeinen  volkstümlichen  Umgangssprache  an  und  kann  nicht  ohne 
weiteres  für  geistliche  anschauungsweise  des  Übersetzers  zeugen  (s.  35).  So  haben  die  an- 
rufungen  gottes  in  abgebrauchten  redensarten  nur  geriugen  religiösen  empfindungsgehalt 
mehr,  z.  b.  durch got,  uilsgot,  im  namcn gots,  ist  es  gotz  gefallen  (s.  29fgg.),  und  werden 
deshalb  als  selbstverständliche  phrasen  der  gewöhnlichen  rede  auch  z.  b.  in  dem  vom 
Verfasser  mehrfach  citierten  italienisch -deutschen  Nürnberger  gesprächsbüchlein  für 
kaufleute  (Brenner,  Bayerns  mundarten  2,  384 fgg.)  aufgeführt:  in  gocx  namen  fol.  94, 
15  u.  ö. ,  fon  gocx  gnaden  101,9,  mite  got  98,  1,  vergelcx  got  95b,  22  u.  ö.  Es 
sind  religiöse  formein,  die  ja  längst  heimisch  waren  und  in  den  mhd.  epen,  volks- 
tümlichen wie  höfischen,  oft  vorkommen,  wie  besonders  Schönbach,  Das  Christentum 
in  der  ad.  heldendichtung  s.  3  u.  ö.,  und  Über  Hartmann  v.  Aue  s.  4fgg.  gezeigt  hat, 
und  die  die  Volkssprache  noch  heutzutage  liebt,  vgl.  die  verschiedenen  fassungen  bei 
Schindler  I,  960  fgg.,  1225  und  im  Schweizer  Id.  II,  507  fgg.,  die  zum  teil  wieder  auf 
hohes  alter  weisen  (so  schon  im  Hildebrandslied  wettu  Irmingot).  Indirekt  durfte  der 
Verfasser  mit  recht  diese  neigung  zum  volkstümlichen  als  beweis  für  den  geistlichen 
stand  des  Übersetzers  mit  wirken  lassen,  eben  insofern,  als  es  dem  beruf  des  pre- 
digers  eignete,  solchen  der  lebenden  spräche  entnommenen  charakterzügeu  räum  zu 
gewähren.  Die  predigt  sollte  auf  das  gemüt  des  volkes  wirken  und  konnte  dieses 
um  so  eher  erreichen,  wenn  sie  auch  den  volkstümlichen  ton  traf.  Leichtverständ- 
lichkeit ist  ein  haupterfordern is  nach  den  Vorschriften  für  geistliche  beredsamkeit  und 
gerade  das  ist  ein  wesentlicher  unterschied  zwischen  dem  geistlichen  stil  und  dem 
weltlichen,  der 'rhetorica  divina'  und  der  'rhetorica  humana',  dass  jener  einfach,  leicht 
verständlich,  alltäglich  sein  soll,  während  der  andere  verfeinerte  rede  erstrebt  (ser- 
monem  politum),  wie  z.  b.  im  Manuale  predicatorum  des  Surgant  nach  Hieronymus 
ad  Damasum  auseinandergesetzt  wird  (Libri  primi  Consideratio  XIX):  sä  locutio  [i. 
e.  rhetoricae  divinae]  pcdcstris  et  quotidianar  similis  usw.  Auch  vor  dem 
übermässigen  gebrauch  der  synonyma  wird  gewarnt  (Libri  I  Consid.  XVI  tertio  modo); 
hierin  folgt  Arigo  allerdings  der  mode  seiner  zeit,  und  besonders  die  juristische  kanzlei- 
sprache  war  dem  prunk  der  synonyma  geneigt. 

1)  Seine  Untersuchungen  hat  der  Verfasser  in  allgemeinen  zügen  schon  auf  der 
Philologenversammlung  in  Dresden  mitgeteilt,  vgl.  Verbandlangen  der  44.  Versamm- 
lung deutscher  philologen  und  schulmäuner  in   Dresden  s.  132 —  136. 


1 08 

Beruhen  diese  Wendungen  geistlichen  anstriche  auf  einem  allgemeinen  gebrauch 
im  der  Volkssprache,  eine  andere  gruppe   b  roh  stilistische  prineipien 

des  Übersetzers,  d zu  ätze  sind  also  zwar  individuell,   aber  rein  formaler  natur 

und  nicht  m  erste]  Linie    pontane  ausbrüohe  i  i  empfindens.    So  du-  zu- 

fügung  stehender  beiwörter  wie  gütliche  ee,  heiliger  freitag ,  heilige  hirehe 
ähnlich  auch  ilbrecbl  \.  Eyb,  Herrmann,  \.  •■.  E  heyUge  chritfr 

liehe  Mrche'   u.a.  bei   Butten,   Bzamatölski  Q.F.67,9).     Oder  jene  fälle,   wo 
oinom  begriff  des  Originals  eine  zweigliedrige  formel  gebildel  wird1:  toider  [all*  gött- 
liche ere  u/nd\  rechte  erlieh   \vnd  gütlich  .  bitten   und  trösten,  stereken  und  U 
=  confortevre  u.a.  (s.43fgg.).    Arigo  hat  aber,  aen  von  solchen  zum  geschmack 

ii  zeit  gehörenden  formelhaften  wen  Vorliebe,   ein- 

fache satzglirdi-r  des  italienischen  textes  zu  erweitern.  Durch  diese  technische  tendenz 
(„neigung  zur  fülle"  bei  Eyb,  s.  Berrmann  s.  396)  erklären  sich  ebenfalls  Zusätze 
religiösen  Inhalts,  z.  b.  zweigliedrige  sätze  wie  sei/n  seleheyle  machet  vnd  tu  einem 
Krishn  machet],  ich  schwere  euch  bei  dem  der  vns  alle  geschaffen  Imt  vnd]  mich 
in  sy  encxündet  hat,  oder  attribute  wie  got  [der  almechtig ,  der  aller  gute]  ein  über- 
flüssiger  geber  ist  s.  39,  der  \hrilig  vater  der]  pabst  s.  37,  und  diese,  wenn  auch  i 
falls  zunächst  wol  durch  das  streben  nach  formaler  erweiterung  bedingt,  lassen  aller- 
dings stark  ein  geistliches  interesso  durchblicken,  dazu  erinnern  andere,  besonders  lang- 
stieligere zusätze,  so  sehr  an  den  predigerton,  dass  die  folgerung  des  verfas- 
sei  geistlicher  gewesen,  wol  zweifellos  das  richtige  trifft.  Diese  erweiterungen  ge- 
hören unter  das  wesen  der  'Amplificatio'  in  der  predigt  (Surgant,  Libri  I  Consid.  XVI. 
auch  Consid.  XVIU  quarta  regula:  Oportet  fidelem  predicatorem  euhjarisando  in 
libro  sepe  implere  aut  supplere"). 

Ähnlich  verhält  es  sich  mit  der  zufügung  von  titulierungen  in  der  anrede  wie 
herre,  frawe,  liebe  fraive,  lieben  frawen,  mein  lieber  man,  allerliebster  sun  mein, 
guter  freundt  u.a.  (s.  58fgg.):  sie  gehören  nicht  zunächst  der  geistlichen  beredsain- 
keit  an,  sondern  es  war  geradezu  sitte,  die  anrede  damit  einzuleiten,  und  zwar  schon 
seit  ahd.  zeit,  vgl.  Zs.  f.  d.  Wortforschung  1,  143.  145fgg.,  und  dann  durch  das  ganze 
mittelalter  hindurch.  Auch  die  bezeichnung  der  Untertanen  gegenüber  den  herrn  als 
arme  leide  geht  nicht  aus  geistlichem  empfinden  hervor  (s.  42 fg.),  als  ob  reiche  und 
arme  sich  gegenübergestellt  wären,  sondern  arme  teilte  ist  an  sich  nichts  weiter  als 
eine  Standesbezeichnung  =  'Untertanen,  grunduntertanen',  vgl.  Schindler  1,  143, 
Schweiz.  Id.  1,  455,  Grimm  RA.  s.  iarmman  armeleute'  register;  in  der  deutschen 
Rhetorica  (druck  von  1488,  fol.  45 a)  findet  sich  Eyn  brieff  als  sich  eyn  arm  man  in 
eyns  herren  schirm  gyt,  mhd.  arm  man  'der  nicht  freie  bauer,  leibeigene,  holde' 
Lexer  s.  v.,  vgl.  auch  Burdach,  "Walther  von  der  Vogelweide  s.  164  u.  304. 

Also  sind  viele  dieser  zusätze  geistlicher  färbung  wol  im  grossen  und  ganzen 
aus  gesichtskreis  und  gewohnheit  eines  geistlichen  Verfassers  zu  erklären,  aber  ihr 
zusammentreffen  ist  doch  komplizierterer  art.  Ähnlich  kann  Arigo  viele  der  nota- 
riellen ausdrücke  und  gepflogenheiten  (s.  82)  aus  der  kenntnis  von  Formulare  und 
Rhetorica  geschöpft  haben,   ohue  selbst  in  juristischer  praxis  tätig  gewesen  zu  sein, 

1)  Wie  die  lust  an  diesem  stilistischen  schmucke  wuchs,  zeigt  die  hs.  der 
Bl.  d.  tug.,  wo  häufig  zu  einfachen  Wörtern  des  ursprünglichen  textes  Synonyma  am 
rande  nachgetragen  sind. 

2)  In  vereinzelten  fällen  kann  auch  Arigos  vorläge  schon  gegenüber  unseren 
Decameronetexten  erweiterungen  gehabt  haben;  über  glossen  in  hss.  des  Dec.  vgl. 
Manni ,  Istoria  del  Decamerone  s.  631. 


ÜBER    DRESCHER,    ARIGO  109 

wie  z.  b.  einschlägige  titulierungen  in  der  anrede  auch  zum  stil  der  privatbriefe  ge- 
hören. Und  so  ist  die  ein setzung  des  titeis  statt  des  namens  (z.  b.  marekgraffe  statt 
'Walter'  s.  85)  z.  b.  auch  bei  Hütten  zu  belegen  (Szamatolski  Q.  F.  67,  8). 

Zur  bestimmung  des  dialekts  der  Übersetzung  zieht  der  Verfasser  auch  den 
Wortschatz  in  ausgiebiger  weise  bei  und  liefert  durch  das  Verzeichnis  der  beachtens- 
werten Wörter  für  die  deutsche  lexikographie  überhaupt  einen  wertvollen  beitrag.  Auch 
in  der  Wortwahl  offenbart  Arigo  jenen  zug  zum  volkstümlichen  und  weiss  dadurch 
einen  heimischen  ton  in  den  von  der  fremde  übernommenen  stoff  zu  bringen.  Andrer- 
seits lässt  er  aber  ruhig  italienische  Wörter  zu  und  einigem ale  ganz  grandios,  so  dass 
ein  wolbedachter  plan  in  der  auwendung  des  einheimischen  oder  im  vermeiden  des 
fremden  nicht  ersichtlich  ist.  Zu  einigen  Wörtern  möchte  ich  folgendes  bemerken: 
bei  abweis  'stultitia,  ineptia'  s.  123  deuten  die  meistgebrauchten  formen  auf  das  alte 
awtse.  Polierer  =  polierer  und  palier  =  parlier  sind  zwei  verschiedene  substan- 
tiva.  Sehr  oft  gebraucht  Arigo  das  für  jene  zeit  noch  selten  belegte  aasig ,  für  das  s 
in  dasig  und  hiesig  möchte  ich  nachbildung  an  fürsich,  hindersieh,  übersieh,  vnder- 
sich,  nebensieh  annehmen.  Gehäuse  s.  143  ist  nicht  =  gekösse  sondern  =  mhd. 
geheexe,  collectiv  zu  häz  hce%e  Lexer  I,  785.  1197,  Schweiz.  Id.  2,  1678. 

Orthographie,  dialekt  und  Wortschatz  zusammen  verlegen  die  Decamerone- 
übersetzung  nach  Bayern,  der  Wortschatz  speciell  am  ersten  nach  Nürnberg,  wenigstens 
kann  kaum  ein  anderer  ort  diesem  mit  grösserem  anrecht  gegenübergestellt  werden  wie 
der  verf.  gezeigt  hat.  Nun  aber  geht  er  weiter  und  findet  in  der  spräche  merkmale, 
die  nach  Mitteldeutschland  weisen  und  die  annähme  stützen  sollen,  Arigo  sei  identisch 
mit  dem  in  Naumburg  geborenen  Heinrich  Leubing.  Aber  spräche  und  Orthographie 
tragen  einen  durchaus  einheitlichen  Charakter  und  die  anhaltspunkte,  welche  der  Ver- 
fasser für  die  mitteldeutsche  herkunft  des  Übersetzers  in  ansprach  nimmt,  sind  zu 
unfest,  um  die  hypothese  zu  sichern.  Zunächst  seien  es  einzelne  Wörter,  die  nach 
Mitteldeutschland  führten:  dünckelgut  (nicht  dünckelgut),  schiig,  tarxe,  flach  als 
adj..  vielleicht  auch  slate  (s.  197);  aber  für  dünckelgut  citiert  der  Verfasser  selbst 
u.a.  auch  Theobald  Hock,  und  dieser  ist  nunmehr  durch  Jellinek  als  Oberpfälzer  er- 
wiesen (Zeitschr.  32,  392 fgg.  u.  33,  84fgg.),  die  gekürzte  form  schillig  zu  Schilling  ge- 
braucht auch  gerade  jenes  Nürnberger  gesprächbüchlein  fol.  19 tt  (Bayerns  mundarten 
2,  397)  \  flach,  verbum  flachen,  weist  der  Verfasser  selbst  auch  aus  obd.  quellen  nach 
und  slate  gerade  aus  der  Oberpfalz  (und  Nürnberg);  endlich  das  md.  tarexe  gegen  obd. 
tartsche  hat  als  fremdwort  nicht  viel  beweiskraft,  übrigens  setzt  Arigo  in  wemaexa 
(Drescher  s.  178)  ex,  für  ital.  cci-a  und  das  Nürnberger  gesprächbüchlein  hat  öfter 
es.  für  tsch  in  deuex  (durch  Vermittlung  der  venezianischen  ausspräche,  wo  ci-a—  ta). 

Ferner  bezüglich  der  Synonyma  speybe  oder  speiet,  pühelein,  püchelein  oder 
höche,  begem  [oder]  wegern  bemerkt  der  Verfasser,  es  sei  für  einen  Nürnberger 
weniger  nahe  liegend  gewesen,  diese  nebeneinanderstellung  mit  einem  einheimischen 
dialectwort  zu  machen  als  für  einen  zugewanderten  (s.  197)  und  s.  82  schreibt  er  auf 
grund  dieser  Verbindungen  dem  Arigo  ein  tieferes  Verständnis  für  die  überbrückung 
des  gegensatzes  von  mundart  und  Schriftsprache  zu  mit  den  Worten  'sie  zeigen  deut- 
lich, dass  Arigo  nicht  auf  dem  boden  eines  einzigen  dialektes  stand,  und  sind  inter- 
essante Zeugnisse  für  das  streben  nach  breiterer  Verständlichkeit.     Die  idee  einer  g<>- 

1)  Bemerkenswert  ist  der  suffixwechsel :  sg.  der  schillig  —  pl.  die  Schilling, 
der  pfennigt  —  die  pfenningt  (angefügtes  t  ist  häufig  in  diesem  denkmal),  was  also 
der  von  E.  Schröder  (Zs.  f.  d.  alt.  37,  124)  vorausgesetzten  betonung  und  flexion  phennig, 
phenninges,  phenninge  entspricht. 


110  K1IKI 

meinen  spräche  Leuchte!  hier  deutlich  aui  .  sntümliche  art  von  formel- 

bildung    isl    nichl    etwa   eine    originelle    erfindung  rn  Ist    in    den 

regelbüchern  der  geistlichen  beredsamkeil  antLihrj  I  XVlll 

Sexta  regula:  Si  quis  esset   in  loco  vbi  mm  esset  oritmdut  et  haberei  aliqua  vxd- 
i/ii,ia  vocabula  de  quibus  dubium  esset  vtrum  talia  nota   essent    communi  populo 
n  l  ,,,,,,  usw.  (darauf  ein   beispiel   mit  schwant*   'cauda',    vgl.  sekuxmcxe  vnd 
Drescher  8.82),  und  Nona  regula:  Quandocunque  /„um  inij,,,-,    /,',„,,,/  „,,',,,,.-  <■,.-, 

isiliilnm     Ulli     minus     intrll  iijiliil,  ,     /mir    mldmil    aliqUQ      -  Im, inj  um     !/<"■     i  st  tum  ,,t ,, , 

mmjis  intelligibilia,  also  'las  vulgär -wort  soll  durch   ein  allgemeiner  verständliches 
i  werden,  d.h.  hier  der  bayrische bezw.  Nürnberg!  b  durch  den  schrift- 

sprachlichen (mit  der  betreffenden  einschränkung 

verbreiteten.     Man   kann   also  daraus  eh<  ^en,   dass  Arigo  Bayer  oder  Nürn- 

berger gewesen  ist,  aber  an  einem  andern  orte  sich  aufhielt  [si  quis  esset  vn  loco 
vbi  im,/  esset  oriundus),  oder,  was  dasselbe  ist,  für  ein  puhlikum  schrieb,  bei  dem 
er  die  kenntnis  der  dialectworte  nicht  voraussetzen  durfte.  Im  gründe  allerdii.. 
die  für  prediger  wol  begründete  Vorschrift  hier  zu  stilistischer  Spielerei  ausgeartet- 
Auch  Jacob  Schöpper  iu  seiner  Synonymik  hat  nach  Edw.  Schröder  ähnliche  Verbin- 
dungen (Marburger  programm  1889  s.  34):  kott  und  kuut .  nur  und  rüge,  hefel  und 
hebet,  friesen  und  frieren  u.  a. ;  bei  Meisterlin  z.  b.  gehilcx,  oder  hamthab  (Joachim- 
sohn,  Die  humanist.  geschichtschreibung  1,  71);  ähnlich  auch  im  lateinischen  Cicero 
de  proprietatibus  termiuorum  (druck  vom  j.  14SS)  affiei-adßci,  dardanea-dardcmia, 
dulcedo-dulcido  u.a.  —  Endlich  sollen  lautliche  anzeichen  gegen  Nürnberg  sprechen. 
Aber  nottorftig,  nottörßig  ist  durch  das  subst.  nottorft  gerechtfertigt,  welches  z.  b. 
Decamerone  231,  6  vorkommt  und  auch  Nürnberger  chroniken  2,  302,  26.  2,  303,  4 
und  sonst:  das  o  ist  veranlasst  durch  das  prät.  bedorfte,  part.  bedorft  und  conj. 
prät.  bedorfte,  dessen  umlaut  auch  in  das  part.  bedörfft  eingedrungen  ist  (Dec.  469,  3, 
Karg,  Die  spräche  H.  Steinhöwels  s.  43)  und  heutzutage  mundartl.  schwäbisch  in  das 
ganze  präsens.  From[men],  geiconnen  sind  ebensogut  schwäbisch  als  md.,  vgl.  Kauff- 
mann,  Schwab,  mundart  s.  75.  Unter  köglet  (s.  200)  ist  zunächst  keglet  =  kegelichl  zu 
vorstehen,  vgl.  DWb.  5,391  (für  kegel  wird  oft  kögel  geschrieben).  So  kann  schliess- 
lich auch  das  zunächst  auffallende  ich  mosse  =  ich  muox,  moste  =  müeste  nicht  die 
mitteldeutsche  herkunft  des  Übersetzers  beweisen.  Mundartlich  werden  die  formen 
wol  sein  und  nicht  bloss  graphische  ausnahmen  statt  muosse  müeste,  aber  o,  ö  findet 
sich  bei  diesem  zeitwort  auch  sonst  in  oberdeutschen  und  diesen  nächstliegenden  md. 
mundarten:  im  alemann.  (vgl.  Weinhold,  Alem.  gramm.  §  384),  in  den  Sette  communi 
(Bayr.  gramm.  §332),  im  östlichen  Taubergrund  (mit  kurzem  o  und  ö:  Heilig,  Gramm, 
der  mundart  des  Taubergrundes  §  188),  in  verschiedenen  gegenden  Schwabens  (Hermann 
Fischer,  Geogr.  der  schwäbischen  mundarten  s.  44),  in  der  Schweiz  (Schw.  Id.  4,499). 
Die  o,  ö  sind  im  Taubergrund  und  in  Schwaben,  zum  teil  auch  in  der  Schweiz  kurz, 
die  reduktion  ist  nach  H.  Fischer  und  dem  Schweizer  Id.  eine  folge  von  tonlosigkeit 
(vgl.  auch  alem.  wir  mön  =  wir  müezeri),  ein  lautlicher  Vorgang,  dessen  bedingungen 
schon  in  ahd.  zeit  fallen  können,  indem  ö  unter  schwacher  betonung,  statt  in  uo  über- 
zugehen, bestehen  blieb  (wie  dö-duo)  und  dann  weiterhin  zu  o  gekürzt  wurde.  — 
Auch  die  behandlung  des  endungs-e  im  imperativ  und  schwachen  präteritum  kann 
es  nicht  wahrscheinlich  machen,  dass  Mitteldeutschland,  speciell  Ostmitteldeutschland 
die  heimat  des  Verfassers  war ;  vielmehr  die  tatsache ,  dass  er  in  der  Übersetzung  des  Fiore 
di  virtü  immerhin  sogar  57  fälle  von  schwachem  präteritum  ohne  e  (z.  b.  rerprachfi 
gegen  90  mit  e  (z.  b.  verpraehte)  zulässt,  spricht  eher  gegen  das  ostmitteldeutsche. 


ÜBER    DRESCHER,    ARIGO  111 

Die  sprachlichen  kriterien  dürften  also  nicht  ausreichen,  um  in  Heinrich  Leubing 
den  Übersetzer  des  Decamerone  und  des  Fiore  di  virtü  zu  sehen.  Im  gegenteil.  Er 
stammte  aus  Nordhauseu,  studierte  in  Leipzig  (um  1420),  war  in  der  kanzlei  der 
sächsischen  fürsten  beschäftigt,  dann  kurmainzischer  kanzler,  erst  1444  wurde  er 
pfarrer  zu  S.  Sebald  in  Nürnberg,  das  er  1463  wieder  verliess  um  seine  letzte  lebens- 
zeit  wieder  in  Sachsen  zu  verleben  (f  1472),  vgl.  s.  208  fgg.  Ist  es  nun  denkbar, 
dass  ein  mann,  der  mindestens  fünfzehn  jähre  lang  in  einer  mitteldeutschen  kanzlei 
beschäftigt  war,  nachdem  er  in  reiferem  alter  erst  in  eine  oberdeutsche  Stadt  ge- 
kommen, so  ganz  und  gar  alle  zeichen  seiner  bis  dahin  als  mustergiltig  von  ihm 
gehandhabten  Orthographie  und,  wir  dürfen  sagen  auch  seiner  muttersprache,  abgelegt 
und  sich  ganz  in  die  lokale  Schreibweise,  ja  noch  mehr,  in  intime  eigenheiten  des 
Sprachgeistes  einer  ihm  bis  dahin  ganz  fremden  gegend  sollte  eingelebt  haben?  Und 
dazu  noch  in  verhältnismässig  kurzer  zeit,  denn  schon  bald  nach  1451  hat  er  nach 
dem  Verfasser  die  Übersetzung  des  Decamerone  begonnen,  also  sieben  jähre  Dach 
seinem  eintritt  in  Nürnberg.  Ja,  noch  weiter.  Die  hs.  der  Übersetzung  des  Fiore  di 
virtü  hat  Arigo  im  jähre  1468  geschrieben,  schon  ca.  1463  aber  war  er  nach  Meissen 
gezogen,  und  von  den  jähren  1471  und  72  besitzen  wir  zwei  schreiben  von  ihm,  ab- 
gedruckt im  Cod.  dipl.  Sax.  Eeg.  II  hauptstück  III  s.  206  und  214,  und  diese  zeigen 
ausser  wenigen  anlautenden  p  gar  keine  spur  der  charakteristischen  Orthographie  der 
doch  nur  wenige  jähre  zuvor  geschriebenen  hs.  des  Fiore  di  virtü,  besonders  kein 
ch  für  &,  kein  ch  für  h  (wie  gesecheti),  kein  -het  für  -heit,  kein  -  icheit  für  -igkeit, 
kein  o  für  ä  in  rät,  auch  keine  paragogischen  e,  der  umlaut  von  u,  uo  ist  nicht 
bezeichnet  (für,  fürst,  günstig  u.  a.)  gegen  ü  Bl.  d.  tug. ;  demgegenüber  klärlich  md. 
formen  wie  schwachbetontes  i  für  e  (gutlichin,  antwidir,  abir,  obinnarschalgk), 
oder  für  oder,  ab  für  ob,  nach  für  noch,  demnach,  vff 'entlieh,  in  alder  und  ane- 
waldenn  d  statt  t,  verne,  frunt  wo  Bl.  d.  tug.  freunt.  Also  1463  wäre  der  Über- 
setzer nach  Meissen  gekommen,  hätte  1468  noch  ganz  die  bayrische  Orthographie  bei- 
behalten, 1471  dieselbe  aber  wieder  gegen  die  sächsische  aufgegeben.  Man  kann  ja 
freilich  dabei  entgegenhalten,  dass  diese  briefe  Schriftstücke  im  öffentlichen  geschäfts- 
verkehr  Sachsens  bilden,  während  der  schön  abgefasste  codex  der  Bl.  d.  tug.,  höchst 
wahrscheinlich  ein  dedicationsexemplar,  zunächst  für  eine  oberdeutsche  persönlichkeit 
zu  privatem  zwecke  niedergeschrieben  worden  wäre,  aber  ein  derartiger  Wechsel  in 
der  Schreibgewohnheit  —  zuerst  mitteldeutsche  kanzlei,  dann  bayrische  Orthographie, 
diese  mindestens  fünf  jähre  auf  mitteldeutschem  boden  beibehalten  und  daneben  oder 
darauf  wieder  sächsische  kanzlei,  ohne  nennenswerte  Vermischung  der  verschiedenen 
sprachlichen  merkmale  —  würde  doch  eine  allzu  strenge  beobachtung  in  einhaltung 
orthographischer  prineipien  voraussetzen,  wie  wir  sie  für  jene  zeit  kaum  annehmen 
dürfen. 

Die  endgiltigo  festsetzung  des  tatbestandes  könnte  doch  wol  auf  paläographischem 
wege  erzielt  werden,  indem  man  die  von  Leubings  band  geschriebenen,  freilich  nicht 
zahlreichen,  briefe  vergleicht  mit  der  von  Arigo  geschriebenen  hs.  der  Bl.  d.  tug. 
Die  schriftzüge  der  oben  angegebenen  Dresdener  briefe,  die  doch  gewiss  von  Leubing 
selbst  niedergeschrieben  siud,  weichen  nun  total  ab  von  denen  Arigos  in  der  hs.  der 
Bl.  d.  tug.1  Es  liegt  nun  ja  der  einwand  nahe,  die  letztere  sei  ein  in  zierlioheii 
humanisteuzügen  abgefasstes  dedicationsexemplar,  in  den  briefen  dagegen  die  übliche 

1)  Dank  dem  gütigen  entgegenkommen  der  Hamburger  stadtbihliothek  und  dos 
kgl.  sächsischen  haupt- Staatsarchivs  zu  Dresden  konnte  ich  die  hs.  der  Hl.  d.  tug. 
und  jene  briefe  Leubings  auf  hiesiger  univers.-bibl.  miteinander  vergleichen 


112  Kllld 

kanzleischrift  verwendet  (der  zweite,  an   zwei  rarsten  ist  sorgfältig   aus 

geführt,  der  erste   an  einen   befreundeten  gönner,  flüchtiger  hingeworfen),   ai 
sei  immerhin  denkbar,  dass  ein  and  derselbe  Schreiber  nebeneinander  in  bestin 
grondsätzen  zwei  Schriftarten  gebranohen  konnte.    Aber  einzelne  durch  die  schveib- 
gewohnheit  naturgemäss  sifli   jeweils   einstellende  zflge   in  den  bncbstaben  weichen 
hier  so  voneinander  ab,  dass  der   Schreiber   der   BL  d.  tug.  geradezu  die  bestimmie 
absichi  gehabt  baben  müsste,  seine  handschrift  zu  verstellen. 

Diese  durch  die  tatsächliche  Überlieferung  gegebenen  bedenken  gegen  die  gleich- 
setzung von  Arigo  mit  Leubing  können  nicht  aufgewogen  werden  durch  die  der  hypo- 

these  günstigen  bedingungeu,  welche  der  Verfasser  in  den  lebensverhältnissen  Leubings 
findet  (s.  207  fg.),  nämlich  dass  er  wie  Arigo  in  Nürnberg  zu  Buchen  ist  und  zwar  als 
geistlicher  mit  juristischer  ausbildung  und  neigung  zu  humanistischen  Studien,  endlich 
den  gleichen  namen  (Arigo -HemricK)  tragt.  Um  Arigo  mit  Leubing  zusammenzubringen, 
ist  der  Verfasser  noch  zu  der  annähme  genötigt,  die  Übersetzung  des  Decamerone, 
die  1473  erschien,  sei  erst  nach  dem  tode  Leubings  (1472)  gedruckt  worden  (s.  221) 
und  möglicherweise  habe  die  'furcht,  den  gegnern  eine  willkommene  handhabe  zu 
verstärkten  angriffen  zu  bieten,  ihn  zurückgehalten,  der  Decameroneübersetzung  seinen 
namen  zu  geben'.  Aber  er  hat  ja  auch  das  fromme  buch  von  der  Blume  der  tugend 
mit  dem  namen  'Arigo'  unterschrieben,  dieser  kann  also  nicht  aus  furcht  als  pseudonym 
von  ihm  angenommen  worden  sein;  auch  ist  er  zu  seiner  Übersetzung  vielleicht  erst 
von  anderen  veranlasst  worden  (s.  187  fg. ;  die  zutat  Arigos  am  schluss  der  vorrede 
beginnt  erst  mit  17,  29,  nicht  schon  17,  8). 

Freilich  wenn  wirklich  jene  'erbere  manne  und  schöne  frawen',  für  welche 
Arigo  sein  werk  geschrieben  hat  oder  doch  geschrieben  denkt,  Nürnberger  kinder 
waren,  dann  muss  wol  die  zeit  der  abfassung  etwa  ein  bis  zwei  Jahrzehnte  vor  das 
druckjahr  fallen,  denn  der  Nürnberger  humanistenkreis  zerstreute  sich  um  1455  und 
die  spiessbürgerlichen  gesinnungen  der  Nürnberger  waren  einer  derartigen  freien 
leistung  nicht  günstig  (vgl.  Herrmann,  Die  reeeption  des  humanismus  in  Nürnberg  passim). 
Aber  die  elegante,  leichtlebige  gesellschaft  Boccaccios  entspricht,  auf  deutsche  Verhält- 
nisse übertragen,  überhaupt  nicht  den  ehrsamen  stadtbürgern  jener  zeit,  sondern 
sie  hat  ihr  abbild  in  der  adlichen  gesellschaft,  und  sollte  die  deutsche  Übersetzung 
nicht  überhaupt  für  höfische  kreise  bestimmt  gewesen  sein?  Diese  art  von  erzahlungs- 
litteratur  ist  ja  überhaupt  aristokratisch  und  wie  die  Übersetzungen  von  "Wyle  und 
einige  von  Steinhöwel  wird  auch  Arigos  Decamerone  in  den  kreis  der  hoflitteratur 
gehören.  Seine  Tugendblume  ist  vielleicht  auch  für  einen  höher  gestellten  jungen 
mann  abgefasst  {edles  chind,  Drescher,  Zs.  f.  vergleichende  lit.-gesch.  n.  f.  13,465). 

Auch  die  neigung  zu  humanistischen  Studien  bildet  dem  Verfasser  eine  Ver- 
mittlung zwischen  Arigo  und  Leubing.  Aber  wir  können  Leubings  dahingehende  be- 
strebungen  nicht  kontrollieren,  und  darf  man  in  der  Decameroneübersetzung  so  viel 
humanistische  tendenz  finden,  dass  man  sie  'ganz  aus  dem  geiste  der  renaissance 
herausgewachsen'  (s.  187)  nennen  kann?  Da  die  eigenart  Arigos  weniger  in  besonderer 
auffassung  des  Stoffes  als  in  der  art  der  darstellung  zu  beobachten  ist,  so  wird  zur 
ausscheidung  des  humanistischen  dementes  zunächst  sein  stil  zu  befragen  sein.  Der 
Verfasser  hat  gezeigt,  wie  dieser  mit  volkstümlichen  elementen  durchzogen  ist  und 
vielfach  der  einfluss  der  populären  predigtweise  hervortritt,  und  oben  ist  zum  ver- 
gleich ein  lehrbuch  der  geistlichen  rhetorik  nerangezogen  worden.  Das  ist  nicht  im 
sinne  der  neuen  lehre,  ein  so  starkes  hervorkehren   des  volksmannes  ist  nicht  huma- 


ÜBER    BADSTÜBER.    NOMINA    AGRNTIS  113 

nistisch.  Aber  andrerseits  stellt  er  sich  in  einem  wesentlichen  punkt  seines  über- 
setzungsprincips  in  gegeusatz  zu  den  Vorschriften  der  volkstümlich -geistlichen  bered- 
samkeit:  die  erste  Eegula  vulgarisandi  lautet  bei  Surgant  (Libri  I  Consid.  XVIII):  Non 
oportet,  predicatorem  in  modo  vulgarisandi  se  cojistriugerc  ad  istam  diffieultatem 
quod  velit  transferre  eerba  ita  proprie  et  eodem  ordine  sieut  in  latino  po- 
nuntur  sed  aliquando  sensum  ex  sensu  accipere  sieut  translatores  faciunt  gut 
non  semper  verbu/m  de  rerbo  sed  sensum  ex  sensu  aeeipiunt  quia  praedieator  est 
quasi  translator  seit  interpres  et  sie  meliori  et  aptiori  modo  quo  poterit  transferat 
latinum  in  vulgare.  Demgegenüber  setzt  Arigo  die  worte  wie  sie  im  lateinischen 
zu  stellen  wären,  das  zeitwort  ans  satzende.  Das  ist  die  neue  mode  des  Niclas  v.  Wyle, 
die  dieser  in  seinem  program m  in  der  ersten  translatze  (Keller  s.  8,  20fgg.,  bes.  auch 
10,  löfgg.,  und  Joachimsohn.  Württemberg,  vierteljahrshefte  1896,  S4fg.)  begründet: 
icarumb  ich  dise  translaciones  vf  das  genetvest  dem  latin  nach  gesetxet  hab  und 
mit  geachtet  ob  dem  schlechten  gemainen  imd  vnemieten  man  das  vnuerstentlich 
sin  teerd  oder  nit.  Das  ist  darumb  usw.  Ja,  Arigo  hat  sogar  oft  gegen  seine  ita- 
lienische vorläge  die  undeutsche  verbalstellung  eingeführt  (vgl.  Vogt,  Zeitschr.  28,479, 
AVunderlich,  Herrigs  archiv  84,  284)  und  die  lateinische  'subtilitet'  (Wyle  10,  16) 
nachgeahmt.  Dazu  kommt  dann  uoch  der  übermässige  gebrauch  der  Synonyma.  Auf 
der  einen  seite  also  stark  volkstümlich,  auf  der  andren  humanistisch  (rhetorica  humana), 
so  gehen  bei  ihm  die  alte  und  die  neue  richtung  im  sprachlichen  ausdruck  durch- 
einander. Jedesfalls  zeigt  jene  lateinische  färbung  des  stils,  dass  Arigo  die  'schoen- 
heit  vnd  Zierlichkeit'  (Wyle  200,  21;  sermo  politus)  der  humanistischen  rede  anstrebte. 
Und  darin,  im  neuen  stil,  fand  ja  Niclas  v.  Wyle  vornehmlich  das  wesen  des  huma- 
nismus,  hierin  ruht  der  Schwerpunkt  seiner  neuerungsbestrebungen,  er  spricht  nur 
von  der  einführung  der  neuen  stilistischen  form,  nicht  von  der  bedexxtung  der  neuen 
Stoffgebiete  noch  von  den  neuen  ideen;  er,  der  als  Schulmeister  pedantisch  die  Ortho- 
graphie und  interpunktion  regelte,  der  'erberer  und  f romer  lüte  kinder'  und  'sogar 
baccalary'  die  kunst  des  :schribens  und  dichtens'  lehrte  (9,  14),  äussert  nirgends 
empfanglichkeit  für  die  grossen  gedanken  der  renaissance.  Und  auf  dieser  stufe  des 
humauismus  —  Albrecht  v.  Eyb  gelangte  weiter  —  dürfte  auch  Arigo  stehen  geblieben 
sein,  was  wir  von  renaissauce  an  ihm  verspüren,  sind  doch  eigentlich  nur  äusser- 
lichkeiten,  und  es  ist  sogar  fraglich,  ob  er  die  ganze  macht  der  satire,  die  ver- 
nichtende komik  Boccaccios  herausfühlte.  Das  stoffliche  interesse,  die  lust  am  fabu- 
lieren, überwog  gewiss  weit,  so  dass  ein  polemischer  uebenzweck  ihn  nur  wenig  reizte. 

HEIDELBERG.  G.  EHRISMANN. 


Itadstüber,  Hubert,  Die  Nomina  agentis  auf  wre  bei  Wolfram  und  Gott- 
fried. (Dissertation1,  Innsbruck  1897).  Leipzig,  Fock  1901.  82  s.  1,20  m. 
Die  nomina  werden  aufgezählt  mit  angäbe  der  belegstellen ,  auch  sind  etymo- 
logische und  sachliche  erklärungen  beigegeben  in  der  art  wie  „  vischaere  kommt  bei 
Wolfram  und  Hartmann  vor  und  heisst:  einer,  der  fischt,  fischer"  s.  23;  oder:  „mar- 
tercere  gehört  zu  denjenigen  Wörtern,  die  ihrer  bildung  nach  aus  einem  fremden  stamme 
herrühren;  denn  ahd.  marti rar i  geht  zurück  auf  martira.  Marterare  aber  wurde  u>n 
dem  mhd.  gebrauchten  stamme  marterer  (merterer)  gebildet.  Gr.  lat.  heisst  martira 
natürlich  martyriwn"  (s.  25);  oder:  „klosnaere  .  . .  abzuleiten  aus  klose,  klüse.    Daraus 

1)  Vgl.  dazu  Lit.  blatt  1902,  sp.  54. 

ZEITSCHRIFT    V.    DEUTSCHE    PHILOLOGIE.        Kl).   XXXV.  B 


114  fcirRisMAW 

entstand  eine  regelmässige  bildung  auf  nari.  Dies  dürfte  die  richtige  ableitung  sein. 
Eine  andere,  wol  etwas  complicierto  leitet  klaute  aus  inhd.  klüse,  dagegen  mhd.  klöae 
mit  kldsenare  aus  ml.  clausa  ab"  (s.  60 >. 

HKIDRLUKRIJ.  G.    EHRISMANN. 


Fritz  Traugott  Schulz,  Typisches  dei  grossen  Eeidelberger  liederband- 
Bohrift  und  verwandter  handschriften  in  wort  und  bild.  Eine  germa- 
nistisch-antiquarische  Untersuchung.  Göttinger  dissertation.  1899.  116-.  3,20m. 
Schulz  behandelt  in  drei  teilen  die  typen  des  thronenden  herrschen»,  des  ritters, 
des  dichters,  und  zwar,  wie  der  titel  angibt,  hauptsäehlieli  vom  germanistisch- anti- 
quarischen Standpunkte  aus,  indem  er  an  den  bildern  jene  äusserungen  höfisch  - 
ritterlichen  lebens  zeigt,  wie  sie  die  epen  des  12.  und  13.  Jahrhunderts  schildern. 
Für  die  einzelnen  Illustrationen  gibt  er  erklärungen,  wobei  er  öfter  von  Oechel- 
häusers  auffassung  (Die  miniaturen  der  universitätsbibl.  zu  Heidelberg  II)  abweicht. 
Hervorgehoben  sei  die  erkenntnis  des  „Wechsels"  bei  Reinmar  und  dem  Küren- 
berger  (s.  96  und  s.  110  fg.).  Um  aber  im  Verständnis  d-r  bilder  einen  erhebl 
schritt  weiter  zu  kommen,  hätte  er  in  viel  grösserem  umfange  die  höfische  epik  bei- 
ziehen müssen,  deren  grosse  hedeutung  für  die  erklärung  der  in  den  liederhand- 
schriften  vorkommenden  ritterlichen  und  höfischen  s'cenen  K.  M.  Meyer  (Zs.  f.  d.  altert. 
44,  197  fg.),   allerdings  erst  nach  erscheinen  der  dissertation,   aufgedeckt  hat. 

S.  55  fgg.,  63  und  67  nimmt  Schulz,  nach  Oechelhäusers  Vorgang,  für  Fenis  und 
Veldeke  den  typus  des  silbenzählens  auf  und  dehnt  diesen  sogar  auf  die  darstellungen 
von  Fenis,  Hausen  und  Gutenburg  in  der  "Weingartener  hs.  aus:  aber  hier  macht 
Fenis  sicher  einfach  die  gebärde  des  redens  wie  z.  b.  die  dame  auf  bild  s.  128 u.ö., 
Hausen  hält  die  hand  auf  die  brüst  und  desgleichen  wol  auch  Gutenhurg.  Es  ist 
überhaupt  zweifelhaft,  ob  ein  gestus  des  silbenzählens  angenommen  werden  darf,  denn 
es  wäre  dies  eine  fast  zu  sinnreiche  symbolisierung,  als  dass  wir  sie  diesen  malern  zu- 
trauen dürften,  sie  würde  ein  zu  feinsinniges  eingehen  auf  das  innenleben  bei  den 
darzustellenden  personen  und  die  daraus  resultierenden  sinnfälligen  äusserungen  vor- 
aussetzen, demgegenüber  man  bei  der  ganz  unter  dem  bann  der  tradition  stehenden 
arbeitsweise  der  mittelalterlichen  maier  doch  jede  ihrer  leistungen  zuerst  auf  ihre  Origi- 
nalität hin  wird  prüfen  müssen.  Dieselbe  handbildung  wie  bei  Fenis  in  der  Heidel- 
berger hs.  (daumen,  zeige-  und  mittelfinger  ausgestreckt,  die  beiden  andern  einge- 
schlagen) kommt  auch  schon  auf  bildern  der  nachsinnenden  evangelisten  vor,  und 
Veldekes  beide  vorgehaltenen  finger  (daumen  und  Zeigefinger)  sind  doch  wol  nichts 
anderes  als  eine  hinweisende  geste  wie  bei  Reinmar  und  Sevelingen,  die  eben- 
falls auf  eine  rolle,  bei  Lüenz,  Dietmar  v.  Eist  u.  a.,  die  auf  andere  gegenstände 
hinzeigen. 

Das  bild  zu  Stretelingen  deutet  Schulz,  wie  Oechelhäuser,  auf  lebhafte 
Unterhaltung  (s.  111),  die  manierirte  beinstellung  und  Verdrehung  des  Oberkörpers 
bezeichnet  aber  die  haltung  des  tanzens,  und  die  fingerstellung  ist  nicht  eine  beson- 
ders erregte  redegeste,  sondern  eine  zum  bewegungssystem  des  betreffenden  tanzes 
gehörende  mimische  ausdruckst orm ;  auch  Alwin  Schultz,  Hof.  leben  1,  551  fasst 
diese  scene  mit  Weiss,  Kostümkunde  II,  fig.  243  als  einen  tanz  auf.  desgl.  Böhme, 
Gesch.  des  tanzes  1,  33.  Somit  bezieht  sich  das  bild  auch  nicht  auf  lied  II  strophe  1, 
sondern  auf  das  erste  lied  des  dichters  (Pfaffs  abdruck  der  Heidelberger  lieder-hs. 
sp.  201),   das  sieh   durch   den   musikalischen  refrain   deutlich   als  tanzlied    kundgibt. 


ÜBER    SCHULZ,    HEIDELBERGER    LLEDERHA.VDSCHRLV  1  115 

Eine  ähnliche  f ingersprache  ist  auf  dem  zweiten  tanz hild  der  hs.  C. ,  dem  zu  H  i  1  d  - 
hold  von  Schwangau,  zu  sehen  bei  der  an  der  linken  hand  des  ritters  gehenden 
dame,  während  die  an  seiner  rechten  sich  wiegende  ihre  rechte  hand  geradeso  in  die 
hüfte  stützt  wie  wiederum  auf  Stretelingens  bild  der  ritter;  das  fingerspiel  der 
linken  hand  bei  der  linksseitigen  begleiterin  Hildbolds  ist  ferner  sehr  ähnlich  dem 
der  solotänzerin  bei  Eeinmar  dem  fiedler.  Übrigens  ist  diese  handbewegung  auch  bei 
tanzen  des  15.  und  16.  Jahrhunderts  zu  treffen.  In  diesen  tanzstellungen  ist  also 
ein  realer  zug  des  damaligen  lebens  aufgenommen.  —  Mit  dem  schlag  auf  den  mund, 
den  Rute  dem  boten  versetzt,  ist,  etwas  drastisch,  wol  die  auf f orderung  zum  schweigen 
angedeutet,  vgl.  DWb.  6,  1793:  durch  zuhalten  des  mvmdes  gibt  Zacharias  seine  stumm- 
heit zu  erkennen  auf  illustrationen  der  biblischen  geschichte;  unnötiges  oder  voreiliges 
schwatzen  wird  so  bezeichnet  auf  bildern  der  Heidelberger  Sachsenspiegel -hs. 


"Wenn  man  die  bilder  der  Heidelberger  lieder-hs.  in  ihrer  reihenfolge  durch- 
geht, so  sieht  man.  dass  mit  den  einzelnen  ständen,  wie  sie  Schulte  (Zs.  f.  d.  altert. 
39,  223  fg.)  gruppiert  hat,  gewisse  typen  verknüpft  sind.  Es  ist  nun  ja  in  der  natur 
des  gegenständes  begründet,  dass  die  maier  die  verschiedenen  stände  auch  unter  ver- 
schiedenartigen Vorstellungen  erfassten,  aber  es  lohnt  sich  doch,  ihre  erzeugnisse 
unter  diesem  gesichtspunkt  zu  betrachten  und  zu  beobachten,  mit  welchen  mittein 
sie  die  unterschiede  in  der  lebensführung  darstellten.  Eingeleitet  wird  die  Sammlung 
durch  das  bild  des  k aisers,  hier  ein  durch  den  inhalt  gegebenes  titelbild,  das  in 
seiner  starren  stilisieraug  hereinragt  als  ein  denkmal  einer  vergangenen  kunstperiode. 
Darauf  folgen  die  reichsf  ürsten,  unter  ihnen  wider  Wenzel  v.  Böhmen  in  seiner 
würde  als  regierender  könig  aufgefasst  und  dadurch  vor  den  andern  ausgezeichnet 
(Konradin  war  nur  titularkönig).  Die  f ürsten  treten,  den  sagenhaften  könig  Tyrol 
ausgenommen,  nur  auf  in  ritterlichen  oder  höfischen  beschäftigungen ,  in  schlachten, 
turnieren,  falkenjagd,  Schachspiel,  nicht  in  der  eigenschaft  als  dichter  oder  als 
minnende,  auch  nicht  im  einzelporträt,  sondern  immer  in  begleitung,  mit  hofstaat, 
kriegsheer  oder  sonstigem  gefolge,  demnach  auch  nie  in  einzelner  tjoste.  Auch  die 
musikanten  mit  posaunen  und  anderen  instrumenten,  die  dem  markgrafen  von 
Brandenburg  und  seiner  dame  beim  schach  aufspielen,  dienen  dazu,  den  glänz 
der  hofhaltung  zur  anschauung  zu  bringen  und  sind  wol  nicht  bloss  aus  rein  tech- 
nischen gründen  angebracht,  um  den  räum  auszufüllen,  wie  R.  M.  Meyer  a.  a.  o.  s.  214 
annimmt;  beim  spiel  des  herrn  Goeli  fehlen  deshalb  die  musikanten,  auch  ist  die- 'in 
nur  das  trictrac  zuerkannt,  nicht  das  besonders  vornehme  schach  („das  Schachspiel 
galt  unter  allen  spielen  als  ein  besonders  edles",  Schultz,  Höf.  leben  1,537).  Kon- 
radin  hat  einen  vornehmen  herrn  als  begleiter  auf  der  falkenjagd,  auf  den  späteren 
jagdbildern  hat  der  einfache  ritter  gar  kein  oder  nur  niederes  gefolge  (G-eltar, 
Suonegge,  Hetzbolt,  Kol  von  Niunzen)  und  ein  so  pomphafter  aufzug  nach 
dem  turnier  wie  beim  herzog  Heinrich  v.  Br esslau  kommt  sonst  auch  nicht 
wieder  in  der  hs.  vor.  —  Der  typus  des  minnesängers  als  dichter  und  minnewerber 
tritt  ''ist  mit  der  zweiten  gruppe  auf,  den  grafen  und  freiherrn  (Schulte  s.  224), 
und  zwar  sofort  beim  ersten  grafen,  Rudolf  v.  Neuenburg,  und  es  mag  absieht 
sein,  dass  er  nicht  auf  die  f ürsten  angewendet  wurde,  denn  die  blosse  darstellung 
als  künstler  oder  als  liebeflehende  würde  ihrer  würde  nicht  voll  entsprochen  haben, 
wie  auch  die  einzelfigur  zu  mager  für  die  hoheit  des  fürsten  scheinen  mochte. 

Da  die  bilder  auf  die  standesverhültnisse  der  personen  berechnet  sind,  SO  er- 
gibt sich  dann  weiterhin  wider  eine  Verschiebung  der  typen  vom  Übergang  des  litter- 

6 


MC  i  nwi 

lieben   ininii'   ang     (zweite   und   dritte  gruppe  bei  Schulte)  zur  bürgerlichen  didaktik 
(vierte  gruppe).     Für  die   ritterlichen  dichter,  gruppe  II  und  III,   ergeben  sich  fei- 
le dar  tellung  arten: 

\.    AI    minnesänger,   und  /.war:  a)  der  dichter  allein:  Veldeke  iL  Walt  her 
v.  d.  Vogelweide  in  jener  von  Walther  beschriebenen  tiefern  ten  itimmung,  Feni 
and  der  von  Glier«  in  ähnlicher  haltung,  aber  ohne  jenes  innere  ergriffensein,  (hl 
im  aufstützen  de     ohwermütig  geneigten  bauptet  zum  ausdrucl 

I))  mit  boten  oder  Schreiber:  Botenlaube,  Eohenbnrg,  Winterstetten, 
Bietenburg,  Bligger,  Munegiur,  Rute,  Beinzenburg,  dazu  in  epischer  ein- 
üeidung  Trostberg  (vgl.  das  bild  zu  Kubin  und  Veldeke    Eneide  v.  10840  fg.)< 

Wahrend  diese  beiden  gruppen  au  er  dem  letzten  falle  noch  ganz  typisch 
gehalten  sind  und  hier  das  thema  nur  wenig  variiert  ist,  werden  in  der  dritten  dar- 
stellungsart  (c)  die  compositionsweisen  manigf altiger,  dazu  die  scenen  lebhafter;  es 
tritt  ein  erzählendes  moment  hinzu. 

c)  Zugleich  als  dichter,  durch  3pruchband  oder  brief  gekennzeichnet,  und  alt 
minner,  also  in  directer  beziehung  zu  der  dame :  Neifen,  Bforungen,  Bohen'v 
Sc\  i'lingen  (einfache  Unterhaltung),  Kilchberg,  Seven,  Rubin,  Wildonie, 
Stamheim  (in  epischer  einkleidung).  Eine  abart  bildet  der  Wechsel,  wo  die  idee 
des  minnesängers  als  dichters  lediglich  durch  die  dramatische  darstellung  eines  wechsel- 
gesprächs  verkörpert  ist  im  anschluss  an  bestimmte  Iieder  der  betreffenden  Sänger, 
so  beim  Küre nb erger  und  bei  Rein  mar  in  der  Weingartener  hs. ,  während  C  noch 
das  symbol  des  Spruchbands  zufügt.  Ins  geistliche  umgedeutet  sind  die  darstellungen 
des  bruder  Eberhard  v.  Sax  und  Heinrichs  v.  d.  Mure. 

d)  Nur  als  minner:  hier  finden  sich  neben  einfachen  liebesscenen  wie  bei 
Bernger  v.  Horheim,  Ougheim  (sie  reichen  sich  die  hände),  Johansdorf,  Alt- 
stetten,  Werbenwag,  Wengen  (sie  umamien  sich),  Stadegge  (abwehr),  Teufen 
(sie  reiten  zusammen),  Stretelingen.  Schwan gau  (tanz),  schon  häufiger  individuell 
aufgefasste  Situationen,  in  denen  ein  bestimmter  vereinzelter  Vorgang  erzählt  wird, 
die  sich  von  den  epischen  scenen  unter  b  und  c  also  dadurch  unterscheiden,  dass 
jene  typisch  aufgefasst  sind,  in  diesen  aber  ein  nur  einmal  in  die  hs.  aufgenommenes 
ereignis  in  charakteristischen  zügen  festgehalten  wird.  Das  sind  die  bilder  zu 
Heinrich  v.  Sax,  Dietmar  v.  Eist,  Hamle,  Hornberg,  Starkenberg,  Goeli, 
Buochein,  Teschler,  Rost  von  Samen,  Wissenlö.  Sie  verraten  meistens 
deutlich  ihre  herkunft  als  Illustrationen  epischer  dichtungen  und  für  einige  sind  die 
Vorbilder  von  R.  M.  Meyer  nachgewiesen  worden.  Ferner  gehören  zu  den  minne- 
scenen  zwei  allegorien  (minnepf eil) :  Adelnburg,  Wachsmut  v.  Mühlhausen, 
und  die  bekränzungsbilder  (die  dame  reicht  dem  ritter  den  siegeskranz,  ursprünglich 
wol  turnierpreis)  zu  Toggenburg,  Rotenburg,  Singenberg.  Mit  dem  fischfang 
Pfeffels  ist  das  genrebild  erreicht  und  damit  ist  der  Übergang  zum  stil  der  vierten 
gruppe  gemacht,  wie  denn  auch  die  benachbarten  bilder  zum  Hardegger,  dem 
Schulmeister  von  Esslingen  und  dem  Taler  schon  die  merkmale  der  sprach- 
dichter  tragen.  Zwischen  den  ministerialen  und  den  bürgerlichen  ist  schon  in  der 
anläge  der  handschrift  keine  scharfe  trennung  zu  erkennen,  so  dass  Schulte  einige 
dichter  der  dritten  gruppe  erst  zu  der  vierten  gestellt  wissen  möchte  (s.  236). 

B.  Der  dichter  als  ritter,  a)  einzelfigur  (porträt),  meist  siegelbild:  Wolfram, 
Künzingen,  Walther  von  Metz,  Hartmann,  Ulrich  von  Lichtenstein  (in 
rüstung),  Rugge,  Tannhauser,  Gutenburg  (ungewappnet). 


ÜBER   SCHULTZ,    HEIDELBERGER   LIEDERHANDSCHKIFT  117 

IV)  Ritterliche  scenen:  Heigerloch,  Hohenberg  fschlacht),  Düring  (be- 
lagorung),  Klingen,  Frauenberg,  marschall  v.  Raprechtswil  (tjoste),  Lei- 
ningen, Goesli  (Zweikampf  zupferd),  Seharpf enberg,  Ringgenberg  (mensur), 
Luppin.  Füller  (Verfolgung),  Lüenz  (steinwerf en) ,  Schenk  v.  Liniburg,  Otto 
v.  Turne,  Winli  (nach  und  vor  dem  turnier),  Hildbold  v.  Schwangau  (tanz 
nach  dem  turnier,  in  rüstung),  Sachsen  dort  (ärztliche  pflege  nach  dem  kämpf), 
Suonegge,  Hetzbolt  v.  Weissensee  (jagd). 

C.  Verschiedenes:  Hausen  auf  der  meerfahrt,  Hesso  v.  Rinach  mitkrüppeln 
und  bettlem,  die  ermordung  Brennenbergs  und  die  bedrohung  Neidharts,  der 
Schenk  v.  Landeck  imd  der  Schulmeister  von  Esslingen  in  ihrem  eharakter 
als  schenk  und  lehrer,  also  in  eigentlichen  standesbildem ,  der  Hardegger  und  der 
Tal  er  als  fahrende. 

Ganz  anders  ist  das  Verhältnis  in  der  vierten  gruppe,  die  zumeist  aus  bürger- 
lichen und  fahrenden  besteht,  womit  die  spruchdichtung  in  den  Vordergrund  tritt. 
Der  typus  Ab  ist  hier  gar  nicht  vertreten,  Ac  nur  durch  her  Alram  v.  Gresten 
und  von  Obernburg,  die  also  als  ritterliche  minnesänger  aufgefasst  sind;  Ad  nur 
durch  Günther  v.  d.  Vorste  in  einer  dem  namen  entlehnten  darstellung,  dazu  her 
Niuniu  (Schiffahrt);  endlich  Aa  durch  Reinmar  v.  Zweter,  dieser  mit  geschlossenen 
äugen  der  inneren  eingebung  lauschend:  dass  für  ihn  diese  vergeistigte  art  der  Ver- 
sinnbildlichung gewählt  ist,  durch  die  sonst  nur  Veldeke  und  Walther,  zugleich 
im  anschluss  an  stellen  ihrer  lieder,  ausgezeichnet  sind,  erklärt  sich  aus  dem  hohen 
ansehen,  in  dem  er  bei  den  epigonen  stand.  Bezeichnend  ist,  dass  der  bürgerliche 
dichter  nie  als  minnender  vorgeführt  wird,  ausser  Hadlaub,  aber  dieser  in  aanz 
realistischer  widergabe  zweier  von  ihm  erzählten  begebenheiten,  die  nach  R.  M.  Meyers 
ansprechender  Vermutung  aus  einem  liederbuche  entnommen  sind. 

Die  dichter  werden  also  in  der  vierten  gruppe ,  ganz  wenige  ritterliche  herren 
ausgenommen,  nicht  als  minnesänger  vorgeführt,  sondern  dafür  tritt  der  typus  des 
fahrenden  ein:  während  der  minnesänger  seine  lieder  der  geliebten  allein  ent- 
weder in  einer  rolle  oder  einem  büchlein  niedergeschrieben  überreicht  oder  durch 
boten  zusendet,  trägt  der  fahrende  persönlich  seine  Sprüche  mehreren  personen, 
herrn  und  dame  vor,  so  bruder  Wernher  und  Spervogel  und  vielleicht  der 
schon  genannte  Hardegger  (vor  zwei  herren);  oder  er  erhält  einen  mantel  als 
künstlerablohnung  (S  ige  her).  Als  epische  dichter  sind  charakterisiert  Kon  r  ad  v. 
Würzburg,  der  einem  Schreiber  in  einen  folianten  hinein,  nicht  auf  eine  rolle 
oder  in  ein  büchlein,  dictiert,  und  Gotfrid  v.  Strassburg  als  erzähler  im  kreis.- 
lebhaft  zuhörender. 

Auch  der  typus  als  ritter  (B)  ist  spärlich  vertreten:  ganz  fehlt  das  einzel- 
porträt;  in  ritterlichen  beschäftigungen  sind  zu  treffen  der  Dürner.  zur  tjoste 
reitend;  Dietmar  der  Setzer  im  Zweikampf;  Geltar  allein  auf  die  jagd  gehend; 
her  Friedrich  der  Knecht  als  weiberdieb  —  ein  thema,  das  für  die  abbildung 
eines  vornehmen  herrn  unmöglich  gewesen  wäre  —  und  Totti ngen  gar  als  gefan- 
gener, die  letzten  beiden  schon  wider  ausgeprägte  situationsbilder. 

Den  kern  dieser  vierten  gruppe  bilden  die  erzählenden  darstellungen.  oft  reine 
genrebildor,  meist  individuell  coneipiert  aus  dem  namen  des  betreffenden  dichten 
oder  aus  einer  textstelle :  der  tugendhafte  Schreiber,  Steinmar,  Reinmar  de  r 
fiedler,  Hawart,  Burggraf  v.  Regensburg,  der  junge  Meissner,  der 
Mamer,  Süsskind  von  Trimberg,  Buwenburg,  Rudolf  der  Schreiber, 
Hadlaub  (s.  oben),  Regenboge,  Kunz  von  Rosenheini,  Rubin  u.  Ruedc-er, 


Hol  v.  \ i unze ii.   Frauenlol  Bnburg,   der  wilde   Alexander,  Bumz- 

Lant,  Boppe,  dex  Litsohower,  der  Kanzler. 

Es  zeigt  sich  also  ein  unterschied  zwischen  dei  vierten  gruppe  and  den  drei 
bxi  ten  in  der  künstlerischen  auffassnng  der  darzustellenden  vorwürfe:  die  herren 
sind  in  feststehenden  upim  gezeichnet,  am  strengsten  ist  die  traditionell  Banctionierte 
figur  di's  kaisers  beibehalten,  denn  der  altehrwürdige  typus  d<  thronenden  herrscherfi 
gestattete  keine  willkürlichen  abweichungen ;  für  die  fürs ten,  edeln  und  ritter  waren 
die  Vorbilder  gegeben  in  den  Illustrationen  dei  epischen  dichtongen,  die  seil  dem 
12.  Jahrhundert  einen  aufsohwung  der  malerei  überhaupt  bezeichnen;  oder,  wie 
R.  M.  Meyer  ebenfalU  nachgewiesen  bat,  in  den  Biegein  und  grabsteinen;  oder  be- 
sonders  in  den  zum  teil  der  altchristlichen  kunst  entstammenden  typen  der  religiösen 
malerei.  Solche  feststehende  Vorbilder  gab  es  aber  für  die  personen  des  neu  aufstreben- 
den liürgertum«  nicht,  hierfür  konnte  man  nicht  aus  einem  schätze  allgemein  ver- 
breiteter motive  schöpfen,  denn  die  niederen  stände  waren  bisher  nur  als  Statisten  und 
nebeniiguren  aufgenommen  und  nicht  als  träger  der  dargestellten  idee,  oder  als  gleich- 
gestimmte masse  auftretend  und  nicht  als  einzelwesen  in  charakteristischen  merk- 
malen  gekennzeichnet.  Hier  gab  es  keine  geschlossenen  typen  und  so  konnten  sich 
die  maier  freier  gehen  lassen;  sie  griffen,  um  diese  leute  niederen  Standes  in  die 
richtige  Umgebung  zu  setzen,  gern  zu  scenen  des  alltagslebens.  Diese  mögen  nun 
in  der  tat  manchmal  aus  der  kenntnis  des  wirklichen  lebens  geschöpft,  jedesfalls, 
wie  natürlich  auch  solche  der  drei  ersten  gruppen,  von  eigener  beobachtung  der 
maier  beeinflusst  sein,  sicher  aber  wirkten  auch  hier  überlieferte  motive  in  hohem 
grade  mit.  Das  mass  der  Originalität,  oder  umgekehrt,  der  abhängigkeit,  wird  bei 
diesen  künstlern  aber  erst  richtig  abgeschätzt  werden  können,  wenn  durch  aus- 
gedehnte Untersuchung  besonders  der  höfischen  epen  eine  genauere  kenntnis  der 
mittelalterlichen  profanmalerei  erlangt  ist.  Die  erfindungsgabe  der  künstler  wird  be- 
sonders an  solchen  dem  gewöhnlichen  leben  entnommenen  scenen  der  vierten  gruppe 
zu  prüfen  sein.  Da  fällt  nun  auf,  dass  einige  darstellungen ,  die  zum  teil  ausschliess- 
lich für  ihr  thema  erfunden  zu  sein  scheinen,  beziehungen  zu  den  monats-  und 
tierkreisbildern  haben. 

Die  illustration  zum  Marner  ist  das  monatsbild  des  januar:  ein  mann  am 
feuer  sitzend  trinkt  wärmende  getränke,  vgl.  Uhl,  Unser  kalender  s.  60.  Das  zeichen 
des  Januars  ist  der  Wassermann,  die  ursprünglichen  kalenderbilde r  sind  nun  so  ein- 
gerichtet, dass  links  das  monatsbild,  rechts  daneben  das  himmelszeichen  steht,  also 
für  den  januar  der  sich  am  feuer  wärmende  und  trinkende  mann,  rechts  der  ein 
gefäss  ausgiessende  Wassermann.  Werden  die  zwei  hälften  vereinigt,  so  entsteht  eine 
scene,  wo  die  beiden  figuren  zusammenwirken,  indem  nun  der  ursprüngliche  Wasser- 
mann dem  den  monat  repräsentierenden  trinker  einen  becher  reicht,  wie  auf  unserem 
bilde.  Ein  solcher  Vorgang  ist  auf  einem  nur  vorliegenden  französischen  kalender 
v.j.  1504  reich  ausgeführt,  ein  grösseres  gelage  auf  einem  lat.  kalender  aus  England 
v.  j.  969  ist  beschrieben  von  Riegl,  Mitteil.  f.  österr.  geschichtsforsch.  10,  65.  Kalender- 
vers: In  jano  claris  calidisque  eibis  potiaris  atque  decens  potus  post  fercula  sit 
tibi  notus  usw.  (franz.  kal.);  deutsch:  Genner  bin  ich  genant,  trinken  und  essen 
ist  mir  wol  behaut  usw.  (Germania  8,  107). 

Ein  bis  auf  einzeih eiten  ähnliches  bild  wie  das  zum  Kol  v.  Niunzen  findet 
sich  in  dem  erwähnten  französischen  kalender  zum  planeten  Jupiter:  ein  schütze 
zielt  mit  der  armbrust  nach  einem  vogel,  der  im  laube  eines  rechts  stehenden  baumes 
sitzt,  ein  reiter  (dieser  links  vom  schützen)  streckt  die  hand  nach  einem  oben  fliegenden 


ÜBER   SCHULZ,    HEIDELBERGER   LIEDERHANDSCHRIET  119 

falken  aus  [unter  dein  bauine  sitzt  ein  Schreiber  am  pult].  Auf  dem  genannten  in 
England  entstandenen  kalender  ist  das  bild  des  novembers  eine  falkenjagd  (Riegl  s.  67) 
und  noch  heutzutage  ist  die  jagd  ein  stehendes  bild  für  diesen  monat  in  den  kalendern. 
Der  schütze  ist  das  zeichen  des  monats  november. 

Dass  das  bild  zum  Kol  v.  Niunzen  mit  den  beiden  vorhergehenden  (Kunz 
v.  Rosenheim  und  Rubin  u.  Rüedeger)  nach  technik  und  auffassung  zusammen 
eine  gruppe  bildet,  ist  längst  erkannt,  und  so  wird  man  auch  diese  zwei  auf  die 
herkunft  aus  kalenderbildern  hin  zu  prüfen  haben.  Das  erste,  das  zu  Kunz  v. 
Rosenheim,  entspricht  dem  kalenderbild  des  august:  dessen  monatsbild,  links,  ist 
ein  Schnitter,  das  planetenbild ,  rechts,  eine  reich  gekleidete  Jungfrau.  "Wurden  die 
beiden  stücke  zusammen  gerückt  und  in  ein  in  sich  einheitliches  landwirtschaftsbild 
gebracht,  so  ergab  sich  eine  Unterhaltung  zwischen  Schnitter  und  Schnitterin,  wie 
es  etwa  frühere  Jahrgänge  des  Lahrer  Hinkenden  boten  darbieten  (ältere  Illustrationen 
stehen  mir  nicht  zu  geböte).  Eine  ähnliche  auffassung  ist  hier  in  der  miniatur  der 
Heidelberger  hs.  ins  höfische  übertragen,  das  motiv  des  getreideschneidens  zeigt 
indes  deutlich  den  ursprünglichen  Charakter  als  kalenderillustration.  Eine  andere 
widergabe  findet  sich  ebenfalls  in  älteren  Jahrgängen  des  Hinkenden  boten:  ein  herr. 
von  seinem  hund  begleitet,  gibt  gebieterisch  die  hand  ausstreckend  befehle  an  zwei 
Schnitter;  auch  damit  hat  das  bild  von  C  motive  gemein. 

Ganz  dem  texte  angepasst  ist  das  mittlere  bild  dieser  gruppe,  das  zu  Rubin  und 
Rüedeger,  vgl.  Oechelhäuser  s.  324;  immerhin  kann  das  Stimmungsmotiv  zum  bild 
des  monats  mai  vorliegen,  ein  maigang  in  der  schönen  frühlingsnatur.  In  einem 
deutschen  kalender  des  16.  jhs.  ist  das  monatsbild  für  den  mai  ein  elegant  gekleideter 
junger  herr  mit  einem  falken  in  der  hand  im  walde  reitend,  daneben  als  zeichen 
geht  ebenfalls  einer  mit  blumenstengeln  in  beiden  händen  auf  einer  wiese,  ent- 
sprechend dem  monatsvers:  Hie  kome  ich  stolzer  nieige  mit  Mitogen  bluomen  maniger 
läge,  Germania  8,  108. 

Auch  beim  tugendhaften  Schreiber  wird  man  zunächst  an  ein  monats- 
bild erinnert,  an  den  September  mit  wage  und  obstsack,  aber  die  gegenstände  im  sack 
sind  doch  sicher  geldstücke,  wie  Oechelhäuser  erklärt.  Die  Situation  entspricht  der 
erzählung  Lichtensteins  von  seiner  gefangennähme,  besonders  544,  11  —  34:  "Woinolt 
und  her  Pilgerin  hatten  ihn  festgesetzt,  Pilgerin  tritt  zu  ihm  und  redet  ihn  an: 
„und  weit  ir  lenger  leben,  so  sagt  wax  ir  uns  wellet  geben'',  darauf  Ulrich:  „ich 
gib  in  allex  dax  ich  ha/n  und  immer  mere  gewinnen  kan.  Ja  wirt  iu  guotes  vil 
gegeben  dar  umb  dax  ir  mich  läxet  leben".  Sivie  vint  mir  der  untriwe  was.  diu 
miet  half  doch  dax  ich  genas  .  .  .  Er  hiex  vil  sere  besmiden  mich  in  einen 
bogen:  dax  miiet  mich,  dann  547,  26  min  burc  die  macht  ich  ledic  sint:  wie, 
dax  wil  ich  iueh  verdagen,  .  .  .  ich  het  verlorn  starkex  guot.  Die  in  der  er- 
zählung zeitlich  aufeinander  folgenden  ereignisse  sind  im  bilde  zu  einer  soene  zu- 
sammengezogen: der  dichter  sitzt  mit  oiner  boie  gefesselt  und  lässt  durch  einen 
knecht  sein  lösegeld  abwägen,  wobei  Weinold  und  her  Pilgerin  mit  erregten  gesticu- 
lationen  auf  ihn  einreden.  Die  geberde  des  vom  dichter  entfernter  stehenden,  der 
den  Zeigefinger  der  linken  hand  auf  die  fläche  der  rechten  richtet,  ist  dieselbe,  wie 
die  des  richters  auf  verschiedenen  bildern  der  Heidelberger  Sachsenspiegel  -hs.,  vgl. 
auch  Repertor.  f.  kunstwissensch.  7,  414,  und  bedeutet  belehrung,  aufforderung  zur 
erfüllung  einer  pflioht,  eines  Vertrags.  Die  boie  ist  übrigens  ein  erkennungszeioheo 
des  zinszahlers  in  der  kruue  v.  9799  u.  10034. 


L20  »»« 

oi,  aucb  noch  andere  Illustrationen  in  dej  Beid(  kalenderbildern 

tammen,  kann  ich  mii  dem  mir  zu  al  nicht  weiter  ver- 

folgen. Bei  Jakob  v.  Warte  könnte  man  ebenfall  an  ein  maibild  denken,  vgl.  die 
\Sayo  seeure  lavari  sit  Hl>i  eure  and  In  diesem  nionai  der  mensch  baden 
soll  'null  macht  du  dornen  springen  und  leben  wol;  kalenderbilder  zum  mai  bi  i 
Beine  junge  dame,  die  unter  blühenden  bäumen  in  einer  badewanne  sitzl  and  eina 
blume  in  der  band  hält"  usw.,  tJhl  .61,  oder  mann  and  frau  (ursprünglich  die 
z.wüIm  monats)  in  einer  kufe  badend.    Steinmars  gelage  könnte 

rin  dezemberbild  zu  gründe  liegen,  „mit  toirsten  und  gtcot  braten  wil  ich  mm  hus 
iini  beraten";  die  Bsche  (Pfeffel  als  Ei  eher)    ind  das  zeichen  des  februar. 

HI.IM.I.I'.F.I;'..  0.  EHE!       ' 


Dr.  M.  J.  van  der  Meer,  Gotische  oasussyntaxia  I.     Boekhandel  en  drukkerij 

voorheen  E.  .1.  Drill.     Leiden  1901. 
.letlc  Untersuchung  über  gotische  syntax  muss  die  tatsache  beherzi 

wir  die  gotische  spräche  nur  aus  Übersetzungen  können,  und  dass  der  satzbau  bei 
Übersetzungen  nur  gar  zu  leicht  durch  den  satzbau  der  vorläge  beeinflusst  werden 
kann.  Daraus  ergib!  sich  die  folgerung,  dass  für  die  syntactische  forschung  nur  die- 
jenigen Stollen  in  betracht  kommen,  in  denen  die  Übersetzung  von  der  vorläge  ab- 
weicht. Denn  wo  das  gotische  mit  dem  griechischen  text  übereinstimmt,  ist  immer 
die  möglichkeit  vorhanden,  dass  wir  es  nicht  mit  einer  gotischen,  sondern  mit  einer 
griechischen  Spracherscheinung  zu  tun  haben.  Allerdings  werden  eigentiimlichkoiten 
der  einen  spräche,  die  dem  Sprachgefühl  des  übersetzenden  ganz  grell  widerstreiten, 
unter  allen  umständen  eine  änderung  erfahren,  es  müsste  denn  eine  interlinearversion 
vorliegen,  und  eine  solche  ist  die  bibelübersetzung  des  Ulfilas  nicht.  Andere  sprach- 
erscheinungen  des  einen  volkes  werden  von  dem  Sprachgefühl  des  andern  zwar  fremd- 
artig empfunden,  aber  sie  erinnern  doch,  wenn  auch  manchmal  nur  entfernt,  an  diesen 
oder  jenen  gebrauch  der  eigenen  spräche,  sie  finden  in  dieser  irgend  eine  analogie 
und  werden  alsdann  übernommen,  ohne  erbgut  der  spräche  zu  sein.  Für  die  Sprach- 
geschichte kann  eine  solche  herübernahme  sehr  wichtig  werden  —  aber  nur  dann. 
wenn  die  spräche  noch  eine  bedeutende  entwicklung  später  durchmacht,  was  beim 
gotischen  bekanntlich  nicht  der  fall  gewesen  ist. 

In  einer  gotischen  casussyntax  müssten  daher  in  jedem  abschnitt  zuerst  die 
fälle  ausgeschieden  werden,  die  von  der  griechischen  vorläge  abweichen.  Diese  allein 
sind  zunächst  von  bedeutung  für  die  historische  Sprachwissenschaft.  Die  fälle,  wo 
vorläge  und  Übersetzung  übereinstimmen,  dürfen  ja  nicht  ohne  weiteres  übersehen 
werden ,  da  die  beiden  sprachen  gewiss  auch  gemeinsame  eigentümlichkeiten  besitzen 
können,  und  es  mag  sich  durch  Sprachvergleichung  manches  hiervon  als  gemein- 
germanisch erweisen.  So  lange  man  sich  jedoch  hier  auf  einem  noch  nicht  hin- 
reichend geebneten  boden  befindet,  werden  solche  fälle  lediglich  für  den  descrip- 
tiven  teil  der  grammatik  in  betracht  kommen  können. 

Es  ist  bedauerlich,  dass  der  Verfasser  diesen  grundunterschied  fast  gänzlich 
übersehen  hat,  und  daher  ist  seine  Casussyntax  weniger  historisch  als  descriptiv.  ein 
mangel,  der  entschieden  hervorgehoben  werden  muss,  so  sehr  man  auch  sonst  der 
fleissigen  und  gewissenhaften  Zusammenstellung  lob  und  anerkennung  zollen  kann. 
Es  wird  zwar  vielfach  hervorgehoben,  dass  der  Übersetzer  der  vorläge  gegenüber 
selbständig  ist,   doch  geschieht   dies  immer   nur  gelegentlich   und  nicht  grundsätzlich, 


ÜBER  VAN  DER  MEER,  GOT.  CASUSSYNTAX  121 

und  dalier  ist  es  anderseits  häufig  unmöglich,  aus  der  menge  des  angehäuften  Stoffes 
das  zweifellos  gotische  auszuscheiden.  Wir  haben  es,  soweit  es  möglich  war,  ver- 
sucht und  wollen  im  folgenden  die  wichtigeren  einzelheiteu  hervorheben  und  be- 
sprechen. 

Die  behandlung  jedes  einzelnen  casus  beginnt  mit  einer  allgemeinen  erörterung 
über  die  ursprüngliche  bedeutung  desselben,  wobei  sich  der  Verfasser  ziemlich  eng  an 
Delbrück  anschliesst.  Diese  erörterungen  sind  jedoch  viel  zu  weitschweifig,  zumal 
da  sich  keine  wesentlich  neuen  ergebnisse  herausstellen.  Einfacher  und  besser  wäre 
es  gewesen,  die  von  Delbrück  für  das  idg.  festgestellten  casusfunctionen  als  grund- 
lage  zu  nehmen  und  hiermit  die  got.  Verhältnisse  zu  vergleichen.  Der  Verfasser  ist 
übrigens  mit  der  neueren  sprachwissenschaftlichen  methode  bekannt  —  abgesehen  von 
dem  oben  angeführten  methodischen  grundfehler  —  und  handhabt  sie  häufig  mit  glück, 
so  dass  sich  an  manchen  stellen  gute  erklärungen  finden;  z.  b.  s.  lfg.  über  die  Ver- 
wandlung des  dativs  der  activischen  construction  in  den  nominativ  der  passiyischen ; 
s.  8  über  den  nominativus  absolutus.  An  vielen  stellen  jedoch  vermissen  wir  klarheit 
der  darstellung  und  auch  nur  den  versuch  einer  erklärung.  Über  den  nom.  c.  inf. 
erhalten  wir  kein  klares  bild  (s.  6),  da  hier  die  griechische  vorläge  nicht  berücksichtigt 
wird  und  auch  der  vergleich  mit  andern  germ.  sprachen  fehlt.  Ähnliches  müssen  wir 
s.  42  beanstanden,  bei  der  behandlung  des  accusativ  nach  Zeitwörtern,  die  mit  präpp. 
zusammengesetzt  siud,  und  zwar  kommen  hier  präpp.  in  betracht,  die  sowol  den  acc. 
als  den  dativ  regieren.  Im  gegensatz  zum  griechischen  werden  hier  die  mit  ana  zu- 
sammengesetzten verba  angeführt:  a/naqima/n  {itpundvat  c.  dat.),  anatrimpan  (ini- 
xeto&ai  c.  dat.);  mit  and  zusammengesetzte  verba:  andstaurran  (cmdstaurraidedtm ßo, 
h'ißniuGivTO  aörJJ);  ferner  faurbigaggau  (noodystv),  uipragaggan  (ynavräv):  dis- 
driusan  {Inmimtiv),  bigraban  (ninißäD.siv).  Es  sind  dies  verba  der  bewegung,  die 
durch  die  Zusammensetzung  transitiv  werden  und  den  acc.  regieren,  eine  bekannte 
erscheinuug  in  der  geschichte  der  germanischen  sprachen,  vgl.  nhd.  steigen  ersteigen 
besteigen,  laufen  durchlaufen,  sehreiten  beschreiten  iibcrsclirciicn  usw.  Wir  haben 
liier  einen  alten  accusativ,  der  das  ziel  einer  bewegung  bedeutet,  ähnlich  dem,  der. 
mit  einer  präp.  verbunden,  auf  die  frage  „wohin"  steht.  "Wenn  das  griech.  den  dativ 
hat,  so  ist  dies  daraus  zu  erklären,  dass  dem  griech.  Sprachgefühl  ursprünglich  weniger 
das  ziel  der  bewegung,  als  die  an  der  handlung  teilnehmende  person  (oder  sache) 
vorgeschwebt  hat. 

Die  funetionen  von  dativ  und  accusativ  lassen  sich  ja  überhaupt  nicht  nach 
streng  logischen  gesetzen  scheiden;  das  bestimmende  ist  hier  das  ursprüngliche  Sprach- 
gefühl, das  bald  mehr  das  ziel  der  tätigkeit,  bald  mehr  das  anteilnehmende  objeet 
berücksichtigt  hat,  und  dem  folgt  der  traditionelle  Sprachgebrauch,  der  aber  trotz 
mancher  bedeutungsverschiebung  vielfach  erhalten  bleibt.  Im  allgemeinen  scheint  das 
got.  den  dativ  häufiger  zu  gebrauchen  als  das  griech.;  so  werdon  s.  192 fgg.  viele  verba 
angeführt,  die  in  gleicher  bedeutung  sowol  den  dativ  als  den  acc.  bei  sich  haben 
können,  während  die  vorläge  fast  nur  den  acc.  kennt.  Doch  gibt  es  auch  selbständige 
Verwendungen  dos  acc.  im  got.,  und  hier  erwähnen  wir  noch  den  acc.  bei  Impersonalien, 
der  einem  griech.  oder  lat.  dativ  entspricht  (vgl.  s.  51):  gadob  (conveniebat),  kar  ixt 
(/Litkti).  Bemerkenswert  ist,  dass  im  got.  grc<l<m.  httggran,  patirsjan  impersonal,  die 
entsprechenden  griech.  Wörter  alter  persönlich  gebraucht  werden.  Das  got.  bevorzugt 
also  hier  dio  unbestimmtere,  allgemeinere  form  des  Zeitworts. 

Ähnliches  sehen  wir  s.  52  bei  dem  prädicatsaocuBativ.  I>as  got.  kennl  eine 
geringere  anzahl  von  verba  mit  prägnanter  bedeutung  als  das  grieoh. ;  die  entsprochen- 


122  REM 

dun  Zeitwörter  der  \oila^e  weiden  durch  verba  von  allgemeinerer  bedeutung  iu  \er- 
bindnng  mit  prädioatsnomina  widergegeben;  vgl.  i  53  briggan  in  wairßatu  briggan 
{u$m>0v),  gamainja  />.  (avyxoivoOv)^  wundem  />.  [xnpuXtuvoOv)^  ferner  garaihtana  odei 
UAwawhtana  dotnjan  oder  gadomjan  oder  gateihan  (fuuuoVv),  toairßona  rahnfwn 
(ufyoüv),  hroßeigwne  ustaiknjan  (d-Qmußttiitv)^  gatandida  haban  (xixavttigCa&iu). 
Über  eine  ähnliche  ersoheinung  in  der  nhd.  Umgangssprache  vgl.  meine  Byntactisohen 
Btadien  (Beitrüge  18,  s.  470  fg.,  §  r>).  Daselbst  wurde  zur  erUärang  dieser  Bpraoh- 
tatsache  unter  andorm  auf  den  lautlichen  verfall  so  mancher  verbalformen  im  nhd. 
hingewiesen.  Dass  aber  auch  schon  die  ältesten  germanischen  dialecte  weniger 
tempora  und  modi  besitzen,  als  die  idg.  grundspraohe,  ist  bekannt,  und  dieser 
arrnut  an  scharf  gesonderten  formen  entspricht  in  der  bedeutungslehre  eine  armut 
an  verben  mit  scharf  prägniertem  und  reichem  inhalt;  den  ausdruck  eines  solchen 
Inhaltes  haben  nomina  übernommen.  Ausser  bei  dem  prädicatsaccusativ  sehen  wir 
auch  sonst  noch  diese  tatsache  bestätigt.  Dabin  gehört,  dass  der  Grieche  verbal- 
composita  bildet  (s.  63),  während  der  Gote  hierfür  Verbindungen  von  verben  mit  ad- 
verbial gewordenen  accusativen  verwendet:  piup  taujan  pau  unpiup  taujan  (uya- 
Sonoifjaut,  fi  y.uxonmtiaui);  yaliug  weitwodidedun  (hptvSouanii'Qovv).  Ausserdem 
noch  die  Verbindung  von  wisan  und  dem  acc.  tomporis  icintru  für  griech.  nuouyti- 
ptiCfiv  (s.  61).  Ähnlich  wisan  c.  dat.  s.  80fgg.  Au  stelle  eines  griech.  nomen  com- 
positum stehen  im  got.  zwei  nomina:  z.  b.  leitil  galunbjandans  (ohyimiaroi)  u.  a. 
Es  besteht  also  auch  im  got.  eine  abneigung  gegen  inhaltsreiche  nomina;  die  be- 
deutung  eines  solchen  nomen,  besonders  nominalcompositum,  wird  durch  mehrere 
nomina  widergegeben. 

Über  den  acc.  c.  inf.  behauptet  der  verf.,  dass  im  got.  der  erste  „trap  van 
ontwikkeling"  geschehen  ist.  Ob  dies  der  fall  ist,  oder  ob  entlehnungen  aus  dem  lat. 
und  griech.  vorliegen,  soll  hier  nicht  weiter  erörtert  werden;  jedesfalls  kann  das  erste 
aus  der  geringen  anzahl  der  beispiele  nicht  geschlossen  werden.  Hervorzuheben  ist 
noch  der  ausgedehnte  gebrauch  des  got.  acc.  temporis  für  griech.  dativ  und  prä- 
positionsverbindung.  Daneben  findeu  sich  aber  auch  dative  der  zeit,  denen  im  griech. 
ebenfalls  präpositionsverbindungen,  aber  auch  acc.  entsprechen  (vgl.  s.  95  fg.).  Ähn- 
liches sehen  wir  beim  genitiv  s.  133  fg.  Leider  geben  die  ausführungen  des  verf.  keine 
klarheit  darüber,  was  die  wähl  des  einen  oder  des  andern  casus  veranlasst  hat. 

Der  dativ  findet  sich  im  got.  in  bedeutenderem  umfang  als  im  griech.;  ent- 
spricht er  doch  nicht  nur,  wie  im  griech.,  dem  idg.  instrumentalis,  sondern  auch  idg. 
ablativ.  Es  ist  zu  billigen,  dass  der  verf.  diese  drei  im  dativ  zusammengefallenen 
casus  von  vorn  herein  scheidet  und  darauf  die  ganze  einteilung  gründet.  Im  einzelnen 
jedoch  scheint  mir  diese  hie  und  da,  und  zwar  nicht  bloss  beim  dativ,  etwas  willkür- 
lich zu  sein.  Z.  b.  der  unterschied  zwischen  dativus  adnominalis  und  adverbalis  ist 
kein  grundsätzlicher,  da  die  ursprüngliche  wähl  des  casus  nicht  durch  die  syntactische 
klasse  des  wortes,  sondern  dureh  dessen  bedeutung  bestimmt  worden  ist1. 

Auch  beim  dativ  seien  die  got.  gebrauchsweisen  hervorgehoben,  die  vom 
griech.  abweichen.  Zunächst  ist  dessen  Verwendung  entsprechend  griech.  präpositions- 
verbindungen zu  nennen:  so  für  ano  c.  gen.  (s.  70)  beim  passiv.:  afnimada  imma 
(«g&rjOtTta  An'  civtov);  s.  73  pamma  nimandin ni  warjais  (und  tov  cuoovrog 

1)  Aus  ähnlichem  gründe  dürfte  es  sich  kaum  empfehlen,  die  casuslehre  als 
ganzes  einzuteilen  in  casus  ohne  und  mit  präpositionen;  die  bedeutung  der  präpositions- 
verbiudung  ist  vielmehr  im  anschluss  an  die  gleiche  bedeutung  des  casus  ohne  prä- 
position  zu  behandeln. 


ÜBER  VAN  DBR  MEER,  GOT.  CASUSSYNTAX  123 

fj.t)  xioküatjg);   für  tlg  c.  acc.  nach  yaluubjun;   für  ngög  c.  acc.  in  sis  J>o  bad 

(7106g  ectvTÖv  TctöTu  7iqoo rjviccTo).  Der  dativ  steht  auch  für  griech.  genitiv  nach 
hausjan  (axoveiv)  und  reikinon  (üg/etv)  sowie  für  griech.  acc.  bei  verben,  die  be- 
zeichnen „iemand  of  iets  aangenam  of  onaangenaam,  vordeelig  of  nadeelig,  vriend- 
schappelijk  of  vijandig  gezind  zijn"  (s.  74);  vgl.  usagljan  (i<7i(07iultti,v),  gabairyan 
(oi'VTt]Q(Tv),  qistjan  (ünoi.kuvui),  gaßlaihan  (nu.Quxu).iiv). 

Interessant  ist  auch  der  gebrauch  des  possessiven  dativ  für  einen  griech.  genitiv 
poss. ;  vgl.  s.  90  ei  uns  wairßai  ßata  arbi  (tva  Tj/xßv  yivr\tui  xXiiQovofiiu),  sice  fijands 
ixtois  warß  (wäre  {%&QÖg  v^wv  yfyovu);  draus  imma  du  fotum  (ßntatv  uvtov  tlg 
rovg  nö$ug)\  alluh  auk  ufhnaiwida  uf  fotuns  imma  (ndvrn  yuQ  intiustv  vnb  rovg 
nöSug  uvtov);  gasalboda  fotuns  Jesua  (ijlinptv  Tovg  nööug  tov  'Itjaov)  u.v.a.  Zwei 
gründe  können  hierfür  angegeben  werden.  Erstens:  der  genitiv  konnte  im  got.  nicht 
in  dem  gleichen  umfang  als  selbständiger  Satzteil  verwendet  werden  wie  im  griech. 
und  ist  daher  dem  durch  die  bedeutung  nahe  gelegten  dativ  gewichen.  Es  ist  aher 
femer  anzunehmen,  dass  für  das  Sprachgefühl  der  meist  adnominal  gebrauchte  gen. 
eine  engere  Verbindung  mit  dem  benachbarten  nomen  hat  als  jeder  andere  casus, 
und  nomen  und  genitiv  werden  leichter  als  zu  einer  einheit  verschmolzen  empfunden, 
während  nomen  und  dativ  eher  als  zwei  getrennte  selbständige  Satzteile  erscheinen. 
Wir  haben  nun  oben  gesehen,  dass  im  got.  eine  abneigung  gegen  inhaltsreiche  com- 
posita  besteht  und  dafür  lieber  zwei  worte  gebraucht  werden.  Dem  ganz  analog  dürfte 
es  sein,  wenn  Ulfilas  nicht  eine  als  einheit  gefühlte  Wortfügung,  sondern  zwei  als 
getrennt  empfundene  Satzteile  gebraucht.  Wo  sich  im  got.  der  genitiv  poss.  findet, 
ist  die  vorläge  nachgeahmt  worden,  mit  den  ganz  wenigen  —  nur  scheinbaren  — 
ausnahmen,  die  griech.  ix  c.  gen.  entsprechen. 

Der  an  stelle  eines  früheren  instrumentalis  getretene  dativ  steht  mehrfach  für 
einen  griech.  accusativ.  So  s.  107  fg.  bei  andwasjan  (Ixdvtiv),  gahamon  (ivSv(n), 
bugjan  (noilBTad-ai),  usbugjan  (uyoQÜttoöui,);  s.  113  sind  mehrere  beispiele  angeführt, 
wo  der  instrum.  einem  griech.  acc.  relationis  entspricht;  so  gasleißeip  sik  saiwalai 
seinai  (f^toj^-jj  rhv  rpv/i]v  uvtov).  Weniger  der  dativ  in  seiner  ursprünglichen  be- 
deutung, sondern  der  erbe  des  instrum.  ist  es,  der  hier  an  stelle  des  griech.  acc.  ge- 
treten ist. 

Vom  genitiv  ist  vor  allem  der  ausgedehnte  partitive  gebrauch  im  got.  zu  er- 
wähnen; vgl.  s.  124  ainshun  praufete  (ovdtig  nQo<f>']Tt]g),  ainhun  ivaurde  ubilaixe 
(nßg  Xöyog  aannög).  Wir  finden  den  gen.  pari  bei  Substantiven,  bei  den  Zahlwörtern 
ains  und  twai  und  den  mit  tigjus,  tehund,  hund,  ßusundi  zusammengesetzten,  bei 
den  pronomina  sa,  Ivas,  saei,  fvarjis,  loaßar,  bei  anßar,  filu,  manags  u.  ä., 
dann  aber  auch  selbständiger  bei  verben.  Wir  sehen  auch  hier  widerum  die  regel 
bestätigt,  dass  das  got.  den  einzelnen  Wörtern  eine  grössere  Selbständigkeit  verleiht  als 
das  griech.  Zur  Verdeutlichung  vgl.  man  das  nhd.  mehrere  männer  mit  der  Wort- 
fügung mehrere  unter  den  männem,  und  man  sieht  leicht,  wie  hier  zwei  begriffe 
ziemlich  gesondert  widergegeben,  dort  jedoch  zu  einer  gewissen  einheit  verschmolzen 
sind.  Ähnliches  sehen  wir  bei  dem  sog.  genitiv  „van  kenmerk"  (der  kennzeichnung); 
auch  dieser  steht  da,  wo  im  griech.  ein  einziges  wort  oder  ein  adjectivisches  attribut 
steht.  Vgl.  s.  151  fgg.  afstassais  bokos  (linoarüaiov),  aiwa  dagc  (tig  jöv  aißva),  all 
boko  gudiskahos  ahmahteinais  (71u.au  yQttipij  9-i6nvevarog).  Auch  beim  gen.  objec- 
tivus  findet  sich  die  gleiche  erschoinung:  s.  180  fgg.  du  suniwc  gadedai  (dg  viodfotui), 
ivitodis  garaideins  (?)  vo^iod-taiu). 


124  KAU]  ■  IIUT-M'  111  KU  '.  '  >.TL'S 

Ob  eis  gen.  in  instrumentaler  bedeutung  im  got.  selbständig  vorkommt,  ist 
den  vom  vi  pielen  nicht  klar  zu  erkennen.    Was  hier  angeführt  wird, 

mporaler  gonitiv  zu   betrachten  {dage  managaixt         h   fjfiiQan     ioXJ 
dazn  kommen  •  bia  genitivischen  Ursprungs.    Ob 

lioher  gebrauch  vorliegt  oder  nachabmung  des  grieoh.,  must   dahin  gestellt   bli 

Behr  wahrscheinlich,  dsi    der  gen.  im  Binne  des  ablativs,   der  durob- 
i    c.  gon.  entspricht,  unter  dem  einfl  gebraucht 

worden  ist.     Der  s.  178  als  gen.  „van  di  nach  den 

verben  sich  erinnern,   bitten,  bitten,  begehren  u.  a.,   der  vielfach  accus,  ent- 

spricht, mu  part.  auf 

Wir  haben  hier  versucht,  aus  der  menge  des  vom  verf.  gesammelten  Stoffes, 
soweit  es  bei  der  nicht  gerade  Behr  übersichtlichen  anordnung  möglich  war,  die  Bprach- 
erscheinungen  herauszuheben,  die  zweifell  imlichkeiten  sind.   Es  war 

nichl  immer  möglich,  die  gründe  zu  erkennen,  die  den  Übersetzer  zu  einer  abweichung 
von  der  vorläge  bestimmt  haben.  Eine  häufig  widerkebronde  erscheinung  fanden  wir 
jedoch  hierbei,  die  wir  darauf  zurückführen  können,  dass  im  griech.  mehrere  begriffe 
leichter  zu  einem  gesamtbegriff  verschmolzen  werden,  während  im  got.  sich  eine  ziem- 
lich weitgehende  Individualisierung  der  begriffe  findet.  Für  die  fortsetzung  seiner  trotz 
aller  mäugel  verdienstlichen  arbeit  mag  dem  verf.  geraten  werden,  sein  augenmerk 
vor  allem  auf  diejenigen  falle  zurichten,  in  denen  Ulfrias  von  seiner  vorläge  abweicht. 

MAINZ.  HANS    REIS. 


Meyer,  Wilhelm  aus  Speyer,  Der  gelegenheitsdichter  Ycnantius  Fortuuatus. 
Berlin  1901  (=  Abhandlungen  der  kgl.  gesellschaft  der  Wissenschaften  zu  Göttingen. 
Phil.-hist.  Masse  n.  f.  bd.  IV  nr.  5).    140  s.    4.   9  m. 

In  der  geschichte  der  deutschen  lyrik  hat  schon  Burdach  diesem  „ältesten  mittel- 
alterlichen dichter  Frankreichs"  seinen  posteu  angewiesen.  Verfolgen  wir  z.  b.  die  ent- 
vvicklung  der  motive  unserer  naturschilderungen,  so  gibt  sich  alsbald  zu  erkennen ,  dass 
von  Venahtius  Fortuuatus  eine  ziemlich  directe  bahn  zu  den  Carmina  Burana  hinführt. 
Wir  sind  daher  W.  Meyer  für  die  scharfsinnige  erörtorung  zahlreicher  um  den  autor 
und  um  seine  werke  sich  drehender  fragen  zu  aufrichtigem  dank  verpflichtet;  denn 
„das  Studium  des  Fortunat  liegt  sehr  im  argen"  (s.  4).  Der  verf.  handelt  über 
Fortunats  leben  im  Frankenreich  (s.  5fgg.),  herausgäbe  der  Schriften  (s.  23  fgg.  69). 
dichterische  gattungen  (s.  30 fgg.)1,  bemerkungen  zu  den  einzelnen  gedichten  (s.  73fgg. 
beachte:  leben  der  Radegunde  s.  90fgg\,  Panegyricus  auf  Chilperich  s.  113fgg., 
alliteration  s.  138). 

"Was  wir  nach  einer  so  ausgezeichneten  Voruntersuchung  brauchen,  ist  eine 
darstellung  der  stilmittel;  denn  dies  problem  hat  W.  Meyer  nur  gelegentlich  gestreift. 

1)  „Man  hat  noch  keinen  dichter  nachweisen  können,  dessen  schätz  an  worten 
und  Wendungen  Fortunat  besonders  benützt  hätte  ...  er  schildert  nur,  was  wirklich 
um  ihn  ist  und  das  mit  gedauken,  welche  den  menschen  seines  gleichen  nahe  liegen" 
seite  31. 

KtKL.  FRIEDRICH   KAUFKHANN. 


BRÜCKNER    ÜIIF.R    8CHAER,    FECHTER    UND    SPIELLEUTE  125 

Alfred  Sehaer,   Die    altdeutschen    fechter    und    spielleute.     Ein  beitrag   zur 

deutschen  culturgeschichte.    Dissertation.    Strassburg,  Trübner  1901.    207  s.   5  m. 

Die  inhaltlich  ziemlich  reichhaltige,  in  der  darstellung  etwas  schwerfällige  arbeit. 
zu  der  der  verf.  durch  eine  Preisfrage  der  philosophischen  fakultät  Strassburg  angeregt 
worden  ist,  steckt  sich  nicht  das  ziel,  die  geschichtliche  gesamtentwicklung  der  Ver- 
hältnisse der  fechter  und  spielleute  zu  schildern,  sie  soll  vielmehr  hauptsächlich  die 
auffallende  gleichartigkeit  und  den  parallelismus  in  der  historischen  entwickluug  dieser 
beiden  niedern  volksklassen  darlegen;  sie  fasst  daher  vielfach  im  einzelneu  bekannte 
ergebnisse  früherer  Untersuchungen  unter  diesem  gesichtspunkte  zusammen.  Der  verf., 
der  sich  in  seiner  abhandlung  vorläufig  auf  die  deutschen  Verhältnisse  beschränkt,  der 
aber  eine  allgemeine  geschichte  der  fahrenden  leute  für  später  in  aussieht  stellt,  gliedert 
seinen  stoff  in  drei  capitel:  1.  Die  kämpen  und  fechter.  2.  Die  spielleute  und  das 
fahrende  volk.  3.  Der  zwischen  den  fechtern  und  kämpen  einerseits  und  den  spiel- 
leuten  andererseits  bestehende,  entwicklungsgeschichtliche  parallelismus  und  seine  ver- 
schiedenen ausdrucksformen  im  rechtswesen  und  in  socialen  Verhältnissen,  in  litteratur 
und  spräche.  Ein  vierter  teil  bringt  als  anhang  eine  reihe  litterarischer  belegstücke, 
die  sich  ihres  umfangs  wegen  nicht  wol  in  den  zusammenhängenden  text  einfügen 
Hessen. 

Das  erste  capitel,  das  bei  dem  mangel  einer  umfassenden  darstellung  am  aus- 
führlichsten ist,  sucht  zunächst  die  anfange  des  deutschen  kämpen-  und  fechter- 
wesens  festzusellen.  Seh.  hält  es  für  sehr  wahrscheinlich,  dass  mit  den  antiken, 
speciell  spätrömischen  Verhältnissen  noch  ein  näherer  Zusammenhang  bestehe,  doch 
hält  er  mit  einem  definitiven  urteil  über  diese  frage,  deren  beurteilung  durch  das 
fehlen  von  Zeugnissen  aus  ältester  zeit  erschwert  wird,  noch  vorsichtig  zurück  (s.  140fg.). 
Den  sichern  ausgangspunkt  der  Untersuchung  bilden  jedesfalls  zwei  echt  germanische 
erscheinungen:  der  kämpe,  der  vor  gericht  die  parteien  im  Zweikampf  vertritt  and 
der  höfische  fechtmeister.  Bei  besprechung  des  gerichtlichen  Zweikampfes  äussert  Seh. 
die  gewiss  richtige  ansieht,  dass  sich  bei  der  weiten  Verbreitung  des  kämpf  urteils 
schon  frühzeitig  eine  art  von  berufsf echtem  gebildet  habe,  die  sich  um  lohn  zum 
austrage  solcher  Streitigkeiten  anwerben  Hessen.  Es  ist  schade,  dass  der  Verfasser  die 
neuausgabe  der  RA.  nicht  benutzen  konnte,  einige  der  ältesten  und  bezeichnendsten 
belege  sind  ihm  dadurch  entgangen:  1.  Fris.  14,  7  Licet  unieuique  pro  se  campionem 
inercede  conducere;  ein  forensis  athleta  wird  Saxo  gram.  s.  384  erwähnt  RA.  2.  592; 
auch  Liutpr.  71  wäre  hier  zu  erwähnen:  Si  quis  alium  asto  eompellaverit  de  pugna, 
quod  solet  fieri  per  pravas  personas  RA.  2,  347.  Sehr  unsicher  erscheint  mir  die 
annähme,  dass  bereits  in  ahd.  zeit  verschiedene  arten  von  kämpen  unterschieden 
worden  seien,  was  durch  das  vorkommen  der  ausdrücke  fustkempho,  hmttiücempfo  and 
swertkempfo  im  Sprachschatz  der  glossenlitteratur  bewiesen  werden  soll  is.  29i.  Die 
ahd.  bezeichnungen  sind  doch  lediglich  erklärungen  der  entspr.  lateinischen  beuennuDgeu 
pugilator,  gladiator  etc.,  es  ist  darum  wol  methodisch  unrichtig,  daraus  ohne  weiteres 
auf  die  damals  bestehenden  deutschen  Verhältnisse  zu  schliessen.  Für  die  existenz 
von  'knüttelkämpen*  hätte  zwar  Seh.  auf  die  Geschichte  der  kampffechter  von  Löwen 
(anhang  s.  144  fgg.)  hinweisen  können;  doch  dürfen  die  Verhältnisse,  wie  sie  dort  vor- 
liegen, nicht  ohne  weiteres  verallgemeinert  werden,  da  die  sitte  den  Zweikampf  mit 
kampfstock  und  schild  auszufechten  lediglich  den  salischen  Frauken  eigen  gewesen 
zu  sein  scheint. 

S.  41  fgg.  handelt  Seh.  von  den  tierkämpfen,  worin  er  am  ehesten  aooh  die 
spuren  der  römischeu   gladiatorengebräuche  erkennen  zu  können  glaubt.    Als  frühsten 


126  BRtTCKNRR    ÜBER    KCItAhR.    I'KCHTKB    UND    Sr-IKI.I.K.UTE 

belog  dafür  in  Deutschland  erwähnt  er  die  stelle  aus  dem  Rolandslied,  die  mi 
beispiele  für  das  auftreten  der  sog.  katzenritter  Btammeo  aus  dem  15.  und  16.  jahrh, 
Einen  sichern  sohluss  gestattet  das  dürftige  material  kaum.  Mir  scheint  aber 
auch  die  mögliohkeit  zu  erwägen  —  uud  auch  das  fehlen  älterer  nachrichten  dürfte 
dafür  sprechen  ,  dass  diese  wilden  tierhetzender  Bpätern  römischen  /."it.  nicht  direct 
etwa  durch  germanische  kriegsgefangene  nach  Deui  chland  abertragen  worden  sind. 
wie  Soh,  s.  15  anzunehmen  geneigt  ist,  sondern  dass  diese  arl  Schauspiele  sich  zu- 
nächst  in  don  ehemals  römischen  [ändern  weiter  gehalten  hat,  wo  auch  die  einge- 
drungenen germanischen  stamme  daran  gefallen  finden  mochten,  und  dass  sie  dann  von 
hier  aus  erst  in  spaterer  zeit  auch  in  das  eigentlich'-  Dcut-chland  eingedrungen  ist. 
Unsicher  scheint  es  mir  ferner,  ob  Seh.  mit  recht  auch  das  herumziehen  von  spiel- 
louten  mit  tanzbären  (davon  handelt  die  s.  43  aus  Hinkmar  v.  Rheims  citierte  Btelle) 
unter  das  rechnet,  was  auf  römische  gebrauche  zurückweist.  Für  das  auftreten  solcher 
baren  wäre  übrigens  als  anschaulichste  darstellung  die  stelle  aus  Ruodlieb  V,  84  —  09 
zu  erwähnen  gewesen. 

Der  zweite  teil  dieses  capitels  beschäftigt  sich  mit  dem  fechterwesen  der  spätem 
zeit.  In  übersichtlicher  weise  worden  hier  die  wichtigsten  nachrichten  über  die  aus- 
bildung  der  fechtergescllschaften ,  das  abhalten  der  fechtschulen  und  dergl.  zusammen- 
gestellt. Den  schluss  bilden  umfangreiche  Verzeichnisse  der  den  fechterbrüderschaften 
verliehenen  Privilegien  und  confirmationen,  der  das  fechterwesen  betreffenden  Ver- 
ordnungen uud  erlasse,  und  derauf  die  abhaltung  von  fechtschulen  und  dergl.  bezüg- 
lichen ort-  und  Zeitangaben,  endlich  listen  der  älteren  fechterbücher  und  verschiedene 
beschreibungen  von  fechtschulen. 

Ganz  kurz  ist  das  zweite  capitel.  Bei  der  umfänglichen  litteratur  über  die 
spielleute  konnte  sich  der  verf.  darauf  beschränken,  nur  die  wichtigsten  resultate  kurz 
zusammen  zu  fassen.  Dabei  hat  er  mit  recht  hier  und  später  mehrfach  darauf  hin- 
gewiesen, dass  unter  der  grossen  masse  der  spielleute  die  eigentlichen  sänger  und 
musiker  zu  allen  zeiten  etwas  besser  gestellt  gewesen  sind.  Schon  zur  erklärung 
dieser  tatsache  hätte  es  sich  hier  bei  aller  kürze  empfohlen,  auf  den  socialen  unter- 
schied in  der  Stellung  der  sänger  an  den  altgermanischen  fürstenhöfen  und  der  spätem 
spielleute  hinzuweisen  (vgl.  Vogt,  Leben  und  dichten  der  spielleute  s.  7 fg.).  Denn 
wenn  Seh.  s.  89,  nachdem  er  eben  die  Verhältnisse  des  Beowulf  berührt  hat,  die 
meinung  äussert,  dass  die  blütezeit  des  deutschen  rittertums  auch  für  die  spielleute 
den  höhepunkt  der  Wertschätzung  gebildet  habe,  so  hätte  hier  zu  gunsten  dieser  alt- 
germanischen sänger  eine  ausnähme  gemacht  werden  müssen.  Dass  ihre  sociale 
Stellung  eine  ungleich  angesehenere  gewesen  ist,  ergibt  sich  auch  aus  gewissen  gesetz- 
lichen bestimmungen,  die  Seh.  im  dritten  capitel  erörtert.  Er  sucht  darin  darzutun, 
dass  schon  in  früherer  zeit  zwischen  kämpen  und  spielleuten,  wie  später  zwischen 
fecht-  und  meistersingerschulen,  gewisse  gegenseitige  beziehungen  bestanden  haben 
und  stützt  diese  annähme  durch  rechtliche  belege  für  die  gleiche  behandlung  der 
beiden.  Laut  Sachsenspiegel  und  andern  rechtsquellen  waren  beide  rechtlos  und 
wurden  mit  einer  Scheinbusse  abgefunden.  Aber  hier  wäre  es  nun  von  vorteil  ge- 
wesen, die  Zeugnisse  aus  früherer  und  späterer  zeit  schärfer  auseinander  zu  halten. 

Die   bestimmung  der  Lex  Angl.  et  Werin.  5,  20  Qui  harpatorem in  manum 

percusserit,  componat  illum  quarta  parte  maiori  compositione  quam  alter i  eius- 
dem  conditionis  hominis,  die  s.  101  als  das  gerade  gegenteil  der  sonst  [d.  h.  später] 
üblichen  anschauungen  erscheint,  wäre  dadurch,  namentlich  als  gegensatz  zu  der  dem 
gleichen  Zeitalter  angehörenden  Verfügung  Campionem  sine  compositione  oeeidere  licet 


BRUHX   ÜBER    GRAF,    GOETHES  DICHTUKGEV  12? 

Lex  Fris.  5,  1,  in  ein  viel  helleres  licht  gerückt  worden;  es  wäre  deutlicher  hervor- 
getreten, dass  die  spätere  rechtliche  gleichstellung  der  spielleute  mit  den  kämpen, 
wenigstens  in  der  üblichen  weiten  ausdehnung  des  begriffes  spielleute,  erst  eine  folge 
der  geschichtlichen  entwicklung  dieses  Standes  ist. 

S.  108  geht  der  verf.  zur  Untersuchung  der  litterarischen  und  sprachlichen  zu- 
sammenhänge zwischen  spielleuten  und  fechtern  über.  Er  bringt  eine  grosse  menge 
von  belegen  dafür  bei,  dass  manche  dichtungen  gewissermassen  im  bild  eines  gericht- 
lichen Zweikampfs  oder  ritterlichen  kämpf  Spiels  gehalten  sind  und  andere  die  sprach- 
lichen ausdrücke  der  fechtschulen  absichtlich  verwenden.  Auch  eine  reihe  von  kunst- 
ausdrückeu,  die  von  fechtern  und  meistersingern  in  entsprechender  weise  gebraucht 
werden,  gehören  zu  diesen  gegenseitigen  Übereinstimmungen,  die  auf  einen  weit- 
reichenden parallelismus  in  der  historischen  entwicklung  und  endgiltigen  gestaltung 
dieser  beiden  niedern  volksklassen  schliessen  lassen.  Noch  eine  fülle  einzelner  punkte 
werden  im  verlaufe  erwähnt,  die  dieses  schon  in  der  einleitung  kurz  zusammengefasste 
ergebnis  der  Untersuchung  zu  stützen  geeignet  sind.  Besonders  dankenswert,  wenn 
auch  für  das  eigentliche  resultat  nicht  von  grossem  belang,  weil  manches  in  ähnlicher 
weise  auch  von  den  zunftmässig  organisierten  hand werkern  gilt,  sind  die  Verzeichnisse 
einzelner  gemeinsamer  Spracherscheinungen,  wie  der  gebrauch  gewisser  eigennamen, 
deren  deutung  freilich  hie  und  da  bedenklich  ist  (ribald  aus  reginbald  zu  ahd.  wrecca 
s.  133),  die  benennung  von  Strassen  und  platzen  nach  ihrem  gewerbe,  sodann  die 
zahlreichen  auf  ihre  tätigkeit  bezüglichen  ausdrücke,  die  eine  dauernde  bereicherung 
des  Sprachschatzes  bilden.  Ob  einzelne  derselben,  wie  z.  b.  'einem  ein  bein  stellen' 
gerade  aus  der  spräche  der  f echter  stammen  müssen,  wäre  wol  "anzufechten'  —  diese 
wendung  fehlt  in  dem  Verzeichnis  s.  138  fg. — ,  doch  tut  dies  der  verdionstlichkeit  der 
reichhaltigen  Sammlungen  keinen  eintrag. 

BASEL.  WILH.  BRÜCKNER. 


Haus  Gerhard  Graf,  Goethe  über  seine  dichtungen.    Versuch  einer  Sammlung 
aller   äusserungen   des  dichters    über  seine   poetischen  werke.     Erster  teil:    Die 
epischen  dichtungen.    Erster  und  zweiter  band.    Frankfurt  a.  M.,  litterarische  anstalt. 
Kutten  und  Loening  1901/2.     XXIII,  s.  1 —492;  II,  s.  493  — 1189.    16  m. 
Dass  eine  Zusammenstellung  aller  selbstzeugnisse  Goethes  über  seine  dichtungen 
einem  lebhaften  bedürfnisse  entsprach,  bedarf  kaum  des  beweises:  der  einzelne  forscher 
wird  selten  so   mit  glücksgütern   gesegnet  sein,   dass   er  die   z.  t.  längst   vergriffenen 
Schriften,  aus  denen  sie  geschöpft  werden  müssen,  alle  selbst  erwerben  könnte;  und 
wie  viele  der  hier  benützten  bücher  wird  er  auch  auf  kleinen  Universitätsbibliotheken 
vergebens  suchen  —  ganz  zu  geschweigen   der  schulbibliotheken,   in  denen  selbst  die 
Weimarer  ausgäbe  nicht  immer  zu  finden  ist.     Die  anführungen  in  darstellenden  und 
erklärenden  Schriften  liefern  dafür  keinen  ersatz:   sie   sind   nicht  so  vollständig,   dass 
sich  der  benutzer  darauf  verlassen  könnte,  und   sie  sind  ausgewählt  und  angeordnet, 
um  das  zu  beweisen,   was  der  betr.  forscher  für  das   richtige   hält.     Bei  Graf  hören 
wir  im  texte  Goethe  allein  reden;  das   bild,  welches  wir  gewinueu,   ist  vom   heraus- 
gebet nur  insofern  beeinflusst,  als  die  zeitliche  bestimmung  der  undatierten  äusserungen 
seiner  forschung  verdankt  wird  —   die   übrigens  nicht  nur  das  tagesdatum,   sondern 
tunlichst  auch  die  tageszeit  festzustellen  sucht  (vgl.  z.  b.  s.  727,  798fg.) 

Mancher  wird,  wenn  er  hört,   dass   dieser  baud   auf  fast   1200  Seiten   nur  die 
selbstzeugnisse  Goethes  über  seine  epischeu  dichtungen  enthält,  unmutig  denken  f*fy<* 


128  bbuhn  Über  oräi  .  qokthrs  du  iitu 

•tttKÖP  und  ol ■■■■!.  rneineo .  I  indigen  abdrm 

eräugen  Goethes  hätten  e        •        önnen.     Andere  wieder  werden  es   überf! 
(luden,  «Jiiss  auch  solche  notizen  aufgenommen    ind,  'ii''  an  i 

ich  an  jenem  tage  mit  jener  dichtung  planend,  ausführend  oder  feilend  beschäftigt 
bat.  Diesen  wird  man  sagen  dürfen,  dase  füi  den,  der  den  trieb  nicht,  fühlt,  dae 
fertig  genos  ene  nun  durch  seinen  werdezustand   zurückzuvei  tunlichst  bis  an 

den  augenblich  der  konzeption,  dies  buch  nicbi  geschrieben  ist.  Äher  freilich  ais 
non  b  rem  nisi  ignorantem:  wer  etwa,   wenn  '■>   Bermann  and  Dorothea  mit 

seinen  Bcbülern  gelesen   hat,  sich   mit   hilfe  des  hier   gesammeil  selbst  die 

entstehuugsgeschichte  aufbaut,    der  wird    auch    solche   notizen  nicht  missen   mögen. 
Rege  ten  aber  würden  wol  dem  allgemein  gebildeten  leser,  nicht  dem  !■■■ 
nügt  haben. 

Andrerseits  —  der  Verfasser  ist  bibliothokar,  und  diese  tätigkeit  soll  ja  für 
den,  der  sie  ausübt,  nicht  immer  ebenso  nützlich  sein,  wie  für  andere;  auch  er  ist 
nicht  frei  von  jenem  streben  nach  Vollständigkeit  nur  um  der  Vollständigkeit  willen. 
Wenn  etwa  Goethe  am  1.  Juli  1807  aus  Carlsbad  an  Christianen  schreibt:  „Ich  bin 
schon  fleissig  hier  gewesen  und  werde  es  zunächst  noch  mehr  sein",  oder  dreizehn 
monate  später  ebendaher  an  dieselbe:  „Mit  meinem  hiesigen  aufenthalte  bin  ich  noch 
sehr  zufrieden,  ich  habe  mich  viel  besser  befunden  und  mehr  getan  als  vor  einem 
jähre",  so  wissen  wir,  dass  seine  arbeit  in  erster  Iruie  den  „Wahl Verwandtschaften" 
und  ihn  „Wanderjahren"  gegolten  hat,  aber  wir  würden  diese  stellen  (nr.  1 4 r> ">  und 
678  =  1478a)  unter  den  äusserungen  Goethes  über  die  genannton  beiden  werke  doch 
nicht  eben  vermissen.  Sollten  sie  aber  aufgenommen  weiden,  warum  fehlt  unter  den 
Zeugnissen  für  den  „"Werther"  die  stelle  aus  dem  briefe  an  J.  Fahimer  vom  18.  Ok- 
tober 1773:  „Mit  meiner  autorschaft  steht's  windig.  Gearbeitet  hab'  ich,  aber  nichts 
zustande  gebracht"  (II,  111.  W.)?  Sie  verdiente  dort  gewiss  ebenso  gut  ihren  platz 
wie  nr.  913  (an  Kestner):  „Und  nun  meinen  lieben  Götz!  .  .  .  Ich  glaube  nicht,  dass 
ich  so  bald  was  machen  werde,  das  wie  der  das  publicum  findet.  Unterdessen  arbeit' 
ich  so  fort,  ob  etwa  dem  strudel  der  dinge  belieben  mochte,  was  gescheidters  mit 
mir  anzufangen".  Oder  wenn  das  erste  Zeugnis  für  den  „Meister"  aus  dem  jähre  1788 
(nr.  1239)  lautet:  „Bei  meiner  lebensart  hätte  ich  sollen  wohlfeiler  davon  kommen, 
allein  meine  existenz  ist  wieder  auf  eine  wahre  Wilhelmiade  hinausgelaufen",  wenn 
als  äusserung  über  die  „"Wahlverwandtschaften"  nr.  874  geführt  wird  (Ich  hoffe,  dass 
Sie  die  gegenwart  des  sorgfältigen  architekten  beim  einsetzen  Ihrer  unschätzbaren 
Zeichnungen  nicht  vermissen  werden.  Das  zutrauen,  uns  so  köstliche  und  mehr- 
jährige arbeiten  zu  überschicken,  hat  beim  vorzeigen  sowohl,  als  sonst,  unsere  ge- 
wöhnliche Sorgfalt  noch  erhöht),  nur  weil  Goethe  dort  Boisserees  anspielung  aufnimmt, 
so  durfte  auch  das  billet  aus  den  theaterakten  nicht  fehlen,  in  dem  Goethe  „Reinecke 
Fuchs"  I  37  citiert  (briefe  an  Voigt  504).  Ich  nenne  noch  einige  solcher  äusserungen, 
deren  Zusammenstellung  doch  auch  einem  ehrlichen  freunde  der  Goethephilologie  den 
Vischerschen  Stoff  huber  ins  gedächtnis  ruft:  nr.  633,  636,  638,  639,  641a,  642,  643. 
646  —  sie  stehen  auf  drei  Seiten  des  buches!  Den  bibliothekar  erkenne  ich  auch  in 
der  erklärung  der  abkürzungen ;  würde  ein  anderer  die  abbreviatureu  a.  a.  o. ,  s. ,  S., 
vgl.  nicht  dem  Scharfsinn  des  lesers  überlassen,  würde  er  bei  einer  inhaltsübersicht 
der  „"Wanderjahre"  uns  darüber  belehrt  haben,  dass  W.  Wilhelm  bedeutet? 

Der  umfang  des  buches  erklärt  sich  aber  auch  dadurch,  dass  Graf  dem  texte 
reichliche  anmerkungen  beigegeben  hat.  Sie  bieten  zunächst  einzelne  erklärungen, 
bei  denen  nicht  nur  auf  die  mitforscher,   sondern  auch  auf  „die  weiteren  kreise  der 


LEITZMANN    ÜBER    N'OLTK,    EINGANG    HKS    PARZIVAL  129 

litteraturfreunde"  (s.  VI)  gerechnet  ist:  ehorizouten  7,32,  limbus  85,  25,  asthenisch 
106,  2,  Obelisken  und  asterisken  252,  24,  latitudinarier  273,  20,  demos  429,  13,  in. 
cum  et  sub  499,  14,  die  wallfischlaus  988,  1;  warum  daun  nicht  kotyledonenartig 
938,  5  oder  das  philtrische  halsband  1079,  30?  Wenn  Riemer  die  äusserung  auf- 
zeichnet (nr.  1562):  „Die  poesie  hat  den  nachteil  vis  ä  vis  der  bildenden  kunst,  dass 
sie  nicht  tvouvorirov  ist"  —  Graf  mutet  seinen  lesern  die  griechischen  lettern  freilich 
nicht  zu  —  so  wird  das  fremde  wort  ja  in  der  anmerkung  gedeutet:  „eu-svnoptos 
(gr.)  =  gut  zu  übersehen,  leicht  zu  überblicken",  aber  der  leser  wird  immer  noch 
über  den  wunderlichen  fremdling  den  köpf  schütteln,  wenn  ihm  nicht  gesagt  wird. 
dass  der  ausdruck  aus  dem  7.  capitel  der  Aristotelischen  poetik  stammt,  wo  eben  diese 
eigenschaft  von  der  tragödie  gefordert  wird.  So  wird  auch  nicht  jeder  bei  nr.  1935 : 
„Auf  Ostern  kommen  Euch  die  neuen  'Wanderjahre'  in  die  bände,  und  da  möcht' 
ich  immer  das  alte  wort  wieder  ausrufen:  0  ihr  Athenienser",  den  bezug  auf  Ap.- 
gesch.  XVII,  21  fg.  erkennen  oder  wissen,  dass  Goethe  s.  830,  11  fgg.  („Ich  selbst 
glaube  kaum,  dass  eine  andere  einheit  als  die  der  fortschreitenden  Stetigkeit  in  dem 
buche  zu  finden  sein  wird,  doch  das  mag  sich  zeigen,  und  da  es  eine  arbeit  so 
vieler  jähre  und,  wenn  nicht  ein  günstling,  doch  ein  zögling  der  zeit  ist,  so 
bin  ich,  wenn  man  kleines  und  grosses  vergleichen  darf,  hier  zugleich  Homer  und 
Homeride")  auf  Herders  aufsatz  „Homer  ein  günstling  der  zeit"  (XVIII,  420  s.)  an- 
spielt. Das  werk  Grafs  bedurfte  ja  überhaupt  keiner  erläuterungen;  aber  wenn  er 
solche  gab,  durften  auch  diese  nicht  fehlen.  —  Zu  den  erläuterungen  kommen  aus- 
führliche bibliographische  mitteilungen,  rechtfertigungen  der  Chronologie  und  aller- 
hand andere  nützliche  beigaben,  wie  die  musterhaft  klare  Übersicht  über  die  änderungen 
in  der  zweiten  fassung  des  „Werther"  und  ihre  tendenzen  (554fg.),  sowie  über  den 
iuhalt  der  „Wanderjahre"  in  den  beiden  fassungen  (904fgg.),  endlich  ebenso  praktisch 
angelegte  wie  sorgfältig  ausgeführte  register.  —  Nicht  zum  wenigsten  werden  wir 
auch  Graf  dafür  dankbar  sein,  dass  er  da,  wo  Goethe  auf  äusserungen  anderer  bezug 
nimmt,  diese  tunlichst  vollständig  mitteilt:  ich  erwähne  nur  die  für  den  unterschied 
des  französischen  und  des  deutschen  geschmacks  so  interessanten  bemerkungen  Bitaubea 
über  „Hermann  und  Dorothea"  (s.  167),  die  feinen  aphorismen  Abekens  über  die 
„AVahl Verwandtschaften"  (s.  438 fgg.),  die  tiefgründigen  erörterungen  Solgers  über  das- 
selbe werk  (s.  474 fgg.);  auch  hören  wir  gerne  Kestner  über  den  „Werther"  (s.  508 fgg.), 
Jaoobi,  Herner,  Körner  über  den  „Meister"  reden  (s.  755fgg.,  852;  757fgg.;  858fgg.)- 
Grafs  werk  wird  viel  benutzt  werden,  aber  wie  das  bei  solchen  büchern  brauch 
ist,  meist  ohne  nennung  und  ohne  dank;  um  so  mehr  ist  ihm  —  und  den  Verlegern,  die 
an  der  ausstattung  uichts  gespart  haben  —  wenigstens  ein  buchhändlerischer  erfolg 
zu  wünschen.  Insbesondere  sei  den  schulbibliothekeu  die  Sammlung  zur  anschaffung 
ar gelegentlich  empfohlen! 

FRANKFURT   A.  M.  EWALD    BBUHN. 


Albert  Xolte,  Der  eingang  des  Parzival.     Ein  interpretatdonsversuch.    Marburg, 

El  wert  1900.     III,  66  s.     1,20  m. 

Seit  Lachmanus  bekannter  grundlegender  abhandlung  versucht   sich  der  gelehrte 
Scharfsinn   immer  aufs   neue  an  den  mannigfachen   rätseln,    welche  die  einleitunj 
Parzival   dem   Verständnis  aufgibt.     Sowol    was  die  einzelinterpretation  der  Worte  and 
Wendungen  als  was  die  darlegung  des  gedanklichen  Zusammenhangs  der  einzelnen  Sätze 
und  abschnitte  betrifft,  gehen  die  meinungen  auseinander  und  man  begreift,  wenn  man 

ZKITSCURIKT    F.    DEUTSCH K    t'lllLOLOGIli.       HD.   XNW.  1» 


130  i.!  n/.M  w\ 

die  schon   recbl   umfänglii  h   gewordene  litteratur  übet  deu 

resignierten    keptizismus  Pauls,  wenn  er  (Beil  erde  vielleicht  niemah 

gelingen  hier  vollständige  klarheil  zu  schaffen.    Trotzdem  aber  dürfen  wir  den  mal  nichl 
verlieren,  an  der  lö  ung  dieser  probletne  zu  arbeiten,  and  jedei  versuch,  dei  die 
wirklich  fördert  and  ansre  erkenntnis  weiterbringt    mn      mit  dankbarer  freude  begrüsst 
werden.     Die  schrifl   eines  Bchülei     von    Edward  Schröder  kann   meii 

erachtens  nicht  als  eine  wesentlich  fördernde  leistunj  angesehen  werden,  wenn  ihr 
auch  einzelne  gute  gedanken  nicht  abgesprochen  werden  Bollen.  Oleich  die  philo- 
logische Interpretation  des  eingang  abschnitt  I.  I  14),  bei  dei  die  erörterungen 
den  begriff  des  uoivels  zwar  das  tiohtige  treffen,  aber  doch  im  keime  nichl  neu  Bind, 
bedeutet  einen  entschiedenen  rückschritt  gegen  die  älteren  erklärungen;  nicht  mii 
anfechtbar  Bind  die  entwicklungen  der  gedankengänge,  bei  denen  ein  auffallender 
mangel  an  kombinationsgabe  und  an  der  fähigkeit  scharfer  logischer  formulierung  mit 
einer  ermüdenden  breite  der  darstellong  band  in  liand  geht.  Ich  versuche  im  folgenden 
mein  ablehnendes  urteil  eingehend  zu  begründen  und  trage  zugleich  vor,  was  ich 
selbst  positives  zur  erklärung  der  einleitung  des  Parzival  beizubringen  habe. 

Das  einzige  wirkliche  verdienst,  das  Noltes  arbeit  hat,  ist  die  wol  endgfltige 
daileguug  des  begriffsinhalts  des  Wortes  xwivel,  zu  der  ich  mich  zunächst  wende.  Zwej 
verhängnisvolle  irrtümer  vieler  kommentatoren,  dass  xwivel  in  der  ersten  zeile  des 
Paizival  eine  ähnliche  bedeutung  wie  unser  nhd.  Zweifel  habe  und  dass  das  wort  in 
einem  spezifisch  religiösen  sinne,  als  „zweifei  an  gott"  oder  ähnlich,  gefasst  werden 
müsse,  sind  nun  definitiv  erledigt.  Zivivel  hat  an  der  betreffenden  stelle  eine  zwar 
uns  im  nhd.  ganz  ungeläufige,  aber  auch  sonst  bei  Wolfram  belegte  bedeutung,  durch 
die  es  synonymon  von  zvane,  unstaete,  untriuwe,  verxagetheit  und  ähnlichen  Worten 
ist,  und  ist  ein  allgemein  sittlicher,  kein  in  erster  linie  religiöser  begriff.  Das  hat 
zuerst  Wilhelm  Müller  klar  erkannt  und  im  Mhd.  wörterb.  3,  960  b  ausgesprochen; 
in  neuerer  zeit  ist  es  besonders  von  Roediger  in  seiner  besprechung  der  schrift  von 
Adam  (Arch.  f.  d.  stud.  d.  neuereu  spr.  90,  412)  betont  worden.  Da  jedoch,  wie 
Nolte  (s.  24.  30)  zutreffend  bemerkt,  die  ausführungen  beider  gelehrten  fast  ganz 
unbeachtet  geblieben  sind,  so  war  eine  genauere  erörterung  des  Wolframscheu  Sprach- 
gebrauchs auf  grund  des  gesammten  Stellenmaterials,  das  bereits  mit  einer  einzigen 
ausnähme  San  Marte  (Parzivalstud.  2,  174)  zusammengetragen  hatte,  durchaus  am 
platze.  Nolte  mustert  (s.  6)  eingehend  dieses  stelleumaterial  und  stellt  es  in  bedeu- 
tungskategorien  übersichtlich  zusammen,  so  dass  auch  der  hartnäckigste  Zweifler  über- 
zeugt werden  dürfte.  Mit  seiner  an-  und  einordnung  kann  man  fast  durchaus  ein- 
verstanden sein:  nur  für  die  beiden  stellen  Parz.  712,  28  und  733,  12  will  mir  die 
bedeutung  „besorgnis,  furcht  (vor  dem  verlust  der  gegenseitigen  liebe)'-  natürlicher 
erscheinen,  da  ich,  wie  sich  nachher  zeigen  wird,  Noltes  erklärung  von  Parz.  1,  10 
und  2,  17,  die  ihn  zur  einordnung  an  der  von  ihm  beliebten  stelle  nötigte,  für  ver- 
fehlt halte.  Gezwungen  scheint  mir  ferner,  wenn  Nolte  (s.  11)  Tit.  51,  3  und  4  in 
eine  so  nahe  gedankliche  Verbindung  mit  einander  setzt;  zeile  4  bildet  einen  satz 
für  sich,  der  nichts  weniger  als  eine  begründung  von  zeile  3  sein  soll.  Die  Titurel- 
strophe  teilt  mit  der  Nibelungen-  und  Kudrunstrophe  die  eigenheit,  dass  nicht  selten 
der  gedankeugang  mit  der  dritten  zeile  erschöpft  ist  und  mit  der  vierten  ein  neuer 
beginnt,  der  entweder  in  sich  abgeschlossen  ist  oder  sich  dann  in  der  folgenden  Strophe 
weiterspinnt.  So  ist  es  auch  im  vorliegenden  falle:  der  gedanke,  dass  die  minne  überall  ist, 
auf  der  erde  wie  im  himmel,  nur  in  der  hölle  nicht,  füllt  51,  1  — 3  aus;  dass  die  minne 
mit  dem  xwivel  sich  nicht  verträgt  (51,  4),   wird   dann  52,  1    auf  den  jungen  beiden 


ÜBER    NOLTE,    EINGANG     DES    PARZIVAL  131 

des  romans  und  seine  geliebte  angewandt  und  weitergeführt.  Dass  aber  die  minne 
in  der  hölle  nichts  zu  suchen  hat,  ist  so  selbstverständlich,  dass  es  einer  begründung 
wol  nicht  bedurfte. 

In  der  einzelinterpretation  des  ersten  abschnitts  der  dichtung  (1.  1  — 14)  muss 
ich  Noltes  auffassung  an  drei  stellen  mit  aller  entschiedenheit  beanstanden.  Was  die 
erste  angeht,  so  teilt  er  das  los,  den  richtigen  sinn  nicht  erkannt  zu  haben,  mit  allen 
andern  erklärern;  bei  den  beiden  andern  hat  er  richtige  ansichten  seiner  Vorgänger 
aufgegeben. 

1.  Ist  xivtvel  herzen  nächgebür ,  dax  muox  der  sele  werden  sür  beginnt  Wol- 
fram sein  gedieht  Seit  Lachmann  behaupten  alle  kommentatoren  in  seltener  ein- 
helligkeit,  dass  diese  verse  den  sinn  hätten:  „wer  im  irdischen  leben  xwtvel  im 
herzen  trägt,  dessen  seele  wird  in  der  hölle  dafür  büssen  müssen"  (Nolte  s.  3).  Sie 
würden  dann  also  genau  dasselbe  bedeuten,  was  acht  zeilen  später  mit  etwas  andern 

worten  noch  einmal  angedeutet  wird:  der  unstaete  geselle wirt  ouch  nach  der  rinster 

rar  (1,  10).  Warum  aber  Wolfram  in  dieser  einleitung,  deren  gedankenfülle  nirgends 
glatt  und  restlos  in  der  sprachlichen  form  aufgegangen  ist  und  so  rasch  weiterdräugt, 
dass  es  zuweilen  nicht  leicht  ist,  den  psychologischen  faden  festzuhalten,  denselben 
einfachen  gedanken,  dass  der  ungetreue  in  die  hölle  kommt,  so  kurz  hintereinander 
zweimal  gebracht  haben  sollte,  darauf  dürfte  schwerlich  eine  antwort  zu  finden  sein. 
Der  sinn  der  ersten  stelle  muss  ein  andrer  sein,  wenn  wir  nicht  dem  dichter  die 
gedankenlosigkeit  zutrauen  wollen,  dass  er  sich  nicht  nur  innerhalb  der  ersten  zehn 
zeilen  widerholt,  sondern  auch  den  gipfelpuukt  seiner  ganzen  erörterung,  auf  den  sie 
am  ende  erst  gelangen  sollte,  vorweggenommen  habe.  Die  wörtliche  Übersetzung 
würde,  wie  Nolte  (s.  3)  sagt,  den  "obigen  sinn  „nicht  in  gleicher  schärfe"  zum  aus- 
druck  bringen;  ich  glaube  vielmehr,  dass  sie  den  allein  richtigen  sinn  gibt.  Es  han- 
delt sich  darum,  festzustellen,  welche  bedeutung  die  Wendung  sür  werden  an  den 
andern  stellen  hat,  wo  Wolfram  sich  ihrer  bedient;  genau  die  gleiche  wird  sie  vor- 
aussichtlich auch  hier  haben.  Schon  San  Marte  hat  (Parzivalstud.  2,  207)  eine  an- 
zahl  von  stellen  zusammengestellt,  an  denen  das  wort  sür  begegnet;  doch  sind  seine 
begrifflichen  distinktionen  ungenügend.  Ich  gebe  das  vollständige  material.  sür  hat 
die  bedeutung  „scharf,  herhe,  bitter,  unangenehm,  schmerzlich",  eigentlich  und  bild- 
lich, und  steht  in  Verbindung  mit  folgenden  Substantiven:  arbeit  Tit.  72,  2;  dun 
Willeh.  41,  22;  helle  Willeh.  219,  13;  honten  Willen.  440,  27;  Ion  Parz.  463,  9;  ma  r< 
AVilleh.64,  IS;  not  Lieder  9, 23.  Parz.  644,4.  789,21 ;  ougenweide  Tit.23,2;  pm  Parz.  8  UM  . 
smac  Parz.  790,  6;  sterben  Parz.  523,  24.  711,  28;  strit  Willeh.  21,  11 ;  tac  Parz.  189,  30; 
tot  Parz.  643,  26;  ungemach  Parz.  295,  4;  vlust  Willeh.  168,  7  Im.  457.  10;  wint 
Parz.  742,  13;  wunde  Parz.  491,  8;  xins  Parz.  706,  14.  Willeh.  76,  8  op.  In  bezug 
auf  personen  steht  es  Parz.  514,  19.  531,  26.  587,  14;  substantiviert  (da;  süre)  Lieder 
5,  36.  Die  Wendung  sür  werden  mit  dem  dativ  braucht  Wolfram  ausser  unsrer  stelle 
noch  sechsmal:  Klinschors  Charakter  ist  maneger  diete  worden  sür  Parz.  656,  13; 
dax  dm  jugent  so  höher  minne  sehin  tuot,  dax  muox  dir  werden  sur,  sagt  Artus 
zu  Itonje  Parz.  712,  6;  Giburgc  süexe  wart  in  sür,  den  heiden  und  der  kristenheit 
Willeh.  12,  30  (leise  ironisch  und  wortspielend);  din  habe  wart  sinen  liden  sür 
ironisch  vom  Schetis,  der  keinen  besitz  als  seine  waffen  hatte  Willeh.  244,  3<>;  ei 
Willehalm ....  da:  dir  min  minne  ie  wart  so  sür,  sagt  Giburc  Willeh.  310.21; 
ähnlich  düsf  im  ril  dicke  worden  sür  iuwer  swester  minne  Willeh.  346.  1".  Die 
bedeutung  ist  in  allen  angeführten  stellen:  „etwas  irirt  mir  sür.  bringt  mich  in  eine 
beschwerliche,  unangenehme,  schmerzliche,  kritische  läge",     Dieselbe  bedeutung  lie^r 

9* 


132  in/' 

nun  auch  an  im  rei     teile   vor,   die  demnach  zu  übersetzen  wi  ber- 

zens  nachbar,  dadurch  komm!  die  Beele  m  eine  uaaogenehme,  kriti  che  läge"  (insofern 
nämlich   ihr  ewigea   heil  dadurch  gefährdet  werden   kann).      I  bei  den  gedanklichen 
zu  ammenhan      li         Batzei    mii  den  darauf  folgenden  bandle  ich  später;  hier  ma 
zunächsl  genügen,  den  einfachen  wortsinn  fe  tgostellt  zu  haben.     Di(  ■■■■  der 

bölle  nichl  da    mindeste:   dass  die  hölle  selbsl   an  einer  andern  Btelle  sUr  und  hei  . 
.|.  i   lohn,  den  Lucifer  und  Beine  genossen  dorl  empfangen,  an  einer  dritb  oannt 

wird,    bal    doch    mit  dem    sinn   unsrer  stelle  nicht  im  entferntesten   etwas  zn  tun. 
Wenn  Lachmann  (Klein,  sehr.  1,  483)  behauptet,  schon  der   verl  Jüngeren 

Titurel,  der  unsern  eingang  weitläufig  parapbrasierl   und  der   in   allen   rein    »pn 
liehen  fragen  eine  nicht  zu  unterschätzende  autorität  beanspruchen   kann  (vgl.  Nolte 
s,  13),  habe  an  die  höllenqualen  gedacht,  so  übersieh!  er,  da     e    dorl  I  >  ■'>>"/  ndeh- 
gebüre  dem  herzen  iht  die  lenge  (22,  l)  beisst,  was.  wie  wir  Bpäter  Behen  wen 
vun   budeutung  ist. 

2.  Was  bedeuten  die  worte  stoä  sich  parrieret  unverxaget  manmes  mnoi 
(1,4)?  Mau  sollte  meinen,  dass  für  denjenigen,  der  ttvtvel  als  synonymon  von  ver- 
xagetheit  richtig  verstanden  hat,  keinerlei  zweifei  darüber  besteben  könnte,  dasa  un- 
verxaget  das  gegenteil  davon  bezeichnen,  also  den  verwandten  begriffen  State,  triwwe 
synonym  sein  muss.  Diese  auf  der  hand  liegende  konsequenz  seiner  eigenen  dar- 
leguugen  über  xwirel  lelrnt  Nolte  (s.  20)  unbegreiflicherweise  ab  und  will  den  sinn  von 
unverxaget  mannes  muot  wider  auf  den  engen  begriff  der  Tapferkeit  einschränken, 
obwol  die  weitere  bedeutuug  „unablässig  strebender  sinn*'  schon  durch  Martin  (An/.. 
f.  d.  altert.  12,207)  und  neuerdings  durch  Singer  (Abb.  z.  germ.  philol.  s.  361).  die 
autithese  gegen  xioivel  durch  Paul  (Beitr.  2,  67)  festgestellt  worden  war.  Dass  Wol- 
fram sehr  vielfach  unverxaget  in  einem  umfassenderen  sinne  gebraucht,  wie  er  für 
uusre  stelle  schon  durch  den  gegensatz  notwendig  gefordert  wird,  lehren  aufs  deut- 
lichste stellen  wie  Farz.  97,  28.  182,  18.  462,  10.  502,  28.  526,  18.  609,  16.  703,  16. 
787,25.  Willen.  31,10.  105,28.  458,21;  ferner  beachte  man  Zusammenstellungen 
wie  /er rücke  unverxaget  Willeh.  264,  8  und  unverxaget  küene  Willeb.  305,  19.  Unsre 
stelle  ist  daher  zu  übersetzen:  „wo  sich  damit  (nämlich  mit  dem  vorhergenannteu 
xivivel)  durchsetzt  unablässig  strebender  mannessinn."  Zum  sich  parrieren  gehören 
zwei  dinge,  die  natürlich  genannt  sein  müssen,  damit  mau  versteht,  worum  es  sich 
handelt:  Nolte  hält  es  (s.  4)  für  möglich,  dass  nur  eins  dieser  dinge  an  unsrer  stelle 
genannt  ist,  das  andre  nicht;  ein  blick  auf  die  gebrauche  weisen  von  parrieren,  die 
Paul  (Beitr.  2,  67)  besprochen  hat,  zeigt  die  unhaltbarkeit  dieser  ansieht.  Was  zwei- 
farbig erscheint  und  deshalb  mit  der  färbe  der  elster  verglichen  wird,  ist  aber  natür- 
lich nicht  der  unverxaget  mannes  muot,  der  vielmehr  die  weisse  färbe  repräsentiert, 
sondern  die  seele  des  menschen,  die  in  zeile  2  genannt  war  und  hier  ja  noch  nicht 
aus  dem  gedächtnis  entschwunden  ist.  Die  kleine,  wirklich  sehr  kleine  inkonzinnität 
des  ausdrucks,  die  durch  die  anknüpfung  des  Vergleichssatzes  an  zeile  4  und  5  her- 
vorgebracht wird,  soilte  doch  bei  einem  dichter  nicht  auffallen,  der  uns  viel  auf- 
fälligere härten  der  gedanken Verbindung  in  fülle  darbietet,  durch  die  sich  doch  noch 
nie  jemand  das  Verständnis  des  sinnes  hat  trüben  lassen.  Dieser  „mangel  an  logik" 
(Paul,  Beitr.  2,  68),  wenn  man  es  so  nennen  will,  wird  von  Nolte  (s.  19)  viel  zu 
schwer  genommen:  wohin  kämen  wir  bei  diesem  prinzip  überhaupt  mit  der  erklärung 
unsrer  dichter?  Sachlich  möchte  ich  zu  dem  elsterngleichnis  noch  zweierlei  be- 
merken. Es  ist  nicht  eindringlich  genug  davor  zu  warnen,  es  mit  der  person  des 
Feirefiz  und  seiner  gefleckten  hautfarbe,   die  Wolfram   gleichfalls   mit  der  der  elster 


ÜBEB   NOLTE,    EINGANG    DES    PABZlV.iL  133 

vergleicht,  in  irgend  eine  innere  beziehung  zu  setzen,  wie  das  noch  jüngst  recht  un- 
glücklich Singer  (Abh.  z.  germ.  philol.  s.  372)  getan  hat:  im  einen  falle  handelt  es 
sich  um  ein  sittliches  Symbol,  im  andern  um  einen  rein  äusserlichen  vergleich  der 
färben;  dass  das  vergleichsobjekt  beidemal  die  elster  ist,  ist  reiner  zufall.  Ferner 
glaube  ich  nicht,  dass  das  symbolische  gleichnis  "Wolframs  eigenem  geiste  entsprungen 
ist:  zwar  führt  der  iudex  zu  Mignes  lateinischer  Patrologie  nur  stellen  auf,  au  denen 
naturhistorische  beobachtungen  über  die  elster  (sämtlich  auf  Plinius  und  Isidor  zurück- 
gehend) mitgeteilt  werden,  ohne  dass  einer  farbensymbolik  dabei  gedacht  wird;  doch 
möchte  ich  trotzdem  den  vergleich  für  traditionell  kirchlich  halten  undglaubeu,  dass 
er  etwa  durch  einen  prediger  dem  dichter  bekannt  wurde  und  ihm  im  Gedächtnis 
blieb;  vielleicht  findet  sich  noch  einmal  ein  lateinischer  beleg. 

3.  Eiuen  entschiedenen  rückschritt  zeigt  endlich  Noltes  auffassung  von  der 
unstaite  geselle  (1,  10),  wenn  er  (s.  5)  die  seit  "Wilhelm  Müller,  Bartsch,  Zarncke 
und  Paul  ziemlich  allgemein  angenommene  ansieht,  nach  der  unstate  hier  Substantiv  ist, 
gegenüber  der  Lachmannschen,  die  es  als  adjektiv  nimmt,  aufgibt.  Seine  gründe 
zerfallen  bei  näherem  zusehen  in  nichts.  Wenn  er  das  adjektiv  „einfacher  und 
natürlicher"  findet,  so  ist  das  seine  subjektive  ansieht;  wenn  ihm  das  im  genetiv 
vorangestellte  Substantiv  „unerträglich  hart"  erscheint,  so  ist  eben  "Wolfram  und  die 
gesamte  mhd.  poesie  voll  solcher  härten.  Interessant  ist  immerhin,  worauf  Adam 
(Interpret,  s.  6)  aufmerksam  gemacht  hat,  dass  Lachmann  selbst  die  stelle  verschie- 
den aufgefasst  hat:  während  er  in  seiner  bekannten  abhandlung  von  1835  unstate 
als  adjektiv  nimmt,  übersetzt  er  in  seinem  Königsberger  Vortrag  von  1819  (Anz.  f. 
d.  altert.  5,293)  „der  unstätigkeit  genoss".  „Dazu  kommt",  fährt  Nolte  in  seiner 
begründung  fort,  „dass  es  der  grundbedeutung  von  geselle  (der  des  örtlichen  bei- 
sammenseins)  besser  entspricht,  die  unstete  als  gesellen  des  menschen  als  umgekehrt 
den  menschen  als  gesellen  der  unsteete  zu  bezeichnen;  in  der  tat  ist  bei  Wolfram 
das  erstere  die  regel,  das  letztere  ausnähme";  dann  werden  elf  stellen  zitiert  für  den 
ersten  fall,  dem  eine  einzige  für  den  zweiten  gegenübertritt.  Man  sollte  kaum  glauben, 
dass  eine  so  ärmliche  und  prosaisch  -  nüchterne  betrachtungsweise  der  von  Wolfram 
so  fein  und  poetisch  verwendeten  Personifikation  von  seelenzuständen  möglich  sein 
könnte  nach  den  feinsinnigen  erörterungen,  die  Bock  (Wolframs  bilder  u.  Wörter 
f.  freude  u.  leid  s.  18)  dieser  seite  des  Wolframschen  stils  gewidmet  hat.  Dieser 
sagt  dort  (s.  19)  von  dem  kameradschafts Verhältnisse,  in  das  der  mensch  zu  seinen 
seelenzuständen  gesetzt  wird:  „Dieses  Verhältnis  besteht  oder  wird  aufgehoben  zwischen 
dem  affekt  und  dem  menschen,  so  dass  erstens  der  affekt  der  geselle  genannt  wird, 
zweitens  der  mensch  der  geselle  des  affektes  und  drittens  affekte  und  eigeuschaften 
untereinander  gesellen  heisseu".  Das  dann  folgende  stellen  Verzeichnis  (vgl.  auch 
Ludwig,  Der  bildl.  ausdr.  bei  Wolfram  1,  31)  zeigt,  dass  Noltes  behauptung  über 
regel  und  ausnähme  falsch  ist,  dass  vielmehr  die  beiden  ersten  der  von  Bock  aul- 
gestellten kategorien  etwa  gleich  häufig  vorkommen,  daher  also  kein  kritorium  zur 
beurteilung  uusrer  stelle  zu  holen  ist;  ausserdem  gehören  fünf  der  von  Nolte  ange- 
führten elf  stellen  zu  Bocks  dritter  kategorio,  was  hervorgehoben  werden  muss.  Den 
hauptboweis  für  seine  ansieht  aber  findet  Nolte  in  dorn  versc  valsch  geselleclicher 
muot  (2,  17),  dessen  Übersetzung  bei  Paul  (Beitr.  2,  71)  „falscher  einem  manne  an- 
haftender sinn"  jedoch  meines  orachteus  ebenso  zweifellos  die  einzig  richtige  ist,  als 
sie  Nolte  „ganz  verfehlt"  erscheint;  das  wird  jedem  klar  sein,  der  das  bei  Bock 
gesammelte  Stellenmaterial  durchdenkt.  Es  scheint  mir  recht  unnötig,  dass  Nolte 
immer  (vgl.  s.  10.  14.  63)  nach  einem  „Verhältnis"  sucht,  für  welches  die  begriffe 


131  I.KIIZMA.S.N 

dei'  treue  und  untreue  „gelten"  Bollen, 

uältnisse"  auoh  da  aus  den  r  lichten  berauszutifteln   versnobt,   wo  wie  in 

den  ver.sen   1,  10  und  '_'.   I.    eine  einiacl  viel   nähet   lag 

ständlioh  gelten  diese  begriffe  gar  nicht  nur  für  einzelne  fälle  od«  e  des  sitt- 

lichen leb<  in  für  das  gesamte  sittliche  verhalten  Et  war 

ein  verhängnisvoller  irrtum  Lach  manne,  die  Interpretation  di  auf  diese 

baliu  gelenkt  zu  haben,  wozu  ihn  vermutlich  die  mitbeziehung  des  xu/iveU  auf  dac 
Verhältnis  des  menschen  zu  gott  verführt  hat;  er  hat  aber  nirgends  den  von  ihm  an- 
genommenen sinn  beides  teilen  so  gepresst,  wie  Nolte  dies  tut.  Ich  erkläre  dem- 
gemäss  mit  Adam  (Interpret,  s.  6):  ..nach  Wolframs  Sprachgebrauch  kann  im 
hier  nur  Bubstantiv  sein-;  der  umtcete  gesellt  isl  genau  so  zu  beurteilen  wie  der 
tumpheit  und  der  werdekeit  genoa  Parz.  I  12,  13.  296,  20.  Ein  beweis  für  diese  auf- 
fassung  ist  vielleicht  auch  noch  anderswoher  zu  entnehmen.  San  Harte  ist  den  ei 
beziehuugeii  zwischen  Wolframs  Willehain  und  dem  Kolaudsliede  des  pfaffen  Konrad 
sorgsam  nachgegangen  (ich  habe  darauf  in  andrem  zusammenhange  Beitr.  20,  155 
hingewiesen  und  seine  beobachtungeu  um  eine  wichtige  reminiszenz  vermehrt):  viel- 
leicht hat  Wolfram  auch  bei  unsrer  stelle  eine  prägnante  Situation  bei  Konra 
deutlich  vorgeschwebt,  dass  er  unwillkürlich  in  eine  wendung  des  älteren,  von  ihm  hoch- 
geschätzten  dichtere  verfallen  ist.  Bei  dem  gerichtlichen  Zweikampf  zwischen  Binabel, 
der  für  seinen  oheiin,  den  Verräter  Geuelun.  streitet,  und  Tirrih  sagt  der  letztere  mit 
pathos  (306, 15):  du  lebest  unlange;  der  tiuvel  hat  dich  gefangen,  er  newil  dich  nihi 
laxen;  mit  anderen  dinen  genoxm  vuort  er  dich  tuo  der  helle;  dt  r  untriuwen  bistu 
geselle;  ähnlich  heisst  es  nach  Vollendung  des  Zweikampfes  (307.  17):  si  heten  sieh 
selben  verteilet,  alle  die  der  untriuwen  gesellen  waren  (bei  Baumgarten.  Stilist,  unl 
z.  Rolandsliede  s.  45  fehlen  beide  stellen).  Hier  haben  wir  nicht  nur  den  umstrittenen 
Wolf  ramschen  ausdruck  in  eindeutiger  grammat.  fassung.  sondern  auch  den  Woif  ram- 
schen gedanken,  dass  der  ungetreue  dem  teufel  verfällt  und  in  die  hölle  kommt. 

Nach  erledigung  dieser  einzelnen  iuterpretatiousschwierigkeiten  wende  ich  mich 
zu  einer  genaueren  betrachtung  des  zusammenhängenden  gedanklichen  inhalts  der 
ersten  14  verse.  Ich  glaube  hierbei  am  besten  zum  ziele  zu  gelangen,  wenn  ich  zu- 
nächst eine  paraphrasierende  Übersetzung  vorlege,  die  ich  durch  eingefügte  Zwischen- 
sätze kurz  erläutern  werde.  Meiner  ansieht  nach  will  der  anfangsabschnitt  des 
gedientes  folgendes  ausführen.  „Ist  der  xivtvel  des  herzens  nachbar  (tritt  er  ihm  nahe, 
in  dasselbe  ein),  das  rnuss  für  die  seele  gefährlich  werden.  Befleckt  und  zugleich 
geschmückt  ist  (dann  nämlich)  derjenige,  bei  dem  sich  unablässig  strebender  mannes- 
sinn  damit  (mit  dem  xwtvel)  durchsetzt,  (so  dass  seiue  seele  schwarz  und  weiss  er- 
scheint), wie  die  färbe  (das  aussehen)  der  elster  tut.  Er  kann  aber  trotzdem  noch 
immer  froh  sein  (braucht  die  hoffnung  nicht  zu  verlieren) :  denn  beide  haben  (noch; 
an  ihm  anteil,  der  himmel  und  die  hölle.  (Er  kann  es  nun  mit  einer  von  beiden  par- 
teien  halten  und  bereitet  sich  demgemäss  selbst  sein  Schicksal  zu.)  Wer  (1)  sich 
der  unsteete  in  freundschaft  gesellt,  hält  ganz  und  gar  die  schwarze  färbe  fest  und 
färbt  sich  auch  nach  der  finsternis  (wird  immer  schwärzer)1:  demgegenüber  (2)   hält 

1)  hat  in  vers  11  kann  nicht  einfach  „hat"  bedeuten;  es  steht  dem  habet 
sich  an  in  vers  13  genau  parallel  und  nur,  wenn  man  ihm  den  siun  ., hält  fest" 
beilegt,  entgeht  man  der  notwendigkeit,  in  vers  12  eine  tautologische  widerhol ung  von 
vers  li  zu  sehen.  Noltes  Übersetzung  des  uirt  durch  ..wird  ....  nach  dem  rode" 
(s.  16)  schwebt  gänzlich  in  der  luft;  denn  von  dem  Schicksal  der  seele  im  jei 
ist  hier  direkt  gar  nicht  die  rede  und  am  allerwenigsten  kann  sich  etwa  vers  1 1  auf 
dieses,  vers  12  auf  jenes  leben  beziehen. 


ÜBER    NOLTB,    EINGANG    DES    PABZTVAL  135 

sich  an  die  weisse  der  freund  von  sttcten  gedanken".  Von  drei  menschenklassen, 
den  treuen,  untreuen  und  gemischten  (so  noch  jüngst  mit  unglücklicher  begründuug 
durch  die  neutralen  engcl,  die  doch  gar  nicht  hierher  gehören,  Singer,  Abh.  z.  germ. 
philol.  S.  300  und  Zeitschr.  f.  d.  altert.  -14,  321),  ist  meines  erachtens  nicht  die  rede. 
"Wolfram  schildert  vielmehr  die  psychologisch -ethischen  prozesse,  die  der  eintritt  des 
Mcivcls  in  das  herz  des  menschen  bedingt.  Er  befleckt  ihn  und  macht  ihn  so  elsterfarbig, 
wodurch  er  halb  dem  himmcl  und  halb  der  hölle  angehört,  also  sein  ewiges  heil  aufs 
spiel  gesetzt  wird.  Von  nun  an  spaltet  sich  die  eutwickluag  nach  zwei  entgegengesetzten 
richtungen,  je  nachdem  der  mensch  mit  dem  schwarzen  oder  dem  weissen  element 
sympathisiert  und  freuudschaft  schliesst  (geselle  ist  bei  weitem  mehr  als  nächgebur: 
zu  letzterem  kanu  man  sich  auch  feindlich  verhalten).  Im  einen  falle  wird  er  immei 
schwärzer  und  erwirbt  sich  die  Verdammnis  der  hölle,  im  andern  immer  weisser  und 
der  Seligkeit  des  himmels  würdig.  So,  indem  wir  uns  vorstellen  sollen,  dass  die 
eine  färbe  die  audere  abstechende  hälfte  allmählich  sich  assimiliert,  haben  wir  uns 
das  symbolische  farbengleichnis  auszudenken.  So  hat  es  schon  der  jüngere  Titurel 
verstanden,  wenn  er  (24,  3)  sagt:  da%  sin  agelstervarwe  sich  vereitle  und  werde 
übend  der  blanken,  und  übe  diu  blenke  siel/  aber  danne  entreine;  dass  erst  ein 
kameradschaftliches  Verhältnis,  also  eine  dauernde  Verbindung  mit  dem  xicivel  zur 
hölle  führt,  scheint  dort  durch  den  zusatz  die  lenge  (22,  1)  ausgedrückt  zu  sein, 
durch  den  die  sätze  des  Originals  1,  1  und  1,  10  gewissermassen  kombiniert  werden. 
Es  ist  der  in  der  christlichen  Sittenlehre  seit  der  zeit  der  apostolischen  väter  un- 
zählige male  begegnende,  für  die  predigt  so  fruchtbare  gedanke  der  beiden  wege  des 
lichte  und  der  finsternis,  die  der  mensch  zu  beschreiten  freie  wähl  hat,  eine  nicht 
streng  augustmische,  aber  populärkirchliche  ansieht,  die  hier  im  ciugang  des  Parzival 
und  noch  einmal  im  dritten  buche  in  der  religiösen  Unterweisung,  die  Herzeloide 
ihrem  söhne  erteilt,  deutlich  anklingt  (vgl.  auch  San  Marte ,  Parzivalstud.  2,43).  Mit 
monumentalen  strichen  werden,  hier  wie  dort  mit  hilfe  symbolischer  bilder,  die  beiden 
grossen  feindlichen  mächte,  zwischen  die  der  mensch  mitten  inne  gestellt  ist,  in 
ihrem  wesen  und  ihren  Wirkungen  auf  sein  Seelenheil  gezeichnet. 

Strittiger  noch  sind  die  beiden  folgenden  abschnitte  der  einleitung  (1,15  — '-'.  1 
und  2,  5  —  22),  sowol  was  die  erklärung  des  einzelnen  als  was  den  gedankenzu- 
sammenhang  angeht.  Noltes  ausfühmngen  über  den  letzteren,  die  er  selbst  (s.  45) 
teilweise  der  willkürlichkeit  zeiht,  sind  ungenügend  und  lückenhaft;  einige  Zeilen 
weiss  er  überhaupt  in  der  von  ihm  beliebten  gedaukeuentwicklung  nicht  recht  unter- 
zubringen (vgl.  s.  44).  Ich  gehe  auf  seine  und  der  andern  erklärer  auffassung  dieser 
eutwicklung  nicht  durchweg  genauer,  zustimmend  oder  polemisierend,  ein,  sondern 
gebe  gleich  meine  eigene  ansieht  darüber,  was  Wolfram  eigentlich  mit  diesen  aus- 
fuhrungen hat  sagen  wollen.  ,,Für  die  tumben  fliegt  dies  gleichnis  zu  rasch  vorüber, 
als  dass  sie  ihm  auf  den  grund  zu  kommen  und  das  dahinter  liegende  Symbol  zu 
erkennen  vermöchten.  Aber  es  ist  seine  natur,  dass  es  rasch  entschwindet  wie  ein 
aufgescheuchter  base.  Diese  rasche  Vergänglichkeit  teilt  es  mit  dem  Spiegelbild  und 
dem  träum  des  blinden:  beide  zeigen  uns  eine  gestalt.  aber  das  bikl  ist  von  kurzer 
dauer,  verschwindet  wieder  und  wird  bald  vergessen.  Niemand  ist  so  töricht,  mich 
auf  der  Innenfläche  der  hand  zu  raufen,  wo  ich  keiue  haare  habe,  d.  b.  etwas  klär- 
lich  anmögliches  zu  versuchen.  Genau  so  anverständig  wäre  es,  auf  solche  Schreck- 
nisse, die  doch  gar  nicht  vorhanden  sind,  mit  schmerzensschreien  zu  reagieren  und 
von  dingen  dauer  zu  erwarten,  dio  ihrer  aatur  nach  vergänglich  sind  wie  teuer  im 
wasser  und  tau  an  der  sonne.     Ks  ist   aber  auch   niemand   so  wist  ,  dass  er  nicht  gern 


13C 

belehrang    darüber   annehmen    könnte,    was    meine    eingangsbetrachtui 
und   welche    ittlichen   forderungen  sie  enthalten.     Dil  je  letzteren  abei  «itiv 

and  negativ,  anmahnenden   and  warnenden  mhali  -     Wei    sieb  auf 
trastierenden  mögliohkeiten  reohl   versteht,  da    is(   dei    wahre  weist-,  der 
richtige  trififi      Falsche]    einem   menschen   anhaftender     inn  (mangelnde  fähigkeil 
schon  "  beurteilen  and  daraus  entspringende     ansittliches   odei    « 

handeln)  dagegen   bereite!  /.m   bölle  zu  und  knick!  die  werdekeii  wie  ein  hagelschlag 
die  hohe  aaat*.     Im  einzelnen  möchte  icb  zn  diesen  zv  itten  noch 

bemerken.    Fliegende*  bUpel  heissl  wo!  schwerlich,  wie  Nolte  i  i.  51)  und  Bchon  früher 
Stoscb  (Zeitschrift  28,  50)  wollen,  „gleichnie  von  einen  it  i>i 

linie:    das    zeig!    schon    der   jüngere  Titurol   und    die  anspielung   in  sn; 
Frauenehre,  wenn  es  wirklich  eine  ist;  ich  fasse  es  mit  Grin  wörterh.  3, 

1786)  als  „leicht  entschlüpfendes  gleichnis"  und  verweise  auf  die  ähnlichen  dort  an- 
geführten belege.  Die  differenz  der  kommentatoren  in  bezug  auf  die  bedeutunf 
erdenken  (vgl.  Nolte  s.  37)  scheint  mir  gesucht:  das  gleichnis  verstehen  kann  doch 
nur  heissen  das  dahinter  liegende  symbol  erkennen,  wie  ich  in  Keiner  obigen  para- 
phrase  bereits  gesagt  habe,  und  mit  dem  symbol  selbst  ist  auch  sein  sittlicher  inhalt 
gegeben.  Spiegelbild  und  träum  als  Sinnbilder  der  Vergänglichkeit  sind  biblisch:  hiecom- 
parabitur  vi/ro  consideranti  vultum  nativitatis  suae  in  spt  <  ulo:  eonsid*  ravit  t  nim  s<  ei 
abiit  et  statvm  oblitus  est .  qualis  fuerit  Jac.  1,  23  »n  Adam,  Interpret,  s.  10; 

noch  in  Goethes  epistel  1,  25,  vgl.  Hehn  im  ßoethejahrb.  8,  194);  velut  somniwn 
avolans  non  mvemettir  Hiob  20,  8  (vgl.  noch  psalm  72,  20;  eccles.  34,  1;  Jes.  '29,  8). 
Zi,i  anderhalp  an  dem  glase  geliehet  (die  lesart  von  D  gelichent  könnte  gehalten  wer- 
den: Graff  2,  118  belegt  ahd.  gilihhinon  im  gleichen  sinne  wie  lihhön)  ist  sicher 
nichts  als  eine  Umschreibung  für  „Spiegel"  (vgl.  Nolte  s.  43).  Zu  des  blinden 
troum  hätte  Singer  (Abb.  z.  germ.  philol.  s.  412)  nicht  noch  einmal  Freid.  55,  1  her- 
anzuziehen brauchen,  da  schon  Lachmann  (Klein,  sehr.  1,  490)  auf  Renner  7900  hin- 
gewiesen hatte:  beide  stellen  sind  identisch.  Für  das  in  seiner  grundbedeutung  noch 
immer  nicht  recht  aufgeklärte  roum  findet  sich  ein  alter,  bisher  unbeachtet  g< 
bener  beleg  in  der  mit  vielen  deutschen  Worten  durchsetzten  physik  der  heiligen 
Hildegard,  abtissin  von  Rupertsberg:  de  räum,  <[iii  desuper  natat,  ungttenlum  fac 
beisst  es  dort  mehrfach  bei  rezepten  zu  medikamenten,  deren  bestandteile  zunächst 
in  wasser  gekocht  werden  (Patrol.  lat.  197,  1301a.  1302c.  1303b).  Da»  glichet  miner 
ivitxe  iedoch  fasse  ich  trotz  Martins  einsprach  (Anz.  f.  d.  altert.  25,  362)  mit  Roediger 
(Arch.  f.  d.  stud.  d.  neueren  spr.  90,  413)  ironisch;  auch  hier  ist  Singer  (Abb.  z.  germ. 
philol.  s.  412)  mit  seiner  bemerkung  zu  spät  gekommen  (ebenso  hat  21,  17  schon 
Adam  zu  2,  11  verglichen).  Noltes  angriffe  auf  Sievers'  erklärung  von  2,  6  (s.  38) 
sind  meines  erachtens  bedeutungslos:  wenn  er  sich  den  artikel  von  Sievers  noch  ein- 
mal genauer  ansieht,  wird  er  das  selbst  zugeben;  im  übrigen  verweise  ich  für  diesen 
und  die  beiden  folgenden  verse  auf  die  gute  darlegung  Adams  (Interpret,  s.  14).  Dass 
ich  in  der  auffassung  von  2,  17  weit  von  Nolte  (s.  41)  abweichen  muss,  zeigen  meine 
früheren  erörterungen.  Zum  Schlussgleichnis  des  dritten  abschnitts,  dessen  Verständnis 
durch  die  von  Sievers  beigebrachte  lateinische  fabel  gefördert,  wenn  auch  noch  nicht 
vollkommen  aufgehellt  worden  ist,   kann  ich  nichts  irgendwie  gesichertes  beibringen. 

Bis  2,  22  geht  der  eigentlich  schwer  verständliche  teil  der  einleitung;  die  nun 
folgenden  abschnitte  bis  4,  26,  die  Nolte  uoch  in  seine  analytische  betrachtung  ein- 
bezieht, bieten  im  allgemeinen  der  erklärung  nur  geringe  Schwierigkeiten  und  ich 
kann  mich   daher  auf  die  erörterung  zweier  eiuzelheiten  hier  beschränken.     Under- 


i  i;kj;    N'OLTK,    KI.v.a.v,    DES    l'AKZIVAl.  137 

bint  (2,  23)  soll  nach  Nolte'  (s.  53)  „einlage,  die  zwei  teile  des  gedicktes  trennt" 
bedeuten.  Dass  das  wort  bei  dem  Verfasser  der  Minneburg  etwas  wie  „exkurs"  bedeutet, 
beweist  für  Wolfram  nicht  das  mindeste,  namentlich  wenn  die  ganz  gebräucbliche  be- 
dcutung  „unterschied"  an  der  betreffenden  stelle  einen  genügenden  sinn  gibt.  Und 
das  ist  der  fall:  schon  Lachmann  hat  ganz  richtig  die  maneger  slahte  underbint  mit 
den  früher  aufgezählten  kontrastierenden  positiven  und  negativen  lehren  identifiziert, 
die  dort  schanze  genannt  werden.  Ich  begreife  weder,  warum  diese  deutung  „ziem- 
lieh willkürlich",  noch,  warum  sie  „unbefriedigend"  sein  soll;  es  liegt  meines  erach- 
tens  gar  kein  grund  vor,  nach  einer  andern  erklärung  zu  suchen,  und  es  ist  auch  bis 
auf  Nolte  niemandem  eingefallen.  Auch  underslac  Parz.  534,  5  kann  ich  nicht  im 
sinne  von  „exkurs"  gelten  lassen,  sondern  nur  als  „trennende  Avand,  trennungsmittel" 
verstehen:  Wolfram  meint,  seine  weisen  betrachtungen  über  miuneschmerzen  könnten 
Gawan  seinem  unglück  leider  nicht  entziehen,  so  gern  er  dies  auch  wolle;  seine  worte 
Hessen  sich  als  trennungsmittel  nicht  mit  erfolg  anwenden.  Endlich  noch  ein  wort 
über  cd  die  äventiure  sin  (3,  18):  Lachmann  übersetzt  „alles,  was  einem  zugekommen 
ist,  all  sein  vermögen  und  glück",  Adam  (Interpret,  s.  20)  „all  sein  in  edelsteinen 
deponiertes  gut",  beide  beziehen  also  das  sin  auf  den  besitzer  des  edelsteins;  das 
richtige  gibt  Sau  Maite  (Parzivalstud.  3,  166),  wenn  er  übersetzt  „mit  all  seiner  Herr- 
lichkeit11 und  das  sin  auf  den  rubin  selbst  bezieht. 

Was  endlich  Noltes  annähme  einer  späteren  einfügung  der  abschnitte  1,  15  bis 
4,  S  betrifft,  die  Wolfram  erst  vorgenommen  habe,  nachdem  schon  ein  gewisser  teil 
seines  werkes  dem  publikum  bekannt  geworden  und  dessen  kritik  ihm  zu  ohren  ge- 
kommen sei  (s.  49.  52.  61),  so  ist  sie  für  mich  gänzlich  undiskutierbar.  Ihre  be- 
gründung  durch  das  dogma  der  dreissigerabschnitte  (s.  57;  mit  Zarnckes  bekanntem 
und  wichtigem  aufsatz  über  Lachmanns  zahlenmystik  setzt  sich  der  Verfasser  nicht 
auseinander;  er  zitiert  nur  Hagens  doch  deutlich  redende  Statistik,  bekennt  sich  aller- 
dings von  ihr  nicht  überzeugt)  könnte  man  für  eine  ironisierung  dieser  ganzen  zahlen- 
spielerei  halten.  Man  höre  die  „regel",  die  sich  nach  Xolte  für  die  abschnitte  der 
ersten  drei  bücher  ergibt:  „Die  zahlen  30  und  32  herrschen  neben  einander  vor;  viel 
weniger  zahlreich,  obwol  nicht  selten,  sind  absätze  von  28  zeilen;  andre  zahlen  da- 
gegen, wie  26,  34  und  andre,  sind  ausnahmen  und  ganz  vereinzelt  ....  Charak- 
teristisch ist  also  für  die  ersten  drei  bücher,  dass  nicht  eine  normalzahl  durchgefühlt 
ist,  sondern  zwei  (30,  32),  und  dass  die  grösseren  und  die  kleineren  abschnitte  si<  h 
nicht  gegenseitig  ausgleichen''.  Wo  bleibt  da  überhaupt  noch  ein  gesetz  oder  'ine 
regel?  Es  ist  unbegreiflich,  wie  nach  Zarnckes  einleuchtenden  darlegungen  über- 
haupt noch  jemand  solche  argumente  ernstlich  ins  feld  führen  kann.  Auf  die  aus 
dem  inhalt  gefolgerten  erwägungen,  die  Nolte  zur  annähme  eines  underbints  führen, 
gehe  ich  nicht  näher  ein,  da  sie  mir  zu  subjektiv  sind:  der  Verfasser  hört  hier  das 
gras  wachsen. 

Wichtiger  ist  eiu  andrer  gesichtspuukt,  unter  dem  man  die  frage  einer  späteren 
entstehuug,  zwar  nicht  einzelner  abschnitte,  aber  dos  gesamten  oingaugs,  betrachten 
kann:  ob  nicht  vielleicht  der  gesamte,  die  ersten  boiden  bücher  umfassende  Gahnui- 
retroman  erst  später  dem  werke  vorgeschoben  wurde.  Diese  ansieht  ist  bekanntlich 
von  Schönbaeh  zuerst  ausgesprochen  und  von  Ludwig  Grimm  zu  beweisen  versucht 
worden.  Nolte  freilich  hält  sie  (s.  61  anm.)  für  ^gänzlich  unannehmbar"  und  glaubt 
wol  gar  durch  seinen  waffengang  gegen  Glimm  (Anz.  E.  d.  altert.  25,  'Jül'i  ihr  schon 
den  garaus  gemacht  zu  halten.  So  einfach  lässl  sich  aber  doch  aii  lit  mii 
mechanischen    Zahlenstatistik ,   die    das   ethos   der   erzählung    und    alle    andren    inneren 


i:;s  outH 

»nomento  der  dichterischen  teohnis  und  psyöhologie  verna  <io  Litterargeschicht- 

liohea  problem  lösen:  ich  freue  mich  bei  diesem  meinem  glauben  der  willkommenen 
Übereinstimmung  mii  Schönbach  (Oött.  gel.  anz.  1901,  146).     Dass  seine   byp  I 
über  den  Gahmuretroman  einer  begründung  mit  amfassenderem  und  eingehende! 
wertetem  material  als  dem  von  Glimm   beigebrachten  Fähig  ist,  denke  ich  in  aller- 
nächster zeit  zu  zeigen;  dann  wird  auch  auf  die  beurteilung  des  eingangs  zurückzu- 
kommen sein. 

JENA.  Al.Uhlil     I.M1Z.M  . 


Louis  1*.  Hotz,  La  litterature  comparee.  Essai  bibliographique.  Iutroduction 
par  J.Texte.  Strasbourg,  Trübner  1900.  XXIV.  L23  s.  4  m. 
Die  bezeichnung  'Vergleichende  litteraturgeschichte'  ist  keine  ganz  glück- 
liche, denn  sie  gibt  keine  erschöpfende  Vorstellung  von  den  verschiedenen  aufgaben 
dieser  jungen  Wissenschaft.  Es  handelt  sich  bei  ihr  ja  nicht  allein  um  eigentliche 
vergleichuug,  nicht  nur  darum  (wie  bei  der  vergleichenden  Sprachwissenschaft  oder 
mythologie)  aus  verschiedenen  sonderentwicklungen  das  aus  gemeinsamer  würze! 
entsprossene,  übereinstimmende  durch  wissenschaftliche  vergleichung  herauszustellen, 
nicht  bloss  darum,  litterarische  ideen,  stoffe,  formen,  werke  und  ganze  geistige 
Strömungen  über  alle  nationalen  schranken  hinweg  in  'ihrer  totalitiit  zu  verfolgen  und 
von  hier  aus  die  entwicklung  grösserer  litterarischer  gruppen  zusammenhängend  klar- 
zulegen, sondern  die  vergleichende  litteraturgeschichte  bemüht  sich  auch,  hiervon 
abgesondert,  das  gauze  gebiet  litterarischer  beeinflussung  von  uation  zu  nation  im 
einzelnen  in  den  bereich  ihrer  betrachtung  zu  ziehen,  sie  wird  also  auch  zugleich 
eine  gesehichte  der  vorübergehenden  entlehnuugen ,  der  nur  zeitweiligen  beeinflus- 
sungen  sein.  Da  nun  aber  jedes  kulturvolk  dem  andern  gegenüber  stets  einfluss  zu 
üben  oder  zu  leiden  vermag,  und  solche  einzelbeeintlussung  oder  -entlehnung  auch 
stets  in  der  umfassendsten  weise  stattfindet,  so  sehen  wir  die  vergleichende  litteratur- 
geschichte ein  ganz  ausserordentlich  umfangreiches  gebiet  bearbeiten,  das  mit  der  fort- 
schreitenden entwicklung  sich  noch  immerwährend  erweitert.  In  seinem  "Essai'  hat 
es  nun  B.  unternommen,  dieses  ganze  gebiet  nachdem  heutigen  stände  der  forschung 
bibliographisch  durchzumustern.  Jos.  Texte,  professor  der  vergleichenden  litteratur- 
geschichte an  der  Universität  Lyon,  hat  zu  der  arbeit  B.'s  eine  einleitung  geschrieben. 
Hierin  werden,  nicht  gerade  sonderlich  geschickt,  die  fragen  aufgeworfen,  ob  eine 
solche  bibliographie  möglich  und  ob  sie  nützlich  sei.  Durch  die  zweite  frage,  an  sich 
überflüssig,  will  T.  nur  darauf  hinweisen,  dass  die  vergleichende  litteraturgeschichte 
sich  lange  in  nutzlosen  ästhetischen  erörterungen  bewegt  habe  und  erst  durch  Schulung 
an  den  anderen  im  eigentlichen  sinne  vergleichenden  diseiplinen  zur  vollen  Wissen- 
schaft herangewachsen  sei.  Ebenso  soll  die  erste  frage  nur  dazu  dienen,  die  vier 
hauptgesichtspunkte  hervorzuheben,  die  sich  uach  T.  für  die  vergleichende  litteratur- 
geschichte ergeben,  und  zwar  1.  Questions  theoriques  et  questions  generaux.  Hierher 
gehören  ihm  werke,  wie  die  „Comparative  litterature"  von  H.  M.  Posnett  und  die 
„Prinzipien  der  litteraturwissenschaft "  von  A.  (!!)  Elster  etc.  2.  La  litterature  populaire 
comparee  ou  le  folklore.  3.  La  litterature  moderne  comparee  ou  Tetude  comparative 
des  monumeuts  proprement  litteraires  —  also  die  Wechselbeziehungen  zwischen  den 
verschiedenen  litteraturen  im  einzelnen,  die  gesehichte  einzelner  werke  in  den  anderen 
litteratureu,  wie  etwa  „Homer  in  der  weltlitteratui"',  wovon  als  von  seinem  lehens- 
vverke  Michael  Bernays  träumte.    4.  L'histoire  de  la  litterature  generale  .  .  .  exposer 


ÜBEB    BETZ,    LA    LITT.    COUPABEE  139 

d'eusemble  le  developpement  simultane  de  toutes  les  litteratures  ou  tout  du  moins, 
d'uu  groupe  important  de  litteratures.  Diese  sachliche  einteilung  ist  nun  aber  in  der 
nachfolgenden  hibliographie  fast  ganzlich  verwischt.  Für  ihren  Verfasser  bittet  T.  um 
nachsieht  und  nennt  dessen  arbeit  „une  tentative  aussi  uouvelle  .  .  que  .  .  temeraire  .  . 
uu  travail  ni  completc  ni  definitif",  B.  selbst  bezeichnet  sein  c.  XIII  nur  als  „esquisse 
d'uu  essai  bibliographique".  Aber  selbst  wenn  mau  auch  diese  einschränkuugeu 
berücksichtigt,  so  ergibt  sich  doch  bei  vergleichung  der  stolzen  flagge  und  der 
etwas  ärmlichen  ladung  ein  bedenkliches  missverhältnis.  C.  I  und  II  enthält  Etudes 
theoriques  und  Les  rapports  litteraires  generaux  de  la  France,  de  l'Allemagne,  de 
l'Augieterre,  de  l'Italie  et  de  l'Espagne,  dann  folgen  die  einzelnen  länder  in  ihren 
besonderen  beziehungen  zu  einander:  c.  III  La  France  et  l'Allemagne,  c.  IV  La 
France  et  l'Angleterre,  c.  V  LAngleterre  et  1'Allemagne,  c.  VI  L'Italie,  c.  VII 
L'Espagne  (et  le  Portugal),  c.  VIII  die  nordischen  und  slavischen  litteraturen ,  in 
c.  X  Frankreich,  Deutschland  und  England  in  ihren  litterarischen  beziehungen  zu 
„einigen  anderen"  ländern,  der  einfluss  der  provencalischen  poesie  c.  XI,  dann  noch 
ein  capitel  (XII):  L'antiquite  grecque  et  romaine  (et  l'Orient  [!])  dans  les  litteratures 
modernes  und  schliesslich  c.  XIII:  L'histoire  dans  la  litterature.  Und  diese  ge- 
waltigen stoffmasseu  auf  zusammen  109  seiten !  Die  französisch  -  deutschen  be- 
ziehungen vom  mittelalter  bis  zum  17.  Jahrhundert  —  einschliesslich  der  ganzen 
mhd.  blütezeit  —  werden  auf  etwas  über  vier  seiten  abgemacht,  Moliere  in  Deutsch- 
land hat  nur  35,  Goethe  und  die  französische  litteratur  gar  nur  74,  Moliere  in  Eng- 
laud  nur  12,  Shakespeare  in  Deutschland  nur  177  nummern;  das  ganze  klassische 
altertum  in  der  deutschen  litteratur  ist  mit  125  titeln  erledigt!  Und  dabei  bleibt  B. 
nicht  etwa  bloss  bei  dem  hauptsächlichsten  und  wertvollsten  stehen:  unbedeutende 
einzelheiten,  ja  nebensächliches  wird  aus  revuen,  illustrierteu  Wochenschriften,  monats- 
heften,  ja  sogar  aus  feuilletons  (anzeigen  französischer  Faustübersetzuugen  etc.)  herbei- 
geholt, die  seiten  zu  füllen.  Es  steht  in  keinem  Verhältnis  zu  dem  ganzen,  wenn 
dem  aufcnthalt  Heines  in  Frankreich  allein  sechs  nummern  gewidmet  werden,  mit 
Vorliebe  wird  P.  Lindau  citiert,  auch  eine  nummer:  Jules  Claretie  und  sein  aufenthalt 
in  Deutschland  (Frkft.  ztg.)  findet  sich  (s.  23).  Dagegen  ist  Vv\  Foerster  nur  mit  einer 
einzigen  nummer  erwähnt,  die  Studien  zur  litteraturgeschichtc  von  Bemays  ebenso 
wie  Fuldas  arbeit  über  die  englischen  komödianten  in  Deutschland  fehlen,  ebenso  eine 
reihe  anderer  arbeiten,  die  B.  z.  b.  in  den  vortrefflichen  bibliographien  des  Euphorion 
bequem  hätte  zusammenfinden  können.  W.  Scherer  fehlt  ganz,  ebenso  wird  Hettneis 
liauptwerk  gar  nicht,  Brandes  nur  gelegentlich  erwähnt.  Man  sieht  klar,  der  verf. 
hat  wahllos  zufällig  gerafft,  nicht  systematisch  gearbeitet,  und  das  ganze  ist  in 
Wirklichkeit  kein  essai  bibliographique,  auch  keine  esquisse,  ja  nicht  einmal  eine 
esquisse  d'uu  essai.  Und  was  vorliegt,  befriedigt  auch  nicht  einmal  durch  seine  Zu- 
verlässigkeit. Ausserordentlich  häufig  fehlen  die  voruamen  der  Verfasser,  ebenso  wie 
die  erscheinungsorte  der  werke,  selbst  bei  Programmen;  die  Orthographie  der  vei- 
fassornanien  lässt  zu  wünschen  übrig  [s.  8.  9  Behagel;  s.  19  Gothoim;  s.  16.  18.  11 
Trautwein  (nur  s.  41  richtig  Trauttwoin);  s.  29  Maximer  (Maxeiner  s.  27);  s.  -12 
Gisbert  Vincke;  s.  03  F.  Waldberg;  s.  94  11.  Büchler  (Bücholer)  etc.  —  alle  nameu 
so  auch  im  register!  In  dem  Verzeichnis  der  benutzten  quellen  wird  citiort  s.  XV 111: 
Zeitschrift  für  deutsches  altertum  und  deutsche  litteratur  t.  I  1857.  Der  erste  band 
dieser  Zeitschrift  erschien  aber  bekanntlich  ISN,  mit  dem  13.  (1867)  begann  eine 
nouc  folge  und  erst  seit  1876,  seit.  Scherors  eintritt,  erhielt  sie  den  zusatz  „und 
deutsche    litteratur1';    ebenso    hat,    der    aufsat/.    von    IBai'tsoh    iiher    die     aaohahmunj 


L40  ivtjm. 

Folquets  von   Marseille  durch   Rudoli  von   Emi  als  '/.  f.  d.  alt.  XI 

and  XVIII  L867.  1874'  (Z.f.d.alt.  Land  XI  erschien  1859,  band  XVIII  1875!)  ein 
gänzlich  falsches  oitat.  Die  s.  27  erwähnte  chrifl  ron  Maxeiner  ist  in  Wirklichkeit 
inir  eine  bespreohung  dieser  schritt  durch  Picquei  und  der  band  Romania  XXVII. 
der  sie  enthält,  isi  nicht  1888,  sondern  1898  erschienen;  a. 26:  die  al 
Brandstätter  steh!  oicht  Eerrigs  archiv  1868,  aondern  1869;  ...Will:  dei  ei  b  band 
der  Z.f.ygl.  lit<  gesch.  erschien  1887  nichl  1888;  die  briefe  Voltaires  an  den  kur- 
pfälzischen  minister  Buker  stehen  eicht  Z.  f.  gesch.  des  Oberrheini  II  1885,  ondern 
n.  r.  II  (II.  bd.)  1887  usw.  usw.:  R.  .M.  Meyers  güni :  il  äherdie  Zuverlässigkeit 

der  angahen  (Euphor.Yll  (1900)  s.  797)  kann  ich  somit  nicht  zustimmen.     Der  : 
wird  aber-  von   nutzen  werden   können,  wenn    owol  das  beizubringende  material,  als 
auch  die  angaben  im  einzelnen  erneuter  genauer  nachprüfung  unterzogen  wei 
BONN.  K-  l 

ilberl  Pol/in,  Studien  zur  geschichte  des  deminutivums  im  deutschen. 
[Quellen  und  Forschungen  zur  sprach-  und  kulturgeschichte  der  germanischen 
Völker.  Herausgegeben  von  Alois  Brandl,  Ems!  Martin.  Erich  Schmidt 
I.XXXVIIL]  Strassburg,  Karl  J.  Trübner  1901.  109  s.  3  m. 
Die  alid.  originallitteratur  enthält  sehr  wenig  deminutiva,  auch  in  den  besseren 
Übersetzungen  sind  sie  sehr  selten.  Dagegen  bieten  die  glossen  zahlreiche  b< 
und  zwar  werden  nicht  nur  wirkliche  lateinische  deminutiva  durch  deutsche  wider- 
gegeben, auch  solche,  deren  deminutiver  sinn  ganz  verblasst  ist,  sondern  sogar 
winter,  die  gar  keine  deminutiva  sind  und  nur  durch  ihre  endung  irgendwie  an 
deminutiva  erinnern.  Ein  glossator  bringt  es  zu  stände  cocodrülus  mit  linttoürmelin 
zu  übersetzen,  ittful«  wird  durch  biseofes  hübelin,  GinguVwm  durch  darmgurteltn 
widergegeben.  Einige  dieser  durch  miss Verständnis  gebildeten  deminutiva  sind  usuell 
geworden:  kämlin  =  camelus;  f ähnlein  —  vexillwu ;  (eine  sache  geht  am)  Schnürchen 
perpendiculum;  stündlein  (todesstunde)  =  artieulus.  Auffällig  ist.  dass  im 
deutschen  gerade  solche  tiernamen  deminutivbildung  zeigen,  die  sie  auch  im  latei- 
nischen haben.  Aus  diesen  tatsachen  geht  hervor,  dass  die  ursprünglich  selten  ge- 
brauchten deminutiva  nicht  ohne  starke  beeinflussung  durch  das  lateiu  ihr  verwen- 
dungsgebiet  erweitert  haben.  So  weit  stimme  ich  den  ausfuhrungen  P.'s  zu.  Aber 
P.  übertreibt,  er  will  möglichst  viel  auf  rechnung  des  latein  setzen.  Am  liebsten 
möchte  er  sogar  die  form  des  Suffixes  -Im  aus  dem  romanischen  (ital.  -Uno)  her- 
leiten. Das  geht  nicht.  Das  ahd.  hatte,  was  auch  P.  nicht  bestreitet,  ein  deminu- 
tives /-  suffix,  dessen  genus  sich  nach  dem  des  grundworts  richtete  (scalkilo,  niftila), 
im  lat.  wie  im  romanischen  stimmt  das  deminutiv  ebenfalls  im  genus  mit  dem  grund- 
wort  überein,  und  da  soll  das  ahd.  gegen  den  fremden  und  gegen  den  eigenen  ge- 
brauch ein  entlehntes  suffix  immer  neutral  gebraucht  haben.  Das  ist  unglaublich. 
Das  Im- suffix  muss  sich  auf  deutschem  boden  entwickelt,  es  muss  tm- deminutiva 
gegeben  haben  auch  vor  dem  einfluss  des  latein.  Ebenso  ««-deminutiva.  P.  meint, 
dass  das  m- suffix  (seif f in)  nur  aus  Verlegenheit  deminutiv  gebraucht  wurde,  nach 
rmalogie  der  bezeichnungen  von  tierjungen  (xicMri).  Dass  die  namen  von  tierjungen 
zur  Verwendung  dos  -in  als  deminutivendung  geführt  haben,  ist  nicht  unwahrschein- 
lich; aber  unwahrscheinlich  ist  es.  dass  ein  glossator  aus  blosser  Verlegenheit  etwa 
navicula  mit  skiffi  übersetzt  bat,  weil  \icld  die  kleine  ziege  bedeutete.  Es  muss 
chon  deutsche  /«-deminutiva  gegeben   haben.     Nebenbei   bemerkt,  warum  schleppt 


.IKLLIXF.K    ÜBER    SCHÖTTELIUS    ED.   KOXDEWEV.  141 

P.  fingiri,  vingerlin  durch  alle  seine  listen  fort?  Es  soll  eine  durch  anulus  ver- 
anlasste deminutivbildung  sein.  Aber  das  wort  ist  gar  kein  deminutiv,  fhajirt  verhält 
sich  nicht  zu  fingar,  wie  skiffi  zu  skif,  es  bezeichnet  das  zum  finger  gehörige,  es 
nmss  wider  eine  ursprüngliche  deutsche  (bez.  gerin.)  bildung  sein. 

P.  weiss  die  widersprechendsten  erscheinungen  für  seine  these  zu  verwerten. 
Hat  ein  text  wenig  deminutiva ,  so  zeigt  er  die  alte  sprödigkeit  des  deutscheu  gegen 
diese  bildung;  sind  die  deminutiva  zahlreich,  in  verschiedener  bedeutungsschattierung 
vertreten,  so  ist  das  einfluss  des  latein:  ,die  mannigfachen  feinen  abtönungen  und 
Schattierungen,  die  das  deminutivum  im  lateinischen  in  jahrhundertelanger,  auf  ge- 
bildeter Sprechweise  beruhender  entwicklung  ausgebildet  hatte,  fielen  der  deutschen 
spräche  als  reife  f nicht  in  den  schoss.'  Zeigt  sich  aber  in  modernen  dialekten  die 
dernimitivbedeutung  so  abgeschwächt,  dass  das  suffix  keine  bedeutungsnuance  her- 
vorzubringen scheint1,  so  weist  dies  wider  auf  fremden  einfluss,  ,der  eine  Unsicher- 
heit und  willkür  des  gebrauchs  hinterlassen  hat,  die  einer  echt  deutschen  bildung 
erspart  geblieben  wäre'. 

Doch  das  sind  Übertreibungen,  wie  sie  in  einer  erstlingsarbeit  selten  fehlen. 
Der  talentvolle  verf.  wird  sie  gewiss  in  zukunft  vermeiden  lernen.  Freuen  wir  uns 
der  mannigfachen  hübschen  einzelbeobachtungen.  So  wird  bemerkt,  dass  Wulfila 
barnilo  und  mawilo  nur  in  der  anrede  gebraucht.  Im  mhd.  erscheint  das  deminutiv 
gerne  neben  einer  negation2.  Der  minnesang,  namentlich  der  spätere,  liebt  es,  alle 
körperteile  der  geliebten  frau  durch  deminutiva  zu  bezeichnen.  —  Aufgefallen  ist 
mir,  dass  P.  den  starken  gebrauch,  den  Heinrich  von  Freiberg  vou  deminutiven 
macht,  nicht  näher  besprochen  hat. 

1)  Eingehender  bat  P.  die  anwendung  der  deminutiva  in  den  mundarten  nicht 
untersucht. 

2)  Es  kennzeichnet  aber  durchaus  nicht  ,eine  gewisse  unfertige  Unsicherheit 
des  mhd.  deminutivums,  dass  es  sich  gerne  an  ein  die  bedeutungsriehtung  weisende 
wort  anlehnt'.     Nicht  das  deminutiv  lehnt  sich   an,   sondern   die   negation  attrahiert 
ein  wert,   das   ein   kleines,   unbedeutendes  ding    bezeichnet.     Beispiele    von    solchen 
Wörtern,  die  keine  deminutiva  sind,  kennt  jeder. 

WIEX.  M.   H.  JEM.INEK. 


Friedens  sieg.  Ein  freudenspiel  von  Jiistus  Georg  Schottelius.  1648.  Heraus- 
gegeben von  Friedrich  E.  Koldewey.  [Neudrucke  deutscher  litteraturwerke 
des  XVI.  und  XVII.  Jahrhunderts  nr.  175.]  Halle  a.  S.,  Max  Niemeyer  1900. 
V,  78  s.     0,60  m. 

Im  jähre  1642  wurde  Schottelius'  freudenspiel  zu  Braunschweig  im  fürstlichen 
burgsaal  aufgeführt,  die  rollen  wurden  von  den  jungen  herzögen  von  Braunschweig, 
Anton  Ulrich  und  Ferdinand  Albrecht,  den  Zöglingen  des  dichters,  und  ihren  gespielen 
dargestellt.  Erst  1648  erschien  das  stück  im  druck.  Zum  text  des  vorliegenden 
neudrucks  möchte  ich  folgendes  bemerken.  S.  7  z.  25  ist  doch  sicher  E.  F.  Qn.  statt 
F.  F.  On.  zu  lesen,  s.  15,  z.  12  (es  hat  auch  seine  Zeiten  Der  Sprachen)  grosser 
{Ruhm)  st.  grossen,  s.  18  z.  10  lobwirdige  st.  lobwidrige,  z.  4  v.  n.  wahrscheinlich 
{mit)  deinen  {veraunfftlosen  Woltahten)\at.  deiner,  S.  l'.i  /..  2  v.  u.  selbst  st.  felbst, 
s.  22  z.  12  Asiatische  st.  Asiasische,  z.  25  Büchsen  st.  Vüchsen,  s.  23  z.  11  hundert' 
mahlen  st.  hudertmahlen,  s.  25  z.  13  flehe  st.  //che,  s.  31  z.  6  vielleicht  (Erlöse  mich 
doch  nur)  davon  st.  darin,  s.  47  z.  20  aviairen  st.  ovifiren,  s.  49  z.  21  (ehe  er  die 


I  t  _>  I  ■  II 1 1  II 

Probe  seiner  Tapfrigkeü  n/so)  verrichtet  t.  vernichtet,  .64  /  13  den  iL  der.  Selt- 
;, rweise   lial   der  berau  geber   die     eitenanfänge    de     nicbtpagiuierteu 

zwar  immer  bezeichnet,  aber  nur  bis  zu  den  fünften  blättern  gezählt.  Natürlich 
ind  bücher  in    octavformal    nur  bis  zum  5.  blatl   de    bogen      igniert,  aber  in  oeu- 

drucken    bezeichne!   man  die  Seitenanfänge ,  um   im  original   etwas  leichl  zu  finden. 

\\  :i     machi   man   mit   den   blossen   klammern  ohne  zahlen?     Üb  alt  in  de$ 

einleitung  jede  bibliographi  che  beschreibung. 

WIEN.  M.  II.  .IEI.I.INKK. 


Die  d eutsch -f ran zösische    Sprachgrenze  in   der  Schweiz.    Von 

dr.  J.  Zlmmerll.     [II.  teil:  Die  Sprachgrenze  im  Wallis.     Nebsl   17  lauttabellen 

iiml  :;  karten.    Basel  und  Genf,  Georg  1899.     154 
Deutsche  and  Romanen  in  der  Schweiz.    Von  H.  Morf.    Zürich,  Fäsi  8   Beei 

1900.    Ol  s. 
Über   den    stand    der   mnndarten   in  der    deutschen    und    französischen 

Schweiz.     Von  Tappolet.    Zürich,  Zürcher  <t  Furrer  1901.    40  s. 

1.  Zimmerli  hal  seine  1890  begonnene  zehnjährige  Wanderung  durch  die 
Schweiz  nunmehr  vollendet  und  damit  sein  wichtige.';  werk  (vgl.  Zeitschi.  XXV.  26(3 
und  XXIX,  283)  zum  abschluss  gebracht.  Im  vorliegenden  dritten  teil  wird  die 
romanisch -deutsche  Sprachgrenze  im  Wallis  dargestellt  und  auf  zwei  sehr  eingehenden 
karten  veranschaulicht.  Auch  hier  geht  er  von  ort  zu  ort,  überall  die  flurnamen 
und  die  namen  aus  älteren  Urkunden  heranziehend.  Diese  urkundlichen  stellen  sind 
von  um  so  grösserer  hedeutung  für  die  Sprachgeschichte,  als  meines  wissens  ein  zu- 
sammenhängender text  des  romanischen  Wallis  aus  dem  mittelalter  nicht  auf  ans 
gekommen  ist.  Auf  diese  feststellungen  folgen  ethnologische  erörterungen  und  be- 
trachtungen  über  den  verlauf  der  Sprachgrenze  in  der  Vergangenheit.  Unter  der 
Überschrift  „Zusammenfassung  der  historischen  ergebnisse"  wird  sodann  ein  blick 
auf  das  gesamte  durchschrittene  gebiet  geworfen,  und  dabei  der  Veränderungen  ge- 
dacht, welche  die  Sprachgrenze  im  laufe  der  geschichte  erfahren  hat,  mit  besonderer 
hervorhebung  der  deutschen  Ortsnamen  auf  romanischem  gebiet,  in  soweit  sich 
solche  aus  Urkunden  belegen  lassen.  Die  drei  letzten  abschnitte  behandeln  die 
Sprachmischung  in  der  französischen  Schweiz,  den  lautstand  der  deutschen  grenz- 
niundarten  des  Wallis,  den  lautstand  des  französischen  dieses  kantons.  Zur  ein- 
gehenden begründung  dieses  abschnitts  sind  17  doppelseitige  lauttafeln  angehängt, 
die  ein  jedes  der  ausgewählten  lateinischen  stammworte  durch  13  mnndarten  ver- 
folgen. Dankenswert  ist  auch  die  beigäbe  einer  karte  der  Schweiz,  welche  die  Ver- 
teilung ihrer  vier  sprachen  auf  grund  der  Volkszählung  vom  1.  dezemher  1888  er- 
kennen lässt. 

Zu  einzelheiten  finde  ich  nicht  viel  zu  bemerken.  S.  61 ,  der  franzosische 
name  von  Lenk  (heute  Leik/_  ausgesprochen)  lautet  Loeche.  Er  ist  offenbar  aus 
dem  deutschen  namen  entstanden,  bevor  die  labialisierung  des  eu  aufgegeben  wurde. 
—  S.  S7,  eine  etymologie  der  orte,  welche  Oösehenen  oder  Gesehenen  heissen,  hat 
kürzlich  Salvioni  in  La  Lettora  I,  719  (august  1901)  aufgestellt:  er  leitet  den  namen 
von  it.  cascina  her  und  das  letztere  nicht  von  lat.  caseus,  sondern  von  lat.  capsina. 
S.  107  —  108,  der  lateinische  name  von  Boncourt,  deutsch  Bubendorf,  muss  jeden- 
falls Bovonis  (nicht  Bononis)  curia  lauten. 


ÖBEH    ZIMMERLI,    MOKF,    TAPPOLET  143 

Es  ist  recht  störend,  dass  Gauchats  aufsatz  „Le  patois  de  Dompierre"  nicht 
nach  der  Seitenzählung  von  Gröbers  Zeitschr.  XIV,  sondern  nach  der  mit  1  beginnenden 
eines  Sonderabzugs  citiert  wird.  Sollte  (s.  137)  die  benennung  der  biene  wirklich 
auf  ein  vulgärlateinisches  *  muscitta  zurückgehen  und  nicht  vielmehr  aus  musca  -\- 
-itta  neugebildet  sein? 

2.  Die  Schriften  von  Morf  und  Tappolet  knüpfen  beide  an  Zimmerli  an. 

Mor-f  teilt  die  seine  in  sieben  abschnitte  folgenden  Inhalts:  I.  Die  Sprach- 
grenze und  die  Ursachen  ihres  wandeis  im  mittelalterlichen  leben.  II.  III.  IV.  Ge- 
schichte der  Sprachgrenze,  besonders  auf  grund  der  flurnamen,  im  anschluss  an  die 
drei  teile  von  Zimmeriis  werk,  dessen  beobachtungen  nach  der  historischen  seito 
hier  manche  ergänzung  erfahren.  V.  VI.  VII.  Zurückweisung  der  angriffe  deutsche] 
heisssporne,  die  den  Charakter  des  Schweizers  verunglimpfen,  weil  er  seine  roma- 
nischen landsieute  nicht  als  erbfeinde  betrachten  und  behandeln  will.  Morf  empfiehlt 
auch  eine  mildere,  ruhigere  beurteilung  der  sprachlichen  Überläufer,  die  sich  der 
Sprache  ihrer  romanischen  nachbarschaft  oder  Umgebung  anpassen,  und  nicht  anders 
beurteilt  wrerden  sollten,  als  die  Romanen,  die  in  deutscher  nachbarschaft  oder 
deutscher  Umgebung  das  gleiche  tun.  Er  sagt  u.  a.  s.  47 :  „Unser  schweizerisches 
deutschtum  ist  älter,  viel  älter  als  manches  nördliche,  das  sich  lärmend  gebärdet 
und  uns  schulmeistern  will.  Wir  sind  nicht  nur  Germanisierte,  sondern  wir  sind 
Germanen". 

Morf  stellt  die  geschichtliche  entwicklung  der  Sprachgrenze  in  folgender  weise 
dar.  Um  das  jähr  700  war  das  ganze  "Wallis  bis  zur  Furka  romanisch.  Etwa  im 
9.  Jahrhundert  wurde  Oberwallis  von  der  Furka  bis  in  die  gegend  von  Brig  von 
Deutschen  aus  dem  Haslital  in  besitz  genommen.  Wahrscheinlich  im  12.  Jahr- 
hundert wurde  das  gebiet  von  Brig  abwärts  bis  zur  Lonzamündung  (bei  Gampel)  und 
das  Lötschental  germanisiert.  An  der  Lonza  lag  im  wesentlichen  die  deutsche  Sprach- 
grenze vom  13.  bis  zum  ende  des  15.  Jahrhunderts.  Im  15.  Jahrhundert  wurde  das  zu 
Savoyen  gehörige  Unterwallis  erobert,  in  Leuk,  Siders  und  Sitten  die  schon  seit  dem 
anfang  des  15.  Jahrhunderts  nachweisbare  deutsch''  spräche  in  diesen  orten  und  in 
der  gegend  um  Leuk  mehr  und  mehr  befestigt.  Wenden  wir  uns  nordwärts,  so  ist 
die  Sprachgrenze  in  der  zeit  von  600  bis  900  von  osten  nach  westen  zurückgewichen. 
Doch  waren  um  900  noch  Plaffoyen,  Murten.  Ins,  Biel  und  Bözingen  romanisch.  Seit- 
dem sind  drei  erhebliche  romanische  gebiete  deutsch  geworden:  das  obere  Gerinetal 
nebst  Plaffeyen;  die  herrschaft  Murten;  das  westliche  Berner  Seeland  mit  Ins  als 
centrum.  Was  der  Verbreitung  des  deutschen  in  diesen  gegenden  vorschuh  leisten 
nuisste,  war  der  Übergang  der  Westschweiz  mit  der  burgundischen  kröne  an  das 
deutsche  kaiserreich  (1032),  und  im  15.  Jahrhundert  die  kriege  der  deutschen  eid- 
genossenschaft  gegen  Burgund  und  Savoyen. 

3.  Haben  Zimmeriis  und  Morfs  ausführungen  dadurch  auch  eine  allgemeine 
bedeutung,  dass  sie  die  einflösse  erörtern,  die  ehedem  Veränderungen  der  Sprach- 
grenze bewirkt  haben  oder  noch  heute  bewirken,  so  liegt  der  wert  von  Tappolets 
schrift  auf  einem  anderen,  für  das  sprachliche  leben  nicht  minder  wichtigen  gebiete, 
indem  sie  die  näheren  umstände  ins  äuge  fasst,  unter  denen  sich  der  Untergang  von 
volksmundarten  unter  dem  drucke  einer  gebildeten  Verkehrs-  und  litteratursprache 
vollzieht.  Die  hierbei  gemachten  beobachtungen  lassen  sich  ohne  weiteres  auch  auf 
den  prozess  des  Untergangs  von  Volkssprachen  anwenden;  sie  eröffnen  uns  daher 
einen  einblick  in  die  bedingungen,    unter   denen   /..  b.  das  gallische  dereinst   vor  dem 


MI 

ringenden  latein  in  Gallien  orlo  Nur  wenige  der  heute  wirk- 

arnen  einflü    e  finden   auf  da-   altertum   k-  in« ■  anwendung,   wie  der  gebraucl 
telephons,  der  anlas    [nbt,  das  einheitlichere  und  darum  deutlichere  Hochdeutsch  voj 
dem    Bchweizerdeul  cb    zu    bevorzugen.     Beute    z<  i|  •  □   die   ver  chiedi      i  nden 

jenen  proz<  dei    mundarl    in     ehr  verschiedenen   Btadlen.     In   den 

kantonen  Genf,  Waat  and  Neuenbürg  liegen  die  |  U  in  den  letzten  zügen. 

In  den   katholischen   landschaften  der  kantone  Bern,  Freiburg   and   Wallis  erwi 
sie  sieb  leb  Noch  kraftvoller  aber  lebl  das  Schweizerdeutsch  (von  Taj 

will  mit  absichl  bald  Schwixerditseh  bald  -dütaeh  bald  -tut seh  geschrieben 
kanntlicb  bis  zu  einem  gewissen  grade  als  nationale,    edenfalls  aber  als  interkani 
spräche    noch    jetzi    gebrauch!    wird.     Freilieb    wird  aus    manchen 

Sphären  des  verkehrslebens  mehr  1  mehr  hinausgedrängt.     Wie   rasch   sieb    der 

ontergang  einer  mundarl  vollziehen  kann,  lässl  sich  übrigens  an  Geni  erna 
bis  1703  öffentliche  bekanntmachungen  in  der  mundari  zuliess,  and  schon  hundert 
jähre  später  das  patois  mit  dem  gebildeten  französisch  vertausch!  hat  Besonders 
lehrreich  ist,  was  auf  s.  14  über  den  heutigen  sprachzustand  des  grösseren  t>  ü-  der 
Waal  and  des  Berner  -Iura  gesagt  wird..  „Die  älteren  leute  sprechen  unter  sich 
noch  patois,  die  jüngeren  leute  sprechen  unter  sich  schon  französisch.  Dieser  zu- 
stand der  Gleichberechtigung  beider  sprachen  hall  nicht  lange  an.  Sind  einmal  die 
jüngeren  leute  älter  geworden,  also  etwa  nach  20,'  30  jähren,  so  hat  der  alten 
spräche  das  Stündchen  geschlagen;  diese  jüngeren  leute  haben  familien,  in  ■'■' 
Familien  spricht  man  französisch,  nur  der  grossvater  oder  ein  altes  grossmütterchen 
können  noch  patois,  sie  sprechen  es  aber  auch  nur  mit  altersgenossen ,  mit  ein  paar 
alten  freunden  und  mit  der  nachbarin,  die  auch  schon  in  den  Siebzigern  ist. 
10,  20  jahren  ist  die  schar  der  patoisredenden  gelichtet,  ein  paar  gebrechliche  Über- 
reste aus  der  alten  zeit  kommen  für  den  allgemeinen  charäkter  der  Ortschaft  nicht 
mehr  in  betracht.  Das  französische  hat  gesiegt,  wir  sind  in  das  stadium  der  ein- 
sprachigkeit eingetreten."  Den  schluss  macht  ein  ausblick  auf  die  zukuuft  des 
Schweizerdeutschen.  Der  an  der  soeben  ausgehobenen  stelle  geschilderte  prozess 
wird  sieh  auch  in  der  deutschen  Schweiz,  wenn  auch  langsamer,  vollziehen  und 
schliesslich  zu  einem,  natürlich  etwas  lokal  gefärbten.  Hochdeutsch  führen,  wie  man 
es  dort  schon  jetzt  in  verschiedenen  mischungsgraden  beobachten  kann. 

HALLE.  HERMANN    SO"  HIER. 


NACHRICHTEN. 

Der  privatdocent  an  der  Universität  Kiel,  prof.  dr.  J.  Stosch,  ist  nach  Greifs- 
wald übergesiedelt,  um  dort  vertretungsweise  über  germanische  philologie  zu  lesen. 


Buchdruckerei  des  Waisenhauses  in  Halle  a.  S. 


BEITRÄGE  ZUR  MITTELHOCHDEUTSCHEN  SYNTAX. 

I.    Vom    fehlen    des    subj  ectpronomen  s    beim    persönlichen 

zeitwort. 

In  Wolframs  Willehalm  39,  24  heisst  es: 

"Got,  sil  du  verbiinnes 

Gyburge  minne  mir," 

sprach  er,  "so  nirn  den  trost  ze  dir, 

swax  de?'  getouften  hie  beste, 

dax  der  dinc  vor  dir  &rge 

dne  urteiiltchen  kumber. 

des  ger  ich  armer  tumber. 
Hier  ist  zu  nim  aus  dem  vorhergehenden  mir  das  subjeet  ich  zu 
entnehmen,  eine  nicht  gewöhnliche  und  bei  Wolfram  besonders  seltene 
fügung.  Diese  stelle  veranlasste  mich  zu  einer  Untersuchung  des  falls. 
der  von  Erdmann  in  den  Grundzügen  der  deutschen  syntax  I,  2  —  5, 
von  Paul  in  der  Mhd.  grammatik5  s.  86,  ausführlich  von  Grimm  in  der 
Grammatik  IV,  203  fgg.  behandelt  worden  ist.  Ich  glaube  ihre  dar- 
stellungen  in  nicht  unwichtigen  punkten  teils  ergänzen,  teils  berichtigen 
zu  können1. 

Es  sind  zwei  fälle  zu  unterscheiden.  Erstens  das  fehlende  subjeet 
schwebt  dem  leser  oder  hörer  vor,  indem  es  an  einer  anderen,  mehr 
oder  weniger  nahen  stelle  des  Satzgefüges,  in  gleichem  oder  verschie- 
denem casus,  vorhanden  ist,  wie  in  der  erwähnten  stelle  des  Willehalm. 
Zweitens,  das  subjeet  fehlt  bei  gewissen  verbalformen  und  verben  ohne 
solchen  einfluss  der  Umgebung.    Wir  betrachten  zuerst  den  letzten  fall. 

1)  Meine  Untersuchung  erstreckte  sich  auf  das  Nibelungenlied,  die  gediente 
Wolframs,  Hartmanus,  Walthers,  Gotfrids  Tristan  und  Bertholds  predigten.  Das 
Nibelungenlied  citiere  ich  nach  der  ausgäbe  von  Bartsch  (Leipzig  1875),  Wolfram, 
Walther,  den  Iwein  nach  Lachmann,  die  übrigen  gediohte  Hartmans  nach  Beob, 
Gotfrid  nach  von  der  Hagen,  Berthold  nach  Pfeiffer  ("Wien  1862);  einige  oitate  stam- 
men aus  dem  zweiten,  von  Strobl  1880  herausgegebenen  bände.  lue  citate  sind  in 
der  Schreibweise  der  mir  vorliegenden  ausgaben  gegeben;  bei  denen  aus  dem  Tristan 
habe  ich  das  dehnungszeioben  zugefügt. 

ZEITSCHRIFT    F.    DEUTSCHS    PHILOLOGIE.       BD.   XXXV.  10 


140  RF.nVHAJUPT 

i'Imt  den   imperativ    habe  ich    zu   dem,   was   die  grammatiken 
geben,  hinzuzufügen,  dass  du   und   i/r  in   der  älteren  spräche  häuf 
als  jetzt  hinzutreten,  bald  ror-,  bald  nachstehend,  auch  ohne  be  onderen 
nachdruck,  wie  ihn  z.  b.  Nib.  154  dei  itz  erfordert:  habe  du  du 

gebcere,  diu  werc  wil  ich  begän.  So  in  Ruals  gebel  Trist.  1841  du  ■« 
mir  noch  80  wol  geschehen,  dm  ich  Tristanden  miiezt  sehen.  Bei 
Berthold  I.  "»72,32  folgt  sliux  du  auf  mehrere  imperative  "Ihm.-  du,  bei 
Wa.  5,  17  <h)  sende  auf  bite;  :!•">.  26  3tehen  neben  einander  wis  du.  und 
lä.  Audi  Nib.  349  du:  lui  ir  mich  hoeren,  Wa.  11.  30  her  heiser,  sti 
ii    wiUekomen  liegt  auf  dem  fürwort  kein  nachdruck. 

Was  die  adhortative  erste  person  plnr.  des  conjunetiva  be- 
trifft, die  in  der  regel  kein  uir  bei  sich  hat,  so  verweise  ich  auf  die 
grammatiken.  Unentbehrlich  ist  wir  (Grimm  s.  207),  wenn  von  der 
verbalform  das  auslautende  n  abgeworfen  ist,  wie  in  ge  wir  bei 
Wolfram;  das  Nibelungenlied  hat  auch  ste  wir  1780,  laxe  wir,  gähe 
wir  1607.  Bei  Walthcr  pflegt  wir  nicht  leicht  zu  fehlen;  doch  ohne 
wir  steht  29.  24  warten,  vielleicht  77,  30'  m'i  hellen,  wo  Lachmann 
helhnt  hat. 

Das  fast  adverbial  gebrauchte  warne,  warn  ohne  ich  findet  sich 
häufig  im  Parzival  und  im  Nibelungenliede,  obgleich  auch  in  diesen 
gedieh ten  ich  ween  überwiegt.  Im  Erec,  Gregorius  und  im  1.  büchlein 
Hartmans  finden  sich  wenige  beispiele  der  auslassung  des  ich,  bei 
Walther  eins  (34,  33),  ebenso  bei  Berthold  (II,  263,  15),  im  Willehalm, 
in  Hartmans  andern  gedichten,  im  Tristan  keins;  Trist.  18561  ist  anders 
zu  beurteilen,  worüber  unten.  Ziemlich  häufig  fehlt  ich  nach  unde  bei 
Hartman,  Gotfrid,  Ber-thold,  namentlich  bei  verben  der  rede:  Iw.  3036 
ex  geschach  doch  wie,  und  sage  iu  wie,  8089;  Trist.  3016  dix  heixent 
si  curte  da  heim  in  Parmenie,  und  teil  iu  sagen  uuibe  wax;  16  999 
redet  der  dichter  in  eignem  namen  und  wil  iu  sagen  umbe  wax;  Berth. 
I,  271,  14  unde  sage  dir  wd  von;  432,  2  unde  sage  iu;  Trist.  14756 
hü  weix  ex  aber  got  selbe  wol,  wie  min  herxe  hin  xe  iu  ste,  unde 
wil  ein  lüixel  sprechen  me;  Berth.  I,  72,  36  unde  spriche  noch  mer; 
H,  102,  12  und  warne  dich;  Trist.  14764  und  gih  ex  xe  gote;  Erec 
5821  icis,  herre  got,  gemant  dax  aller  werlt  ist  erkant  ein  icort  dost 
du  gesprochen  hast,  und  bite  dich.  Auch  im  Nibelungenliede  einmal 
385  und  wil  iu  helden  raten.  Selten  fehlt  ich  bei  anderen  verben 
ohne  einfluss  der  Umgebung:  Iw.  7500  unde  enweix  ouch  niht;  Trist. 
18265  unde  weix;  18114  und  hau  ex  ouch  benamen  für  dax.  Von 
der  eigentümlichen  kraft  des  unde,  das  subjeetpronomen  entbehrlich  zu 
machen,  wird  unten  noch  mehrfach  die  rede  sein. 


BEITRÄGE   ZUB    MHD.  SYNTAX  147 

Die  zweite  person  der  einzahl  entbehrt  des  du  in  dem  Sprich- 
wort selbe  teste,  selbe  habe,  z.  b.  Berth.  I.  435,  18.  466,  16.  483, 11  (dafür 
selbe  tuo,  selbe  habe  471,  30),  s.  Grimm  s.  217,  Erdmann  s.  4,  Paul 
s.  86.  Nach  Grimm  s.  209.  217  kann  du  leicht  fehlen,  da  die  endung 
-est  deutlich  die  person  bezeichne.  Paul  s.  86  anm.  2  meint,  in  fällen 
wie  rindest  ieman,  wes  bist  im  gehax  stehe  windest  für  vindeste  = 
vindestu,  bist  für  biste  =  bistu;  es  liege  also  keine  auslassung  des  pro- 
nomens  vor;  auch  nach  Erdmann  §  4  kann  vor  folgendem  vokal  ein 
angehängtes  du  verschlungen  sein;  vgl.  formen  wie  daxte,  wüte,  icoltste, 
daxt  Wa.  71,  12.  91,  31  (Weinhold,  Mhd.  grammatik  §  473).  Diese  an- 
nähme wird  bei  folgendem  vokal  nicht  abzuweisen  sein:  Parz.  743,  14 
werlicher  Parxiväl,  so  müexest  einen  trdst  doch  haben;  Wolfr.  Lieder 
s.  9.  11  will  an  t rinne  gedenken,  scelec  irip,  so  gist  ein  liebex  ende 
mir;  Iw.  483  bist  übet  oder  guot;  Trist.  8415  iceliest  (so  Bechstcin, 
ivellcstn  v.  d.  Hagen)  aber  ran  boeser  diet  ungehazxet  sin,  so  sing  ir 
Met;  Xib.  2023  Jcünec  cur  beese,  war  umbe  reetest  ane  n/ich;  vielleicht 
auch  Wa.  59,  37  wie  sol  man  gewarten  dir,  Welt,  teilt  also  winden 
dich;  Berth.  II,  188,20  bist  iendert;  ebenso  110,30.  Doch  ist  Grimms 
annähme  wol  vorzuziehen,  wenn  auf  das  subjectlose  verbum  ein  con- 
sonant  folgt,  wie  bei  von  der  Hagen,  Minnesinger  I,  25  a  gol .  wie  teilst 
so  nngeliche;  Hartman,  1.  büchl.  198  nn  wixxest  da:,  herxt  min;  1216 
nn   nnz  gebintst  mir  dax  ich  tuo. 

Von  der  dritten  person  sing,  des  conjunetivs  behauptet  Grimm 
s.  208,  sie  könne  des  fürworts  leicht  entbehren;  er  führt  dafür  eine  reihe 
von  belegen,  meist  aus  den  Minnesingern,  an.  Ich  habe  die  beispiele 
aus  den  Minnesingern  sämtlich  verglichen  und  meine,  dass  überall  das 
fehlende  subiect  aus  der  Umgebung  zu  entnehmen  i>t.  Sie  werden  zum  teil 
als  meine  einzigen  ci täte  (MS)  aus  den  Minnesingern,  an  den  betreffen- 
den stellen  meiner  Untersuchung  angeführt.  Aus  dieser  dürfte  sich  auch 
für  die  nicht  besprochenen  die  richtigkeit  meiner  behauptung  ergeben. 

Dies  sind,  meine  ich,  die  wenigen  fälle,  in  denen  sich  das  mhd. 
die  auslassung  des  subjeetpronomens  so  gestattet,  dass  dasselbe  sich 
nicht  aus  der  umo-ebung  entnehmen  lässt. 


Sehr  ausgedehnt  und  dem  heutigen  Sprachgebrauch  vielfach  fremd 
ist  die  auslassung  des  subjeetpronomens  im  Satzgefüge,  mag  dies  nun 
aus  coordinierten  Sätzen  oder  aus  haupt-  und  nebensatz  bestehen;  «las 
subjeet  kann  in  dem  einen  teile  fehlen,  wenn  es  in  irgend  welcher 
gestalt  im  andern  enthalten  ist  und  so  dem  bewusstsein  des  lesers  oder 
börers  vorschwebt.     Hiervon  handeln  Grimm  s.  2 1 5  Egg.,  Erdmann  s.  5, 

In 


I   |  IJKUNHA  KliI 

aber  ohne  den  gegenständ  zu  erschöpfen  und  nicht  ohne  irrtum.  ES 
schein!  mir  oichl  unwichtig,  die  grammatischen  Verhältnisse,  unter  denen 
die  auslassung  stattfindet,  genau  zu  unterscheiden;  dabei  werden  sich 
mancherlei  Verschiedenheiten  im  Sprachgebrauchs  der  alten  heraus  teilen. 
Im  allgemeinen  bemerke  ich:  der  conjunctiv  kann  des  fürworte  leichtar 
entbehren  als  der  indicativ;  die  conjunction  unde  spielt  dabei  eine  gl 
rolle;  das  Nibelungenlied  und  Wolfram  sind  der  auslassung  viel  wenigei 
geneigt,  als  Walthor,  Eartman,  Gotfrid  und  Berthold. 

Wir  betrachten  zuersl   den   fall,   dass  c dinierte   sätze  gleiches 

subjeet  haben,  das  in  dem  einen  teile  fehlt,  wie  Pz.  L80,  9  genuogt 
haut  des  einen  site  und  sprechent  Bei  Berthold  tritt  dabei  oft  Wechsel 
des  numerus  ein,  obgleich  das  subjeet  im  gründe  dasselbe  bleibt;  das 
Mm  einem  einzelnen  gesagte  wird  auf  die  gattung  übertragen  oder  um- 
gekehrt, und  die  spräche  schmiegt  sieh  der  wechselnden  gestalt  des 
gedankens  an.  So  z.  b.  T,  193,  24  unde  ivirt  dax  kint  den  vater  ver- 
fluochende  —  unde  spreckent  also;  478,  26  ex  (den  fisch)  vriuset  und*. 
sinl  \r  allen  xMen  in  dem  wäge  unde  ist  wachet;  II,  149,  1  dir  tribeni 
sie  fünf  oder  xehen  jär  und  alle  die  wile  und  sie  einem  menschen 
gelich  ist;  II,  217,  18  wird  von  boesen  rätgeben  gehandelt;  dann  heisst 
es  tvan  er  ratet  einen  rät  da  u/auec  sünde  von  kumet,  und  dar  u/mbe 
sint  sie  der  verfluochten.  Auch  Wechsel  der  person  kann  eintreten: 
1,459,  13  ir  laufet  da  gein  sant  Jacobe  unde  verkaufet  da  heime  — . 
Unde  niestet  sich,  daz  er  vil  veixter  kumet  danne  er  ü%  fuor.  513,  21 
war  von  sündern  in  der  3.  plur.  die  rede;  dann  Avendet  sich  der  prediger 
an  einen  einzelnen:  unde  lerst  ex  hin  slifen;  ebenso  33,  18.  Weniger 
auffallend  ist,  wenn  auf  man  das  verbum  ohne  pronomen  in  der  3.  plur. 
folgt,  wie  Pz.  804,  30  man  leit  si  nahe  xuo  xim  dar  —  unde  .sluoycu 
:/to  dax  ijrap;  vgl.  Berth.  II,  230,  18  dar  umbe  vliehe  sie  alliu  icerlt 
und  schaffen  noch  reden  mit  in  niht1. 

Nicht  immer  ist  es  die  conjunction  unde,  die  den  subjectlosen 
satz  mit  dem  das  subjeet  enthaltenden  verbindet.  So;  Iw.  2854  sicer 
ex  (das  haus)  xe  rehte  haben  wil,  der  muox  diu  dicker  heime  sin;   so 

1)  Solcher  Wechsel  in  numerus  und  person  kann  natürlich  auch  so  geschehen, 
dass  das  neue  subjeet  ausgedrückt  wird.  Der  teufel  erscheint  bei  Bertbold  bald  im 
Singular,  bald  im  plural:  II,  56,  G  so  köret  er  stnen  vlt%  dar  an  wie  sie  ans  die 
simde  geraten,  vgl.  II,  138,  37.  255,10  ir  frouwen,  handelt  iuwer  ivirte  wol,  wan 
du  mäht  dinen  guoten  wirt  in  kurzer  wile  also  handeln  dax — ;  II,  70,6  ir  miiexet 
iemer  gelten  und  dem  wider  geben,  dem  du  ex-  gestoln  oder  geroubet  Mst.  Wechsel 
der  person:  II,  148,  31  du  bist  der  schedelichste  sünder,  wan  er  nimt  gote  etelicltes 
tages  hundert  sele;  II,  28,  7  gäbe  man  dir  drixec  pfunt  — ,  er  heete  dir  xe  rehte 
uilit  gelönet. 


BEITRÄGE    ZI'R    MHD.  SYM1X  149 

tuo  ouch  underwilen  schin,  ob  er  noch  riters  muot  habe,  Trist.  12  255 
wir  seejen  alle  valscheit,  so  snlden  lasier  unde  leit.  Häufiger  mit  nü, 
z.  b.  Pz.  814,10  durch  xuht  sohl  ich  minne  kein,  nunc  mag  irx  herze 
niht  rersteln;  Wa.  12,  33  si  lerten  uns  hl  kurzen  tagen,  daz  wellents 
uns  nü  widersagen,  nü  tuonx  —  und  sagen  —  uolrecken;  Bertb.  I, 
210,2  du  soll  —  nü  bist  doch  ein  man;  MS.  J,  177  b  dax  ist  un- 
wendic,  nü  si  also;  I,96a  daz  ist  der  lieben  gar  ein  spil  und  giht 
si  welle  Ionen  mir  —  nü  laxe  eht  sin.  Die  sätze  sind  durch  wem 
verbunden:  Wa.  20,29  dem  habe  ouch  hie  noch  dort  niht  lönes  mere, 
wan  (sondern)  si  eht  guotes  hie  gewert;  Bertb.  I,  276,  32  du  solt  nic- 
man  heizen  teeten,  wan  (denn)  den  hectest  ouch  ertostet.  Auch  ein 
demonstrativ  kann  die  sätze  verbinden:  Parz.  143,  28  si  suln  ein  ander 
gampel  nemen,  des  laxen  sich  durch  zuht  gexemen;  Wa.  45,  12  so  lobte 
ich  die  ze  hbenne  weeren;   des  enhaben  deheinen  muot. 

Nicht  eben  häufig  stehen  die  sätze  ohne  conjunetion  neben  ein- 
ander, '/..  b.  Iw.  3950  des  wart  in  unmuote  der  leice,  wände  er  weere 
tot;  Trist.  11310  gebietet  im  da;,  er  rar  wäfenen  sich;  bereite  sich, 
als  tuon  ouch  ich;  Wa.  99,  36  siht  si  mich  in  ir  gedanken  an,  so  ver- 
gütet si  mir  mine  wol.  minen  willen  gelte  mir,  sende  mir  ir  guoten 
willen,  minen,  den  habe  iemer  ir;  MS.  I,  178a  si  gelönet  mir  mit 
lihten  dingen  ivol;  geloube  eht  mir  swenne  ich  klage.  Besonders  auf- 
fallend ist  Trist.  18001:  ex  ist  niht  ein  biderbe  wip  diu  ir  cre  durch 
ir  Up,  ir  lip  durch  ir  ere  l<it.  so  guote  state  si  des  hat,  da\  si  si 
beide  behöbe;  nun  folgt  eine  lange  reihe  von  conjunetiven  enge,  behalte, 
bevelhe  unde  laxe,  besetze,  ziere.  Mit  Wechsel  der  person  heisst  es 
Wolfr.,  Wh.  150,  21  wä  nu  die  von  mir  sint  erborn?  ditx  lasier  habt 
mit  mir  erkorn1. 

Das  gemeinsame  subjeet  kann  natürlich  auch  in  einem  dem  sub- 
jectlosen  satze  vorangehenden  Satzgefüge  enthalten  sein,  und  nicht  nur 
in  dem  letzten  teile,  der  dem  subjectlosen  satze  zunächst  steht,  sondern 
auch  in  einem  früheren.  Das  erstere  ist  z.  b.  der  fall  MS.  I,  177  a:  ich 
weiz  wol  daz  sis  niht  entuot.  nü  tuo  e%  durch  (Im  willen  min; 
Wa.  88,28  la  die  rede  sin,  daz  du  mir  iht  so  seYe  besweerest  minen 
muot.     war  gdhest  also  balde;   Nib.  655  tuo  ir  sicu:   du  wellest,    und 

1)  Schwerlich  gehört  hierher  Pz.  (183,  19:  ein  pfelle  gap  kostlichen  pris,  ge- 
worhi  in  Ecidcmoiris,  beul  in  breit  unde  laue,  hohe  <>!>  im  durch-schate  swanc;  ich 
glaube,  mit  Bartsch,  dass  hier  in  gap  kostlichen  pris  die  altertümliche  form  des 
relativsatzes  ohne  pronomen  vorliegt,  von  der  Erdmanu  3.  50.  51  handelt,  und  die 
bei  den  dichtem  jener  zeit  nicht  selten  vorkommt. 


I  51  I 

ncemest  ir  den  lip,  dax  solde  ich  wol  verkit  en.  Dai  gemeinsame  sub- 
jecl  ist  in  einem  früheren  Satzteile  enthalten  /..  b.  MS.  I,  L81b  da*  si 
mich  als  unwerden  habe  als  si  mir  vor  gebäret,  da*  geloubt  ich  nie- 
mer.  nü  /"•.  ein  teil  w  tornes  abe;  tw.  1372  dd  er  .im  dem  hüst 
Lrric,  dn  wart  diu  brücke  nider  län,  unde  sach. 

Ein  selbständiger  hauptsatz  kann  den  ubjectlosen  satz  von  dem 
das  subject  enthaltenden  trennen,  bo  /.  1>.  Wa.  36,  8  si  behielten  durch 
sin  '/•'.•  dax  was  guot;  nü  geben  durch  sin  ere;  Trist.  1 8  r> ."> '. t  min  leit 
ist  doch  gemeine,  int  trag'  <:  niht  al  eine,  e%  ist  stn  als  vil  s6  min, 
und  /irr//',  / -.  ist  noch  mere  sin;  Berth.  !.  359,  11  ja  tuest  du  des 
selben  niht;  nü  bin  ich  din  ebenkristenmensche,  unde  hast  vwene  guoti 
n><l>r.  Die  trennenden  Sätze  sind  nicht  selten  von  beträchtlichem  um- 
fange: Wa.  IS,  16  sit  diu  minnecliche  minne  also  verdarp,  so  sanc 
ouch  ich  (in  teil  unmmnecliche.  iemer  als  <  \  danne  stät,  also  sol 
iii/i n  singen,  swenne  unfuoge  nü  lergät,  so  sine/  aber  von  höfschen 
dingen.  I\\.  1095  folgt  auf  einen  langen,  mit  ich  weix  beginnenden  satz 
unde  weix  ex,  ebenso  Pz.  40G,  9  auf  ich  enbiutx  iu  (406,  3)  und  en- 
weix  doch;  Nib.  758  e:  hat  nach  mir  gesendet  Günther  der  friunt  n/in, 
ir  ii/nl  sine  mäge,  durch  eine  höchgezite;  i/h  keem  ich  im  vil  gerne, 
icnn  (In:  sin  laut  so  verre  lit:  und  bittent  Kriemhilde  daz  si  mit  mir 
rar.  Berth.  I,  346,  20  folgt  auf  einen  satz  mit  dem  subject  wir:  Nü 
seht  ivie  maneger  hande  schade  von  dem  ivorte  wirt  unde  liden  miiezen. 

Unter  umständen  enthält  von  zwei  coordinierten  Sätzen  der  zweite 
das  gemeinsame  subject,  wie  Pz.  165,  13  sine  /runden  wuosch  unde 
baut  der  wirt.  So  können  wir  noch  heute  sagen,  aber  nicht  wie 
Pz.  4,  28:  swä  lit  und  ivelhsch  gerichte  lac,  'wo  welsches  recht  be- 
steht und  bestand"1.  Ähnliche  ungewöhnliche  Stellung  des  gemeinsamen 
begriffs  findet  sich  Iw.  385  dö  ich  niene  wolde  noch  beliben  ensolde; 
Wh.  166,  19  die  wären  und  iu  rerchsippe  sint;  33,  18  Unten  und 
an  orsen  beiden.  Besonders  oft  steht  so  ein  possessivum:  Pz.  33,  15 
ivie  was  gebärde  und  ir  wort;  271,  16  heim  und  ir  schilde;  Wa.  36,  14 
Up  und  sin  guot. 

Bei  Verbindung  von  haupt-  und  nebensatz  kann  das  gemeinsame 
subject  in  einem  teile  fehlen,  ein  gebrauch,  den  Erdmann  s.  5,  wenn 
ich  ihn  recht  verstehe,  dem  mhd.  irrtümlich  abspricht.  Bei  Berthold, 
bei  dem  die  auslassung  des  subjeets  fast  ganz  an  unde  gebunden  ist, 
worüber  unten  noch  zu  reden  sein  Avird,  findet  sich  solche  fügung 
meines  wissens  nur  einmal:  I,  355,  12  nü  g<'  als  ez  müge. 

1)  Zu  dieser  bedeutung  von   ligen  vgl.  Pz.  309,  (J  Artus,  bl  dem  ein  säe  lac. 


BEITRÄGE    ZUR    MHD.    SYNTAX  151 

1.  Der  hauptsatz  mit  dem  gemeinsamen  subject  geht  voran,  am 
häufigsten  nach  ivcenen  und  verben  des  sagens  bei  fehlendem  daz,  siehe 
Grimm  s.  210;  z.  b.  Pz.  177,  15  ja  wände  ich  ergetzet  wcere  drier  leider 
märe;  Nib.  2272  si  jähen  wolten  tragen  Rüedegeren  hinnen;  Wa.  62,  38 
ich  ivccn  nie  bexzer  Ideit  gesach,  wo  Lachmann  ivan  ich  liest.  Im 
[wein  habe  ich  diese  fügung  nicht  gefunden,  wol  aber  im  Erec  3373. 
4536.  4427,  auch  in  Hartmans  liedern  (13,  6)  und  im  1.  büchlein  (105. 
472).  Auch  der  Tristan  hat  sie  meines  wissens  nicht;  dagegen  lässt 
Gotfrid,  und  zwar,  so  viel  ich  sehe,  er  allein,  in  abhängigen  delibera- 
tiven  fragen  öfter  das  mit  dem  des  hauptsatzes  identische  subject  fehlen: 
Trist.  4857  hie  %uo  neweiz  ich  waz  getuo,  4851.  15507.  Aber  9534 
(wir  enwizzen  ivem  getrüwen)  kann  getrüwen  auch  infinitiv  sein,  vgl. 
4610  ich  ewweste  ivie  gevähen  an,  8625.  11260.  15  547.  Über  diesen 
im  französischen  und  englischen  üblichen  infinitiv  habe  ich  in  den  gram- 
matiken  nichts  gefunden.  Gotfrid  scheint  ihn  allein  zu  kennen,  oder 
gehört  Nib.  2088  hierher:  sine  wessen  wem  ze  klagene  ir  vil  grcez- 
Uchen  not?  Hierher  kann  man  auch  das  fehlen  des  subjects  ez  in  ge- 
wissen nebensätzen  rechnen:  Nib.  1862  ich  solz  in  gerne  büexen,  sivie 
si  dunket  guot;  Iw.  1715  daz  er  vüere  swar  in  dühte  guot;  Nib.  348 
dö  ivas  ir  gesinde  gezieret  als  im  gezam;  705.  Pz.  736,  30.  744,  18. 
Iw.  7296  dö  tete  si  als  ir  tohte.  Vielleicht  Iw.  3533  min  geselle  icas 
her  Gäivein,  als  mir  in  mime  troume  schein. 

2.  Der  nebensatz  mit  dem  gemeinsamen  subject  geht  voran1;  der 
hauptsatz  steht  meistens  im  conjunctiv:  Pz.  321,  16  lougent  des  In'r 
Gäwän,  des  antivurte  üf  kampfes  slac;  Iw.  2868  hat  er  sich  eren 
verzigen  und  wil  sich  bi  ir  verligen  und  giht  des  danne,  da-,  er:  ir 
ze  liebe  tuo,  dane  geziehe  si  niemer  zuo;  Wa.  70,  37  sit  aber  er  da 
gerne  si,  so  si  ouch  da;  Berth.  II,  178,  22  swaz  sant  Peter  habe,  dm 
habe  im;  MS.  1, 184b  gevähe  si  mich  an  deheiuer  lüge,  sä  so  schupfe 
mich  xehant;  I,  122a  mac  si  danne  rechen  sich,  tuo  des  ich  si  bite. 
Der  indicativ  im  nachfolgenden  hauptsatze  ist  selten:  Trist.  10  783  nu 
Kurvenal  %e  schiffe  kam,  sine  rede  ze  handen  na/m;  mit  Zwischen- 
satz Wh.  147,  12  siuaz  er  den  künec  e  geschalt,  des  wart  ir  tehen- 
stunl  da  mer,  und  jach  si  wcere  gar  ze  her. 

3.  Der  übergeordnete  satz  mit  dem  gemeinsamen  subjecl  steh!  an 
zweiter  stelle:  Erec  3155  nunc  kau  ich  des  weegsten  iiil/t  ersehen  (/ca\ 
sol  mir  armen  geschehen?)  wart  (nur  so  viel  sehe  ich)  sweäerx  mir 
kiese,  daz  ich  dar  an  Verliese. 

1)  Dieser  gebrauch  soll  nach  Grimm  s.  '213  dem  alid.  geläufig,  dem  mlul.  fremd 
soin,  die  behauptuug  ist  irrig. 


L52  [AUDI 

I.  Ziemlich  häufig  sind  sätze,  in  denen  der  nebensatz  mil  dem 
gemeinsamen   mbjecl  an  zweiter  Btelle  steht,  z.  b.  Pz.  436, 19  dar  nach 

tuo  als  si:  Irre  (nach  des  gatten  tode  tue  die  witwe,  wie  sie  ah 
ziemend  vorschreibt);  Erec  7455  wem  sagen  swa%  si  wellen;  Greg.  2410 
in)  hei  sich  wol,  des  ist  im  not,  swer  er  si;  Nd».  148  nii  spüen  swi 
st  wellen;  Trist.  72;;5  na  grtfe  wider  da  ich*  liex;    Berth.  [,  355,  L2 
in)  i/i   als  f.   müge;    5,20  wnd  gehoerest  ie  etwax,   da%    d '"   mr  nie 
geheeret  hast;    Wa.  80,  5  geheize  minn    und  grüexe  baz,   well'  >• 
rehte  wmb  6re  sorgen.     Hier  sind  auch   die  Dachstehenden  relativ 
zu  erwähnen,  deren  subjeet  für  den  hauptsatz   mit   gilt:    Pz.  20,  1   sut 
um})  i<  der  ungerne  vldch;  Wh.  30,  29  ex  enwend  der  in  die  herzen 
siht;  Iw.  4601  und  wizze  wol,  swei  mich  jage,  daz  ich  sin  wol  erbitt 

Wir  haben  soeben  falle  betrachtet,  wo  in  coordinierten  sätzen  oder 
in  haupt-  und  nebensatz  das  subjeet  dasselbe  war  und  nur  einmal  aus- 
gedrückt ward.  Sehr  oft  aber  sind  die  subjeete  verschieden,  und  das 
im  nachfolgenden  satze  fehlende  subjeet  ist  in  einem  vorhergehenden 
in  gestalt  eines  casus  obliquus,  possessivs  oder  adverbs  vorhanden.  Sind 
die  sätze  coordiniert,  so  verbindet  sie  fast  immer  unde.  Hiervon  handeln 
Grimm  s.  2 IG,  Erdmann  s.  5;  bei  Paul  habe  ich  diesen  gebrauch  nicht 
erwähnt  gefunden1.  Die  Schriftsteller  weichen  darin  von  einander  ab:  bei 
Berthold,  Grotfrid  und  besonders  bei  Hartman  sind  diese  fügungen  sehr 
zahlreich,  auch  bei  Walther  nicht  ganz  selten;  im  Nibelungenliede  finden 
sich  nur  wenige  und  noch  weniger  bei  Wolfram.  Ich  beschränke  mich 
auf  eine  kleine  anzahl  von  beispielen  aus  dem  Iwein  und  Walthers 
gedienten. 

Der  erste  satz  enthält  im  genitiv  das  im  zweiten  fehlende  sub- 
jeet: Iw.  4010  sit  mich  min  selbes  missetät  verlos  und  weinen  für 
das  lachen  Ms;  Wa.  115,  14  der  herze  ist  ganzer  tilgende  vol  und  ist 
sd  geschaffen  an  ir  Übe. 

Dativ:  Iw.  4674  daz  im  ein  ast  den  heim  gevienc  und  an  der 
gurgelen  hienc;  Wa.  61,  30  daz  in  diu  ougen  üz  gefüeren  und  sich 
doch  einest  stiezen  in  dem  tage. 

Accusativ:  Iw.  2101  ex  dimket  mich  guot  und  gan  iu  wol; 
Wa.  93,  28  disiu  Wirtschaft  ncemc  mich  uz  sendem  muote  und  ncem 
iemer  von  ir  scheene  niuwe  jugent. 

Possessiv:  Iw.  4992  daz  ivas  sin  spät  unde  sprach;  Wa.  100,  22 
min  iville  ist  gnot  und  klage  diu  werc.  Mit  Wechsel  des  numerus 
Berth.  II.  159,  34  ex  ist  sin  geteilter  und  loufent  dort  hin. 

1)  Doch;  vgl.  Paul  s.  175  ((Red.). 


BEITRAGE    ZUK    ÜHD.  SYNTAX  153 

Adverb:  Iw.  6686  elane  mohte  niht  cor  bestem  (vor  den  kolben 
der  riesen)  unel  lieten  gröxen  mort  getan:  Wa.  103,  19  elel  lil  gelt/st 
des  herzen  an  und  git  ouch  hohen  muot. 

Aus  dem  Iwein  habe  ich  gegen  40  solcher  stellen  gesammelt,  aus 
dem  Tristan  und  Berthold  etwa  je  30,  aus  Walther  12.  Dagegen  bietet 
das  Nibelungenlied  nur  6:  1243  mir  ist  geseit  und  icilz  ouch  wol 
gelouben;  1684  ein  teil  icas  ex,  ir  leit  und  dähte;  Zarncke  74,  3  (anders 
Lachmann  und  Bartsch)  daz  (land)  hiez  zen  Nibelungen  und  waren 
sine  man;  725  dax  truoc  si  in  ir  herze  und  wart  ouch  tool  verdeit: 
2138  da  sack  ein  Hinnen  recke  Rüedegeren  stän  mit  weinenden 
äugen,  und  hetes  vil  getan;  1717  swer  nemen  welle  golt,  der  gedenke 
miner  leide,  und  wil  im  iemer  xoesen  holt.  Aus  Wolframs  gedichten 
kenne  ich  nur  zwei  stellen:  Pz.  556,  4  da:  dühte  si  min  >inheil  und 
bat  mich;  Wh.  180,  3  dö  si  der  mareräcc  umbe  xdch  und  sime  xorne 
küme  enpflöch.  Beide  male  wird  die  auslassung  dadurch  erleichtert,  dass 
das  zu  ergänzende  subjeet  dem  aecusativ  si  gleich  lauten  würde. 

Es  ist  weitaus  überwiegend,  aber  doch  nicht  immer  unde,  das  solche 
sätze  verbindet.  Berthold  hat  einigemal  oder:  I,  454,  28  dax  dich  der 
donre  slahe  oder  einen  andern  unreJtteu  tot  nemest;  376,  8  so  ex  hungert 
oder  durstet  oder  genuoc  hat.  Einmal  so:  133,  2  dich  genüget  niht 
dax  — ;  so  will  aber  ex  füegen.  Walther  hat  auch  nü:  64,  25  da\  ir 
gezimel.  nü  habe  ir  dax  für  guot,  ebenso  30,  14.  Einmal  ohne  con- 
junetion  10,  28  solt  ich  den  pf äffen  raten,  so  sprwehe  ir  haut  —  ir 
zunge  sunge  —  gedeckten  dax  — . 

Zuweilen  steht  der  subjectlose  satz  nicht  unmittelbar  neben  dem 
das  subjeet  enthaltenden:  Wa.  67,  13  ich  hän  lip  unde  sele  gewäget 
tüsentstunt  durch  dich;  nü  bin  ich  alt,  und  hast  mit  mir  diu  gampel- 
spil,  vgl.  Pz.  468,  5.  Hierher  gehört  Titurel  54,  wo  das  subjeet  zu  nü 
tuende  ouch  die  sine  aus  dem  nicht  unmittelbar  vorhergehenden  dem 
Anscheivinc  zu  entnehmen  ist.  Vgl.  noch  Berth.  I,  434,  13  sicer  dran 
(an  einer  gewissen  sünde)  funden  ivirt,  des  wirt  niemer  mrr  rät,  unde 
hat  (die  sünde)  ouch  die  schalkeit  dax  sie  — ;  530,  13  swer  in  sine// 
gewalt  kämt,  der  ist  gar  in  ungeiverlichcr  gevenenisse.  Unde  heizet 
der  ban;  Iw.  6288  doch  ivdrens  unervaret.  im  ivart  al  umbe  genigeu, 
und  Hexen  ir  werc  ligen;  5073  fehlt  bei  und  viel  von  der  sweere  das 
subjeet  er,  das  aus  vorangehendem  im  506!*,  in  5070  zu  entnehmen  ist: 
Er.  6528  onch  verwiwen' \  im  genuoge  under  stniu  ougen,  die  andern 
retten 'x  tougen,  ex  weere  toerltch  getan  und  miiJitc':  gerne  laxen  hän. 

In  einem  aus  haupt-  und  nebensat/c  bestehenden  Satzgefüge  kann 
das  subjeet  in  einem  teile  fehlen,  wenn  der  andere  es  im  casus  obliquus 


L54  BAED1 

enthält;  doch  ist  *f t*-s«'  Fügung  nichl  häufig,  [eh  könne  folgende  bei- 
spielo:  1.  Der  hauptsatz  ergib!  'Ins  subjeet:  Wh.  303,  2  dem  werden 
nie  gexam  da%  ü%  prtse  träte;  Pz.  52,  7  si  enpfiengen  von  im  ir  laut, 
als  iesUchen  an  gt  loch;  Erec  !»-"><>{.i  wie  mühte  diu  geselleschaß  haben 
dehemer  liebe  kraß  under  man  und  under  wibe,  dd  rtiwan  mit  dem 
Übe  8chtnent  gesellen  guot;  Wa.  59,  35  wie  sol  man  gewarten  dirf 
Welt,  ivilt  also  winden  dich  (oder  wilt  wüte?).  Der  nebensatz  ent- 
hält das  subjeet:  Pz.  334,8  swax  in  <l<)  wart  xe  teile,  dax  haben  Uhu 
minen  hax.  Hierher  gehört  die  stelle  des  Wh.,  von  der  wir  ausgiengen: 
39,  26  got,  sit  du  verbünnes  Qyburge  minne  mir,  —  so  ni/m  den 
trdst  xe  dir.  Ebenso  Hartm.  2.  büchl.  806  und  si  dax  ich  ouch  ir  be- 
hage, dar  nach  vähe'x  mit  mir  an;  Trist.  10  760  swenn'  ich  in  den 
sende  dar,  so  rilen  her  xe  hove  xe  mir;  Wa.  116,  1  habe  ir  iemen  iht 
von  mir  gelogen,  so  beschouwe  mich  bax;  MS.  I,  181b  Verliese  ab  ich 
ir  hulde  da,  so  si  verlorn;  I,  124  1)  miner  ougen  tougenlichex  sehen, 
dax  ich  xe  boten  an  si  senden  muox,  dax  neme  dur  got  von  mir  für 
ein  riehen;  Berth.  II,  272,  8  so  alle  Hute  teil  an  dir  habent,  so  soll  h ■  il 
an  dir  selben  haben.  Ganz  vereinzelt  steht  der  nebensatz  mit  dem 
casus  obliquus  an  zweiter  stelle:  Wa.  99,  31  nü  hüeten  swie  si  dunke 
guot.  Hier  sind  auch  die  relativsätze  zu  erwähnen,  in  denen  sich  ein 
casus  obliquus  auf  das  fehlende  subjeet  des  vorangehenden  hauptsatzes 
bezieht:  Pz.  103,  21  dö  sprach  an  dem  was  tumpheit  schin;  132,  28 
dd  kom  von  de?n  ich  sprechen  wil;  148,  29  sus  wart  für  Artusen 
brulit  an  dem  got  Wunsches  het  erdäht.  Abgesehen  von  diesen  relativ- 
sätzen  und  der  stelle  aus  Wh.  enthält  der  hauptsatz  den  conjunetiv. 

Die  sätze  stehen  auch  hier,  bei  Hartman  und  Gotfrid,  nicht  immer 
unmittelbar  neben  einander:  Iw.  2020  swä  ich  gevolget  ir  bete,  dax 
emvart  mir  nie  leit,  und  hat  mir  ouch  nü  war  geseit;  3279  sin  salsc 
was  diu  hungernot,  diux  im  briet  unde  söt,  dax  ex  ein  süexiu  speise 
was,  und  wol  vor  hunger  genas;  vgl.  2674  fgg.;  Greg.  3755  swie  gröx 
und  sivie  sivcere  miner  Sünden  last  ivcere,  des  hat  nü  got  vergexxen, 
und  hdn  alsus  besexxen  disen  gewalt;  Trist.  1599  sit  dax  ir  xe  trdst 
uns  allen  komen  sit  unde  iueh  got  tvider  gesendet  hat,  so  sol  es  alles 
iverden  rat,  unde  mugen  vil  harte  tvol  genesen. 

Wir  betrachteten  bis  jetzt  solche  fälle,  wo  das  fehlende  subjeet  in 
einem  anderen  Satzteile  vorhanden  und  dem  leser  oder  hörer  gegen- 
wärtig ist.  Nicht  ganz  selten  aber  liegt  die  sache  so,  dass  das  fehlende 
subjeet  zwar  aus  dem  zusammenhange  sich  ergibt,  aber  nicht  ausdrück- 
lieb genannt  ist,  eine  freiheit,  deren  sich  besonders  Hartman  und  Berthold 
bedienen,  während  sich  bei  Wolfram  keine  belege  dafür  finden. 


BBITEÄ&E    ZFK   3IHD.  SYNTAX  155 

Auf  einen  imperativ  (ohne  elu,  ir)  kann  die  2.  pers.  des  indicativs 
oder  conjunctivs  ohne  fürwort  folgen.  So  folgt  Iw.  5120  auf  eine  reihe 
von  imperativen  und  sult  im  des  genäde  sagen;  Brec  4447  enpfäch 
mich  xe  man  und  ivixxest;  Wa.  91,  28  wirp  nach  herzeliebe;  da  ge- 
winnest an  (oder  gewinnest  =  gewinneste?).  Berth.  I,  35,  23  slahex  — 
finde  soll;  74,  33  nü  bringet  im  nü  zivirunt  alse  vil  hin  wider  als  er 
iu  in  die  secke  stiex,  unde  habet  im  da  mite  gebüezet;  183,  38  losue, 
rar  hin  unde  rieh  mich;  darauf  folgt,  mit  Wechsel  des  numerus,  nach 
mehreren  Zwischensätzen  184,  4  unde  sult  üf  sie  varn. 

Bei  Hartman  und  Gotfrid  kommt  ferner  vor,  dass,  wenn  von 
mehreren  personen  die  rede  war,  ein  nachfolgendes  verbum  im  plural 
ohne  subjeetspronomen  sie  zusammenfasst:  Iw.  6492  dar  vuorte  sin  bi 
der  haut,  und  säzen  zuo  einander;  6875  diu  totste  in  die  rehten  wege, 
und,  vunden;  Trist.  4334  vil  liepliehe  satt  er  in  xe  sich  an  sine  siten, 
unde  griffen  an  ir  meere  wider;  9760  ich  wil  nach  miner  tohter 
gän,  und  komen  ouch  ie  sä  wider,  wir  zwo;  18946  den  ivorten  (unter 
der  bedingung)  daz  er  in  verzech,  unde  versigelten  ouch  daz;  vgl.  auch 
11925  unde  begunden. 

Die  freiheit  in  der  auslassimg  des  subjeets  geht  jedoch  weiter;  es 
ist  zuweilen  nur  aus  dem  zusammenhange  zu  erschliessen.  So  folgt 
Nib.  104  auf  das  gespräch  Hagens  mit  Günther  über  Sivrit  des  königs 
wort  nü  si  uns  willekomen;  Trist.  9574.  15003  schliesst  sich  und  seite 
an  längere  directe  rede.  Auf  das  gespräch  zwischen  Iwein  und  Lunetens 
anklägern  folgt  Iav.  5307  sus  sint  diu  ivort  hin  geleit,  und  wurden  '.' 
strite  gereit.  Im  Erec  wird  erzählt,  wie  Erec  dem  aus  den  bänden 
zweier  riesen  geretteten  ritter  befiehlt  an  Artus'  hof  zu  gehen,  dann 
heisst  es  5698  ditz  gelobt  er  unde  schieden  sich.  Gawein  berichtet  von 
dem  durch  gegenseitiges  erkennen  beendeten  Zweikampfe  zwischen  ihm 
und  Iwein  und  fährt  fort:  7616  dö  im  min  nenne  wart  erkauf,  dö 
nanter  er  sich  sei  und  rümte  vlentschaft  da,  und  gehellen  iemer  mir 
in  ein;  das  zu  gehellen  zu  denkende  wir  ergibt  sich  aus  dem  Zusammen- 
hang; vgl.  über  die  stelle  Grimm  s.  216. 

Über  Berthold  insbesondere  ist  noch  zu  bemerken,  dass,  wenn 
seine  rede  der  des  gewöhnlichen  lebens  ähnlich  war,  in  dieser  die  aus- 
lassimg des  aus  dem  Zusammenhang  sich  ergebenden,  aber  nicht  aus- 
drücklich namhaft  gemachten  subjeets  noch  häufiger  war  als  bei  den 
dichtem.  Einige  bezeichnende  beispiele  aus  den  predigten  mögen  Iiut 
noch  angeführt  werden:  I,  436,  37  diu  ander  Sünde  heizet  ketzerte. 
Unde  gloubeut  (die  ketzer)  alle  sinnt  ungltch;  in  einer  rede  über  das 
verhalten  gegen  das  gesinde  heisst  es  90,  :!!»  unde  sult  in  gar  geuuoc 


156  ■!     ZI  H    USD 

x'exxen  geben;  die  herrschafi  isl  vorher  nicht  angeredel  I39a  13  ist  von 
Judas  die  rede,  des  en  nanu:  aber  Im  vorhergehenden  satze  nichi  sub- 
jcct  ist:  ild\  half  alle*  niht,  muh  verlcoufte  u  jungest  den  prediger 
umbe  drtxec  'Pfenninge;  L46,  25  so  behieltest  du  dtne  triuwe,  und* 
(das  halten  der  treue)  wcere  den  Muten  nütxelteh.  Von  Salomos  söhne 
heissl  es  152,  10  dd  hete  er  tumbe  rätgeben,  dann  folg!  eine  rede  der 
rätgeben,  darauf  Unde  volgete  den  tumben  rätgeben.  Besonders  kühn 
ist  die  auslassung  207,  13:  wü  balde  an  starke  buoxe,  oder  an  den 
grünt  der  helle!  Unde  wirt  danne  xe  schänden,  nämlich  der,  der 
sich  der  busse  nicht  unterzieht1.  Auf  eine  andere  eigentümlichkeil 
Bortholds  ist  oben  schon  hingewiesen:  die  auslassung  (h->  subjeete 
bei  ihm  fast  durchweg  an  unde  geknüpft;  die  wenigen  stellen,  wo  der 
subjectlose  satz  durch  oder,  sd,  wan  eingeleitet  wird,  wurden  oben  er- 
wähnt Daher  kommt  es  bei  ihm  kaum  vor,  dass  das  fehlende  subjeet 
aus  dem  hauptsatz  in  den  nebensatz  oder  umgekehrt  zu  ergänzen  ist: 
die  zwei  mir  bekannten  ausnahmen  I,  355,  12  ////  ge  als  ex  rniige  und 
II,  272,  8  so  alle  Hute  teil  an  dir  habent,  so  soll  teil  an  dir  selben 
haben  wurden  bereits  erwähnt. 


Es  hat  sich  ergeben,  dass  im  mhd.,  oder,  damit  ich  nicht  zu  viel 
sage,  in  der  spräche  der  von  mir  ausgezogenen  quellen  das  fehlen  des 
subjeetpronomens  ohne  einfluss  der  Umgebung  auf  wenige  fälle  be- 
schränkt, unter  solchem  einflusse  aber  und  in  mannigfaltigen  satz- 
verhältnissen  sehr  verbreitet  ist.  Zugleich  haben  wir  gesehen,  dass  der 
gebrauch  der  mhd.  dichter  und  Schriftsteller  keineswegs  in  allen  dingen 
übereinstimmt. 

1)  Vgl.  auch  was  oben  über  den  Wechsel  in  numerus  und  person  in  coordi- 
nierten  Sätzen  bei  Berthold  gesagt  ist. 

ERFURT.  E.  BERNHARDT. 


SCHACHNER,    BAS    DOEOTHEASPIEL  157 


DAS  DOEOTHEASPIEL. 


Die  heilige  Dorothea  wurde  in  alter  zeit  eifrig  verehrt  und  ihr 
festtag,  der  6.  februar,  gab  zu  mancherlei  gebrauchen  veranlassung. 
In  Deutschböhraen  heisst  ein  Sprüchlein:  „Sanct  Dorothe  bringt  den 
meisten  schnee",  und  ehemals  gieng  der  cantor  mit  seinen  schülem 
von  haus  zu  haus,  sang  von  der  hl.  Dorothea  und  erhielt  dafür  eine 
geldgabe1,  wie  das  in  czechischen  gegenden  heute  noch  üblich  ist2. 
Das  Augustinerkloster  in  Prag  besitzt  eine  vielbesuchte  Dorotheakapelle. 
Auch  in  Wien  gab  es  an  diesem  tage  ehedem  festlichkeiten;  die  Doro- 
theenkirche  und  die  Dorotheengasse  im  centrum  der  stadt  erinnern 
daran.  In  Eisenerz  wurde  die  heilige  von  den  berglenten  verehrt:  im 
Dorotheenstollen  wurde  vor  zeiten  der  erzklumpen  mit  dem  wunder- 
baren bildnisse  gefunden,  der  in  der  kapeile  neben  dem  Barbarahaus 
ausgestellt  ist.  Solche  nachweise  Hessen  sich  mit  geringer  mühe  auch 
aus  anderen  gegenden  bringen,  uns  kann  aber  der  angedeutete  zug 
von  nord  nach  süd  hier  genügen. 

Der  bericht  über  das  standhafte  bekenntnis  unserer  heiligen,  die 
grausamen  martern  und  ihren  glorreichen  tod  wurde  in  der  zeit,  da 
die  Vorliebe  für  legenden  blühte,  fleissig  abgeschrieben3.  Viele  ab- 
schritten gehen  auf  die  sog.  Legenda  aurea4,  zurück,  doch  trifft 
man  auch  längere,  abweichende  fassungen,  die  in  dem  legenden- 
werk  des  Surius5  und  in  den  Acta  sanctorum  des  Bolandus0  verwertet 
werden. 

Auch  die  mittelalterliche  dichtung  hat  sich  dieses  Stoffes  bemächtigt 
und  ihn  in  deutsche  verse  umgeschrieben.  Zu  den  ältesten  bis  jetzt 
bekannten  versifikationen  der  Dorothealegende  gehören  wol  die  bruch- 
stücke  aus  dem  14.  Jahrhundert,  welche  Diemer  veröffentlicht  hat7.  Die 
meisterdichtung  ist  durch  Michael  Schrade  vertreten,  der  in  25  Strophen 

1)  v.  Reiusberg-Düringsfeld,  Festkalender  aus  Böhmen  18G2,  s.  44. 

2)  Sobotka,  Feste  und  brauche  der  Slaven.  Ost. -ung.  monarchie  in  wort  und 
bild.     Bd.  Böhmen  s.  440. 

3)  Nur  gelegentlich  sei  erwähnt,  dass  die  handschriftenabteiluug  der  stifts- 
bibliothek  in  Kremsmünster  (Oberösterreich)  drei  solche  legenden  enthiüt:  cod.  3,  31. 
81,35  und  84,8. 

4)  Legenda  Sanctorum  (sive  legenda  Lombardica)  Jacobi  de  Voragiue,  Add.  CVYI1. 

5)  Laur.  Surius,  De  probatis  sanctorum  historiis.     Köln  1570. 
0)  Acta  sanctorum.     Febr.  tom.  1.  pag.  771  —  776. 

7)  Kleinere  beitrüge  zur  älteren  deutschen  Spruche  und  Literatur  TL  Wiener 
sitz.- ber.  XL  s.  43fgg.  —  Eine  reihe  anderer  gereimter  Dorotheeulegendon  weisen  z.  b. 
Vogt  und  Jellinghaus  nach  in  Pauls  Grundriss  11  s.  362  und  s,  122. 


158  I  ii  \'  RKRH 

die  legende  von  St.  Dorothea  „in  der  prieflfweis"  besingt1.  Blume  hat 
in  jüngster  zeit  eine  anzahl  lateinischer  Lieder  de  sancta  Dorothea  zu- 
meist uns  dem   XV.  Jahrhundert  veröffentlicht2. 

Ks  ist  daher  nichl  zu  verwundern,  da--  sieb  auch  das  geistliche 
Schauspiel  ''inen  stoff  nichl  entgehen  liess,  der  eine  reihe  von  bildi  ra 
und  scenen  zur  aufführung  darbot.  Tatsächlich  gehört  das  martyrium 
der  hl.  Dorothea  neben  dein  der  hl.  Katharina  zu  den  ältesten  legen- 
darischen Stoffen,  die  dramatisch  behandelt  worden  sind.  Über  auf- 
führungen  haben  wir  mehrfache  berichte.  Aufzeichnungen  im  Bautzener 
rathause  melden  folgendes8:  „Am  8.  februar  1413  gab  der  rector  scholae 
wie  alle  jähre  am  Sonntag  vor  Dorothea  mit  consens  des  domstiftes  und 
rats  mitton  auf  dorn  markte  eine  Comoedie  de  Passionc  S.  Dorothea. 
Als  das  spiel  fast  über  die  hälfto  war  und  der  vorwitzige  pöbel  in 
grosser  menge  bey  dem  seigerthurrae,  auf  dem  thum  oder  markte,  auf 
der  gewandladen  Ziegeldach  gestiegen  war.  so  brach  es  mit  den  leuten 
ein,  und  stürzte  ein  stück  ziegelmauer  herunter,  dass  über  30  personen 
erschlagen  wurden,  die  man  folgendes  tags  mit  grossem  weinen  und 
weliklagen  begrub.  Viele  waren  sehr  beschädigt,  viele  blieben  an  bänden 
und  fassen  lahm."  Die  bemerkung  „wie  alle  jähre  am  sonntag  vor 
Dorothea"  zeigt,  dass  diese  aufführungen  1413  schon  ganz  eingebürgert 
waren.  Grosser  anziehungskraft  scheint  sich  das  Dorotheaspiel  auch  in 
manchen  teilen  Böhmens  erfreut  zu  haben.  Gradl '  weist  aus  den  aus- 
gabebüchern  der  stadt  Eger  seit  dem  jähre  1455  nach,  dass  fast  all- 
jährlich am  Dorotheentage  die  schüler  (lehrkinder)  in  der  stadt  herum- 
giengen  und  von  dem  rate  und  wol  auch  vor  den  bürgerhäusern  unter 
anleitung  des  lehrers  ihre  lieder  über  die  hl.  märtyrerin  sangen.  Vom 
jähre  1500  an  wurde,  allerdings  in  grösseren  Zwischenräumen,  in  Eger 
ein   ausführliches  Schauspiel  gegeben.     Das  stück  wurde  auf  dem  rat- 

1)  In  der  Heidelberger  handschrift  cod.  392,  die  vor  1481  geschrieben  wurde. 
Das  Inhaltsverzeichnis  bei  Bartsch,  Meisterlieder  der  Kolmarer  handschrift.  Lit. -ver. 
LXVIII  s.  144. 

2)  C.  Blume,  Pia  dietamina.  6.  folge  (1899)  bringt  s.  72fgg.  sieben  lieder,  und 
liturgische  prosen  des  m.  a.  4.  folge  (1900)  s.  180  zwei  lieder  (=  bd.  XXXIII  und 
XXXIV  der  Analecta  hymnica  medii  aevi  von  Blume  und  Dreves). 

3)  Aus  K.  v.  "Weber,  Archiv  f.  d.  sächs.  geschichte  IV.  s.  115 fg.  Der  heraus- 
gebe! merkt  dazu  richtig  an:  „Der  sonntag  vor  Dorothea  war  nicht  der  8.,  sondern 
der  5.  februar  1413. "  Jedenfalls  liegt  der  unrichtigen  angäbe  nur  ein  Schreibfehler  zu 
gründe.  Goedeke,  Grundriss  -I.  321  bringt  dafür  nach  Flegel,  Geschichte  der  komischen 
literatur  IV.  290fg.  die  zweifellos  irrtümliche  Jahreszahl  1412.  —  Vgl.  Creizenach, 
Neueres  drama  1 ,  129.  233. 

4)  H.  Gradl,  Deutsche  volksaufführungen.     (Prag  1895)  s.  21  und  27. 


DAR    DOROTIIEASPIEI,  159 

hause,  vielleicht  auch  in  der  schule,  von  den  lateinschülern  unter  mit- 
wirkung  von  anderen  bürgerssöhnen  zur  darstellung  gebracht,  zum 
letztenmale  im  jähre  1544.  Leider  hat  sich  von  diesen  oder  ähnlichen 
spielen  kein  text  in  deutscher  spräche  erhalten.  Ich  zweifle  aber  nicht, 
dass  sie  in  ihrer  einfachsten  form  solchen  in  czechischen  nachbargegenden 
ähnlich  gewesen  sein  werden,  von  denen  sich  noch  spuren  auftreiben 
lassen.  So  bestand  z.  b.  in  der  umgegend  von  Taus  in  Westböhmen 
bis  in  die  letzten  decennien  der  brauch,  am  Dorotheatage  vor  den 
häusern  ein  dramatisches  wechselgespräch  aufzuführen,  dessen  Wortlaut 
ich  hier  in  deutscher  Übersetzung  folgen  lasse1. 

Chor:         Liebe  Christen! 

Das  andenkeu  feiern  wir  hier 
Der  märtyrerin  Christi  des  herrn, 
Ein  vorbild  der  ganzen  Christenheit. 

König:       Du  grausamer  henker, 

Tritt  vor  den  kaiserlichen  vater: 

Gehe  hin  zu  Dorotheen, 

Sie  soll  sich  nicht  sträuben, 

Mich  zu  ihrem  gemahl  zu  erwählen! 

Ich  will  ihr  geben  silber,  gold  und  diamanten, 

Perlen  und  krönen  zu  füssen  ihr  legen. 

Henker:     Ach  meine  liebe  Dorothea, 

Dein  könig  Fabricius  schickt  mich  zu  dir 

Mit  einer  solch  schlimmen  künde, 

Die  aller  weit  wunderlich  ist: 

Du  sollst  dich  nicht  sträuben 

Als  gemahl  ihn  zu  erwählen ; 

Er  will  dir  geben  silber,  goid  und  diamanten 

Perlen  und  krönen  zu  füsson  dir  legen. 
Dorothea:  Die  ehrerbietung  habe  ich  bekommen. 

Wie  sich's  gebürt  zu  sinnen  genommen. 

Die  ehre  ist  mir  so  lieb  und  wert 

Als  ein  gestank  im  kothe. 

Ich  brauche  den  vater 

Nicht  zum  gatten  zu  nehmen, 

Noch  auch  zu  mir  zuzulassen. 

Ich  habe  meinen  lieben  im  himmel 

Und  auf  erden  meinen  herrn  nnd  vater, 

Dem  ich  leib  und  soele  ergebe 

Aus  ganzem  herzen  mein. 

1)  Die  nachricht  hierüber,  sowie  die  beifolgende  wörtliche  Übersetzung  ver- 
danke ich  der  liebenswürdigkeit  des  hochw.  priors  P.  Mothod  Mühlstein  in  Taus;  er 
hat  sich  den  text  von  leuten  dictieren  lassen,  die  selber  noch  an  solchen  auff&hrungen 

mitgewirkt  haben. 


160  BOHAI 

Henker:    < »  ihr  henkerskuechte 

Beid  ihr  bereit'.-' 

Nehme!  dieses  weih, 

Schlagt  ihr  den  köpf  herab 

Zu  dieser  zeit! 
Chor:        ( •  weh,  o  wehe! 

Boret  ihr  leute  eine  kleine  wedle 

Von  der    chönen  Jungfrau  Dorothi  i 

Königin  wollte  sie  nicht  werden, 

Lieber  bitteren  tode     b  ; 
Henker:    Stellet  eueh  zur  seite,  leute, 

l»;iss  ich  mit  dem  achwerte  ■•in. ■!!  hieb  eueb  nich!  gebe: 

Strecke  deinen  hals  hübsch  weit, 

Damit  ich's  meisterhaft  abtue! 
Chor:        Stebe  auf,  du  heilige  Dorothea, 

Welche  geköpft  wurde. 

Von  den  heiligen  engein  in  den  himmel  getragen ! 

Dem  könig  wollte  sie  nicht  gehorchen, 

Lieber  den  bitteren  tod  erleiden. 

Also  drei  personen  mit  chor;  Dorothea  war  weiss  gekleidet,  dei 
henker  im  roten  mantel  schlug  ihr  am  Schlüsse  mit  seinem  hölzernen 
türkensäbel  eine  papierkrone  vom  haupte.  Offenbar  stürzte  dabei  die 
darstellerin  zusammen,  um  die  täuschung  vollständiger  zu  machen,  und 
nachdem  sie  sich  wider  erhoben  hat,  weist  der  chor  auf  sie  als  eine 
heilige  des  himmels  hin.  Der  text  leitet  im  ganzen  wie  in  einzelnen 
ausdrücken  auf  die  Legenda  aurea  als  entfernte  quelle  hin.  „Dorothea- 
gehen" heisst  dieser  brauch,  der  uns  wie  unser  „sternsingen"  freundlich 
anmutet.  Ein  ähnliches  spiel  hat  sich  aus  der  gegend  von  Nachod  in 
Ostböhmen  erhalten1;  doch  ist  hier  der  text  viel  formelhafter  und  farb- 
loser geworden,  die  handlung  spielt  sich  nicht  vor  unsern  äugen  ab, 
sondern  der  chor  übernimmt  die  berichterstattung.  Auch  in  Mähren 
gab  es  dergleichen.  Feifalik  hat  uns  eine  reiche  auslese  —  zehn  stück 
—  hinterlassen,  alle  in  czechischer  spräche2.  Die  kürzeren  daraus 
gleichen  ganz  dem  obigen  typus,  die  längeren  unterscheiden  sich  nicht 
etwa  durch  reichere  handlung,  sondern  durch  mehr  worte;  die  auftrage 
an  die  boten,  ihre  ausführung,  die  antworten  und  drohungen  sind  in 

1)  Veröffentlicht  von  prof.  J.  K.  Hrose  in  der  Zeitschrift  Cesky  lid,  wie  mir 
ebenfalls  prior  P.  Method  Mühlstein  freundlichst  mitteilt.  —  Solche  spiele  hat  wol 
Eeinsberg  a.  a.  o.  s.  45  im  äuge,  wenn  er  behauptet,  „dass  auf  dem  lande  und  in 
mehreren  Augustinerklöstern  Böhmens  noch  in  unserem  Jahrhundert  Dorotheenspiele 
aufgeführt  worden  seien."  In  deutscheu  [gegenden  sind  alle  meine  nachfragen  er- 
folglos gehlieben. 

2)  J.  Feifalik,  Volksschauspiele  aus  Mahren,  Olinütz  1864  s.  81— 166. 


DAS    BOROTHEASPEBL  161 

die  länge  gezogen.  Doch  ist  fast  überall  die  bekehrimg  und  das 
martyrium  des  Theophilus  angefügt,  und  in  den  meisten  wird  am 
Schlüsse  der  grausame  konig  vom  teufel  geholt.  Eine  wichtige  aufgäbe 
scheint  es  dabei  gewesen  zu  sein,  teufel  und  henker  dem  publikum  in 
derbkomischer  weise  vorzuführen ;  trinken,  spielen  und  lästerliche  schimpf- 
worte  sind  die  beliebtesten  hilfsmittel. 

Im  jähre  1507  liess  Chilian  Reuter  (Eques)  aus  Wittenberg  seine 
lateinische  Comedia  gloriose  'parthenices  et  ruartiris  Dorothee  drucken1, 
die  allerdings  von  dem  künstlerischen  vermögen  des  Verfassers  ein  recht 
trauriges  Zeugnis  gibt.  Die  technik  ist  höchst  unbeholfen,  der  Übergang 
zu  neuen  scenen  unvermittelt,  und  widerholt  wird  die  gegebene  läge 
gar  nicht  ausgenützt.  Der  äussere  verlauf  schliesst  sich  an  die  Legenda 
aurea  an  und  wird  in  fünf  acte  eingeteilt;  die  spräche  ist  ungeniessbar, 
hochtrabend  und  mit  vielerlei  gelehrtem  aufputz  versehen.  Der  Ver- 
fasser sucht  hiermit  seine  Vorbilder  im  renaissancedrama  nachzuahmen, 
vermag  sie  aber  nicht  zu  erreichen;  denn  er  verfügt  nur  über  den 
gleichen  dunkel,  keineswegs  aber  über  ähnliche  fähigkeilen.  Für  uns 
ist  das  stück  nur  von  wert  als  beweis  für  die  beliebtheit  des  Dorotheen- 
stoffes  auf  sächsischem  gebiete. 

Einen  interessanten  beleg  für  deutsches  spiel  gibt  uns  noch 
Joachim  Greff,  der  lutheraner  aus  Zwickau,  der  das  Dorotheenspiel  an 
wert  und  Wirkung  gleich  neben  die  passionsspiele  stellt.  Er  schreibt2: 
„.  .  .  Vnd  ist  kein  spiel  so  klein  noch  so  geringe  /  man  kan  vnd  sol 
was  daraus  lernen  /  wie  man  sich  hüten  sol  /  itzt  für  hurerey  vnd  vn- 
züchtiger  lieb  /  itzt  für  fressen  /  sauffen  /  spielen  /  vnd  dergleichen  /  alles 
zu  vnser  besserung.  Also  auch  vnser  lieben  vorfahren  habens  gut  ge- 
meinet vorzeiten  /mit  dem  spiel  der  passion  /  wollen  vns  zu  andacht  vnd 
fromigkeit  reitzen.  Dergleichen  auch  andere  mit  S.  Dorotheenspiel/ 
darinn  sie  halten  angezeigt  vnd  zuuerstehen  geben  wie  wir  vns  mit 
nichte/vnd  durch  keinerley  weise  von  Gott/odder  von  seinem  Gött- 
lichen worte  vnd  seiner  liebe  /  wedder  durch  Verfolgung  odder  einige 
trübsal  solten  lassen  abwende  /  gleichwie  die  heilige  Dorothea  gethan  / 
die  ir  leib  vnd  leben  lieber  vmb  Christi  vnd  seines  worts  Avillen  ver- 
lieren hat  wollen  /  den   das  sie  die  Abgötter  soll   angebetet  haben     \nd 

1)  ChUiani  Equitis  Meilerstal ini  Comedia  gloriose  parthenices  et  martiris 
Dorothee  agoniam  passionemque  depingens  .  .  .  Am  Bchl.:  Impressum  LiptzeK  per 
IJaccalarium  Wolfgangum  Monacensem  anno  M.  CCCCCvij.  —  Vgl.  hierzu  Creizenach, 
Neueres  Drama  II.  s.  r>:{  fg. 

2)  In  der  vorrede  zu  seiner  Übersetzung  der  Aulularia  des  Plantus  Magde- 
burg 1535. 

ZEITSCHRIFT    F.    DEUTSCHE    PHILOLOGIE.       BD.   XXXV.  11 


1 02  i  rrsTi? 

\ < . 1 1  (iutt   Boli   Bein   abgefallen.     Solch    ein  spiel    ist   auch  gewesen   von 
des  heiligen  Johannis  des  tauffers  enthaubtung     vnd  viel  andere  mehr 
wie  jederman  bas  weis     denn  ich  3agen  kan.     Alk- zu  vnser  besserung 
(habe   ich   gi  iches  gi  cbehen     beide  von  rnsen  rorfharen 

vnde  von  den  alten  klugen  weisen  leuten  poeten  vnd  allen  viel  andere 
Scribenten,  die  es  im  zwei  uel  f aal  gul  gemeinl  haben..."  Diese  stelle 
zeigl  im  vereine  mit  den  nachrichten  aus  Bautzen  and  Bgcr,  das«  die 
Verbreitung  des  Dorotheenspieles  auch  auf  deutschem  gebiete  keines- 
ringe  gewesen  sein  kann.  Da-  lateinische  ßchuldrama  des 
XVII.  Jahrhunderts  hat  unseren  stoff  noch  einmal  aufgegriffen,  wie  ich 
aus  einer  handschriftlichen  Sammlung  von  schulaufführungen  ersehe,  die 
in  der  stiftsbibliothek  zu  KremsmünsteT  aufbewahrl  wird.  Es  ><>\\  da- 
von weiter  unten  noch  die  rede  -ein. 

So  ist  es  ebenso  auffällig  wie  bedauerlich,  da--  trotz  der  beliebt- 
heit  i](^  Dorotheenspieles  nur  ein  einziger  deutscher  text  —  und  dii 
auch  nur  als  bruchstück  erhalten  ist.     Die  handschrift,  die  sich  im 

besitz  der  bibliothek  des  Benediktinerstiftes  Kremsmünster  befindet,  trägl 
den  titel  ,,Ludus  de  saneta  Dorothea"  und  ist  von  Hoffmann  von  Fallers- 
leben  in  seinen  „Fundgruben"  abgedruckt  worden;  ich  glaube  aber 
eine  neue  ausgäbe  des  stückes  mit  guten  gründen  rechtfertigen  zu 
können.  Einige  bemerkungen  über  die  handschrift  —  cod.  81  der 
manuskripten-abteilung  —  welche  das  stück  enthält,  will  ich  voraus- 
schicken. Über  die  herkunft  des  ganzen  bandes  wie  der  einzelnen  teile 
lässt  sich  leider  nichts  sicheres  feststellen.  Er  ist  nach  einer  inschrift 
auf  blatt  IIa  der  abtei  Kremsmünster  im  jähre  1440  vom  ursprüng- 
lichen besitzer  Johannes  Seid  de  Leubs  übergeben  worden;  der  spender, 
welcher  der  abtei  noch  andere  bücher  schenkte,  heisst  hier  lionorabiJis 
presbiter,  qui  habet  noMseum  fraternitatem  ei  anniversariwm  —  sonst 
ist  von  ihm  nichts  näheres  bekannt'-.  Das  buch  ist  ein  sammelband 
in  quart,  bis  auf  einige  pergamentblätter  durchweg  auf  papier  ge- 
schrieben, und  vereinigt  in  sich  eine  anzahl  verschiedenartiger  bestand- 
teile,  im  ganzen  41   nummern.     Schon  die  zuweilen  stark  abweichende 

1)  Aus  neuerer  zeit  mag  hier  erwähmmg  finden:  S.  Dorothea.  Legendi  in 
zwei  aufzügen,  aus  der  Sammlung  „Religiöse  Schauspiele  für  mädeherr  von  "Wilhelm 
Pailler,  Linz  1877. 

2)  Ein  Johannes  Seid  war  1422  und  1428  rector  der  Wiener  Universität  und 
auch  sonst  eine  hervorragende  persönlichkeit .  s.  Aschbach,  Geschichte  der  "Wiener 
Universität  I  s.  2dl  fg. ,  581  fg.  Er  hat  mit  unserem  Seid  kaum  etwas  zu  tun,  sonst 
wären  seine  titel  nicht  verschwiegen.  —  Eine  bürg  Leubs  stand  in  Niederösterreich 
am  linken  Donauufer;  sie  ist  zu  beginn  des  15.  Jahrhunderts  zerstört  worden. 


DAS    DOROTHEASPIEL  163 

grosse  der  einzelnen  lagen  deutet  auf  die  willkür,  mit  der  hier  ganz 
ungleiche  elemente  von  einer  sorgsamen  hand  unter  eine  hülle  ge- 
bracht und  so  vom  Untergang  gerettet  worden  sind.  Auch  der  einband 
stammt  aus  dem  15.  Jahrhundert;  er  besteht  aus  zwei  starken  holz- 
deckeln,  die  mit  weissem  rauhen  leder  überzogen  sind;  auf  der  vor- 
deren aussenseite  ist  ein  beschriebenes  papierblatt  aufgepresst,  das 
eine  inhaltsangabe  oder  widmung  enthalten  mochte,  heute  aber  nicht 
mehr  zu  entziffern  ist. 

Ich  kann  diese  gelegenheit  nicht  vorübergehen  lassen,  ohne  auch 
hier  noch  dankbar  der  bereitwilligkeit  zu  gedenken,  mit  der  mich  der 
nunmehr  verewigte  bibliothekar  P.  Hugo  Schraid  bei  der  arbeit  unter- 
stützt hat.  Er  hat  mir  nicht  nur  seine  privatnotizen  über  die  hand- 
schriften  bedingungslos  zur  Verfügung  gestellt,  sondern  ist  mir  auch 
widerholt  bei  der  entzifferung  zweifelhafter  lesungeu  mit  seiner  reichen 
erfahrung  zur  seite  gestanden. 

I. 

Hoffmann1  behauptet  in  seiner  ausgäbe  s.  285:  „Das  deutsche 
spiel  von  der  hl.  Dorothea  ist  nur  noch  vorhanden  in  einer  schlechten 
papierhandschrift  des  14.  Jahrhunderts.  Die  Schreibung  der  hs.  musste 
ich  aufgeben,  sie  ist  gar  zu  fürchterlich.'-  Dem  muss  ich  widersprechen. 
Ich  bin  vielmehr  der  Überzeugung,  dass  Hoff  mann  die  landschaftliche 
färbung  der  spräche  nicht  verstanden  und  darum  alles,  was  wir  als 
eigentümlichkeit  des  dialektes  erkennen,  für  fehler  gegen  die  sprach- 
liche reinheit  gehalten  hat.  Dass  sich  auch  grobe  Schreibfehler  finden, 
ist  ja  nicht  zu  leugnen;  aber  Hoffmann  hat  das  gedieht  ohne  weiteres 
in  die  strengen  formen  der  sog.  mittelhochdeutschen  dichtersprache 
zurückübersetzt.  Damit  hat  er  der  spräche  gewalt  angetan  und  den 
leser  über  den  wahren  zustand  des  denkmales  im  unklaren  gelassen; 
ich  halte  darum  seinen  herstellungsversuch  nicht  für  „gerechtfertigt" 
sondern  für  verfehlt,  obwol  ich  gleich  ihm  der  Überzeugung  bin,  dass 
„das  gedieht  viel  älter  sei  als  die  abschritt." 

In  der  schon  erwähnten  handschrift  bildeten  die  Matter  53  —  88 
ursprünglich  ein  ganzes,  das  aus  zwei  quaternionen  (hl.  515 — 60,  01  —  68) 
und  zwei  quinionen  (bl.  69 — 78,  79  — SS)  bestellt;  eine  fünfte  läge,  die 
wir  wegen  des  jäh  abgebrochenen  inhaltes  voraussetzen  müssen,  i>t 
leider  schon  vor  dem  binden  verloren  gegangen.     Die  Seiten  sind  durch 

1)  St.  Dorothea.     Hrsg.  1837  von  Hoffmann ,  Fundgruben  II.  284fgg.  —  Knien 

i'aesinnle-lichtdruck  der  ersten  seite  der  hs.  bringt  Na^l-Zeidler,  Deutsch  -  öster- 
reichische literaturgeschichte  I.  352. 

11* 


164  •     HM  lt 

zwei  parallele  verticale  mittellinien  in  je  zwei  spalten  geteilt,  rechts 
und  links  ist  der  räum  für  die  scbrif!  durch  ähnliche  Linien  abgegrenzt, 
die  etwa  1  cm  vom  rande  abstehen.  Für  die  einzelnen  seilen 
feine  horizontallinien  gezogen,  die  1 '  ,  mm  von  einander  entfernt  sind; 
die  eindrücke  der  zirkelspitzen,  mit  hilfe  deren  die  abstände  bemessen 
wurden,  sind  deutlich  sichtbar.  Jede  spalte  hal  auf  diese  weise  II 
/eilen  von  beiläufig  58  mm  breite. 

Diese  :;(i  blätter  (72  Seiten)  umfassen  inhaltlich  die  Dummem 
IG  —  22  des  bandes;  und  zwar  bildet  nr.  16  einen  commentar  zu  einem 
metrisch  grammatischen  tractat,  nr.  17  21  enthalten  leoninische  • 
verschiedenen  inhalts,  und  nr.  22  ist  unser  Dorotheaspiel.  Innerhalb 
dieses  gebietes  lassen  sich  deutlich  zwei  söhreiberhände  unterscheiden. 
Der  erste  Schreiber  hat  eine  feine,  zierliche  ichrift;  am  Schlüsse  des 
commentars  (endo  bl.  80°)  fügi  er  mit  grossen  lettern  an:  Anno  domini 
MCCCXXX.X  in  vigilia  Assumptionis.  Aul'  der  nächsten  seite  beginnen 
mit  schwärzerer  tiute  aber  von  derselben  sorgfältigen  und  reinen  hand 
geschrieben  die  sprüche,  jede  /.eile  bildet  einen  vers.  Von  bL  84"  sp.  1 
/eile  IT)  an  zeig!  sieh  eine  merkwürdige  änderung  in  der  Sicherheit 
der  schritt:  sie  wird  schwankend,  die  buchstaben  geraten  bald  grösser 
bald  kleiner,  und  nach  mehrfachen  ausätzen  gibt  der  Schreiber  die  arbeit 
auf  sp.  2  zeile  11  mit  dem  verse:  post  peccata  yudor,  post  balnea  sudor1. 
Nur  eine  zeile  bleibt  frei,  dann  setzt  eine  zweite  hand  die  abschritt 
fort  und  beschliesst  diese  versus  bl.  86a  sp.  2  mit  dem  Sprüchlein: 
femina  formosa  sine  moribus  est  odiosa.  Dieser  zweite  Schreiber  hat 
eine  grössere  und  stärkere  schritt,  wenngleich  er  sich  bemüht,  die  ge- 
nauigkeit  und  Sorgfalt  seines  Vorgängers  nachzuahmen.  Derselbe  Schreiber 
setzt  auf  der  nächsten  seite  (bl.  86''  1)  mit  dem  Ludus  de  sancta  Dorothea 
ein.  Aber  sei  es  nun,  weil  er  hier  kein  mustergiltiges  Vorbild  vor  äugen 
hatte,  oder  dass  ihm  das  deutsche  geläufiger  war  als  das  lateinische, 
man  merkt  sofort  eine  schnellere  Schreibart,  und  je  weiter  er  kommt, 
desto  eilfertiger  wird  die  schrift. 

Diese  beobachtungen  rechtfertigen  eine  mutmassung  über  die  zeit 
der  niederschrift  unseres  Stückes.  Der  erste  tractat  ist  am  14.  august 
L340   vollendet    worden"-.     Da  die   ausehliessendon  versus   leonini  keine 

1)  Demselben  Schreiber  gehören  im  bereiche  des  sammel bandes  noch  die 
bll.  36a  —  44a  an,  die  auch  in  bezug  auf  zeilenverteilung  genau  den  charakter  unserer 
blätter  an  sich  tragen. 

2)  Hoffmanns  bemerkung  zum  Dorotheaspiel:  „Von  derselben  hand  und  mit 
derselben  dinte  steht  einige  blätter  früher  die  Jahreszahl  anno  MCCOXXXX"  ent- 
spricht, wie  wir  gesehen,  nicht  den  tatsachen. 


DAS    DOROTHEASPIEL  165 

änderung  des  schriftcharakters  zeigen,  hat  die  Schreibarbeit  wol  ziem- 
lich unmittelbar  ihren  fortgang  genommen.  So  entstanden  acht  zwei- 
spaltige Seiten  in  durchaus  gleichmässiger  weise.  Die  folgenden  38 
zeilen  sind  in  verschiedenen  Zwischenräumen  geschrieben  und  end- 
lich musste  die  Vollendung  der  arbeit  einem  anderen  übergeben  werden. 
Aus  der  durchaus  gleichartigen  einteilung  der  Seiten  in  spalten  und 
zeilen  erkennen  wir,  dass  schon  der  erste  Schreiber  sämtliche  lagen 
des  paketes  zugerichtet  hat.  Es  lässt  sich  nun  kaum  eine  Ursache 
finden,  warum  der  zweite  Schreiber,  der  schon  die  Vollendung  der  versus 
leonini  besorgt  hatte,  allzulange  gewartet  haben  sollte,  die  vorbereiteten 
papierblätter  auch  auszufüllen.  Das  geschah  aber  mit  dem  Dorothea- 
spiele. Ich  glaube  daher  nicht  viel  fehlzugreifen,  wenn  ich  als  mög- 
liche und  wahrscheinliche  zahl  für  die  zeit  der  niederschrift  unseres 
Stückes  rund  das  jähr  1350  ansetze.  Schriftcharakter  und  spräche  stellen 
einer  solchen  annähme  kein  hindernis  entgegen. 

Da  uns  die  geschichte  der  handschrift  über  die  herkunft  dos 
Stückes  keinen  aufschluss  gibt,  sollen  im  folgenden  diejenigen  sprach- 
lichen erscheinungen  zusammengestellt  werden,  die  uns  vielleicht,  einen 
schluss  auf  den  dialekt  gestatten  werden.  Ich  schliesse  mich  dabei  zu- 
nächst ganz  an  Weinhold  an,  den  ich  in  besonderen  fällen  eigens 
citiere l. 

Die  starke  ahneigung  gegen  den  umlaut  erinnert  uns  an  den 
mitteldeutschen  schreibgebrauch,  dem  wir  auch  in  anderen  punkten 
begegnen '-'. 

J.  Vocale. 

a)  Kurze  vocale: 

a.  Dor  umlaut  nur  in  Heise  158,  almechtiger  L85;  kette  235;  unecht  in  den 
238,  wen  20,  43,  94,  148,  208,  254;  fremdes  e  in  sente  22. 

a  bleibt  in  sal,  salt  5,  83,  87,  97,  134,  153,  154,  158,  221,  253,  aber  wol : 
aol  20,  er  sol  224  (s.  Arndt  a.  a.  o.  s.  13).  Neben  dieser  md.  erscheiuuug  wird  a  zu 
o:  dor  128,  dorvon  215,  noch  55,  76,  84,  103,  107,  168.  L95,  wornoeh  73,  torstu  151, 
wie  übrigens  im  14.  und  15.  Jahrhundert  auch  auf  md.  gebieten  zu  finden  ist  (s. 
Arndt  s.  5). 

c  Altes  e  zähe  erhalten  in  brengen  81,  93,  126,  138,  162,  226,  233.  246  nach 
md.  Vorgang  (s.  Arndt  s.  17  fg.). 

md.  ei  für  e  begegnet  in  dy  reythe  40,  reyde  1-1,  130.  137.  ny/cs  L56  und 
bei  den  nasalierten  formen  geseynr  113,  Iceyn  (=  gegen)   151. 

1  Neben  Weinhold  erwähne  ich:  Wilmanns  Deutsche  grammatii  [2;  Behaghel, 
Geschichte  der  deutschen  spräche,  in  Pauls  Grundriss  der  germ.  philologie  1;  Arndt. 
Der  Übergang  vom  mittelhochd.  /um  neuhochd.  in  der  spraohe  der  Breslauer  kanzlei. 
Breslau  1898;  Zwierzina,  Mittelhochd.  Studien,  Zeitsohr.  f.  d.  alt.  bd.  44  und  45. 

-  Behaghel  a.  a.  o.  §  24  und  32. 


166  CHNEH 

Einen    ähnlichen    nachscl  eigen    heute    noch    die    nordböhmiscben 

<lia!r-k(o  {■/..  I».  um  Gablenz -Reiohonberg),  aber  auch  da    mil  and  andere 

österreichische  lokale  mundarten. 

/.  gtatl  i  schreibt  die  hs.  Behr  häufig  y  ohne  erkennbaren  unterschied.  Wie 
M,d.  wird  echtes  i  Irndt  B.  17 fg.)  hemilliache  112,  en  II»).  204 

222,  eren  254,  geleden  235;  zu  m  ///"■///  111. 

Die  m,|.   beliebte   bezeiobnung   di  ohwüchten   vocale  in   fiexion  -   and  ab- 

[eitungssilben  durch  i  ist  auch  hier  zu  finden,  ü  als  vor-  and  nachsilbe  irvaren  32, 
»rtwifeJ  63,  irfori  186,  203,  ü-wera  199,  ircxeyget  265,  KrfemJ  2i;'.i:  adt'r  27,  73,  132, 
140,  227,  228,  230,  232,  245,  allirmeyst  164,  glichirwia  188,  //»//<///■  237,  wor<*r 
181,  191,  203,  oj»pÄ«r  81,  93,  roeMtr  202,  "W  65,  MfMtr  160,  180,  165,  vatir  59, 
volwundym  239;  diesen  24  Eällen  tehen  38  mit  ausgang  auf  -er  gegenüber,  t  vor  / 
in  erdenclossilin  146,  teuphil  252,  tempil  92,  edillem  1"  (edeler  113),  hemilich  55, 
hemillische  112.  Selten  ist  die  nachsilbe  -in:  cZmn  dingin : gelingin  10  i"1'  en 
dingen  -.beginnen  \),  gehabin:  sagen  100,  neben  einer  unzahl  von  formen  aui 
Vereinzelt  der  imperativ  *>/•/////  l.  das  particip  gewollit  75,  der  genitiv  ;/"//•.  L96, 
222.  Immer  das  neutrale  Personalpronomen  fc's  w  23,  26.  35,  108.  13'-'.  l  i 
Arndt,  s.  42). 

Diese  Schwankungen  beweisen  eine  dem  /  ähnliche  ausspräche  des  e,  die  auch 
durch  die  reime  wer  (hs.  m'):#er  72  (neben  gyr-.dir  101)  und  vativ.her  60  be- 
stätigt wird. 

Eine  Verdunklung  des  stammvocals  zu  ö:  bilumii  >  filmen  >  burnrn  zeigt 
die  form  r<>rht\r/ü  170  (dagegen  mrhmilr.  184). 

o.  Der  zwischen  o  und  ?<  schwebende  laut,  der  von  md.  Schreibern  durch  6' 
oder  />  bezeichnet  wird,  liegt  vor  in  ^//'  20.  121  (dagegen  24 mal  nu),  müget  19-4,  212 
(moget  107),  lihi-.sii/i  196  (////  168),  Mn^re  149  (Aonic  149);  ferner  in  den  reimen 
blümen :  eomen  22,  vornumen  :  komen  122  neben  ronionien:  komcit  138,  230,  " //- 
komen  :  rro/nn).  140.  Schwanken  zeigt  sich  in  sufcfe  198,  210  und  .so/'/r  128,  KttV 
wwKen  200,  201,  200,  218  und  wol  wir  1!)."),  vurchten  161  und  »orAfe  38  (s.  Arndt 
s.  22  —  24).  Hierher  zu  rechnen  sind  vielleicht  auch  böte  (=  fass,  butte)  153.  174 
und  vorbax  69. 

Allgemein  md.  a  für  o  in  <f/>  ==  ob  36,  222.  227.  adir  =  oder  26,  27.  7:!. 
132,  140,  227,  228,  230,  232,  245  (s.  Arndt  s.  11  fg.).  Das  präfix  vor-  statt  ver-, 
md.  durchaus  festgesetzt  (s.  Arndt  s.  dl),  eise!'. 'int  liier  1 7  mal  •  allerdings  sind  in  der 
hs.  die  zeichen  o  und  e  einander  oft  sehr  ähnlich,  da  aber  o  in  überwiegender  mehr- 
zahl  sicher  steht,  hahe  ich  die  zweifelhaften  falle  als  o  gedeutet,  willon  76  neben 
willen  St  beruht  vielleicht  nur  auf  einein  irrtum  des  Schreibers. 

Dem  umlaut  von  o  ist  die  hs.  durchaus  abgeneigt  (s.  Arndt  s.  24fgg.),  wir 
linden  dafür  25  beispiele;  durch  die  Schreibung  Seh  154.  169,  175  ist  wol  dehnung 
des  o-  lautes  ausgedrückt. 

u.  Neben  der  masse  der  unumgelauteten  u  findet  sich  die  Schreibweise 
prüf  207  (vgl.  pruffen  255;  S.  Arndt  s.  29  fg.).  Eine  Verdunklung  des  unbestimmten 
vocals  zu  u  findet  sich  im  Präfix  %u  =  xer:  exubroehen  260,  xeuvhugen  258,  xeu- 
vleuget  266  (s.  Arndt  s.  42).  —  Darf  das  a  im  genetiv  exeychans  190  als  die  hellere 

1)  Im  Leben  der  hl.  Elisabeth  ed.  Rieger  (Lit.  ver.  XC  s.  31)  sind  die  formen 
beiste,  x/uhist  auch  in  unserem  sinn  aufzufassen. 

2)  Vgl.  Schönbach,   Mitteilungen  aus   altdeutschen    handsebriften  IV..    Wiener 

sitzber.  98  (1881)  s.  917. 


DAS    DOHOTHEASPIEL  167 

Variation  des  unbestimmten  vocals  der  nebensilben  betrachtet  werden ,  von  der  Wein- 
hold §  82  spricht?  (s.  Arndt  s.  42) 

b)    Lange   vocale   und   diphthonge. 

Die  laugen  sind  in  unserer  hs.  nie  als  solche  gekennzeichnet. 

d  zeigt  nach  md.  art  eine  starke  neiguug  zur  verdumpfung  (s.  Arndt  s.  6fgg.) 
i/o  etwa  ein  dutzendmal,  jo  183,  205,  238,  207,  brockt  30,  volbrocht :  macht  IG,  ge- 
docht  78,  gnade  13,  der  imperativ  lox  103.  loxen  217.  gebot:  spot  (=  spät)  108, 
host  219,  265  (hast  86,  186,  260),  got :  hot  156,  hot  203.  208  (hat  190,  191);  vgl. 
dazu  noch  on  117  neben  an,  ane  142,  241,  249  (s.  Arndt  s.  13). 

Umlaut  findet  sich  in  wenigen  fällen:  genedik  etc.  101,  186,  208,  257,  263, 
vorsme  146,  im  conjunctiv  were  35,  181  und  in  den  reimen  Eicer  :  mer  (=  maere) 
86,  mereihere  68,  -.gerne  120,  anbeten :  teten  (=  die  taten)  254. 

e  aus  ei  (im  14.  jh.  im  ganzen  md.  gebiet)  zeigt  sich  in  einigen  Überresten: 
hemilich  56,  hclggeist  (=  heiligen  geist)  63,  sei  (=  seil) :  urteyl  168;  wenn  wir  dieses 
e  nur  orthographisch  als  statt  des  hellen  d  stehend  auffassen,  das  üi  österreichischen 
dialekten  zunächst  den  umlaut  des  ä  bedeutet  (vgl.  Zwierzina  a.  a.  o.  44,  375 fgg.),  so 
würde  dies  auf  einen  österreichischen  Schreiber  hinweisen. 

Im  reime  here:eren  114  ist  die  alte  länge  von  herre,  her  in  der  aurede  er- 
halten (vgl.  zu  dem  Worte  Zwierzina  45,  19fgg.). 

Allgemein  durchgeführt  -ehe-  >  e  (auch  ee  geschrieben)  in  den  formen  von 
jehen,  sehen,  geschehen  u.  a. ;  auch  vorsme  146  (s.  Arndt  s.  15). 

t.  Nach  "Weinhold  §  107  findet  sich  md.  seit  dem  12.  jh.  zuweilen  ie,  'i  für 
lauges  l  geschrieben.  Spuren  dieses  gebrauches  scheinen  zu  sein  llp  176  {lybe  152) 
und  der  conjunctiv  sge  220,  227,  232  {sy  22);  hierher  gehört  auch  vortielgen  34 
(s.  Arndt  s.  20). 

Diphthongierung  des  l  zu  et  tritt  nur  in  dem  vereinzelten  meyner  130  zutage, 
sonst  ist  durchweg  %  geblieben  (s.  Arndt  s.  21  fg.).  Zu  glich  mit.  langem  i  im  reime 
rieh  : geglich  28  vgl.  Zwierzina  -15,  81  fgg. 

ö.  Starke  abneigung  gegen  den  umlaut  (s.  Arndts.  27):  in  den  zahlreichen  formen 
Min  huren,  schone  zeigt  sich  nie  oe;  im  reime  trost  :  irlost  186,  204;  hören:  toren  256. 

ü.  Umlaut  ist  nicht  belegt.  Die  md.  neigung,  auch  dem  ü  einen  unbestimmten 
laut  nachschlagen  zu  lassen  (Weinhold  §  120)  hat  sich  vielleicht  in  hat  178  erhalten. 

ei.  Der  reim  geist  :  allermeyst  61  ist  formelhaft  (vgl.  Zwierzina  11,  384). 
-age-  und  -ege-  zu  ag  und  eg  contrahiert,  erscheint  in  den  reimen  gesagt :  behayt 
124,  vnverexayt :  mayt  126,  gesagt :  mayt  226,  ferner  cristenheyt :  angeleyt  56.  Es 
reimen  also  ay  <  age  untereinander,  und  ey  <  ege  mit  altem  -heyt]  für  einen 
schluss  auf  den  dialekt  im  sinne  Zwierzinas  (44,  3 14  fgg.)  sind  diese  belege  zu  spärlich. 

on.  Die  eigentümliche  erscheinung,  dass  gerade  im  md.  seit  dem  ende 
J3.  jh.  der  umlaut  von  ou  in  wintern  erscheint,  in  denen  er  obd.  Dich!  zulässig  wäre, 
(s.  Weinhold  §128,  Arndt  s.  38),  finde!  in  unserer  hs.  Vertreter  in  geleubet  155,  ge- 
leuben  209  (gcloiibrn  164,  196,  200,  201,  270)  und  wetibernisse  219;  ebenso  in 
icuvletigen  258  und  icuvleuget  266  (wenn  diese  formen  von  mir  richtig  erschlossen 
sind).  Die  Schreibung  der  hs.  :cn  vlogen  und  tat  vlogz  ist  durchaus  verunglückt. 
Das  schwache  verh  vlouge  (mache  fliegen,  verscheuche)  isl  allerdings  selten,  von 
compositis  erwähnen  die  Wörterbücher  nur  ervlouge  (mache  auffliegen),  denn  ter- 
vlocke  (zerreibe  in  flocken)  kann  natürlich  nicht  in  betraeht  kommen.  IV 
braucht  man  aber  ein  xervlouge  (zertrümmere,   zerstäube  mit  gowalt)   nicht   für  an- 


|i;s  R<  ii  s'  ■ 

ich  zu  halten.     Füv  den  zusammen!)  auf 

.  yget  vei  Boffmaou  i  i  ab- 

leo  davon    da  -  die  transitive  I 
wird  dadaroh  der  reim  (wie   nirgends  im  gediente)  zerstört.     Graphisch  bi 
annähme  keine  Schwierigkeit:  der  seltene  ausdrock  wurde  vom  al 
-landen,  and  die  ähnliohkeil  der  zeiohen  e  and  o,  y  and  g  tal  das  übrige,  wenn 
eine  w  /-//'/'  "■    icuvleygt  t  enthielt. 

iu     -  md.  ii  (s.  Arndt  s.  31).     RegelmS  I   weh  und  zwar  für 

den  dativ  des  Personalpronomens  16,  112,   126,  225,  für  den  aecosativ  113,  114, 

lautei  im,,-  94;  da  momen  ewer  93  (aas  wo    nach  alle  zu 

ergänzen)  III.   IM».  125,  156,  164,  256.    Zam  dath  oueh  158  könnte  man  die  Wein- 
hold s.  105  anin.  angeführte   parallelstelle  aus    Br.  Philipps  Marienleben    1781 
gleichen,   wo  diphthongierung  des  /;  angenommen   wird;  ich   glaube  aber,    dass  die 
Partikel  oueh  157  einen  Schreibfehler   rerschuldet  hat. 

Wechsel  zwischen  u  und  o  i-t  vielleicht  in  hüh  (=  heute)  186  und  6>#- 
tegtvm   148  zu  erkennen. 

Im  übrigen  ist  stammhaftes  iu  zu  ew  geworden:  gebeut  113,  raewra  L84,  neun 
221,  225  (der  Schreibfehler  wen  221  wurde  durch  die  darüber  gesetzte  Ziffer  IX  gut 
gemacht)',  teupkil  252.  *«  in  der  adjectivflexion  ist  zu  e  geschwächt;  schonen?  181 
wurde  von  späterer  hand  ergänzt,  da  der  Schreiber  das  wort  ausgelassen  hatte. 

n.  Alle  ,V.  auch  die  aus  iu  gebrochenen,  sind  verschwunden  und  nach  md. 
brauch  zu  i.  i  vereinfacht  worden  (s.  Arndt  s.  18fg.).  So  ausser  den  zahlreichen  <hj. 
sl.  wi  noch  inj  235,  nimant  199,  253,  y  152,  238  (ye  237;.  all/i  10,  %  156,  247, 
257,  iehliöh  4;  &egr&4  169,  slixen :  begisen  154,  begysen :  bevlisen  176,  syde :  gelyde 
I70v  sydendyngen  154.  175,  rf«  &*s<  (—  hiessest)  138,  ptfieft  28.  missevilAl^  li 
34,    17.  gebit :  beril  54;  'linste  125,  //6e  159,  fo'ftew  49,  134. 

«o  ist  iu  einigen  lallen  w,  u  geschrieben:  zw  18,  ;/«/  8,  9,  raffen  5,  a-»- 
ruffen  201.  Diesen  formen  stehen  entgegen  #/</  143,  mfit : gut  ±6,  74,  ti'in:*<'ni  196, 
fcd*    102  und  die  indicative  wi/r.    115,  117,  174,  178,  182,  230,  >re«st  157.  211. 

Für  w  immer  ^<  oder  #:  *//7<se  109,  129,  >•"/•<  215,  nnren  218  und  die  con- 
junetive  m«w  10,  »«<se  114,  »«?se  2,  18,  mästen,  100  (s.  Arndt  s.  31). 

2.   Consonanten. 

6  erscheint  auslautend  zu  y>  verhärtet  in  apgote  248,  250,  aptgote  36,  92,  244, 
256,  258,  266  (mit  eingeschobenem  <),  während  sonst  immer  oA  steht  sowol  als  prä- 
position  wie  als  conjunetion  (=  ob);  ferner  lop  97,  100.  Im  anlaut  nur  p/t  267. 
adif  statt  öfter  107  und  232  hätte  ich  im  text  nicht  als  Schreibfehler  behandeln  sollen ; 
vgl.  Arndt  s.  97. 

jih  für  f  in  den  lehnwörtern  oppl/ir  81,  S3  und  teuphil  252. 

/•.  "-.  Weinhold  behauptet  §  174,  dass  uu  (=  ie)  statt  anlautendem  p  (f)  im 
md.  häutiger  erseheine  als  obd.,  und  hringt  reichliche  beispiele  aus  Schlesien.  In 
unserer  hs.  ist  diese  Verwechslung  nicht  selten:  wals  254,  irwaren  32.  icafir  59, 
teil  134,  141,  218,  /rolk  80,  wo»  59,  doivon  2±7<  wrowe  49,  90,  189,  207,  i/o/e/crotre 
65,  122,  139,  155,  irvmlM  63,  würfen  218,  /tri  214,  215.  Umgekehrt  steht  an- 
lautend p  statt  mj  iu  vamemen  94,  reiche  95,  re/<  67,  twi  63,  rertfe  108,  rissen  34, 
>-o/  67.  Hoffmaun  wollte  iu  dieser  eigentümlichkeit  ganz  unberechtigt  einen  heweis 
dafür  sehen,  dass  der  schreiher  ein  Czeche  gewesen  sein  müsse. 

t  immer  im  auslaute.     Eingeschobenes   t  sechsmal  in  aptgote  (s.  oben). 


DAS    DCÖtOTHBAePIEL  169 

Für  die  von  Wcinliold  §  151  erwähnte  eigentümliehkeit,  dass  das  md.  den  sog. 
grammatischen  Wechsel  von  d :  f  in  kurzvocalischen  perfecten  nicht  habe,  kann  nur 
die  form  geleden  235  herbeigezogen  werden;  Arndt  (s.  68)  erklärt  die  form  geleden 
(v.  j.  1440)  aus  der  analogie  der  präsensformen. 

Eine  erweichung  des  t  nach  /  findet  statt  in  alden  :  waldeti  2,  halden :  wctldeh 
18,  immer  im  präterituin  solde,  wolde  (s.  Arndt  s.  65 fg.),  nicht  in  weiten  (=  wählten)  29. 

Spuren  der  md.  Schreibweise  th  statt  £,  '/  zeigen  reythe  40  (rcgde  121,  130, 
137)  und  marthir  191  {matter  22,  182,  203). 

*.  Das  einfache  %  als  affricata  nur  in  zetcar  182,  sonst  immer  cz  oder  v. 
wie  in  allen  handschriften  des  14.  und  15.  Jahrhunderts  (s.  Arndt  s.  64).  und  zwar 
cxu  fünfmal:  17,  24,  197,  221  (ermessen)  260;  dann  exarte  129,  unverexayt  125, 
cxeyckans  190,  irexeygen  257,  265,  exuehten  64,  cxwar  205,  exwen  50,  220,  225, 
eawott  155;  herexen  72,  124,  268,  sac«  145,  saexes  141,  s-ic-xe  187.  Dagegen  &cm 
26 mal,  dann  iceubemisse  219,  ^e«7  142,  gexeyten  23. 

s.  Das  gefühl  für  einen  lautlichen  unterschied  der  zeichen  s  und  »  maugelt 
dem  Schreiber: 

s  statt  x  in  /<<?//«  122,  ßej/se  182,  keysen  108,  Äe?/6i  120,  127,  163,  hist  133, 
ft^'stf  169,  slixen :  begisen  154,  begysen :  bevlisen  178,  ^w/se  109,  /^  48  (fö*  33,  34), 
stost  220,  »asi  167,  *«s  226;  im  Singular  des  neutrums  als  143,  alles  163,  äs  26.  3."), 
dirs  249,  *Vs  180. 

■x  statt  s  im  genetiv  dez,  53,  75,  101.  252.  götix  196,  222;  beim  pronomen 
un»  (dat.  plur.)  9,  10,  12,  rf«*ew  98;  bei  der  eopula  ixt  68,  72,  88,  117,  148.  202, 
204,  224,  244,  262,  267,  bix  101,  139.  wax  40,  65,  66.  Am  auffälligsten  wol  im 
anlaut  zanc  15,  zo  157,  194,  alzo  88,  261,  %y  169,  zult  198.  Auch  in  dieser  weit- 
verbreiteten erscheinung  fs.  Arndt  s.  70fgg.)  hat  Hoffmaun  wieder  die  czechische  ab- 
stammung  des  Schreibers  entdecken  wollen!  Schreibt  doch  schon  im  jähre  1531 
Fabian  Frangk  in  „Ein  Kantzlei  und  Titelbüchlein"  etc.:  „Man  fmdts  auch  bei  den 
alten  I  das  für  hundert  jähren  und  kürtz  darnach  das  z  fürs  s  .  .  .  .  gemeinlieh  ist 
braucht  worden".1 

seh.  Im  anlaut  vor  vocalen  wird  fast  immer  seh  geschrieben,  nur  saez  145, 
saezes  141,  saden  132  (vor  schaden  140  steht  sade  durchstrichen);  vor  consonanteu 
erscheint  s  in  den  anlautenden  Verbindungen  sl,  sm,  sn,  s/r:  slixen  153,  smäc  187, 
vorsme  146,  absniden  158,  swester  134,  156,  159,  161.  Im  auslaut  nur  vah  254. 
Zweifellos  sprach  der  Schreiber  hier  überall  seh;  vielleicht  war  er  durch  die  vo 
beeinüusst,  und  es  darf  auch  darauf  hingewiesen  werden,  dass  sich  die  md.  hand- 
schriften gegen  seh  zurückhaltend  zeigen  (s.  Arndt  s.  79,  Weinhold  §§206  —  210, 
Wilmanus  P  §  103). 

r.  Der  grammatische  Wechsel  zwischen  *  :  r  beim  worte  genesen  ist  in  unserer 
zeit  kaum  mehr  anzunehmen  (vgl.  Weinhold  §  207);  schon  aus  diesem  munde  halte 
ich  Hoffmanns  änderung  des  reimes  genesen :  genesen  38  in  wären  igenären  für  un- 
richtig und  setze  dafür  gewesen : genesen.  Metathosis  treffen  wir  im  imperativ  vor- 
hörnt  170  (daneben  vorbreute  184). 

ng.  Der  gutturale  nasal  ng  reimt  (Weinhold  §§  216,  219)  in  bair.  und  md. 
schriften  vielfach  auf  nn.  Unsero  hs.  liefert  das  beispiel  dingen  :  beginnen  1.  Be- 
achtenswert ist  die  gowohnheit  unseres  Schreibers,  ng  duroh  nn  zu  ersetzen;  brennen  81, 
J26,  138,  246,  brennet  162.  226  {bringet  93,  brengen  233),  lanne  211,  212.  kennen  245. 

1)  llorausgegebcu  von  Johann  Müller,  Gotha  1882,  s.  10S. 


L70 

Den  verderbten  helygeiat  i      beili  >;:;  und  tudyd*  ;enden)  <)l 

lieg!  wahrscheinlich  eine  nasalierte  ausspräche  zu  gründe;  anlass  zum  verschreiben 
mag  die  ähnliohkeii  der  zeichen  y  und  g  gegebon  haben.     Etil  gutturaler  oasalii 
müssen  auob  geseyne  i  i  i)   L13,  keyn  \      gegen)  L51,  sowie  die  zweisilbig  zu 

lesenden    vörter  kundengen  i       küni  i    und  gri/mmy  i       grimmigen)  162  aus- 

gesproohen  werden. 

In  sente  21    i  itturale  elemi  al  au     der    ichreibung  versohl 

arndl  b.  83),   umgekehrl   sidendyngen    154,    175,  vgl.  atynkindinge  (Arndl     .83  aus 
dem  jähre  1417).     In  ancumrte  160  liegt  wol  ein  Schreibfehler  vor. 

Nasale  resonanz  ferner  im  plural  k&nge  150  und  in  lebmdink  230.  Btelll  man 
dieses  wort  mit  kundengen,  grimmy,  sidendyngen  (vielleicht  auch  kü/nge)  zusammen, 
so  ist.  unschwer  zu  erkennen,  dass  der  gutturale  aasal  aus  der  reducierten  Qexions- 
silbo  stammt. 

'/.    Der  grammatisohe  Wechsel  h:g  zeig!  sich  uach  md.  art  auch  im  präteritum 
von  vliehen        vlogen  51.    In  sa  1  <  •  j   ist  das  g  Dach  dem  stammvocal  geschwu 
(Weinhold  §  225),  vielleicht  darf  auch  so  237  ähnlich  aufgefasst  werden.   Überschüssiges 
g  in  geglich  28. 

/,-.    Beim  anlaut  voa  Iceyn  (=  gegen)  151  ist  an  enkegene  zu  erinnern. 
///f/r   11.")  erscheint  mag  216;   sonst  im   auslaut  immer  .tenuis.     Die  zeichen  c  and  /.■ 
treten    unterschiedslos  auf,   doch   herrscht  c  vor,   es   steht   ineist  im   auslaut.    immer 
vor  cousonauten.     Neben  crist  42,  185,  201,  263,   cristum   194,   eristenman   43   das 
Siegel  ^>7«  29,  196,  ^c  148.    eh  im  auslaut  einmal:  piweA  28;  vgl.  s*cÄ  135,  177.  23  1. 

h  wird  vor  t  immer  ch  geschrieben  (ausser  moht  32).  Der  form  ichlich  liegt 
palataler  reibelaut  (=  md.  g)  zu  gründe.  Boachte  mit  anlautend  h  (Arndts.  59):  her 
6,  7,  36,  40,  42,  204.  224,  258,  hym  80;  ferner  here  (=  ehre)  147. 

3.    Einzelne  beachtenswerte  formenbildungen. 

Im  sg.  des  präsens  ist  e  eingedrungen  in  bevele  ich  102,  neme  ich  147  und 
im  imperativ  nem  106,  130,  144,  177  (nym  223,  234,  vornym  243);  vgl.  Weinhold 
§§  347  bis  350. 

2.  sg.  des  präsens  auf  -es  in  beuts  du  145,  reydes  du  159;  contrahiert  horstus 
171,  £ots£m  151. 

Die  auffällige  3.  sg.  trachten  73  ist  als  Schreibfehler  anzusehen  oder  als 
analogic  zur  1.  sg.,  für  die  Weinhold  §  395  reimbelege  bringt1. 

Abfall  des  -n  in  der  1.  pl.  zeigen  singe  uir  14,  bitte  wir  in  der  anfaugszeile 
des  leis,  sulle  wir  205,  suhle  uir  210,  wir  sulle  75;  die  ganze  endung  ist  abgefallen 
in  wol  wir  195,   vult  wir  198. 

2.  pl.  bei  ausgang  des  Stammes  auf  d.  I  synkopiert:  wert  ir  hören  70,  wart 
227.     Ähnlich  in  der  3.  pl.  nem  97. 

Der  imperativ  saga  71  zeigt  Zusammensetzung  mit  der  bekanuten  interjeetion ; 
daneben  steht  sage  74,  verkürzt  sa  104  (so  237?).  Abfall  der  endung  des  plurals 
in  prüf  207. 

1)  Ebenso  Schönbach,  Über  ein  mitteldeutsches  evangelienbuch  in  St.  Paul; 
Wiener  sitzber.  137  s.  18,  und  Rieger  a.  a.  o.  s.  40  (sie  erwähnen  jedoch  die  3.  per- 
son  nicht). 


DAS    DOROTHEASPIEI,  171 

Tm  accusativ  sg.  des  Personalpronomens  tritt  die  md.  form  en  146,  204  auf. 
Flexionslosigkeit  des  adjectivs  und  pronomens  findet  sich  widerholt,  metathesis  der 
masculinen  nominativendung  in  eynre  by  ander  262.  Die  endung  -eine  des  dativs  er- 
kennen wir  in  an  dyme  lybe  153;  n  statt  m  zeigen  die  dative  xcu  eynen  gexeyten 
23  und  von  der  muoter  vn  den  vatir  59. 

4.    Synthetisches. 

Abgeseheu  von  der  Verwendung  in  abhängigkeit  vom  Substantiv  oder  dem  ueutrum 
eines  pronomens  oder  vom  verbum  als  objeet  findet  sich  der  genitv  advcrbiell  als 
massbestimmung:  so  sal  her  ruffen  an  de;  allerbesten  dex  her  hon  6,  als  Zeit- 
bestimmung si  syc  langes  tot  232.  Einen  nominativ  der  beziehung  beim  passivum 
treffen  wir  im  satzo  sy  wart  dy  ton  fr  angeleyt  56;  doppelten  ubjeetsaecusativ:  do 
Dorotheas  da%  vornan/  dy  reythe  39,  wenn  nicht  besser  dax  als  Schreibfehler  statt 
da  zu  betrachten  ist;  dann  sind  die  verse  39.  40  als  der  einzige  fall  zu  verzeichnen, 
in  dem  enjambement  vorhanden  ist.  Die  copula  fehlt  im  satze  wen  ich  eyn  cristen- 
man  43  und  in  den  fragen  ivo  myn  böte?  118,  wi  unsir  antwurte  nu?  161;  ferner 
Is  vrowe  man  oder  muyt  26;  vielleicht  darf  man  is  als  contraction  aus  ist  ex  an- 
sehen.    Hoffmann  schreibt  Ex  /rare  vrouice  etc. 

Bei  der  kürze  des  Stückes  lässt  sich  über  die  sprachliche  Zuge- 
hörigkeit desselben  ein  endgiltiges  urteil  schwerlich  abgeben,  umso- 
weniger,  als  die  beobachtungen  nur  selten  durch  entscheidende  reime 
gesetzeskraft  erhalten;  auch  hier  muss  bedauert  werden,  dass  die  zweite 
hälfte  des  gedichtes  verloren  gieng.  Doch  darf  darauf  hingewiesen 
werden,  dass  der  spräche  zahlreiche  mitteldeutsche  demente  anhaften; 
manche  dieser  eigentümlichkeiten  werden  gegen  den  schluss  seltener 
und  es  muss  ausdrücklich  hervorgehoben  werden,  dass  sich  erscheinungen, 
die  sonst  als  mitteldeutsche  Unterscheidungsmerkmale  zu  gelten  pflegen, 
hier  gar  nicht  vorfinden.  Ich  nehme  daher  an,  dass  die  ursprüngliche 
gestalt  des  gedichtes  einem  ostmitteldeutschen  dialekte  angehörte,  dass 
aber  ein  österreichischer  Schreiber  seine  eigene  mundart  allmählich  habe 
mitspielen  lassen.  Wenn  wir  uns  erinnern,  dass  gerade  aus  dem  nörd- 
lichen Böhmen  und  den  angrenzenden  gebieten  Deutschlands  die  meisten 
ja  fast  einzigen  nachrichten  von  aufführungen  eines  Dorotheenspieles  er- 
halten sind,  ist  die  Wahrscheinlichkeit  nicht  abzuweisen,  dass  auch  unser 
text  von  dort  seinen  ausgang  genommen  habe. 

Vers  und  reim.  Das  bruchstück  enthüll  270  verse1  (wobei  ich 
die  anfangszeile  dvs  chorliedes  nach  v.  1!  und  das  nach  \.  32  wider- 
holte verspaar  29:30  nicht  mitzähle).  Dem  gedichte  liegt  das  reim- 
paar  zugrunde,   doch   ist  inbezug  auf  hebungszahl    starke  Verwilderung 

h  K.  Ucinzol,  Beschreibung  des  deutschen  Schauspiels  nu  inittelalter  b.  88 
zählt  265  verse,  da  ihm  nur  die  ausgabt!  EToffmanns  in  den  Fundgruben   vorlag. 


1 72 

eingerissen,  die  mit  dem  fortschreiten  de«  Stückes  zunimmt  Zwei 
drittel  der  reimpaare  enden  stumpf,  die  übrigen  klingend;  auftakt  — 
oin-   und    zweisilbig  isi    in    den    meisten    fällen    vorhanden.      Die 

Senkungen  sind  grösstenteils  einsilbig,  mitunter  zweisilbig  oder  sie  fehlen 
auch  ganz.  Verschleifung  und  versetzte  betonung  sind  frei  benutzt,  i 
winl  auch  kein  gewichl  darauf  gelegt-,  dass  die  verse  desselben  reim- 
paares  gleich  riel  hebungen  zeigen.  Etwa  zwei  drittel  der  rerse  sind 
vierhebig,  last  ein  Fünftel  ergibt  fünf  hebungen,  iebenmal  zähle  ich 
drei  hebungen  bei  klingendem  schluss,  nämlich  v.  3,  17,  37,  95,  96, 
127,  192;  in  mehr  als  zwanzig  lallen  müssen  wir  sechs  hebungen  an- 
nehmen, und  die  überlangen  verse  187,  204,  225,  259  spotten  in  ihrer 
heutigen  fassung  jeder  regel,  denn  sie  lassen  7  —  8  hebungen  zu.  Solche 
verse  würden  sieh  nur  durch  einen  gewaltsamen  eingriff  in  eine  ge- 
setzmässige  form  Illingen  lassen,  und  da  überdies  mitunter  sichtlich 
die  dialektische  ausspräche  über  holperige  versfüsse  hinweghelfen  muss, 
so  ist  eine  ziffermässige  feststellung  der  hebungszahlen  der  Willkür 
überlassen.  Manchen  versen  liesse  sich  freilich  durch  geringfügige 
änderüngen  eine  glatte  form  geben,  aber  hierin  habe  ich  mir  absicht- 
lich Zurückhaltung  auferlegt:  einmal,  weil  durch  solche  besserungen 
das  metrische  gesamtbild  doch  nicht  wesentlich  beeinflusst  würde,  und 
dann  wollte  ich  dem  eigenmächtigen  vorgehen  Hoffmanns  gegenüber 
ein  möglichst  getreues  bild  der  handschrift  geben.  Zweifellos  haben 
ungeschickte  und  eilfertige  abschreiber  viel  am  texte  verdorben;  aber 
so  lange  uns  nicht  eine  zweite  handschrift  die  gewähr  einer  besseren 
Überlieferung  bietet,  müssen  wir  uns  mit  dem  vorhandenen  bescheiden. 

Länge  und  kürze  im  reim  gebunden  findet  sich  nicht  selten: 

d:a.  wären :  irvaren  32,  gar:  dar  240,  getan:  an  30,  :  man  00,  190,  208, 
220,  stau  :  dan  48,  warn  :  an  250  (vgl.  Zwierzina  a.  a.  o.  44, 1  fgg.). 

öS  :  r.     meere  :  here  68,  meeren  :  geren  (=  gerne)  120,  anbeten  :  ta  ten  254 ;  ferner 

e  :  r.  ir teeren  :  keren  200.  Wenn  wir  die  von  Zwierzina  (a.  a.  o.  44,  310)  auf- 
gestellte regel  zu  recht  bestehen  lassen,  dass  im  Österreichischen  nur  e :  e  (=  altes  e) 
und  cc :  ä  (=  seeundärer  umlaut)  reimen,  im  Mitteldeutschen  aber  nur  c :  e  (=  alter 
umlaut)  und  ob  :  e : «',  so  müssen  wir  auch  aus  den  angeführten  beispielen  auf  md. 
abkunft  scldiessen. 

i  :  /.     syde  :  gelyde  170. 

o  :  o.  got :  not  30,  :  kot  156,  :  tot  108,  210,  gebot :  not  42,  :  tot  232  (vgl.  Zwier- 
zina a.  a.  o.  44,  22  anm.);  dorvon  :  hon  210. 

An  consonantisch  ungenauen  reimen  finden  sich  man  :  broutigam  148,  geyst  : 
leys  14,  rormyden  :  blyben  102;  mit  abgestossenem  r  dorothe  :  ine  12;  freie  behandlung  der 
eigennamen  theadara  :  dorothea  62.  Die  scheinbar  ungenauen  reime  mere  :  gerne  120 
leben :  strebe  228  bedürfen  zur  herstellung  nur  leiser  coujeeturen.  Die  wenig  kunst- 
volle art,  den  reim  durch  nachstellung  des  unflectierten  Possessivpronomens  myn  :  dyn 


DAS    D0K0THEASPIEL  173 

:  syn  herzustellen ,  findet  sich  siebenmal  v.  49,  50,  76,  84,  98,  106,  145  (vgl.  hierzu 
Zwierzina  a.  a.  o.  45,  253  fgg.),  darunter  dreimal  in  der  forrael  noch  dem  willen  dyn\ 
die  ersten  zwei  beispiele  sind  sogar  zu  einem  reimpaare  verbunden.  Attributive  ad- 
jectiva  erscheinen  nur  zweimal  im  reim  nachgesetzt  und  zwar  Dorotheas  so  her  60 
und  saexes  so  vil  141;  durch  das  zwischenstehende  so  wird  aber  ihr  wert  gehoben 
und  sie  erhalten  dadurch  eine  art  prädikative  bedeutung  (vgl.  Zwierzina  a.  a.  o.  45, 
265 fgg.).  Zweimal  begegnet  uns  rührender  reim:  syn  :  sin  50  —  wobei  das  nachgestellte 
unflektierte  possessiv  allerdings  jedesmal  eine  andere  form  vertritt  (3.  sg.  und  3.pl.)  —  ge- 
hört nach  Zwierzina  (45,  301)  zu  den  identischen  reimen,  die  zwar  in  der  kunstloseren 
poesie  aber  nicht  bei  strengen  dichtem  durchschlüpfen.  Ein  fall  schlimmster  sorte  wäre 
aber  gewesen :  gewesen  242,  doch  ist  wol  das  erste  reimwort  in  genesen  zu  ändern. 

IL 

Dem  inhalte  nach  hängt  der  Luckts  de  saneta  Dorothea  so  enge 
mit  dem  berichte  der  Legenda  aurea  zusammen,  dass  ich  zum  vergleiche 
am  besten  den  ersten  teil  dieser  vorläge  wörtlich  hierher  setze. 

„De  saneta  Dorothea.  Gloriosa  virgo  et  martyr  Dorothea  ex  patre  Doro  et 
matre  Thea  fuit  progenita  ex  nobili  sanguine  senatorum.  Ulis  temporibus  viguit 
persecutio  Christian orum  in  terra  Romanorum.  Unde  ipse  Dorus  spernens  idola  ro- 
mana  derelinquens  praedia  cum  possessionibus,  agris,  vineis,  castris  ac  domibus  trans- 
fretavit  cum  uxore  sua  et  duabus  filiabus  Cristen  et  Calisten,  perrexit  in  regnum 
Capadociae  venitque  in  civitatem  Caesarea!»  ibique  habitans  genuit  filiam,  de  cuius 
vita  nunc  intendimus  loqui.  Et  ipsa  genita  seeundum  morem  christianorum  oeculte 
baptizata  est  a  quodam  episcopo  saneto,  qui  uomen  ei  imposuit  ex  patre  et  matre 
compositum.  Dorothea  autem  ipsa  puella  repleta  est  spiritu  saneto,  virtutibus  er 
omni  pacis  diseiplina  imbuta,  formosa  valde  super  omnes  puellas  regiouis  illius.  Quod 
invidus  serpens  inimicus  castitatis  diabolus  non  sustinens  Fabricium  terrae  praefectuin 
in  amorem  virginis  Dorotheae  Stimulans,  ut  ipsam  carnali  coneupiscentia  appeteret. 
Qui  mittens  pro  ea  spondeus  thesaurum  et  res  absque  compoti  determinatione  pro 
dote  prodere  ipsam  legitimo  thoro  producendam.  Audiens  hoc  dulcis  Dorothea  quasi 
lutum  terrae  despiciens  terrenas  divitias  et  intrepida  se  Christo  desponsatam  fatebatur. 
Quod  audiens  Fabricius  furore  succensus  mox  eam  in  dolium  plenum  ferventis  olei 
mitti  iussit.  Ipsaque  adiutorio  Christi  illaesa  maneus  ac  si  balsamo  ungeretur.  Multi 
autem  paganorum  videntes  hoc  miraeulum  intra  se  ad  Christum  convertuntur.  Fabri- 
cius vero  credens  hoc  magicis  artibus  fieri  ipsam  iu  carcerem  reclusit  novem  diebus 
absque  eiborum  alimentis;  quae  nutrita  a  sanetis  angelis,  dum  producitui  ad  tribunal 
pulohrior  quam  nunquam  faerat  apparuit  eunetique  mirabantur,  quod  tot  diebus  abs- 
que eibo  tarn  formosa  vidoretur.  Fabricius  vero  dixit:  Nisi  deos  in  piaesenti  ad 
equulei  poenas  non  evades.  Dorothea  respondit:  Deum  adoro  non  daemonem,  du 
eniin  tui  daemones  sunt.  Et  prostrata  in  terram  elevatisque  in  coelum  oculis  oravit 
ad  Dominum,  ut  ostenderet  omnipotentiam  suam  et  quod  ipse  sit  solus  Deus  et  non 
alius  praetor  eam.  Erexerat  namque  Fabricius  oolumnam  et  desuper  idolum.  Kr 
ecce  multitudo  angelorum  cum  impetu  veniens  content  idolum,  quod  nee  particula 
columnae  inveniretur.  Et  audita  est  vox  daemonum  per  aera  clamantium:  Dorothea,  our 
nos  sie  devastas?  Et  multa  milia  paganorum  ad  Christum  manifeste  convertobantur, 
qui  etiam  martyrii  palmam  ingressi  sunt.11  Im  weiteren  verlaufe  wird  Dorothea  auf 
die  Eolterbank  gespannt,  ihr  körper  auf  die  grausamste  weise  zerfleischt;  am  nächsten 


174  IIM.I: 

morgen  aber  er   ihoint  o    cbön  \v. i< -  zuvor.     Voll  Braunen  schickt  sie  der  tyrann 

zu   ihren   Bchwestern;  diese  sollen  sie  vom  Christenglauben  abbringen,  den  sie  Belber 
uns   luiclit  schoi  en        aber  Bio  werden  von    Dorothea  zum  wahren  glauben 

zurückgeführt  and    terben  auf  dem  Scheiterhaufen.     Noch  einmal  verweigert  die  heilige 
vor  dem   präse    da     heidui  che  opfer  and  wird  mil  Btöcken  and 
bis  die  henkei  knechte  ermüden        und  wider  wird  sie  über  nachl  von  allen  wunden 
geheilt.     Endlich  Fällt   Fabricius  das  todesurteil  und  I      tD  rothi  1      1  die    tadl  zum 
richtplatz   führen.    Auf  dem  wege  wird  Bie  vom  protonotar  Theophilus  höhnisch  ge- 
beten, Bie  möge  ihm  doch  aus  dem  garten  ihres  brfiutigams  rosen  schicken,   wa 
zusagt.    Durch  ihr  gebet  erwirkt  sie  den  menschen,  die  sie  nach  ihrem  tode  ani 
erhörung  in  allen   nöteh.     Bevor  sie  den  todesstreich   empfängt,  tritt   ein  lieblicher 
knabe  zu   ihr  mit  einem   körbchen   voll   rosen  and  a'pfeln;  sie  schickt  ihn  zu  ] 
philus  und   wird  enthauptet   an  den   iden  des  februar  im  jähre  287  unter  den  kaisern 
Diuch'iian   und    Maximian.    Theophilus  stand   indessen   im   palaste  des   Fabri 
frsi.'lu'int    der   fi)»t'lknaln'    an   sein,  r   seife    und    überreicht   ihm  das  körbchen  mit  den 
worten:  „Diese  rosen  und  äpfel  schickt  dir  meine  Schwester  Dorothea  aus  dem  para- 
diese.'-    Auls  tiefste  ergriffen  von  dem   wunder  zur  rauhen   Winterszeit   bekennt 
der   spötter   zum    glauben    an  Christus   und    empfängt   ebenfalls   die  märtyrerki 
Nach    dm    ausgesuchtesten    quälen    wird    sein    leib  in  stücke  geschnitten  und  d 
werden  den  vögeln  zum  frasse  vorgeworfen. 

Der  Zusammenhang  unseres  bruchstückes  mit  der  legend«-  ist  so 
auffallend,  dass  man  annehmen  kann,  sie  sei  vom  dichter  direkt  ohne 
mittelglied  benützt  worden.  Der  prolog,  der  nach  der  anspräche  an 
das  volk  die  Vorgeschichte  der  heldin,  die  exposition,  zu  bringen  hat. 
weist  zum  teil  geradezu  wörtliche  anklänge  an  die  vorläge  auf;  und 
wenn  der  bericht  die  eitern  in  civitatem  Caesaream  fliehen  lässt,  der 
dichter  dies  aber  übersetzt  „in  eyne  stat,  dez  keyser  gebit,1'  so  be- 
stätigt dieser  irrtum  nur  unsere  behauptnng.  Auch  die  lateinischen 
spielanweisungen  gehen  mehrfach  auf  den  Wortlaut  der  legende  zurück, 
wenn  auch  im  spiele  selbst  die  phantasie  des  dichters  bei  der  aus- 
nutzung  und  ausschmückung  des  gebotenen  in  ihre  rechte  tritt.  Auch 
hier  aber  wird  die  anordnung  der  vorläge  strenge  eingehalten  und  Hin- 
aus besonderen  gründen  werden  einzelheiten  breiter  behandelt;  so  die 
bekehrung  der  beiden  nach  den  einzelnen  wundern  oder  die  Werbung 
des  Fabricius  um  die  schöne  Jungfrau,  den  Zuschauern  zu  liebe  oder 
zum  nutzen.  Das  opfer,  das  der  tyrann  am  beginne  den  göttern  dar- 
bringen lässt,  soll  den  christlichen  zuhörern  die  Voraussetzung  vor 
äugen  führen,  welche  die  folgenden  Vorgänge  erst  möglich  macht.  Das 
erregende  moment  bildet  hier  wie  dort  die  einbläserei  des  teufeis.  Den 
abfall  der  Schwestern  hat  der  dichter  vorausgenommen;  der  keim  zu 
dieser  scene  liegt  in  der  legende  erst  in  den  späteren  worten:  Et  misit 
eam  ad  duas  sorores  suas  Cristen  et  Callisten,  quae  metu  mortis  a 
Christo  recesserant,  ut  ipsae  Dorotheam  sororem  suam  a  Christo  avelle- 


DAS   DCmOTHF.ASriFX  175 

rent.  Es  muss  aber  als  geschickter  griff  des  dichters  bezeichnet  werden, 
dass  er  sich  durch  diese  kleine  eigenmächtigkeit  für  eine  spätere  scene 
den  weg  ebnete. 

Eine  auffallende  abweichung  vom  berichte  der  legende  findet  sich 
nur  in  der  erklärung  des  namens  der  heldin.  Dort  heisst  der  vater 
Doms,  die  rautter  Thea  —  eine  einfache  nebeneinanderstell ung  ergibt 
den  gewünschten  namen,  so  dass  man  fast  vermuten  möchte,  die  eitern 
seien  erst  nach  der  tochter  benannt  worden.  Merkwürdigerweise  hat 
sich  der  deutsche  dichter  den  fall  viel  schwieriger  gemacht,  indem  er 
den  vater  Dorotheus,  die  mutter  aber  Theodora  nennt  und  dann  den 
namen  des  kindes  (nach  altdeutscher  weise?)  aus  je  einer  hälfte  bestehen 
lässt;  dabei  bereiten  ihm  die  namen  viele  Unbequemlichkeiten,  und  die 
verse  60  und  61  gehören  auch  metrisch  zu  den  bedenklichen  stellen. 
Die  von  den  Acta  Sanctorum  als  massgebend  zu  gründe  gelegte  form 
der  Überlieferung  kennt  den  namen  der  eitern  nicht;  doch  heisst  es  in 
diesem  werke,  nachdem  von  den  Übertreibungen  der  Legenda  aurea  die 
rede  war,  §  2  al.  11:  „Eadem  fere  in  magnum  Menologium  Yirginum 
retulit  Franciscus  Laherius  noster,  qui  patrem  eins  Theodorum,  Theo- 
doram  appellat  matrem1."  Das  klingt  schon  ähnlich,  und  es  mag 
unserem  dichter  eine  fassung  vorgelegen  haben,  die  in  bezug  auf  namen 
ihre  eigene  wege  gegangen  war.  So  beginnt  z.  b.  die  oben  erwähnte 
legende  cod.  3,  31  der  bibliothek  in  Kremsmünster,  die  anfangs  fast  wörtlich 
mit  der  Legenda  aurea  übereinstimmt,  mit  den  Worten:  „Gloriosa  virgo  et 
martir  Christi  Dorothea  ex  patre  Dorotheo  et  matre  Theodora  progenita 
est."  Ebenso  heisst  es  in  der  von  Diemer  veröffentlichten  deutschen 
reimlegende  (a.  a.  o.  s.  71):  „Mit  rechter  christes  lere  —  Theodora  und 
Dorotheus  —  verschiden." 

"Würde  nicht  schon  das  aussehen  der  handschrift  eine  grössere 
ausdehnung  des  dramas  gebieterisch  fordern,  als  in  unserem  brach- 
stücke vorliegt,  so  müsste  auch  der  enge  Zusammenhang  des  erhaltenen 
teiles  mit  der  logende  ausser  zweifei  lassen,  dass  die  dichtung  einst 
den  ganzen  stoff  umfasst  habe.  Dadurch  würde  das  stück  auf  die 
doppelte  länge  kommen.  Heinzel,  der  in  seiner  „Beschreibung  des 
geistlichen  Schauspiels"  auch  unser  spiel  in  den  kreis  seiner  feinfühligen 
beobachtungcn  zieht,  scheint  es  nicht  für  ausgemacht  zu  halten,  da^s 
die   handschrift  nur  ein  bruchstück    enthält2,   was  für  mich   zweifellos 

1)  Gemeint  ist  Francis  Lahier,  Le  grande  Mi-imloge  des  saintes,  bienheureuses 
et  venerables  Viergos.     I^ille  1645. 

2)  R.  Heinzel,  Beschreibung  des  geistlichen  Schauspiels  im  deutsohen  mittel- 
alter  (1898)  s.  2, 


ITC,  |  HNT.K 

feststeht  An  diesem  gründe  weiohl  meine  aurTa  sung  in  mehreren 
punkten  won  der  Heinzels  ab.  Der  behauptung,  dass  Dur.  einen  wirk- 
lich guten  ausgang  habe1,  könnte  man  unter  der  roraossetzung  zu- 
stimmen, dasa  ja  die  erlangung  der  märtyrerkrone  für  den  guten 
Christen  ein  glück  und  in  höherem  sinne  auch  ein  triumph  libei  den 
gegner.  genannl  weiden  kann.  A.ber  Eeinzel  nennt  die  Zerstörung  des 
götzenbüdes  nach  \.  258  die  Katastrophe  des  Stückes2  und  bezeichne! 
die  darauffolgende  bekehrung  der  heiden  als  den  erfolg  der  heldin  ;. 
der  die  sichere  erwartung  erregt,  dass  es  dem  gehassten  Pabricius  n 
schlecht  gehen,  Dorothea  aber  noch  glück  erfahren  werde4;  und  ei 
rindet  in  diesem  zusammenhange,  dass  der  teufe!  Schadenfreude  g< 
Kabricins  errege,  in  dem  er  sie  selber  ausspreche5.  Das  alles  ist  nur 
denkbar,  wenn  auf  die  noch  folgenden  martern  und  die  Verurteilung 
eum  todo  keine  rücksicht  genommen  wird;  erst  auf  dem  schaffet  kann 
Dorothea  als  die  wahrhaft  triumphierende  betrachtet  werden.  Wenn 
feiner  behauptet  wird,  dass  v.  2ü7  einer  für  die  mehrheit,  d.  i.  ein  be- 
kehrter heide  für  alle  spreche6,  so  wird  wider  nicht  berücksichtigt 
dass  die  hs.  v.  270  mitten  in  der  rede  altbricht  und  es  doch  sehr 
wahrscheinlich  ist,  dass  nach  dem  primt/s  paganus  auch  ein  seeundus 
ja  vielleicht  noch  ein  tertius  zu  worte  kommen  werde,  wie  dies  ja  auch 
nach   dem    wunder  im   ölfasse  v.  195fgg.  geschieht. 

Wir  können  uns  die  überlieferte  handlung  etwa  in  folgende  auftritte 
zerlegen:  1.  Prolog.  2.  Das  opfer  des  Fabricius  und  des  volkes.  3.  Auf- 
reizung durch  den  dämon.  4.  Erste  begegnung  mit  Dorothea.  5.  Botschaft 
an  Dorothea.  G.  Werbung  und  Zurückweisung.  7.  Abfall  der  Schwestern. 
8.  Erste  marter  im  fasse  mit  dem  siedenden  öl.  9.  Bekehrung  der  heiden. 
10.  Zweite  marter  im  kerker,  wo  sie  neun  tage  ohne  speise  und  trank 
bleibt.  11.  Wunderbare  Zerstörung  des  götzenbüdes.  12.  Bekehrung 
der  heiden.  Daran  müssten  sich  im  verlornen  teile  noch  folgende 
scenen  angeschlossen  haben:  13.  Dritte  marter  auf  der  folterbank  (dem 
galgen).  14.  Bekehrung  und  martertod  der  Schwestern.  15.  Vierte 
marter  durch  stockstreiche.  16.  Das  todesurteil.  17.  Die  begegnung 
mit  Theophilus.  18.  Gebet  auf  dem  richtplatze.  19.  Der  engel  mit  dem 
blumenkörbchen.     20.  Die  enthauptung.     21.  Bekehrung  des  Theophilus. 

li  Beschr.  S:225fg. 

2)  Beschr.  s.  274. 

3)  Beschr.  s.  320. 

4)  Beschr.  s.  345. 

5)  Beschr.  s.  351. 

6)  Beschr.  s.  309. 


DAS    DOROTHEASPIEL  177 

22.  Martyrium  des  Theophilus,  wobei  dahingestellt  bleiben  muss,  ob 
das  künstlerische  taktgefühl  des  dichters  der  Versuchung  zu  widerstehen 
vermochte,  diesen  teil  in  eine  reihe  von  marterscenen  aufzulösen;  auch 
heidenbekehrungen  konnten  eingeschoben  werden.  Das  siebenmal  an- 
gemerkte absingen  des  Silete  bietet  uns  keine  anhaltspunkte  für  sinn- 
gemässe abschnitte.  Dafür  ist  es  zweifellos  widerholt  dazu  verwendet 
worden,  pausen  auszufüllen,  die  durch  die  unbeholfenheit  der  technik 
entstehen  z.  b.  wenn  eine  gruppe  den  bühnenort  wechselt  oder  der 
dialog  von  einer  gruppe  auf  die  andere  übergeht  und  ähnlich1.  Auf- 
fällig kurz  ist  die  scene  nach  v.  223:  Dorothea  ist  allein  im  kerker, 
der  engel  tröstet  sie.  Darauf  sind  nur  zwei  verse  verwendet  und  doch 
sollen  zwischen  der  einkerkerung  und  befreiung  volle  neun  tage  ver- 
streichen; da  müssen  das  absingen  des  Silete,  das  abführen  der  ge- 
fangenen und  die  rückkehr  der  diener  ausgiebig  ausgenützt  worden 
sein,  um  die  zeit  doch  einigermassen  zu  zerdehnen2.  Nicht  gar  so 
schlimm,  aber  eingeschränkt  genug  erscheint  auch  der  besuch  des 
Fabricius,  der  sich  innerhalb  sechs  versen  abspielt  (v.  109  — 114);  hier 
dient  der  gang  des  Fabricius  zum  und  vom  aufenthaltsorte  der  Doru- 
thea.  der  sich  wol  in  prozessionsordnung  entwickelt  hat,  dazu,  eine 
grossere  Zeitdauer  zu  bewirken3.  Eine  Schwierigkeit  anderer  art  bleibt 
nach  der  scene  im  ölfasse  bestehen.  Es  heisst  dort,  dass  die  henkers- 
knechte  Dorotheen  die  kleider  vom  leibe  reissen,  um  sie  mit  dem 
siedenden  öle  zu  begiessen.  Völlige  nacktheit  scheint  allerdings  in 
alten  darstellungen  nichts  durchaus  unmögliches '  gewesen  zusein;  deco 
war  hier  das  anstössige  des  entkleidens  leicht  zu  vermeiden,  da  ja 
Dorothea  bis  zum  halse  im  fasse  sass  und  somit  die  handlung  nur  zum 
scheine  vorgenommen  zu  werden  brauchte.  Die  Schwierigkeit  beginnt 
erst,  wenn  Dorothea  unverletzt  dem  fasse  entsteigt  —  wie  geschieht 
dies?  »Sie  muss  entweder  ebenfalls  zum  scheine  ihre  kleider  wider 
erhalten,  oder  die  naivetät  des  publikums  war  gross  genug,  dass  es 
nichts  auffälliges  dabei  fand,  wenn  sie  trotz  des  vorausgegangenen 
wider  bekleidet  erschien. 

Das  stück  beginnt,  wie  schon  erwähnt,  mit  einem  prolög,  den 
ein  herold  spricht  ==  primus  dicit  riemum,  qui  proponit  ludum.  Es 
werden  zuerst  Gott,  St.  Dorothea  und   der   hl.  geist   angerufen,    damit 

1)  Vgl.  Heiuzel,  Beschr.  s.  87. 

2)  Vgl.  R.  Heinzel,  Abhandlungen  zum  altdeutschen  drama.  Wiener  äitz.-ber. 
bd.  134  (1895)  X.  s.  279. 

3)  Vgl.  Heinzel,  Abhaudl.  s.  276. 

4)  Vgl.  Heinzel,  Beschr.  s:2ö  und  220. 

ZEITSCHRIFT   F.    DEUTSCHE   PHILOLOGIE.      HU.  XXXV.  12 


178  r.\H 

das  spiel  auch  gui  rollende!  werde.     Der   Leia  zu  ehren  des  hl    gei 
nach  \.  II   ist  jedenfalls  die  bekannte  und  beliebt«     trophe: 

„Nu  bitte  v. ir  den  heili  ■ 

umb  den  rehten  glouben  allermeist, 

daz  er  an    behüete  an  anserm  ende, 

sn  wir  heim  suln  varn  n/  disem  eilende.     Kyrieleis1. 

die  Berthold  v.  Regensburg  in  der  predig!  von  drin  lagen  zweimal 
citiert2,  und  die  später  von  den  bauern  in  der  schlachl  von  Franken- 
hausen (]").  mai  1525)  gesungen  ward8.  I);i<  ganze  volk  stimmt  in  den 
gesang  mit  ein  (=  et  oantat  omnis  populus)  besagt  die  spielanweisung. 
Heinzel  (Beschr.  s.  86)  scheint  die  möglichkeit  nicht  ausschliessen  zu 
wollen,  dass  hier  omnis  populus  nur  die  Schauspieler  bedeute  wie  in 
der  spielanweisung  nach  v.  9»>:  Fabricius  cum  omni  populo  transit  ad 
ydolum;  aber  dort  ist  populus  durch  das  vorausgehende  ganz  klar  als 
das  von  Ewer  zum  opfer  zusammenberufene  volk  gekennzeichnet,  während 
im  prolog  gar  kein  anhaltspunkt  vorliegt,  das  wort  in  einer  beschränkten 
weise  aufzufassen.  Nach  diesem  gebet  vernehmen  wir  in  einer  art 
exposition  ereignisse,  die  vor  den  beginn  des  Stückes  fallen1:  die  Vor- 
geschichte der  Jungfrau  wird  erzählt,  wir  werden  auf  ihre  hohe  ab- 
stammung,  auf  ihre  Schönheit  und  tugendhaftigkeit  aufmerksam  gemacht, 
und  der  beginn  des  Stückes  wird  v.  69fg.  ausdrücklich  angekündigt. 
Ob  das  spiel,  wie  es  mit  einer  anspräche  an  das  publikum  begonnen 
wurde6,  auch  mit  einem  ähnlichen  epilog  des  berolds  scbloss,  muss 
natürlich  dahingestellt  bleiben.  Vielleicht  bildete  den  absehluss  eine 
anrufung  der  hl.  Dorothea,  an  der  sich  das  volk  ebenso  beteiligte  wie 
anfangs  bei  der  anrufung  des  hl.  geistes. 

Mit  v.  71  beginnt  das  dramatische  spiel,  das  nach  bedarf  von  Vor- 
schriften für  die  darsteiler  unterbrochen  wird,  die  lateinisch  abgefasst 
sind.  Diese  spielanweisungen  geben  zumeist  an,  was  vor  oder  während 
der  folgenden  rede  getan  werden  soll,  oder  es  wird  auch  anbefohlen, 
was  nach  der  rede  zu  geschehen  hat,  so  nach  v.  212:  Fabricius  dicit 
ad  tortores  et  facit  paganos  ducere  ad  decollandum;  es  kann  auch  der 
inhalt  der  rede  schon  kurz  angedeutet  werden  wie  nach  v.  88:  Ewer 
respondet   et   convocat   populum,   ut  vadant  ad   eultum  ydolorum,   und 

t)   Wackernagel,  Das  deutsche  kircheulied  11,44. 

2)  Berthold  von  Regensburg,  herausgg.  v.  Pfeiffer  I,  43.   45. 

3)  Hoffmann,  Geschichte  des  deutschen  kirchenliedes3  s.  201  fg. 

4)  Vgl.  Heinzel,  Beschr.  s.  205. 

5)  Vgl.  Heinzel,  Abh.  s.  23  und  Beschr.  s.  63. 


DAS    DOROTHEASPIEL  179 

nach  v.  96;  Time  Fabricius  cum  omni  populo  transit  ad  ydolum  ipsum 
laudando l. 

Der  Zusammenhang  der  auftritte  untereinander  ist  zuweilen  ein 
loser.  So  ist  schon  beim  Übergang  vom  prolog  zum  spiel  v.  71  die 
frage  des  ritters  Grim  nach  dem  begehren  des  Fabricius  ziemlich  un- 
vermittelt. Überraschend  ist  nach  der  huldigung  des  tyrannen  die  auf- 
reizung  des  dämons  v.  103 fgg.,  die  fast  die  form  eines  befehles  an- 
nimmt. Nicht  so  streng  wie  Heinzel  (Beschr.  s.  281  fg.)  als  rückblick 
auf  gar  nicht  geschehenes  möchte  ich  den  fall  v.  121  fg.  auffassen:  Hast 
du  nü  myn  reyde  vornümen?  wol  hyn  vn  heys  dy  iuncvrowe  komen, 
von  der  ich  dir  habe  gesayt.  Es  ist  richtig,  das  Fabricius  zum  boten 
noch  nichts  von  Dorothea  gesagt  hat  und  dass  auch  gar  kein  platz 
dafür  vorhanden  ist:  aber  er  hat  kurz  vorher  v.  115 fgg.  allen  anwesenden 
feierlich  seine  absieht  verkündet  und  setzt  nun  in  der  frage  v.  121 
voraus,  dass  der  diener  in  seiner  Umgebung  die  mitteilung  gehört  habe, 
ja  er  benimmt  sich  v.  123  so,  als  ob  er  sie  nur  oder  doch  hauptsächlich 
dem  boten  gemacht  habe.  Nicht  viel  anders  verhält  es  sich  doch  auch 
v.  211  fgg.;  Fabricius  kündet  den  bekehrten  beiden  den  tod  an  und 
fragt  dann  die  henkersknechte:  Ir  heren,  hat  ir  nu  vornomen  mvnen 
syn?  Die  art  der  verhängten  todesstrafe  erfahren  wir  hier  nur  aus 
der  spielanweisung:  et  facit  paganos  ducere  ad  decollandum.  Zweimal 
hintereinander,  nach  v.  236  und  v.  242  besagt  die  spielanweisung  das- 
selbe: Fabricius  contra  Dorotheam  dicit;  es  könnte  also  die  zweite  Vor- 
schrift als  überflüssig  erscheinen.  Doch  ist  es  zweifellos,  wenn  auch 
nicht  ausdrücklich  bemerkt,  dass  sich  Fabricius  v.  239  von  Dorothea 
ab  —  seinem  gefolge  zuwendet  und  von  v.  243  an  die  gefangene  neuer- 
dings anspricht-.  —  In  v.  83fg.  antwortet  der  miles  Grim  seinem  herrn 
und  spricht  unmittelbar  darauf  v.  85fgg.  zum  boten,  doch  ist  diese 
wendung  durch  eine  eigene  anweisung  angedeutet. 

In  unserem  bruchstücke  zähle  ich  15  einzeln  redende  personell. 
Dabei  nehme  ich  an,  dass  der  dämon  zu  beginn  des  Stückes  derselbe 
sei  wie  der  aus  dem  idol  vertriebene  am  Schlüsse,  dass  der  Cursor 
Ewer  mit  dem  nuncius  identisch  sei,  sowie  dass  die  servi  keine  anderen 
seien  als  die  beiden  tortores  Notopolt  und  Tarant;  das  ist  um  so  glaub- 
licher, als  die  spielanweisungen  offenbar  zwischen  tortores  und  servi 
keinen  unterschied  machen,  und  Fabricius  die  servi  widerholt  als  ir 
exivene  man  anspricht  (v.  220  und  225).    Bei  der  letzten  heidenbekehrung 

1)  Vgl.  Heinzel,  Abb.  s.  9fg. 

2)  Vgl.  Heinzel,  Beschr.  9.69  und  84. 

L2 


ISO 

wurde  nur  ein  paganus  in  rechnung  gezogen,  da  der  jähe  abbrach  der 
handschrift  keinen  zweiten  mehr  zu  «rorte  kommen  I '■■■  Eeinzel  (Böschr. 
s.  I.'ü)  zählt   IT  einzelpersonen,  bezeichnet  sie  aber  nicht  näher. 

Die  heldin  des  dramas  i>t  Dorothea;  ihre  Vorgeschichte  erzählt 
im    der  prolog.     Daß  stiici  zeigt  uns  ihre  letzten  lebenstage1  und 

gleich  zu  beginn  in  die  gewall  ihres  feindes  geraten  '.  Sie  zeigt 
sich  standhaft  gegen  Verlockungen  wie  drohüngen,  erträgt  m 
beistand  die  gransamsten  martern  und  erringt  sich  durch  ihren  tod  die 
siegespalme  der  märtyrer.  Einen  scharfen  gegensatz  zu  ihr  bilden 
ihre  beiden  Schwestern  Criste  und  Büalliste,  deren  namen  wir  nutr  aus 
dem  prolog  kennen,  sie  erwecken  durch  ihre  feigheil  unsere  Ver- 
achtung8, tilgen  aber  die  schmach  der  apostasie  im  zweiten  (verlornen) 
teile  durch  mutiges  bekenntnis  und  durch  den  tod  von  henkershand. 
—  Gegner  der  heldin  ist  der  römische  Statthalter  Fabricius.  Vom 
dämon  angereizt  begehrt  er  die  schöne  Jungfrau  zum  weibe,  aber  seine 
liehe  verkehrt  sich  in  grenzenlose  wut,  als  er  nicht  nur  abgewiesen 
wird,  seiidern  auch  noch  hören  muss,  dass  die  kühne  eine  chrisün  sei. 
Der  beide  und  der  verletzte  liebhaber l  lechzt  nach  räche.  Kr  ersinnt 
die  grausamsten  martern,  die  sich  immerfort  steigern"',  muss  aber  gegen- 
über der  von  Gott  beschützten  dulderin  seine  Ohnmacht  fühlen  und  ver- 
mag schliesslich  den  gegenständ  seines  nasses  zwar  zu  zerstören  aber 
nicht  zu  besiegen.  All  sein  wüten  führt  nur  dem  Christusglauben 
neue  anhänget-  zu  und  bringt  ihm  selbst  neue  beschämung. 

Neben  diesen  vier  aus  der  legende  entnommenen  darstellernamen 
hat  der  dichter  vier  andere  selbständig  erfunden:  Griin,  Ewer,  Notopolt 
und  Tarant.  Primus  miles  Grün  heisst  der  erste  in  der  spielanweisung, 
als  littei-  Gfrim  wird  er  von  Fabricius  angeredet0.  Er  nimmt  eine  be- 
vorzugte Stellung  ein,  empfängt  unmittelbar  von  seinem  herrn  befehle, 
gibt  sie  an  einen  untergebenen  weiter  und  wird  v.  89  von  diesem  here 
angesprochen.  —  Der  läufer  (cursor)  Ewer  beruft  als  herold  das  volk 
zusammen,  damit  es  den  göttern  opfere.  Wahrscheinlich  ist  Ewer  auch 
der  böte  (nuncius),  der  mit  grossem  eifer  die  Verbindung  zwischen 
Fabricius   und  Dorothea  herstellt7.     Fabricius  ruft   ihn  v.  118   mit  der 

1)  Ebd.  s.  177. 

2)  Ebd.  s.321. 

3)  Ebd.  s.306  und  347. 

4)  Ebd.  s.  238. 

5)  Ebd.  s.  317. 

6)  Vgl.  Heinzel,  Abb.  s.  68,  Beschr.  s.  1 92  fg. 

7)  Vgl.  Heinzel,  Beschr.  s.  253. 


DAS    DOHOTHEÄSPHX  181 

frage  auf:  ivo  myn  böte,  den  ich  do  hyn  sende?  Aus  seinem  munde 
hören  wir  das  einzige  Scherzwort,  das  uns  im  ganzen  stücke  begegnet, 
wenn  er  beim  anblick  der  drei  Schwestern  v.  138  zu  Fabricius  sagt: 
du  hist  mich  eijne  breiigen,  nu  sint  drie  komen  und  damit  beweisen 
will,  dass  er  den  auftrag  vortrefflich  ausgeführt  habe.  —  Die  beiden 
henkersknechte  (tortores)  Xotopolt  und  Tarant,  die  auch  servi  heissen, 
sprechen  die  verse  229  und  230  gemeinsam  \  was  sonst  nirgends  mehr 
im  stücke  vorkommt.  Auch  sie  werden  v.  213  von  Fabricius  ir  heren 
angesprochen.  Sie  nehmen  Dorothea  in  empfang  und  vollziehen  an  ihr 
die  anbefohlenen  martern,  sie  führen  die  bekehrten  heiden  zum  tode: 
offenbar  fällt  ihnen  auch  die  ausführung  der  in  dem  verlornen  teile 
angeordneten  quälen  zu.  Alles  das  gewährt  ihnen  eine  grausame  lust. 
Besonders  Tarant  zeichnet  sich  durch  rohe  gesinnung  aus:  er  hat  der 
heiligen  die  kleider  abzunehmen  und  sie  zu  fesseln;  er  hat  nicht  um- 
sonst seinen  berüchtigten  namen,  und  um  der  kleider  willen  würde  er 
gerne  auch  ihrer  neune  verbrennen.  Darf  aus  dieser  bemerkung  v.  184 
geschlossen  werden,  dass  die  kleider  der  verurteilten  in  den  besitz  der 
henker  übergehen?  Die  stelle  lässt  kaum  eine  andere  auslegung  zu 
und  trotzdem  soll  gleich  darauf  Dorothea  wider  bekleidet  vor  das 
publikum  treten!  Auch  geselle  Notopolt  fasst  den  edlen  vorsatz,  die 
Jungfrau  so  mit  dem  heissen  öle  zu  begiessen,  dass  ihr  haut  und  haare 
abgehen  sollen.  Grimmiger  höhn  spricht  v.  218  aus  den  werten  des 
einen  knechtes,  da  sie  die  neubekehrten  zum  richtplatze  schleifen:  wir 
wullen  sy  vurren,  sie  mohten  ril  über  gen.  Diese  rohen  kerle  machen 
den  eindruck  bestialischer  grausamkeit.  keineswegs  aber,  wie  das  sonst 
wol  üblich  ist,  werden  sie  zu  komischen  zwecken  ausgenützt:  dazu  ist 
unser  stück  durchwegs  zu  ernst  gehalten. 

Von  den  unbekannten  persönlichkeilen  tritt  uns  zuerst  der  dämon 
entgegen.  Auch  der  teufel  spielt  eine  ernste,  am  Schlüsse  zwar  jämmer- 
liche, nie  aber  eine  komische  rolle.  Er  verleitet  den  Fabricius,  seine 
äugen  auf  die  schöne  Dorothea  zu  richten,  deren  tugendhaftigkeit  ihm 
ein  greuel  ist,  und  erleidet  dafür  die  strafe,  dass  er  von  der  christin 
aus  seinem  wohnsitze,  dem  götzenbilde,  vertrieben  und  dieses  zerstört 
wird.  Jammernd  muss  er  enteilen:  aus  seinen  Worten  lässt  sieh 
schliessen,  dass  er  eine  mehrzahl  von  bösen  geistern  vertritt.  Aut- 
fallend könnte  man  es  finden,  dass  Fabricius,  obwol  der  teufel  dabei 
im  spiele  ist,  eine  so  ehrbare  annäherung  versucht  und  Dorothea  zur 
ehefrau   begehrt.     Es   zeigt  sich   hier  wider  der  enge  anschluss  an  die 

1)  Ebd.  s.  28. 


182 

legende,  in  welche]   der  Statthalter  Beine  auserwählte  ebenfalls  legitimo 
thoro  zufuhren   will   und  zwar  auch  aul   einbläsei  teufeis  hin1. 

Ich  möchte  den  ''inst  und  die  wortkargheit,  die  überall  zutage 
tritt,  als  beweis  dafür  ansehen,  dass  die  entstehang  des  Stückes  viel 
weiter  zurückreichl  als  die  erhaltene  niederschrift,  und  dass  diese  wider 
abgesehen  von  sprachlichen  Verschiebungen  die  ursprüngliche  form  gut 
bewahrl  hat.  Spätere  bearbeiter  des  Stoffes  würden  »ich  gewiss  die 
mancherlei  gelegenheiten  Dich!  haben  entgehen  lassen,  dem  geschmacke 
des  publikums  zu  huldigen,  dein  streben  nach  breite  und  der  freude 
am  komischen,  die  sich  auch  von  der  ehrwürdigsten  Umgebung  nicht 
zurückdrängen  Hess,  Zugeständnisse  zu  machen.  Das  zeigt  sich  ja 
deutlich  in  vielen  der  erhaltenen  czechischen  bearbeitungen,  von  denen 
in  der  einleitung  die  rede  war. 

Auch  ein  engel  tritt  redend  auf;  er  bringt  Dorothea  speise  in  den 
kerker  und  verweist  sie  v.  223 fg.  auf  den  beistand  Gottes.  Mehrere 
enge!  zerstören  auf  die  bitte  Dorotheas,  aber  ohne  selbst  zu  sprechen, 
das  götzenbild  mit  grosser  wucht  und  von  '  donnersch lägen  begleitet. 
Auch  sonst  greift  die  göttliche  macht  zugunsten  der  bekennerin  ein2, 
jedoch  nicht  immer  benützt  sie  wie  hier  sichtbare  Werkzeuge.  Im  öl- 
fasse  fühlt  sich  Dorothea  so  wol,  als  ob  sie  im  duft  einer  blumigen 
wiese  sässe.  Auf  ähnliche  weise  wird  sie  auch  die  noch  drohenden 
martern  ertragen.  Christus  selber  erscheint  nicht3,  und  der  knabe  mit 
den  paradisischen  fruchten  und  rosen  darf  hier  nur  andeutungsweise 
erwähnt  werden,  da  er  ja  im  erhaltenen  bruchstücke  nicht  auftritt.  — 
Noch  ist  der  heiden  zu  gedenken,  die  sich  durch  die  wunder  bekehren 
lassen.  Nach  der  glücklichen  errettung  aus  dem  ölfasse  heisst  es: 
pagani  sive  milites,  qui  primo  sit,  convertuntur;  der  relativsatz  soll 
wol  bedeuten  „die  zunächst  stehenden."  Drei  geben  ihrem  glauben 
öffentlich  ausdruck  und  werden  enthauptet.  Nach  der  Zerstörung  des 
götzenbildes  heisst  es  wider:  pagani  hie  videntes,  quod  ydolum  superasset, 
conversi  sunt  ad  dominum;  also  eine  mehrzahl,  doch  nur  einer  spricht 
v.  267  —  270,  mitten  im  satze  bricht  die  handschrift  ab.  Schon  aus 
der  einleitung  zur  rede  —  et  primus  dicit  —  darf  man  schliessen. 
dass  noch  andere  folgen  sollen. 

Neben  diesen  einzelnen  personen  treten  noch  gruppen  von  Statisten 
und  Sängern   auf,   die  als  milites,   pagani,   populus  bezeichnet  werden, 

1)  In  Reuters  Comedia  (s.  oben)  meint  Fabricius,  die  höbe  abkunft  Dorotheens 
lasse  keinen  andern  ausweg,  als  sie  zur  gemablin  zu  erheben. 

2)  Vgl.  Heiuzel,  Bescbr.  s.  229. 
o)  Ebd.  s.  17G. 


DAS    DOHOTHEASPIEIi  183 

und  die  gewiss  eine  grosse  zahl  ausgemacht  haben  werden.  Vielleicht 
sind  die  neiden  aus  den  reihen  der  Soldaten  zu  entnehmen.  Unter 
populus  ist  gewöhnliches  heidenvolk  zu  verstehen,  das  neben  der 
soldateska  auch  auf  der  bühne  vertreten  gewesen  sein  niuss;  auf  dieses 
beziehen  sich  die  worte:  Ewer  convocat  populum,  ut  vadant  ad  cultum 
ydolorum  und:  Tunc  Fabricius  cum  omni  populo  transit  ad  ydolum, 
ferner:  Tunc  Fabricius  transit  ad  mansionem  suam  cum  populo.  Es 
sind  darunter  die  Untertanen  des  Statthalters  zu  verstehen,  von  denen 
er  v.  80  spricht:  Mynen  got  den  wil  ich  eren,  vn  all  myn  volk  zcu 
hym  keren.  Deshalb  ist  es  schwer  glaublich,  dass  die  anweisung  nach 
v.  14  (et  cantat  oinnis  populus)  die  zur  gemeinsamen  anrufung  des 
hl.  geistes  auffordert,  dies  heidenvolk  im  sinne  habe;  da  ist  die  menge 
der  Zuschauer  gemeint.  —  Ob  die  sänger  des  Silete  eine  besondere 
gruppe  ausgemacht  oder  sich  aus  den  schon  erwähnten  massen  nach 
bedarf  remitiert  haben,  geht  aus  den  Spielanweisungen  nicht  hervor1. 
Doch  ist  wol  das  erste  anzunehmen.  An  ihrer  spitze  mag  ein  herold 
gestanden  sein,  der  vielleicht  auch  leiter  des  Spieles  war  und  den  prolog 
sprach  oder,  wie  es  hier  heisst:  ricmum,  qui  proponit  ludum2. 

Trotz  des  einfachen,  oftmals  unbeholfenen  aufbaues  der  handlung 
herrscht  doch  auf  der  bühne  lebhafte  bewegung.  Das  volk  strömt  nach 
der  aufforderung  des  Cursor  beim  praetorium  zusammen  und  zieht  mit 
Fabricius  gemeinsam  zum  götzenbilde;  von  hier  geht  der  Statthalter  an 
der  wohnung  Dorotheas  vorüber  an  seinen  platz.  Der  böte  läuft  zur 
Jungfrau  und  wider  zurück;  diese  kommt  mit  ihren  Schwestern  zum 
fürsten  und  wird  in  das  fass  mit  siedendem  öle  gestossen.  Die  be- 
kehrten neiden  werden  zur  hinrichtung  abgeführt  und  Dorothea  wird 
in  den  kerker  geworfen;  von  dort  wird  sie  Avider  vor  Fabricius  ge- 
bracht und  zum  götzenbilde  geführt,  das  dann  von  den  engein  zer- 
trümmert wird.  Die  bühne  muss  also  von  nicht  unbedeutendor  aus- 
dehnung  gewesen  sein,  da  zwischen  und  neben  den  einzelnen  örtlich- 
keiten ausser  den  hauptpersonen  auch  die  begleitung  von  Soldaten  und 
volk  ohne  Störung  zur  geltung  kommen  musste.  Bestimmte,  deutlich 
kennbar  gemachte  bühnenstandpiätze:!  muss  es  mindestens  folgende 
gegeben  haben:  1.  Das  praetorium  (mansio)  des  Fabricius;  2.  der  platz 
mit  dem  götzenbild;  3.  die  wohnung  (mansio)  der  Dorothea;  I.  eine 
art  folterkammer  oder  einen  folterplatz,  auf  dorn  die  verschiedenen 
martern  zur  ausführung  kamen.     Über  das  aussehen  dieser  platze  können 

1)  Vgl.  Heinzel,  Beschr.  s.  28. 

2)  Vgl.  Heinzel,  Abh.  s.  24. 

3)  Ebd.  s.  L33. 


IS  I 

wir  um   Vermutungen  aufstellen.     Dei  platz  det  Fabriciue  I  anaa! 

nui'  maasio,  war  aber  jedesfaU  be  ondej  hervorgehoben,  da  er  spä 
als  praetorium  bezeichnet  wird:  vielleicht  war  es  ein  tbronartiger  auf- 
hau oder  eine  laube  vor  einem  durch  couli  er  markierten  palaete.  D<  i 
aufenthaltsor!  Dorothea«  beisßl  ebenfalls  mcmsio,  and  et  muse  aaent- 
(ohieden  bleiben,  ob  dieses  farblose  worl  nur  Standplatz  oder  wohnu 
haus  bedeute;  jedenfalls  oaüsste  dies  so  geartel  sein,  daes  die  zusohauer 
die  Vorgänge  Im  innern  beobachten  konnten1.     Von  ähnlicher  beschaffen- 

heit  war  auch  ilcr  keiker  (ewcer),  denn  wir  sehen  darin,  wie  Doro- 
thea vom  enge)  gespeist  und  getröstet  wird.  Solche  örtlichkeiten 
konnten  nur  durch  halbhohe  wände  oder  schranken  markiert  sein.  Der 
iolterplatz  muss  ausser  dem  kerker  noch  das  öllass  und  den  geigen 
beherbergt  haben,  und  auch  die  martern  <\i'-  verlorenen  teües  würde 
ich  liier  vollziehen  lassen.  Vielleicht  fallt  auch  die  binrichtung  in 
diesen  räum,  vielleicht  ahei  waren  allen  einzelnen  scenon  gesonderte 
platze  zugewiesen;  das  musste  sich  ja  auch  nach  dem  orte  der  aul- 
führung  ändern.  Mit  dem  „galgen"  wird  -in  unserem  bruohstücke 
v.  245  allerdings  nur  gedroht,  aber  zweifellos  ist  damit  der  equuleus 
gemeint,  dessen  quälen  Dorothea  in  der  legende  nach  der  Zerstörung 
des  götzenbildes  zu  erdulden  hat. 

Die  bülmeneinrichtung  war  höchst  einfach.  Ausser  ein  paar  folter- 
werkzeugen  verlangt  das  stück  nur  ein  leicht  zerstörbares  götzenbild 
und  die  nötigen  requisiten,  um  bei  der  Zerstörung  grossen  lärm  und 
Donnerschläge  hervorzubringen;  das  konnte  auch  hinter  oder  unter  der 
bühne  geschehen.  Unklar  ist  bei  dieser  scene  die  beinerkung:  daemon 
per  aera  clamat;  fliegt  dabei  der  vertriebene  dämon  schreiend  durch 
die  lüfte,  oder  ist  darunter  grosses  geschrei  des  bereits  verschwundenen 
also  unsichtbaren  zu  verstehen? 

Der  ort  der  ganzen  handlung  ist.  wie  uns  legende  und  prolog 
belehren,  die  stadt   Cäsarea  in  Cappadocien. 

Als  zeit  wird  im  stücke  nur  allgemein  eine  grosse  christen- 
ve.rfolgu.ng  vorausgesetzt;  die  Legenda  aurea  meldet,  St.  Dorothea  sei 
im  jähre  287  an  den  iden  des  februar  unter  den  kaisern  Diocletian 
und  Maximian  auf  befehl  des  Statthalters  Fabricius  enthauptet  worden. 
Andere  berichte  enthalten  über  tag  und  jähr  kleine  abweichungen:  das 
andenken  der  heiligen  wird  seit  uralter  zeit  jährlich  am  6.  februar  ge- 
feiert. —  Die  handlung  des  dramas  umfasst  einen  Zeitraum  von  elf 
tagen,  wenn  ich   die  neuntägige  hungerzeit  als  voll  rechne  und  für  das 

1)  Vgl.  Heiazel,  Vbli.  s.  28.  —  Der  ausdruck  ntansio  scheint  sich  in  keinem 
der  übrigen  alten  spiele  zu  linden. 


DAR    DOKOTHKASPIF.L  185 

vorausgehende  wie  nachfolgende  je  einen  tag  ansetze.  Der  grosse 
Widerspruch  zwischen  Wirklichkeit  und  bühnenzeit,  der  gerade  in  der 
kerkerscene  zutage  tritt1,  enthält  wol  eine  starke  Zumutung  an  die  Zu- 
schauer, und  darum  kann  es  der  dichter  auch  gar  nicht  oft  genug 
widerholen,  dass  Dorothea  wirklich  ganze  neun  tage  im  kerker  gewesen 
sei.  Diese  klippe  zu  umsegeln  gieng  über  seine  kräfte,  während  die 
übrigen  auftritte  sich  ziemlich  glatt  aneinander  reihen. 

Wenn  wir  unser  stück  mit  dem  Ludus  de  beata  Katerina  ver- 
gleichen2, das  aus  dem  XY.  Jahrhundert  von  Mühlhausen  (in  Thüringen) 
erhalten  ist  und  mit  dem  Ludus  de  sancta  Dorothea  meist  in  einem 
atem  genannt  wird,  so  erscheinen  trotz  mancherlei  ähnlichkeiten  doch 
starke  unterschiede.  Die  spräche  unseres  dramas  ist  von  der  des 
Katharinenspieles  gewiss  nicht  weit  entfernt  gewesen,  doch  ist  sie  hier 
viel  unverfälschter  geblieben,  weniger  von  fremden  einflüssen  verdorben; 
auch  die  verse  sind  viel  strenger  gebaut.  Es  zeigt  sich,  dass  das  Doro- 
theaspiel durch  vielfaches  abschreiben,  sowie  dadurch,  dass  es  von 
seinem  ursprungsort  gewandert  ist,  sprachlich  und  metrisch  gelitten 
hat.  —  Das  Katharinen spiel  ist  aber  in  seiner  entstehung  zweifellos 
viel  jünger.  Fs  enthält  viel  mehr  formelhafte  Wendungen  und  weist 
einen  starken  zug  zur  breite  auf;  die  auftrage  an  die  diener  und  ihre 
ausführung,  rede  und  gegenrede  bedingen  viele  wörtliche  widerholungen 
einzelner  verse  und  versgruppen.  In  die  lateinischen  spielanweisungen 
werden  häufig  hymnen  und  an  tiphonen  eingeschaltet,  die  von  den  engein 
oder  sängern  gesungen  werden.  Gewisse  auffallende  Übereinstimmungen 
im  aufbau  der  handlung  sind  mehr  auf  die  ähnlichkeit  der  zu  gründe 
liegenden  legenden  als  auf  gegenseitige  abhängigkeit  zurückzuführen. 
So  bildet  in  beiden  den  ausgangspunkt  das  verweigerte  götzenopfer, 
ferner  gleichen  sich  der  botcnvcrkehr,  die  gefangennähme  der  heldinnen, 
ihre  martern,  kerker,  hungcr  und  schlage,  der  göttliche  schütz  bei  allen 
leiden,  die  Zerstörung  des  heidnischen  instrumcntes,  die  bekehrung  der 
beiden  und  der  martertod  der  vornehmen,  das  gebet  vor  der  enthauptung 
u.  a.  m.  Ähnliches  findet  sich  ja  naturgemäss  in  den  meisten  märtyrer- 
legenden. Das  Dorotheaspiel  ist  herber,  strenger,  vielleicht  auch  un- 
beholfener in  der  rede,  das  Katharinenspiol  weitläufiger  und  tliessender, 
es  setzt  eine  ausgebildetere  tradition  voraus.  80  steht  unser  spiel  auch 
in  dieser  richtung  für  sich  allein  da. 

1)  Vgl.  lleiuzel,  Beachr.  s.  i'Ti  und  283. 

2)  F.  StopLiau,  Neue  ötoffeauiailungen  für  deutsche  gesqhiclite.  II.  II'  lt.  Muhl- 
hauseii  1847.     8.  UUigg. 


Ludus  do  S.  Dorothea. 

f 80 b  1 1  In     nomine    domini    amen. 

[noipit     ludus     do     sancia    dorothea. 

I'rimus  dioü  ricmum,  qui   proponit  Iudum. 

Nu  swigit  ir  inngen  vn  ir  eü 

daz  sin  got  umso  waldon. 

In  alle  dyseu  dingen, 

daz  eyu  ichlieh  mensche  wi]  beginnen, 
5    Ro  sal  her  zcu  dem  ersten  ruffen  an 

dez  allerbesten  dez  her  kan, 

daz  daz  ende  werde  gut 

myt vn  myt  meren  gut. 

dez  helfe  vnz  got  zcu  disin  dingin, 
10    daz  vnz  alhi  muze  wol  gelingin, 

vh  dy  heylege  iuncvrov  dorothe, 

daz  vnz  der  hülfe  werde  me, 

Vn  dy  gnode  dez  heyligen  geyst. 

nu  singe  wir  alle  dysen  leys: 

Nu  bitte  wir  den  heyligen  geyst  etc. 
et  cantat  omnis  populus.     Post  cantum  iterum  dicit: 
15    Um  den  zanc,  den  ir  hot  volbrocht, 

do  gebe  vch  vme  got  craft  vn  macht 

Czu  sen  vh  zcu  halden; 

Got  der  niftse  vusir  spilles  walden. 

Nu  höret  vn  merket  also  wol, 
20    wen  ich  nü  künden  sol 

von  sente  dorotea  der  blümen, 

wy  sy  zcu  der  marter  sy  comen. 

Zcu  eynen  gezcyten  is  ist  gewesen 

Czu  rome,  als  ich  dovon  han  gelesen, 
25    Gros  ahtunge  der  cristenheyt. 

Is  vrowe,  man  ader  mayt, 

June,  alt  adir  rieh, 

dy  vinch  man  alle  geglich. 

dy  do  cristum  weiten  zcu  got, 
30    dy  brocht  man  alle  in  grose  not. 

alle  dy  cristen  dy  do  waren, 

dy  man  in  rome  moht  irvaren, 

dy  liz  man  vortielgen  vn  vortriben 

In  hne  (?)  dui  amen.  Der  spruch  steht  ganz  am  raude,  der  obere  teil  der 
Buchstaben  ist  weggeschnitten;  Hoffmann  hat  ihn  gar  nicht  bemerkt. 

1  Der  grosse  anfangsbuchstabe  fehlt,  im  ausgesparten  räum  ist  heute  Is  mit 
bleistift  eingeschrieben.  —  8  myt  minhe  snude;  offenbar  ganz  verderbte  zeile.  — 
15  küm  gibt  keinen  sinn;  um  vermutet  Hoffmann.  —  26  wrove.  —  29  #pm.  — 
31  weren  (?).  —  32  ir  waren.  Nach  v.  32  wiederholt  die  hs.  die  verse  29,  30:  dy 
cristen  dy  do  kristum  weiten  zcu  got,  dy  broch  man  alle  in  grozze  not. 


DAS   DOROIHEASPIEL  187 

vh  mit  wissen  liz  man  keyn  [86 b  2J  do  blyben, 
35    Is  were  denne  also  getan, 

ab  ber  dy  aptgote  wolde  beten  an, 
dy  zcu  rome  gewesen, 
vn  vor  sulcher  vorchte  wol  genesen. 
Do  dorotkeus  daz  vornam 
40    dy  reythe,  ber  waz  von  edillem  stam, 
Im  missevil  gar  sere  sulcb  gebot. 
bet-  sprach:  ihesu  crist,  hilf  mir  vz  dyrre  not, 
wen  ich  eyn  cristenman 
vh  wil  nicht  beten  iren  aptgote  an. 
45    Got  zcu  hant  im  gesant  in  sinnen  milt, 
wy  sin  here  vn  al  syn  gut 
Lis  aldo  zcu  rome  stan 
vn  mit  den  sinen  vur  von  dan, 
Mit  theodora  der  üben  vrow  syn 
50    vn  mit  czwen  tochtern  cristen  vn  kalisten  sin. 
Set,  do  vlogen  si  zcu  hant 
zcu  capadocien  in  daz  lant 
In  eyne  stat  dez  keyser  gebit. 
Zcu  hant  si  got  eyner  tochter  berit. 
55    Noch  dem  siton  der  cristenheyt 
hemilich  wart  sy  dy  toufe  angeleyt; 
von  eynen  bischof  alzcuhant 
wart  si  dorothea  genant, 
von  der  müter  vn  den  vatir 
60    Dorotheus  so  her 

vh  dy  muter  theodara, 
also  wart  ir  der  nam  darothea, 
vn  wart  irvullet  mit  den  heiligen  geist 
In  czuchten  vh  tugenden  allermeyst. 
65    Sy  waz  schone  vbir  alle  iuncvrowen, 

daz  in  alle  dem  rieh  nicht  schöner  waz  zcu  schowen. 
Welt  du  wol  vornemen  dyse  mere, 
also  izt  dorothea  komen  here. 
wy  nu  vorbaz  [87 a  1]  werde  gesehen 
70    daz  wert  ir  hören  vh  sen. 
Tunc  primum  cantatur:  Silete.     Primus  miles  Grim  dicit: 
Here  fabricius,  saga  mer, 
waz  ist  nu  dynen  herezen  ger, 
adyr  wornoch  trachten  dyn  mfit? 
daz  sage  vns,  daz  dunket  mich  giit. 
75    dez'sulle  wir  alle  gewollit  syn 
gar  noch  dem  willon  dyn. 

34  mit  wy  vissen.  -  :!7  genesen.  —  42  ihn  crist.  -  4i)  wrow.  -  51  vloeen 
sin.  —  55  Noc.  -  .-)!)  wnn.  -  watir.  —  62  als  so.  63  vart  ir  wullet.  -  holy- 
geist.  —  ü4  czulthen  vn  tudyde.  —  65  iücwixibbeji.  —  liti  Bohowhen.  »;?  Verl 
nu  vol. 


Fabricius  n    i 

Ritter  grira .  daz  jage  ich  dyr, 
waz  ioh  au  bau  gedooht  myr. 

Mynen  gol  den  wil  ich 
so    \  ii  alle  iu.\  ii  vulk  Ben  liym  ki  i 

daz    >   breiigen  daz  opphii  dar. 

daz  wil  habe  alses  war. 
[terum  milee  dioil : 

Here  fabricius,  daz  sal 

gar  noch  dem  willen  dyn. 
Milcs  ad  cursorem  dicii : 

85    horstu  daz,  Ewer, 

hast  du  vornomen  dynes  bereu  mer? 

du  salt  kundengen  alzculiant. 

also  weyt  alzo  izt  mines  hcren  laut. 
Ewer  respondet  et  convoeat  populuni,  ut  vadant  ad  eultum  ydolorum: 

here,  daz  han  ich  dicke  getan. 
90    Nu  höret  ir  vrowen  vn  ir  man: 

Ir  sullet  alle  tun  mynes  herren  gebol 

v  n  komet  in  den  teinpil  zeu  dem  aptgot, 

vn  brenget  alle  ewer  opphir  dar 

wen  man  wirt  vwer  nemen  war. 
95    vh  welche  nicht  dar  komen, 

dy  nem  syn  keynen  vromen. 
Silete.     Tunc  fabricius  cum  omni  populo  transit  ad  ydolum  ipsum  laudando.  dicit: 

Myn  got,  daz  sal  dyn  lop  syn 

|87a2]  myt  alle  dyzen  volke  myn; 

vn  moch  ich  ir  mer  gehabin, 
100    sy  müsten  dir  alle  lop  sagen. 

vh  biz  mir  genedik,  dez  bitte  ich  dich, 

in  dyne  hüte  bevele  ich  mich. 
Dcmon  respondet: 

Noch  eyuer  mayt  loz  sten  dynen  gyr 

i'rabricie,  daz  sa  ich  dir. 
105    dy  schönste,  dy  in  dem  lande  mac  gesyn, 

dy  nem  dir  nach  dem  willen  dyn. 
fabricius  converso  ad  ydolum  dicit: 

Ich  wil  tun  noch  dynen  gebot, 

Ich  ge  sy  heysen  komen,  e  iz  werde  zeu  spot. 
Tuuc  fabricius  vadit  ad  mansionem  dorothee  et  dicit: 

Got  gruse  dich,  allerschonste  clar, 
il<>    dy  ich  han  gesen  by  manchen  iar. 
Dorothea  rofert  grates: 

Here,  iz  nucht  ewer  spot, 

80  wölk  —  81  brene.  —  90  wrowe.  —  93  alle  wer.  —  94  var.  —  95  reiche. 
—  106  dy  ine  ne  dir.  —  108  Ich  wil  ge;  Avil  offenbar  aus  dem  vorhergehenden  verse 
widerholt.  —  verde.  —  109  aller  schöste.  —  110  mancheen. 


DAS   DOROTHE  ASPIEL  189 

so  danke  vch  der  hemillische  got. 

fabricius,  Got  geseyne  vch,  edeler  here, 

daz  vch  got  muse  eren. 
Tunc  fabricius  transit  ad  mansionem  suam  cum  populo  et  dicit: 
115    Nu  höret  alle,  waz  ich  muz  ien: 

dy  aller  schönste  dy  han  ich  gesen, 

dy  muz  ich  han,  daz  ist  on  ende. 

wo  myn  böte,  den  ich  do  hyn  sende'? 
Nuncius  respondet: 

Here,  ich  antworte  ewren  mere; 
120    wa  ir  mich  heyst,  daz  tun  ich  gerne. 
Fabricius  ad  nuncium: 

Hast  du  nü  myn  reyde  vornümen? 

wol  hyn  vn  heys  dy  iuncvrowe  komen, 

von  der  ich  dir  habe  gesayt, 

dy  myme  herczeu  wol  behayt. 
[87 b  1J  Silete  .  dicit  Nuncius: 

125    an  ewren  dinste  bin  ich  vnverczayt 

Vh  wil  vch  brengen  dy  schone  mayt, 

waz  ir  mich  heist  werben, 

vfi  solde  ich  dor  vmme  sterben. 
Nuncius  currit  pro  virgine  et  dicit: 

Got  grase  dich,  czarte  vn  clar! 
130    Hör  vn  nem  meyner  reyde  war: 

Myn  here  der  bit  dich  zcu  ym  zcu  komen, 

iz  kome  zcu  saden  adir  zcu  vromen. 
Dorothea  respondet: 

waz  myn  here  gebeut,  daz  sal  syn. 

nu  get  mit  mir,  vil  üben  swester  myn. 
Silete  .  et  Nuncius  est  reversus  et  dicit  ad  fabricium : 
135    Sich  here,  wi  do  her  get, 

noch  der  dyn  müt  so  sere  stet. 

ich  han  dyn  reyde  wol  vornoinen 

du  bist  mich  eyne  brengen,  uu  siut  drie  komen. 
Et  transit  cum  sororibus  ad  fabricium.     Fabricius  suscipiet  eam  .  dicit: 

.Iuncvrowe,  nu  biz  mir  wilkomen, 
iiii    iz  kome  zcu  schaden  adir  zcu  vromen. 

golt  silber  vn  saczes  so  vil 

wil  ich  dir  geben  ane  zcil; 

als  myn  gut  wil  ich  dir  geben, 

vn  nem  mich  zcu  eym  eliöhen  leben. 
Dorothea  respondet: 

1)5    waz  beuts  du  myn  den  säcz  dyn! 

Ja  vorsme  ich  eu  sam  eyn  erdenclossilin ! 

Nu  nem  ich  dich  noch  keynen  man. 

L22  iücwrowe.  —   126  brenne.   —    KU  wil.     -    L38  brene.  —   139  Jücwrwe 

111   wil.  —  143  Kiiout. 


1 90  SOEAOH10R 

wen  iii<-  n    'ii  tu-  i  t  in-, ii  bi 5tegam, 
der  eyn  konio  ubir  alle  Irfioge  i/.t. 
iGo    Daz  sag  ich  dir  in  dirre  vrist. 
Fabriciua  furo]  i  dorotheani  'li<it: 

wy  torstu  «Ja/,  v  kej  n  tnii  ben? 

!]  an  dyme  Lybe  wil  ich  mich  rechen! 
In  eyne  böte  sal  man  dich  slizen, 
vn  sal  dich  mit  sydendyngen  5ele  begi 
llic  fabriciua  dioil  ad  son 

165    Ir  czwn  iuncvrowen,  geleubet  ir  OUCh  an  Jen  got, 
den  ewer  swester  hy  genant  bot« 
Zo  must.  ir  oucb  den  tot  lyden, 
vn  sal  ach  dy  helse  ab  sniden! 
prima  soror  dicit: 

ach,  lihe  swester,  was  reydes  du 
L60     wi    vnsir  antworte  nu? 
Secunda  dicit: 

Swester,  wir  sullen  vurchten  dy  not, 
dy  do  brengct  den  grimmigen  tot. 
bore,  wir  Won  alles  daz  ir  vns  freyst, 
vn  gelovben  an  ewer  gut  allirmoyst. 
Fabricius  ad  sorores.    Et  cum  hoc  iubet,  ut  dorotheam  in  oleum   proiiciatur  et 
super  caput  fundatur. 

165    Nu  ir  in  vnsirm  leben  wellet  wesen, 
so  moget  ir  vil  wol  genesen. 
aber  dy  vast  an  eyn  seyl 
vn  tut  noch  mynen  vrteyl 
vn  begist  zy  myt  dem  oele,  daz  do  syde, 
170    do  mit  vorbornt  ir  alle  ire  gelyde! 
Silete.     Tunc  tortores  proiciunt  eam  ad  oleum.     Notopolt  dicit: 
Horstus,  geselle  tarant? 
nu  wirf  ir  abe  ir  gewant 
vn  warte,  daz  feste  sin  ir  bant; 
sy  muz  in  dy  böte  zcuhant. 
I7ö    So  wil  ich  sy  mit  dem  sidendyngen  oel  begysen, 
daz  aller  ir  lip  wirt  bevlisen. 
Nu  sich  vü  nem  sin  war, 
ir  müz  abe  gen  hiit  vii  har. 
Tarant  respondet: 

Geselle,  [88 a  1]  du  darft  rnyr  nicht  sagen. 
180    Ja  ich  wil  irs  nicht  vortragen, 

daz  sy  were  noch  so  schone  vn  so  clar, 
Si  mtiz  dy  martir  leyden  zewar. 


148  ihr  xpc-  —  155  czvu  iücwrow  —  158  sal  ouch.  —  160  ancwurte.  — 
161  vurcten.  —  162  brenet  den  grimmy.  —  163  tun  widerholt.  —  167  adir.  —  sei. 
—  181  schone  ist  im  text  ausgeblieben  und  schonew  am  rand  von  späterer  hand  mit 
anderer  tinte  ergänzt;  derselbe  corrector  ist  von  jetzt  au  öfter  zu  treffen. 


DAS    DOROTHEASPIEL  191 

Jo  heyse  ich  der  tarant, 

ich  vorhrente  ix  nevne  vm  ir  gewant. 
Dorothea  sedens  m  doleo  illesa  refert  grates  deo: 
185    0  iesu  crist,  almechtiger  trost, 

wie  genediclichen  hast  du  mich  hüte  irlost! 

Ja  sieze  ich  in  eynem  balsem  smac  vn  in  einen  towe 

glichirwis  als  in  eyner  owe. 

nu  set,  ir  vrowen  vn  ir  man, 
190    waz  czeychans  got  an  mir  hat  getan, 

daz  mich  dy  marthir  hat  vormyden 

vn  vnvorsert  byn  bliben. 

Sit  ir  daz  hat  geseen, 

Zo  müget  ir  wol  an  ihesum  cristum  ien. 
Pagani  sive  milites,  qui  primo  sit,  convertnntur.  primns  dicit: 
195    Dorothea,  noch  dynen  gebot  wol  wir  tun 

vn  wellen  gelouben  an  ihesum  cristum  gotiz  sun 

vn  wellen  den  han  czu  got, 

zult  wir  mit  dir  liden  den  tot. 
Secundus  dicit: 

Dorothea,  daz  kau  nymant  irwern, 
200    wir  wullen  vns  vz  dem  vnrechten  gelouben  keren 

vn  wullen  gelouben  an  dynen  heren  ihesum  crist, 

der  eyn  rechtir  nothelfer  izt, 

der  dich  von  der  martir  hot  irlost, 

vn  alle,  dy  en  anrußen,  den  izt  her  eyu  heyl  vn  eyn  |88a  2]  trost. 
Tertius  paganus  dicit: 

205    Jo  czwar  daz  sulle  wir  alle  yen, 

wen  wir  han  mit  den  ougen  geseen; 

dovon  prüf,  ir  vrowen  vn  ir  man, 

wi  geuedielich  got  dorotheen  Iiot  getan. 

wir  wullen  ouch  geleuben  an  denselben  got, 
210    vn  sulde  wir  mit  dyr  lyden  den  tot. 
Fabricius  ad  paganos: 

Den  tot  den  mfist  ir  ouch  liden 

vn  muget  yn  ouch  nu  nicht  vormyden. 
Iterum  fabricius  dicit  ad  tortores  et  facit  paganos  ducere  ad  decollandam : 

Ir  heren,  hat  ir  nu  vornomen  mynen  syn? 

nu  nemet  sy  vn  vurt  sy  hyn! 
215    Nu  vurt  sy  hyn  vn  komt  dorvon, 

ich  mag  nicht  lenger  geseen  ireu  hon. 
Servus  fabricio  respondet: 

Here,  wir  lozen  sy  nicht  leuger  sten. 

Wir  "wullen  sy  vurron,  si  mochten  vil  über  gen. 

187  baffem.—  188  oorrigiert  in  glicherwis.  —  189  wrowe.  —  193  Sy.  darüber 
corr.  Sam.  —  194  ihm  eristu.  —  ien  corr.  in  iehen.  —  195  w  ,  darüber  wir.  — 
196  ilntt  xpm.  —  201  ihü  crist.  —  205  yen,  corr.  in  yehen.  —  20G  geseen,  oorr. 
in  gesehen.   -  207  wrowen.        214  wrt.'—  215  wrt.  —  218  wurren.    -    wi! 


102 


gl  II  v  HN1  R 


Fabriciufl  contra  dorotheam  dioit: 

Daz  li'ist  du  mit  zceuberni    i    getan! 
220     im  .  den   kfik'T.   ii    ■  zw <.ii<-  man, 

vii  in  neun  tagen  sal  man  ir  nich'f  czesson  g< 
lat.  warten,  ab  sj  er&  götiz  i  ben'. 

Silete  eto.    Tunc  d'ucunt  eam  ad  carcefem.  angelu    consoletdr  eam  dorotheam  in 
re. 

I  lorothea,  nym  dy  Bpj)  ibe  dich  wröl ' 

Got  i/.t  mit  dir,  als  du  wü\  m,  [88*  I    he'f  boI. 
Fabriciufl  dicit  ad  Bervos: 

226    Ir  czwene  man.  als  iöh  vch  vor  neVn  tagen  habe  gesayt, 
get  vii  brenget  vs  dem  kerket  dy  mayt, 
vii  wart,  ab  sye  tot  adir  lebi  . 
aair  mit  wblcherleye  ob  strebe. 

Servi  lespondönt: 

wir  han  dyn  gebot  wol  vornomen, 
230    sisye  tot  adir  lebmdink,  sy  muz  komeh. 
Iterum  primus  tortor  dicit: 

herc.  wir  tun  gerne  dyn  gebot, 
aber  vns  dunket,  si  sye  langes  tot. 
Et  tortores  vadunt  et  ducunt  eam  de  carcere  ad  pretorium  et  dlcunt: 
Itere,  wir  biengen  dir  dy  schone  vn  dy  cfär, 
Nu  sich  sy  au  vn  nym  sin  war! 
-'35    vn  hette  si  ny  geleden  keyne  piri, 
Si  mochte  schöner  nicht  gesin. 
Fabricius  contra  Dorotheam  dicit: 

So  wi  bistu  des  hungirs  ye  genesen? 
Jo  bistu  schöner,  den  du  bist  y  gewesen! 
vns  kan  nicht  volwuudyru  gar, 
24ü    daz  si  izt  so  schone  vn  so  dar, 
vn  ane  spise  so  lange  ist  genesen, 
also  lange,  als  sy  in  dem  kerker  ist  gewesen. 
Fabricius  contra  Dorotheam  dicit: 

dorothea,  nu  vornym  mich  man: 
du  enbetest  myn  aptgot  an, 
•J45    adyr  ich  wil  dich  an  eynen  galgen  beugen 
vn  wil  dich  von  dem  lebm  brengen. 
dovon  wir  sullen  nicht  lenger  hy  sten, 
wir  sullen  zcu  mynen  apgotten  [88 b  2]  gen. 
Silete  etc.     Tunc  vadunt  ad  ydolum  cum  dorothea  et  dicit  fabricius: 
Dorothea,  ich  sage  dirs  au  allen  wan, 
'-'50    uu  bete  myn  apgote  an! 
Dorothea  respondet: 

IX 

221  nen.  —  224  vn  am  beginn  der  neuen  seite  widerholt.  —  225  nev.  — 
226  brennet.  —  227  leben.  —  228  vor  si  radierter  freier  räum.  —  232  adyr.  — 
236  So.  —  239  nicht  vol  vol  wüdyrn.  —  241  so  lanne  ist  gewesen.  —  242  also 
lanne  alsy.  —  244  aptot.  —  245  hene.  —  246  brene.  —   247  do  wou. 


BAS   DOROTHEASPIEL  1Ü8 

fabricie,  dyne  gote,  dy  du  mir  nennest, 
dy  syn  dez  teuphil  gespenst. 
Sy  sal  nimant  anbeten. 
wen  si  sin  vals  mit  eren  teteu. 
255    Nu  sult  ir  alle  pruffen  \Ti  hören, 
wy  vch  ewer  aptgote  wellen  toren, 
hy  pit  ich  myn  got  sine  geuedikeyt  irczeygea, 
daz  her  dy  aptgote  [muge]  zcuvleugen. 
Post  hoc  angeli  veniunt  cxim  magno  inpetu  et  conterunt  ydolum,  ut  hat  tonitrus. 
demon  per  aera  clamat: 

owe,  owe  dorothea,  waz  hast  an  vns  gerochen, 
260    daz  du  vnser  gemach  also  hast  czubrochen? 
vn  hast  vns  also  gar  vortriben, 
daz  eynre  by  ander  nicht  ist  bliben. 
Dorothea  ydolo  superato  grates  deo  refert: 

0  genediger  here  ihesu  crist, 
Wi  gar  eyn  milder  got  du  bist, 
265    daz  du  dyne  gotheyt  host  irczeyget 
vn  dy  aptgote  zcuvleuget. 
Pagani   hie   videntes,   quod  ydolum   superasset.    conversi   _sunt    ad    dominum    et 
primus  dicit:  Jo  dorothea.  daz  ist  also, 

vn  bin  des  von  herezen  vro, 
daz  ihesum  han  irkant 
27o    vh  ouch  den  gelouben  —  —  —  — 

Anhang. 
Bei  dieser  gelegenheit  will  ich  noch  auf  ein  lateinisches  Dorotheen- 
spiel  hinweisen,  das  einer  Sammlung  von  schuldramen  beigebunden  ist. 
die  ebenfalls  in  der  bibliothek  des  Stiftes  Kremsmünster  aufbewahrt 
wird  und  deren  bestandteile  dem  17.  und  dem  beginnenden  18.  Jahr- 
hundert angehören.  Es  führt  den  titel:  Sancta  Dorothea  Virgo,  Cesareae 
in  Cappadocia  Martyrio  affeeta  a  Sapritio  Tyranno.  Tragica  scemi  pro- 
ducitur  a  luventute  Cremiphanensi  Anno  1651.  Es  ist  auf  quart- 
blättern  sorgfältig  geschrieben  und  zeigt  roten  schnitt;  offenbar  war  es 
einst  als  handexemplar  einem  Würdenträger,  vielleicht  dem  abte,  ge- 
widmet gewesen.  Unmittelbar  daran  schliessen  sich  zwei  scenarien  de- 
Stückes,  eines  in  deutscher,  das  andere  in  lateinischer  spräche,  \\i<'  sie 
bei  den  Vorstellungen  an  das  gelehrte  und  ungelehrte  publikum  ver- 
teilt zu  werden  pflegten.  Die  leetüre  des  textes  ist  eine  ziemlich  trost- 
lose arbeit;  es  soll  hier  nur  angedeutet  werden,  wie  sich  dieses  schul- 
drama  zum  alten   volksschauspiele  verhält 

254  wals.  —  258  zeu  vlogen.  —  263  ihn  crist.  266  zeu  vlogz.  —  269  ihfii 
—  270  Nach  vn  radierte  Kicke;  mit  ende  der  seite  bricht  die  hs.  ab,  Hoffinann  er- 
gänzt noch  vant  als  reimwort. 

ZEITSCHRIFT    1'.    DKOTSOHH    PHILOLOGIE.       BD     \\\\  L3 


194 

Der  stoff  ist,  wie  ausdrücklich  angegeben  wird,  aus  der  daniah 
beliebten  legendensammlung  des  Suriu  entnommen.  I)i>-  .<m  einem 
prolog  eingeleitete  bandlung  zerfall!  in  drei  akte;  die  beiden  er  ten 
akte  bestehen  aui  je  acht,  der  letzte  au  echs  scenen.  Der  erste  und 
/.weite  aufzug  endigen  in  einem  chorus  mit  musikbegleitung,  an 
den  dritten  schlies  I  sich  die  Verteilung  der  Jährlichen  prämien"  an 
die  studierende'  Jugend;  es  ist  also  das  stüci  gelegentlich  der  absch 
teier  <\rs  Schuljahres  aufgefübii  worden.  Nichl  mehr  die  grausame 
Freude  an  marterscenen  stellt  im  Vordergründe,  sondern  die  freude  an 
grossen  reden;  die  rhetorik  mit  allen  kunstmitteln,  alter  auch  mit  an- 
erträglichem bombasl  und  schwulst,  tritt  in  ihre  rechte,  [m  erst«  d  akte 
werden  Dorothea  und  ihre  zwei  Schwestern  als  Christen  gefai 
genommen;  die  Schwestern  lallen  aus  furchl  vom  glauben  ab  („gehen 
in  dem  glauben  den  khrebsgang",  sagt  das  scenar  I.  8),  Dorothea 
aber  bleibt  standhaft  und  wird  den  Schwestern  zur  behandlung 
übergeben.  Im  /weiten  akte  wird  die  Jungfrau  ihrer  standhaftigkeil 
wegen  in  den  kerker  geworfen,  beredet  aber  dort  ihre  Schwestern  zur 
umkehr,  was  diese  mit  dem  tod  „in  feurigen  kesseln"  büssen  müssen. 
Die  marter  wird  jedoch  nicht  auf  der  bühne  vollzogen.  Im  dritten 
akte  soll  Dorothea  auf  der  folterbank  aufgezogen  werden,  aber  durch 
ein  wunder  vermögen  die  henkersknechte  sie  nicht  vom  platze  zu  be- 
wegen; Sapritius  lässt  sie  daher  sofort  enthaupten.  Noch  wird  kurz 
die  bekehrung  des  Theophilus  durch  das  rosenwunder  dargestellt,  und 
das  stück  schliesst  damit,  dass  sich  der  neue  Christ  dem  tyrannen  aus- 
liefert Da  sich  Dorothea  zur  enthauptung  in  einem  gerüst  verbergen 
muss,  aus  dem  der  köpf  für  den  henker  heraussieht  —  offenbar  wurde 
dabei  eine  puppe  eingeschmuggelt  —  so  wird  dem  publikum  eigentlich 
nur  eine  einzige  überdies  erfolglose  marterscene  zugemutet. 

An  die  stelle  der  taten  treten  dafür  in  ausgiebiger  weise  gewaltige 
reden.  Schon  die  hauptleute,  die  zu  aufang  auf  christenjagd  ausgehen, 
nehmen  den  mund  recht  voll.  Der  tvrann  Sapritius  kann  sich  gar 
nicht  genugtun  in  Verwünschungen  und  drohungen,  und  da  diese  gar 
keine  Wirkung  tun,  gerät  er  so  in  zorn,  dass  er  nach  dem  henker 
schicken  muss  „ad  molliendum  animum"  (III.  3)2.     Hier  tritt  die  ganze 

1)  F.  Laurentü  Surii  De  probatis  sanctorum  historiis.  Köln  1570,  3.  auf- 
läge 1618. 

2)  Vgl.  dagegen  Reuters  Comedia  gloriose  martiris  Dorothee  (s.  oben).  Hier 
kommt  Fabricius  über  die  bekehrung  des  Theophilus  so  sehr  in  wut  („pre  iracundia 
non  sum  apud  me!"),  dass  er  —  essen  gehen  muss;  er  ordnet  ein  reichliches  fest- 
mahl  an  und  lädt  alle  Schauspieler  dazu  ein  (5.  akt  schluss). 


DAS   DOROTHEA SPIEL  195 

innere  hohlheit  dieser  dramen  zutage:  derselbe  grausame  tyrann,  der 
eben  noch  wegen  der  hartnäckigkeit  der  Christin  vor  wut  zu  ersticken 
drohte,  verteilt  am  Schlüsse  die  prämien  unter  die  studierende  Jugend, 
offenbar  weil  man  vor  einer  fürstlichen  person  unter  allen  umstünden 
respekt  haben  muss! 

Den  rhetorischen  absiebten  kommt  auch  die  allegorie  zu  hilfe,  die 
wie  ein  rahmen  das  gemälde  umschliesst.  Im  prolog  fordert  Ecclesia 
militans  die  Zuschauer  auf,  dem  kämpf  und  sieg  der  hl.  Jungfrau  Doro- 
thea beizuwohnen.  „Ad  arma",  ruft  sie,  „ad  arma  Christiano  nomine 
quieunque  gaudet  generöse  stipendia  miles  mereri!"  Sie  versteht  da- 
runter vineula,  secures,  carceres  et  equuleos,  palmas  und  schliesst  mit 
der  bitte:  „Haec  arma  traetabimus  et  hanc  victoriam,  dum  Cothumo 
iuvenili  Musa  peraget,  vos  parcere  et  benevolos  speetare  petimus.''  Zu 
beginn  des  ersten  aufzuges  beklagt  sich  Idololatria  über  den  rückgang 
der  götterverehrung,  und  die  furie  Alecto  verspricht  ihr,  Sapritius  gegen 
die  Christen  aufzustacheln.  Am  Schlüsse  beweinen  Ecclesia,  Fides  und 
Timor  Domini  im  chore  den  abiall  der  Schwestern  „mit  betrüebter 
rnusica."  Der  zweite  akt  beginnt,  indem  der  hüllenfürst  Pluto1  voll 
freude  dem  Styx  den  sieg  der  abgötterei  melden  lässt.  Aber  in  der 
6.  scene  beschliessen  Timor  Domini  und  Poenitudo,  das  herz  der!  ab- 
trünnigen Schwestern  zu'  rühren,1  was  ihnen  auch  gelingt,  so  dass  der 
Chorus  die  liebe  gottes  über  alles  preisen  kann.  Der  dritte  aufzug 
hat    keine  allegorischen  figuren  mehr. 

Auch  für  das  heitere  element  ist  gesorgt.  Die  satellites,  die  nach 
prahlerischen  reden  auf  die  christenjagd  ausziehen,  aber  un  verrichteter 
dinge  zurückkehren  müssen,  weil  das  wild  schon  ausgeflogen  war,  er- 
innern an  den  alten  miles  gloriosus.  Die  eigentlich  komische  figur 
bildet  jedoch  der  Zimmermann  Lentulus,  der  auf  dem  forum  das  trihunal 
aufrichten  helfen  soll,  aber  statt  zu  arbeiten  mit  geschwätziger  zunge 
die  zeit  vergeudet  „in  depingenda  sua  Xantippe,"  oder,  wie  es  gut 
deutsch  übersetzt  heisst  „mit  beschreuhung  seines  alten  hausskhreuz" 
(IL  3).  Nach  dem  bilde,  das  der  mann  von  seiner  besseren  hälfte  ent- 
wirft, muss  diese  allerdings  eine  recht  unliebenswürdige  person  gewesen 
sein.  Doch  scheint  sich  die  Satire  nicht  bloss  gegen  böse  eheweiber 
sondern  auch   gegen   gewisse   faule   zimmerleute   zu    wenden.      Lentulus 

1)  In  Reuters  Comedia  reizen   Pluto   und   die   Euiie  Alecto  den  Fabrieius  auf, 

dass  er  Dorothea  töte;  aber  ihr  auftreten,   das  wilde  gebrüll  „ho,  ho,  ho,  ho  —  ha, 

ha,  ha,  ha!"  erinnert  noch  sehr  an  die  rohen  teufelsfiguren  früherer  zeit;  nur  der 
name  ist  klassisch  geworden  (2.  akt). 


196 

hat  vnii  seinem  Beugen  roter  die  lebre  erhalten,  keine  arbeil  zu  über- 
stürzen. Den  rat  befolgt  der  Bonn  pünktlich;  er  Bieht  gemächlich  zu, 
wrim  andere  zugreifen,  und  lässl  Bich  durch  kein  »chelt-  noch  stichel- 
reden  au  seiner  ruhe  bringen  Zu  einem  arge]  wird  er  aber  dafüi 
auch  bei  der  lohnzahlung  übergangen 

i  1:1   ,|    Mi    <    ii. i.  III  IXBIl  II    8l  HAI  i 


DIE  ENTSTEHUNGSZEIT  VON   WOLFRAMS  TITUEEL 

Über  die  entstehungszeil  eon  Wolframs  Titurel  Bind  in  nun  bei- 
nahe hundert  jähren  die  verschiedensten  ansichten  ausgesprochen  worden 
Von  diesen  darf  jene  von  Pfeiffer- Bartsch  heute  als  allgemein  auf- 
gegeben betrachtet  werden ,  während  Domanigs  hypothese  von  vornherein 
jeder  lebenskraft  entbehrte:  dass  der  Titurel  weder  vor  noch  zwischen 
dem  Parzival  entstanden  ist.  steht  durchaus  fest;  nur  um  das  chrono- 
logische Verhältnis  zwischen  T.  und  Willehalm  kann  es  sich  heute  mich 
handeln.  Auch  hierüber  sind  die  meinungen  geteilt:  die  meisten  ge- 
lehrten haben  wol  Lachmanns  ansieht  folgend  die  reihenfolge  Parzival  - 
Titurel  — Willehalm  angenommen,  ziemlich  allein  steht  Herforth.  der 
(Zs.  f.  d.  a.  18)  gleichzeitige  abfassung  von  T.  und  Wh.  vertrat.  Neuerdings 
hat  nun  Leitzmann  (PBB.  XXVI,  145  fgg.)  die  schon  von  Jacob  Grimm 
und  A.  W.  Schlegel  ausgesprochene,  später  von  San  Marte  (Wolframs 
leben  II,  s.  34-4)  vertretene  ansieht,  dass  T.  das  letzte  unter  Wolframs 
werken  sei,  zu  begründen  unternommen. 

Leitzmanns  Untersuchungen  haben  sicher  die  Titurelforschung 
wesentlich  gefördert  und  die  resultate  seiner  capitel  über  den  strophen- 
bestand  und  die  composition  nehme  ich  durchaus  an.  Dagegen  glaube 
ich,  dass  er  mit  seiner  datierung  des  T.  ebensowenig  das  richtige  ge- 
troffen hat  als  seine  Vorgänger. 

Die  frage  lässt  sich  bekanntlich  nicht  für  sich  allein  entscheiden. 
sondern  nur  im  engsten  Zusammenhang  mit  jener  andern,  ob  der  Wh. 
vollendet  oder  unvollendet  ist.  Nach  der  bis  heute  vorherrschenden 
ansieht  ist  der  Wh.  ein  torso  (vgl.  Bernhardt,  Zeitschrift  32,  36  und 
die  dort  verzeichnete  litteratur;  Vogt,  Grundr.  II,  s.  201)  und  als  grund 
dafür  wird  ziemlich  allgemein  angenommen,  Wolfram  sei  über  der  ab- 
fassung des  9.  buches  vom  tod  ereilt  worden,  nachdem  er  schon  nach 
Vollendung  des  8.  buches  die  arbeit  im  Vorgefühl  des  nahenden  endes 
vorübergehend  unterbrochen  habe.  Leitzmann  dagegen  hält  zwar  nicht 
mit   Clarus,    San   Marte,    Bolin    das   gedieht   für   vollendet   (nach    dem 


DIE    ENTSTEHUNGSZEIT    VOK    WOLFRAMS    IITCREL  197 

ursprünglichen  plan!),  er  nimmt  aber  an,  es  sei  von  Wolfram  absicht- 
lich unvollendet  gelassen  beziehungsweise  mit  einem  nicht  dem  ursprüng- 
lichen plan  entsprechenden  notdürftigen  schluss  versehen  worden.  Ganz 
ähnlich  äussert  sich  Bernhardt  (a.a.O.,  s.  38fgg.);  während  dieser  aber 
zur  erklärung  des  „notdürftigen"  abschlusses  wider  zu  der  annähme 
greift,  "Wolfram  sei  darüber  gestorben,  lehnt  Leitzmann  diesen  schluss 
ab.  Natürlich  erklärt  er  sich  auch  die  Unterbrechung  nach  dem  8.  buche 
nicht  in  der  oben  angegebenen  weise.  Ich  glaube  nun,  dass  er  betreffs 
dieses  8.  buches  im  recht  ist;  denn  dessen  Schlussworten  (402,  18fgg.) 
ist  tatsächlich  nichts  zu  entnehmen,  was  auf  eine  Todesahnung  Wolframs 
gedeutet  werden  könnte  oder  auf  irgend  einen  äusseren  zwang,  der 
ihn  an  der  fortführung  seines  werkes  gehindert  hätte.  Vielmehr  scheint 
auch  mir  die  stelle  aufs  klarste  darzutun,  dass  W.  sich  freiwillig  von 
seiner  arbeit  abgewendet  hat,  und  ins  besondere  fasse  ich  vers  30: 
deste  holder  ich  dem  weere  als  ein  Zeugnis  dafür  auf,  dass  W.  durch- 
aus nicht  an  eine  etwaige  fortsetzung  seines  werkes  nach  seinem  (von 
ihm  angebl.  erwarteten)  tode  dachte,  sondern  an  eine  solche  zu  seinen 
lebzeiten.  Wenn  Leitzmann  vermutet,  der  tod  des  landgrafen  Hermann 
habe  Wolfram  bestimmt,  die  auf  dessen  veranlassung  begonnene  dichtung 
bei  seite  zu  legen,  so  hat  er  meines  erachtens  damit  einen  grund,  aller- 
dings wie  ich  glaube  nicht  den  einzigen  und  auch  nicht  den  wichtigsten, 
richtig  erkannt.  Auch  dass  es  das  zureden  teilnehmender  freunde  ge- 
wesen sein  mag,  das  den  dichter  veranlasste,  sein  werk  wider  zur  band 
zu  nehmen,  scheint  mir  ganz  einleuchtend.  Weiter  kann  ich  Leitzmann 
jedoch  nicht  folgen  und  vermag  vor  allem  in  den  letzten  uns  erhaltenen 
abschnitten  des  Willehalm  einen  notdürftigen  abschluss  nicht  zu  er- 
blicken, weder  in  Leitzmanns  noch  in  Bernhardts  sinne;  denn  gerade 
um  als  solch  ein  abschluss  gelten  zu  können  fehlt  dieser  partie  so  gut 
wie  alles. 

Es  kann  zunächst  kein  zweifei  daran  bestehen  —  und  auch  Leitz- 
mann bestreitet  dies  ja  nicht  — ,  dass  Wolfram  ursprünglich  die  absieht 
hatte,  sein  werk  viel  weiter  zu  führen,  als  es  uns  erhalten  ist.  Die  im 
Wh.  an  verschiedenen  orten  begegnenden  hinweise  auf  später  zu  er- 
zählendes zeigen  dies  deutlich  genug:  rergl.  Bernhardt  a.  a.  o.,  s.  39.  Wie 
weit  Wolframs  plan  reichte,  lässt  sich  schwer  bestimmen,  ob  wirklich 
bis  zur  Werbung  Rennewarts  um  Alyze.  wie  Bernhardt  und  Seeber  (Über 
Wolframs  Willehalm)  aus  284,  15  und  330,  27  schliessen  wollen,  scheint 
mir  sehr  zweifelhaft.  Aber  die  rückkehr  Rennewarts  gehörte  sicher  noch 
dazu;  ohne  von  dieser  zu  berichten  konnte  Wolfram  sein  werk  keines- 
falls absichtlich  schliessen:  ein  „notdürftiger"  abschluss,  wie  ihn  Leite* 


198  in.  i.m 

mann  und   Bernhardt  annehmen,  hätte  nach  dei   ganzen  anläge  des 
c 1 1 « •  1 1 1 < ■    in  ei  iter  linie  als  das  wichtigste  Rennewarta  weiteres  Schicksal 
vorführen   müssen,     Ich   kann   also   uichl   finden,  da  die 

hauptsächlichsten  faden  der  erzählung  zu  einem  ponnen 

seien"  (Leitzmann  s.  151),  and  eben  dass  dies  nicht  geschah,  bev 
meines  erachtens  klar,  dass  Wolfram  an  einen  Bolchen  „notdürftigen" 
abschluss  nicht  gedacht  hat.  Derselbi  »chlu  -  ergibt  sich  aber  auch 
auf  positivem  wege  aus  dem.  was  uns  nun  wirklich  in  dem  uns  er- 
haltenen ende  des  9.  buches  mitgeteilt  wird.  In  breitester  weise  wird 
die  erzählung  weitergeführt:  Rennewart  ist  gefangen,  darüber  lässt 
lins  <\tir  dichter  nicht  im  zweifei,  und  wenn  er  '  UM  auch  nicht 
direkt  sagt,  lässt  er  es  uns  auf  echt  Wolframsche  weise  erfahren 
aus  den  werten  Bernarts  (Wh.  458,  22):  wa%  ob  uns  uf  dem  nähjagt 
Rennewart  ist  ab  gevangen?  Im  anschluss  daran  wird  dann  ausführ- 
lich dargestellt,  wie  der  austausch  gegen  die  gefangenen  heidenfürsten 
vorbereitet  wird  (bis  461,17).  Bernhardt  nimmt  nun  an,  161,  23fgg. 
sei  dieser  plan  dvs  austausches  plötzlich  aufgegeben  worden:  hier 
habe  Wolfram  sein  nahendes  ende  fühlend  einen  anderen  schluss 
angeknüpft.  Diese  argumentation  zeigt  entschieden  einen  logischen 
tehler:  auch  eine  an  dieser  stelle  den  dichter  erfassende  todesahnung 
hätte  doch  naturgemäss  die  folge  haben  müssen,  dass  derselbe  sich 
bestrebt  hätte,  wenigstens  das  gerade  begonnene  in  raschen  zügen  zu 
ende  zu  führen. 

Ist  denn  nun  aber  dieser  schluss  von  461,23  ab  wirklich  wie 
B.  meint  etwas  so  ganz  fremdes,  oder  ist  er  nicht  vielmehr  die  in  sorg- 
loser epischer  breite  fortschreitende  durch  nichts  in  rascheren  gang  ver- 
setzte weiterführung  der  erzählung?  Gewiss,  es  ist  von  da  ab  von 
Rennewarts  austausch  nicht  mehr  ausdrücklich  die  rede;  deshalb  muss 
aber  doch  alles  was  geschieht  in  Zusammenhang  mit  diesem  plan  be- 
trachtet werden.  Und  wenn  uns  Wolfram  auch  hier  wider  nicht  alles 
direkt  sagt,  so  kann  an  dem  gedankengang  eigentlich  doch  kaum  ein 
zweifei  entstehu:  Matribleiz  ist  schon  458,  26  von  Bernart  in  erster 
linie  als  geeignetes  pfand  zum  austausch  gegen  Rennewart  bezeichnet 
werden.  Der  austausch  selbst  wird  nun  aber  nicht  durch  Verhandlungen 
eingeleitet,  sondern  dadurch,  dass  Willehalm  spontan  eben  diesen  vor- 
nehmsten der  gefangenen  an  Terramer  zurückschickt:  dadurch  dass  ihm 
die  leichen  der  gefallenen  fürsten  mitgegeben  werden,  wird  die  gefällig- 
keit,  die  dem  Terramer  erwiesen  wird,  noch  erhöht.  Nach  dem  ehren- 
codex  der  ritterlichen  gesellschaft,  der  ja  auch  Terramer  angehört,  ist 
es  undenkbar,  dass  dieser  Willehalms  grossmut  stillschweigend  hinnimmt, 


DIE    EYTSTEiH'v  WOLFRAMS    IITUKKL  199 

er  nmss1  —  so  haben  wir  Wolframs  gedanken  zu  verstehn  —  sie  da- 
durch erwidern,  dass  er  nun  seinerseits  Rennewart  freigibt. 

Dass  dies  nicht  mehr  dargestellt  wird  ohne  irgend  ein  wort  der 
aufklärung  darüber,  weshalb  es  unterblieb,  darin  vermag  ich  eben  nur 
einen  beweis  zu  erblicken,  dass  Wolfram  unerwartet  gezwungen  wurde, 
die  arbeit  abzubrechen  —  durch  plötzlichen  tod  oder  durch  schwere 
erkrankung,  von  der  er  nicht  mehr  genas. 

Ich  nehme  also2  trotz  Leitzmann  an,  dass  Wolfram  in  der  tat 
durch  den  tod  an  der  Vollendung  seines  Willehalm  verhindert  wurde'', 

1)  Vgl.  459,  3:  gein  den  (dem?)  wirt  Bermewart  wol  (d.h.:  sicher)  qutt. 

2)  Ein  weiterer  beleg  für  die  unvollständigkeit  des  Wh.  wurde  darin  erblickt, 
dass  der  abschnitt  467  nur  noch  sechs  verse  hat.  Gegen  den  daraus  gezogenen  schluss 
wie  gegen  die  ganze  eiuteilung  in  abschnitte  von  30  versen  hat  sich  San  Marte  (Wille- 
hahn s.  114  fgg.)  aufs  entschiedenste  gewendet.  Mir  scheint  die  Lachmannsche  ein- 
teiluug  weder  dadurch  noch  durch  das,  was  Bock  (Beiträge  XI,  194  fgg.)  beibringt, 
erschüttert  zu  sein.  Trotzdem  möchte  auch  ich  auf  die  unvollständigkeit  des  ab- 
schnittes  467  keinen  schluss  bauen,  weil  immerhin  mit  der  möglichkeit  zu  rechnen 
ist,  dass  sich  im  9.  buch  des  Wh.  sechs  plusverse  befinden.  Auch  kann  nicht  ge- 
leugnet werden,  dass  die  frage  nach  der  berechtigung  der  Lachmannschen  einteilung 
allerdings  einer  gründlichen  naehprüfung  bedarf;  diese  dürfte  sich  aber  weder  einfach 
auf  die  Lachmannsche  interpunetion  stützen,  noch  sich  mit  so  dürftigen  Zählungen 
begnügen,  wie  die  San  Hartes  sind.  Übrigens  ist  auch  der  schluss,  den  San  Marie 
aus  seinen  zahlen  zieht,  übereilt:  er  hätte  vor  allen  dingen  einen  vergleich  ziehen 
müssen  mit  den  Verhältnissen,  wie  sie  in  Parz.  1 — IV  vorliegen.  San  Marte  fand. 
dass  (nach  Lachmanns  interpunetion)  in  Parz.  V — XVI  197  abschnitte  ohne  stärkereu 
ruhepunkt  in  den  folgenden  übergehn,  während  407  mit  dem  satzende  schliessen,  das 
sind  32,6  resp.  67,4  %.  (Im  Wh.  sind  die  entsprechenden  zahlen  38  %  und  62  %). 
In  Parz.  I — IV  dagegen  ist  das  Verhältnis  ein  ganz  anderes:  nämlich  54,3  %  unJ  *5,7  %• 
Hier  überwiegen  also  die  abschnitte,  die  nicht  mit  dem  satzende  schliessen.  Sollte 
nicht  hieraus  schon  geschlossen  werden  können,  dass  Wolfram  vom  5.  buche  ab,  sich 
bemühte,  das  ende  eines  abschnittes  mit  einem  grösseren  Sinnesabschnitt  zusammen- 
fallen zu  lassen?  Deutlicher  wird  das  bild  noch,  wenn  wir  die  zahlen  der  einzelnen 
bücher  betrachten.  Wir  finden  in  I — IV  folgende  Verhältnisse:  I  64,9  —  35,1;  II  44  —  56; 
111  46  —  54;  IV  68,9  —  31,1.  (In  U  und  III  überwiegen  also  die  abschnitte  der  zweiten 
art,  aber  nicht  sehr  bedeutend.)  Im  5.  buche  dagegen  erscheint  das  in  IV  vorliegende 
Verhältnis  mit  einem  male  umgekehrt:  26,3  —  73,7,  wobei  noch  besonders  zu  beachten 
ist,  dass  gerade  am  anfang  des  buches  die  abschnitte,  die  mit  dem  satzende  schli 
gehäuft  sind:  unter  den  ersten  13  nämlich  allein  12.  In  den  späteren  buchen)  wären 
die  einzelzahlen:  34,5  — 65,5;  31,7  — 68,3;  34,3  —  65.7:  19,2—82,8;  B4  -66;  ••<>  —  50; 
36,4  —  63,6;  38,5  —  61,5;  25,5  —  74,5;  34  —  66;  22  —  78.  Also  auch  im  einzelnen  ein 
dauerndes  starkes  überwiegen  der  abschnitte  der  zweiton  art.  Nur  im  9.  buche  halten 
sich  beide  gruppen  die  wage;  aber  das  darf  ruhig  als  zofall  angesehen  werden,  da 
dieses  unter  allen  büchern  bei  weitem  den  geringsten  umfang  (nur  30  absohnitte)  hat. 

3)  Die  verse  in  Ulrichs  Willehalm  (Kohl,  '/.<■  f.  d.  a.  13,  162,  Bernhardt  a.a.O.  40) 
sind  nicht  unbedingt  beweisend;  denn  eine  direkte  beziehung  auf  den  Willehalm  ist 
nicht  nötig.   Selbstverständlich  ist  nur  die  von  Bernhardt  gegebene  interpunotion  riohtig. 


^00  BEL* 

um]  muss  dementsprechend  die  möglichkeit,  dass  derTiturel  noch  nach 
dem   Willehalm  \  ei,  ablehnen. 

Sehen  wir  nun,  was  wir  aus  dem  T.  selbst  für  Beine  chronologische 
bestimmung  gewinnen  können.  Die  tatsachen  sind  bekannt,  so  d 
ein  kurzer  hinweis  genügt  1.  Jene  schon  von  Liehmann  und  andern 
(Leitzmann  s.  103)  für  echi  erklärte  und  nun  durch  das  zeognis  von  M 
wirklich  als  echl  gesicherte  atrophe  "61  (j.  T.  727)  ist  nach  dem  tode 
des  Landgrafen  Hermann  geschrieben,  also  nach  dein  25.  april  1'_'17. 
2.  Derselbe  landgraf  hatte  Wolfram  die  quelle  des  Willehalm  gegeben, 
und  die  aus  dieser  quelle  stammenden  im  T.  verwendeten  Damen  Akarin 
und  Berbcster  (vgl.  Stosch,  Zs.f.d.a.  32,471,  Behaghel,  Germ.  34,  188) 
beweisen,  dass  Wolfram  bei  abfassung  des  T.  jene  quelle  bereits  gekannt 
hat.  Es  ist  min  allerdings  (Leitzmann  s.  L54)  nicht  denkbar,  dass  Wolfram 
erst  die  Bataille  d'AUscans  gelesen,  dann  aber  zunächst  den  Titurel 
schrieben  und  erst  nach  diesem  die  Übertragung  der  BaiaiUt  begonnen 
haben  sollte.  Dem  widerspricht,  abgesehen  von  der  wahrscheinlichen 
arbeitsweise  mittelhochdeutscher  dichter,  die  tatsaclie,  dass  wir  in  diesem 
fall  (nach  T.  *61)  ja  schon  den  anfang  des  Willehalm  nach  landgraf 
Hermanns  tod  ansetzen  müssten,  was  nach  der  art  wie  Hermann  "Wh.  3, 8 
erwähnt  wird,  undenkbar1  ist.  Deshalb  aber  mit  Leitzmann  zu  schliessen, 
Wolfram  habe  die  namen  erst  seinem  fertigen  Willehalm  ent- 
nommen, haben  wir  keine  berechtigung.  Die  einzig  sicheren  resultate, 
die  eine  betrachtung  des  Titurel  und  des  Willehalm  uns  ergibt,  sind 
vielmehr  vorerst  nur  die  beiden:  1.  der  Tit.  kann  nicht  nach  dem  Wille- 
halm verfasst  sein;  2.  er  kann  erst  verfasst  sein,  als  der  Wh.  bereits 
begonnen  war. 

Sind  wir  nun  deshalb  genötigt,  mit  Herforth  (Zs.  f.  d.  a.  18)  gleich- 
zeitige arbeit  Wolframs  an  T.  und  Wh.  anzunehmen?  Dass  gegen  diese 
annähme  schwere  bedenken  sprechen,  hat  Leitzmann  (s.  118 fgg.)  gezeigt, 
und  diese  bedenken  haben  ihn  wol  in  erster  linie  veranlasst,  den  Titurel 
nach  dem  Willehalm  anzusetzen.  Dies  ist  nach  dem  oben  ausgeführten 
nicht  mehr  möglich,  dagegen  bietet  sich  uns  wol  ein  anderer  gang- 
barer ausweg. 

Wir  wissen,  dass  zwischen  dem  8.  und  9.  buche  des  Wh.  eine 
längere  arbeitspause  liegt,  ja  noch  mehr:  wir  wissen,  dass  Wolfram,  als 
er  das  ende  des  8.  buches  schrieb,  die  absieht  hatte,  den  Wh.  definitiv 

1)  Die  gegenteilige  Behauptung  Lachmanns  zu  Walth.  17,  11  überzeugt  mich 
licht.  Ich  nehme  übrigens  mit  Leitzmann  an,  dass  W.  vom  landgrafen  mit  der  quelle 
aach  den  auftrag,  sie  zu  übertragen,  erhalten  hat.  Auch  dies  schliesst  die  aunahme 
aus,  dass  Wolfram  erst  eiu  anderes  gedieht  begonneu  hahe. 


s 


DIE   EKTSTEHUNGSZEIT    VQK    WOLFRAMS    TITVREl.  201 

bei  seite  zu  legen.  Sollen  wir  annehmen,  dass  in  dieser  zeit  Wolframs 
feder  ganz  geruht  habe?  Ich  glaube  nicht.  Da  nun  der  Tit.  nicht  vor 
und  nicht  nach  dem  Wh.  entstanden  sein  kann,  noch  auch  zu  einer  zeit, 
da  Wolfram  am  Wh.  arbeitete,  so  ist  es  ein  ganz  natürlicher,  ja  der 
einzige  noch  übrig  bleibende  schluss,  dass  er  in  dieser  arbeitspause 
zwischen  dem  8.  und  9.  buche  des  "Willehalm  entstanden  ist.  Ich  ziehe 
diesen  schluss  unbedenklich,  ja  ich  gebe  dem  Tit.  sogar  mit  schuld 
daran,  dass  Wolfram  sich  damals  vom  Wh.  abwandte.  Der  tod  Hermanns 
allein  genügt  mir  zur  begründung  nicht:  wäre  Wolfram  wirklich  in 
einem  intimen  Verhältnis  zu  seinem  stoff  gestanden,  er  hätte  ihn  gewiss 
nicht  so  leichten  herzens  bei  seite  gelegt.  Hier  muss  ein  tieferer  grund 
vorliegen,  und  ich  glaube  ihn  ganz  einfach  darin  erkennen  zu  dürfen, 
dass  ihm  der  stoff  des  Titurel  eben  mehr  zusagte:  es  ist  vielleicht  der 
erste  fall  in  unserer  kunstmässigen  litteratur,  dass  ein  tragisches  problem 
als  solches  einen  dichter  unwiderstehlich  anzog.  Vielleicht  reizte  es  ihn 
auch,  die  nicht  geringen  formellen  Schwierigkeiten,  die  die  gewählte 
strophenform  mit  sich  bringen  musste,  zu  bewältigen.  So  lange  land- 
graf  Hermann  lebte,  konnte  Wolfram  an  ein  aufgeben  des  Willehalm 
nicht  denken,  als  aber  mit  dessen  tod  die  Verpflichtung  an  diesem  werke 
zu  arbeiten  erlosch,  zögerte  er  nicht,  sich  jener  anderen  ihn  stärker 
anziehenden  aufgäbe  zuzuwenden.  Wir  erhielten  also  auf  diesem  wege 
eine  stütze  für  Leitzmanns  ansieht,  dass  Hermann  gestorben1  sei,  Avährend 
Wolfram  mit  dem  8.  buche  des  Willehalm  beschäftigt  war. 

Zu  dieser  datierung  des  Titurel  passt  auch  vortrefflich  eine  kleine 
einzelheit,  die  Leitzmann  im  gegenteil  für  seinen  ansatz  in  anspruch 
nimmt:  die  bekannte  tatsache,  dass  Terramer,  nachdem  er  Wh.  I — VIH 
stets  nur  könig  heisst,  auf  einmal  im  9.  buche  (zuerst  432.  16)  den  titel 
ml  inirät  erhält.  Da  nun  Tit.  93,  2  der  admirät  dl  der  Sarraxtine  vor- 
kommt, so  schliesst  Leitzmann ,  Wolfram  habe  hier  diesen  titel  aus  dem 
9.  buche,  d.  h.  aus  dem  fertigen  Willehalm  entlehnt.  Auch  dieser  schluss 
ist  unnötig.  Der  titel  stammt  aus  dem  Rolandslied2;  dieses  hat  Wolfram 
aber  nicht  erst  kennen  gelernt,  als  er  am  9.  buche  des  Wh.  schrieb,  er 

1)  Leitzmann  will  (s.  153)  aus  dein  ton  der  beiden  nachrufe  schliessen,  dass 
der  im  Tit.  als  der  wärmere  auch  der  spätere  sei.  Darüber  bestimmtes  zu  sagen,  Ist 
natürlich  schwer;  mir  will  aber  scheinen,  gerade  die  knappe  erwäbnung  im  Wl 
etwas  zu  kühl  um  als  erstes  wort  aufgdfasst  werden  zu  können,  das  Wolfram  für 
seinen  verstorbenen  gönner  fand.  Sie  erklär!  sieh  jedoch  sehr  gut,  wenn  wir  an- 
nehmen, dass  "Wolfram  schon  vorher  (im  Titureh  des  landgrafea  gedacht  hat. 

"_')  In  der  Bataüle  d'AIiscans  begegnet  als  allgemeiner  titel  Fürstlicher  heer- 
t'uhrer:  amvres  und  amirans. 


HELM 

lut  es  vielmehr,  wie  die  Zusammenstellungen  bei  San  fcfarte  (Wolframs 
Willehalra  s.  98 fgg.)  zeigen,  weil  frühe]  gekannt,  vielleicht  schon,  al 
den  Wh.  begann,  jedesfalls  aber  als  er  am  anfang  di  3.  buches  arbeitete; 
vgl.  L08,  12:  des  enkalt  min  veter  Balygan,  der  mit  dem  heiser  Karle 
Hihi.  Es  ist  also  keinesfalls  nötig,  da  der  titel  im  Titurel  aus  dem 
Wh.  stammt,  sondern  er  kann  Bebr  wol  direkt  aus  dem  Rolandslied  ent- 
nommen sein,  wie  es  unsere  datierung  des  Tit.  natürlich  verlangt  Ja 
vielleicht  dürfen  wir  annehmen,  dass  umgekehrl  der  titel  seine  auf- 
nähme in  Willehalm  IX  überhaupt  ersl  der  vermittelung  des  Titurel 
verdankt. 

Die  sache  liegt  nämlich  durchaus  nicht  so  einfach,  als  es  scheint 
Jener  amirät  von  Palvir  (Rol  130,28),  in  «lein  Leitzmann  Wolframs  quelle 
erblickt,  ist  nur  ein  untergeordneter  heerfuhrer  Marsilies,  so  dass  man 
nicht  gut  annehmen  kann.  Wolfram  habe  gerade  an  diesen  gedacht, 
als  er  den  titel  verwendete.  Dagegen  erhält  im  Rolandslied  zweimal 
(234,  22  und  251.  5r>)  auch  Paligan  dm  titel  Admirate,  jener  selbe 
Paligan.  den  Wolfram  zum  oheim  des  Terranier  macht  und  dessen  fahne 
Terramer  führt  (San  Marte  s.  99).  Was  hätte  nun  näher  gelegen,  als 
auch  den  titel  von  dem  oheim  auf  den  netten  zu  übertragen.  Trotzdem 
hat  Wolfram  im  1. —  8.  buche  nicht  im  geringsten  daran  gedacht:  und 
ich  kann  deshalb  nicht  glauben,  dass  er  im  !).  buche  ohne  irgend  eine 
ganz  bestimmte  veranlassung  darauf  gekommen  sein  sollte,  ihn  noch 
anzuwenden.  Diese  äussere  veranlassung,  die  zwischen  dem  8.  und  9. 
buche  liegen  muss,  brachte  meines  erachtens  die  abfassung  des  Titurel. 
Hier  brauchte  Wolfram  einen  titel,  der  mit  dem  des  römischen  kaisers 
in  parallele  gesetzt  werden  konnte.  Da  erst  erinnerte  er  sich  des  titeis 
admirat;  er  verwendete  ihn  und  bei  dieser  gelegenheit  kam  es  ihm 
wol  erst  zum  bewusstsein,  dass  ja  im  Rolandslied  auch  Paligan  so  hiess 
und  dass  er  sich  einen  titel,  der  auch  für  Terramer  vortrefflich  passte, 
hatte  entgehen  lassen.  Als  er  dann  später  das  9.  buch  des  Wh.  schrieb, 
holte  er  das  versäumte  nach  kräften  nach. 

Wir  sind  auch  keineswegs  genötigt,  mit  Leitzmann  (a.  a.  o.  s.  154  fg.) 
anzunehmen,  dass  die  betr.  stelle  des  Tit.  die  ausführliche  erklärung 
Wh.  434  als  bekannt  voraussetzte:  das  wort  selbst  war  dem  publikum 
bekannt,  es  bedurfte  im  Titurel  einer  erklärung  nicht,  da  es  ohnedies 
durch  die  parallele  von  selbst  klar  genug  wurde.  Willehalm  IX  aber 
ergab  sich  das  bedürfnis,  zu  erklären,  inwiefern  Terramer  auch  diesen 
titel,  der  ihm  früher  nicht  beigelegt  wurde,  führen  konnte;  denn  dies 
und  nicht  eine  einfache  worterklärung  ist  der  eigentliche  zweck  der 
stelle;   das  beweisen  aufs  deutlichste  die  verse  434,  16  fgg.,  in  welchen 


DIE   EXTSTEHUNGSZEIT    VON    WOLFRAMS    TITUREL  203 

ausgesprochen   wird,   dass  eben  als  erbe  Baligans,   des   admirätes   aus 
dem  Rolandslied,  Terramer  seine  grosse  macht  besitzt. 

Eine  kräftige  stütze  seiner  ansieht  sieht  endlich  Leitzmann  (a.  a.  o. 
155)  in  jener  bei  Hahn  fehlenden  strophe  des  jüngeren  Titurel,  in  welcher 
der  dichter  berichtet,  er  schreibe  fünfzig  jähre  nach  seinem  Vorgänger 
und  hinzusetzt:  ein  meisler  ish  üf  nemende  swenne  cv  mit  töde  ein 
ander  hie  gerümet.  Aber  auch  diese  stelle  widerspricht  unserer  datierung 
nicht:  wir  nehmen  ja  an,  dass  "Wolfram,  nachdem  er  Tit.  1  und  2  ge- 
schrieben hatte,  sich  entschloss,  nun  doch  zunächst  den  Wh.  zu  ende 
zu  führen,  dass  er  aber  starb,  uhne  dass  ihm  dies  gelang  und  ehe  er 
wider  zum  Tit.  zurückkehren  konnte.  80  kann  jeder  von  beiden,  der 
dichter  des  jüngeren  Tit.  ebenso  gut  als  vielleicht  (s.  0.  s.  199,  anm.  3) 
Ulrich  von  Türheim  ganz  der  Wahrheit  entsprechend  von  sich  sagen, 
dass  er  ein  werk  fortsetze,  an  dessen  Vollendung  "Wolfram  durch  den 
tod  verhindert  worden  sei. 


Ausgehend  vom  8.  buche  des  Willehalm  können  wir  auch  für  die 
absolute  Chronologie  von  Wolframs  werken  vielleicht  einen  kleinen  schritt 
vorwärts  kommen.  Die  Vollendung  dieses  buches  darf,  wie  wir  gesehen 
haben,  mit  der  grössten  Wahrscheinlichkeit  etwa  in  die  mitte  des  Jahres 
1217  gesetzt  werden.  Halten  wir  dazu  die  stelle  Parz.  379,  18,  so  ge- 
winnen wir  ein  ungefähres  mass  für  Wolframs  arbeitstempo.  Ich  setze 
jene  Parzivalstolle  in  das  jähr  1205  (vgl.  Burdach,  Walther  I,  s.  60). 
Wir  erhielten  also  für  448  abschnitte  Parz.  -f-  402  abschnitte  Willehami 
etwas  über  12  jähre  (anfang  1205  bis  mitte  1217);  auf  das  jähr  ergäbe 
das  durchschnittlich  2100  verse.  Darnach  ist  zu  schliessen,  dass  AVolfram 
für  Parz.  1 — 379  wenigstens  fünf  jähre  gebraucht  hat.  er  muss  das 
werk  also  spätestens  anfang  1200  begonnen  haben;  die  Vollendung  wind.' 
etwa  ende  1211  anzusetzen  sein.  Wer  jene  Parzivalstelle  ins  jähr  1201 
verlegt,  muss  natürlich  den  anfang  des  Parz.  entsprechend  weiter,  wenig- 
stens um  ein  jähr,  zurückrücken. 

Für  die  175  Strophen  (—  1225  verszeilen)  des  Titurel  haben  wir 
eine  arbeitszeit  von  mindestens  einem  halben  jähr  anzusetzen,  sie  werden 
also  in  der  zeit  zwischen  mitte  1217  und  frühjahr  1218  entstanden  sein. 
Wh.  IX  ist  sodann,  seinem  umfang  nach  ziemlich  genau  ein  jahres- 
pensum:  ich  setze  darnach  Wolframs  tod  in  das  frühjahr   1219. 

GIESSEN.  K\K'l.    HELM. 


_M1  I  SB     '       ' 

ÜBER  DAS  LIED  VOM  BÜENEN  SEYFBID. 
III.  J)i<i  reimteehnik  dos  hürnen  Seyftid1. 

a)  Allgemeines. 
Die  grammatische  Untersuchung  hal  von  den  reimen  auszugehn. 
Jedoch  ist  von  vornherein  die  annähme  als  irrtum  abzuweisen,  dass  sich 
durch  reimuntersuch ung  die  mundart,  und  damil  die  heimal  eines 
dichters  feststellen  liesse.  Es  kann  sich  nur  um  Feststellung  der  reim- 
technik  handeln.  Denn  die  sprach  Verhältnisse  lassen  sieh  nicht  zu 
einem  einheitlichen  bilde  zusammenfügen,  sondern  stellen  ein 
buntes  gemisch  von  traditionen  dar.  örtlich  und  zeitlich  von  ein- 
ander getrenntes,  sich  widersprechendes  und  abschliessendes  steht  neben- 
einander; verschiedene!  schichten  lagern  übereinander  und  machen  es 
unmöglich,  an  der  hand  von  dialektgrammatiken  ein  denkmal  zu  loka- 
lisieren. Zum  ziele  führt  hier  nur  die  vergleichende  betrachtung 
der  reimtechnik,  die  uns  zwar  nicht  unmittelbar  die  heimat,  wul 
aber  die  schule  des  dichters  auffinden  lehrt.  Z.  b.  Hans  Sach 
kennt  nicht  weniger  als  28  formen  von  reimen  von  ä,  6,  ü,  uo  vor 
n  im  auslau t: 

an:  man,  :  getan,  :  von,  :lon,  :sun,  :nun,  :tuon; 

getan:  lau,  :von,  :lon,  :sun,  :nun,  :tuon; 

von  : von,  :  lou,  : sun,  :  uun,  : tuon; 

Ion  : krön ,  : suu ,  :  nun ,  : tuon ; 

sun  : sud ,  :  nun ,  : tuon ; 

nun  :  nun,  : tuon; 

tuon  :  tuon. 

Man  wird  zunächst  daraus  schliessen,  dass  in  der  mundart  des 
H.  Sachs  ä,  d,  ü,  uo  vor  auslautendem  n  etwa  zu  ä~,  d.  h.  gedehntem, 
offenem  nasalem  o  zusammengeflossen  waren,  und  für  ä:ö  wird  man 
in  der  annähme  bestärkt,  wenn  man  sich  des  in  den  fastnachtspielen 
mehrfach  belegten  scherzes  erinnert,  wo  der  pfaffe  mit  dem  bann  droht, 
der  bauer  aber  bohne  versteht  und  den  bohnen  die  erbsen  vorzieht. 
Fsp.  V,  38,  254 fgg.:  Inquisitor  spricht:  bist  du  des  ketzers  ein  Verfechter, 
so  musst  du  in  den  schweren  ban.  Nachtbawer  Clas  spricht:  so  wil  ich 
in  die  erbes  gähn.  Desgl.  III,  20,  147.  24,  267;  V,  45,  14;  VI,  37,  205. 
85,131;  VII,  47,  299.  Achtet  man  genauer  auf  die  Verteilung  dieser 
reime  in  grösseren  stücken  Sachsischer  dichtung,  so  findet  man,  dass 
die  bindungen  wie:  an  :  man,  an  .-getan,  getan  :  lan;  von  :  von ,  von  : 
krön;    sun  (m.) : sun  (f.),  sun:  nun,  sun:  tuon;    nun:  nun;   tuon  :  tuon 

1)  Vgl.  oben  s.  47. 


HÜRNES    ^EYFRItl  205 

etwa  3  —  4  mal  so  häufig  sind,  wie  die  von  der  art:  an:  von,  :  Ion, 
:sun,  :nun,  :  tuon  und  entsprechend  für  die  anderen  laute.  Äusser- 
licher  zufall  kann  das  darum  nicht  sein,  weil  reimworte  auf  -'///  nicht 
häufiger  sind  als  die  auf  -ön.  Dazu  zeigt  die  Orthographie  des  dichters 
in  seinen  älteren  originalmanuscripten,  bes.  MG.  II,  von  dem  K.  Drescher 
mir  eine  abschrift  gütigst  überliess,  im  reime  in  diesen  reimgruppen 
fast  durchweg  -an.  Götzes  abdrücke  in  F.  S.  und  Fsp.  weisen  allerdings 
mehr  -on  auf.  Ol»  da  ein  wol  entschuldbares  versehen  des  heraus- 
gebers  vorliegt,  oder  ob  die  Orthographie  des  dichters  später  einer  ge- 
wissen ausspräche  nachgegeben  hat,  will  ich  unentschieden  lassen.  Jedes- 
falls  bevorzugt  H.  Sachs  in  seinen  älteren  originalhss.  in  reimen  wie 
an: an,  : getan,  :von,  :lon,  :sun,  :nun,  :  tuon  die  Schreibung  -an. 
Andererseits  schreibt  er  in  den  bindungen  gleich  artikulierter  laute 
etymologisch,  also  an :  man,  an:  getan:  aber  von:  Ion,  Ion:  krön,  sun: 
sun,  nun  :  tun  u.  a.  Dazu  kommt  drittens,  dass  im  versinnern  die 
etymologische  Schreibung  vorherrscht,  also:  an,  getan,  von,  ton,  sun, 
nun,  tun  und  dergl.  Ich  schliesse  aus  alledem,  dass  die  mundart  des 
H.  Sachs  die  betreffenden  laute  schied.  Trotzdem  reimt  sie  der  dichtei 
auf  einander.  Ganz  ähnliche  Verhältnisse  treffen  wir  im  consonantismus. 
Zahlreich  sind  bei  H.  Sachs  reime  wie  tag: sack;  balg : schalk:  bcrg : 
werk;  legt : stecht.  Man  würde  daraus  schliessen.  dass  g  und  /,  in  den 
in  frage  stehenden  Stellungen  dem  dichter  gleichlautend  waren.  Gleich- 
wol  begegnen  ebenso  oft  reime  wie  jagt :  wacht;  berg : xwerch  (  quer); 
versorgt:  forchi;  ferner  block :  doch ;  werk:  xwerch  (  =  quer),  so  dass  man 
auf  spirantische  ausspräche  von  g  und  /,;  in  den  betreffenden  Stellungen 
raten  möchte.  Und  um  die  Verwirrung  vollständig  zu  machen,  reimt 
derselbe  dichter  auch  h  :  k  im  in-  und  auslaut.  vgl.  z.  1).  sah:  back; 
siht:  bricht;  schuhen  :  fluchen  und  dergl.  mehr.  All  diese  reime  können 
nicht  ein  ausfluss  der  mundart  des  dichters  sein,  die  doch  einheitlich 
in  gewissen  grenzen  war  wie  heute  eine  volksmundart.  Ich  glaube 
sogar,  dass  sich  die  mundart  des  H.  Sachs  aus  seiner  Schreibart  und 
reimtechnik  überhaupt  nicht  klar  wird  erkennen  lassen.  Selbst  wenn 
man  die  heutigen  Verhältnisse  der  Nürnberger  mundart  heranzieht,  bleibt 
noch  Unsicherheit.  Sprache  und  reimtechnik  sind  zunächst 
zweierlei,  und  ich  halte  es  für  allein  fruchtbringend,  unbekümmert 
um  den  grammatischen  wert  solcher  Zusammenstellungen,  ein  mög- 
lichst vollständiges  bi  ld  von  de  r  reimtechnik  zugeben.  Durch 
vergleichung  mit  Acv  kunst  der  Zeitgenossen  lässt  sich  dann 
zur  Würdigung  ihres  einzel wertes  gelangen.  Ich  hoffe  genauer 
auf  diese  fraee  zurückkommen  zu  können  in  einer  Studie  über  den  reim- 


206  OHB.  A.  MAY  Kit 

gebrauch  des  II  Sachs  und  seiner  Zeitgenossen.  Vorläufig  muE  ich  mich 
mit  der  aufstellung  der  these  begnügen:  Zeigt  eine  vergleichung 
zweier  dichter  au H'ii llige  Übereinstimmungen  <!<t  reimtechnik, 
so  kann  daraus  nur  geschlossen  werden,  dass  diese  dichtei 
der  gleichen  Stilrichtung  angehören,  und  ersl  wenn  ander« 
gründe  hinzukommen,    dass  sie   landsleute   und   Zeitgenossen 

s  i  n  (I. 

Es  ergibt  sich  von  seihst,  dass  die  vergleichung  von  bekanntem 
ausgehn  muss.  Kür  den  Hürnen  Seyfrid  isl  m.  e.  diese  grundlage  gegeben. 
Das  gedieht  ist  nach  unserer  kenntnis  zuerst  in  Nürnberg  gedruckt;  der 
eiste  erhaltene  druck  stammt  aus  Nürnberg:  dei  Nürnberger  II.  Sachs 
hat  den  stoff  zu  seiner  tragödie:  ,Der  hürnen  Sewfrid'  benutzt.  I 
liegt  nahe,  einen  Nürnberger  als  Verfasser  zu  vermuten,  und  ich 
halte  den  nachweis,  dass  der  dichter  des  h.  S.  der  gleichen  schule 
wie  H.Sachs  angehörte,  für  erbracht  durch  den  vergleich  der  reim- 
technik. Aus  naheliegenden  gründen  muss  ich  mich  hier  daraui  bi  - 
schränken,  das  massgebende  anzudeuten.  Vorläufig  verweise  ich  auf 
W.  Sommer,  Die  metrik  des  Hans  Sachs,  Halle  1883,  cap.  3  (s.  50—  65), 
vgl.  dazu  Paul,  Ltbl.  für  germ.  und  rom.  phil.  1888,  165  —  68,  und 
V.  Michels,  Studien  über  die  ältesten  deutschen  fastnachtspiele,  Stras- 
burg 1896  QF  77,  der  den  kreis  der  Nürnberger  stücke  aber  zu 
eng  zieht  und  darum  mit  vorsieht  zu  benutzen  ist. 

Eine  andere  frage  ist  es,  nach  welchen  gesichtspunkten  man 
bei  der  aufstellung  der  reimtechnik  des  h.  S.  zu  verfahren  hat. 
Man  wird  schon  mit  rücksicht  auf  Golthers  these  die  mhd.  spracli- 
verhältnisse  zum  ausgangspunkt  nehmen  und  darnach  lautwandlungen 
und  doppelformen  beurteilen.  Daneben  aber  muss  auf  die  nhd.  Ver- 
hältnisse rücksicht  genommen  werden.  Wer  z.  b.  nur  das  mhd.  zu  gründe 
legt,  läuft  gefahr,  manches  für  das  frühneuhochdeutsche  bedeutsame  als 
mhd.  regelrecht  bei  seite  zu  lassen,  z.  b.  mhd.  lerliir :  tliiir,  aber  nhd. 
verlor :  thür,  desgl.  apokope  und  synkope,  wo  sie  nhd.  nicht  vorhanden  ist. 
Auf  solche  unterschiede  des  mhd.  vom  nhd.  muss  rücksicht  genommen 
werden,  schon  um  die  Veränderungen  chronologisch  festlegen  zu  können. 
Der  Vollständigkeit  halber  müssten  auch  nicht  auffällige  reimbindungen 
mitaufgeführt  werden,  um  die  reiragruppen  zu  erkennen.  Das  trifft 
besonders  für  die  unter  doppelformen  gestellten  reime  zu.  Wenn  z.  b.  der 
h.  S.  nur  die  form  zwang  (3.  sg.)  oder  hän  oder  fragen  kennt,  so  ist  das  an 
sich  nicht  bedeutungslos,  weil  gleichzeitige  dichtungen  zwang  und  x/wung, 
han  und  haben,  fragen  und  f regen  und  dergl.  mehr  haben.  Mass- 
gebende Schlüsse  können   daraus  aber  deshalb  nicht  gezogen  werden, 


HÜRNEN    SF.rFRID  207 

weil  in  einem  gedieht  von  so  geringem  umfang  wie  der  h.  S.  nie  mit 
Sicherheit  behauptet  werden  kann,  dass  der  dichter,  der  die  eine  form 
des  reimzwangs  wegen  gebraucht,  die  andere  überhaupt  nicht  ge- 
kannt habe. 

b)  Die  veimtechnik  des  hürnen  Seyfrid. 

1 .    Lautiibergäng e. 

«)  Zum  vocalismus. 

1)  mhd.  a  :  ä  vor  n  im  auslaut:  an  :  gan  25,6;  :  han  166,2;  :  lan  164,6; 
stan  18,  6;  —  brau  :  gan  123,  6;  —  clan  :  gan  100,  6;  —  man  :  gan  97,  6;  :  han  52,  6.  60.  G. 
89,6;  :lan  46,2.  49,2.  55,2;  :  plan  113,2;  :  stan  105,6.  112,6;  :  getan  22,2.  26,6. 
74,  2.  90,  2.  92,6;  :  Untertan  153,6;  —  tan  :  gan  37,2;  :  han  53,  6;  —  man  :  kuperan  80,  6; 

—  lobesam  :  lan  102,  6;  wunnesam  :  plan  91,  2.  Vgl.  Hans  Sachs  F.S. :  an  :  gan  I.  60,  59; 
:  lau  11,402,113;  :  plan  11,4,15;  :  stan  I,  6,10;  :  getan  1,65,31;  —  bran  :  caplan  II. 
390,  147;  —  entran  :  hau  1,  4SI,  67;  :  stan  II,  390,  135;  :  getan  I,  197,  183;  :  Untertan 
11 .  107,  5;  —  span  :  stau  I,  326,  47;  —  gewan  :  plan  I,  378,  91;  :  vertan  I,  288,  3. 

2)  mhd.  ä:  ö:  tan  :  darvon  42,  3.  Vgl.  Hans  Sachs  F.S. :  von  ran  I,  56,  151; 
:  ban  I,  476.  31 ;  :  kau  I,  414,  43;  :  man  I,  29,  321  :  :  entran  I.  524,  75;  :  sau  II.  264,  15; 

.m  II,  182,77. 

3)  mhd.  ü  :  o;  an  :  dron  68, 21 ;  —  hindan  :  schon  114,  6;  —  man  :  schon  86,  H; 

—  gewan:  schon  115,2.    Vgl.  H.  S.:  an  :  Ion  1,258,77;  :  oration  H,  575, 25;   :  person 

I,  104,  145;   :  Salonion  I,  137,  101;   :  verschon  I,  179,  105;   :  tron  I,  75,33;   ban  :  nun 

II,  58,  57;  :  colacion  II.  198.  13;  :  supersticion  I,  402,  45;   kan  :  Ion  I,  61,  93;   :  mamon 
II,  119,  91;  :  person  1,527,17;   scorpion  1.268,49;   :  Simon  1,351,55;   man :  krön  II 
93.121;  rlegation  II.  187,115;   :  Ion  1.528,65;   :  nation  II.  24«,  9:    :  non   I.  185,  11: 
:  person  1,  189.  13;  :  verschon  II,  138,  69. 

■i)  mhd.  ä  :  uo:  man  :  tuon  48,  2.  Vgl.  H.  S.:  tuon  :  an  I,  22,  77;  :  mau  I. 
32,119;  :bau  11,576,53;  :  hau  11,19,11;  :  kau  11,298.  107. 

5)  mhd.  ä:u:  undertan :  darvon  2,6.  Vgl.  U.S.:  von:  gan  1,449.139;  :  hau 
1,99,77;  :stan  11,10,81. 

6)  mhd.  ä  :  <>:  gan  :  fron  98,  2.  158,  6;  —  lau:  fron  115,  6;  —  getan:schon 
99,6.  Vgl.  HS.:  gan  :  Ion  I,  338,  53;  :  non  [1,37,57;  :  person  [,534,23;  :Salomon 
11,285,  113;  —  han :  pro&ession  11,360,43;  :Salomon  II.  211.  155;  —  stan:lon  II. 
334,61;  :person  1,58,1;  :tron  11,73,19;  —  getan  :  lou  [,72,31;  —  Untertan : krön 
II,  125,  169;  :  person  I,  349,  107:  —  wan  :  krön  II.  240.  139. 

7)  mhd.  ä:uo:  bestan:tuon  7,  2.  Vgl.  II.  S.:  tuon  :  gan  I.  39.  II;  :han  I, 
130,43;  :lau   1,72,11;  :  stan  1,131,103. 

8)  mhd.  ä:ö  vor  r  i.  a. :  furwar:tor  72,6.  Vgl.  II.  S.,  M<i.  II:  altar : vor 
256';  war:  vor   Kl'  17;  Fsp.II:  jaren :  -wor(d)eD  '.">,259. 

9)  mhd.  "  :  "  vor  ch,  I  i.  a.:  nach  :  hoch  36,  li;  «Irat  :  brot  IG;».  2;  :  tot  163,  6, 
Vgl.  H.  S.,  Fsp.;  gelag:hoch  V,  31,  37:  —  hat  :  tot  l.  19,167;  ratrnot  I,  14,25; 
stat:  not  I,  7,  231. 

h  Oder  sollte  nach  0:thou,  F : sagen : son  mundartlich  sä"  zu  lesen  sein' 
Aus  Hans  Sachs  kann  ich  diesen  reim  aichi   belegen.    Vgl.  Miohels      I  en  d.i. 

/orn  (tsoprn) :  geladen  |      gelQon) 


'JMS  I   III--    A      M 

10)  IiiImI.    ii  ■  ii         nlid.    o:h:    VWlÜI     fttl     133,6;      tliui     137,2]         kiin»  :  miiud 

1 1:1  6.    Vgl.  H.S.:  kuiii  (1.  3.  sg.  ind.):brum  l    525  105      dam  l.  184,153;     »tum 
I.  180  I  19        am  II.  583,  31;   :um  I,  120.  65  kamen  :  brummen  I.  157,  119; 

:  dummen  II ,  146,  7.:.    summen  [1,533,37;       gekumen :  brummen  r, 472  77;  :reicb- 
fcumen  11.  460,99;   —  kunt  (1.3.8g  ind  mnd  J.  137,95;   :hund  [,459 

:  muii'l  r,94,44;  :  raqd  [,63,56;     .■••und  [,216,79        künden  (1.  3.  pl.  ind.  oonj.) : 
Kunden  II    194,113;     überwunden  [,392,23;        frum:brum  [,116,82      ewan- 
gelium  [,359,131;     hailtum  1,407,61;  : sum  [,203,433;  : um  1,27, 253;  -    bui 

[,80,111;  :  kunsi  [,268,33;  —  besunder:  Vormünder  I.  162,53;  :under  I. 
194,75;  :  wunder  I.  269  .. 

11)  mini,  r :  i' :   nemen : Schemen  96,2;  i    >   134, 2\  —  bergrver- 
zerl  140,2.    Vgl.  H.  8.:  nemen : Schemen  [,19,115;   flecken    hecken  [,8,23;   tetten 
stedten  [,13,63;  weit  rerjelt  1,17,35;  weBt:besI  [,79,  101;  werd    bescher!  [,2fi 

12)  mhd.  e  :  S:  erd<  :  leer  ~>.  2.  Vgl.  II.  8.:  her  :  eer  I.  15.  49;  den  :  /.wen 
I,  63,  66. 

13)  mhd.  e  :  ar :  her  :  leer  76,  2.  Vgl.  B.  S.:  her  :  waer  I,  ],  13;  erd  :  beschwaeii 
1,20,137;  unrecht :  geschmaechr.  I,  27,273;  schern  :  gebaern  I,  19,99;  bern  :  maern 
1,36,60;  frech  :  gaech  1,167,89. 

14)  mhd.  ii :  m  :  geschlecht  :  geschmaecht  174,  2.  Vgl.  II.  S.:  pferd  :  waer  I, 
17,:::;;  fässer :  frässer  1, 13,89. 

15)  mhd.  e:ae:  mer :  waer  126,6.  Vgl.  U.S.:  1er :  waer  1.  :!.  79;  sei :  quael 
[,   172,  123. 

16)  mhd.  /  :  ei:  weyt :  gemeyt  32,  6;  seyu  :  stayn  44,  6;  seyn  :  rayn  103,  2.  Vgl. 
H.  S.:  reim  :  haiin  I,  5,  37;  pein  :  allain  I,  0,  1;  drei  :  inai  I.  11,  1;  sein  :  klain  I. 
12,  25;  speis  :  rais  I,  14,  129;  weih  ;  er  schraib  I,  29,  325. 

17)  mhd.  ü:au:  vertraw  :  fraw  30.  G.  Vgl.  H.  S. :  auf : lauf  1,  4.  19;  saufen  : 
laufen  1,150,117;  räum  :  zäum  I,  105.293;  strauch :  auch  I.  121,81;  baut:  schaut  I, 
13G.  31 ;  trauen  :  fraueu  I,  34, 165. 

18)  mhd.  ie:i:  ging  :  ding  29,  G;  —  lieb  :  vertrib  14, 2\  —  lied  :  Seyfrid  1,6. 
Vgl.  H.  S.:  tief:  ergriff  I,  17,  47;  liecht :  geschieht  I,  32,  87;  dienst:  zinst  i,  59,  33; 
lieb  :  trib  1,5,71;  hie  :  Poggij  1,17,53;  schier:  mir  1,49,8. 

19)  mhd.  kurz.  voc. :  lang.  voe.  =  nhd.  lang.  voc.  :lang.  voc.  im  inlaut: 
Earen:  waren  9,2.  35,  G.  123,  2.  127,  6.  143,  (1:  —  im  auslaut:  er :  her  156,  2;  — 
ordt :  leer  5,2\  —  her  :  leer  76,2;  —  tor :  fürwar  72,  6.  Vgl.  H.  S.:  erfaren :  jaren  I 
81,155;  :  waren  I,  128,  71;  garen  :  waren  I,  138,  13;  sparen  :  jaren  I.  40.  29;  bereu: 
maeren  1,3(5,69;  schweren:  hören  1,47,33;  weren  :  leeren  I,  22,  73;  verloren  :  thoren 
I,  20,  141;  sporen  ;  ohren  I,  115,  47;  beschoren  :  thoren  I,  78,  55;  gebüren  :  füren  I. 
128,  87;  schüren :  rüren  I,  130,  51;  —  far:jar  I,  54,  09;  gar :  har  I,  118,3;  schar: 
war  I,  67,  33;  ber  :  waer  I,  40,  27;  er  :  waer  I,  39, 13;  pferd  :  seer  1, 17,  33;  mir  :  schier 
I,  49,8;  :  vier  I,  59,  23;  vor  :  or  (hora!)  I,  27,  239;  :  thor  1,  83,  35:  :  rumor  1 .  57.  183; 

vor  m  im  auslaut:  nam  :  kuperan  80,6;  —  lobesam  :  lan  102,  6;  wunnesam  : 
plan  91,  2.  Vgl.  H.  S.:  breutigam  :  plan  W.  Till,  18, 19;  :  getan  VIII,  716,  28;  :  Simson 
W.  X,  195,  10; 

vor  b  i.  a. :  trib  :  lieb  14,  2.  Vgl.  H.  S. :  blib  :  hieb  I.  140,  71 ;  gib  :  lieb  I.  81.  157 : 
trib  :  hieb  I,  85.  11;  :  lieb  I,  5,  71 ; 

vor  d  i.  a.:  Seyfrid  :  lied  1,  6.  Vgl.  H.  S.:  bad  :  gerad  I.  19.  V?,?>\  schad  :  genad 
1,80,139;  red:bed  I.  90,55; 


HÜRNF.V    SF.YFRID  209 

vo r  g  im  inlaut:  erschlagen  :  fragen  108,2:  tagen  :  lagen  8,2;  —  im  aus- 
lauft: tag  :  trag  6,  2;  magt  :  gewagt  37,  6.  Vgl.  IL  S.:  sagen  :  fragen  I.  21.  27:  er- 
schlagen :  fragen  I.  21,  19;  tragen  :  wagen  I,  144,  25;  geleger  :  waeger  1, 14,  113;  ligen  : 
kriegen  1,141,113;  :  schmiegen  1,67,35;  gestigen  :  biegen  1,101,143;  zugen  :  trügen 
I,  90,  67;  mügen  :  ^enüegen  I,  57,  205;  —  mag  :  frag  I.  99.  73;  lig  :  schmieg  I,  70,  43; 
zug  :  genüg  T,  38, 149;  :  betrüg  1 ,  86,  CG;  tüg  :  krüeg  I.  42.  1 15. 

20)  mlul.  kurz.  voc.  :  lang.  vor.  (diphthong.)  =  nhd.  kurz.  voc.  :  kurz, 
voc:  vor  n  -f-  cons.:  mund  :  stund  108,  G;  —  diug.-gieng  29,  G.  Vgl.  H.  S.:  geding  : 
gierig  1,17,25.  110,99.  124,89;  —  kunt :  stund  I.  1,11. 

21)  mhd.  kurz.  voc.  :  kurz.  voc.  =  nhd.  lang.  voc.  :  kurz,  voc:  vor  /: 
tal:al  8,6;  :  schall  120,2;  —  zil:will  68,  G;  —  wol :  voll  11,  6.  155,  65  —  geholt: 
wolt  127.  G.  Vgl.  H.  S.:  fal :  trübsal  1.  68,65:  al :  thal  1.  67,27;  wil:spil  1.42,  111. 
61,1.  G2, 10;  grill:  vi]  1,145,9;  vol :  hol  1,123,23;  3ol:wol  41,59;  vol  :  woll  I,  G,  8; 
—  alt:gezalt  1,-1,15;  gestellt :  erweif  I.  12«,  99;  weit :  erzelt  1,17.35:  gilt : spilt  I. 
10,67;  stillt :  spilt  I,  3fr,  125; 

vor  r:  verzert :  berg  140,2;  —  er(de)u  :  gern  54,2;  — verlorn  :  vorn  49,  G;  — 
feit :  hert  72,  2.  Vgl.  11.  S.:  lern  :  bern  I,  59,  17;  gern  :  gewern  I,  Gl,  8;  herrn  :  verzeru 
I,  7,  4G;  —  kürn  :  schmiern  I,  59,  13;  —  körn  :  geborn  I,  49,  IG;  forn  :  erfrorn  I, 
95,  21;  verlorn  :  zorn  I,  2G,  221;  —  hart  :  hart  I,  42,  121 ;  karten  :  zarten  I.  61,  6: 
wart:art  T,  17,28;  irrt :  schmiert  1.108,234;  —  ars :  erfars  I.  96,63; 

vor  ///:  nam:<lamin  87,  2 ' ;  :  began  41,2;  —  wonnesam  :  man  83,2;  —  im: 
verbrinn  9,  6.  Vgl.  II.  S.:  dämm  :  kam  I,  G7,  25;  stamm  :  iiam  I,  91,  101;  zusainm  : 
nam  1,110,95;  —  grimm:  im  1,15,173.  140,97;  stimm  :  im  I.G9,  23; 

vor  b:  gab  :  ab  12,  2.  128,  2.  Vgl.  H.  S.:  ab  :  gab  1 .  109,  43.  59;  :  hab  I.  9,  27; 
:  trab  1.115.72;  :  erschab  1,27,259; 

vor  g:  magt :  trach  17,  G;  verzagt :  macht  9G,  2.  Vgl.  U.  S. :  steckt :  verlegt  1, 
130,  G9;  gedeckt :  bewegt  I,  49,  22; 

vor  t:  gebot :  got  24,6.    Vgl.  H.  S.:  bett :  gere(de)t  1,25,  1G3. 

22)  mhd.  lang.  voc.  :  lang.  voc.  =  nhd.  kurz.  voc.  :  lang,  voc:  vor  s: 
verdross  :  gross  2,  2;  —  genoss :  sigelos  84,  6;  —  schoss  :  gross  132,  6.  Vgl.  H.  S.: 
lass  :  mass  I,  121,  89;  —  floss  :  gross  T,  20,  3;  —  müss  :  briss  I,  24, 155;  füss  1, 144,  43. 

23)  mhd.  kurz.  voc.  :  lang.  voc.  =  nhd.  kurz,  voc  :  lang,  voc:  vor  r: 
wind  :  natur  125,2.  Vgl.  U.S.:  ort:hort  I.  I.  13.  6,6.  30,  15.  HO,  91;  —  w&rd:ge- 
fürt  T,  34,  161; 

vor  )i :  s.  0.  s.  207; 

vor  oh :  geschlecht :  geschmecht  171,  2.  Vgl.  U.S.:  recht :  geschmäeht  I.  27. 
273.  94,5.  95.  13;  —  flucht:  sucht  I.  101,  270;  —   fuchs  :tüchs  1.32.121. 

,•;)  Zum  consonantismus. 
'_' 1 1  m:n:    baim  :  stain  24,2.  31,2;   —  nam  :  began  41.2;   : kuperan  80,6;  — 
lobesam :  lan  102,0;  winniesam :  man  83,2:   :plan  '.»1.2;  — jm  :  verbrinn  9,6. 
U.S.:   nam:an  \Y.  XIII,  75,  22;    im  :  bin  W.  VII,   171.  5;    breutigam :  plan  W.   VIII. 
is.  L9;  Lobesam  :  man  W:  XVI.  22.  L9;  Galileam  :    an  W.  XI .  269, 11. 

1)  Die   lesarl    isl    richtig,   Golthers   Vermutung:   man: trän  1    ■  strän,  sträm) 

abzulehnen.  Vgl.  Hans  Sachs,  P.S.  1 .  7,  l  l  ^der  Erosch) 
s/u-at/t/  bald  in  des  wassers  ilunuh. 
dir  mauss  mit  forchten  darauff  sclwamb. 

1 .  07.  25. 

ZEITSCHRIFT    V.    DKTJT8CHE    PHILOLOGIE.       BD.    XXXV.  14 


210  TIN.   A.  MAYKJl 

25)  mt :  nl:  allsaml  :  want  57,  6;  beidsand  :  bant  l.  H.8.:  all  an! :  baut 
11.70,:.];  jhanl  [,568,93;  :lan1  [.319,11;  :  pfand  II.  361,63;  :  »chand  I.  103.247; 

en  tanl  II.  176,  I L3;  igewanl  I.  540,  5 

26)  mhd.  n :  reyn  :  bey   109,  6  '. 

27)  -m:  —  :  erbarmen  :  arm  151,2;  flii  W  2\  --■  besitzen  :  witz  165,6. 
Vgl.  H.  S.  M<-.  II  infinitive  wie  z.b.:  strafe :  waffe  X:  überwinde :  kinde  2/2'  a.  a. 
II.  S.  kennt  jedesfalls  den  verlusl  von  n  in  unbetonter  Bilbe.  unmittelbare  analoga 
zu  li.  s.  fliessen  : stiess  fehlen;  doch  vgl.  perun(nen) : tun  (       etan)  F.S.I, 

dien  (     dienen)  im  versinnern  F.  S.  I,  .".77,::»;.    Wahrscheinlich  sind   diese  reime  wie 
Qiessen : stiess,  besitzen : witz  ans  älteren     flie  !"-  herzuleiten. 

28j  Verlust  eines  dentals:  nach  r:  erd(e)n:gern  54,2;  - 
born  48,  ü.  Vgl.  H.  S.:  erdencgern  I.  195,111;  orden:geborn  II.  275,  11;  werden: 
gebärn  [,35,19;  :ern  [,392,31;  :fern  [1,80,33;  :gern  I,  61,39;  :herrn  1,400,151; 
:kern  1,569,  L25;  worden : geborn  I.  198,63;  :dorn  II.  290,  L5;  :erfrorn  [1,464,  105 
:  born  11,135, 87;  :  körn  II,  76,  7;  ;  verlorn  1.411,213.  Ferner  erd:leer  5,  2\  würd: 
für  5,6;  —  art:  war  124,2  (N!);  —  wurdrnatur  125,2;  -  gebrast  :  ww  19,  0.  Vgl. 
H.  S.:  würd  :  orfür  I,  289,  23;  :  verlür  I,  343,  41;  :  natur  II.  634,  ■',:  :  sehnt»]  I. 
: :  1 2,  -1 1 ;  :  schwur  1 ,  548,  09 ;  pferi I  :  wer  1.17,  33 ;  art :  jar  W.  XXIII,  41 3.  8 ;  wart : 
ar  W.  III.  327,  22;  beschreibt :  weil)  W.  II,  295,  27;.  affect :  geschieh  W.  III.  5,  26; 
:  steck  W.  VII,  344,  5;  :  weck  W.  II,  281,  32;  zubereitet :  arzenei  W.  XXin,  280.  11. 

29)  Assonanz:  maget:  erschlagen  95,0;  —  maget:trach  17.  f.;  —  gut:rfiw 
(N.  hutl)  38,  6';  —  verzert  :  berg  140,  LJ;  jüngeling : kind  33,  2.  Für  II.  S.  vgl.  die 
unter  28  gegebenen  belege;  dazu  nach  Michels  s.  118  aus  Nürnberger  fastnacht- 
spielen: hab:tag;  gelauben  :  äugen ;  haben  :  sagen;  ßübenkorp  :  mort'-'. 

30)  mhd.  x:s  i.  a.:  fürbass:was  61,2;  —  genoss  :  sigelos  84,6;  — auss  :  haus 
61,  6.  74,  0;  —  dass  :  was  128,  6.  Vgl.  H.  S.:  ass  :  was  1,  51,  26:  auss  :  hanss  1,5,  03; 
bass  :  has  I,  67,  31 ;  dass :  blass  1, 102,  203;  frass  :  was  I.  138.  5;  heiss  :  reis  1 .  34.  1. 

31)  mhd.  g  :  k  nach  ii  i.  a. :  zwang  :  gedank  97,  2.  Vgl.  H.  S. :  anfang  :  dank 
11,15,13;  :  trank  I,  380,37;  gang  :  dank  II,  436,  89;  :  krank  I,  257,  33;  lang:  banl 
I,  41,  83;  :  dank  II,  106,  53;  :  krank  I,  90,  7;  bringt :  winkt  II,  582,  141. 

32)  mhd.  -g  :  -h:  tag  ;  gesach  23,  2;  —  unverzagt  :  macht  (N!)  96,  2.  Vgl. 
H.  S.:  jagt :  tracht  I,  303,  41 ;  :  wacht  W.  XIII,  182,  31;  schlagt :  facht  V.  XX  .  149,  2; 
—  versorgt :  forcht  1,288,25;  W.  Ilf ,  320,  23;  XX,  190,  13.  524,13;  —  berg  :  über- 
zwerh  1,5,01.  43,153.  105,300. 

33)  mhd.  g:  — :  gezeigt :  maid  157,  G.  Vgl.  Michels  s.  225:  erzeigt:  hinter- 
listigkeit. 

1)  Vgl.  die  andern  drucke  ausser  B,  das  frey :  bey  hat.  Wenn  B  nicht  'las 
ursprüngliche  bewahrt  hat,  so  ist  dies  der  einzige  reim,  für  den  ich  kein  analogon 
aus  Nürnberger  dichtungen  kenne.  Im  versinneru  steht  bei  H.Sachs,  F.  S.  II,  012.  7  : 
mei  prüstüch.  Für  wesentlich  halte  ich  es  nicht,  dass  diese  reimart  fehlt,  da  die 
Nürnberger  einschliesslich  H.  Sachs  sonst  die  nasalierung  des  vocals  kennen. 

2)  Aus  H.  Sachs  kenne  ich  dieser  art  nur  F.S.  II,  480, 107:  tag :  hat;  Psp.  VII. 
50,23:  tag:  hob.    Fsp.  V,  7, 175:  wirt :  nit  ist  wol  falsch  überliefert.    Zu  lesen  wäre: 

Eulenspiegel:  glück  xv,  herberg,  mein  wirt,  ich  bit. 
Wirt:  ey  leiehnam  gern,  warumb  das  nit. 
Was  Sommer  s.  07  an  belegen   für  assonanzreim  beibringt,   stammt  aus  der  druck- 
ausgabe. 


HÖHNEN   SEYFRID  211 

34)  mhd.  -h:-ch:  sali  :  sprach  40,2.  45,2;  —  ü.bersech :  rech  175,  G;  —  ge- 
schmecht:geschlecht  174,2;  —  gerueht :  sucht  150,2.  Vgl.  H.  R.:  entfah :  schwach  II, 
358,65;  :  sprach  1,476,59;  sah  :  bach  1,319,5;  :  brach  1,542,43;  :  sprach  I.  7,32; 
neh:rech  II,  159,  41;  —  seh  :  pech  II,  414,  41:  sih  :  ich  II,  612,  21;  vieh  :  ich  1. 
399, 113;  :  brich  I,  134,53;  —  geschmecht :  brecht  I,  295,9;  sih t :  bricht  T,  591,  119; 
:  spricht  1 ,  25,  187;  nicht :  spricht  I,  518,  41. 

2.    Doppelformen. 

35)  Praet.  sg.  st.  v.  1:  reysstheyss  131,6;  — reit :  gemeit  159.  .0;  —  steig: 
feig  143,  2;  —  treib:  weih  166,  6;  —  litt  :  nit  11,  2;  :  Seyfrid  139,  2;  —  ritt  :  nit 
170,  2;  —  trib  :  lieb  14,  2.  Vgl.  IT.  R. :  baiss  :  schaiss  (in.)  I,  439,  79;  schlaich  :  straich 
II,  621,  31 ;  bleib  :  leib  1, 111,  115;  traib  :  weib  II,  557,  15;  schnaid  :  beid  1,  429,  49;  — 
griff: tief  TI,  100,  11;  biss:spiess  1.  33,  141;  schlich  :ich  II,  212,  103;  blieb:dieh  II, 
52,  99;  schrieb: 'lieb  [,  483,  129. 

36)  was,  war:  was:bass  61,  2;  :  gebrast  19,0;  :  das  128,6;  :  mass  178,  2\ 
:  genas  149,2;  —  war:art  124,2  (N!).  Vgl.  H.  S.:  was:sass  1,16,1;  :  as  r,327,3; 
:  das  T,  510,  87;  :  frass  T,  316,  49;  :  mass  I,  254,  5. 

war :  dar  I,  310, 13;  :  dar  I,  321,  3;  :  dar  I.  327,  13;  :  jar  I,  289,  13. 

37)  meer,  mee:  mer:her  25,2.  41,6.  50,0.  111,6;  :wer  126,6;  —  mee : 
wee  20,  6.  85,  2.  Vgl.  H.  S.:  mer  :  er  I,  546,  97.  561, 115.  570, 193.  574, 117.  584, 139; 
:ser  1,302,21.  572,13.  —  mee:ee  1,21,31.  143,11;  II,  66,203.  608,81.  631.  171; 
:  stee  II,  569,  79;  :  wee  I,  104,  2.r>l. 

38)  nicht,  nit:  nicht :  gericht  173,2;  —  nit :  lidt  11,  2\  :  ritt  170,  2.  Vgl. 
H.  S.:  nicht :  bricht  I,  337, 18;  :  dicht  I,  49, 14;  :  gicht  I,  386, 112;  :  licht  I,  104,  280; 
:  pflicht  I,  27,  238;  :  gericht  I,  106,  9;  —  nit :  bitt  I,  59,  28  ;  :  driti  II,  2,  71;  :  frid  I. 
L67,  84;  :  mit  I,  13,82;  :  quitt  IT,  26,33;  :  riet  II,  236,  119. 

39)  -aget,  -eit:  vnverzagt  :macht  96,  2;  maget :  erschlagen  95,  6 ;  :  gewaget 
37,6;  —  geleit :  arbeit  106,2;  —  widerseit : bereit  78.2;  — vnverzeit : laid  1  IG,  0; 
:  manheit  81,  0;  —  meid  :  gezeigt  15  7,  6.  Vgl,  H.  8.:  maid  :  aid  I,  94,  3;  :  baid  I,  29,  3. 
33, 155.  52,7.  129, 11;  :  laidt  I,  56, 159;  :  beschaid  1.  35,  31.  87,  122.  150,  107.  Die 
anderen  contractionsi'ormen  scheinen  H.  R.  nicht  geläufig  zu  sein. 

Es  war  meine  aufgäbe,  zu  zeigen,  das*  das  Lied  vom  hürnen 
Seyfrid  eine  formell  einheitliche  Originaldichtung  eines  Zeit- 
genossen und  Landsmannes  des  Hans  Sachs  i*t.  Diese  aufgäbe  glaube 
ich  gelöst  zu  haben.  Eine  andere  frage  ist  es,  wie  die  offenbaren 
inhaltlichen  Widersprüche  zu  erklären   sind. 

BRÜHL    BEI    KÖLN.  CHR.   Al*< ..  MAYER. 


1  1 


212 

MISCELLE. 

Klopstock,  <<l«'im  and  die  Anakreontlker  als  naehdtehter 
des  altdentoehen  mliniesangSi 

Dass  die  bemühungen  der  tapferen  Schweizer  ßodmer  and  Breitinger  um  die 
widcrerweckung  der  altdeutschen   mii  die  in   zahlreichen  abhandlungen  zum 

ack  kamen  und  in  dem  zweimaligen .  untei  dei 
gekommenen  versuche  einer  herausgäbe  von  liedern  aus  dem  gro    cn    ■  •■    M  •      ischen 
gipfelten1,   unter  den  ze  nur    o  lang  am  zu  ancrkennung  und   nach- 

oiferung  gelangten,  hai  natürlich  seinen  grund  niohl  zum  wenigsten  in  den 
Zeitumständen .  die  die  mittleren  Jahrzehnte  des  18.  Jahrhunderts  erfüllten.  Von  gro 
ebonsowol   philologischem  wie  historischem   inten     i      I   da    ei  te  zeugnif   einer  an- 
lehnung  an  den  altdeutschen  minnesang,  das  uns   nach  der  beendigung  der  ki 
unruhen  entgegentritt.     E    stammt  von  Klopstock5  und  wurde   im  jähre   1764  ver- 
öffentlicht, ist  also  vielleicht  nur  wenige  monate  nach  dem  i!-  eblu  B  burger 
friedens  entstanden:     Ks  i.-t  seine  ode  an  kaiser  Beinrich,   die  sieb   nur  insofern  an 
das  diesem   l'ürsten  zugeschriebene   tninnelied   anlehnt,     I  anken 
kurz,  in  der  ersten  strophe  zusammenfasst  und  zum  ausgangspunkte  für  die  eigenen 
botrachtungen  nimmt. 

[m  jähre  1749  —  zur  zeit  seines  aufenthalts  in  Langensalza  —  hatte  Klu| 
es  in  einem  briefe  an  Bodmer^  direkl  abgelehnt,  sich  weiter  mit  den  alten  lioder- 
dichtern  zu  beschäftigen,  da  er  nicht  dazu  aufgelegt  sei.  die  spräche  „dii 
alten"  zu  studieren,  was  doch,  um  sie  recht  zu  verstehen,  nötig  sei,  — jetzt,  fünf- 
zehn jähre  später,  hatte  er  selbständig  auf  sie  zurückgegriffen:  fern  von  Deutsehland, 
in  Kopenhagen,  scheint  er  ruhe  und  müsse  dazu  gefunden  zu  Indien.  Ä.ber  unzweifel- 
haft: seine  erweckung  und  anrufung  von  kaiser  Heinrichs  schatten  zur  Schlichtung 
des  „ Streites  der  Deutschen"  kam  etwas  post  festum. 

Auf  Gleims  entschluss,  sich  in  der  erneuerung  oder  nachdichtung  der  minne- 
singer  zu  versuchen5,  ist  jedesfalls  Bodmer  nicht  ohne  einftuss  gewesen.  Standen 
beide  schon  vor  der  ersten  Bodmerschen  Veröffentlichung  aus  dem  grossen  codex  mit 
einander  über  die  absiebten  der  beiden  Schweizer  im  schriftlichen  verkehr1',  so  mag 
auch  Bodmers  gelegentliche  briefliche  bemerkung,  dass  zwischen  Gleims  geiste  und 
demjenigen  der  alten  liederdichter  „ eine  solche  Sympathie "  bestehe7,  dem  von  eit< 
nicht  ganz   freien  Gleim   den  gedanken  eingegeben  haben,    sich  auch  einmal,   ähnlich 

1)  Vgl.  meine  dissertatiou :  „Das  aufleben  des  altdeutschen  minnesangs  in  der 
neueren  deutschen  litteratur.  Erstes  capitel:  Das  aufleben  in  der  Wissenschaft  bis 
1759".    (Jena  1891). 

2)  Klopstocks  öden,  herausg.  von  Muncker  und  Pawel,  Stuttgart  1889,  bd.  ]. 
s.  161fg.  —  Diese  ode  an  kaiser  Beinrich  scheint  doch  wol  ihrem  Charakter  nach  ein 
paar  monate  früher  entstanden  zu  sein  als  das  im  gleichen  jähre  veröffentlichte  Gieim- 
sche  lied:  „  Ismene". 

3)  Vgl.  Fr.  Muncker.  „  Klopstock.  Geschichte  seines  lebens  und  seiner  Schriften". 
(Stuttgart  1888)  s.  359. 

4)  Weimarisches  Jahrbuch,  bd.  IV  (1856)  s.  135. 

5)  Vgl.  R.  Dorsch,  Der  altdeutsche  minnesang  und  die  Göttinger  dichter.  Bericht 
d.  Freien  d.  hochstifts,  n.  f.,  17,  31fgg. 

6)  Vgl.  meine  Dissertation,  s.  30  und  32. 

7)  Bodmer  an  Gleim  den  12.  sept.  1747,  in:  „Briefe  deutscher  gelehrten.  Aus 
Gleims  litterarischem  nachlass  hrg.  von  W.  Körte"  (Zürich   1805  — 1806)  bd.  1.  s.  tj4. 


KLOPSTOCK,    GLEIM    IM'    DIE    ANAKKtOXIIKEK  213 

wie  jener  es  schon  widerholt  getau  hatte,  in  ihrer  nachdichtung  zu  versuchen.  Bis 
zu  Glenns  erstem  versuch  verstrich  allerdings  noch  eine  ansehnliche  reihe  von  jähren. 
Bodnier.s  brief  vom  2.  april  1767,  in  dem  er  ihm  direkt  ein  paar  Übersetzungsproben 
schickte,  hat  dann  aber  seine  lust  zu  grösseren  versuchen  vielleicht  aufs  neue  belebt1. 
Möglich  auch,  dass  er  von  Bodmer  in  einem  verloren  gegangenen  briefe  direkt  auf- 
gefordert wurde,  hatte  doch  am  6.  märz  1752  der  junge  Studiosus  Wieland  aus 
Tübingen  an  Bodmer  geschrieben:  „Wenn  sich  nur  ein  Übersetzer  fände,  der  alle 
Lieder  und  gedichte,  die  man  von  Winsbeke  und  seiner  frau,  Walthern,  Veldig  usw. 
hat,  in  unsere  heutige  mundart  übersetzte,  ohne  ihnen  etwas  zu  nehmen  oder  zu 
geben"-.  Wie  unsympathisch  müsste  es  nur  dem  keineswegs  für  die  anakreontik  be- 
geisterten Wieland,  dem  Verfasser  der  .,  Empfindungen  des  Christen",  gewesen  sein, 
wenn  Bodmer  sich  infolge  dieses  briefes  wirklieh  an  Gleim  mit  seinem  vorschlage  ge- 
wendet hätte!  Im  jähre  1771  steht  Gleim  sodann  mit  Gottfried  August  Bürger  über 
„ minnelieder "  im  briefwechsel.  Sind  auch  Bürgers  früheste,  uns  bekannte  „  miune- 
lieder ^  erst  177c!  zur  Veröffentlichung  gelangt'1,  so  befasste  er  sich  doch  schon  1771 
mit  diesen  versuchen.  Am  20.  october  schrieb  er  an  Gleim,  er  habe  noch  „ein  dutzend 
minnelieder"  liegen,  und  „wenn  aus  einem  oder  dem  andern  etwas  taugliches  werden 
könne,  so  stehe  es  herrn  Michaelis  auch  zu  diensten"4.  Sieht  es  nicht  aus,  als  ob 
Gleim5  mit  der  absieht  umgieng,  eine  Sammlung  von  nachdichtungen  nach  den  minne- 
singern  von  verschiedenen  Verfassern  zu  veranstalten,  um  dadurch  den  armen,  auch 
als  dichter  hervorgetretenen  Johann  Benjamin  Michaelis,  der  sich  bei  ihm  in  Halber- 
stadt  aufhielt,  zu  unterstützen?  Hatte  er  kurz  zuvor  die  „  Lieder  eines  armen  arbeits- 
mannes"  zum  besten  von  dessen  Schwestern  drucken  lassen,  so  glaubte  er  vielleicht 
auf  diese  weise  für  Michaelis  selbst  etwas  tun  zu  sollen.  Aber  Michaelis  starb  schon 
am  30.  September  1772,  und  Gleims  „Gedichte  nach  den  minnesingern"  (1773)  wurden 
wider  zum  besten  der  armen  mädchen  in  die  weit  geschickt. 

Für  die  arl  und  weise  zunächst,  wie  die  Göttinger  bei  ihren  nachahmungeu 
zu  werke  gieugen,  ist  charakteristisch ,  was  Bürger  im  vorwort  zur  ersten  ausgäbe 
seiner  gedichte'  schrieb:  .Man  bilde  sich  nicht  ein,  als  ob  ich  ...  .  das  original  vor 
mir  liegen  gehallt  und  zeile  bei  zeile  verdolmetscht  hätte.  Öfters  hatte  ich  das  fremde 
gedieht  vor  jähren  gelesen,  sein  Inhalt  war  meinem  gedächtnisse  gegen  wärt  u 
blieben."  So  ist  es  bis  jetzt  auch  in  der  tat  nur  gelungen .  nachzuweisen,  dass  Bürger 
ein-  oder  zweimal  eine  strophe  AValthers  aus  der  erinnerung  nachdichtete.  Von  der 
wortgetreuen  Übersetzung  eines  ganzen  gedichts  ist  keine  rede,  Und  wie  ei  machten 
es  in  der  hauptsache  auch  die  Mitglieder  des  Göttinger  hains.  Nur  Miller  scheint 
sich  einmal  und  Hölty  sich  zweimal  eng  an  bestimmte  vorliegende  originale  angelehnt 
zu  haben.  Im  übrigen  gilt  die  bemerkung.  die  der  Göttinger  Musenalmanach  von 
1774  über  die  „minnelieder"  dieses  dichterkreises  maohte:  „Sie  sind  das  zufällige 
spiel  einiger  freunde,  die,  indem  sie  die  alten,    freylich  nicht  genutzten  Überbleibsel 

1 1  Vgl.  Körte  a.  a.  o.,  s.  308. 

2)  Wielands  werke,  bd.  10,  b. 310. 

3)  Vgl.  F.  Mühlenpfordt:    .Der  einfluss  der   minneaioger   auf  die  dichter  des 

fiöttinger  hains".      Dissert.   i  Leipzig    ls*)i)i  s.  21. 

4)  Biiefe  von  und  an  <«.  A.  Bürger,  hrg.  von  Ä.dolf  Strodtmann   (Berlin   1874) 

bd.  I,  s.  37. 

5)  Oder  trug  Michaelis  sich  selbst  mit  solchem  plane',-' 
G)  177s. 


'  1  I 

en  zeitpunki  •  mit»  inander  La  ob  mau  auch 

einmal   ganz   in   dem   geiste  der  mii  chten,   und  bei  der  gelegenheri 

einige  alte  Wörter  retten  konnte,  die  nicht  hätten  untei  a."     NTai 

i    eben  doch   aichi  immer  richtig  getroffen  wurde.     Die  Schäferin,  die  aal 
grabi  bre   berde  weidei   (Bürger)1,  d  junge   rittersmann, 

der  dem  liebchen  den  ganzen  chleichl  (Miller)9,  «las  „grussliche  und   - 

liehe  lächeln"  der  geliebten  (Voss)",  da  Bind  nun  dooh  Wendungen,  die  wir  bei 
den   minnesingern   vergeblich   Buchen.     Ä.ber  am   die  absichten  bandell  der 

geisl  oder,  wie  Voss  einmal  sagte4,  der  ton  der  alten  liederdichter  war  es,  den  man 
vor  allem  widergeben  wollte,  and  Franz  töühlenpfordl  bal  in  seiner  dissertation  gezeigt, 
in  welchem  masse  ihnen  dies  gelungen  ist. 

Wesentlich  anders   freilich  liegen  die  ding»    aun  bei  'iloim. 
Wie  Bodmer  hat   Gleim   sich   zu   verschiedenen   malen   in  Dachdichtungen  von 
minneliedern   versucht.     Einer  vereinzelten   probe  liess  er    1773  die   „Gedichte  nach 
den  minnesingern "  and  L779  eine  zweite  b  Walther 

von  der  Vogelweide u  folgen.    Zwischen   beiden   liegen  eine   reihe   von   einzelne] 
arbeitungen,  die  im  Leipziger  „  Umanach  der  deutschen  musen"  von   177-1  uud  177."». 
im    „Teutschen   Merkur-   von    1774,   in   der   „Iris"  von    1775   und   1770   und   in  den 
.. Kh"je'eii  -ler  Deutschen  aus  handschriften  und  gedruckten  werken"  (hrg.  von  Klarner 
Schmidt.    1776)  veröffentlicht  wurden6.    Die  „Gedichte  nach  den  minnesin 

h  Göttinger  Musenalmanach  1773,  s.  115.  —  Aug.  Sauers  ausgäbe  von  Büi'gers 
gedichtet],  D.N.L.,  bd.  78,  s.  45. 

2)  Göttinger  Musenalmanach  1774,  s.  195. 

3)  Ebeuda  s.  203.  Auch:  Sämmtl.  gedichte  von  J.  H.  Voss  (Königsberg  1802) 
band  IV,  s.  24. 

4)  Sämmtl.  gedichte,  bd.  IV,  s.  288. 

5)  Die  ,,  Gedichte  uach  den  minnesingern "  enthalten  46  nummern.  Dabei  steUi 
Gleim  die  fürstlichen  sanger  (kaiser  Heinrich,  Wenzel  von  Böhmen,  Otto  von  Bran- 
denburg, Heinrich  von  Meissen,  herzog  von  Anhalt,  herzog  Johann  von  Brabant, 
herzog  Heinrich  von  Breslau)  an  den  anfang  und  vereinigt  die  übrigen  unter  der 
rubrik:  „Nach  verschiedenen  minnesingern".  Von  Walther  von  der  Vogel  weide,  ..mir 
welchem  sich  behaupten  Hesse,  dass  die  Zeiten  der  sogenannten  minnesinger  einen 
Anakreon,  und  einen  bessern,  als  die  unsrigen  schon  gehabt",  bearbeitet  Gleim  hier 
vier  lieder.  Dieselben  widerholt  er  —  mit  einigen  unbedeutenden  änderungeu  —  in 
den  „Gedichten  nach  "Walther  von  der  Vogelweide ",  die  im  ganzen  aus  31  nummern 
bestehen.  Nr.  29  „Vorsatz  eines  kranken  im  may":  „Wenn  ichs  ooeh  erlebe,  das. 
ich  rosen...*,  findet  sich  auch  im  Leipziger  „Almanach  der  deutschen  Musen"  von 
1775,  s.  43.  In  seiner  ausgäbe  von  1774  bringt  dieser  Almanach  (s.  11)  eine  be- 
arbeitung  von  Hadloubs  gedieht:  MSH.  XXXVIII,  1.2.3  unter  der  Überschrift:  „Das 
schöne  bette".  —  Der  „Teutsche  Merkur"  (bd.  V,  Januar  1774,  s.  23  —  24)  bringt 
einen  „ minnegesang "  von  Gleim,  zu  dessen  dritter  strophe  er  die  anmerkung  macht: 
„Ein  dichter  aus  den  zeiten  der  minnesinger  hat  diese  zween  verse  hergegeben."  Das 
ganze  bezieht  sich  auf  „Herrn  von  Eine  an  fräulein  Sunnemann  die  kleine."  —  Die 
(ältere)  „Iris"  von  1775  (bd.  IV,  s.  62  —  70)  bringt  von  Gleim  nachdichtungen  nach 
Steinmar,  dem  wilden  Alexander,  Ulrich  von  Lichtenstein  (zwei  lieder)  und  Johann 
Hadloub.  Die  „Iris"  von  1776  (bd.  V,  s.  30  fgg.)  hat  nachbilduugen  nach  Reinmar 
von  Zweter,  Gottfried  von  Strassburg,  Konrad  Schenk  von  Landeck,  dem  von  Johaus- 
dorf,  Ulrich  von  Lichteustein  und  nach  einem  unbezeichneten  text.  —  Die  „Elegieen 
der  Deutschen"  (177G,  s.  115.  259.  264  und  351)  bringen  nach  Reinmar  dem  alten: 
„Über  den  tod  herzog  Leopold  des  sechsten",  ein  „Fragment  nach  den  minnesingern", 
ein  (selbständiges?)  gedieht  „An  die  Minne"  und  eine  apostrophe  nach  und  „an" 
Waltker,  die  mit  einigen  änderungen  auch  in  die  „Gedichte  nach  Walther  von  der 
Vogelweide"  (s.  30)  übergegangen  ist. 


KiOFSTOCK,    '.LEIM    UND    DDE    ANAKREuNTIKEK  215 

öffnet  Gleim  mit  einer  kurzen  eiuleitung  über  den  flor  der  deutschen  poesie  unter  den 
schwäbischen  kaisern,  in  der  er  ausdrücklich  Bodrners  Verdienste  um  die  wider- 
erweckuug  der  alten  gedichto  hervorhebt  und  zugleich  bedauert,  dass  dessen  „Samm- 
lung- bisher  dem  grössten  teile  der  gelehrten  unbekannt  geblieben  sei.  Um  zu  zeigen, 
wie  die  akademieen  der  Wissenschaft  sich  der  sache  annehmen  könnten,  entwirft  er, 
ähnlich  wie  Bodmer  und  Breitinger  im  vorbericht  zum  zweiten  teile  der  „Sammlung" 
eine  reihe  von  aufgaben  zur  erforschung  der  deutschen  poesie  in  jener  periode,  die 
sich  jedoch  nur  auf  litterarische  und  kulturhistorische,  nicht,  wie  bei  jenen,  auch  auf 
sprachliche  fragen  beziehen.  Den  „gedienten"  selbst  hat  er  unter  dem  texte  die 
originalstellen  beigefügt1;  dabei  bittet  er  aber  ausdrücklich,  „manchen  schein,  als  ob 
er  jene  nicht  verstanden  hätte,  nur  für  schein  zu  halten,  weil  er  nicht  selten,  bloss 
aus  mangel  der  zeit,  seinem  köpf  folgen  und  manche  stellen  stehen  lassen  müssen, 
die  er  mit  der  feile  gern  hinweg  genommen  hätte."  Naiver  hätte  der  gute  vater  Gleim 
seine  allerdings  noch  ziemlich  mangelhafte  kenntuis  der  alten  spräche'-  gewiss  kaum 
entschuldigen  können. 

Schon  in  den  titeln  seiner  beiden  grösseren  Publikationen  hat  Gleim  aus- 
gesprochen, dass  sie  keine  eigentlichen  Übersetzungen  sein  sollten.  Auch  für  die 
zwischen  ihnen  liegenden  kleineren  versuche,  die  auch  in  anderer  hinsieht  das  gleiche 
gepräge  tragen,  gilt  dasselbe.  Nur  in  wenigen  fällen  hat  er  sich  genau  an  den  mittel- 
hochdeutschen text  angeschlossen,  meist  ist  die  anlehnung  an  die  originale  gänzlich 
willkürlich  und  frei.  Sind  es  zumeist  volle  Strophen,  oft  auch  ganze  Lieder,  die  er 
zu  gründe  legt,  so  greift  er  doch  manches  mal  auch  nur  einige  wenige  zeilen  frei  aus 
dem  original  heraus,  sodass  es  in  solchen  fällen  eigentlich  nur  ein  einzelner  gedanke  ist. 
den  er  verwertet.  Eine  bei  Gleim  sich  sehr  oft  widerholende  erscheinung  ist  die,  dass 
der  anfang  eines  gedichts  sich  enger  an  das  vorhild  anlehnt  als  die  fortführung.  Ist 
zuweilen  dennoch  wenigstens  der  allgemeine  gedankengang  derselbe  geblieben,  so  ist 
doch  das  original  oft  gänzlich  verlassen  worden  und  an  seine  stelle  ist  ein  ganz  neues 
lied  getreten.  Auch  die  äussere  form  ist  zumeist  nicht  immer  diejenige  des  gruud- 
textes.  Die  vielzellige  strophe  ist  entweder  durch  die  vielzellige  ersetzt  oder  es  ist 
ein  ganz  freies  metrum  mit  willkürlicher  reimverschlingung  und  ohne  strophen- 
abteilung  gewählt.  Da  aber  Gleims  verse,  wie  ja  überhaupt  diejenigen  der  Anakreon- 
tiker,  gewöhnlich  sehr  kurz  sind,  so  ist  es  nicht  wie  bei  Hofmannswaldau  und  Kenner 
der  eiulluss  des  metrums,  der  seine  ganze  ausdrucksweise  viel  breiter  machte  als  die- 
jenige seiner  originale ,  sondern  lediglich  sein  eigener  geschmack.  Oft  ist  eine  strophe 
des  minnesingers  zu  zweien  erweitert ,  manchmal  ist  allerdings  auch  das  gegenteil  der 
fall,  dann  sind  zwei  strophen  zu  einer  zusammengeworl'U.  and  die  bearbeitung  ist 
kürzer  geworden  als  das  vorbild.  Wenn  also  Gleim  seine  nachdichtuugen  als  ,,  Gedichte 
nach  den  Minnesingern,  Gedichte  nach  Walther  von  der  Vogolweide"  bezeichnet, 
so  handelt  es  sich  ebensowenig  um  Übersetzungen  wie  um  gedichte  nach  der  ait  und 
weise  d.  h.  im  geiste  der  minnesinger.  Der  unterschied  gegen  Bodmer  auf  dor  einen 
und  gegen  die  Göttinger  auf  der  andern  seite  liegt  auf  der  haud.  „Gedichte  im  an- 
schluss  au   die   minnesinger"  —   so   etwa   lassen  sich  die   Gleimschen   versuche,   die 

1)  Bei  den  „Gedichten  nach  Walther  von  der  Vogelweido"  verweist  er  nur 
unter  den  Überschriften  auf  die  betreffenden  stellen  in  Bodrners  „Sammlui 

2)  Grobe  missverstäudnisse  des  sinnes  sind  bei  Gleim  recht  häulig.  Oft  hat 
Gleim  aber  auch  manchen  alten  ausdruck  gar  nicht  verstanden,  so  wenn  er  tougen  — 
heimlich  mit  taugen  =  passen  übersetzt.  Die  wahre  bedeutung  von  milt  =  froigiebig 
ist  ihm  auch  uoch  unbokaunt. 


216  soko  o 

will  aucli  modi  i  imaok 

nennen  kann,  am  besten  bezeichnen. 

■  •  I •  - i 1 1 1    ■■  ach  lallt  im  das  jähr  1764.     Er  finde!   sioh  in  den  „Pi 

chischen    edicl  I  eine  unidiohtun 

M  B  II.  ll .   j.  71)  und  „Ismene "  iiherechrii 
Gleim   bal   die   überschwänglichkeife 
ml  tandenen   umdichtung*  bedeutend  gemildert.     Lber  in   e  .    war 

;odich1    für  Gleirm    dichterisches   Verhältnis    zu    den   minm  hon   rech! 

charakteristisch.    Zwar  lehnte  es  sich  —  uainentlich  in  der  beibehaltunj  phen- 

zahl  —   noch   verhältnismässig    eng   an  da     original  an,    aber  die   arl   der   jpS 
GTeimschen   umdichttmgen   lässt  sich  schon  hier  erkennen.     Ohne  dase   ei    ihr  einen 
liainou  gab,  glaubt  er  im  gegensatz  zum  berrn  von  ]  seiner  geliebten  nicht 

singen  zu  können.  "Wo  jener  nur  den  eindruck  und  die  mach!  schildert,  die 
vrouwi  auf  ihn  ausübt,  meint  Gleim  sie  unter  die  enge!  und  göttinnen  versetzen  zu 
in.  Seine  liebe  zu  Doris  hindert  ihn  nicht,  von  seinem  kalten  herzen  zu  sprechen; 
mit  dem  erinnerungsbilde  an  die  geliebte  i.-t  es  ihm  nichl  getan,  er  möchte  sie  auch 
—  echl  anakreontisch  —  im  wirklichen  bilde  besitzen,  und  anstatt  das  gedieh!  nach 
der  weise  des  Vorbildes  als  ein  erzählendes  und  nur  zum  Schlüsse  apostrophierendes 
minnelied  zu  geben,  kleide!  Gleim  es  in  die  form  eines  traunies,  wobei  er  die  aaf- 
klärung  und  enthüllung,  wie  auch  J.  P.  Uz3  und  ai      '  taten,  erst  ^anz 

am  ende  bringt.  Wichtig  ist  aber  der  inhall  seines  traumes:  Wo  der  herr  von  Trös- 
berg  sie  nur  „bi  maniger  schoenen  vrouwen"  gefunden  baben  will,  sieht  Gleim  einen 
ganzen  „kreis"  von  schönen  trauen.  Ismen e  tritt  hinein  und  „alle  schönen  über- 
liesseu  ihr  den  preis"-.  Der  begriff"  der  mittelalterlichen  vrouwe  ist  versehwunden,  so 
selir  Gleim  auch  geneigt  ist.  sich  als  den  Sklaven  seiner  geliebten  zu  betrachten. 

Es  ist  die  vorstellungsweise  der  rokokozeit,  die  uns  aus  Gleims  erstem  minne- 
singer -versuch  entgegentritt. 

Luch  eine  der  ersten  nummern  seiner  „  Gedichte  nach  den  minnesingern " 
die  schäferliche  einkleidung: 

Unter  ihren  liehen   schalen. 

Fand  ich  eine  hirtinn  schlafen. 

Zucht  und  Unschuld  im  gesiebt. 
Wie   ganz   anders  hatte  Gleim  in   den  vierziger  jähren,   damals,   als   er  Doch   echter 
Anakreontikcr  war,  gesungen: 

Aber  seht  nur,  dort  im  schatten 

Unter  reben  liegt  ein  mädchen  .  .  . 
An  die  stelle  der  reben  sind  jetzt  wider  die  lieben  schafe  getreten,  wein  und  trinken 
spielen  keine  rolle  mehr,   und  wie   überhaupt  die   scharfen   antithesen  von   stadt   und 
land,  von    hirt   und   könig  oder  arm   und  reich  wider  verwendet  werden,   so   beweist 
schon   der  häufige  gebrauch   des  idyllischen   demiuutivums   oder  von    adjeetiveu   wie 

1)  Vgl.  Wilh.  Körte.  Gleims  leben  (Halberstadt  1811)  s.  122fg. 

2)  .1.  W.  L.  Gleims  sämmtliche  werke,  erste  original- ausgäbe  aus  des  dichters 
handschriften  durch  Wilhelm  Körte  (Halberstadt  1811)  bd.  I,  s.  170.  —  Dazu  vgl. 
Körtes  vorrede  pag.  X  V:  .,  Besonders  aber  wurden  diejenigen  Veränderungen  des  dichters 
wider  ältere  lesarten  vorgezogen,  durch  welche  hier  und  da  ein  vers  oder  eine  Strophe 
weggeschnitten  wird  ..." 

3)  Vgl.  „Sämtl.  poet.  werke  von  J.  P.  Uz  ",  hrg.  von  A.  Sauer  (Deutsche  litteratur- 
denkmale),  Stuttgart  1890,  s.  130. 


KL0PST0CK.,    GLEB1    UND    DIE    A.NAKUEuMIKKK  217 

„  klein  "  uud  „  Miss ",  wie  sehr  vater  Gleim  dem  niedrigen  vor  dem  hohen  den  Vorzug 
gibt.  Selbst  die  mächtigsten  potentaten  finden  ihr  einziges  glück  wider  in  der  idyl- 
lischen liebe;  dem  kaiser  Heinrich,  der  doch  ehemals  bei  aller  liebe  zu  seiner  vrouwe 
die  würde  und  den  stolz  seiner  Stellung  gewahrt  hatte,  ist  jetzt  rang,  herrlichkeit  und 
pracht  nur  durch  den  besitz  seiner  ., süssen"  ..erträglich",  uud  herzog  Heinrich  von 
Breslau  ist  glücklich,  mit  seinem  ..süssesten  weibchen"  die  flitterwocheu  iu  seiner 
nun  endlich  wider  durch  muutcrkeit  und  freude  erhellten  „kleinen  hütte"  verleben 
zu  können.  Dass  alle  schäferlich -neckischen  episoden,  sich  in  sittsamkeit  abspielen, 
sagt  schon  der  könig  Wenzel  iu  Gleimscher  Umwandlung,  wenn  er  erzählt,  wie  er 
aus  furcht,  von  seinem  gewissen  mit  „ schlagen "  gezüchtigt  zu  werden,  auf  den  kuss 
der  schlafenden  Schäferin  verzichtete  uud  nun  das  schöne  bewusstsein  habe,  dass  er 
recht  getan.  Von  den  ..kleinen  bräunen  mädchen  ".  die  auf  weichstem  bettchen  mittags- 
ruhe  halten,  im  träume  die  bände  falten  und  betend  „um  männer  bitten"1,  ist  keine 
rede  mehr. 

Sofern  man   nicht  lieber   eine   mechanische   ilickerei  annehmen   will. 
die  neiguug,  durch  demonstrative  pronomiua  oder  adverbia  zu  lokalisieren: 

Himmel  I    Welche  wonue 
Hatten  wir  einmahl 
Hier  in  diesem  thal. 
Unter  mittagssoune, 
Deren  feuerstrahl 
Dounerwolke  dämpfte, 
Dort  am  Wasserfall. 
Ais  die  amsel  kämpfte 
Mit  der  nachtigall !  - 
Ferner  das  bestreben  zu  individualisieren ,  nur  dass  (üeim  hier,  wo  es  sich  doch  um 
alte   deutsche   dichter  handelt,    aus   denselben  gründen,    um   deren  willen   er   statt 
Amor,  Nymphen  und  Zephyr  „  liebesgötter  "  und  „abendwinde"  verwendete  und  Venus 
nur  noch  vergleichsweise  heranzog3,  die  sonst  so  beliebten  römischen  und  griechischen 
namen  durch  deutsehe  ersetzte:  Thusnelda,  Eringard,  llillma.  Adelheid  und  Irmingaft, 
und  statt  Seladou  männernamen  wie  Sellmar,  Hillmar  und  Werdogam.    Was  soll  man 
aber  zu  einer  dichterischen  Individualisierung  sagen,  die  sich  zu  versen  verstieg  wie: 
Wenn  ich's  noch  erlebe,  dass  ich  rosen 
Auf  der  lieblichen  Albertushöhe 
Alit  der  schönen   Anna  Winli  lesen  gehe...' 
oder  gar: 

[eh  sass,  in  einem  süssen  traunio 
Bei  meiner  Sunnemann  und  las.... 


1)  „Versuch  in  scherzhaften  Liedern":  Körte,  .Gesamtausgabe.  bd.I,  s.  87. 

2)  Iris,  bd.  IV,  s.  7m. 

3)  Selbst  da,  wo  einmal  der  herzog  Heinrich  von  Breslau  singt:  „loh  Venus 
wil  ir  alles  das  erleiden...",  ersetzt  Gleim  es  durch:  „Ich  liebe..." 

4)  Gedichte  nach  Walther  tob  der  Vogelweide,  s.  54;   vgl.  auch   oben   s,  214, 

anmerkuug  5. 

5)  Gedichte  aaoh  Waltber  von  der  Vogelweide,  s.  H>.  Über  frfiul.  Sunnemann 
vgl.  Bertuchs  biiefe  an  Gleim,  in:  Wielands  werte  od.  Pröhle,  DNL.  bd.  51,  obal. 
s.  LX1X  fgg. 


Kili  BohöneE   lied   des  Johann  Hadloub  widmet  er  177:;  direkt  dem  „fräulein 
Sunnemann"  and  noch  im  jähre  1779  begehl  ei  die  g<   chmacklosigkeit,  dass  er  e 
dichter  wie  Walther  den  Bohlanken  leib  der   Lnna  Winli1  b< 

Die  zweite    ammlong  zeigt  einen  dorchanf  ernsten  grandton.    Von  Bcbäferspiel 
ist  um  wenig  die  rede,  die  ländlichen  gedichte   bekommen  zum 
weinerlichen  zug,  selbst  um  die  unwirklichkeii  wird  geklagt*.    Und 

hier  wie  dort  wählt  Gleim  gern  Bolche  Vorbilder,  die  von  dem  verschwinden  der  treue 
aus  der  heutigen  weit  handeln8.  „Über  sein  Langes  leben"  betitelt  er  eine  um- 
dichtung  des  Walthersehen:  ,,Owe  war  siut   verswuudeii  alliu  minin  jär": 

Ich  seh,  in  gottes  weit,  mich  um  ... . 

Und  sehe  —  —  freunde  trag  und  kalt, 

Die's  nicht  vor  dreyssig  lenzen  waren  '. 

Doch  pessimismus  und  menschenfeindschaft  waren  bekanntlich  nichl  die  grund- 

züge  von  Gleims  leben.  Bezeichnend  Für  seinen  eigentlichen  charakter  ist  ein  fall, 
wo  er  eine  oft  widerkehrende  Wendung  der  minnesinger  des  iuhalts:  „Ich  wolte  gar 
von  fröiden  gau,  Do  tröste  mich  ein  röter  mimt  •■  herausgreift  und  diese  nach  seiner 
weise  variiert.  Erst  hat  man  den  verstimmten  und  verbitterten  leibhaftig  und  plastisch 
vor  augon:  Den  köpf  gestützt,  in  felsenschatten, 

Auf  traurigem,  verdorrtem  gras, 

Wo  nattern  ihre  uester  hatten, 

Sass  ich,  im  äuge  menschenhass! 
Dann  wird  er  wie   der  minnesinger6  durch  den  „roten  mund"  getröstet,   da.s  resultat 
ist  aber   ein  ganz   anderes  als  bei  dem   markgrafen  Heinrich  von  Meissen;   nicht  nur 
dass  er  sich  selbst  gehoben  fühlt,  er  denkt  sofort  auch  wider  an  andere: 

Und  nun  will  ich  den  menschen  leben, 

Will,  wider  unter  menschen  nun, 

Der  rechten  freude  mich  ergeben, 

Will  wider  menschen  gutes  tun. 
Patriotismus,  f'römniigkeit,  arbeitsamkeit ,  hauslichkeit  und  moral,  —  das  sind 
die  ideale,  die  er  seinen  gedichten  zu  gründe  legt,  ohne  sich  viel  darum  zu  kümmern, 
oli  sie  ihm  schon  von  seinen  Vorbildern  dargeboten  w-urden.  Doch  Vaterlandsliebe 
fand  er  bei  Walther,  und  eine  ganze  reihe  von  dessen  politischen  gedichten  hat  er 
verwertet.  Auch  für  den  ausdruck  seiner  protestantischen  gesinnung  fand  er  in 
Walthers  gegen  den  papst  gerichteten  stropheu  das  beste  mittel6.  Seine  frömmigkeit 
selbst  aber  erscheint  nirgends  charakteristischer  als  bei  könig  Wenzels  tagelied 
(MSH.  III),  das  er  in  einen  ,,  morgengesang",  noch  dazu  in  dem  typischen  choral- 
verse  des  „Wie  schön  leucht't  uns  der  morgenstern  ",  verwandelt.    Und:  „Wolauf  zu 

1)  In  welcher  beziehuug  der  name  Winli  zu  dem  gleichnamigen  minnesinger 
steht.  Hess  sich  nicht  erkeunen. 

2)  "Vgl.  u.  a.  nr.  23  und  25. 

3)  U.  a.  Gedichte  nach  den  minnesingern ,  s.  83  und  92. 

4)  Gedichte  nach  Walther  von  der  Vogelweide,  s.  25.  Vgl.  Gleims  leben,  s.  1S9. 
192.  133  fgg. 

5)  Gedichte  nach  den  minnesingern,  s.  44. 

6)  Vgl.  Gedichte  nach  Walther  von  der  Vogelweide,  s.  23.  24.  27.  29.  31.  32. 
34.  39.  50.  52.  —  Auch  hier  hat  Gleim  sich  übrigens  ein  grobes  missverständnis  zu 
schulden  kommen  lassen.  Walthers  „Sagt  an,  her  Stoc"  glaubt  er  (statt  auf  die  auf- 
gestellten opferstöeke)  auf  einen  päpstlichen  legaten,  herrn  Stock,  beziehen  zu  müssen. 


ELOPSTOCK,    GLEIM    UND    DIE   ANAKBEONT1KEE  219 

fröhlichen]  gesang!     Wolauf  zur  arbeit,  schlaf  ist  tod!"  —  ist  das  nicht  derselbe  ton 
wie  in  den  liedern  des  säemanns,  des  pflügers,  des  gärtners  oder  des  hirten? 

Anstössige  stellen,  die  bei  den  minnesingern  nicht  selten  sind,  sucht  man  in 
Gleims  nachdichtungen  vergebens.  Kaum  dass  einmal  ein  küsschen  erlaubt  wird.  Auch 
lieder  voll  der  naivesten  Sinnlichkeit  hat  er  geändert.  Man  traut  seinen  äugen  kaum, 
wenn  man  liest:  Unter' n  linden, 

Wo  sie  mir  zur  seite  sass!1 
Das  „weibchen"  sei  auch  eine  tüchtige  hausfrau2,  auch  „ gesangesfreundin "  und  „ge- 
sellig" muss  sie  sein.  Und  was  schliesslich  die  kinder  betrifft,  so  gibt  Gleim  uns 
wenigstens  über  die  mädchen  bescheid.  „Mein  töchterchen "  —  so  überträgt  er 
Keinmars  von  Zweter:  „Ein  ledig  wib"  —  bewerbe  sich  —  um  keinen  manu,  es 
steht  nicht  wol!  "Will  es  aber  dennoch  einen,  so  soll  sie  sich  der  allcrreinsten  sitte 
beständig  befleissigen.  Es  sind  dieselben  lehren ,  die  Caspar  Renners  frau  Winsbecke 
ihrer  tochter  gab3. 

Berührt  es  diesen  gruudsätzen  gegenüber  nicht  komisch,  wenn  man  auf  andern 
blättern  wider  hört,  wie  derselbe  vater  Gleim  „  seinen  bass"  (basson)  zu  blasen  ver- 
steht, wie  er  seiner  geliebten  zu  gefallen  .,  freudensprünge  springt"  und  wie  er  um 
einen  „süssen  gruss"  von  ihr  sogar  noch  „etwas  höher  tanzen"  will?1 

Übei1  Gleims  nachdichtungen  steht  das  urteil  fest.  Bleibender  dichterischer 
wert  ist  ihnen  nicht  zuzusprechen.  Auch  die  beibehaltung  einiger  alter  Wörter  and 
construetionen  wie:  Minne,  geleben,  du  sollt,  entwanken,  ohne  wann,  unsänftiglich. 
ich  gann,  der  viel  grosse  hass,  hat  nicht  die  bedeutung  wie  das  gleiche  bestreben  bei 
den  Göttinger  dichtem ,  die  solche  Wörter  und  redewendungen  aus  dem  Studium  der 
miunesinger  in  ihre  dichtungeu  hinübernahmen5.  Gleims  nachdichtungen  sind  „dem 
geiste,  wie  der  kunst  der  alten  dichter,  völlig  widerstrebend"'". 

Um  so  mehr  muss  man  sich  verwundern,  dass  damals  stimmen  laut  wurden, 
die  viele  lobesworte  über  Gleims  minnesiuger- versuche  zu  sagen  wussten.  Wielands 
„Teutscher  Merkur"  zum  beispiel,  in  der  december-nummer  von  1773,  erklärt  die 
„Gedichte  nach  den  minnesingern''  nicht  nur  für  eine  „wichtige  aojuisition  der  lyrischen 
poesie",  sondern  behauptet  sogar,  sie  seien  „mit  getreuem  abdruck  des  ursprünglichen 
charakters  und  mit  treuer  beybehaltung  des  alten  geistes"  gemacht.  Der  Leipziger 
„Almauach  der  deutschen  musen"  vom  jähre  1774  T  nennt  seine  „  freyen  Übersetzungen 
mit  den  beigefügten  originalen  das  beste  mittel,  die  nation  auf  eine  so  merkwürdige 
epoche  unserer  dichtkunst  aufmerksam  zu  machen",  und  als  die  „Gedichte  uach 
Wallher  von  der  Vogelweidc"  erschienen  sind,  weiss  derselbe  Almanach  (1780)"  von 
ihnen  zu  sagen,  sie  seien  „abermals  ein  herrlicher  beytrag  zur  modernisierung  der 
alten  minnesiuger".  — 

1)  Gedichte  nach  Walther  von  der  Vogelweide,  s.  17. 

"_')  Gedichte  nach  den  minnesingern,  s.  81.  —  Möglicherweise  ist  Gleim  auf  die 
in  der  zweiten  strophe  ausgesprochenen  forderungen,  dass  das  liebe  weib  auch  „für 
tisch  und  küche"  sein.müsse,  dadurch  gekommen,  dass  er  in  dem  Verfasser  „Herr 
Chuonrat  der  Schenke  von  Landegge"  einen   echten    scheukengastwut   vermutete! 

3)  Zeitschrift,  bd.  XXXV,  s.  79  fgg. 

4)  Nach  Ulrich  von  Lichtenstein:  „Iris-.  I>d.  IV,  Düsseldorf  1 7  7  ."• .  s.  ii">  u.  tiS. 

5)  F.  Mühlenpfordt  a.  a.  o.,  s.  82  fgg. 
G)  W.  Körte.  Gleims  leben,  s.  L72fg. 
7)  s.  66. 

8j  S.  74. 


■    I 

Wie  nach   mancher   andern   rieh  fang,    bo  bai    vater  Gleim    in  bezug   auf  die 
dichterische  Behandlung  und  nachahmung  dei  mini  bule  gemacht.    Von 

<  iöttingern,  die  ihr»  q  en '.   kann  unter 

Gloim  freunden  waren  doch,  soweit  es  sieb  iibi  lervier  — 

Klamer  Sohmidt,  Johann  Nikolaus  Götz   und  ein   paar  ungenannte  — ,  die 
i<  li  In  ähnlichen  umdichi  i  achten. 

Am  begeistertsten  scheirrl   damei  Schmi  Von  ihn 

sitzen  wir  zunächst  ein  paai  ven  ache  nach  Walther  von  der  Vogelweide  und  ein 
i  Dach  Beinrioh  von  Morungen,  die  im  „Almanacfa  der  deutschen  musen"  von 
1771  erschienen8.  Was  bei  den  „barden"  des  18.  Jahrhundert  so  belieb!  war  und 
von  Goethe  so  verböhnl  wurde:  die  ewigen  ausrufe  und  interjeetionen,  —  Klamer 
Schmidt  zeigte  dafür  auch  bei  seinen  Dachdichtungen  nach  den  minnesin 
gauz  besondere  noigung.  Fast  jeder  satz  isl  mit  einem  ausrufungszeichen  versehen, 
und  ohne  bedenken  schafft  er  sich  durch  ein  angeflicktes:  »ha!"  den  zugehörigen 
reim  auf:  „Ja!"  Das  unmittelbare  vorbild  war  ihm  vater  Gleim.  Wie  eng  lehn!  er 
sich  in  der  ganzen   auffassung  uud   aufmachung   an    seinen    i  ,!     Das  gedieht 

aaoh  dem  Morunger  neunter:  „Andenken  an  die  erhörungsstunde ",  in  Gleim6chem 
geschm  ack  spricht  er  von  himmelsseligkeiten  der  bebe  and  von  engein,  die  seinen 
saiten  horchen,  und  in  dem  einen  gedieht  nach  "Walther,  Da  minnelager"  betitelt, 
einer  verballhornung  des  entzückenden  „Under  der  linden,  an  der  beide-,  gl 
auch  er  den  inhalt  züchtiger  gestalten  zu  müssen.  Ja,  Klamer  Schmidt  gehl  hierin 
beinahe  noch  weiter  als  Gleim.  Zwar  ändert  er  nicht  wie  dieser  den  grundgedanken 
völlig  um3,  aber  Walthers  ausdruck,  dass  mau  au  den  gebrochenen  blumen  und  dem 
gras  erkennen  könne,  wo  die  liebenden  lagen,  war  ihm  doch  zu  sinnlich,  —  was 
macht  er  als»'  daraus? 

Minnelager  uns  zu  machen, 

Nahm  er  rosen  und  Jasmin. 

Hey!  des  muss  ich  jetzt  noch  lachen! 

Doch  die  rosen  möchten  leicht  verblühn: 

Waller,  willt  du  wissen,  wo  ich  lag, 

Tandaradey ! 

Geh'  doch  heute  noch  danach! 
I  od  wer  war  dieser  Waller? 

Schmachtend  kam  ich  hergegangen; 

Kitter  Winli  war  schon  da. 

Mich  behaglich  zu  empfangen! 

Susa!    Nur  ein  kleiner  vogel  sah, 

Wie  so  niedlich  mir's  der  ritter  bot! 

Tandaradey ! 

Seht!  noch  ist  der  muud  mir  rot! 
Das  war  selbst  Johann  Georg  Jacobi  zu  viel,  denn  im  „Teutschen  Merkur *  vom  april 
17744  schrieb  er  mit  beziehuug  auf  dieses  gedieht:  „Sollten  unsere  neuen  minnelieder, 
auch  die  besten  darunter,  mit  deu  alten  verglichen,  wol  etwas  anderes  seyn,  als  was 

1)  S.  o.  s.  213. 

2)  S.  8  uud  12. 

3)  S.  o.  s.  219. 
i)  Bd.  VI ,  s.  54. 


KLOPSTOCK,   GtETM    rvr>    DK    ANAKREONHKER  221 

die  lockpfeife  des  Vogelstellers  ist,  wenn  man  den  würk liehen  gesang  des  vogels  da- 
gegen hört?  Dieser  singt,  weil  er  sein  nest  im  grünen  baut,  weil  er  den  gatten  ruft 
und  die  kinder  warnt;  indessen  jener  bloss  seiner  handtierung  nachgeht.  AVer  in  diesem 
minnelager  den  geist  der  alten  sänger  zu  verstehen,  die  naivetät  der  empfindung 
aufzufangen  im  stände  ist,  der  wird  sagen,  dass  ich  die  Wahrheit  rede." 

Klanier  Schmidt  gehört  ohne  zwreifel  ein  gedieht,  das  als  anonyme  geburtstags- 
gabe  für  Oleim  im  jähre  1773  zu  Balberstadt  erschien  und  den  titel  führt:  ..Schön- 
heit und  liebe.  Ein  dialog.  Von  Reinmann  von  Brennenberg. u  Im  „Älmanach  der 
deutschen  musen"  von  1770,  in  dem  es  gleichfalls  abgedruckt  ist.  trägt  es  die  Unter- 
schrift: St..  und  dass  wirklich  Schmidt  und  kein  anderer  der  Verfasser  ist,  sagt  uns 
ein  herr  11.  v.  L.  in  seinem  aufsatze:  „Über  die  Unsterblichkeit  der  seele",  der  eben- 
falls eine  geburtstagsgabe  für  Oleim  aus  demselben  jähre  war:  ..Mein  lieber  bruder 
Katull-Petrarka  hat  Ihnen,  vater  Psammis,  ein  so  süsses  minnelied  vorgesungen..." 
Es  kann  hier  nur  jener  dialog  und  als  autor  nur  Klamer  Schmidt,  der  Verfasser  der 
.,  Phantasierm  nach   Petrarkas  manier"  gemeint  sein. 

Klamer  Schmidt  hat  die  beiden  ersten  Strophen  von  Reinmann  von  Brennen- 
bergs Wettstreit  zwischen  Schönheit  und  liebe1  benutzt.  Mit  den  worten:  „Genug  des 
ruhms!"  bricht  die  liebe,  nachdem  sowol  sie  wie  die  Schönheit  ihre  Vorzüge  auf- 
gezählt und  gepriesen  haben ,  plötzlich  ab,  und  der  Schlussgedanke  ist  nun,  dass  zwar 
beide  schöne  siege  errungen  haben,  dass  diese  alter  fruchtlos  wären,  würden  sie  nicht 
durch  unsterbliche  dichterwerke  verewigt,  [ch  hätte  das  ganze  gedieht  als  gelegenheits- 
prodnkt  einfach  kurz  erwähnt,  wäre  es  nicht  eben  ein  paar  jähre  später  auch  in  einem 
dichterischen  älmanach  erschienen. 

über  die  ungenannten,  die  mit  ganz  vereinzelten  versuchen  vertreten  sind, 
nur  wenige  worte.  Von  den  liedern  derjenigen  „ungenannten-  zunächst,  die  sich 
in  den  von  Klamer  Schmidt  herausgegebenen  „Elegieen  der  Deutschen  aus  hand- 
schriften  und  gedruckten  werken"-  finden,  mögen  zwei,  wenn  nicht  alle  drei,  viel- 
leicht Schmidt  selbst  zum  verfasset'  halten.  Pas  „ — Ch  — "  unter  (lern  einen  scheint 
auf  die  anfangsbuchstaben  seines  namens  hinzudeuten,  und  wenn  in  dem  andern  eine 
geliebte  unter  dem  namen  „Wunna"  besungen  wird,  so  stimmt  das  zu  Schmidts  ge- 
dichte  „Walther  von  der  Vogelweide  an  seinen  geist"  :,  das  durch  die  Unterschrift 
„ — Dt  — "  als  von  ihm  stammend  beglaubigt  ist.  „Das  schöne  kind.  Mach  m 
Badloub"  ist  das  an  „"Wunna"  gerichtete  gedieht  betitelt.  Auch  Gleim  hatte  dasselbe 
ht  bearbeitet1,  bei  ihm  war  es  aber  dem  „ Fräulein  Sunnemann "  gewidmet.  „Im 
schatten  einer  linde  sitzend,  liebkoste  sie  das  schöne  kind".  hatte  Gleim  begonnen  und 
sich  damit  dem  eingange  des  minnesingers :  „Ach  ich  sach  si  triuten  wol  ein  kindelin" 
ziemlich  genau  angeschlossen.  Ein  malerisches  hihi,  das  uns  entfernt  an  madonnen- 
liilder  erinnert,  war  es,  womit  Gleim  and  der  minnesinger  begannen.  Der  ungenannte 
dagegen  lös!  alles  episch  auf. 

,,  Kaisei-  Heinrichs  minnegesang".  gleichfalls  von  einem   ungenannten,   isi    nur 
insofern  von  interesse,  als  kaiser  Heinrich  hier  nicht  wie  im  original   „die  3ü< 
auch  nicht  wie  bei  Gleim  seine  „gemahlin",  sondern  „die  kleine-  besingt       Mil 
will  ich  die  kleine  grossen  ". 

L)  MSB.  IV.    10  und   11. 

i'j  Lemgo  177H.  bd.  I,  s.  70;  bd.  LI.  s.  327  und  360. 

3)  Ebenda  II.  3.361. 

-I )  i  redichte  nach  den  minnesingei  n .    .100. 


222  t 

A.uch  eine  erzählung:  „Die  herabla   rang  de    monarchen*  von  einem  ungenannten, 
dei  Bich   im  Leipzigei   -  Llmanacb  der  deutschen  musen"  von  177.V  mir  dem   buch- 
taben:  F.  unterzeichnet,  tnuss  biei   genannt  werden.    Bie  behandelt  die  Liebe 
apotbekerstochter  zudem  am  bofe  tcaJ  ei  Friedrichs  Ml  aen  dichter Tro 

\i.|it  nur  als  modell  ist  der  miunesinger  gleichen  namens  hier  benutzt,  es  wird  auch 

die  bearbeitui ines  Beiner  lieder,  desselben,  da   Gleims  erstem  versnob  einei  nach- 

dichtung  zu  gründe  lag2,  mitgeteilt.  Und  glaubi  man  nichi  Oleim  Belbst  zu  boren, 
.  er  babe  das  lied,  am  ihm  Beine  altvaterische,  aber  nach- 
drückliche spräche  nichi  völlig  zu  benehmen,  nur  mangelhaft  übersetzt?  Die  Wahr- 
heit ist:  er  hat  das  original  in  anakreontischem  geschmack  so  sehr  erweitert  und 
verändert,  dass  es  zum  teil  kaum  noch  zu  erkennen  ist. 

und  schliesslich  Johann  Nikolaus  Götz.  Auch  bei  ihm  zei 
miimelied,  das  er  bearbeitete:  „Ich  klage  dir  rneie....."  vom  herzog  Heinrich  von 
Breslau",  das  Gleimsche  gepräge:  episch -erzählender  eingang,  idyllische  deminutiva 
und  freie  behandlung  des  Vorbildes.  Wie  trivial  und  pedantisch  aber  ist  die  art.  wie 
Götz  das  festhalten  der  geliebten  durch  diu  hügel  erklärt:  in  einer  anmerkung  be- 
zeichnet  er  —  sogar  anter  hinzufügung  des  lateinischen  namen —  den  felsenstrauch 
als  ein  stachliches  gewächs,  dass  sich  den  gehenden  überall  fest  an  die  kloider  li 
dii    fliehte  mit  „kletten"  am  säume!     Es  wurde  zeit,  dass  ein  Umschwung  kam.  — 

Fern  im  schlesischen  osten,  und  zwar  schon  unmittelbar  nach  dem  erscheinen 
der  „Gedichte  nach  den  minnesingern  *,  scheint  zuerst  der  zweifei  an  dem  dichterischen 
werte  der  Gleimschen  nachdichtungen  öffentlich  ausgesprochen  worden  zu  sein.  Zwar 
redet  der  Schlesier,  der  in  Karl  Friedrich  Lentners  „  Schlesischer  anthologie"  gleich- 
falls nachdichtungen  nach  den  minnesingern  veröffentlichte,  von  den  „glücklichen 
bemühungen  des  vortrefflichen  Gleim",  im  höflichen  conversationstone  fügt  er  jedoch 
zweifelnd  hinzu:  „So  schön  diese  lieder  sind,  so  scheint  mir  doch  nicht  immer  der 
ganze  altdeutsche  geist  unserer  vorfahren  darin  zu  atmen,  zum  öfftern  die  natürliche 
treuherzige  miene  zu  fehlen,  und  das  kleid  fast  allezeit  zu  neu  und  modegerecht  zu- 
geschnitten. Es  sind  allerliebste  lieder  für  unsere  zeit  mit  einigen  edlen  gedanken, 
lieblichen  bildern  und  kernichten  ausdrücken  der  vorzoit  verschönert.  Das  wollte 
Gleim  ohne  zweifei;  und  er  hat  geleistet,  was  er  wollte;  mehr  von  ihm  zu  fordern 
wäre  unbillig."  Und  ein  anderer,  der  sich  ebenfalls  in  einer  nachdichtung  versuchte 
und  der  auch  aus  dem  osten,  wenn  auch  nicht  aus  Schlesien,  so  doch  aus  der  Ober- 
lausitz stammt,  Karl  Gottlob  Anton  aus  Görlitz,  äussert  sich  in  derselben  weise: 
„Ich  erkenne  seine  Verdienste  gern  an.  aber  dies  war  nicht  Übersetzung,  umschattung 
war's ! " '' 

Die  eigenen  minnesinger- versuche  dieser  herren  aber.  —  wie  verhält  es  sich 
mit  denen?    Und  zunächst:  wer  war  überhaupt  jener  Schlesier? 

In  bezug  auf  die  letztere  frage  befindet  man  sich  auf  recht  unsicherem  boden. 
Es  handelt  sich  sowol  um  minnelieder  wie  um  ein  grösseres  gedieht,  dessen  voll- 
ständiger titel  ist:   „Die  zwar  fürchterlichen,   aber  auch  erfreulichen   abentheuer,   so 

1)  S.63fgg. 

2)  S.  o.  s.  216. 

3)  Auch  Gleim  selbst  bearbeitete  dieses  gedieht:  „Gedichte  nach  den  minne- 
singern", s.  67.  —  Götz'  gedieht  erschien  in  Ramlers  ..Lyrischer  blumeulese"  (1778), 
buch  VIII,  nr.  7;  auch  in  Götz',  von  Ramler  herausgegebeneu  gedienten  (1807),  II. 
s.  28  fg. 

4)  Deutsches  museum,  bd.  II,  stück  IX,  sept.  1778.  nr.  10. 


KLOPPTOCK.    GLEIM   DKD   DTE    AWAEREONTTKEB  223 

zwoen  Schwestern  Gertraut  und  Eugelberthen  auf  einer  winterreise  begegnet.  Zur 
lehre  und  trost  gedichtet  von  meister  Heinrich  Yrouwenlob."  Mit  einem  teil  der 
minnelieder  findet  es  sich  in  der  Breslauer  Wochenschrift:  „Das  Kränzel"  vom  jähre 
1773,  und  als  sein  Verfasser  hat  uns  wol  Karl  Ämil  Schubert  zu  gelten1.  Möglich, 
dass  er  auch  der  autor  eines  teiles  jener  minnelieder  war,  die  in  der  zweiten  Samm- 
lung der  von  dr.  med.  Karl  Friedrich  Lentner  herausgegebenen  ,,Schlesischen  anthologie" 
von  1774  veröffentlicht  wurden  und  die  der  herausgeber  ausdrücklich  als  von  zwei 
Verfassern  herrührend  bezeichnet.  Ob  ihm  dann  auch  die  Übersetzung  von  herzog 
Heinrichs  von  Breslau  gedieht:  ..Ich  klage  dir  meie..."  in  der  ersten  Sammlung  der 
genannten  anthologie  von  1773  gehört,  bleibt  zweifelhaft.  Möglich  aber  auch,  dass 
wir  es  trotz  dr.  Lentners  angäbe  bei  allen  diesen  versuchen  nur  mit  einem  autor, 
also  wol  Schubert,  zu  tun  haben,  finden  sie  sich  doch  alle,  die  poetische  erzähluug 
eingeschlossen,  auch  in  der  zweiten  ausgäbe  der  Schlesischen  anthologie  von  1777, 
diedentitel:  „Schlesische  blumeniese u  führt,  und  hier  sind  sie  eben  insgesamt  unter 
die  eine  Überschrift:  ..Gedichte  von  herrn  — "  gebracht. 

Aber  auf  den  charakter  kommt  es  an.  Freilich,  die  poetische  erzählung  von 
den  beiden  mutvollen  Schwestern  Gertraut  und  Engelberth  hat  mit  der  kutsche,  den 
feeen,  dem  Zauberer  und  seinen  sylphen  überhaupt  nicht  viel  minnesingerisches  an 
sich.  Nur  wenn  zum  beispiel  von  dem  ,, grimmen  winter"  gesagt  wird,  „er  halte 
uns  die  freuden  ganz  benommen",  wenn  es  von  der  Schönheit  der  beiden  Schwestern 
heisst,  wer  sie  sähe,  dorn  wäre  es,  als  ob  der  frost  zergangen  wäre,  oder  wenn  man 
Wörter  wie:  minnen  und  minniglich  liest,  nur  dann  fühlt  man  sich  an  den  minne- 
sang  erinnert.  Verwandtschaft  mit  Heinrich  Frauenlob  liess  sich  nun  schon  gar  nicht 
herausfinden.  Ihr  allgemeines  gepräge  ist  Gleimisch,  und  im  einzelnen  gilt  das  auch  von 
den  minneliedern.  Die  vromve  wurde  zum  ..süssen  mädchen",  zum  ..liebelten"  oder  zur 
„schönen",  sie  bekam  einen  namen  (Gertraut);  flickwörter,  ausrufe.  Zusätze,  epitheta 
und  idyllische  deminutiva  wie  blümehen  und  vögelchen,  —  alles  ganz  wie  bei  Gleim 
und  seiner  schule,  nur  dass  wir  dem  Verfasser  wol  glauben  müssen,  wenn  er  be- 
hauptet, seine  minnelieder  verfasst  zu  haben,  bevor  Lange's  und  Gleims  proben 
herausgekommen  seien.  Und  das  eben  ist  das  wichtige:  ungefähr  zu  derselben  zeit. 
wo  Gleim  mit  seiner  schule  den  text  der  alten  minnesiuger  in  der  willkürlichsten 
weise  behandelte,  lehnte  man  sich  hier  im  osten  Deutschlands  in  durchaus  selh- 
stiindigen  nachdichtungen  eng  an  die  originale  an  und  schickte  seine  arbeiten  schliess- 
lich als  bewusste  proteste  gegen  die  mittlerweile  im  druck  erschienenen  ersten  Gleiin- 
schen  modernisierungsversuche  in  die  weit.  Gilt  das  auch  nicht  von  allen  liedern  in 
gleichem  masse,  so  docli  vor  allein  von  der  Übertragung  von  des  herzogs  Heinrich 
von  Breslau  liede:  „Ich  klage  dir  meie..."  und  von  Walthers  „Under  der  linden, 
an  der  beide.."  Dass  der  Verfasser  weniger  sinnlich  zu  sein  sucht  als  "Walther.  mu>s 
man  allerdings  auch  ihm  um  des  geschmacks  seiner  leset  willen  zu  gute  halten.  Hier 
wie  dort  aber  das  absichtliche  bestreben,  die  Vorbilder  Dicht  zu  verwischen;  nötigen- 
falls wird  sogar  ein  vers  ohne  den  entsprechenden  reim  belassen,  auch  alte  Wörter 
werden   beibehalten,   und.   was   besonders   interessaut   ist.   der  Verfasser  glaubte  sieh 

1)  So  wenigstens  sagt  Karl  Konrad  Streit  in  seinem  buche:  ..Alphabetisches 
Verzeichnis  aller  im  jähre  177-1  iu  Schlesien  lebender  Schriftsteller".  Allerdings  satrt 
Streit  in  demselben  buche  (s.  81),  alle  im  „Kränzel"  mit:  Z  unterzeichneten  stucke  — 
und  jene  poetische  erzählung  ist  tatsächlich  mit:  7.  unterzeichnet  —  rührten  von  dem 
herausgeber  der  „Schlesischen  anthologie ",  dr.  K  !•'  1. entner.  selber  her.  Wer  kann 
den  Widerspruch  lösen? 


224 

bei   Walther  auch  in  bezi  ma      keine  allzu  ibweichun 

zu  dürfen. 

„Ich  wollte  aiohl   übersetzen  in   schöne  po  ort  Kii   wotfc     EKei 

und  da  neuere  Wörter  wählen,  and  womöglich  den  I  a".    Da 

die  der  Bchon  oi.ru  genannte  Karl  Gottloh  Anton1  aus  Görlitz  seiner  im  „Deut- 
chen museum"  von  1778  veröffentlichten  üh  erbard  '.'»n 
Sa\  Marienlied  mit  auf  den  weg  gab.  Ja,  Lnton  r  y.w  weit  Bind  ihm  die 
reim  Wörter  nur  einigermassen  verständlich,  o  las  t  er  »e  ruhig  bestellen  und 
zuweilen  nur  noch  hinzu,  welchem  neuhochdeutschen  ausdruck  and  begriff  ->•■  ent- 
preohen.    Selbst  oberlausitzische  dialelctwörter  mengl  er  hinein,    fsl  also  seine  aber' 

tragung  als  dichterisches  produkt  ganz  verfehlt,  al  nstücl  Qfleim  and    eine 

schule  durfte  sie  nicht   übergangen  werden.  — 

.Mit  welchen  empfindungen  mag  der  greise  Bodmei  auf  alle  diese  Nach- 
ahmungen und  amdichtungen  der  minnesinger  geschaut  haben!  Leider  liegen  I 
bestimmte  äusseningen  von  ihm  über  die  einen  oder  die  andern  vor.  Vielleicht  sind 
sie  ihm  gaT  nicht,  einmal  alle  zu  g<  ichi  ekommen.  Im  jähre  seines  todes,  1783, 
aber  waren  auch  die  nachdiehtungsversuche  im  gesehmacke  Gleims  -und  der  Oörtingei 
so  ziemlich  abgeschlossen.  Zwar  brachte  der  „Göttin ger  Musenalmanach"  minnelieder 
noch  bis  zum  jähre  L804,  auch  andernorts  stimmte  man  kräftig  in  den  neuerwachten 
minnesang  ein,  und  in  vielen  punkten  lässi  äich  der  einfluss  Gleims  noch  lange 
verspüren,  —  der  Charakter  aller  dieser  dichtungen  aber  war  allmählich  doch  ein 
anderer  geworden,  und.  was  in  der  folgezeit  von  grösster  Wichtigkeit  wurde,  auch  in 
den  wissenschaftlichen  Bemühungen  war  man  fortgeschritten  und  im  deutschen  dichtcr- 
walde  sangen  um  die  wende  des  Jahrhunderts  die  romantiker  'las  lob  der  frau  Minne. 

1)  Anton  war  von  beruf  rechtsgelehrter.    Vgl.  über  ihn:   Allgemeine  deutsche 
biographie,  bd.  1.  s.  497. 

HAMBURG.  IM  D0LT    SOKOLOWSKY. 


UTTEBATUE. 

Der  gebrauch  der  Zeitformen  im  conjunetivischen  aebensatz  des  deut- 
schen. Mit  bemerkungen  zur  lateinischen  Zeitfolge  und  zur  griechischen  modus- 
verschiebung.  Von  Otto  Behaglich  Paderborn.  F.  Schöningh  1899.  IX.  210  s. 
4,40  m. 

Die  frage,  ob  es  eine  Zeitfolge  der  abhängigen  rede  nach  art  der  aus  der  latei- 
nischen schulgrammatik  bekannten  consecutio  temporum  im  deutschen  gebe,  hat  die 
forschung  schon  des  öfteren  beschäftigt.  Wer  auf  den  heutigen  Sprachgebrauch  seinen 
blick  richtet,  wird  zunächst  die  Vorstellung  von  einem  scheinbar  ganz  regellosen 
schwanken  gewinnen.  Der  gedanke  einer  einheitlichen  regelung  liegt  besonders  für 
die  praktischen  zwecke  der  schule  nahe.  Soll  man  sagen:  der  böte  meldete,  Regens- 
burg sei  oder  wäre  genommen?  Heisst  es:  mir  meldet  er.  er  liege  oder  er  läge 
Jcrank?  Sagt  man:  er  sieht  aus,  als  /rare  er  krank  oder  als  sei  er  krank?  Jeder 
öchulmann  wird  oft  in  die  läge  gekommen  sein,  zu  schwanken,  wie  er  sich  diesen 
verschiedenen  möglichkeiten  gegenüber  zu  verhalten  habe.  Es  lag  nahe,  von  der 
historischen  grammatik  aufschluss  darüber  zu  verlangen,  und  es  waren  zuerst  Schul- 
männer, die  sich  dieser  frage  annahmen  und  sie  von  verschiedenen  Seiten  her  zu 
beantworten   versuchten:    so  Hoegg   (Arnsberger   progr.  1854),  P.  Müller  (Bruehsaler 


ÜBER  BEHAGHEL,  DER  GEBRAUCH  DER  ZEITFORMEN  225 

progr.  1869)  u.  a.  Dann  hat  0.  Behaghel  in  seiner  Jugendschrift:  Die  Zeitfolge  der 
abhängigen  rede  im  deutschen  (Paderborn  1878)  dem  problem  eine  ausführlichere  Unter- 
suchung gewidmet,  deren  ergebnisse  freilich  nicht  in  allen  punkten  unangefochten  ge- 
blieben sind  (vgl.  Erdmann,  Anz.  f.  d.  a.  5,  364  fgg.)  Diese  schrift  hat  nun  Behaghel 
auf  anregung  des  Verlegers  neu  bearbeitet  und  hat  sie  so  gründlich  umgestaltet,  dass 
er  mit  recht  sagen  kann,  an  stelle  des  alten  sei  ein  neues  buch  entstanden.  Die 
ursprüngliche  schrift  enthielt  85  Seiten,  die  vorliegende  hat  es  auf  216  gebracht;  kein 
stein  ist  auf  dem  anderen  geblieben.  Ein  vergleich  der  beiden  arbeiten  ist  sehr  lehr- 
reich; er  zeigt,  welche  f ortschritte  die  syntaktische  forschung  in  den  letzten  20  jähren 
gemacht  hat.  Von  diesen  fortschritten  darf  Behaghel  selbst  durch  eigene  oder  von 
ihm  angeregte  arbeiten  ein  gut  teil  für  sich  in  ansprach  nehmen.  Bei  der  vorliegenden 
Untersuchung  arbeitet  er  mit  dem  ganzen  rüstzeug  moderner  syntaktischer  forschung. 
Noch  nie  sind  in  einer  nicht  ausschliesslich  der  dialektforschung  dienenden  schrift  die 
niundarten  der  gegenwart  wie  der  älteren  zeit  so  fruchtbar  verwertet  und  so  scharf 
von  der  Schriftsprache  getrennt  worden,  während  freilich  die  zwischen  beiden  liegende 
Umgangssprache  auch  hier  ein  unausgefülltes  fach  geblieben  ist.  Behaghels  oft  be- 
währte Vorzüge,  feine  beobachtungsgabe  und  die  fähigkeit  scharfsinniger  gliederung 
des  Stoffes,  zeigen  sich  in  diesem  buche  von  ihrer  besten  seite.  Ein  gewaltiges,  zum 
teil  schwer  zugängliches  material  ist  durchforscht  und  im  ganzen  wolgeordnet  vor- 
gelegt; zusammenfassende  rückblicke  und  statistische  tabellen  erleichtern  die  Übersicht. 
Ich  stimme  der  von  B.  befolgten  methode  grundsätzlich  zu  und  habe  auch  gegen  die 
einzelergebnisse  nichts  erhebliches  einzuwenden.  Ich  kann  mich  daher  bei  dieser  be- 
sprechung,  deren  niederschrift  sich  zu  meinem  bedauern  über  gebühr  verzögert  hat, 
auf  eine  kurze  mitteilung  der  resultate  und  einige  nachtrage  beschränken.  Bedauerlich 
ist,  dass  B.,  der  das  altsächsische  und  die  niederdeutsche  dialektlitteratur  seit  dem 
16.  Jahrhundert  nach  gebühr  berücksichtigt,  der  dazwischen  liegenden  stufe  des  mittel- 
niederdeutschen gar  keine  beachtung  geschenkt  hat.  Das  gesamtbild  wäre  freilich  durch 
einbeziehung  dieses  gebietes  nicht  in  wesentlichen  punkten  geändert  worden,  aber  zur 
Vertiefung  und  bestätigung  hätte  es  gewiss  manchen  nützlichen  beitrag  geliefert. 

Behaghels  schrift  zerfällt  in  zwei  bücher;  das  erste  bringt  die  tatsachen,  das 
zweite  die  erklärung.  Es  wird  zunächst  nachgewiesen,  dass  es  für  die  ältere  zeit, 
„bis  etwa  zum  15.  jh.",  eine  mechanische  regelung  der  Zeitfolge  gab,  abhängig  von 
der  zeitform  des  übergeordneten  Satzes,  dass  also  bei  präsentischem  hauptsatze  im 
nebensatz  stets  der  conj.  präs.,  bei  präteritalem  stets  der  conj.  prät.  stand,  wenn  nicht 
ausdrücklich  eine  Verschiedenheit  der  beiden  zeitsphären  zum  bewusstsein  gebracht 
werden  sollte.  Dann  werden  die  besonderen  fälle  erörtert,  die  hier  eintreten  können, 
z.  b.  das  verfahren  nach  der  perfectumschreibung,  nach  dem  praesens  historicum, 
nach  dem  conditionalis,  in  vergleichenden  Sätzen  mit  alse  oder  sa»i.  Zu  den  zuletzt 
genannten,  in  §  13  behandelten  Sätzen  möchte  ich  bemerken,  dass  nicht  erst,  wie  B. 
meint,  in  der  prosa  der  späteren  zeit  der  conj.  prät.  bei  präsentischem  hauptsatze 
angewendet  wird,  sondern  dass  er  schon  in  der  dichtung  der  mhd.  blütezeit  vor- 
kommt. Greg.  3364  der  süexen  weter  gritox  und  diu  heimliche  linde  .  .  .  mir  sint 
also  gemeine,  als  ob  ich  totere  reine.  1.  Büchl.  1762  ja  lebe  ich,  satn  ich  strande 
den  tiefen  se.  Diese  beispiele,  von  denen  übrigens  das  zweite  durch  den  zwang  des 
reimes  hervorgerufen  sein  kann,  scheinen  allerdings  vereinzelt  zu  stehen.  Sonst  be- 
folgt Hartmann  von  Aue  in  diesen  Sätzen  offenbar  ganz  streng  die  consecutio  temporum: 
Er.  2798  er  hrast,  sam  ex  /rare  ein  rti/e:  hast.  7511  d/i  redest,  sam  ex  st  diu 
spät.    Das  eindringen  des  prüteritunis  in  die  Gregoitußstelle  kann  man  sich  vielleicht 

ZEITSCHRIFT    F.    DEUTSCHE    PHILOLOGIE.       BD.  XXXV.  1 5 


226  MKS  MINO 

aus  dem  umstände  erklären,  dass  das  prät.  in  beiden  gliedern  dieser  satzform  so 
ausserordentlich  überwiegt.  In  den  werken  Bartmanna  finden  neb  nach  meinen  Samm- 
lungen mit  «ls  ah  ob  eingeleitete  rergleichungssätze  etwa  30,  darunter  nur  zwei 
präsentisohe  (AJI  L142  dax  ich  ah  engestliche  stän,  ah  ich  xe  tanze  süle  gän  und 
I.  BüchL 977).  Mit  sa/m  eingeleitete;  sütze  finden  sich  im  Breo  10.  in  allen  anderen 
werken  Bartmanns,  wenn  ich  nichts  übersehen  habe,  nur  drei  (Iw.  1430.  5381; 
1.  Bücbl.  1762);  von  diesen  19  fallen  sind  nur  zwei  präsentisch.  Ferner  ist  zu  be- 
merken, dass  gerade  der  eonj.  prät.  des  verbums  sem  in  der  form  uusre  in  diesen 
vergleichungssätzen  ungemein  gebräuchlich  ist.  Unter  12  derartigen  Batzen  im  [wein 
ist  nur  einer,  der  nicht  diese  form  aufwieso  (753;  vgl.  dagegen  662.  2218.  3095. 
3568.  3601.  3612.  5074.  6021.  6729.  1430.  5381).  So  mag  sich  denn  dies-  so  übliche 
form  auch  an  der  Gregorstelle  dem  dichter  eingefunden  haben. 

Zu  den  spärlichen  belegen,  die  B.  §  12  für  conj.  präs.  nach  dem  conditionalis 
aus  mhd.  dichtem  anfühlt,  kann  eine  stelle  hinzugefügt  werden,  an  der  in  einem 
vergleichungssatze  (vgl.  §  6  A  1)  das  irreguläre  tempus  erscheint:  2.  Büchl.  -!38  da* 
ich  etwenne  gerner  ein  töre  wäre  dann  ich  so  yröxe  stetere  von  mtnen  »enden 
witxen  trage  (:  klage).  Unter  die  scheinbaren  ausnahmen,  die  §  14  A  aus  Berthold 
und  Albrecht  von  Eyb  belegt  weiden,  lässt  sich  als  älteres  beispiel  wol  Erec  3416 
rechnen:  noch  dulde  ich  bax  iuern  xorn  dan  iuiver  lip  wce.re  verlorn. 

Nach  ausscheidung  der  scheinbaren  ausnahmen,  unter  die  B.  auch  alle  fälle 
rechnet,  in  denen  der  dichter  augenscheinlich  unter  dem  zwange  des  reimes  stand, 
bleiben  als  wirkliche  ausnahmen  von  dem  mechanischen  gesetz  der  Zeitfolge  in  der 
tat  nur  wenige  nach.  Man  braucht  aber  meines  erachtens  garnicht  mit  B.  anzunehmen, 
dass  in  der  mhd.  dichtung  überhaupt  kein  einziges  sicheres  beispiel  für  die  durch- 
brechung  dieses  gesetzes  nachzuweisen  sei.  Selbst  wenn  das  eine  oder  andere  auf- 
taucht, was  kann  es  beweisen  gegen  die  erdrückende  menge  der  fälle,  die  das  gegen- 
teil  dartun?  Es  bleibt  eine  tatsache,  dass  die  archaisierende  spräche  der  poesie  an 
dem  alten  gesetz  lange  festgehalten  hat,  selbst  dann  noch,  als  die  fortschrittlichere 
prosa  es  zu  durchbrechen  begann. 

Die  von  Behaghel  aufgestellten  regeln  gelten  nach  meiner  kenntnis  im  ganzen 
auch  für  das  von  ihm  nicht  untersuchte  mittelniederdeutsche.  Ich  habe  die 
fabeln  Pseudo  -  Gerhards  von  Minden  (ed.  Seelmann)  und  einen  teil  der  Chronik 
Detmars  (ed.  Grautoff,  Lüb.  Chron.  1)  darauf  hin  durchgesehen  und  könnte  für  alle 
von  B.  behandelten  fälle  bestätigende  beispiele  beibringen.  Die  reguläre  form  ist  durch- 
aus die  entsprechung  der  tempora;  Chron.  s.  28  van  deme  segeden  se,  dat  were 
heiser  hinrik.  225  men  sprikt,  dat  de  koning  na  sinem  dode  hebbe  vele  teken  dan. 
Abweichungen  bei  bezeichnung  einer  verschiedenen  zeitsphäre  sind  sehr  gewöhnlich: 
Ps.-Gerh.  prol.  8  dat  Esojms  sin  name  were,  secht  uns  de  scrift.  Vgl.  25,  40. 
82,22;  Chron.  1,65  u.  o.  Häufig  ist  auch  der  fall,  dass  auf  präsentischen  hauptsatz 
conj.  prät.  folgt,  weil  schon  im  selbständigen  satze  conj.  prät.  in  potentialer,  hypo- 
thetischer oder  optativer  bedeutung  stehen  würde:  Gerh.  27,95  mi  vrust  so  sere,  dat 
ik  bi  vure  gerne  were.    27,  90.  40, 15.  49,  34.  84,  33.  101, 126  u.  o. 

Nach  der  perfectumschreibung  wechselt  wie  im  ahd.  und  mhd.  präsens  und 
Präteritum;  präsens  steht  z.  b.  Gerh.  prol.  36  sint  lieft  an  dudesch  6k  ein  here  en 
del  bracht  ausser  niere,  dat  dar  ein  minsche  tucht  unde  ere  bi  unde  Itovescheit  jo 
lere.  Präteritum:  17,  14  min  eldervader  hat  it  geicieket,  it  scholde  an  »toter  tit 
gescheiten.  Im  späteren  mnd.  scheint  hier  der  conj.  prät.  die  oberhand  gewonnen  zu 
haben:   Scriba  180  he  hafft  sagt,    datk  en  hör  wehr.     Hanenreyerey  289   eck  hebb 


ÜBER   BEHAGHEL,    DER   GEBRAUCH   DER   ZEITFORMEN  227 

noch  wol  ehr  hört  seggen,  dat  min  möme  hadd  ok  plegen  tho  hören  seer.  Vitulus  303 
Wöbke  hefft  my  bevalen,  ik  sehold  ydt  my  wol  leiten  betalen.  Wechsel  der  tempora 
findet  statt  flanenr.  1  eck  hebb  ehnmal  en  solck  sprikwort  gehört:  den  ohlen  kond 
men  wol  entgahn  .  .  .  eer  lehr  si  fast,  eer  recht  si  godt  etc. 

Ausnahmen  von  der  regelmässigen  folge  der  zeiten  finden  sich  auch  im  mnd. 
sehr  selten.  Offenbar  unter  dem  zwange  des  reimes  steht  das  einzige  beispiel  aus 
Ps.-Gerh.  9,  5  unde  bat  se  vullen  innichlike,  dat  se  or  ut  orem  huse  untwike  so 
lange,  dat  se  dar  enbinnen  mochte  ore  tvolpe  geioinnen.  Lüb.  Chron.  1,  51  binnen 
der  tyd  scop  de  hertoyhe,  dat  to  Lnbeke  werde  koren  biscop  conrad  ist  sicher  falsch 
überliefert;  es  muss  ivorde  (ind.)  heissen.  Dagegen  ist  unzweifelhaft:  das.  1,  273  se 
spreken,  tvorumme  he  sulke  lüde  unthelde,  ivente  he  en  redelik  here  were  ghewesen? 
Do  was  sin  antworde  aldus:  de  not  siner  viande  dwinghe  ene  darto,  dat  he  un- 
holden moste  ive  eme  queme.  Anders  zu  beurteilen  ist  das.  230  den  ghelfen  icas  dit 
moyelik,  de  nicht  mochten  liden,  dat  ienich  am  in  ener  icant  sta  malet,  se  ne 
don  eme  schamphliken  nok,  wor  dat  se  mögen.  Hier  lässt  sich  die  abweichung  von 
der  regel  daraus  erklären ,  dass  sich  dem  Verfasser  an  stelle  des  anzugebenden  zustandes 
zur  zeit  der  erzählung  beieits  in  dem  dass- satz  der  in  seiner  gegenwart  noch  fortdauernde, 
im  excipiereuden  satze  ausdrücklich  als  solcher  bezeichnete  zustand  unterschob. 

In  den  schon  oben  erwähnten  vergleichungssätzen  mit  alsam  u.  a.  herrscht  auch 
im  mnd.  eine  grosse  regelmässigkeit  der  Zeitenfolge.  Bei  Ps.-Gerh.  folgt  präs.  auf 
präs.  55,  G0  mir  ist  rechte  als  ik  si  genesen.  14,  22.  94,4.  Prät.  auf  prät.  6,20  he 
vlo  mi  rechte  als  ik  de  duvel  were.  16,56.  28,57.  40,41.  51,2.  87,11.  89,28. 
91,68.  100,15.17.  Nur  einmal  ist  das  gesetz  durchbrochen :  101,112  so  late  ik,  icht 
ik  were  dot.  Später  ist  in  diesen  Sätzen  die  alte  regelmässigkeit  gründlich  zerstört 
worden.  In  Schlues  Comedia  von  dem  frommen  Isaac  1606  (ed.  Freybe,  Parchim  1890 
progr.)  kommen  füuf  beispiele  vor;  und  zwar  steht  vier  mal  nach  p rasen ti schein 
hauptsatze  der  conj.  prät.  (26,  9  de  puchet,  als  teere  he  sülvest  her.  26,  13  du  forest 
groth  geschrey,  als  ivere  dy  dyn  brodt  affgenomen.  45,  11  de  süth  jo  uth  alse  ivant 
de  Droes  wer.  72,  23  sü  wo  he  geit,  als  wold  he  einen  afsteken)  und  einmal  nach 
präteritalem  hauptsatze  der  conj.  präs.  (freilich  im  reime):  42,  12  so  löpen  de 
spittale  thom  water  henin,  ghelyk  als  wan  se  rasich  syn.  Ich  werde  auf  diese  er- 
scheinung  später  noch  einmal  zurückkommen. 

Im  zweiten  abschnitt  des  ersten  buches  behandelt  B.  die  nhd.  zeit,  und  zwar 
zunächst  die  mundarten.  Höchst  interessant  ist  der  nach  weis,  dass  die  heutigen 
mundarten  von  der  alten  regel  der  Zeitfolge  keine  ahnung  mehr  haben.  Sie  besitzen 
überhaupt  im  abhängigen  satze  nicht  mehr  beide  conjunetive,  sondern  nur  einen, 
und  zwar  haben  das  niederdeutsche,  das  mitteldeutsche  und  die  fränkischen  mund- 
arten des  oberdeutschen  nur  den  conj.  prät.,  das  alemannisch -schwäbische  nur  den 
conj.  präs.  bewahrt.  Das  bairisch  -  österreichische  ist  zwiespältig,  mit  einem  teil 
seines  bodens,  dem  Südwesten,  schliesst  es  sich  dem  gebiet  des  präseus,  mit  dem 
grösseren  anderen  teile  dem  des  Präteritums  an.  Was  also  im  alemannischen  heisst 
(Firmenich  II,  530):  i  denk  merr  jetzt,  i  sei  e  Hoher  mann,  das  würde  ein  holstei- 
nischer bauer  etwa  so  ausdrücken:  ik  denk  mi  nit .  ik  wer'n  riken  mann. 

Dies  allgemeine  ergebnis,  das  aus  zahlreichen  quellen1  gewonnen  und  durch 
kenner  der  mundarten  bestätigt  ist,   steht  jedesfalls  fest,  wenn    auch  im   einzelnen 

1)  In  die  nd.,  meist  Firmeuich  entnommenen  belegstelleu  haben  sich  leider 
ziemlich  viele  Irrtümer  eingeschlichen;  so  steht  gleich  im  zweiten  beispiel  aus  Reutei 
das  für  dat,  im  dritten  beispiel  aus  Firmenich  1,48a  mit  statt  uut ,  Bai?  statt  Boje. 


namentlich  über  die  abgrenzongen  der  gebiete  sicheres  nicht  zu  ermitteln  war.  — 
Weit  dürflägex  ist  trotz  der  aufgewendeten  mühe  das  ergebnis  aus  der  Untersuchung 

der   mundarton    in   älterer   zeit   anagefallen.      Ks    konnte   nicht   wol   anders   sein;   die 
Schwierigkeiten  sind,  wie  B.  mit  recht  betont,  gross;  «las  material  ist  an  sioh  knapp, 

das  vorhandene  für  den  bestimmten  zweck  nicht,  ergiebig  und  obendrein  nicht  einmal 
immer  zuverlässig.  Die  Zusammenstellung  der  quellen  8.  öOfgg.  hat  auch  ein  gen 
litterar -historisches  interesse.  Mich  wundert  nur,  das  B.  sich  die  leicht  zugänglichen 
ud.  fastnachtspiele  und  Schauspiele  hat  entgehen  lassen,  die  Seelmann  und  Bolte  in 
den  drucken  des  Vereins  f.  nd.  sprachf.  I  und  IV  herausgegeben  haben.  Sie  hätten, 
glaube  ich,  mehr  ausbeute  geliefert  als  manche  der  von  B.  durchgesehenen  Schriften. 

Die  durch  die  beobachtung  der  heutigen  mundart  gewonnene  Scheidung  in  zwei 
grosse  gebiete  wird  auch  für  die  Untersuchung  der  Schriftsprache  von  der  grössten 
Wichtigkeit.  B.  ist  hierbei  mit  grosser  Sorgfalt  und  besonnenheit  zu  werke  gegangen. 
Er  zeigt  an  der  hand  eines  umfassenden  materials,  wie  zuerst  auf  dem  gebiete  des 
heutigen  conj.  präs.  sich  durch  zurückdrängung  des  conj.  prät.  die  auflösung  des  alten 
grnndgesetzes  vollzieht,  wie  dann  etwa  ein  Jahrhundert  später  auch  auf  dem  gebiete 
des  mundartlichen  conj.  prät.  die  zunähme  des  conj.  präs.  beginnt,  der  dann  beständig 
f ortschritte  gemacht  hat,  so  dass  er  heute  in  den  formen,  in  denen  er  sich  vom 
indicativ  deutlich  unterscheidet,  also  namentlich  in  der  3.  pers.  sing,  die  herrschaft 
über  den  conj.  prät.  gewonnen  hat.  Das  ist  das  ergebhis  in  gröbster  form  ausgedrückt; 
auf  die  menge  der  einzelbeobachtungen,  die  B.  dabei  bietet,  kann  ich  hier  nicht  ein- 
gehen. Nebenher  möchte  ich  bemerken,  dass  in  §  21  einige  Verwirrung  dadurch  ent- 
standen ist,  dass  unter  die  angekündigten  beispiele  von  der  3.  pers.  sing,  des  prät. 
sich  auch  solche  von  pluralischer  form  eingeschlichen  haben. 

Das  von  Behaghel  gewonnene  ergebnis  halte  ich  in  seinen  hauptpunkten  für 
so  sicher,  dass  ich  es  ohne  bedenken  zur  einführung  in  die  schulgrammatik  empfehle; 
ich  werde  darüber  noch  an  anderem  orte  handeln. 

Im  zweiten  buche  (s.  160  fgg.)  versucht  dann  B.  die  erklärung  der  im  ersten 
vorgelegten  tatsachen  und  entwickelt  hier  im  ganzen  dieselben  anschauungen ,  die  er 
bereits  in  der  früheren  schrift  vertreten  hat,  doch  in  wesentlich  vertiefter  und  ver- 
vollkommneter form.  Seine  ausführungen  über  die  modus-  und  personenverschiebung 
werden  wol  heute  kaum  noch  erheblichem  Widerspruche  begegnen.  Nur  scheinen  mir 
die  beispiele  nicht  immer  glücklich  gewählt,  und  zuweilen  werden  allzu  künstliche 
auffassungen  in  die  worte  der  schriftsteiler  hineingetragen.  Ganz  unhaltbar  als  bei- 
spiel  für  personenverschiebung  erscheint  mir  die  schon  in  der  ersten  ausgäbe  des 
buches  angezogene  stelle  aus  Reuter  8,  53:  denk  dir,  hat  mich  der  kerl  vorigen 
sommer  'ne  art  hosenxeug  angesnackt.  Hier  soll  nach  B.  mich  für  die  3.  person 
stehen,  „denn  im  sinne  Havermanns,  der  ja  den  gedanken  haben  soll,  müsste  es 
heissen:  hat  ihm  —  dem  Bräsig  —  der  kerl  angesnackt*.  Der  inhalt  des  satzes 
hat  mich  ....  soll  aber  garnicht  als  gedanke  Havermanns  erscheinen.  Das  denk  dir 
ist  nichts  weiter  als  eine  bequeme  einleitung  der  zu  berichtenden  tatsache  und  steht 
zu  dem  inhalt  des  folgenden  satzes  in  gar  keinem  inneren  Verhältnis,  wie  es  denn 
auch  ohne  schaden  für  den  Zusammenhang  fehlen  konnte.  Es  ist  eine  der  in  der 
Umgangssprache  so  gewöhnlichen,  in  ihrer  ursprünglichen  bedeutung  völlig  verblassteu, 
abgegriffenen  formein,  durch  die  der  sprechende  nur  die  aufmerksamkeit  des  hörers 
auf  das  mitzuteilende  lenken  oder  eine  Spannung  bei  ihm  erwecken  will,  wenn  es  sich 
um  eine  seiner  meiuung  nach  wichtige  mitteilung  handelt,  wie  hör  mal,  sieh  mal  u.  a. 
Richtig  wäre  Behaghels  auffassung  nur  dann,  wenn  der  inhalt  der  mitteilung  einen 


ÜBER   BEHAGHEL,    DER   GEBRAUCH   DER   ZEITFORMEN  229. 

fingierten  fall  enthielte,  den  vorzustellen  der  angeredete  aufgefordert  würde.  Davon 
kann  aber  an  unserer  stelle  keine  rede  sein.  Natürlich  ist  auch  das  colon,  das  B. 
nach  denk  dir  setzt,  unberechtigt. 

Die  heranziehung  analoger  erscheinungen  aus  der  griechischen  und  lateinischen 
modus  -  und  tempuslehre  haben  sich  als  recht  fruchtbar  für  die  erklärung  des  germa- 
nischeu grundgesetzes  erwiesen;  doch  scheinen  mir  die  ausführungen  darüber  kaum 
bedeutend  genug,  um  eine  ausdrückliche  erwähnung  auf  dem  titelblatte  zu  verdienen. 

Als  Ursachen  für  die  auflösung  der  alten  Zeitenfolge  bezeichnet  B.  unzweifel- 
haft mit  recht  die  ausbildung  des  präsens  historicum  und  das  auftreten  der  perfect- 
umschreibung  für  das  einfache  präteritum;  beide  mussten  mit  ihrem  gegensatz  zwischen 
formaler  und  materieller  geltung  die  Zeitformen  des  präs.  und  prät.  in  ein  und  dem- 
selben satze  als  gleichberechtigt  erscheinen  lassen1.  Ich  möchte  noch  zu  erwägen 
geben,  ob  nicht  auch  die  mehrfach  berührten  vergleichungssätze  mit  sam,  als  etc. 
zur  Verschleierung  des  ursprünglichen  tatbestandes,  zur  erschütterung  der  regelmässig- 
keit der  Zeitenfolge  ihr  teil  beigetragen  haben.  Die  Unsicherheit  hat  hier  offenbar 
früh  platz  gegriffen;  da  sie  einen  bloss  gedachten  oder  vorgestellten  fall  einführen, 
so  lag  eine  Vermischung  mit  den  irrealen  bedingungssätzen  nahe  und  so  konnte  sich 
bald  nach  präsentischem  hauptsatz  der  conj.  prät.  einstellen;  diese  satzform  ist  dann 
später  die  reguläre  geworden,  wenigstens  im  nd.  gebiet,  wo  man  kaum  auf  ausnahmen 
treffen  wird  (vgl.  Vitulus  434.  711.  858;  Scriba  515.  629;  Hanenr.  28.  210.  356. 
1372  u.  a.).  Diese  Sätze  bedürfen  noch  einer  gründlicheren  Untersuchung,  als  B. 
ihnen  zukommen  lassen  konnte.  Dabei  wäre  dann  namentlich  auch  der  heutige  Sprach- 
gebrauch festzustellen ;  denn  was  B.  darüber  s.  92  sagt ,  ist  doch  gar  zu  unbestimmt^ 
und  die  s.  156  citierte  bemerkung  Prahls,  dass  aus  diesen  sätzen  das  präteritum  schon 
erfolgreich  verdrängt  werde ,  bedarf  —  so  wahrscheinlich  sie  nach  dem  ganzen  gange 
der  entwicklung  ist  —  doch  auch  noch  des  beweises.  In  den  novellen  C.  F.  Meyers, 
die  ich  durchgesehen  habe,  kommen  auf  40  fälle  von  conj.  prät.  20  fälle  von  conj. 
präs.;  anderswo  wie  z.  b.  in  der  „Versuchung  des  Pescaraa  überwiegen  die  präsen- 
tischeu  formen  (13  gegen  10).  Ich  halte  es  übrigens  nach  meinen  beobachtungen 
nicht  für  unmöglich,  dass  zuweilen  noch  gewisse  feinere  bedeutungsunterschiede  bei 
der  wähl  des  modus  unbewusst  mitspielen;  man  vergleiche  z.  b.  er  sieht  aus,  als  ob 
er  krank  wäre  (ich  weiss  aber,  dass  er  es  nicht  ist)  und  als  ob  er  krank  sei  (ich 
weiss  nicht,  ob  er  es  ist). 

1)  Interessant  müsste  es  sein,  die  Untersuchung  auf  das  mittelnieder- 
ländische auszudehnen.  In  den  erzählenden  werken  der  mnl.  poesie  herrscht  bereits 
zu  ihrer  blütezeit  eine  neigung  für  das  präsens  historicum  und  die  perfectumschreibung 
wie  sie  zur  gleichen  zeit  im  eigentlichen  Deutschland  unerhört  ist.  Zahllose  beispiele 
findet  man  in  den  epen  des  Jacob  van  Maerlant  (um  1250).  Dieser  verwendet  das 
präs.  historicum  nicht  bloss  um  einen  gewissen  ruhepuukt  in  der  handluug  festzulegen 
oder  das  ergebnis  einer  reihe  von  Vorgängen  auszudrücken,  wie  das  bei  Wolfram 
v.  Eschen bach  so  gewöhnlich  ist,  sondern  geradezu  um  eine  in  der  Vergangenheit  ein- 
getretene handlung  zu  bezeichnen,  ganz  gleichwertig  dem  präteritum  und  nicht  selten 
im  selben  satzo  mit  diesem  wechselnd.  Ein  besonders  starkes  beispiel  dieses  wechseis 
steht  Alexanders  geesten  9,  928  (Franck):  dit  sprae  hi  ende  meutert  hi  tief  sijn 
swert  ende  stac  dien  ggant  dor  sine  siden.  Ebenso  bei  der  perfectumschreibürjg: 
Hist.  v.  Troyen  793  (Verdam)  orlof  >/a»/  Inj  am  haer  säen  ende  ea  up  sijn  bedde 
gheghaen.  Demnach  wird  man  sich  nicht  wundorn,  wenn  im  mnl.  früher  und  häufiger 
als  anderswo  das  alto  grundgesetz  erschüttert  erscheint.  Hist.  v.  Tr.  li>71  hi  />ri»st 
of  dat  syn  moeder  ivaer.  Alox.  3,460  Alexander  gheboot,  dat  men  niemen  en  sin 
te  doot.  Öfters  in  sätzen  mit  als,  oft  u.  a.  Alex.  3,  912  sti  vlieghet  Haut  in  die 
ghebarc  ocht  in  die  tvilde  sc  tvare.     4,  335  hi  vaert,  oft  ecn  rer rader  wäre. 


230  PALAHDEH 

Durch  Bebagbeis  schrift  ist.  nicht  nur  die  wissenschaftliche  erkenntnis  erheblich 
gefördert  worden,  Bondern  aus  ihren  wichtigsten  ergebnissen  kann  auch  und  damit 
kehre  ich  zu  meinem  ausgangspunkte  znrück  die  schule  unmittelbaren  nutzen 
ziehen.  Es  ist  zu  wünschen,  dass  sie  bald  in  die  schulgrammatikeD  übergeben.  Frei- 
lich wird  mau  sich  auch  dann  keine  übertriebenen  noffnungen  auf  eine  baldige  ein- 
heitliche  regelung  dos  Sprachgebrauchs  maohen  dürfen.  Wo  der  oonj.  prft  nicht 
die  mundart,  sondorn  auch  die  umgangsspraohe  so  vollständig  und  ausschlii 
beherrscht  wio  in  meiner  heimat,  da  wird  er  auch  aus  der  Schriftsprache  schwerlich 
je  ganz  verdrängt  weiden. 

KIEL.  OTTO    MKNSIN'i.. 


Die  althochdeutschen  glossen,  gesammelt  und  bearbeitet  von  Elias  Steinmevcr 
und  Eduard  Nievers.  Dritter  band:  Sachlich  geordnete  glossare,  bearbeitet 
von  Elias  Steinmeyer.  XII,  723  s.  Vierter  band:  Alphabetisch  geordnete  glossare. 
Adespota.  Nachträge  zu  band  I  —  III.  Handschriftenvcrzeichnis.  XV,  7'."> 
Mit  Unterstützung  des  k.  preussischen  kultusministeriums  und  der  k.  preussi- 
schen  akademie  der  Wissenschaften.  Berlin,  Wuidmannsche  buchhandlung. 
1895  und  1898.     28  und  32  m. 

Es  sind  nun  schon  hald  vier  jähre  verstrichen,  seitdem  der  vierte  band  der  alt- 
hochdeutschen glossen  erschien,  welcher  den  abschluss  des  grossartigen  Sammelwerkes 
brachte.  Das  reiche  glossenmaterial,  welches  den  grössten  teil  der  althochdeutschen 
sprachquellen  bildet  und  dem  Sprachforscher  wie  dem  kulturhistoriker  gleich  wichtig  ist, 
liegt  also  endlich  an  einer  stelle  gesammelt  vor  und  bietet  sich  leicht  und  bequem 
zu  weiterer  Verarbeitung  dar.  Es  hat  aber  den  herausgebern  des  werkes  nicht  allein 
daran  gelegen,  dieses  rohe  material,  welches  in  Zeitschriften  und  Wörterbüchern  zer- 
streut war  oder  dem  forscher  nur  schwer  zugänglich  in  den  verborgenen  bewahrungs- 
stätten  der  bibliotheken  und  klosterarchive  schlummerte,  wieder  ans  licht  zu  ziehen 
und  die  ausbeute  in  einem  allen  zugänglichen  Sammelwerke  unterzubringen.  Schon 
die  namen  der  herausgeher  bürgten  dafür,  dass  das  ziel  der  arbeit  nicht  innerhalb 
dieser  engen  grenzen  stecken  blieb,  sondern  weit  über  die  des  mechanischen  sammelns 
ausgedehnt  ward.  In  den  vier  bänden,  wo  das  resultat  des  jahrelangen  unermüd- 
lichen sammelfleisses  niedergelegt  ist,  findet  man  den  ganzen  ermittolbaren  alten 
glossenbestand  sorgfältig  gesichtet,  nach  verschiedenen  seiten  hin  bearbeitet  und  er- 
läutert, sowie  nach  bestimmten,  scharf  beobachteten  prinzipien  gruppiert  und  angeordnet. 
Mit  welchen  Schwierigkeiten  die  beiden  herausgeber  und  ganz  besonders  der- 
jenige von  ihnen,  dem  der  löwenanteil  der  arbeit  zugefallen,  bei  der  anordnung  und 
bearbeitung  des  ungeheuren  und  schwer  zu  bewältigenden  Stoffes  zu  kämpfen  gehabt 
haben  müssen,  das  hegreift  sofort  jeder,  der  sich  etwas  eingehender  mit  der  glossen- 
sammlung  beschäftigt  hat.  Um  solchen  Schwierigkeiten  mit  erfolg  die  spitze  hieten 
zu  können  und  aus  dem  kämpfe  mit  dem  widerspenstigen  und  his  zur  Verzweiflung 
verworrenen  material  als  sieger  hervorzugehen,  muss  man  mit  den  besten  eigen- 
schaften  des  philologischen  forschers  ausgenistet  sein,  —  gerade  mit  den  eigen- 
schaften,  welche  Steinmeyer  in  so  hohem  grade  besitzt  und  die  besonders  deutlich 
in  diesem  seinem  werke  an  den  tag  treten.  Mit  sicherer  hand  und  einem  weitreichen- 
den blick,  der  auch  in  den  kleinsten  details  stets  den  ganzen  gewaltigen  stoff  über- 
sieht, beherrscht  Steinmeyer  sein  material.  Man  staunt  über  die  grosse  belesenheit, 
welche  er  bei  der  anweisung  der  glossen  an  die  betreffende  textstelle  oder  bei  ihrer 


AHD.    GLOSSEN   HI.    IV.  231 

sonstigen  fixierung  an  den  tag  legt  und  mehr  als  einmal  bewundert  man  seinen  Scharf- 
sinn in  der  beurteilung  der  liandschriftenverhältnisse  und  in  der  deutung  dunkler 
glossen.  Einen  besser  qualifizierten  bearbeiter  als  Steinmeyer  hätte  man  für  die  alt- 
hochdeutschen glossen  kaum  gefunden.  Aber  bei  einem  werke,  wie  das  vorliegende, 
spielt  auch  die  wissenschaftliche  genauigkeit  und  Sorgfalt  eine  überaus  wichtige 
rolle;  damit  das  werk  als  grundlage  für  wissenschaftliche  arbeiten  der  verschiedensten 
art,  die  die  älteste  zeit  der  deutschen  spräche  als  gegenständ  haben,  dienen  könne, 
ist  es  ja  unumgänglich  nötig,  dass  die  handschriften  mit  möglichst  grosser  Sorgfalt 
exzerpiert  sind.  Auch  in  dieser  hinsieht  dürften  ldie  althochdeutschen  glossen'  kaum 
etwas  zu  wünschen  übrig  lassen.  Die  überall  in  dem  buche  zu  tage  tretende  ge- 
nauigkeit, mit  welcher  die  kleinsten  Schreibeigentümlichkeiten  der  handschriften  notiert 
sind  und  die  ausgezeichnet  sorgfältig  gelesene  korrektur  flössen  dem  leser  ein  an- 
genehmes Sicherheitsgefühl  ein  und  auch  ohne  die  hss.  zum  vergleich  herbeizuziehen, 
glaubt  er  an  die  Zuverlässigkeit  des  abdrucks.  Es  versteht  sich  freilich,  dass  alle 
abdrücke  nicht  absolut  fehlerfrei  sein  können;  auch  in  dieser  beziehung  ist  das  ideal 
nicht  zu  erreichen.  Besonders  hier,  wo  eine  solche  masse  handschriften  abgeschrieben 
sind,  wird  es  nicht  wunder  nehmen,  wenn  der  abschreiber  hie  und  da  einen 
punkt  unbezeichnet  lässt,  eine  rasur  nicht  bemerkt,  oder  einige  buchstaben  missver- 
standen hat.  Es  kann  ja  überhaupt  doch  nie  der  abdruck,  so  sorgfältig  er  auch  ver- 
anstaltet sein  mag,  den  wert  der  originalen  hs.  haben,  wie  es  Steinmeyer  in  der 
vorrede  des  zweiten  bandes  ausdrücklich  bemerkt.  "Wo  es  also  auf  die  feinsten 
nüancen  und  eigenheiten  einer  hs.  ankommt,  wie  etwa  bei  einem  vergleich  mit  einer 
anderen  nahe  verwandten,  da  kann  der  abdruck  das  original  nicht  ersetzen.  Wenn 
es  sich  aber  nicht  um  diese  feinsten  details  und  charakteristica  der  hs.  handelt,  so 
kann  man,  meine  ich,  sich  getrost  auf  die  abdrücke  in  Steinmeyers  und  Sievers' 
glossenausgabe  verlassen. 

Es  hat  lange  gedauert,  bevor  die  herausgeber  die  f nicht  ihrer  arbeit  als  voll- 
ständiges, abgeschlossenes  werk  den  fachgenossen  vorlegen  konnten:  ein  volles  viertel- 
jahrhundort  hat  das  sammeln,  sichten  und  bearbeiten  des  materials  erfordert.  Nach 
verhältnismässig  kurzer  zeit  erschienen  die  ersten  zwei  bände:  der  erste,  welcher  die 
bibelglossen  enthielt,  schon  im  jähre  1879,  der  zweite,  welcher  die  glossen  zu  den 
übrigen  religiösen  und  den  profanen  Schriften  brachte,  im  jähre  1882.  Dann  trat 
aber  ein  längerer  Zwischenraum  ein:  erst  im  jähre  1895  gelangto  der  dritte  band  zur 
Veröffentlichung  und  ihm  folgte  nach  drei  jähren  der  mit  Ungeduld  erwartete  vierte 
teil.  Auf  den  inhalt  der  beiden  letztgenannten  teile  wollen  wir  im  folgenden  etwas 
näher  eingehen. 

Der  dritte  band,  der  von  Steinmeyer  allein  bearbeitet  ist,  bringt  die  sachlich 
geordneten  glossare,  welche  in  drei  hauptabteilungen  eingeteilt  sind,  nämlich: 
gruppcnglossare,  einzolglossare  und  mischungen.  Unter  der  ersten  kategorie  sind 
solcho  glossare  aufgeführt,  die  aus  mehreren  einzelglossareu  zusammengesetzt  sind, 
deren  verschiedenartige  bestandteilo  aber  nicht  durch  zufall  oder  dio  willkür  des 
schreibeis  in  eine  hs.  vereinigt  wurden ,  sondern  von  einem  rodaktor  oder  bearbeiter 
derartig  zusammen  vorarbeitet  worden  sind,  dass  sie  ein  einheitliches  ganzes  bilden. 
Zu  diesen  gruppenglossaren ,  wclcho  in  chronologischer  folge  aufgezählt  sind,  gehören 
u.  a.  die  alten  St.  Galler  und  Cassoler  glossen,  sowie  das  äusserst  wichtige  Summarium 
Heinrici.  Dieses  letztgenannte  glossar  nimmt  allein  mehr  als  den  dritten  teil  des  ganzen 
bandes  in  ansprach  (ss.  58  —  350),  indem  der  Übersichtlichkeit  wogen  alle  verschiedenen 
rezensionen  des  elfton  buches  gesondert  mitgeteilt  sind.  —  Diojonigou  sachlichen  glossare. 


232  PALANDER 

deren  einzelne  teilt.*  bloss  zufällig  in  dieselbe  bs.  geraten  Bind  und  also  nur  lose  und 
äuBserliofa  mü  einander  zusammenhängen,  sind  in  ihre  betreffenden  bestandteile  auf- 
gelost. Aus  diesen  besteht  die  zweite  grappe  der  sachlichen  lie  Bog.  einzel- 
glossare.  Je  nach  ihrem  verschiedenen  inhall  sind  die  einzelglossare  in  fünf  haupt- 
katcgoricn  geordnet:  l.  der  mensch,  2.  dietiere-  3.  das  pflanzenreieh,  l.  himmelvnd 
erde,  5.  des  lebens  notdurft.  —  Die  dritte  grappe  sachlicher  glossare  hat  Bteinn  i 
'misohungen'  benannt  und  er  versteht  damit,  resto  oder  Konglomerate  von  sinzelglossaren, 
die  bich  nicht  mehr  in  ihre  ursprünglichen  bestandteile  zerlegen  lassen,  oder  auch 
auszügo  aus  solchen,  deren  ursprünglich«;  gestalt  nicht  mehr  an  erkennen  ist;  —  Am 
schluss  des  bandos  folgt  ein  anhaug,  in  welchem  das  handschriftenverhaltni 
Summarium  Heinrioi  erörtert  wird;  als  terminos  ea  quo  für  dessen  entstehung  wird 
das  jalir  1007  statuiert.  Ganz  zuletzt  bringt  ein  nachtrag  die  während  des  druckes 
neu  aufgefundenen  und  in  diesen  band  gehörenden  gll.  in  der  hs.  des  deutschen 
Seminars  zu  Göttingen  und  in  der  Cheltenhamer  hs.  7087.  —  Im  ganzen  sind  für 
diesen  band  153  hss.  benutzt;  von  den  zum  ersten  mal  hier  veröffentlichten  glossaren 
verdient  besonders  die  pilanzennamen  enthaltende  rolle  beachtet  zu  werden,  welche 
sich  im  besitze  der  grafen  von  Mülinen  in  Bern  befindet. 

Eine  ungeheure  mühe  und  einen  grossen  kraftaufwand  muss  das  sichten  und 
ordnen  des  im  dritten  bände  gebotenen  materials  vom  bearbeiter  erfordert  haben. 
"Wenn  es  in  den  ersten  zwei  bänden  oft  schwer  genug  war,  den  einzelnen  glossen 
ihren  rechten  platz  anzuweisen  und  den  verderbten  worten  eine  richtige  deu- 
tung  zu  geben,  so  erbot  sich  hier  doch  eine  gute  stütze  in  den  textausgaben  der 
alten  Schriftsteller,  zu  denen  die  gll.  geschrieben  waren.  Ganz  anders  stellte  sich 
aber  dieselbe  aufgäbe  in  bezug  auf  die  sachlichen  glossare:  hier  fehlte  jedes  rück- 
grat  ganz  und  gar  und  der  bearbeiter  war  einzig  und  allein  auf  das  vorliegende 
material  angewiesen.  Seine  hoffnung,  in  dem  bereits  im  erscheinen  begriffenen  Corpus 
der  lateinischen  glossare  ein  wirksames  hilfsmittel  zu  finden,  wurde  wegen  der  an- 
ordnung  dieses  Werkes,  über  welches  Steinmeyer  in  der  vorrede  (s.  I)  seine  Unzu- 
friedenheit ausspricht,  fast  gänzlich  vereitelt.  Bei  der  bearbeitung  der  sehr  schwierigen 
pilanzenglossare  haben  jedoch  die  im  dritten  bände  des  Corpus  befindlichen  botani- 
schen vocabulare  erhebliche  dienste  geleistet,  wie  die  in  den  noten  angebrachten  zahl- 
reichen verweise  bezeugen. 

Die  geringe  hilfe,  welche  das  Corpus  glossariorum  latinorum  dem  bearbeiter 
geleistet,  liess  ihn  nicht  seinen  ursprünglichen  anordnuugsplan  verwirklichen,  wonach 
der  innere  Zusammenhang  der  einzelnen  glossare  deutlich  hervorgegangen  wäre.  Er 
war  deshalb  gezwungen,  ein  anderes  Ordnungsprinzip  zu  wählen  und  so  hat  er  denn 
das  material  auf  die  obengenannte  weise  in  drei  hauptgruppen  gegliedert.  Die  an- 
ordnung  des  Stoffes  im  dritten  bände  ist  also  zum  teil  bedingt  von  den  ungünstigen 
umständen,  unter  welchen  die  arbeit  geschehen  musste.  Im  grossen  und  ganzen  ist 
aber  Steinmeyer  denselben  prinzipien  treu  geblieben,  die  er  beim  herangehen  an  die 
bearbeitung  des  materials  sich  aufgestellt  und  die  er  in  der  vorrede  zum  ersten 
bände  ausführlich  entwickelt  hat.  Und  es  war  ja  von  vornherein  klar,  dass  die 
arbeitsrnethode  in  allen  bänden  im  wesentlichen  gleich  bleiben  musste.  Steinmeyer 
geht  von  der  ansieht  aus ,  dass  die  rein  sprachlichen  zwecke  sich  den  kulturgeschicht- 
lichen unterordnen  müssen.  Deshalb  hat  er  die  handschriften  nicht  in  der  gestalt 
vorgeführt,  wie  sie  uns  heute  vorliegen,  sondern  er  hat  sie  in  grössere  oder  kleinere 
teile  zerstückt  und  druckt  diese  dann  an  ganz  verschiedenen  stellen  in  seiner  Samm- 
lung ab  je  nach  dem  inhalt  und  der  eigenart  der  betreffenden  glossen.    Diese  methode 


AHB.    GLOSSEN    III.    IV.  233 

hat,  wie  Steinmeyer  (vorrede  zum  band  1,  s.  VIII)  ganz  richtig  voraussah ,  nicht  un- 
geteilte anerkennung  gefunden.  Es  gibt  linguisten ,  die  gerne  gesehen  hätten ,  dass 
die  hss.  ohne  irgend  welche  änderung  „mit  haut  und  haaren"  abgedruckt  worden 
wären.  Allerdings  würde  der  benutzer  es  in  einigen  fällen  bequemer  haben,  wenn 
ein  solches  verfahren  eingeschlagen  worden  wäre.  Bei  der  bestimmuog  des  sprach- 
lichen Charakters  in  grösseren  hss.  hätte  man  nicht  —  wie  jetzt  —  die  verschiedenen 
teile  derselben  zusammenzuflicken  gebraucht,  was  trotz  der  hilfe  des  im  vierten 
bände  befindlichen  Verzeichnisses,  doch  mit  einiger  mühe  verknüpft  ist.  Und  auch 
abgesehen  von  dieser  kleinen  Unbequemlichkeit  in  praktischer  beziehung,  hat  die  Zer- 
stückelung der  hss.  noch  einen  nachteil,  indem  die  Übersichtlichkeit  derselben  dadurch 
erschwert  wird:  die  Zusammensetzung  und  die  eigenart  der  hss.  stellt  sich  gar  nicht 
so  deutlich  dem  leser  dar,  wenn  er  sie  nicht  ungeteilt  vor  den  äugen  hat  und  voll- 
ständig überblicken  kann.  Ich  bezweifle  aber  sehr,  dass  die  durchführung  des  an- 
ordnungsprinzipes ,  wonach  die  hss.  in  der  gestalt  vorgeführt  werden  sollen,  wie  sie 
uns  überliefert  sind,  eine  allgemeinere  anerkennung  gefunden  hätte  als  das  von 
Steinmeyer  gewählte.  Im  gegenteil  glaube  ich,  dass  die  zahl  der  unzufriedenen  viel 
grösser  sein  würde  als  jetzt,  denn  alle  die,  welche  nicht  rein  sprachliche,  sondern 
kulturgeschichtliche  interessen  im  äuge  haben,  hätten  sich  sicher  getäuscht  gesehen, 
wenn  der  bearbeiter  ihre  arbeit  auf  keine  weise  erleichtert  hätte.  "Wenn  man  bedenkt, 
wie  vielerlei  zwecken  und  interessen  ein  solches  werk  wie  das  vorliegende  dienen 
soll,  so  dürfte  man  einsehen,  dass  ein  ideales  anordnungsprinzip,  welches  in  gleichem 
grade  den  wünschen  der  verschiedenen  benutzer  genügen  würde,  etwas  ganz  un- 
mögliches ist.  Nach  reiflichem  erwägen  und  prüfen  hat  Steinmeyer  unter  den  sich 
darbietenden  methoden  diejenige  gewählt,  nach  welcher  das  überlieferte  material 
in  einzelne  teile  zerlegt  und  je  nach  seiner  art  uud  beschaffenheit  auf  die  vier  bände 
verteilt  ist.  Meines  erachtens  ist  die  wähl  dieses  anorduungspinzipes  als  glücklich 
zu  bezeichnen.  Denn  wenn  es  den  Sprachforschern  in  einigen  fällen  etwas  unbe- 
quem erscheinen  kann,  so  wiegt  dies  nicht  schwer  neben  den  vorteilen,  welche  es 
bietet.  So  wie  die  glossen  in  der  Sammlung  jetzt  geordnet  sind ,  geben  sie  ein  gutes 
bild  von  der  mittelalterlichen  klosterarbeit  und  der  kultur  dieser  zeit.  Und  beson- 
ders finde  ich  die  lektüre  des  dritten  bandes  in  dieser  hinsieht  interessant  und 
lehrreich. 

Bei  der  erklärung  der  in  diesem  bände  äusserst  zahlreichen  dunklen  glossen 
zeigt  Steinmeyer  grossen  Scharfsinn  und  es  ist  ihm  geluugen,  für  eine  ganze  auzahl 
unklarer  worte  eine  befriedigende  deutung  zu  finden.  Er  ist  nicht  nur  bemüht  ge- 
wesen den  deutschen  text  aufzuklären,  auch  den  lateinischen  glossen  hat  er  seine 
aufmerksam keit  gewidmet.  Zu  seinen  besserungsvorschlägeu  ist  nachher,  so  viel  ich 
weiss,  nur  weniges  nachgetragen  worden.  Ich  möchte  hier  nur  einige  bemeikuugen 
hinzufügen.  —  S.  445  anm.  11  hält  Steiumeyer  das  deutsche  wort  bouz  (—  magalis) 
für  eine  entstellung  von  bore  oder  boruc;  ich  glaube  jodoch  nicht,  dass  das  *  hi.-r 
verderbt  ist,  sondern  wäre  geneigt  das  wort  mit  der  im  Vocab.  opt.  stehenden  glosso 
beussc  madialis  (=  magalis)  porcus  domesticus  castratus  in  Zusammenhang  zu  bringen. 
Überhaupt  ist  Steinmoyer  nicht  sparsam  mit  don  anmerkungon :  auch  da,  wo  der 
leser  ohuo  weiteres  einen  schreibfohler  bemerken  und  berichtigen  kann ,  hat  er  zu- 
weilen in  der  note  eine  erklärung  gegebou  und  wo  es  ihm  nicht  gelungen  ist  eine 
verderbte  glosse  aufzuklären,  hat  er  das  ausdrücklich  erwähnt.  Um  so  mehr  wunder 
nimmt  es,  wenn  man  bisweilen  gar  keine  bomerkung  liudet,  wo  mau  eine  solche  er- 
wartet.   Wie  soll  man  z.  b.  den  merkwürdigen  fohler  im  cod.  SGalli  :M'J  (8,  17  '•'): 


234  l'AI.A.MiF.R 

Cerua  leuinta  verstehen'     &ber  die  glosse  rinooero    elawrU   im  cod.  BOalli  '-".,'.'  • 
i-.  1 16  '"■')  läset  sieb  Steinmeyer  ebenfalls  gar  nichl  aus;  darf  mau  darin  ein  corrnptel 
von  einhurno  sehen,  wie  ich  aufgrund  von  rinocerus  ßtnAwrmo,  Henotmio,  tinhuirn^ 
vrhtmt  (s.  158    '  IB)  vermuten  möchte? 

Die  herausgeber  sind  überhaupt  bi  q  in  der  tnitteilung  dei  glo 

texte  eine  möglichst  grosso  Vollständigkeit  zu  erreichen;  nur  im  dritten  bände  hat 
Steinmeyer  sich  eine  ausnähme  von  diesem  grundsatz  erlaubt  Dm  räum  zu  er- 
sparen, hat  er  im  Summarium  nichl  überall  den  vollständigen  lateinischen  text  ab- 
gedruckt,  sondern  da,  wo  ein  längerer  solcher  vorlag,  blos  das  erste  wort  desselben 
mitgeteilt  und  mit  punkten  angedeutet,  dass  die  folge  ausgelassen  ist.  Hierdurch 
wurden,  wie  es  in  der  vorrede  heisst,  mehren!  ho^en  erspart  Ks  tragt  sich  aber, 
ob  diese  raumersparnis  nicht  zu  teuer  erkauft  ist.  Demjenigen,  der  die  gll.  des 
Summariums  benutzt,  kann  nämlich  der  lateinische  glossentext  oft  von  sehr  grossem 
belang  sein  und  er  ist  daher  genötigt,  die  früheren  abdrücke  der  hss.  zu  rate  zu 
ziehen.  AVio  wichtig  es  in  einigen  fällen  ist,  den  ganzen  lateinischen  text  des  Sum- 
mariums vor  sich  zu  haben ,  mag  ein  beispiel  zeigen.  S.  81  16  steht  abgedruckt  die 
glosse:  Hiena . . . .  ülintiso.  Setzt  man  nun  die  ausgelassenen  werte  ein,  so  lautet 
die  betreffende  stelle:  Hiena  vel  puto  ülintiso.  Und  dies  ist  gerade  der  einzige 
beleg,  wo  das  ahd.  illintisu  in  der  bedeutung  iltis  (=  puto)  bezeugt  ist;  sonst  wird 
es  immer  mit  'hyaena'  glossiert.  Da  Steinmeyers  und  Sievers'  glossenausgabe  ein  werk 
ist,  wo  man  den  ganzen  ermittelbaren  alten  glossenbestand  in  zuverlässigster  form 
beisammen  findet  und  dadurch  also  alle  älteren  abdrücke  entbehrlich  gemacht  worden 
sind,  so  hätte  mau  nicht  auf  eine  Vollständigkeit  auch  in  diesem  punkte  blos  zu 
gunsten  einer  raumersparnis  verzichten  sollen. 

Nach  dem  ursprünglichen  plane  der  herausgeber  sollte  der  dritte  band  neben 
den  sachlichen  vocabularen  auch  die  alphabetisch  geordneten  glossen  enthalten,  welche 
nicht  zu  nachweisbaren  einzelwerken  gehöreu.  Da  aber  das  inzwischen  gesammelte 
material  sich  sehr  gehäuft  hatte,  konnten  diese  im  dritten  bände  nicht  platz  finden 
und  wurden  daher  für  den  vierten  aufgehoben.  Ausser  den  alphabetischen  glossaren 
bringt  dieser  band  noch  die  sog.  adespota  oder  die  herrenlosen  glossen,  sowie  die 
nachtrage  zu  den  vorigen  bänden.  Den  zweiten  teil  des  vierten  bandes  bildet  ein 
ausführliches  Verzeichnis  aller  in  dem  buche  benutzten  handschriften  und  zum  schluss 
folgen  mehrere  tabellen  und  register,  welche  die  anwendung  des  grossen  werkes  be- 
quemer machen  sollen.  —  Die  alphabetischen  glossare,  welche  den  band  eröffnen 
(ss.  1  —  219),  zerfallen  in  zwei  gruppen:  a)  bestimmbare,  d.  h.  solche  glossare, 
„welche,  trotzdem  die  lateinischen  vorlagen  in  ihren  Verzweigungen  und  Varianten 
bisher  nur  ganz  mangelhaft  bekannt  sind,  sicher  klassifiziert  werden  konnten"  und 
b)  nicht  bestimmte,  d.  h.  solche  glossare,  ,, welche  festen  formen  gar  nicht  oder  blos 
vermutungsweise  sich  einordnen  lassen",  oder  ., deren  alphabetisierung  sekundärer 
natur  und  deren  coneeption  nicht  einheitlich  war".  Unter  den  ersteren  nehmen  die 
von  Sievers  bearbeiteten  Salomonischen  glossen  den  weitaus  grössten  räum  ein.  Die 
interessanten  czechischen  glossen,  welche  sich  in  der  zu  dieser  gruppe  gehörenden 
Prager  hs.  befinden,  sind  —  soweit  sie  nicht  verfälscht  sind  —  im  texte  mitgeteilt, 
die  gefälschten  haben  in  den  anmerkungen  ihren  platz  gefunden.  Leider  musste  die 
von  Sievers  gemachte  Untersuchung  über  das  Salomonische  glossar,  welche  in  einem 
anhang  dem  vierten  bände  beigefügt  werden  sollte,  wegen  mangels  an  räum  ausge- 
lassen werden,  ebenso  wie  die  behandlung  der  sog.  Monseer  glossen  von  Steinmeyer. 
Die  letztere  ist  nachher  als  universitätsschrift  bereits  veröffentlicht  worden.  —  "Von 


AHD.    GLOSSEN   m.  IV.  235 

den  nicht  bestimmten  glossen  verdienen  besondere  beachtung  die  in  der  hs.  des 
Trierer  priesterseminars  befindlichen,  welche  in  einem  eigentümlichen  mischdialekt 
überliefert  sind.  Von  den  in  diesem  denkmal  besonders  zahlreichen  dunklen  glossen 
hat  Steinmeyer  in  den  noten  eine  anzahl  gedeutet,  zur  erklärung  anderer  Vermutungen 
ausgesprochen,  es  bleibt  aber  doch  eine  menge,  die  noch  der  auflösung  harrt.  — 
Unter  dem  abschnitt  'Adespota'  sind  alle  diejenigen  glossen  vereinigt,  deren  urspruug 
und  Zugehörigkeit  nicht  ermittelt  werden  konnte;  den  schluss  dieses  abschnitts  bilden 
einzelne  federproben  der  Schreiber.  Dass  die  zahl  dieser  herrenlosen  glossen  nur  ganz 
gering  geworden  ist  (ss.  220  —  249),  das  haben  wir  Steinmeyers  scharfsinnigen  und 
unermüdlichen  forschungen  zu  verdanken.  —  Xach  den  Adespota  sind  die  im  laufe 
der  fortschreitenden  arbeit  neu  aufgefundenen  glossen  als  l nachtrage'  zu  den  vorigen 
bänden  abgedruckt  (ss.  250  —  370)  und  damit  ist  der  glossentext  des  werkes  zum 
schluss  gebracht.  Steinmeyer  spricht  aber  in  der  vorrede  (s.  VI)  als  seine  Über- 
zeugung aus,  dass  der  ahd.  glossenvorrat  mit  seiner  Sammlung  noch  lange  nicht  er- 
schöpft ist,  sondern  dass  noch  ganze  mengen  von  unbekannten  deutschen  glossen- 
handschriften  in  den  französischen  und  italienischen  bibliotheken  verborgen  liegen. 

Den  zweiten  und  grössten  teil  des  vierten  bandes  bildet  der  zur  anwendung 
des  werkes  nötige  apparat,  in  welchem  das  mit  Ungeduld  erwartete  handschriftenver- 
zeichnis  (ss.  371  —  686)  die  grösste  bedeutung  hat.  Dieses  höchst  interessante  Ver- 
zeichnis zählt  alle  benutzten  handschriften  —  im  ganzen  sind  deren  665  —  auf  und 
gibt  unter  jeder  nummer  eine  beschreibung  der  betreffenden  hs.  Aufgezählt  sind  die 
manuskripte  in  alphabetischer  Ordnung  nach  den  bibliotheken ,  in  weichen  sie  sich 
finden.  Hierbei  ist  immer  der  aufbewahrungsort  mit  dem  deutschen  namen  benannt. 
Da  aber  in  dem  texte  selbst  die  handschriften  mit  den  lateinischen  benennungen 
aufgeführt  werden,  so  hat  ein  in  der  mittelalterlichen  lateinischen  literatur  wenig 
bewanderter  leser  oft  wol  mühe  genug,  bevor  es  ihm  gelingt  für  den  lateinischen 
namen  des  textes  das  deutsche  aequivalent  im  Verzeichnisse  aufzufinden.  Die  meisten 
leser  werden  noch  wissen,  dass  der  cod.  Oenipontanus  unter  Innsbruck  zu  finden  ist 
und  vielleicht  auch,  dass  cod.  Argentoratensis  unter  Strassburg  aufgesucht  werden 
muss,  aber  sicher  wird  es  leser  geben,  welche  ziemlich  lange  hin-  und  herblättern 
müssen ,  bevor  si  cod.  Casinensis  unter  Montecassino  im  Verzeichnisse  finden.  Schlimmer 
ist  es  noch  in  solchen  fällen,  wo  der  leser  aus  dem  namen  des  besitzers  auch  den 
aufbewahrungsort  des  codex  erraten  muss.  So  findet  man  z.  b.  cod.  prineipum  de 
Wallerstein  im  alphabetischen  Verzeichnisse  unter  Mayhingen  und  cod.  domini  Ludo- 
vici  Pascoü  unter  Enemongo  in  Friaul.  Man  kann  auch  nicht  von  jedem  benutzer 
der  glossen  verlangen,  dass  er  wissen  soll,  dass  museum  riantiuiani  in  Antwerpen 
und  cod.  Vadianus  ein  in  der  stadtbibliothek  zu  St.  Gallen  befindlicher  codex  ist.  Es 
ist  ja  wahr,  dass  man  bei  den  lesorn  der  althochdeutschen  glossen  eine  gewisse 
wissenschaftliche  Schulung  voraussetzen  darf,  aber  nimmt  man  in  betracht,  dass  leute. 
welche  auf  den  verschiedensten  forschungsgebieten  arbeiten,  die  glossen  benutzen 
werden,  so  kann  man  nicht  von  allen  mit  recht  fordern,  dass  sie  mit  der  Domen- 
clatur  der  europäischen  bibliotheken  vertraut  sein  sollten.  Einige  verweise  wären 
daher  hier  am  platze  gewesen  und  sie  hätten  gewiss  nicht  viel  räum  in  ansprach 
genommen. 

Die  Beschreibungen ,  welche  Steinmeyer  in  dem  Verzeichnisse  von  den  hand- 
schriften liefert,  sind  so  ausführlich,  wie  man  nur  billigorweiso  verlangen  kann;  auch 
die  in  ihnen  sich  findenden  kloinen  lateinischen  verse,  rätselfragen  und  sonstigen 
uotizen  der  schroiber  sind  mitgeteilt  worden.     Auf  diese  weise  bietet  das  Verzeichnis 


236  l'ALA.M.ER.     AMI).     &L0       Dl     DZ.   IV. 

ein  sehr  anschauliches  bild  von  der  arbeit  in  den  klöstern;  es  weht  dem  leser  ein 
hauch  aus  der  alten  zeit  entgegen1  und  das  tote  niaterial  wird  lebendig.  —  Nachdem 
der  inhalt  des  betreffenden  codex  geschildert  ist,  wird  kurz  erwähnt,  #er  die  glossen 
aufgefunden  hat  und  was  nachher  für  dieselben  getan  worden  ist  Aher  Steinmeyer 
hat  sich  nicht  damit  begnügt  sorgfaltig  ausgeführte  beschreibnngen  von  den  hand- 
schriften  zu  geben:  er  hat  sein  augonmerk  auch  auf  die  compositum  der  Codices  ge- 
richtot.  Oft  sind  diese  aus  mehreren,  ursprünglich  ganz  selbständigen  teilen  zusammen- 
gesetzt, welche  nur  zufällig  zu  einem  codex  vereinigt  wurdon.  Solche  Sammelcodices 
sind  in  dem  Verzeichnisse  in  ihre  bestandtoile  aufgelost  und  diese  sind  mit  besonderen 
nummern  versehen,  wobei  immer  das  Jahrhundert  der  abfassung  angegeben  ist.  Hier- 
durch hat  Steinmoyer  den  linguisteu  einen  grossen  dienst  getan,  denn  wo  es  gilt,  die 
spräche  eines  codex  zu  bestimmen,  stellt  sich  ja  die  sache  sehr  verschieden,  je 
nachdem  ob  eine  einheitliche  hs.  vorliegt  oder  ob  man  es  mit  einem  codex  zu  tun  hat, 
dessen  verschiedene  teilo  an  verschiedenen  orten  und  zu  verschiedenen  Zeiten  ge- 
schrieben sind. 

Obgleich  bei  der  abfassung  des  Verzeichnisses  die  iuteressen  der  Sprachforscher 
keineswegs  ausser  acht  gelassen  worden  sind,  hatte  wol  mancher  von  ihnen  doch 
beim  abwarten  desselben  einen  wünsch  gehegt,  der  nicht  verwirklicht  wurde.  Das 
'pium  desiderium'  bestand  darin,  dass  man  zugleich  mit  den  beschreibungen  der 
Codices  auch  etwas  über  den  dialekt  der  in  ihnen  befindlichen  deutschen  glossen  er- 
fahren würde.  Es  versteht  sich  natürlich,  dass  es  unmöglich  gewesen  wäre,  irgend 
welche  Vollständigkeit  in  dieser  beziehung  zu  erreichen.  Um  sichere  angaben  in  bezug 
auf  die  spräche  der  glossare  zu  geben,  die  oft  durch  viele  hände  gegangen  sind  und 
daher  auch  spuren  von  den  verschiedenen  mundarten  der  abschreibe!-  tragen ,  müssen 
erst  genügend  viele  einzeluntersuchungen  vorliegen.  Aber  im  laufe  seiner  jahre- 
langen besebäftigung  mit  deutschen  glossen  hat  wol  Steinmeyer  auch  ihren  sprach- 
lichen charakter  beobachtet  und  darüber  hie  und  da  etwas  notiert.  Wenn  er  dies 
im  Verzeichnisse  hätte  mitteilen  wollen,  wäre  daraus  sicherlich  ein  wertvoller  beitrag 
zu  weiteren  Untersuchungen  entsprungen.  Denn  wenn  jemand  im  stände  ist,  über  den 
dialekt  der  althochdeutschen  glossen  winke  zu  geben,  so  müsste  es  doch  Steinmeyer  sein. 

Nach  dem  handschriftenverzeiclmis  folgen  7  tabellen ,  von  denen  die  6  ersten  die 
früher  angewandten  sigeln  und  bezeichnuugen  der  hss.  sowie  die  bisherigen  glossen- 
ausgaben  und  -collationen  aufzählen;  die  siebente  tabelle  bringt  ein  Verzeichnis  aller 
berichtigten  textstellen.  Ganz  zuletzt  stehen  fünf  verschiedene  register,  welche  die 
anwenduug  des  buches  erleichtern  sollen.  Der  alphabetische  index  aber,  der  in  der 
vorrede  zum  ersten  bände  versprochen  wurde  und  der  den  benutzern  der  glossen 
von  der  allergrössten  praktischen  bedeutung  gewesen  wäre,  ist  nicht  den  übrigen 
registern  beigefügt.  Statt  dessen  verspricht  Steinmeyer  ein  grosses  althochdeutsches 
Wörterbuch  erscheinen  zu  lassen,  dem  ein  Verzeichnis  aller  ins  althochdeutsche  über- 
setzten lateinischen  ausdrücke  angehängt  wird.  In  der  abwartuug  dieses  Wörterbuches 
müssen  sich  die  benutzer  der  glossen  ohne  einen  index  behelfen,  so  gut  es  eben 
goht.  AVer  sich  mit  der  glossensammlung  eingehender  befasst  und  sich  mit  der  an- 
ordnung  des  Stoffes  vertraut  gemacht  hat,  der  wird  sich  darin  schon  ohne  mühe  zu- 
recht finden.  Aber  einer,  der  die  methode  nicht  näher  kennt  und  das  buch  etwa 
nur  zum  nachschlagen  gebrauchen  möchte,  wird  freilich  einen  index  sehr  vermissen 
und  ohne  mühe  und  zeitverschwenduug  kommt  er  dabei  nicht  aus. 

1  Menschenwerk  ist  Stückwerk'  sagt  Steinmeyer  in  bezug  auf  seine  leistung  und 
diesen  satz  muss  man  ja  gelten  lassen,  insofern  ein  solches  idealwerk  wol  nie  ge- 


LEITZMANN    ÜBER   WOLFRAM    ED.  MARTIN  237 

schaffen  wird,  bei  dem  man  nicht  etwas  aussetzen  könnte.  Aber  die  ansprüche, 
welche  man  überhaupt  berechtigt  ist  auf  ein  menschenwerk  zu  stellen,  erfüllt  die 
vorliegende  glossensammlung  in  glänzender  weise.  Solche  werke  erscheinen  nicht  zu 
jeder  zeit;  sie  bezeichnen  eine  epoche  in  der  geschieh te  der  philologischen  Wissen- 
schaft. Möge  man  nur  überall  in  den  fachmännischen  kreisen  verstehen  'die  alt- 
hochdeutschen glossen'  recht  zu  würdigen  und  möge  auf  dieser  grundlage  die  wissen- 
schaftliche forschung  in  würdiger  weise  fortgesetzt  werden! 

HF.LSIXGF0RS.  HUGO   PALAXDER. 


Wolframs  von  Eschenbach  Parzival  und  Titurel.  Herausgegeben  und  er- 
klärt von  Ernst  Martin.  Erster  teil:  text.  Halle,  Waisenhausbuchhandlung  1900 
(Zachers  germanistische  handbibliothek  9,  1).     LI1I,  315  s.     5  m. 

Es  kann  wol  keinem  zweifei  unterliegen,  dass  eine  neue  ausgäbe  der  werke 
"Wolframs  von  Eschenbach  und  zwar  einerseits  in  textkritischer  hinsieht  eine  gründ- 
liche revision  des  Lachmannschen  textes,  andrerseits  in  exegetischer  die  bearbeitung 
eines  eingehenden  kommentars  ein  dringendes  bedürfnis  unsrer  Wissenschaft  ist. 
Bartschs  ausgäbe  des  Parzival  und  Titurel  kann,  auch  abgesehen  davon,  dass  sie  den 
Willehalm  ausschliesst,  nach  keiner  von  beiden  richtungen  hin  als  ausfüllung  dieser 
empfindlichen  lücke  betrachtet  werden.  So  hervorragend  und  besonders  zur  zeit  ihrer 
entstehung  wegweisend  für  unsere  werdende  Wissenschaft  Lachmanns  kritische  arbeit 
am  text  des  Parzival  (weniger  am  Willehalm  und  Titurel)  gewesen  ist,  so  darf  uns 
doch  sein  text,  im  Wortlaut  sowol  wie  in  der  interpunktion,  nicht  zum  starren  unan- 
tastbaren schema  werden.  Das  wäre  auch  ganz  gewiss  nicht  in  seinem  sinne:  man 
beachte  doch  den  grossen  abstand  des  Iwein  von  1827  und  des  Iwein  von  1843  und 
bedenke,  dass  es  Lachmann  nicht  mehr  vergönnt  gewesen  ist,  vom  Wolfram  eine 
zweite  ausgäbe  zu  bearbeiten.  Eine  ganze  reihe  wolbegründeter  vorschlage  zu  besse- 
rungen  sind  im  lauf  der  jähre  veröffentlicht  worden;  unsre  kenntnis  der  mhd.  reim- 
technik  und  Stilistik  ist,  besonders  durch  die  glänzenden  arbeiten  von  Zwierzina,  in 
ungeahnter  weise  vertieft  und  fruchtbar  gemacht  worden;  sprachliche  und  metrische 
Untersuchungen  lehren  uns  an  den  von  Lachmaun  hergestellten  Wortlaut,  syntaktische 
an  seine  interpunktion  mehr  und  mehr  die  kritische  sondo  legen;  das  sehr  er- 
weiterte handschriftliche  material  kann  auf  die  gestaltung  des  textes  trotz  Lachmanns 
richtiger  erkeuntnis  der  grundverhältnisse  nicht  ganz  ohne  einfluss  bleiben.  Wenn 
Lachmaun  in  der  vorrede  (s.  VIII)  im  hinblick  auf  die  mannigfachen  pfuschenden 
dilettanten  seiner  tage  mit  schärfe  die  „ersten  einfalle  eines  neuen  lesers"  gegenüber 
seiner  stets  „mit  Sorgfalt  erwogenen"  auffassung  von  den  pforten  seiner  arbeit  ver- 
wies ,  so  wollte  er  gewiss  nicht  damit  den  naturgomässeu  fortschritt  der  echten  Wissen- 
schaft verdammen  und  seine  eigene  leistung  für  kanonisch  erklären,  wie  dies  der 
neuste  herausgeber  (s.  II)  tut. 

Martins  ausgäbe  enthält  in  der  bis  jetzt  erschienenen  ersten  hälfte  den  text 
des  Parzival  und  Titurel  nebst  einer  kritischen  oinleitung;  die  versprochene  zweite 
hälfte  soll  eine  litterarhistorische  eiuleitung  und  den  auf  Müllenhuffs  and  Luoaes  vor- 
arbeiten beruhenden  komuientar  bringen.  Der  bis  jetzt  vorliegende  text  genüg!  in 
keiner  weise  den  an  eine  revision  der  Lachmannsohen  ausgäbe  zu  stellenden  auforde- 
ruugeu  und  macht  einen  durchweg  rückständigen  sindruok.     Bis  in  die  geringfügigsten 


238  i.kit/ 

und  belanglosesten  einzelheiten  wird  hier  La'hiiianna  text  reproduciert:  die  des  und 
'A/.  die  der-  und  re-,  die  gegebn^  lehn,  warn,  die  grossen  anfuiiKsljucbstabeuinitt.il 
im  satze,  die  inkonsequent  beibehaltenen  reste  des  Notkerscheo  kanons,  alles  er- 
scheint bei  Martin  wieder.  Demgegenüber  .sind  die  wirklichen  abweichnngen  von  Lach- 
nianns  lesatten  gering  an  zahl  und  inhaltlich  unbedeutend.  Von  der  grossen  zahl 
sicherer  und  wolbegründoter  besserungsvorschläge,  die  aufgestellt  worden  sind,  ist 
nahezu  kein  einziger  in  Martins  text  aufgenommen  worden:  man  kann  billig  gespannt 
sein,  wie  der  herausgebe?  es  fertig  bringen  wird,  was  doch  seine  aufgäbe  sein  mü 
im  kommentar  alle  die  erwägungen  und  beobachtuugen  stringent  zu  widerlegen,  die 
zu  jenen  vorschlügen  geführt  haben.  Von  der  notwendigkeit  einer  revision  der  Lach- 
mannschen  interpuuktion  kann  er  sich  „auch  nach  erwägung  der  oft  zunächst  be- 
stechenden Vorschläge  von  Paul"  (s.  XXXIV)  nicht  überzeugen.  Es  kann  natürlich 
hier  meine  aufgäbe  nicht  sein,  ausführlich  aufzuzeigen,  wo  und  ausweichen  gründen 
Lachmanns  text  aufgegeben  werden  muss:  ich  darf  vielmehr  darauf  hinweisen,  dass 
ich  selbst  eine  textausgabe  der  werke  Wolframs  in  Pauls  Altdeutscher  textbibliothek 
herauszugeben  im  begriff  bin,  von  der  das  erste,  die  sechs  ersten  bücher  des  Parzival 
enthaltende  lieft  vor  kurzem  erschienen  ist.  Da  nun  auch  Martins  einleitung  keiner- 
lei wichtigere  textkritische  Untersuchungen  enthält,  so  ist  es  schwer,  die  existenz- 
berechtigung  des  buches,  das  unsre  wissenschaftliche  erkenntnis  kaum  irgend  in 
nennenswerter  weise  fördert,  zu  begreifen. 

Eine  besondere  nachlässigkeit  scheint  bei  der  drucklegung  des  buches  gewaltet 
zu  haben.  Das  zeigen  einerseits  die  massenhaften  druckfehler,  die  einleitung,  lesarten 
und  text  in  fast  gleicher  weise  verunzieren,  andrerseits  der  merkwürdige  umstand, 
dass,  offenbar  weil  das  als  druckmanuskript  gebrauchte  exemplar  einer  der  spätereu 
auflagen  von  Lachmanns  text  nicht  genügend  durchkorrigiert  war,  eine  beträchtliche 
zahl  von  druckfehlern ,  die  sich  im  laufe  der  zeit  in  diese  späteren  auflagen  ein- 
geschlichen haben,  bei  Martin  unbeanstandet  passiert  sind.  Ich  habe  mir  bei  kurso- 
rischer vergleichung,  ohne  Vollständigkeit  erstreben  zu  wollen,  folgende  fälle  notiert: 
Parz.  133,  1  ivax  für  icas;  253,  12  lat  für  lat;  290,  16  hat  für  hat;  297,  2  cumpünir 
für  citmpäme;  313,  14  ivax  für  was;  331,  20  uuverxagt  für  unverzagt  (!);  460,  20 
Taurtan  für  lauriän  (vgl.  Lachmann1  s.  640);  480,  30  dohte  für  tohte;  517,  25  ica\ 
für  was;  552,  9  icax  für  was;  605,  16  wax  für  was;  692,  6  jamers  für  jämers; 
747,  19  Feireßx  für  Feireßx;  756,  1  nach  für  nach;  763,  16  brakt  für  bräht;  784,  1 
Über  für  Über;  785,  1  künec  für  kibiec  (!);  790,  25  wax,  für  icas;  221,  19  lautet 
der  reim  mit  einem  aus  Lachmann  übernommenen  Satzfehler  trayn :  geslagen !  Die 
verszahl  75,  20  steht  neben  einer  falschen  zeile,  weil  dies  bei  Lachmann  irrtümlicher- 
weise der  fall  ist.     Alle  diese  dinge  hätten  vermieden  werden  können  und  müssen. 

Ich  gebe  noch  einige  kritische  bemerkungen  zu  einzelnen  stellen  der  ein- 
leitung, um  zugleich  Martins  Standpunkt  zu  einzelnen  strittigen  punkten  ins  licht  zu 
stellen.  Martin  spricht  s.  II  von  dem  nach  dem  Vortrag  des  dichters  aufgezeichneten 
archetypus,  s.  XXXI  von  seinen  aus  der  improvisation  zu  erklärenden  kühnen  satz- 
fügungen:  er  hält  also  noch  immer  an  dem  phantom  des  analphabetismus  Wolframs 
fest,  was  nach  den  letzten  erörterungen  über  diese  frage  von  Lichtenstein  und  Grimm 
doch  wol  nicht  angängig  sein  dürfte.  Wann  wird  dieser  aberglaube  endgiltig  einmal 
aus  unsrer  Wissenschaft  verschwunden  sein?  Nur  als  eine  Spielerei  aber  kann  man 
es  betrachten,  wenn  Martin  s.  IX  aus  den  vereinzelten  svarabhakti vokalen  der  haudschrift 
D  scbliesst,  es  möge  darin  eine  ausspracheeigentümlichkeit  des  dichters  sich  spiegeln: 


ÜBER    WOLFRAM    ED.  MARTIN  239 

D  ist  nicht  der  archetypus,  vorausgesetzt  dass  dieser  wirklich  nach  einem  vortrage 
niedergeschrieben  wurde,  uud  sein  Schreiber  dürfte  keinerlei  interesse  an  Wolframs 
individueller  ausspräche  gehabt  haben,  noch  weniger  aber  daran,  sie  phonetisch  genau 
widergeben  zu  wollen.  —  Dankenswert,  aber  nicht  vollständig  ist  der  systematische 
überblick  über  die  orthographischen  eigen tümlichkeiten  der  handschrift  D  (s.  III  —  XV): 
vieles  hier  genau  verzeichnete  hat  gar  keine  textkritische  bedeutung,  dagegen  fehlt 
ein  überblick  über  die  Schreibfehler  in  D,  aus  dem  mancherlei  zu  lernen  gewesen 
sein  würde;  dass  auf  diesem  wege  sogar  die  korrektur  einiger  fehler  im  texte  ge- 
wonnen werden  kann,  denke  ich  anderswo  zu  zeigen.  In  die  oft  sehr  subtilen  schluss- 
folgeruugen,  die  Martin  an  verschiedenen  stellen  aus  der  Orthographie  von  D  auf  die 
des  archetypus  zieht,  kann  ich  ihm  meistenteils  als  auf  einen  allzu  ungewissen  boden 
nicht  folgen.  Überhaupt  scheint  er  mir,  so  richtig  uud  frachtbringend  im  grossen 
und  ganzen  das  von  ihm  energisch  betonte,  konservativ  sich  an  D  haltende  textkritische 
priucip  auch  ist,  im  einzelnen  denn  doch  vielfach  zu  weit  zu  gehen  und  die  glaub- 
würdigkeit  kleiner  und  kleinster  eigenheiten  zu  sehr  zu  pressen.  Dass  ihm  bei  dieser 
ganz  gerechtfertigten  Vorliebe  für  D  gar  nie  der  gedanke  kommt,  ob  die  verse,  welche 
D  fehlen,  überhaupt  Wolframs  werk  ursprünglich  augehören,  ist  doppelt  verwunder- 
lich. —  Die  form  diens  (s.  VI)  hat  schon  Paul  richtig  als  identisch  mit  dienstes  er- 
klärt und  treffend  bemerkt,  dass  sie  höchstwahrscheinlich  gar  nicht  Wolfram  zukommt, 
sondern  dem  Schreiber  von  D,  der  ja  auch  streng  entsprechend  trös  für  tröstes  (Parz. 
737,  26.  768,  29.  807,  19)  schreibt.  Martin,  der  diese  parallelschreibung  selbst  citiert, 
behält  trotzdem  diens  im  texte  bei.  —  S.  XV  verteidigt  Martin  die  von  Lachmann 
meist  aus  jungen  und  schlechten  handschriften  aufgenommene  Lesart  schenesehlant 
für  das  geläufige  seneschalt.  Das  wort  findet  sich  neunmal  im  reim:  Parz.  151,21 
{■.Lalant).  153,1  (:  Lalant).  194,15  (:  lernt).  197,22  (:  hant).  203,  20  (:  hant).  204,8 
(:  lernt).  206,5  (:  laut).  214,  14  (:hcmt).  219,  12  {:zehant);  alle  neun  stellen  gehören 
dem  dritten  und  vierten  buche  an;  an  einer  zehnten  (195,  15)  hat  Lachmann  aus  G 
schenesehlant :  hant  aufgenommen,  während  D  seneschalt : geralt  bietet.  Im  sechsten 
buche  reimt  dann  viermal  seneschalt:  290,23  (:walt).  295,17  (: geralt).  296,17 
(:  ribalt).  304,  17  (:  walt).  Die  handschrift  D  hat  auch  in  sieben  fällen  der  obigen 
neun  seneschalt,  also  einen  ungenauen  reim.  Martin  glaubt  das  problem  durch  folgende 
erwägung  zu  lösen:  „es  ist  jedoch  wahrscheinlicher,  dass  Wolfram  sich  zuerst  einer 
ungewöhnlichen  form  bediente,  die  in  den  handschriften  nur  durch  anpassuug  au  das 
französische  abgeändert  wurde  (in  G  durchweg),  und  dass  er  selbst  in  der  unter- 
brechungszeit  vor  dem  6.  buch  die  richtigere  angenommen  hat,  als  dass  er  anfänglich 
das  wort  stets  ungenau,  später  aber  genau  gereimt  hätte".  Mir  scheint  es  im  gegen- 
teil  notwendig,  hier  negation  und  position  miteinander  zu  vertauschen.  Eine  form 
schenesehlant  ist  weder  in  deutschen  quellen  irgendwo  sonst  vorhanden  noch  kann 
sie  aus  dem  französischen  irgendwie  abgeleitet  werden;  vielmehr  ist  es  höchst  wahr- 
scheinlich, dass  sie  dem  bestreben  jüngerer  Schreiber,  den  unreinen  reim  -alt'.-ant 
zu  beseitigen,  ihre  existenz  verdankt  (zuweilen  helfen  sich  die  handschriften  auch 
auders,  so  durch  weglassen  des  verspaares  oder  durch  tiefergreifende  änderungen; 
vgl.  die  lesarten  zu  203,  19  und  219,  11).  Diese  reimuugenauigkeit  hat  aber  bei 
Wolfram  nicht  mehr  anstössiges  als  die  andren  uugenauigkeiten,  die  seine  werke 
uns  bieten  und  deren  mehr  sind,  als  Lachmanns  text  zeigt,  der  nur  diejenigen  stehen 
liess,  die  er  nicht  durch  konjektur  zu  beseitigen  vermochte  (vgl.  darüber  Zwiemna, 
Zs.  f.  d.  a.  45,  20  aum.,  dessen  liste  aber  immer  noch  nicht  vollständig  ist).  Nun  sind 
der    reimmöglichkeiten  auf  -alt   nicht  allzuviele   und   niohl   alle  passen   in   jrdeu  zu- 


240  LKITZMA.NN 

sammcnhung:  ein  wuU  steht  nicht  immer  zur  Verfügung  und  übe  gera!/  wird  Bach 
nicht  immer  jemand.  Daher  zog  es  "Wolfram  vor.  seneaehaii  ungenau  auf  -$mi  zu 
reimen,  es  sei  dünn,  dass  der  Zusammenhang  ein  gevoltme  195,  L5  zwanglos  darbot, 
später  aber  das  wort  im  reime  nur  dann  zu  bringen,  wenn  eine  reine  bindung  nah'' 
lag,  d.h.  soinen  gebrauch  zunächst  sehr  zu  beschränken,  dann  ganz  aufzugehen 
unterstützte  ihn  hei  diesem  bestreben  der  umstand,  dass  Keie  nach  dem  Beohsten 
buche  fast  ganz  aus  der  handlung  dos  romans  verschwindet.  Dass  nach  meiner  auf- 
fassung  im  vierten  buche  sencschalt  kurz  hintereinander  rein  und  unrein  gereimt  ist, 
hätte  seine  genauo  parallole  im  ersten  buche,  wo  Raxallc  43,  1  auf  w«,  40,  1  auf  n)i 
reimt.  —  Nur  kurz  sei  erwähnt,  dass  Martin,  wie  man  dies  bei  seiner  streng  konservativen 
tendeuz  auch  erwarten  musste,  s.  XVI  trotz  Paul  für  den  artikel  die  und  s.  X  V 1 1 
trotz  Bock  für  die  ellipse  von  sin  nach  lät  mit  prädikativem  adjektiv  eintritt:  beide 
punkte  sind  für  mich  nicht  diskutabel.  —  S.  XVI  heisst  es:  „in  D  oder  wol  bei  einzelnen 
Schreibern  dieses  textes  herrscht  die  fehlerhafte  neigung  vor,  und  durch  ouch  zu 
verstärken";  dann  folgen  neun  beispiele,  je  eins  aus  buch  1,  3  und  13,  vier  aus 
buch  14,  zwei  aus  buch  15.  Nach  Lachmann  (s.  XV)  ist  1)  von  drei  händen  ge- 
schrieben, deren  dritte  schon  18,  30  beginnt:  danach  erübrigt  sich  zunächst  die  obige 
ausdehnung  der  „fehlerhaften  neigung"  auf  „einzelne  Schreiber",  da  alle  stellen 
demselben  Schreiber  gehören.  Das  nebeneinander  von  zind  und  und  ouch  ist  eiue 
der  allorhäufigsten  erscheinungen  in  dem  Variantenapparat  unsrer  mhd.  texte;  aber 
so  einfach,  wie  sie  Martin  erscheint,  liegt  die  sacbe  denn  doch  für  den  Parzivaltext 
nicht.  Innerhalb  der  ersten  sechs  bücher,  auf  die  ich  mich  der  kürze  wegen  be- 
schränken will,  findet  sich  (ich  lasse  die  stellen  unberücksichtigt,  wo  und  ouch  von 
beiden  handschriftenklassen  geboten  wird)  die  in  rede  stellende  Variante  im  ganzen 
neunzehnmal  und  zwar  steht  achtmal  und  D  gegen  und  ouch  G  (3,  30.  119,  30. 
187,  11.  193,  26.  225,  16.  303,  29.  319,  27.  324,  11)  und  elfmal  und  G  gegen  und 
ouch  D  (27,  7.  28,  15.  45,  26.  64,  3.  101,  2.  131,  28.  151,  5.  162,  12.  173,  3.  304,  22. 
310,  24).  Welche  gründe  nötigen  Martin  von  diesen  elf  stellen  zwei  beliebig  heraus- 
zugreifen und  gerade  hier  das  ouch  für  fehlerhaft  zu  erklären ,  während  er  es  an  den 
andern  neun  unbehelligt  stehen  lässt?  Der  blinde  glaube  an  Lachmanns  Unfehlbarkeit 
ist  die  veranlassung:  an  diesen  beiden  stellen  ist  sein  text,  ebenso  wie  an  den  sieben 
stellen  in  buch  13  — 15,  der  klasse  G  gefolgt  und  dieser  muss  ja  nach  Martin  (s.  II) 
„festgefügt  und  wolbegründet  fortdauern".  Mir  scheint  es  auf  der  band  zu  liegen, 
dass  wir  kein  recht  haben,  diese  stellen  nach  verschiedenen  gesichtspunkten  zu  be- 
handeln, natürlich  auf  die  gefahr  hin,  den  urtext  des  dichters  vielleicht  hie  und  da 
nicht  gewonnen  zu  haben,  wozu  eben  bei  derlei  dingen  die  Sicherheit  unsrer  hand- 
schriftlichen Überlieferung  nicht  ausreicht.  Es  ist  das  ein  typisches  beispiel  für  den 
eklektizismus,  der  in  Lachmanns  textkritik  so  vielfach  das  gewonnene  kritische  resultat 
eigenwillig  durchkreuzt  und  den  zu  beseitigen  eine  der  Hauptaufgaben  derjenigen  text- 
revision  ist,  die  Martin  hätte  vornehmen  sollen.  —  Bekanntlich  sind  die  Verbindungen 
mit  al  bei  Wolfram  äusserst  beliebt  und  zeichnen  ihn  vor  den  andern  höfischen  epikern 
aus  (vgl.  zuletzt  Zwierzina,  Zs.  f.  d.  a.  45,  347).  Die  klasse  G  hat  hier  (ich  verspare 
mir  die  Vorführung  des  gesamten  statistischen  materials  auf  eine  andre  gelegenbeit) 
die  deutliche  tendenz ,  durch  beseitigung  dieses  al  Wolframs  spräche  der  Hartmannschen 
anzugleichen,  während  D  diesen  originellen  zug  sorgfältiger  bewahrt.  Lachmann  ist 
auch  hier  an  einer  anzahl  von  stellen,  meist  aus  metrischen  gründen,  eklektisch 
verfahren  und  der  klasse  G  gefolgt:  natürlich  spricht  auch  Martiu  (s.  XVL)  von  , zu- 
gesetztem"  al,   ohne  Lachmanus  lesungen  auf  ihre  berechtigung  hin    zu  prüfen.    — 


ÜBER    WOLFRAM    ED.  MARTIN  241 

S.  XVII  gibt  Martin  Bock  zu,  dass  D  häufig  französische  Wörter  verdeutscht:  aber 
er  setzt  die  französischen  Wörter  nur  an  den  stellen  ein,  wo  ihm  Lachmann  hierin 
vorangegangen  war,  und  gibt  z.  b.  die  langen  namenlisten  770  und  772,  auf  die  Bock 
dasselbe  prinzip  mit  recht  angewandt  hat,  in  der  alten  metrisch  holprigen  form.  Man 
muss  aber  meines  erachtens  in  diesem  punkte  selbst  über  Bock  noch  hinausgehen 
und  z.  b.  296,  5  sin  pensieren  aus  G  aufnehmen,  das  D  durch  sine  gedanke  übersetzt 
hat.  —  Dankenswert  ist  das  Verzeichnis  der  handschriften  und  bruchstücke  (s.  XVIII 

—  XXX),  zumal  in  Lachmanns  späteren  auflagen  die  neu  gefundenen  handschriften 
leider  nicht  nachgetragen  worden  sind.  Übersehen  hat  Martin  die  in  der  Zs.  f.  d.  a. 
41,  249  gedruckten  Marburger  fragmente.  Eine  eingehende  Untersuchung  über  das 
Verhältnis  der  vielen  handschriften  zu  einander,  namentlich  die  dringend  notwendige 
nähere  klassifizierung  und  wertung  der  einzelnen  zeugen  der  klasse  G  hat  Martin 
nicht  vorgenommen  und  entschuldigt  diese  Vernachlässigung  einer  hauptpflicht  eines 
herausgebers  mit  den  worten  (s.  XXXI):  „dies  im  einzelnen  zu  untersuchen  halte 
ich  für  verdienstlich,  vermag  mich  aber  nicht  selbst  damit  zu  beschäftigen".  Er  hat 
es  vorgezogen,  ein  trockenes,  mit  fehlem  durchsetztes  Verzeichnis  der  dd  und  gg, 
wie  sie  Lachmann  der  bequemlichkeit  halber  ohne  Unterscheidungszeichen  benannte, 
zu  geben  und  diakritische  exponenten  einzuführen,  bei  denen  ihm  dann  allerdings  das 
missgeschick  untergelaufen  ist,  dass  die  in  den  lesarten  gebrauchten  zu  den  in  dem 
Verzeichnis  gegebenen  mehrfach  nicht  stimmen.  Wäre  Martin  diesen  fragen  nach- 
gegangen, so  hätte  er  die  nicht  zu  verachtende  entdeckung  machen  können,  dass 
unsre  klasse  D  durch  einige  bisher  G  zugezählte  fragmente  erweitert  werden  kann, 
ja  dass  es  ein  G-fragment  gibt,  das  lesarten  des  archetypus  einzig  richtig  bewahrt 
hat:  ich  darf  hier  auf  meine  arbeit  über  das  handschriftenverhältnis  hinweisen,  die  in 
uicbt  allzulanger  zeit  in  den  Beiträgen  erscheinen  wird. 

Ich  könnte  noch  auf  eine  reihe  von  einzelheiten  der  eiuleitung  eingehen,  z.  b. 
die  falsche  auffassung  von  wrde  195,  1  als  werde  statt  als  wurde  s.  VI  (auch  in  der 
vorhergehenden  zeile  setzt  D  den  konj.  praet.),  die  von  diu  en  741,  5  als  diu  den 
statt  als  diu  in  s.  IX,  die  beurteilung  von  epita  fluni  s.  XVII  usw.,  ich  unterlasse 
dies  aber,  um  noch  mit  ein  paar  worten  auf  das  Verzeichnis  der  lesarten  (s.  XXXIV 

—  XLVD  zu  kommen.  Martin  verzeichnet  hier  alle  abweichungen  der  handschrift  D 
von  seinem  texte,  auch  alle  offenbaren  Schreibfehler-,  überall  da,  wo  sein  text  mit 
handschriftlicher  gewähr  von  D  abweicht,  setzt  er  die  betreffende  lesai*t  mit  nennung 
der  betreffenden  zeugen  und  einer  eckigen  klammer  vor  die  lesart  von  D,  die  er  auf- 
gegeben hat;  also  alles,  was  vor  der  klammer  steht',  sind  von  D  abweichende  lesungen 
seines  textes.  Es  beweist  recht  geringe  Sorgfalt  bei  herstellung  des  lesartenverzeich- 
nisses,  dass  hier  an  einer  reihe  von  stellen  eine  lesart  durch  zeugen  derjenigen  von 
1)  gegenüber  begründet  wird,  während  im  text  doch  die  verworfene  lesung  von  D 
erscheint:  so  ü,  13.  59,  6.  92,  7.  212,  27.  220,  14.  238,  8.  287,  2.  357,  5.  490,  16, 
wobei  ich  nicht  für  Vollständigkeit  der  liste  stehe.  Zu  dieser  mangelnden  Sorgfalt 
stimmt  es,  wenn  au  einer  grossen  zahl  von  stellen  vom  text  abweichende  lesungen 
von  D  überhaupt  nicht  vermerkt  sind:  so  172,23.  283,20.  315,30.  328,20.  370,7. 
401,  3.  464,  10.  467,  14.  490,  28.  494,  8.  548,  11.  555,  8.  27.  590,  9.  596,  7.  14.  628, 
14.  629,  14.  645,  20.  649,  9.  652,  3.  662,  15.  690,  17.  699,8.  702, 18.  717, 10.  719,  8. 
736,  5.  737,  5.  9.  25.  26.  741,  1.  9.  758,  15.  762,  12.  768,  29.  791,  14.  —  Auf  die  les- 
arten zum  Titurel  einzugehen  verbietet  mir  der  schon  über  gebühr  angeschwollene 
umfaug  dieser  bosprechuug.  Was  ich  angeführt  habe,  dürfte  zur  begründung  des 
oben  ausgesprocheneu  gesamturteils  genügen.     Dem  Studenten,   für  den  dooh  Zaohers 

ZEITSCHRIFT   F.    DEUTSCHE    PHILOLOGIE.      BD.  XXXV.  16 


242  im/- 

i  rermanist.  bandbibliothei  zunächst  gedachi  i  t  Qnd  dem  in  den  übrigen  bänden  so  w>rtreff- 
liohe  editionen  geboten  werden,  kann  die  vorlie    □  gäbe  nichl  empfohlen  werdi 

II  \  \.  AI.HKIM     Lhl'IZ.M  I 


Dem  'iln'iistiilienden  darf  ich  eine  erwiderung  gleioh  beifügen,  welche  sich 
freilicli  ganz  kurz  fassen  muss.  Zunächst  gestehe  ich  die  angezeichneten  drnckfehler 
meines  text.es  zu:  man  wird  sie,  und  zwar  vollständiger,  in  meinem  zweiten  bände 
als  nachtrag  vorfinden.  Es  sind  wesentlich  ausgefallene  circumfleze  u.  ä.  Aul  eine 
Verwechselung  von  u  und  n  weist  der  reo.  durch  ein  ausrufezeichen  noch 
hin.  Wer  das  druckfehlerverzeichnis  hinter  Lehmanns  erster  ausgäbe  kennt,  wird 
vielleicht  über  das  meinige  nicht  so  hart  urteilen  wieder  rec.  Er  vermisst  an  meinen 
Jesarten  die  Vollständigkeit:  warum  bleibt  er  aber  in  seiner  eigenen  ausgäbe  10,  15. 
40,  13  usw.  bei  fil  li  roy,  ohne  auch  nur  die  lesung  der  hs.  D  jUflJwoy  zu 
merken,  die  der  romanischen  grundform  näher  steht?  Hier  haben  wir  bei  ihm  alles, 
was  er  mir  vorwirft:  unvollständigkeit  des  apparates,  unnötige  abweichuug  von  der 
besten  Überlieferung,  nichtberücksichtigung  einer  korrectur  durch  andere.  Dass  ich 
die  vorschlage  seiner  freunde  nicht  annehme,  beweist  doch  nicht,  dass  ich  sie  nicht 
geprüft  habe.  Den  nachweis,  warum  ich  diese  vorschlage  verwerfe,  verlangt  er  in 
meinem  kommentar  zu  finden:  dieser  ist  so  schon  umfangreich  genug  geworden  und 
zu  einer  überflüssigen  polemik  habe  icli  weder  räum  noch  lust.  In  den  vom  rei 
zuversichtlich  entschiedenen  punkten,  dem  masc.  die  usw.,  der  form  sekeneseklani  usw. 
halte  ich  meine  gründe  noch  immer  für  richtig.  Die  zuletzt  genannte  form  ist  nicht 
auffallender  als  schahtelhir  anstatt  sehastelan.  Meinerseits  hin  ich  begierig  zu  hören, 
wie  der  rec.  die  unechtheit  der  in  der  hs.  D  fehlenden  verse,  die  er  einklammert, 
beweisen  wird.  Wenn  er  sich  rühmt  unter  den  hruchstücken  der  klasse  (t  solche 
gefunden  zu  haben,  die  eigentlich  zu  ü  stimmten,  so  wird  die  frage  aufgeworfen 
werden  müssen,  ob  nicht  mischhandschriften  vorliegen.  Dass  ich  selbst  in  den  hss. 
und  fragmenten  mich,  wo  ich  gelegenheit  hatte,  auch  nach  den  textverhältnissen 
umgesehen  habe,  wird  man  mir  glauben.  Aber  eine  wirklich  dankenswerte,  um- 
fassende beschäftigung  damit  verlangt  eine  zeit  und  kraft,  die  mir  leider  nicht  zu 
geböte  steht;  ob  der  rec.  die  aufgäbe  lösen  wird?  Einstweilen  möge  für  seine  ebenso 
bestimmten  als  irrigen  behauptungen  als  beispiel  dienen,  dass  er  Wolframs  analpha- 
betismus  schlankweg  für  einen  aberglauben  erklärt.  Er  zeiht  also  den  dichter  einer 
lüge,  zu  der  man  gar  keinen  grund  sieht  und  die  in  der  zeit  und  Umgebung  Wolframs 
nur  kurze  beine  gehabt  haben  würde.  Er  weiss  nicht,  wie  verbreitet  die  Unkenntnis 
des  lesens  und  Schreibens  bei  den  damaligen  rittern  war  und  übersieht  völlig,  dass 
Wolframs  aussage  durch  seinen  stil  und  vers  nur  bestätigt  wird.  Wenn  der  recensent 
schliesslich  meine  ausgäbe  den  Studenten  nicht  empfiehlt  —  sondern  seine  eigene,  — 
so  begreife  ich  das  vollkommen.  mabtin. 

Durch  die  gute  der  redaktion  geht  mir  vorstehende  erwiderung  Martins  noch 
vor  dem  abdruck  zu.  Da  sie  nirgends  den  versuch  macht,  sachlich  durch  Vorführung 
von  tatsachen  oder  gründen  einen  der  von  mir  in  meiner  besprechung  behandelten 
punkte  zu  widerlegen,  sondern  nichts  enthält  als  worte  und  kategorische  behauptungen, 
so  könnte  ich  sie  getrost  auf  sich  beruhen  lassen  und  die  entscheidung  dem  forum 
der  Wissenschaft  anheimstellen.  Da  sie  jedoch  eine  reihe  von  tatsächlichen  Unrichtig- 
keiten, entstellungen  und  Verschiebungen  des  gesichtspunkts  der  beurteilung  enthält, 
so  habe  ich  es  doch  für  angemessen  und  notwendig  erachtet,   mit  rücksicht  auf  die- 


ÜBER    WOLFRAM    KI).    MARTIN  243 

jenigen  unter  den  fachgenossen,  denen  die  hier  behandelten  dinge  nicht  unmittelbar 
gegenwärtig  sind  und  sein  können,  eine  kurze  berichtigung  zu  geben,  damit  nicht 
etwa  den  bemerkungen  Martins  eine  ungebührlich  hohe  bedeutung  beigemessen  werde. 
Ich  schliesse  mich  der  einfachheit  halber  dabei  an  die  reihenfolge  seiner  satze  an. 

1.  Martin  gesteht  die  von  mir  gerügten  druckfehler  seines  textes  zu  und  stellt 
eine  noch  grössere  liste  in  aussieht.  Ich  pflege  nicht  in  besprechungen  druckfehler, 
die  der  kundige  sich  selbst  sogleich  verbessert,  als  solche  zu  monieren  und  habe  das 
auch  in  diesem  falle  nicht  getan:  worauf  es  mir  ankam,  ist  die  genesis  dieser  druck- 
fehler. Es  sind  genau  dieselben,  die  sich  in  den  späteren  Lachmannschen  ausgaben 
finden,  und  daher  Zeugnisse  für  eine  grobe  nachlässigkeit  bei  der  herstellung  des 
druckmanuskripts.  Ob  die  einzelnen  fälle  leicht  oder  schwer  wiegen  (Martin  versucht 
das  erstere  zu  betonen,  aber  von  den  20  aufgeführten  fällen  betreffen  nur  8  aus- 
gefallene cirkumflexe) ,  ist  dabei  ganz  gleichgiltig.  Lachmanns  „druckfehlerverzeichnis" 
hinter  der  ersten  ausgäbe  erscheint  aber  in  ganz  falscher  beleuchtung  bei  Martin: 
„Verbesserungen  und  Zusätze"  hat  es  Lachmann  selbst  mit  vollem  recht  genannt,  da 
es  zum  überwiegenden  teile  textbesserungen  und  nachtrage  zu  den  lesarten,  nicht 
aber  eigentliche  druckfehler  enthält,  von  denen  hier  die  rede  ist. 

2.  Ich  habe  Martins  lesartenverzeichnis  unvollständigkeit  vorgeworfen  und  zum 
beweise  38  stellen  citiert,  bei  denen  abweichende  lesungen  von  D  nicht  vermerkt  sind: 
er  rückt  mir  dagegen  auf,  dass  ich  in  meiner  ausgäbe  im  lesartenverzeichnis  nicht 
angebe,  dass  D  fd(l)uroy  hat.  Hier  ist  der  direkt  und  deutlich  von  jedem  von  uns 
ausgesprochene,  bei  der  Zusammenstellung  der  lesarten  beabsichtigte  zweck  gänzlich 
ausser  acht  gelassen:  Martin  will  (s.  XXXIV)  die  Varianten  der  handschrift  D  von 
seinem  texte  zusammenstellen  und  hat  dies  in  den  38  citierten  fällen  unterlassen; 
ich  stelle  (s.  V)  die  abweichungen  meines  textes  von  dem  Lachmanns  zusammen ,  hatte 
also,  da  wir  beide  fil  li  rot  lesen,  absolut  keine  veranlassung  die  Variante  von  D 
anzuführen.  Es  fällt  also  der  gegen  mein  Variantenverzeichnis  erhobene  dreifache 
Vorwurf  in  nichts  zusammen. 

3.  Dass  Martin  die  bisher  zu  Lachmanns  text  beigebrachten  besserungsvorschläge 
nicht  geprüft  habe,  habe  ich  nirgends  behauptet.  Wenn  er  ihre  Widerlegung,  von  der 
ich  glaubte,  dass  er  sie  in  seinem  kommentar  bringen  würde,  vollständig  ablehnt  und 
zwar  mit  der  begründung,  dass  ihm  zu  einer  „überflüssigen  polemik"  räum  und  zeit 
fehle,  so  liegt  darin  neben  einem  unbilligen  autoritätsglauhen  eine  geringschätzung 
der  ernsten  wissenschaftlichen  arbeit  einer  grossen  zahl  teilweise  hoch- 
verdienter gelehrter,  die  ich  nicht  für  möglich  gehalten  hätte,  wenn  ich  sie  nicht 
schwarz  auf  weiss  vor  mir  sähe.  Was  es  für  einen  sinn  haben  soll,  dass  er  die  von  mir 
citierten  forscher  als  meine  „freunde"  bezeichnet,  namentlich  alier,  was  dies  für  den 
wissenschaftlichen  wert  ihrer  arbeiten  austragen  soll,  ist  mir  gänzlich  unverständlich. 

4.  Don  von  mir  versuchten  eingehenden  Widerlegungen  einiger  behauptungen  seiner 
einleitung  setzt  Martin  im  weiteren  nur  die  Versicherung  entgegen,  dass  er  seine  gründe 
noch  immer  für  richtig  halte.  Ich  hatte  mich  ja  allerdings  niemals  der  hoffiuuig  hin- 
gegeben, ihn  als  starren  anhänger  Lachmanns  etwa  überzeugen  zu  können,  hätte 
aber  doch  geglaubt,  dass  er  irgendwie  auf  meine  sachlichen  ausführungen  eingehen 
würde;  leider  scheint  er  auch  diese  wie  alle  polemik  für  „überflüssig"  tu  hallen.  So 
mag  er  denn  immer  an  Wolframs  analphabetismua  weiter  glauben  !  Luoh  wir  angläubigen 
dürfen  ja  wol  hier  von  einer  „ebenso  bestimmten  als  irrigen"  behanptnng  Bpreohen, 

JKNA.  U.HKIM'     I.KIT/.MVNV 


244  J.F.ITZMANN    ÜÜEK    F1K<  K  .     I'AHZI  VA  I.KKAC  MKNTK 

Die  Amberger  Parcifalfragmente  und  ihre  Berliner  und  Aspersdorfer 
orgänzungen.  herausgegeben  von  dr.  Anton  Beck.  Amberg,  Böes  L902.  üO  s. 
und  12  autotypierte  tafeln.    5  m. 

Gegen  Weihnachten  l'JOl  lief  durch  alle  grösseren  Zeitungen  die  notiz  von 
einer  in  Amberg  aufgefundenen  Parzivalhandscbrift  Die  vorliegende  publikation 
macht  diesen  fund  allgemein  zugänglich,  der  Bich  nun  als  bei  weitem  geringfügiger 
und  minderwertiger  herausstellt,  als  man  nach  jeuer  stark  übertriebenen  nach- 
rieht erwartet  hätte.  In  dem  quartband  einer  inkunabel  der  Amberger  proviozial- 
bibliothek,  die  höchstwahrscheinlich  aus  dem  kloster  Walderbach  am  Regen  stammt, 
fanden  sich  als  Vorsatzblätter  vorn  und  hinten  zwei  blätter  einer  pergamenthandschrift 
des  Fai'zival  aus  der  zweiten  hälfte  des  13.  Jahrhunderts ,  enthaltend  die  verse  715,28 
—  720,  26  und  735, 18  —  740,  20.  Das  fragment  gehört  zur  redaktion  G  des  gedichts, 
wie  bei  deren  ungleich  weiteren  Verbreitung  gegenüber  der  älteren  fassung  D  von 
vornherein  zu  erwarten  war:  das  beweisen  sowol  sämtliche  wichtigeren  lesarten  im 
einzelnen  wie  besonders  die  dieser  redaktion  eigentümlichen  Kicken  hinter  736,  14  und 
22.  Interessant  ist  die  unzweifelhafte  tatsache,  dass  die  beiden  Amberger  blätter  mit 
drei  andern  schon  bekannten  fragmenten  einmal  zu  einem  und  demselben  codex  gehört 
haben,  nämlich  mit  zwei  Berliner  fragmenten  aus  Hoffmanns  und  Pfeiffers  besitz  und 
den  jetzt  in  Oberhollabrunu  befindlichen  fragmenten  aus  Aspersdorf  (bei  Martin,  Parzival 
und  Titurel  1,  XXIII.  XXVI  als  G*  und  Gw  bezeichnet;  eine  kollation  des  Pfeiffer- 
schen doppelblattes  gab,  was  Martin  entgangen  ist,  Scheel  in  der  festgabe  an  Wein- 
hold s.  66);  und  zwar  gehörten  beide  Amberger  blätter,  das  zweite  Aspersdorfer  blatt 
und  das  Pfeiffersche  blatt  zu  einer  und  derselben  läge  der  ursprünglichen  handschiift. 
Irgendwelcher  gewinn  für  die  textkritik  des  Parzival  ist  aus  dem  neuen  funde  nicht 
zu  ziehen,  mit  dessen  eben  skizziertem  wirklichen  werte  die  üppige,  umfängliche  und 
splendid  ausgestattete  publikation  Becks  in  gar  keinem  richtigen  Verhältnis  steht.  Der 
fundbericht,  das  Variantenverzeichnis  und  der  nachweis  der  Zugehörigkeit  der  fragmente 
zu  andern  bereits  bekannten  wären  auf  zwei  Seiten  einer  unsrer  wissenschaftlichen 
fachzeitschriften  unterzubringen  gewesen.  Statt  dessen  erhalten  wir  eine  foliopublikation 
mit  ausführlichstem  fundbericht,  einer  längeren  erörterung  über  die  „möglichkeit  neuer 
funde",  einer  eingehenden  inhaltsangabe  des  ganzen  Parzival,  in  die  sämtliche  zum 
alten  codex  gehörige  fragmente  in  Simrocks  Übersetzung  wörtlich  eingeschoben  sind, 
einen  diplomatischen  abdruck  der  Berliner,  Amberger  und  Aspersdorfer  fragmente, 
unter  dem  text  (fl  transskription "  nennt  es  der  herausgeber),  Lachmanns  gesamten 
Variantenapparat  (dieser  wird  noch  dadurch  vermehrt,  dass  jeder  circumflex  Lach- 
manns, weil  er  in  der  handschrift  nicht  steht,  als  lesart  gebucht  und  sogar  ein  druck- 
fehler  einer  der  späteren  Lachmannschen  ausgaben  [676,  29  ivax  für  tcas]  gewissenhaft 
als  abweichung  vermerkt  wird),  endlich  eine  autotypische  nachbildung  sämtlicher 
bruchstücke  auf  grossen  tafeln.  Selbst  ein  gutes  stück  lokalpatriotismus  und  senti- 
mentale begeisterung ,  wie  sie  sich  auf  s.  3  breit  macht,  zugegeben  ist  das  doch  des 
guten  etwas  zu  viel.  Hier  hätte  ein  kritischer  freund  den  herausgeber  beraten  und 
erbarmungslos  alles  überflüssige  wegschneiden  sollen,  zumal  fast  in  jedem  teile  des 
buches  auch  noch  kleinere  und  grössere  fehler  und  missgriffe  unterlaufen,  die  des 
herausgebers  Sachkenntnis  nicht  immer  im  besten  lichte  erscheinen  lassen.  Die  haupt- 
quelle für  die  kenntnis  und  beurteilung  Wolframs  ist  ihm  (s.  6.  19)  Hollands  Geschichte 
der  altdeutschen  dichtkunst  in  Bayern.  Den  namen  Klinschor  etymologisiert  er  (s.  6) 
als  „  Kluniazenser " !  Die  Übersicht  über  den  inhalt  des  Parzival  (der  constant  „Par- 
cifal"  geschrieben  wird)  ist  nicht  nur  stilistisch  ungeschickt  (vgl.  z.  b.  s.  16:  „freund- 


PANZER    ÜBER    MARTIN,    KUDRUN  245 

liehst  empfangen  und,  nachdem  er  sich  gewaschen,  mit  einem  herrlichen  mantel  der 
königiu  Repanse  de  Schoie  bekleidet"  usw.),  sondern  enthält  auch  eine  anzahl  von 
Irrtümern:  s.  15.  17  wird  Ginover,  die  königin,  von  Keie  geprügelt,  weil  sie  bei 
Parzivals  ankunft  am  hofe  lacht;  s.  16  wird  Parzivals  heirat  nach  dem  Zweikampf  mit 
Klatnide  gesetzt,  während  sie  ihm  vorhergeht;  s.  17  besiegt  Parzival  nach  Segremors 
und  Keie  auch  Gawan,  wovon  kein  wort  bei  Wolfram  steht;  s.  19  ist  Antikonie  eine 
fee,  wol  durch  miss Verständnis  von  400,  9  sin  (Vergulahts)  art  ivas  von  der  feien. 
Der  text  der  fragmente  enthält  eine  ganze  zahl  von  lesefehlern,  worunter  auch  einige 
druckfehler  sein  mögen:  vgl.  370,17.  372,15.  716,12.  718,9.  719,10.  17.  729,22. 
731,29.  733,18.  734,26.  735,22.  737,27.743,18.  Obwol  die  Zugehörigkeit  der  bruch- 
stücke  zur  redaktion  G  feststeht,  ergänzt  Beck  fehlende  versteile  fast  immer  durch 
lesarten  der  klasse  D,  zuweilen  auch  ganz  sinnlos  (z.  b.  729,  6  [s/rjax  prüere  für 
[siver  djax  prileve).  Unter  den  vereinzelten  Worterklärungen ,  die  im  Variantenapparat 
stehen,  findet  sich  folgende  hübsche  glosse,  mit  der  ich  schliessen  will:  735,23  der 
iväpenroc  gap  blanken  schilt  ....  die  würme  Salamander  in  worhten  xein  ander  in 
dem  heixen  viure  „  worhten  =  würgten  " ! 

JENA.  ALBERT   LEITZMANX. 


Kudrun   herausgegeben    und    erklärt  von   Ernst  Martin.      2.  verbesserte   aufläge. 

Halle  a.  S.,  verlag  der  buchhandlung  des  Waisenhauses   1902.  =  Germanistische 

handbibliothek  begr.  von  J.  Zacher.    II.     LX,  372  s.     7  m. 

Dass  Martins  Kudrun  nach  drei  Jahrzehnten  nochmals  in  erneuter  gestalt  er- 
scheinen kann,  ist  freudig  zu  begrüssen.  Die  sorgfältigen  erläuterungen ,  mit  denen 
der  Verfasser  seinen  text  umsichtig  und  mit  ausgebreiteter  belesenheit  begleitet,  sind 
der  erforschung  des  gedichtes  vielfach  zu  gute  gekommen.  Und  darüber  hinaus  be- 
hauptet ein  so  trefflicher  sprach-  und  sachcommentar  bedeutung  und  Wirkung;  gewiss 
hat  er  vielen  so  wie  dem  recensenten  zur  ersten  einführung  ins  mhd.  wertvolle  dienste 
geleistet. 

Die  neue  aufläge  ist  wirklich  eine  verbesserte.  In  den  erklärungen  scheint 
besondere  Sorgfalt  auf  Vervollständigung  der  angaben  über  den  wort-  und  phrasen- 
schatz  der  dichtung  verwandt.  Wirkliche  Vollständigkeit  ist  allerdings  auch  jetzt  nicht 
durchweg  erreicht,  wenigstens  habe  ich  sie,  wo  ich  die  angaben  des  commentars  mit 
meinen  notizen  zu  vergleichen  anlass  hatte,  nur  selten  gefunden.  So  fehlt  z.  b.  zu 
6,  4  in  der  Sammlung  der  stellen  für  mir  ist  we  nach  967,  2;  zu  151,  2  einem  hin 
engegene  gän  340,4.  1077,3;  zu  160,  1  üf  den  sunt  tragen  'ausladen'  1146,  1  und 
der  verweis  auf  die  abweichende  Verwendung  der  phrase  747,  2;  zu  174, 1  plan  fehlt 
1569,2;  zu  206,4  xe  lerne  geben  fehlt  1035,4,  ebd.  zu  vollecUch  654,4.  1672,3;  zu 
274,4  dax  (diu)  lant  rümen  312,2.  552,1.  799,2.  1694,1,  vgl.  455, 1.  1603,2;  zu 
vliexen  'schwimmen'  fehlt  85,  1.  1166,  2.4.  1271,4;  zu  311,  4  sinen  anden  rechen 
fohlen  1047,  4.  1160,  3.  1365.  4.  1373,  4.  1589,  4  (die  phrase  ist  sonach  keineswegs 
nur  eine  „formel  des  zudichters",  wie  M.  bemerkt,  denn  1373  ist  „echt");  zu  312,3 
in  der  maxe  fehlt  1665,  3,  vgl.  1613,  3  (auch  stoht  der  ausdruck  nicht  „stets  reimend  ", 
sondern  selten  im  reim,  meist  in  der  cäsur)  usw.  Unbehaglich  wird  die  sache,  wenn 
die  bemerkung  ausdrücklich  so  formuliert  ist,  als  ob  die  aufzählung  eine  vollständige 
sei,  z.  b.  zu  822,4  so  rehte  unvrceliohen  „die  gleiche  Verstärkung  findet  sich  860,  I 
und  Nib.  24,4",  wonach  man  glauben  muss,  dies  so  rehte  fände  sich  nur  zweimal  in 
Gud.,  während  es  häufig  ist  (117,3.  165,4.  348,3.  412,2.    1222,1  usw.,  ebenso  wie 


246  PAWZBH 

rehte  447,2.  902,  I.  1292,2)  oder  zu  450,4  slolx  „dies  stets   ehrende   beiwort  findet 
sich  auch  160,4.  463,4"  was  den  ansahen!  weckt,  al  es  qui  dreimal  im  gedieht, 

dem  es  ganz  geläufig  i.-r  (115,2.  597,4  619,3.  620   l  648,2.  717,4  783,  l.  788,  1  usw.; 
im  ganzen  habe  ich  mir  20  ßtellen  aotiert). 

Von  diesen  beobachtangen  zum  Sprachgebrauch  derdichtung  abgesehen,  ist  an 
den  erklärungen  nicht  viel  verändert    Vollständig  hineingearbeitel   hat  der 
er  selbst  im  15.  bände  dieser  Zeitschrift  oa  batte;  aui  fremde  Untersuchungen 

ist  seltener  verwiesen,  als  man  hie  and  da  wünschen  möchte.     Leider  sind  mehr! 
unhaltbare  erklärungen  stehen  gebliehen,  wo  andere  sohon  das  richtige  gegeben  haben, 
z.  b.  wird   zu  340,  2  eine    erklärung  widerholt,    die  den   hei  igen   Bcherz   des 

dichtere  zerstört,  den  Bartsch  längst  richtig  erklärt  hatte.    199,  1    ist  wider  in  unn 
licher  weise  gedeutet  trotz  des  Hilde -Gud.  s.  1  19  bemerkten;  dass  auf  die  bemerkungen 
zu  str.  1590  die   ausfuhrungen  von  Schönbach   und  Zingerle  keinen   einfiuss  gewinnen 
konnten,  ist  seltsam  genug,  unbegreiflich,  dass  Martin  die  frage  1523,3  widerum  als 
„platt"  bezeichnen  durfte,   nach  dem  was  Hüdehrand,  Zeitschr.  4,  362  dazu  Dem 
hat,  u.  ä.  mehr. 

Martin  wäre  hier  vermutlich  eher  zu  änderungen  geneigt  gewesen,  wenn  er  in 
den  'unechten'  teilen  nicht  jederlei  anstoss  und  selbst  einen  unsinn  für  berechtigt  hielte. 
Leider  ist  in  der  neuen  aufläge  nichts  gestrichen  von  dem  ständigen  gescheite  auf  die 
interpolatoren ,  ihre  schwächlichen,  törichten,  elenden'  zutaten  und  wie  die  kraftaus- 
drücke alle  lauten  mögen,  die,  wie  ich  wol  sagen  darf,  weder  dem  gegenwärtigen 
geschmacke  noch  der  gegenwärtigen  einsieht  der  forschung  entsprechen.  "Wie  gerne 
hätte  man  sie  ersetzt  gesehen  durch  ausführungen  über  die  zahlreichen  stilistischen 
eigentümlichkeiten  der  dichtung,  die  bes.  dem  anfänger,  dem  M.  sonst  bereitwillig 
zu  hilfe  kommt,  seltsam  und  erklärungsbedürftig  genug  erscheinen  müssen.  AVer  hier 
sich  ausschliesslich  der  führung  dieses  commentars  überliesse,  dem  müsste  die  dichtung 
nach  ihrer  formalen  seite  ein  buch  mit  sieben  siegeln  bleiben;  wird  doch  z.  b.  nicht 
einmal  das  so  charakteristische  Stilmittel  der  Variation  auch  nur  einer  erwähnung 
gewürdigt. 

Dem  buche  war  der  fortschritt  hier  durch  ein  allzu  starres  festhalten  an  Mülien- 
hoffs  kritik  verschlossen.  Bei  ihr  ist  Martin  auch  in  der  einleitung,  die  die  geschichte 
der  dichtung  im  Zusammenhang  geben  will,  überall  stehen  geblieben,  unerschüttert 
von  allem,  was  seither  von  verschiedenen  Seiten  dagegen  eingewandt  ist.  Neue  gesichts- 
punkte  sind  von  Martin  zu  gunsten  Müllenhoffs  nicht  geltend  gemacht  und  ich  habe 
dem  was  ich  früher  gegen  diese  theorie  vorgebracht  habe  nichts  hinzuzufügen,  aller- 
dings auch  nichts  davon  zurückzunehmen.  Aussprechen  aber  muss  ich,  dass  diese 
vom  recensenten  wie  von  anderen  forschem  gemachten  einwände  in  Martins  darstellung 
keineswegs  nach  ihrem  gewicht  zur  geltung  kommen.  Ich  zweifle  nicht  im  ent- 
ferntesten daran,  dass  Martin  aus  voller  und  lauterer  Überzeugung  für  Müllenhoffs 
kritik  eintritt,  die  behauptung  aber  tut  ihm  nicht  unrecht,  dass  er  vor  manchen 
tatsachen  und  consequenzen  neuerer  Untersuchungen  schier  geflissentlich  die  augeu 
verschliesst.  So  kann  man  doch  nach  Kettners  ausführungen  wahrhaftig  nicht,  wie 
s.  XL  geschieht,  behaupten,  dass  wirkliche  nachahmung  des  Nibelungenliedes  nur  in 
den  Zusätzen,  nicht  aber  in  echten  str.  auftrete,  während  tatsächlich  „echte"  Strophen 
sich  finden,  in  denen  gleich  je  drei  langzeilen  aus  dem  Nib.  genommen  sind,  die  ent- 
lehnungen  dort  auch  ebenso  gruppenweise  beisammen  stehen  wie  in  den  sog.  Zusätzen 
(beispiele  s.  Hilde -Gud.  s.  143).  Wenn  M.  gegen  meine  vergleichung  der  Gud.  mit 
der  Klage  einwendet,  der  gemeinsame  gebrauch  mancher  formein  erkläre  sich  daraus. 


ÜBER  BENEDICT,   DIE  eUDRTTNSAGE  DJ  DEB  NEUEBEN   DEUTSCHEN   LIXTERATUR  247 

dass  diese  längst  in  der  epik  der  spielleute  ausgeprägt  waren,  so  unterschreibe  ich 
das  vollkommen.  Aber  das  hilft  nicht  über  die  (von  M.  freilich  nicht  registrierte) 
tatsache  hinaus,  dass  eine  grössere  individuelle  scene,  str.  921  fgg.,  der  Klage  wörtlich 
nachgeahmt  ist  und  zwar  in  ganz  der  nämlichen  weise  von  den  „  echten "  wie  „  un- 
echten" str.  dieses  abschnittes.  In  den  ausführungen  über  Nibelungenstrophen  und 
oäsurreim  hätte  man  eine  eingehendere  berücksichtigung  der  Untersuchungen  von 
Sijmons  erwarten  dürfen. 

Etwas  mehr  als  an  der  geschichte  des  epos  ist  an  den  ausführungen  über  die 
geschichte  der  sage  geändert.  Namentlich  findet  mau  jetzt  eine  genauere  Übersicht 
über  die  quellen;  auch  ist  Müllenhoffs  aufsatz  über  Freyja  und  den  halsbandmythus 
hineingearbeitet.  Für  die  Gudrunsage  ist  wie  schon  in  der  einleitung  zur  textausgabe 
herleitung  aus  der  Schwanrittersage  vorgeschlagen,  was  schwerlich  überzeugen  wird. 
Aus  der  einschlägigen  Untersuchung  des  referenten  sind  nur  einige  einzelheiten  an- 
gemerkt, mehrfach  so,  dass  ich  mich  nicht  damit  einverstanden  erklären  kann.  So 
muss,  was  s.  LIII  gesagt  wird,  falsche  Vorstellungen  erwecken  über  die  art  wie  ich 
Gudrun  mit  Herborg  in  beziehungen  gesetzt  habe;  auch  s.  LX  muss  ich  in  den  ver- 
dacht kommen,  dass  ich  mit  Martin  die  Südelilieder  für  „versprengte  reste  der  alten 
sage"  hielte,  während  ich  vielmehr  der  meinung  bin  (und  mich  deutlich  dahin  aus- 
gesprochen habe),  dass  gerade  umgekehrt  die  Gudrun  aus  diesen  liedern  geschöpft  hat. 

Zum  Schlüsse  noch  zwei  tatsächliche  berichtigungen  zu  kleinigkeiten  der  ein- 
leitung. Die  erste  nachricht  über  die  Gud.  (s.  VII)  hat  Alois  (nicht  Anton)  Primisser 
nicht  1817  in  der  "Wiener  gelehrten  zeitung  erscheinen  lassen  (die  es  überhaupt  nicht 
gibt),  sondern  im  Intelligenzblatt  zur  Wiener  allgem.  litteraturzeitung  nr.  18,  may  1816, 
sp.  13S— 142,  wider  abgedruckt  (mit  der  falschen  quelleaangabe  „Wiener  Allg.  Gel. 
Zeitung")  in  Büschings  Wöchentl.  nachr.  bd.  3  (1817),  174 — 181;  vgl.  schon  die  mit 
der  ersten  AViener  mitteiluug  gleichzeitige  notiz  Primissers  ebd.  bd.  1,  389  (25.  stück, 
vom  20.  brachmonat  1816).  —  Ferner  ist  s.  XII  zu  berichtigen,  dass  der  Gudruntext, 
auch  wie  Martin  ihn  herstellt,  nicht  98,  sondern  99  Nibelungenstr.  enthält;  die  auf- 
zählung  hat  822  übersehen. 

KREIBURCt    I.  Ii.  FRIEDRICH    PANZER. 


Dr.  Siegmund  Benedict,  Die  Gudrunsage  in  der  neueren  deutschen  litte- 
ratur.     Rostock,  in  commission  bei  H.  Warkentien  1902.     119  s.     2,50  m. 

Nachdem  eben  erst  B.  Krichenbauer  in  zwei  Amauer  program men  die  neueren 
(ludrunübcrsetzungen  zusammengestellt  und  charakterisiert  hat,  bringt  die  vorliegende 
dissertation  in  drei  abschnitten  eine  sorgfältige  beschreibung  und  kritik  aller  Über- 
setzungen, epischen  und  dramatischen  bearbeitungeu  des  alten  gedichtes.  Die  Charak- 
terisierung des  verf.  ist  anschaulich,  sein  urteil,  soweit  referent,  dem  die  wenigsten 
der  besprochenen  bearbeitungen  zugänglich  sind,  urteilen  kann,  im  einzelnen  zutreffend. 

Über  das  problem  als  ganzes  hätte  sich  wol  mehr  und  richtigeres  sagen  lassen, 
wenn  der  vorf.  es  von  der  höheren  warte  der  geschichte  und  des  inneren  wesens  der 
alten  dichtung  betrachtet  hätte.  Im  gründe  liegt  die  sache  wol  so.  Dass  ein  manu, 
der  philologische  kenntnisse  mit  dichterischer  fähigkeit  in  der  art  eines  Wilhelm  Hertz 
vorbände,  uns  eine  gute  Übersetzung  der  Gudrun  liefern  könnte,  ist  zweifellos.  Dass 
Wilhelm  Hertz  sie  so  wenig  wie  eine  Übersetzung  des  Nibelungenliedes  geliefert  hat, 
darf  mau  aber  gewiss  mehr  seiner  künstlerischen  einsieht  als  dem  zufalle  zuschreiben. 
Denn  es  ist  kaum  abzusehen,   wem  mit  solcher  Übersetzung  gedieni   sein  sollte.    Dem 


248  UHL 

forscher  sind  die  original''  zugänglich  und  allein  brauchbar;  dem  laien  aber,  der  nur 
ästhetischen  genuss  Bucht,  wird  auch  die  beste  übei  etzung  Die  ein  reines  behagen 
erwecken.    Es  liegt  das  augenscheinlich  daran,  das  in  diesen  epen  zwi  edene 

Stilrichtungen  sich  oft  unerfreulich  mischen,  worüber  an  anderem  Ölte  mehr  zu  sagen 
sein  wird.  liier  kann  nur  eine  bearbeitung  helfen,  die  aus  dorn  altea  epos  das,  was 
für  uns  moderne  allein  wirksam  ist,  geschickt  auswählt  und  zu  einem  neuen  ganzen 
verarbeitet.  Es  kann  das  ebcnsowol  in  epischer  als  dramatischer  form  geschehen. 
Wenn  in  ersterer  nichts  geleistet  ist,  so  liegt  das  zugegebenormassen  an  der  Unfähig- 
keit der  bearbeiter;  Baumbachs  Horand  und  Hilde  ragt  noch  wie  ein  türm  aus  den 
dichtorn  vierten  und  fünften  ranges  hervor,  die  sich  an  der  aufgäbe  versucht  haben. 
"Wenn  dagegen  noch  mehr  die  dramatischen  bearbeitungen  beinahe  alle  unter  der 
kritik  stehen,  so  möchte  der  verf.  den  grund  im  Stoffe  suchen,  der  undramatisch  Bein 
soll.  Mit  unrecht.  Der  Stoff  ist  dramatisch;  man  muss  nur  vor  allem  die  künst- 
lerische einsieht  besitzen,  die  den  bisherigen  bearbeiten!  mehr  oder  weniger  fehlt, 
um  zu  erkennen,  dass  nicht  Gudrun,  sondern  Hartmut  der  tragische  charakter  der 
erzählung  ist  und  somit  allein  held  eines  darauf  gebauten  dramas  sein  kann.  Der 
stoff  wird  hierzu  noch  eine  bedeutende  Umgestaltung  nötig  haben;  aber  die  ersten 
intentionen  sind  gerade  hier  sehr  schön  und  fein  schon  von  dem  alten  dichter  hinein 
gelegt,  es  gilt  nur  sie  consequent  und  tactvoll  auszubauen.  Lasst  nur  ein  taleni 
kommen,  dem  die  Zauberformel  gegeben  ist  und  der -reiche  schätz  herrlicher  poesie, 
der  hier  beisammen  liegt,  wird  rasch  aus  der  tiefe  emporsteigen  und  nichts  verloren 
haben  an  seinem  alten  glänz  und  werte.  Nur  so  viel  darf  man  vielleicht  einschränkend 
sagen,  dass,  wie  die  dinge  einmal  liegen,  hier  wie  bei  den  Nibelungen  die  oper  die 
angemessenere  dramatische  form  wäre.  Unsere  eigene  Vergangenheit  liegt  uns  in  so 
himmelweiter  ferne,  dass  die  gestalten  eines  derartigen  Vorwurfs,  seien  sie  auch 
künstlerisch  vollendet,  leicht  in  luftleeren  räum  zu  stehen  kämen.  Hier  mag  denn 
die  musik  eintreten  und  das  verbindende  milieu  erzeugen  oder  ersetzen,  das  wir  aus 
eigenem  nicht  hervorzubringen  vermögen. 

FREIBURO   I.  B.  FRIEDRICH   PANZER. 


Laurin  und  der  kleine  rosengarten.  Herausgegeben  von  Georg  Holz.  Halle, 
Niemeyer  1897.  XXXXVI,  213  s.  7  m. 
Textkritische  arbeiten  mit  grossem  apparat  sind  in  unserer  Wissenschaft  eine 
Seltenheit  geworden,  oder  eigentlich  immer  gewesen.  Die  musterleistungen  Lachmauus 
blieben  unerreichte  Vorbilder,  wenn  auch  die  schule  es  unternahm,  ähnliche  aufgaben 
genau  nach  der  art  des  meisters  zu  behandeln.  Selbst  Müllenhoffs  „  Heldenbuch " 
stand  bereits  nicht  mehr  auf  der  gleichen  höhe.  Daran  mochte  allerdings  die  so  ganz 
anders  gestaltete  Überlieferung  den  hauptteil  der  schuld  tragen.  Da  nun  im  letzten 
Jahrzehnt  zwei  werke  Lachmanns  einer  nachprüfung  unterzogen  sind  (der  Iwein  von 
Emil  Henrici,  der  Parzival  von  Ernst  Martin;  eine  revision  des  Nibelungentextes  bietet 
"Willi.  Braune),  so  erscheint  es  gewiss  berechtigt,  dasselbe  verfahren  auch  auf  Müllen- 
hoffs ausgaben  anzuwenden.  Dies  hat  jetzt,  zunächst  beim  Laurin,  Georg  Holz  ver- 
sucht, und  zwar  mit  gutem  erfolge.  Bekannt  ist  seine  wertvolle  Vorarbeit,  die  be- 
stimmt war,  den  fehlenden  6.  bd.  des  HB.  zu  ersetzen:  Die  gedichte  vom  rosengarten 
zu  Woims,  Halle  1893. 

Das  hier  zu  besprechende  buch  stellt  sich  also  die  aufgäbe,  den  Laurintext 
Müllenhoffs,   der   1866  im   1.  bd.  des  HB.   herauskam,  in  revidierter  fassung  vor- 


ÜBEK   LAUKIN    ED.  HOLZ  249 

zulegen  \  Aus  dem  kritischen  material  Franz  Roths,  das  die  Berliner  bibliothek  verwahrt, 
hat  Holz  nicht  minderen  gewinn  erzielt  als  damals  Müllenhoff.  Auf  s.  VII  konnte  wol 
nochmals  bemerkt  werden,  dass  für  den  archetypus  aller  hss.  bereits  von  Müllenhoff 
das  zeichen  A,  das  auch  Holz  gebraucht,  verwendet  wurde  (vgl.  s.  II).  Das  Ver- 
zeichnis der  hss.  und  drucke  ist  äusserst  sorgfältig  und  übersichtlich  gearbeitet;  auch 
in  der  litteratur  weiss  der  herausgeber  gut  bescheid.  Zu  s.  XXXI  möchte  ich  nur 
noch,  der  Vollständigkeit  wegen,  die  modernisierung  nachtragen,  die  Ignaz  V.  Zingerle 
auf  grund  von  Ettmüllers  ausgäbe  geliefert  hat:  König  Laurin  oder  der  rosengarten 
in  Tirol.  Innsbruck  1850.  16°.  (Mit  einleitung  und  anmerkuugen.)  —  Auf  s.  XI  u. 
heisst  es  wol  besser:  s  :  spirantischem  %  oder  s  :  spirans  §;  vgl.  s.  XXIX  u.  — 
s.  XLV  z.  7  v.  u.  ist  an  über  unscnön. 

Was  die  Constitution  des  textes  betrifft,  so  ist  Holz  in  mancher  beziehung  von 
Müllenhoff  abgewichen.  Bei  der  schlechten  Überlieferung  des  Laurin  liegen  zwei 
methodische  fehler  nahe:  übertriebene  strenge  oder  allzu  grosse  nachsieht  gegen  die 
willkür  der  Schreiber.  Müllenhoff  neigte  sich  dem  ersten  extreme  zu;  er  liebte  con- 
jeeturen  und  athetesen,  die  aber  bei  der  volksepik  oft  sehr  übel  angebracht  sind.  Holz 
hat  das  gegenteil  zu  vermeiden  gewusst;  seine,  wenn  auch  gewissenhaft  kritische,  so 
doch  etwas  freiere  behandlungsweise  des  textes  sagt  uns  mehr  zu  als  die  starre  akribie 
der  Lachmannschen  schule.  Aber  nicht  nur  die  methode  ist  bei  Holz  eine  ganz 
andere  als  bei  Müllenhoff,  sondern  es  besteht  zwischen  den  beiden  ausgaben  auch 
noch  ein  zweiter,  sehr  wesentlicher  unterschied.  "Während  nämlich  Müllenhoff  die 
Kopenhagener  hs.  (K)  seiner  bearbeitung  zu  gründe  legte,  bringt  jetzt  Holz  die 
Pommersfelder  papier-hs.  (p),  die  auch  den  grossen  rosengarten  enthält,  wider  zu 
ehren;  nach  dem  vorgange  von  A.  Edzardi,  Eosengarten  und  Nibelungensage,  Germ. 
26  [1881],  172  fgg.  Diese  hs.  erweist  sich  als  die  abschrift  eines  verlorenen  Originals, 
das  dem  archetypus  sehr  nahe  gestanden  hat.  Die  von  Müllenhoff  vorgenommene 
Scheidung  aller  hss.  in  zwei  klassen,  eine  bairisch- österreichische  und  eine  mittel- 
deutsche, hat  Holz  grundsätzlich  aeeeptiert;  nur  in  einigen,  allerdings  wichtigen 
punkten  ist  er  zu  einem  andern  resultate  gelangt.  So  construiert  er  z.  b.,  sehr  mit 
recht,  noch  zwei  zwischengruppen,  die  vom  archetypus  zu  jenen  beiden  klassen 
hinüberleiten  sollen  (x  und  B;  vgl.  s.  VIII,  woselbst  der  Stammbaum  der  hss.  gegeben 
wird.  Dass  x  hier  etwas  anderes  bedeutet  als  im  Varianten  Verzeichnis,  halte  ich  nicht 
für  glücklich).  Die  entstehung  der  mitteldeutschen  tradition  setzt  Holz  etwas  früher 
an  als  Müllenhoff  (ca.  1260  —  70;  vgl.  s.  Vj.  Aus  B  floss  daun  C  (um  1290.  rhein- 
fränkisch), und  aus  C  um  1300  D,  welche  bearbeitung  Holz  s.  96  fgg.  in  kritischer 
herstellung  mitteilt;  sie  fand  aufnähme  im  heldenbuche  und  ward  bekannt  durch  dessen 
drucke  (zuerst  um  1480;  o.  o.  und  j.). 

Auch  im  einzelnen  zeigt  die  kritische  herstellung  manche  abweichung  vom 
texte  Müllenhoffs.  Wesentlich  ist  z.  b.  die  änderung:  von  arte  ein  unser  wigant 
(statt:  von  Garte)  Laurin  A  44.  810.  1366.  1416;  vgl.  die  begrüudung  des  beraus- 
gebers,  s.  XXIII  und  183.  Dennoch  scheint  die  alte  lesart  den  vorzug  zu  verdienen. 
Sie  findet  genaue  parallelem  in  solchen  stellen  wie  z.  b.  Laurin  A  75:  von  Berne  her 
Dietrich;  92.580:  von  Herne  ein  vürstc  lobelich;  421:  von  Stire  her  Dietleip;  517: 
von  Berne  der  kiimc  man;  545:  von  Berne  der  ril  /verde;  572:  von  St  irr  ein  rittcr 

1)  Die  sog.  Schulausgabe  des  Müllenhoffschen  Laurintextes,  die  den  apparat 
und  dio  aumcrkuugen  weglässt,  erschien  zuerst  Berlin  1874;  '-'1886.  Holz  erwähnt 
sie  gleich  auf  p.  [I],  was  der  auonymo  rocousent  des  Lit.  cbl.  (189S,  3(iS)  übersehen 
zu  haben  scheint. 


250  ui; 

imverxeü.     Es  ist  der  bekannte  epische,   all  be  typus:   be    nennung  eine« 

recken  wird  seine  beimal  oder  berkunfl  angeführt;  vgl.  auch  Ü97fg.: 

/)/)   sj, rur.lt    Wirlmuh         mi 

r/n  rittet  biderbe  imde  vru/m. 
Zwar  werden,  wie  in  dieser  stelle,  auch  die  tugenden  der  beiden  .  aber 

sie  kommen  doch  ersi  in  zweiter  Linie.    Wa    Bolz  »,  183  ausfährt,  scheint  mir  nicht 

svungen  zu  sein.     Der  Ortsname  Öwrte  war  gewiss  nicht,  allgemein  W'-k.t/i r  - 
kam  das  missverständnis  leicht   zu  stände.     Lehrreich   für  die  entstehungsgeschi 
dieser  confusion  sind  vermutlich  die  verse    \  532:  gai  ei/n  wtser  wtgemt  and  L398: 
iniiiir  gurte  in  der  imgcmt,  sowie  besonders  118  fg.: 

daz,  mac  wol  der  garte  sin, 

davon  ims  Hildebra/nt  hat  //< 
(Vgl.  auch  26G:  harte  wol).  Der  Nürnberger  druck  von  Friedrich  Gutknecht  (o.  j.. 
ca.  1550;  ed.  0.  Schade,  Leipzig  1854)  hat  die  alte  lesart  aufgenommen:  Von  OarU 
280;  von  Garten  846.  1192.  —  Laurin  A  60  scheint  sorgen  den  vorzug  zu  verdienen 
vor  eren;  trotz  eren-vri,  das  Lexer  aus  MtSH  1,  73 *  anführt.  Der  dichter  gebraucht 
hier  offenbar  einen  humorvollen  euphemismus  für  sterben,  von  welchem  ein< 
kanntere  fassung  in  der  nhd.  redensart:  „dem  tut  kein  xahn  mehr  wek/"  vorliegt.  — 
S.  XXXIII  fg.  spricht  Holz  von  Ettmülkrs  „verszerdelmender  manier".  Dagegen  Lässi 
sich  höchstens  einwenden,  dass  der  begriff  unserer •  Wissenschaft  damals  ein  ganz 
anderer  war  als  heute.  Ich  erinnere  nur  an  das  ähnliche  verfahren,  das  noch  Joseph 
Diemer,  mehr  denn  20  jähre  später,  bei  den  gedichten  des  11.  und  12.  jhs.  an- 
wendete (Wiener  S.  B.  1851 — 67).  Ludwig  Ettmüller  hat  trotz  alledem  seine  grossen 
Verdienste,  auch  um  den  Laurin.  Müllenhoffs  metrik  war  durch  das  ziemlich  streng 
beobachtete  prineip  der  vierhebigkeit  wol  etwas  benachteiligt.  Holz  hat  sich  auch  hierin 
grössere  freiheit  bewahrt:  Laurin  A  844  ist  ein  fünfheber,  180  ein  sechsheber  stehen 
geblieben.  An  beiden  stellen  sind  Müllenhoffs  kürzungen ,  wenn  sie  auch  sehr  einfach 
und  plausibel  erscheinen,  principiell  dennoch  zu  verwerfen.  Der  spielmann  denkt  und 
fühlt  ganz  anders  als  der  gebildetere  ritterliche  dichter;  er  individualisiert  und  ver- 
anschaulicht mehr  als  dieser.  Dabei  ist  ihm  die  zahl  der  hebungen  nebensache.  — 
Der  Verfasser  des  Laurin  A  macht  928  einen  versuch,  den  alten  Hildebrand  als  weisen 
ratgeber  zu  charakterisieren,  indem  er  ihm  ein  Sprichwort  in  den  mund  legt:  ,guoten 
tae  man  %e  dbende  loben  sol'  =  Laurin  D  1506);  vgl.  Wander  I,  6,  9;  7,  15.  25.  36; 
IV,  1008,375;  1009,401.  Auch  im  Laurin  D  scheint  an  einer  stelle  eine  sprich- 
wörtliche redensart  vorzuliegen  (2756  —  58;  es  redet  Biterolf): 

,swer  im  selber  schaden  birt 

und  sim  rehte  unreht  ttiot, 

des  ende  teirt  selten  gnot'. 
(Vgl.  dazu  die  im  Lit.  cbl.  1898,  369  gegebenen  parallelen;  daselbst  auch  die  überzeugende 
änderung  sim  2757  [statt  xem].  für  welche  eine  hs. liehe  gewähr  vorhanden  ist.)  Mit 
solchen  und  ähnlichen  Stilbeobachtungen ,  die  vielleicht  zur  Würdigung  der  spielmanns  - 
epik  etwas  beitragen  könnten,  hat  sich  Holz  nicht  abgegeben;  wie  denn  überhaupt 
ein  commeutar  gänzlich  fehlt.  Die  „  anmerkungen u  (s.  183  fgg.)  beziehen  sich  aus- 
schliesslich auf  den  kritischen  apparat.  (Dies  wurde  bereits  von  anderer  seite  con- 
statiert:  Lit.  cbl.  1898,  369.)  Hier  erweist  sich  Müllenhoffs  ausgäbe  wider  als  unent- 
behrlich. —  Zu  Laurin  K  I,  1777:  Ains  morgens,  was  ein  suntac.  Das  an  dieser 
stelle  auch  von  Müllenhoff  1810  zwischen  morgens  und  was  gesetzte  komma  pflegt 
mau  doch    sonst   bei  dem   bekannten    änö  y.oivoi)  wegzulassen.     Im  Eosengarten 


ÜBER    LAURIN    ED.   HOLZ  251 

A  60,4  hat  Holz  in  einem  ähnlichen  falle  dieses  koninia  nicht  gesetzt:  und  namen 
xe  den  armen  ir  schilte  wären  breit.  —  Zu  Laurin  D  1091.  Hiltegrin  ist  kaum 
eigenname  (trotz  Krimhilt.');  das  wort  bedeutet  wol  nur:  ..  kämpf  niaske"  und  muss 
daher  im  text  hiltegrin  geschrieben  werden.  Man  sehe  die  von  TV.  Grimm  in  der 
DHS.  gesammelten  belegstellen ;  hauptsächlich  s.  270  das  citat  aus  ,Ecken  ausfahrt', 
woselbst  der  ausdruck  einmal  mit  dem  unbestimmten  artikel  verbunden  erscheint 
(ein  hütegrvn).  Vgl.  a.  a.  o.  269:  „mithin  eine  allgemeine  poetische  be- 
nennung"  CSV.  Grimm i.  —  Die  verse  Laurin  A  259  —  262  möchte  ich  in  eckige 
klammern  einschliessen ;  sie  sind  vielleicht  ein  späterer  zusatz  (vgl.  277  fg.).  Der  in- 
halt  dieser  vier  zeilen  bringt  nichts  neues,  nur  eine  widerholung;  ausserdem  ist  das 
Schimpfwort  esel  259  wol  nur  eine  spielmannsmässige  vergröberung  der  tören  251 
(vgl.  Laurin  D  525  —  28;  auch  ir  siidel  und  ir  aff'eu  ib.  509  ist  übertrieben). —  Auf- 
fällig erscheint  es,  dass  im  Laurin  A  nach  Übereinstimmung  aller  hss.  die  rede  ist 
vom  „pfänden"  des  rechten  fusses  und  der  linken  hand  (264.  378).  Umgekehrt 
liegt  der  fall  im  Laurin  D  (530:  rechte  haut  d;  546.  590.  698.  714:  den  linken 
vuoz,  die  rehten  hant).  Diese  an  zweiter  stelle  von  lins  genannte  Verbindung  ist 
offenbar  eine  rechtsf ormel,  die  nach  Laurin  D  nun  auch  ins  Heldenbuch  und  in 
die  jüngeren  bearbeitungen  überging;  sie  scheint  den  vorzug  zu  verdienen  vor  der 
ersten  fassung.  Die  fränkischen  capitularien  des  ausgehenden  achten  und  beginnen- 
den neunten  Jahrhunderts  „greifen  zuweilen  ins  strafrecht  ein"  (Waitz,  Deutsche 
verf.  gesch.  IIP,  1883,  613).  Zweimal  wird  für  meineid  das  abhauen  der  hand  an- 
gedroht (nr.  20  und  30  bei  Boretius  M.  G.,  Leges  II,  I),  und  an  der  ersten  dieser 
beiden  stellen,  in  einem  Capitidare  missorum  generale  v.  j.  802,  heisst  es  ausdrück- 
lich (a.  a.  o.  s.  98,  36):  ,Si  quis  autem  post  hoc  in  periurio  probatus  fuerit.  manum 
dextera  [!]  se  perdere  sciat'.  War  diese  strafe  im  altgermanischen  rechte  vielleicht 
auch  für  tempelschändung  (sacrüegium)  oder  für  haus-  resp.  landf  riedens- 
bruch  vorgesehen?  Ein  beleg  hierfür  ist  mir  nicht  bekannt,  doch  würde  die  an- 
nähme einer  solchen  sitte  recht  wol  zur  idee  des  Laurin  passen.  Der  held  ist  ein 
könig  (A  64)  und  besitzt  auf  seinem  gebiete  die  territorialhoheit.  Das  vernichten 
der  guldinen  borten  (A  138)  seitens  der  abenteuernden  fürsten  ist  eine  grenzveiietzung, 
ein  ansagen  der  fehde.  (Über  die  diabetische  Verwechselung  von  borten  und  portt  n 
s.  Holz  s.  VI.)  Der  landfriede  wurde  beschworen  (v.  Schulte,  Lehrb.  d.  d.  reiehs- 
und  rechtsgesch.3,  1873,  221  fg.,  m.  litt.);  der  brach  des  landfriedens  war  also  zu- 
gleich ein  eid brach.  So  kam  es  vielleicht,  dass  auf  beiden  vergehen  die  gleiche  busse 
stand  (vgl.  im  allgemeinen  noch  Eich.  Schröder,  Lehrb.  d.  d.  rechtsgesch.'-  [1894], 
346.  722.  732 11.) 

Lachmann  und  Müllenhoff  setzten  die  entstehuug  des  zweifellos  tirolischen 
Laurin  um  1200  an  (DHE.  I,  XL1II;  vgl.  Holz  XI);  eine  datieruug,  der  sich  der 
neue  herausgeber  zunächst  anzuschliessen  scheint.  Später  jedoch  (s.  XXXV  fg. |  mach! 
Holz  das  gedieht  um  50  jähre  jünger.  Laurin  A  kann  vor  L250  nicht  entStauden 
sein,  denn  es  ist  keim'  Überarbeitung,  sondern  nffenliar  ein  erster  entwurf.  Zwei  ver- 
schiedene stoffe  sind  ungeschickt  combiniert:  die  roseugarten-sage  und  eine  erzählung 
vom  zwergkönig,  der  madchen  raubt  (hier  speziell  Dietleibs  Schwester).  Diese  letzte 
fabel  ist  die  ältere;  sie  tritt  selbständig  im  .Goldemar'  auf  (s  XXXVI).  BIuss  sie 
deshalb  wirklich  mit  notwendigkeit  die  ältere  seini  ! 

Ich  will  dem  verdienten  herausgeber  nicht  widersprechen;  er  hat  sich  offenbar 
gut  in  die  materie  luneingelescn,  and  im  Laurin  sind  ja  die  mite  noch  deutlich  er- 
kennbar.    Aber  ich  möchte  die  frage  anregen,   ob  oiohl   vielleicht  jene  beiden  tnotive 


252  uhl 

dennoch  miteinander  verwandt  sein  könnten.  Allerdings  mbssten  wir,  um  dieses  zu 
erkennen,  etwas  tiefer  eindringen,  als  gewöhnlich  zu  geschehen  pflegt.  Schon  Richard 
Eeinzel  erkannte  ganz  richtig,  dasa  „unsere  gedichte  vom  Rosengarten  l >« - i  Worms 
nur  wenig  mythisches  mehr  zeigen"  (Über  die  Nibelungensage,  Wienei  8.  B.  '.'IX, 
1885,  679),  aber  trotzdem  hat  auch  er  wider  den  ganzen  mythologischen  apparat  in 
bewegung  gesetzt  (a.  a.  o.).  Der  Rosengarten  ist  immer  noch  nicht  erklärt.  •■, 
durch  das  Bertangaland  der  Thidhreksaga,  noch  durch  die  Wangionen  d<s  Rheingaues, 
noch  endlich  auch  durch  don  kirchlichen  begriff  des  paradieses.  Laurin  A  240  be- 
weist, dass  der  dichter  den  rosengarten  und  das  paradies  als  zwei  ganz  verschiedene 
dingo  ansah  (vgl.  A  920)!  Auch  in  einem  volksliede:  „Maria  im  rosengarten"  (bei 
Hauff en,  Sprachinsel  Gottschee,  s.  193fgg.)  sind  rosengarten  und  paradies  ausdrück- 
lich voneinander  getrennt.  Viel  einleuchtender  ist  die  schlichte  erklärung,  die  Wilh. 
Grimm  abgab,  Der  rosengarte,  183(5,  LXXV:  „ein  bloss  der  lust  fLXXVIj  und  sorg- 
losen glückseligkeit  gewidmeter  aufenthalt."  Die  rosen  versucht  L.  Laistner,  Germ. 
26,  70  fgg.  volksetymologisch  zu  deuten  (z.  I».  durch  got.  rohsni  aüX-tf).  Wenn  hier 
auch  keine  gewissheit  erzielt  wurde,  so  sind  derartige  sprachgeschichtliche  ent- 
wickelungen  den  rein  mythologischen  doch  immer  vorzuziehen.  Manchmal  ergeben 
sich  überraschende  resultate;  man  denke  au  die  einfache  erklärung  des  „mäuseturms" 
(=muos-turm);  vgl.  auch  Felix  Liebrecht,  Zs.  f .  d.  myth.  2  (1855),  405fgg.  Merk- 
würdig bleibt  die  ahd.  form  rösgarto  auf  jeden  fall.  Ortsnamen  wie  Rossleben  sind 
zu  vergleichen.  —  Die  erwägung,  dass  oft  der  friedhof  als  ein  rosengarten  gedacht 
wird,  wo  Christus  oder  Maria  herrscht,  (Hocker,  Stammsagen  der  Hohenzollern,  1857.  34) 
führt  uns  dagegen  nicht  weiter.  Dieser  aufenthaltsort  der  abgeschiedenen  seelen,  der 
durch  einen  seidenfaden  die  unverletzlichkeit  der  gräber  andeutet,  ist  eine  junge  christ- 
liche Vorstellung,  die  sich  vielleicht  mit  heidnischen  dementen  gemischt  hat.  Von 
dieser  Vorstellung  findet  sich  nichts  mehr  im  späteren  Sprachgebrauch,  der  unzweifel- 
haft "W.  Grimms  deutung  bestätigt;  vgl.  namentlich  die  redensart:  „im  rosengarten 
sitzen".  (Hierher  wol  der  Ortsname:  Rosario  da  santa  Fe,  oder  ist  die  stadt  nach 
der  rosenzucht  so  benannt?)  Ferner:  Eosengarten  als  buchtitel  ist  ein  anpreisendes 
epitheton,  das  häufig  variiert  wird  (z.  b.:  Eucharius  Röslin,  Der  Schivangeren  fraiven 
vnd  Hebammen  Rosegarten.  Strassburg,  Martinus  Flach  junior,  1512  u.  ö.  4°.)  Diese 
bezeichnung  entspringt  einer  altpersischen  sitte  (vgl.  z.  b. :  Rosarium,  d.i.  rosen- 
garten .  .  .  durch  Bernhardum  Xicanim  Aneumanum,  Emden  1641;  Persianischer 
Rosenthal,  deutsch  nach  Saadi,  von  Adam  Olearius,  Schleswig  1654,  und  ähnl.). 
JJ{(Q{<&fiaog  m.  stammt  aus  dem  persischen  und  bezeichnet  urspr.  einen  tiergarten, 
einen  park.  Die  sitte,  einen  tiergarten  zu  halten,  entsprang  dem  praktischen  be- 
dürfnis  der  Sicherung.  Im  burggraben  sind  wilde  tiere  zu  finden  (heute  gibt  es 
noch  bärenzwinger,  z.  b.  in  Bern);  ein  letzter  rest  ist  unser  hofbund  an  der  kette. 
Erst  später  wird  die  menagerie  ein  luxusgegenstand.  Ganz  ähnlich  ist  der  rosengarten 
aus  der  hecke  hervorgegangen,  die  als  schütz  gegen  Überfälle  diente.  Der 
„verhau"  ist  aus  der  fortifikationslehre  wol  bekannt;  M.  Heyne  citiert  Moltke ,  Schriften 
und  denkwürdigkeiten  3,  396.  Künstliche  stachelzäune  werden  bei  festungsbauten 
immer  noch  verwendet.  Besonders  geeignet  für  die  anläge  solcher  verteidigungshecken 
war  der  wilde  rosendorn  (rosa  canina).  Ich  muss  es  den  botanikern  überlassen,  zu 
untersuchen,  ob  diese  strauebart  etwa  speciell  zur  tirolischen  flora  gehört;  viel- 
leicht stammt  sie,  wie  das  wort  naouduaog,  aus  dem  Orient  (DWb.  8,  1163  wird 
nach  Fick4  1,  556  auf  das  iran.  ßoodov  und  das  arm.  vard  hingewiesen.)  Dass  der 
rosendorn  blüht,  ist  nebensächlich  für  die  befestigungskunst,  aber  nicht  für 


ÜBER    LACRIN    F.D.  HOLZ  253 

die  phantasie  des  volkes!  Die  heckensiedelung  der  urzeit  lebt  als  verwunschenes 
schloss  in  märchen  und  sage.  Der  tierzwinger  ist  ein  litteraturmotiv  geworden 
(z.  b.  in  Schillers  „Handschuh"  verwertet),  ebenso  die  dornhecke  (vgl.,  um  nur 
einiges  zu  nennen:  GA.  L1II;  Uhlands  ballade  Der  rosengarten;  Kotzebue,  Die 
rosen  des  herrn  von  Malesherbes  [1813]:  0.  J.  Bierbaum,  Sehnsüchtige  melodie 
[Modern,  mus.-alman.  a.  d.  j.  1894,  76]: 

„ Roseninsel,  schwanunischwommen, 

Roseninsel  im  grünen  meere, 

Roseninsel,  düfteschwere.  — 
Sonnenheisse, 
Felsenweisse, 

Heckenheimliche  roseninsel." 
(In  dieser  letzten   dichtung  ist  die  idee  von    der  glückseligen   insel   Thule  mit   der 
Vorstellung  einer  hecke  vereinigt.)     Bei  afrikanischen   stammen  vertritt  der  kaktus 
den  dorn. 

Wenn  der  feind  endlich  die  siedelung  berennt,  so  wird  im  zwinger  wie  in 
der  dornhecke  gekämpft;  daher  die  spätere  identität  von  turnierplatz  und  rosen- 
garten. Zu  friedenszeiten  übt  man  bereits  das  waffenspiel  im  burghof  oder  im  burg- 
graben. Auch  die  Artushöfe  sind  hier  heranzuziehen;  vgl.  die  von  S.  Singer,  Anz. 
1898,  553  fg.  citierte  Schrift  von  E.  Jacob,  Rosengarten  im  deutschen  lied  etc.  s.  G2. 
So  wird  der  rosengarten  ein  „gemeingut  der  niederen  mythologie"  (Holz, 
D.  ged.  v.  rosengarten  zu  "Worms,  C;  Jiriczek,  Deutsche  heldensagen,  1898,  254). 

Zu  welchem  zwecke  berennt  nun  der  feind  die  siedelung?  Um  diese  frage 
zu  beantworten,  müssen  wir  uns  bei  den  anthropologen  rates  erholen.  Die  ethno- 
logie  rechnet  mit  einer  zeitperiode,  in  der  die  raubehe  oder  die  exogamie  noch 
nicht  ersetzt  war  durch  die  kauf  ehe  (vgl.  Richard  Schröder  a.  a.  o.  67;  68 GS; 
277).  Der  kämpf,  den  die  angehörigen  der  braut  oder  diese  selbst  mit  dem  entführei 
einst  zu  bestehen  hatte,  ist  aber  noch  deutlich  erkennbar  an  den  rudimentären  spuren, 
die  er  in  gestalt  der  hochzeitsbräuche  zurückgelassen  hat.  (Vgl.  z.  b.  Kulischer, 
Intercommunale  ehe  durch  raub  und  kauf,  Zs.  f.  ethnol.  10  [1878]  193  —  226  und  bes. 
Westermarck,  Gesch.  d.  menschl.  ehe,  deutsche  ausgäbe  [1893],  woselbst  reiche 
litteratur.)  Uns  interessieren  hier  besonders  die  deutschen  märchen,  in  deneu  ein 
armer  freiersmann  ein  oder  drei  probestücke  oder  kraftleistungen  ablegt  und  so  die 
prinzessiu  (königstochter)  heimführt.  (Auch  Günthers  kämpf  mit  Brünhilde  ist  ein 
ähnliches  motiv.)  In  den  „Kinder-  und  hausmärchen "  der  brüder  Grimm  erscheint 
nun  unter  200  nummern  dieses  thema  nicht  weniger  als  50  bis  60  mal  variiert;  mau 
darf  mithin  vielleicht  behaupten,  dass  ungefähr  ein  vierteil  aller  deutscheu  märchen 
auf  diese  idee  zurückgeht.  Jene  probeleistungen  (z.  b.  wettkampf,  bogenschiessen, 
ringen;  auch  die  rätsei  der  Turandot  und  vieles  andere  gehört  hierher)  erklärt  Bastian, 
Allgem.  grundzüge  der  ethnologie,  1884,  44  als  „gemilderten  raptus*.  Die  art, 
wie  die  braut  erworben  wird,  ändert  sich;  die  raubehe  geht  langsam  in  die  kaufehe 
über.  (Vgl.  noch  über  diese  erscheinung:  F.  Bernhöft,  Frauenleben  der  vorzeit, 
Wismar  1873).  Im  Indischen  war1  noch  zu  historischer  zeit  die  achte.  Dämlich  die 
räkshasa-iorm  der  ehe  (d.  i.  der  raptus)  gesetzlich  vorgeschrieben  für  die  krieger- 
kaste  (gütige  mitteilung  des  herrn  privatdozenten  dr.  Julius  von  Negelein).  Hier 
hat  sich  also  noch  mehr  erhalten  als  nur  verblasste  erinnerungen  wie  bei  uns.  und  die 
sanskrit- litteratur  operiert  häufig  mit  der  tatsache  dieser  bestehenden  einrichtung  der 
nominell  gewaltsamen   ehe. 


254  DHL    DBEB    i  M  i.-l-.    i  D.  HOLZ 

Die  rose  de  ro  engartena  muss  frühzeitig,  gleich  den  tieren  d<\s  tiergartens, 
als  totem  von  einzelnen  geschleohtern  verehr!  worden  Bein,  uns  deren  zahl  Bioh 
später  der  hohe  adel  rekrutierte.  Ulan  denke  an  das  mächtige  dynastengesohlecht  der 
böhmischen  herren  von  Rosenberg,  an  den  kämpf  der  weissen  mit  dei  roten  rose  usw. 
Deshalb  tritt  dii'so  blumo  häufig  in  der  heraldih  auf,  /..  b.  als  Stadtwappen;  vgL 
i '.  V.  Meyer,  Die  msü  vmi  NVwport.    In  diesei  Bchönen  bailade  e  zugleich 

Bymbol  der  Jungfräulichkeit,  wofür  noch  viele  andere  belege  beizubringen  wi 
vgl.  z.  b.  Böckel,   Deutsche  Volkslieder  aus  Oberhessen,    1885,  XIX.    Auch  diese« 
symhol   ist   ans   dem    ins1.it u(    der   raubehe    zu   erklären.      „In  den  l  )i<-n- 

bedeutet  so  viel  wie  „blumen  brechen";  vgl,  Dhland,  Volksl.'-'  80  (52,  L): 

jjunkfreidin ,  sol  ich  mit  euch  gwn 
in  euren  rosengarten? 
und  da  die  roten  röslrin  stein, 
die  feinen  und  die  xa/rten' '. 

Das  DAVb.,  das  8,  1197  diese  stelle  citiert,  erklärt  die  zweite  zeile:  „im  eigent- 
lichen sinne",  womit  allerdings  das  richtige  getroffen  ist,  aber  vielleicht  unbewu.sst. 
Der  feind  erstürmt  auf  einem  beutezuge  die  heckenfestung  und  erbeutet  die  Jungfrau 
nach  heftiger  gegenwehr.  Das  „Dornröschen"  (brüd'ei  Grimm,  nr.  50,  mit  anmerk.) 
ist.  das  bekannteste  beispiel  aus  dieser  uralten  sagengattung.  Friedrich  Vogt  hat  es 
mit  wenig  glück  naturmythologisch  zu  deuten  versucht  (D.1- Thalia.  Festschr.  für 
Weinhold.  Germanist,  abhandlungen ,  XII,  1896,  195  fgg.)  Auf  die  Verschiedenheit 
der  mannigfachen  zu  erfüllenden  probeleistungen  können  wir  uns  hier  nicht  ein- 
lassen; das  wird  hoffentlich  bald  an  einem  andern  orte  geschehen.  Nur  den  unter- 
schied, der  gewöhnlich  zwischen  der  socialen  Stellung  des  freiers  und  der  braut 
besteht,  wollen  wir  noch  kurz  hervorheben,  da  er  zur  erklärung  der  Laurin-figur 
nicht  unwesentlich  zu  sein  scheint.  Der  schwache  sucht  den  mächtigen  zu  überwinden, 
der  kleine  den  grossen.  Da  es  mit  der  körperkraft  nicht  gelingt,  so  bedient  sich  der 
von  der  natur  oder  durch  glücksgüter  minder  bevorzugte  der  list.  Eine  lange  reihe 
von  kämpferpaaren  marschiert  hier  vor  uns  auf,  von  Goliath  und  David,  von  Salomon 
und  Markolf  bis  zu  dem  riesen  Schlagadodro  und  seinem  zierlichen  gegner  in  Immer- 
mann's  „Tulifäntchen".  Dasselbe  Verhältnis  besteht  zwischen  dem  werbenden  und 
der  umworbenen  in  den  sagen,  die  auf  die  raubehe  zurückzuführen  sind.  Ver- 
blasste  erinnerungen  an  kämpfe,  die  von  stammen  kleineren  körperschlages  gegen 
solche  von  grösserem  einst  zur  urzeit  in  Europa  geführt  wurden  (die  anthropologie 
spricht  wie  die  sage  von  zwerg-  und  riesenvölkern) ,  mögen  in  zwei  typen  fixiert 
worden  sein.  Man  denke  an  den  mythischen  streit  der  Lapithen  mit  dem  thessalischeu 
reitervolko  der  Kentauren,  der  auf  einer  hoch  zeit  anliub;  man  denke  an  den  raub 
der  Sabinerinuen.  Hier  beim  „sabinischen  raptus"  (Bastian)  fehlen  jene  beiden  typen, 
aber  die  kentauromachie  kennt  sie  (Peirithoos,  der  bräutigam  der  Hippodameia 
und  Eurytion,  der  Kentaur,  der  die  braut  rauben  will.)  Ähnlich  denke  ich  mir  die 
deutschen  märchen  vom  „Daumesdick"  entstanden  (Kinder-  und  hausin.  nr.  37), 
ferner  vom  „tapferen"  (nr.  20)  und  vom  „klugen  schneiderlein"  (nr.  114). 
Vgl.  auch  noch  „Daumerlings  Wanderschaft"  (nr.  45)  und  „Der  meisterdieb" 
(nr.  192),  in  welchen  beiden  stücken  allerdings  das  motiv  der  raubehe  nicht  mehr 
deutlich  oder  gar  nicht  mehr  durchschimmert.  —  Die  elben  der  mythologie  sind 
ebenfalls  ethnologisch  zu  deuten.  —  Alles  dieses  führt  uns  auf  die  frage  nach  den 


SCHONE   fBER   C0N8ENTTDS,    LESSIW  200 

Uranfängen  der  germanischen  eristik;  ein  bisher  noch  wenig  bearbeitetes  gebiet,  das 
reichen  ertrag  verspricht.  (Mein  anthropologischer  gewährsmann  war  herr  privat- 
docent  dr.  Max  Luhe.) 

KÖNIGSBERG    I.  PK.  WILHELM    UHL. 

Lessing  und  die  Vossische  zeitung.  Von  Ernst  Consentius.  Leipzig,  Eduard 
Avenarius  1902.    VI,  110  s.     3  m. 

Für  die  Jugendperiode  von  Lessings  litterarischer  tätigkeit,  von  1747  bis  un- 
gefähr 1755,  sind  allmählich  zahlreiche  anonyme  beitrage,  meist  recensioneu  und 
anzeigen,  in  den  Zeitungen  und  Zeitschriften  jener  zeit  gesammelt  worden,  bezüglich 
deren  aber  die  forschung  zu  einem  sicheren  resultate  noch  nicht  hat  gelangen  hönnen, 
insofern  als  für  die  mehrzahl  von  ihnen  Lessings  Verfasserschaft  bald  zuversichtlich 
angenommen,  bald  vorsichtig  bestritten  oder  doch  zum  mindesten  bezweifelt  worden 
ist.  Daraus  erklärt  es  sich  auch,  dass,  je  nach  dem  Standpunkte,  den  die  heraus- 
geber  gegenüber  diesen  fragen  im  ganzen  und  im  einzelnen  einnehmen,  die  ausgaben 
von  Lachmann,  Maltzahn,  Redlich  und  Muncker  hinsichtlich  der  Jugendarbeiten  von 
Lessing  sehr  erheblich  in  ihrem  bestände  von  einander  abweichen. 

In  Wahrheit  ist  es  keine  leichte  aufgäbe,  die  hier  vorliegende  frage  nach  Lessings 
Verfasserschaft  mit  hinreichender  Sicherheit  zu  lösen.  Zwar  kommen  gelegentlich 
(vgl.  beispielsweise  Lachmann  5,  s.  75  und  77,  und  Redlich  12,  s.  424)  directe  und 
indirecte  Zeugnisse  zu  hilfe,  aber  wirklich  entscheidende  kriterien  fehlen  zumeist,  und 
so  ist  die  Untersuchung  auf  die  diskussion  von  Wahrscheinlichkeitsgründen  angewiesen, 
deren  beweiskraft  von  den  herausgebern  und  litterarhistorikern  je  nach  ihrem  philo- 
logischen temperament  verschieden  eingeschätzt  zu  werden  pflegt. 

Die  oben  genannte  schritt  von  E.  Consentius  ist  als  ein  mit  musterhafter  vor- 
sieht und  trefflicher  beherrschung  des  Stoffes  geschriebener  beitrag  zur  lösung  der 
frage  willkommen  zu  heissen,  ob  eine  anzahl  von  grossenteils  in  der  Vossischen 
zeitung  erschienenen  recensionen  mit  recht  Lessing  zuzuschreiben  sind,  wie  dies  von 
Franz  Muncker  in  band  4  und  5  seiner  ausgäbe  (1889  und  1890)  geschehen  ist.  Un- 
gefähr 40  solcher  kleinen  aufsätze  werden  darauf  hin  untersucht,  und  es  ergibt  sich 
als  resultat,  dass  für  sie  Lessings  autorschaft  teils  als  unwahrscheinlich,  teils  sogar 
als  unmöglich  zu  erachten  ist.  Schon  diese  negativen  ergebnisse  haben  ihren  wert, 
sie  beruhen  aber  auch  auf  sehr  positiven  tatsachen  und  auf  neuen  gesichtspuukten, 
welche  von  bleibender  bedeutung  und  geeignet  sind,  unsre  erkenntuis  von  Lessings 
eutwickelungsgang  und  der  in  jenen  jähren  aufkeimenden  deutschen  litteratur  wesent- 
lich zu  fördern. 

Lachmann  hat  (bd.  3,  s.  375  anm.)  den  grundsatz  aufgestellt,  dass,  wo  es  gilt. 
Lessing  als  den  Verfasser  eines  anonymen  Schriftwerkes  zu  er- eisen,  man  •nur  ab- 
lehrten,  nicht  aber  bloss  auf  gefühl  beruhenden  gründen  nachgeben  dürfe",  und  hat 
es  gelegentlich  (bd.  5,  s.  78  anm.  a.  e.)  als  'verwegen'  bezeichnet,  zwei  dergleichen 
stücke  für  echt  zu  erklären  'bei  denen  man  wol  an  Lessing  denken  könnte'.  So 
richtig  dies  an  sich  ist,  so  wenig  wird  man  verkennen  können,  dass  bei  problemen 
dieser  art  ein  gewisses  recht  auch  anderen  gründen  wird  eingeräumt  werden  müssen, 
als  bloss  'gelehrten',  worunter  doch  wol  bestimmte,  von  gefühl  und  deutung  unab- 
hängige und  selbständige  Zeugnisse  zu  verstehen  sein  werden,  und  dass  es  gegebenen 
falles  erlaubt  sein  kann,  ein  anonymes  stink  recht  gut  als  echt  Lessingiseli  anzu- 
sprechen, weil  sein  'stil  oder  inhalt  geradezu  auf  Lessing  zu  deuten  scheint'  (Muncker, 
bd.  4,  vorrede  s.  VT1).    Dass  freilich  Muncker.  wie  auch  vor  ihm  insbesondre  Redlich, 


256  sen- 

il) letzteren  gesichtspunkte  allzu  vertrauensvoll  gefolgt  ist.  sucht Consentius nach- 
zuweisen,  indem  er  darlegt,  dass  man  vielfach   zn  unrechl  aus  dem  Btoff  und  inbalt 
oines   recensierten   buches  Bowie  auofa  aus  etwaigen   persönlichen  beziehnng 
Verfassers  zu  Leasing  geglaubt  hat,  aufdiesen  als  den  recensenten  sohlii  ollen, 

während  auf  grund  derselben  anzeiohen  man  mit  weit  grösserer  wahrscheinlichkeil 
vielmehr  auf  andere  gleieh zeitige  autoren.  wie  /..  b.  Mylius  u.  a.  zu  raten  berechtigt 
ist.  Bei  dieser  kritischen  musterung  wird  Consentins  Sehr  erfolgreich  dadurch  unter- 
stützt, dass  er  getan  hat,  was  seither  noch  viel  zu  wenig  geschehen  ist  und  worin 
mau  Beinern  beispiele  in  zukunft  folgen  möge:  er  hat  sich  eine  ausgebreitete  und 
gründliche  Vertrautheit  mit  den  erscheinungen  des  damaligen  büchermarktes,  ins- 
besondere den  Zeitschriften  sowie  mit  ihren  zahlreichen,  grossenteils  wenig  bekannten 
mitarbeiten!  erworben,  und  damit  der  Untersuchung  eine  gesicherte  basis  gegeben. 
Wo  die  argumentation  darauf  hinauskommt,  die  möglichkeiten,  so  viel  als  erreichbar, 
vollständig  zu  sammeln  um  sie  dann  gegeneinander  abzuwägen  und  den  Wahrschein- 
lichkeitsbeweis zu  führen,  ist  eine  solche  methodisch  angestellte  erweiterung  des 
materials  noch  von  besonderem  werte1,  und  zu  wie  guten  resultaten  sie  führen  kann, 
ist  z.  b.  aus  s.  42  zu  ersehen,  wo  der  verf.  auf  grund  derselben  nachweist,  wie  wenig 
die  Zuversicht  berechtigt  ist,  mit  der  Muncker  auf  grund  des  gesichtspunktes  der 
'sitte  der  zeit'  (bd.  5,  s.  VII)  eine  ansehnliche  anzahl  anonymer  recensionen  aus  deu 
jähren  1751 — 54  als  Lessingisch  in  seine  ausgäbe  aufgenommen  hat.  Überhaupt  wird 
ein  gutes  teil  der,  seit  Lachmann,  von  Mohnike,  Danzel,  Maltzahn,  Redlich,  B.  A. 
Wagner  und  Muncker  als  in  Lessiugs  frühzeit  gehörig  angesehenen  und  in  die  aus- 
gaben übernommenen  aufsätze,  wenn  nicht  völlig  beseitigt,  so  doch  nur  mit  grossen 
bedenken  betrachtet  werden  müssen,  und  jedesfalls  wird  man  dem  verf.  beistimmen, 
wenn  er  es  als  unstatthaft  bezeichnet,  aus  einzelnen  Jahrgängen  gewisser  Zeitungen 
alle  diejenigen  recensionen  als  echt  zu  behandeln,  deren  form  und  inhalt  nicht  'geradezu' 
gegen  Lessings  autorschaft  (s.  42)  zu  sprechen  scheint. 

Die  methodisch  geführten  quellenuntersuchungen  des  verf.  liefern  auch  für  das 
sprachliche  und  stilistische  moment  wertvolle  ergebnisse.  Freilich  wird  man  gerade 
für  die  echtheitsfrage  keine  grosse  beihilfe  hiervon  erwarten,  wenn  man  bedenkt, 
dass  es  sich  um  aufsätze  aus  der  periode  vom  herbst  1746  bis  etwa  zum  jähre  1754 
handelt,  welche  Lessings  studentenjahre  und  litterarische  lehrzeit  umfasst  und  mit 
seinem  25.  lebenswahre  abschliesst.  Unmöglich  kann  vorausgesetzt  werden,  dass  schon 
in  so  frühen  jähren  sein  Sprachgebrauch  und  seine  stilistische  technik  hinreichend 
durchgebildet  und  individuell  gefestigt  gewesen  sein  sollten,  um  ein  wenigstens  einiger- 
massen  zuverlässiges  kiiterium  für  oder  wider  gewähren  zu  können.  Eine  musterang 
von  Wortschatz  und  Sprachgebrauch  wird  aus  diesem  gründe  nur  geringen  ertrag 
bringen  können,  etwa  etliche  sächsische  und  lausitzische  idiotismen  abgerechnet,  welche 
aber  widerum  ziemlich  leicht  wiegen,  weil  gerade  die  in  frage  kommenden  Zeitungen 
ausser  Mylius  und  Lessing  noch  zahlreiche  andere  kursächsische  mitarbeiter  zählten. 
Am  ersten  wird  von  einer  sorgfältig  aber  ohne  pedanterie  angestellten  Untersuchung 
der  stilistischen  momente  ertrag  zu  erwarten  sein.  Denn  schon  das  im  jähre  1754 
von  dem  kaum  25  jährigen  L.  geschriebene  jugendlich  übermütige  Vaderuecum  zeigt 
einen  so  stark   individuell  und    scharf  ausgeprägten   stil,    der  sogar  gelegentlich  an 

1)  In  derselben  richtung  der  Untersuchungen  des  herm  Verfassers  liegt  auch 
sein  aufsatz:  'Lessing  und  Naumann,  mit  benutzung  von  ungedruckten  briefen'  in  der 
Sonntagsbeilage  nr.  14  zur  Vossischen  zeitung  nr.  159  vom  6.  april  1902,  der  für  diesen 
wenig  bekannten  freund  Lessings  zahlreiche  und  interessante  mitteilungen  gibt. 


iJBEB   CONSENTIUS,    LESSING  257 

manier  streift,  dass  der  versuch  nahe  liegt,  ihn  in  seinen  entwickelungsstufen  nach 
rückwärts  zu  verfolgen  und  so  doch  die  eine  und  andere  stilistische  eigentünilichkeit 
aufzuspüren,  die  man  berechtigt  ist,  bereits  für  die  vor  dem  Vademecum  liegenden 
jähre  als  specifisch  Lessingisch  anzusprechen. 

Wenn  man  aber  schon  hierbei  sich  hüten  muss,  gewisse  stilistische  eigen- 
heiten  als  Lessingisch  anzusehen,  die  bei  ausgebreiteterer  kenntnis  der  damaligen 
deutschen  prosa  sich  vielmehr  als  öfters  hervortretende  lokal-  oder  zeiteigentümlich- 
keiten  erweisen,  so  liegt  diese  gefahr  noch  ungleich  näher  bei  der  aufgäbe,  Lessings 
Wortschatz  und  Sprachgebrauch  im  ganzen  oder  auch  nur  für  einzelne  seiner 
entwickelungsstufen  zu  erforschen.  Wer  nicht,  wie  der  verf.  augenscheinlich  getan, 
sich  eine  umfassende  bekanntschaft  mit  der  damaligen  litterarischen  produktiou,  ins- 
besondere mit  den  zahlreichen  Zeitschriften  erworben,  sondern  das  deutsch  jener  zeit 
vorwiegend  eben  nur  aus  Lessing  kennen  gelernt  hat,  wird  öfters  verleitet  werden, 
gewisse  oft  und  merklich  ins  äuge  fallende,  von  dem  späteren  Schriftdeutsch  abweichende 
ausdrücke  und  sprachformen  als  charakteristisch  für  Lessing  anzusehen,  die  doch  die 
ganze  Sprachperiode  der  er  angehört  und  seine  Zeitgenossen  mit  ihm  gemein  hatten. 
Der  verf.  hat  hierüber  mehrfach  sehr  sachkundig  und  überzeugend  gehandelt,  so 
(s.  10.  27.  82.  90)  besonders  über  den  allen  Lessinglesern  sicherlich  wolbekannteu 
gebrauch,  das  hilfszeitwort  nach  dem  participium  passivi  wegzulassen,  wie  z.  b.:  'ich 
betaure,  dass  ich  das  gewünschte  noch  nicht  absenden  können'.  Selbst  wenn  das 
hilfszeitwort  im  conjunctiv  steht,  lässt  es  L.  gelegentlich  weg,  wie  in  der  Hamburger 
dratnaturgie  1,  17.  stück  (Lachmann,  bd.  7,  s.  77):  'Nun  wäre  weiter  an  die  heyrath 
nicht  zu  denken,  wenn  nicht  Lisander  selbst  sich  nur  durch  Unfälle  zu  dem  bürgerlichen 
stände  herablassen  müssen'.  Das  ist  freilich  sprachlich  sehr  hart,  und  ich  kann  dafür 
nur  diese  eine  stelle  beibringen,  zweifle  aber  nicht  daran,  dass  sich  ihrer  noch  mehrere 
finden  mögen.  Und  unzweifelhaft  ist,  dass  die  erstgenannte  construction  sich  zwar 
bei  Lessing  überaus  häufig  findet,  aber  als  für  ihn  charakteristisch  keineswegs  gelten 
kann,  da  sich  beiden  meisten  prosaisteu  dieser  epoche  nicht  minder  zahlreiche  belege 
für  sie  nachweisen  lassen. 

Auf  s.  70 — 82  nimmt  der  verf.  gelegenheit,  sich  gegen  eine  recension  von 
Franz  Muncker  über  die  von  ihm  im  jähre  1899  veröffentlichte  Schrift:  'Freygeister, 
naturalisten,  atheisten,  ein  aufsatz  Lessings  im  AVahrsager'  zu  verteidigen:  wie  mir 
scheint,  in  manchen  einzelnen  punkten  mit  gutem  erfolg.  Doch  muss  ich  allerdings 
hinzufügen,  dass  ich  bezüglich  der  hauptsache  nicht  überzeugt  worden  bin,  und  gegen- 
über der  Vermutung,  dass  das  sechste  stück  des  Mylius'schen  "Wahrsagers  vom  6.  febr. 
1749  nicht  von  dem  herausgeber,  sondern  von  dem  damals  eben  zwanzig  jähre  alt 
gewordenen  Lessing  verfassl  wurden  sei,  meine  im  32.  bände  dieser  Zeitschrift 
ausgesprochenen  bedenken  aufrecht  erhalte.  Zu  dem  damals  a.  a.  o.  s.  528  gesi 
füge  ich  ergänzend  hinzu,  dass  mir  noch  immer  inhalt  und  ausdrucksweiv  jenes  auf- 
satzes  durchaus  nicht  Lessingisch  erscheinen  wollen  und  dass  ich  vornehmlich  den 
ton  auf  den  die  polemik  gestimmt  ist,  beträchtlich  tieferstehend  Und.'  als  man  es  bei 
Lessing  gewöhnt  ist.  Aus  dem  kleinen,  von  Conseutius  in  seiner  obengenannten  schritt 
vom  jähre  1899  wider  abgedruckten  Wahrsageraufsatze  hebe  ich  folgende  stellen  her- 
vor: '.  .  .  sie  sind  vogelfreye  leute,  welche  ein  jeder  gelehrte  arme  sünder  anschnauzen, 
und  wenn  es  ihm  beliebt,  gar  über  den  hauten  schiessen  darf  (s.  10);  \  .  .wenn  man 
sie  nach  allen  prädicamenten  methodisch  durchschimpfl  \  . .  dieses  thun  alle 

diejenigen,   welche  alsbald    mit  freygeistern   um    sich    herumwerfen,    so   bald  jemand 
nicht,  mit  bangendem  köpfe  und  gefaltenen  bänden,  zu  allem  säet:    [oh  gläUD( 
Zeitschrift:  p.  deutsche  Philologie,     hu.  xxxv.  17 


258  -'  ttöNi    i'iih'  i  -i vi. 

(s.  15);  wo  das  alte  Lutheracbe  umgelautet«  glauben  (glauben!  absichtlich  verspottend 
gewählt  ist.  Vielleicht  ist  in  der  von  Moritz  Bi  Lhrten  stelle  ans  Geliert  (2 

'glaub  an  seinen  aamen    die  alte  iprachform  ebenfalls  mit  absichl  Ferner 

\  .  .  wider  welche  bo  viele  theologische  invaliden  und  philosophi  i   mit 

privilogirten  Schimpfwörtern  zu  felde  ziehen  (s.  L5);  •■  .  ,  so  bald  als  oiohl  Lehrer, 
sondern  Strafprediger  über  sie  kommen,  deren  votum  geflucht  an 
schimpft  wird'  is.  L6);  '.  .  .  durch  gesetzpredigten  werden  diese  leute  in  ewigkeit  Dicht 
innen,  und  wenn  auch  ein  angeflügeltoi  bolzschreyer  mit  Beinern  geschrey  die 
stärksten  mauern  erschüttern  Bollte1  (s.  18);  das  wort  bolzschreyer  (corpus  glandai 
bäher)  bezeichnet  der  verf.  (s.  80)  als  einen  metaphorischen  ausdruck.  Gewiss  ist  er 
das  hier,  aber  das  darauffolgende  -geschre}  zeigt  deutlich  genug,  weshalb  er  gewählt 
ist,  und  dass.  wie  bekanntlich  bei  vielen  der  tieiwelt  entlelinten  vergleichen,  es  dabei 
weniger  auf  die  bildlichkeit,  als  auf  die  bosheit  hinauskommt.  Das  wort  Bcheint  nicht 
weitverbreitet,  und  in  die  Schriftsprache  Dicht  aufgenommen  zu  sein:  jedesfalls  kann 
seine  anwendung  bei  dem  20jährigen  'jungen  gelehrten'  Lessing  einigermassen  über- 
raschen, wogegen  es  in  der  feder  etwa  des  bereits  27jährigen  weltgewandten  viel- 
erfahrenen und  hervorragend  naturkundigen  Mylius  sehr  natürlich  erscheinen  könnte. 
Einige  weitere  einzelheiten  wie  'die  elendesten  gelehrten  trossbuben'  (s.  19)  und  ähn- 
liches lasse  ich  bei  seite  und  verweise  nur  noch  auf  die  den  schluss  bildende  scene, 
wo  der  gottesleugnerische  freigeist  'auf  dem  flügel  eine  polonnoise  spielt',  während 
St.  Simplex  ihm  mit  theologischen  vorwürfen  gröblich  zusetzt,  bis  der  vernunftgläubige 
Euphronymus  dazwischen  tritt  und  den  atheisten  durch  gründe  seines  irrtums  über- 
führt, eine  sceue,  für  die  ich  weder  in  inhalt  noch  darstellungsweise  irgend  eine  analogie, 
ebensowenig  im  jugendlich -unreifen  als  im  späteren  gereiften  Lessing  zu  finden  wüsste. 

Die  hier  mitgeteilten  stellen  weichen  m.  e.  von  der  denkart  und  ausdrucksweise 
merklich  ab,  die  in  den  als  zweifellos  echt  beglaubigten  Jugendarbeiten  Lessings  zu 
erkennen  ist.  Die  vom  verf.  aufgestellte  Vermutung  strikt  zu  widerlegen  vermögen 
diese  abweichungen  freilich  nicht,  aber  wenn  sie  auch  dazu  nicht  beweiskräftig  genug 
sind,  so  tragen  sie  doch  dazu  bei,  die  anderweitigen  bedenken  zu  verstärken,  welche 
gegen  den  vom  verf.  versuchten  Wahrscheinlichkeitsbeweis  vorgebracht  worden  sind. 

Dagegen  stimme  ich  dem  verf.  in  den  bemerkuugen  völlig  zu,  die  er  (s.  79) 
über  gebrauch  und  bedeutung  des  um  die  mitte  des  18.  Jahrhunderts  vielfach  und  in 
verschiedenem  sinne  angewandten  Wortes  'naturalist'  gemacht  hat  und  zu  denen  ich 
noch  zwei  gelegentlich  gefundene  stellen  beibringen  kann.  Joh.  Jacob  ßeiske  schreibt 
in  seiner  ende  1770  verfassten  lebensbeschreibung  (s.  8):  'Ich  konnte  zu  ganzen  stunden 
aus  dem  herzen  beten.  .  .  .  Allein  die  hitze  verrauchte  bald;  ich  kam  in  die  weit,  kurz, 
ich  ward  nicht  viel  besser,  als  ein  naturalist'.  —  Und  in  einem  von  "Welcker  in 
G.  Zoega's  Leben  bd.  1,  s  43fgg.  abgedruckten  (zu  Leipzig  im  jähre  1777  verfassten) 
aufsatze  schreibt  Zoega  (s.  49):  'dennoch  sind  diess  die  herrn,  die  ganze  Schiffs- 
ladungen von  religionsverteidigungen  schreiben,  die  wider  uaturalisten,  deisten  und 
wie  die  ganze  schwarze  reihe  lautet,  declamiren'.  Und  derselbe  Zoega  (Welcker 
s.  231)  schreibt  am  6.  septbr.  1779  über  Lessings  Nathan  an  einen  freund:  'Dass  ich 
ihn  schon  gelesen  habe,  kannst  du  leicht  denken,  auch  dass  er  mir  wenig  gefallen 
hat.  Ich  bin  nun  einmal  ein  feind  von  der  art  philosophie:  gutes  kann  sie  nimmer- 
mehr stiften  und  böses  sehr  viel.  Was  mag  doch  w-ol  herrn  Lessing  bewegen  als 
prophet  des  naturalismus  aufzutreten ! V 

Möge  der  verf.  bald  weitere  ergebnisse  seiner  Lessingstudien  folgen  lassen! 

KIEL.  A.  SCHÖNE. 


II  tSHAGEN  CBEB  FRIEDRICH  D.  GR.  KP.  &EIGEH  ÜMD  JÜSTTJS  MÖSEK  BD.  SCHÜDDEKOPF  259 

De  la  litte  rature  allem  an  de  (1780)  vou  Friedlich  dem  grossen.  2.  vermehrte 
aufläge  nebst  Chr.  W.  v.  Dohms  deutscher  Übersetzung,  hrg.  von  L.  Geiger. 
(Deutsche  litteraturdenkmale  des  18.  und  19.  Jahrhunderts,  nr.  16,  hrg.  von  Sauer.) 
Berlin,  Behr  1902.     LX,  84  s.     1,50  m. 

Justus  Moser,  Über  die  deutsche  spräche  und  litteratur  (1781),  hrg.  von 
C.  Schiiddekopf.     Ebenda  nr.  122.     XXVII,  31  s.     0,80  m. 

Vorliegende  neuerscheinungen  führen  auf  ein  litterarhistorisches  problem  zurück, 
dessen  Wichtigkeit  es  verlangt,  etwas  länger  dabei  zu  verweilen.  Im  folgenden  soll 
über  die  beiden  ausgaben  zunächst  referiert  und  sodann  über  die  schritt  des  königs 
und  einiger  seiner  gegner  zusammenhängend  gehandelt  werden.  Denn  der  offenen 
fragen  gibt  es  auch  jetzt  noch  viele1. 

Die  1.  aufläge  von  Geigers  ausgäbe  ist  1883  erschienen.  Die  2.  aufläge  ver- 
zeichnet s.  III  fg.  die  seitdem  herausgekommene  litteratur  und  verwertet  ihre  Haupt- 
ergebnisse. Zur  ergänzung  sei  noch  hingewiesen  auf  Mentz,  F.  d.  g.  und  die  deutsche 
spräche  (Zeitschr.  für  deutsche  Wortforschung  I,  1900)  und  auf  Krauskes  referat 
über  mehrere  der  neueren  schritten  (Hist.  zeitschr.,  n.  f.,  bd.  21).  Einige  ergänzungen 
der  neuen  aufläge  seien  angeführt:  Vfg. :  F.  d.  g.  und  Klopstock,  Gessner,  Lessing, 
S.  G.  Lange,  Denis.  IX  fg. :  Neuere  Ayrenhoff litteratur.  XIV:  Beiträge  zur  erklärung 
der  schrift.  XXXIV fgg. :  Gegenschriften  von  Tralles,  Rehberg,  Gornperz,  Rauquil- 
Lieutaud.  LH  fgg. :  Über  Dohm2.  Bei  der  analyse  der  Wezelscheu  gegenschrift  fehlt 
ein  hinweis  auf  die  bedeutung  der  langue  fixee  (s.  1871,  184  II).  Gs.  referat 
(s.  XXXII)  ist  hier  ungenau.  In  dem  neudruck  der  schrift  des  königs  ist  leider  die 
Seitenführung  der  ersten  aufläge  verlassen  worden.  Zur  kritik  des  ganzen  ist  auf  die 
folgenden  darlegungen  zu  verweisen. 

Scbüddekopf  schickt  seiner  ausgäbe  eine  inhaltreiche  Vorbemerkung  voraus, 
welche  zuerst  die  gegensch ritten  im  allgemeinen  (s.  V — IX)  behandelt  und  Geigers 
U'merkuugen  mehrfach  ergänzt.  Zu  Moser  übergehend,  veröffentlicht  Seh.  wertvolles 
neues  material  (s.  IXfgg.):i.  Die  litteratur  über  Moser,  von  der  Seh.  nichts  sagt, 
ist  gerade  für  das  litterarhistorische  gebiet  sehr  unergiebig.  Eine  schöne  gesamt- 
würdigung  jetzt  bei  Dilthey,  Das  18.  jahrh.  und  die  geschichtlichi'  weit  (Deutsche 
rundschau,  aug.  sept.  1901).  S.  XV — XVII  folgen  erkläruugen  einzelner  stellen  der 
schritt,  die  freilich  manche  frage  unbeantwortet  lassen.  Von  einer  analyse  wird  leider 
abgesehen.  S.  XVIII  —  XXIII  bieten  ausführliche  Zusammenstellungen  über  die  be- 
urteilung  der  schrift  bei  den  Zeitgenossen.  Die  textgeschichte  (s.  XXIII  —  XXVI) 
ergibt  das  resultat,  dass  M.  in  dem  zuerst  iu  einer  beilage  der  Osnabrückischeu  intel- 
ligenz-  blätter  1781  erschienenen  aufsatz  für  die  buchform  (ib.)  einige  änderungen  an- 
gebracht hat.  Diese  letztere  ist  von  Seh.  mit  recht  seinem  neudruck  zagrunde  gelegi 
worden.  Die  'Nachschrift  über  die  nationalerziehung  der  alten  Deutschen'  (s.  25  —  31) 
weicht  erheblich  von  der  aus  Abeken  IV  bekannten  form  ab4. 


1)  Es  sei   mir  gestattet,   herrn   professor  Koste r   in   Leipzig   für   die   liebens- 
würdige förderang  dieser  arbeit  herzlichst  zu  danken.  ■» 

2)  Auf  andere  ergänzungen  wird  im  folgenden  aufmerksam  gemachl  werden. 

3)  S.  IX1   wird    auf  eine   bevorstehende    neuausgabe   des  ganzen   Moser  hin- 
gewiesen. 

4)  Sie  bleibt  ausser  betracht,  da  sie  ohne  genaueres  eingehen  auf  Als.  historische 
Verdienste  nicht  gewürdigt  werden  kann. 

17' 


_•<;<) 


Mi  ii 


Beide  ausgaben  Eördern  die  erkenntnis  der  Bohrift  des  königs  and  Mosers  in 
manchem  wichtigen  punkte,  [mmerhin  verlohnt  >■•  sich,  auch  jetzt  noch  genauer  auf 
jenen  litterarischen  streif  einzugehen. 

Goethes  berühmtes  urteil  über  Friedrich  den  grossen  in  Dichtung  and  wahrheil 
ill  7)  bezieh!  sich  mehr  auf  die  Wirkungen,  die  Friedrich  < l»*i-  grosse  absichtslos  auf 
die  deutsche  litteratur  ausübte,  weniger  auf  die  Stellung,  die  er  bewusst  zu  ihr  ein- 
nahm. I  in  ilicsr  zu  erkennen,  wird  man  do<-b  immer  wider  zu  der  kleinen  Schrift 
des  jabres  1780  aber  die  deutsohe  litteratur  greifen.  Sie  ermöglich!  zugleich  ein 
besseres  Verständnis  der  litterarischen  parteien  der  zeit  überhaupt  Denn  zahlri 
gegenschriften  sind  durch  die  Schrift  des  königs  hervorgerufen  worden.  Keine 
diesen  aal  gewandter  und  mutvoller  zugleich  die  sache  der  vom  könig  am  härtesten 
verurteilten  richtung  vertreten,  als  die  Justus  Mosers. 

Der  titel  der  schrift  lautet:  De  la  Litterature  allemande;  des  defauts  qu'on  peut 
lui  reprocher;  (juelles  en  sont  les  causes;  et  par  quels  moyens  on  peut  les  corriger. 
Der  äusseren  form  nach  ist  sie  ein  brief ,  dessen  entstehungsgeschichte  vom  adressaten 
selber,  dem  grafen  Hertzberg,  erzählt  wird1.  Jm  jähre  1779.  bei  einem  aufenthalte 
in  Breslau,  hat  der  könig  mit  seinem  minister  lebhaft  über  die  übersetzbarkeit  des 
Tacitus  verhandelt.  Nach  ansieht  des  königs  kann  er  von  den  Deutsehen  nicht  ebenso 
prägnant  übersetzt  werden ,  wie  von  den  Franzosen  (39).  Doch  belehrt  ihn  Ilertzberg 
durch  zwei  übersetzungsversuche  eines  besseren  (40  —  48).  Auch  sonst  hat  nach  Hertz- 
bergs zeugnis  (44)  der  könig  bei  dieser  gelegenheit  litterarische  themata  in  gesprochen 
behandelt'-.  In  der  folge,  d.  h.  im  nov.  1780  (45)  geht  er  dann  selber  daran,  eine 
besondere  schrift  über  ähnliche  fragen  auszuarbeiten;  Hertzberg  wird  dabei  zu  rate 
gezogen;  er  findet  aber  die  kritik,  die  der  könig  an  der  deutschen  spräche  übt,  zu 
streng  (45).  Was  Hertzberg  über  seine  mitarbeit  in  der  offiziellen  'Histoire'  mitteilt, 
erhält  nähere  beleuchtung  in  zwei  privateren  äusserungen.  Nach  der  einen3  hat  er 
den  könig  noch  besonders  auf  die  berühmten  männer  hingewiesen,  'die  jetzt  unserm 
vaterlande  ehre  machen'.  Nach  der  andern  (an  Moser  bei  Abeken  X,  247)  hat  er 
versucht,  dem  könig  'einen  bessern  begriff  von  der  deutschen  spräche  und  litteratur 
und  auch  selbst  von  seiner  nation  beizubringen.'  Das  ist  alles,  was  wir  über  diese 
Verhandlungen  erfahren.  Am  10.  nov.  bereits  (50)  ist  die  vollendete  schrift  in  den 
händen  des  ministers.  Was  dieser  zwei  tage  später  (50  —  52)  au  abänderungsvorschlägen 
noch  beibringt,  betrifft  nebensächliches.  In  der  hauptsache  ist  er  jetzt  einverstanden 
(52).  Der  könig  aber  erklärt  seine  schrift  schliesslich  (53)  für  ganz  massvoll  und 
behauptet,  er  habe  die  Deutschen  darin  nur  mit  rosenruten  gestrichen;  es  ist  ein  bild, 
das  dem  könig  als  besonders  treffend  erschienen  sein  muss;  denn  er  verwendet  es  in 
bezug  auf  die  schrift  einige  monate  später  d'Alembert  gegenüber  (Oeuv.  25, 172).  Als 
Hertzberg  trotz  dieser  Selbstcharakteristik  mit  Verbesserungen  kommt  (14.  nov.:  53 fg.), 
muss  er  vom  könige  eine  kurze  ablehnende  bemerkuug  einstecken4.    Und  dann  beginnt 

1)  Histoire  de  la  dissertation  sur  la  litterature  allemande  in  den  Dissertationen 
Hertzbergs,  Berlin  1787,  s.  39  — 58. 

2)  Wobei  er  bereits  einen  wichtigen  grundgedanken  der  schrift,  die  notwendig- 
keit  der  beförderung  der  klassischen  Studien  (45)  ausgesprochen  hat.  Er  unterhält 
sich  mit  Garve  und  Arletius. 

3)  Bei  Meister,  Fs.  d.  g.  woltätige  rücksicht  auch  auf  Verbesserung  teutscher 
spräche  und  litteratur,  Zürich  1787. 

4)  Des  königs  ■  vorstellungsart '  ist  nach  Goethe  'eigensinnig,  voreingenommen, 
unrectificirlich '  (bei  Suphan,  Fs.  d.  g.  schrift  über  die  deutsche  litteratur,  Berlin 
1888,  s.  28). 


ÜBER  FRIEDET  II   D.  GR.  ED.  GEIGER  OND  JUSTUS  MOSER  ED.  SCHDDDEKOPF  261 

der  druck.     Das  ganze  liegt  ende  nov.  vollendet  vor.     Die  recension  der  Spener'schen 
zeitung  (bei  Geiger  XXH — XXV)  trägt  das  datum  des  2.  dez.1 

Alles  dies  aber  ist  nur  die  äussere  entstehungsgeschichte  der  schritt.  Für  das 
Verständnis  der  schritt  besagt  sie  sehr  wenig.  Da  ist  es  viel  wichtiger,  zu  wissen, 
dass  die  schritt  nicht  nur  die  ansichten  des  alten  königs  von  1780  widergibt.  Sondern 
sie  ist  gewissermassen  zu  einem  grossen  repositorium  geworden  für  all  die  gedanken, 
die  der  könig  sich  seit  den  traben  tagen  seiner  jugend  über  die  deutsche  litteratur 
zurechtgelegt  hatte.  Keineswegs  nur  in  den  Breslauer  gesprächen  liegt  der  keim  der 
schritt'2;  vielmehr  würde  es  nicht  schwer  sein,  jeden  wichtigeren  gedanken  der 
schritt  von  den  30er  jähren  ab  aus  den  werken  des  königs  oder  aus  aufzeichnungeu 
über  seine  gespräche  zu  belegen3.  Alle  allgemeineren  gedanken  sind  in  der  tat  weit 
älteren  datums4.  Das  gilt  ebenso  sehr  von  den  gründen,  die  nach  Fs.  meinung  den 
litterarischen  tiefstand  herbeigeführt  haben  (besonders  der  krieg5),  wie  von  den  reform- 
vorschlägen.  die  der  könig  ausspricht: 

1.  Dass  die  l klassischen'  schriftsteiler  studiert  werden  sollen;  1757:  Gottscheds 
bericht  über  ein  gespräch  mit  F.  bei  Krause,  F.  d.  g.  und  die  deutsche  poesie, 
Halle  1884.  s.  91  u.  ö.  —  1775:  Oeuv.  23,  350. 

2.  Dass  man  den  einfluss  der  Schriftsteller  auf  die  spräche  überhaupt  anerkenne: 
1775  ib.  —  1781  ib.  25,  172. 

3.  Dass  ein  mächtiges  mäcenatentum  die  litteratur  befördere B. 

Und  selbst  der  ton  des  königlichen  urteüs  über  die  deutsche  litteratur,  der  fast 
als  ausfluss  augenblicklicher  Stimmung  erscheinen  möchte,  ist  ganz  alt.  Schon  früher, 
wenn  er  über  die  deutsche  litteratur  zu  gericht  sitzt,  weiss  F.  sein  urteil  durch  allerlei 
lobeserhebungen  zu  mildern7.  Auch  der  schluss:  der  prophetische  ausblick  in  die 
zukunft,  die  trüben  gedanken,  die  dem  könige  kommen,  da  er  das  gelobte  land  sieht, 
ohne  dass  er's  betreten  kann:  all  dies  ist  ähnlich  schon  sechs  jähre  früher  in  brieten 
an  Voltaire8  ausgesprochen: 

Oeuv.  23,  337:  Je  ne  verrai  pas  ces  beaux  jours  de  ma  patrie,  mais  j'en  prevois 
la  possibilite. 
ib.  350:  Pour    moi,    dont  la    carriere  tend   ä  sa  fin,   je    ne   verrai    pas   ces 
heureux  temps. 
39,  6:  Ces  beaux  jours...  ne  sont  pas  encore  venus;  mais  ils  s'  approchent... 
je  ne  les  verrai  pas,  mon  äge  m'en  interdit  l'esperauce. 

1)  Geiger2  XVIII  —  XXI  handelt  jetzt  ausführlich  über  die  der  ausgäbe  der 
schritt  sofort  folgende  correspondeuz  des  königs  mit  d'Alembert  und  M.  Grimm,  desgl. 
s.  XXXVIII  —  XLIV  über  die  recensionen,  gibt  ferner  s.  XLIX  —  LII  eine  besprechung 
der  Dohmschen  Übersetzung. 

2)  So  Geiger2  XVI.    Anders  mit  recht  schon  Moser  IX,  156. 

3)  Darauf  deutet  F.  selber  hin:    15,  5. 

■1)  Ich  habe  mich  auf  die  in  der  litteratur  citierten  stellen  beschränken  müssen. 
Die  bisherigen  schritten  haben  aus  dem  im  text  gegebenen  Sachverhalt  die  resultate 
für  die  beurteilung  nicht  energisch  genng  verwertet. 

5)  17:J»7:  Oeuv.  21;  7S,  speciell  der  30jährige  krieg:  1775  ib.  23,350. 

6)  Diesen  gedanken  spricht   (iottsched   a.  a.  0    in  dem  gespräch   zuerst  aus. 

7)  1737:  Oeuv.  21,78:  Le  sol  qui  a  produit  un  Leibniz  peirl  produire  d'autres. 
Vgl.  34,  ] :  Le  sol  qui  a  produit  Des  Vignes  etc.  Leilmiz  wird  34, 25  erwähnt  Ferner 
1774  Unterredung  mit.  Swieten  bei  Arneth:  Maria  Theresia  VUI,  62J  und  1775: 
I  >cuv.  23,  337. 

8)  In  denselben  brieten  finden  sich  schon  teilstucke  der  disposition  unsror  schritt: 
Oeuv.  23,  337. 


262  KABHAGRK 

Noch  bemerkenswerter  isi  es.  dassnicbl  nur  diese  allgemeineren  gedanken  an 
älterer  /.''it.  stammen,  Bondern  auob   ganz  bestimmte  arteile  über  einzelne  fehler  der 
spräche,  einzelne  ■■  ölker  oder  i  chriften  '. 

Das  datum  der  sohrift  ist  mithin  dnrohans  irreführend.  Der  könig 
hat  —  von  den  paar  Breslauer  gesprächet]  abgesehen — gar  keine  neuen  erfahrungen 
in  leiner  ächrifi  niedergelegt,  viel  weniger  noch  besondere  Studien  abei  win  thema 
gemacht.    Es  sind  alte  lieblingsgedanken,  die  er  uns  vorträgt. 

Auch  auf  die  disposition  der  Bchrifl  haben  ältere  gedanken  gewirkt  (s.  s. 261, 
anm.  8).  Vielleicht  erklärt  sich  daraus  ihre  mangelhafte  durchführung 2.  Der  titel 
zwar  Iiisst  ein  scharf  gegliedertes  ganzes  vermuten.  Zuerst  Bollen  die  fehler  auf- 
gezählt, dann  die  gründe  für  sie  angegeben,  endlich  besserungsvors<hläge  ge- 
bracht werden.  Aber  diese  klare  disposition  existiert  nur  auf  dem  titel.  Denn  schon 
auf  den  ersten  Seiten  (10,7)  beginnen  die  besserungsvorschläge.  Und  noch  ganz  am 
schluss  (36, 17)  kann  der  könig  den  kritischen  eifer  nicht  unterdrücken.  Auch  die  in 
der  einleitung  (3,  15)  aufgestellte  disposition  gerät  auf  die  dauer  ins  schwanken.  Der 
könig  gibt  an,  er  wolle  seine  gedanken  über  alte  und  neue  litteratur  nach  drei  kate- 
gorien  darstellen;  er  unterscheidet  so:  1.  Langues.  2.  Connoissances.  3.  Goüt.  Aber 
gleich  über  die  Sprachenfrage  wird  nicht  zusammenhängend  gehandelt".  Zwischen 
sprachliche  bemerkungen  werden  solche,  die  das  zweite  gebiet  betreffen ,  eingeschaltet. 
In  manchen  partieen  wird  man  beitrage  zu  der  einen  und  zu  der  andern  frage  finden 
(so  19,  36  fgg.).  Vollends  unbeachtet  bleibt  die  trennung  des  dritten  teils  von  den 
heiden  ersten.  Nicht  einmal  die  bemerkungen  über  das  theater  stehen  zusammen 
/gi  33  —  7,  iß.  23,  2  —  34),  und  der  könig  scheint  sich  selbst  der  unübersichtlichen 
anläge  seiner  arbeit  bewusst  geworden  zu  sein  (8,37.  ll,23fgg.  27,30)'. 

Für  eine  inhaltliche  ausschöpfung  der  schritt  darf  man  aus  alledem  wol  die 
berechtigung  entnehmen ,  vorher  die  disposition  zu  zerschlagen  und  die  gleichartigen 
gedanken  aus  den  verschiedenen  teilen  (mit  berücksichtigung  der  älteren  parallelen) 
zusammen  zu  stellen.  Doch  sei  dieser  inhaltlichen  besprechung  eine  summarische 
darstellung  des  gedankengangs  des  königs  der  Orientierung  halber  vorausgeschickt. 

F.  beginnt  die  eigentlichen  ausführungen  (3,  18)  in  dem  tone,  als  wollte  er  eine 
grosszügige  vergleichende  litteraturgeschichte  geben.  Er  beschränkt  sich  jedoch  auf 
die  griechische  und  römische  litteratur  und  entnimmt  ihrer  entwickelung  einige  lehren, 
die  ihn  auch  bei  der  beurteilung  der  neueren  litteratur  leiten  sollen: 

1.  Sprachliche    und   litterarische    blute    stehen    in   beständiger  Wechselwirkung: 
3,  20  fgg.  4, 11  fg. 

2.  Beide  brauchen  zu  ihrem  gedeihen  den  frieden"'  und  längere  zeit  (4,  23fgg.). 

So  fest  geschlossen  diese  grundsätzlichen  Vorbemerkungen  auftreten,  so  zer- 
rissen wird   alsbald   die  ausführung,  d.  h.  die  anwendung  dieser  allgemeinen  lehren 

1)  Der  genauere  nachweis  folgt  unten. 

2)  Man  muss  besonders  beachten,  dass  es  ein  brief  ist,  worauf  Köster  auf- 
merksam macht. 

3)3,18  —  5,37.  10,7  —  25.  15,10-15.  17  —  17,27.  17,28  —  19,35. 
36,12  —  37,21.  37,32  —  38,27. 

4)  Dasselbe  beweist  eine  kleinere  disposition,  die  einmal  im  voraus  angegeben 
wird:  15,  15  —  17.  Und  wenn  F.  etwa  in  der  mitte,  19,36,  meint,  er  gehe  jetzt  von 
den  sprachen-  zum  eruditionscapitel  (connoissance  wird  am  besten  mit  erudition  wider- 
gegeben), so  ist  das  deshalb  nicht  richtig,  weil  er  schon  früher  (10,  25)  mitten  zwischen 
sprachlichen  ausführungen  über  die  erudition  gehandelt  hat. 

5)3,26-4,9.    4,17—19.    Vgl.  35.  18  — 36.  12. 


DBKR  KKTKDTVli  H   D.  GR.  ED.  GEIGER  UND  JtTSTÜS  MOSER  KD.  SCHÜDDEKOPF  263 

auf  die  beurteilung  der  litterariscben  läge  Deutschlands.  Kaum  sind  in  aller  eile  die 
mängel  der  spräche  (4,  30  —  5,  37;  ausnahmen  5,  37  —  6,  32)  festgestellt,  da  wird  schon 
wider  eine  vergleichende  geschichtsbetrachtung  zur  erkenntnis  des  litterarischen  tat- 
bestandes  zu  hilfe  gerufen,  wobei  es  für  den  Verfasser  bezeichnend  ist,  dass  an  die 
stelle  der  vergleichenden  litteraturgeschichte  unmerklich  die  vergleichende  politische 
und  kulturgeschichte  tritt  (7,  12  —  8,  36).  Der  vergleich  ergibt  für  Deutschland  ein 
ungünstiges  resultat. 

Alle  guten  keime,  die  etwa  doch  noch  vorhanden  sind  (8,37  — 10,6)',  können 
sich  nach  ansieht  des  Verfassers  nur  dann  erspriesslich  entwickeln,  wenn  die  sprach - 
(10,7  —  25  vgl.  15,10 — 15)  und  eruditionsreform'2  einsetzt.  Dann  beginnt  der 
kreislauf  von  neuem,  und  es  folgt  der  dritte  überblick  über  die  sprach-  und  litteratur- 
geschichte der  nachbarvölker3,  der  schliesslich  nichts  weiter  beweist,  als  die  these 
der  grundsätzlichen  Vorbemerkungen:  dass  spräche  und  litteratur  in  ständiger  Wechsel- 
wirkung sich  befinden.  Dieser  gedanke  bleibt  auch  bei  den  folgenden  bemerkungen, 
die  zu  den  deutschen  Verhältnissen  zurückkehren,  wenigstens  in  sieht.  Daneben  wird 
jetzt  das  Studium  der  klassiker  warm  befürwortet  (17,28 — 19,  35  vgl.  10,  28  — 11, 13). 
Und  das  angeschlossene  eruditionscapitel  ist  gleichfalls  von  diesem  gedankeu  beherrscht 
(19,  36  —  23,  2.  23,  35  —  32,  28  bes.  32,  29  —  33,  27).  Mitten  zwischen  den  mannig- 
faltigen reformvorschlägen  für  die  bildung  der  zeit  treffen  wir  auf  einen  heftigen 
angriff  gegen  das  drama  des  Sturmes  und  dranges  (23,2  —  34).  Als  nebensache  soll 
man  ihn  ansehn.  Und  doch  ist  er  im  gründe  der  prüfstein  für  die  ganze  Stellung  Fs. 
zur  deutschen  litteratur. 

Die  schlusspartieen  wechseln  das  thema  noch  häufiger.  Zuerst  eine  gedrängte, 
'tröstende'  Übersicht  über  die  bisherigen  heroen  der  deutschen  geistesgeschichte  (33,  28 
bis  34,  32).  Darauf  ganz  unvermittelt  eine  Widerlegung  der  einwände,  die  etwa  gegen 
das  dreimal  widerholte  vergleichend -historische  raisonnement  erhoben  werden  könnten 
(34,33  —  36,12),  endlich  eine  empfehlung  der  deutschen  spräche  als  litteratur-  und 
hofsprache  (36,12  —  37,21.  37,33  —  38,27)  nebst  einigen  hoffnungsvollen  ausblicken 
in  die  Zukunft  (37,21  —  32.  38,28  —  39,15). 

Will  man  der  Schrift  inhaltlich  mächtig  werden,  so  wird  man  diesem  vielfach 
gewundenen  und  sich  widerholenden  gedankengange  nicht  folgen,  sondern  lieber  nach 
den  von  der  einleitungsdisposition  (3,  15)  aufgestellten  gesichtspunkten  den  stoff  grup- 
pieren. Sie  stimmt  mit  dem  wirklichen  inhalte  weit  besser  zusammen,  als  die  titel- 
disposition,  die  doch  nur  unvollkommen  küber  inhalt  und  gang  der  darstellung  orientiert' 
(anders  Suphan,  s.  8). 

Der  könig  hat  in  der  einleitung  idees  sur  la  Litterature  ancienne  et  moderne 
in  aussieht  gestellt.  Tatsächlich  hat  er  in  der  ausfuhrung  diese  fremden  litteraturen 
überhaupt  viel  eingehender  behandelt,  als  die  deutsche.  Er  ist  ja,  wofür  os  kaum 
eines  beweises  bedarf4,    in  der  fremden  litteratur.    1»'<.  der  französischen,  viel   besser 

1)  Der  könig  liebt  es,  solche  erfreulieben  ausnahmen  anzuführen:  6.  1 — 32. 
12,5  —  8.  33,28  —  34,32  (vgj.  11.16  —  23).  37,15  —  32.  38,37  —  39,15.  33.35:  il  ne 
taut  qu'un  Prometbee  rjui  derobe  du  feil  Celeste  peur  les  animer. 

2)  10,  25  —  15,9. 

3)  15,  15  —  17,  27. 

4)  Nur  einige  Zeugnisse: 

1732:  ce  prince  ce  '-111111111)  pas  les  illemands:  Mille  bei  Koser,  Kronprinz1,  b.  267 
1750:  Voltaire:  L'Allemand  est  pour  les  soldats  et   pour  les  chevaux   bei  Jaooby, 

F.  d.  g.  und  die  deut80he  litteratur.    Baseler  vortrau'    1875,  B.  9. 
1757:  ich  habe  von  Jugend  auf  kein  deutsebes  buoh  gelosen  bei  Krause  s.  s'.(.    über 


2(14  "AMI 

zu   hause,  als  in  der  eignen.     R     isi    ganz  selbsl  h,  dass  er  aus  der  be- 

ixrteilung  der  fremden  die  regeln  für  die  deutsche  entnimmt1. 

An  der  Fremden  litteratur  entwickeil  er  seine  ansichten  über  allgemeine  sprach  - 
and  litterarhistoriscbe  'gesetze'.  Er  hat  sich  dafür  ein  bestimmtes  sehema  gebildet 
Znerst  Dämliob  herrscht  in  jedem  lande  eine  barbarische  Sprachmischung*.  Mehr  oder 
weniger  anmotiviert  tritt  nach  ablaui  einer  anbestimmten  zeit  ein  'genie'  auf.  da 
spräche  reformiert  and  dadurch  auch  litterarische  blute  zeitigt  (15,24.  16,3).  Nur  für 
ml  weiss  der  könig  keinen  solchen  namen  zu  nennen.  Das  englische  ist  ihm  ' 
überhaupt  zuwider4,  sosehr,  dass  er  das  ungeheuerliche  urteil  wagl  die  einzige 

spräche,  die  durch  Übersetzungen  gewinne  (17,21).  Dies  urteil  über  das  englische 
erhält  noch  eine  besondere  bedeutung,  wenn  man  bedenkt,  dass  er  einst  I7.'i7  I >eut ich« ■ 
und  Engländer  als  nahe  verwandt  bezeichnet  hatte  (Oeuv.  21,  78).  Oberhaupt  Bchweben 
ihm,  wenn  er  das  deutsche  behandelt,  stets  die  ausländischen  Verhältnisse  vor.  BU 
in  die  letzten  hoffnungsvolleren  Sätze  hinein,  fühlt  er  denvergleich  mit  den  nachbarn 
fort.  Er  glaubt  der  nation  kein  herrlicheres  Zukunftsbild  malen  zu  können,  als  wenn 
er  sagt:  'unsre  nachbarn  werden  einst  deutsch  lernen'  (39,2).  Die  epistolae  obscurorum 
virorum  scheinen  ihn  besonders  wegen  ihrer  Wirkung  auf  Rabelais  zu  interessieren 
(34,3  —  5).  Und  wenn  er  für  die  litteratur  vor  allem  den  schütz  von  oben  her.  vom 
throne  her  verlangt,  so  hat  er  auch  das  aus  fremden  litteraturen  abgeleitet.  Alle  diese 
bald  skizzenhaften,  bald  sorgfältiger  ausgeführten  bemerkungen  über  fremde  littera- 
turen5 sind  nun  keineswegs  als  heiwerk  aufzufassen.  Sondern  sie  geben  dem  Verfasser 
überall  die  anleitung  nicht  nur  zur  kritik,  sondern  auch  zur  auf  Stellung  der  reform- 
vorschläge6.  Das  geht  soweit,  dass  anstandslos  die  befolgung  französischer  lautgesetze 
von  den  Deutschen  verlangt  wird  (19,18  —  20  vgl.  17,28  —  32). 

Eine  reihe  stillschweigender  Voraussetzungen7  liegen  bereits  dieser 
beurteilung  der  fremden  litteratur  und  ihres  Verhältnisses  zur  deutschen  zu  gründe. 
Sie  haben  ihr  schon  40  jähre  früher  zu  gründe  gelegen. 

Dem  könige  ist  es  zunächst  unmöglich,  die  litterarische  entwickelung  unab- 
hängig von  der  politischen  zu  betrachten.    Das  folgt  besonders  aus  dem  ersten  kapitel 

Fs.  ältere  beziehungen  zu  Gottsched  s.  Litzmann,  Ztschr.  für  deutsches  alter- 
tum  XXX,  204  —  212. 
1762:  je  ne  connais  ni  ne  yeux  connaitre  [die  deutschen  bücher]  bei  Mentz  s.  214. 
1781:  Wieland  (bei  Suphan  s.  77):  'Seit  vielen  jähren  waren  wir  so  gut,  als  gewiss, 
dass  der  erhabene  Verfasser  niemals  an  unserer  litteratur  einigen  anteil  ge- 
nommen habe'.    Vgl.  Dichtung  und  Wahrheit  II,  7  (Hempel  21,63). 
Damit  vergleiche   man   aber  auch    die    selbstcharakteristik   an   Voltaire,   Oeuv. 
23,350:  un  etre  tracasse  les  deux  tiers  de  sa  course  par  des  guerres  continuelles  etc. 

1)  Schon  1737:  Oeuv.  21,78.    Vgl.  jetzt  besonders  Dilthey  s.  356. 

2)  15,17  —  33:  Italien.  15,34—16,3:  Frankreich.  16,34  —  17,8:  England. 
15,  35  wird  ausdrücklich  der  damalige  französische  und  der  heutige  deutsche  zustand  in 
parallele  gesetzt.  Schon  1775  vergleicht  er  das  Frankreich  Franz'  I.  mit  dem  zeit- 
genössischen Deutschland:  Oeuv.  23,  337 fg. 

3)  Damit  stimmt  seine  ablehnung  der  Stürmer  und  dränger  sehr  gut  überein. 

4)  Ausser  den  von  Mentz  201  angeführten  stellen  sei  auf  Hist.  de  mon  temps 
verwiesen.  Hier  schon  wird  das  englische  genau  wie  17,  26  als  sifflement  bezeichnet. 
(Publikationen  aus  den  preussischen  Staatsarchiven  IV,  198). 

5)  Es  konnte  nur  eine  auswahl  geboten  werden. 

6)  Es  heisst  schon  4, 10:  ee  court  recensement  me  peint  la  marche  des  choses. 
Vgl.  15,  4. 

7)  Trotz  der  Versicherung  des  gegenteüs:  4,  29. 


ÜBKR    FRIEDRICH  D.  GR.  ED.  GEIGEB  UND  JDSTUS  MÖSEB  ED.  SCHÖDDEKOPF  265 

über  die  litte ratur  der  antiken  völker.  Und  wie  er  überzeugt  ist,  die  politischen  Ver- 
hältnisse bis  ins  kleinste  durch  reglementierung  von  oben  beeinflussen  zu  können ,  so 
hält  er  in  demselben  sinne  die  sprach-  und  litteraturentwickelung  für  reglementierbar1. 
Deshalb  fehlt  ihm  die  fähigkeit  allgemeiner  historischer  betrachtung,  insbesondere 
historischer  betrachtung  der  spräche.  Anachronismen  rechnet  er  beim  historiker  nur 
unter  die  'kleinen'  fehler  (14,  19).  Unhistorisch  ist  auch  das  wahllose  vergleichen 
aller  möglichen  litteraturprodukte,  das  sich  durch  die  ganze  schritt  hindurchzieht. 
F.  sucht  'unsere  Homere,  unsere  Virgile'  etc.  (5,28).  Er  fordert  eine  unbegrenzte 
nachahmung  der  fremden.  Er  überschätzt  von  diesem  Standpunkt  die  Übersetzungen. 
Mit  alledem  aber  gehört  er  bereits  für  die  späten  60  er  jähre  einem  überwundenen 
geschlechte  an.  Denn  gerade  dies  unhistorische  vergleichen  ist  es,  was  Herders  Frag- 
mente in  grund  und  boden  bekämpfen'-. 

Noch  ehe  also  der  könig  ein  einziges  wort  über  seine  eigne  litteratur  gesprochen 
hat,  zeigt  er,  dass  die  grossen  taten  der  litteraturkritik,  für  die  Herders  Fragmente 
den  anfang  bedeuten,  für  ihn  nicht  existieren.  Hält  man  sich  diesen  prinzipiellen 
Standpunkt  des  königs,  wie  er  aus  den  abschnitten  über  die  fremde  litteratur  folgt, 
gegenwärtig,  so  ist  seine  ansieht  über  die  deutsche  spräche  und  litteratur  nicht 
weiter  auffällig. 

Schon  in  den  allgemeinen  grundsätzlichen  Vorbemerkungen  hatte  der  könig  die 
hohe  bedeutung  guter  Schriftsteller  für  die  sprachentwickelung  dargelegt.  Deshalb 
spielen  nun  bei  den  reformvorschlägen.  die  F.  für  die  deutsche  spräche  hat,  über- 
haupt die  schriftsteiler  eine  grosse  rolle  (17,  32  — 18,  2  vgl.  10,7  — 13).  Und  zwar  ist 
für  ihn  die  Wirksamkeit  der  poeten  noch  durchschlagender,  als  die  der  prosaisten s. 
Schon  1775  hatte  er  hier  von  zwei  oder  drei  genies  alles  erwartet  (Oeuv.  23,  350). 

Alles  nun,  was  sich  im  leben  der  spräche  der  bewussten  Umformung  durch  die 
Schriftsteller  widersetzt,  ist  verwerflich,  so  besonders  die  dialektische  Verschie- 
denheit. Die  deutsche  spräche  zerfällt  in  ebenso  viele  dialekte,  als  Deutschland 
provinzen  hat.  Chaque  cercle*  se  persuade  que  son  Patois  est  le  meilleur  (4,  30 — 33. 
4,36  —  5,16.  24  —  26).  Obwol  Fs.  eignes  deutsch  die  niederdeutsche  färbung  nicht 
verleugnet  (Mentz  221),  obwol  er  sich  für  die  eine  oder  andre  eigenheit  seiner  sprach- 
weise  von   Adelung   den  Vorwurf  einer  'widerwärtigen   eigenheit  gemeiner  mundart' 

1)  Das  ist  der  feind  den  Herder  in  'Auch  eine  philosophie  der  geschichte'  usw. 
1774  (z.  b.  ed.  Suphan  V,  530)  bekämpft. 

2)  Noch  1789  aber  hat  der  Züricher  eloquenzprofessor  und  freund  Heynes: 
J.  J.  Hottinger  auf  364  s.  eine  Mannheimer  preisfrage  (5.  bd.  der  Mannheimer  preis- 
schriften)  unter  dem  titel  beantwortet:  'Versuch  einer  vergleichung  der  deutschen 
dichter  mit  den  Griechen  und  Römern'.  Doch  ist  diese  schrift  wenigstens  über  die 
neueren  dichter,  z.  b.  Wieland  und  Lessing,  sehr  ausführlieh.  Der  Verfasser  hat  den 
Shakespeare  sogar  dreimal  durchgelesen  (109)  uud  'Göthe'  wird  doch  wenigstens  in 
der  gesellschaft  von  Weisse  und  Gerstenberg  erwähnt  (120),  desgl.  Schiller  (121)  'mit 
derjenigen  achtung,  die  ihren  talenten  gebührt'.  Herder  wird  rühmend  oitiert  (3371). 
Was  Blankenburg  veranlasst  hat,  diese  schrift  unter  den  gegensch ritten  gegen  F.  d.  g. 
aufzuführen,  ist  mir  unverständlich. 

3)  16,27  —  33.  Altere  parallelen  bei  Mentz  L96.  Dass  er  die  mängel  der  deut- 
schen spräche  aus  dem  allgemeinen  'nationalgeist'  ableite,  wofür  Mfcntz  206  beispiele 
bringt,  findet  sich  in  unserer  schrift  nicht.    Dagegen  läss(  sich  'las  doppelte  infc  i 

das  der  könig  im  allgemeinen  an  der  spräche  nimmt  (ästhetisches  und  praktisches: 
Mentz  195  fgg.)  beobachten. 

4)  Meister  29  übersetzt  fälschlich  '  reieliskräis';  es  ist  doch  wo!  gesellsohafts- 
kreis  gemeint? 


20fi  HABE 

zugezogen   haben  würde  (ib.  223 8),   urteilt  er  in  den   härtesten   ausdrucken   aber  die 
dialekte  und  Idiotismen,  ohne  sioh   daran   zu   kehren,  rade  diese  dinge,   wie 

Herder1   rieh  ausdrückt,  der  'sohuzgöttin  der    prache  heilig  sirni '.    Auch  hierin  bleibt 
der  könig  dem  treu,  was  er  schon   immer  gedachl  bat.     In  der  ältesten   I 
Eistoire  de  mon  temps  von  1746  (IV,  198  er  sieb  bereits  genan  so,  behauptet 

sogar,  dass  man  räch  von   einem  ende  Deutschlands  bis  zum  andern  nur  durch  dol- 
metsche]- werde  verständigen  können2. 

Im  übrigen  erstreckt  sich  Beine  sprachkritü  ziemlich  gleichmässig  auf  das 
formale  gewand  und  auf  die  sachliche  brauchbarkeit. 

Die  vielen  consonanten  sind  8.  e.  für  die  äussere   form  der  spräche 
grösste  unglück  (18,33).     Über  die  vielen  >■  hatte   er  schon   1775  Voltaire  sein   leid 
geklagt  (Oeuv.  23,  337).     Und  1757  machte  er  in   dem   gespräche  mit  Gottsched 
fünf  consonanten  in  der  mitte  von  Gottscheds  oamen  einfach  lächerlich. 

Dann  bekämpft  der  könig,  allerdings  nur  auf  grund  eines  Zufallsmaterials  (19,  26. 
L3,27),  mit  derselben  schärfe  die  schlechten  bilder  (12,23  —  13,2.  19,20  —  31. 
20,26 — 21,14).  In  dasselbe  gebiet  gehört  sein  angriff  auf  die  Vermischung  dis- 
parater Stilgattungen  (12.  14fgg.  vgl.  177."):  Oeuv.  23,337)*. 

Aber  das  sind  nur  einzelheiten,  die  neben  dem  formellen  grundschaden  der 
deutschen  spräche  nicht  sehr  viel  bedeuten.  Dieser ' grundschaden  liegt  darin,  dass 
die  spräche  überhaupt  noch  keinen  stabilen  zustand  erreicht  hat.  dass  sie  noch  nicht 
zur  langue  fixee  geworden  ist  (5,  12  —  22),  wie  etwa  in  Italien  (15,  30)  oder  in 
Frankreich  (16,  20  vgl.  38,  14  und  1737:  Oeuv.  21,  79).  Mit  dieser  forderung  einer 
langue  fixce  hat  sich  der  könig  die  möglichkeit  einer  genetischen  betrachtungsweise 
abgeschnitten ". 

Die  sachliche  kritik,  die  F.  an  der  spräche  übt,  wird  meist  in  Zusammen- 
hang mit  den  eruditionscapiteln  gebracht.  Hier  vermisst  er  besonders  die  nötige 
klarheit  (5,  26 fg.  10,13  —  17.  17  —  25).  Hier  bekämpft  er,  wie  so  oft  schon  früher 
(1737:  Oeuv.  21,  78;  1746:  Histoire  de  mon  temps  IV,  197;  1747:  Oeuv.  I,  232;  1775: 
ib.  23.  337)  die  Weitschweifigkeit  des  deutschen  (5.  27fg.  10.17—25.  18,4  —  26). 

Die  r  e  f  o  r  m  v  o  r  s  c  h  1  ä  g  e  6,  mit  denen  der  könig  an  die  spräche  heran- 
tritt, zerfallen  in  stilistische  (18,4  —  31.  19,20—31.  20,31—21,14  mithinweis 
auf  die  rhetorik7)  und  lautliche  (18,31  —  19,20). 

Für  den  stil  hofft  er  das  meiste  von  dem  vorbild  der  alten  klassiker,  be- 
sonders von    ihrer   kraftvollen   kürze  (18,5  —  26).     Unschwer  erkennt  man  an 

1)  Fragmente  I,  2,  6  ed.  Suphan  I,  162. 

2)  Sogar  der  hinweis  auf  Italien  (5,  lOfgg.)  findet  sich  schon  hier.  Gegen  die 
dialekte  schreibt  er  auch  an  Voltaire  1775:  Oeuv.  23.337. 

3)  Erst  nachträglich  habe  ich  gefunden,  dass  Mentz  s.  207  für  dies  gespräch 
eine  ausführlichere  relation  benutzen  kann,  als  der  von  mir  herangezogene  brief  Gott- 
scheds an  Fiottwell  (bei  Krause). 

4)  15,  12  (vgl.  19,31  —  35)  wird  über  die  armut  an  metaphorischen  aus- 
drücken geklagt. 

5)  Daher  die  forderung  des  recueil  muui  de  la  sanetion  nationale:  4.  34  vgl. 
15,31  —  33  und  1737:  Oeuv.  21,  79;  1746:  Histoire  de  mon  temps  (IV,  198). 

6)  Er  bezeichnet  sie  18,  4  als  secours  intermediaires  im  gegensatz  zu  dem 
hauptverbesserungsmittel :  der  belebung  des  sprachlichen  aufschwungs  durch  die  Schrift- 
steller. 

7)  Ähnliche  äusserungen  Meierotto  gegenüber  1783  bei  Meister  109. 


ÜBER  FRIEDRICH  D.  GR.  ED.  GEIGER  FNT)  JUSTTJS  MOSER  ED.  SCHÜDDEKOPF  267 

dieser  stelle  die  nachwirkung  der  Taeitusverhandlungen  aus  der  zeit  der  entstehungs- 
geschichte  der  Schrift1. 

Selbst  an  das  lautliche  gebiet  wagen  sich  die  besserungsvorschläge  des  königs 
heran.  Obwol  er  das  Sprichwort:  Caesar  non  est  super  grammaticos  ganz  gut  kennt2, 
verlangt  er  doch  des  'wolklangs'  wegen  kurzer  hand  sagena  statt  sagen  etc.  und 
empfiehlt  die  anwendung  französischer  lautgesetze  aufs  deutsche.  Der  erste  Vorschlag 
ist  viel  bespöttelt,  hat  aber  vielleicht  in  etwas  zur  belebung  der  altdeutschen  Studien 
beigetragen3.  F.  verweist  auch  noch  auf  das  englische,  das  zu  seinem  heile  fremdes 
spraehgut  aufgenommen  habe  (17,15  —  18).  Die  schlussempfehluügen  der  deutschen 
spräche,  besonders  der  lebhafte  wünsch,  dass  das  deutsche  hofsprache  werde  (37,33 
bis  38,  27) 4,  zeigen  zusammen  mit  den  erwähnten  lautlichen  besserungsbestrebungen ; 
und  den  bekannten  Verdiensten  des  königs  um  die  hebung  des  deutschen  Unterrichts, 
wie  lebhaft  seine  interessen  für  dies  gebiet  waren,  trotz  der  immer  wieder  hervor- 
tretenden fremdländerei. 

Ob  aber  die  mittel,  die  F.  zur  besserung  der  spräche  vorschlägt,  'eine  fein- 
sinnige kenntnis  der  bedingungen  der  sprachentwickelung'  verraten,  wie  Mentz  s.  213 
anführt,  muss  bei  der  offensichtlichen  rückständigkeit  des  königs,  namentlich  in  allen 
grundsätzlichen  fragen,  ganz  dahin  gestellt  bleiben6.  Überflüssig  wäre  es  andrerseits, 
sich  über  die  Unkenntnis  des  königs  im  jähre  1780  zu  ereifern.  Denn  alles  wichtige 
auch  des  sprachcapitels  ist  weit  älteren  datums.  —  Wol  gibt  es  schon  zu  Fs.  zeit 
eine  feinsinnige  kenntnis  der  spräche,  vor  allem  einen  historischen  Standpunkt  bei 
der  beurteilung,  aber  gerade  im  lager  der  gegner  des  königs,  z.  b.  in  Osnabrück  bei 
Moser  und  in  Weimar  bei  Herder7. 

Weit  höher,  als  die  sprachlichen  sind  die  eruditionscapitel  zu  werten.  In 
ihnen,  besonders  in  den  tief  eindringenden  ausführungen  über  die  philosophie  oder 
in  den  aufgestellten  erziehungsgrundsätzen.  die  dem  neuhumanismus  den  weg  bereiten. 

1)  Das  wort  Tot  verba,  tot  pondera  führt  F.  sowol  hier  (18,  30)  an,  als  in  einem 
der  von  Hertzberg  veröffentlichten  briefe  (Hist.  44).  F.  hebt  überhaupt  die  lateinischen 
citate,  selbst  wenn  sie  falsch  sind  (Mentz  199).  —  Über  die  forderung  guter  bildet-  usw. 
s.  oben  s.  266). 

2)  Bei  F.  rufen  ihm  die  sectateurs  zeles  du  Tudesque  dies  Sprichwort  partout 
en  beau  latin  entgegen  (19,  7  fgg). 

3)  Gomperz,  einer  der  recensenten,  den  ich  nur  aus  Suphan  (Zeitschr.  5,  243fgg.) 
kenne,  ist  ganz  erfreut,  solche  «-formen  aus  dem  Freisinger  Otfrid  belegen  zu 
können  (243 *). 

4)  Schon  von  Gottsched  in  dem  gespräch  1757  geäussert:  Krause  89. 

5)  Genaue  berücksichtigung  der  grammatischen  regeln  wird  IS,  22 —  26,  1  ver- 
langt.    Fs.  praxis  widerspricht  dem  augenfällig:  Mentz  221  fg. 

6)  S.  214  führt  Mentz  eine  reihe  von  zeitgenössischen  urteilen  an,  die  sich 
ebenfalls  abfällig  über  die  deutsche  spräche  äussern,  und  sucht  dadurch  den  könig  zu 
entlasten.  Dabei  aber  kann  der  hinweis  auf  den  stark  französisch  gebildeten  herzog 
Karl  August  nicht  viel  beweisen. 

7)  Mentz  hat  in  dem  wertvollsten  teile  seiner  Schrift  (217-  225)  lehrreiche 
Zusammenstellungen  über  die  praktische  kenntnis,  die  F.  von  der  deutschen  spräche 
hatte,  gebracht.  Es  geht  daraus  u.  a.  hervor,  «lass  selbst  Fs.  deutsch  unter  franzö- 
sischem cinfluss  stand  (220).  Mentz  kommt  zu  dem  Übrigens  schon  von  Moser  (IX,  156) 
vermuteten  resultate,  dass  V.  wesentlich  nur  'den  märkischen  dialekt,  den  militärischen 
und  kanzleistil  seiner  zeit'  gekannt  hat:  eine  ausrüstung,  die  ihn  natürlich  Dicht  be- 
fähigte, eine  einigermassen  wertvolle  schritt  über  die  deutsche  spräche  und  litteratur 
zu  schreiben. 


208  HABH 

liegt  zweifellos,  so  viel  ältere  gedanken  hier  auch  widerkehren1,  die  bleibende  be- 
deutung  unserer  schrift.    Man  moss  «las  betonen,  weil  die  z< 

zumeist  über  diese  teile  der  schrifi  reohl  flüchtig  hinwegeilen.  Im  rahmen  einer 
LitterarhistoriBchea  betrachtung  ist  natürlich  ein  urteil  über  diese  abschnitte  unmöglich. 
Dasselbe  *.rilt  von  den  zerstrenten  bemerkungen  des  königs  über  die  politische  und 
wirtschaftliche  entwickelung  Deutschlands  und  der  Dachbarländer. 

Alle  bisher  aus  der  schrift  herausgehobenen  und  im  wesentlichen  als  alt- 
fridericianisch  uacbgewiesenen  gedankeo  haben  ihr  bei  mit-  und  nachwelt  noch  keine 
sonderliche  berühmtbeit  sichern  können.  Erst  ihrem  urteil  über  einzelne  lite- 
rarische ersoheinungen  und  besonders  dem  urteil  über  die  bübne  verdankt  die 
schrift  ihre  grosse  Wirkung.  Aueh  hier  werden  wir  an  vielen  stellen  alten  urteilen 
des  königs  begegnen,  ja  durch  sie  ■/,.  t.  noch  in  die  kronprinzenzeit  zurückgeführt 
werden.  Aber  es  ist  doch  bemerkenswert,  dass  sein  Vernichtungsurteil  über  das 
drama  des  sturmes  und  dranges,  so  viel  mir  bekannt,  in  dieser  schroffen  form  von 
ihm  noch  nicht  formuliert  worden  ist2. 

Was  er  dagegen  gleich  über  den  Königsberger  prediger  Quandt  rühmend  (6,  15) 
hervorhebt,  weist  in  seine  frühzeit  zurück  (1739/40:  Geiger2  VII.  dort  näheres  über 
Qu.).  Noch  1757  hat  er  Gottsched  erzählt,  'wie  Er  ihn  als  Crou -  Printz  gehöret  und 
wie  er  Ihn  bezaubert  hätte ':i.  Die  eingehende  berück-siehtigung  der  rhetorik  über- 
haupt erklärt  sich  ebenso  sehr  aus  den  Jugenderinnerungen,  wie  aus  der  starken  be- 
eintlussung  durch  die  antike  (Quintilian).  Auch  in  der  lyrik  und  epik  sind  es  alte 
freunde,  die  F.  1780  wider  rühmt.  Am  bekanntesten  sind  da  seine  sympathieen  für 
Geliert  (6,  4).  Bereits  1757  ist  er  Gottsched  gegenüber  (bei  Krause  90)  voll  seines 
lobes1.  Ein  französisches  lohgedicht,  das  ursprünglich  für  Gottsched  bestimmt  war 
(Oeuv.  XIII,  162 fg.),  hat  er  später  auf  Geliert  umgedichtet.  Selbst  im  jenseits  will 
der  könig,  wie  er  launig  an  d'Alembert  schreibt  (1781:  Oeuv.  25,172),  Gellerts  fabeln 
und  die  idylles  d'un  Germain  nomme  G essner  nicht  entbehren.  Dem  'Schwane  von 
Mantua'  will  er  sie  überreichen.  Gessner  erscheint  auch  in  unserer  schrift  (6,7). 
Aber  der  könig  kennt  ihn  erst  seit  sechs  jähren.  Denn  von  dem  erwähnten  gespräche 
mit  Swieten  berichtet  dieser  selbst  (bei  Arneth  VIII,  621):  Je  citai  Gessner.  qu'il  ne 
connoit  pas.  Am  weitesten  in  die  Vergangenheit  zurück  weist  vielleicht  die  er- 
wähnung  von  Canitz,  dessen  schaffen  noch  ganz  dem  17.  Jahrhundert  angehört  (6,5). 
Er  erklärt  ihn  schon  früher  einmal  (Oeuv.  1.232)  für  den  einzigen  guten  dichter,  den 
Brandenburg  unter  Friedrich  III.  gehabt  habe.  Das  urteil  von  1780  ist  weniger  ein- 
gehend und  deshalb  härter.  Noch  1747  hatte  F.  geschrieben:  c'est  le  Pope  de  l'Alle- 
magne,  le  poete  le  plus  elegant,  le  plus  correct  etc. Ä. 

1)  Besonders  die  empfohlenen  autoren  sind  alte  lieblinge:  in  den  von  Mentz 
s.  225  citierten  Visitationsvorschriften  von  1770  erscheinen  sie  ebenso,  wie  iu  dem 
gespräch  mit  Gottsched  (Krause  87 fgg.),  die  Maskov,  Bayle,  Vvrolff,  Leibniz  usw. 

2)  Hier  wäre,  wozu  Köster  die  anregung  gibt,  erst  einmal  äusserlich  nach- 
zuweisen, welche  deutschen  stücke  der  könig  überhaupt  gesehen  hat. 

3)  Von  Massillon,  den  F.  22,  7fg.  rühmt,  ist  er  gleichfalls  schon  als  Jüngling 
beeinflusst  worden:  Hettner  III,  2,  13.  Im  übrigen  kann  ich  mangels  genauerer  kenntnis 
der  französischen  litteratur  auf  urteile  des  königs  über  Franzosen  nicht  eingehen. 

4)  Auch  in  dem  erwähnten  gespräch  mit  Swieten  citiert  er  1774  Geliert: 
Arneth  VIII,  621. 

5)  Hall  er  wird  nur  im  eruditionscapitel  beiläufig  erwähnt  (34,  30),  ist  aber 
doch  scbon  dem  kronprinzeu  mindestens  dem  namen  nach  bekannt  geweseu:  Koser, 
Kronpr.  154. 


ÜBEB  FRIEDRICH  D.  GR.  ED.  GEIGEB  DlTO  JUSTÜS  MÖSEB  ED.  SCHÜDDEKOPF  269 

Nicht  ohne  absieht  verschweigt  F.  den  namen  Klopstock.  Bereits  1757 l  hat 
er  ihn  im  gespräche  mit  Gottsched  'ganz  verworfen '  (bei  Krause  90) '-.  Noch  Swieten 
aber  zweifelt,  ob  er  ihn  überhaupt  gelesen  habe  (bei  Arneth  VIII,  621) :i. 

Erfreulichere  anfange  sieht  der  könig  hier  nur  in  versen  eines  anonymus  — 
es  ist  der  anakreontiker  Götz  (s.  Geiger2  XI — XIV)  —  an  welchen  ihm  die  'cadenz' 
und  'havmonie',  ferner  die  glückliche  mischung  von  daetylen  und  spondeen  gefällt 
(6,  22fgg.).  Auch  mit  Swieten  hatte  er  sich  früher  über  den  hexameter  unterhalten 
(bei  Arneth  VIII,  621).  Von  dem  Götzischen  gedichte  ist  dem  könig  vermutlich  1773 
(Geiger-  XI)  ein  exeniplar  zu  gesiebt  gekommen.  Es  handelt  sich  also  auch  hier  um 
älteres  material.  Die  sämtlichen  äusserungen  aber  über  die  epik  und  lyrik  der  Zeit- 
genossen bestätigen  widerum  die  erfahrung,  dass  der  könig  von  alten,  ihm  lieb  ge- 
wordenen gedauken  nicht  lassen  kann.  Nur  in  nebensächlichen  punkten  hat  er  (warum, 
vermag  ich  nicht  anzugeben)  sein  urteil  leise  geändert  (Canitz  —  Milton). 

Dasselbe  darf  man  (von  der  bitterhöhnischen  formulierung  abgesehen)  auch  von 
seinen  bemerkungeu  über  drama  und  theater  (6,  33  —  7,  16.  23,2  —  34)  behaupten. 
Seine  klagen  sind  hier  gleichfalls  althergebracht.  La  scene  allemande  est  abandonnee 
ä  des  bouffons  orduriers  ou  h  de  mauvais  farceurs,  qui  representent  des  pieces  Sans 
genie,  qui  revoltent  le  bon  sens  et  fönt  rougir  la  pudeur.  So  heisst  es  in  der  redaction 
der  Hist.  de  mon  temps  von  1746  (IV,  199).  Dieser  ton  wird  auch  in  der  folgezeit 
bei  ähnlichen  gelegenheiten  stets  angeschlagen  (1747:  Oeuv.  1,232;  1775:  Oeuv.  23,  237). 
Und  wenn  er  als  kronprinz  wirklich  einmal  in  eine  komödie  gegangen  ist,  so  schwört 
er  de  bonne  foi  de  ne  pas  jamais  remettre  le  pied  en  telles  comedies  (1732  an 
Grumbkow:  Oeuv.  16,62.    Genaueres  Koser,  Kronpr.  s.  256). 

Das  ist  einiges  aus  der  Vorgeschichte  der  urteile  von  1780  über  das  theater. 
Daher  nun  der  ausfall  gegen  das  deutsche  trauerspiel,  das  entweder  hoch  auf  stelzen 
gehe  oder  im  schmutze  wühle  (6,33  —  7,1).  Wie  stark  der  geschmack  seines  volkes 
verwildert  sei,  dafür  sind  die  öffentlichen  Schauspiele  ihm  überhaupt  der  beste  beweis 
(23,  3  —  5).  Die  abominables  pieces  de  Schakespear  sind  ihm  würdig  der  wilden 
von  Cauada.  Vielleicht  stammt  dies  urteil  selbst  der  form  nach  von  Voltaire'.  Und 
warum  dies  urteil?  Weil  Shakespeare  die  aristotelischen  eiuheiten  nicht  beachtet  und 
die  verschiedenen  Charaktere  und  milieus  in  verletzender  weise  durcheinander  mengt 
(23,  5  —  21).  Was  Shakespeare,  weil  er  am  anfang  der  entwicklung  steht,  noch  zu 
verzeihen  ist,  darf  man  beim  Götz  nicht  mehr  entschuldigen.  Es  ist  eine  imitation 
detestable  de  ces  mauvaises  pieces  angloises  (23,22  —  28),  eine  repetition  de  ces 
degoütantes  platitudes.  Der  könig  weiss,  dass  sich  über  geschmacksf ragen  streiten 
lässt  (22,  37).  Aber  hier  handelt  es  sich  nicht  um  eine  geschmacksf  rage,  sondern 
um  den  unterschied  zwischen  Seiltänzern  und  marionetten  auf  der  einen  und  den 
—  tragödien  von  Racine  auf  der   andern  seito :    zwischen   Vergnügungssucht,    mit   der 

1)  Das  harte  urteil  über  Milton  erscheint  in  unserer  schrift  abgemildert: 
35,24  —  28. 

2)  Sicherlich  auch  aus  dogmatischen  d.  li.  freigeisterischen  gründen.  Vgl.  Suphau, 
Zeitschr.  5,  240. 

3)  Auch   Meierotto   gegenüber    lehnt    er    zwei    jähre   später   Klopstock   ah   (bei 
Meister   s.  112).     Wielaud,   der   in   unserer   sohrifl    gar   nicht    vorkommt,    wird   jetzt 
rühmend  erwähnt.     Der  könig  fragt,  wo  er  denn   lebe,      lud  als  er  nun   von  \\ -Miliar 
hört,   ruft   er:    'Ha   ha!    wo   der   herzog    mit   seinem    döthe    lebt'.      'Seinen    üb] 
Göthen  als  schriftsteiler  eben  nicht  sehr  zu  sohätzen'  lügt  der  referent  hinzu  1 1  1 

4)  Gaertner  N V '.  Pröhle  168.  Die  holländische  oper  nennt  K.  iTtiS  ein  ohari- 
vari  digne  du  sabbat  des  sorcieis:  Oeuv.  24.  Löti 


'_'70  HABHAGKK 

man  die  zeit  tot  schlägt,  und  ernsthaften  konstgenuss  (23,31  —  34).    Und  das  alles 

egen  eben  den  Goethe  gerichtet,   bei  dem  Bicfa  gerade  jetzt  langsam,  aber 
die  abwendung  von  seinem  dramatischen  jugendideal  vollzieht. 

Sehr  merkwürdig  kontrastiert  mit  dieser  absage  auf  immer  and  ewig,  da 
stück,  welches  derkönig  empfiehlt,  verzweifelt  mehr  ähnlichkeit  hat  mit  einem  spec- 
tacle  aux  marionettes,  als  mit  dem  hoben  drama  der  Franzosen.  El  i  -t  das  lust.-pi.-' 
des  Wieners  Ayrenhoff,  betitelt:  'Der  postzag  oder  die  aobeln  passionen'1.  Wun- 
derbar9, dass  er  daran  gerade  das  preist,  was  ihm  der  Götz  in  so  anendlich  viel 
tiefererweise  hätte  bieten  können:  das  originale:  ce  Bonl  ooa  mceui  •  nos 

ridicules,  que  le  poete  expose  sui'  Le  theätre  7,4. 

Die  Voraussetzungen  für  all  diese  arteile  liegen  in  dem  orthodoxen  französischen 
klassizismus *,  den  Lessing  mehr  als  zehn  jähre  frühei  in  der  dramaturgie  bereits 
bekämpft  hat. 

Dass  die  schweren  gebrechen  dieser  litterarischen  kritik  aber  vielmehr  in  dem 
zu  suchen  sind,  was  sie  verschweigt1,  als  in  dem,  was  sie  bespricht,   ist  schon  früh 
bemerkt  worden.     Aber  man  darf  darüber  nicht  vergessen,  dass  der  könig  tatsächlich 
nur  alte  freunde  lobt  oder  alte  feinde  bekämpft.     Ein  Inventar  über  die  'guten'  litte- 
rarischeu  fruchte  der  Zeitgenossen  aufzunehmen .  lag  weder  in  seiner  absieht,  aoeh  in 
seiner  befahigung.  —  Die  grundlage  für  eine  abschliessende  beurteiiung  der  schritt 
winde  eine  doppelte  sein  müssen.     Einmal  ein  absolut  vollständiges  Verzeichnis  aller 
älterer  äusserungen  des  königs  über  die  themata  unserer  schrift5  und  sodann  biographisch 
eine  genaue  darstellung  gerade  des  letzten  Jahrzehnts  aus  dem  leben  Fs.:  seiner  wünsche 
und  hoffnungeu,   seiner  Stimmung.     Beide    grundlageu    sind    aber  in  der   bis- 
herigen litteratur  nocli  nicht  gelegt  worden.  —  Eine  Würdigung  allgemeineren 
Charakters  ist  oft  gegeben  worden,  vielleicht  am  besten  von  Hertzberg  (bei  Meister  s.  93): 
'Die  Epoke  der  besseren  Bildung  der  deutschen  Litteratur  fällt  in  Zeiten,  da 
er  seinen  Staat  zu  retten  und  Deutschlands  Ruhm  zu  mehren,  mit  Thaten  bemüht 
war,  wie  sie  kein  Zeitalter  vor  ihm  gesehen  hat.    Auch  nachher  mit  der  Litteratur 
wie  ein   zunftmässiger  Gelehrter  oder  ein  geschäftsfreyer  Dilettaute   fortzugehen, 
davon  halten  ihn  Beschäftigungen  zurück,  die  wichtiger  sind,  als  alle  litterarische'. 
Die  persou  des  Verfassers  und  der  inhalt  der  schrift  bürgten  dafür,   dass  in 
dem  schreibseligen  Zeitalter  alsbald  die  kritik  gegen  die  ansichten   des  königs  in  den 
kämpf  zog c.    Es  sind  nicht  gerade  die  sterne  erster  grosse ,  die  hier  ihr  licht  leuchten 
lassen.     Aber  zur  erkenntnis  der  verschiedenen   parteirichtungen   sind   manchmal  die 
äusserungen  der  kleineren  geister  besonders  wertvoll,  weil  auf  sie  das  Schlagwort  be- 
zaubernder wirkt,  als  auf  die  grossen7.     Manches  beachtenswerte  hat  diese  kritik  zu 
tage   gefördert,    und   es  sind  gar    nicht  nur   'kärrner,    ausputzer,   berichtiger,   nach- 
träger', die  daran  teilnehmen  (so  Suphan  12). 

1)  Mir  lag  es  in  der  ausgäbe  von  1803  vor  (3.  band  der  sämtl.  werke  s.  1 — 70). 
Das  stück  ist  1771  in  Berlin  40m al  aufgeführt  worden:  Gaertner  VIII  (Berliner 
programm  1892). 

2)  Es  ist  ferner  auffallend,  dass  der  könig  gerade  ein  stück  wählt,  in  dem 
(allerdings  maskiert)  gegen  die  fremdländerei  gekämpft  wird:  s.  Geiger'-' IX fgg. 

3)  Sogar  eine  angebliche  logik  von  Batteux  wird  20,  16  erwähnt. 

4)  Die  ganze  kriegslyrik  z.  b.,  Gleim  nicht  ausgenommen. 

5)  Das  fordert  jetzt  auch  Schüddekopf  s.  V. 

6)  Eine  reichhaltige  Zusammenstellung  brieflicher  äusserungen  jetzt  bei  Geiger2 
s.  XXIII  —  XXIX. 

7)  Das  übersieht  Schüddekopf  s.  Vfg. 


ÜBEK  FRIBDBICH  D.  &R.  ED.  GEIGER  UND  JUSTUS  MOSER  ED.  SCHÜDDEKOPF  271 

Als  der  erste  ergreift  der  Braunschweiger  abt  Jerusalem  das  wort.  'Über 
die  teutsclie  spräche  und  litteratur.  An  ihro  kgl.  hoheit  die  verwittwete  frau  herzogin 
von  Braunschweig  und  Lüneburg'  ist  der  titel  seiner  in  Berlin  1781  anonym  er- 
schienenen schrift.  Über  die  entstehungsgeschichte  orientieren  neben  Hertzbergs  schon 
citierter  Histoire  einige  angaben,  die  Krauske  aus  dem  Berliner  geh.  Staatsarchiv  macht 
(Hist.  zschr.,  n.  f.,  21,  513  fgg.j.  Wie  schon  die  Widmung  zeigt,  schreibt  J.  auf  ver- 
anlassung seiner  herrin,  der  Schwester  des  königs. 

Gewiss  beurteilt  Hertzberg  die  schrift  richtig,  wenn  er  dem  könige  schreibt: 
J.  "ist  im  wesentlichen  mit  der  meinung  ew.  maj.  einverstanden'  (Hist.  57).  Aber  J. 
erlaubt  sich  doch  allerlei  charakteristische  abweichungen l.  Nach  dem  vorbilde  des 
königs  behaudelt  er  in  einem  mehr  kritischen  teil  (3  — 18)  die  gründe  des  litterarischen 
tiefstands,  in  einem  mehr  rühnvenden  die  Symptome  des  aufschwungs  (18  —  29)2. 

Als  bewährter  kanzelredner:!  nimmt  er  besonders  an  Fs.  angriff  gegen  die 
deutsche  rhetorik  anstoss,  indem  er  (wie  Ayrenhoff  s.  124  und  Moser  s.  23)  mit  recht 
darauf  verweist,  das  alle  äusseren  bedingungen  für  die  entwicklung  einer  grossen 
öffentlichen  beredsamkeit  in  Deutschland  fehlen.  Ferner  genügen  dem  geistlichen 
die  gründe  uicht,  die  F.  für  den  verfall  des  theaters  anführt.  Er  meint,  ein  wich- 
tiges hemmuis  sei  gewesen,  dass  die  geistlichen  dagegen  geeifert  hätten  (13).  Und 
es  gelingt  ihm  sogar  eine  noch  tiefere  begründung:  'da  Teutschland  keinen  national- 
charakter  hat,  und  unsre  Schriftsteller  .  .  .  keine  andre  weit,  als  den  ort  ihres  auf- 
enthalts  hatten,  wo  sie  ihre  ideale  hernahmen,  so  blieb  das  französische  theater 
unter  uns  in  dem  besitze  seiner  Vorzüge'  (14).  Des  königs  Sprachkritik  erklärt  er 
treffend  und  einfach  damit,  dass  wer  an  die  französische  spräche  gewöhnt  ist,  dass 
dem  natürlich  das  deutsche  missfallen  muss  (16 fg.).  "Aber  jede  spräche  hat  ihren 
besonderen  gang'.     Sein  ideal  ist  keineswegs  die  langue  fixee  (17)4. 

Andrerseits  kann  er  jedoch  wider  den  höfischen  ton  nicht  vermeiden.  Mit 
feiner  beiechnung  lobt  er  den  preussischen  kanzleistil  (7;  vgl.  Koser,  F.  d.  gr.  I'-,  513) 
desgl.  nach  Fs.  Vorgang  Canitz  (7)  und  Thomasius  (8).  Seitdem  überhaupt  der  könig 
den  thron  bestiegen  hat,  macht  sich  ein  allgemeiner  aufschwung  bemerkbar  (9  fg.). 
Aber  als  zeugen  dafür  führt  er  nun  doch  auch  Lessing  au  (14.  20).  Voltaire  selbst 
wird  nach  ansieht  dieses  sanften  Vermittlungsgeistes  die  dramaturgie  'hier  und  da 
mit  kleinen  Unruhen'  gelesen  haben.  Von  Goethe  und  Herder  hat  auch  er  geschwiegen5. 
Ond  in  dem  unhistorischen  vergleichen  bewegt  auch  er  sich  nur  zu  gerne6. 

Am  deutlichsten  kommt  der  hofmann  am  Schlüsse  zum  vorscheiu.  Da  be- 
zeichnet er  es  (22)  als  die  l lächerlichste  und  vermessenste  Unwissenheit',  einen  ver- 
gleich mit  den  Franzosen  zu  versuchen  (22).    Ausführlich  ist  von  Fs.  gutem  einflusse 

1)  Nur  auf  diese  ist  in  der  folgenden  bespreohuDg  eingegangen,  daneben  auf 
das  höfische. 

2)  Doch  finden  auch  schon   im  ersten   teile  'einzelne  genies'   platz. 

3)  'Simplicität,  licht  und  gemässigte  wärme',  sind  seine  eigenschaften :  12. 

4)  Er  weiss,  dass  sich  die  grossen  Franzosen  nur  ungern  dein  academiezwang 
unterwerfen.  Den  könig  ergänzend,  behandeil  er  auch  den  musikalischen  wert 
des  Deutschen  (19fg.),  ähnlich  wie  A.yrenhofi  (127),  der  sogar  meint,  das  singen 
sei  lbey  uns  beyuahe  zur  nationalleiden  Schaft  geworden'. 

5)  Von  Goethe  vielleicht  wegeu  des  Werthers;  denn  der  abt  ist  der  vater  des 
unglücklichen  Jerusalem. 

(i)  'In  Gesner  ist  die  volle  sanfte  aatursprache  des  Theokrits;  was  ist 
Tyrtäus  gegen  Gleim?'  (19  vgl.  20  —  22).  Die  bist. > polit.  ausführungen  (22 fg. 
25  fg.)  müssen  ausser  betracht  bleiben. 


272  iiasha'.i  ■ 

:nif  die  Sprachentwicklung  (22 — 25)  die  rede.     Und  ein  musterhaft   höfischer  Btil  ist 
im  folgenden  satze  enthalten: 

'Der  woltätige  einfluss  der  sonne  giW  jeder  blnme  ihre  Schönheit  und  jeder 

pflanze  ihre  fruchtbarkeit,  wenn  sie  auch   im  Bchattigten  thale  von  ihren 

strahlen  nicht  unmittelbar  beschienen  werden'. 
Am  Schlüsse  steht  eine  anendliche  periode  (26     281),  die  wider  dazu   bestimmt  ist, 
den  allgemeinen  aufschwung  zu  schildern1.     Es  bedarf  für  ihn   keines  Prometheus* 
sondern  nur  'eines  Strahles  von  Fa.  throne',  'den  schon  erweckten  geist  noch   fernes 
anzufeuern' (28).    Ein  hoch  auf  den  könig  schliesst  fliese  erst«  chrift'.    Goethes 

urteil  über  sie:  'wohlgemeint,  bescheiden,  aufrichtig,  alt,  kalt  and  arm'.  Il> 
urteil  über  den  ganzen  mann:  'ein  kleiner,  enger,  politischer  köpf,  gottserbärmlich' 
(bei  Suphan  57)  bestehen  noch  heute  zu  recht8.  Aber  so  'alt'  er  auch  sein  mag: 
er  steht  dem  neuen  geiste  doch  weit  näher,  als  der  könig.  Sicherlich  hat  ein  längerer 
aüfenthalt  in  England  (1737  —  40:  Allg.  d.  biogr.  13,  780)  auf  ihn  ebenso  günstig  ge- 
wirkt, wie  auf  Moser.  —  Was  ihn  als  theologen  charakterisiert:  das  sanfte  vermitteln 
zwischen  allen  feinden1,  hat  er  von  neuem  durch  diese  Schrift  bewiesen.  Die  könig- 
liche kritik  verliert  in  dieser  milden  beleuchtung  all  ihre  schärfen6. 

Jerusalem  ist  an  den  von  dem  könige  angeregten  fragen  selbst  nicht  sonderlich 
interessiert  gewesen,  und  die  spitzen,  die  F.  versteckt,  aber  jedem  erkennbar,  gegen 
die  theologie  anbringt  (14,  1  —  5.  24,14  —  16),  hat  der  theologe  Jerusalem  mit  geschick 
ignoriert0.     Denn  er  liebt  die  compromisse. 

Lebhafter  wird  der  ton,  wenn  näher  beteiligte  in  die  debatte  eingreifen.  /..  b. 
der  Verfasser  des  Postzugs,  Cornelius  von  Ay renhoff7.  Genau  wie  Jerusalem,  nur 
aus  andern  gründen,  ist  er  mit  den  behauptuugen  Fs.  ganz  einverstanden.  So  un- 
passend wie  möglich,  vergleicht  er  Fs.  Schrift  in  ihrer  reinigenden  Wirkung  mit  einer 
oppositionsrede  im  englischen  parlament  (115). 

As.  'schreiben'  reiht  ganz  lose  verschiedene  hemerkungen  aneinander.  Nicht 
nur  im  interesse  Wielands,  sondern  vor  allem  im  interesse  seines  Postzugs  verwahrt, 
er  sich  gegen  die  beurteilung  der  dialekte  durch  F. 8.  Die  gründe,  die  F.  für  die 
gedrückte  läge  der  deutschen  litte ratur  auf  grund   eingehender  kenntni^   der  franzö- 

1)  Auch  'ein  armer  conrector  zu  Seehausen'  erhält  dabei  eine  ehrenvolle  er- 
wähnung. 

2)  Vgl.  s.  263,  anm.  1. 

3)  Aber  man  vergleiche  damit  das  enthusiastische  urteil  einer  Zeitgenossin  über 
den  'himmlischen'  greis  bei  Suphan  32.  'Kein  streber,  aber  wachsender  ehren 
froh'  Erich  Schmidt,  Lessing2  II,  107. 

4)  Selbst  Socinianern  ist  er  ein  freund  gewesen:  Allg.  d.  biogr.  a.  a.  o. 

5)  Jerusalems  schrift  ist  viel  gelesen  worden,  u.  a.  von  einer  correspoudentin 
Hertzbergs  (abdruck  aus  dem  Deutschen  museum  st.  X  1781  bei  Meister  85  fg.).  Sie 
vermisst  unter  den  von  Jerusalem  genannten  prosaisten  vor  allem  Sturtz,  der  kurz 
vorher  gestorben  war  (1779).  Hertzberg  verweist  sie  aber  in  seiner  antwort  vielmehr 
auf  Lessing,  Wieland  und  Moser,  als  auf  'originalere  und  deutschere'  schrift- 
steiler (88). 

6)  Dazu  stimmt  die  nichterwähnung  der  ins  theologische  hinübergreifenden 
schrift.stellerei  Lessings. 

7)  Schreiben  an  den  herrn  grafen  M.  v.  Lamberg:  Werke  1803  V,  113  —  142, 
noch  1780  verfasst  (142). 

8)  Statt  nehmena  (125)  fordert  er  nehma,  wofür  er  wenigstens  auf  dialekte 
verweisen  kann.  Sonst  sind  seine  sprachlichen  reform  vorschlage  noch  schlimmer,  als 
die  königlichen.    Er  bekämpft  das  'schreyende'  seh  und  das  'keichende'  h. 


T?BER  FRIEDRICH  D.  GR.  BD.  GEIGER  OND  JTTSTTTS  MOSES  BD.  SOHDDDKKOPI  273 

sischen  litteratur  angeführt  hat,  legt  A.  nicht  lange  auf  die  wagschale.  Für  ihn  ist 
einfach  der  zufall  herr  üher  die  Sprachgeschichte1. 

In  dem  unhistorischen  vergleichen  decken  sich  seine  ansichten  mit  den 
bereits  besprochenen.  Den  kämpf  gegen  die  'Grenadiers  des  altertums"  gibt  er  von 
vorneherein  auf. 

Im  drama  ist  er  gemäss  seiner  praxis  klassizist ".  Das  folgt  aus  den  Vor- 
bildern, die  er  anführt  (129),  mit  derselben  bestimmtheit,  wie  aus  dem  tadel  gegen 
Lessings  Stellung  zu  den  Franzosen  (133).  Entrüstet  fragt  er  in  einem  epigram me 
'Vor  Lessings  Minna  von  Barnhelm'  (V,  17):  'Der  schurk  im  stück,  warum  ist  er 
Franzos?'  Noch  lange  'wird  Melpomene  seufzen,  dass  er  zu  viel  böses  von  Corneille 
und  Voltairen,  und  viel  zu  viel  gutes  von  Shakespearn  geschrieben  hat'. 

Er  versucht  sich  sogar  in  bemerkungen ,  die  wie  eine  geschichte  des  zeit- 
genössischen dramas  aussehn.  J.  E.  Schlegel.  Cronegk,  Weisse  (136)  sind  auf 
dem  besten  wege  zum  klassizismus  gewesen.  Aber  da  sind  'ein  paar  Sonderlinge ':! 
auf  den  gedanken  gekommen,  alte  regeln  zu  brechen,  und  Melpomenens  tempel  ist 
nun  'in  eine  bunt  übermalte  gauklerbude '  verwandelt  (137).  Wenn  der  könig  die 
neuen  stücke  mit  seiltänzereien  auf  eine  stufe  stellt,  so  sieht  A.  schon  in  der  be- 
zeichnung  'Schauspiel'  ('guckspiel' =  ausstattungsstück?)  einen  Verderb.  Natürlich  ist 
es  nicht  schwer,  als  Hamlet  und  Lear  erfolge  zu  gewinnen.  Denn  dazu  gehört  nur 
'ein  wenig  grimassieren'.  Man  spiele  aber  erst  einmal  'einen  gut  geschilderten  tragi- 
schen held  aus  einem  gesitteten  Zeitalter'.  Dann  wird  man  schon  die  Schwierigkeiten 
merken4. 

Viel  schwerer  als  A.,  hat  ein  anderer  lustspieldichter,  Wezel,  sich  seine  arbeit 
gemacht.  Seine  Schrift.  'Über  spräche,  Wissenschaften  und  gesehmack  der  Teutschen' 
(Leipzig  1781)  beschäftigt  sich  auf  328  s.  mit  dem  weiterspinnen  der  königlichen 
gedanken.  Den  Zeitgenossen  hat  diese  schritt  allein  schon  wegen  ihrer  länge  und  sicher 
auch  wegen  ihrer  wasserklaren  disposition  ganz  besonders  gefallen"'.  Als  gegenschrift 
aber  ist  AVezels  arbeit  kaum  noch  zu  bezeichnen.  An  des  königs  schrift  erinnert  fast 
nur  noch  die  zu  gründe  gelegte  einleitungsdisposition.  Im  übrigen  wird  jede  kleine 
bemerkung  zu  einem  langen  aufsatz  aufgeschwemmt.  'Bloss  zum  leitfaden'  dienen 
ihm  Fs.  gedanken.  Es  ist  unmöglich,  hiervon  in  kürze  ein  bild  zugeben".  Principiell 
ist  er  mit  dem  könig  einverstanden7.  Er  spricht  von  'Stiftern'  der  spräche  (40.  58) 
und  nennt  sie  die  'tümmsten  barbaren'.  Dass  er  die  spräche  für  regulierbar  hält, 
zeigen   seine   ungemein   genauen   reformvorschläge.     Und   wenn   er  am   schluss   (297) 

1)  Er  ist  sogar  mächtiger,  als  die  gunst  der  kröne  (123).  von  der  A.  sonst 
sehr  viel  hält  (117  fg.). 

2)  S.  Gaertner  XV2. 

3)  Hierüber  weiteres  in  den  Epigrammen  \\  L6.  19. 

4)  Am  schluss  werden  wider  'genies'  aufgezählt,  nicht  nur  Joseph  II.  (139), 
sondern  sogar  F.  d.  gr.  selber.  Über  seine  'moderige'  dramaturgische  tlieorie.  s.  Erich 
Schmidt  II,  135  fg. 

5)  Sie  erhält  nicht  nur  bei  F.  v.  Blankenburg  Litt.  Zusätze  zu  Sulzers  Allu. 
fheorie  der  schönen  künste  1 ,  Leipzig  1796,  s.  :!71K  einen  lobenden  zusatz  (bei  Blan- 
kenburg findet  sich  eine  ausführliche  Bibliographie  der  gegenschriften,  für  die  Krauake 
a.a.O.  noch  ergänzungen  bietet),  sondern  sie  wird  mich  in  einem  handschriftliche!] 
eintrag  (in  dem  exemplar  der  kgl.  öffentl.  bibliothek  in  Dresden)  allerdings  unter  gleich- 
zeitiger kritik  rühmend  charakterisiert. 

6)  Besondere  beachtung  verdient  der  abschnitt  über  die  höflichkeitsspraohe 
s.  134—146. 

7)  Nur  der  eintluss   yon   eben    wird    178.    IS|>  schroff  abgelehnt. 
ZKITSOHRIKT    V.    DRÜTSOHK    PHILOLOGIE.      m>.  \xx  v.  Is 


274  HABHAGJCi 

ganz  verzweifelt  ruft:  -vor  kurzem  wurde  Shakespeare  d<-r  probieretein  des  schönen' 
oder  weiiii  er  in  der  einleitung  gegen  Oöthianismue  und  Hans-SaohsismuB  (XII) 
wettert,  so  hat  er  den  könig  ganz  auf  seiner  Beite. 

All«-  drei  besprochenen  Schriften  führen  die  vom  könig  begonnene  debatte  in 
keinem  wesentlichen  punkte  auch  nur  einen  schritt  weiter.  Jerusalem  bat  allerlei 
bezieh ungen  zur  'neueren'  litteratuT,  A.ber  eine  ernsthaftere  Verteidigung  wagt  ti 
nicht.     Ayrenhoff  und  Wezel  gehören  ooch  ganz  zu  der  partei  der  alten. 

Erst  bei    dem    schwäbischen    pädagog>-n   Joh.    Mich.  Afsprung1    Duden    wir 
gedanken'-',  die  in  das  bis  zum  überdruss  widerholte  Schema  der  Oottsobediauer  nicht 
mehr   hineinpassen.      Drei    behauptuDgen    des   königs   will    er   kritisieren:     1.  da- 
spracbe   rauh   sei,    2.  dass  der  krieg,    3.   dass  der  mangel    an   fürstlicher  gunst   die 
litterarische  blute  verhindert'. 

Er  unternimmt  es  unter  berufung  aufs  griechische  zunächst,  die  dialektc  ah 
selbstverständliche  Spracherscheinungen  zu  erweisen  (äfg.).  Gewiss  ist  das  Studium 
der  alten  von  wert  (8  fg.).  Aber  die  deutsche  spräche  ist  so  'urhaft'.  dass  sie  diese 
vorbildet'  nicht  braucht.  Sie  und  die  romanischen  sprachen  haben  unvergleichbare 
züge.  Eben  deshalb  darf  man  nicht  auf  beide  dieselben  regeln  anwenden.  Dass  es 
den  Deutschen  an  kraftvoller  kürze  mangle,  leugnet  er  gänzlich  (11),  und  es  gibt  zu 
denken,  dass  ihm  ganz  von  selbst  das  Lutherdeutsch  in  die  feder  kommt,  als  er  bei- 
spiele  für  diese  tatsache  anführt.  Auch  Luther  gehört  in  manchem  betracht  zu  den 
heroen  der  ausgebrocheneu  litterarischen  revolution.  Es  ist  bekannt,  wie  Herder  ihn 
wider  zu  ehren  bringt.  Mit  prophetischem  blick  empfiehlt  er  schliesslich  zwei  mittel. 
mit  denen  in  der  tat  die  moderne  Sprachwissenschaft  —  wenn  man  so  aUgemeine 
formein  wählen  würde  —  ihre  erfolge  errungen  hat:  'die  Untersuchung  der  sprach«' 
in  allen  Zeitaltern'  und  'das  fleissige  Studium  der  analogie'. 

Ebenso  bedeutungsvoll  für  A.s  fortgeschrittene  denkweise  ist  es,  wenn  er  so- 
dann (12fg.)  die  hemmende  Wirkung,  die  der  krieg  auf  die  litterarische  entwickelung 
nach  Fs.  meinung  ausgeübt  hat,  bestreitet.  Vielmehr:  'mitten  unter  des  krieges 
seh  rocklichster  Verwüstung'  blühen  die  dichter  empor.  Gedanken,  die  dann  bei  Moser 
eine  grossartige  abschliessende  formulierung  erhalten. 

Geradezu  grausam  aber  und  furchtbar  bitter  ist,  was  er  gegen  Fs.  satz:  des 
Augustes  ferout  des  Virgiles  vorbringt3.  'Wenn  dies  seine  richtigkeit  hätte,  so  sollten 
wir  armen  halbbarbarischen  Teutschen  manchen  Virgil  haben,  unserer  genien  sollte 
eine  legion  seyn;  denn  wir  haben  ja  der  Auguste  und  Mäcene  von  einem  ende 
Teutschlands  zum  andern  eine  schwere  menge'  (14).  'Aber  was  ist  ein  genie?  Ist 
es  nicht  unter  den  menschen  das,  was  Gott  in  der  ganzen  natur  ist?  "Wird  es  nicht 
wie  Gott  durch  das  übermaass  des  gefühls  seiner  kraft  zur  Schöpfung  bewogen? 
und  wenn  es  sein  werk  dargestellt  hat,  und  sieht,  dass  es  gut  ist,  geneust  es  dann 
nicht  alle  schöpfungswonne?'  Das  ist  das  wehen  des  neuen  geistes4.  Und  wenn  wir 
noch  zweifeln,  so  erscheint  nun  endlich  als  eideshelfer  auch  Rousseau,  jener  manu, 
der  das  Deutschland  der  zeit  entzündet  hat  von  Königsberg  bis  Strassburg  und  von 
Osnabrück  bis  hinunter  ins  Schwabenlaud. 

1)  Bemerkungen  über  die  Abhandlung  von  der  teutschen  litteratur.  Frank- 
furt a.  M.  1781. 

2)  Nur  diese  werden  im  folgenden  berücksichtigt. 

3)  Es  würde  ein  besonderes  capitel  abgeben,  wenn  man  hier  die  zahllosen 
gesinnungsgenossen  As.  zusammenstellen  wollte.    Vgl.  Erich  Schmidt  ■  II,  C12. 

4)  Es  folgt  16fgg.  noch  ein  historischer  kommentar. 


ÜBER  FRIEDRICH  D.  GR.  ED.  GEIGER  UND  JT7STUS  MOSER  ED.  SCHTDDEKOPF  2YO 

Die  schlusspartieen  der  inhaltreichen  kleinen  Schrift  bewegen  sich  wider  mehr 
in  dem  gewöhnlichen  fahrwasser  (23fgg.).  Als  Pädagogen  gefällt  dem  Verfasser  die 
erbarmungslose  kritik  des  königs  am  Schulwesen  der  zeit  ganz  besonders  (26).  Als 
Schwabe  erklärt  er  den  lehrplan,  den  F.  für  den  philosophieprofessor  aufstellt,  als 
'unverbesserlich'  (27). 

Die  schrift  ist  keine  durchschnittsware,  wie  so  vieles,  was  gegen  F.  verfasst 
ist.  Dass  sie  die  Streitpunkte  grundsätzlich  fasst,  ist  gegenüber  der  verschleierungs- 
manier  Jerusalems  ein  hohes  verdienst1. 

Für  die  erkenntnis  der  ansichten  dieser  kleineren  geister  haben  wir  ein  sehr 
reiches  material.  aus  dem  im  vorstehenden  nur  einige  proben  gegeben  werden  konnten. 
Leider  ist  das  bei  den  grossen,  zumal  bei  den  grossen  in  "Weimar  nicht  der  fall'-. 

Abgesehen  von  dem  Verluste  der  Goethischen  -litteratur'  bleibt  es  am  bedauer- 
lichsten, dass  auch  Herder  zu  keiner  Widerlegung  das  wort  ergriffen  hat.  Wenige 
monate  früher,  1779  (Haym  II,  117),  hatte  H.  ein  ganz  ähnliches  thema.  wie  der 
könig,  behandelt.  Er  hatte  die  preisfrage  der  Berliner  academie  'vom  einfluss  der 
regierung  auf  die  Wissenschaften  und  der  Wissenschaften  auf  die  regierung'  (ed.  Suphan 
IX,  307  —  408)  beantwortet.  Suphan  (F.  d.  g.  usw.  s.  23.  1041)  hat  die  Vermutung  aus- 
gesprochen, der  könig  habe  die  schrift  zu  sehen  bekommen.  Aber3  mag  Hs.  schrift 
immerhin  'nach  Sanssouci  adressiert'  gewesen  sein  (ib.  22  vgl.  Haym  II,  120):  dem 
ganzen  tone  nach  ist  sie  aufreizend -herderisch4  und  würde  den  könig,  wenn  er  sie 
gelesen  hätte,  zweifellos  zu  einer  geharnischten  antwort  getrieben  haben. 

1)  Meister  (152)  hat  sie  gelesen,  ihre  principielle  bedeutung  aber  gar  nicht  er- 
kannt. Er  preist  in  der  nachschrift  zu  dem  mehrfach  genannten  sammelbiindchen  (154) 
an  F.  d.  g.  noch  besonders,  dass  er  sich  der  kabinetsjustiz  enthält.  Moser  hätte  ihn 
da  mit  dem  falle  des  müllers  Arnold  eines  besseren  belehren  können.  —  Blankeuburg 
(a.a.u.  372*)  führt  unter  den  gegenschriften  auch  Groddeck  auf:  'Über  die  ver- 
gleichung  der  alten,  besonders  der  griechischen  mit  der  deutschen  und  neuern  schönen 
litteratur',  Berlin  1788,  71  s.  Aber  G.  (ein  schüler  Heynes:  48 x)  nimmt  nirgends 
direkt  auf  den  könig  bezug. 

2)  Goethes  antwort  auf  des  königs  schrift.  in  gesprächsform  gehalten,  ist  ver- 
loren. (Darüber  Suphan  2  fgg.  53  fgg.  81  fgg..).  Für  diesen  veriust  entschädigt  in 
einiger  hinsieht  der  berühmte  brief  an  frau  v.  Voigts,  die  tochter  Mosers  (Werke  X, 
244).  Vgl.  R.  M.  Meyer,  Euphorion  II,  134;  Lessing,  der  anfaug  1781  stirbt,  hat  die 
schrift  noch  gesehen  (Erich  Schmidt'2  II,  610),  sich  aber  nicht  mehr  ausgesprochen.  (Ein 
durchschlagendes  epigramm  Kästners  wird  bei  Krauske  s.  513  citiert).  Über  Klop- 
stock  handelt  Suphan  wol  erschöpfend  (78fgg.  vgl.  Geiger2  XXXVI  fg.),  ebenso  über 
Wieland  (24fgg.  77fg.).  Hamann  (bei  Suphan  64fg.)  hat  die  aufklärerische  grund- 
tendenz  der  schrift  des  königs  ganz  richtig  erkannt.  Ein  besonders  starkes  beispiel 
für  den  eindruck,  den  Fs.  schrift  machte,  bietet  Gleim  (bei  Suphan  80 fg.),  der  seinen 
bereits  gestorbenen  freund  Michaelis  auffordert,  noch  aus  dem  jenseits  an  den  könig 
zu  schreiben  und  ihn  so  zu  bekehren.  Vgl.  Geiger2  XXV  und  s.  XXXI  Vfgg.  über 
die  kleineren  gegenschriften.     Man  vermisst  einen  Hinweis  auf  Afsprung. 

3)  Suphans  parallele  ist  ungenau.  Auch  3.  28  fgg.  und  Herder  IX.  332 
(Kömische  htteraturgeschichte  und  Scipio  Africanus)  ist  allvergleichbar.  Geiger* 
s.  XXXVII  fg.  referiert  nur  über  Suphans  ansieht. 

4)  ...'die   neuern,   so  oft  untüchtige   Meoänaten,    zu   loben,  was   sie    nicht 
verstehen  und  mit  pfennigen  zu  belohnen,  worüber  sich   der  kluge  schämt'  (334)  — 
'das  genie  ist  bestimmt,  sich  im  dum- selbst  seinen  weg  zu  bahnen'  (351 ).     'Der  re 
eines  Staates  muss  beinahe  ohne  Lieblingsmeinungerj  seyn'  (361).     Besonders  isl  auf 
folgende  blendende  formulierung  des  historischen  Standpunkts  zu  verweisen  [376) 

'Sowie  man  nicht  dem  ström  der  jähre  und  weltverfaS8Ung  gebieten  kann. 
dass  er  rückwärts  fliesse;  wie  kein  gesetzgeber  durch  eine  zauberruthe  ein  Rom, 
Athen,  Griechenland  hervorrufen  kann,  wo  es   nicht  ist  and  in   nächsten  anlagen 

18* 


!7ß  taftSJ 

Nur  in  einem  längeren  briefe  an  Hamann  (bei  Suphan  56fgg.,  er  ist  lücken- 
haft überliefert)  hat  er  eich  über  die  'litteratur'  des  königs1  and  namentlich  G< 
ausgesprochen.    I  bei  de£  Letzteren  gespräoh  bei  das  ganze  hat  mir  nicht  _ 

getban  und  die  einfassung  nicW   gefallen'.     I  •    II.   hier  wirklich    nur  der  l mäkelnde 
kritiker'  (8uphan58)?'    Darf  man  es  nicht    a  H.  zurwiderle 

überhaupt  der  geeignetere  gewesen  wäre?    Da  wären   die  alten  gedanken  dei  jn 
zeit,  durcb  ein  fast  ununterbrochenes  nachsinnen  über  die  pbilosophie  der  gesehichte 
genährt,  zu  gewaltigem   durchbruch   gekommen.      Ist    ■  ■-    nicht   möglich,  ilass  ei    <l 
universaleren  Standpunkt  an  Goethes  schritt,  vermi 

Das  alles  sind  fragen,  die  sich  mit  onsern  quellen  nicht  beantworten  las 
Sicher  ist  nur,  dass  unter  dem  eindruck  der  schrif!  Fs.  die  Jugendarbeit  der  Frag- 
mente wirklich  wider  hervorgeholt  wird  und  'einen  neuen  zunder  der  auferweckung1 
erhält  (Hs.  werke  I,  s.  XXXVIII).  Der  angriff  des  königs  aufs  draina  wird  die  ver- 
anlassung zu  einem  abschnitt  des  neuen  entwurfs  gegeben  haben,  der  überschrieben 
ist:  'Sophokles  :  Lessing :  Göthe  :  Griechisches  trauerspiel;  unsres  u.  f."  (ib.)8.  Aber 
II.  kam,  wie  so  oft,  nicht  über  entwürfe  hinaus. 

So  musste  denn  ein  andrer  mann,  ein  'auswärtiger'  für  das  angegriffene  Weimar 
eintreten.  Es  ist  .Justus  Moser  in  Osnabrück.  In  seltener  weise  vereinigt  er  in 
seiner  gegenschrift  eine  vernichtende  sachliche  Widerlegung  mit  der  schonendsten 
persönlichen  behandlung.  Sein  schreiben  lässt  es  uns  einigermassen  verschmerzen, 
dass  Goethes  gesprach  nicht  mehr  vorhanden  ist.  Denn  so  viel  diesen  Osnabrücker 
advokaten  sonst  scheiden  mag  von  Goethe  und  selbst  von  Herder:  der  verschiedene 
lebens-  und  bildungsgang,  die  unendlich  viel  stärkeren  praktischen  interessen.  die 
unvergleichlich  viel  grössere  gebundenheit  an  den  boden  der  engeren  heimat:  er  kann 
und  will  die  fäden,  die  sich  von  ihm  aus  durch  Vermittlung  seiner  tochter  nach 
Weimar  hinüberspinnen.,  nicht  lösen*.  Erst  zehn  jähre  waren  seit  der  zeit  verflossen, 
da  er  zusammen  mit  Goethe  und  Herder  in  den  Blättern  von  deutscher  art  und  kunst 
vor  das  publikum  getreten  war5,  und  bei  ihm  waren  jene  alten  gedanken  in  der 
Zwischenzeit  immer  mehr  ausgereift.  Es  war  ihnen  kein  feind  erwachsen  aus  einer 
fremden  weit.  Sondern  nur  immer  neue  nahrung  hatten  sie  gesogen  aus  dem  boden 
der  heimat.  Einer  der  wenigen,  folgt  er  dem  aufsteigenden  gestirn  von  Weimar  mit 
heller  freude,;.     Jede   neue   erscheinung  weiss   er  selbständig  zu  verarbeiten.     Keine 

auf  reife  wartet;  so  wäre  es  unvernünftig,  aus  liebhaberei  alter  zeit  die  seine  zu 
verkennen  und  zu  versäumen,  Rom  anzuzünden,  damit  man  ein  brennendes  Troja 
sehe  und  neue  homerische  verse  lese'. 
F.  d.  g.  selbst  wird  zweimal  erwähnt:  s.  356  wegen  seiner  praktischen  Verdienste, 
s.  369  weil  er  -die  seltenen  gaben,  glücklich  zu  denken  und  zu  handeln  vereinigt". 
Aus  persönlichen  gründen  erklärt  sich  Hs.  anerkeunung  für  die  tätigkeit  der  akademie 
(352  fgg.  ganz  im  gegensatz  zur  ansieht  des  reisetagebuchs  ed.  Suphan  IV,  105.  In 
der  Bückeburger  zeit  [Auch  eine  phil.  d.  gesch.  ed.  Suphan  V,  577.  581  fg.]  vollzieht  sich 
der  wandel  in  der  Stellung  Hs.  zu  F.  d.  g.  im  allgemeinen). 

1)  Er  klagt  über  den  'despotismus  des  geschmacks'.  wie  wir  aus  Hamanns 
antwort  wissen  (bei  Suphan  64). 

2)  Da  Goethes  gespräch,  das  objekt  seiner  kritik,  verloren  ist,  wird  sich  darüber 
gar  nichts  ausmachen  lassen. 

3)  Spätere  reminiscenzen  Hs.  an  die  Schrift  bei  Suphan  69  fgg.  88  fgg. 

4)  Es  ist  die  vollste  Wahrheit,  wenn  frau  v.  Voigts  (X,  242)  schreibt,  wenn 
sie  und  ihr  vater  nach  Weimar  kämen,  so  geschehe  es  nur  um  Goethes  willen. 

5)  Er  veröffentlicht  da  seine  einleitung  zur  Osnabrückischen  gesehichte. 

6)  Es  ist  bekannt,  welche  rolle  die  Patriotischen  phantasien  in  Goethes  leben 
spielen. 


IHK!«   FRIEDRICH   D.  OK.  ED.  GEIGEB   UND  ,11  STUS  MOSEH  ED.  SCHÜDDEKOM  2 .' i 

spur  von  der  blindheit  der  alten  gegenüber  der  neuen  generation,  die  weder  Klopstock 
noch  Herdern  erspart  blieb:  ein  hellsichtiger  mann  an  der  schwelle  des  greisenalters, 
aber  ein  Jüngling  in  frische  und  freimut:  wo  gab  es  einen  ebenbürtigeren  gegner  für 
den  alten  könig? 

'Der  frühlingsthau  erquickt  und  befeuchtet  das  land;  wer  mag  es  wagen,  sein 
bild  vor  die  äugen  zubringen?'  das  ist  Nicolais  freundesurteil  über  den  ganzen  mann 
(X,  4).  Wir  dürfen  es  auch  auf  unsre  schrift  anwenden,  müssen  uns  jedoch  ähnlich 
wie  bei  F.  d.  g.  erinnern,  dass  auch  Moser  im  wesentlichen  mit  alten  gedanken 
arbeitet.     Sie  werden  nur  in  neuer  fassung  wider  ausgelegt. 

Schon  der  auf  bau  unterscheidet  das  'schreiben'  von  den  früheren.  Denn 
spräche  und  litteratur  werden  nicht  gleichmässig  berücksichtigt,'  wie  bei  Af Sprung, 
oder  gar  die  spräche  der  litteratur  vorgezogen,  wie  bei  Wezel,  sondern  die  litteratur 
ist  für  M.  durchaus  das  wichtigste. 

Als  grundforderung  der  schrift  des  königs  erscheint  ihm:  dass  wir  die  fremden 
nachahmen  sollen.  Ist  das  berechtigt?  ist  seine  gegenfrage.  Der  beantwortung  dieser 
frage  dient  die  schrift.  Allerdings  gibt  es  in  Deutschland,  namentlich  im  öffent- 
lichen leben  (6)  viele  schwere  schaden.  Aber  sie  dürfen  uns  nicht  zur  Verzweiflung 
treiben.  Sie  dürfen  uns  nicht  die  guten  fruchte  des  landes  vergessen  machen. 
Zu  ihnen  aber  gehört  vor  allem  der  Götz.  Eine  Götzapologie  ist  denn  in  der 
tat  unsre  schrift  zum  grossen  teile.  Aus  ihr  quellen  eine  weitere  allgemeine  drama- 
turgische darlegung  und  eine  Verteidigung  Shakespeares  heraus1.  Zum 
schluss  wird  der  Standpunkt  wider  allgemeiner,  indem  die  gefahreu  der  nach- 
ahmung  überhaupt  gezeigt  werden  (16  — 18).  Ferner  wird  der  gauzen  neuen 
richtung  der  Lenz,  Klinger  und  Wagner  eine  Verteidigungsrede  gehalten  (19).  An- 
gefügt' ist  eine  schutzschrift  für  die  deutsche  spräche  (21  fgg.)  und  eine  Würdigung 
des  königs  (23 fg.),  die  die  einleitung  ergänzt3. 

Eine  beurteil ung  des  Schreibens  im  einzelnen  hat  vor  allem  die  Patriotischen 
phantasieen1  zum  vergleich  heranzuziehen,  um  auch  für  Mosers  schrift  den  beweis 
zu  führen,  dass  er  darin  seinen  früheren  gedanken  über  deutsche  litteratur  (und 
kultur)  eine  gewissermassen  abschliessende  gestalt  hat  geben  wollen. 

Der  köuig  hat  aufs  ausländ  verwiesen,  als  auf  die  <juelle,  von  der  alles  gute 
komme.  M.  fragt:  sollen  wir  nicht  lieber  unsro  eignen  eichen"'  ziehen?  (5.  28). 
Immerhin  aber  bedarf  es  vor  allem  der   prüf  ung,   ob  die  Deutschen  schon  aus  sich 

1)  Apologie  Shakespeares:  12 fgg.  Über  den  wahren  begriff  der  -einheit":  L5fg. 
Vergleich  zwischen  deutscher  und  ausländischer  entwickelung:  1 2 fg.  14fg. 

2)  Mit  recht  hebt  Schüddekopf  s.  XVIII  das  sprunghafte  der  letzten  partieen 
hervor. 

:})  Nach  frau  v.  Voigts  (X,  242)  ist  die  schrift  •im  eifer  aufs  papier  geworfen". 
Sie  schreibt  weiter  über  ihren  vater: 

'Er  ist  selbst  nicht  völlig  mit  seiner  arbeit  zufrieden,  weil  seine  gesund- 
lieit  ihm  nicht  erlaubte,  das  f euer,  womit  er  ansetzte,  lange  genug  zu  unter- 
halten". 

Schon  1777  schreibt  M.  an  Nicolai  (X,  168): 

'Man  wird    endlich   steif   und    alt;    und    mich    däucht    oft,    die    munterkeit. 
wodurch  ich  meine  Vorstellungen  zu  heben  suche,  sei  nicht  mehr  so  wahr,  als  \ or- 
dern; es  sei  heisse  liebe  in  dem  munde  eines  greises'. 
Ein  weiteres  ungedrucktes  zeugnis  bei  Schüddekopf  8.  Will. 

4)  Und  andere  kleinere  Schriften,  desgl.  natürlich  die  briete. 

5)  Wol  absichtlich  wählt,  er  diesen  bäum.  Kr  erzählt  1.  329  selber,  <la>s  die 
vorliehe  für  die  eiche  neck  gar  nicht  alt  s.'i. 


278  HAflB 

selbst  seh* »pfor»   dürfen    oder   oh   sie   sich    noch    immer    auf   'las   ausländ    niü     i 
weisen  hissen  (6). 

Diese  prüfung  beginn!  M.  mH  eine]  allgemeinen  kritik  der  öffentlichen  zu- 
stände in  Deutschland1.  Wie  M.  die  kleinste  Erage  des  wirtschaftlichen  lebene  unter 
ganz  allgemeine  politische  gesichtspunkte  bringt3,  bo  macht  er  es  hier  mit  den  litte- 
rarischen. Aber  er  bleibt  nicht  in  allgemeinheiten  stecken.  Bondern  es  ist  etwas 
ganz  bestimmtes,  was  er  gegen  die  öffentlichen  zustände  einzuwenden  hat.  Dai 
der  tnangel  an  grossen  begebenheiten8,  der  den  mangel  an  grossen  Empfin- 
dungen' und  damit  den  mangel  einer  grossen  litteratur  veranlasst  6, 24fgg. : 

Die  gefahr  macht  beiden  und  der  ocean  hat  tausend  waghälse  ehe  das 
feste  land  einen  hat.  Es  müssen  grosse  Schwierigkeiten  zu  überwinden 
seyn,  wo  grosse  empfindungen  und  Unternehmungen  aus  unserer  seele  empor 

schiessen  sollen  — oder  der  geist  hebt  sich  nicht  aus   -einem  gewöhnlichen 

stände,  die  seele  umfasst  keine  grosse  Sphäre,  und  der  mensch  bleibt  das  ordinaire 
geschöpf,   was   wir    täglich    sehen    und    nach    unsern    gemeinen    regeln   zu  sehen 
wünschen' 
Schon  seit  Jahrzehnten  klagt  er  über  diesen  schaden : 

'Lange   glückliche   und  wolfoile  zeiten   schläfern   den   menschen    endlich  ein 

der  philosoph  spielt  mit  der  besten  weit,  und  der  Staatsmann 

mit   eitlen   entwürfen  —  —  —  nichts   zwinget  zu  empfindungen   und  grossen 

entschlüssen. Allein  wenn  die  noth  hereinbricht,  wenn  die  gefahr  beiden 

fordert,    und  ein  allgemeiner  ruf  den  geist  aufbietet,  wenn  der  Staat  mit  seinem 

untergange   kämpft  —  —   — -  wenn  die  schrecklichste  entscheidung   nur  mit  der 

grössten  aufopferuug  abgewandt  werden  kann,  dann  zeigt  sich  alles  wirksam 

und  gross  (ll,40fg.,  1772)4. 

Die  gefahr,   die  not,   den   kämpf  sehnt  M.  auch   für  die  litteratur  herbei.     Denn    sie 

erst  entfesseln  alle  grossen   eigenschaften5.     Darin   ist  er  eiu  grundsätzlicher  gegner 

des  alten  königs,   der  frieden  und  ruhe   auch  für  die  litteratur  haben  will.     M.  will 

für  jetzt  nicht  den  frieden,  sondern  den  krieg.    Von  ihm  erwartet  er  eine  aufrüttelung 

der  geister,  das  aufblühen  der  genies. 

Daher  empfiehlt  er  mit  glühender  begeisterung  die  kriegspoesie  (9),  die  in 
der  schrift  des  alten  Soldatenkönigs  keines  Wortes  gewürdigt  war.    Ein  prophet  ist  M. 

1)  Vgl.  z.  b.  1,  105.  287.  438;  II,  40;  IX,  241fgg. 

2)  Z.  b.  I,  385. 

3)  Es  sei  gestattet,  an  ein  wort  Goethes  aus  dem  jähre  1795  zu  erinnern  (bei 
Bode,  Goethes  ästhetik ,  Berlin  1901,  s.  159):  'Wann  entsteht  ein  klassischer  national- 
autor'?  Wenn  er  in  der  geschiente  seiner  nation  grosse  begebenheiten  .  .  .  vor- 
findet' usw. 

4)  In  abgeschwächter  form  erscheinen  solche  gedanken  auch  bei  F.  d.  g.,  Lettres 
sur  l'amour  de  la  patrie:  Oeuv.  IX,  222. 

5)  'Nie  habe  ich  lebhafter  gedacht  und  mächtiger  empfunden',  lässt  er  (JU,  87) 
eine  soldatenbraut  sagen,  'als  zu  der  zeit,  wo  mein  erster  geliebter  fürs  Vaterland  auszog' 
(im  gegensatz  zu  7,  6:  'unsre  schönen  stimmen  leichter  zu  ordentlichen  als  heroischen 
empfindungen').  Mit  zitternder  stimme  erzählt  sie  da  von  der  Seligkeit  der  auf  Opferung 
auch  des  teuersten.  Wie  kontrastiert  mit  solchen  augenblicken  'unser  jetziger  leier- 
stand'  (88).  Gerade  in  den  späteron  phautasien.  die  zeitlich  unsrer  schrift  am  nächsten 
stehen,  sind  solche  gedanken  die  lieblinge  Ms.  Da  stellt  er  den  handelnden  teil  der 
menschheit  dem  speculierenden  gegenüber  (FV,  24 — 28);  oder  wider  in  den  kleinsten 
Verhältnissen:  eine  liebe  die  erobern  will  und  eine,  die  erobert  hat  (IV,  50fg.)  oder 
er  tritt,  wie  auch  in  unsrer  schrift  (7.  7)  für  den  Zweikampf  ein  (IV.  131  fgg.).  Vgl. 
111,69;  IV,  89. 


I  F'.KK'  FRIEDRICH  D.  (iE.  KU.  ÜEIGEH   l  Mi  JUSTDS  MOSER  ED.  >'  UÖDDEKOPF  279 

da  so  gut,  wie  der  könig  (9,  23):  'der  beste  gesang  für  unsre  nation  ist  unstreitig 
ein  bardit,  der  sie  zur  vertheidiguug  ihres  Vaterlandes  in  die  Schlacht  singt'  .  .  .  Natür- 
lich, dass  er  in  diesem  zusammenhange  Gl  ei  ms  (9,  33)  erwähnt.  M.  hat  selber  die 
grossen  zeiten  des  kriegs  mit  erlebt,  mit  dem  herzog  Ferdinand  in  engen  beziehungen 
gestanden  und  die  not  des  kampfes  durch  seinen  humor  verklären  dürfen.  Bis  hinein 
in  sein  kleines  lustspiel  'Harlequins  heirath'  spüren  wir  die  Wirkungen.  Da  renom- 
miert der  Harlequin  mit  Ohrringen,  die  er  'im  laufgraben  vor  Schweidnitz'  erobert 
hat  (IX,  128) l. 

Aber  diese  zeiten,  die  sich  dem  alten  M.  schon  stark  idealisiert  haben  mögen, 
sind  nun  vorüber.  An  keiner  stelle  unsrer  schritt  ist  der  ton  bitterer,  als  hier,  wo 
M.  den  mangel  grosser  begebenheiten  beklagt  (7,  26): 

'Unsre  empfindungen  sind  nicht  zu  der  feinen  rachsucht  gestimmt,  welche 
in  Lessings  Emilie  thönt,  und  wir  haben  höchstens  nur  Vaterstädte  und  ein  ge- 
lehrtes vaterland,  was  wir  als  bürger  oder  als  gelehrte2  lieben.  Für  die  er- 
haltung  des  deutschen  reichssystems  stürzt  sich  bey  uns  kein  Curtius 
in  den  abgrund'. 

Wenn  aber  wirklich  einmal  ein  aufregendes  ereignis  vorkommt,  wie  die  kabinets- 
justiza  Fs.  in  Sachen  des  müllers  Arnold,  den  M.  mit  hohem  freimut  hier  anführt 
(7, 13fgg.):  dann  schweigt  Deutschland. 

Ohne  also  auf  die  historische  beweisführung  des  königs  einzugehen  —  wozu 
M.  weit  befähigter  gewesen  wäre,  als  z.  b.  Afsprung  —  setzt  er  dem  königlichen 
dogma:  Les  muses  demandent  des  aziles  tranquilles  (8,  25  fg.)  positiv  seine  empfehlung 
der  kriegspoesie,  negativ  seine  kritik  an  der  "ruhe'  der  öffentlichen  zustände  entgegen, 
und  zwar  nicht  in  der  aufwallung  des  augenblicks,  wie  mau  nach  einem  briefe  seiner 
tochter  annehmen  möchte  (s.  oben  s.  277,  anm.  3).  Es  sind  vielmehr  alte,  lieb- 
gewordene gedanken,  die,  über  die  phantasien  zerstreut,  sich  doch  schliesslich  zu 
einem  kraft-  und  tatideal  zusammenschliessen,  das  an  die  Sehnsucht  des  Sturmes 
und  dranges  gemahnt.  Empfindungsschwache  Völker,  wie  die  Deutschen,  sollen  sich 
nicht  mit  empfindungsstarken,  wie  den  Engländern  etc.  vergleichen  wollen  (7 fg.). 

Keine  bessere  einleitung  hätte  er  seiner  Götzapologie  vorausschicken  können. 
Ihr  erster  teil  (9)  beschäftigt  sich  mit  der  Widerlegung  des  königs.  Oder  es  ist  schon 
gar  keine  Widerlegung  mehr.  Sondern  M.  sucht  das  urteil  Fs.  nur  als  einseitig  —  sub- 
jektiv zu  erweisen.  "Alles  was  der  könig  daran  auszusetzen  hat,  besteht  darinn,  dass 
es  eine  frucht  sey,  die  ihm  den  gaumen  zusammen  gezogen  habe,  und  welche  er  auf 
seiner  tafel  nicht  verlange.  Aber  das  entscheidet  ihren  werth  noch  nicht' 
(9, 15  — 19).  Ein  anderes  ist  der  geschmack  der  hofleute,  ein  anderes  ein  volisstück. 
'Alles  in  der  weit  ist  doch  nur  relativ  schön  und  gross,  und  die  eichel  geht  in 
ihrem  rechte  vor  der  olive'  (9,  8  fg.  vgl.  IV,  44;  IX,  85).  Dass  M.  gerade  für  die 
breite  masse  des  volkes,  die  der  Götz  in  bunten  bilden)  uns  vorführt,  von  jeher  das 
tiefste  Verständnis  hatte,  bezeugt  fast  jede  'phautasie'.    Als  warmer  freund  jeder  volks- 

1)  Ein  neu  aufgefundenes  gedieht  Ms.  auf  den  jungen  könig  (1712)  bei  Sehüdde- 
kopf  s.  IX— XIII. 

2)  Diese  feindschaft  gegen  die  'gelehrten'  ist  gleichfalls  althergebraoht:  1.  138; 
Hl,  128-132;  IV,  21.  25 fg.  3(3.  69.  10,  14 fg.  in  unsrer  schrift  hobt  er  ausdrücklich  den 
gegensatz  zwischen  diesen  gelehrten  und  der  'deutschen  art  und  kunst'  hervor.  Mit 
diesen  gelehrten  überhaupt  werden  wir  nie  aohtung  beim  ausländ  gewinnen:  10,23—30. 

3)  Die  kritische  Charakteristik  des  Staates  der  aufklärung  7.2ft,ru'.  hat  ebenfalls 
ältere  parallelen:  [,  396fg.  438;  Iü,  68fg.  !•<);  IX,  241  f gg.  Der  aufklärungsstaal  mit 
seiner  reglementiersuchl  ist  besonders  an  dieser  erschlaffenden  ruhe  bi  huld. 


280  tUhH 

tümlichen  cegung  kann  er  gar  nichf  u .  al    den  Götz  mi(  Ereuden  btgrüssen.    Er 

trifft  sieh  darin   mil  dem    sammle)   der  Volkslieder,    der  noch    in     pttterei    seil   Gotl 
feierlich  gedankl    bat,    dass  Goethe   den  Götz  geschrieben    habe.     '8chön    and   - 
können   unsre  prodakte  weiden',  wenn  wir  hier  weiter  bauen  (10.31).    So  empfiebll 
er  neben  Klopstock  and  Goethe  auch  Bürger  (10 fg.  vgl.  X,  234). 

Jim  zweiten  (eile  der  Götzapologie  achl  M.  (11  fg.)  die  dramaturgische 
kiitik  Ks.  zu  stürzen.  Die  untauglichkeil  des  Götz  für  die  bübne  scheint  er  verhüllt 
zuzugeben  ('Sammlung  von  gemählden  LI,  8)'.  ahei  Bofort  behauptel  er  ee  wärt 
Goethe  ein  leichtes  gewesen,  die  verlangten  einheiten  berzu  teilen  (11, 13fgg.);  abei 
er  wollte  es  eben  nicht  (11,  21— 24);  denn  er  hat  nur  eine  sammlung  von  gemählden 
aus  dem  national -leben  unsrer  vorfahren'  (11,8)  geben  wollen*.  Trotzdem  hat  auch 
der  Götz  seine  'einheit';  freilich  nicht  eine,  wie  der  könig  und  Voltaire  sie  verlangen, 
und  wie  sie  M.  nicht  minder  vernichtend  kritisiert,  wie  Lessing  .  sondern  eben  eine 
andre:  eine  einheit  der  mannigfaltigkeit '.  Schon  im  Harlequin  (1761),  eine] 
jugendschrift,  hat  er  (IX,  93 fg.)  zur  erläuterung  die  musik  herangezogen.  Ganz 
ähnlich  in  unserm  schreiben  der  hiuweis  auf  ein  doppelchöriges  Heilig  von  Bach 
(14,  20).  Gerade  diese  mannigfaltigkeit  ist  im  gründe  das,  was  die  deutsche  von  der 
fremdländischen  entwickelung  abhebt  (12,  lOfgg.).  Ein  abstraktes  Schönheitsideal  hat 
bei  den  Romanen  immer  viel  stärker  gewirkt,  als  bei  den  Deutschen  (12,27  —  36). 

Der  könig  hätte  zusammen  mit  dem  Götz  gar  nicht  erst  den  Shakespeare  zu 
vorwerfen  brauchen,  um  M.  eine  Verteidigungsrede  für  diesen  zu  entlocken:  es  war 
selbstverständlich,  dass,  wer  für  den  Götz  eintrat,  auch  den  Shakespeare  lobte.  Schon 
im  Harlequin,  dessen  dramaturgischer  teil  sich  bisweilen  mit  dem  'schreiben'  berührt, 
hat  er  einen  berühmten  lobspruch  Popes  über  Shakespeare  angeführt  (IX,  72).  An 
unsrer  stelle  eröffnet  er  die  daiiegungen  im  Stile  Lessings  mit  einem  vergleich  zwischen 
dem  tode  Cäsars  (13)  bei  Voltaire  und  Shakespeare.  Wie  man  hier  den  unterschied 
zwischen  natur  und  künstlichkeit  bemerken  kann,  so  besonders  anschaulich  —  und 
das  ist  wider  ein  lieblingsgedanke  —  an  dem  unterschied  zwischen  einem  englischen 
und  französischen  garten  (13, 25fgg.).  Schon  der  Harlequin  kämpft  gegen  die  'mono- 
tonische  einrichtung'  der  französischen  gärten  (IX,  68  vgl.  1,241),  und  als  gegen- 
stück  beschreibt  eine  phautasie  ('Das  englische  gärtchen'  II,  330  —  332)  die  Vorzüge 
der  englischen.  Wie  bedeutend  mag  dieser  angeborne  wirkliebkeits  -  und  natürlichkeits- 
sinn  durch  den  aufenthalt  in  England5  verstärkt  worden  sein:  Shakespearekult  und 
Engländerverehrung  gehen  auch  bei  ihm  band  in  band,  wenn  er  sich  auch  gelegent- 
lich —  wie  er  denn  überall  die  auswüchse  bekämpft  —  gegen  übertriebene  anglo- 
manie  wendet  (X,  189).  Wenn  wir  dagegen,  meint  M.  (14,  23fgg.),  den  guten  eng- 
lischen   Vorbildern   nicht  folgen,   dann  sinken  wir   auf  den  Status  von  Ludwig  XIV. 

1)  Vgl.  frau  rat  4.  2.  1781  (bei  v.  Loeper,  Hempel  21,  395):  -Meinem  söhn  ist 
es  nicht  im  träum  eingefallen,  seinen  „Götz"  vor  die  bühne  zu  schreiben'. 

2)  Dessen  wolgetroffenes  colorit  M.  als  kenner  rühmt.  —  12,  1  —  9  gegen  die 
übertriebenen  nachtreter  Goethes. 

3)  'Der  herr  von  Voltaire  versteht  unter  einheit  des  ortes  eine  ganze  Stadt, 
so  dass  eine  handlung  im  capitol  anfangen,  und  sich  in  einem  hause  endigen  kann  : 
im  Harlequin  IX,  92 *. 

4)  Auch  auf  andern,  z.  b.  politischem  gebiete  ist  M.  ihr  freund:  I,  397;  II.  21; 
111,  90.  94.  —  Im  18.  stück  der  Dramaturgie  wird  der  Harlequin  mit  anerkennung 
erwähnt. 

ö)  Nicolai  X,  28  —  30.    Ms.  briete,  ib.  212  —  216  vgl.  90;  HI,  94;  IV,  236 fgg. 


ÖBEB  FRIEDRICH   D.  GR.   ED.  &EIGEB   UND  .IUSTUS  MOSES  ED.  SCHÜDDEKOFF  281 

und  Marmontel   herab1.  —  Den   schluss  der  Shakespeareapologie  bildet   eine   längere 
ausführung  (15  fg)  über  den  wahren  begriff  der  'einheit'  '. 

Es  bedarf  keines  beweises,  dass  auch  dieser  dritte  gedanke:  die  empfehlung 
einer  verinnerlichten  einheit  (neben  den  beiden  andern:  der  empfehlung  der  kriegs- 
poesie  und  des  volkstümlichen)  d.  h.  der  kämpf  gegen  den  französischen  klassizismus 
eine  eigentümlichkeit  der  litterarischen  revolutionspartei  ist'.  Zwar  sucht  sich  M.  in 
litterarischen  fragen  gerne  als  laien  hinzustellen: 

X,  157:  'ich  erkenne  mich  nur  für  einen  laien  in  dem  Orden  der  schönen  geister'. 

X,  161:  M.  hat  nie  'ein  compendium  der  schönen  Wissenschaften'  gelesen. 
Aber  das  sind  wol  scherzhafte  Übertreibungen.  Denn  schon  der  Harlequin  zeigt  ihn 
als  verständigen  kritiker  der  dramaturgischen  Vorurteile.  —  Noch  wertvoller  aber  muss 
uns  sein  dramaturgischer  Standpunkt  deshalb  erscheinen,  weil  er  die  französische 
bildung  sehr  wol  kennt,  aber  eben  auch  sehr  früh  auf  ihren  wahren  wert  zurück- 
führt4. 

Nachdem  sich  AI.  mit  seiner  erläuterung  des  wahren  begriffs  der  einheit  recht 
weit  vom  könige  entfernt  hat,  kehrt  er  zur  hauptfrage  zurück  und  schildert  die 
gefahren  des  nachahmens  fremder  muster  (16,  17fgg.)  überhaupt5.  Zunächst 
weist  er  auf  die  notwendige  inkommensurabilität  von  original  und  copie  hin  (16,  17 — 2-4 1. 
'Es  ist  allezeit  sicherer  original  als  copie  zu  sein',  war  das  thema  einer  der  älteren 
Phantasien  gewesen  (II,  222 fgg.  V,  104 fg. ).  An  zwei  beispieleu  sucht  er  das  zu  er- 
läutern: an  dem  Schicksal  einer  ganzen .  litteraturgattung  und  an  der  eutwickelung 
eines  bestimmten  litteraten.  Die  litteraturgattung  ist  die  geistliche  rhetorik 
(16,25  — 17.  11),  für  die  Moser  die  simplicität  (die  auch  Jerusalem  preist)  weit  höher 
schätzt,  als  wenn  mau  die  harfe  Davids  ergreift,  ohne  seinen  geist  zu  haben  (17.  lOfg.i. 
Da  ist  ihm  das  verfahren  des  Matth.  Claudius  (17, 2)  viel  empfehlenswerter.  —  Wie 
er  an  den  copieen  im  allgemeinen  die  Unwahrheit  tadelt  (16,  23),  so  im  besonderen 
an  dem  jungen  Wieland  (17,  12  fgg.).  Denn  das  ist  das  zweite  beispiel,  das  er 
uns  vorführt.     Freilich  hat  Wieland  die  alten   irrwege  verlassen,   und  jetzt  stellt   er 

1)  Im  anschluss  daran  (14, 35  fgg.)  werden  die  französischen  Shakespeareüber- 
setzungen behandelt.     S.  15  folgen  weitere  empfehkuigen  der  'mauuigfaltigkeit'. 

2)  Zur  erläuterung  dienen  zum  teil  beispiele  aus  der  bildenden  kunst,  die  M. 
auch  sonst  liebt. 

3)  Wie   weit   M.  mit   seinen   historischen   arbeiten   den    Götz    uud   den  Eginont 
beeinflusst  hat  (Mollenhauer,  Ms.  auteil  an  der  widerherstellung  des  deutschen  g 
Braunschweiger  programm  1896,  s.  11),  habe  ich  nicht  nachprüfen  können. 

4)  Darüber  Nicolai  X.  13  15.  90.  Wie  der  junge  Goethe,  .sehreibt  er  als  27- 
jähriger  französisch:  ib.  201  fgg.  Eine  litterarische  beeinflussung  durch  Voltaire  hat 
M.  für  das  schreiben  über  Luther  selbst  zugegeben:  K.  190fg.  Es  stammt  wol  aus 
französischer  quelle,  wenn  er  die  aotwendigkeil  von  kunstregeln  überhaupt  scharf 
hervorhebt  (III,  254 fg.;  V.  7  4  fg.).  —  Noch  177s  spricht  er  in  einer  'Zuschrift  an 
einen  jungen  dichter'  vom  nutzen  und  vorteil  der  dichtkunst  für  die  menschliche 
glückseligkeit,  obwol  er  sonst  den  dramaturgischen  moralismus  (hierin  über  Lessing 
hinausgehend)  bekämpft  (EX,  23 fg.  210;  V,  52 fg.).  Einer  der  freunde  seiner  jagend, 
St.  Evremont,  wird  in   unserm    schreiben    und  auch  sonst  oft   genannt     Da 

wird  Marivaux  im  schreiben  nicht  erwähnt.  —  Im  übrigen  scheint  das  material 
nicht  reichlich  genug  zu  sein,  um  eine  entwicklungsgesohiohte  seines  dramaturgischen 
Standpunkts  zu  geben. 

5)  Es  ist  sehr  auffallend,  dass  er  sich  weder  hier  noch,  so  viel  ich  sehe,  an 
irgend  einer  andern  stelle  seiner  werke  auf  Herder  beruft.  Persönliche  beciehungen 
zwischen  beiden  haben  nichl  bestanden:  Eavm  I.  747. 


282  ilAillAi.KN 

da  als  der  'meister  in  der  kunst,  «Jio  Schleichwege  de    menschlichen  herzens  zu  ent- 
blössen'  (17,  lSfgg.)1- 

Krst  gegen  den  schluss  dieser  auseinandersetzungen  (17, 27fgg.)  gehl  er  von 
nachabmungen  zwischen  einzelnen  zu  den  zwischen  ganzen  nationen  über  und  bu<  b< 
darzulegen,  dass  gewisse  antersohiede  zwischen  den  nationen  überhaupt  nicht  aus- 
gleichbar sind1,  wobei  das  zuerst  angeschlagene  theina nocb  nachklingt,  wenn  eshi 
(18,2—4):  "indem  der  Deutsche  schreiben  muss,  tun  professor  zu  werden,  geht  der 
Engländer  zur  see,  am  erfahrungen  zu  aammlen3. 

Das  resultat  dieser  allgemeinen  bedenken   gegen  nachalimung  libi-rhaupi 
das  aus  den  früheren  teilen  des  Schreibens  bekannte:  nur  insoweit  -als  sie  zur  Ver- 
besserung  unsror  eigentümlichen   guter   und  ihrer   kultur  dienet'  (18, 31  fg.)  soll  die 
kunst  der  nachbarn  nachgeahmt  werden*. 

Wie  sich  aber  Moser  schon  früher  gegen  die  extreme  Weiterbildung  der  Götz- 
tendenzen gewandt  hat,  so  verwahrt  er  sich  jetzt  dagegen,  dass  man  nun  alle  und 
jede  nachahmung  für  verwerflich  halte.  Er  könnt  die  gefahren  (19,  5 fgg.),  die  dem 
an  sich  berechtigten  Selbständigkeitsstreben  nicht  erspart  bleiben,  die  gefahr  tradi- 
tionslosen Schaffens  überhaupt,  da  man  einen  pfad  verlässt,  'welchen  auch  schon 
meister  vor  uns  geebnet  haben'  (19,  8),  'oder  wir  folgen',  heisst  es  weiter  (19,  10),  'wie 
Göthe  in  Werthers  leiden,  blos  der  erhöheten  empflndung,  und  opfern  die  logische 
Wahrheit  der  aesthetischen  auf'"'.  Der  negativen  folgt  die  positive  Beschränkung  des 
kampfs  gegen  die  nachahmung  (19,  17fgg.).  Denn  M.  erklärt  ausdrücklich  verschiedene 
dichter,  die  'nachgeahmt'  haben,  für  wertvoll:  Hagedorn,  Gleim,  Ramler,  die  Karschi n 
und  Geliert.  Im  Zusammenhang  unsrer  schrift  aber  ist  diese  doppelte  cautel:  die  warnung 
vor  den  gefahren  allzu  grosser  Originalitätssucht  einerseits  und  die  anerkennung  wert- 
voller nachahmungsprodukte  andrerseits  etwas  ganz  nebensächliches.  Denn  schliesslich 
wird  der  alte  Standpunkt  nochmals   mit   grösster  deutlichkeit  formuliert  (19, 29  fgg.). 


1)  Wie  M.  sonst  zu  Wieland  gestanden  habe,  ist  aus  dem  bisher  bekannt  ge- 
wordenen material  nicht  ersichtlich.  In  der  buchform  des  Schreibens  hat  er  das 
urteil  des  zeitschriftenaufsatzes  abgemildert:  Schüddekopf  s.  XXIV. 

2)  Doch  bekämpfter  es  auch  (24,  25  fgg.),  wenn  man  den  ausländem  zuwenig 
gerechtigkeit  widerfahren  lässt. 

3)  Die  folgenden  bemerkungen  über  die  Unmöglichkeit,  gewisse  Situationen  und 
in  ihnen  gesprochene  worte  nachzuahmen  (18,  11  fgg.)  gehört  kaum  noch  zum  thema. 

4)  Hinweis  auf  Rousseau  und  Klopstock:  18,33  — 19,4. 

5)  Wie  weit  diesem  merkwürdigen  urteil  die  Schlagwörter  der  Wertherkritik 
vom  Standpunkt  der  alten  ästhetik  aus  zu  gründe  liegen,  habe  ich  noch  nicht  nach- 
weisen können.  Es  ist  nicht  ausgeschlossen,  dass  Ms.  freundschaftliche  beziehungen 
zu  Nicolai  sein  urteil  mehr  als  gut  beeinflusst  haben.  Denn  er  wünscht  früher 
alles  ernstes,  dass  die  Nicolaischen  'Freuden'  den  'Leiden'  angeheftet  werden  möchten: 
'um  die  schwachen  zu  stärken'.  Und  über  den  Werther  im  ganzen  weiss  er  nichts 
besseres  zu  sagen:  als:  'ich  hänge  mich  nicht'  (1775  an  Nicolai:  X,  156).  Vielleicht 
hat  er  durch  seine  tochter  Goethe  selbst  über  diese  seine  meinung  aufgeklärt;  denn 
es  heisst  in  ihrem  mehrfach  genannten  briefc: 

'Sie  hätten  nach  meiner  vormaligen  antwort  wohl  nicht  gedacht,  dass  mein 
alter  vater  noch  Ihr  vertheidiger  werden  .  .  .  würde'  (X,  241). 
Darauf  verweist  schon  v.  Loeper  bei  Hempel  22,  442.  Er  unterschätzt  die  tiefe  des 
abgrunds  zwischen  den  'Freuden*  und  'Leiden',  wenn  er  sich  darüber  wundert,  dass 
Goethe  Nicolais  machwerk  überhaupt  übel  genommen  hat  (X,  159).  —  Eine  Ver- 
werfung des  Werther  aber  findet  sich  weder  1775  noch  1781.  Zum  Schlüsse  des 
Schreibens  tritt  der  Werther  doch  wieder  dem  Götz  an  die  seite. 


ÜBER  FRIEDRICH   D.  SR.  ED.  OBIGER  UND  JTTSTUS  MOSER  ED.  SCHÜDDEKOPF  283 

Wie  M.  sich  noch  eben  an  dem  Rousseau,  der  ganz  aus  sich  selbst  schöpft,  gelabt 
hat,  so  scheut  er  sich  jetzt  nicht,  die  berüchtigten  namen  aus  der  äussersten  linken, 
Lenz  und  Wagner  zu  nennen  und  ihrem  schaffen  grundsätzlich  zuzustimmen1.  Zu 
früh  für  die  deutsche  kunst  sind  sie  nach  seiner  ansieht  gestorben.  Eines  neuen 
Lessing  bedürfte  es,  um  diese  keime  zu  regelrnässigerer  entfaltung  zu  bringen  (19,  32 
bis  20,  3). 

Hinter  diesen  selbständigen  und  noch  heute  wertvollen  capiteln  über  die  läge 
der  litteratur,  die  weit  über  das  hinausgehen,  was  man  von  einer  antwort  auf  Fs. 
schrift  erwarten  möchte,  tritt  die  ausführung  über  die  spräche  mehr  zurück  (20—23.) 
Trotzdem  hat  M.  auch  diesem  capitel  einen  gedanken  zu  gründe  gelegt,  der  es  von 
den  parallelen  abschnitten  in  den  andern  gegen  Schriften  unterscheidet.  M.  nämlich 
uileilt  nicht  über  die  spräche  im  allgemeinen,  sondern  über  die  Sprachgattungen, 
sogar  über  die  spräche  der  einzelnen  Wissenschaften. 

Mit  Fs.  ausstellungen  kann  sich  M.,  auch  wenn  er's  nirgends  ausdrücklich 
sagt,  in  keinem  punkte  einverstanden  erklären.  Denn  es  ist  nur  eine  äusserliche 
Übereinstimmung,  wenn  auch  M.  die  spräche  als  arm  bezeichnet.  Der  könig  hält 
sie  für  arm,  weil  sie  nicht  so  logisch  durchgebildet,  nicht  so  begrifflich  differenciert 
ist,  wie  das  französische.  M.  hält  sie  aus  ungefähr  dem  genau  entgegengesetzten 
gründe  für  arm.  Sie  ist  arm,  weil  sie  eine  buchsprache  ist  (20).  Diese  armut  ist 
die  selbstverständliche  eigenschaft  jeder  buchsprache,  namentlich  der  französischen. 
Dagegen  ist  das  englische  nach  Ms.  meinung  keine  'buchsprache',  sondern  'ein  auf 
den  thron  erhobener  provinzialdialekt',  der  auf  seinem  eignen  fetten  boden  steht,  nicht 
aber,  wie  unsre  buchsprachen,  auf  der  tenne  dörret  (20,  18  —  20) 2. 

Ein  paktieren  zwischen  diesen  ansichten  Ms.  über  die  spräche  und  den  fride- 
ricianischen  *  war  ganz  aussichtslos.  M.  hat  sich  deshalb  (im  gegensatz  zu  Wezel) 
auch  hier  mit  keiner  Widerlegung  des  einzelnen  befasst. 

Dagegen  liegt  ihm  daran,  die  erfreulichen  erscheinungen  im  deutschen  sprach- 
leben  noch  schnell  der  reihe  nach  vorzuführen.  Er  behandelt  die  komische  spräche 
(21,20  —  22,8),  die  dichtersprache  (22,8  —  22),  die  kunstsprache  (22.23  —  23,1),  die 

1)  Es  scheint  die  einzige  stelle  in  den  bisher  publieierten  schritten  zu  sein, 
wo  er  über  den  Sturm  und  drang  urteilt. 

2)  Genau  denselben  Standpunkt  vertritt  er  in  einem  briefe  an  J.  B.  Michaelis 
(X,  226  fg.,  der  jetzt  bei  Schüddekopf  s.  XVI  fg.  im  original  vorliegt).  Was  F.d.  g. 
wol  befürworten  würde,  die  Sprachbildung  "kalten  philosophen'  zu  überlassen  (227t. 
gerade  das  verwirft  er.  Für  M.  ist  überhaupt  *jede  provincial  spräche  gewissermassen 
reicher  und  mahlevischer  .  .,  als  eine  allgemeine,  die  sich  nicht  vom  gründe  er- 
hoben' (ib.).  Auch  die  litterarische  Verwertung  der  berufssprachen  hat  dieser  brief 
schon  ins  äuge  gefasst.  —  Ein  kurzer,  undatierter  aufsatz  über  die  deutsche  spräche 
(V,  82— 84)  bespricht  gleichfalls  die  frage,  ob  die  deutsche  spräche  arm  sei,  und 
beantwortet  sie  im  selben  sinne.  Der  ganze  aufsatz  kommentiert  unser  sprachcapitel 
genauer.  Doch  ist  es  nicht  möglich,  für  den  einen  oder  deu  andern  die  priorität  zu 
behaupten.  Lessings  Verdienste,  die  auch  im  schreiben  erwähnt  werden,  streift  M. 
hier  ebenfalls  (83).     Auch  der  hinweis  aufs  englische  fehlt  nicht. 

Die  Vorliebe  für  die  idiotismeu  teilt  er  u.  a.  mit  Herder,  ebenso  z.  t.  die  Vor- 
liebe fürs  altdeutsche.  Ms.  vordienste  um  die  grundlegung  der  deutschen  philologie 
sind  überhaupt  sehr  gross.     Doch  kann  hierauf  nicht   näher  eingegangen   werden. 

3)  Diese  haheu  M.  höchstens  darin  beeinflusst,  dass  wider  parallelen  mit  dem 
französischen  gezogen  werden  (20,  31  fgg.i,  wobei  M.  den  vorsprung  des  franzö- 
sischen offen  zu  gibt.  Doch  kommt  er  sein- bald  auf  die  guten  fruchte  der  deutschen 
Sprachgeschichte  zurück. 


L'Nl         HAHHAGEN  ÜBEH   l  KiM.ifP  11   i>.  '■):.  BD.  m.I'.i.i.  I    (0  J0SX1  •    ÜÖSEU  JtD.  BCttÜUQJBKOl'l 

rednersprache  (23,  I     5),  die   philosophische  (23   5     s>  and  die  historische     pn 
es.;.  8—22). 

Den  abschnitt  über  die  dichtersprache,  d.  h.  übei  die  spräche  dei  epil 

lyrik,   beginn*    <-v  mit   <incin   erlen-hb  rui  if/.i-r  über   ilen    sjcm    der  Schweizer   über 

Gottsched.    Sonst  werden  Haller,   Klopstock,   ("Heim   in   diesen   zusammen!] 

genannt.  Don  letzteren  vorehrt  M.  nicht  nur  als  den  Verfasser  der  kriegslieder,  Bondern 
auch  als  den  kenner  <Iit  altdeutschen  poesie  (X,  228). 

Bei  der  besprechung  der  kunstsprache  werden  "Winckelmann  und  Sulzer 
genannt,  Herder  und  Leasing  verschwiegen.  Als  meister  der  romansprache  rühmt 
er  Wieland,  Lavater,  F.  H.  Jacobi  und  Miller  (vgl.  X,  155  fg.  und  jetzt  Schüdde- 
kopf  s.  XVII). 

Auffallend  kurz  äussert  er  sich  über  die  rednersprache,  obwol  er  hier  alfl 
fachmann  bezeichnet  werden  darf:  Nicolai  X,  8.  25;  Abeken  37fg.;  Goethe,  Dichtung 
und  Wahrheit,  III,  13  schluss  (Hempel  22,  141). 

Für  die  philosophische  spräche  verweist  er  nun  endlich  auf  Leibuiz  und 
Wolff,  deren  namen  in  der  ganzen  debatte,  die  sich  an  die  schrift  des  königs  an- 
knüpft, über  gebühr  zurücktreten1. 

Auch  über  den  historischen  stil  äussert  er  sich  merkwürdig  zurückhaltend. 
Doch  ist  sein  satz,  dass  der  historische  stil  sich  in  demselben  masse,  als  der  preussische 
name,  vervollkommnen  werde,  berühmt  geworden  (23,  !tfg.).  Nicht  minder  beachtens- 
wert ist  es,  dass  er  die  grenzen  des  historischen,  als  eines  wissenschaftlichen  stils 
deutlich  erkennt.  Auffallend  nur,  dass  er,  der  doch  zu  den  totengräbern  der  auf- 
geklärt-moralischen geschichtsbetrachtung  gehört,  hier  noch  von  einem  'erbaulichen7 
Charakter  des  geschichtsvortrages  spricht. 

Ms.  sprachcapitel  entbehrt  zweifellos  der  principiellen  schärfe,  die  aus  Herders 
Fragmenten  (und  aus  Afsprungs  bemerkungen)  bekannt  ist.  Ihm  kommt  es  mehr 
darauf  an,  ein  inventar  über  das  wertvolle  unter  den  bisherigen  leistungen  aufzu- 
nehmen. Damit  widerlegt  er  auch  den  könig  viel  besser,  als  wenn  er  sich,  wie 
Wezel,  auf  das  uferlose  meer  der  aufklärerischen  sprachbesserungsvorschläge  hinaus 
begeben  hätte. 

Zu  diesen  sachlichen  Vorzügen  der  schrift  kommt  uoch  ein  persönlicher.  Es 
ist  die  überaus  schonende  form2,  in  der  M.  mit  dem  könig  verhandelt.  Anfang  und 
schluss  des  Schreibens  beweisen  das  in  gleichem  masse.  Am  anfang  (5,  8)  lobt  M.  die 
Lettres  sur  Pamour  de  la  patrie  Fs.  (1779:  Oeuv.  IX,  211  —  244).  Im  schlusstei 
(24,  16)  lobt  M.  daran  den  'systematischen  geist  der  Deutschen'.  Mit  behagen  mochte 
er  hier  gesehen  haben,  wie  der  könig  in  der  form  des  gesprächs  den  politischen 
(juietismus  siegreich  überwindet ::. 

Die  Schlusscharakteristik  hebt  ein  doppeltes  an  der  gestalt  des  königs  hervor: 
einmal  seine  verliebe  für  Frankreich  (23,  27fgg.).     Kein  wunder,  dass  er  hier  seinen 

1)  F.  d.  g.  kennt  ihre  sprachlichen  Vorzüge  nicht.  Denn  er  hat  sich  selbst  beim 
Wolff  hartnäckig  geweigert,  ihn  deutsch  zu  lesen. 

2)  'So  sehr  er  dem  könige  sein  urteil  zu  gute  hält,  so  sehr  ärgerte  er  sich 
über  das  nachbeten  solcher  leute,  die  unendlich  weniger  als  der  könig  zu  besorgen 
und  unendlich  mehr  zeit  hätten,   ihre  lection   zu  studieren'.     Frau  v.  Voigts  X,  241 

3)  24,  1  ist  Ms.  hinweis  auf  das  hohe  alter  der  gedanken,  die  der  könig  vor- 
trägt, wichtig. 


GOLTHBB,   ÜBER   SÖJIS©,    09SIA»   IN   8ERMAXT  285 

spott  über  Voltaire  ausgiesst1.  Denn  Voltaire  ist  auf  dramaturgischem  und  histori- 
schem gebiete  sein  alter  feind. 

Die  andre  seite  des  königs  ist  seine  Originalität,  seine  deutschheit:  '-wo  er  sich 
als  Deutscher  zeigt,  wo  köpf  und  herz  zu  grossen  zwecken  mächtig  und  dauerhaft 
arbeiten'  (24,6  —  8),  da  ist  ihm  der  könig  lieber,  als  'wo  er  mit  den  ausländem  um 
den  preis  in  ihren  künsten  wetteifert'  (24,  9 fg.),  ein  satz.  den  ein  hinweis  auf  andre 
Schriften  des  königs  weiter  verdeutlicht. 

Aber  alle  loyalität  Ms.  kann  darüber  nicht  im  zweifei  lassen,  dass  M.  der  sach- 
lich überlegene  ist.  Ihm  ist  es  gelungen,  unter  Vermeidung  aller  eiuzelkritik  aus  ein 
paar  Sätzen  des  königs  das  grundsätzliche  herauszufühlen.  Er  führt  die  Widerlegung- 
grundsätzlich  und  stellt  deshalb  nur  grosse  gedankenkomplexe  auf,  natürlich  in  ganz 
concretem  gewande,  mit  einer  fülle  einzelner  beispiele  -,  wie  das  stets  seine  art  ist, 
und  doch  in  voller  principieller  schärfe. 

Die  grundgedanken  des  Schreibens  sind,  wie  wir  sahen,  auch  bei  M.  älteren 
datums.  So  stehen  sich  in  seiner  und  des  königs  Schrift  in  der  tat  die  beiden  soh.lu.ss- 
redactionen  einer  ganzen  lebensarbeit  gegenüber.  Alte  und  neue  zeit  ringen  hier 
miteinander.  Eine  Verständigung  zwischen  beiden  ist  ausgeschlossen.  Und  doch  sind 
beide  wenigstens  in  einer  hinsieht  einig:  in  dem  glauben  an  ihr  volk,  in  der  hoffnung 
auf  eine  schönere  zukunft.     Und  diese  hoffnungen  sind  nicht  zu  schänden  geworden. 

1)  'Der  durch  die  grossheit  seiner  empfindungen  und  seiner  manier,  alles  um 
sich  herum  und  seine  eigenen  fehler  verdunkelte '  23,  28  —  30. 

2)  Nur  die  wichtigeren  habe  ich  herausgehoben. 

KIEL.  DR.    EASHAGEN. 


R.  Tombo,  Ossian  in  Oormany.  Bibliography,  general  survey,  Ossian's  influence 
upon  Klopstock  and  the  Bards.  New  York  1901  (Columbia  university  gerinanie 
studies,  vol.  I  nr.  II).  8°.  157  s. 
Unter  den  englischen  einfiüssen,  die  im  18.  jahrh.  nach  Deutschland  herüber 
wirken,  steht  der  Ossians  obenan  und  verdient  eine  besondere  Untersuchung  und 
darstellung,  die  Tomho  in  der  vorliegenden  Schrift  in  vollem  umfang  aufnimmt. 
Nachdem  Bruno  Schnabel  in  den  Englischen  Studien  bd.  23  die  Wirkung  Ossians  auf 
die  englische  litteratur  bis  1832  untersucht  hatte,  erschien  es  um  so  mehr  geboten, 
die  nicht  minder  zahlreichen  und  wichtigen  ossianischen  nachklänge  in  Deutschland 
zu  behandeln.  Der  Verfasser  gibt  zunächst  nur  den  Klopstock  und  die  barden  be- 
treffenden teil  seiner  forschungen,  die  bibliographie  dagegen  (s.  3  —  65)  reicht  bis  1897. 
Dieses  sehr  reichhaltige  Verzeichnis  beruht  auf  den  sammluugen  des  Britischen  museoms 
und  der  deutschen  bibliotheken.  Schon  ein  blick  ins  Schriftenverzeichnis  lässt  die 
Zeiten,  in  denen  Ossian  auf  der  tagesordnung  stand,  sofort  erkennen  und  der  ge- 
samtüberblick  (s.  66  —  75)  behandelt  in  grossen  zügen  dio  Schicksale  Ossians  in  Deutsch- 
land, wie  die  nachrichten  darüber,  die  Übersetzungen  und  nachalimungen  zu-  und 
abnehmen,  je  nachdem  aesthetische  oder  wissenschaftliche  fragen  hervortreten,  bis  end- 
lich Ossian  nicht  mehr  gelesen  wird,  sondern  nur  noch  den  litteratur-  und  sagen- 
forscher  beschäftigt.  Hier  wäre  die  bibliograpliie  leicht  noch  zu  erweitern  gewesen, 
wie  schon  aus  Sterns  aufsatz  über  die  ossianischen  holdenlieder  (Zeitschr.  f.  vergl. 
lg.  8,  51  fgg.)  zu  ersehen  ist.  Die  Würdigung,  die  Ossian  in  den  grösseren  litteratur- 
geschichton,  z.  I>.  bei  Wülker  s.  5 fgg.,  erfährt,  war  zu  verzeichnen  Wülker  urteilt: 
„wie  Macphersmis  werk  ein   vierteljahrhunderi    übersohätsl   worden   war,  so  wird  es 


186  «1  i     BB8I  hu  .rs'OEN 

jetzt  meist  unterschätzt,  uud  «Jas  ist  zw  bedauern.  Man  hat  sich  jetzt  gewöhnt,  in 
Macpherson  nur  einen  betrüge!  zu  sehen;  was  er  als  selbständiger  dichter  gilt,  wird 
gar  nicht  erörtert".  Ossian  bat  auch  in  Deutschland  wie  in  England  das  unbestreit- 
bare o|-osse  verdienst,  poetische  k  raffe,  gefühl  und  nafur.-f  iinmung.  ausgelost  odei 
doch  gekräftigt  zu  haben.  Er  ist  ein  bildner  und  erzieher  für  riele  dichter  und  leser 
"•wurden,  woran  Überschätzung  und  Übertreibung  nichts  ändert  (vgl.  Khnnann.  I»i 
bardische  lyrii  S.  9fgg.).  Im  $2  s.  75  — 81  bespricht  Tombo  die  frühesten  erwäh- 
nungen  uud  Übersetzungen  Ossians  vor  Denis  und  stellt  fest,  dass  sie  von  Bremen. 
Hamburg.  Göttingen  und  Hannover,  von  städten,  die  englischen  Einflüssen  zunächst 
zugänglich  waren,  ausgiengon.  S.  82 — 105  sind  Klopstock  gewidmet,  dessen  öden 
(von  1764.  1760  und  1767)  und  Hermannssehlacht  die  meisten  ossianischen  anklänge 
autweisen.  Goethe  hat  im  Werther  (I).  j.  G.  3,  327)  aufs  anschaulichste  und  fast  er- 
schöpfend in  wenig  worten  alle  bildlichen  und  stilistischen  Wendungen  und  die  ganze 
Stimmung  zusammengefasst.  die  die  barden  dem  <  »ssian  nachempfinden.  „Welch  eine 
weit,  in  die  der  herrliche  mich  führt.  Zu  wandern  über  die  heide,  umsaust  vom 
Sturmwinde,  der  in  dampfenden  nebeln,  die  geister  der  väter  im  dämmernden  lichte 
des  mondes  hinführt.  Zu  hören  vom  gebirge  her,  im  gebrülle  des  waldstroms,  halb 
verwehtes  ächzen  der  geister  aus  ihren  höhlen,  und  die  wehklagen  des  zu  tode  ge- 
jammerten miidchens,  um  die  vier  moosbedeckten,  grasbewachsenen  steine  des  edel- 
gefallneu  ihres  geliebten"  usw.  Es  ist  also  verhältnismässig  leicht,  ossianische  spuren 
bei  deutschen  dichtem  aufzudecken,  wenn  schon  vorsieht  dadurch  geboten  ist,  dass 
auch  Macpherson  aus  den  im  18.  jh.  bevorzugten  stilistischen  hauptquellen,  aus  der 
bibel,  Homer,  Milton  und  lateinischen  dichtem  schöpft.  Tombo  zeigt,  wie  bei  Klop- 
stock allmälig  das  ansehen  Ossians  abnimmt,  bis  er  am  ende  seines  lebens  seine 
echtheit  überhaupt  bezweifelt.  Gerstenberg  (s.  103—19)  hat  zuerst  kritische  zweifei. 
hernach  aber  im  Skalden,  Ugolino,  besonders  in  der  Minona  verfällt  er  gänzlich 
seinem  einfluss.  Denis  (s.  119  —  38),  der  Übersetzer  Ossians,  ist  natürlich  am  meisten 
von  ihm  abhängig.  Bei  Kretschmann  (s.  139  —  48)  ist  Ossians  einfluss  im  wesent- 
lichen aufs  bardiet  (Ringulphs  gesang  und  klage)  beschränkt  und  geht  nicht  so  tief 
wie  bei  den  andern. 

Tombo  behandelt  seinen  gegenständ  umsichtig,  mit  sachlich  wolbegründetem 
urteil.  Die  Studien  sollen  weiterhin  Sturm  und  drang  und  die  romantiker  im  Ver- 
hältnis zu  Ossian  umfassen. 

ROSTOCK.  W.    (iOLTHER. 


NEUE  ERSCHEINUNGEN. 

Bauer,  Karl,  Waldeekisches  Wörterbuch  nebst  dialektproben.  Herausg.  von  Herrn. 
Collitz.  [A.  u.  d.  t.:  Wörterbücher  herausg.  vom  Verein  für  niederdeutsche  Sprach- 
forschung. IT.]    Norden  u.Leipzig,  Diedr.  Soltau  1902.  XXVI,  106,  320  ss.   8  m. 

Bethge,  Richard,  Ergebnisse  und  fortschritte  der  germanistischen  Wissenschaft  im 
letzten  vierteljahrhundert.  Im  auftrage  der  Gesellschaft  für  deutsche  philologie 
herausgegeben.     Leipzig,  Reisland  1902.     LXXVIII,  618  s.    12  m. 

Björkman,  Erik,  Scandinavian  loan-words  in  middle-english.  Part  IL  [A.  u.d.f.: 
Studien  zur  engl,  philologie  hrg.  von  Lor.  Morsbach.  XL]  Halle,  Niemeyer  1902. 
(IV),  360  s.     5  m. 

—  — ,  Blandspräk  och  länord.  Nägra  synpunkter  med  särskild  hänsyn  tili  eugelskau. 
[Särtryck  ur  Sjätte  nordiska  filologmötets  förhandlingar.]     Upsala  1902.     16  s. 


XEUE    BRSC'HEIN'CXGEX  287 

<  hamisso.  —  Tardel,  Herrn.,  Studien  zur  lyrik  Charaissos.  [Progr.  der  handels- 
schule  (oberrealschule)  zu  Bremen.]    Bremen,  Winter  in  komm.  1902.    64  s.    1  m. 

Dedekind.  —  Fridericus  üedekindus,  Grobianus,  herausg.  von  Aloys  Bömer. 
Berlin,  AVeidmann  1903.  [A.  u.  d.  t. :  Lat.  litteraturdenkmäler  des  15.  u.  16.  jhs. 
hrg.  von  Max  Hermann.    XVI]     LXXXIV,  90  s.     3,40  m. 

Fischer,  Albert,  Das  deutsche  evangelische  kirchenlied  des  17.  Jahrhunderts.  Nach 
des  verf.  tode  vollendet  und  hrg.  von  W.  Tümpel.  Gütersloh.  Bertelsmann  1902. 
1.  heft.    96  s.    2  m.    [Das  werk  ist  berechnet  auf  5  bände  ä  12  m.] 

Goessgen,  Waldemar,  Die  mundart  von  Dubraucke.  Ein  beitrag  zur  Volkskunde  der 
Lausitz.  A.  Grammatischer  teil.  [2.  beiheft  zu  den  Mitteilungen  der  schlesischeu 
gesellschaft  für  Volkskunde.]    Breslau  1902.    IV,  55  s. 

Goethe.  —  Goethes  selbstzeugnisse  über  seine  Stellung  zur  religiou  und  zu  religiös - 
kirchlichen  fragen,  zusammengestellt  von  Th.  Vogel.  3.  aufl.  Leipzig.  Teubner 
1903.    VI,  262  s.    2,80  m. 

—  Die  jugendsprache  Goethes;  Goethe  und  die  romantik;  Goethes  ballade.  Drei  vor- 
trage von  Stephan  Waetzoldt.    2.  aufl.    Leipzig,  Dürr  1903.    II,  76  s.  1,60m. 

Heuser,  Wilh.,  Altfriesisches  lesebuch  mit  grammatik  und  glossar.  [A.  u.  d.  t. :  Samm- 
lung germanischer  elementarbücher  hrg.  von  W.  Streitberg.  III,  1-]  Heidelberg. 
Carl  Winter  1903.    XI,  162  s.     3,60  m. 

Kleist,  Heinr.  v.  —  Franz  Servaes,  Heinrich  v.  Kleist.  Leipzig,  Berlin  und  Wien, 
Seemann  1902.  [A.  u.  d.  t. :  Dichter  und  darsteiler  hrg.  von  Rud.  Lothar.  IX.] 
VIII,  160  s.     4  m. 

Ludwig-,  Otto,  Makkabäer  von  R.  Petsch.  V|A.  u.  d.  t. :  Deutsche  dichter  des  19. 
Jahrhunderts.  Ästhetische  erläuterungen  für  schule  und  haus,  herausg.  von  Otto 
Lyon.    IL]    Leipzig  und  Berlin,  B.  G.  Teubner  1902.    48  s.     0,50  m. 

Mac  Gillivray,  H.  S.,  The  influenae  of  christianity  on  the  vocabulary  of  old  english. 
Part  I.  [A.  u.d.f.:  Studien  zur  engl,  philologie  hrg.  von  Lorenz  Morsbach. 
VIII.]     Halle,  Niemeyer  1902.     XXVIII,  171  s.     6  m. 

Möller,  Herrn.,  Ein  hochdeutsches  und  zwei  niederdeutsche  lieder  von  1563 — 1565 
aus  dem  siebenjährigen  nordischen  kriege.  Mit  einem  anhange:  Deutsche  lieder 
aus  der  grafenfehde.  [Abhandl.  der  kgl.  gesellsch.  der  wissensch.  zu  Göttiugen. 
Philos.  histor.  kl.,  n.  f.  VI,  3.]     Berlin,  Weidmann  1902.     67  s.    4.     5  m. 

Nibelungenlied.  —  Das  Nibelungenlied  im  auszuge  nach  dem  urtexte  mit  den  ent- 
sprechenden abschnitten  der  Wölsungensage  erläutert  und  mit  den  nötigen  hilfs- 
mitteln  versehen  von  G.  Bötticher  und  K.  Kinzel.  6.  aufl.  [A.  u.d.f.:  Denk- 
mäler der  älteren  deutschen  lit.  hrg.  von  G.  Bötticher  und  K.  Kinzel.  I,  3.] 
Halle,  Waisenhaus  1903.     X,  179  s.     1,20  m. 

Olrik,  Axel,  Om  Ragnarok.  [Ssertryk  af  Aarb.  for  nord.  oldkynd.  og  hist  1902.] 
Kobenhavn,  Gad  1902.    (II),  135  s. 

Pantl,  Einerich,  Die  von  L.  Bock  aufgestellten  regeln  über  den  gebrauch  der  kon- 
jimktion  im  mittelhochdeutschen,  untersucht  an  den  Schriften  Meister  Eokarts. 
[Sonderabdruck  aus  den  Programmen  des  II.  Staatsgymnasiums  im  IL  bezirke  Wiens 
1899  und  des  Kaiser  Franz  Josef -Staatsgymnasiums  in  Freistadt   1902.]    28  9. 

Fluten.  —  Aug.  graf  v.  Platens  dramatischer  aachlass.  Aus  den  handsohriften  der 
Münchener  hof-  und  Staatsbibliothek  hrg.  von  Erich  Petzet.  Berlin.  B.  Behr 
1902.  [A.u.  d.t.:  Deutsohe  litteraturdenkmale  hrg.  von  &.  Sauer  124.]  \<\ll. 
193  s.    6  m. 


288  YA<-HR1'  FTfl   • 

Reinbot  vom  Turn.  —  Kraus,  0.,  Metrische   Untersuchungen  fibef  Reinbol 

Mit,  zwei    exkursen.     [Abhandl.  der  kg]  l>    der  wissensch.  zu   Göttingen. 

Phil. -bist,  kl.,  n.  f.  VI,  i.|     Berlin,  Weidmann   1902.     225  b.    4.     16  m. 
Reuschel,  Karl,  Volkskundliche  streifzüge.    Zwölf  vortrage  über  fragen  der  deul 

rolkßkunde.     Dresden  and  Leipzig,  C.A.Koch   1903.    Vlll.  266  -.     I  m. 
Renter,   Fritz,   öi   mine  stromtid  von   Paul  Vogel.     [A.  u.  d.  t.:    Deutsche  dichtci 

dei    19.  Jahrhunderts . .  hrg.  von  Otto  Lyon,    l.|    Leipzig u. Berlin,  B.G-.Teubner 

1902.     (II),  36  s.     0,50  in. 
S;ciiiiin<lar  Edda.     Mit.  einem  anhang  herausgegeben  and  erklärt  von  P.  Detter  und 

R.  Heinzel.     Leipzig,    Georg  Wigand    1903.      L  Text.     XV.   213   i.     II.    An- 
merkungen.    VIII.  679  8.    30  m. 
Sauer,  Aug.,  Gesammelte  reden  undaufsatze  zur  geschichte  der  Literatur  in  Österreich 

and  Deutschland.    Wien  und  Leipzig,  C.Fromme  L903.     Vlll.   100  s.    6  m. 
Seemüller,  Josef,  Deutsche  poesie  vom  ende  des   13.  bis  in  den  beginn  des  16.  Jahr- 
hunderts.   [Sonderabdruck  aus  band  III  der 'Geschichte  der  stadt  Wien',  herausg. 

vom   Altertumsvereine   zu  Wien.]     Wien,  Ad.  Eolzhausen   11)03.     IV,  81    8.  und 

8  taff.  gr.  4. 
Skeireins.  —  Die  bruchstücke  der  Skeireins  hrg.  und  erklärt  von  Ernst  Dietrich. 

Mit  einer  schrifttafel.    [A.u.  d.  t. :  Texte  und  Untersuchungen  zur  altgermanischen 

religionsgeschichte.    Texte.    Zweiter  band.]    Strassburg,  Trübner  1903.    LXXVIII, 

36  s.     4.     9  m. 
Steuding,  Hermann,  Hilfsbuch  für  den  deutschen  uuterricht.    Eine  beigäbe  zu  jeder 

schul literaturgeschichte.     Leipzig,  Dürr  1903.     154  s.     1,80  m. 
Storni,  Theodor,  Immensee  und  Ein  grünes  Matt  von  Otto  Ladendorf.    [A.u.  d.  t: 

Deiitsche  dichter  des  19.  Jahrhunderts  . .  herausg.  von  Otto  Lyon.    IV.]    Leipzig 

und  Berlin,  B.  G.  Teubner  1903.     36  s.     0,50  m. 
Strengleikar.  —  Meissner,  Rud.,  Die  Strengleikar.    Ein  beitrag  zur  geschichte  der 

altnord.  prosalitteratur.     Halle,  Niemeyer  1902.     IV,  320  s.     8  m. 
Sudermann,   Herrn.,  Frau  Sorge  von   Gotth.  Boetticher.     [A.  u.  d.  t. :   Deutsche 

dichter  des  19.  Jahrhunderts . .  herausg.  von  Otto  Lyon.   III.]    Leipzig  u.  Berlin. 

B.  G.  Teubner  1903.     47  s.     0,50  m. 


NACHRICHTEN. 

In  Christiania  verschied  in  der  nacht  zum  23.  februar  der  um  die  nordische 
geschichte,  altertumskunde  und  philologie  hochverdiente  professor  an  der  dortigen 
Universität  dr.  Gustav  Storni  (geb.  18.  juni  1845  in  Rendalen). 

An  der  Universität  Kiel  habilitierte  sich  dr.  Otto  Mensing  für  germanische 
philologie. 

Die  47.  Versammlung  deutscher  philologen  und  Schulmänner  wird 
vom  6.  bis  9.  october  1903  zu  Halle  a.  S.  stattfinden.  Vorträge  für  die  Plenar- 
sitzungen sind  bei  einem  der  beiden  Vorsitzenden  (geh.  regierungsrat  professor 
dr.  Dittenberger  in  Halle,  Wilhelmstrasse  22,  und  geh.  regierungsrat  professor 
dr.  Fries  in  Halle,  Franckeplatz  1),  vortrage  für  die  germanistische  section  bei 
einem  der  herren  obmänner  (professor  dr.  Strauch  in  Halle,  Martinsberg  S.  und 
professor  dr.  Matthias  iu  Burg  bei  Magdeburg)  bis  zum  1.  juli  anzumelden. 


Bnchdrnekerei  des  Waisenhauses  in  Halle  a.  S. 


SIGKDKIFUMAL  UND  HELEEIDH. 

Den  hauptinhalt  der  folgenden  Untersuchung  bildet  eine  kritik  der 
Sigrdrifumäl.  Da  indessen  die  hierhergehörigen  fragen  mit  der  nach 
dem  Verhältnis  der  Sigrdrifa  zu  Brvnhildr,  welche  widerum  von  der 
beurteilung  der  Helreio  nicht  getrennt  werden  kann ,  unlöslich  verknüpft 
sind,  habe  ich  die  in  der  natur  des  Stoffes  liegende  doppelheit  durch 
eine  einigermassen  entsprechende  Verdoppelung  des  titeis  dieser  abhaud- 
lung  angedeutet.  "Wer  geglaubt  hat,  dass  der  streit  über  das  Sigrdrifa  - 
lied  beendigt  sei,  hat  sich  geirrt.  Nachdem  Simons'  Untersuchungen 
(Zschr.  24,  1  fgg.)  von  mehreren  Seiten  beifall  gefunden,  so  dass  selbst 
Gering  in  seiner  Eddaübersetzimg  die  meinung  derer,  welche  an  einer  ur- 
sprünglichen zweiheit  der  beiden  trauen  festhalten,  für  eine  Verblendung 
erMären  konnte,  zeigt  Heuslers  aufsatz  in  der  festgabe  an  Paul,  dass 
eine  entgegengesetzte  auffassung  noch  ernsthafte,  gelehrte  und  scharf- 
sinnige Vertreter  hat.  Ich  glaube,  dass  das  letzte  wort  in  dieser  Sache 
noch  nicht  gesprochen  worden  ist,  und  versuche  im  folgenden  auf  einem 
in  gewisser  hinsieht  neuen  wege  die  Sigrdrifa -frage  ihrer  lösnng  uäher 
zu  bringen. 

Namentlich  die  folgenden  punkte  wurden  zur  discussion  gebracht 
und  waren  für  das  urteil  der  forscher  massgebend: 

1.  die  echtheit  der  übergrossen  mehrzahl  der  Strophen.  Müllen- 
hoff,  dessen  kritik  den  ausgangspunkt  der  jüngeren  Untersuchungen 
bildet,  schied  zwei  Strophengruppen,  6  — 19  (1)  und  22  .".7  (II)  aus. 
In  bozug  auf  die  erste  gruppe  stimmen  die  späteren  forscher  ihm  un- 
bedingt bei,  und  da  ich  derselben  meinung  bin  — ■  obgleich  ich  in  der 
beurteilung  des  Verhältnisses  der  str.  6  — 19  untereinander  von  ihm  ab- 
weiche (vgl.  darüber  unten  s.  324  fgg.),  —  lasse  ich  diese  Strophengruppe 
vorläufig  beiseite.  Über  str.  22  —  37  gehen  die  meinungen  auseinander. 
Sijmons  a.a.o.  s.  19 fg.  verwirft  sie;  dasselbe  tut  Gering  (Übers,  s.  216) 
und  auch  Heusler  (a.a.O.  s.  6),  der  jedoch  die  zweite  hallte  von  str.  37 
anerkennt;  hingegen  erklärt  Finnin-  Jönsson  sie  für  echt,  und  auch 
Sijmons  kommt  in  seiner  ausgäbe  von  -einer  früheren  ansieht  zurück. 
Finnin-  Jönsson  glaubt   sogar   in  der  mehrzahl   der  Strophen  22—  37   an- 

ZBITSOinUFT    V.    DBUTSOHK    PHILOLOGIE.       BD.   W.W.  19 


290  BORT? 

spielungon  auf  Sigurös  spätere  gesrhieke  zu  erkennen.  Hin  versuch, 
den  umfang  der  Interpolationen  auf  eine  von  Mtülenhoff  vollständig  ab- 
weichende weise  zu  bestimmen,  wurde  oviel  ich  weiss  Dicht  gemacht 
Die  herrschende  ansieht  ist  demnach,  dass  die  schwachen  punkte  der 
Überlieferung  von  Müllenhoff  richtig  nachgewiesen  worden  Bind,  und. 
dass  demzufolge  die  kritische  frage  keine  andere  ist  als  die  oh  an  den 
von  Müllenhoff  bezeichneten  stellen  eine  Interpolation  vorliegt  oder  Dicht. 
Dazu  bemerke  ich  vorläufig  nur  dieses,  dass  falls  eine  neue  Untersuchung 
zu  einer  abweichenden  begrenzung  der  interpolierten  teile  führen  sollte, 
das  urteil  über  den  wert  einer  solchen  Untersuchung  ausschliesslich  da- 
von abhängig  gemacht  werden  müsste,  ob  die  möglichkeit  besteht,  die 
vorliegenden  data  mit  hilfe  der  durch  sie  gewonnenen  resultate  zu  er- 
klären. Auf  keinen  fall  geht  es  an,  der  forschung  hier  respect  vor  der 
tradition  vorzuschreiben,  denn  wer  von  37  Strophen  sieben  stehen  lässt, 
welche  noch  über  zwei  parallele  gedichte  verteilt  werden,  kann  für  seine 
sieben  Strophen  nicht  die  pietätvolle  Schonung  des  mitforschenden  in 
ansprach  nehmen. 

2.  Mit  dem  urteil  über  die  echtheit  der  str.  22 —  37  hängt  die 
interpretation  der  str.  21  aufs  engste  zusammen.  Der  kernpunkt  der 
discussion  ist  die  auffassung  des  Substantivs  ästräft  in  z.  4.  Von  früheren 
herausgebern  als  'liebevoller  rat'  erklärt,  wozu  Fäfn.  35,  2  zu  vergleichen 
ist,  wird  es  von  Müllenhoff  als  'liebe'  interpretiert,  worin  Sijmons  a.  a.  o. 
s.  20  ihm  beistimmt  (vgl.  jedoch  Sijmons  Edda  335).  Wer  glauben  kann, 
dass  SigurÖr  von  der  eben  erwachten  Sigrdrifa  rat  empfängt,  wird  auf 
grund  der  bekannten  bedeutung  des  Wortes  mit  der  älteren  erklärung 
der  stelle  fürlieb  nehmen;  wem  die  Situation  ein  solches  verfahren  der 
Sigrdrifa  auszuschliessen  scheint,  der  wird  eine  einigermassen  gezwungene 
und  der  Überlieferung  des  gedichtes  widersprechende  exegese  vorziehen. 
Diese  ansieht  scheint  einen  psychologisch,  jene  einen  philologisch  rich- 
tigeren Standpunkt  zu  repräsentieren.  —  Das  urteil  über  str.  21  im- 
putiert keineswegs  eine  bestimmte  ansieht  über  die  identität  der  Sigrdrifa 
und  der  Brynhildr.  Sijmons  a.  a.  o.,  der  die  beiden  gestalten  für  ursprüng- 
lich identisch  hält,  und  Heusler,  der  sie  voneinander  trennt,  stimmen 
darin  überein,  dass  sie  ästräh  durch  'liebe'  übersetzen  und  sfr.  22  —  37 
ausscheiden. 

3.  Eine  dritte  Streitfrage  knüpft  sich  an  den  schluss  des  gedichtes. 
Die  YQlsunga-saga  enthält  nicht  mehr  ratschlage  der  Sigrdrifa  als  die 
papierhss.,  deren  letzte  in  R  verlorene  Strophen  von  Bugge  für  echt 
gehalten  werden,  was  keinen  Widerspruch  erfahren  hat.  Aber  sie  schliesst 
die  erzählung  der  begegnung  mit  dem   berichte   einer  Verlobung.     Die 


SIGRDRIFUMAL    UND    HKLREIDH  291 

echtheit  dieses  berichtes  wird  von  Bugge  und  nach  ihm  von  Golther, 
Studien  s.  48  geleugnet;  Müllenhoff,  Sijmons.  Finnur  Jonsson,  Heusler 
halten  die  nachricht  für  alt.  Die  allgemeine  auf'fassung  ist  die,  dass 
am  Schlüsse  des  gedichtes  zwei  Strophen,  welche  eine  Verlobung  ent- 
hielten, verloren  sind.  Ein  solches  strophenpaar  würde  an  str.  20  —  21, 
wie  sie  Müllenhoff  interpretiert,  sich  richtig  anschliessen,  doch  ist  das 
urteil  auch  hier  nicht  von  der  beurteilung  von  str.  20—21  abhängig; 
Finnur  Jonsson,  der  üsträft  wie  Bugge  auffasst  und  str.  22  —  37  bei- 
behält, glaubt  doch  an  die  beiden  verlobungsstrophen. 

4.  Eine  grosse  Übereinstimmung  der  meinungen  besteht  darin,  dass 
man  in  den  echten  Strophen  reste  zweier  lieder  erblickt.  Man  ver- 
teilt sie  nach  dem  metrum.  Die  fornyröislagstrophen  sind  reste  eines 
anderen  liedes  als  die  ljoöahättrstrophen.  Nach  dieser  ansieht  gehören 
also  str.  1.  5  und  die  halbe  Strophe  in  der  prosa  nach  4  zusammen; 
zu  dem  anderen  liede  gehören  str.  2  —  4.  20  —  21  und  die  verlorenen 
schlussstrophen.  Einige  halten  die  21j2  fornyröislagstrophen  für  bruch- 
stücke  einer  fortsetzung  der  igftna  mal  oder  eines  gedichtes,  welches  alle 
fornyröislagstrophen  aus  Reginsmäl  und  Fafnismal  enthielt  (Edzardi, 
Germ.  23,  319;  Sijmons  a.a.O.  s.  12.  18);  ferner  nahm  Bugge,  der  nicht 
eine  trennung  der  Strophen  nach  ihrer  metrischen  form  durchführt,  hier 
str.  6.  8 — 10  der  HelreiÖ  auf,  während  umgekehrt  Finnur  Jonsson  die 
halbe  Strophe  in  der  prosa  nach  4  in  die  HelreiÖ  versetzt.  Nach  Müllen- 
hoffs  Vorgang  setzt  man  allgemein  str.  2  mit  der  folgenden  prosa  nach 
strophe  4. 

Die  oben  erwähnte  Verteilung  der  als  echt  erkannten  fragmente 
auf  zwei  lieder  wird  uns  zunächst  beschäftigen.  Es  will  mich  dünken. 
dass  kein  zwingender  grund  dazu  vorhanden  ist.  Der  hauptgrund  ist 
der,  dass  eine  mischung  von  fornyröislag-  und  ljoöahättrstrophen  in  der 
eddischen  poesie  etwas  unerhörtes  wäre;  zu  etwas  unerhörtem  aber  wird 
sie  dadurch,  dass  man  die  stellen,  wo  sie  überliefert  ist,  hinweg- 
interpretiert. Die  schöne  erklärung,  welche  Grundtvig  von  Fafh.  32  —  30 
gibt,  wird  aus  diesem  einzigen  gründe,  dass  sie  die  Strophen  als  zu- 
sammengehörig betrachtet,  von  Finnur  Jonsson,  der  sie  kurz  vorher 
ansprechend  nennt,  zurückgewiesen;  und  doch  existiert  kein  einziger 
grund,  die  möglichkeit  einer  mischung  a  priori  zu  leugnen:  ob  sie  tat- 
sächlich vorkommt,  das  muss  auf  grund  der  Überlieferung  entschieden 
werden.  Der  zahl  der  vügel  au!  plastischen  darstellungen  des  drachen- 
kampfes  ist  in  der  tat  weder  für  die  eine  noch  \üv  die  andere  Inter- 
pretation der  Strophen  ein  argumen!  zu  entnehmen:  die  künstler  waren 


292  BOBB 

wol  keine  philologen.  welehe  die  vügelzahl  anstatt  von  den  ranmverhält- 
nissen  der  Zeichnung  von  dem  texte  der  Fäfhismal  abhängig  machten; 
ausserdem  ist  die  zahl  auf  verschiedenen  darsteliungen  eine  verschiedene 

(s.  K. ,)..  Litt. hist.  I,  275).    Wenn   nun   gegen   die  einheit  vmi  l'Vitn.  32  —  39 

keine  andere  einwendung  sieh  erheben  lässt,  als  dass  die  Mischung  von 
stiophen  verschiedener  form  'uhert'  i-t,  so  lässt  sieh  die  stelle  der  Fäfnis- 
mäl  für  die  Zusammengehörigkeit  von  Sigrdr.  1.  2  ins  leid  führen1.  Das 
liisst  sieh  auch  nicht  leugnen,  dass  str.  1  eine  gute  anfandst  »uphe  einer 
Unterredung  ist,  und  dass  str.  2  auf  str.  1  vortrefflich  folgt.  Wenn  nun 
die  beiden  strophen  reste  zweier  voneinander  unabhängiger  paralleler 
lieder  wären,  wie  wäre  es  dann  zu  erklären,  dass  an  keiner  stelle 
parallele,  aber  widerholt  aneinander  schliessende  Strophen  der  parallelen 
gedichte  überliefert  sind?  Denn,  abgesehen  von  der  Fäfnismälstelle, 
widerholt  sich  dasselbe  bei  str.  5.  Auf  einmal  versagt  die  Überlieferung 
i\cs  liedes  im  IjöSahättr,  und  siehe,  eine  fornyrSislagstrophe  ist  da  um 
die  Kicke  zu  füllen.  Nach  Finnur  Jdnsson  fehlt  hier  eine  Ijööahättr- 
strophe  ähnlichen  inhaltes;  etwas  weiter  erklärt  er  dann  zwar,  dass  die 
nur  scheinbar  verlorene  Strophe  keine  andere  als  str.  8  der  Überlieferung 
ist,  aber  das  werden  nur  wenige  ihm  zugeben;  str.  8  ist  eine  sentenz, 
keineswegs  eine  begleitende  rede  beim  anbieten  des  bechers  wie  str.  5; 
über  ihr  Verhältnis  zu  ihrer  Umgebung  vgl.  unten  s.  324.  Schwierigkeiten 
in  der  reihenfolge  der  strophen  entstehen  nicht  durch  die  Verbindung 
in  verschiedenen  metris  gedichteter  aufeinanderfolgender  strophen,  son- 
dern erst  nach  der  entfernung  der  fornvröislagstrophen ,  sobald  man 
gegen  die  Überlieferung  das  ganze  mit  einer  ljööahättrstrophe  anfangen 
lässt  (vgl.  unten  s.  298  fgg.). 

Um  aber  einer  aprioristischen  ablehnung  meiner  resultate  als  auf 
falschen  Voraussetzungen  beruhend  vorzubeugen,  mache  ich  die  folgende 
beweislÜhrung  nicht  von  der  Zustimmung,  welche  ich  in  der  beurteilung 
der  metrischen  frage  finden  werde,  abhängig.  Ich  gehe  also  davon  aus, 
dass  str.  1.  5  und  die  halbe  Strophe  in  der  prosa  von  str.  2  —  4  zu 
trennen  sind.  Es  erhebt  sich  dann  die  frage,  welches  der  beiden  ge- 
dichte mit  recht  den  titel  Sigrdrifumäl  führt.  Der  titel  stammt  aus  den 
papierhss.,  aber  wenn  dieselben  echte  strophen  enthalten  können,  welche 
nicht  in  R  stehen,  so  ist  auch  die  möglichkeit  nicht  ausgeschlossen, 
dass  sie  nach  einer  alten  tradition  einen  titel  mitteilen.     Angenommen 

1)  Auf  andere  gedichte,  welche  in  der  Überlieferung  dieselbe  mischung  zeigen, 
gehe  ich  in  diesem  Zusammenhang  nicht  ein,  da  ihre  Untersuchung  zu  weit  führen 
würde. 


SIGRDRIFUMÄL    UND    HELREIMI  293 

aber,  class  der  titel  eine  jüngere  erfindimg  ist,  so  bedeutet  die  frage: 
welches  der  beiden  gedichte  müsste,  falls  beide  vollständig  überliefert 
wären,  in  der  Sammlung  an  der  stelle  stehen,  wo  jetzt  das  combinierte 
gedieht  steht?  Hier  teilt  man  allgemein  die  auffassung  Bugges,  der 
s.  227  bemerkt,  dass  die  eigentlichen  Sigdrifumäl  mit  str.  5  anheben. 
Das  bedeutet,  wenn  man  in  betracht  zieht,  dass  zu  der  zeit,  als  Bugges 
ausgäbe  erschien,  die  unechtheit  der  str.  5  — 19  noch  nicht  erkannt  war, 
das  -mal  zu  verstehen  ist  wie  in  Hävamäl,  also  Sigrdrifumäl  =  ' die 
feierliche  rede  der  Sigrdrifa'.  Nach  der  ausscheidung  der  str.  5 — 19 
bezieht  sich  der  titel,  wenn  Bugges  auffassung  richtig  ist,  namentlich 
auf  str.  22  —  37.  Eine  unwillkürliche  Zustimmung  in  der  auffassung  des 
zweiten  compositionsgliedes  in  Sigrdrifumäl  ist  wol  der  grund,  dass 
Bugges  ansieht,  dass  der  titel  dem  ausschliesslich  aus  ljöoahättrstrophen 
bestehenden  gedichte  zukomme,  bisher  nicht  angezweifelt  wurde.  Aber 
mal  in  composition  mit  einem  nomen  proprium  bedeutet  in  den  meisten 
Eddaliedern  etwas  anderes,  vgl.  Reginsmäl,  Fäfnismäl,  Atta/mal.  Es 
steht  also  nichts  im  wege,  Sigrdrifumäl  als  'das  gedieht  von  Sigrdrifa' 
zu  verstehen,  und  unsere  frage  bedeutet  dann,  'welches  der  beiden 
gedichte  handelt  von  Sigrdrifa'?  Falls  die  beiden  gedichte  parallele 
gedichte  sind,  was  vielfach  behauptet  aber  niemals  bewiesen  worden  ist, 
so  kann  man  raten,  von  beiden,  aber  wenn  es  wahr  ist,  dass  Sigrdrifa 
ursprünglich  ein  appellativum  ist,  so  ist  es  sehr  möglich,  dass  das  wort 
nur  in  einem  oder  sogar  in  keinem  der  beiden  lieder  vorkam,  und  wir 
müssen  dann  fragen:  welches  lied  schloss  unmittelbar  an  das  vorher- 
gehende an?  Das  lässt  sich  wol  entscheiden.  Zunächst  ist  zu  be- 
merken, dass,  wo  das  metrum  die  absolute  entscheidung  herbeiführen 
muss  für  die  trennung  in  gutem  Zusammenhang  überlieferter  Strophen 
in  einem  gedichte  (Sigrdr.  1  und  2),  es  gewiss  auch  wol  für  die  be- 
urteilung  des  Zusammenhanges  zweier  aufeinander  folgender  eine  fort- 
gesetzte erzählung  enthaltender  gedichte,  welche  vielleicht  erst  in  der 
schriftlichen  Überlieferung  voneinander  einigermassen  getrennt  winden, 
eine  gewisse  bedeutung  hat,  zumal  wenn  der  inlialt  der  betreffenden 
gedichte  die  Schlüsse,  wozu  metrische  erwägungen  führen,  bestätigt. 
Das  metrum  zeigt  nun,  dass  str,  I.  7  und  die  halbe  Strophe  in  der 
prosa  nach  4  die  fortsetzung  zu  Fäfn.  40  —  44  bilden  —wobei  ich  die 
frage,  ob  sie  ein  teil  des  nämlichen  gedientes  wie  diese  sind,  nner- 
örtert  lasse  —  und  das  bestätigt  die  prosa.  Denn  einerseits  erzählt  die 
prosa  das,  was  man  nach  Käfn.  40 —  I  1  erwartet;  in  der  prosa  heisst 
ferner  die  walkyre  wie  Kal'n.  11  Sigrdrifa;  andererseits  paraphrasiert  die 
prosa  ein  wenigstens  der  hauptsaehe   nach  aus  fomyrttislagstrophen   he- 


204 

stehendes  gedieht,  was  nicht  hloss  daraus  hervorgeht,  dass  die  prosa 
nach  l  eine  halbe  fornyrSislagstrophe  enthält,  welche  freilich  in  der 
reihenfolge  des  combinierten  liedes  oichl  rechtam  platze  zu  stehen  scheint, 
aber  jedesfalls  innerhalb  der  prosa  aD  vollständig  richtiger  stelle  mit- 
geteilt wird  (näheres  darüber  s.  302),  Bondern  auch  aus  der  mangelhafte]] 
Überlieferung -des  gedichtes  in  l'ornyr^islagstrophen,  di  en  wortlaui  zur 
zeit,  wo  die  Sammlung  entstanden,  augenscheinlich  vergessen  war,  gegen- 
über dem  reichtum  des  Ijöoahattrgedichtes,  welches  vielleicht  keine  ein 
zige  liieke  enthält.  Auch  der  inhali  der  überlieferten  fornyrolslagstrophen 
zeigt  den  Zusammenhang  mit  Fifa.  40  —  44;  von  2i/i  str.  weisen  1 '/•.- 
direct  darauf  zurück;  hingegen  bezieht  sich  unter  35  Ljöoahättrstrophen 
einzig  und  allein  die  erste,  welche  unmittelbar  auch  dem  zusammen- 
hange nach  an  eine  fornyröislagstrophe  sich  anschliesst,  auf  den  schlus 
der  Fäfnismäl. 

Die  frage,  in  welchem  der  beiden  gediente  wir  die  eigentlichen 
Sigrnrifumäl  zu  suchen  haben,  ist  für  die  Kritik  der  Überlieferung  nicht 
ohne  bedeutung.  Bugges  ansieht,  dass  die  eigentlichen  Sigrdrifumäl 
str.  5  anfangen,  und  die  in  den  ausgaben  über  str.  21.  22  mitgeteilten 
in  R  nicht  enthaltenen  aufschriften  Sigurpr  kväp  und  Sigrdrifa  Iraf, 
haben  bisher  die  Kritik  von  einem  schritt  zurückgehalten,  den  ich  im 
folgenden  zu  tun  versuchen  werde,  die  vollständige  trennung  der  walkyre 
auf  dem  berge  von  der  person,  von  welcher  das  gedieht  handelt,  zu 
dem  die  übergrosse  mehrzahl  der  ljoöahättrstrophen  gehören.  Die  haupt- 
frage  dabei  ist,  ob  sich  dieses  gedieht  als  ein  in  sich  geschlossenes 
ganzes  verstehen  lässt. 

Zunächst  wird  uns  die  frage  beschäftigen,  ob  str.  22  —  37  von 
str.  20  —  21  zu  trennen  sind.  Solange  man  von  der  absoluten  Voraus- 
setzung ausgeht,  dass  hier  SigurÖr  mit  der  von  ihm  erweckten  walkyre 
redet,  lassen  sich  für  und  wider  gründe  anführen,  und  die  entscheidung 
bleibt  unsicher.  Gehen  wir  aber  nicht  von  einer  gegebeneu  Situation 
aus,  sondern  versuchen  wir  die  Situation  aus  dem  texte  zu  gewinnen, 
so  ist  die  erste  frage  diese,  ob  und  wie  die  Strophen  in  dem  gegebenen 
Zusammenhang  zu  verstehen  sind.  Bei  dieser  fragestellung  tritt  die  alte 
auffassung  von  ästretä  sowol  wegen  der  bekannten  bedeutung  als  wegen 
des  Zusammenhanges  mit  den  folgenden  Strophen  in  den  Vordergrund, 
und  man  braucht  nur  noch  weiter  zu  fragen,  ob  der  übrige  inhalt  der 
str.  20  —  21  der  auffassung  von  ästräft  als  'liebevoller  rat'  sich  wider- 
setzt oder  dieselbe  bestätigt.  Str.  20  steht  damit  in  vollständigem  ein- 
klang,  sie  lässt  aber  auch  die  andere  deutung  zu.  Über  str.  21,  1  —  3 
aber  bemerkt  Sijmons  a.a.O.  s.  19:  'Wenn  der  held  emphatisch  beteuert, 


SIGRDRIFÜMAL    UND    HELREIDH  295 

er  wolle  nicht  fliehen,  wenn  er  auch  dem  tode  verfallen  sei,  denn  er  sei 
kein  feigling,  so  ist  es  undenkbar,  dass  der  dichter  damit  die  folgenden 
durchaus  uncharakteristischen  lebensrege] n  einleiten  wolle.  Diesen  stand- 
zuhalten war  allerdings  etwas  geduld,  aber  weder  mut  noch  todes- 
verachtung  erforderlich';  und  auch  in  21,  6  kann  man  eine  wenigstens 
übertriebene  äusserung  sehen,  wenn  z.  4  nur  rat  verlangt  wird. 

Ich  glaube,  dass  nicht  nur  kein  Widerspruch  vorhanden  sondern 
dass  sogar  der  Zusammenhang  vortrefflich  ist,  sofern  man  nur  von  der 
walkyre  auf  dem  berge  absieht.  Ich  bin  davon  überzeugt,  dass  in 
diesem  gedichte  weder  von  SigurtSr  noch  von  Sigrdrifa,  deren  namen 
nicht  bloss  wie  schon  gesagt  in  den  Überschriften,  sondern  auch  in  den 
strophen  nirgends  genannt  werden1,  die  rede  ist.  Die  Situation  ist  die 
folgende:  Ein  junger  held  in  bedrängnis  und  not  (rqmm  eru  rag  of 
risin)2  kommt  zu  einer  weisen  frau,  einer  volva,  um  ihren  rat  zu 
empfangen  und  wie  sich  versteht  zu  gleicher  zeit  die  zukunft  zu  er- 
fahren. Das  braucht  er  nicht  ausdrücklich  zu  sagen,  denn  guter  rat 
und  prophezeiung  gehen  band  in  hand,  und  dass  er  zur  VQlva  kommt, 
zeigt  zur  genüge,  dass  er  beide  haben  will.  Aber  die  volva  verweilt 
hauptsächlich  bei  dem,  was  der  held  zur  zeit  von  nöten  hat,  in  erster 
linie  Vorsichtigkeit  dem  feinde  gegenüber  und  ritterliche  gesinnung;  die 
prophezeiung  gibt  sie  am  Schlüsse  ihrer  rede  in  einer  einzigen  zeile. 
Aber  der  inhalt  dieser  zeile  (langt  lif  pykkjomkak  hfhungs  rita)  ist  fin- 
den helden  hart  genug  um  str.  21,  1 — 3  zu  rechtfertigen,  und  so  wird 
zu  gleicher  zeit  str.  20  verständlich.  Die  Wahrheit  ist  hart  zu  hören, 
darum  fragt  die  volva,  ob  sie  reden  oder  schweigen  soll;  alles  übel  ist 
zuvor  bestimmt  (d.  h.  sie  kann  nicht  durch  ihre  rede  das  geschick  be- 
einflussen). Der  held  aber  ist  nicht  gesinnt  vor  der  Wahrheit  zu  fliehen, 
wenn  auch  die  volva  ihm  nur  einen  frühen  tod  zu  künden  im  stände 
ist  (put  mik  feigem  vitir);  ihren  heilsamen  rat  wünscht  er  als  Leitstern 
seines  lebens,  sei  es  kurz  oder  lang,  zu  empfangen.    Nicht  ohne  grund 

1)  Vgl.  demgegenüber  die  2'/3  fornyröislagstrophen ,  welche  Sigurör,  Sigmundr, 
Agnarr,  Auoa  erwähnen. 

2)  Diese  worte  können  absolut  Dicht  bedeuten,  was  Finnin-  Jonsson  annimmt, 
dass  auf  dem  wege  zu  den  späteren  feindseligkeiten  schon  ein  schritt  getan  ist.  iu- 
dom  Sigurör  zu  Sigrdrifa,  —  welche  nach  dieser  aul'fassung  nur  Brynhild  sein  kann  — 
gekommen  ist.  Denn  abgesehen  davon,  dass  ein  zukünftiger  streit  zwischen  fremden, 
die  zur  zeit  noch  nicht  einmal  die  erste  bekanntschaft  miteinander  gemacht  haben, 
schwerlich  of  risin  rog  genannt  werden  kann,  ist  auoh  von  Brynhilds  Standpunkte 
Siguros  ankunft  in  keiner  weise  als  dor  erste  schritt  auf  dem  verhängnisvollen  wege 
zu  beurteilen.  Im  gegenteil  wäre  seine  ankunft  ein  Bobiiti  auf  dem  richtigen  -■■ 
von  dem  der  hold  erst  später  abbog,  als  er  zu  Gjuki  ritt, 


bittet   er  nur  um   ihren   rat;    den    inhall   der   prophezeiung   hat   er  au 
str.  20,  6  schon  geschlossen  '. 

Wenn  str.  20  37  nicht  in  dem  Zusammenhang  der  Sigrdrifum&l 
iiberlieferi  wären,  so  würde  wie  ich  glaube  aiemand  gegen  die  gegebene 
Interpretation  etwas  einzuwenden  haben.  Es  frag!  sich  nun,  ob  di< 
Überlieferung  entscheidenden  einspruch  dagegen  erhebt.  Der  blosse  um- 
stand, dass  die  stropfen  nun  (Minna]  dastehen,  kann  von  forschern, 
welche  ihrerseits  str.  6—  1(.»  ausscheiden  oder  sogar  von  der  ganzen 
reihe  6  —  37  nur  20.  2]  stellen  lassen,  nicht  dagegen  angeführt  werden; 
sogar  ist  eine  Kritik,  welche  den  Zusammenhang  von  20-21  mit  22      37 

1)  Inwiefern   der  in  halt  des  rates  mit  der  Situation  des  beiden    in  verbind 
steht,  lässi  sich  nicht  mit  Sicherheit  entscheiden,  da  näheres  über  die  läge  deshelden 

nicht  bekannt  ist;  indessen  i  t  der  rat  so  allgemeiner  natur,  dass  er  eher  als  ein  kate- 
chismus  des  heldentums  anzusehen  ist.    P.  Jönssons  versuch,  die  ratschlage  auf  Si 

lel, en  zu  deuten,  scheint  mir  wenig  gelungen.  Str.  22  soll  lir\ nhildr  selbsl  dem  Sigurör 
den  rat  geben,  wenn  er  spätei  widerkehre  tun  sie,  für  Gunnarr  zu  freien,  sie  nicht 
zu  berühren!  (Was  soll  die  zweite  hälfte  der  strophe  mit  ihreni  rate  sieh  an  ver- 
wandten nicht  zu  rächen  bedeuten?).  In  der  folgenden  strophe  rät  Sigrdrifa  gerade 
das  umgekehrte;  Sigurör  soll  ihr  den  eid  halten;  er  soll  sie  also  nicht  dem  Gunnarr 
überliefern.  Der  dritte  rat  bezieht  sieh  'möglicherweise'  auf  einen  [ringstreit;  da  aber 
die  isländische  geschiehte  aus  lauter  ningstreitigkeiten  besteht  und  also  der  rat  im 
allgemeinen  sinne  ganz  nahe  lag,  während  von  Sigurör  nichts  derartiges  bekannt  ist. 
steht  auch  diese  erklärung  auf  schwachen  füssen.  "Weshalb  die  Warnung  vor  troU- 
konur  und  vor  schönen  weibern  sich  gerade  auf  Grimhildr  und  GuÖrun  beziehen  muss, 
verstehe  ich  nicht;  sowol  trollkonur  wie  schöne  weiber  gibt  es  wenigstens  in  der 
litteratur  in  überfluss,  wäre  aber  eine  solche  warnung  nicht  dazu  geeignet,  Sigurör 
zum  schleunigsten  aufbrach  von  dem  aufenthaltsorte  der  Sigrdrifa  —  welche  Hoch 
auch  ein  schönes  weib  war  —  zu  bewegen?  Übrigens  widerspricht  auch  die  deutung 
dieser  Strophen  {26.  28)  der  von  str.  22  gegebenen.  Für  den  sechsten  rat.  sowie  fin- 
den neunten  weiss  auch  Finnur  Jonsson  keine  an  knüpf  ung  zu  finden,  und  den  siebenten 
erklärt  er  selbst  für  eine  allgemeine  regel  für  beiden.  "Was  der  achte  rat,  falschheit 
zu  scheuen  und  keine  frau  zu  verführen,  mit  Grimhildr  und  Guörün,  deren  keine 
nach  irgend  einer  Überlieferung  von  Sigurör  verführt  wird,  zu  schaffen  hat,  ver- 
stehe ich  nicht.  Dass  der  vargdropi  im  zehnten  rat  Guttormr  sein  muss,  nimmt 
Finnur  Jonsson  ausschliesslich  darum  an,  weil  er  die  strophe  wie  die  übrigen  auf 
Sigurör  zu  beziehen  wünscht;  von  Guttormr  ist  nichts  bekannt,  was  zu  einer  solchen 
bezeichnung  anlass  geben  könnte;  da  überdies  die  zweite  hälfte  der  strophe  Jönssons 
deutung  widerspricht,  ist  auch  seine  erklärung  des  Wortes  für  diese  stelle  verwerflich; 
was  das  wort  bedeutet,  geht  aus  z.  4  — 5  hervor.  Es  bleibt  also  nur  der  elfte  rat, 
sich  vor  seinen  freunden  in  acht  zunehmen,  der  auf  Sigurör  gedeutet  werden  könnte, 
wenn  andere  Strophen  dieselbe  deutung  zuliessen,  welche  aber  in  ihrer  allgemeinheit 
nichts  für  Sigurös  leben  charakteristisches  enthält;  auch  dieser  rat  taugt  jedem  helden: 
übrigens  besteht  die  möglichkeit,  dass  sie  im  Zusammenhang  mit  den  folgenden  zeilen 
andeutet,  dass  der  held,  an  den  die  rede  ursprünglich  gerichtet  war,  von  seinen 
freunden  böses  zu  befürchten  hatte. 


sigrdrifümXl  und  heleeidh  297 

unversehrt  lässt,  weit  conservativer  als  jene  behandlung,  welche  den- 
selben zerreisst.  Wie  aber  verhalten  sich  str.  20  —  37  zu  dem  vorher- 
gehenden? 

Eine  vergleichung  von  str.  20  mit  den  unmittelbar  vorhergehenden 
Strophen  hinterlässt  den  bestimmten  eindruck,  dass  str.  19  eine  inter- 
polation  schliesst.  Ein  natürlicher  anschluss  an  str.  19  ist  nicht  da, 
auch  ist  nicht  zu  verstehen,  wie  str.  19  etwa  die  interpolation  von  20  fgg. 
veranlasst  haben  könnte.  Da  nun  str.  6  — 19,  wie  verschieden  der  In- 
halt nach  der  allgemeinen  auffassung  auch  sein  mag,  doch  alle  von 
runen  handeln,  ist  es  auch  nicht  wahrscheinlich,  dass  str.  20  sich  ein- 
mal an  eine  der  zwischen  str.  5  und  ihr  stehenden  Strophen  angeschlossen 
habe,  um  so  weniger,  falls  es  sich  ergeben  würde,  dass  str.  6  — 19  ein 
zusammenhängendes  ganzes  bilden  (vgl.  darüber  unten  s.  324fgg.);  wir 
müssen  also  um  die  anknüpt'ung  für  str.  20  —  37  zu  finden,  zu  der 
anfangspartie  des  gedichtes  zurückgehen.  Da  stossen  wir  nun  auf  die 
fornyrMslagstrophe  5,  welche  als  teil  der  ursprünglichen  Sigrdrifumäl  älter 
als  str.  20  —  37  ist.  An  diese  str.  schlössen  also  str.  20  —  37  einmal  an. 
Fragt  man  nach  dem  grund  zu  der  aufnähme  der  Strophen  an  dieser 
stelle,  so  ist  die  Ähnlichkeit  der  Situation,  welche  darin  besteht,  dass 
in  beiden  gedienten  ein  held  mit  einer  mit  ausserordentlichen  fähig- 
keiten  begabten  frau  sich  unterhält,  zu  betonen.  Feiner  ist  es  durch- 
aus nicht  unwahrscheinlich,  dass  die  seherin,  welche  sich  anschickte 
eine  feierliche  rede  zu  halten,  dieselbe  dadurch  einleitete,  dass  sie  ihrem 
Schützling  einen  becher  voll  Ijöba  ok  lihnstafa  göftra  galdra  ok  gaman- 
rüna  anbot.  Die  Möglichkeit,  dass  das  lied  von  der  seherin  eine  mit 
str.  5  correspondierende  Strophe  enthielt  —  welche  in  dem  fall  verloren 
wäre  --  ist  also  zu  erwägen.  Doch  ist  es  auch  möglich,  dass  zwar  die 
stelle  von  str.  20  die  darreichung  eines  bechers  voraussetzte,  dass  das 
aber  in  dem  gedichte  nicht  ausdrücklich  mitgeteilt  wurde  (näheres  dar- 
über unten  s.  301  anm.  2). 

Aus  dem  gesagten  folgt  nicht,  dass  nicht  auch  vor  str.  ö  ein  teil 
desselben  gedichtes,  zu  dem  str.  20—  '■'>!  gehören,  angebracht  werden 
sein  kann.  Falls  tatsächlich  eine  grössere  ähnliehkeit  der  str.  5  mit 
einer  bestimmten  stelle  des  gedichtes  von  der  seherin  die  interpolation 
veranlasst  hat,  so  war  freilich  zu  erwarten,  dass  der  interpolator  das, 
was  auf  jene  stelle  folgte,  nach  str.  5  anbringen  würde;  was  aber  vor- 
hergieng,  musste  er  entweder  vor  str.  5  anbringen  oder  gar  nicht  auf- 
nehmen. Wir  sind  also  dadurch,  dass  wir  in  atr.  5  auf  eine  alte  strophe 
stossen,  durchaus  nicht  der  aufgäbe  überheben,  zu  untersuchen,  ob  etwa 
ein  teil  der  str.  2—1  demselben  liede  wie  20   -37  angehören  (von  str.  1 


298  boei 

ist  ans  mehreren  .  imii  genannten  gründen  oichi  die  rede).  Von  diesen 
drei  Strophen  spiel!  nur  str.  2  auf  den  aufenthalt  der  walkyre  auf 
dem  berge  an;  dass  die  beiden  anderen  von  2  rollständig  zu  trennen 
sind  und  m i i  20  37  zusammengehören,  lässl  sich,  wie  Ich  glaube, 
leicht  beweisen.     Die  Strophen   können  unmöglich    da  en,    was 

Müllenhoff  aus  ihnen  herausliest.  Eis  wäre  in  vollständigem  Widerspruch 
mit  dein  bekannten  Charakter  der  Brynhildr,  welche  nichts  weniger  als 
gekommen  ist  um  frieden  zu  bringen,  wenn  sie  ihre  irdische  laufbahn 
anfinge  mit  der  bitte  um  'sänftigende,  heilende  bände  für  sie.  denen 
im  leben  ein  so  verworrenes,  schweres  beschick,  so  furchtbare  Zerwürf- 
nisse bevorstehen.'  Sollte  das  keine  leere  phrase  sein,  so  müsste  von 
der  erfüllung  der  bitte  im  späteren  verlauf  der  gesehichte  irgend  eine 
spur  sich  zeigen.  Was  daran  poetisch  ist,  sehe  ich  nicht;  ich  kann 
darin  nur  eine  psychologische  Unmöglichkeit  erblicken,  welche  dadurch 
nicht  geringei  wird,  dass  die  erwachende,  welche  sich  noch  nicht  ein- 
mal den  schlaf  aus  den  äugen  gerieben  hat,  sofort  über  die  Zukunft 
zu  reden  anfängt,  anstatt  sich  wenigstens  einigermassen  in  der  gegen- 
wart  zu  orientieren.  Nun  ist  es  gewiss  kein  zufall,  dass  Müllenhoff 
seiner  Interpretation  von  str.  3 — 4  zur  liebe  der  überlieferten  reihen- 
folge  gewalt  anzutun  genötigt  ist.  Er  versetzt  str.  2  nach  str.  1 ,  indem 
er  davon  ausgeht,  dass  die  anrufung  von  tag  und  nacht,  von  göttern 
und  göttinnen  an  der  spitze  wo  nicht  des  gedichtes,  doch  der  reden 
der  Sigrdrifa  stehen  muss.  Und  das  kann  man  ihm  zugeben,  dass 
str.  3 — 4  den  eindruck  eines  einganges  machen.  Aber  nicht  das,  dass 
str.  2  hinter  str.  4  am  platze  ist.  Str.  2  steht,  wie  jeder,  der  nicht  die 
möglichkeit  der  Zugehörigkeit  von  fornyröislag-  und  ljöoahättrstropben 
zu  dem  nämlichen  gedieh te  a  priori  leugnet,  sofort  sieht,  mit  str.  1  in 
unmittelbarem  zusammenhange;  die  walkyre  fragt,  Aver  sie  erweckt  hat; 
SigurSr  nennt  sich;  die  walkyre  gibt  sodann  aufschluss  über  Ursache 
und  dauer  des  zauberschlafes.  "Wer  nun  absolut  str.  2  von  1  trennen 
will,  wird  zugeben,  dass  str.  2  zwar  die  ersten  worte  einer  erwachenden 
walkyre  enthalten  kann,  dass  es  aber  mindestens  sehr  auffällig  wäre, 
wenn  die  erwachende  diese  rein  persönliche  mitteilung  auf  die  feier- 
lichen einleitungsstrophen  einer  Unterhaltung  über  die  zukunft  folgen 
Hesse.  Da  str.  20  —  21,  welche  niemand  von  str.  3  —  4  trennt,  widerum 
denselben  ton  wie  diese  anschlagen,  würde  str.  2  an  der  stelle,  wo 
Müllenhoff  sie  hinstellt,  einen  unverständlichen  abfall  der  Stimmung 
bedeuten,  welchen  gegen  die  Überlieferung  in  das  gedieht  hineinzutragen 
überaus  bedenklich  ist  (vgl.  noch  unten  s.  300).  An  der  stelle  hin- 
gegen, wo  sie  steht,  enthält  str.  2  nicht  eine  nüchterne,  zur  sache  nicht 


SIGEDRIFUM    L    UND    HELREIDH  299 

gehörige  mitteilung  wie  nach  4,  sondern  sie  deutet  in  sinniger  weise 
das  allmähliche  zurückkehren  des  bewusstseins  an.  Wenige  änderungen 
Müllenhoffs  sind  so  unglücklich  wie  diese  Strophenversetzung. 

Betrachten  wir  jetzt  den  inhalt  von  str.  3  —  4.  Sie  enthalten  eine 
anrufung  und  eine  bitte.  3,1—2  werden  'der  tag  und  die  söhne  des 
tages'  begrüsst.  Es  wäre  nun  ein  sehr  poetischer  gedanke,  dass  die 
aus  langem  schlaf  erwachende  in  feierlichen  Worten  das  tageslicht  be- 
grüsst, aber  was  soll  dann  die  unmittelbar  darauffolgende  anrufung  der 
nacht  und  ihrer  verwandten?1  Das  zeigt,  dass  der  tag  nicht  im  gegen- 
satz  zu  dem  im  leben  der  walkyre  vorangehenden  schlafe,  sondern  zu 
der  in  der  strophe  folgenden  nacht  verstanden  sein  will.  Die  gegen- 
sätze  werden  angerufen,  d.  h.  die  ganze  natur.  Weshalb  die  erwachende 
walkyre  str.  4  die  götter  und  göttinnen  grüsst,  ist  auch  nicht  sehr  ver- 
ständlich, freilich  stand  sie  zu  Ööinn  in  einem  besonderen  Verhältnis; 
aber  zugegeben,  dass  das  ein  aus  einem  liebevollen  herzen  quillender, 
sich  über  die  ganze  götterweit  erstreckender  Segenswunsch  ist,  wozu 
wird  dann  zu  gleicher  zeit  die  erde  genannt?  Das  adjectivum  deutet 
die  absieht  an;  die  anrufung  ist  eine  bitte  um  hilfe;  die  erde  als  fjgln^t 
wird  in  die  anrufung  mit  einbegriffen,  und  zusammen  mit  äsen  und 
asynjen  bedeutet  sie  widerum,  wie  3,1  —  3,  das  weitall.  Um  worte 
der  Weisheit  zu  reden,  hat  die  volva  das  bewusstsein  ihrer  Solidarität 
mit  der  grossen  quelle  alles  lebens  von  nöten,  und  diese  muss  denn 
auch  das  schenken,  um  was  in  der  zweiten  hälfte  jeder  der  beiden 
Strophen  gebeten  wird.  Dieser  göttlichen  macht  gegenüber  fasst  die 
volva  sich  und  ihren  Schützling  als  eine  einheit  auf  und  fragt  für  sie 
beide  (sitjondom.  okr  meerom  trenn),  was  jedweder  von  im  en  braucht; 
specialisiert  enthält  str.  3  die  bitte  für  den  hehlen,  str.  4  für  die  \.il\a. 
Man  fragt,  wozu  Sigrdrifa  für  den  sieghaften  beiden,  der  kaum  von 
dem  kämpf  mit  dem  drachen  sich  erholt  und  eben  die  schönste  fruchl 
seines  heldentums  gepflückt  hat,  den  sieg  zu  erflehen  braucht;  man 
würde  erwarten,  dass  Sigrdrifa  ihrem  erlöser  etwas  besseres  mitzuteilen 
hätte.  Aber  für  einen  beiden,  der  sich  zu  der  wissenden  um  rat  wen- 
det, weil  rqrnm  rög  of  risin  sind,  ist  allerdings  das  beste,  um  was  ge- 
beten werden  kann,  der  sieg.  Für  sich  bittet  die  volva  zunächst  um 
mal  ok  mauvit,  'die  richtigen  worte  und  Weisheit';  wenn  man  noch 
daran  zweifelt,  ob  str.  20—37  und  str.  1  zusammengehören,  so  gibl 
diese  bitte   die    endgiltige   antwort.     Was    seil    widerum    die   erwachte 

1)  Dass  dags  synir  und  nipt  (ndttar)  männer  und  frauen  sind,  wie  Finnur 
Jönsson  behauptet,  kann  ich  nicht  glauben;  doch  ist  das  für  die  frage,  welche  uns 
hier  beschäftigt,  unwesentlich. 


walkyre  mit  diesen  gaben  anfangen?  A.ber  die  vq\v&  braucht  Weisheit, 
damit  sie  nicht  einen  verkehrten  rat  gebe,  und  dass  sie  mal  braucht 
und  empfängt,  zeig!  ihre  ehstrophige  rede.  Zum  chlusa  bittet  sie  um 
Iceknishendr,  Dicht  bloss  für  diesen  einzigen  fall,  sondern  für  ihr  ganzes 
Leben  (meftan  lifum);  es  ist  das  erste  bedürfnis  einer  seherin,  welche 
ihre  Weisheit  auf  heilsame  weise  zu  benutzen  wünscht.  A.ucb  ihrem 
Schützling  gegenüber  braucht  sie  diese  gäbe,  und  sie  wendet  dieselbe 
an,  wo  sie  ihm  in  mehr  als  einer  Strophe  einen  sanftmütigen  rat  gibt, 
sich  an  seinen  verwandten  nicht  zu  rächen,  die  Wahrheit  zu  reden, 
keine  Iran  zu  verführen;  aber  auch  für  den  rat  mit  toren  nicht  zu 
streiten,  wodurch  unheil  vorgebeugt  wird,  sind  leehnishendr  nötig;  man 
darf  ruhig  behaupten,  dass  der  ganze  i n halt  von  str.  22  — 37  eine  über- 
aus interessante  illustration  der  bitte  um  leeknishendr  ist.  da  die'  rat- 
schlage eine  Lebensbetrachtung  predigen,  welche  von  dem  heldenidea] 
der  härte  und  unbeugsamkeit  weit  entfernt  ist.  Die  volva  tritt  hier 
durchaus  als  versöhnende  gestalt  auf  und  nimmt  dadurch  unter  den 
vqIui-  der  altn.  literatur  ihre  eigene  Stellung  ein.  Durch  die  unerbitt- 
lichkeit, des  geschicks,  welches  sie  repräsentiert  (str.  37),  führt  sie  ihren 
namen  mit  recht;  der  rat,  gewalt  nicht  zur  einzigen  macht  zu  erheben, 
sondern  treue  und  redlichkeit  walten  zu  lassen,  stellt  sie  auf  einen 
humanen  Standpunkt. 

Ich  glaube  gezeigt  zu  haben,  dass  str.  3  —  4  ebensowenig  wie 
20  —  21  von  22  —  37  sich  trennen  lassen.  Daraus  folgt  eine  neue  cr- 
wägung,  welche  die  Versetzung  von  str.  2  verbietet.  Denn  wenn  str.  3  —  4 
die  anrufung  der  göttlichen  macht  enthalten,  welche  unumgänglich  ist. 
um  str.  21  —  37  auszusprechen,  so  kann  die  zusammenhängende  feierliche 
rede  nicht  durch  eine  strophe  wie  2  gestört  werden.  Dasselbe  gilt  nicht 
für  str.  20  —  21  und  würde  ebensowenig  für  eine  etwa  mit  str.  5  corre- 
spondierende  strophe  gelten.  Diese  Strophen  gehören  zu  dem  ceremo- 
niell  und  erhöhen  die  bedeutung  des  Vorganges.  Die  helfenden  mächte 
wurden  gerufen  und  sind  da;  der  fragende  muss  für  die  aufnähme  des 
rates  vorbereitet  werden.  [Dazu  empfängt  er  den  gesegneten  becher? 
vgl.  oben  s.  297,  unten  s.  301  anm.  2].  Nun  werden  die  göttlichen  worte 
bald  erklingen,  aber  die  vojva  muss  zuvor  in  dem  entscheidenden  augen- 
blick  sich  überzeugen,  dass  ihre  Weisheit  tatsächlich  verlangt  wird. 
Erst  nachdem  sie  auf  ihre  hierauf  bezügliche  frage  eine  zustimmende 
antwort  empfangen  hat,  hebt  sie  zu  reden  an. 

Das  alles  hängt  gut  zusammen;  man  sieht  nicht  —  abgesehen  von 
dem,  was  über  str.  5  bemerkt  wurde  --  dass  auch  nur  eine  verszeile 
fehlt.     Ich  glaube  auch  nicht,    dass  das  gedieht  fragmentarisch  über- 


SIGRDRIFUMAT.    TTND    HELREIDH  301 

liefert  ist;  str.  37  bildet  den  natürlichen  abschluss.  Aber  in  dem  zu- 
sammenhange der  Sigrdrifumäl  ist  in  der  tat  mit  diesem  gedichte  nichts 
anzufangen.1  Es  ist  sogar  sehr  fraglich,  ob  es  von  anfang  an  in  der 
Sammlung  gestanden  hat.  Dagegen  spricht  das  wunderliche  durch- 
einander der  prosa.  Nach  str.  2  setzt  sich  Sigurör  und  fragt  die  wal- 
kyre  nach  ihrem  namen.  Sie  beantwortet  die  frage  nicht,  sondern 
nimmt  einen  becher  mit  meth  und  gibt  dem  helden  eine  minnisveig 
zu  trinken;  dabei  spricht  sie  str.  3  —  4.  Dann  scheint  sie  sich  der  an 
sie  gerichteten  frage  zu  erinnern,  sie  erzählt  wie  sie  heisst  und  gibl 
auskunft  über  ihre  früheren  erlebnisse;  Sigurör  bittet  sie,  ihn  Weisheit 
zu  lehren,  falls  sie  um  die  ganze  weit  bescheid  wisse  (wie  kommt  er 
auf  den  gedanken?).  Sie  spricht  darauf  str.  5,  welche,  wie  der  Inhalt 
zeigt,  die  darreichung  eines  bechers  begleitet. 

Diese  Verwirrung  hat  schon  Bugge  wahrgenommen,  aber  nicht 
erklärt.  Müllenhoff,  der  nicht  nur  str.  2,  sondern  auch  die  folgende 
prosa  hinter  4  setzt,  bringt  auf  diese  weise  wol  eine  räumliche  annähe- 
rung  der  frage  nach  dem  namen  an  die  darauf  bezügliche  antwort  zu 
stände,  aber  das  ganze  bleibt  nach  wie  vor  unverständlich:  natürlich 
bekommt  der  sammler  die  schuld,  und  dem  leser  wird  der  rat  gegeben, 
die  strophen  in  Müllenhoffs  reihenfolge  zu  lesen  und  die  prosa  einfach 
zur  seite  zu  schieben.  Ja,  wenn  uns  geboten  wird,  von  dem,  was  wir 
nicht  verstehen,  keine  notiz  zu  nehmen,  so  werden  wir  das  übrige  zu 
verstehen  glauben.  Der  sammler  aber  kann  schwerlich  daran  schuldig 
sein,  dass  die  frage  nach  dem  namen  der  walkyre  von  der  antwort 
durch  den  satz:  hon  tök  pä  hom  fiilt  mjabar  6k  gaf  honom  minnisveig 
getrennt  erscheint.  Dieser  satz  ist,  abgesehen  von  der  durch  ihn  ver- 
ursachten Störung  des  Zusammenhangs  auch  deshalb  verdächtig,  weil  er 
str.  5  antecipiert.  Aber  wie  kam  er  an  diese  stelle  (nach  2)  zu  stehen? 
Als  ein  zusatz,  sei  es  nun  des  Sammlers  oder  eines  interpolators,  ist 
er  da,  wohin  er  von  Müllenhoff  gebannt  wird,  in  keiner  weise  zu  ver- 
stehen. Dagegen  wird  in  dem  überlieferten  zusammenhange  seine  auf- 
nähme verständlich.  Der  satz  ist  da,  wo  er  in  R  steht,  eine  einleitung 
zu  str.  3  —  4  und  wurde  mit  diesen  zusammen  interpoliert.  Der  inter- 
polator  fasste  also  str.  3  —  4  auf  als  die  rede  einer  frau,  welche  einen 
becher  in  der  band  hielt.  Diese  auffassung  kann  nach  dem  oben  aus- 
geführten  richtig  gewesen  sein.2     Aber  wenn  str.  3—4  werte   der   er- 

1)  Die  lückenlose  Überlieferung  sowie  der  v/eiohere  tun  weisen  auf  ein  verhält- 
nismässig junges  alter;  vielleicht  das  dreizehnte  jahrh. 

2)  Es  folgt  dann  daraus,  dass  nicht  nach  str. -l  eine  Btrophe  ähnlichen  inhaltes 
wie  r>  verloren  ist,  sondern  dass  die  Situation  von  5  schon  bei  '■*>      1  vorausgesetzt  wird. 


302  BOKR 

wachenden  Sigrdrifa  enthalten,  so  kann  sie  nicht  richtig  sein,  denn  die 
verse  haben  dann  eine  andere  bedeutung,  wozu  kommt,  dass  nach 
Sigrdrifumäl  der  becher  erst  str.  5  dem  helden  geboten  wird.  Wenn 
man  nun  den  str.  5  antecipierenden  satz  zusammen  mit  Btr.  3 — I  aus- 
scheidet, so  folgt  die  antwort  deT  Sigrdrifa  auf  Sigurös  frage;  die  prosa 
des  Sammlers  hängt  dann  richtig  zusammen.  Ein  einschub  zeigt  sich 
dann  wider  prosa  z.  18:  Haim  sin  rar  ok  bifor  hana  kenna  sir  speki: 
ef  hon  rissi  tiftendi  6r  oüom  heimom;  da  diese  worte  nur  dazu  dienen, 
die  anerkanntermassen  interpolierten  str.  6  —  19  (oder  möglicherweise 
auch  str.  22  fgg.)  einzuführen,  wird  wol  niemand  sich  ihrer  annehmen. 
Auf  die  gegenseitige  mitteilung  der  namen  und  die  erzählung  von  Sigr- 
drifas  Vorgeschichte  folgt  der  empfang  des  gastes  (str.  5). 

Ich  zähle  also  zu  den  ursprünglichen  Sigrdrifumäl  den  grössten 
teil  der  prosa  oder  die  ganze  prosa  vor  1,  ferner  str.  1.  2,  die  prosa 
nach  2  und  4  mit  ausnähme  der  beiden  ausgeschiedenen  sätze,  deren 
einer  zu  der  gruppe  3  —  4.  20  —  37  gehört,  während  der  andere  ent- 
weder str.  0—19  oder  20  —  37  einleitet.  Die  reihenfolge  ist  vollständig 
tadellos.1 

Wir  kommen  zu  der  frage,  ob  die  Vodsungasaga  den  ursprüng- 
lichen schluss  der  Sigrdrifumäl  in  prosaauflösung  bewahrt  hat.  Zunächst 
ist  zu  fragen,  ob  Sigurös  worte:  Engi  finnx  fier  vitrari  maftr;  ok  pess 
sver  ek,  cd  pik  skal  ek  eiga,  ok  pü  ert  vih  mitt  oz&i  und  Sigrdrifas 
antwort:  pik  vil  ek  heht  eiga,  pött  ek  kjosa  um  alla  menn  eine  erfin- 
dung  des  Verfassers  der  VqIs.  s.  sind.  Es  scheint  mir,  dass  Heusler 
hier  die  einzig  richtige  antwort  gegeben  hat.  Man  kann  sich  in  der 
tat  schwer  vorstellen,  dass  der  sagaschreiber  sich  selbst  die  Schwierig- 
keit bereitet  haben  würde,  dem  SigurÖr  neben  der  vorverlobung,  welche 
er  schon  mitzuteilen  genötigt  war,  noch  eine  zweite  aufzudrängen.  Er 
wird  also  in  seiner  quelle  den  inhalt  dieser  sätze  in  strophenform  oder 

Ich  glaube  nicht,  dass  der  satz  von  dem  interpolator  erfunden  —  etwa  ans 
str.  3  —  4,  welche  das  auch  nicht  aussagen  —  abstrahiert  wurde,  sondern  dass  er  zu 
einer  das  gedieht  von  der  seherin  einleitenden  prosaischen  tradition  gehört.  Die 
miniiisveig  gehört  zu  dem  apparate  der  weissagenden  frauen.  Was  Sigurör  damit 
anfangen  soll,  ist  zwar  nicht  zu  verstehen;  der  held  aber,  der  den  rat  der  seherin 
zu  hören  wünscht,  bekommt  zuvor  den  trank  zu  trinken,  damit  er  das,  was  ihm  mit- 
geteilt wird,  nicht  vergesse,  wie  Ottarr  heimski  in  den  Hyndluljoft  zu  demselben  zwecke 
minnisql  gegeben  wird.  Eine  andere  bedeutung  hat  die  minnisreig  in  der  GQngu- 
Hrölfssaga  Fas.  3,  309. 

1)  Wer  auf  grund  der  metrischen  ungleichartigkeit  nicht  an  die  Zusammen- 
gehörigkeit von  str.  1.  2  glauben  kann,  muss  str.  2  als  einzigen  rest  eines  parallelen 
liedes  auffassen. 


SIGRDRIFUMAL    UND    HFXREIDH  303 

in  prosa  vorgefunden  haben.  Das  schweigen  der  Skälda  erklärt  sich 
dann  daraus,  dass  der  Verfasser  mit  diesem  berichte  nichts  anzufangen 
wusste. 

Zu  welchem  gedichte  gehören  nun  die  Strophen,  deren  inhalt  c.  21 
der  Yojsungasaga  am  Schlüsse  mitteilt?  Es  mag  wunderlich  klingen, 
doch  darf  man  nicht  die  möglichkeit  leugnen,  dass  hier  der  schluss  des 
gedichtes  von  der  seherin  vorliegt.  Wenn  auch  sonst  nicht  bekannt  ist. 
dass  ein  held  den  guten  rat  der  seherin  dadurch  lohnt,  dass  er  sie  zu 
seiner  geliebten  erwählt,  dieses  eine  beispiel  würde  das  unerhörte  zu 
etwas  erhörtem  machen;  unsere  aprioristische  abneigung  gegen  eine 
solche  auffassung  hängt  wol  damit  zusammen,  dass  wir  eine  weissagende 
frau  uns  als  alt  vorzustellen  gewohnt  sind.  Die  einleitenden  worte  der 
aussage  SigurÖs  weisen  auf  den  rat  zurück  und  legen  diese  auffassung 
nahe.  Andererseits  kann  man  sich  vorstellen,  dass  jene  wendung  nur 
dazu  dient,  zwischen  dem  von  Sigurör  ausgesprochenen  vorhaben  und 
den  vorhergehenden  ratschlagen  einen  Zusammenhang  zu  stände  zu 
bringen.  Falls  nicht  ein  mechanisches  kriterium  sich  auffinden  lässt, 
wird  die  frage  kaum  mit  Sicherheit  zu  lösen  sein,  und  das  urteil  über 
die  stelle  wird  nach  wie  vor  von  hypothetischen  sagenhistorischen  er- 
wägungen  abhängig  gemacht  werden. 

Indessen  glaube  ich  in  der  Überlieferung  ein  mechanisches  krite- 
rium für  die  Zugehörigkeit  der  beiden  sätze  gefunden  zu  haben. 

Die  letzten  Strophen  des  gedichtes  fehlen  in  R.  Aber  in  mehreren 
papierhss.  sind  sie  enthalten.  Mit  Bugge  und  anderen  glaube  ich,  dass 
diese  Strophen  echt  sind.  Aber  was  ist  der  grund,  dass  die  papierhss. 
nichts  enthalten,  was  den  schlussphrasen  des  21.  capitels  der  Vqlsunga- 
saga  entspricht?  Dass  diese  Strophen  an  bedeutung  jenen  nachstehen. 
lässt  sich  nicht  behaupten.  Man  kann  annehmen,  dass  die  person, 
welche  die  schlussstrophen  aus  seinem  gedächtnis  aufschrieb,  diese  beiden 
Strophen  vergessen  hatte,  aber  das  ist  doch  nur  eine  ausrede.  Weshalb 
musste  diese  Strophen  überall  das  unglück  treffen,  übergangen  zu  werden; 
denn  auch  die  Skälda  verleugnet  sie?  Ich  kann  mir  diese  coincidenz 
nur  so  zurechtlegen,  dass  die  beiden  Strophen,  welche  dem  berichte  zu 
gründe  liegen  sollen,  in  R  als  Strophen  nicht  vorhanden  waren.  Wenn 
nun  doch  ihr  inhalt  aus  der  Sammlung  stammt,  so  bedeutet  das.  dass 
schon  in  der  Sammlung  das  gedieht  mit  der  kurzen  prosaischen  be- 
merkung,  dass  Sigurtfr  sich  mit  Sigrdritä  verlobte,  schloss.  Die  tonn 
der  mitteilung  kann  der  hauptsache  nach  dieselbe  gewesen  sein  wie  in 
der  VQlsungasaga,  vgl.  die  gleichheit  der  prosa  vor  str.  1  mit  dem  an- 
fang  von  Vojs.  s.  c.  20.     Daraus   ergib!    sieh    von   selbst,    was  man   von 


904  BOKK 

der  stelle  zu  denken  hat     Das  lied,  welches  Btr.  3  anhebt,   ist,   soweit 

wir  ersehen  können,  lückenlos.  Falls  Strophen  verloren  sind,  was  man 
nirgends  anzunehmen  genötigt  ist,  bo  ist  doch  an  keiner  Btelle  der  in- 
lialt  einer  verlorenen  Strophe  in  prosa  mitgeteilt.  Die  Überlieferung  der 
eigentlichen  Sigrdrifumäl  isl  hingegen   sein-  fragmentarisch;  das  meiste 

erfuhren  wir  nur  aus  der  begleitenden  prosa.  Daraus  lüsst  sich  schlie 
dass  der  schluss  von  c.  21  der  VqIs.s.  mittelbar  auf  Strophen  der  eigent- 
lichen Sigrdrifumäl  beruht.  Schon  der  sammler  der  lieder  kannte  nur 
ihren  inhalt;  die  worte  engt  jinir.  jx'r  vitrari  mcifor  Btammen  eher  von 
dem  interpolator  des  VQlvenliedes,  der  auch  in  der  prosa  nach  2  einen 
satz  hinzufügte,  als  von  dem  Verfasser  der  Volsungasaga.  Dass  der 
Schreiber  der  papierhandschrift,  der  nur  den  poetischen  schluss  des  ge- 
dichtes  retten  wollte,  diese  prosasätze,  welcher  er  sich  vielleicht  nicht 
einmal  erinnerte,  nicht  aufnahm,  ist  leicht  zu  verstehen1. 

Wie  sind  nun  die  letzten  worte  des  c.  21  oh  [tetla  htiudn  Juni  >■/<)/<>)/ 
web  sSr  zu  beurteilen?  Wenn  diese  phrase  einen  poetischen  bericht  gleichen 
inhaltes  paraphrasiert,  so  ist  der  schluss  des  gedichtes  dieser,  dass  Sigurfcr 
Sigrdrrfa  verspricht,  sie  zu  heiraten.  Ein  poetischer  schluss  darf  das 
kaum  genannt  werden.  Man  stelle  sich  Freyr  oder  Svipdagr  vor,  vor 
Gerör  oder  MengloÖ  ein  heiratsversprechen  ablegend,  um  dann  die  reise 
fortzusetzen.  Die  Situation  ist  hier  anerkanntermassen  dieselbe  wie  dort; 
der  einzige  abschluss,  der  sich  erwarten  lässt,  ist  dieser,  at  hu  im  gengr 
(ü  eiga  hana.  Es  fragt  sich,  ob  die  oben  angeführten  worte  ausschliess- 
lich als  ein  von  dem  dichter  bezwecktes  heiratsversprechen  verstanden 
werden  können.  Das  ist  nun  keineswegs  der  fall.  Ich  glaube,  dass 
die  bemerkung  aus  rede  und  gegenrede  der  liebenden  abstrahiert  worden 
ist.  In  leidenschaftlichen  worten  schwören  Siguror  und  Sigrdrifa  sich 
liebe  (pess  sver  eh,  at  pik  shal  eh  eiga),  vgl.  FjqIsv.  48  —  50,  wo 
MengloÖ  vom  küssen  und  einem  zusammenleben  mit  dem  geliebten 
redet;  dass  das  nun  ohne  aufschub  geschieht,  versteht  jedermann,  ob- 
gleich es  nicht  besonders  bemerkt  wird,  und  auch  in  Sigrdrifumäl  war 
eine  solche  mitteilung  überflüssig.  Aus  pess  sver  eh  aber  folgerte  der 
sammler  (oder  der  Verfasser  der  Vols.s.?)  einen  eid  für  die  ferne  zu- 

1)  Zu  einem  ähnlichen  resultate  führt  die  annähme,  dass  die  sehlussstrophen 
der  Sigrdrifumäl  in  den  papierhss.  nicht  aus  R,  sondern  aus  einer  alten  mündlichen 
tradition  des  gedichtes  stammen.  Das  fehlen  der  dem  Schlüsse  von  c.  21  der  VqIs.s. 
entsprechenden  Strophen  beweist  dann,  dass  dieselben  nicht  zu  dem  mit  str.37  schliessen- 
den  gedichte  gehören  und  deshalb  dem  anderen  gedichte  zuzuweisen  sind.  Dass  str.  37 
einen  ausgezeichneten  schluss  des  liedes  von  der  Seherin  bildet,  wurde  schon 
bemerkt. 


sigrdrifumäl  und  helhkidh  305 

kunft,  was  aufmissverständnis  beruhen  kann,  aber  doch  seinen  hauptgrund 
in  der  Verbindung  mit  den  folgenden  liedern  zu  einer  biographie  hat. 

Wir  sind  nicht  auf  mythologischem  sondern  auf  philologisch- 
kritischem  wege  zu  dem  resultate  gelangt,  dass  in  einem  verhältnis- 
mässig alten,  zur  zeit  der  aufzeichnung  sehr  fragmentarischen  gedichte 
eine  sagenform  überliefert  ist,  nach  der  SigurÖr  eine  auf  einem  berge 
schlafende  walkyre  erweckt  und  sich  mit  ihr  in  liebe  vereinigt.  Es 
erübrigt,  von  dem  gewonnenen  Standpunkte  aus  auf  die  übrigen  ge- 
dichte, welche  eine  dem  Sigrdrifumäl  ähnliche  sagenform  repräsentieren, 
einen  blick  zu  werfen. 

Zunächst  auf  die  igftna  mal  (Fäfn.  40 —  44).  Drei  hauptauffassungen 
dieses  liedfragmentes  sind  zu  erwähnen.  Edzardi.  der  Sigrdrifa  von 
Brynhildr  trennt,  glaubt,  dass  eine  Strophe  verloren  ist,  in  der  von 
Brynhildr  die  rede  war,  da  doch  die  drei  frauen,  zu  denen  SigurÖr  in 
beziehung  tritt,  alle  genannt  werden  müssen.  Das  ist  eine  Interpre- 
tation, welche  von  einer  vorgefassten  meinung  über  die  sage  ausgeht, 
und  zu  gleicher  zeit  eine  forderung  biographischer  akribie,  welche  dem 
dichter  unterschiebt,  was  man  etwa  selbst  dichten  würde.  Ich  gehe 
darauf  nicht  näher  ein;  die  Überlieferung  bietet  für  diese  anschauung 
keinen  einzigen  anhält.  Es  bleibt  dann,  abgesehen  von  der  frage,  ob 
Sigrdrifa  mit  Brynhildr  identisch  ist,  die  frage  als  die  wichtigste  be- 
stehen, ob  str.  40  von  Sigrdrifa  oder  von  Guörün  spricht.  Müllenhuff 
entscheidet  sich  im  ersteren  sinne  und  scheidet  str.  41  aus.  Sijmons, 
der  Sigrdrifa  für  eine  appellativische  bezeichnung  der  Brynhildr  hält. 
glaubt,  dass  str.  42  —  44  zwar  von  Brynhildr,  str.  40  aber  wie  41  von 
Guörün  redet.  Er  erkennt  in  dem  gedichte  dieselbe  sagenform,  welche 
HelreiÖ  zeigt:  SigurÖr  kommt  zuerst  zu  Gjuki,  darauf  zusammen  mit 
(ijükis  söhnen  zu  Brynhildr.  Ähnlich  urteilt  Heusler.  Obgleich  er  Sigr- 
drifa von  Brynhildr  trennt,  glaubt  er  doch,  dass  der  dichter  von  Fam. 
40  —  44  die  beiden  gestalten  zusammengeworfen  hat,  und  auch  er  hält 
das  gedieht  für  einen  repräsentanten  der  sagenform  der  HelreiÖ1 

Ich  teile  in  dieser  hinsieht  Müllenhoffs  auffassung  aus  folgenden 
gründen: 

1.  Nach  Sijmons  ansieht  (Edda  s.  335),  der  sich  darin  Ettmüller, 
Edzardi  u.  a.  anschliesst,  sind  die  oben  als  echt  erkannten  Sigrdrifumäl 
dir  fortsetzung  des  nämlichen  gedientes,  zu  dem  auch  die  igbna  mal 
gehören.     In  der  zusammenhängenden    reihenfolge  der   beiden  gedichte 

1)  Die  auffassung  Finnur  Jönssons,  der  glaubt,  dass  die  vögel  SigurÖr  voi 
Sigrdrifa  warnen,  bat  Sijmons  a.a.O.  s.  1-1  zuj 

ZKITSCHKUT    K.    DEUTSCHE    PHILOLOGIE.       BD.  XXXV 


300  HO KR 

reitet  SigurSr,  sobald  die  vögel  ihren  gesang  beendet  haben,  nach 
Fäfnirs  wohnung  und.  nachdem  er  dort  der  schätze  des  drachens  sich 
bemächtigt  hat,  nach  Eindarfjall.  Dem  entspricht  in  den  igXma  mal 
die  reihenfolge  40.  42.  Wenn  also  Fäfh.  str.  40—44  und  die  prosa 
vor  Sigrdr.  reste  eines  liedes  sind,  so  ist,  falls  str.  41  ursprünglich  ist) 
entweder  der  dichter  mit  sich  selbst  in  Widerspruch  geraten,  oder  ein 
teil  der  Überlieferung,  welcher  erzählt«;,  wie  SigurÖr  ZU  Gjüki  kam  und 
sich  mit  GuÖrün  vermählte,  ist  verloren.  Man  würde  erwarten,  dass 
der  Zusammenhang  dtv  fortschreitenden  erzählung  darunter  gelitten 
haben  würde;  das  ist  aber  nicht  der  fall;  die  prosa  hängt  in  jeder  hin- 
sieht richtig  zusammen.  Dieses  argument  ist  jedoch  nur  insofern  von 
wert,  als  man  die  beiden  gediente  als  zusammengehörig  betrachtet. 

2.  Drei  Strophen  der  igftnamäl  beschäftigen  sich  mit  der  schlafenden 
walkyre.  Von  GuÖrün  spricht  nur  diese  eine  Strophe  deutlich.  Wenn 
die  absieht  der  vögel  ist,  die  hochzeit  mit  GuÖrün  als  lohn  für  SigurSs 
heldentat  darzustellen,  so  ist  es  überaus  auffällig,  dass  sie  den  eindruck 
durch  eine  breite  poetische  Schilderung  einer  anderen  frau  zerstören. 
Ist  aber  Sigrdrifa  die  Jungfrau,  auf  welche  sie  Sigurör  aufmerksam 
machen  wollen,  so  geht  es  nicht  an,  dass  sie  zuvor  Gudrun  als  seine 
künftige  braut  hinstellen.  Höchstens  wäre  eine  warnung  vor  Gjükis 
söhnen  und  ihrer  Schwester  am  platze. 

3.  Aus  dem  vorhergehenden  hat  sich  ergeben,  dass  Sigurör  tat- 
sächlich nicht  bloss  zu  Sigrdrifa  kommt,  sondern  auf  der  stelle  ihre 
liebe  geniesst.  Ob  man  nun  Sigrdrifumäl  und  die  igftna  mal  für  reste 
eines  oder  zweier  gedichte  hält,  ein  enger  Zusammenhang  ist  nicht  zu 
leugnen.  Es  liegt  auf  der  hand,  dass  die  worte  der  vögel,  welche  von 
einer  frau  reden,  welche  Sigurör  besitzen  wird,  auf  die  frau  zu  deuten 
sind,  welche  er  in  dem  fortlaufenden  zusammenhange  tatsächlich  besitzt, 
nicht  auf  eine  andere,  von  der  sonst  in  den  beiden  gedichten  nirgends 
die  rede  ist.1 

4.  Der  einschub  einer  auf  GuÖrün  bezüglichen  strophe  nach  str.  40 
lässt  sich  leicht  erklären.  Ein  näherer  Zusammenhang  zwischen  str.  40 
und  41  existiert  nicht.  Denn  wenn  die  vögel  dem  Sigurör  raten,  die 
ringe  mitzunehmen,  so  bedeutet  das  nicht,  dass  er  damit  GuÖrün  kaufen 
kann.  Der  sinn  des  rates  geht  aus  z.  3  — 4  (era  konuriglikt  kvtfta  mqrgu) 
hervor.     Die  vögel  raten  Sigurör,   Fäfnirs  fluch  nicht  zu  fürchten;   die 

1)  Wer  wie  Heusler  Sigrdrifumäl  von  den  igdna  mal  stofflich  vollständig  trennt, 
muss  wenigstens  zugeben,  dass  der  Sammler  durch  die  stelle,  an  der  er  Sigrdrifumäl 
aufnimmt,  über  seine  auffassung  des  Verhältnisses  der  beiden  gedichte  klaren  auf- 
schluss  gibt. 


SIGRDRIFÜMA1.    UND    HELREIDH  307 

daner  des  lebens  ist  dem  beiden  gleichgültig;  der  wahre  lohn  für  die 
heldentat  (nicht  für  das  gold)  ist  eine  mcer  —  mildo  fegrst,  —  da- 
selbst gulli  gcedd  ist,  beweist  keineswegs,  dass  das  mädchen  GuSrun 
sein  mnss.  Die  vögel  erzählen  darauf,  wo  und  wie  er  die  braut  finden 
wird,  und  widerhölen  44,  2  (mey  und  hjalmi)  die  str.  40  gegebene 
andeutung  in  mehr  präcisierter  form.  Ein  interpolator  aber  konnte 
glauben,  dass  die  für  Sigurör  bestimmte  braut  doch  nur  Gudrun  ge- 
wesen sein  kann,  und  die  erwähnung  der  ringe  (str.  40)  veranlagte 
ihn  vielleicht  dazu,  zu  erzählen,  dass  SigurÖr  Gjükis  tochter  mundi 
kaupa  würde.  Seine  bemerkung  fram  Visa  skgp  folkWSondmm  kann 
eine  warnung  sein,  an  der  str.  42  —  44  genannten  dame  vorüberzu- 
reiten. 1 

Durch  die  ausscheidung  der  einen  strophe  41  wird  die  beste  Har- 
monie nicht  nur  mit  den  ursprünglichen  Sigrdrifümäl  sondern  bekannt- 
lich auch  mit  dem  Sigf'ridsliede,  welches  den  neiden  die  Jungfrau  im 
immittelbaren  anschluss  an  den  drachenkampf  erlösen  und  erwerben 
lässt,  erreicht. 

Die  auffassung  der  HelreiÖ  steht  der  der  beiden  besprochenen 
gedichte  am  nächsten;  sie  weicht  hauptsächlich  dadurch  ab,  dass  SigurÖr 
zwar  die  schlafende  walkyre  erweckt,  aber  nicht  um  sie  zu  besitzen, 
sondern  um  sie  dem  Gunnarr  zu  übergeben.  Dass  hier  die  walkyre 
Brynhildr  ist,  wird  nicht  angezweifelt  und  es  kann  dem  auch  nicht  wider- 
sprochen werden.  Aber  das  urteil  über  die  autorität  des  gedientes  ist 
sehr  verschieden.  Auch  diejenigen  forscher,  welche  nicht  mit  Bugge 
den  wesentlichsten  teil  des  gedichtes  ausscheiden  und  den  Sigrdrifümäl 
zuweisen  wollen,  stimmen  untereinander  in  der  auffassung  der  Helreio 
keineswegs  überein.  Was  das  gedieht  zumal  verdächtig  macht,  ist  das 
auftreten  der  jungen  gestalt  des  Heirnir.  Auf  verschiedene  weisen  ist 
man  gewohnt,  sich  mit  ihm  abzufinden.  Ich  führe  die  folgenden  an- 
sichten  an.  Müllenhoff  streicht  str.  11,  welche  von  Brynhilds  föstri 
(  =  Heimir)  redet.  Str.  7  behält  er,  obgleich  Dach  der  VQlsungasaga, 
der  Skälda  und  den  ViMnWtir  zur  Lamlnäina  Eeimir  in  EJymdalir  wohnt, 
da  die  namen  Hildr  (und  hjalmi)  und  Hlymdalir  zu  der  walkyre  in 
beziehung  zu  stehen  scheinen;  er  hält  es  also  nicht  für  ausgemacht, 
dass   Heimir  und   die    Hlymdalir  von   anlang  an   zusammengehören:   und 

1)  ef  geta  mattir  (40,8)  vorstelle  ich  mit  Sijmons  a.a.O.  b.  L3  als  oine  er- 
munterung,  aicW  um  Bugge  ;il-  eine  missmutige  bemerkung,  welche  die  ganze  ig 8na 
mal  illusorisch  machen  würde.  Die  vögel  sprechen  die  spräche  des  geschioke?  wes- 
halb sollten  sie  den  beiden  antreiben,  dass  er  etwas  zu  erreichen  Buche,  was  aaoh 
ihrer  eigenen  aussage  ihm  verweigerl   -- o i l  wird' 

_'o- 


308  l'.OKK 

principiell  lässt  sich  dagegen  nichts  einwenden.  Nur  versetzt  er  str.  7 
vor  6,  worin  ihm  die  meisten  jüngeren  forscher  Inigen.  -  Sijmons,  der 
das  gedieht  für  den  repräsentanten  einer  alten  sagenform  hält  und  mit 
Mtillenhofi"  auch  str.  7  beibehält,  kann  sich  wegen  str.  7  nicht  <*nt- 
schlicssen,  str.  11  auszuscheiden  und  kommt  zu  dem  Schlüsse,  dass  "in 
unserem  liede  eine  sehr  alte  und  ursprüngliche  Bagenfassung  mit  einer 
jüngeren  Vorstellung  verquickt  ist'.1  Der  von  Sijmons  anerkannte  Wider- 
spruch wird  von  den  gegnern  der  urspriingliehkeit  der  in  dem  gedichte 
vorliegenden  sageni'onn  in  hohem  grade  ausgebeutet.  Heikler  (s.  2b) 
glaubt  aus  str.  11  schliessen  zu  dürfen,  dass  die  ganze  darstelluug  der 
HelreiÖ  eine  junge  erfindung  ist.  Von  drei  Unebenheiten,  welche  er 
in  dem  gedichte  wahrnimmt,  knüpfen  zwei  an  str.  11.  Die  dritte  ist 
von  geringer  bedeutung.  Nach  Heusler  passt  nämlich  das  nmtiv,  dass 
Brynhildr  den  eid  abgelegt  hat,  sich  nur  dem  durchreiter  der  lohe  zu 
ergeben,  nicht  wol  zu  der  im  zauberschlaf  liegenden.  Denn  das  echte 
sei,  'dass  Oöinn  selbst  die  bestimmung  ausspricht,  nur  der  furchtlose 
solle  den  zauber  brechen1,  wie  das  auch  in  str.  9  steht.  Ich  denke, 
die  Schwierigkeiten  des  freiwilligen  aufenthaltes  in  der  lohe  (über  welchen 
vgl.  unten  s.  319  fgg.)  sind  grösser.  Es  wird  nicht  klar,  weshalb  der 
dichter  es  nicht  so  gemeint  haben  kann,  'wie  es  der  sammler  in  der 
prosa  vor  Sigrdrifumäl  5  hinstellt',  dass  Sigrdrifa  dem  fluche  Oöins 
eine  einschränkung  entgegenstellt;  mit  str.  9  lässt  sich  das  wol  ver- 
einigen, wenn  man  annimmt,  dass  ÖÖinn  in  diesem  punkte  den  wünsch 
der  walkyre  erfüllt  hat  (vgl.  jedoch  unten  s.  315,  wo  eine  andere  auf- 
fassung  des  eides  mitgeteilt  wird).  Auf  keinen  fall  geht  es  in  hinblick 
auf  die  prosa  vor  Sigrdr.  5,  welche  dasselbe  aussagt,  was  Heusler  hier 
unmöglich  nennt,  an,  den  str.  5  erwähnten  eid  für  den  eid  einer  Jung- 
frau zu  erklären,  welche  die  lohe  freiwillig  benutzt,  um  freierproben 
abzuhalten.  —  An  str.  11  knüpfen  sich  für  Heusler  die  folgenden  Uneben- 
heiten: 1.  die  gestalt.  des  Heimir,  welche  auch  anderen  forschem  Schwierig- 
keiten bereitet,  2.  eine  stelle,  in  welche  freilich  die  dimkelheit  von  Heusler 
selbst  hineingetragen  wird,  z.  5  —  6  einn  pötti  kann  par  qlluin  betri. 
Wenn  man  hier  mit  Heusler  pöttomk  für  pötti  liest,  so  steht  allerdings 
da,  dass  SigurÖr  der  Brynhildr  gefiel,  als  er  zu  Heimir  kam,  und  das 
ist  unmöglich,  wenn  Brynhildr  im  zauberschlaf  lag.     Aber  es  scheint 

1)  Auch  in  str.  6  sucht  Sijmons,  Ztschr.  18,  111  eine  beziehuug  auf  Heimir. 
Da  indessen  die  beziehuug  durch  conjectur  in  die  Strophe  hineingetragen  wird,  ver- 
dient jene  auffassung  der  Strophe  nur  iusofern  erwägung,  als  es  ausgemacht  ist.  dass 
in  dem  gedichte  von  Heimir  die  rede  war.  Bei  der  beurteiluug  von  str.  11  muss 
daher  str.  6  ausser  betracht  bleiben. 


SIGRDRtFUMAL    UND    HELREIDH  309 

mir  methodisch  unrichtig,  durch  emendationen  Widersprüche  zu  schaffen 
anstatt  sie  zu  lösen. 

Auf  jeden  fall  aber  ist  das  urteil  über  str.  11  für  die  beurteilung 
des  ganzen  gedichtes  von  der  grössten  bedeutung.  Dieses  urteil  darf 
jedoch  nicht  durch  eine  vorhergefasste  meinung  über  die  ursprünglichste 
sagenform  bestimmt  werden;  das  gedieht  selbst  muss  die  frage,  ob  str.  11 
echt  oder  ein  eindringling  ist,  entscheiden.  Dass  str.  7  genügt,  um  die 
echtheit  von  str.  11  darzutun,  glaube  ich  nicht.  Die  Vorstellung,  dass 
Hei  mir  in  Hlymdalir  lebt,  können  die  Vols.s.  und  die  übrigen  dürf- 
tigen quellen  aus  der  Helreiö  in  der  vorliegenden  form  abstrahiert  haben. 
Wunderlich  ist  es  auch,  dass  SigurSr  in  der  strophe  vikinyr  Dana  heisst; 
aber  das  gibt  doch  keinen  grund  ab,  sie  zu  entfernen,  und  wenn  man 
mit  Müllenhoff  sie  einfach  ausscheidet,  so  entsteht  eine  lücke,  welche 
sich  durch  die  annähme  sprunghafter  darstellung  nicht  forterklären  lässt. 
Str.  10  sagt  OSinn,  dass  nur  der,  welcher  Fäfnis  gold  der  Brynhildr 
bringen  werde,  das  feuer  zu  durchreiten  im  stände  sein  wird,  und  un- 
mittelbar darauf  schlafen  Brynhildr  und  SigurSr  str.  12  in  einem  bette. 
Ein  bericht  über  die  ankunft  des  beiden  ist  unentbehrlich.  "Wenn  man 
str.  11,  welche  ihn  wenigstens  durch  ein  adjeetiv  und  eine  kenning  an- 
deutet, ausscheidet,  so  wird  SigurSr  nicht  einmal  genannt.  Andererseits 
lässt  sich,  abgesehen  von  den  schon  angegebenen  Schwierigkeiten,  gegen 
str.  11  anführen,  dass  auch  sie  nicht  nur  die  lücke  nicht  ausfüllt,  son- 
dern dass  sie  überdies  einen  Widerspruch  in  die  Vorstellung  des  ge- 
dichtes hineinträgt.  Nicht  dass  die  strophe  Brynhilds  IVistri  erwähnt, 
beweist  etwas  gegen  sie  —  das  könnte  auf  contamination  verschiedener 
sagenschichten  beruhen  -  aber  dass  sie  ihn  an  dieser  stelle  er- 
wähnt. Wenn  der  dichter  str.  9  berichtet  hat,  dass  Brynhildr  i  Skatalundi 
liegt,  von  <  »(linn  in  einen  zauberschlaf  versenkt,  so  muss  er  des  Ver- 
standes beraubt  gewesen  sein,  um  durch  die  mitteilung,  dass  SigurtJr 
zu  Heimir  kam,  zu  dem  berichte  zu  gelangen,  dass  der  held  neben 
Brynhildr  im  bette  liegt.  Denn  was  soll  Heimir  in  diesem  zusammen- 
hange? Weiss  er,  wo  seine  pflegetochter  sieh  aufhält?  Das  wäre  schon 
nicht  wahrscheinlich.  Angenommen  aber,  dass  er  es  wüsste,  so  ist  noch 
mit  str.  11  nichts  gewonnen;  das  einzige,  was  Heimir  zu  tun  hätte, 
wäre,  die  freierschar  nach  Skatalundi'  /u  verweisen,  wie  er  c.  27  der 
Volsungasaga  die  hehlen  nach  dem  saal  der  Brynhildr  verweist,  und 
der  bericht,  dass  SigurSr  durch  die  flammen  zu  Brynhildr  ritt,  bliebe 
nach  wie  vor  unentbehrlich.  Ersl  dann  hat  str.  12  einen  sinn.  Durch 
die  beibehaltling  der  str.  1  1  wird  also  die  fühlbare  lücke  nicht  ausge- 
füllt.    Aber  das  fällt  auf,    dass  die  Strophe  anhebt,    als   ob  .dies   in   der 


310  BOEF 

Ordnung  wäre:  reib  göhr  Grcma,  dann  aber  bieg!  de  ab  und  berichtet, 
dass  SigurÖr  zu  Eeimir  stati  dass  er  durch  die  waberlohe  ritt  Ich 
glaube,  dass  str.  11  eine  Strophe  verdrängt  hat,  deren  anfangszeile  der 
ersten  zeile  von  str.  1 1  ähnlich  war.  aber  deren  Fortsetzung  berichtete, 
dass  SigurÖr  durch  das  teuer  zu  Brynhildr  ritt.  Es  fragt  Bich,  <  \> 
nicht  ein  glücklicher  zufall  jene  strophe  bewahr!  hat. 

C.  27  der  Volsungasaga  enthält  die  erzählung,  wie  SigurÖr  Bryn- 
hildr für  Gunnarr  freit.  Man  reitet  zu  BuÖli,  dann  zu  Eeimir,  dann  zu 
Brynhilds  saal;  von  dort  zurück  zu  Eeimir,  dann  zu  BuMi.  Für  das 
mittelstück,  die  eigentliche  Werbung  (Bugge  144,14  — 146,15)  haben 
mehrere  forscher  (Sijmons,  Beitr.  3,  277,  Ranisch,  Einleitung  s.  XII. 
Heusler  a.  a.  o.  s.  55)  eine  besondere  poetische  quelle  angenommen, 
welche  Heusler  mit  dem  verlorenen  teil  des  Brot  identifiziert.  Im  zu- 
sammenhange dieser  erzählung  werden  zwei  strophen  mitgeteilt,  welche 
lauten : 

(22.)    Eldr  na/m  at  cesask  (23.)     SigurfSr  Grana 

en  jprb  at  skjalfa  '    sverbi  keyrhi, 

ok  hdr  logi  eldr  sloknahi 

rib  himni  gneeva;  fyr  eftlingi; 

fär  treystisk  par  logi  all?'  hegbisk 

fylkis  rekka  fyr  hfgjornum, 

eld  at  riba  bliku  reibi 

ne  yfir  stiga.  er  Beginn  dtti. 

Z.  3  —  8  der  zweiten  strophe  werden  in  der  unmittelbar  vorangehenden 
prosa  paraphrasiert,  aber  dadurch  wird  ein  fast  alle  einzelheiten  be- 
treffender Widerspruch  mit  der  prosaerzählung,  welcher  merkwürdiger- 
weise bisher  keinem  forscher  aufgefallen  ist,  nicht  aufgehoben.  Strophe 
22,  5  —  6  sagen  aus,  dass  wenige  (d.  h.  keiner)  der  männer  des  fürsten 
durch  das  feuer  zu  reiten  wagten.  Die  prosa  erzählt,  dass  Gunnarr 
den  versuch  zweimal  macht,  aber  er  muss  sein  vorhaben  aufgeben,  da 
weder  sein  eigenes  noch  SigurÖs  pferd  ihn  durch  das  feuer  tragen  will. 
Hier  ist  nicht  die  rede  von  beiden,  welche  die  tat  nicht  zu  unter- 
nehmen wagen.  Ferner:  wer  sind  des  fürsten  recken?  Die  neiden 
sind  drei  an  der  zahl;  der  fürst  kann  nur  Gunnarr  sein;  Gunnars 
recken  ist  aber  eine  wunderliche  bezeichnung  für  Gunnars  bruder  HQgni 
und  seinen  seh  wager  SigurÖr.  Ferner:  wenn  von  zwei  recken  der  eine 
durch  das  feuer  reitet,  während  der  andere  nebst  dem  könige  selbst 
die  tat  nicht  vollbringt,  kann  man  dann  ironisch  sagen,  dass  von  des 
fürsten  recken  wenige  sich  an  die  heldentat  wagten?  Also  wider- 
spricht die  zeile  der  darstellung  der  saga  in  jeder  hinsieht.    Man  würde 


SIGRDRIFTJMAL    UND    HKLREIDH  311 

zu  glauben  geneigt  sein,  dass  die  Strophe  zu  einem  gediente  gehörte, 
welches  Gunnarr  mit  einem  grossen  gefolge  zu  Brvnhildr  reiten  Hess; 
alle  neiden  versuchten  sich  an  die  tat,  aber  alle  schreckten  im  ent- 
scheidenden augenblicke  davor  zurück.  Allein  von  einer  solchen  Über- 
lieferung ist  nichts  bekannt,  und  es  ist  kaum  anzunehmen,  dass  Gunnarr, 
der  doch  zunächst  selbst  dazu  berufen  war,  die  freierprobe  abzulegen, 
alle  seine  männer,  einen  nach  dem  anderen  dazu  aufgefordert  hätte. 

Str.  23,  1  —  2  erzählen,  dass  Sigurör  das  pferd  mit  dem  Schwerte 
schlug.  In  der  prosa  hat  der  held  das  schwert  in  der  hand,  aber  er 
treibt  das  pferd  mit  den  sporen  an. 

Str.  23,  3  —  6  berichtet,  dass  das  feuer  erlosch,  als  Sigurör  hin- 
durchritt. Nach  der  prosa  brennt  es  weiter;  146,  14  reitet  der  held 
durch  dasselbe  feuer  zu  den  seinen  zurück. 

Und  was  sollen  schliesslich  str.  22,  1  —  4  im  zusammenhange  von 
c.  27?  Was  ist  der  grund,  dass  das  feuer  zu  lodern  und  die  erde  zu 
beben  anfängt?  Die  annäherung  der  freunde?  Lodert  denn  kein  feuer 
um  den  saal,  wenn  keine  freunde  in  der  nähe  sind,  und  wird  die 
maschinerie  erst  im  augenblicke  von  Brynhildr  in  bewegung  gesetzt? 
Oder  nimmt  die  wut  des  feuers  dadurch  zu,  dass  Sigurör  hineinreitet? 
Dem  widerspricht  aber  die  folgende  Strophe;  sobald  Sigurör  sich  nahte, 
slolcnahi  eldr  und  leegbisk  loyi. 

Diese  Widersprüche  zeigen  zur  genüge,  dass  str.  22.  23  der  Vols. 
saga  nicht  zu  demselben  gedichte  gehören,  auf  dem  die  prosadarstellung 
beruht.  Ich  glaube  nun,  dass  die  richtige  stelle  dieser  beiden  Strophen 
in  der  iHelreiÖ  nach  str.  19  ist.  Zunächst  betrachte  ich  str.  22.  1  —  4. 
Die  zeilen  beschreiben  den  zustand,  der  durch  <  »Mus  str.  10  mitgeteilten 
beschluss  entsteht:  da  begann  das  feuer  zu  lodern,  die  erde  zu  beben; 
nur  in  diesem  zusammenhange  hat  nam  eine  bedeutung,  aber  hier  eine 
sehr  wesentliche.  Darauf  wird  die  Wirkung  des  feuers  und  des  erd- 
bebens  ausgeführt:  niemand  wagte  hindurch  zu  reiten;  und  dieser  zu- 
stand währte,  bis  Signier  Grani  antrieb.  Allerdings  ist  in  der  zweiten 
haltte  von  str.  22  eine  leichte  emendation  vorzunehmen,  welche  ver- 
mutlich auf  geringen  Widerspruch  stossen  wird,  da  fylkis  rekka,  wie 
oben  gezeigt  wurde,  in  keinem  Zusammenhang  verständlich  ist.  Das 
richtige  ist  fylkis  rekkir.  rekkir  (zu  rekkja),  qui  animum  addit,  con- 
ßjrmat;  fylkis  nicht' von  fylkw,  sondern  von  /////./,  Schlachtordnung, 
schar;  fyllcis  rekkir  bedeutet  dasselbe  wie  herrekkir,  confirmator  militum, 
ist  also  eine  bezeichnung  eines  fürsten  oder  helden. 

Diese  emendation  empfiehlt  sieh  auch  dadurch,  dass  sie  ome  allein- 
stehende kaum  richtige  construetion  (fur  im  sing,  mit  einem  abhängigen 


312  BOKR 

gen.  pl.)  durcb  eine  allgemein  bräuchliche  (fdr  mit  einem  subst.  im  sing. 
als  apposition)  ersetzt,     Der  fehler  konnte   leicht   entstehen,  da  rekkir 

obgleich  sehr  verständlich  doch  ein  seltenes  wort  ist  es  isi  wie  das 
compositum  herrekkir  einmal  belegt  -  und  fylkis  konnte  natürlich 
missverstanden  werden.  Die  Zeilen  gehen  auf  alle  helden,  welche  von 
dem  augenblicke  an,  wo  Brvnhildr  in  den  zauberschlaf  versenkt  wind«', 
bis  /u  Sigurfts  ankunft  sich  dem  teuer  nahten. 

Nachdem  einmal  rekka  an  die  stelle  von  rekkir  getreten  war,  winde 
da  fylkis  rekkar  nur  auf  Gunnars  mannen  gedeutet  werden  konnte,  die 
strophe  in  dem  zusammenhange  der  Helrei^  nicht  mehr  verstanden;  sie 
wurde  nun  mit  der  folgenden  strophe  in  eine  darstellung  von  Gunnars 
brautfahrt  aufgenommen.  Die  zweite  strophe  wurde  durch  eine  andf-ie. 
deren  anfang  ähnlich  lautete,  ersetzt  (Sigurtir  Grana  srerbi  keyrfü: 
Reib  göftr  Grana). 

Als  SigurÖr  herannaht,  erlischt  das  teuer  von  selbst  fyr,  nicht 
undir  eblingi.  Es  ist  also  keine  heldentat,  dass  er  hindurchreitet, 
sondern  es  gelingt  ihm  ohne  anstrengung,  weil  die  braut  für  ihn  be- 
stimmt ist.  Die  Vorstellung,  dass  die  durchreitung  der  lohe  eine 
probe  des  mutes  ist,  erweist  sich  hier  als  die  abgeleitete.  Über  die 
vollständige  ähnlichkeit  auch  in  diesem  punkte  mit  den  Sigrdrifumäl 
vgl.  unten  s.  318.  So  ganz  und  gar  erlischt  das  teuer,  dass  das  einzige, 
was  noch  leuchtet,  Regins  reitzeug  ist. 

Die  junge  SigurÖarkviÖa  en  meiri.  welche  von  allen  seifen  motive 
entlehnt,  entnahm  auch  unserer  strophe  ca.  iy2  langzeilen,  wo  sie  Bryn- 
hildr  der  Gudrun  vorwerfen  lässt  (c.  28,  Bugge  s.  149),  dass  Gunnarr 
nicht  durch  das  feuer  zu  reiten  gewagt  habe.  Das  widerspricht  jeder 
bekannten  Überlieferung,  auch  der  darstellung  von  c.  27:  der  Vorwurf 
wird  auch  sofort  von  Gudrun  widerlegt;  immerhin  ist  die  auffassung 
besser  als  die,  dass  Gunnars  mannen  nicht  zu  reiten  wagen,  was  VqIs.s. 
str.  22  an  der  stelle,  wto  sie  überliefert  ist,  aussagt.  Aus  der  strophe 
in  c.  28  geht  nicht  hervor,  dass  der  dichter  str.  22  in  dem  überlieferten 
zusammenhange  gekannt  hat;  eher  das  umgekehrte;  denn  wenn  niemand 
zu  reiten  wagte,  bis  SigurÖr  —  mit  den  Gjükungen  —  kam,  so  liess 
sich  daraus  folgern,  dass  auch  Gunnarr  es  nicht  gewagt  hat. 

Die  verwandte  stelle  der  Oddrimargrätr  (17,  5  —8)  verstehe  ich 
wie  Heusler.  jqrh  düsabi  ok  uphiminn  scheint  mir  ein  zu  hyperbo- 
lischer ausdruck  um  kriegslärm  anzudeuten;  die  stelle  steht  auch  deut- 
lich unter  dem  einfluss  der  str.  22  (VqIs.s.).  Man  darf  sie  aber  nicht 
so  verstehen,  dass  das  feuer  heftiger  zu  lodern  anfing,  als  Siguror 
herannahte.     Die  strophe  sagt  aus,   dass  erde   und  himmel  erdröhnten, 


SIGRDRIFUMAL    ÜNG    HELREIDB  313 

als  Sigurör  die  bürg  sah,  d.  h.,  als  der  held  so  nahe  gekommen  war, 
dass  er  die  bürg  und  das  feuer  sehen  konnte,  nahm  er  auch  das  dröhnen 
der  erde,  welches  natürlicherweise  auch  früher  vor  sich  gieng,  wahr. 
Übrigens  ist  zu  bemerken,  dass  auch  wenn  eine  andere  auffassung  der 
stelle  die  richtige  wäre,  das  doch  für  die  altertümlichkeit  der  Vorstellung, 
dass  die  wut  des  feuers  grösser  wurde,  nichts  beweisen  würde;  es  würde 
nur  zeigen,  dass  der  dichter  von  Oddrünargrätr  die  beiden  ursprünglich 
zur  HelreiS  gehörenden  Strophen  schon  in  ihrer  neuen  Umgebung  gekannt 
und  sie  daher,  wie  natürlich,  missverstanden  hatte.  Der  verwirrten 
Vorstellung  dieses  späten  gedientes  ist  gewiss  den  besser  zusammen- 
hängenden älteren  quellen  gegenüber  keine  autorität  zu  gewähren. 

Woher  str.  11  der  Helreio'  stammt,  Avüsste  ich  nicht  mit  Sicher- 
heit zu  entscheiden.  Müllenhoff  hat  schon  richtig  gesehen,  dass  ihr 
platz  in  einem  gedichte  ist,  in  dem  Heimir  eine  rolle  zufiel.  Das 
ist  nun  der  fall  in  c.  27  der  Vols.s.,  welches  die  beiden  Helreiöstrophen 
aufgenommen  hat.  Man  könnte  daher  versucht  sein,  an  einen  tausch 
zu  denken  und  HelreiÖ  11  der  quelle  von  c.  27  zuzuweisen.  Indessen 
spricht  vielleicht  dagegen,  dass  die  strophe  der  Brynhildr  in  den  mund 
gelegt  wird  (föstri  minn),  während  c.  27  doch  wol  auf  einem  erzählen- 
den gedichte  beruht.  Die  strophe  gehört  eher  zu  einem  dem  eingange 
von  c  27  nahestehenden  gedichte,  in  dem  Brynhildr  auf  die  Vergangen- 
heit zurückblickt,  wie  sie  auch  c.  28  fgg.  mehrere  reden  hält. 

Für  die  geschichte  der  Überlieferung  ist  dieses  ergebnis  von  be- 
deutung,  dass  die  in  Helreio  vorliegende  sagenform,  nach  der  Sigurftr 
durch  die  waberlohe  zu  Brynhildr  ritt,  um  sie  für  Gunnarr  zu  erwerben, 
nicht  auf  einer  combination  älterer  und  jüngerer  Überlieferung  beruht 
Dass  dieser  besuch  des  beiden  bei  der  walkyre  sein  erster  und  einziger 
war,  hebe  ich  ausdrücklich  hervor.  Das  geht  schon  aus  str.  12 — 13 
hervor,  welche  keinen  sinn  haben,  wenn  Sigurör  und  Brynhildr  sich 
früher  treue  geschworen  haben.  Da  indessen  Finnur  Jönsson  be- 
hauptet, dass  eine  strophe,  welche  Sigurfts  'ersten'  besuch  enthielt,  ver- 
loren ist,  falls  nicht  der  dichter  eine  unrichtige  Vorstellung  der  ereignisse 
hatte1,  bemerke  ich  noch,  dass  die  Vorstellung,  welche  wo!  den  meisten 
forschem  als  die  einzig  richtige  erscheinen  wird,  durch  die  in  die 
VqIs.s.  aufgenommenen  stmphen  bestätigt  wird.  Als  Sigurör  das  feuer 
durchritt,  erlosch  es;  er  kann  es  also  nicht  zum  /.weiten  male  durch- 
reiten Von  einer  vorverlobung  des  Sigurör  weiss  also  das  gedieht 
nichts. 

1)  Was  die  riohtige  Vorstellung  ist.  können  wir  doch  nur  aus  den  quellen  er- 
fahren. 


.'-{I  t  I I 

Ebensowenig  weiss  die  quelle  etwas  von  einer  vorverlobung  der 
walkyre  mit  Agnarr.  Agnarr  bat,  wenn  I»  das  ursprüngliche  hat  und 
die  von  den  meisten  forschen)  angenommene  erklärung  von  str.  <>,  I  2 
das  richtige  trifft,  die  walkyre  zu  seinem  dienste  gezwungen,  wie  z.b. 

Hagen  die  seeweiber  bezwingt;  er  hat  sie  nicht  für  sich  bebalten,  wie 
Viilundr  und  die  märchen neiden,  denn  der  beistand  im  kämpfe  setz! 
voraus,  dass  die  walkyre  sieh  frei  bewegt,  auch  in  der  Luft,  wozu  sie 
ihres  federhemdes  bedarf.  Es  wäre  ein  aceessorisches  motiv,  eine  Variante 
<\c\-  Vorstellung  der  Sigrdrifumäl,  dass  sie  aus  mitleid  agnarr  zu  hilfe 
eilt.  Der  unterschied  hätte  seine  bedeutung,  weil  er  eine  deutliche  ab- 
weichung  der  beiden  darstellungen  voneinander  bezeugen  würde;  daraus 
wäre  ein  neues  argument  zu  entnehmen  gegen  die  Überführung  der  auf 
Agnarr  bezüglichen  versc  aus  einem  gedichto  in  das  andere,  was  noch 
Kinnur  Jönsson,  freilich  in  umgekehrter  richtung  als  Bugge,  unter- 
nimmt. 

Solange  man  mit  Müllenhoff  str.  6  hinter  7  setzt  und  die  lesart 
von  R  für  richtig  hält,  scheint  mir  diese  auffassung  der  strophe  auch 
die  einzig  mögliche  zu  sein.  Doch  gestehe  ich,  dass  auch  diese  Inter- 
pretation mir  im  hohen  grade  bedenklich  vorkommt.  Es  ist  immerhin 
misslich,  eine  unverständliche  Überlieferung  durch  Strophenumstellung 
bessern  zu  wollen,  sofern  nicht  durch  die  Umstellung  ein  klarer  Zu- 
sammenhang zu  stände  gebracht  wird.  Im  vorliegenden  fall  erheben 
sich  gegen  die  Umstellung  die  folgenden  bedenken.  Str.  5  klagt  Bryn- 
hilclr  darüber,  dass  sie  durch  die  schuld  der  Gjükungar  ihren  eid  ge- 
brochen hat;  str.  6  redet  von  einem  eid,  den  sie  geschworen.  Es  liegt 
nahe  zwischen  dem  eide  in  str.  5  und  dem  in  str.  6  eine  beziehung  zu 
vermuten.  Ferner  sieht  str.  7  wie  eine  einleitung  zu  str.  8  aus:  'In 
Hlymdalir  wurde  ich  eine  walkyre  genannt;  als  solche  tötete  ich  den 
Hjalmguunarr'.  Auch  ist  nicht  zu  übersehen,  dass  von  einem  Verhältnis 
der  Brynhildr  zu  Agnarr  sonst  nichts  bekannt  ist,  und  das  ÖÖins  zorn 
als  weniger  begründet  erscheint,  wenn  Brynhilds  hilfe  im  kämpfe  durch 
Agnarr  ihr  abgenötigt  worden  war. 

Im  folgenden  schlage  ich  eine  auffassung  der  str.  6  vor,  welche 
den  vorzug  hat,  dass  sie  die  überlieferte  strophenfolge  bewahrt  und  den 
inhalt  der  strophe  ausschliesslich  an  aus  dem  gedichte  bekannte  ereig- 
nisse  anknüpft.  Alle  Schwierigkeiten  glaube  ich  dadurch  nicht  lösen  zu 
können,  aber  doch  hoffe  ich,  dass  meine  Interpretation  sich  fähig  erweisen 
wird  eine  abschliessende  erklärung  vorzubereiten.  Ich  glaube,  dass 
str.  6  den  inhalt  der  folgenden  Strophen  (7 — 12)  kurz  andeutet.  Z.  5  — 8 
beziehe   ich   auf  Sigurör.     Hundert  jähre,   wie   die   prinzessin  im  be- 


SIGRDRIFTJHAL    UND    HELRKIDH  315 

zauberten  schlösse  hat  Brynhildr  nicht  geschlafen.  Als  sie  zwölf  jähre 
alt  war,  hat  Sigurnr  sie  aus  dem  zauberschlafe  erweckt,  und  diesem 
jungen  forsten  seldi  (hon)  eiha.  Das  stimmt  mit  dem  alten  Schlüsse 
der  Sigrdrifumäl  überein.  Aber  auch  die  Situation  der  HelreiÖ  erfordert 
einen  solchen  eid.  Als  SigurÖr  in  Gunnars  gestalt  zu  Brynhildr  kam. 
hat  er  sie  zum  weibe  begehrt,  und  sie  hat  ihm  zu  gehören  eidlich  ver- 
sprochen. Darauf  hat  er  neben  ihr  geruht  ohne  sie  zu  berühren  und 
sie  nach  acht  nachten  dem  Gunnarr  überliefert.  Das  ist  der  eid,  den 
Brynhildr  str.  5  sich  beklagt  gebrochen  zu  haben1.  Dass  der  dichter 
dabei  nicht  etwa  an  einen  früheren  besuch  des  helden  gedacht  halten 
kann,  wurde  schon  betont  (s.  313). 

Wenn  diese  erklärung  von  z.  5  —  8  richtig  ist,  so  können  z.  1 — 4 
nur  von  einem  mit  der  ankunft  des  helden  in  beziehung  stehenden 
ereignis  handeln.  Ich  glaube,  dass  sie  Brynhilds  Versenkung  in  den 
zauberschlaf  andeuten.  Die  lesart  des  Nornagests  pättr  halte  ich  für 
die  richtige.  Lei  mik  af  harmi  hugfullr  konungr,  Atla  systur,  undir 
eik  büa.  Unter  dem  hugfullr  konungr  verstehe  ich  ÖÖinn,  allerdings 
keine  gewöhnliche  aber  doch  kaum  eine  unmögliche  bezeichnung  des 
götterkönigs,  namentlich  im  munde  einer  walkyre,  welche  in  ÖSins  be- 
sonderem dienste  steht.  Doch  ist  zu  erwägen,  ob  hier  vielleicht  eine 
Verderbnis  vorliegt.  Also  'ÖÖinn  Hess  mich  af  harmi  (weil  er  erzürnt 
war)  undir  eik  hau.  eik  bedeutet  'eiche1  oder  allgemein  'bäum'.  Ferner 
einen  aus  holz  angefertigten  gegenständ,  'ein  schiff.  An  dieser  stelle 
deutet  der  dichter  damit  die  Schilde  an,  mit  denen  der  gott  die  walkyre 
zudeckt.  Wie  ein  schild  lind  heisst,  weil  er  aus  lindeuholz  gemacht  i  t. 
so  nehme  ich  an,  dass  ein  skalde  dazu  kommen  konnte,  ihn  durch  eik 
zu  bezeichnen,  zumal  da  an  dieser  stelle  noch  ein  besonderer  anlass 
dazu  vorhanden  war;  durch  das  verbum  büa  wurde  nämlich  der  gedanke 
des  dichters  auf  den  bekannten  ausdruck  büa  undir  eik  gelenkt  (vertir 
eik  at  fdga,  er  undir  skal  büa).  Es  wird  demzufolge  die  mit  Schilden 
zugedeckte  walkyre  bildlich  als  unter  einem  heiligen  bäume  wohnend 
bezeichnet.    Der  dunkle  ausdruck  ist  ganz  im  stile  des  Helreit»- dichters. 

Diese  beiden  ereignisse,  die  Versenkung  in  den  zauberschlaf  und 
der  dem  Siguror  geleistete  eid,  sind  für  Krynhilds  geschiok  entscheidend 
gewesen.    Sie  setzt  sie  daher  gleich  am   anfang  ihrer  rede  als  die  beiden 

I)  Der  schwur  geht  also  weder  dahin,  dass  sie  nur  dem  grössten  beiden  ge- 
hören wird,  der  sie  erwecken  würde,  noch  i  t  es  ein  eid,  den  sie  bei  Eteimir  ablegt, 
dass  sie  nur  Bigurör,  der  ihr  besser  als  Gunnarr  gefallen  babe,   I  irerde  (vgl. 

oben  s.  308).  Dem  Signier  seihst  hat  sieden  eid  geschworen,  als  er  m  betrügerischer 
absieht  ihren  felsen  erstiegen  hatte. 


.3  IG  BOKR 

kernpunkte  der  erzählung  hin;   darauf  berichtel  Bie  das  geschehene  der 

rcihenfulge  nach  umständlich. 

Ich  glaube  daher  nicht,  dass  str.  6  nach  7  zu  stellen   ist 

Allerdings  müssen  wir.  wenn  der  fcexl  des  Nornagests  |»ättr  das 
lichtige  hat,  Atta  systur  mit  in  den  kauf  nehmen,  und  es  zeigl  sich 
dann,  dass  Eelreii5  die  Verbindung  der  Brynhildr  mit  Atli  schon  kennt. 
Aber  das  ist  nicht  auffällig,  denn  diese  Vorstellung  beherrschtauch  alle 
übrigen  lieder,  welche  um  die  Werbung  für  Gunnarr  weissen.  Von  Hei  mir 
enthüll  das  gedieht  jedoch  keine  spur.  Und  der  bericht,  dass  Brynhildr 
Atlis  schwester  ist,  hat  für  den  inhalt  des  liedes  keine  bedeutiniL::  er 
soll  nur  über  die  abkunft  der  heldin  orientieren.  Dass  königstöchter 
walkyren  waren,  ist  eine  der  Edda  geläufige  Vorstellung. 

Wie  ist  nun  das  Verhältnis  der  Sigrdrifumäi  zu  der  HelreiS  zu  be- 
urteilen? Prinzipiell  sind  nur  zwei  auffassungen  möglich.  Wenn Sigrdrifa 
und  Brynhildr  identisch  sind,  so  repräsentieren  die  beiden  gedichte  sagen- 
varianten.  Das  ist  Sijmons'  ansprechende  Vermutung.  Sind  die  beiden 
gestalten  von  hause  aus  verschieden,  so  muss  Helreic.  auf  einer  sagen- 
contamination  beruhen.  Es  ist  nicht  meine  absieht,  alles  zu  widerholen, 
was  für  und  wider  angeführt  worden  ist.  Meine  aufgäbe  beschränkt 
sich  darauf,  die  Schlüsse  zu  ziehen,  zu  denen  die  voranstehenden  resul- 
tate  in  bezug  auf  diese  frage  führen. 

Durch  die  beobachtung,  dass  die  ursprüngliche  HelreiÖ  eine  wider- 
spruchslose geschlossene  Überlieferung  repräsentiert,  gewinnt  die  ansieht, 
dass  die  dem  gedichte  zu  gründe  liegende  tradition  eine  selbständige 
sagenvariante  ist,  in  hohem  grade  an  Wahrscheinlichkeit.  Es  fragt  sich 
nur,  ob  die  unterschiede  der  art  sind,  dass  die  Vorstellungen  der  beiden 
gedichte  sich  nicht  aus  einer  anschauung  entwickelt  haben  können- 
Heusler  hat  diese  möglichkeit  geleugnet:  ich  hoffe  im  folgenden  meine 
abweichende  ansieht  zu  begründen. 

Von  dem  wichtigen  unterschiede,  dass  der  held  die  walkyre  in 
Sigrdrifumäi  für  sich,  in  HelreiS  für  einen  andern  erwirbt,  sehe  ich 
vorläufig  ab.  Es  sind  dann  zunächst  ein  paar  kleinigkeiten  in  der  Vor- 
geschichte zu  erwähnen.  Ton  der  für  Brynhildr  eigentümlichen  an- 
knüpfung  an  Atli,  welche  nach  meiner  oben  entwickelten  ansieht  auch 
HelreiÖ  kennt,  weiss  die  Überlieferung  von  Sigrdrifa  nichts.  Xach  der 
alten  Interpretation  der  str.  5  ist  das  Verhältnis  der  walkyre  zu  Agnarr 
ein  verschiedenes.  Diese  unterschiede,  soweit  sie  tatsächlich  vorhanden 
sind,  lassen  jedoch  nicht  auf  verschiedenen  Ursprung,  sondern  auf  selb- 
ständige entwicklung  schliessen  und  reden,  wie  schon  bemerkt  (s.  314), 
eher  für  als  wider  die  ursprüngliche  einheit  beider  gestalten. 


SIGRDRIFUMAL    UND    HELKEIDH  317 

Nach  Heusler  entscheidend  sind  aber  die  abweichungen  in  der 
beschreibung  des  ortes,  wo  die  walkyre  liegt.  Der  name  ist  verschieden: 
Skatalundr  ist  im  stile  der  übrigen  Ortsnamen  in  HelreiÖ  (Müllenhoff 
s.  389);  das  ursprünglichere  wird  Hindarfjall  sein;  übrigens  kann  der 
dichter  sich  Skatalundr  auf  Hindarfjall  vorgestellt  haben  \  Über  die  Um- 
gebung, in  der  die  beiden  walkyren  liegen,  ist  das  folgende  zu  be- 
merken. Brynhildr  liegt  lokin  skjqldom  (Helr.  9),  also  in  einer  skjald- 
borg.  So  auch  Sigrdrifa.  Ob  Brynhilds  skjaldborg  in  einem  saale  sich 
befindet,  ist  nicht  ganz  klar;  str.  10  lässt  ÖÖinn  das  feuer  brennen  ion 
sal  minn;  da  aber  von  einem  saale  sonst  nicht  die  rede  ist,  liegt  es 
auf  der  hand,  sal  minn  als  eine  bezeichnung  der  schildburg  aufzufassen. 
Die  Sigrdrifumäl  erwähnen  keinen  saal,  dagegen  die  zu  derselben  sage 
gehörigen  igXma  mal,  welche  widerum  keine  von  dem  saale  unter- 
schiedene skjaldborg  kennen;  also  ist  auch  hier  wol  der  saal  auf  dem 
Hindarfjall  mit  der  skjaldborg  auf  dem  Hindarfjall  identisch.  Das  geht 
wenigstens  aus  der  prosa  vor  Sigrdr.  1  hervor,  dass  die  skjaldborg  keines- 
wegs eine  enge  einhegung  war,  welche  bloss  den  körper  der  Sigrdrifa 
umgab,  denn  Siguror  geht  in  die  skjaldborg,  und  dann  erblickt  er  die 
maid.  Aus  der  skjaldborg  erhebt  sich  eine  fahne.  Dieselbe  kann  zwar 
an  einer  im  boden  feststehenden  stange  befestigt  gewesen  sein,  sie  er- 
weckt aber  die  Vorstellung  einer  Überdeckung,  welche  von  der  fahne 
abgeschlossen  wird.  Es  lässt  sich  auch  vermuten,  dass  Oöinu  die 
schlafende  walkyre  nicht  wind  und  wetter  preisgegeben  haben  wird: 
wenn  er  aber  eine  noch  so  einfache  Überdeckung  (gleichfalls  aus  Schilden) 
angebracht  hat,  so  konnte  der  eingehegte  überdeckte  räum  mit  gutem 
fuge,  namentlich  in  dichterischer  spräche,  ein  saal  genannt  werden. 
Für  die  bedeckung  wie  für  die  bezeichnung  des  aufenthaltes  der  walkyre 
als  'saal'  spricht  aber  auch  str.  5  (büa  undir  eik,  vgl.  oben  s.  315). 
Wie  dem  übrigens  sei,  als  aufenthaltsort  der  beiden  walkyren  wird  je 
einmal  eine  skjaldborg  und  ein  saal  genannt.  Vollständiger  kann  die 
Übereinstimmung  wol  nicht  sein. 

Es  bleibt  die  waberlohe  zu  untersuchen.  Nach  Heusler  gehört 
dieselbe    zu   Brynhildr,    nicht  zu   Sigrdrifa2.      Nach    ihm    braucht    man 

1)  Möglicherweise  sind  valland,  hlymdalir,  skatalundr  alle  als  appellativa  zu 
verstehen.  Die  skaldisohe  Umschreibung  hlymdalir  hat  dann  viele  irrtümer  zu  ver- 
antworten. 

2)  Heuslei  trennt  die  igOna  n/dl .  in  doneu  er  dieselbe  sa:;enaulTassun^  wie  in 
der  Helreiö  sieht,  von  Sigrdrifumäl.  Für  den  Eorscher,  der  das  nichl  zugibt,  brauoht 
es  für  den  flammenwall  der  Sigrdrifa  (oder  nach  lleusl<>r  der  ungenannten  walkyre, 
welche  nicht,  auch   oichl   appellativisch,   Sigrdrifa   biess)  keines   beweises  (sto 


:;ik  noKR 

aus  den  worton  ä  fjallinu  sä  kann  Ijns  niil.il ,  srri  gern  efdr  bryrmi,  6k 
Ijömabi  af  til  himins,  nicht  zu  Lesen,  dass  der  ort  von  einem  flammen- 
wall  umgeben  war,  und  beweist  das  anmittelbar  folgende  Wn  er  haim 
Jcom  dl,  l>ii  stob  par  shjaldborg  sogar,  dass  eine  solche  auffassung  aus- 
geschlossen ist.  Ich  kann  das  nicht  zugeben,  und  auch  nicht,  dass  die 
worte  des  textes  'ein  unklarer  ausdruck  für  die  lohe'  sind.  Kann  man 
deutlicher  sagen,  dass  ein  helles  teuer  hrannte,  als  dadurch,  dass  man 
den  eindruck  beschreibt,  den  das  teuer  schon  aus  der  ferne  macht,  auf- 
lodernd bis  zum  himmel?  Freilich,  es  wird  nicht  berichtet,  dass  Sigurör 
die  lohe  durchritt,  aber  wo  steht  denn  geschrieben,  dass  ein  solcher 
bericht  unentbehrlich  oder  sogar  sagengemäss  wäre?  Die  darstellung 
der  Sigrdrifumäl  ist  auch  in  dieser  hinsieht  in  vollständiger  Überein- 
stimmung mit  der  der  Helreiö,  nur  noch  naiver,  indem  nicht  einmal 
erzählt  wird,  dass  das  teuer  bei  SigurÖs  herannahen  erlischt.  Helreiö 
erzählt  die  begebenheit  von  Brynhilds  Standpunkte,  Sigrdrifumäl  von 
dem  von  Sigurör  eingenommenen.  Aus  der  ferne  sieht  Sigurör  das  teuer, 
aber  er  braucht  nicht  hineinzureiten,  ebensowenig  wie  der  märchenprinz 
in  die  dornenhecke  zu  kriechen  braucht;  die  dornenhecke  öffnet  sich 
von  selbst,  das  teuer  erlischt  von  selbst,  und  der  held  steht  auf  einmal 
vor  der  shjaldborg ,  er  weiss  nicht  wie1.  Das  ist  die  ältere,  poesiereiche 
mit  den  verwandten  märchen  übereinstimmende  Vorstellung2,  welche  in 
Sigrdrifumäl  und  in  HelreiÖ  vorliegt;  erst  die  jüngere  dichtung,  auf 
welcher  die  prosadarstellung  c.  27  der  Vols.s.  beruht,  lässt  Signier 
zusammen  mit  den  brüdern  bis  zu  dem  flammenwall  reiten  und 
den  beiden  die  schwierige  tat  vollbringen,  nachdem  Gunnarr  sich 
vergebens  abgemüht  hat.  Dass  es  aber  kein  heldenstück  war,  zeigt 
auch  diese  Überlieferung  zur  genüge,  denn  wie  kann  man  einen 
Vorwurf  wider   Gunnarr  daraus   machen,    dass   Grani    ihn   nicht    durch 

Nach  Heuslers  auffassung  steht  man  vor  der  grossen  unwahrseheinlichkeit ,  dass  zwei 
dichter  (der  igSna  mal  und  der  Helreiö)  unabhängig  voneinander  auf  den  einfall  ge- 
kommen sind,  den  zauberschlaf  der  walkyre  mit  dem  flammenwall  der  Brynhildr  zu 
combinieren.  —  Dass  die  Verbindung  des  flammenwalles  mit  dem  schildzauu.  weil 
eine  tautologie,  nicht  alt  sein  kann,  wird  Heusler  nicht  im  ernst  aufrecht  balten  wollen, 
vgl.  Menglo/ö,  welche  von  einem  flammenwall  umgeben  ist  und  doch  einen  Wärter 
hat;  ähnlich  Gerör. 

1)  Allerdings  lässt  Helreiö  auch  die  auffassung  zu,  dass  das  feuer  erst  erlosch, 
als  Sigurör  schon  ganz  nahe  war  und  sich  vielleicht  schon  angeschickt  hatte,  den 
flammenritt  zu  unternehmen.  Das  wäre  eine  geringe,  wol  jüngere  Variante  in  der 
riebtung  nach  der  auffassung  der  Vols.s.  c.  27.  Die  worte  ti/'gurdr  Qrana  srerefi 
keyrdi  können  aber  auch  auf  den  ritt  aus  der  ferne  nach  Skatalundr  gehen. 

2)  leb  glaube  nicht,  dass  man  dieDornröschen -sage von  dieser  gruppe  trennen  darf. 


SIGRuHIFUMAL    UND    HELREITIH  319 

das  feuer  tragen  wollte?  Alle  jene  quellen,  welche  die  waberlohe  als 
eine  maschinerie  für  die  freierprobe  darstellen,  vergessen,  dass  die 
maschinerie  nach  ihrer  darstellungsweise  keineswegs  zur  freierprobe, 
sondern  zur  pferdeprobe  dient.  Brynhildr  wählt  dort  den  helden,  der 
das  vorzüglichste  pferd  besitzt.  Auch  hier  zeigen  die  vorhandenen  Wider- 
sprüche noch  ganz  klar,  dass  das  ältere  ist,  dass  Gunnarr  die  lohe 
nicht  zu  durchreiten  vermochte,  weil  es  ihm  nicht  gegeben  war,  sie  zu 
durchreiten.     Sein  heldenmut  nützt  ihm  nichts. 

Heusler  erklärt  Helreiö  für  jung.  Auf  eine  genaue  datierung  des 
gedichtes  lasse  ich  mich  nicht  ein.  Aber  ich  bezweifle  doch,  ob  es  jünger 
ist  als  jene  quellen,  welche  den  flammenwall  als  eine  maschinerie  der 
Brynhildr  darstellen.  In  allen  spielt  im  gegensatze  zur  Helreiö  Buöli 
oder  sogar  Heimir  eine  rolle.  Dass  die  maschinerie  bedenklich  ist, 
findet  auch  Heusler,  aber  er  glaubt,  wir  müssen  uns  nun  einmal  darin 
finden,  dass  das  die  älteste  auffässung  der  waberlohe  ist,  welche  sich 
im  norden  nachweisen  lässt.  Zu  dem  resultate  aber  ist  er  dadurch  ge- 
langt, dass  er  die  quellen,  welche  die  lohe  auf  eine  natürlichere  weise 
erklären,  als  auf  combination  nicht  verwandter  sagenmotive  beruhend 
darzustellen  versucht.  Aber  gerade  die  grössere  natürlichkeit  spricht 
für  die  grössere  ursprünglichkeit  Die  Sachlage  ist  demnach:  auf  einer 
seite  eine  natürliche  und  verständliche  auffässung  der  waberlohe  ohne 
die  jungen  gestalten  Bu'Öli  und  Heimir,  auf  der  anderen  seite  eine  for- 
cierte und  unverständliche  auffässung  der  lohe  verbunden  mit  BuMi  und 
Heimir.  Welche  schicht  von  Vorstellungen  wird  die  ursprünglichere  sein'/1 

1)  Das  gesagte  gilt  in  demselben  grade  wie  für  Helreiö  auch  für  die  igSna  mal 
und  für  Sigrdrifumal.  Ich  kann  Heusler  (a.  a.  o.  s.  29)  nicht  zugebeu,  dass  die  igSna 
mal  'neben  die  weissagenden  stücke  des  liederbuches  zu  stellen'  sind  und  als  dichtung 
'mit  so  eingehender  Zukunftsvoraussage  zu  der  jüngeren  schicht  der  Eddapoesie  ge- 
hören'. Der  gesang  der  vögel  ist  keineswegs  eiue  Weissagung  im  sinne  der  Gripisspa 
und  ähnlicher  gedichte.  Die  Spechtmeisen  reden  vou  einem  einzigen  unmittelbar  be 
vorstehenden  ereignisse  im  Zusammenhang  mit  dingen,  welche  schon  geschehen  sind; 
und  auch  dieses  ereignis  kündigen  sie  nicht  in  einem  prophetischen  tont-  an,  sie 
muntern  nur  den  beiden  dazu  auf,  das  glück  zu  ergreifen.  Der  abstand  zwischen 
diesen  hochpoetischen  von  einem  grossen  oaturgefühl  getragenen  gedichtfragrnente 
und  den  langweiligen  Prophezeiungen  ist  ein  so  auffallender,  dass  es  unverständlich 
ist,  wie  man  je  auf  den  gedanken  kommen  konnte,  so  weil  verschiedene  gedichte  neben- 
einander zu  stellen.  Der  titel  igöna  apd ,  den  Heusler  dem  gedichte  gibt,  scheint 
mir  aus  dem  gründe  weniger  richtig.  Ich  nenne  das  fragmeut  aus  praktischen  rück- 
siehten  igöna  imil.  ohne  damit  andeuten  zu  wollen,  dass  ich  dasselbe  für  ein 
ständiges  gedieht  halte.  Im  gegenteil  glaube  ich  mit  anderen  Forschern  an  die 
zusammeiigehürigkeil  mit  dem  folgenden  und  möglicherweise  auch  mit  dem  \m her- 
gehenden.   Mit  mehr  recht  kann  man  Helreiö  zu  den  zurückblickenden  gedichten  zählen, 


320  BOER 

Die  wunderliche  maschinerie  der  Brynhildr  lägst  sich  auch  sehr 
wo)  erklären,  wenn  man  von  der  grösseren  ursprünglichkeit  der  natür- 
licheren auffa  in  eht  Sobald  das  motiv  des  zauberschlafei  ver- 
loren und  Brynhildr  zu  BuÖli  in  beziehung  gesetzt  worden  war.  sobald 

die  beiden  statt  bei  <ler  walkyre  selbst  bei  dem  rater  der  braut  um 
ihre  liand  anhielten,  inusste  die  lohe,  sollte  man  sie  nicht  ganz  fallen 
lassen,  zu  einem  Spielzeug  der  spröden  herabsinken.  P^  zeugt  für  die 
grosse  bedeutung,  welche  der  lohe  von  anfang  an  in  der  Überlieferung 
zukam,  dass  man  die  zweite  alternative  wählte. 

Noch  zwei  andere  züge  sind  nach  Heusler  für  die  spröde  Bryn- 
hildr der  walkyre  gegenüber  eigentümlich.  Bei  der  walkvre  spielt  das 
ross  des  helden  keine  rolle;  bei  Brynhilds  Werbung  hält  Heusler  es  für 
unentbehrlich.  Dass  durch  die  rolle,  welche  das  ross  dabei  spielt,  die 
maschinerie  der  Brynhildr  für  die  freierprobe  imgrunde  unbrauchbar  wird, 
wurde  schon  bemerkt.  Aber  dass  das  tier  für  das  Wagestück  unentbehrlich 
ist,  scheint  mir  doch  ein  zu  starker  ausdruck.  C.  27  besteigt  Gunnarr 
Grani,  nicht  weil  er  weiss,  dass  die  durchreitung  des  feuers  mit  Grani 
gelingen  wird,  sondern  weil  er  eben  bemerkt  hat,  dass  es  mit  Goti 
nicht  geht.  Mit  Gunnarr  aber  wagt  auch  Grani  nicht  den  weg;  erst 
nachdem  der  held  selbst  sich  auf  sein  ross  gesetzt,  hat.  gelingt  der  ritt; 
also  ist  es  auch  hier  klar,  dass  nur  der  held,  nicht  das  ross  unent- 
behrlich ist.  Das  alles  führt  nur  aus,  was  der  schluss  der  prosa  nach 
Fäfnismäl  weit  einfacher  mitteilt,  dass  SigurÖr  auf  Grani  sass,  als  er 
zu  der  walkyre  ritt.  In  merkwürdiger  Übereinstimmung  mit  der  stelle 
der  Yols.s.  wird  aber  auch  hier  erzählt:  en  hestrinn  lildi  eigi  fram 
ganga,   fyrr  en  Sigurfir  steig   d   bah  hon  am.  Dass    der   erfolg    des 

rittes  von  dem  pferde  abhieng,  wird  auch  in  den  übrigen  quellen  nirgends 
gesagt1. 

Schliesslich  die  freiwilligkeit,  mit  der  Brynhildr  sich  in  den  feuer- 
wall begibt  und  ihn  widerum  verläset.  Heusler  vergleicht  das  damit, 
dass  Gerör  innerhalb   des  vafrlogi   sich  frei    bewegt  und  dass    MengloÖ 

aber  doch  zu  deu  älteren  gedickten  dieser  schiebt,  denn  die  ivmrabrnung  ist  originell 
und  gut  ausgearbeitet  (vgl.  deu  schluss  vou  str.  14),  und  ein  ereignis  bildet  auch  hier 
den  mittelpunkt  des  interesses.  Man  vergleiche  einmal  die  prophezeiung  am  Schlüsse 
der  Sig.  sk.  oder  den  rückblick  in  Guör.  II.  —  Übrigens  sind  mit  ausnähme  gerade  der 
igSna  mal  und  der  Sigrdrifuuiäl  und  vielleicht  auch  des  schon  zur  genüge  beleuch- 
teten gedieh  tes,  auf  welchem  c.  27  der  Yolsungasaga  beruht,  alle  gedichte.  welche 
von  der  waberlohe  berichten,  gleichfalls  zurückblickende  und  können  also  wenigstens 
auf  grund  dieser  eigentümlichkeit  der  Helreiö  nicht  wider  dieses  gedieht  augeführt 
werden. 

1  i  Auch  die  stelle  der  Skälda  sagt  das  nicht  aus. 


SIGRDRIFUMAL    UND    HELRKIDH  321 

wenigstens  nicht  schläft.  Mir  scheint  es,  dass  eben  die  restrictionen, 
welche  bei  der  durchführung  der  vergleichung  sich  als  notwendig  er- 
geben, zeigen,  dass  die  gesuchte  ähnlichkeit  nicht  da  ist.  Allerdings 
bewegt  Gerör  sich  frei  innerhalb  des  vafrlogi,  aber  dass  sie  ihn  auch 
zu  verlassen  im  stände  ist,  scheint  mir  eine  sehr  unwahrscheinliche 
Vermutung  Heuslers,  und  auch  Menglo/Ö  ist  dazu  nicht  im  stände.  Gerör 
schläft  allerdings  nicht;  sie  zeigt  auch  mehr  den  typus  der  spröden  als 
der  zu  erlösenden  Jungfrau  und  kann  als  beispiel  für  die  Verbindung 
der  lohe  auch  mit  diesem  typus  angeführt  werden;  MengloÖ  hingegen, 
wenn  sie  auch  vielleicht  nicht  schläft  —  was  indessen  nicht  so  fest 
steht  —  erwartet  tag  und  nacht  den  ihr  bestimmten  erlöser  und  bräu- 
tigam.  Sie  steht  mit  der  prinzessin  im  bezauberten  schlösse  auf  einer 
linie;  der  zauberschlaf  gehört  nur  zu  einem  untertypus.  Aber  das 
harren  auf  den  erlöser  ist  für  den  ganzen  typus  eigentümlich.  Der  zauber- 
schlaf der  Brynhildr  könnte  daher  sehr  wol  ein  secundärer  zug  sein, 
wenn  er  nicht  auch  sonst  belegt  wäre.  Aber  bei  dem  oben  erschlossenen 
Verhältnis  der  Sigrdrifumäl  zur  HelreiÖ  bekommt  der  lectulus  Brunihildae 
eine  neue  bedeutung  und  verbietet,  hier  an  eine  neuschöpfung  zu 
denken l.  Die  ungehorsame  walkyre  hingegen  ist  wol  verhältnismässig 
jung,  gehört  aber  zu  der  ältesten  erreichbaren  skandinavischen  über- 
lieferungsform. 

Vafrlogi  und  zauberschlaf  gehören  also  nicht  überall  und  untrenn- 
bar, sondern  in  der  Brynhildsage  auf  skandinavischem  boden  fest  zu- 
sammen, und  damit  schwindet  jede  möglichkeit,  Brynhildr  von  der 
Sigrdrifa  zu  trennen.  Brynhildr  wird  also  von  Sigurör  erlöst,  keines- 
wegs bezwungen.  Dass  die  deutsche  fassung  die  sache  anders  mit- 
teilt, ändert  daran  nichts,  um  so  weniger  als  auch  sie  —  noch  ab- 
gesehen vom  Brunhildenbett  —  im  Sigfridsliede  dieselbe  Überlieferung 
kennt.  Inwiefern  die  grössere  ähnlichkeit,  welche  die  jüngere  skandi- 
navische tradition  in  bezug  auf  diesen  punkt  mit  der  in  deutschen  quellen 
im  Vordergrund  stehenden  zeigt,  auf  jüngeren  deutschen  einfluss  zurück- 
zuführen ist,  liegt  ausserhalb  des  rahmens  dieser  Untersuchung.  l>a-> 
der  verlust  des  motives  vom  zauberschlafe  und  die  anknüpfung  an  Buttli 
dabei  wirksame  factoren  waren,  wurde  schon  betont. 

Aber  eine  frage  muss  ich  noch  berühren.  Wenn  Brynhildr  und 
Sigrdrifa  identisch  sind,  wie  ist  es  dann  möglich,  dass  in  der  auffassung 
des  resultates  der  Werbung  ein  so   absoluter  gegensatz  vorhanden   ist? 

1)  Wie  Heusler  8.24  anm.  sagen  kann,  dass  man  aas  dem  lectulus  Brunihildae 
den  xauberschlaf  nicht  herauslesen  darf,  verstehe  ioh  nicht,  Woher  nimmt  man  denn 
die  berechtigung  herauszulesen,  dass  sie   waelit '. 

ZEITSCHRIFT   F.    DEUTSCHE    PHILOLOGIE.       HU.   \\\\  2 1 


322  BOK.r< 

Wenn  die  Abweichung  daraus  zu  erklären  ist,  dass  die  beiden  sagen 
malte  Varianten  sind,  welche  auseinander  giengen,  woher  dann  die  ine 
einzelne  gehende  gleichheit  in  der  ersten  hälfte  der  erzählung?  Wenn 
die  Varianten  jung  sind,  wie  kennte  dann  die  Vorstellung  dei  Sigrdrifu- 
inal  entstehen,  als  schon  die  andere  die  ganze  poetische  tradition  be* 
herrschte?  Ich  kann  mir  die  Sachlage  nur  so  vorstellen,  dass  die 
Varianten  zwar  alt  sind,  aber  dass  man  sich  ihres  Zusammenhanges  be- 
wusst  blieb.  Das  spricht  für  das  hohe  alter  des  zauberschlafes.  Dieser 
hielt  die  Varianten  zusammen;  zusammen  nahmen  sie  das  motiv  der 
ungehorsamen  walkyre  auf  und  winden  um  so  mehr  als  zusammen- 
gehörig empfunden.  Erst  nachdem  in  der  Brynhildsage  das  Haupt- 
interesse sich  den  begeben heiten  nach  der  Werbung  zugewandt  hatte, 
lockerte  sich  das  band,  welches  die  sagenvarianten  zusammenhielt;  in 
einer  sagenform  gieng  allmählich  der  zauberschlaf  verloren,  in  der 
anderen  das  Verständnis  für  die  Identität  der  walkyre  mit  der  cen- 
tralen gestalt  der  älteren  Sigfridsage.  Über  das  Verhältnis  der  beiden 
Varianten  ist  schon  viel  geschrieben  worden.  Ich  deute  hier  nur  eine 
ansieht  an.  Dass  die  kürzere  sagenform  aus  der  längeren  entstanden 
sein  sollte,  dagegen  spricht  ausser  ihrer  ähnlichkeit  mit  anderen  sagen 
auch  der  umstand,  dass  ihre  Überlieferung  die  einfachere  ist.  Die  fort- 
schreitende sagenentwicklung  beruht  fast  immer  auf  combination  und 
fortbildung.  Die  tradition  lässt  wol  mitunter  motive  fallen,  aber  selten 
entsteht  auf  diese  weise  aus  einem  complizierten  gebilde  ein  so  ein- 
faches wie  die  erste  hauptform  der  Sigfridsage.  Es  lässt  sich  auch 
leichter  verstehen,  wie  durch  den  zusatz  eines  elementes  die  compli- 
ziertere  form  der  vorliegenden  sage  aus  der  einfacheren  entstehen  konnte, 
als  der  umgekehrte  Vorgang  verständlich  wäre. 

Damit  stehen  wir  an  der  grenze  der  mythischen  erklärung,  auf 
welche  ich  mich  nicht  einlasse.  Doch  bemerke  ich,  dass  die  jüngere 
sagenform,  abgesehen  von  den  quellen,  welche  behufs  biographischer 
darstellung  I  mit  II  combinieren,  nirgends  zwei  flammenritte  enthält. 
und  dass  ich  deshalb  nicht  mit  Wilmanns,  A.f.d.a.  18,  72  annehmen 
kann,  dass  die  sage  bedeute,  dass  SigurSr  morgens  die  Jungfrau  er- 
weckt, des  abends  aber  in  Gunnars  gestalt  sich  neben  sie  legt;  der 
zweite  vafrlogi  wäre  das  abendrot.  Die  inconsequenz,  dass  die  einmal 
erloschene  flamme  dennoch  wider  aufloderte,  Hesse  sich  zwar  aus  dem 
—  in  dem  fall  —  zu  gründe  liegenden  mythus  erklären;  aber  welche 
alte  quelle  erwähnt  denn  den  zweiten  flammenritt?  Da  derselbe  an 
keiner  stelle  überliefert  ist,  ist  die  einfachere  erklärung  für  die  ent- 
steh ung  von  II  diese,   dass   auf  I  die  erzählung  folgte,   dass   der  held 


SIGRDRIFUMAL    UND    HELREIDH  323 

die  von  ihm  erlöste  Jungfrau,  nachdem  er  sich  mit  ihr  vermählt,  einem 
anderen  abtrat.  Falls  das  mittel,  wodurch  der  held  in  die  macht  des 
fein  des  geraten  war,  ein  weib  war,  so  lag  es  nahe,  dass  die  poesie  um 
die  sittliche  Unanfechtbarkeit  des  beiden  zu  retten,  die  Vermählung  mit 
der  zweiten  trau  vor  den  flammenritt  schob,  und  so  entstand  das  keusche 
beilager,  das  II  beherrscht,  und  erst  in  viel  jüngeren  quellen  widerum 
aus  genealogischen  rücksichten  durch  eine  Vereinigung  des  paares  ersetzt 
wurde. 

Mit  Heusler  glaube  ich  also,  dass  die  alte  poesie  eine  Verlobung 
Sigfrids  mit  Brynhildr  nicht  kannte,  und  dass  die  quellen,  welche  eine 
solche  zum  hebel  der  intrigue  machen  (Falkenlied,  Traumlied,  Sig.  kv. 
meiri),  falls  das  tatsächlich  drei  verschiedene  quellen  sind,  auf  biogra- 
phischer contamination  von  I  und  II  beruhen.  Aber  auch  an  eine  Ver- 
lobung mit  einer  von  Brynhildr  verschiedenen  walkyre  glaube  ich  nicht 
In  einer  biographie  ist  eine  solche  nur  um  ein  geringes  weniger  an- 
stössig  als  die  Verlobung  mit  Brynhildr;  um  Guörün  heiraten  zu  können, 
muss  Siguror  so  wie  so  sein  gelübde  brechen.  Ausserhalb  des  biogra- 
phischen rahmens  ist  ein  Verhältnis  zu  Brynhildr  psychologisch  gerade 
so  erklärlich  als  zu  einer  anderen  frau.  Allein  das  Verhältnis  ist  dann 
nicht  eine  Verlobung,  wozu  erst  die  biographie  sie  macht,  sondern  eine 
Vereinigung  in  liebe. 


Eine  traditionelle  Vorstellung  von  Siguros  lebenslauf  hatte  sich 
gebildet,  bevor  die  lieder  in  einer  handschrift  miteinander  verbunden 
wurden.  Dass  Heimir  in  Hlymdalir  wohnt,  hat  nicht  der  Verfasser  der 
Volsungasaga  ersonnen;  diese  ansieht  war  schon  früher  aus  der  ent- 
stellten Helreiö  abstrahiert;  daher  begegnen  wir  ihr  auch  in  der  Skälda 
und  den  Viöboetir  den  Landnäma.  Inwiefern  daraus  der  schluss  gezogen 
werden  kann,  dass  die  entstellung  der  HelreiS  älter  als  die  schriftliche 
Überlieferung  ist,  lasse  ich  dahingestellt  sein.  Der  Nornagests  |>&ttr 
bringt  wol  nicht  die  entscheid ung,  da  seine  Überlieferung  der  HelreiÖ 
kaum  eine  von  der  ursprünglichen  liedersammlung  unabhängige  Über- 
lieferung repräsentiert.  Hingegen  setzt  die  Grlpisspä,  welche  aufSigrd. 
2.  3.  20  —  37  anspielt,  den  während  der  schriftlichen  Überlieferung  inter- 
polierten text  der  Sammlung  voraus,  denn  dass  die  prosa  der  Samm- 
lung schon  während  der   mündlichen    Überlieferung   eine   geschlossene 

form    hatte,    wird    heutzutage   kaum    jemand    behaupten.      Die   Schlüsse   in 

bezug  auf  das  alter  des  gedientes  liegen  auf  der  band, 


324  noF.u 

Der  eigentliche  gegenständ  unserer  Untersuchung  war  Sigrdrifu- 
nial,  nur  der  stoff  hat  uns  auf  sagengeschichtliche  bahnen  geführt    Ich 

keine  zu  dem  gedieht,  wie  es  überliefert  ist,  zurück  und  gehe  nun  auf 
die  runenstrophen  ein.  Mit  Müllenhoff  nehme  ich  an,  dass  die  runen- 
stropheninterpolation  str.  6  beginnt  und  durch  str.  5  hervorgerufen  isr. 
Für  eine  Interpolation  zweiten  grades  halt  Müllenhoff,  vielleicht  mit 
recht,  str.  8.1  Im  übrigen  kann  ieh  seiner  teilung  des  abschnittes  nicht 
beistimmen.  Als  zusammengehörig  betrachtet  Müllenhoff  str.  6—  13,  6 
mit  ausnähme  von  8;  ferner  15  — 19;  14  und  wo!  auch  13,7  — 10, 
welche  er  von  13,1  —  6  trennt,  sieht  er  für  eine  notbrücke  an  'von 
dem  ersten  zu  einem  zweiten  Verzeichnis  .  .  .  das  widerum  von  runen, 
aber  von  ihnen  als  den  geheimnisvollen  zeichen  der  wesentlichen  kraft 
aller  dinge  .  .  .  handelt'.  Entsprechend  urteilen  die  jüngeren  heraus- 
geber.  Allein  sie  gehen  in  der  Verteilung  des  abschnittes  noch  weiter. 
Finnur  Jönsson  und  Sijmons  trennen  str.  18  von  15  — 17  und  19  widerum 
von  18;  19  ist  nach  Sijmons  als  abschluss  des  runenabschnittes  und 
Überleitung  zu  20fgg.  gemeint.  Ferner  betrachten  beide  12,4  —  9  als 
einen  zusatz  und  glauben,  dass  eine  halbe  strophe  verloren  ist;  nach 
Finnur  Jönsson  vor,  nach  Sijmons  nach  12,4  —  9.  Von  str.  13  erklärt 
Finnur  Jönsson  z.  7 —  10  für  jünger,  während  Sijmons  im  anschluss  an 
Bergmann  und  Vigfusson  z.  4  — 10  von  1—3  trennt  und  als  eine  selb- 
ständige strophe  betrachtet,  welche  er  inhaltlich  mit  str.  14  verbindet. 
Dadurch  entsteht  nach  13,  1  —  3  eine  eine  halbe  strophe  umfassende 
lücke.  Vor  der  aus  13,4  — 10  gebildeten  strophe  nimmt  Sijmons  eine 
längere  lücke  an  (den  anfang  des  gedichtes,  von  dem  die  beiden  fol- 
genden Strophen  ein  bruchstück  sind).  Über  einzelne  zeilen  vgl.  zu  den 
entsprechenden  stellen. 

Ich  gehe  davon  aus,  dass  die  reihenfolge  des  Codex  Regius  die 
richtige  ist.  Die  Vglsungasaga  versetzt  mehrere  Strophen;  namentlich 
fällt  die  Stellung  der  str.  12  nach  10  und  mit  dieser  nach  6  auf.  Es 
ist  im  gedichte  deutlich  eine  Steigerung  wahrnehmbar.  Nach  6 — 11, 
welche  die  runen  als  einzelne  zauberzeichen  zu  einem  bestimmten  zwecke 
erwähnen,  folgen  str.  12  — 13,  welche  eine  tiefere  auffassung  bekunden; 
die  runen  bedeuten  hier  die  Weisheit,  zunächst  redegewandtheit,  darauf 
noch  tiefsinniger  die  kraft  des  gedankens.  Bessere  runen  als  diese, 
welche  alle  übrigen  in  sich  schliessen,  gibt  es  nicht  (vgl.  s.  328  anm.  1), 
und  damit  schliesst  das  Verzeichnis. 

1)  Möglicherweise  ist  doch  Sijmons  im  rechte,  der  z.  1  —  3  mit  str.  7  verbindet, 
und  4  — 6,  welche  nur  in  der  Volsungasaga  sich  finden,  als  eine  ausfüllung  betrachtet 
(vgl.  unten  s.  325  anm.  1). 


MCiKDRIFÜMAL    UND    HELREIDH  325 

Wir  betrachten  nun  zunächst  str.  13,4  —  6.  Das  ist  wol  klar, 
dass  diese  zeilen  (peer  of  re%,  peer  of  reist,  peer  of  hiußi  Hroptr)  mit 
12,4  —  6  (pösr  of  vindr,  peer  of  vefr,  peer  of  setr  ciliar  saman)  parallel 
und  wie  diese  zu  beurteilen  sind.  Also  werden  beide  halbstrophen 
oder  keine  von  beiden  interpoliert  sein.  Das  spricht  wider  Finnur 
Jönssons  herstellung,  der  12, 4  —  6  ausscheidet,  aber  13,  4  —  6  beibehält. 
Ähnlich  wird  es  sich  dann  mit  den  beiden  nach  12,4  —  6.  13,4  —  6 
folgenden  halbstrophen  verhalten.  Nun  lassen  sich  13,7 — 9  mit  1  —  3 
ohne  die  Vermittlung  von  4-6  nicht  verbinden;  jene  zeilen  (7  —  9) 
sind  sogar  ohne  diese  gar  nicht  zu  verstehen  (näheres  unten  s.  326). 
Daraus  folgt,  dass  man  auch  12,7  —  9  von  12,4  —  6  nicht  trennen  darf. 
Also  bleiben  die  folgenden  möglichkeiten:  entweder  sind  12,3  —  9  und 
13,3  —  9(10)  beide  unecht,  oder  beide  Strophen  waren  von  anfang  an 
nenn-  (resp.  zehn-)  zeilig,  und  das  ist  ein  beabsichtigter  schmuck,  der 
den  feierlichen  schluss  des  Verzeichnisses  markiert.  Es  wäre  nun  wenig- 
stens auffallend,  dass  gerade  am  Schlüsse  des  Verzeichnisses  von  zwei 
aufeinanderfolgenden  Strophen  die  zweite  hälfte  verloren  wäre,  während 
sonst  in  der  ganzen  aufzählung  keine  zeile  fehlt;  höchstens  kann  davon 
die  rede  sein,  ob  die  zweite  hälfte  der  unechten  strophe  8  verloren  ist.1 
Auch  str.  10  hat  neun  zeilen  (sind  z.  7  9  ein  zusatz?),  aber  verloren 
ist  nichts.  Das  ist  wenigstens  ein  genügender  grund,  um  zu  unter- 
suchen, ob  denn  tatsächlich  str.  12,3  —  9.  13,3  —  9  im  überlieferten  zu- 
sammenhange absolut  unverständlich  sind. 

Finnur  Jönsson,  der  nach  12,1  —  3  eine  lücke  annimmt,  glaubt, 
dass  in  den  verlorenen  zeilen  von  sakar  die  rede  war.  Darauf  bezieht 
sich  nach  ihm  peer  in  z.  4  6.  Denn  vefja  und  vinda  "werden  nie- 
mals von  runen  gebraucht,  um  so  öfter  aber  von  processen  .  .  .  Die 
Streitfragen  werden  mit  hilfe  der  mdlrünar  beseitigt.'  Der  ausdruck 
dieser  behauptung  scheint  mir  nicht  ganz  klar.  Freilich  begegnet  trfju 
(auch  vinda?)  an  stellen,  wo  von  einem  processe  die  rede  ist;  es  sind 
aber  nicht  die  processe,  welche  gewoben  werden,  sondern  die  männer 
vefjax  isghum,  Ivanda  (Fritzner  [II,  806b).  Wie  dadurch  peer  of  vefr 
erklärt  werden  kann,  verstehe  ich  nicht,  und  wie  soll  man  dann  setja 
saman  verstehen?  Von  sakar  wird  das  nicht  gebraucht;  zwar  von  der 
klage;  dann  aber  bedeutet  es  nicht  'beseitigen',  sondern  'formulieren'.8 
Ich  beziehe  die  drei  verba  auf  die   mdlrunar\   sie   deuten   auf  das  ge- 

1)  Die  vollständigkeil  aller  echten  Strophen  deute!  darauf,  dass  Srjmons'  oben 
s.324  anm.  angeführte  auffassung  des  Verhältnisses  von  str. 8  zu  7  richtig  ist 

2)  Allerdings  Hesse  sich  saman  mit  allar  verbinden,  and  dann  wäre  zu  ver- 
gleichen srtja  mdli  (aber  stets  dativ). 


326  BOBB 

wandt»'  reden  und  das  finden  der  richtigen  worte,  durcb  welche  man 
einfluss  übt.    Es  ist  dabei  zu  beachten,  dass  die  mäkrCunar  keine  zeichen 

sind  wie  etwa  die  olrünar  und  die  s/gruna/r,  welche  geritzt  werden 
und  für  welche  also  notwendigerweise  andere  verba  gebraucht  werden 
als  für  diese,  mdlrünar  bedeutet  nichts  anderes  als  mal]  vefja  aber 
wird  vnii  mal  gesagt,  wenn  jemand  durch  seine  rede  den  gegner  irre 
macht  und  im  disput  ihn  besiegt;  vgl.  Fiat.  I,  389, 15  Finnr  veffti  alt  firir 
presti  svä  at  kann  gat  ekki  at  gert,  und  mehrere  beispiele  bei  Fritzner 
(vgl.  da.  vcev,  vidtloftig  snak  uden  indhold).  Wenn  die  rede  das  ge- 
webe  des  redenden  ist,  so  ist  auch  vindr  vollständig  in  der  Ordnung; 
es  ist  zu  verstehen  in  der  von  Fritzner  sub  4  angegebenen  bedeutung. 
setja  saman  wird  öfter  von  sogur  gesagt;  es  ist  nichts  im  wege,  es 
auf  die  rede  eines  gewandten  gegners  zu  beziehen.  Aus  den  zcilen 
geht  also  hervor,  dass  die  mdlrünar  nicht  dazu  dienen  sollen,  zu  ver- 
hindern, dass  der  gegner  an  einem  voreiligen  worte  anstoss  nehme,  und 
ebensowenig  um  den  streit  beizulegen,  sondern  dass  sie  dem,  der  sie 
kennt,  zu  dem  siege  im  processe  verhelfen  sollen.  Es  ist  nur  die  frage, 
ob  z.  4  —  6  ein  Zwischensatz  sind,  d.  h.  ist  die  halbstrophe  mit  4 — 6 
oder  direct  mit  1  —  3  zu  verbinden?  Möglich  ist  beides.  Aber  da  der 
dichter  wol  nicht  hat  mitteilen  wollen,  wo  die  mdlrünar  gewoben  und 
zusammengesetzt  werden,  andererseits  die  bezeichnung  des  falles,  in 
dem  sie  in  anwendung  kommen,  in  z.  1  —  3  sehr  unvollkommen  ist,  ist 
letztere  auffassung  die  richtige. 

Str.  13  redet  von  den  schwersten  der  runen,  den  hugrihiar:  Öftinn 
hat  sie  selbst  erfunden.  Dass  hier  neben  rdfta  rista  vorkommt,  wider- 
spricht nicht  der  mitgeteilten  auffassung  von  12,4  —  6;  denn  bildlich 
können  auch  die  hugrünar  als  zeichen  aufgefasst  werden.  Das  folgende 
af  peim  legi  ist  dem  sinne  nach  nicht  in  Zusammenhang  mit  reist,  son- 
dern mit  reo"  und  namentlich  mit  hagfti  zu  verstehen.  Die  flüssigkeit. 
welche  aus  HeiÖdraupnis  schädel  fliesst,  ist  Weisheit;  daraus  macht 
Hroptr  durch  denken  etwas  neues;  der  kürzende  ausdruck  ist  im  stile 
der  spruchpoesie. 

Die  Verlängerung  durch  eine  halbe  Strophe,  welche  schon  die  vor- 
letzte strophe  des  Verzeichnisses  kennzeichnet,  wird  am  Schlüsse  wider- 
holt und  durch  den  zusatz  einer  weiteren  zeile  überboten.  Das  macht 
durchaus  den  eindruck  eines  bewussten  stilmittels.  Ich  sehe  keinen 
grund,  die  zeile  für  jünger  zu  erklären.  Metrisch  steht  z.  10  mit  z.  9 
auf  einer  stufe;  die  form  ist  zwar  nicht  anstössig  (Sievers,  Altgerm, 
metrik  §  57,4),  aber  doch  selten  und  zeugt  für  die  Zusammengehörig- 
keit der  beiden  zeilen.     Inhaltlich  bedeutet  z.  10  wol  eine  widerholung 


SIGRDR1FUMAL    UND    HELREIDH  327 

von  z.  9.  Mit  Egilsson  u.  a.  verstehe  ich  Heiftdraupnir  und  Hoddrofnir 
als  Mimir,  sein  hörn  ist  das  Gjallarhorn  (Sn.  E.  I,  68);  Mimis  schädel 
ist  ein  bild  für  denselben  brunnen,  dessen  wasser  er  aus  dem  hörne 
trinkt. 

Z.  10  bezeichnet  den  schluss  der  aufzählung,  also  eines  abschnittes; 
dass  ein  gedieht  damit  schliesst,  folgt  daraus  nicht.  Man  könnte  raten, 
dass  weiter  berichtet  werden  sollte,  auf  welche  weise  Hroptr  die  runen 
erfand.  Nun  schliesst  sich  str.  14  inhaltlich  an  den  letzten  teil  von 
str.  13  an.  Wenn  nicht  die  versteckte  erwähnung  des  Mimir  in  str.  13 
die  interpolation  von  14  bewirkt  hat,  so  ist  anzunehmen,  dass  die  Strophen 
zusammengehören,  denn  auf  zufall  kann  es  nicht  beruhen,  dass  auch 
str.  14  von  Mimir  die  rede  ist.  Wir  versuchen  also,  ob  nicht  ein  ur- 
sprünglicher Zusammenhang  sich  ausfindig  machen  lässt. 

Das  subjeet  zu  stoß  kann  dann  nur  Hroptr  sein.  Auf  einem 
berge  steht  er,  ein  schwert  in  der  hand,  das  haupt  mit  einem  helme 
bedeckt;  da  begann  Mimis1  haupt  zu  reden.  Mfmis  rede  ist  Weisheit. 
also  mit  der  flüssigkeit,  welche  aus  Heiödraupnirs  schcädel  quillt,  iden- 
tisch; die  strophe  führt,  wie  man  sieht,  den  inhalt  von  13,7 — 10  weiter 
aus.     Was  Mimir  mitteilt,  ist  Wahrheit.2 

Str.  15  — 17  sind  fornyroislagstrophen.  Wer  im  voraus  weiss,  dass 
niemals  in  einem  gediente  Strophen  von  verschiedenem  metrum  vorkommen 
können,  wird  schon  deshalb  diesen  abschnitt  verwerfen.  Demgegenüber 
ist  doch  zu  bemerken,  dass  für  den  inhalt  dieser  verse  eine  andere 
form  schwerlich  anwendbar  war.  Sie  enthalten  eine  aufzählung  von 
gegenständen,  und  dafür  ist  die  freie  fornyröislagstrophe  dir  gegebene 
und  allgemein  bräuchliche  form.  Jede  kurzzeile  enthält  die  bezeichnung 
eines  gegenständes;  die  vollzeile  des  ljöftahättr  ist  für  diesen  zweck  un- 
brauchbar. Selbst  wenn  der  dichter  also  nicht  eine  mischform  anzu- 
wenden beabsichtigte,  so  ruusste  er  doch  an  dieser  stelle  in  <las  fornyrfc- 
islag  übergehen.  Inhaltlich  aber  bilden  die  verse  dir  directe  fortsetzung 
zu  str.  14.     Das  subjeet  zu  kvat5  ist    Mimis  haufuü]   ristnar  aber  geht 

1)  So  ist  zu  lesen  statt  Minis;  damit  wird  du'  Langzeile  hergestellt:  t'n  malti 
Mimis  haufod  (zur  ersten  hälfte  vgl.  im  vorhergehenden  />>> w  "/'  vindr  u.  dg]  i.  Dass 
froSligt  et  fyrsta  ord  eine  vollzeile  ist.  bai  schon  Sijmons  gesehen;  unrichtig  streicht 
Finnur  Jonsson  et  fyrsta  und  versetzt  mcelti.  Auch  diese  strophe  Bohliesst  feierlich 
mit   zwei  vollzeilen. 

2)  sanna  staß,  was  also  nioht  'ruoenstäbe'  bedeutet,  wie  KüllenhoS  >.  L62 
annimmt,  um  dann  wider  die  von  niemand  geäusserte  meiirang  zu  polemisieren,  dass 
ristnar  (15,  li,  auf  das  maso.  stafi  gehe. 


328  BOBB 

auf  die  von  Öftinn  gefundenen   hugrünar,    welche    alle  runen  in  sich 
schliessen.1 

Die  Situation  ist  demnach  diese:  die  runen  (die  Weisheit)  sind  da, 
aber  noch  nicht  im  besitze  des  gottes;  OSinn  ratschlagt  mit  Mimis 
haupte;  des  wasserriesen  erste  mitteilung  an  ^v\  gott  bezieht  sich  aui 
den  ort,  wo  die  runen  zu  finden  sind.  Die  runen  finden  sich  an 
mehreren  schwer  zugänglichen  orten  geritzt.2  Dass  es  nicht  <  i^inn  ist, 
der  diese  runen  geritzt  hat,  geht  daraus  hervor,  dass  er  von  Mimir  er- 
fahren muss,  wo  sie  stehen,  öfcinns  aufgäbe  ist  nun  die,  dass  er  sich 
der  runen  bemächtigt.  Dazu  aber  braucht  ihn  Mi  mir  nicht  anzutreiben. 
Und  auch  der  dichter  braucht  seinen  hörern  nicht  mitzuteilen,  dass  der 
gott  diese  seine  aufgäbe  erfüllt.  Dass  ÖÖinn  so  weise  ist,  versteht  sich 
wol  von  selbst.  ÜÖinn  geht  hin  und  schabt  die  runen  ab,  welche  auf 
jene  mythischen  gegenstände  geritzt  waren.  Der  dichter  aber  über- 
springt das  und  führt  str.  18  den  augenblick  vor,  wo  die  abschabung 
zu  ende  gebracht,  die  runen  erlangt  und  von  Ööinn  in  den  heiligen 
met  geworfen  worden  sind.  Dem  gotte  bleibt  übrig,  sie  zu  verteilen. 
Z.  4  darf  also  nicht  gestrichen  werden.  Einige  gelangen  zu  den  äsen, 
einige  zu  den  elben,  einige  zu  den  vanen;  auch  die  menschen  erhalten 
ihren  teil  (z.  8  ist  zu  behalten;  die  Verdopplung  der  beiden  vollzeilen 
der  strophe  geschieht  wider  um  absichtlich).  Dann  fährt  str.  19  fort: 
'das  sind  die  buchrunen,  das  sind  die  bergerunen  und  alle  bierrunen 
und  die  herrlichen  kraftrunen'.  Ich  glaube  nicht,  dass  diese  verse,  und 
auch  nicht,  dass  die  folgenden  das  machwerk  eines  interpolators  sind, 
welcher  die  vorhergehenden  Strophen  dem  zusammenhange  des  liedes 
von  der  Seherin  anpassen  wollte.  Es  wäre  auch  eine  armselige  anpassung. 
Man  müsste  dann  in  den  erwähnten  zeilen  eine  beziehung  auf  str.  6 — 13 
sehen.  Aber  es  werden  jene  runen  hier  durchaus  nicht  widerholt;  von 
jenen  finden   sich  hier  nur  die  bjargrünar  und   die  glrünar,  alle  die 

1)  Dagegen  lässt  sich  nicht  einwenden,  dass  str.  13  die  hugrünar  als  eine 
Unterabteilung  erwähnt,  während  str.  15  fgg.  nach  unserer  auffassung  sie  als  die  von 
OSinn  gefundenen  und  also  als  den  inbegriff  aller  runen  darstellen.  Denn  die  leicht 
verständliche  doppelheit  der  auffassung,  welche  ich  für  das  gedieht  als  ganzes  an- 
nehme, liegt  schon  in  str.  13,  welche  gleichfalls  ihre  erfindung  durch  Oöinn  berichtet. 
Dass  die  hugrünar  als  die  höchsten,  alle  Unterabteilungen  umfassende  runen  im  Ver- 
zeichnis die  letzte  stelle  einnehmen,  wurde  schon  bemerkt  (s.  326). 

2)  Auf  die  frage,  ob  str.  15 — 17  etwa  aus  zwei  Strophen  erweitert  sind,  gehe 
ich  nicht  ein.  Aus  dem  zusammenhange  ergibt  sich,  dass  nur  mythische  namen  hier 
am  platze  sind.  Eine  kürzung  lässt  sich  ohne  gewaltsame  mittel  nicht  zu  stände  bringen. 
Mehrere  namen,  welche  ganz  alltäglich  aussehen  (d  bjarnar  hrammi;  d  ulfs  kloinn;  ä  nefe 
uglu  u.  dgl.)  haben  wol  einen  tieferen  sinn.    Vgl.  übrigens  F.  Jonsson  zu  str.  16,  3.  4.  6. 


SIGRDRIFUMÄL    UND    HKLREIDH  329 

übrigen,  sogar  die  wichtigsten  fehlen,  während  die  dort  nicht  erwähnten 
bökrünar  und  megenrünar  hinzukommen. 

Die  aufzähl ung  in  str.  19  weist  also  nicht  auf  das  frühere  Ver- 
zeichnis zurück;  sie  bezieht  sich  im  gegenteil  auf  die  unmittelbar  vor- 
hergehende schlusszeile  von  str.  18,  welche  aus  dem  gründe  nicht  ge- 
strichen werden  darf.  Die  runen,  welche  ÖÖinn  den  menschen  gab, 
das  sind  die  buchrunen  u.  s.  w.  Der  dichter  nennt  nicht  alle  erdenk- 
lichen Unterabteilungen,  sondern  er  begnügt  sich  damit,  die  haupt- 
gruppen  zu  erwähnen.  Unter  bökrünar  verstehe  ich  nicht  wie  Gering 
(Wörterb.  118)  'auf  buchenholz  geritzte  runen',  —  denn  der  Zusammen- 
hang scheint  eine  teilung  nach  der  art  der  runen,  nicht  nach  den  gegen- 
ständen, auf  welche  sie  geritzt  werden,  zu  verlangen,  —  sondern  runen 
zum  schreiben,  schriftzeichen,  wie  sie  in  büchern  zur  anwendung 
kommen.  Demgegenüber  sind  die  bjargrünar  hier  die  rettenden  zauber- 
runen;  z.  3  mit  den  glrünar  wird  interpoliert  sein;  die  bjargrünar, 
welche  auch  str.  9  erwähnt  wurden,  haben  die  glrünar  nach  sich  ge- 
zogen. Unter  den  rettenden  runen  sind  an  dieser  stelle  glrünar,  Jiin- 
rünar,  brimrünar,  sogar  sigriinar  einbegriffen.  Z.  4  ist  vielleicht  ok 
zu  streichen:  die  beiden  arten  der  unter  den  menschen  verbreiteten 
runen  werden  dann  zusammen  als  kräftige  charakterisiert1;  darauf  braucht 
der  dichter  nur  noch  darüber  aufschluss  zu  geben,  für  wen  die  innen 
kräftig  sind.  Das  sind  sie  für  den,  der  sie  uiillar  ok  öspütar  (vgl. 
Egilss.  c.  72)  sich  zum  heile  zu  benutzen  versteht.  Z.  9  geht  auf  5 — 7: 
'und  das  wird  so  bleiben  bis  zu  dem  jüngsten  tage'.  Z.  8  ist  ein 
Zwischensatz,  der  einen  praktischen  rat  des  dichters  oder  eines  vor- 
tragenden an  die  hörer  enthält. 


Ich  glaube  gezeigt  zu  haben,  dass  str.  6  —  19  ein  wichtiges  gegen- 
stück  zu  dem  mythus  von  der  erfind ung  der  runen,  wie  ihn  die  Häva- 
mäl  mitteilen,  enthalten2.  Der  mythus  erscheint  hier  wie  auch  dort  mit 
dem  von  der  erwerbung  des  dichtermeth.es  combiniert.  Wie  der  dichter 
sich  dieses  ereignis  vorstellte.  Lässt  sich  natürlich  nicht  entscheiden.  Die 
Verteilung  des  mit  runen  gewürzten  metes  (str.  10)  aber  hat  eine  nicht 
zu  verkennende  ähnlichkeit  mit  dem  berichte  der  Snorra  Edda  (I,  222), 
dass  ÖÖinn  den  äsen  und  den  dichtem  von  dem  Suttunga  mJQÖr  gab. 

1)  Bugges  conjectur  matar  rüna/r   ok    meginrunar   (vgl.  die    Eriedensformel 

Isl.  s.  II,  381)  ist  deshalb   nicht  zu  acceptieren ,   weil   /..  7      !•   deutlich   zeigen,   dass 
die  strophe  eine  Ijoöahattrstrophe  ist. 

2)  Vgl.  Kaul't'niann,   Haider  s    102  [V.  K.| 

AMSTERDAM.  K.  C.  BOER, 


IIKV.MANN 

ÜBEK  CAUSALEN  AUSDETTCK  IN  MINNESANGS 
FKÜHLLNG. 

In  meiner  abhandlung:  „Die  causalsätze  der  deutschen  Lyriker  im 
L 2.  Jahrhundert" ]  liabe  ich  die  causalsatzconjunctionen  der  dichter  aus 
des  minnesangs  frühzeit  untersucht,  indem  ich  von  der  einzelnen  mittein 
der  Satzverbindung  ausgieng  und  deren  Functions-  und  bedeutungsunter- 
schiede  systematisch  erörterte.  Im  nachstehenden  sollen  nun  zur  er- 
gänzung  der  allgemeinsyntaktischen  ausführungen  die  einzelnen  dichter 
zum  ausgangspunkt  genommen  und  die  grundlegenden  beobachtungen 
von  Scherer2,  Erich  Schmidt3  und  Burdach1  über  die  beziehungen 
zwischen  inhalt  und  form  in  ihren  dichtungen,  zwischen  ihrer  indivi- 
duellen geistesrichtung  und  der  wähl  ihres  ausdrucks,  für  das  in  frage 
kommende  gebiet  erweitert  werden. 

In  den  volkstümlichen  namenlosen  liedchen,  die  der  späteren 
minnedialektik  noch  durchaus  fern  stehen,  ist  auch  die  causalsatzbildung 
nicht  entwickelt.  Wo  ursächliche  Verhältnisse  vorliegen,  zeigt  doch  die 
form  der  satz  Verknüpfung,  dass  auf  die  betonung  des  causalzusammen- 
hanges  keinerlei  wert  gelegt  wird:  partikellose  parataxe  ist  fast  durch- 
gehend angewendet,  einrückweisendes  fürwort  genügt  in  der  regel,  um 
auf  die  beziehungen  zum  verbundenen  satze  hinzuweisen.  Eigentliche 
causalsatzpartikeln  fehlen  noch  so  gut  wie  ganz:  nü  M.  F.  4,  4  zeigt 
überwiegend  temporale,  die  beiden  daz  4,  15.  5,  7  überwiegend  sub- 
stantiale  bedeutung.  Ganz  abweichend  sind  nur  die  Strophen  5,  16  bis 
6,  4.  Mögen  sie  nun  dem  lraiser  Heinrich  VI.  gehören  oder  nicht,  sie 
stehen,  wie  nach  metrum  und  gedankenrichtung,  auch  hinsichtlich  der 
causalformen  auf  einer  anderen  stufe  als  die  übrigen  anonymen  Strophen: 
sie  neigen  zur  periodisierung,  sie  betonen  die  ursächlichen  zusammen- 
hänge formal,  nur  in  ihnen  tritt  ein  sit  auf  mit  ausgesprochen  causaler 
färbung,  nur  in  ihnen  erscheinen  auch  adverbiale  bestimmungen  des 
grün  des  wie  durch  ir  liebe,  dar  unibe:  5,  30.  29,  34. 

Die  unter  dem  namen  des  Küren  bergers  gesammelten  Strophen 
enthalten  inhaltlich  und  formal  wenig  causales.  Diese  frischen,  volks- 
tümlichen lieder  zeigen  wie  die  anonymen  hauptsächlich  asyndetische 
beiordnung.  Die  Schlüsse  sind  sämtlich  nur  aufforderungen,  oft  un- 
vermittelt am  strophenende  angefügt,  um  das  gesagte  zusammenzufassen; 

1)  Berliner  dissertation  1903. 

2)  Deutsche  Studien  I  und  II  (Wien  1870.  1874). 

3)  QF.  4. 

4)  Eeinmar  der  alte  und  Walther  von  der  Vogelweide  (Leipzig  1880). 


CAUSALER    AUSDRUCK    IN    MS  F.  331 

die  naive  art  der  begründung  9,  17  ist  hervorzuheben.  Die  angewandten 
Partikeln  haben  noch  geringe  causale  färbung,  nur  einmal  erscheint 
tvan  9,  31. 

Meinloh  von  Sevelingen  dagegen  nimmt,  wie  schon  Scherer 
beobachtet,  einen  anlauf  zu  romanisch -konventioneller  manier,  er  kennt 
die  serieliche  swaere  und  empfiehlt  sie  als  lebensprinzip,  er  spricht  vom 
trüren  mit  gedanken,  legt  sich  rechenschaft  ab  über  sein  handeln  und 
fühlen.  —  Indessen,  nur  wenige  seiner  motivierungen  nehmen  die  form 
eigentlicher  causalsätze  an:  Wendungen  wie  tuox  durch  dine  tilgende 
(11,  20),  ich  weix  vil  wol  umbe  waz  (13,  2),  mich  heizent  sine  tugende 
(14,  32),  dur  dinen,  dur  ir  ivillen  (11,  24.  12,  38),  von  schulden  (11,  10. 
13,  27),  äne  schulde  (13,  16)  ersetzen  bei  ihm  zumeist  die  bildung  von 
grund-  und  folgesätzen.  Diese  pflegen  dann  einfach  und  parataktisch 
verknüpft  zu  sein,  nur  einmal  (15,  5)  findet  sich  rein  causale  Unter- 
ordnung; die  sit  13,  3.  14,  8  wendet  er  beide  noch  sichtlich  tem- 
poral an. 

Die  früher  aufgetauchte  ansieht,  dass  die  beiden  burggrafeil 
von  Regensburg  und  Rietenburg  identisch  seien,  hat  ebenfalls  schon 
Scherer  durch  eine  feinfühlige  vergleichung  ihrer  syntaktischen  formen 
widerlegt.  —  Die  wenigen  überlieferten  Strophen  verbieten  einen  zu 
stark  zergliedernden  vergleich,  aber  deutlich  zeigen  gerade  die  causalen 
satzverhältnisse  den  unterschied  beider  dichter:  der  Regensburger 
hat  neben  dem  mehr  vergleichend -modalen  ausdruck  (17,  5.6)  nur  einen 
ansatz  zur  causalen  satzform  (16,  20),  wo  aber  auch  das  parataktische 
des  noch  in  abhängigkeit  von  wunt  bleibt;  dagegen  wählt  der  Rietcn- 
burger  dreimal  das  hypotaktische  stt,  in  ausgeprägt  begründender  be- 
deutung  und  als  strophencinleitende  responsion:  19,  7. 17.27.  Wenn  die 
gedichte  des  Rietenburgers  nach  Scherer  1181  —  84,  nach  Burdach  schon 
1170,  die  kaiser  Heinrichstrophen  nach  Scherer  1184  anzusetzen  sind, 
so  dürfte  man  sagen,  dass  die  obigen  drei  sit  vielleicht  die  ersten  in 
causaler  bedeutung  bei  unsren  minnesängern  sind;  auch  des  erscheint 
beim  Rietenburger  zuerst  in  einer  erweiterten  funetion  (19,  1).  Während 
die  lieder  des  burggrafen  von  Regensburg  von  adverbialen  grund- 
bestimmungen  nur  vor  leide  (16,  12)  und  etwa  äne  not  (16,  11)  auf- 
weisen, häufen  sich  beim  jüngeren  dichter  ausdrücke  wie  von  torne 
jehen  (18,  4),  laxen  durch  ir  ntden  (18,  5),  höhe  stän  von  ir  güete 
(18,10),  von  rehter  schulde  (18,  11),  den  ich  von  einer  frowen  hän 
(18,21),  r'.sV  bexxer  umbe  da*  (19,22).  Berücksichtigt  man  diese  momente 
neben  den  von  Scherer  (s.  29)  angeführten ,  so  darf  man  in  der  tat  trote 
der  wenigen  Strophen  von  einem  durchgängigen  gegensat       wischen  den 


332  HEYMANN 

gedichten   der    beiden    barggrafen    grade  auf  grund   des  causalen   aus- 

(I iiicks  sprechen. 

J)io  Spervogelstrophen  treten  wegen  ihres  gnomischen  Inhalts 
ans  dem  rahmen  der  ältesten  minnelyrik  heraus,  fallen  aber  der  spräche 
nach  init  ihr  zusammen  und  sind  eben  dieses  inneren  gegensatzes  wegen 
auch  für  unser  thema  interessant.  Die  beiden  dichter,  der  „  Anonymus - 
Spervogel"  (25,  18  —  30,  33)  und  der  jüngere  „Spervogel"  (20,  1  —  25,12 
ohne  20,17)',  zeichnen  sich  durch  höchst  einfache  dialektik  in  form 
und  gedanken  aus.  Nachforschungen  über  den  ursächlichen  Zusammen- 
hang der  dinge,  die  sie  vortragen,  liegen  ihnen  ganz  fern,  und  so  sind 
denn  auch  ihre  causalsätze  spärlich.  Charakteristisch  ist  die  wähl  solcher 
ausdrucksformen  wie  dax  kom  von  unheile,  daz  tet  er  dur  die  goteheit 
(An.-Sp.  20,  17.  30,  15),  dm  muox  von  gotes  helfe  komen  (Sperv.  21,27). 
Die  volkstümlichen  lebensweisheiten,  die  ausgesprochen  werden,  pflegen 
nicht  durch  logische  gründe,  sondern  durch  gleichnisse,  meist  unter- 
bunden am  strophenschluss  angehängt,  erläutert  zu  werden:  vgl.  25,  19. 
26,  17.  26,  23.  28,  4  beim  anonymus;  20,  7.  21,  11.  22,  23.  36  beim 
jüngeren  dichter.  Oder  umgekehrt,  es  wird  ein  gleichnis  aufgestellt, 
auf  eine  tatsache  angespielt  und  dann  asyndetisch  die  nutzanwendung 
gezogen:  27,1  (nach  26,34).  30,  11  —  22,31.  Auch  die  gegebenen 
erfahrungswahrheiten  selbst  bewegen  sich  nicht  in  der  form  von  grund - 
und  folgesätzen,  sondern  in  verallgemeinernden  relativsätzen :  wer  A 
tut,  dem  widerfährt  B;  vgl.  29,  20.  29,  27.  28,  34.  --  20,  1.  21,  13.21. 
24,  9.17.25.33.  Der  anonymus  ist  noch  einfacher  in  der  reflexion  als 
der  jüngere  dichter:  er  gibt  meist  ein  blosses  beispiel  aus  dem  leben 
oder  der  fahel  und  überlässt  es  dem  leser,  selbst  die  folgerung  daraus 
zu  ziehn:  27,  13.  20.  27.  28,  6.  Der  jüngere  dichter  ist  eher  einmal 
zur  causalsatzbildung  geneigt,  bedient  sich  öfter  eines  folgernden  des, 
benutzt  die  rein  causalen  da  von,  dar  umbe,  die  der  ältere  nicht  ver- 
wendet, während  dessen  halb  zeitliches  nü  bei  ihm  nirgends  auftritt. 
Beim  jüngeren  erscheinen  auch  die  ersten  fmalsätze  22,  4  und  22,  8, 
wo  er  es  für  nötig  hält,  lehrhaft  zu  versichern:  jo  enrede  ichz  niht  dur 
minen  frumen,  wan  daz  ichz  alle  lere.  Wände  findet  sich  je  nur 
einmal,  sit  ist  immer  nur  das  zeitliche  adverb,  die  parataxe  bleibt  im 
übergewicht.  —  Übrigens  steht  diese  anspruchslosigkeit  in  der  dialektik 
innerhalb  der  mhd.  spruchdichtung  nicht  vereinzelt  da:  uoch  bei  Reinmar 

1)  Scherers  hypothese  bezüglich  eines  dritten  dichters,  der  MF.  245,  1  bis 
246,  48  u.  a.  gedichtet  hätte,  hat  wenig  anklang  gefunden;  vgl.  Beitr.  2,  427. 
Germ.  28,  214, 


f'AÜSALEH   AUSDRÜCK    IN    MS  F.  333 

von  Zweter  beobachtet  Roethe1,  dass  die  causalsätze  von  allen  seinen 
Satzarten  am  seltensten  sind. 

Eine  rechte  Übergangsgestalt  ist  Dietmar  von  Aist,  daher  auch 
die  unter  seinem  namen  überlieferten  Strophen  so  vielen  streit  über  die 
Verfasserschaft  im  einzelnen  angeregt  haben.  Die  volksmässige  Schlicht- 
heit berührt  sich  bei  ihm  mit  der  eindringenden  minnedialektik,  neben 
naiver  empfindung  steht  die  reflektierende  erwägung,  auf  das  lenzfrische 
liedchen  33,  15.  23  folgt  im  gleichen  tone  das  dialektische,  gedanken- 
volle, so  verschieden  gedeutete2  lied  33,  31,  ohne  dass  man  bisher  eine 
der  drei  Strophen  dem  dichter  aberkannt  hätte.  Vielseitig  wie  im  inhalt 
ist  Dietmar  auch  in  der  form.  Neben  reichlicher  causaler  beiordnung 
sind  doch  schon  fast  alle  arten  der  Unterordnung  vertreten,  neben  dem 
zeitlichen  ist  das  begründende  s/t  durchaus  entwickelt,  des  hat  bald  die 
engere  bald  die  weitere  funktion.  —  ju  dient  32,  11  sowie  41,  G  zur 
rechtfertigung  einer  verwunderten  frage,  und  dass  sich  diesen  beiden 
Verwendungen  auch  die  sonst  unsrem  dichter  abgesprochene  stelle 
37,  16.  17  genau  anschliesst,  soll  wenigstens  hervorgehoben  werden:  es 
beweist  freilich  noch  nicht  die  richtigkeit  der  in  C  überlieferten,  in 
MF.  aufgenommenen  autorschaft  unseres  dichters,  aber  es  vermehrt  die 
allenthalben  anerkannte  Schwierigkeit,  dem  Dietmar  irgend  etwas  zu- 
oder  abzusprechen.  Überhaupt  neigt  Dietmar  von  Aist  zur  forschenden 
frage,  und  so  kleidet  er  denn  auch  öfter  seine  reflexionen  über  ursäch- 
liche zusammenhänge  in  die  form  jener  fragen  nach  dem  gründe  von 
beobachtungen,  die  man  als  das  widerspiel  der  causalsätze  bezeichnen 
kann:  32,  12.  40,  27.  35.  (37,  16!). 

Als  eigentlicher  begründer  des  höfisch -konventionellen  minnesanges 
gilt  Friedrich  von  Hausen.  Wir  können  auch  die  ausbilchmg  der 
reflexionen  über  ursächliche  zusammenhänge  im  liebesieben  und  deren 
formen  bei  ihm  beobachten.  Er  will  das  problem  der  minne  allgemein 
fassen,  ihr  wesen  ergründen,  er  wirft  die  frage  auf  (53, 15):  Wir.  mac  ihr. 
sin,  dax  diu  werlt  heixet  minne,  unde  e.\  mir  t/tot  sd  w$  mller  stunde 
unde  ex  mir  nimet  so  vi/  mtner  sinne?  Die  gründe,  warum  er  liehen 
und  leiden  muss,  sucht  er  allenthalben  zu  vertiefen:  dabei  gewinnt  die 
hypotaxe  an  causaler  kraft,  sit  erhält  eine  überwiegend  begründende 
rolle,  wände  erscheint  doppelt  so  oft  als  bei  allen  Vorgängern  zusammen- 
genommen; beachtenswert  sind,  ausser  den  causalsätzen,  solche  aus- 
drücke, in  denen  Hausen   die  berechtigung  seiner  ansichten  beton! 

1)  Die  gedichte  Reiomars  von  Zweter  (Leipzig  ISST)  s.  '_".h>. 

2)  Vgl.  Scherer.   ü.  St.  IL  43;    Paul,  Beitr.  2,   169;    Bievere,    Beitr.  12 
meiue  diss.  s.  50. 


334  HKYMAXN 

waere  ouch  reht  17.  L9,  deia  reht  1!),  L5,  des  het  ich  reht  53,26;  ferner 
motivierende  adverbialbestimmungen  ojit  von  und  durch  (48,5.  12.36. 
49,33.  50,32.  51,21.  42,1.  44,10),  ursächliche  fragen  (neben  53,  15 
noch  42,6.  53,7  —  8).  Auch  die  den  causalsätzen  verwandten  final  - 
und  consecutivsätze  sind  bei  Hausen  in  der  fortbildung  begriffen;  den 
willkommensten  ausdruck  über  bieten  die  concessiven  und  hypothetischen 
formen  unsrem  dichter  für  seine  ständigen  antithesen,  seine  ueigung, 
möglichkeiten  auszumalen,  i'i'w  den  Zwiespalt  /wischen  herze  und  lip} 
der  sich  durch  seine  dichtungen  dahinzieht. 

Von  Hausens  kunstvollen  gedankenzuspitzungen  weiss  Heinrich 
von  Veldecke  nichts,  dagegen  zeigt  sich  bei  ihm  eine  noch  stärkere 
neigung  zu  motivieren,  eine  gewisse  breite,  behagliche  lehrhaftigkeit, 
die  Hausen  im  gründe  nicht  eigen  ist;  mitunter  häuft  er  gradezu  mit 
eindringlicher  didaktik  die  causalen  anknüpfungen  in  derselben  atrophe 
auf:  vgl.  62,31  wan,  33  ivan,  35  wan,  oder  65,  5  —  6  asyndese,  7  wan, 
9  des,  11  wan,  oder  57,  34fgg.  die  responsorischen  des.  Der  natur- 
eingang,  den  Hausen  nicht  verwendet,  ist  dem  Niederdeutschen  unent- 
behrlich, aber  es  ist  für  Veldecke  charakteristisch,  dass  er  selbst  hier 
causale  erörterungen  hineinträgt,  uns  belehren  muss,  warum  der  lenz 
so  erfreut,  und  was  sich  für  nutzan Wendungen  daraus  ziehen  lassen: 
62,  31.  33.  35.  —  66,  2.  3.  —  57,  10. 14.  —  59,  1.  16.  21.  wände  braucht 
er  18 mal,  relativ  also  am  häufigsten  von  allen  zeitgenössischen  lyrikern; 
auch  bei  ihm  sind  consecutivsätze  häufig,  adverbiale  begründungen  und 
formein  wie  reht  ist  63,9.  66,5,  min  recht  ist  65,33,  ze  unrehte  57,9, 
da;  waer  unreht  68,  7,  äne  scholt  57,  37,  cd  von  rmner  schulde  63,  14. 
Einem  solchen  dichter  dürfte  man  auch,  zumal  da  sonst  keine  be- 
gründeten bedenken  dagegen  vorliegen,  die  in  MF.  261  ihm  abge- 
sprochenen, in  A.  3.  4  unter  seinem  namen  überlieferten  Strophen  zu- 
trauen, mit  ihren  charakteristischen  häufungen:  von  schulden  —  wol 
mich  des  dax  —  sit  —  äne  alle  schulde  —  von  schulden  —  sage 
umhe  wa%.  Die  autorschaft  C  51  und  53  —  57  (MF.  262)  kann,  wenigstens 
von  unsrem  thema  aus,  nicht  ebenso  gestützt  werden.  Über  58,  35 
und  Bernger  v.  Horheim  s.  unten  s.  338. 

Ulrich  von  Griitenburg  ist  der  reflexion  zwar  nicht  abgeneigt, 
verwendet  aber  eigentliche  causalpartikeln  nur  selten,  um  ursächliche 
zusammenhänge  auszudrücken.  Er  bevorzugt  die  formen  des  substantiv- 
satzes,  während  die  am  reinsten  causalen  dar  umbe,  da  von,  durch  daz 
fehlen  und  ivande  relativ  seltener  als  bei  seinen  Vorgängern  auftritt. 
Die  parataxe  ist  oft  asyndetisch,  knapp,  gedrängt,  macht  aber  nicht  den 
eindruck   des  volkstümlich -schlichten,    sondern    eher    des    gekünstelten, 


CAUSALER    AUSDRUCK    IN    MSF.  335 

zumal  da  Gutenburgs  satzbau  vielfach  auf  das  metrische  prinzip  der 
kurzen  verszeilen,  des  schlag-  und  binnenreimes  und  anderer  reimkünste 
zurückzuführen  ist. 

Interessant  ist  bei  Rudolf  von  Fenis,  dem  Schüler  der  Trou- 
badours, für  den  bisher  die  meisten  entlehnungen  aus  dem  Proven- 
zalischen  nachgewiesen  sind,  ein  vergleich  mit  den  romanischen  Vor- 
bildern, soweit  unser  thema  davon  berührt  wird.  Unverkennbar  sind 
gewisse  causale  gedankengänge  unseres  dichters  von  den  romanischen 
mustern  angeregt  worden.  Wenn  Fenis  81,  30  angibt,  warum  er  seine 
minnelieder  singt:  mit  sänge  wände  ich  mine  sorge  Jcrenken;  dar  muhe 
singe  ich,  deich  si  wolte  lau,  so  entspricht  dies  genau  dem  gründe, 
den  Folquet  von  Marseille  in  dem  vorbildlichen  liede  (MF.  266;  Ray- 
nouard  3,  159)  für  sein  singen  angibt:  per  so  chan  qu'oblides  la  dolor 
el  mal  d'amor.  Und  der  angefügte  gegengrund,  warum  alles  singen 
nichts  hilft,  wann  Minne  hat  mich  brächt  in  solchen  ivän  dem  ich  so 
lüde  niht  enmac  entwenken  findet  sich  ebenfalls  in  der  quelle:  qu'en 
la  boca  nulla  res  nom  ave  mos  sol  merce.  —  Die  causalsatzconstruction 
zu  eingang  des  gleichfalls  dem  Folquet  nachgeahmten  liedes  81,  35,  wo 
das  begründende  sit  eine  consecutive  periode  einführt  und  dann  eine 
asyndetische  folgerung  (82,  1)  nach  sich  zieht,  ist  nach  form  und  inhalt 
eine  copie  der  provenzalischen  vorläge  (Rayn.  3,  159;  MF.  266):  sit 
daz  diu  Minne  mich  wolt  alsus  eren  da\  si  n/ich  hi<\  in  deme 
herzen  tragen  —  ich  waere  ein  gouch  etc.  =  e  pos  amors  me  rol  honrar 
tan  qu'  el  cor  vos  ?ne  fai  portar  —  per  merceus  prec  etc.  Die  Über- 
einstimmungen gehen  hier  so  weit,  dass  mau  wol  von  directen  und 
bewussten  nachbildungen  Fenis'  reden  darf.  Im  übrigen  verwehrt  die 
erwägung,  dass  die  poesie  der  Troubadours  so  gut  wie  unsere  minne- 
dichtung  zunächst  mündlich  verbreitet  wurde,  eine  weitere  vergleichung 
der  satzverhältnisse  in  Strophen,  wo  mau  sonst  wol  entlehnungen  fest- 
gestellt hat;  dürfte  man  aber  annehmen,  dass  Fenis  die  romanischen 
muster  unter  beständiger  erinnerung  an  die  uns  bekannten  Vorbilder 
umgeformt  hat,  was  sich  nicht  beweisen  lässt,  so  würde  sieh  ergeben, 
dass  die  causalbestimmungen  der  provenzalischen  fassungen  bei  weitem 
nicht  alle  aufgegriffen,  dagegen  nur  wenig  neue  hinzugefügt  sind.  Jedes- 
falls  zeigt  schon  das  ausgeführte,  wie  der  reflectierende  zug  der  pro- 
venzalischen poesie  auch  Formell  auf  den  ausdruck  des  deutschen 
denkens  eingewirkt  hat.  Und  die  grosse  neigung  zur  motivierung  bei 
Fenis  wird  sicherlich,  auch  in  den  nicht  als  entlehnungen  nachgewiesenen 
liedern  durch  seine  kenntnis  der  romanischen  minnedialektüt  mindestens 
gefördert  worden  sein.      In  der    tat   zeigt    ausser    Veldecke    kein    zweiter 


330  HEYMANN 

dichter  unseres  Preises  eine  solche  hinneigung  zum  causalen  aasdruck  wie 
Fenis:  ähnlich  wie  jener  begnügt  er  sich,  wo  er  über  ursächliche  zu- 
sammenhänge des  liebeslebens  sinnt,  nicht  mit  einer  motivier ung,  son- 
dern schichtet  die  causalen  anknüpf ungen  förmlich  aufeinander:  vgl. 
81,  1!)  durch  dax,  widerholt  in  v.  21 —  25  (durch  si)  —  2(127  cxpli- 
cative  asyndese  —  28  dar  umbe  —  29  wan.  Oder  Sl,  31  dar  umbe  — 
34  wan  —  36  wan  (folgt  wider  stt  dax).  Oder  82,  28  des  —  29  dax 
machet  —  (30  de?'  tuot)  —  31  des,  durch  not  —  33  da  von.  Ferner 
84,  4  des  —  5  da  von  —  durch  not  —  6  wan.  Auch  83,  27  <l<t\  ist 
ih'i  von  dax  (man  beachte  die  breite!)  —  33  ist  du;,  min  reht  wan, 
und  85,  24  da  von  -  -  27  mir  kumet  dax  von  -  28  denne  -  -  dazu 
29  war  umbe?  Fenis  hat  auch  in  seinen  27  Strophen  sämtliche  causal- 
partikeln,  die  unseren  dichtem  überhaupt  zu  geböte  standen,  verwendet. 
Die  consecutivsätze  sind  dabei  ebenso  vertreten  wie  die  ständigen  er- 
wägungen  von  rehte,  durch  not  u.  a.  81,  5.  82,  14.25.31. —  83,  33. 
84,  5.  18. 

Bezüglich  Albrechts  von  Johannsdorf  bemerkt  Burdach  (Reinm. 
u.  Walth.  s.  57):  „Und  wer  aus  allem  etwas  schliessen  will,  könnte  hier- 
aus (dass  er  keine  consecutivsätze  liebt),  sowie  aus  dem  seltenen  ge- 
brauche der  causalsätze  einen  schluss  machen  auf  seine  abneigung  gegen 
eine  rationalistische  betrachtungsweise  der  weit  nach  dem  gesetze  von 
Ursache  und  Wirkung,  eine  abneigung,  die  seiner  stark  ausgeprägten 
theologischen  richtung  recht  wol  entspräche."  Dagegen  wendet  Hornoff 
Germ.  23,  428  ein:  „Ehe  man  auf  eine  abneigung  unsres  dichters  gegen 
eine  rationalistische  betrachtungsweise  der  weit  schliessen  darf,  muss 
man  die  sätze  auch  auf  die  übrigen  ursächlichen  bestimmungen  hin 
untersuchen."  —  In  der  tat  haben  wir  bereits  bei  Meinloh  eine  aus- 
gesprochene neigung  zur  motivierung,  die  aber  andere  formen  als  die 
der  causalsätze  wählt,  beobachten  können.  Auch  bei  Johannsdorf  ändert 
sich  das  bilcl,  wenn  man  nicht  nur,  wie  Burdach,  wände  im  äuge  hat. 
Mit  recht  verweist  Hornoff  auf  Johannsdorfs  begründende  bestimmungen 
mit  der  präposition  durch  (86, 10.  25.  26.  87,23.  88,  2.  89,21.  95,  1.  15), 
von  (87,  31.  9),  die  finalen  dax  87,  1.  90,  10,  die  ursächlichen  fragen 
(86,  23.  93,  15.  17.  91,  2).  Diese  belege  lassen  sich  noch  vermehren: 
Burdach  berücksichtigt  nicht  das  folgernde  nil  86,  27.  89,  30.  38,  die  ex- 
plicativen  asyndesen  88,32.  94,27,  das  deutlich  causale  dax  93,27,  so 
93,23,  den  causalen  relativsatz  91,27  —  Verbindungen,  die  zu  den  von 
Hornoff  nachgetragenen  durch  dax  und  des  noch  hinzukommen.  Man 
wird  nach  alledem  Burdachs  schluss  nicht  mitmachen  dürfen,  und  es 
ist  auch  kaum  einzusehen,   warum  sich   die   betonung  ursächlicher  zu- 


CAUSALER    AUSDRUCK    IN    MSF.  337 

sammenhänge  nicht  mit  Johannsdorfs  theologischer  richtung  vereinen 
lassen  soll:  im  gegenteil  zeigen  obige  belege,  dass  der  dichter  gerade 
in  seinen  religiösen  liedern  oft  und  gern  widerholt,  warum  es  gut  ist. 
das  kreuz  zu  ergreifen,  warum  er  selbst  Gott  dienen  will  und  was  sich 
daraus  für  consequenzen  im  liebesieben  ergeben.  Nur  dass  sein  leb- 
hafter, inniger  ausdruck  statt  der  umständlichen  und  etwas  nüchtern 
wirkenden  causalsätze  öfter  und  lieber  adverbiale  und  andere,  mehr 
gelegentliche  formen  zur  mitteilung  seiner  gedanken  wählt. 

Ein  dichter  von  grosser  einfachheit  in  denken  und  ausdruck  ist 
Heinrich  von  Rugge.  Die  Schlichtheit  seiner  spräche,  sein  zurück- 
greifen auf  altertümliche  formen,  seine  anknüpfung  an  die  volkstüm- 
liche tradition  der  natureingänge,  seine  frische  lebensauffassung,  daneben 
seine  neigung  zum  spruchartigen,  didaktischen  hat  Erich  Schmidt  ge- 
kennzeichnet, und  die  Strophen,  die  in  MSF.  Rugge  gegeben  sind, 
stimmen  in  allen  punkten  zu  der  von  ihm  gezeichneten  Charakteristik. 
Mit  diesem  bilde  steht  auch  sein  besonderes  Verhältnis  zum  causalen 
ausdruck  im  einklang:  er  ist  bei  Rugges  didaktischer  richtung  nicht 
eben  selten;  der  dichter  gibt  uns  in  seinem  geistlichen  leich  nicht  nur 
gern  wisen  rat,  sondern  betont  auch,  welche  gründe  ihn  dazu  bewegen 
(96,3.  97,29),  warum  es  gut  ist,  ihm  zu  folgen  (96,23.  5.  99,11)  und 
mahnt  dazu  in  conclusiver  form  (97,  26.  9.  99,  10).  Auch  in  seinen 
minneliedern  teilt  er  uns  die  beweggründe  zu  liebesleid  und  -lust  mit: 
101,  5.  20.  103,  34.  105,  20.  107,  3.  109,  35.  110,  1.  Die  formen 
jedoch,  in  denen  sich  seine  geistlichen  und  weltlichen  reflexionen  be- 
wegen, erinnern  oft  an  die  ausdrucksweise  der  ältesten  lvrik;  neben  der 
asyndetischen  parataxe,  die  ihm  im  leich  nach  E.  Schmidts  treffendem 
ausdruck  fast  zur  manier  wird,  spielt  nü  die  hauptrolle,  das  relativ  so 
häufig  bei  keinem  anderen  dichter  zur  folgerung  verwendet  wird.  Wo 
er  hypotaxe  wählt,  kommt  wände,  dessen  ausbildung  mit  dev  ent- 
wicklung  des  minnesangs  wir  schritt  für  schritt  verfolgen  konnten,  fasl 
ausschliesslich  in  betracht,  während  bei  Rugges  sti  niemals  der  zeit- 
liche sinn  zu  gunsten  des  ursächlichen  zurückgedrängt  wird.  Die  ad- 
verbialbestimmungen  des  grundes  (17  fälle)  bilden  einen  verhältnis- 
mässig grossen  procentsatz  seiner  rnotivationsformen. 

Bernger  von  Horheim  wählt  für  Beine  reflexionen  mit  grosse] 
Vorliebe  den  concessiven  ausdruck,  in  dem  sich  der  beständig«  Zwiespalt 
seiner  empfindungen  am  besten  ausspricht;  an  concessivsätze  schliesst 
er  dann  mitunter  causalsätze  an;  er  stellt  einen  Widerspruch  auf  und 
lost  ihn  durch  eine  erklärung  oder  ziehl  eine  Folgerung  aus  einem  gegen- 
sat/.e:  vgl.  112,19  swer  im         24  doch  singe  ich  —  lösung  26:  //• 

ZKllsi  iii.iii    i     DEUTSCHE    PHILOLOOIK        BD.    XXXV,  22 


338  HKYM.WN 

die  schulde    in)  reu    diu:    du  gaelie,   mir   au   si   den    rät.    —     11.",.   1     \mU 

vcrre  ez  ist,  wil  ich,  sost  mi/r%  nähe  bi  —  begründung  5:  starc  unde 
snel  .  .  .  ist  mir  der  muot:  dwr  du:  laufe  ich  sd  baide.  —  114,10  swie 
ur  /■•.  mir  tuot,  doch  —  auflösung  18:  ich  hoffe  des.  —  114,35  nu 
uiuo:  ich  varn  und  doch  bi  ir  beltben  —  erläuterung  :'<7:  si  sol  mir 
sin  vor  allen  andern  wiben  ime  herxen.  -  112,14  daz  Ivlt  mir  mtne 
vröude  hin  —  15  doch  flize  ich  mich  —  folgerung  17:  ////  wtse  mich 
got  etc.  —  113,83  mir  ist  —  34  Mexe  ichz  dar  iimbe  —  schluss  .">";: 
durch  daz.  In  höchst  bezeichnender  weise  kommt  diese  stilmanier  im 
ersten  seiner  liedor,  112,1,  zum  ausdruck,  das  dem  Chrestien  von  Troies 
(MSF.  278)  metrisch  und  inhaltlich  nachgebildet  ist;  einmal  ist  es  über- 
haupt charakteristisch,  dass  Bernger  gerade  ein  französisches  paradoxem 
aufgreift,  welches  dem  gedanken  räum  gibt,  wie  man  ohne  Tristans 
zaubertrank  die  geliebte  noch  herzlicher  als  er  Isolden  lieben  könne; 
und  dann  ist  die  formale  Verschärfung  des  gedankengegensatzes  durch 
Berngers  verwundertes  nu  doch  zu  beachten  —  eine  Schattierung  des 
ausdrucks,  die  man  nach  dem  oben  gesagten  wol  als  eine  directe  Um- 
bildung unsres  dichters  ansehen  möchte.  —  Wenn  Veldecke  58,35  fgg. 
sich  auf  Chrestiens  strophe  bezieht  (der  ton  ist  nicht  nachgeahmt,  der 
inhalt  aber  noch  weiter  berücksichtigt  als  bei  Bernger:  die  wendung 
des  sol  mir  diu  guote  danc  wizzen  ist  Übersetzung  von  bien  en  doit 
estre  mieus  li  gres),  so  stimmt  seine  breitere  darstellung  ganz  zu 
seiner  art:  er  erklärt  umständlich,  dass  Tristan  eigentlich  wider  willen 
der  königin  treu  sein  musste,  wände  in  poisün  dar  zuo  twanc;  der 
gegensatz  zwischen  dichter  und  helden,  mit  dem  der  Franzose  einsetzt 
und  den  Bernger  so  glücklich  zuspitzt,  verliert  darnach  (59,4  —  6)  be- 
reits an  unmittelbarer  Wirkung.  Ganz  so  verfährt  Yeldecke  bisweilen 
in  seiner  Eneit  mit  dem  Koman  d'Eneas.1 

Die  wenigen  Strophen,  welche  von  Hartwig  von  Rute,  Bligger 
von  Steinach  und  dem  von  Kolmas  (der  nicht  mehr  der  frühzeit 
angehört)2  überliefert  sind,  bieten  unserer  beobachtung  nicht  viel.    Bei 

1)  Vgl.  Alexandre  Pey,  L'Eneide  de  H.  de  Veldecke  et  le  Eomau  d'Eneas, 
Jakxb.  f.  rom.  u.  engl.  Phil.  1860  s.  42:  „Si  Veldecke  abrege  le  plus  souvent  son 
modele,  il  l'amplifie  aussi  de  tenips  en  temps.  II  n'introduit  pas  d'idees  nouvelles, 
mais  il  emploie  plus  de  mots  pour  exprimer  les  memes  idees.  H  n'imagine  point  de 
faits,  iL  n'invente  pas  d'incidents.  mais  il  developpe,  il  explique  et  commente."  Ähn- 
lich Behaghel,  einl.  z.  Eneit  s.  CXLVIII. 

2)  In  den  vier  Strophen  findet  sich  neben  wan  120,  6  je  ein  strophenvermit- 
telndes nü  und  des  (120,11.21);  die  beiden  dar  umbe  (4.9)  haben  den  wert  adver- 
bialer bestimmungen.  Durch  das  kunstmittel  der  responsion  entstehen  in  dem  liede 
120, 11  eine  ganze  reihe  paralleler  begründungen  ohne  causalconjunctinnen  (ivol   im 


CAÜSALER    AUSDRUCK    IN    MSF.  339 

Hartwig  sind  neben  den  causalen  bestirnmungen  (wan  117,  9,  des 
116,24,  asyndese  116,25,  durch  116,5,  von  117,23)  die  consecutiv- 
sätze  (117,7.  11.  20.  23.  28)  hervorzuheben.  —  Bligger  von  Steinach 
legt  in  den  ersten  beiden  tönen  auf  das  ursäeh liehe  einen  gewissen  wert, 
er  hebt  den  causalnexus  dreimal  (118,  2.  16.  21)  durch  wände  hervor, 
erklärt  auch  umständlich  ich  iveiz  ivol  durch  waz  sie  mir  tuot  so  ice: 
dax  mich  etc.  118,3.  Im  dritten  tone  119,13  dagegen  kleidet  er  seine 
reflexionen  wie  die  volkstümliche  gnomik  in  spruchartige  beispiele  ohne 
anwendung  von  causalverbindungen. 

Die  parallelstellen,  welche  F.  Michel  (QF.  38)  für  das  Verhältnis 
Heinrichs  von  Morungen  zu  den  troubadours  herangezogen  hat,  be- 
ziehen sich  mehr  auf  die  Übereinstimmung  -  -  nicht  stets  entlehnung! 
—  gewisser  bilder,  ausdrücke  und  Wendungen  als  auf  die  nachbildum: 
ganzer  Strophen  in  der  weise,  dass  die  syntaktischen  formen  verglichen 
weiden  könnten.  Dass  eine  so  eigenartige  motivierung  wie  134,  32 
wan  ich  wart  durch  si  und  durch  anders  niht  geborn  eingegeben 
sein  mag  durch  ähnliche  gedanken  bei  Pons  de  Capduelh  (qu'ieu  son 
faitx  per  lei  servir  Mich.  258)  und  Guillem  de  Cabestaing  (qu'ad 
obs  de  lei  me  fai  deus  e  per  sa  valhor  Mich.  253),  das  soll  nicht 
geleugnet  werden.  Aber  solche  überall  anzutreffenden  gedanken  wie 
die,  dass  in  den  Vorzügen  der  geliebten  die  Ursache  zu  des  dichters 
liebe  liege,  können  hier  nicht  herangezogen  werden,  zumal  da  die  form 
des  ausdrucks  keine  parallelen  bietet  und  gerade  bei  Morungen  so  viel 
persönlicher  gehalt,  so  viel  unmittelbare  herzenswärme  durchbricht,  dass 
seine  dichtungen  ganz  den  eindruck  des  selbsterlebten  machen.  Morungen 
hat  gerade  im  gegensatz  zu  den  übrigen  deutschen  schillern  der  Proven- 
zalen  wenig  von  der  Conventionellen  minnedialektik.  Und  so  sind  auch 
die  themata  seiner  causalsätze  nirgends  allgemeine  betrachtungen  über 
das  wesen  der  minne  überhaupt,  wie  sie  uns  bei  den  nachahmern  dei 
Romanen  sonst  entgegentreten,  sondern  allem  anscheine  nach  der  retlex 
persönlicher  erfahrungen  und  zustände.  Dabei  ist  der  causale  satzbau 
stets  durchsichtig  und  doch  zugleich  feiner  und  differenzierter  als  bei 
allen  seinen  Vorgängern:  bei  ihm  erscheint  zum  ersten  male  dd  (125,  1) 

der  im  wirbet  etc.)  —  da  iriri  im  gegeben  —  da  ist  ganxüt  würme  —  da  ist 
rehtiit   vröude    -•    dd    niinrnt      -    dd    kau  darauf   die    Folgerung:     da    suln    wir 

hin.  Ohne  partikeln  sind  auch  die  causalsätze  1lM,!>.  sowie  1-1,  11  L2  an- 
einandergefügt Wir  halien  in  den  wenigen  Sätzen  dieses  diohters  wieder  ein  beispiel 
dafür,  dass  eine  ausgeprägt  religiöse  gedankenrichtung  causalen  gedanJcengäogen 
durchaus  nicht  widerstrebt;  vgl.  auch  die  consecutive  Verbindung  121,  L  5,  die  Ginale 
120,  22. 


340  IIKYMANN 

in  stärker  causalem  gebrauche,  bei  ihm  findet  sich  der  einzige  fall,  wo 
nü  als  hypotaktische  conjunction  rein  causa!  auftritt  (127,  15,  nach 
Lemcke)1,  und  auch  her  wmbe  129,9  verwendet  unter  den  zeitgenössi- 
schen lyrikern  nur  Morungen:  jener  individuelle  zug,  der  uns  aus  dem 

inhalte  seiner  diehtungen  so  erfreulich  entgegentritt,  ist  also  auch  in 
seinen  formen  zu  spüren. 

In  den  vier  kurzen  Strophen  Engelharts  von  Adelnburg  er- 
hält des  148,  18  erst  causalsatzfunktion,  wenn  man  die  vorangehende 
zeile  als  parenthese  auffasst  und  die  partikel  auf  die  aussage  der  voran- 
gehenden strophe  zurückbezieht;  148,12  ist  partikellose  begründung  des 
Imperativs  z.  10,  aber  auch  ärcb  /.oivov  nachsatz  zu  z.  11;  dazu  kommt 
etwa  die  wendung  durch  iuch  eren  elliu  ivip  und  deheine  schulde  me 
wan  daz  13.  23;  das  stt  z.  4  erhält  durch  den  zeitgegensatz  wart  ich 
ie  /..  1  temporalen  nachdruck:  also  nirgends  ausgeprägte  causalverhin- 
dungen;  doch  sollen  aus  dem  spärlichen  text  keine  Schlüsse  gezogen 
werden. 

Um  so  reichlicher  fliesst  das  material  bei  Reinmar  dem  Alten, 
der  wie  kein  zweiter  unter  den  lyrikern  aus  des  minnesangs  frühzeit 
die  liebesdialektik  auf  die  spitze  treibt  und  die  feinsten,  flüchtigsten 
regungen  des  innen lebens  festzuhalten  trachtet.  Es  ist  nur  natürlich, 
wenn  bei  ihm  auch  die  erörterung  über  Ursache  und  Wirkung  im  liebes- 
ieben ihren  vollen  ausdruck  findet,  und  zwar  noch  mehr  in  jener  gruppe 
von  gedichten,  die  man  als  des  dichters  zweite  periode  zusammenfasst, 
als  in  den  älteren  liedern,  wo  auch  der  satzbau  einfacher,  die  asyndese 
häufiger,  die  conjunctionen  seltener  sind.  Neben  den  causalsätzen ,  den 
stehenden  formein  von  schulden,  von  rehte,  äne  schulde  etc.  (18)  und 
den  adverbialen  grundbestimmungen  (25)  kommen  vor  allem  jene  fragen 
nach  der  Ursache  von  erscheinungen  in  betracht,  die  Dietmar,  wie  wir 
sahen,  in  den  minnesang  einführte,  und  die  für  Reinmar,  besonders  in 
seinen  späteren  liedern,  geradezu  typisch  wurden:  er  forscht  in  ihnen 
entweder  nach  den  gründen  der  Widersprüche  in  seinem  eigenen  ich 
(163,  32.  164,  24.  174,  33.  179,  23.  197,  26.  201, 19)  oder  sucht  die  motive 
zu  dem  rätselhaften  verhalten  der  geliebten  auf  (189;  15.  162,16.  190,3. 
32),  legt  auch  anderen  personen,  die  sein  Seelenleben  nicht  verstehen, 
solche  verwunderte  fragen  in  den  mund  (150,22.  183,10.  188,12.  20); 
ja,  der  dichter  unterbricht  sich  selbst,  mitten  im  gedankengange,  weil 
er  sich  plötzlich   erstaunt  des   Widerstreites  der  empfindungen  bewusst 

1)  Textkritisehe  Untersuchungen  zu  den  liedern  Heinrichs  von  Morungen  (Jena 
und  Leipzig  1897)  s.  35;  vgl.  meine  diss.  s.  39. 


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341 


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.'512  HEYMANN,    CAU8ALBH    AU8DBDCE    IN    MBF. 

wird,  mit  solchen  fragen  (193,17.  195,25.  199,9).  Auch  in  seinen 
eigentlichen  causalsätzen  ist  das  thema  mitunter  eine  rechenschaft  über 
das  erstaunen,  das  bei  ihm  und  anderen  über  sein  liebesverhalten  her- 
vorgerufen wird:  Hiß,  18  —  20.  180,28.  201,21.  Gern  motivier!  er, 
ausser  seinen  hoffnungen  und  klagen,  seine  resignation,  und  dazu  ver- 
wendet er,  neben  wände,  mit  wachsender  häufigkeit  sit  (—  quoniam). 
Bei  alledem  hat  Reinmar  doch  nicht  die  Vorliebe  für  den  causalsatz, 
die  wir  bei  Veldecke  und  Fenis  angetroffen  haben:  in  dem  masse,  wie 
das  als  tatsächlich  dargestellte  bei  ihm  zurückgedrängt  wird  von  dem 
gedanken  an  das  blos  hypothetisch  gesetzte,  treten  die  causalsät/.e  zu- 
rück hinter  den  conditionalen,  die,  wie  allgemein  anerkannt,  das  vor- 
züglichste stilmittel  Reinmars  bilden. 

Manche  anklänge  an  Reinmar  hat  Burdach  (s.  54.  120.  104  anm.) 
in  den  liedern  Hartmanns  von  Aue  nachgewiesen.  Vielleicht  liegt 
auch  in  den  ursächlichen  fragen  213,9.21.  218,28  Reinmars  einfluss 
vor.  Aber  die  ganze  geistesrichtung,  die  selbstquälerische  manier  und 
gefühlszerfaserung  Reinmars  ist  doch  dem  dichter  der  mäxe  fremd,  der 
sich  zu  der  devise  bekennt:  swax  mir  geschiht  xe  leide,  so  gedenke  ich 
iemer  so:  nü  lä  varn,  ex,  solte  dir  geschehen;  schiere  kumet,  dax  dir 
gefrumet.  In  der  form  solcher  Sentenzen,  wie  sie  aus  seinen  epen  wol- 
bekannt  sind,  liebt  es  Hartmann  überhaupt,  seine  reflexionen  auszu- 
sprechen (vgl.  206,19  —  21.  211,27  —  28.  35  —  36.  212,20.  214,9—11. 
12fgg.  216,12  u.  ö.).  Er  pflegt  dann  solche  allgemeinen  sätze  auch  zur 
motivierung  zu  verwenden  und  sich  dann  der  conjunetion  sit  (205, 15. 
212,  15.  217,  35)  zu  bedienen,  die  auch  sonst  bei  ihm  relativ  am 
häufigsten  auftritt,  Seiner  etwas  lehrhaften  natur  sind  neben  den 
causalsätzen  auch  die  adverbialen  grundbestimmungen  (14  fälle)  will- 
kommen. 

Zur  Unterstützung  dieser  beobachtungen  diene  die  vorstehende 
statistische  Zusammenstellung  der  als  causal  aufgefassten  Satzverbin- 
dungen. Die  Ziffern  über  die  häufigkeit  der  einzelnen  satzpartikeln  sind 
für  die  tabelle  über  para-  und  hypotaxe  nicht  bestimmend,  da  viele 
causalsätze  mehrfache  einleitungen  haben  (z.  b.  216,17  sit  erx  ivol  ge- 
dienet hat,  da  von  so  danket  mich  sin  btten  alxe  lanc).  Da  die  ver- 
schiedenen anknüpfungen  durchaus  nicht  alle  und  nicht  an  jeder  stelle 
von  der  gleichen  causalen  kraft  sind,  so  werden  die  blossen  zahlen 
überall  erst  durch  den  vergleich  mit  den  vorstehenden  ausführungen 
über  die  einzelnen  dichter  gewertet. 

BERLIN.  JAMKS    HEYMANN. 


BERNHAIIDT,    BE1TKÄGK    ZUR    MHD.   SYNTAX  3-43 

BEITRÄGE  ZUR  MITTELHOCHDEUTSCHEN  SYNTAX. 
II.   Vom    unpersönlichen    zeitwort. 

Meine  Untersuchung  über  das  fehlen  des  subjectpronomens  im  mhd.1 
führte  mich  auf  die  frage,  wie  es  mit  dem  ex,  der  unpersönlichen  Zeit- 
wörter stehe,  und  somit  auf  diese  Zeitwörter  überhaupt.  Die  ergebnisse, 
zu  denen  ich  kam,  weichen  von  den  angaben  der  grammatiken  vielfach 
ab,  und  dies  bestimmte  mich  den  an  sich  unscheinbaren  gegenständ  zu 
besprechen.  Meine  beobachtungen  erstreckten  sich  auf  folgende  dich- 
tungen:  das  Nibelungenlied,  das  ich  nach  der  ausgäbe  von  Bartsch 
(Leipzig  1875,  4.  aufläge)  citiere;  den  Parzival,  Iwein,  Walther  von  der 
Vogel  weide  (diese  sind  nach  Lach  mann  citiert);  dazu  kamen  Bertholds 
predigten  herausgegeben  von  Pfeiffer  (Wien  1862)  und  von  Strobl  (Wien 
1880).  Auf  das  nhd.  sind  vergleichende  blicke  geworfen.  Trotz  dem 
verhältnismässig  geringen  umfang  dieser  quellen  glaube  ich  von  dem 
mhd.  Sprachgebrauch  der  guten  zeit  ein  zutreffendes  bild  gegeben  zu 
haben.  Es  sind  im  folgenden  alle  unpersönlichen  verba  und  ausdrücke 
besprochen,  die  in  den  erwähnten  schriften  vorkommen,  ferner  das  un- 
persönliche passivum,  und  diejenigen  Zeitwörter,  die  scheinbar  subject- 
los  stehen,  indem  ein  nebensatz  das  logische  subject  bildet.  Die  citate 
sind  in  der  Schreibweise  der  mir  vorliegenden  ausgaben  gegeben. 

Grimm  gibt  im  4.  bände  der  Grammatik  von  s.  227  an  ein  reich- 
haltiges Verzeichnis  der  impersonal ia.  Über  die  Setzung  und  weglassung 
des  ex  heisst  es  s.  252:  „Durch  vorschiebung  des  persönlichen  pro- 
nomens  wird  jedesmal  das  unbestimmte  neutralpronomen  (ex)  unnötig: 
mir  mangelt  =  es  mangelt  mir,  mich  dünkt  =  es  dünkt  mich,  obgleich 
die  widerholung  nach  dem  verbo  zulässig  (nicht  erforderlich)  ist:  mir 
mangelt  es,  mich  dünkt  es.  Impersonalia,  die  kein  persönliches  pro- 
nomen  begleitet,  müssen  das  es  schon  seit  dem  ahd.  immer  behalten: 
es  tagt,  es  scheint."  Abgesehen  von  der  letzten  bemerkung.  die  nicht 
ohne  einschränkung  richtig  ist,  bezieht  sich  Grimms  regel  mehr  auf  die 
jetzige,  als  auf  die  ältere  spräche;  jedesfalls  triff!  sie  für  diese,  wie  wit- 
schen werden,   nicht  zu. 

Erdmann  gibt  über  den  mhd.  gebrauch  in  den  (inindzügen  der  deut- 
schen syntax  §6  folgende  regeln:  ,,a)Bei  allein  stehendem  verbum  immer 
schon  ex.  b)  Vor  abhängigem  nebensatz  kann  c:  noch  fehlen,  e)  Neben 
obliquem  casus  fehlt  e%  gewöhnlich.  —  Doch  findet  sieh  auch  sehen  >  &." 

Paul  sagt  in  der  Mlid.  grainniatik  £  107:  „l>as  c.  fehlt  wie  im 
nhd.  dann,    wenn    irgend    eine    bestimmung    dein    verbum    vorangestellt 

J)  Zeitsckr.  3ä,  L45. 


344  BERNHARDT 

wird,  /..  I).  mich  hungert }  aber  < -.  hungert  mich;  aber  auch  nach  und 
ist  es  entbehrlich."  In  der  vorausgehenden  anmerkung  heisst  es:  „Keine 
ausnähme  von  der  rege!"  (dass  nur  in  wenigen  lullen  die  weglassung 
des  subjectpronomens  gestattet  ist)  „ist  es,  wenn  das  subject  statt  des 
nomens  durch  einen  satz  gebildet  wird." 

Ich  glaube  auf  grund  meiner  beobachtungeu  (U-n  mhd.  gebrauch 
genauer  bestimmen  zu  können:  es  gibt  eine  anzahl  von  verben  und  aus- 
drücken,  die  des  ex  nicht  entbehren  können,  gleichviel  ob  ein  casus 
obliquus  oder  ein  anderer  zusatz  dabei  steht  oder  nicht.  Sie  haben  einen 
gewissen  begriff  gemeinsam.  Die  übrigen  regelmässig  oder  gelegentlich 
unpersönlich  gebrauchten  verba  und  ausdrücke  haben  dies  ex  nicht; 
auch  sie  haben  meistenteils  in  der  bedeutung  etwas  gemeinsames.  Aller- 
dings gestattet  sich   der  Sprachgebrauch   hier   und  da  eine  abweichung. 

Von  dem  jener  ersten  gattung  der  Impersonalia  anhaftenden  ex 
sind  aber  vier  andere  arten  des  ex  zu  unterscheiden,  denen  sich  unsere 
Untersuchung  zuerst  zuwenden  muss;  ich  bezeichne  sie  der  kürze  wegen 
mit  ex 1 ,  ex  2 ,  ex  3 ,  ex  4 1. 

1.  Ex  \  vertritt  einen  bestimmten  vorher  erwähnten  begriff,  Sub- 
stantiv oder  verbum,  z.  b.  Pz.  540,  14  sit  ex  (das  ross)  xe  rtten  im  ge- 
schach,  wo  ex  nominativ  ist;  Nib.  1511  Hagene  riet  die  reise,  ex  (das 
raten)  gerou  in  sit. 

2.  Ex  2.  Nach  einem  bekannten  mhd.  und  nhd.  Sprachgebrauch, 
dessen  anfange  im  ahd.  vorliegen  (s.  Erdmann,  S}Tntax  Otfrids  II  §  107), 
wird  ex  als  unbestimmtes  object  manchen  verben  beigefügt,  wul  meist 
im  sinne  des  sogenannten  inneren  objects,  z.  b.  ex  guot  tuon,  ex  rümen, 
ex  scheiden,  vgl.  Grimm  IV,  333,  Paul  §  220,  Müller-Zaracke,  Mhd. 
Wörterbuch  I,  436  b,  und  für  das  nhd.  Grimms  Wörterbuch  unter  es 
sp.  1117.  Wandeln  sich  nun  solche  ausdrücke  ins  passiv,  so  ergibt 
sich  ein  nominativisches  ex,  das  mit  dem  ex  beim  unpersönlichen  passiv 
ähnlichkeit  hat,  aber  davon  zu  unterscheiden  ist  und  deshalb  hier  in 
betracht  kommt.  Übrigens  ist  dies  ein  seltner  gebrauch,  für  den  ich 
wenige  belege  anzuführen  weiss.  Neben  dem  häufigen  ex  guot  tuon 
steht  Pz.  70,  7  ex  wart  da  guot  getan  von  manegem  küenen  armman, 
ebenso   379,  2.   388,  6,    vgl.  384,  20.      Zu   dem    activen   ex   versuochen 

1)  Mit  diesen  fünf  arten  meine  ich  keineswegs  die  anwendungen  dieses  füiworts 
erschöpft  zu  haben;  es  handelt  sich  hier  nur  um  nominativisches  ex,  soweit  es  mit 
dem  der  impersonalia  verwechselt  werden  kann  und  verwechselt  worden  ist.  Manche 
andere  gebrauchsweisen  verdienen  vielleicht,  auch  nach  Grimms  ausführlicher  be- 
handlung  im  Wörterbuch,  eingehende  Untersuchung:  es  ist  mein  brucler;  schon  um 
die  linde  war  es  roll;  es  Jdopfl ;  hinter  den  ofen  gebannt,  schwillt  es  wie  ein 
elephant. 


BEITRÄGE    ZUR    MHD.   SYNTAX  345 

(MZ.  II,  2,  IIb)  stellt  sich  Pz.  504,  29  ex  ivurde  doch  versuochet  an  si, 
zu  ex  scheiden  744,  21  ex  ist  noch  ungescheiden,  zu  Berth.  I.  138,  35. 
II,  104,  1  ir  sali  ex  also  schaffen,  482,  30  so  ist  ex  geschaffet  wmbe 
den  stric  des  tiuvels;  zu  ex  wägen  (Lexer)  II,  273,6  so  ist  ex  gewäget 
umbe  dich. 

3.  Ex  3  ist  für  unsere  Untersuchung  von  grösserer  Wichtigkeit  und 
von  dem  ex  der  Impersonalia  nicht  immer  leicht  zu  scheiden.  So  be- 
zeichne ich  dasjenige  ex,  das  dem  den  satz  beginnenden  verbum  vor- 
geschoben wird,  während  das  subject  nachfolgt:  ex  tvuohs  in  Bürgenden 
ein  vil  edel  magedin.  Hiervon  handeln  Grimm  IV,  223.  274  und  Erd- 
mann, Grundzüge  §  94.  211.  In  der  erklärung  dieser  erscheinung 
gehen  sie  aus  einander:  Erdmann  möchte  in  diesem  ex  einen  accusativ 
sehen.  Wie  es  sich  damit  auch  verhalte,  jedesfalls  dient  dies  ex  dem 
satz  die  gestalt  einfacher  aussage  zu  geben,  da  sonst  die  voranstellung 
des  Zeitworts  frage  oder  bedingung  anzeigen  würde;  es  ist  ein  rein 
formales,  an  sich  bedeutungsloses  hilfsmittel  des  satzbaus.  Erdmann 
macht  in  §  211  auf  die  eigentümliche  tatsache  aufmerksam,  dass  dies 
im  ahd.  nicht  sicher  nachweisbare  ex  im  mhd.  nicht  entbehrt  werden 
kann,  aber  im  nhd.  fehlen  darf;  vgl.  auch  aus  dem  Faust  Sind  herr- 
liche löiventhaler  drein;  kommt  der  Puck  und  dreht  sich  quer  usw. 

Es  besteht  zwischen  mhd.  und  nhd.  noch  ein  anderer  unterschied: 
reflexive  Zeitwörter,  mit  vorangehendem  sich,  beginnen  im  mhd.  ohne 
ex  den  satz:  Nib.  130  sich  vlixxen  kurxwile  die  künege,  2084.  2122; 
Pz.  117,  7  sich  xöch  diu  frouwe  jämers  bull  m  ir  lande  in  einen  walt, 
525,6.  529,2.  798,29;  Iw.  3869  sich  bot  der  leivc  an  sinen  vuox, 
7235;  Wa.  96,  9  sich  ivcenet  maneger  ivol  hegen;  Berth.  II,  102.  II 
sich  erbarmet  dax  kiut  über  den  vater  niht;  246,  14  sieh  nämen  du 
heideu  au. 

4.  Ex  4.  Es  ist  eine  eigenheit  der  mhd.,  zum  teil  auch  der  nhd. 
spräche,  dass  nebensätzen,  namentlich  solchen  mit  tbr. .  ein  an  sich 
inhaltloses  ex,  dax,  es,  des,  dem  vorausgeht.  Das  Sprachgefühl  begehrt 
sogleich  grammatische  Vollständigkeit  des  satxr>:  zunächst  treten  als 
subject  oder  objeet  jene  fürwörter  ein,  denen  der  nebensatz.  Dach  art 
einer  apposition   angefügt,    inhalt  gibt1.     Die  abhängigkeit   des   neben- 

I)  Damit  ist  ein  anderer  Sprachgebrauch  zu  vergleichen;  auch  das  substan- 
tivische subject   oder  objeet    kann  zunächst  durch   ein   fürwort   ausgedrückt   werden, 

dem  in  apposition  die  genaue  bezeichnung  folgt:  Wh  60,2  mliin  und  krisolte  driif 
rentieret,  als  $i  wolte,  Gyburc  diu  wtse;  170,  28  In  sin  gebot,  mins  bruoder; 
Pz.  806,20  der  »/">/   im  te  tohter  jach,   von  l>'iil  Jemtse;    253,  20  ob  in  sin  tonn 

/"". rl ,   ihn   eil  friu-njcH   man   usw. 


346  BEBMUAUÜT 

satzes  ist  <>ft  nur  eine  logische  und  sprachlich  nicht  bezeichnet,  z.  b. 
I\\.  2485  ex  schind  noch  —  sin  redt  was  nach  wine;  Nil).  1044  ml 
dickt  i  '.  noch  geschiht :  swä  man  den  mortmeilen  bi  dem  töten  siht, 
so  bluoten  im  die  wunden;  Iw.  6997  ouch  si  in  da%  für  war  geseit: 
,  i  /ryv/  r////  gewonheit  einen  lagehaften  man,  da:  er  getar  unde  kan 
Im:  vehten  danne  ein  küener  degen.  In  diesem  falle  ist  e\  uder  dax 
nicht  wul  entbehrlich,  während  sonst  der  zusatz  dieser  fürwörtei  keines- 
wegs notwendig  ist.  Hartman  im  Iwein  und  Berthold  sind  freigebiger 
damit  als  Wolfram,  das  Nibelungenlied  und  Walther;  am  seltensten 
fehlt  des.  Zwischen  ex  und  daz  ist  der  unterschied  geringer  als  im 
nhd.;  im  nominativ  überwiegt  ex,  im  aecnsativ  dax.  Steht  ex  zu  anfang 
des  satzes,  so  ist  es  von  ex  3  nicht  leicht  zu  unterscheiden,  vgl  Iwein 
6998  ex  ISret  diu  gewonheit  einen  xagehaften  man,  dax  —;  2101  ex 
dunket  mich  guot  und  gan  iu  wol,  dax  —;  8062  e  i  wolte  unser  herre 
Krist,  dax  er  so  gähes  runden  wart;  doch  ist  mir  an  diesen  stellen 
ex  4  wahrscheinlicher  als  ex  3. 

Ich  gebe  einige  beispiele,  aus  denen  hervorgeht,  dass  zwischen 
ex  und  dax  kaum  ein  unterschied  ist,  und  dass  in  gleichen  oder  ähn- 
lichen fügungen  das  fürwort  bald  steht,  bald  fehlt. 

F.:  und  dax  im  nominativ.  Iw.  2139  dax  ex  im  lange  wumt, 
ob  er  — ;  561  waz  vrumt  ob  ich  iu  mere  sage;  Pz.  29,  11  ex  müet 
si,  deix  niht  beleip;  Iw.  2831  mich  müet  dax  — ;  Pz.  737,  18  den 
künec  dax  müete,  dax  — „•  Nib.  1202  ob  ex  sine  möge  dühte  guot 
getan  dax  — ;  1207  ob  die  herren  beide  dühte  guot  getan  dax  — ; 
Berth.  I,  383,  10  und  also  geschiht  ex  dax  — ,•  Im.  3494  ob  dax  ge- 
schiht dax  — ;  Berth.  31,  35  geschiht  aber  dax  ex  xe  priesters  handen 
niht  körnen  mac.  Hier  möge  des  häufigen  conditionalen  ist  (si,  irrere) 
dax  --  'wenn  es  geschieht,  der  fall  ist,  dass'  gedacht  werden,  z.  b. 
Pz.  721,  1  si  dax  er  ir  minne  ger;  Iw.  6674  und  ist  dax  si  betrouc 
ir  wan;  Wa.  91,  35  ist  aber  dax  dir  ivol  gelinget.  Der  satz  mit  dax 
bildet  das  subjeet;  nur  bei  Berthold  wird  ihm  nicht  selten  ex  4  oder 
dax  vorgeschoben:  I,  27,35  ist  ex  halt,  dax  — ;  ebenso  123,23.  104,3. 
165,  31  usw.  Seltener  ist  dax:  I,  39,  2  ist  dax,  dax  — ,  vgl.  413,  3 
obe  dax  ivcere,  dax  — .  Statt  des  ex  oder  dax  kann  dinc  eintreten: 
I,  162,  36  ivcere  aber  ein  dinc,  dax  — ;  554,  37  und  ist  aber  ein  dinc, 
dax  — .  Ebenso  276,14.  342,  31.  351,  36.  445,  6.  570,  35.  Doch  steht 
auch  bei  Berthold  gewöhnlich  einfaches  ist  dax  — . 

Ex  und  dax  im  aecusativ.  Iw.  4095  und  weix  ex  ouch  als  minen 
tot,  weste  ir  ietiveder  mine  not,  er  Jweme  und  vcehte  für  mich;  4877 
ich  weix  ivol  dax  — ;  Berth.  I,  60,4  man  liset  ex  niht,  dax  — ;  480,36 


beiIrage  zur  mhd.  sy.htax  347 

ivir  lesen  niht  dax  ander  gemeinen  Sünden,  dax  — .  Nicht  selten  geht 
dax  dem  dax  des  nebensatzes  unmittelbar  voraus,  wie  Iw.  5235  ich  rät 
iu  dax,  dax  — ,•  Wa.  99,  10  da  von  sol  man  uixxen  dax,  dax  — . 

Des  hängt  von  einem  Substantiv  ab,  z.  b.  Berth.  I,  100,  20  dar 
umbe  haben  ivir  des  reht,  dax  — ,  oder  von  einem  adjectiv,  wie  Iw.  2167 
si  sint  des  vil  uro,  dax  — ,  oder  von  einem  zeitwort,  wie  Iw.  996  dax 
in  des  dühte,  dax  — „•  3850  doch  vorht  er  des,  dax  — .  Doch  stehen 
dünken  und  fürhten  häufiger  ohne  des;  in  andern  fügungen  fehlt  es 
nicht  leicht,  doch  vgl.  Iw.  3844  dax  er  den  lewen  des  betwanc,  da% 
er  —  schre,  und  5586  in  betivunge  diu  not  dax  — .  Es  ist  seltener 
als  des:  Iw.  6910  ob  es  niht  rät  ivcere,  ir  einer  wurde  erslagen;  2344 
es  wundert  mine  sinne,  teer  iu  geriete  diseu  wän;  Berth.  I,  454,  22 
ich  wil  es  gesivigen,  dax  — . 

Deme  habe  ich  nur  in  Verbindung  mit  gelich  gefunden:  Iw.  6620 
sone  bin  ich  niender  deme  gelich,  dax  ich  ir  mähte  xenicu;  Berth.  I. 
542, 38  ex  tuont  manege  Hute  deme  gelich,  dax  — ,•  vgl.  Wh.  73, 2.  192.  7. 
Wa.  120,  30. 

Die  jetzige  spräche  verbindet  mit  dem  den  nebensat/.  vorbereiten- 
den das  stärkere  demonstrative  kraft  als  das  mhd.:  das  sage  ich  dir, 
dass  — .  Des  (dessen)  kommt  noch  vor:  ich  freue,  getröste  »/ich  dessen, 
dass  — .  Es  (genitiv)  erscheint  noch  in  spuren,  wird  aber  kaum  als 
genitiv  gefühlt:  ich  bin  mirs  bewusst,  dass  — ;  dank  dirs  dir  fcufcl, 
dass  — ;  ich  erinnere  michs,  dass  — .  Dagegen  hat  es,  nominativ  und 
aecusativ,  sich  weiter  ausgedehnt  und  wird  weniger  leicht  entbehrt: 
doch  ist  es  jedem  eingeboren,  dass  sein  gefühl  hinauf  und  vorwärts 
dringt;  es  scheint,  dass  ihr  uns  nicht  kennt;  ich  halt  es  öfters  rühmen 
hören,  ein  komödiant  köun'  einen  pfarrer  lehren;  ich  fühl  es  wohl, 
dass  mich  der  herr  nur  scliont. 

Dem  mhd.  fremd  ist  eine  heutzutage  sehr  verbreitete  fügung:  einem 
infinitiv  mit  zu,  der  das  logische  subjeet  bildet,  pflegt,  wenn  er  den 
satz  schliesst,  es  voranzugehen,  z.  b.  es  ist  gar  hübsch  von  einem 
grossen  herrn,  so  menscJilieh  mit  dem  teufel  seihst  •.//  sprechen;  ist 
es  erlaubt,  uns  auch  \u  euch  :n  setzen.  Geht  der  infinitiv  voran.  BO 
steht  kein  es:  mit  euch,  herr  doctor,  tu  spazieren  ist  ehrenvoll  and 
ist  gewinn.  Beiläufig  sei  bemerkt,  dass  der  infinitiv  (gerundium)  mit 
\r  im  mhd.  als  subjeet  des  satzes  /.war  nicht  unerhört,  aber  selten  ist: 
Wh.  35,  28  dem  :e  ringen  tobte,  7gl.  M  X.  1 1 1 ,  5  I  b :  [w.  330  du  uns 
xe  scheidenne  geschach;  Nib.  2107  im  treme  niht  te  dagene;  L558 
liep  dir  si  \e  lebene. 


348  nKRNIIARDT 

1.   Unpersönliche   vcrba   und   ausdrücke  mit  ex. 

Die  bisherige  erörterung  war  notwendig,  um  den  umfang  des- 
jenigen ex  zu  bestimmen  und  zu  begrenzen,  das,  von  jenen  vier  ver- 
schieden, einer  anzahl  unpersönlicher  verba  und  ausdrücke  anhaftet. 
anabhängig  von  der  Wortstellung  und  gleichviel,  ob  irgend  welche  Zu- 
sätze, wie  casus  obliquus,  vorhanden  sind.  Sie  bezeichnen  natur- 
erschciniinv.cn,  stand  und  verlauf  der  zeit,  begebcnhciten  und  zustande. 
vielfach  unter  dem  bilde  einer  bewegung  oder  einer  ruhe  (stau),  immer 
ein  geschehen  oder  sein,  das  an  den  menschen  von  aussen  herantritt, 
oder  ihn  umgibt;  ihr  subjeet  ez  deutet  eine  macht  an,  von  der  dies 
ausgeht,  und  die  nicht  benannt  werden  kann  oder  doeh  nicht  benannt 
ist.  Nicht  selten  tritt  in  gleicher  fügung  das  wort  dinc  (Schicksal,  läge) 
an  die  stelle  des  ez. 

Naturerscheinungen  bezeichnet  entweder  ein  einfaches  verbum 
oder  ein  zusammengesetzter  ausdruck,  immer  mit  ex  verbunden.  In  den 
von  mir  durchgesehenen  Schriften  finden  sich  folgende  verba:  tagen, 
ertagen,  kuolen,  regenen;  Pz.  588,  8  dö  begundez  liuhten  vorne  tage; 
Berth.  I,  244,  35  ex  witer  übel  oder  guot.  Von  zusammengesetzten  aus- 
drücken führe  ich  an  Nib.  1849  ez  ist  vil  schiere  tac;  Pz.  704,  30  dö 
was  ez  höhe  ilf  den  tac;  679,  29  ez  ivas  ivol  mitter  morgen;  702.  28 
dö  was  ez  naht  und  släfes  zit;  Nib.  1622  e  ex  iverde  tac;  Iw.  273  dö 
ez  an  den  r'/bent  gienc;  Pz.  702,  11  dö  begundex  nähen  der  naht.  Von 
der  Jahreszeit:  Berth.  I,  271,  26  ex  si  winter  oder  sumer;  vom  werter: 
ebenda  ex  si  guot  weter  oder  bozsex;  244,  36  ex  si  hagel  oder  niht; 
244,  35  ex  si  hisezze  (miswachs)  oder  niht;  Pz.  120,  5  ez  weere  ceber 
oder  sne;  161,  11  ez  weere  kalt  oder  heiz;  249,  13  ex  ivas  dannoch 
von  touwe  naz.  Auch  der  schall  kann  als  naturerscheinung  gelten: 
Iw.  301  da  sluoc  er  an,  daz  ez  erhal  und  dax  ex  in  die  burc  erschal; 
vgl.  im  Faust  höre,  ivie's  durch  die  wälder  kracht. 

Mit  dem  ex  bei  verben  der  naturerscheinung  ist  nahe  verwandt 
das  ex  bei  ausdrücken  vom  stand  und  verlauf  der  zeit,  wohin  man  ja 
manches  eben  angeführte  beispiel,  wie  ex  ivas  wol  mitter  morgen,  rechnen 
kann.  Ich  beschränke  mich  auf  wenige  belege:  Pz.  57,  29  nü  ivas  ex 
über  des  järes  zil;  Wa.  16,  18  so  ez  ist  an  dein  testen  tage;  Iw.  3057 
unz  ez  ein  ander  jär  gevienc  und  vaste  in  den  ouwest  gienc;  Nib.  631 
ja  was  ez  noch  unnähen,  daz  si  wurde  stn  wip;  Pz.  660,  3  ex  ist 
laue,  dax  mir  fi'eude  enpfiel;  763,  26  unlange' x  dar  nach  gestet,  unx  — ; 
555,  17  dennoch  ivas  ex  harte  fruo;  Berth.  I,  271,  26  ex  si  heilic  (fest- 
tag)  oder  niht;  Pz.  448,  7.  470,1  e\  ist  Mute  der  karfrUac.  An  einigen 
dieser  stellen  kann  man  auch  an  ez4:  denken. 


BEITRÄGE    ZUR    MHD.  SYNTAX  349 

Nicht  ganz  selten  fehlt  bei  diesen  ausdrücken  der  zeit  das  ez,  so 
nach  unde  Iw.  5812  do  man  ir  ze  gemache  tete  swax  man  guotes 
mohte  —  und  nach  ezzenne  tvart;  Wa.  60,  3  du  ivilt  sere  galten,  and 
ist  vil  unnähen  duz  — ;  ferner  wenn  des  dabei  steht:  Wa.  23,  11  des 
ist  manec  jär;  Pz.  584,  6  ob  iuch  des  dühte  niht  ze  fruo,  743,  24; 
733,22  von  de?'  ich  schiet,  des  ist  ze  lanc.  Doch  auch  sonst  zuweilen: 
Iw.  303  dar  nach  ivart  vil  unlanc  unz  — ,•  Pz.  708,  17  mirst  morgen 
atze  fruo,  sei  ich 

Das  Substantiv  ztt  in  Verbindung;  mit  ivesen,  werden,  dünken  wird 
nieist  so  construiert,  dass  ztt,  mit  einem  genitiv  verbunden,  subjeet  ist, 
z.  b.  Pz.  509,  26  iwers  ritens  ivcere  von  mir  zit.  Doch  kann  ztt  auch 
prädicat,  ez  subjeet  sein:  Pz.  281, 14  ez  enwas  niht  sneives  ztt;  702,  28 
nü  was  ez  naht  und  släfes  ztt;  784,  23  nü  ivas  e%  auch  ztt,  daz  — ; 
821, 14  nü  was  ez  ouch  Urlaubes  zit  (nur  cod.  D  hat  ez);  Berth.  I,  569,  21 
sivenne  ez  in  nü  zit  dunket. 

Verba  der  bewegung,  die  bildlich  ein  geschehen  ausdrücken, 
pflegen  schon  im  ahd.  des  iz  nicht  zu  entbehren,  s.  Erdmann,  Syntax 
Otfrids  II  s.  65. 

Oän:  Nib.  1606  do  gie  e%  an  ein  striten;  Nib.  904  so  ex  an  die 
herte  gät;  Pz.  79,  20  dö  gienc  ez  ü\  der  lande  spil;  263,  8  ex  ge  :< 
schade?/  oder  ze  frumen.  Mit  dem  dativ  der  betroffenen  person  ver- 
bindet es  sich  in  Wendungen  wie  Nib.  423  ez  gät  in  allen  an  ä\ m  Itp. 
Neben  an  den  lip  findet  sich  an  sin  lebe?/,  an  min  herze,  an  stn  ere, 
an  die  triuive.  Berthold  setzt  gern  dinc  an  die  stelle  des  ez:  I,  68,29 
unde  get  im  sin  dinc  als  rehte  unde  als  wol;  ebenso  230,  IS.  24. 
385,29.  544,39.  559,  3.  Nur  scheinbar  steht  ohne  ex  355,  12  ////  ge 
als  ez  müge,  da  das  ez  im  nebensatz  auch  für  ge  gilt. 

Wie  gän  hat  u??ibe  gän  das  ez  bei  sich:  Nib.  1930  ir  sehet  wol 
ivie  ez  ivil  umbe  gän  'welche  wendung  die  sache  nimmt';  ebenso  2140. 

Ergän  verbindet  sich  oft  mit  einem  bestimmten  subjeet,  wie  Nib. 
1535  wie  iu  disiu  hovereise  ergät.  Subjeet  ist  dinc  Pz.  12,  2  swie  hall 
mir  min  dinc  ergät,  ebenso  Wh.  39,28.  An  die  stelle  eines  erwähnten 
begriffs  kann  ex  1  oder  daz  treten:  Nib.  1592  nü  grifet  balde  :/t<>,  ob 
(lelpfnit  and  Else  hinte   hie  beste  unser   ingesinde,   da  \   e\  (dieser  kämpf) 

in  schedelich  erg§;  IV..  390,  18  da:  (Meljanz'  gefangennähme)  was  im 
liehe  ergangen.  Einen  nebensatz  bereitet  e:  1  vor:  Nil>.  1527  <  i  ergit 
den  Nibelungen  w  gröxen  sorgen,  wie  si  kaemen  übere.  Daneben  steht 
die  häufige  unpersönliche  anwendung  mit  dem  dativ  und  ex.  Nib.  1  181 
ez  mac  ir  leide  ergän;  Pz.  407,  30  gencedecUchex  Uhte  ergit;  521,23 
/rie  ergienge\    dir.     Beginnt   der  satz  mit   unde,   so   kann   e\    leiden,   wie 


350  BKRNHARriT 

Iw.  6814  und  wäre  iu  ivol  ergangen,  dax  ich  iu  so  willec  bin.  Im 
[wein  findet  sich  zweimal  ergä/n  mit  umbe:  3145  ex  wcere  muh  vuch 
ergangen  'es  wäre  um  euch  geschehen  gewesen';  8297  nach  unde 
ohne  ex. 

Bei  missegän  schwankt,  auffallenderweise  der  gebrauch.  Berthold 
hat  das  wort  mit  ez:  I,  G,  2!»  sö  künde  ez  in  niemer  missegän  an  Itbe 
noch  an  sele,  ebenso  164,  23.  Im  Iw.  4126  liest  Lachmann  daz  ez  ir 
sö  missegangen  ist,  doch  fehlt  ex  in  den  meisten  Handschriften.  Lexer 
führt  im  Mhd.  wörterbuche  noch  mehrere  andere  stellen  mit  ex  an. 
Gewöhnlich  aber  steht  es  ohne  ez:  Nib.  17  sone  kan  mir  niemer 
missegän;  Iw.  1130.  4056.  4059.  5071;  Wa,  55,  25  mir  missegie,  do 
ichs  eine  bat.  Ward  vielleicht  das  Substantiv  misse  (Pz.  465,  24)  als 
subject  empfunden,  oder  bewirkte  die  analogie  von  misselingen  das 
fehlen  des  ez? 

Wie  gän,  ergein  steht  auch  rarn  mit  ex,  doch,  soviel  ich  sehe 
nicht  mit  dativ:  Iw.  919  ex  sol  anders  varn,  vgl.  6556  ez  vert  allez 
wol  noch;  Wa.  49,  7  siviex  umb  alle  frowen  rar. 

Im  sinne  von  'evenire',  'aeeidere'  hat  auch  hörnen  meistens  ex 
bei  sich:  Pz.  798,  28  nu  ist  ez  anders  umb  inch  hörnen;  Wa.  122,  7 
ivie  humet  ez  umbe  dich;  Pz.  390,  15  er  wägte  iciez  da  wcere  körnen; 
355,  25  ez  weer  niht  homen  an  disiu  xil.  Auch  kann  ein  dativ  dabei 
stehn:  Nib.  2222  ez  ist  uns  übele  homen;  Pz.  504,  1  loiex  Gäiväne 
homen  si ;  194,  28  ez  ist  mir  homen  üf  disiu  zu.  Neben  der  unpersön- 
lichen anwendung  findet  sich  die  mit  bestimmtem  subject,  wie  Pz.  326,  5 
Artüss  her  was  homen  freude  unde  hlage.  Ein  nebensatz  ist  logisches 
subject:  Pz.  584,  1  icie  hom  daz  sich  da  verbarc  so  gröx  wtp  in  sö 
kleine  stat;  Wa.  120,  34  wie  humt  daz  — .  Einem  solchen  nebensatze 
kann  ez  4  oder  daz  vorangehen:  Nib.  1120  nu  ist  ez  Sivride  leider 
übele  homen,  daz  — ;  Berth.  I,  400,  2  dax  humt  eteivenne,  daz  — . 

Unpersönliches  ncehen  hat  Wolfram  nicht  selten;  er  braucht  es 
von  bevorstehenden  teilen  seiner  erzählung,  wie  Pz.  503,  1  ez  nceht  nu 
wilden  meeren,  aber  auch  von  künftigen  ereignissen:  Pz.  788,  4  so  nceht 
ex  iwerm  volle.     Einige  anderweitige  belege  gibt  Lexer1. 

Sich  zogen  scheint  nur  bei  Wolfram  unpersönlich  gebraucht  zu 
werden:  Pz.  362,  11  sit  ex  sich  hat  an  mich  gezogt,  ich  bin  vor  flust 
nu  iuiver  vogt;  ebenso  529,  9.  734,  29.  Dinc  steht  als  subject  Wh. 
177,  26  sich  hat  min  dinc  an  iueh  gezogei. 

1)  Hier  mag  auch  eine  bildung  Wolframs  erwähnt  werden :  Pz.  249,  4  alrerst 
nu  urentiurt  e%  sich;  einige  belege  aus  späteren  bei  Lexer. 


BEITRÄGE    ZUR    MHD.   SYNTAX  351 

Das  unpersönliche  geziehen  hat  zwei  bedeutimgen :  mir  gexiuhet 
ex,  so,  heisst  „die  sache  nimmt  für  mich  solche  richtung,  gestaltet  sich 
so":  I\v.  5446  vrou  Lünete  was  vil  wo,  wand  ex  gexoch  ir  also;  ebenso 
4450.  Pz.  415,  1.  Mit  reflexivem  accusativ  steht  es  Pz.  645,  14  so 
Lamberltch  ex  sich  gexoch  nie  umb  all  sin  ere.  Die  zweite  bedeutung 
'es  ist  passend,  geziemt  sich'  findet  sich  z.  b.  Pz.  7.  25  rätt  als  ex  ge- 
xiehe  nuo;  ebenso  das  einfache  xiehen  776,  14. 

Hier  schli essen  sich  zwei  verba  an,  in  denen  der  begriff  der  be- 
wegung  zurücktritt,  oder  doch  eine  besondere  gestalt  annimmt,  sich 
(ge) fliegen  und  gedihen. 

Sich  (ge) füegen :  Nib.  1883  nune  hindex  sich  gefüegen  vwäre 
niemer  mere  bax;  Pz.  655,  4  eins  morgens  fnogt  ex  sich  also.  Mit 
dativ,  aber  ohne  sich:  Iw.  7650  ich  iuch  bescheide,  dax  iuch  des  ivol 
geniieget  und  ex  ouch  mir  wol  vüeget.  Auch  vor  folgendem  neben- 
satze  pflegt  ex (4?)  nicht  zu  fehlen,  z.  b.  Iw.  7354  sit  ex  sich  wol  ge- 
vuocte,  dax  — .  Es  kann  aber  auch  ein  bestimmter  begriff  subject  sein, 
wie  Pz.  450,  17  sich  fliegt  min  scheiden  von  in  bax,  und  ebenso  ein 
nebensatz  ohne  ex:  525,  6  sich  flieget  bax  ob  weint  ein  kint  danne 
ein  bartohter  man. 

Gedihen:  Pz.  345,  7  eins  tages  gedech  ex  an  die  stat,  dax  si  der 
junge  künec  bat  nach  sime  dienste  minne;  ähnlich  667,  16.  Das  ein- 
fache dihen  wird  im  älteren  mhd.  ebenso  gebraucht,  s.  MZ.  1,329. 

Wie  die  soeben  besprochenen  verba  der  bewegung  bildlich  ein 
geschehen,  so  bezeichnet  stän  und  sinnverwandte  verba  einen  zustand. 
Stein  ist  dann  mit  ex  verbunden,  oft  auch  mit  dativ  der  person.  An- 
statt des  ex  steht  nicht  selten  dinc,  wie  bei  gän,  ergän,  sich  zogen: 
Nib.  746  der  dinc  vil  höchltche  stät,  ebenso  1446;  Pz.  797,  20  Anfor- 
tases  dinc  stuont  also;  Berth.  I,  330,  10  der  dinc  st<:/  Itkte  fürwert 
anders;  Pz.  446,  3  ivie  im  sin  dinc  gestuont\  Stän  mit  ex  und  ad- 
verb:  Pz.  556,  30  ich  freische  iviex  da  stet;  Berth.  I,  137,  32  c\  stet 
übel;  230,  29  also  stet  ex  noch  Mute  usw.  Sehr  häufig  steht,  wie  noch 
jetzt,  umbe  mit  acc.  dabei,  z.  b.  Nib.  64  iric\  muhe  Kriemhilde  stät; 
Pz.  471,  29  ivie  stet  ex  umben  gräl.  Den  dativ  verbinden  wir  heut- 
zutage nicht  mehr  damit,  wie  im  mhd.  üblich  ist:  Xib.  1546  vil  müeliche 
ex  iu  stät,  ivelt  ir  durch  sine  marke;  Pz.  442,  4  wie  stit  e%  dir; 
440,  30  wie  sUtx  in  umben  gräl.  Unpersönlich  ist  stän  wol  auch  in 
der  bei   Berthold   gebräuchlichen,    aber  auch    sonst    belegten    wendung 

1)  (iestdn  mit  inchoativem  ge  bedeutel    'sich    gestalten',    vgl.  noch   Nil'.  1469 

/rrr  irci\    icir\    da  gestftt;    IV..  225,   1. 


352  HKKNHARDT 

ex  stet  an  einem  (=  stat  per  aliquem)  'es  liegt  in  jemandes  band': 
1,296,37  nu  slH  r,\  t/iuiruu  au  in  selben,  oh  ;  344,  11  e%  stü  <ui 
im;  doch  kann  an  erster  stelle  g*4,  an  der  Letzten  <  :  1  vorliegen. 
Iw.  00:i2  sd  iril  si  si  scheiden  von  ir  erbeteile,  <\u  sti  dun  an  vr  heile, 
dax  si  >/(//  leempfen  bringe  <l<ir  'wenn  ihr  heil  (glück)  nicht  bo  viel 
vermag';  auch  hier  ist  schwer  zu  sagen,  ob  nicht  <  >.  1  anzunehmen  ist. 

Wie  stän  kann  ligen  allgemein  einen  zustand  bezeichnen;  (loch 
ist  diese  im  nhd.  häutige  bedeutung  selten:  Berth.  I,  573,  18  als 
(=  also)  lit  c\  muhe  die  vorhte  der  buoxe;  vgl.  Lexer  unter  ligen  sp.  L916. 
Häufiger  ist  ex  ist  gewant,  z.  b.  Ew.  3854  wan  also  ist  ex  gewant,  als 
ex  ouck  andern  Unten  stat.  Ein  dativ  kann  dazu  treten:  Iw.  4730  ex 
ist  mir  so  umb  in  geioant;  vgl.  1548  ex  ist  der  wunde  also  gewant. 
Einmal  fehlt  ex  nach  nnde:  6602  und  ist  iedoch  also  gewant. 

Auch  wesen  und  iverden  mit  ex  können  wie  stän,  gestän  all- 
gemein einen  obwaltenden  oder  eintretenden  zustand  bezeichnen,  z.  b. 
Nib.  2114  ex  enmac  an  disen  xiten  nu  niht  bexxer  gesin;  Pz.  638,  24 
ex  ivas  den  freuden  da  gelich;  ex  =  'der  zustand,  die  Stimmung  der 
gesellschaft',  vgl.  im  Faust  hier  ist's  so  lustig  wie  im  Prater;  mit 
werden  Wa.  23,  11  es  troumte  dem  künege,  ex  wurde  bosser  in  dem 
rtche.  Ganz  wie  stän  verbindet  sich  auch  wesen  mit  umbe:  Wa.  99, 20 
uriex  da)-  umbe  si;  Berth.  I,  15,  28  also  ist  ex  oueh  umbe  diu  au/t; 
205,  24  xe  glicher  wise  ist  ex  umbe  die  sünde;  ebenso  127,23.  568,4. 


2.    Subjectlose  verba  und  ausdrücke. 

Im  gegensatze  zu  den  bisher  besprochenen  verben  und  ausdrücken, 
die  des  ex  nicht  oder  doch  nur  in  ausnahmefällen  entbehren,  stehen 
die  nun  folgenden,  die  dieses  ex  nicht  haben  und -kurz  als  subject- 
lose bezeichnet  werden  können.  Steht  ein  ex  dabei,  so  ist  es  ex  3 
oder  et  4,  ein  formales  hilfsmittel  des  satzbaus  und  syntaktisch  von  dem 
ex  der  ersten  art  verschieden.  Nicht  das  unpersönliche  verbum  er- 
fordert ex,  sondern  die  Stellung  des  Zeitworts  am  anfange  des  satzes, 
oder  es  bereitet  einen  folgenden  nebensatz  vor.  Wendungen  z.  b.  wie 
mir  ist  ivol  haben  kein  ex;  wenn  Berth.  I,  383,  26  steht  ex  ist  aber 
eime  tüsentstunt  bax  danne  dem  andern,  so  liegt  unzweifelhaft  ex 3 
vor,  ebenso  zweifellos  ex  4,  wenn,  neben  dem  gewöhnlichen  conditionalen 
ist  dax,  bei  Berthold  ist  ex,  dax  —  (ist  dax ,  dax  — )  erscheint,  oder 
wenn  es  Berth.  I,  199,  22  heisst  dtner  güete  gexceme  oucti  gar  wol  dax  — , 
aber  Pz.  133,  27  fürstinne  ex  übel  xceme,  dax  si  da  minne  nceme. 


BEITRÄGE    ZUR   MHD.  SYNTAX  353 

Die  subjectlosen  verba  und  ausdrücke  haben  mit  ausnähme  des 
unpersönlichen  passivs,  von  dem  unten  die  rede  sein  wird,  einen  clativ 
oder  accusativ  der  person  bei  sich  und  bezeichnen  eine  leibliche  oder 
seelische  einpfindung  oder  subjective  erfahrung.  Wir  sahen  oben,  dass 
nach  den  ansichten  der  grammatiker  ex  und  casus  obliquus  sich  in  der 
regel  ausschliessen  sollen,  dass  dies  aber  bei  gän,  ergän,  komen,  ge- 
ziehen, sich  fliegen,  stän,  ex,  ist  geiücvnt  keineswegs  der  fall  ist;  bei 
den  subjectlosen  verben  und  ausdrücken  trifft  die  regel  zu1. 

Ich  beginne  mit  den  subjectlosen  ausdrücken,  die  mit  ivesen  und 
werden  gebildet  sind;  von  diesen  handelt  Grimm,  Gr.  IV,  241  fgg.  Für 
die  syntaktische  beurteilung  liegt  hier  eine  besondere  Schwierigkeit  vor, 
indem  nicht  immer  zu  entscheiden  ist,  ob  das  mit  wesen  und  werden 
verbundene  wort  als  Substantiv  oder  adjectiv,  als  adjectiv  oder  adverb 
zu  gelten  hat.  Im  Iwein  702  steht  ime  was  an  mich  xorn;  ist  xorn 
Substantiv,  so  ist  es  subject;  ist  es  adjectiv,  so  ist  der  satz  subjectlos. 
Solche  worte  zweifelhafter  geltung  sind  xorn,  ger,  not,  ernst,  leit'1.  Ich 
will  auf  diese  frage  hier  nicht  eingehen;  nur  so  viel  sei  bemerkt,  dass 
das  dasein  von  comparativformen,  wie  zorner,  hceter,  ernster  nicht  not- 
wendig auf  einen  adjectivischen  positiv  hinweist,  vgl.  griechische  bildungen 
wie  /.EQdlojv,  dlyliov,  "/.uvregog,  -/.vöioiog,  qiyiov,  und  Grimm  IV,  244. 
ernst  führen  die  Wörterbücher  nur  als  Substantiv  auf;  wie  ist  es  aber 
mit  Berth.  I,  184,  13  so  gar  ernst  tvas  in  got,  und  II,  60,  4  der  (dat. 
fem.)  ivas  vil  ernster  x,uo  dem  dienste?  Bei  leit  ist  ja  das  adjectiv 
unzweifelhaft;  in  fällen  wie  Nib.  620  umbe  dine  swester  ist  mir  leit 
kann  leit  ebensowol  Substantiv  wie  adjectiv  sein;  doch  scheint  mir  für 
letztere  auffassung  der  häufige  zusatz  von  adverbien,  wie  harte,  herzen- 
liehe,  xe  zu  sprechen,  ganz  abgesehen  von  dem  comparativ  leider,  z. b. 
Nib.  1958. 

Unzweifelhaft  ist  adjektivische  geltung  und  subjectlose  fügung 
Nib.  1031  iu  ist  niht  rehte  Laut;  L729  sage  mir  wie  dir  si  gewixxen 
umbe  der  hüneginne  muot;    Berth.  I,  570,  1    im   ist  danne    iwirnt  als 

1)  Zuweilen  stehen  sich  unpersönliche  verba  mit  ex  and  subjectlose  mit  <  •. 
in  der  bedeutung  nahe,  vgl.  was  unten  über  ergän  und  geschehen  gesagt  ist.  Eier 
erwähne  ich  regenen  und  triefen;  ersteres  hat,  wenn  nicht  ein  bestimmtes  subjeol 
(got,  wölken)  vorhanden  ist,  ex  bei  sich;  bei  triefen  steht  Pz.  201, 4  {den  burgarn 
in  die  holen  trouf,  vgl.  184, 18)  der  dativ  der  betroffenen  person  ohne  ex. 

2)  Auch  sünde  und  schade  führt  Lexer  als  Substantiv  und  adjectiv  auf;  Berthold 
hat  11,11*9,10  den  comparativ  Sünder;  von  seh, nie  komm!  der  comparativ  scheder, 
der  Superlativ  schedist  vor,  und  Berth.  [1,268  31  sagt  dm  sefteme  />/■<'•!  ist  schade 
dem  äugenden  kinde.  Diese  zwei  worte  kommen  indes  hier  nicht  in  betracht,  da  sie 
nicht  mit  dein  dativ   verbunden    werden. 

ZEITSCHRIFT    !•'.    DEUTSCHE    PHILOLOGIE.       BD.   \.\\\.  23 


3")4  BERNHARDT 

swcere  dar  xuo;  127,  1  wie  den  si  den  tüsentstunt  wirser  ist;  ebenso 
mit  wirser  203,  24.  354,  2.  Nicht  anders  bei  leiblicher  empfindung: 
Pz.  581,  2  im   was  warm;   Berth.  I,  376,  7  sä  im   ve  /,"//   ist  oder  xe 

heix;  Trist.  12818  so  heiz  ir  von  der  sannen   wart. 

Folgt  ein  nebensatz,  so  ist  dieser  als  subjeet,  das  adjeetiv  als 
prädicai  anzusehen,  z.  b.  Pz.  29,  21  mir  ist  Zeit  dax  — ,-  Nib.  1001  //•// 
/r^/v  ril  nnmare  unt  wirt  ez  ir  bekant.  Zusatz  von  ex 4  (oder  3?) 
ist  selten:  Nib.  577  ex  mähte  ir  wesen  leit,  der  ir  varive  niht  lühte 
gegen  der  wät;  Pz.  422,  4  ex  ist  mir  von  in  beiden  swcere,  da*  — ; 
053,  7  e\  u.-a-rr  mime  herren  leit,  breech  ich  minen  eit.  I\v.  7033  ex 
ist  minne  unde  hazze  zeuge  in  einem  vazze  liegt  ez  3  vor. 

Ungemein  häufig  ist  im  mhd.  die  Verbindung  von  wesen  und 
werden  mit  einem  adverb,  die  noch  heute  gebräuchlich  ist,  wie  in  mir 
ist  wol.  Ich  gebe  einige  beispiele:  Nib.  1042  weer  ir  dar  umbe  leide: 
Pz.  203,  11  ir  was  wol  und  niht  ze  ive;  Nib.  1453  so  war  ir  in  der 
iverlde  mit  deheinen  frenden  baz;  Berth.  I,.439,  39  den  ist  we  nach 
guote;  Wa.  48,  5  ist  mir  anders  danne  also.  Mit  werden:  Pz.  282,  19 
an  ir  hohem  finge  wart  ir  we;  366,  10  so  suoxe  in  minen  ougen  wart 
nie  von  angesihte,  wo  man  in  tilgen  möchte.  Bemerkenswert  ist  die 
wendung  mir  wirt  (ist)  eines  dinges  über,  wie  Iw.  6878  daz  in  der 
tage  zuo  ir  vart  enweder  gebrast  noch  über  wart;  vgl.  Berth.  I,  3,  11. 
418,  15.  492,  34.  Beiläufig  bemerke  ich,  dass  Mensing  im  2.  teile  der 
Erdmannschen  Grundzüge  §264  irrtümlich  behauptet,  die  wendung  vmir 
ist  zu  mute'  sei  modern,  also  der  alten  spräche  fremd;  vgl.  Nib.  1428 
mir  weere  wol  xe  muote;  Pz.  61,  1.  149,  10;  mit  iverden;  Wa.  109,  1 
ganzer  fröiden  wart  mir  nie  so  wol  ze  muote:  Berth.  I,  175,  12.  Da- 
neben findet  sich  mir  wirt  eines  dinges  ze  muote:  Iw.  6060  wes  in 
nü  si  ze  muote;  Berth.  I,  275,  10  als  iu  einer  sünde  ze  muote  wirt; 
343,  81.  Eine  eigentümliche  anwendung  des  aecusativs  finde  ich  bei 
MZ.  III,  732  b  und  Lexer  erwähnt,  aber  nicht  in  den  grammatiken: 
neben  Berth.  I,  23,  11  wol  dir  ivart  daz  dich  din  muoter  ie  getruoc 
steht  67,  13  derselbe  satz  mit  dich;  ebenso  58,  22.  391,9.  428,2. 
431,  13.  Auch  im  Wh.  135,  21  wol  mich  ivart  daz  — ,  vgl.  auch  das 
elliptische  wol  mich  daz  Wa.  41,  19.  100,  7;  110,  13  wol  mich  der 
stunde,  und  Nib.  2153  6  we  mich  gotes  armen,  wo  Bartsch  mir  liest. 
Adjeetiv  und  adverb  stehen  in  diesen  ausdrücken  ohne  merkbaren 
unterschied,  vgl.  Nib.  620  umbe  dine  sivester  ist  mir  leit,  und  1042 
weer  ir  dar  umbe  leide;   Berth.  I,  354,  2  da  dir  ivirser  wäre  geivesen, 

1)  Vgl.  Berth.  I,  7,  20  swenne  dir  guoter  dinge  xe  ivillen  wirt. 


BEITRÄGE   ZUR   MHD.  SYNTAX  355 

und  125,  39  den  ist  we,  den  andern,  den  ist  wirs,  den  dritten  aller 
wirste.  So  kann  man  zweifeln,  ob  in  dem  überaus  häufigen  mir  ist 
gäch  adjectiv  oder  adverb  vorliegt.  Neben  gcehe  erscheint  doch  auch 
gäch  als  adjectiv,  z.  b.  Pz.  67,  7  ern  Mrt  sich  niht  an  gähez  schehen 
und  des  galten  tödes  bei  Lexer.  Adjectiv  scheint  gäch  Iw.  4186  zu  sein: 
mir  was  ze  sinen  hulden  alxe  liep  und  alxe  gäch,  adverb  aber  4873 
ein  gäch  geteiltez  spil. 

Sehr  selten  schiebt  sich  solchen  mit  ivesen,  werden  und  adverb 
gebildeten  ausdrücken  ein  satzeinleitendes  ez3  vor,  wie  Berth.  I,  383,26 
ex  ist  aber  eime  tüsentstunt  baz  denne  dem  andern. 

Die  bisher  besprochenen ,  mit  ivesen,  einem  dativ  und  adverb  ge- 
bildeten ausdrücke  bezeichnen  eine  subjective  leibliche  oder  seelische 
empfindung,  oder  doch  (kunt,  geivizzen)  einen  geistigen  zustand;  aber 
diese  Wendungen,  wie  schon  das  erwähnte  'mir  ist  eines  dinges  über' 
erstrecken  sich  über  das  gebiet  der  empfindung  hinaus  und  können 
objectiv  läge  und  zustand  ausdrücken;  mir  ist  so  kann  bedeuten  'mir 
ist  so  zu  mute',  aber  auch  'so  steht  es  mit  mir';  der  dativ  wird  dann 
verwendet  ganz  wie  umbe  in  der  früher  besprochenen  anwendung:  also 
ist  ez  umbe  dtn  amt  und  dgl.  Als  adverbia  stehen  so,  also,  alsns, 
ivie,  swie.  Wie  nahe  sich  beide  bedeutungen  liegen,  zeigt  z.b.  Wa.  122, 16 
nü  ist  sümelichen  so,  daz  si  mir  wol  gelouben  swaz  ich  sage,  wo  man 
ebenso  gut  auslegen  kann  'es  ist  manchen  so  zu  mute',  wie  'es  steht 
so  mit  manchen'.  Besonders  liebt  Berthold  diese  Wendungen;  der  dativ 
kann  eine  person  bezeichnen,  wie  I,  518,  33  also  ist  dem  ketzer  'so  steht 
es  mit  dem  ketzer',  oder  eine  sache,  wie  552,  23  also  ist  ihr  erxente; 
265,  12  ivie  dem  unde  dem  (neutrum)  si;  552,  16  wie  wcere  vm  danne 
in  der  werlt  'wie  stünde  es  in  der  weit'.  Aber  auch  den  dichtem  ist 
solche  fügung  nicht  fremd:  Nib.  2230  der  rede  enist  niht  s6;  l'z.  577,3 
ob  iwern  wunden  si  alsus;  Iw.  3420  ist  der  saht  alsns,  dm  si  von  dein 
hirne  gät.  Noch  heute  sagen  wir  'dem  ist  nicht  so',  'dem  sei  wie  ihm 
wolle'.    Vgl.  Grimm,  Gr.  IV,  705  und  Wörterbuch  unter  der  sp.  966. 

Von  verben  leiblicher  empfindung  kommen  in  den  von  mir 
angezogenen  quellen  hungern,  dursten,  wiesen  oft  vor.  Wir  sagen 
jetzt  mich  hungert,  es  hungert  wir//,  auch  wol  mich  hungert  es1;  im 
mhd.  gilt,  soviel  ich  sehe,  nur  mich  hungert.  Aus  Berth.  II,  215,  36 
verzeichne  ich  wullen:  da  wullet  dem  all  mehlige»  gute  gar  griulich  abe, 
und  swindeln:  II,  262,  9  da  von  swindelt  etelichen  (dat.  plur.). 

1)  Im  Faust  fehll  nicht  leicht  es:  es  fasst  »/><■//  hall  beim  schöpfe,  mich 
Überläuft's,  es  liegt  mir  bleischwer  in  dm  fassen,  mir  ekelt's:  doch  ohne  es:  mir 
ekelt  lang  vor  allen/  wissen. 

23 


356  BKRNUARDT 

Die  nun  folgenden  verba  seelischer  empfindung  haben  bis- 
weilen einen  nebensatz  mit  dax,  dem  oft  des,  ei  vorangeht,  oder  eine 
indirecte  frage  bei  sich.  Der  satz  mil  dm  ist  jedoch  hier  nicht  als 
subject  anzusehen,  sondern  dm  hal  mehr  causale  bedeutung,  wie  sie 
auch  sonsi  dieser  vieldeutigen  conjunction  inne  wohnt,  z.  b.  Wlllehalm 
207,  1  von  dem  maneger  slahtt  wuofi  und  dm  ich  heidnisch  wol 
verstuont,  da  von  wart  mir  kuont  wer  si  wären;  L18,  18  niht  nun 
vrägens  er  genas ,  und  ihr.  der  unverxagete  sich  nante;  vgl.  auch  136,23. 
Wenn  also  Pz.  104,  17  steht  muh  Jamal  immer  dm  ich  vant  an  der 
werlde  freude  alsölh  gewant,  so  ist  zu  erklären  'ich  empfinde  immer 
schmerz  darüber,  dass'  oder  'weil'.  Ich  gebe  im  folgenden  immer  nur 
wenige  beispiele. 

Jämem  Pz.  102,  22  swie  mich  jämer  siner  vart;  Iw.  :!216  nach 
eime  dinge  jämert  in. 

Wundern  Nib.  1922  yd  wundert  mich  der  meere;  Iw.  5816  den 
wirt  Hundert  umb  ir  vart.  Selten  ist  ich  wundere,  ich  /runden  mich. 
s.  MZ.  HI,  8166. 

Verdrießen  Pz.  27,  21  des  lebens  in  verdrdx;  Iw.  5990  dax  in 
min  niht  verdrieße. 

Griulen  Wa.  30, 12  mir  griulet,  so  midi  lache  nt  an  die  lechelcere; 
Pfeiffer  liest  graset. 

(Oe)lusten  Pz.  154,  3  ir  deheinen  strites  Inste;  20,  24  diu 
Oahmureten  huste,  des  in  doch  ivenc  gelüste. 

Belangen  Berth.  I,  496,  1  den  (dat.  plur.)  mohte  wol  belangen; 
Wa.  28,  12  dax  uns  muox  nach  iu  belangen.  Über  andere  fügungen 
des  stets  subjectlosen  verbs  s.  MZ.  I,  933.  Erlangen  Pz.  218,  30  in 
(acc.  sing.)  tnac  hie  stens  erlangen;  821,  26  in  dorf't  da  niht  erlangen. 
In  anderem  sinne  ist  erlangen  persönliches  verbum,  s.  MZ.  1,933.  Ver- 
langen Berth.  I,  495,39  sie  (acc.  plur.)  verlangete  siner  künfie  wol  sere. 

Zogen  Nib.  738  in  (dat.  plur.)  xogete  ivol  der  verte  'sie  hatten  es 
eilig  mit  der  fahrt';  767  den  boten  xogete  sere  xe  lande.  Über  sich 
zogen  s.  oben. 

Beträgen  Pz.  171,  18  onch  sol  iueh  niht  betragen  bedähter  gegen - 
rede;  Wa.  103,  8  swen  des  wil  betragen;  Berth.  I,  102,  7  so  betraget 
sninelichen  xer  kirchen  xe  genne. 

Beviln  Pz.  214,  24  sins  hers  mich  bevilte;  567,  29  des  galmes 
het  in  so  bevilt.  Selten  mit  persönlichem  subject,  wie  Pz.  415,  28  ir 
hetet  iueh  gähs  gein  mir  bevilt  'mir  zu  viel  getan';  im  passiv  174,16 
deis  von  in  allen  wart  bevilt  'dass  es  allen  viel  däuchte'. 


BEITRÄGE   ZUR    MHD.   SYXTAX  357 

Benüegen  Berth.  I,  5,  3  dar  an  benüeget  den  tiuvel  niht;  doch 
255,  31  die  mügent  lihte  gebeten,  daz  ez  got  benüeget,  wo  e%  be- 
stimmten inhalt  hat  (ez  1).  Häufiger  genilegen:  Pz.  201,  22  des  na 
niht  ivü  genilegen  manegiu  ivip;  Berth.  I,  414,  22  iuch  gen  Heget  der 
kdchverte  niht.  Berthold  hat  öfter  an  oder  mit  als  den  genitiv,  z.  b. 
I,  245,  2  daz  den  tiuvel  an  sinnt  Sünden  niht  genüeget;  I,  360,28  in 
genuocte  mit  einem  züne  niht.  Auch  findet  sich  der  dativ  statt  des 
accusativs  I,  381,  14  den  riuivcn  da  gote  mit  genüeget. 

Nur  bei  Berthold  habe  ich  betriegen,  wegen,  erbarmen  in 
subjectloser  fügung  gefunden:  1,251,27  und  ist  ez  da:  iuch  dar  an 
betriuget  'dass  ihr  euch  darin  irrt';  T,  508,  20  swie  in  (acc.)  doch  umbe 
den  lip  niht  hohe  wiget;  II,  158,  20  da-,  iuch  als  wenec  erbarmet  über 
arme  Hute.  Gewöhnlich  heisst  es  d/'i  erbarmest  mich,  oder  ich  erbarme 
mich  über  dich.  Einige  belege  der  subjectlosen  fügung  gibt  Wacker- 
nagel im  Wörterbuch  zum  lesebuch. 

Troumen  wird  selten  subjectlos  construiert,  wie  Iw.  3530  wan 
dax  ich  ir  doch  pflac,  so  mir  na  troumte,  unmanegen  fac,  vgl.  auch 
MZ.  III,  118.  Meist  ist  ein  bestimmtes  subjeet  vorhanden,  wie  Wa. 
124,  2  ist  mir  min  leben  getroumet;  Iw.  3517  mir  hat  getroumet  michel 
tugent;  Wa.  94,  21  da  getroumte  mir  ein  troum,  oder  ein  nebensatz 
ist  subjeet:  mir  troumte  daz  — ,  mir  troumte  nie  — .  Wa.  23,  11  ez 
troumte  dem  künege,  ez  wurde  beeser  in  dem  riebe  und  Xib.  13  (nach 
Lachmann)  ex  troumte  Kriemhilde  wie      -  liegt  ezS  (oder  4?)  vor. 

Dunken  (bedunken)  gehört  insofern  hierher,  als  es  mit  einem 
nebensatz  und  vorausgehendem  des,  also  subjectlos  construiert  werden 
kann,  wie  Iw.  990  daz  in  des  dühte,  dax  — .  Ebenso  3808.  7244; 
Pz.  400,  13.  430,  7.  584,  6.  657,22;  Berth.  1.  469,24.  [sl  kein  des 
vorhanden,  wie  Pz.  148,  12  mich  dunJcet,  er  welle  striten,  so  ist  der 
nebensatz  subjeet.  Über  die  construetion  mit  bestimmtem  subjeet  und 
prädicat,  wie  Nib.  753  dö  dühten  disiu  meere  die  scheenen  Kriemhilde 
guot,  bemerke  ich  nur,  dass  in  relativsätzen  das  subjeet  {e%  1 )  bisweilen 
fehlt:  Nib.  1862  ich  solz  in  gerne  büezen,  swie  si  danket  guot;  Iw.  1715 
daz  er  vilere,  swar  in  dühte  guot. 

(Qe)zemen  bedeutet  erstens  'angemessen,  geziemend  sein,  ge- 
fallen9 und  hat  dann  ein  bestimmtes  subjeet  und  den  dath  bei  sich, 
wie  Nib.  1202  der  rät  enxceme  niemen  wan  eime  degne.  In  neben- 
sätzen  mit  als  fehlt  nicht  selten  e\  1.  das  das  subjeet  vertreten  würde: 
Nib.  348  dö  ivas  ir  gesinde  gexieret  als  im  gezam,  ebenso  705.  11m>. 
Pz.  736,  30.  744,  18;  dagegen  Pz.  571,  16  er  tet  als  e-,  der  wer  gexam 
(das  tun);  807,29.   Nib.  1833.      Einem   nehensat/.e  mit   da%   gehl   in  der 


358  BBRKHAKIVr 

regcl  ezA  voraus,  wie  Pz.  133,27  fürstinne  <■-.  übel  tarne,  <l<r.  <i  da 
mi ii im  nceme;  Nib.  2020  ez  xceme  vil  wol  volkes  trdst,  da*  dit  Mrren 
vcehten  te  aller  vorderdst;  oder  Liegl  e%  3  hier  vor?  Über  den  dativ 
trdst  vgl.  "Weinhold,  Mhd.  gramm.  §448.  Zweitens  bedeutet  (ge)xemen 
'angemessen  finden,  gefallen  finden  an  etwas';  dann  drückt  es  eine 
seelische  empfindung  aus,  verbindet  sich  mit  dem  acc.  der  person  und 
gen.  der  sache  und  ist  immer  subjectlos,  z.  b.  Pz.  710,  16  siven  ir 
humbers  nu  gexem.  Ein  folgender  nebensatz  hat  meist  des  vor  sich, 
wie  Pz.  545,  10  sone  darf  iueh  niemer  des  gexemen,  daz  — l. 

In  gleicher  weise,  wie  die  soeben  aufgeführten  verba  werden  ge- 
bresten,  gebrechen,  xerinnen  gebraucht,  bei  denen  der  begriff  der 
empfindung  zurücktritt;  vgl.  oben  das  entgegengesetzte  mir  wirt  eines 
dinges  über.  Alle  drei  verba  können  auch  ein  bestimmtes  subjeet 
haben. 

Gebresten  Iw.  3564  daz  im  des  sinnes  gebrast;  Wa.  88,  3  im 
gebreste  muotes.  Mit  an  Pz.  57,  13  swenhe  ir  an  hüls, -ließe  gebrast. 
Ebenso  wird  das  seltenere  gebrechen  construiert:  Pz.  412,  10  ob  im 
ellens  niht  gebreeche;  806,  19;  Wa.  83,  22  swä  den  gebrichet  an  der 
kunst. 

Zerinnen  Nib.  1600.  2087  in  was  des  tages  zerunnen;  165  mim 
xerinne  miner  friwende;  ßerth.  I,  316,  10  was  dir  aller  frouwen  so 
gar  xerunnen;  vom  teufel  56,  31  und  sonst  oft  ime  xerinne  danne 
alles  des  fiures. 

Geschehen  und  gelingen  haben  wie  gän,  ergän ,  komen,  sich 
zogen,  geziehen  den  grundbegriff  der  bewegung  und  bezeichnen,  so 
scheint  es  zunächst,  etwas  von  aussen  an  den  menschen  herantretendes; 
aber  im  fehlen  des  ex  schliessen  sie  sich  an  die  soeben  besprochenen 
verba  an. 

Geschehen  verbindet  sich  mit  einem  bestimmten  subjeet,  wie 
Nib.  2086  der  gröxe  mort  geschach,  das,  wenn  erwähnt,  durch  exl  oder 
daz  ersetzt  werden  kann.  Das  subjeet  kann  ein  nebensatz  sein,  wie 
Pz.  354,  28  öwe  daz  Beärosche  ie  geschach  daz  ir  porten  suln  ver- 
müret  sin;  Wa.  75,  1  mirst  von  ir  geschehen  daz  — .  Dem  nebensatze 
kann   ezk  oder  daz  vorausgehen,  z.  b.  Berth.  I,  213,  17   und  also  ge- 

1)  Eine  eigentümliche  fügung  findet  sich  Pz.  744,  14:  Got  des  niht  lenger 
mochte,  da%  Parxiväl  (acc.)  dax  re  nemn  in  smer  hende  solde  xemn  'Gott  wollte 
nicht  länger,  dass  P.  gefallen  daran  fände,  die  dem  toten  (Ither)  abgenommene  beute, 
das  Schwert,  in  die  band  zu  nehmen'.  Der  infinitiv  dax  re  nemn  vertritt  also  den 
genitiv;  einige  gleichartige  stellen  sind  bei  MZ.  III,  889  a  zeile  33  angeführt. 


BEITRAGE    ZUR    MHD.   SYNTAX  359 

schiht  ex,  dax  — ;  Pz.  227,  26  harte  schiere  dax  geschach,  dax  — ; 
Iw.  259  ex  geschach  mir,  dax  ich  reit  (oder  ex  3?). 

Beiläufig  sei  die  eigentümliche  Verbindung  von  geschehen  mit  einem 
bestimmten  subject  und  dem  gerundium  erwähnt:  Pz.  496,  23  dinen 
vater,  der  mir  xe  sehen  aldä  geschach;  557,  26  dem  xe  liden  geschiht 
disiu  äventiure.  Ebenso  562,  29.  529,  30.  540,  14.  561,  28,  und  im 
Iwein  3366  hl  der  tantsträxe,  diu  in  xe  ritenne  geschach;  4872.  7855. 
Einmal  habe  ich  ergän  in  gleicher  fügung  gefunden:  Pz.  176,  6  dax 
(relat.)  iu  xenpfähen  sit  ergienc;  auch  Nib.  1838  lässt  sich  vergleichen: 
uns  ximet  disiu  sorge  ensamtnt  xe  trage) ine,  und  Berth.  II,  10,  33  die 
sünden  beträgent  dich  xe  bilden. 

Überaus  häufig  steht  geschehen  subjectlos  mit  dativ  und  adverb, 
wie  Iw.  2783  sit  iu  nü  wol  geschehen  si.  Solche  adverbien  sind  wol, 
bax,  ive,  übele,  leide,  rehte,  unrehte,  samfte,  liebe,  ivie,  sivie,  so  usw. 
Gewöhnlich  beginnt  der  satz  mit  dem  dativ  oder  einer  conjunction; 
steht  das  verbum  an  der  spitze,  so  hat  es  ex  3  vor  sich:  Nib.  1568  ex 
ist  ouch  niemen  leide  von  minen  schulden  hie  gescheit));  2322  ex  ge- 
schach  nie  manne  leider  mer;  Iw.  1312  exh  dorfte  nie  wibe  leid*  r 
gescheht/. 

Geschehen  steht  in  seiner  bedeutung  dem  oben  besprochenen  ergän 
sehr  nahe.  Man  vergleiche  folgende  sätze:  ich  vürht  ex  mir  nild  wol 
erge  —  Iw.  2678  dax  (conjunction)  ir  wol  ivas  geschehn;  ex  mac  ir 
leide  ergän  —  Pz.  31,  4  im  geschähe  nie  sÖ  leide;  so  weere  ex  iu  niht 
als  übel  ergangen  —  Berth.  1,  213,  35  da\  im  übel  geschiht  an  /ihr 
oder  an  sele;  wie  sol  ex  mir  ergän  -  Berth.  I,  4,  23  ivie  geschiht  nü 
dem;  sivie  ex  mir  erge  —  Nib.  1471  swie  halt  in  geschiht.  Warum 
hat  ergän  immer  ex  bei  sich  und  geschehe)/  nicht?  Warum  heisst  es 
ex  ergät  mir  wol,  aber  mir  ivirt  wol,  mir  geschiht  wol?  Ein  den 
menschen  betreffendes  ereignis  kann  entweder  objeetiv  als  etwas  von 
aussen  herantretendes  oder  subjeetiv  als  empfunden  und  erfahren  be- 
zeichnet werden,  im  mhd.  durch  ein  unpersönliches  verbum  mit  ex,  oder 
durch  ein  subjectloses.  Wenn  bei  geschehen  kein  ex  steht,  so  liegt  es 
nahe  zu  vermuten,  dass  dies  wort  nicht  den  einfachen  begriff  von  'fieri', 
'yiyveoSai'  enthalten  habe,  sondern  daneben  den  einer  einwirkung  auf 
die  empfindung  des  betroffenen.  Nach  Grimms  Wörterbuch  unter  ge- 
schehen sp.  3839  hatte  geschehen  ursprünglich  die  bedeutung  'sich  plötz- 
lich wenden',  vgl.  das  einfache  schehen;  daher  in  übertragenem  sinne 
'plötzlich,  überraschend  über  einen  kommen';  daraus  mag  sieh  die  ab- 
geschwächte des  einfachen  'fieri'  entwickelt  haben.  Ha>s  der  Sprach- 
gebrauch nach  willkürlicher  Laune  zwei  sinnverwandten  Zeitwörtern  wie 


360  BKHNHAKDT 

ergän   und  geschehen  verschiedene  construetion   zugewiesen   habe,   mag 
ich  nicht  glauben. 

Im  nlul.  ist  die  Verbindung  von  geschehen  mit  dativ  und  adverb, 
'mir  geschieht  wol',  selten  geworden;  vgl.  Grimm,  Gr.  IV.  932  und 
Wörterbuch  sp.  .'5842. 

Wie  mit  geschehen  mag  es  sich  mit  gelingen  verhalten:  es  Bchlies  I 
die  empfindung  des  glücklichen  erfolgsein:  Nib.  048  wie  ist  iu  hint 
gelungen;  Iw.  6619  ja  gelinget  eime  dicke  an  vwei/n;  Pz.  1!)8,  12  so 
ist  dir  wol  gelungen  usw.  Die  in  Grimms  Wörterbuch  sp.  3031  aus- 
gesprochene Vermutung,  das  fehlen  des  ex  erkläre  sich  daraus,  dass  das 
weggelassene  subjeet  (der  sper,  wurf,  schuss  trifft  sein  ziel)  dabei 
dacht  blieb,  will  mir  nicht  einleuchten.  Wie  gelingen  wird  misse- 
lingen  gebraucht:  lw.  2154  dem  misselinget  späte;  Berth.  1,  7,  6  so 
enkan  dir  niemer  misselingen;  Wa.  11,3  c///  pfründen  und  an  hirchen 
mik)e  in  misselingen.  Das  seltene  einfache  lingen  braucht  Grotfrid  im 
Trist.  5076  wie  gelingen:  alles  des  er  began,  da  lang  im  aller  dikkest 
an.  Der  ursprüngliche  begriff  der  bewegung  zeigt  sich  Berth.  I,  555, 12 
sivie  lütxel  im  (der  Schnecke)  linget  'wie  wenig  es  auch  mit  ihr  vor- 
wärts geht'.  Bei  MZ.  I,  1001a  und  Lexer  finden  sich  einige  beispiele 
von  lingen  mit  bestimmtem  subjeet:  er  Hex  die  lere  im  lingen;  rät  der 
zno  guote  linget. 

Anhangsweise  zähle  ich  noch  einige  verba  auf,  die  gewöhnlich 
ein  bestimmtes  subjeet  haben  (worüber  ich  auf  die  Wörterbücher  ver- 
weise), bisweilen  aber  scheinbar  subjectlos  stehen,  indem  ein  folgender 
nebensatz  das  logische  subjeet  bildet.  Dem  nebensatz  kann  ex  4  oder 
dax  vorangehen. 

Riuwen  Nib.  2005  mich  riuivet  dax  — ;  Iw.  413  und  rou  mich 
dax  — . 

Versmähen  Nib.  1625  in  ween  versmähet'  ob  ich  bi  iu  weere. 
Mit  ex:  "Wa.  35,  31  wilx  iu  niht  versmähen,  so  ivil  ichx  iueh  leren. 

Fröiiuen  Wa.  110,  5  mich  fröit  iemer  dax  — . 

Ahten  Nib.  1965  Ilagenen  ahte  ringe,  gevideW  er  immer  mer. 

Werten  Pz.  291,  28  frou  Minne,  iu  solle  iverren  dax — ;  647, 10 
wax  ivirret  ob  du  dich  dritigest1. 

Müejen  Iw.  2831  mich  müet  dax  — ;  Wa.  14,  13  mich  müet, 
sol  min  tröst  xergän.  Dax  geht  dem  nebensatz  voraus:  Pz.  703,  18 
den  künec  dax  müete,  dax  — ,•  ex  4:  29,  11  ex  müete  si,  deix  niht 
beleip. 

1)  "Wa.  52,  7,  iu  einem  gedieht,  dessen  echtkeit  bezweifelt  wird,  ist  ex  zu- 
gesetzt: dax  mich  an  fröiden  irret,  dax  ist  imver  lip.    an  iu  einer  ex  mir  wirret. 


BEITRÄGE    ZUR    MHD.   SYNTAX  361 

Tugen  Nib.  868  icax  touc  ob  — .  Mit  ex  4:  I\v.  2087  wan  ex 
entohte  deheime  xacjen,  der  minen  Herren  hat  erslagen.  Im  relativsatze 
mit  als  fehlt  das  subject  Iw.  7296  du  tele  si  als  ir  tollte;  vgl.  dieselbe 
auslassung  bei  dünken,  gexemen. 

Helfen  Nib.  2367  ivaz  mähte  si  gehelfen  dax  si  schre;  1297  niht 
half  dax  si  gebäten. 

Vrumen  Iw.  561  wax  vrumt  ob  ich  dir  mere  sage.  Mit  ex  4 
2139  dax  ex  im  lange  vrumt,  ob  — . 

Zu  den  subjectlosen  ausdrücken  gehört  endlich  noch  das  unpersön- 
liche passivum,  das  Wolfram  besonders  gern  gebraucht1.  Es  ist  auch 
der  jetzigen  spräche  geläufig:  dem  manne  kam/  geholfen  werden.  Soll 
das  verbum  den  satz  beginnen,  so  muss  es  vorgesetzt  werden:  es  wird 
gekämpft.  Gerade  so  im  mhcl.,  nur  ist  hier  die  voranstellung  mit  ex 
sehr  selten;  gewöhnlich  fängt  der  satz  mit  einem  anderen  worte  an: 
des  wirt  noch  gelachet  innecliche,  da  wart  ml  gestochen,  cid  wart  niht 
me  gesexxen,  des  töten  ist  vcrgcxxen ,  wie  uns  mit  silexen  dingen  ist 
vergeben,  mir  was  gelückes  da  rcrxigcn.  Nur  im  Nibelungenliede  habe 
ich  einige  stellen  gefunden,  wo  das  mit  der  negation  en  verbundene 
verbum  den  satz  beginnt  und  ex  3  vor  sich  hat.  So  689  ex  enwart 
nie  geste  mere  bax  gepfleg  en;  318.  964.  997.  1460.  2183 2.  Ein  neben- 
satz  kann  logisches  subject  dos  passivs  sein,  wie  Nib.  71 1  Sivride  und 
Kriemhüde  wart  beiden  dö  geseit  dax,  — ;  Pz.  750,  28  mir  ist  xe  wixxen 
getan  dax  — .  Selten  tritt  dann  ex 4  oder  dax  hinzu:  Pz.  575,  25  ver- 
höhne ex  wart  beschouwet,  dax  mit  bluote  was  beton  uet  der  estrtch; 
550,  16  ex  ist  si  gar  verdagt,  dax  si  mit  her  reu  cexe;  Berth.  I,  530,22 
ex  ist  ouch  verboten  von  gehorsam,  dax  — ;  Nib.  877  dax  wart  kauf 
getan,  im  weere  ividerseit. 

Zum  Schlüsse  mögen  die  ergebnisse  dieser  Untersuchung  kurz  zu- 
sammengefaßt werden.  Von  dem  gewissen  unpersönlichen  verben  und 
ausdrücken  anhaftenden  ex  sind  vier  andere  an  Wendungen  dieses  für- 
worts  zu  sondern.  Zwei  arten  unpersönlicher  verba  und  ausdrücke  sind 
zu  unterscheiden:  die  erste,  dio  mit  ex  verbunden  zu  sein  pflegt,  be- 
zeichnet ereignisso,  die  von  aussen  an  den  menschen  herantreten,  zu- 
stände, die  ihn  umgeben;  mehrere  davon  haben  neben  dem  e\  einen 
casus  obliquus  bei  sich.  Die  zweite  art  umfasst  die  subjectlosen  verba 
und   ausdrücke,    die   zum   grossen   teil    leibliehe   oder  seelische   empfin- 

1)  Dor  ausdruck  r-,   ist  gewarnt  hat  immei  ea ,  s.  oben. 

2)  Von  diesem  ex.  3  ist  das  oben  besprochene  r\  2  Byntaktisch  zu  soheiden; 
letzteres  ist  daran  kenntlich,  dass  c  im  oecusativ  den  entsprechenden  aotiven  aus- 
druck begleitet. 


362  PR1KBSCH 

düngen  bezeichnen.  Ein  etwa  dabei  tehendes  e%  (3  oder  4)  ist  von 
dem  ex  der  ersten  art  syntaktisch  verschieden.  Schwanken  des  sprach- 
gebrauchs  ist  nicht  häufig.  Der  im  ganzen  klare  und  feste  unterschied 
zwischen  den  unpersönlichen  verben   und  ausdrücken   mit  ex  und  den 

siihjeetloson  ist  im  nhd.  durch  überhandnehmen  des  zugesetzten  es  ver- 
wischt. 

ERFÜRT.  B.    BERNHARDT. 


AUS  DEUTSCHEN  HANDSCHKIFTEN  DEK   KÖNIGLICHEN 
BIBLIOTHEK  ZU  BRÜSSEL. 

Im  herbst  des  jahrcs  1893  gewährte  mir  ein  längerer  aufenthält 
in  Brüssel  gelegenhcit  auf  der  Igt.  bibliothek  xu  arbeiten.  Dabei  richtete 
sich  mein  augenmerk  vorzüglich  auf  deutsche  hss.,  über  deren  zahl  und 
Inhalt  ich  mir  einen  überblick  zunächst  an  der  hand  des  catalogs  und 
dann  durch  autopsie  zu  verschaffen  sachte.  .Hochgespannte  erwartungen 
befriedigte  das  resultat  freilich  nicht;  immerhin  lief  manches  finter, 
das  einer  Veröffentlichung  nicht  univert  schien.  Damals  blieben  aber 
meine  notixen  über  anderer  beschäftigung  mir  erarbeitet  liegen.  Meines 
Wissens  hat  seitdem  nur  C.  Borchling  auf  s.  265  —  74  seiner  schrift  'Mittel- 
niederdeutsche hss.',  teil  I,  einige —  fast  ausschliesslich  nd.  —  hss.  dieser 
bibliothek  kurz  angezogen,  wie  das  dem  ziveck  seiner  publication  ent- 
spricht. Was  ich  an  ausführlicheren  notizen  über  die  interessanteren 
unter  diesen  sowie  über  andere,  hochdeutsche  Codices  in  meinem  pulte 
vorfinde,  tvird  darum  vielleicht  nicht  unwillkommen  sein,  ivorigstcns 
dem  nicht,  der  sich  mit  mhd.  litteratur  der  nachklassischen  zeit  be- 
schäftigt: scheint  es  doch  als  ob  auf  diesem  fehl  allein  noch  ein  paar 
vergessene  ähren  zu  finde7i  und  zu  schroten  seien.  Schon  längst  be- 
kanntes und  verwertetes  führe  ich  nicht  wider  an:  eleiher  fallen  fort 
die  nr.  3809 — 12,  14689  und  18394  (Schwabenspiegel  =  Rockinger 
nr.  50—52),  8860—7  (Hirsch  und  hinde  =  M8D3  nr.VI),  10615 
bis  10  729  (Sprichwörter  =  MSD*  nr. XXVII),  11083-  84  (Bertholds 
Predigten  =  Strobl  II,  277),  14697  (Tristan  R)  und  schliesslich  die 
sechs,  ahd.  glossen  enthaltenden  Codices,  worüber  Steinmeyer,  Ahd, 
glossen  IV,  396 — 98  zu  vergleichen  ist. 

Aus  der  Zweiteilung  des  Hss.- catalogs ]  (serie  I:  nr.  1 — 15  000 
Burgundische    Sammlung    und    alle    vor    1836    angekauften    Codices, 

1)  Von  dem  neuen,  wissenschaftlichen  catalog  van  den  Gheyns  liegen  erst 
xtvei  bände  vor.  Soweit  darin  die  unten  beschriebenen  hss.  aufgeführt  sind,  ist  dies 
durch  beifügung  der  neuen  nummern  in  [ ]  kennt/ich  gemacht. 


ACS    DEUTSCHEN    HANDSCHRIFTEN    IN    BRÜSSEL  363 

nr.  15  001  — 18  000  Hulthemsche  Sammlung  1836  angekauft,  nr.  18  001 
bis  22487  alle  nach  1836  und  vor  1870  erworbenen  hss.;  serie  II; 
er •  Werbungen  seit  1870,  darunter  besonders  die  Serruresche  Sammlung 
nnd  die  Codices  Phillipicae)  ei'gibt  sich  das  anordnungsprineip  des  im 
folgenden  gebotenen  leicht.  Einzelne  der  s.  %.  genommenen  abschriften 
habe  ich  vor  kurzem,  während  eines  vorübergehenden  aufcnlhaltes  in 
Brüssel,  nachkollationieren  können:  zu  einer  völlig  erschöpfenden  ver- 
gleichung  gebrach  es  jedoch  an  zeit. 

I. 

1.  Nr.  4300,  dickes  papier,  XIV.  jh.  (1380),  unpaginiert,  in 
quarto.  Bote  initialen,  rotdurchstrichene  grosse  buchstaben,  roter  titcl 
und  colophon.  Durchaus  von  einer  hand  geschrieben.  Neun  lagen  %u 
xwölf  und  eine  zu  zehn  blättern  (von  denen  aber  nur  die  zwei  ersten 
beschrieben  sind)  bezeichnet  durch  Prim',  S9,  3  Sext'nus,  4  S"  etc.  am 
schluss.    Wasserzeichen:  Kreis  mit  quirl.  —  Schweinslederband. 

Des  Rudolf  Wiutnawer  deutsche  Übersetzung  der  Legenda 
miliar  von  der  hl.  Hedwig.  Der  nenne  des  Übersetzers,  sowie  das 
dal  um  der  arbeit  und  deren  Veranlassung  erhellt  aus  dem  colophon: 
Anno  Dnl  M°CCCmoLXXXmo  translatum  est  hoc  opus  cü  vita  et  miraclis 
bte  Had[wig]  ad  honore  omptis  vifgisq3  gloriose  ac  bte  Had[wig]  ad 
instarn  serenissimi  pn'cipis  ac  domi  Albrti  fd.  i.  Mlirccltt  III.  1349 — 9'>J 
ducis  Austriae  Stiriae  Karinthiae  p  Rudolphum  dofl  Wiutnawer  anno  ut 
s  in  vigl  Penthecostae  deo  gratias  ad  finem  vsq3  completum. 

Titel:  Hie  hebt  sich  an  sand  Hadwigen  lebn  vnd  von  iren  zaichen 
vnd  gnaden  di  hat  der  almachtig  gerucht  v'lcihen.  Darauf  vorrede 
(worin  es  heisst,  dass  Wintnawer  auch  das  berücksichtigt  habe,  was 
bruder  Engelbrecht,  S.  Bernharts  orden,  von  dir  hl.  Hedwig  in 
seiner  Sammlung  der  'guttaten  der  heyliginn'  mitgeteilt  hätte)  und 
Inhaltsangabe.  Beginn  der  legende  auf  Id.  2a;  Sand  hädwig  nü  sälig 
vnd  heylig  in  den  hinieln  |  auf  cid  geborii  von  geslachtlichen  chunne  | 
Si  [was  edl  (  nach  dem  vrspr&nch  der  leiblichen  gebürd  |  in  edelhait 
der  sitten  si  chlaret  vnd  leuchtet  |  doch  was  si  ven  edler  an  dem  müt  | 
in  zier  der  erberchait  vnd  in  d'  sei.  -  Schluss:  Bitt  auch  vrab  vns 
dich  bittend  0  salige  sand  Had[wig]  da/  gol  vns'  hr'  der  dich  derhebt 
hat  ze  der  ewigen  er  vnd  glori  vns  nach  der  durlVtieliait  des  gegfibur- 
tign  lebns  vns  für  zc  der  gesellschaft  der  engl  Der  lebl  \nd  reicht  von 
wcld  ze  weld.    daz  ist  ewichlich. 

(rot.)  Sctfi  had|wig|  ora  J>  me  tibi  tuisq^  laudib;  hm-  lih-4  com- 
pletü. 


364  PBIKB8CH 

.1/.  w.  die  älteste  deutsche  Übersetzung  der  Hedwigslegende,  denn 
die  Schleusinger  Übersetzung,  abgedruckt  van  B.  Obermann,  Da?  lebin 
sent  Hedewigis,  Schleusinger  programm  1880,  stammt  aus  dem  jähre 
1424,  eint  iweite  ebenda  s.  3  erwähnte,  aus  dem  jähre  1451,  auf  ver- 
anlassung des  Breslauer  patriciers  Anton  Hornig  durch  Peter 
TPreytag  aus  Urin)  verfertigt,  und  dazu  kommt  noch  de1)  seltene  Bres- 
lauer druck  des  Conrad  Baumgarten  vom  jähre  150 1  [exemplar  auf 
dm/  British  museumj.  Keine  der  jüngeren  Übersetzungen,  dii  selbst 
wider  vo>/  einander  gänzlich  unabhängig  sind,  zeigt  sich  von  der 
unseren  beeinflußt. 

2.  Nr.  8879 — 80,  pap.}  X  V.jh.  (1451,  mit  nachtragen  von  1453), 
246  bll.  und  vordercustode  mit  dem  eintrag':  Dono  R.  Dni  Groenen 
1778,  kl.quarto,  [14,1  x  9,8].  Buh  initialen,  rote  titel  und  colophon, 
rotdurchstrichene  (/rosse  buchstaben.  Durrhaus  von  einer  hand  ge- 
schrieben. Lagt  u  i  u  S  bll,  he \ eichnet  durch  a  1,  all  —  aV,  bl,  bll  — 
bV —  zl,  zll ■.  V  und  aal. . . .  ßV  -  hhl . . .  hhV. 

Geschrieben  wurde  der  codex  laut  eintrügen  auf  bll.  lla  und  .vT'' 
von  Liebhart  Egkenuelder,  notar  der  stadt  Pressburg,  der,  tvie  wir 
sehen  werden,  in  colophonen  und  nachtragen  (23b — 24b)  einzelnes 
über  sich  selbst,  mehr  noch  über  die  politischen  Verhältnisse  Ungarns 
in  den  jähren  1451 — 53  notiert.  Den  hauptinhalt  seiner  arbeit  aber 
bilden  folgende  stücke: 

I.  Bl.  la  —  lla.  Rote  Überschrift:  Hie  hernach  volget  ein  schone 
historien  von  den  vier  swestern  die  Barmherczichait  der  frid  die  war- 
hait  vnd  die  Gerechtichait  vnd  von  erst  die  vorred  vnd  die  historie 
haldet  inn  wie  got  mensch  ist  wordenn  vnd  ein  guete  gleichnnß  mit 
aine  peyspil  das  vns  got  chund  hat  getan  vns'  sei  selichait.  nu  Rieft" 
wir  got  treulich  an. 

Diese  historie  ist  nichts  anderes  als  eine,  ihren  Ursprung  durch 
stehen  gebliebene  reime  leicht  verratende  prosaauflösung  des  Thürin- 
gischen gedicktes  'Sich  hüb  vor  gotes  fröne',  das  Bartsch  p.  IX — XX 
der  einlcitnng  x,ur  'Erlösung'  abgedruckt  hat.  Eine  abschrift  dieses 
in  der  zweiten  hälfte  des  XIII.  jh.  entstandenen  gedicktes  oder  bereits 
seine  prosaauflösung  wird,  so  dürfen  wir  auf  grund  der  regen  be- 
xiekungen  xivischen  beiden  hindern  in  jener  zeit  schliessen,  entweder 
für  sich  oder  als  bestandteil  eines  sammelcodex1  aus  Thüringen  nach 

1)  Ist  es  mehr  als  xufall,  dass  das  gedieht  auch  im  Kolocxaer  codex  (nr.  120) 
steht"?  Freilich  könnte  derselbe,  falls  er  für  <li<  sc  nwnmer  Egkenuelder  als  vorläge 
gedient  hätte,  dann  xtvar  aus  der  bibliothek  des  königs  Matthias  Huni/adi  stammen, 
aber  nicht  in  dessen  auftrage  hergestellt  ivorden  sein. 


AUS    DKDTSCHKN    HANDSCHRIFTEN    IN    BRÜSSEL  365 

Ungarn,  vielleicht  nach  Pressburg  gewandert  sein,  wo  unser  notar  sie 
fand  und  für  seinen  zweck  nutzte.  Ich  teile  nun  vorrede,  anfang 
und  schluss  der  prosabearbeitung  zum  vergleich  mit: 

Vorrede  (=  Bartsch  a.a.O.  v.l  — 18).  Sich  hueb  vor  gutes  trone 
ain  gesprech.  von  dem  menschen  der  verlorn  was  lange  zeit,  vnd  do 
vnss  herre  got  sach.  die  gross  Jamerchait  die  der  mensch  leid  in  der 
werlt  do  er  was  geuallen  in  den  ewigen  tod.  darüb  das  er  gotes  gepot 
nicht  behaltfi  hat.  vnd  wie  in  got  den  menschen  herwid1  pracht  Ist 
die  red  ettbas  wunderlich  ze  hörn.  Darumb  hört  wie  gotes  sun  das 
an  cham.  das  er  an  sich  nam  die  mensch ait.  vnd  vns  her  wider  pracht 
vnser  sei  selichait.  Darumb  höret  ein  peyspil.  vnd  sollet  das  eben 
inerkenn,  das  ir  die  historie  vernembt  dest!  pas.  wie  vns  got  der  herr 
erledigt  hat.   von  dem  ewigen  tod  |  vnd  ist  also. 

Anfang  (==  Bartsch  v.  19 — 72).  Ez  was  ein  chunig  lobleich  | 
dem  macht  nyemant  gleich  wesen  )  der  het  vier  tochter  [  Auch  het  der 
chunig  eine  ainigen  sun.  Nu  hört  vnd  merke  welich  nam  der  tochter 
was.  die  erst  hies  parmhertzichait.  die  auder  hies  die  warhait  |  die  dritt 
hies  gerechtichait  die  vierd  hies  der  frid  |  vnd  des  chuniges  sun  hies 
die  wishait.  Auch  het  der  selb  chunig  aine  chnecht  den  het  er  be- 
schaffen nach  sein  pildnuss.  Nu  merkt  wo  ich  die  red  hin  eher  |  der 
chnecht  der  was  Adam  j  der  gotes  gepat  vber  trat  |  das  er  den  Aphel 
nam  |  dadurch  wir  vieln  in  den  ewigen  tod  |  darumb  wir  noch  all  die 
angeporn  sund  niuessen  tragen  an  vnser  wat1  |  darumb  er  dann  vmb 
sein  vngehorsam  v'stossen  ward  aus  dem  paradeis  |  darnach  vber  manigk 
tausent  iar  Sach  die  parmherzichait  den  menschfi  leiden  liie  in  dem 
eilend  grossen  jamer.  quäl  vnd  laid.  des  wannt  si  ir  henndt  vnd  liess 
sich  des  ser  erpannen  |  Si  stuend  auf  vnv'drossennleichfi  vnd  gieng  für 
gotes  trone  und  hueb  ain  red  an  vnd  sprach  j  himelischer  vat'  moin  | 
Ich  pins  dein  erste  tochter  |  vnd  haiss  die  parmhertzichait  |  der  name 
ist  mir  gegeben  durch  dein  guet  ;  das  ich  mues  sein  parmhertzig  |  Ich 
pitt  dich  her'  got  vnd  vatter  mein  |  das  du  dich  erpannen  wellest  vber 
dein  arme  creatur  den  menschn.  her'  val  meins  namens  muest  ich  mich 
ser  schämen  So  ich  uit  parmhertzig  wer  viul  uerluer  auch  meine 
Damen,  darumb  wil  ich  enpern  nicht,  du  mussl  mich  her'  gol  himelischer 
vater  gewern. 

//  Demnach  sind  die  f.  n     -ir,  tu  lesen: 

dar  limine  wir  aooh  alle 
die  angeborne  missetäl 
rnuzen  tragen  an  unser  wät. 


366  PRIEBSCH 

HL  W"  Sckluss  (  Bartseh  v.  t52—85).  Seht  do  chom  ein 
chlar  gewolken  vnd   nam   in  von  im  augfi   also  da  do   nicht  mer 

sahen.  Doch  so  warn  si  des  in  zweiuel  |  vrafi  si  noch  nicht  warn  er- 
fiilt  mit  den  genaden  des  heyligen  geistes1  sy  stunde  all  vnd  sahen  in 
das  himelreich  [  wan  all  ir  begier  lag  an  irm  schepher.  Die  weil  si 
sahen  in  die  hali  |  do  werdenn  si  gewar  j  das  bey  in  stuenden  /wen 
man  mit  weissen  claiden  |  Die  sprachS  zu  in  Ir  mannen  von  Galilea  | 
wes  stet  ir  vnd  schaut  hoch  in  das  himelreich  wissel  furbar  Ihüc  der 
eucli  benomen  ist  |  der  ist  zu  himl  gefarn  |  vnd  ist  sitzen  zu  der  rechten 
hanndt  seines  vaters  |  vnd  wirt  euch  her  wider  chömen.  Recht  solicher 
getaner  weis  als  er  dann  auf  gefarn  ist  |  des  hell'  vns  der  Junkfraun 
Maria  sun  das  wir  sein  angesicht  an  dem  Jungieten  tag  muessen  sicher- 
leichen  sehn  wir  sollen  lob  iehen  |  dem  vater  das  er  vns  gab  zu  trosl 
seine  aingeporn  sun  der  vns  erlost  hat  mit  seinem  rasen uarben  pluet 
wir  sollen  ym  dem  sun  er  geben  |  das  er  sein  pluet  durch  vnsfl  willen 
v'gossen  hat.  da  (lla)  mit  er  vns  macht  los  von  des  teufeis  pannden. 
Auch  sey  der  heylig  geist  vnser  trost.  vnd  vns'  gnad  zu  aller  zeitt 
amen  amen. 

(Bot.)  Geendet  ist  die  historien  von  den  vier  erüreichen  swestern 
des  heils  vnser  sei  durch  liebhartn  egkenuelder  geschriben  vnd  ver- 
pracht  an  sand  Jacobs  abnt  in  anno  dorn  :c  L  p'mo  des  selbii  jars  was 
ein  erbirdig'  geistlicher  prueder  chomen  gein  wien  des  ordens  sand 
f'ranciscen  de  obseruantia  vnd  ein  mitbrued'  des  heyligü  vater  sand 
Bernhardin  vnd  was  mit  namen  gehaissen  Johannes2  gar  eins  geist- 
lichen lebens  vnd  hat  zu  wien  vil  nemlicher  predig  getan  die  vor  nit 
vil  erhört  seiu  Auch  vil  vnd  vil  wunderzaichen  sein  von  im  geschehen 
in  dem  namen  Jhesus  vnd  durch  das  verdien  des  lieben  sand  Bern- 
hardin  vnd  mit  seinem  heyligtum  damit  er  dy  leut  berurt  hat  vnd  sein 
gesundt  worden  jc 

II.  Bll.  llb — 23a.  Bote  Überschrift:  Darnach  volget  ein  schone 
historie  wie  got  den  menschen  beschaffen  hat  wie  lang  Adam  gelebt 
hat  mit  seine  sun  vnd  tochtern  Auch  wie  noe  gelebt  hat  vnd  wie  ei- 
sern arch  hat  gemacht  vnd  also  furbas  von  den  geschlechte  huius  auf 
die  gepurt  cristi. 

Anfang:  Es  ist  ze  merken  lieben  prueder  wie  got  am  anefang 

himl  vnd  erd  beschaffen  hat.  —  Schluss  23 a:  Aber  die  päsen  werden t 

1)  Der  satx  von  Doch  so  —  geistes  erscheint  gegenüber  dem  abdrucke  Bartsch' s 
als  erklärender  xusatx  Egkenuelders,  ebenso  w.  u.  der  ist  zu  himl  —  vaters. 

2)  D. /'.Johannes  Gapistran;  rgl.Palacky,  Geschichte  von  Böhmen  IV.  s.281fgg.: 
v.  Krones,  Handbuch  der  geschickte  Österreichs  II,  370 fgg. 


AUS    DEUTSCHEN    HANDSCHRIFTEN*   IN    BRÜSSEL  367 

chomen  mit  den  teufein  in  die  hell  |  vnd  darinn  beleiben  ewichlich  | 
Da  vns  vor  geruch  zu  erledigen  |  der  da  lebt  ynier  vnd  ewichleich 
amen. 

Finis  hui9  tractatuli  de  cursu  mundi1  vitaq3  patrü et  extremo 

iudicio  feria  Sabbati  affre  mtis  anno  Lpö.  (rot)  desselben  Iars  raist  ich 
mit  hern  Bartobne  Scharrach  jn  der  stat  gescheit  vnd  notturft  gein 
Tumespurg  vnd  mit  vns  Virich  kursn  vnd  warn  aus  vier  wochfi  vnd 
ain  tag  vnd  raistn  aus  am  freytag  vor  Geory  vnd  chome  am  pfintztag 
vor  vrbain  dy  ^eit  chriegt  d'  Gub'nator  Johannes  von  hwnyad  mit  de 
Tispot2  vnd  sein  sun  lag  vor  vilegeswär  :e. 

III.  Bit.  25a — 46a:  Hie  hebt  sich  an  die  chunst  vnd  die  eer 
von  dem  hailsamen  sterben  wie  sich  der  mensch  in  chrankait  beraitten 
sol  etc.  reicht  bis  46a  der  da  mit  dem  vater  —  lebt  vnd  herscht  ain 
warer  got.  ewichleichen  amen. 

Dann  rot:  Finis  hui9  Sabbö  an  festü  michael  anno  1451  eodem 
anno  dfis  iohs  de  hwnyad  Gubernator  regni  hungarie  in  exercitu  cam- 
pestri  uersus  Johanne  Giskra  in  suis  getib3  corä  fortalicio  quodam 
Nonstrakirel  (?) 3  est  ^stratns  7  magnis  thesauris  p'uatg  et  spoliatus  p 
sevissimas  et  tyrrannosas  (!)  infideles  Boemos  quos  dns  Johannes  Giskra 
introduxit  >c. 

IV.  Bll.  46b — 85 b:  Hernach  ist  aber  ze  merken  ettbas  gar  guets 
von  dem  hailsamen  sterbn  endet  85 b  da  wir  denn  von  allem  übel  frey 
vnd  ledig  werden  sein  ewichlichen  amen  das  geschech. 

Darunter  rot:  Finis  huius  totius  opusculi  feria  qinta  festi  vndecim 
milia  uirginü  anno  dnl  ?c  Lp'mo.  Eodem  anno  maleficus  vir  Wannko 
de  Rathmanow  residens  ^tüc  in  fortalicio  Corompa '  compulit  dnos  meos 
in  posomo  ad  dandum  sibi  quadraginta  duo  vasa  vini  ut  decias  et 
vindemiä  mitte't  in  pace.  Eod  anno  dnl  mei  arendauer't  decimas  vini 
a  dnö  Jone  de  Go^than  pV°  flor'  auri  :c  acta  süt  hec  g  mang  lieb- 
hardi  Egkenueld'  .ptüc  notarey  Ciuitatis  posomens  :c  1451°. 

V.  Bll.  89a  —  245b.  Hie  hebt  sich  an  ein  guet  puchlein  Maist 
Heinrichs  von  Hessen"'  vnd  ist  genant  das  puchlein  von  der  bechannt- 

1)  Über  eine  nd.,  viel  umfangreichere  Übersetzung  des  Mundi  cursus  vgl. 
Priebsch,  Deutsche  hss.  in  England  I.  s.  109. 

2)  (ieorg  von  Serbien;  vgl.  C.  L.  C  hassin,   La   Eongrie  .  .  .  (1856),   s.  357 fg. 

3)  Gemeint  kann  wol  nur  sein  die  niederlagt  cm-  Loschom  (7.  sept.  1451), 
Palachij  Lc.  IV,  511.  Chassin  /».  372;  M.  Bekeims  gedieht  ((,>.  u.  /•'.  ..  vaterländ. 
yeschichte  1849,  s.  dGfyg.J. 

4)  Also  Korompa  bei  Tgrnau? 

ö)  S.  0.  Hortung,  Henricus  de  Langenstein  diettts  de  Hassia  1857,  worin 
diese  schrift  8.45  als  dir   cin--.ii/e  aufgefülirt  wird,   die  IL  ursprünglich  d*itt.<cii 


368  PRIEBSCH 

quss  der  sunden  darinn  man  \ in<l  vil  gut'  lere.  Schluss  245b:  Gal 
sey  gedannkl  in  ewichaif  der  verbringunge  diser  puchlein.  amen  1  löl 
(rot)  Jinis  huius  in  an.no  L  pö. 

Wir  tri uilin  uns  nun   \n  den  die  bll.  23b—24h  füllenden  histo 
rischen  notixen   Eglcenuelders  über  die  jähre  1452      53. 

:.'.'/".  In  anno  dorn!  Millmö  quadmo  quiquagesimo  2°  Machte  dy 
osterreich'  ein  grosse  sambnung  \\id  chaiser  fridreichen  als  er  cham 
von  Rom  von  wegfi  tunig  lasla  den  zehabfi  als  ein  lanntsfurstfi  ?nd 
waren  haubtleut  der  von  Cili  Graf  vlreich  vnd  vlreich  Eyzing'1  vnd 
legtii  sich  mit  macht  für  ort.  vnd  gewannen  des  an  dem  pernhart 
Mitterndorfei  der  dos  kunig  purgraf  was.  vnd  prantn  das  gancz  aus 
Ks  ist  dauor  mitsambt  in  gelegn  der  von  Rosnberg  i  darnach  als  am 
.Montag  nach  vns'  frawntag  assüptionis  Marie  huebn  si  sich  mit  starkem 
her  für  den  ehayser.  für  dy  neunstat.  vfi  habfl  darein  tan  drey  schiiss 
aus  puxen.  da  ergab  sich  d'  chaiser  in  tayding.  vnd  antburt  den  kunig 
lasla  aus  der  Nennstat  In  das  her  |  den  si  prachtfi  an  Mitichn  vor 
natiuitatis  marie  gein  wienn  mit  gross'  zierhait.  fcessn  enkegn  gen  mit 
lieyligtumb.  Studentn  Junkfrawn  fraun  chindern.  Jungn  und  altn.  das 
ainem  furstn  soliche  zirheit  in  langn  Jarn  nie  ist  erstanden,  als  kunig 
lasla  vnd  (24b)  da  zu  wienn  in  grossii  Gloria  gehaltn.  Es  habn  auch 
mein  herrn  von  prespurg  seine  genadn  geschannkt  vir  v'dachkte  pfert 
in  d!  wochn  exaltacionis  s.  cruc.  anno  dnl  ?c  ut  s  (=supra). 

24.    Eodem    anno   ist  der    herr   Gubernator.   vnd   der   Giskra   mit 

einander  geaint  wordfi  auf  der (?)  nach  ainer  bewertn  verschreibüg - 

und  die  zeit  was  ich  mit  meine  herrn  in  deren  geschert  zu  ofn. 

Eodem  anno  LIIdo  im  Aduent  ward  ein  grosse  säbnung  aller 
lantherrn  vö  vngern  her  gein  prespurg  kunig  lasla  ze  bringii  in  sein 
reich  vnd  zugen  zu  im  gein  wiefl  darnach  in  anno  LIII"  |  hat  kunig 
lasla  d'  Gub'nator  geadelt  vnd  aus  im  gemacht  ein  i'reyn  Grafn  vnd  in 
begabt  mit  neue  wappen  |  ein  rotn  lebn  in  ain!  plabn  veldüg  vnd  in 
der  lenkn  tatzn  ein  guldenne  chron3  vnd  sunst  mit  gross'  herschaft  | 
vnd  sund'  hat  er  im  gebn  Tumespurg  sein  lebtag. 

In  anno  dnl  Milleino  quadm0  L  tertio.  am  freytag  vor  Conüsionis 
pauli  zum   abnt  chom   chunig  lasla  in  die  Stat  prespurg  mit  vil  her- 

abgefasst  %u  haben  scheint  und  xtvar  für  herzog  Albreclds  söhn,  ihn  nochmaligen 
könig  Albrecht  IL 

1)  Vgl.  %u  dieser  darstellung  Palacky  l.  c.  IV,  302pjy. 

2)  Chassin  p.  374. 

3)  Vgl.  dazu  J.  <J.  Sehwandtneri  Scriptores  rerum  Bunga/riearum  tum.  I. 
p.  266  etc.  [in  Joh.  dp   Thwroex  Chronica  Hungarorum] . 


AUS    DEUTSCHEN    HANDSCHRIFTEN    IN    BRÜSSEL  369 

schuft  vnd  fuer  aufm  wass'  herab  vö  wi[enn]  man  ging  gegn  mit  der 
^cessie  vnd  allem  heiligtums  vn  er  ging  vndm  himel  hui9  in  die  chirchü 
am  Montag  nach  (darüber  vor)  pu'ificacönis  vnd  am  erchtag  hielt  er 
ain  hof  mit  stechn  Ritt1  vnd  chnecht  :c  am  Suntag  nach  pu'ificacönis 
vordert  er  das  heyligtüb  vn  br'  vö  mein  h'ren  das  ward  im  geantburt  | 
am  Mitichn  nach  dorothee  eod'  anno  zoch  er  wid'  gein  wienn  vnd  fuert 
vö  dann  alle  chlainat  :c. 

Den  schluss  dieser  eintrüge  bildet  auf  LI.  24h  ein 

Carmen  p  ingressu  Regis  Ladi.     wienne  compositum 

Lob x  sey  dem  herrn  Jhü  crist 

Zu  all'  frist,  seind  das  nu  ist 

mit  frid  so  mynichleichn 

Kunig  lasla  her  zu  vns  gesannt 

In  seine  lanndt.     frid  sey  bechannt 

dem  arme  vn  de  reichn. 

Das  in  vor  vbel  got  behuet 

vnd  sein  gemuet  behalt  in  guet, 

dadurch  er  genad  erwerbe, 

das  er  christnleichen  glauben  mer 

nach  weiser  1er,  valschait  vercher, 

das  nit  sein  landt  verderbe: 

Erwerb  Maria,  Junkfraw  Rain, 

vns  allen  gemain,  Gross  vn  chlain, 

durch  deinen  werden  namen. 

Chunig  lasla  hie  also  Regier, 

das  er  vü  wir  mm'  von  dir 

geschaiden  werdn.    amen2. 

1)  Nur  die  Strophen  erscheinen  in  dir  hs.  abgesetzt. 

2)  Vgl.  Schlager,  Wiener  skixxen  II.  351fg.       Bei  dieser  gelegenheit  möchte  ich 
eine  auf  die  geburt  und  taufe  des  Ladislaus  bezügliche  noti%  anfuhren,  die  sich  auf 

hl.  78b  der  Additionalhs,  24071  des  British  museums  findet,  eingetragen  von  der- 
selben hand,  die  im  jähre  1438  den  ganzen  codex  schrieb,  nämlich  r<>n  Oeorius 
Prunner  dr  Tnferiori  Ruspach  Presbyter  Paiauiensis  Dyöc.  Er  schreibt: 
Auiio  dnl  1440  in  dnica  qua  canit'  in  eccla  dei  Remisce1  quasi  ho'a  t'tia  noctis  peperit 
serenissima  domla  Elyzabeth  liliu  que  misit  batis'e  ei  inposuerül  sibi  aome  Ladislaus 
pereatü  a  serenissimu  wgu  A liierte  P.oliemie  ei  llun^arie  rege  duce  austrie  ?c  et  Marchione 
Morauie  21  die  mensis  februarij  in  bac  silba  (  sillaba) tunc  '.».  kt  Marcii.  Conipres  t'u'nt 
Comes  Bartholomeus  deSegnio  'Ins  doctor  Mgr.  Franciscus  |  9patrix  Margaretha  magistra 
curie  ipius  döe  regine.  Et  fuit  baptisatus  p  Rev'endissimü  dum  archiepüi  Dyonisiü 
Strigonien  in  koniaren  i  magna  stuba  fer'a  seda  in  kathedra  Sancti  Petri  an  FestiJ 
Sancti  Mathie  apti  ig  (<=■  montag  den  22.  febrtiar). 

ZEITSCHRIFT    l.    DEUTSCHE!    PHILOLOGIE.       BD.  \\\\  '21 


370 


PRIKBSCH,     ATIS    1)KUTSCHFN    11  ANliSCHRJI'TKN    IN    HRUSSFX 


3.  Nr.  10758  [877],  pap.,  XVI  jh.  (1530),  U.  quarto  (13,5x 
9,5),  138  hin  Her.  (Hsl.  alte  blattxahlung  von  I — Cund  1  —  29,  dann 
ungezählt).  Farbige  initialen  und  Illustrationen ,  rot  durchstrichene 
grosse  buchstaben,  roh  Überschriften.  Laut  eintrag  auf  bl.  1  gehörte 
die  hs.  in  das  Collegiuni  Societatis  Jesu  Luxemburgi  und  ward 
geschrieben  von  TPrater  Ernestus  Dkeekerchen  (hl.  95),  Gebetbuch  der 
Irminn  Letzhem;  vgl.  dazu  ' '.  Borchling  I.  267 fg.,  wo  einzelnes 
daraus  abgedruckt  ist.  Ich  habe  nur  ein  strophisches  Mariengebet 
hinzuzufügen,  das  auf  bl.  5b  sich  findet: 
1.  0  maria,  maget  fyn,  der  sonnen-      2.  Du    erluehtes    manches    sunders 


hertz, 
Entfeng  vns  der  genaden  kertz, 

wät  en  were  der  sunder  neit, 
So  en   were   dir   neit    das    heyl 

gesell  i  et 
Das-got  geboren  wart  vä  dyr: 
Des  bistu  schuldich  zu  heißen  mir. 


glantz,  des  mandes  sehyn 

Ynnd  aller  sundereyne  troesteryn, 

Du  bioende  roiß  van  Jesse, 

Gebei'ett  hais  du  sonder  we 

Das  kynt  de  heniel  vnd  erde  ist 
vnderdayn. 

()  maria.  eyn  liehter  sterne  clair. 

3.  Sulche  genade  vß  dir  floiß, 

Die  quam  vß  des  hillige  geistes  schoiß. 
Du  droiehs  den  schätz  in  dir  verborgen, 
Der  vns  erloist  van  der  helleschen  sorgen: 
Neit  silber  noch  golt  noch  erdesche  goedt, 
Dan  das  reyne  kusche  Junferliche  bloit 
Daz  vß  christus  syten  floiß, 
Doe  er  den  doit  dorch  vnß  erkoiß. 


4.  Vol  ruwen  weres  du  zu  der  stont 
Als    dyn    kynt    am    cruez    wart 

durchwont 
Des  bistu  nu  jn  freuden  ergatzt' 
Vnnd  zu    der   rechter   hant   ge- 

satzt. 
In     dem     obersten     hemelschen 

throen 
Sytz  du  moder  vnd  maget  schoen. 


5.  Darvmb  wyr  billich  pryßen  dych. 
Des  laiß  du  doch  geneysse  mich. 
Wanne    ich     van     hynnen    sali 

seh ey den 
Wils  mich  zu  dynem  kynde  ge- 
leiden 
Das  ich  hyn  in  ewicheit  moege 

loben  ane  ende. 
Got  vns  van  allen  sunden  wende. 


(Fortsetzung  folgt.) 


LONDON. 


Amen. 

R.   PRIEBSCH. 


NEBERT,    MHD.   ÜBERSETZUNG    DES    LEBENS    DER   VÄTER  371 

EINE  MHD.  ÜBEKSETZUNG  DES  LEBENS  DER  VÄTER 

Von  den  drei  teilen,  welche  die  handschrift  XI,  284  der  stifts- 
bibliothek  zu  St.  Florian1  enthält,  steht  an  erster  stelle  eine  rahd.  Über- 
setzung des  in  lateinischer  spräche  geschriebenen  Lebens  der  väter.  Auf 
das  lateinische  original,  welches  in  vielen  handschriften  und  fast  allen 
älteren  ausgaben  'Vitas  patram'  betitelt  wird,  weist  Hermann  Palm  am 
Schlüsse  seiner  ausgäbe  [Der  veter  buoch'  Stuttgart  1868  (Litterarischer 
verein  72)  hin  und  nennt  als  die  bedeutendste  und  sorgfältigste  aus- 
gäbe desselben  die  des  Jesuiten  Heribert  Kossweyde,  die  zuerst  zu 
Antwerpen  im  jähre  1615  erschien.  Unser  text  hat  nicht  denselben 
umfang  wie  der  Palms:  während  dieser  aus  203  paragraphen  oder  ab- 
schnitten besteht,  enthält  jener  nur  108.  Von  diesen  finden  aber  nur 
45  eine  parallele  bei  Palm,  und  63  werden  also  hier  zum  ersten  male 
mitgeteilt.  Der  anfang  ist  verloren  gegangen,  und  die  Übersetzung  be- 
ginnt mitten  in  einem  satze.  Jeder  abschnitt  bildet  ein  ganzes  für  sich 
und  ist  schon  äusserlich  dadurch  gekennzeichnet,  dass  sein  anfangs- 
buchstabe  rot  geschrieben  ist.  Der  text  ist  der  handschriftlichen  Über- 
lieferung gemäss  abgedruckt,  es  sind  also  auch  offenbare  fehler  des  ab- 
schreibers  nicht  geändert  worden.  Hinter  denjenigen  abschnitten,  die 
eine  entsprechung  bei  Palm  haben,  habe  ich  auf  die  seifen-  und  para- 
graphenzahl  Palms,  hinter  denjenigen,  die  neu  sind,  auf  den  zu  gründe 
liegenden  text  der  lateinischen  ausgäbe  von  Rossweyde  hingewiesen. 
Allerdings  ist  es  mir  in  einigen  wenigen  fällen  nicht  gelungen,  den 
entsprechenden  lateinischen  text  ausfindig  zu  machen. 

Der  dialekt  des  überlieferten  textes  ist  alemannisch;  das  ergibt 
sich  aus  folgenden  beispielen: 

1.  Erhaltung  der  alten  ahd.  vocale  in  den  endungen:  luitwiui  5a, 
kilchun  27 a,  gehorsami  9",  menigi  20a,  sechzigosten  28a,  Dannan  5a. 
26b,  hinnan  15a,  dero  16b.  20a,  gebi  4a.  L5a  enphimgi  5»,  wurdist 
10a,  wunderote  32a,  erxitterote  221'  usw. 

2.  ie  für  e  im  d.  pl.  dien  2a.  4a.  7a  L3a  L6b.  20a  22b  23a 
25 b  usw. 

3.  ä  >  c  ((/j  in  xe  verstenne  36b. 

4.  Umlaut  ou  >  Si,  6  in  iSigte  3a.  27b,  xMgent  22a  /'/<>,/,'  3b. 
7a.  10b.  12b,  fröivet  30 b. 

5.  Aus!,  ii  für  ///  in  kein  5a.  5b.  L0b.  L2b.  I4:l.  I5b  usw..  naktän 
6a,  bön  23b,  heinlich  32a 

6.  r>l  in  Ulche  9b   laichen    I:'".  34b,  kilchun  27a. 

1)  Vgl.  Zeitschr.  34,  14. 

24  * 


372  NKBF.HT 

7.  Die  formen  Ich  machen  5a.  20a,  ZeA  loben  I3b,  kriegen  ich 
\\):\  betten  ich  20a,  jcä  getrüwen  27a  rail   bewahrung  des  alten  //. 

8.  Die  formen  &r  -so///  21b,  .so//  (3.  pl.  ind.  praes.)  '>'.  /'////  //•  5a 
mit  assimilation  des  Inlautenden  /. 

!>.     Wir  sien   (ind.  praes.       sigen)   29b.   34b. 

Die  tonnen  dien  und  /./■  verstenne  machen  es  wahrscheinlich,  dass 
unser  text  dem  südalemannischen   angehört  (vgl.  Zeitschr.  33,468.    L72 

und  34,  14). 

Auch  d;is  original  der  Übersetzung  scheint  in  Alemannien  oder 
wenigstens  in  Oberdeutschland  entstanden  zu  sein.  Darauf  weisen  die 
wörtcr  füret  4b,  fürer  fr',  stungen  I2a,  pfistri  23%  p fister  26*,  .;/•  wer- 
schatxe  26b  hin.  'Den  angaben  der  Wörterbücher  füge  ich  einen  sicheren 
beleg  für  die  Zugehörigkeit  von  xe  uerschatxe  zum  alemannischen  sprach- 
gut hinzu.  Er  findet  sich  in  einer  Urkunde  des  graten  Hermann  von 
Homberg,  welche  am  10.  november  1295  zu  Basel  ausgefertigt  wurde: 

und  dm  weder  der  herscheft  husgesi/nde  von   Homberg  noch  die 

burger  von  Liestal,  die  drinne  gesessen  sint,  niemer  dekeinen  ver- 
schal:, gebin  (Heinrich  Boos,  Urkundenbuch  der  landschaft  Basel  I, 
133,  nr.  183). 

Dem  Schreiber  des  Palmschen  textes,  Nikolaus  Herbord  von  Öls, 
waren  als  Sehlesier  diese  oberdeutschen  ausdrücke  unverständlich,  und 
er  hat  deshalb  dafür  solche  Wörter  geschrieben,  die  entweder  überhaupt 
sonst  nicht  vorkommen,  oder  keinen  sinn  geben. 

Den  beispielen,  die  Palm  s.  88.  89  anführt:  fuier  für  furer  55,  17, 
priester  für  p fister  17,  20,  füge  ich  noch  folgende  hinzu:  für  stungen 
12 a  setzt  der  schlesische  Schreiber  das  keinen  sinn  gebende  steigen  47,  5, 
welches  Palm  in  stechen  verbessert  hat  —  %e  uerschatxe  26 b  (=  fähr- 
geld,  schiffslohn)  ändert  der  Sehlesier  in  %v  vertschefte  80,  35,  welches 
in  den  Wörterbüchern  nicht  belegt  ist.  Palm  hat  hieran  keinen  anstoss 
genommen. 

Über  das  Verhältnis  unseres  textes  zu  dem  Palms  soll  hier  nur 
so  viel  gesagt  werden,  dass  beide  nicht  auf  dieselbe  vorläge  zurück- 
gehen können,  weil  nicht  nur  die  anzähl  der  abschnitte,  sondern  auch 
ihre  reihenfolge  in  beiden  durchaus  verschieden  ist. 

Da  die  ganze  St.  Florianer  handschrift  von  einer  hand  in  einem 
dialekte  geschrieben  ist,  so  gilt  für  die  entstehung  unseres  handschrift- 
lichen textes  dieselbe  zeit,  die  für  die  predigten  des  Nikolaus  von 
Strassburg  (Zeitschr.  34,  14fg.)  und  für  eine  alemannische  fronleichnams- 
predigt  (Zeitschr.  34,  55)  festgesetzt  ist,  nämlich  die  jähre  1325  — 1350. 


MHD.  ÜBERSETZUNG  DES  LEBENS  DER  VÄTER  373 

Wann  das  original  der  Übersetzung  entstanden  ist  und  wer  sein 
Verfasser  war,  ist  unbekannt. 

(la)  iar  alleine  ob  einem  backe  de  si  nie  dur  enkein  kurxwil  in  das  wasser 
gesah  (Palm  44,  18  =  §  131).  —  Tperieius  speh.  von  uastenne  ein  tum  lip  <h  hebt 
dir  selr  uf  vs  <P  vinsternisse  vn  derret  bös  gelüste  (Palm  40,  11  —  §  137).  —  Siluanus 
d'  abt  vn  uieharias  sin  iung*  käme  sament  7  ein  klosV.  vn  do  sü  däne  wolten 
scheide  do  bette  sü  die  brüd'  essen  e  das  sü  vö  inen  schiedin.  Des  uolgeten  sü 
inen  vn  gienge~  do  iren  >ee<j.  vn  uf  <h  Strasse  do  uant  uicharias  wasser  vn  wolle 
des  trinken.  Do  speh  ds  alte,  sun  vnser  uaste  ist  htittt .  Der  iung'  speh.  vatt1  wir 
habe  doch  gessen.  Do  sßch  der  alte.  Das  essen  was  der  mim .  sun  wir  sule  halte 
vnser  uasten  (Palm  40,  13  =  §138). —  Theophilus  d'  erxbischof  in  alexandria  latte 
eins  males  etwie  mangen  abt  in  sinen  hof  vn  wolte  mit  inen  bette  de  du  takle  d' 
abgölten  terbrechin.  Dise  altuett'  axen  mit  dem  bischofe  kelbrin  fleisch  vn  spräche 
mit.  Do  nam  der  bischof  einen  braten  vö  siner  schüssel  vn  gap  in  eime  abte  d' 
bi  wie  sas  vn  sjich.  sih  dis  ist  gut  fleisch  isse  es.  Do  spräche  dit  münche.  wir 
wände  vn%  nu  wir  exin  krüter  ist  es  ab'  fleisch  so  essen  wir  sin  nit  mer.  also 
Hessen  sü  do  das  fleisch  von  in  trage  de  sü  uor  vnbedahtklieh  hatte  gessen  (lb)  vn 
darnach  ax  ir  kein'  me  (fehlt  bei  Palm.  Rossweyde  V.  1,63  =572a).  —  Ein  bräd' 
fronte  einen  alte  vn  sprach,  was  sol  ich  hin.  min  gedenke  sini  alle  \it  an  m- 
küsekkeit  geneiget  vn  ich  mag  ein  stunde  nit  geräwe  dar  umb  truret  min  sele.    Der 

in 
alt  speh.     Seiet  ds  tüuel   in  diu  h'xe   vnhüsch  gedenke  so  rede   mit  dinem  gemüte 

dar  vö  nit  wä  es  ist  des  tieuels  werk  d'  versuchet  also  dii  lüte.  Doch  mag  er 
nieman  betwingen.  es  ist  an  dir  ob  du  es  wellest  enphahe  od1  nit.  Madianite 
Messen  eine)-  sehiaht  lüte  die  werte  ir  toht'en  vn  sasten  sü  an  die  Strasse  da  die 
israhelschen  hine  ritten,  die  frbwen  twunge  nieman  de  er  t,i  inen  legi  doch  uieien 
die  etliche  mit  inen  in  sünde  vnbenötet  vn  wurden  erschlagen.  Die  and'n  u'smaheten 
sü  ab1  vn  räche  die  sünde.  also  ist  es  bch  vb  die  vnküschen  ged  nh .  D'  braei 
speh.  Ich  bin  blöde  vn  übhoindei  mich  min  bekorunge.  !><>  speh  d'  alte.  So  dir 
kome  in  din  h>xe  de%  tieuels  anuechtunge  so  antteürte  irem  rate  nit.  ile  an  dm 
gebet  vn  spche.  Wre  ih'u  xpe  gottes  sun  erbarme  dich  üb'  mich.  Der  worte  kraft 
r't rittet  den  tüuel  vö  dir  (Palm  47.  2h  j?  141).  —  Ein  bräd'  was  heiliges  lebens 
den  maite  d'  tieael  gar  sere  mit  anuechtüge  d'  vnküschkeit  darwnb  gieng 
eime  alte  vn  seit  im  sine  gedenke.  D'  alt  sp'-h.  Swer  sogtan  (2a)  gedenke  enphahet 
der  ist  vnwirdig  münchlichs  ordens  vn  wirt  uerlorn.  Dauö  wart  d'  brud'  v'xwiflende 
an  gottes  erbermde  vn  schied  uö  sin'  edle  vn  wolt  wid'  gangS  sin  in  die  weit.  Nu 
fügte  vnser  h're  de  im  vfd'  uerte  begegete  ein  abt  d'  hies  Apollo  der  sah  in  trurek- 

tiehen   ijan    rn    fragete    in   narnmbe    er    betrübt   w'e.      Do  schämte    sich    '/'   brnd".    vn 

nach  lang'  /rage  seit  er  im  nie  er  vö  vnküschen  gedenken  :>i  dem  alte  was  körnen 
vnd  wie  er  uö  de:   worten    x,wiuelhaft   was  norden  vn  um    er  wid'  wöli  gan  in  die 

Welt      Do   dis    Apollo   erlna-lr   snn    sj'ich   er    fnrhle    dir    nit.     liab   ,  nlainc    \ieiml.     Ich 

wird  in  disem  altur  uö  vnküschen  gedenJci  aar  vil  vn  dik  angeuohte,   tmre  nit  in 

dinen  arbeite  die  ane  got   nieman  überwinden   mag.   vn  gäg  bat  durch   min  bette 

Wid'    in    din   reite.      Das   /et   er.      Do   [ar  d'    ab/    uö    im     ,h   dis    alten    cellc    </'    in   da 
\iriaelhafl  halle  gemachet,   rn  nsser  halb  d'  Celle   bat  er  insem   h'ren    weinende  also 

H're  got  du  tust  allü  gütü  dßg  verk'e  des  iungen  brüd's  anuehtüge  an  disen  alti 
d,   er  an  sinetn   aller  l'ne  dien  iungS  glöben   dii   so  gron   mart'  uö  bekorüge  lident. 

ni    mich    deine    ijebetle    sah    er    einen     mon     stau    uor    des    alten    cellc    rn    durch    in 


374  NEBEST 

sckiessS  ma/mg  (2b)  schox.  Dauö  wart  der  alte  reht  ah  ein?  d'  trunki  ist  hin  vH 
her  Idfende  vn  für  it/mbe  ah  ei/n  töbiger  man.  in  </<>  er  nit  >/"■  liden  mohtt  do 
gieng  er  vs  d'  Celle.  vn  null  ihn  selbi  weg  in  du  weit  singega/ngi  den  öeh  d'  iungt 
brud'  was  gegangen.  Nu  uerstünt  Appollo  >i  abt  wol  vir,  es  umb  <li m  alten  geuarn 
was  rn  begegente  im  Sek  vf  derne  weg  vn  spch.  war  will  du.  was  ist  dir  dauö  'In 
so  trurig  bist.  Do  wiste  d'  alte  Seh  wol  </<  Appollo  d'  abt  sin  sacke  wol  erkandt 
vn  s/ecig  uor  schäme.  Do  spch  d'  abt.  Gang  wider  in  din  celle  m  erkSm  fürbat 
din  kranhheit.  vnd  habe  dich  selbi  da  für  dax  dich  in  ml  nil  erkennet  od*  dich 
v'smaket  darumbe  de  du  nitwirdig  bist  sin*  anuehtu/nge  als  ander  heilig  UUe.  wa 
sa  nun  anuehtüge  du  mohtest  dock  einen  tag  nit  wider  striten.    Dis  ist  dir  dauö 

wid'uarn    de    'In    eer:/ei/litnge    moehelest    mi    ihm    in/nje    brlhV    din    iln    sollest    Imn 

getröstet,  vn  uergesse  des  gebottes  vnsers  h'ren  gottes  de  er  sprich^.  Löse  die  lüte 
die  mit  füret  :  ii  dem  tbde.  Nienm  mag  des  tüuels  läge  vnd  der  wallenden  natur 
hitxe  erliden  nun  <h  ihn  gottes  erb'mde  nil  behalten.  Nu  suis  wir  beide  samet 
got  bitte  de  er  dir  abe  neme  die  geislen  die  (3°)  er  uf  dich  Imt  gesendet,  toä  er  gif 
we  rn  nid  er  slahet  rn  heilet,  er  nid't  m  höhet,  er  tötet  vn  mucket  lebend,  vn  nah 
d  lere  spräche  sü  ir  gebet,  vn  du  nur/  d'  all  erlöset  rn  sin'  arbeit.  Do  sprach 
ihr  abt  Appollo  \n  di  nie  alten.  Bitte  got  de  er  dir  gebe  wisheit  xe  sprechenne 
sind  wort  so  es  ;ii  ist  (Palm 51, 30  =  §  149). —  Eij<  brüd'  hatte  leid  vö  dem  geistc 
d'  vnküschkeit.  D*  gieng  xü  einem  gar  heilige  abte  vn  sprach,  vil  seliger  im//' 
bitte  über  mich  ivd  mich  richtet  der  tüuel  swarlichen  an  mit  vnküschkeit.  Do  bat 
d'  alte  tag  vn  naht  gar  flixeklich  got  üb'  in.  vn  er  kam  aber  \n  dem  alte  vn  bat 
in  alles  de  er  got  für  in  bete.  Do  begonde  d'  alte  truren  de  got  sin  gebet  üb'  den 
brüd'  not  /rolle  erhören,  vn  in  d'  selbe  nacht  xöigte  im  ins'  h're  in  dem  geistc 
den  selbe  brüd'  wie  er  sas  vn  d'  tieuel  uor  im  spilete  in  dem  bilde  maniger  hand 
wiplich'  forme  vn  wie  d'  münch  mit  glüsten  des  /cor  nam.  Er  sah  och  einen 
enget  da  stan  mit  trurig'  geberde  wids  den  brüd'  de  er  sin  gedenke  so  lieplick  hielt 
rn  si'i  mit  gehette  vn  mit  venierme  nil  v'treib.  Do  erkunde  d'  heilig  man  de  er 
mm  des  münches  schulden  eh'  in  niht  erhöret  nur/  vn  sprach.  Brüd'  du  Lisi 
schuldig,  du  teilt  in  bösen  gedenken  diu  wollüst  hohe.  (3b)  es  ist  nit  möglich  du: 
ieman  disen  tüuel  uö  dir  r'tribe  mit  sime  gehette  m  mit  andre  arbeite  du  /teilest 
den  och  mit  ime  arbeit  höbe  bettende  vnd  uastende  vn  wackende  m  weinende  gottes 
hilf  suchen  de  du  dine  gedenke  mögest  wid'stan.  S/rele  sieche  nit  essen  vn  muten 
wil  de  in  sin  arxad  heisset  d'  mag  uö  des  arxades  wis'  kunsf  nit  genesen,  also 
ist  es  och  umb  d*  sele  sicchtüm.  D'  heilige  gebet  hilfet  nieman  d'  im  seihe  nit 
helfe  ivil.  vn  also  uö  dez  heilige  abtes  lere  wart  d'  brüd1  cricecket  xe  gute  dinge 
vil  kestiget  sinen  !ij>  mit  uastene  vn  mit  wachene  vn  mit  bettene  r/r.  dos  vns's 
h'ren  erb'mde  i/uc  alle  sin  arbeit  ab  nam.  vn  wart  ein  heilig'  man  vn  uerdinete 
die  ewige  fröde  (Palm  54,  11  =  §  151).  —  Theodorus  d'  abt  hatte  dr/'t  hoch  d'  gieg 
für  machariü  den  abt  vn  spch.  ich  hau  dr/i  hoch  da  lisc  ich  an  d/tr  besserüge  vn 
lise  od'  lihe  sü  och  den  brüdern  die  hesserent  sich  och  dar  ab.  Sih  we  sol  icli  da 
mitte  tun.  Do  speli  machariü.  es  sint  gar  gütü  werk,  doch  w'e  besser  xemal  m/t 
habe.  Dax  horte  Theodor 9  vn  v'kofte  du  buch  vnd  gap  die  Pfenninge  dürftigen 
(fehlt  bei  Palm,  Rossweyde  V,  6,  6  =  582 a).  —  Pambo  hiex  ein  abt  d*  rersmahete 
gold  vn  silb'  nach  gottes  gebotte  wa~  er  was  an  alle  (4a)  tagende  uolkomen.  zfi  deme 
kam  ein  edelü  maget  uö  Rome  du  hiex  Melalia  vil  brahte  im  drü  hundert  pfunt 
silb's  vn  bat  in  de  er  etwas  ir  gutes  nemi.  Nu  machet  er  in  siner  celle  körbe  vn 
grüxte  si  vn  bat  ir  got  Ionen  mit  kurzen  worte.     Do  hiex  er  sine  iung*  de  silb' 


MHD,  ÖBBB8ETZ0NG  DES  LEBENS  DER  VÄTEB  375 

alles  glich  (eile  vnd'  dir  brüd'  die  da  im  reu  in  Lybia  vn  vf  den  inseien  wä  du 
klSst'  waren  arm.  vn  uerbot  im  de  er  dien  brüd'n  i  Egypto  icht  gebi  wan  dm, 
laut  hatte  uil  spise.  Nu  stünt  du  frdw  vn  wartet  sins  segens  od'  sins  lobes  umb 
die  gäbe.  Do  sweig  er.  vn  si  sjteh.  k're  weist  du  den  Silbers  sint  drü  hund't  pfüt. 
Do  speh  er.  'locht*  dem  du  dis  silb{  hast  gegebe  d'  In  darf  nit  de  du  im  kündest 
>cic  uil  sin  ist.  er  hat  alle  berge  gewege.  so  mag  er  bas  wissen  dins  silb's  gewege. 
Ilettist  du  mir  es  gebe  so  möchtist  du  wol  sage  wie  uil  sin  ist.  Nu  gehe  du  es 
gotte  r/!  v'smahet  enkein  gut.  dar  umb  sw ige  vn  rüwe  (fehlt  bei  Palm,  Rossweyde 
946b).  —  Sincletiea  du  heilig  fröw  sprach,  es  ist  gar  gut  der  niht  hat.  Des  libes 
arbeit  ist  d*  sei  rüwe.  so  man  swarxes  gewant  vnd*  den  fasse  triftet  vn  keret  es  wirt 
tri:  vn  schön,  also  gesehihet  och  d'  sei  uö  des  libes  arbeiten  (fehlt  bei  Palm.  Ross- 
weyde V,  6, 13  =  583a).  —  Sinclecius  hics  einre  d'  widerseit  d'  weite  vn  gap  sin 
gut  armen  lüte  vntx  an  ein  teil  den  behielt  er  im  selb'.  :  ü  dem  speh  Basilius. 
(4b)  Du  hast  uerloren  od'  v'laxe  die  senatorie  vn  bist  doch  mit  ein  münch  (fehlt 
bei  Palm,  Rossweyde  V,  6, 10  =  583  a).  —  Ein  brüd'  fragte  einen  alten  wa  mit  er 
behalten  möeht  w'den.  Do  xoh  cV  alte  sin  gewant  ab  vn  leite  einen  gurtel  muh 
sich  vnd  strachte  sine  hende  uö  im  vn  speh.  also  ngekent  sol  ein  münch  sin  vö 
weltlicher  maVie.  vn  sol  sich  selbe  krüxigen  de  er  weltlicher  bekorunge  müg  ange- 
sigen  (fehlt  bei  Palm,  Rossweyde  V,  6, 16  =  583  b).  —  Ein  heilig'  dbt  was  l  egypto 
der  cjieng  vss'  sin*  celle.  do  kam  im  ein  gedank  das  er  die  stat  durch  got  lie\e. 
dar  umb  enkam  er  nüt  wider  in  die  celle.  D'  selb  alte  hate  all'  d'  weit  gutes  nüt 
nie  dene  ein  nudlun  da  mit  er  bleW  spielt  vn  /lacht  alle  tag  an  ieklichem  drü 
seil  da  mit  hafte  er  sin  spise  (fehlt  bei  Palm,  Rossweyde?).  —  Ein  briuV  hatte 
alles  gutes  nüt  mc  den  ein  buch  dar  au  stünde  du  ewangelia.  da*  v'kfiflt  er  vnd 
gap  die  Pfenninge  arme  lüte  vn  speh  do.  Ich  han  de  tcort  v'köffet  vn  armi  tüten 
gegebe  de  mir  alle  %it  seile.  v'kSfe  allu  die  ding  die  du  hast  vn  gib  su  den  armen 
(fehlt  bei  Palm,  Rossweyde  V,  6,  5  =  582a).  —  Ein  man  bat  einen  alti  de  er  sins 
gutes  nemi.  Do  enwolte  er  sin  nit  wan  er  speh  er  w'e  sin  nit  notdürftig,  vn  speh. 
Das  w'k  min'  handen  füret  mich.  Nu  bat  er  in  de  er  es  dur  arm'  lüte  not  wölti 
neme.  Do  sprach  d1  alte,  hie  uö  gewwie  ich  twen  schade,  einen  das  ich  nemi 
des  ich  nüt  bedurfte.  (5a)  den  and'n  de  ich  vppig  ere  enphieng'i  uö  dl  gäbe  frömdes 
almüsens  (fehlt  bei  Palm,  Rossweyd*'  V.  6,  IT  583b).  Von  kriechen  kamen  ein1 
\it  lüte  vn  brachten  ir  almüsen  in  ein  stat  vn  baten  die  priest't  das  su  inen 
xeigtin  an  wem  es  wol  w'e  bekert.  die  priest'  fürte  sü  tu  einem  vxsetxige.  dem 
butte  sü  das  almüsen.  der  wolt  sin  nit  nemi  vn  speh.  Ich  machen  vs  palmen 
matten  da  mit  gewinne  ich  brat  ze  essen.  Dannan  form  sü  te  einre  leitwun  celle 
vnd  stiexen  an  die  tür.  da  kam  d'  witwen  toht'  nackent  gegange,  d'  butte  su  ein 
gewant  vn  pfennige.  des  wolte  si  nit  vn  speh.  min  müt'  seit  mir.  ich  Imb  got 
gesendet  ein  werk  da  mit  wir  vns'  notdurf  gewinne,  in  der  rate  kam  du  müt'  di> 
bäte  sü  öch  de  si  ir  almüsen  nemi.  do  speh  si.  vnser  herre  got  ist  min  bei 
icent  ir  mir  den  hüt  nemen.  vn  enwolte  ir  almüsens  nit.  dann  wurde  sü  gel 
vnd  Iahten  ejat  (fehlt  bei  Palm,  Rossweyde  V.  6,  18  583b).  ■  Ein  alt  einsidel 
was  vxsetxig  'lern  bot  ein  guter  man  sin  gut  vn  speh.  habe  di<  pfennige  tu  diner 
terunge.  du  bist  alt  vn  siech.  Do  speh  <l  alte,  kämest  du  nach  sechzig  iareu  d, 
du  mir  minen  fürer  hemmest,  die  lange  tii  bin  ich  siech  gewesen  vn  gap  mir  got 
min  spise  de  mir  nie  gebrast,  also  trug  d'  man  sin  gut  wider  hein  (Palm  55,  I  l 
§  153).  —  Ein  brüd'  konde  garten  (5b)  buioen.  </'  arbeite  gar  eil  vn  gap  armi 
Ititen  swas  er  nie   sin    no/durft  yc/ea.      Dem   riet  d'   tüuel  de   er  also  ydahte   in   im 


376  NKBKRT 

selbe.      Stimm-  dir    :elln    itnii    VÜ  />/'<  n imjen   dt    dir  nn   diner.i   alter  od'   ob  <//> 

w'dest  nit  gebreste.  also  fulte  er  ein  Idgelli  mit  pfSnmgS.  Darnach  wart  er  siech 
ni  wart  im  ein  fir.  swellSde  vn  uerxarte  alle  sine  pfewnXge  mit  arxaden  de  im 
nie  enkeine  gehelfen  mochte,  xe  mngest  Itü  ein  wiser  arxad  vn  spch.  wir  m 
disen  fi'r.  abschlahen  od'  aller  diu  li/p  fulet.  des  uolgte  im  d'  brüd'.  vn  in  dem 
irillc  für  d'  arxad  kein  nach  sime  gesekirre.  vfi  d'  selbe  nacht  gedahte  d  münch 
an  die  künftige  arbeit  vn  wevnete  vfi  ermante  got  mit  disl  wortS.  h'r  gedenk  an 
mim}  erste  nirl:  irie  ich  mit  minni  min  Hin  unm  Inten  half.  Der  worte  antwitrte 
imv  gottes  cimc/.  also,  wa  sint  nu  die  pfennTge  die  du  ha  t  gesamnet.  wa  ist  nu 
diu  .iiiesihi.  Do  uerstünt  d'  brüd'  wol  was  er  meinde  vn  spch.  Ich  habt  gesundet 
de  vergibe  mir  h're  got  ich  tun  es  nit  me.  Do  berürte  im  d'  enget  sini  füx  vn 
imichte  in  gesunt.  Des  morgens  frii  giSg  er  arbeite  an  ■■-■inen  aclcer.  Der  arxad 
kam  als  er  hatte  gedinget  mit  sin'  bereitschaß  vn  wolt  im  den  fi'r.  hon  abge- 
schlagen. Do  wart  (6a)  im  gesell  de  er  an  dem  acker  was.  des  wund' et  in  sert  vfi 
gieng  selb  xü  im  ni  null  in  wol  gesunde,  vn  sü  loptö  beide  vns'n  h're  got  d  im 
die  groxen  gnade  getan  halte  (fehlt  bei  Palm,  Rossweyde  V,  6,21  =  584 
Bistamonem  den  abt  fragte  ein  brüd'  vnd  spch.  Ob  ich  and's  mag  han  des  ich 
bedarf  dunkel  dich  gut  de  ich  nit  arbeite  v/nb  min  notdurft.  Do  sprach  d'  alte, 
swie  uil  du  habest  dar  umb  sinne  dich  nit  mit  arbeitene.  In  doch  swas  du  ie  mer 
fdrhringc  mdgest  (fehlt  bei  Palm,  Rossweyde  V,  6,11  =583aJ.  —  Agathon  d'  abt 
rih/e  alles  sin  ding  mii  besehe/ denheit.  sin  gewant  /ras  also  de  es  niemä  für  gut 
■noch  für  bös  mohtc  angesehen.  D"  selb  spch  \n  sine  iügern.  Eins  münches  kleide  r 
s/'dlent  sin  de  sü  frost  vn  naktiin  muge  v'tribe.  vn  son  ane  die  ua/rwe  sin  uö  d 
de  h'xe  in  hofart  od''  in  boxheit  muge  genauen  (fehlt  bei  Palm,  Rossweyde  IV,  75  = 
5l2b).  —  Agathon  den  abt  bat  ein  brüd'  de  er  in  bi  im  liexd  hüben,  den  enphieng 
er.  vn  sah  in  in  d'  hand  ein  glas  trage.  Xu  fragte  er  in  w'  im  es  hete  gegeben. 
Do  seit  im  d'  brüd'  de  er  es  vf  d'  straxe  hetti  fanden.  Der  alt  spch.  Leitest  du 
es  dar.  Do  spch  d'  brüd'.  nein.  Der  alt  sj'ich.  wie  will  du  'leite  bi  mir  Mibe,  wir 
habe  uor  vns'en  öge  gottes  gebot  also.  Heger  noch  cnstil  nieman  sins  dinges  nit. 
stv'  frömdes  gut  stilet  d'  ivirt  ein  tüuel.  vn  er  spch.  Slang  vn  lege  es  wid'  da  du 
es  (6b)  och  neme.  vn  blibe  danne  bi  mir  (fehlt  bei  Palm,  Rossweyde  V,  4,  8  =  568% 
1002a).  —  Ein  brüd'  fragte  Arsenium  vn  spch.  u-as  sol  ich  tun.  min  gedenke 
sprechet  %ü  mir.  tvas  lones  tvirt  dir  du  mahl  mit  nisten  noch  arbeite;  noch  siechen 
pflege.  Do  sah  d'  alte  de  es  des  tieuels  sainc  was  vn  spch.  (lang  vn  isse  ende 
trinke  vn  schlafe  vn  bis  echt  du  in  diu'  cclle  vnd  gang  nit  rs.  wä  stetikeit  in  d' 
celle  bringet  manche  in  rchten  ordert.  Also  sas  d'  manch  drie  tag  in  der  eelle  vn 
begonde  in  v'driezen  müxig  xe  sitxenne  vn  begondc  vs  palmen  matten  flechten,  so 
in  begonde  hung'en  so  schalle  er  vs  and'en  palme  de  er  ax.  vn  so  er  gessen  hatte 
so  spch  er  xü  im  selbe.  Ich  sol  etwie  vil  sahnen  spreche  so  isse  ich  deine  sicher- 
liehe, also  besserte  er  sieh  mit  gottes  helfe  ie  me  vil  ie  me  vnx  de  er  in  rchten 
orde  kä.  vn  ivart  so  endelich  de  er  bös  gedenke  üb'wand  (Palm  57,  10  =  §  158).  — 
Anthonius  d'  heilig  abt  saz  in  siner  celle.  Do  uiel  sin  gönnte  in  rrdr/n  vnd  in 
schedlich  gedenke.  Do  spch  er.  h'r  got  ich  tvolte  behalte  w'den  so  enlaxent  mich 
mine  gedenke,  /ras  sol  ich  in  disen  arbeite  tun.  wie  sol  ich  behalten  w'den.  Nu 
gieg  er  für  die  eelle  do  sah  er  einen  enget  in  sin  selbes  glichnüst  sitze  vfi  w/irke. 
D'  stünt  vf  ab  dem  werke  vfi  gieng  an  sin  gebet,  vn  (7a)  darnach  sas  er  ab*  ab' 
sin  mattun.  Dar  ab  gieng  er  ab'  an  sin  gebet.  Dis  was  gottes  enget  vil  lerte 
anthoniü  reht  lebe  vn  spch.  also  tu  so  wirst  du  behalte.    Dauo  gcivd  anthoni9  groz 


MHD.  ÜBERSETZUNG  DES  LEBENS  DER  VÄTER  377 

fröde  vn.  tet  nach  des  Sgels  lere  vn  erwarb  de  himelrich  (Palm  57,  23  =  §  159).  — 
Paulus  d'  gar  heilig  abt  was  in  ein'  wilden  einSdi.  da  lebte  er  nit  wä  d'  palmen 
fruchte  vn  eins  kleinen  garten,  vn  moht  and's  Werkes  nit  getribe  des  er  sich  he- 
gienge  wä  es  was  wol  sibe  tagweide  vö  dien  lüte.  vn  de  er  nit  müxig  sessi  so  nam 
er  palmc  hielt'  vn  machete  dar  vs  matten  iekliehs  tages  sin  gesastes  werk  als  ob  er 
sich  dar  im  sSlti  began.  vn  so  er  denne  sin  celle  werlces  hatte  erfüllet  vn  im  es 
niemä  ab  hi/fle  so  v%brand  er  es  alles  sannt  vn  machete  de~ne  ab'  and's.  Dis  treib 
er  allü  iar  die  wile  er  lepte.  vn  bewarte  da  mit  de  <  in  münch  an  enkein'  stat 
geh'ten  mag  ane  wsk  noch  mag  an  fügenden  niem'  uolkome  wsden  (Palm  58,1  = 
§  160).  —  Ein  einsidel  sas  in  einem  walde  dar  Linnen  arm  lüte  wid'  abeni  nach 
dem  almiisen.  nid  ein'  naht  schliefen  sü  da.  do  hatte  ir  einr  da  nit  nie  ihn  einen 
mantel  den  leit  er  halbe  üb'  sich,  m  halbe  vnd'  sich  wä  du  /ras  gar  half,  r 
a/tc  gierig  es  rn  horte  den  selbe  arme  sich  klage  im  dcni  [raste,  (7b)  doch  gap  er 
im  selbe  /rast  vn  spch.  Hrc  got  du  sist  gelobt,  nie  nmnig  riche  man  nit  Hl  in 
geuanknüst  vn  ist  in  isen  a<l  in  höh  gebunden  vn  enmag  dar  tkein  sins  libes  not 
vf  gestern,  so  bin  ab'  ich  als  ein  heiser  ich  strecke  a/in  arme  m  min  faxt  vn  gan 
s/rar  ich  teil.  Das  horte  d'  alte  vnd  seit  es  sinen  brüd'n  durch  lere  dir  unirden 
daran  sere  gebessert  (Palm  58,  12  =  §  161).  —  Ein  alter  /ras  in  cinre  gar  wilden 
irüsti  d'  halc  gar  gm:  arbeit  mit  uastene  ra  mit  andren  geistlichen  dinge,  zu  dem 
käme  brüd'  vn  spräche,  ratter  wie  macht  du  erliden  dise  türren  vnsuuem  stat. 
Do  spch  d>  alte,  allü  min  arbeit  die  ich  hau  gelallt  alles  dir.  :if  so  ich  hie  bin 
grinsen  du  enmag  sieh  nit  glichen  ein'  stunde  in  /h  ewige  mar/',  wir  mi'r.cn  in 
dem  kleine  xite  dix  /ebenes  vnsers  libes  glüste  derren  de  wir  w'de  windende 
künftigen  weite  die  da  niem'-  xergat  iemer  w'ende  einer  (fehU  bei  Palm,  Rossweyde 
V,  7i  25  =  588 h).  —  Ein  briid'  viel  in  bekorunge  vn  begonde  dann  ab  br.cn  sin 
gebette  vn  and'  tagende  die  er  aar  halte  geübt  vnd  im  sin  rege/  gebot.  Nu  hette 
er  dike  gern  ivid'  an  geuaugi.  80  gedachte  er  dt  nr.  In  nam.  wenne  SOÜ  dir  irUlc 
als  dir  r  uns  rn  b/ri/i  also  in  rinn-  \iriuel.  doch  gieng  er  xil  'S")  einem  alte  m 
Hegte  ime  sineu  kamb'.  Do  seit  im  der  alte  dis  mere  also,  ein  mä  hatte  ack'e  die 
wurde  uersumet  mit  buwe   nr.  da:  die  dorne  vn  brame  vnd  and'  vnkrut  dar  vffe 

Üb'  wuchs.  Darnach  gn/al/tr  rr  sü  irid'  :c  buir,ne  e,i  s/ich  :n  sinir  snne.  Gang 
vn  r/ile  die  ack'e  de  sü  wid'  schöne  w'den.  I>  sun  gieg  vf  das  uelt  vn  sah  de  es 
so  vol  dorne  m  vnkrutes  /ras.  De  erxegte  in  /ins  er  spch.  wene  möhte  ich  dis 
nisnncr  aeld  rein  gemachen,  m  leit  sich  nid'  schlafen,  also  tet  er  mengen  tag. 
Darnach  kam  sin  vat'  vn  wolle  besehe  was  er  hetti  geschaffet,  vn  do  er  es  vngertitet 
rn  wüstes  mint  do  spch  rr.  sun  war  nmb  hast  du  do:  nrld  nit  gerinne!.  Do 
d'  sun.  vatt'  so  ich  an  sah  die  nunige  ds  dorne  vn  de*  hohes)  ,/,   erxegte  mich  vn 

begonde    schlafen.      Do  spch   d'   Witt',    sau    snide  od'   rii/e    iekliehs    tages    als    vile    vn 

als  wite  abe  als  du  ligende  vf  d'  erde  die  breiti  mäht  bedecken  also  gat  diu  werk 
wol  für  sich  vn  vsxage  nit.     Dax  tet  der  iungling  vn  wart  da:    ucld  in  kurxer  \it 

irol  gebuire.      Pas   mere   behielt   r/1    brich    rn    begm/e    wid'    aurahr  guh'i    tr'k   rn     Iril    ie 
hos   rn    ir  bas    :a   rn:    de  rr  mit  gottes  helfe   wider  au   die  rrrun   n/osse    kam  (Palm 
64,6    -§172).  —  (8b)   Ein  aller  woneti    in  einem   hohe  ds  hatte  einen   beu 
in/ig1  bi  ime  den  lerte  er  noch  gewonheii  alle  nähte  ihr.   sinn-  sele  ntita   /ras.   m 

nah  ih  lere  spräche  sh  ir  gebet,  darnach  hie:  er  in  denne  schlafen,  rn  eins  males 
kann  gut  ire/t/ieh  lütt  :u  dem  utile  nmb  ir  seh  heil,  die  Irrte  er  des  Sit  fragten  rn 
lir:    sa    iiaru.      Darnach   sa :    er   ab'    :e   lerne   üb'    sineu    hing'    nnl  entschlief  </'    alte 

in  d*  rede  wä  er  aas  müde.     D'  laug*  gedachte  uor  im  er  wölt  liht  Seh  schlafen 


378  NKISKRT 

gan.  vn  wid'stünt  dem  gedanke  sibenstunt  wä  in  d'  alte  nüi  hatte  gekeixS  Blaß 
gem.  Nach  mitternachi  erwachet  d'  alte  vn  fragte  den  brüd1  warumb  er  Seh  mit 
hetti  geschlafen.  Do  spch  er.  vatt'  du  hiexe  mich  es  nit  ah  din  gewöheit  was. 
Do  sungen  sü  inetti  sament.  Nach  der  metti  wart  <l  altt  v  wket  vn  sah  in  dem 
geiste  riii  herlich  stat  vfl  einen  minneklichen  stül  vn  vf  dem  stüle  siben  krönen. 
Do  fraget  d  alte  /res  das  w'e.  Do  seit  im  ein  enget  vn  spch.  Qot  hat  die  stat 
mit  deme  stüle  di/nem  iimg'e  vmb  sin  gut  lebt  gegebe.  Die  sibl  krönen  hat  er  ! 
dirre  naht  v'dienet.  Der  alte  kam  wid'  vü  im  selbS.  vn  fragte  den  iung  '../  in  der 
naht  hette  getan.  vnd  er  seit  im  noch  lang*  fragt  (9*)  dt  er  durch  gehorsame  einen 
gedenkt  sibenstunt  wider  stünt  vn  sich  deme  schlafe  erwerte.  Do  v'stünt  dl  alte  dt 
im  vi>  ieklichem  male  ein  kröne  /ras  bereife/,  vn  lopte  got  de  er  vmb  so  kleinen 
dienest  so  groxen  Ion  wil  gehen  (Palm  65, 3  =  §  174).  —  Ein  priest  uertreib  eini 
brüd'  vs  einem  kloster  vmb  sünde  die  er  hatte  getan.  Do  gieng  Besario  d'  abt  mit 
im  vs  vn  spch.  Ich  bin  bch  ein  sinnt  (Palm  (57, 10  =  §  178).  —  Ysaac  hie*  ein 
heiliger  abt  <!'  leam  in  ein  samnunge  da  uant  er  einen  brüd'  in  sünden  vn  urtailte 
üb'  in.  Dar  nach  kam  er  wid'  in  die  wüsti  vn  rant  nur  sinrr  eelle  eini'  enget 
stände  d'  spch.  Got  sante  mich  her  dt  ich  dich  frage,  nur  heissest  du  mich  den 
brüd'  scmlt  den  du  hast  uerteilet.  D'  alte  viel  nid'  vn  spch.  Ich  habe  gesundet. 
;chant  do  er  i/tr.  gesprach  do  sprach  //'  enget.  Qot  v'gibt  dir  dis  vn  urteil  niemä 
nie  e  danc  <lc  in  got  hat)  /-'teilet  (Palm  67,13  =§  179).  —  Ein  alt'  sprach.  Sihest 
da  ieman  in  sünde  so  schuldige  in  nit  et  <lic  sünde  tiit.  schuldige  den  d'  in  an- 
iieehte  ru  spche.  we  mir  dirre  ist  üb'  sine  /rille  Üb'iounde.  also  macht  Ik-Ii  mir 
beschehen.  Pas  /reine  m  suche  /jottes  helfe  vn  sinen  trost.  wä  wir  muge  alle  be- 
trogen iv'dcn  (Palm  G7,  20  —  §  ISO).  —  Ein  cdeler  romer  ivas  (9b)  gar  gewaltig  vn 
riej/c.  d'  für  vö  rome  in  Schytiä  in  ein  stat  da  dex  landes  kilche  was  vn  wart  ein 
mu/nch.  Nu  sah  d'  priester  de  er  siech  /ras.  vn  erkande  och  de  er  wirtschaften 
gewonet  hatte,  vn  sante  im  etwas  de  er  vö  d'  kilche  habe  mohte.  Also  was  er  da 
mit  einte  kne/tte  der  gieng  im  vor  fünf  vnd  xwenxig  iar.  vn  wart  gar  heiliges 
lebens  also  de  er  in  dem  geiste  sack  de  and'en  Inte  v'borge  ivas.  xü  dem  selbe  kam 
ein  münelt  vö  Egypto  wä  er  sich  v'sah  de  er  herte  lebe' von  irrte  solle  lernen.  Den 
ephieg  er  gütlich,  vn  mich  ir  gebette  saxen  sü  samet.  Nu  sah  d'  fromde  brüder 
von  Egypten  de  dirre  von  Rome  gütü  kleider  hatte  vn  ein  bette  de  was  geflochten 
uö  kleinen  widelin  vn  sin  kürsenne  dar  ob  vn  ein  klein  küssi  vnder  sinem  köpte. 
Do  sah  er  och  de  sine  füsse  reine  waren  vn  de  er  schuhe  dar  an  hatte.  Dis  alles 
misseuiel  im  sere  vn  tvart  gebös'et  dar  vö.  wä  du  gewonheit  was  do  de  man  da 
gar  h'tes  lebe  hatte.  Nu  leiste  d'  Born'  des  münches  gedenke  wol  vn  sprach  xü 
dem  knehte.  Bereit  ins  einen  guten  imbis  d/ir  disen  alte  vö  Egypto.  Do  maehete 
er  krut  als  er  do  hatte  vn  axen  do  des  xil  was.  Do  hatte  der  icirt  ein  Meinen 
/eines  (10 a)  durch  sin  krankheit  den  trunken  s/i  och.  an  dem  abendc  spräche  s/i 
xtcelf  psalmen  vn  schliefen  do.  vn  in  d'  nacht  spräche  s/i  ab1  xtvelf  psalme.  vn 
des  morgens  spch  d'  Egypto  kü  dem  Rom'.  Bitte  für  mich,  rn  gieng  vs  uö  im 
/■//gebessert.  Nu  /rolle  in  d'  Rom'  heile//  vn  sante  nach  im  rf  den  /reg.  Do  kam 
er  wid'  in  sin  celle.  vn  tvart  wol  enphägen.  Do  fragte  in  d'  Rom'  also,  vö  toelem 
lande  bist  du.  D'  alt  spch.  Ich  bin  vö  egypto  er  fragte  ab',  vö  tveler  stat.  D' 
brüd'  sprach.  Ich  tvas  in  enlcein'  stat  gesessen.  D'  rom>  fragte  aber,  ivas  /ras 
din  antwerk  e  du  ein  m/inch  ni/rdist.  Do  spch  er.  Ich  was  ein  banwart  ic//  hüte 
dck'e.  D'  Rom'  fragte  wie  sin  spise  sin  trank  sin  bette  vn  sin  bad  ic'e  do  er  des 
ueldes  hüte.     Do  seile  er  im  also.     Min  spise  was  dürres   brot  vn  sab.,   ob   ich    in 


MHD.   OBERSETZUNG    DES    LEBENS    DER    VÄTER  379 

vant  so  was  min  trank  ein  bach  dar  ine  ich  och  badete  so  ich  wolt.  min  bette  was 
du  blox  erde  dar  vffe  rüivete  ich.  Do  spch  ds  Romer  de  was  grox  arbeit,  vii  seit 
inte  och  durch  besserunge  wie  er  hatte  gelebt  vn  spch.  Ich  armer  mau  wc  in  d' 
groxen  stat  xe  Rome.  vn  hatte  in  d1  pfallenxc  die  hShsten  stat  bi  deine  heiser,  die 
stat  liex  ich  vn  kam  in  dis  icüsti.  Ich  hate  (10b)  groxü  hüscr  vn  vil  gutes  de  Hex 
ich  vn  kam  in  dise  arme  celle.  Ich  hat  bette  vö  golde  vn  mit  gar  edele  gewate  da 
für  hat  mir  got  dis  bettelin  gegeben.  Minü  Meid'  /rare  groxes  gutes  wert  da  für 
trage  ich  dis  gcioant.  xe  mime  essenne  ivart  vil  goldes  v'xeret  dar  umb  git  mir 
got  dis  krut  vn  dis  kleine  winli.  Für  gar  vil  lüden  die  mir  dienten  hat  got  disem 
knehte  gebotten  de  er  mir  vor  gut.  für  edelü  bad  höh  ich  wasser  an  min  fasse  vnd 
trage  schuhe  v<>  min'  krankheif.  für  selten  spil  vn  gro*  fröde  lise  ich  abendes 
xwelfe  psahnen  vn  nahtes  bch  xwelue.  vn  bitte  dich  vatt'  de  du  dich  nit  bSsrest  vö 
min'  krankheif.  Do  sprach  dl  münch.  Ach  ich  armer  man  bin  vö  t/s  ivclte  groxe 
arbeiten  kome -in  geistlich  leben  xe  gut*  rüwe  vn  ha  maniges  des  ich  e  nit  hatte. 
so  bist  du  vö  groxer  rüwe  in  arbeit  willelclich  käme  ru  uö  wirtschefte  in  armuf. 
Also  wart  der  brüd'  vil  gebessert  vn  für  wider  hein  (Palm  69,  4  =  §  184).  —  Ein 
abt  sah  ob  einem  tische  vil  brüd'  samet  essen,  vn  er  sah  geistlich  de  etlich  vnd' 
inen  honig  axen.  die  andern  brot.  die  driften  mist.  Des  nam  in  wund'  vfi  bat 
insern  h'ren  de  er  im  es  beschiedi.  Do  spch  ein  stimme.  Die  das  honig  ei 
dax  sint  (11*)  die  die  mit  uorhten  essen/  ir  not  dürft  mit  dem  müde  vn  mit  dem 
h'xen  vns'n  h'ren  lobent  vn  ime  dank  sagen/  siner  gnaden  vnd  sin*  gabin.  Die 
das  brot  csscut  de  sint  die  die  da  einualteklich  essent  durch  go(  de  man  inen  git 
vn  es  für  gut  nement.  Die  den  mist  csscut  de  sint  die  die  da  murniclent  vn  sich 
alle  xit  neigen/  nach  besser  spise.  cn  de  sii  so  vndanknem  sint.  vn  dar  vf  nit 
achtent  de  <k  holt,  lerer  l'auh  spchet.  So  ir  essent  od'  trinkent  od'  s/ras  ir  tun! 
de  sol  alles  nach  gotlcs  eren  geschehe  so  w'dent  ir  selig  (fehlt  bei  Palm,  Ross- 
weyde?). —  Theodosius  hiex  ein  keiser  bi  des  •.Heu  was  ein  münch  gesessen  m 
Consta u/ini>pnli  bi  d'  stat.  vn  eins  lages  gierig  <k  leimig  dar  kurxwile  vs  d'  stat 
grije  des  bruders  celle  vn  lie%  sin  lüte  oder  sin  gesinde  hind'  im  vn  gieng  allein 
in  die  celle.  Ds  brüd'  enphieng  in  gütliche  vn  bat  in  sitxen.  Nu  halle  d1  keiser 
sin  kröne  hine  geleif  de  er  sin  nüt  erkunde.  Nach  ir  gebette  spc/i  <k  keiser.  vatt' 
gibe  ins  xe  essen.  Do  leite  er  für  her  brot  vn  sah  vnd  wasser  in  eime  köpf,  vn 
axen  mit  einander.  Do  spch  d*  keisK  icas  tünt  die  heilige  iiätt'  l  egypto.  I> 
brüd'  spch.  sü  bittent  alle  tag  got  vmbe  vnser  heil,  weist  du  spch  d'  keiser  wer 
ich  bin.  D'  (ll1')  brmk  spch.  nein.  Do  sprach  d'  kling.  Ich  bin  Th  odosiv  d' 
keiser.  Do  uiel  d'  bruder  für  in  nid'  vf  die  erden.  Do  spch  d'  kdser  Ir  brüd' 
sint  selig  de  ir  weltlicher  sorgen  nit  hau/  vn  nuten  arbeitest  vn  sorgen/  wie  ir  tu 
dem  himelriclie  konicnt.  Ich  bin  vö  dem  riebe  geborn  vn  bin  nit  des  riches)  h're 
vn  genam  min  spise  nie  ane  sorge  Nu  gedahte  d'  einsidel  de  die  senatores  die 
h'rS  uö  d*  stat  vnd  Seh  and'  lüte  bild  nemin  bi  de  keis'  vn  in  iourdin  süchsde  vn 
ereude  für  eine})  hei/ige  man.  ru  uorhte  de  er  sich  iu  simc  herzen  wurde  über- 
hebende,   vn   ds   selbe   nach/  /loh   er  dum    iu    EgyptÜ   da   dieii/e  er  rns'm   h're   ru\    an 

sin  ende  (fehlt  bei  Palm,  Rossweyde  111,  19  =  498*,  V,  L5,66      627        -    Ein  alte 

ivas  r're  in  der  irüsti.  .\u  dem  kam  ein  brüd'  d'  irusch  im  sin  antlüte  vn  machete 
int  xe  eweiic  des  er  dar  hatte  brahf.  Da»  sah  d'  alle  ru  sjich.  Brüder  ich  hüte 
getv'lich  v'gcsscn  du:  man  Vö  spisen  trost  mag  Imn.  Nu  gab  im  Seh  d'  brüd'  uin. 
Do  ueiiide  d'  alte  vfi  spch.  Ich  v'sah  mich  ru  hate  gedacht  </.  ich  nur  miiiem 
töde  nit  /eines   sölti  trinke  (fehlt  bei   Palm,   Rossweyde?),   —    Ein  einsidel  sas  I 


380  IfBBHET 

Eggpto  d*  was  gar  heiliges  lebens.  Nu  fügte  der  tiiuel  dt  ein  bd  <  wip  tri  minnern 
lopte  si  iiiili  <i(  guten  man  m  siinde  veruellen.  Also  gieng  si  eins  nachte.-:  für  sin 
celle  vnd  rufte  im  als  ob  si  v'ierret  (12*)  w're.  Do  na/m  er  si  in  den  ho]  vn  be- 
sehlox  er  sich  l  die  celle.  in  d'  nacht  rufte  si  vn  spch  si  uorhti  de  si  wolj  od' 
andrü  tier  da  null  in  essen.  Do  Hex  er  si  vu  im  in  du  celle.  wa/n  er  uorhte  es 
w'e  gottes  räche  vn  spch.  H're  got  swie  din  xorn  vf  mich  Jeumet.  Nu  begonde  d1 
tieuel  des  alten  h-.e  stungi  vf  i/r  min/ne.  Des  wart  er  gewa/r  vn  spch.  Des  tüuel, 
icege  sint  vinst'nüsse  ab'  gottes  Linden  schind  da%  Uecht.  vn  er  enx/imte  ei/n  Hecht. 
Also  wart  er  ab'  nie,  enxündet  uö  d'  vnküsche  begirde  vn  er  spch  :><  im  seih'.  Sw' 
die  sünde  tut  d'  müx  hie  mich  vorn  in  die  wixi/ne  v'süch  ob  du  das  ewig  für 
mugesi  erliden.  vn  bräde  sine  ving'e  mit  demt  füre  mit  un  den  tag  de  er  sin  wenig 
od'  mit  enphant  vö  starJc'  hitxe  d'  vnküschkeit.  Dan  sah  das  arnu  wip  rn  starp 
uö  i/r  sünde.  Des  morgens  käme  die  iunglinge  '■><  dem  münch  vn  spräche,  kam 
ein  wip  nacht  abendes  her.     D"  alte  spch.  ja.   si  schlafe/.     Do  sä  fanden  de  si  tot 

/ras   do   spräche   sa.    ralT    si    ist   toi.      Do   bot   er   sin   lionh     vf  rn    spch.     Also   hat   si 

min'  lande  ving'e  v'lorn.  vn  seit  ine  wie  es  geuarn  was  vn  spch.  Also  heisset  od' 
(lehntet  da  schrift.  Nut  gibe  übel  vmb  übel,  vn  er  bat  vns'n  h're  de  si  lebende 
wid'  r/'s/ant.  Du  l/ckcrte  sich  vn  bleib  kusch  rn:  an  ir  tot  (Palm  16, 25  =  §  140). — 
(12b)  Win  altuatt'  was  i  ein'  wüsti  dem  dienet  einheitlich  man  <!'■  was  aar  heilig. 
Do  ds  nach  sin'  gewonheit  nach  brate  soltc  gan  in  ein  stai  da  sah  er  da  einen 
riehen  man,  töten  trage  mit  groxe  eren  vn  wirdikeit.  mit  kerxen  vn  mit  and're 
Schönheit  gar  vil.  Da  /ras  d'  hischnf  vn  vil  Inte.  Daune  gieng  d'  kneht  nid  hein 
:n  d'  celle  vn  vant  sinen  abt  den  hatten  tier  gessen  vn  terzert.  Do  weinet  di  kneht 
vnd  gehab  sich  gar  übel  vnd  viel  nid'  rf  die  erden  vn  spch.  H'r  got  ich  teil  iem' 
nie  hie  lige  bis  de  du  mir  kunt  tust  warumbe  d1  äbcl  man  sa  /ml  tot  si  vn  mit 
so  groxen  ere  bestatnen.  vn  dirre  gut  brüder  so  übel  hat  verendet.  Do  spch  ein 
sttme  :a  in/e.  Dirre  riciie  /'bei  man  hatte  etwas  gutes  getan  des  ist  im  hie  mitte 
gelonet  d'  gewinnet  niemer  fröde  tue.  Do  hatte  dirre  gute  man  etwas  Übels  getan 
darumb  ist  er  hie  mitte  gcschlage  de  er  niemer  leid  nie  sol  gewinne  wä  mit  disem 
biWen  töde  ist  im  ab  genome  allü  die  pine  die  er  solt  hau  in  d'  künftigen  weite. 
De  d nchte  den  kneht  gar  gut  vn  lobte  got  siner  gnaden  (fehlt  bei  Palm,  Rossweyde?).  — 
Ein  altuatt1  sas  l  ein"  wüsti  du  /ras  7  eggp  vö  dem  sas  mit  v're  ein  priest'  d' 
was  uö  vnglöbigem  uolke  die  hize  manichei.  (13 a)  Dir  selb  priest'  iroltc  uarn  :u 
eil/ei//  d'  /ras  sin  geno\  in  d'  selbe  geselle schaft  vn  benachtet  in  dem  wähle  bi  des 
alte  celle.  Nu  gedachte  er.  Dirre  einsidel  ist  ein  heilig  man  vn  erkennet  de  ich 
sins  glöbc  nit  enhab  darumb  enphahet  er  mich  vil  liht  nit  in  sin  celle.  In  dem 
xwiuel  wart  er  angsthaft  vn  klopf etc  doch  an  die  celle.  D'  alte  enphieng  in  im 
gap  im  essen  vn  trinke  gütlieh  rn  leit  in  schlafen  als  ob  er  sin  brftd'  tv'e.  In  der 
naht  gedaht  d'  mauiclieus  also,  irerlich  dirre  alter  ist  gottes  kneht.  wä  er  gesah 
mich  nie  übellich  an  vn  hat  mirs  irol  gebotte.  Dar  uml/c  viel  er  im  des  morgens 
:.c  fassen  vn  spch.  vatter  ich  wi/rde  hiit  kristen  vn  kum  uö  dir  nit.  Also  enphieng 
er  in  vn  bleip  bi  ime  vnx  an  sinen  tot  (fehlt  bei  Palm,  Rossweyde  V,  13,  11  = 
615b).  —  Ziren  brud'  wäre  z  ein'  celle  die  iraren  gar  gedultig  vn  demutig.  xü  dien 
kam  ein  brud'  das  er  ir  lebe  erfüre,  vn  do  sü  ir  gebet  sament  hatte  gesprochen. 
do  gieng  d'  gast  in  ir  garten  da  st  mit  kr/tt  ine  das  schlug  er  inen  alles  nid.'  mit 
einem  stabe.  Dar  iiiitbe  wurde  die  brud'  nie  vngedultig  irä  antlute  wurde  och  nie 
deste  vnfrulich'  gestall.  vn  do  sü  uesper  gesprache  do  nieten  die  \/rcn  brud'  für 
den  alten  vfi  spräche.     H'r  ist  es  din  wille  de  wir  des  krutes  sieden  de  da  Vit  in 


MHD.    ÜBERSETZUNG    DES    LEBENS    DER    VÄTER  381 

dem  garten.  (13 b)  wä  es  ist  essennes  tu.  Do  neigte  sich  d'  alte  für  sü  nid' 
vn  spch.  Ich  lohen  vnsern  k'ren  ih'm  xpm  de  ich  sihe  den  heilige  geist  bi  vch 
räwen.  Ich  bitte  vch  lieben  bräd'  behaltent  die  tugent  üw'r  demütigen  gedult  du 
höhd  vch  uor  got  in  sinem  riche  (fehlt  bei  Palüi,  Rossweyde  III.  23  =  500a).  — 
Äppollonius  hiex  ein  abt  tu  des  celle  wart  <  in  mesch  braht  d'  was  beheftet,  vn 
bäte  in  die  Inte  de  er  den  tüuel  von  im  tribe.  Do  spch  er.  Ich  han  mit  vs- 
ilienet  vmb  got  de  ich  den  tieueln  gebieten  muge.  vn  nach  lang'  bette  do  sprach 
er  \u  dem  tüuel.  cur  vs  vnrein'  geist  vö  ds  geschepkde  vns's  h  re  ih'u  xpi  ich  gebütt 
dir  es  z  sinem  name.  Der  tüuel  spch.  Dur  hristus  gebot  uar  ich  vs.  Nu  sag 
mir.  spch  di  tüuel  was  meinet  du  geschrift  so  si  spch:..  Got  stellet  du  sehet f  zu 
d'  xeswun  vn  du  kitx-ü  vä  d'  linggen  od'  xu  d'  vinstrin.  Do  spei,  der  abt.  Bi 
den  geissen  sint  bexeichent  die  sünd'e  der  ich  leid'  ein"  bin.  irs  ab'  du  schuf  sien 
de  weh  got.  Do  rufte  d'  tüuel  vn  spch.  Diu  grox/u  demüt  vertribet  in  ich  (fehlt 
bei  Palm,  Rossweyde  V,  15,  Gö  =  G27b;  III,  25  =  501a).  —  Paulus  d'  abt  hatte  eini 
iuntf  ds  uns  gar  demütig  vn  gehorsam  also  de  er  nüt  nid'  rette  swas  in  sin  abt 
hie:,  vn  eiue.s  males  bedorfte  sin  abt  rinder  mistes  zu  einem  Innre,  vn  santi 
iung'en  bräd'  in  die  nehsten  stat  daz  er  (14 a)  den  mist  brehti.  Do  spch  der  iung'. 
vatt'  man  seit  das  vnd'  uege  ein  löicin  si.  Do  spch  d'  abt.  ivil  si  vf  dich  so  hob 
si  vn  bringe  si  her  mit  dir.  De  spch  d'  abt  7  spotlieh'  od'  schimpheud  /eise.  Joh'es 
gierig  vn  braht  mist.  vfi  do  er  wid'  he  in  wolle  gan  do  kam  du  löicin  gegen  ime. 
vn  do  si  in  ansah  do  erschrak  si  vn  gesinnt.  D  brüder  gieng  gegi  ir.  Do  be- 
gonde  si  fliehe  vn  ersprang.  Der  bräd'  spch.  Du  soll  Mibe,  ml  abt  gebot  mir  de 
ich  dich  hei  brechti.  Do  vieng  er  die  lineinen  vn  forte  si  gegen  der  celle.  v 
in  d'  alte  sah  do  erschrak  er  sere  rn  gedulde  an  dm  vnrehte  gebot  vn  uorhte  Seh 
de  sich  d'  bräd'  der  gnade  überhübe.  Dur  vmb  spch  er.  Du  bist  ane  sinne  dar 
umb  uolget  dir  dis  vnsinnig  Her.  enbind  es  vn  laxe  es  varn  an  sin  stat.  Das  tet  d' 
briid'  vn  lopte  got  (fehlt  bei  Palm.  Rossweyde  V,  14.  -1  =  617b).  Ein  altuatter  was 
in  d'  uiist i  :n  dem  haut  ein  iungling  in  fragete  in  vn  spch.  ratter  ich  teil  bi 
bräd'n  wone  wie  sol  ich  bi  inen  wonen  da%  ich  behalti  w'de.  Do  sprach  d'  alte. 
Lieb'  situ  vrteil  niemä  de  du  nit  geurteilt  w'dest.  v'smake  niemä  de  du  mit  uer- 
smnhet  w'dest  uor  den  öge  gottes.  Setxe  hüte  dinem  munde  d'  du  vö  niemans  ge- 
bresten  redest  wä  da  du  in  gebess'en  mugest.  J.ieb'  sun  du  solt  allu  ding  < 
vn  -.'  ///  besten  keren.  hab  friden  mit  alli  (14b)  mensche,  kere  diu  h':>  vö  allen 
dinge,   vfi  tu  als  ob  niemä  lebe  denne  du  vn  got  albim  (fehl!  bei  Palm,  I«'"- 

—   Ein   einsidel   was   behielt    mit   eitui   suche   d'  gieng    in   ein    iiusli    da    suchte   er  dric 

tage  ob  er  iemänen  da  in  gottes  diätste  funde.  Nu  gieng  er  vf  einen  stein  dar 
vnd'  kam  ein  nackend'  gegangi  vfi  a%  grün  krui  d  da  staut.  D'  einsidel  schleich 
heimliehen  dar  vn  vieng  in.  Do  wart  dem  allen  umist  vö  dem  einsidelen  imdwand 
sich  u<i  sinen   henden   wä  er  mochtt    des  smackes   uö  sinem  gewädt    nüt   erlide.   vfi 

floh    rn   im.     D'  einsidel  Inf  int   nach,    m   spch.    mtler  In  it   min   ich    iaje  dielt  durch 

got.  Nu  warf  er  sin  gewani  ab  ime  vfi  Inf  nach  ime  nackent.  Do  stunt  <  r  stille 
en  spch.  Du  hast  (/'  weite  materie  vö  dir  geworfen  dar  umb  bette  ich  diu.  Do 
bat  in  d1  einsidel  d  er  ime  gottes  wort  sprecht.  Do  spch  d'  alte.  flüJie  die  lute  m 
steige  also  macht  du  Inhalten  w'den  (fehlt  bei  Palm,  Rossweyde  Vi.  3,  i'1  653b).  — 
Agathon  </'  abt  machet  langt    tit  mit  sinen  lungern  ein  celle.    th>  du  wart  bt 

vft   si'  dar   iutic   /ran.    in   d'   erste//    wochen    sah   d'   abt    ein    ding  da    da:    uns    im  n 

vnnütxe  vnd  misseviel  im.  m  spch  :n  sinen  iung'n.  wir  sülent  hinnen  uarn.  Dan 
betrübte  du   bräd'  vn  sprachS.   will  (15u)  du   hinnan  uam.   warübe  hast  du  denne 


382  NEBERT 

so  lange  xdt  so  gro%  arbeit  an  die  Celle  geleit.  l>><  lüte  u  dent  da  uö  geböser  f.  vfl 
8preehent  wir  enkunnim.  an  enkem'  »tat  bliben.  I><>  spch  </  alte.  Sü  w'deni  dattö 
gebessert  vn  spreehent.  I>ir  seligen  bind-  ua/rent  uö  ir  gute  d/u/reh  got.  Swer  welle 
,/•  Jcome  ich  wil  uarn.  Do  uielen  sü  für  in  nid'  m  balS  in  d,  er  sü  mit  im  li<  . 
mu  H  (fehlt  !>*_■!  Palm,  Rossweyde  V,  6,  4  582').  —  Ein  h're  kam  l  Scythi  uö 
andren  landen  v're  d'  brachte  vil  goldes  dar.  vn  l><it  des  landes  priester  d.  er  ■ 
vnd'  die  bräd'  teilti.  D<>  spch  d'  priest',  ins'  brüd'  bedürfen  sin  nit.  Nu  bat  et 
den  priest'  vil  do  wolt  er  im  nit  uolgen.  Do  leit  er  selb  da%  gold  \  einen  korb  vn 
saxte  es  für  ds  Micken  tor  m  bat  die  brüd'  do  su  in  gierigen  dt  sü  </<  gold  uö  im 
in  in  in,  Do  sähe  sä  es  knme  an  vn  name  sin  nit.  I>,>  spch  ein  älter  xdÄ  dem  h'ren. 
Got  hat  din  opher  enphange  gang  vn  gib  es  armen  lüten.  Dauö  wart  er  gebt 
ni  tet  als  er  was  gelere/  uon  deme  alten  (fehlt  bei  Palm,  Rossweyde  V.  fj.  L9 
584 ").  —  Johannes  Persa  hiez  ein  einualtiger  abt  d'  was  bi  Egypten  /am/r  /  arabia. 
d'  heilig  man  entlehente  einen  Schilling  pfermlge  uö  einem  brüd1  vn  köfte  flachs  de 
er  </ur  vs  wolte  etwas  würlcen.  Do  kam  ein  /und  vn  bat  in  d,  er  im  flahs  gebi  te 
einem  (15b)  gewomde.  dem  (jap  er  sins  gekliften  flahses  fröliche  das  kalb  teil.  Nu 
bat  in  ein  und',  brüd'  Seh  vmbe  flahs  %<■  eime  teklachen.  dem  wart  das  ander  teil. 
Po  kam  d'  brüd'  der  im  die  Pfenninge  hate  v'lihen  vn  hiesch  den  Schilling.  Do  spch 
d'  abt.  Ich  yibe  dir  in  gerne.  Nu  hatte  er  der  phenninge  nit  vn  wolte  gan  bitte 
einen  abt  der  hiez  jacob  vn  was  d'  brüd'  schafner  de  er  im  lihe  ein  Schilling 
Pfenninge,  vn  do  er  vf  dem  wege  gieng  do  turnt  er  an  d'  Strasse  ligende  t  in  Schilling 
Pfenninge  den  berürte  er  nie  wä  er  spch  sin  gebet,  vnd  gieng  wid'  in  sine  Celle. 
Do  kam  ab'  d'  brüder  vn  mrnde  vmb  sin  pfeninge.  Do  spch  d'  alte,  ich  gute  dir. 
Do  gieng  er  ab'  den  erren  /reg  vn  vant  ab*  den  Schilling,  dar  ob  spch  er  aber  sin 
gebet  vn  gieng  aber  wid'  kein.  D'  brüd'  kam  ab*  dar  nach  sime  Schillinge. 
Do  spch  d'  alte.  Bette  mir  noch  einest,  ich  gibe  dir  dinen  Schilling.  X/i  gieng  er 
ab'  hine  vn  vant  aber  den  Schilling  den  nam  er  do  vf  nach  dem  gebette  vnd  brachte  in 
jacob  dem  abte  zu  dem  spch  er.  Do  ich  \a  dir  wolte  gan  do  vant  ich  disen 
sehilling  an  dem  wege  dato  begang  die  niine  vn  frage  drie  tage  an  der  bredie  ob 
in  ieman  habe  uerlorn.  Dax  tet  d'  abt  vn  enuant  ni, man  des  er  (lGa)  w'e.  Do  spch 
johänes  zä  de  abt  jacob.  Sit  in  nieman  hat  v'lorn  so  gibe  ich  in  dem  brüd'  ich 
sol  im  eine  Schilling  darumbe  kam  ich  her  de  du  mir  in  xe  gelte  ne  heltist  uerlihen 
vn  uant  disen  Schilling.  Do  wund't  den  abt  de  er  den  Schilling  so  lang  hatte  ge- 
spart uor  dem  bräd1  durch  gottes  uorhte  vnd  lopte  rnsern  h'ren.  So  den  selbe 
johänes  etwene  die  brüd'  baten  de  er  inen  lihe  des  er  in  siner  celle  hatte  so  spch 
er.  Nement  da  selb  als  vil  ir  bedürfet,  wolt  im  Seh  iemä  gelten  so  spch  er.  Leg 
es  teid'  da  da  es  nemest.  Galt  man  im  nit  so  sweig  er  vnd  hiesch  nut  (Palm 
55, 20  =  §  154).  —  Phylarigius  hiez  ein  heilig'  man  vö  Jerusalem  vn  gewä  mit 
arbeitenne  sin  brat,  d'  wolt  an  ein'  straxe  u'köfen  daz  er  gewärkef  hatte,  da  /rare 
eime  tuseng  Schillinge  Pfenningen  in  eime  sähe  enphallen.  Die  pfennTge  vant  d' 
bräd'  vn  spch.  Sir'  dis  hat  v'lorn  d'  kumt  wid'  an  dise  stat.  in  d'  xüuersiht 
stänt  er  da  stille.  Do  kam  ein1  weinende  d'  hat  sü  uerlorn.  dem  gap  der  brüd' 
sin  Pfenninge  ivid'  vn  irolt  durch  sin  bette  nie  nut  davö  genemen.  Do  rufte  d'  die 
Pfenninge  hatte  v'lorn  in  d'  stat  vnd  seit  allen  Inten  /ras  ime  d'  gät  man  hatte 
getan,  vn  d'  bräd'  lüf  vs  d'  stat  (16 b)  de  man  im  dar  unibe  ze  vil  eren  nilit  butti 
(fehlt  bei  Palm,  Rossweyde  V,  6, 15  =  583 b).  —  Daniel  d'  abt  seite  vö  dem  heiligen 
Arsenio  d'  machet  körbe  vs  palmen  bletP  vil  leite  du  bleW  in  einen  zuber  vnd  liez 
sü  iveichen.  de  wasser  wart  smeckende.  do  hiez  er  and's  dar  vf ' giessen.    Nu  baten 


MHD.   ÜBERSETZUNG    DES    LEBENS    DER    VÄTER  383 

in  die  brüd'e  de  er  es  es  liezi  schütten  vn  wol  smeekendes  wasser  mini.     Do  spch 

d*  alte.     Ich  wil  disen  smak  liden  für   muschgat   vn  and"   manig'   hand  würze  d'o 

.sst:_ 
süze  gesmak  ich  dicke  in   d'  weit   nach   minem   /eilte  han  genome  dar   umbe  dan 

mich    got    vö    d*    bitt'en    helle    smak    erlöse,     vn   de    ich    mit   dem    riehen    man 

der    alle  tage    also    schon    lepte    in    wirtschaften    niht    werde    uerdampnet    (Palm 

58,  23  =  §  162).    —    Milion    hie*,    ein    abt    d'    aas    mit     twein    s/neu    iung'n    in 

eime    wilden    walde    da    dienten    su    vnserm    hsren.      Nu    füre    '-ins    keisers    siaie 

nach    ire    gewonheit    vs    iage    rit    nah    xugen    des    seihen    waldes    vierzig    ach 

mit    ir    netze    vmb    da?.,    de   sä    ersehlügin    s/ms    vnd'    dien   nezze   wu/rdi   fand'. 

Also  füren  sü    in   den   wald.    vn   funde   den   alten  vn  sine  lungern  inrenthalb  den 

netze  d'  was  aller  gehöre  vn  hate  ein  egsper  antlüte.    Do  fragt'-  in  des  keisers  süm 

ob  er  ein  mesch  w'e  oder  ein  geist.    Do  spch  er.    /'■//  (IT")  bin  ein  mesch.   vn  bin 

her  käme  min  sundc  xe  weinende,    ich  globe.  och  an   got  vn  bette  in  an.    sü  spchen 

abs  xü  im.     Es   ist  ekein  and'  got  wä  du  sunne  vn  wasser  vn  für  die  betU   an  vn 

oph*  inen.    Do  spch  er.     Di-,  sint  gottes  kreature.    ir   v'irten  bekerent  ich  vnd  be- 

kennent  got  d'   mit    disen    dinge    ell/l    ding   geschaf.     Du    begonde    sü    spotten    vn 

spräche.     Du  seist  de  ein  verdampnet'  vn  ein  gekrüzigeter  got  si.    Du  spch   er.    ia 

er  hat  die  sünde  gekrüzget  vn  den  töd  ertötet,    den  heissen  wir  einen  wäre  gut.    er 

geschaf  himel  vn  erde  vn   mer.    vn   allü  du  ding  die   in    im    sint.    vmb  die  rede 

nanten  die  heiden  den  alten  rn  sine  iung'n  vn  täte  inen  <jro\   marV  an  vmb  dt  su 

nit  iren  abgölten  wollen  oph'en.     vn  nach  lang'  marter  schlügen  su  den    -.nein   ira 

köpter  abe.    vn   \a  dem  alten  schussen  sü  als  te  einem  \il  ein'  gege  dem  hszen  der 

and'  gege  dem   rugt/eu.     Do  spch  d'  alte.     Ir  gehellet  sonnt  de  ir  heilig  blnt  v'giessent. 

darumb  morne  an  dirre  selben,  stundi  ist  üw'  müt'  ane  sime.  ir  werden!  üw 
blüt  giezende  mit  üw'en  schösse.  D'  rede  spotteten  sü.  vn  des  morgens  füren  su 
vs  lagen.  Do  brach  sich  ein  kirze  vö  ir  netzen  'lerne  iagten  sü  nach  mit  di  rossen, 
vn  schasse  nah  (17h)  im  nn  ietwed'  den  and'n  dar  sin  h'ze  schoz.  vn  stürben  als 
inen  der  alte  cur  halte  gesell  (Palm  60,  9  —  §  ltiöj.  —  Per  ich  ins  d'  abt  sprach  :a 
einem  brüd'.  Geistlich  lob  si  alle  tit  i  dinem  munde,  vn  stete  gedenke  nach  gölte 
sülent  dine  bekorunge  vfhebe.  Tu  alse  d'  wegman  des  gesang  machet  de  er  d'  burdi 
vn  des  weges  v'gisset  also  de  er  vf  die  arbeite  nihh  -.  nit  achtet  (fehlt  bei  Palm, 
Elossweyde?).  —  Ein  priest'  gieng gewonlich  ;u  einem  einsidelen  vn  segnet  im  vnsers 
h'ren  liehame  de  er  sieh  bewarete.  Nu  wart  dem  einsidelen  geseit  de  </'  priest  mit 
vnküschkeit  vmb  giengi  darumb  wolt  er  sin  messe  nit  me  hören.    Do  kam  ein  stime 

./i    dem    einsiilel   ru  speh.       Die    liile    //out    Uli    i/erihte    genome.      Do    uarl   d'    alte   </t- 

zucket  7  dem,  geiste.  vn  sah  einen  sod  der  was  guldin  vn  eini  guldin  <  imer  dar 
ohe  an  einem  guldin  seile.  D'  söd  halte  gar  gut  wasser.  vn  sah  de  ein  vsset&iger 
duz  wasser  schuf.  Xu  heti  d'  all  g'ne  getrunkt  wä  de  im  dos  wasser  vö  dem  ux- 
setzigen  wid'stünt.  Do  speh  du  stimme,  warübe  trinkest  du  des  guten  wassers  nit. 
au  schepfet  es  nana  d'  uzsetzig  vn  güsset  es  in  ein  schönes  ras  mag  es  dauon 
curi-iu  w'den.  Do  kam  der  (18a)  einsidel  wid'  \u  im  selbe  vn  betrachtet  die  6e- 
tütunge  od'  meinüge  siner  gesihte.  ra  saute  nach  deine  priest',  d'  sang  im  vnd 
bewaret  in  ab'  alse  er  8ch  vnto  dar  hatte  getan  (Palm  68, 21  -  §  183).  Man  liset 
ro  eime  alte  d'  a\   in  vierzig  iure  nit  brotes  vn  trank  lütxel  wassers  darumb  de  er 

bekorunge  au    im   selbe   wolte   toten    ru    spch   offen/ ieheu.     ich    hau    erlöschen    au   mir 

fleischlichen  gelust  rnkuschkeü  gitikeit  ru  vppige  ere  od'  höfart.  />■  vernam  Abra- 
ham   ein    abt    (/'    kam     :u    im    vn    Spch.      Hast    du   a/s>  gesproelu  .    ja   speh   der  alte. 


384  NEBKRT 

Abraham  fragte  in.  ku/mst  du  in  dm  celle  vfi  windest  ei/n  irij>  vf  din'  mattun 
macht  du  dene  nit  gedenleen  dis  ist  ein  wip.  Der  alt  speh.  Ich  üb'wind  min  ge- 
denke '/'  ich  si  ii ilti  angrife.  Do  spch  d'  abt.  also  hast  du  vnküschikeit  nit  er- 
tötet ir  bekorunge  ist  ab'  gebunden,  vn  fragte  in  ab'me  vn  spch.  Gast  du  vf  einem 
wege  m  sihest  steine  vn  scherben  vfi  gold  satnent  ligi  mäht  du  in  di/nem  gedankt 
vf  di  gold  vfi  vf  die  steine  glich  ahte  habe.  D'  alt  spch.  Kein,  ab'  ich  wid 
minen  gedeken  a\  ich  sin  niht  ni/me.  Do  spch  abraha/m.  Qitikeit  bekorüge  lebet 
noch  t  dir  ab*  si  ist  gebunde.  vn  fragte  in  ab*  also.  Hörest  du  von  vwein  brüd'n 
(/,  dir  eine  hold  ist  tu  wol  von  dir  iish)  redet,  d'  and'  hasset  dich  vfi  redet  übel 
vö  dir.  koment  ab'  die  sament  \u  dir  enphahest  du  sü  gütlich"  Er  spch.  Nein 
ab'  ich  betwinge  min  gemfite  de  ich  inen  beidi  mu%  wol  tu/n.  Do  spch  abrahä. 
also  lebent  iemer  au  vns  bekoru/nge  ul>s  sü  werdent  gebunde  vö  heiligS  lüte  (fehH 
beiPalm,  Rossweyde  HI,  117  517a;  V.  LO,  15  597to).  Pastorein  den  abt  fragte 
ein  brüd*  vn  sprach.  Ich  habe  ein  sünde  getan  die  wil  ich  dru  iar  büze.  Do 
spch  pastor.  De  ist  gar  vil.  D1  brüd'  fragte  ab'  vfi  spch.  heissest  du  ei/n  iar.  D' 
alt  spch.  es  ist  gar  vil.  Do  spräche  die  and'n  brüd'.  heissest  il-t  in  vierzig  tag 
büzen.  D'  alt  spch.  Es  ist  gar  vil.  Ich  glühe  daz.  vfi  rüwent  einen  menschen 
sine  sünde  vö  allem  h'zen  vn  hat  uesten  ru  ganzen  wille  nit  me  te  sündene  got 
enphahe  uö  ime  drie  tage  büsse  (fehlt  bei  Palm,  Rossweyde  V,  10, 40  =  600b).  — 
Ein  einsidel  was  heiliges  lebenes  tu  deme  gieng  ein  ander  heiige  münch  vn  Inirtf 
vor  siner  celle  de  er  turnde.  nu  wände  er  de  d'  einsidel  mit  rinn  and'n  brüd' 
hetti  gezürnet  vn  wolt  es  han  versünet.  also  kam  er  in  die  celle  vn  fragte  in  mit 
nein  er  hetti  gezürnet  wä  er  niemä  bi  inte  sah.  Do  spch  d'  alte.  Ich  zürne  mit 
minen  gedenken,  ich  han  vierzehn  buch  vznan  gelernet,  ru  horte  ein  böses  wort 
vsserent  <ls  celle  nu  kam  ich  (19a)  her  wid1  in  vn  wolle  gottes  dienst  tun.  do  vergas 
ich  d'  vierzehe  buche  gar  vfi  gedahte  an  dis  wort  in  minem  ampte.  darumbe  kriegt 
ich  mit  mir  selbe  (fehlt  bei  Palm,  Rossweyde?).  —  Ein  brud'  sas  mit  gutem  leben 
vn  mit  nitre  in  sin'  celle  den  wolten  tieuel  uerleite  in  engeis  glichnüst.  sü  brdhten 
ime  dike  Hehl  vfi  wachten  in  vf  de  er  gienge  zu  ds  brüd'  eolleete  od1  samnüge.  Das 
seit  er  eins  tages  einem  alte  d'  spch.  Sttn  es  sint  tüuele.  wecken  sü  dielt  nie  so 
sprich,  ich  stau,  wol  vf  so  ich  wil  dar  ich  kum  ich  nüt  vf.  D1  brud'  gieng  ><ids 
hein.  vfi  antwürte  den  tieueln  als  er  geleret  uns.  Do  spche  sti.  Di  übel  alte  ist 
ein  välsch'  er  hat  dich  v'keret.  ein  brüder  bat  in  dax  er  im  pfenzg  Uhr  dem  18g 
er  vfi  seite  im  de  er  nit  hetti.  da  bi  erkenne  de  er  ein  välscher  vfi  ein  lugn'  ist. 
Der  brud*  seile  des  morgens  fru  dem  alt<  nie  die  t/inel  vö  im  hatte  geseit.  Do 
speh  er.  Ich  hole  pfenntge  vnd  löggente  im  des  wä  hete  ich  im  gelihen  de  wsre 
sin*  sei  schade  gewesen.  Dar  umb  gedahte  ich  ein  gebot  brechen  w'e  besser  dene 
Zehen  gebot,  t/ti  ic'en  gebroche  ob  ich  im  Pfenninge  hetti  v'lihen.  Nu  hüte  din  es 
sint  tieuele  vfi  toolte  dich  v'k'en.  also  ivart  d'  brud'  geuestnet  an  sinem  mute  ru 
gieng  wids  hein  %  sin  celle  (fehlt  bei  Palm,  Rossweyde  V,  10,93  =  606").  —  (19b) 
Zenon  hiez  ein  abt  in  Scythi  ds  gieng  eins  inales  nahtes  vs  siner  celle  rn  gie  drie 
tage  vn  drie  naht  ierre.  nu  viel  er  nid1  uor  müdi  vn  lag  für  tot.  Do  brahte  im 
ein  kint  wasser  vn  spch.  Stant  vf  vn  isse.  D*  alt  uorhte  es  uere  ein  böser  geist 
rn  begonde  bette.  De  kint  spch.  Du  tust  gar  trol  de  du  bettest  nu  isse  Seh.  Ds 
alte  bettet  ab*  vn  bat  got  sins  gnaden.  Dar  zu  spch  de  kint.  Arne.  Do  stünt  er 
vf  vnd  az.  Do  spch  es  ab'.  Du  bist  gar  v're  uö  din*  celle  honten,  volge  mir  nach, 
vn  brachte  in  xehant  für  sin  celle.  Do  spch  ds  alte.  Herre  gang  mit  mir  vnd  tu 
din  gebet  in  miner  celle.    vn  als  er  uor  im  gieng  do  verswand  es  liind*   ime   (fehlt 


MHD.  ÜBERSETZUNG  DES  LEBENS  DER  VÄTER  385 

bei  Palm,  Eossweyde  III,  210  =  531a;  V,  187  =  637 a).  —  Anthonius  spch.  Arbeit 
demüt  vn  gebet  ane  vnderlax  die  drü  ding  gewinent  got.  mit  disen  drin  dinge  sint 
alle  keilige  behalten  vö  angenge  d'  weite  vntx  an  daz  ende.  Da  wid'  rüwe  vn  eige 
wille  vn  eige  reht  ucrtilceit  ierrent  die  sele.  mit  disen  drin  dinge  sint  die  v'lornen 
sele  genauen  (fehlt  bei  Palm,  Rossweyde'?).  —  Ein  übt  kiex,  Lucius  zu  dem  kamen 
manche  die  kiexen  Enchite  de  sprichz,  in  tatschen  bett'e.  Die  fragte  d1  alt  aas  ir 
werk  tvse.  Do  sprachen  sä.  wir  tun  enkein  and1  werk  wä  als  sunt  Paulus  spritz 
wir  bette  ane  vnderlax.  D1  alt  spch.  Essent  ir  ntit?  (20a)  Do  spräche  sä.  wir 
essen  öch.  er  spch  ab'.  wl  bettet  für  vch  so  ir  exxent.  vn  fragte  ab',  schlafen  ir 
iht.  Sä  spräche  wir  schlafen  lieh.  Do  sprach  er.  wer  bettet  für  vch  so  ir  slafent. 
Da  wid*  enkonde  sä  mit  gereden.  Do  spch  er.  Lieben  brüd1  ir  tünt  niht  als  ir 
sagent.  ich  zeige  od'  bewise  vch  de  ich  wärkede  mit  minen  hande  ane  vndHaz  betten. 
Ich  sitze  von  dem  morge  vnz  xe  uesper  xit  vn  mache  vö  palme  einen  korb  vn  spche. 
Mis'ere  mei  deus  x  c'.x  Got  erbarme  dich  üb'  mich  nach  diner  groze  erbende, 
vn  nach  d'  menigi  din'  erbarmungen  v'dilge  min  bozheit.  ist  das  ein  gebet,  sii 
spräche,  ia.  Do  spch  er.  also  betten  ich  alle  tag  mit  h'zen  od'  mit  munde  vfi 
gewJne  mit  minen  hande  sehs  pfenning  d'o  leg  ich  zwene  zu  d'  türe  vn  isse  ich 
vö  dien  and'en.  vn  sw'  die  zwene  von  dien  anderen  nimet  der  bettet  für  mich  so 
ich  isse  od'  schlafe,  also  uö  gottes  gnaden  erfülle  ich  die  geschrift  die  da  sprichet. 
wir  siilen  ane  vnderlaz  betten  (fehlt  bei  Palm,  Rossweyde  III,  212  =  531b;  V,  11.9 
=  613b).  —  Ein  brüd'  fragte  eine  alte  also,  min  swest'  ist  arm  gib  ich  ir  min 
almüsen  ist  es  nit  als  gilt  als  vmb  and'  arm  lüte.  Do  spch  er.  Nein  wä  din  blüt 
zähet  nie  an  din  swester  dene  gege  andre  tüten  (fehlt  bei  Palm,  Rossweyde  V,  10, 101 
=  607 a).  —  Ein  manch  hatte  eine  armen  brild'  deine  gab  er  vö  sime  gute  daz  (20 b) 
er  mit  arbeite  hatte  gewunne.  vn  so  er  ie  dicke  vn  ie  me  gap  so  er  ie  armer  was. 
Das  klegte  der  milnch  einem  alten.  Der  spch.  Gib  dineni  br tider  nit  me.  spch. 
Brüder,  arbeite  selb  vn  gib  bch  mir  ich  gab  dir  do  ich  hatte,  vn  nirn  uö  im 
swas  er  dir  gebe  vn  gib  es  arme  lüten  de  sä  iib'  in  bitte.  Der  manch  rette 
mit  sinem  brüd'  do  er  zu  im  kam  als  er  tvas  geheissen.  tu  li< ■:  in  trurigi  vö  im 
scheiden.  Doch  begonde  er  arbeiten  vn  brachte  sinem  brüd'  dem  mwnche  an  dein 
ersten  krut  vs  sime  garte,  daz  nam  er  vfi  gab  es  armen  brud'n  de  s/t  für  in  betin. 
darnach  braht  er  im  krut  vn  drü  brot.  de  gap  er  als  dauor  arme  lütS  eu  gap  im 
sinen  segen.  Do  gieng  er  wider  hein  vil  brahte  ab'  do  vil  spise  vn  uin  vnd  tische, 
da  mit  spiste  er  ab'  arm  litte,  vn  do  fragte  in  der  müneh  ob  er  iht  brotes  bedSrße. 
Do  spch  er.  H're  nein,  swas  dins  gutes  in  min  Uns  kam  do  verswand  min  gut 
ii ls  ein  für.  sit  ab'  du  mir  nät  me  gebe  so  w&hs  min  gut.  vn  hab  na  von  gottes 
gnade  gar  vil.  Das  seit  t/'  manch  dem  alten.  Do  spch  er.  Münche  gut  ist  als 
für  swar  es  kumet  so  v'swendet  es  swas  bi  im  ist.  vn  sw'  armen  Ititc  von  sinen 
arbeiten  (21a)  hilfet  dem  hilfet  got  uon  armüte  (Palm  71,  23  =  §  189).  —  Pastori 
dem  abte  seile  ein  brüd'  also.  Gibe  ich  ein  almüsen  de  enfveinet  </'  tntiel  da  mit 
es  ist  dem  glich  de  es  durch  d'  lüte  glimph  etnie  vil  geschehe,  Ih>  spch  </'  alte. 
ztven  butnan  saze  in  ein'  stat.  d'  ein  säte  ein  wenig  <la\  selb  wühs  vn  wart  gar 
vusttber  doch  sneid  er' es  vn  gekielt  es  in  sinem  kostet/.  !>'  am/'  säte  nüt.  /'.< 
käme  hung'  iar.  wedre  vnd'  disen  x/wein  ///"//t  /ms  genesen  nor  hung'e.  /''  brüd' 
Sprach.  D'  da  säte  vn  gekielt  der  genas  /ms.  I >o  sprach  d'  alte,  also  su/e  tvir 
doch  geben  vnserm  brüd'  sin  notdurft.    ist  es  nit  gar  l/tt'  tvir  vindi  es  doch  so  tvir 

1)  Rot  unterstrichen. 

ZEITSCHRIFT    F.    DKUTSOHE    PHILOLOGIE.       HD.   XXXV.  '_'."> 


386  NKBRRT 

nit  me  seien  muge  (fehlt  bei  Palm,  Rossweyde  V,  13.  6 —- 615»).  —  Ztvene  heilige 
altudtt'  giengr  savirt  in  ein  wästi  bi  Scythi.  da  horten  sä  ein  sinne  vs  der  erde 
murmelen.  vn  giengen  d1  stimme  nach  i  ein  hol  da  fanden  sä  ein  all  maget  siech 
ligende.  xü  dl  spräche  sä.  wem  kerne  du  her.  od'  tver  dienet  dir  hie.  Do  spch  si. 
Ich  bi  in  disem  hole  allein  gelegen  achtxehen  iar.  vn  ax  nüt  nun  hrtft'  vnd  wwr- 
xelen  in  vnsera  h're  name  ih'u  xpi.  sit  gesah  ich  beh  nie  mesche.  wä  got  hat  ich 
her  gesant  de  ir  minen  lichamen  (21b)  sälent  begrabe.  Also  spch  si  vn  v'schied. 
Do  begrübe  die  alte  ir  heiligen  lichamen  vn  gienge  wider  hein  lobende  vnsern  h'rB 
siner  gnaden  (Palm  82,  18  =  §  201).  —  Ein  alt'  einsidel  wolte  in  ein'  stat  r'lcbfen 
de  er  hate  gemachet,  vnd  dax  hatte  er  da  ueile  vor  eins  riche  mannes  hus  d' 
lag  siech.  De  sah  d'  alte  vil  ritt'e'  vf  swarxen  rossen  kome  die  wäre  beh  selb 
swarx  vn  gräwlich  an  xe  seltene,  vn,  lüften  balde  in  dax  hus.  D1  siech  sah 
sü  kome  vn  begonde  sere  schrien  also.  H'  hilfe  mir.  Do  sprachen  sü.  Nu 
gedenkest  du  an  got  so  dir  die  sunne  erlöschen  ist.  irarumb  suchtest  dv  in 
nit  e  vnx  an  disen  tag  do  dir  ds  tag  denoch  luhte.  du  solt  dich  an  diser  stunde 
enkeins  trostes  uersehen  (fehlt  bei  Palm,  Rossweyde  VT,  3,  14  =  §  656 a).  —  Johannes 
hiex  ein  abt  den  baten  brüd'  an  sime  töde  de  er  inen  etwas  kurxklich  seiti  dtir 
besser unge  de  wbltin  sü  von  im  erben.  Do  spch  er.  Ich  getet  nie  minen  willen, 
ich  lerte  Seh  niemän  dex  ich  selb  nit  enkonde  noch  selb  nüt  getan  hatte  (fehlt  bei 
Palm,  Rossweyde  IV,  1 ,  10  =  §  562 b).  —  Chamo  hiex  ein  abt  der  spch  an  sime 
tbde  xü  sinen  iung'n.  Ir  sont  nit  wonen  bi  ketxern.  hant  beh  d'  richVe  od*  d' 
riehen  nit  kündi.  vws  son  nüt  offen  sin  etswas  xe  samnene  ir  söt  sü  sireke  xe 
gebene  (fehlt  bei  Palm,  Rossweyde  IV,  1, 18  =  563 a).  —  (22*)  Ein  alte  lag  an  sinem 
tbde  uor  dem  stünde  brüd'e  vn  weinden.  Do  lachet  ds  sieche  xe  drin  malen.  Die 
brüd*  fragten  in  warumb  er  heti  gelachet  do  sä  weinden.  Do  spch  er.  ir  fürhtent 
den  tbt  des  lachet  ich.  ir  sint  gege  dem  tbde  vnbereit  des  lachete  ich  ab'.  Do 
lachete  ich  xem  dritten  male  de  ich  von  disen  arbeite  in  rüive  sol  uarn  vn  frbde 
ane  end  hä  (fehlt  bei  Palm,  Rossweyde  V,  11,52=  §  612b).  —  Agathon  d'  abt  lag 
drie  tage  uor  sime  ende  mit  gesehenden  bge  ane  reden.  Darnach  spräche  die  brüd' 
xü  im.  vatt'  iva  bist  du.  rs^J  Do  antwürt  er  rn  spch.  Ich  st  an  uor  gottes  gerillte,  sä 
fragten  ab',  fürhtest  du  dir  beh  uatt'.  Er  spch.  Ich  behielt  vusers  herre  gebot  nach 
miner  kraft  als  vil  ich  mohte.  nu  bin  ich  ein  mesch  vn  enweix  nüt  ob  minü  w'k 
gotte  geuielen.  sä  spchen  ab'.  Olbbest  du  nit  dax  dinü  werk  nach  gottes  /rillen 
sien  geschehe.  Do  spch  d'  alte.  Ich  weix  sin  nit  e  den  de  ich  für  gottes  gerillte 
kume.  Gottes  geriht  vfi  d'  mensche  gerihte  sint  nit  glich,  vn  spch  ab'  do.  Liebe 
brüd'e  xöigent  die  mlne  vn  redent  nit  me  mit  mir.  ich  bin  vnmüssig.  Dar  nach 
v'schied  er  mit  f roden  (fehlt  bei  Palm,  Rossweyde  V,  11,  2  =  608 b).  —  Besarion  d' 
abt  spch.  Manche  lebe  sol  sin  nah  den  engein  brinnende  vn  swendende  die  sände 
(fehlt  bei  Palm,  Rossweyde  V,  11,  36  =  61  lb).  —  (22 b)  Macharium  baten  die  alten 
de  er  in  etwas  ivölti  sage  dauö  die  brüd'  gebessert  wurdin.  Do  spch  er.  Ich  bin 
noch  nit  ein  manch'2.  Ich  sas  %  min'  Celle  in  Scythi  vn  gedachte  ich  sblte  gan  in 
die  wüsti  besehen  ob  ich  da  iht  fundi3  vnd  gedachte  do  xe  blibene.  wä  ich  uorhte 
es  w'e  des  tieuels  rat.     In  den  gedenke  bleib  ich  fünf  iar.   vfi,  gie  do  in  ein  tvüsti. 

1)  Am  rand  daneben  steht:  od'  (rot)  rit'e. 

2)  Hinter  manch  steht    ein  roter   senkrechter  strich,    der  wol  auf   den   rand 
weisen  soll;  daselbst  steht  ich  habe  wol  manche  gesehe. 

3)  Hinter  fundi  steht  ein   roter  senkrechter  strich    und  am  rande  dauö  ich 
gebessert  wurde. 


MHD.  ÜBERSETZUNG    DKS    LEBENS    DER    VATER  38? 

da  vant  ich  ein  grox  wasser  %  dem  lag  ein  insele.  xü  deme  wasser  gienge  maniger 
hand  Her  trinken.  vnd'  dien  tieren  sah  ich  xwen  man  die  ivaren  nackent.  davö 
erbibente  od1  erxitt'ote  alle  min  lib.  De  sahen  sü  an  mir  vn  spche.  fürchte  dir 
nit.  wir  sin  Seh  mesehen.  Do  fragte  ich.  wärie  sü  to'en  dar  kamen.  Sü  seile, 
wir  käme  her  von  eime  klost'  vn  sin  vierzig  iar  hie  gewesen,  vn  ist  eine  uö  Egypto 
geborn  ds  and'  uö  eime  lande  de  heisset  Lybia.  Do  fragten  sü  mich  Seh  also. 
Wie  stat  es  vmb  die  gegnine.  r^J  hont  die  lender  noch  ir  genuht.  ^  gant  du  wasss 
nach  ir  xit.  Ich  sprach,  ia.  vn  fragte  sü  wie  ich  ein  münch  möht  w'den.  Do 
spräche  sü.  Swer  nit  v'lSggent  alles  des  de  du  weit  hat  d1  ist  niht  ein  münch. 
Darxü  spch  ich.  Ich  bin  krank  vn  enmag  nüt  lebe  als  ir.  Do  spche  (23 a)  sü.  so 
sitxe  in  diu'  celle  vn  klage  dine  sünde.  vn  seite  mir  ab1  nach  frage,  de  ine  got  des 
ivinters  frost  vn  dex  snmers  hitxe  hatte  abgenome  durch  sin  erb'mde.  Dar  umb  hä 
ich  gesproche.  Ich  bin  noch  nit  ein  münch  ich  habe  wol  münche  gesehen  (fehlt  bei 
Palm,  Rossweyde?).  —  Ein  weltliche  man  hatte  drie  süne  die  Hex  er  vn  für  xe 
einem  kloster  da  wart  er  enphangen.  vn  nach  drin  iaren  begonde  in  iam'en  nach 
dien  kinden  vnd  wart  trurig.  Das  sah  ds  abt  vn  fragte  in  tvas  im  were.  Do  spch 
er.  Ich  Hex  drie  sün  *  ein'  stat  die  sehi  ich  g'ne.  Do  hiex  in  d1  abt  de  er  sü 
brehti.  Also  für  er  nach  den  kinden.  vn  uant  de  xtvei  tSt  wäre.  Dax  dritte  fürte 
er  in  das  Most'  vn  fragte  nach  dem  abte.  ds  wart  im  gexeiget  in  der  pfistri.  do 
nam  er  den  sun  vn  gieng  xü  im.  Do  grüxte  in  d'  abt  vn  vmbeuieng  dax  kint  mit 
küssene  vn  sprach  xü  dem  uatt'.  ist  dir  dis  kint  liep.  Do  spch  er.  ja.  Do  seit 
ab'  d'  abt.  Ist  es  dir  gar  liep.  Do  spch  er.  ia.  Do  spch  d'  abt.  so  nim  es  [vn 
wirfe  es  in  den  brinneden  ouen.  Do  nam  es  d'  brüder  vn  warf  es  in  den  glüien- 
den  otien.  Do  wart  d'  ouen  xehant  küle  als  ein  tSw.  vil  vmbüieng  sin  kä  wol 
gesunt  wid'.  vn  vnser  h're  tröste  in  als  Abrahamen  den  patriarchen  dem  er  (23 b) 
glich  was  an  gehorsam!  (Palm  73,  3  =  §  192).  —  Agathon  d>  abt  wart  gefraget  wed1 
besser  w'e  arbeit  des  libes  oder  hfde  des  inren  mensche.  Do  spch  er.  D'  mesch 
ist  gelieh  einem  bSme.  so  ist  du  liplich  arbeit  sam  du  bleW.  ab'  du  hüte  des  inren 
menschen  ist  sam  du  fruht.  Da  uö  als  geschribe.  ein  ieklich  hon  d'  nit  fruht 
hat  den  sol  man  nid'  höwen  vn  uerbrennen.  Da  vö  milxe  wir  sorge  habe  vmb  rns' 
fruht  de  ist  des  mütes  hüte,  wir  habe  doch  dax.  werk  vn  die  fruht  vn  die  gexierde 
der  bett'e  de  sint  die  lipliche  arbeite  (fehlt  bei  Palm,  Rossweyde ?).  —  Der  selbe  abt 
Agathon  was  ivise  xe  merkene  vn  nit  trege  xe  arbeitene  vfi  karg  an  essenne  vn  an 
trinkene  vn  an  gewande  (fehlt  bei  Palm,  Rossweyde  V,  10, 11  =  597*).  —  Ein  bräd' 
fragte  den  ab  Pastorem  vnd  spch.  wie  rnün  d'  münch.  in  d'  celle  sin.  M>  sjfich  d1  alte. 
[Do  spch  d' alt.]  De  ist  offebar  de  er  in  d'  celle  teürke  mit  den  henden  vn  xe  einen/ 
male  an  dem  tage  esse  vn  sivige  vn  heimlich  hei  ruhte  wu  d1  getv'inet  nutx  in  (/' 
celle.  d'  sich  strafet  vb  sin  eige  sünde.  vfi  sin  xit  nit  uersumet.  vn  sin  heimlichi 
behütet,  vn  so  er  von  dem  werke  gut  de  er  xü  dem  gebette  ilet  vn  das  v'endet  ane 
trurikeit.  ab'  dax  beste  ist  de  du  gut  gesel/esehu/t  haltest  In  dir  vn  die  bösen  fliehest 
(fehlt  bei  Palm,  Rossweyde  V,  10,  ü4  =  G02k).  —  Brüd'  kamen  xe  einen  (24»)  tuen 
xü  dem  abte  Pambone  den  fragte  ein'  vnder  inen  vfi  speli.  votier  sage  mirwarumb 
mir  die  geiste  werren  de  ich  minem  nähsten  iht  gut  tüie.  Do  spch  </'  alte.  Bede 
also  nüt.  ivä  so  sprechest  du  de  got  rnwarliaft  w'e.  l>u  soli  spreche  Ich  wit  nit 
erbarmherxikeit  tun  od'  würken.  wä  got  hat  gesprochen,    loh  hob  üch  gewali  geliehen 

de  ir  vf  die  schlangt  u   nid  vf  die  80horpt  n   tntleut   rn  rf  alle  die  kraft  des   ticuels. 
waruinh  dmekest  du  dene   nit  den    enreimn    t/t /st   (fehlt    bei    Palm,    R088W6yde 

Ihr  abt  Pallad9  sprach.     Du  glbbig  seh-   müx   einiwed'   lernen  <ln:  si  nüt  kau  "</' 


388  NBBKBT 

leren  offenlich  dax  si  l.an  od*  beidü  ob  si  mag.  wil  si  des  nit  so  hat  si  der  vnsvn 
begriffen,  wä  sivcn  v'drüsset  xe  lernSne  de   ist  ein  anvang   uö  gotte  :<■  scheidSne. 

wan  du  scle  die  yot  liep  hat  du  begert  sin  alle  zit  (fehlt  bei  Palm,  Rossweyde 
V,  10,  67  —  603").  —  Ein  übt  hiez  ypericius  d'  speh.  Der  ist  werlich  wisi  d  mit 
w'ken  od'  mit  lebene  and1  lüte  leret  nit  mit  den  worten  (fehlt  hei  Palm,  Rossweyde 
V,  10,  75  =  603b).  —  Der  abt  Amon  kam  :>/  dem  abte  Pastor  vn  speh.  Ist  de  ich 
xü  einem  gan  oder  er  zu  mir  so  schämen  wir  ins  xe  redenne  de  ins  icht  vnnütxes 
in  die  rede  kome.  Do  speh  d'  alte.  Du  t/ist  wol  wä  den  iügen  ist  hüte  not.  Do 
speh  d'  alte.  Du  tust  wol  wä  den  iügen  ist  hüte  not.  Do  speh  d'  abt  Amon.  was 
taten  die  alten.  D'  alt  speh.  Sü  wurden  gebessert  vn  geuestent  dax  (24b)  sä  nüt 
frömdes  hettin  da  uö  sü  rettin.  Do  speh  Arno,  ist  mir  not  mit  eime  xe  redeiu  sol 
ich  mit  im  rede  uö  d'  geschrift  od'  uon  d'  alte  rede.  Do  speh  Pastor.  Macht  du 
swige  das  ist  gut.  ab'  du  sott  e  rede  vö  den  worte  d'  alte  dene  von  d'  geschrift  int 
es  ist  nüt  ein  klein  Verlust  dar  an  (fehlt  bei  Palm,  Rossweyde  V,  11,  20  =  610a). — 
Der  abt  Petrus  speh  zu  dem  abte  Loth.  Swenne  ich  in  d'  Celle  bin  so  ist  min 
sele  in  friden.  swenne  aber  ein  brud'  xü  mir  kämet  vn  seit  mir  d'  wort  du  vss'- 
lialb  sint  so  irirt  min  sei  betrübt.  Do  speh  Loth.  Diu  Schlüssel  entschlüzet  min 
schlox.  Do  speh  d'  abt  Petr9-  was  ist  das.  Do  antwürt  im  d1  abt  Loth  vn  sprach. 
Kumet  ein'  xü  dir  vn  fragest  du  in.  wie  mäht  du.  uö  wanne  kumest  du.  wc  tust 
du  dines  brüd's  tür  vf  vn  hörest  denne  de  du  nit  g'n  wilt  höre.  Do  speh  d1  abt 
Petrus.  Es  ist  also,  was  sol  ab'  ein'  tun  so  ein  brüd'  xü  im  kumet.  Do  speh 
Loth.  weinüge  ist  ein  gütü  lere,  siva  nit  weinüge  ist  da  ist  vnmüglich  de  d'  müt 
behüt  iv'de.  Do  speh  Petrus.  Swenne  ich  in  d'  celle  bin  so  ist  weinüge  bi  mir. 
sivene  ab'  iemä  xü  mir  kumet  od'  ich  vs  d'  celle  gan  so  uinde  ich  nit  weinüge. 
Do  speh  Loth.  Si  ist  da  nit  vnd'tenig.  tvan  ist  de  d'  mesch  vmb  ein  d%g  arbeitet 
nah  sin'  kraft  xe  wel'  xit  ers  suchet  so  videt  ers  xe  nuxxe  (fehlt  bei  Palm,  Boss- 
weyde  V,  11,  26  =  610 b).  —  (25 a)  Ein  brüd'  speh  xü  einem  alten  also.  Min  ge- 
denke sagent  mir  de  ich  wol  lebe.  Do  speh  ds  alte.  Swer  sine  sünde  nit  ansitiet 
d'  wenet  de  er  reht  lebe.  D*  ab'  sin  sünde  ansihet  d'  mag  sin  herze  nit  getrosten 
de  er  gerehte  si.  Es  ist  gar  notdürftig  de  d'  mesch  sieh  selben  erkenne,  wä  du 
v'sumunge  vns'r  gewisseni  vnd  verlaxenheit  du  blendent  insers  herxen  bgen  (Palm 
18,  11  =  §  56).  —  Serapion  hiex  ein  brüd'  uö  dem  seilen  die  heiligen  altuätter  de 
er  sinen  iung'  hiex  daz  er  in  v'köfti  eime  heide  vmb  xwenxig  Schillinge.  Dieselben 
pfenmge  gehielt  er  bi  im.  Also  tvart  er  v'kbffet  in  ein'  stat.  vn  dienete  da  als 
lange  vnx  das  er  sinen  kbfh'ren  bekerte  also  de  er  vn  sin  icip  vnd  ir  gesinde  uö 
ir  abgötten  sich  schiede  vn  sich  kerten  xü  vnserm  h're  ih'u  xpo.  vn  d'  selig  Sera- 
pion ax  nutvä  wasser  vn  brot  vn  las  steteklich  die  heilige  geschrift.  vn  do  sin  kbf- 
h're  vn  sin  wip  vn  alles  ir  gesinde  getbfet  wurden  vn  reines  ktisches  lebe  an  sich 
genome  hatten  do  wäre  sü  dem  gottes  dien'  als  hold  de  beidü  d'  h're  vil  bch  du 
frbwe  xü  im,  spräche  also.  Brüd'  tvir  gebe  dich  frilich  vf  du  solt  fri  sin.  wem  du 
hast  ins  erlöset  vö  des  tieuels  eigenschaft.  Do  speh  S'apion.  Lr  bedürfet  (25 b) 
min  nit  me.  got  hat  sin  w'k  an  ich  erfüllet.  Ich  sag  ich  nu  min  heilich  sacke 
die  ich  da  her  barg.  Ich  kam  her  vmb  üw're  sele  heil  die  ich  sah  l  grozem  irretihn 
v'ioierret.  Ich  was  ein  münch  fries  gesehlehtes  uö  Egypto.  vn  uerkbfte  mich  selbe 
de  ich  üch  uö  sünden  möhte  fri  gemache.  Nu  hat  got  uolleklich  sin  gnade  an  ich 
getan,  des  bin  ich  fro.  Dis  golt  gabent  ir  vmb  mich  de  nement  wid'.  wä  ich  wil 
ander  lüte  suchen  dien  ich  ab'  gehelfen  müge  vö  sünde.  Sü  bäte  in  de  er  bi  inen 
blibe  sü  wöltin  in  behalten  als  iren  h'ren  vn  vre  lieben  uatt'.     Des  enwolte  er  nüt 


MHD.  ÜBERSETZUNG  DES  LEBENS  DER  VÄTER  389 

tun.  su  hiexen  in  öch  de  gold  durch  got  gebe  wä  sie  ir  sele  heil  da  mitte  hatten 
geköfet.  Dax,  beualh  er  in  selbe  xe  tünne  vnd  für  dannen.  vn  eins  tages  kam  er 
in  ein  stat  vn  hung'te  in  gar  sere  wan  er  hatte  vier  tage  geuastet  gar  ane  alle 
spise.  Nu  was  enmitten  in  der  stat  ein  bühel.  dar  phlagen  die  beste  in  d>  stat 
dik  xe  komene  dur  kurxwile.  vf  den  bühel  stützt  d1  heilig  man  vn  rufte  vmb  sich 
nach  helfe.  Bar  käme  alte  vn  iunge  vn  fragte  was  im  geschehen  were.  Do  spch 
er.  Ich  bin  ein  münch  uö  Egypto  vn  bin  vö  kindes  iugent  vf  eigenlich  gewesen  i 
drier  h're  (26*)  bände,  uö  ds  drier  xwein  hob  ich  mich  erlöset,  der  dritte  haltet 
mich  noch  vn  hat  nu  vier  tage  sin  gelt  an  mich  xornlieh  geuord'et.  des  liab  ich 
im  nit  xe  gebene  darumb  wil  er  mich  v'derbe.  Die  bürg'  fragten  wa  die  dri  h're 
toHn  ods  wie  sü  hiessin.  Do  nante  er  sü  also.  Ire  heisset  ein'  gitikeit.  Der  and' 
vnküschkeit.  ds  dritte  fraxheit.  vö  ds  gitikeit  vn  uö  d'  vnküschkeit  hä  ich  mich  er- 
löset mit  stregem  lebe  de  sü  ir  gelt  nit  me  an  mich  uord'ent.  Ab'  d'  fraxheit  hob 
ich  ir  gelt  vier  tage  uorgehebl  mit  vastene  vn  wil  hung's  sterbe.  Nu  wände  etlich 
hiiehmeist'  de  er  die  rede  dur  list  hetti  xe  sämne  geleit  vn  gäbe  im  einen  Schilling 
Pfennige  damit  wolte  sü  in  versuche,  den  gap  er  eime  pfist'  vn  nam  uö  im  nit 
me  denne  ein  brot  da  mitte  er  den  hung'  v'treip  vn  für  vö  d'  stat.  vn  da  bi  er- 
kande  sü  de  er  ein  heilig  mä  was.  Nu  kam  er  in  ein  stat  da  was  ein  gar  hohe 
bürg'  d'  was  in  ein'  schlaht  kcxx'  lebe  die  Messen  Manichei.  dem  selbe  gap  er  sich 
xe  köfenne  vn  bekerte  den  in  xwein  iare  de  er  vn  och  alles  sin  gesinde  glbbig  wurden 
an  ünsern  h're  ih'm  xpm.  Dien  gap  er  och  ir  gut  ivid'  da  mit  sti  in  geköfet  hatten 
vn  sahied  lieplich  vö  inen.  (26 b)  Dannan  gieng  er  in  ein  schif  mit  vil  andre  lüte 
vn  wolt  uarn  gege  Home,  in  dem  schiffe  wc  er  fünf  tage  ane  spise  de  er  mit  ax. 
Nu  wände  die  schif h'ren  er  hete  liht  ehveme  spise  vn  gold  beuolhen.  vn  fragten  in 
warumb  er  mit  andren  lüte  sin  spise  nit  exi.  Do  spch  er.  Ich  enhab  nit  spise. 
sü  fragten  in  was  er  inen  wölti  gebe  xe  uerschatxe.  Do  spch  er.  ich  habe  ich 
nit  xe  gebene.  Do  schulte  sü  in  sere.  Dax  leid  er  gar  gedulteklicli.  vn  hä  mit 
irem  gemeine  almüse  xe  rome.  Da  fragte  er  wa  d1  aller  beivartest  münch  in  Home 
teere  gesessen,  vn  also  vant  er  Domicionem  einen  gar  heilige  man.  bi  des  bette 
ivurde  siechen  gesunt  nach  sime  töde.  den  sah  er  vn  wart  von  ime  gebess'et  an 
uolkomne  leben,  wä  d'selbe  heilig  man  hatte  grox  vn  hohe  kunst  uö  d'  geschrift. 
D'  xeigte  im  nach  frage  ein  maget  du  hatte  sich  beschlossen  in  ein  celle  manigen 
tag  de  si  nie  mensche  gesah.  xü  d'  kam  er  vn  bat  iT  mrgrfc  dien' in  de  si  d<  kltts- 
n'inen  vö  ime  seiti  er  wölti  si  gern  gesehen,  vn  si  spch.  Si  gesah  in  mcmigS  iare 
nie  mensche.  Do  spch  er.  Gag  hine  vn  sprich  got  habe  in  ich  \n  ir  gesant.  Also 
sax  er  drie  tag  uor  d'  celle  (27 a)  vn  ivart  kume  enphangen.  de  si  mit  im  wÖlte 
reden.     Do  hüb  er  die  rede  gege  ir  an  vn  spch  also,   wes  sitzest  du  hie.    Si  dticürt 

im  vn  spch.     Ich  gan.     Er  spch  war.     Si  sprach.    \u  gotte.     Er  spch.     I. ehest  du 

in 

od1  bist  du  tot.  Si  spch.  Ich  getrüwS  got  de  ich  </'  weite  tut  si.  wan  swer  mit 
dem,  fleische  lebet  d'  mag  xü  gotte  nit  gä.  Do  spch  er.  wiU  du  mir  beweri  de  du 
tot  sist  so  tu  de  ich  tun.  gang  her  es  a/se  ich.  Si  sprach.  Ich  kam  in  fünf  vn 
uierxig  iare  nie  für  die  celle.  vil  heizest  du  mich  nu  hin  es  gan.  Er  spch.  ia. 
Du  spreche  du  w'est  dirre  weite  tot.   du  lebest  d>   weite  nooh   r»  du  weit  lein 

dir.  Bist  aber  du  tot  nah  diu'  sage  sit  den  ein  töte  nutes  heuindcf  so  ist  dir  her 
es  gan  als  da  inne  blibe  ein  vn  ein.  dar  u/>  gang  her  es.  Si  gieng  es  iu>n  der 
celle  in  ein  leilchun.  dar  gieng  er  ir  nah  vn  spch.  teilt  du  mir  teol  heieeren  de 
du  tot  siest  vn  nit  lebist  so  in  als  ich  tun  da  bt  erkenne  ich  de  du  </'  irelt  tot  bist, 
xühe  din  gewant  ab  dir  vil  lege  es  vf  diu   aohsele   vnd  gang   mir  nach  durch  die 


390  I  I'.KBT 

stat  nackent.     Si  spch.     I'u  mit   betrübe  ich  alle  die  die  -mich   also   boxlich   scheut 
(jitn   vfl  sprechet    ich  si  vnsinnig  od'   mit  (27b)  dem   t/iucl  besessen.     Do  spch   er. 
tvas  schadet  dir  was  man  uö  dir  seif  du   bis!   doch,  d'   weite  tot.    ein   töte  achtet 
nit  ob  man  sin   spottet   ald'   nit.    schelten  vn   lobS    ist    im  glich  wa  er  enphindei 
nichteznit.     Do  spch  du  mögt.     Gebute  mir  and's  swas  du  wellest,   ich  bin  noch  so 
uolkotue  nit  de  ich  so  gar  anc  schäme  si.    J>"  untinirt   er  ir  vh  spch.    Stoßest'  dar 
umbe  hüte  dich  de  du  dich  selbe  in  dmem  h'xen  niht  >v.e  hohe  achtest  od'  wegest  als 
ob  du  heilig'  sist  denne  alle  lute  vn  als  du   :<■  gründe  tot  siest.    Ich  bin  et /ras  mc 
d'  weite  tot  den  du.  ich   löge  mit  de  w'Jcen  deich  mit  dem  müde  sag.  ich  gan  vnd 
die  tute  vh  betrübent  mich  ire  wort  noch  int  tr'fc  nit  an  keinen  sache.    ich  bin  ir 
scheitern  vn  ir  lobes  anc  fr  öde  vn  ane  leid  reht  als  ein  töte,  also  bist  du  noch  nit. 
ru   mit  dise  Worten  brahte  d'  heilig  man  die   maget  ab  geistlicher  hiiffart  in  ein 
uorhte  de  si  demütig  wart  vnd  sich  selb'  erkunde  de  si  an  geistlichem  lebene  minre 
was  den  si  wände  sin.    also   ril  hatte  er  si  gebessert  vn  schied  vö  ir.     Andersua 
tet  er  bch  vil  grozer  vh  loblich'  wüneklich'  dinge  da  mitte  er  gewerlichen  zuigte  de 
er  d'  weite  tot  tvas.   von  dirre  wette  (28 a)  schied  er  in  dem  sechzigoste  iare  vn  für 
zu  vnserm  h'ren.    vö  dem  er  nu  gekrönet   ist  vn  mit  deme  er  fröde  hat  ane  ende 
(Palm  79, 15  =  §  200).   —    Eulogius  hiez  ein   büchmeister  der   liez  sin  gut  vn  sin 
eigen  uöllekliche  umb   den  ewigen  Ion.     Nu  konde  er  sich  sin'  arbeite  niht  began 
vn  hatte   bresten  an  sime   libe  da  vö  er  in  samnilge  noch   an  d'  einödi  nit  mohte 
sin.    vn  darumb    behielt  er  im  selb   etlich  teil  sines   gutes  dauö  er  sin  notdurft 
mochte  habe  in  sime  huse.     Der  uant  einen  uxsetzigcn  an  d'  straze  ligede  d*  hiez 
Elephanciosus  vn  d'  hatte  weder  nasen   noch  hende    noch  ffts.se  du  hatte  im  die 
uzsetzikeit  abgefület.    er  hatte  an  sinem  libe  nütez  getvalt  wem  d'  zunge  da  mitte 
bat  er  das  almüsen.     Disen  dürftigen  bat  Eulogius  de  er  bi  im  wölt  sin  vii  not- 
durft wÖlte  uö  im  neme.     Des  wart  d>  siech  fro.     Danne  fürte  er  in  in  sin  hus 
vn  phlag  sin  mit  spise  vn  mit  bed'n.   er  hüb  vn  leit  in  mit  flize  gedulteklich  fünf- 
zehe  iar  vn  alse  gütlich  de  er  den  siechen  nie  betrübte  noch  vö  im  nie  besweret 
tvart.     Darnach  wart  d'  siech  als  vngedultig  vn  begonde  tiö  im  wid'  strebe,    darxu 
schalt  er  in   vnd  spch.     Du  abtrünniger  du  hast    din  hus   fressen  (28 b)  vn  hast 
uerstoln  fremdes  gut  daz  mort  wiltu  mit  mir  decken.     Eulogi9  spch.     Lieb'  h're 
min  rede  also  nüt.   han  ich  dir  icht  leides  getan  de  sag  ich  besser  dir  es.    D'  siech 
sprach  zornlich.     Ich  bedarf  dins  glichsens  nit  noch  din'  gittete.   wirfe  mich  toid' 
an  die    straze.     Eulogius  sjjch.     Lieb'  uatt'  zürne  also  nit  toie  hab  ich  dich  be- 
sweret.    Do  sprach  er  gnmeklich.     Ich  mag  dines  vngetrüwen  Spottes  nit  erliden. 
din  kargü  dürrü  spise  ist  mir  nit  ein  schimph.   ich  wil  fleisches  sat  tc'dcn.     D' 
gedultig  Eulogi9  gap  im  fleisches  genüg.     Do  rufte  er  lute  vh  sprach,   du  enkanst 
mir  niem'  getün  de  ich  müg  für  gut  von  dir  geneme.   ich   mag  bi  dir  nit  blibe. 
ich  tvil  die  lüte  sehe  vn  bi  in  sin.     Eulogi9  spch.     Ich  bringe  dir  uil  brüder  her. 
Do  sprach  er.    ich  sihe  doch  dich  alleine  vngern  will  du  mir  dene  din1  glichen  mc 
bringen  ir  sint  nuivan  brot  esser.    vh  begond  sich  selb  schlahen  vh  spch.    Wirfe 
mich  vs.   ich  blibe  nit  bi  dir.   wä  d'  tüuel  hatte  in  also  uerk'et  de  er  sich  selbe 
wolt  han  erhenket  ob  er  hende  vh  füsse  hetti  gehebt.    Nu  sah  d'  gut  Eulogius  de  a" 
dürftig  nit  erwinden  trotte,   darüb  gieng   er  zu  dien  guten  einsidelen  die  nahen  bi 
(29 a)  im  sazen  vh  suchte  rat  üb'  sin  arbeit.    Die  rieten  im  de  er  den  sieche  furti 
für  den  groze  Antlioniü  vh  nach  sime  rate  dem  siechen  teti.     Do  gieng  er  wid' 
kein  vh  üb'wand  den  sieche  mit  guter  rede  de  er  g'ne  mit  im  wolt.     Eulogiv  nam 
sinen  sieche  vh  trüg  in  %  ein  schif  vh  kä  für  Anthoniü  da  sine  iügern  in  ein' 


MHD.  ÜBERSETZUNG  DES  LEBENS  DER  VÄTER  391 

cclle  warent.  vii  an  dein  and'n  tage  xe  uesper  do  kam  d'  grox  Anthonius  des  geweint 
was  uö  hüten  gemachet,  vnd  nach  siner  gewonheit  fraget  er  Machariü  ob  br/id'  dar 
werin  kome.  Der  seit  im  de  brüd'  uö  ierusalem  da  w'in  vn  Öch  uö  eggpto.  Bi 
dien  uö  ierusale  wäre  im  betütet  de  geistlich  brüder  w'in  kome.  Bi  dien  vö  Eggpto 
wäre  im  bexeichet  and'  verlaxe  vii  vngeistliche  brüd'e  die  sin'  lere  nid  wirdig  waren. 
Die  nacht  sax  Anthonv)  vn  hiex  einen  brüd'  nach  dem  and'n  für  sich  kome.  Niemä 
konde  gesage  wer  vnd'  ine  Eulogius  hiexi.  vn  Anthoni9  rufte  selb  dristunt  mit 
name  vn  spch.  Eulogi.  Doch  sweig  d'  Schulmeister  vn  gedahte  de  etwer  and'e 
Eulogius  hiexi.  Do  sprach  Anthoni9.  Ich  rufe  dir  Eulogi  uö  Alexandria. 
Eulogi9  spch.  vatt'  was  ist  din  gebot.  Anthoni9  fragte  in  warumb  er  dar  u'e 
kome.  Do  spch  er.  Swer  dir  mine  name  seit  d'  hat  dir  öch  (29 b)  min  sache  ge- 
seit.  Do  spch  Anthoni9.  Din  dig  weix  ich  wol.  sag  es  disen  brüdern.  Nach  sime 
gebotte  seit  Eidogi9  dien  brüd'n  vn  spch  also.  Ich  vant  disen  Elephanciosum  an 
dem  weg  ligende  uerworfen  ane  helfe  den  fürte  ich  hein  vn  lobte  got  vii  ime  de  ich 
sin  wollte  pflegen  vnx  an  sinen  oder  minen  tot.  de  wir  samet  dax  himelricJi  mSehtin 
erwerbe.  Nu  sien  wir  sament  gewesen  mit  friden  lieplich  funfxehe  iar.  Nach 
disen  iaren  allen  ist  er  mir  gehax  ane  schulde  vn  schiltet  mich  vn  wil  bi  mir  nit 
blibe.  vn  ist  also  sio'e  worde  de  ich  in  ivolte  wid'  vs  lege.  Heilig'  uatt'  dar  üb' 
gibe  dinen  rat.  vn  bitte  got  de  er  mir  helfe.  Do  wart  Anthoni9  xornig  vn  spch 
grzmeklich.  Eulogi  wir  fest  du  in  uö  dir  got  uerivirfet  sin  nit  d'  in  geschuf, 
wirfest  du  in  vs  er  rindet  einen  bexx'n  den  du.  got  er  wellet  im  einen  d$  den  tier- 
weiseten  cnphahet.  vö  der  h'ten  rede  erstummete  Eulogi9  vn  erschrak.  Do  kerte  sich 
Anthonius  gegen  dem.  dürftigen  vnd  spch  xornlich  Xu  im.  Elephanciose  du  bist 
uö  horwe  vn  uö  vnsuberkeite  egschlich.  du  bist  vnivirdig  himels  vn  d'  erde,  vn  uilt 
du  nüt  ertvinden  an  übcler  rede  wider  got.  iveist  du  mit  der  dir  (30a)  dienet  de  ist 
xpc.  wie  getarst  du  wid'  xpm  also  gereden.  Dirre  hat  sich  i  dinen  dienest  ergebe 
dur  xpm.  Der  siech  erschrak  och  vö  sine  worte  vn  siveig.  Anihom9  kerte  sich  \u 
dien  brüd'n  vn  antwurte  ieklichem  sin'  frage  als  sü  dar  kome  wäre.  Dar  nah 
kerte  er  wid'  an  Eulogiü  vn  an  den  vxsetxige  vn  spch  milteklich  xü  inen  beulen. 
Lieben  kint  kerent  von  einand'  nit.  gan  mit  friden  in  üw'  celle  da  ir  gote  langt 
gedienet  hant.  Legent  uö  ich  alle  trurikeit.  got  sendet  schier  nah  ich.  Disü  be- 
korunge  ist  ich  beschehe  wan  ir  sint  beide  kome  xu  dcui  ende  üwers  lebens.  ir 
w'dent  gekrönet  tünt  nit  and's  de  üch  d'  cngcl  nit  rinde  an  d'  stat  da  ir  w'dent 
beröbet  üw'  krönen.  Also  füre  sü  beide  mit  ganxer  liehi  und'  in  ir  cclle.  tm  inrent 
uierxehen  tage  na/m  ins1  hsre  Eulogiü  uö  dien  arbeiten  dirre  weite,  vnd  nach  drin 
tage  starb  bch  Elcphanciosus.  Eronius  sah  vn  horte  dis  vn  schreib  es  (Palm  21,3 
=  §  68).  —  Serapion  der  abt  seit  uö  im  selbe  de  er  a%  mit  sime  abte  in  sin'  iugeni 
vn  uon  des  tieuels  rate  nam  er  d'  spise  ein  teil  in  sinen  büsen  de  es  sin  abt  nit 
sah.  Dax  brahte  er  in  ein  geironheit  de  er  sin  darnach  nit  moht  erb'n.  Nu  strafte 
in  sin  h'xe  (30b)  .Je-  xit  vmb  die  sünde.  doch  ..hamete3  er  sich  ir  uls<>  ser...  ,c*  er 
si  dem  abte  nie  getorste  gebihten.  Nu  fügte  dK  erbarmh'xig  gut  de  and*  brud'  katnd 
für  Theonä  sinen  abt  dur  ir  sei  heil  vn  fragten  in  rates  rmb  ir  gedenke.  Po  spch 
er.     Enkciu  ding    ist  einem  münehc   als  gar  schade  so   da\    er   sins   h'zen   gedenke 

1)  Raud  auf  30a  beschnitten. 

2)  "Wügeu  des  abgeschnittenen  raudes  nur  so  viel   EU  lesen,  es  muflS  natürlich 
alle  stehen. 

3)  "Wol  schamete  zu  losen. 

4)  Zu  lesen  de. 


392  NKBERT 

uerswiget  uor  ainem  bicht'e.  wü  des  fröwet  sich  d*  tüuel  so  sere.  vn  bred/igte  inen  uö 
küsckikeit.  Do  geddht  Serapion  de  in  die  lere  cmhorti  vn  warf  vs  sinem  büsen  de 
er  halle  uerstoln  vn  viel  nid*  für  Theonä  sinen  abt  vn  bat  in  gnaden  vmb  die  swnde 
die  er  hate  getan  vn  gebettes  üb'  die  kunftig't  swnde.  Do  spch  d'  alte.  Sun  din 
bihte  hal  iliih  erlöset  vö  dirre  geuanknüst.  Du  hast  mit  dirre  bihte  den  tüuel 
erschlagen  ds  din  gewaltig  uns  die  wile  du  die  swnde  v'swige.  er  kwnt  x/&  dir  niem' 
me  wü  er  ist  offelich  vs  dinem  h'xe  ueriagt.  vn  nah  disen  Worten  für  d'  tüuel  us 
Serapions  busem  als  ein  fwrin  flamme  vn  erfülle  da%  hus  mit  groxem  smacke  als 
ob  vil  swcbels  da  brunne.  Du  spch  d'  abt.  <s'///  lieh'  swn  vnser  h're  seit  dir  mit 
disem  ■.eichet/  dm  du  nach  minen  icorte  bist  erlöset  (Palm  43, 16  =  §  128).  —  W/n 
bräd'  hatte  ha%  tu  einem  and'n.  dax  vernam  (31*)  er  vn  Hex  in  nit  in  sin'  celle. 
Nu  seit  d1  brüder  einem  alte  ir  sacke.  ds  spch.  Du  solt  di/nen  bräd'  nit  schuldig 
gebe  vn  dich  rehtnerlig  machen  in  dime  h'xen.  wü  dar  umb  Hex  er  dich  nit  in  d' 
celle.  ergibc  dich  ime1  schuldig  rn  gib  in  für  rtlschuldig  so  git  im  got  gnade  de 
er  dir  rf  Int  rn  din  frnnl  irirt".  (lot  /eil  de  d*  mensche  sich  selbe  schuldig  geh 
rn  nüt  and'  lütc.  vö  disen  wortc  erkunde  sich  d'  brüd'  vn  sachte  gnade  an  sinen 
bräd'  dem  er  hax  trüg  vn  wart  uö  im  liejtlich  epliugen  rii  blibe  %  gäzem  fridc 
(Palm  45,  3  =  §  135).  —  Sincletica  du  selige  iungfrbwe  spch.  Eiter  giftig  wurme 
werdent  vHribe  uö  dem  mesche  m . . s  scharph'  arxenie.  Also  mi .  .  .4  d'  mesch  sine 
vnreinen  gedenke  uö  im  v'triben  mit  uastenne  vn  mit  gebette  (Palm  46,  7  =  §  136).  — 
Ein  alt'  ivas  gar  siech  dem  dienten  brüd'e  gar  flixeklich.  vn  do  d'  alte  sah  ds 
bräd'  arbeit  do  sprach  er.  Ich  ivil  uarn  in  egyptü  de  ich  dise  brml'e  nit  beswere. 
Do  spch  Moyses  d'  abt.  var  da  hin  nit  ald'  du  tcallest  1  vnküschikeit.  Des  wart 
er  trurig  vn  spch.  Min  lip  ist  tot  vn  redest  du  also  mit  mir.  Also  gieng  er  in 
egyptum.  Dax  v'name  die  lüte  vn  brahte  im  swes  er  bedorfte.  Dar  kam  öch  ein 
magt  vn  diente  im  dar  got.  Nu  begonde  er  genesen  sines  siechtagen  vn  gelag  b% 
d1  (31b)  . .  ngfröwe6  du  wart  bi . .  .  i5  swanger  eins  kindes  vn  seit  es  allen  ir  nach- 
geburen.  die  glöbten  ir  nüt.  vn  fragten  den  alten  der  veriah.  vn  bat  sii  edle  dax 
leint  behüten  so  es  geborn  wurde.  Du  frötv  gebar,  rn  do  dax  kint  entwenet  wart 
do  trag  es  d'  ds  alte  vf  im  xe  ein1  hochgexit  für  alle  sine  brüd%e  in  Scythi  vn  spch. 
Sehent  dis  kint  de  ist  miner  vngehorsami  kint.  Dis  weinden  die  brüd'  alle  sament. 
Do  spch  d'  alte.  Lieben  brüd'  hütent  ich.  dis  hob  ich  an  minem  alter  getan. 
darümb  bittent  üb'  mich.  Also  gieng  er  in  sin  celle  (Palm  48,  25  =  §  143).  —  Ein 
manch  was  in  d'  wüsti  lange,  xü  de  kam  ein  magt  vn  seit  im  de  er  ir  mag  w'e 
vö  gebürle  vfi  bleib  bi  ime.  Darnah  wart  er  ir  so  heimlich  de  er  bi  ir  gelag.  Nu 
was  %  dem  selbe  walde  ein  ander  einsidel  d'  wolt  eins  tages  essen  do  viel  im  sin 
koph  mit  wasser  umbe.  er  hüb  in  vf  do  viel  er  ab'  vmbe.  swie  dik  er  in  vf  häb 
so  uiel  er  als  dike  ivid'  nider.  Des  erschrak  d'  brüd'  vnd  gieng  vs  de  er  es  dem 
alte  wolte  sage.  Des  nachtes  kam  er  vf  d'  straxe  in  ein  wüstes  tepel  *  ein  bethus 
vfi  wolte  schlafen.  Do  kamen  vil  tieuele  da  xesäme  die  horte  er  sprechen  wie  sü 
d' selbe  naht  den  alten  in  vnküschkeit  kettin  ge  (32 a)  worfen.  Do  er  dis  erhörte  des 
wund'ote  in.  Do  aber  d'  tag  vf  gieng  do  gieng  er  hin  xü  dem  alten  den  vant  er  in 
grox'  trurkeit.    Do  spch  d'  frömde  brüd'.    was  sol  ich  tun.    nn  koph  uallct  mir  alle 

1)  Rot  durchgestrichen. 

2)  Am  rand  steht  eim'e. 

3)  Wegen  abgeschnittenen  randes,  wol  mit  zu  lesen. 

4)  Wegen  abgeschnittenen  randes,  wol  müx. 

5)  Rand  verschnitten. 


MHD.   ÜBERSETZUNG    DES    LEBENS    DER    VÄTER  393 

•.  U  mibe.  Do  spch  d'  alte,  was  sol  ich  tfin.  ich  lag  in  dirre  naht  bi  einem  wibe. 
Do  seite  im  di  brüd'  wie  ime  dar  die  tienel  hettin  geseit  vf  dem  wege.  Datum 
erschrak  d'  alt  vn  spch.  Ich  wil  tvid'  vs  uam  in  die  weit.  Do  spch  d1  gast.  Brü- 
der bis  gedultig  rn  blibe  an  dirre  stat  vn  vHribe  das  wip  wid'  kein.  di  tiencl  ge- 
sehiif  die  stünde.  Nu  kestige  din  h'xe  vil  dinen  lip.  rn  such  gotes  erb'mde  unx  an 
dinen  tbt  so  erbarmet  sich  got  iibs  dich  (Palm  49, 10  =  §  144).  —  Ein  altuaW  seit 
alsus.  Es  was  eins  males  eins  heidenschen  priest's  sitn.  des  uaW  gieng  dicke  % 
ein  bethus  oph'en  sinen  abgötten.  Nu  schleich  im  einer  xit  das  kint  nach  gar  hein- 
lich durch  sine  kintheit.  Do  sah  es  einen  alten  tüuel  sitxen  in  dem  bethitse  mit 
einer  groxen  schare  sin'  genoxen.  Nie  kam  sin1  timel  ein'  vn  st/int  für  in.  %ü 
dem  sprach  er.  wannan  kumest  du.  Er  spch.  Ich  kum  uo  dem  lade  da  //an  ich 
geschaffet  vrlüge  vn  manschiaht  gar  vil.  vn  kum  de  ich  dir  es  sage.  Do  fragte  in 
ds  tüuel  vn  spch.  In  wie  langer  xit  (32 b)  ist  dis  geschehen.  Do  spch  er.  in  drixig 
tage.  Den  hiex  d'  tüuel  sehiahen  dax  er  in  so  teil  tage  mit  nie  hatte  gesehaffet. 
Do  kam  aber  ein  and'  tüuel  vn  spch  er  hetti  in  xwanxig  tage  vf  dem  mer  eil 
schiffen  mit  lüte  ertrenket.  den  hiex  ds  alte  tieuel  och  schlahen  de  er  in  so  mengem 
tage  nüt  nie  hatte  geschaffet.  Do  kam  der  dritte  tüuel.  vn  seite  de  er  T,  xelie  tage 
in  einer  stat  bi  eime  brutlbfe  manschiaht  hetti  geschaffet  de  da  d'  brütgome  vn  du 
brut  vn  vil  and'r  lüte  w'e  erschlage,  des  duckte  ab'  den  alten  tüuel  xe  lutxel.  vö 
so  lag'  xit  vn  hiex  in  öch  schlahe.  Der  ttierde  kam.  für  in  rn  spch.  Ich  hau  in  d' 
wüsti  einen  münch  angeuochten  uierxig  iar  der  lag  hinacht  bi  einem  icibe.  Do 
staut  d'  alte  tüuel  gegen  im  vf  vn  saxte  ime  sin  kröne  vf  sin  hbpt  vn  spch.  Du 
hast  ein  grox  ding  in  hurxen  xiten  geschaffet.  Dis  rede  horte  das  kint.  rn  gedahle 
de  niemä  achtber  ist  in  himel  noch  in  helle  noch  vf  d'  erde  wart  der  d'  gotte  lebt 
m  d'  weit  nüt.  vnd  dauö  für  er  vö  sinem  vat'  in  die  kristenheit  vnd  wart  ein 
münch  (Palm  49,  30  =  §  145).  —  Pafnucius  der  abt  trank  selten  win.  Der  kam  eins 
lages  in  d'  wüsti  in  ein  geselleschaft  od'  samnüge  da,  waren  (33a)  mord'e  die  trun- 
ken win.  Nu  erkunde  ir  hbptman  Pafnuciü  rn  /eiste  de  er  selten  win  trank.  D' 
fulte  im  einen  hoph  mit  /eine  den  bot  er  im  mit,  d1  eine  hand  ica  er  sali  das  er 
müde  was  vn  hüb  in  d%  andren  hand  ein  bloxes  swert  vn  spch.  Trinkest  da  nit 
ich  schlahe  dich.  D'  alte  trank,  tvä  er  sah  de  d'  mor/t'  gottes  gebot  hatte  erfüllet 
mit  sinem  wine  vn  wolt  in  gotte  tvid'  gewinnen  mit  dem  tränke.  Do  spch  </' 
mord'.  vatt'  uergibe  mir  dax  ich  dich  hab  trarig  gemachet.  D'  alte  sprach.  Ich 
globe  de  got  vmb  dise  win  sich  erbarme  ii/>"  die//  in  dirre  /reite  vnd  in  </'  künftige 
weit.  Do  spch  d'  diebe  meist'.  Ich,  glühe  de  mem'  menschen  leid  uö  mir  nie  be- 
schulet. An  d'stat  bekerte  in  der  alte  rn,  sine  geselle  \ii  ünserm  h're.  Dation  sol 
man  etwene  übele  lüte  irs  wille  tiolge  dur  got  ob  es  xe  gut  komi  mag  (Palm  76.  S 
=  §196).  —  Pymenius  d'  abt  spch.  wasser  ist  im  natur  weich  m  steine  si/ni  herte. 
Vit  ab'  ein  stein  da  wasser  allüxit  vf  in  flüxet  ml'  trophet  er  machet  in  //"/■  Also 
ist  gottes  wort  weich  vil  unser  h'xe  ist  herte  rn  doch  s/eer  gerne  höret  da:  wort 
gottes  vn  dicke  dar  au  gedenket  d'  machet  gottes  worte  /  sinem  h'%B  ein  stat  (Palm 
28,  6  —  §  87).  —  Ein  all'  spch.  Seit  dir  U  ttian  aaii  </'  geselirift  od'  ao  andren 
sache  so  krieg  mit  im  nit.  spricliet  er  ii-arlieit  so  gehille  ime.  seit  er  vnreht  so 
sprich,  du  solt  /risse  wie  da  redest  (Palm  28, 21  §90).  —  Sanetum  Antluaiia 
fraget  ein  büchmeister  rn  spch  wie  er  aue  buche  trost  mähte  sin.  Po  sprach  Au- 
thoni9.  Die  wisheit  miner  buche  ist  du  nature  d'  dinge  du  got  geschaffen  hat  du 
ist  bi  mir  so  ich  gottes  wort  lese  wil  (fehlt  Ihm  Palm,  Ro88weyde  VI  i.  16      659b).  — 

J'.in   brüd'   kam   eins   males    \a  Saucto  Machario   rn   si/cl/tc  teasser  \e  trinkt  ne.     lean 


394  NEBKKT 

er  von  hitxe  turstiy  was.     Do   spch  d'  abt.     Laxe  dich  begnügen  mit  dem  schatte 

des  bedürfte  mattig'  /ml  rf  dem  nasser  rn  hat  sin  nit  (fehlt  bei  Palm,  Rossweyde 
VI  4,  17  =  659 b).  —  Ein  riht'e  vieg  eins  tnales  einen  diep  vor  dem,  lache  du  Pastor 
d'  abt  inne  gesessen  /ras.  durumb  bäte  die  litte  den  abt  de  er  in  wöltc  vö  dem  riht' 
iji  ii  innen.  Do  spch  d'  alte.  Gebent  mir  drie  tag  frist  so  kum  ich  de~ne.  Die  drie 
tage  bat  d'  abt  v'ns'n  h're  de  er  im  die  gnade  niht  liexi  geschehen,  wan  er  norhte 
de  in  die  Inte  an  d'  stat  niem'  me  Hessin  gernnen.  Darnah  kam  er  vn  bat  er  den 
rililer.  vn  d'  riht'  spch.  vatter  bittest  du  vmb  einen  diep.  Do  fröwte  sich  der  abt 
de  in  d>  riht'  nit  wolt  geiv'en  vn  gie  tvid'  %  sine  celle  (fehlt  bei  Palm,  Rossweyde 
VI  4,  32  =  661a).  —  (34a)  Man  uindet  in  dem  buche  geschribc  uö  eime  abte  d'  hiex 
Paulus  vn  was  in  Egypten  bi  einer  stat  da  hiex  Thebe  de  er  eit'giftig  schlangen 
vn  aller  schlaht  übel'  wurme  die  in  dem  selbe  lande  wäre  mit  sinen  handen  angreif  in 
su  xerxarte  de  im  niht  geschah,  vnd  d'  wart  gefraget  uö  sine  brüd'n  wa  mit  er 
die  genade  uö1  got  lietti  v' dienet.  Do  spch  er.  Liebe  brüder.  sirer  luter  ist  deme 
müssen  allü  ding  vndertenig  sin  als  adarne  in  dem  paradys  e  das  er  gottes  gebot 
üb'gienge  (Palm  7, 16  =  §25).  —  Ein  keiser  uö  Rome  hiex  Julianus  der  teas  ab- 
trünnig toorden  uö  d'  krislenheit  wider  in  die  heidenschaft.  Nu  hate  er  einen 
xöb'er  vnder  im  d>  sante  einen  tüuel  in  das  land  da  du  sunne  vnd'  gat  de  er  im 
mere  dannen  brechte.  vfi  d'  bleip  xehen  tage  vn  naht  an  ein1  stat  da  was  ein  ein- 
sidel  uor  dex  gebette  moht  er  nie  furo  kome.  vn  er  für  und'  für  den  keiser  vfi 
klagte  im  de  in  d>  münch  hetti  geirret  mit  sinem  gebette  xehe  tag  vn  naht  ane  vndi 
lax  de  er  nie  stunde  mohte  für  in  komen.  vn  dis  was  deme  keiser  xorn.  vfi  er 
swür  des  so  er  wid'  he  in  kernt  de  er  in  wölti  mart'en.  do  wart  er  an  d' selben 
(34 b)  uerte  uö  eime  heide  erslagen  (Palm  7,  24  =  §  26).  —  Ein  brüder  was  ein  ein- 
sidel  bi  dem  Jordan.  d>  gieng  dur  schatten  ab  ds  hitxe  in  ein  hol.  da  uand  er 
inne  einen  loiven  d1  begonde  grisgrämen  vfi  vngeberdig  sin.  Dax  sah  d'  alte  vnd  spch. 
ivie  ist  dir  so  angst,  wir  sien  wol  beide  hie  Ine.  od'  gang  du  hin  vs.  Do  mohte 
in  d1  lowe  nit  erliden  vfi  gieg  uö  im  vs  (Palm  8,3  =  §  27).  —  Ein  weltlicher  man 
was  beheft  vnd  kam  in  ein  Most',  vn  die  brüd'  täte  alle  ir  gebet  üb'  in  vfi  mohten 
den  bösen  geist  uö  im  nit  v'triben.  Nu  spräche  sü  xü  ein  and'.  Niemä  mag  in 
vertribe  ivä  d'  abt  Besarion.  seit  man  im  ab'  de  er  hie  ist  so  kumet  er  nit  in  dax 
münst'.  darumb  heissen  ivir  den  tüuelsüchtige  sitxen  od'ligc  in  die  kilchen  so  dene 
d>  abt  kumet  so  bitte  wir  in  de  er  in  heisse  vf  stan.  Dis  geschah,  vnd  do  in  d> 
abt  in  d'  kilchen  uant  do  spche  die  brüd'e  xü  im.  vatt'  teecke  den  vf  er  schlafet. 
Do  spch  d'  alte.  Stand  vf  vn  gang  vs.  vö  dem  gebotte  für  d'  tieuel  vs  dem  men- 
schen vfi  Hex  in  gesunt  (fehlt  bei  Palm,  Rossweyde  VI,  2,  4  =  649 b;  VII 14,  2  = 
671a;  III121  =  518a).  —  Moysen  den  abt  fragte  ein  brüd'  vfi  spch.  Ein  man 
schieltet  sinen  kneht  vmb  sin  missetat.  was  sol  d'  kneht  sprechen.  D'  alte  spch. 
Ist  er  ein  gut'  kneht  so  sprichx  er  Ich  hob  (35a)  gesundet  erbarme  dich  üb'  mich. 
D'  brüd'  fragete  ab'  vfi  spch.  Sol  er  vt  me  spreche.  Do  spch  d'  alt.  Nein.  So 
er  sich  schuldig  git  de  er  gesundet  hob  xehant  so  erbarmet  sich  sin  h're  üb'in. 
Darnach  gat  dax  niemä  sins  ebeinensche  getat  berihten  sol.  Do  vnsers  h'ren  hand 
alle  die  ersten  geburt  schlug  t  dem  lande  Egypto  do  was  enkein  hux  da  mit  töten 
inne  iv'e.  Do  spch  d'  brüder.  was  betütet  das  ivort.^D'  alt  spch.  Sehe  wir  an 
lins'  silnde  so  achtetin  wir  vf  ünsers  ebemensche  sünde  nit.  Es  ist  nit  ein  witxe 
ob   iemä  sinen    töten  in  sinem  huse    lat  lige  vn  us  uö  im  gat  de  er  helfe   klage 

1)  Am  Rand  steht  vmb. 


MHD.  ÜBERSETZUNG  DES  LEBENS  DER  VÄTER  395 

andren  lüten  ir  töten.  Stirb  allen  Inte,  de  ist  als  teil  gesprochen.  Trag  allein  dine 
sünde.  gedenk  vf  niemä  ivie  übel  er  si.  oder  wie  gut  dirre  si.  Tu  wiemü/n  übel, 
v'smahe  niemäne  umb  de  er  übel  tut.  Gelimphe  niemä  ds  übel  tut.  Hind'red  nie- 
män.  sprich,  got  erkenet  ieklichen  wol.  hilf  ds  hind'red  nit  tun  vn  höre  es  nit 
gerne,  wä  got  sprichet.  Bihtent  nit  so  w'dent  ir  nit  gerihtet.  hab  tcid>  niemän 
uientschaft  in  dime  h'zen.  v'smahe  niemän  ob  er  vientschaft  hat  so  geunnest  du 
friden.  Tröste  dich  selben  also  de  du  gedenkest  de  (35b)  du  liplich  od'  zitlich  ar- 
beit vnlang  teert  vn  darnah  gat  eivikliche  rtnve  vn  fröde  (fehlt  bei  Palm.  Rossweyde 
VI,  4,  7  —  658a).  —  Der  abt  Agathon  spch.  Bist  du  bi  dine  brüd'n  so  bis  als  ein 
steint  sul.  du  zürnet  nit  ob  mä  si  schehet.  vn  d1  si  er  et  des  üb'hebt  si  sich  nit 
(fehlt  bei  Palm,  Rossweyde  VII 42,  2  =  683a).  —  Pastor  d1  abt  sprach.  Swer  zwen 
rocke  habe  d'  v'köffe  einen  vnd  köffe  ein  sicert.  Bi  dien  rocken  ist  bezeichet,  der 
rüw  hat  d'  sol  si  geben  vmb  arbeit,  da  mitte  ist  bezeichent  duz  sivert  da  mit  man 
müz  dem  tüuel  angesigen  (fehlt  bei  Palm,  Rossweyde  VI,  4,  14  =  659b).  —  Johan- 
nern den  abt  fragte  ein  brüd'  also.  Warumbe  schämet  sich  du  sei  mit  de  si  uö  ir 
ebenmensche  übel  redet  vn  si  selb  wund  ist.  Do  spch  ds  alte.  Ein  armer  man 
hatte  ein  wip  zu  ds  nam  er  ein  and1  dur  ir  schönt'.  Nu  waren  sü  beide  nackent 
uö  ir  armüt.  vn  eins  rnales  wart  ein  groz  markt  in  dem  lande,  vnd  du  wib  baten 
den  armen  man  de  er  sü  dar  färti.  Do  nam  er  einen  zub'  vnd  sazte  Sit  beide  dar 
in  vn  fürte  sü  vf  den  markt,  vnd  umb  den  mitte  tag  begonden  die  lüte  rfuvc  von 
d'  hitze.  Do  gieng  d'  frötven  einte  vs  dem  zub'  du  vant  nahe  bi  ir  ein  alt  ver- 
worfen tüch  da  mit  bedakte  si  ir  schäme  vn  gieng  do  frölich'  den  uor.  Dar  \" 
spch  du  in  dem  zuber.  Nu  sehent  du  schände  ist  nackent  (3Ga)  vn  schämet  sich 
nit.  Dauö  erschrak  d'  man  vn  spch  mit  sere.  0  wunder,  du  hat  ir  schaute  ct/vc 
uü  bedecket  so  bist  du  zemale  gar  bloz.  vn  schämest  dich  nit  de  du  si  beschiltcst 
du  etwas  an  ir  hat.  Also  ist  ein  ieklich'  Kinder  reder  d'  sihet  an  sin  sünde  nit 
vn  berihtet  frömde  sünde  (fehlt  bei  Palm,  Rossweyde  VI,  4,  10  =  65Sb).  — 
Dric  brud'  gienge  sament  vn  dingeten  eins  riehen  mänes  kom  vf  sime  ack' 
ab  ze  snidene  vmb  Ion.  d'o  wart  ein'  siech  vn  gieng  und*  kein  in  sin  celle. 
Do  spräche  die  zwene.  wir  süle  dis  w'k  uolbrtge  rnsers  brüd's  gebet  hilfet  vns 
an  sin'  stat.  vh  griffen  die  arbeit  an.  vn  vns'  h're  sah  an  ir  andaht  vn  half 
ine  de  sü  daz  kom  hatten  ab  gesnitten  uor  <le>n  tage  als  sü  es  hatten  'Irin  bru- 
dern  vf  geleit.  vn  do  sü  de  Ion  enphiengen  do  santen  sti  nach  dem  dritten 
bruil'  vn  butte  im  sinen  teil,  dez  enwolte  er  nit.  vn  sprach  er  lictti  sin  nit 
v'dienet.  vn  wurde  darumb  kriegede.  vn  nach  lang'  rede  kamen  s/t  für  einen 
heilige  abt  vn  leite  ime  ire  krieg  für.  I><>  gebot  d'  abt  dem  siechen  brüd'  d,  er 
sinen  teil  des  lones  müste  neme  (Palm  12,  26  =  §  42).  —  Ein  brüd'  sas  in  der 
wüsti  mit  dem  waren  tüuel  stetekliche  vn  er  wände  vn  gedachte  de  sii  enget  iv'in. 
zu  deme  gieng  sin  uatter  de  er  in  gesehi  vti  trüg  ein  biet  (36b)  de  er  hol\  mit  int 
wid'  kein  wolle  bringe.  Do  li'tf  ein  tüuel  KU  im  vH  spch.  Sihc  d'  tüuel  humt  in 
dins  uat'  glichnüst  vn  treit  ein  biet  t/u  mit  er  dich  mordi  teil,  t/u  sott  in  c  nid' 
schlahen.  D'  brttd'  glöbte  das  vnd  schlug  sinen  uatter  mit  sinrm  l>icl  \>  töde.  Do 
gieg  d'  tüuel  dur  nt  erwürgte  och  den  brutto-  (Palm  12,  IS  =  §41).  —  Ein  altttatt' 
sprach  VU  einem  und'n  also.  Ich  bin  tbd  t/irre  weite.  Do  spch  d'  a/tc.  (letriite 
tlir  selber  nit  die  teile  du  lebest.  Du  teiltest  tot  sin  so  lcl>et  ab'  </'  ttiuel  noch  </' 
hat  list  ane  zal  (Palm  (i,  17  =§22).  —  Ein  alt'  sprach.  Als  vnmuglich  das  ist  de 
leiiiu  sin  antlt'tt  in  trübem  ivasscr  mtttj  gesehen,  also  mag  du  sele  nit  undcclitklich 
bette  e  de  si  sich  reiniget  im  gedenken  (fehlt  bei  Palm,  Rossweyde  V.  L2,  13    -  Ü14').  — 


396  ma<  hi  i.i 

Hin  alt'  spi-ii.  v'smaht  iiimii  brud'  ii iL  du  iuris/  ob  d'  heilig  geist  hi  dir  ist  oder 
Li  iuir  (fehlt  bei  Palm,  Roa  weyde,  Sententiae83  I005b). —  Ein  brüd1  fragte  den 
ulit  Pymenionem   im  spch.   was  sol  ich  lim.  ich  habe  wnuehtüge  vö  vnküschikeit  >u 

irin/  och  dik  zornig.     Do  spch  'h  alt.     Dauid  d'  toissag  seit  de  er  (iui  ii   hure  er- 

srh/iu/e  ru  riii,  hcru  erirunjlr.  l)nx  ist  also  %,e  v'stenne.  Er  sneit  den  xorn  uQ 
siiiriu    hrr:c.    ru    r'druk/r   die    rukusrliheil    mit   a  rhcite>tue   (Palm  51,24  =  §  14K),    — 

Sysoi9  spch.  Ein  mesch  küt  suis  müdes  vn  mache  sin  sei  lebende  (Palm  42,10 
=  §  120). 

NAUMBURG  (SAALE).  KKI'.Hoi.d    NEBEBT. 


MISCELLE. 

Hartmanns  kreuzlieder  und  MF  206,10  —  19. 

Der  tod  seines  herrn  hat  Hartmann  bis  auf  den  grund  der  seele  erschüttert. 
Der  beste  teil  seiner  lebensfreude  war  mit  ihm  verknüpft  und  ist  mit  ihm  zu  grabe 
getragen.  Der  gedanke  an  den  eigenen  tod  hat  sich  seiner  bemächtigt  und  drängt  ihn, 
für  sein  Seelenheil  zu  sorgen.  Hartmann  hat  erkannt,  dass  die  freuden  der  weit 
trügerisch  sind;  er  betrachtet  es  als  die  torheit  seines  lebens,  dass  er  ihnen  nach- 
gegangen ist.  Wie  freundlich  ihn  aber  auch  die  weit  locken  mag,  er  trägt  nach  ihr 
kein  verlangen  mehr.  Nach  dem  tode  seines  herrn  lässt  sie  ihn  kalt.  Gott  möge 
ihm  bei  dieser  abkehr  von  der  weit  helfen,  dass  er  nicht  wider  in  die  gewalt  des 
teufeis  gerate. 

Eine  zweite  gedankenreihe,  die  mit  der  ersten  verschlungen  ist,  schliesst  sich 
an  die  kreuznahme  des  dichters:  das  kreuzeszeichen  ist  ihm  ein  Schutzmittel  gegen 
die  immer  widerkehrenden  lockungen  der  weit.  Es  soll  ihm  helfen,  das  ewige  leben 
zu  erwerben,  das  ziel  zu  erreichen,  das  er  sien  nach  dem  tode  des  herrn  gesetzt 
hat.  Aber  auch  seinem  geliebten  herrn  soll  die  kreuzfahrt  zugute  kommen.  Damit 
er  mit  ihm  im  himmel  wider  vereint  werde,  widmet  er  ihm  die  hälfte  von  ihr.  Schon 
sieht  er  voll  entzücken  das  ziel  vor  sich.     Die  kreuzeszeichen 

kündent  eine  sntnerzit 
diu  also  gar  in  süexer  ougenweide  IM. 
Alle  irdische  sorge  ist  aus  seinem  herzen  verscheucht,   ein  neues  leben  voll  inneren 
glucks  hat  für  ihn  begonnen.    Sein  herz  ist  daher  von  dankbarkeit  gegen  gott  erfüllt, 
der  ihn  in  den  stand  versetzt  hat,  an  dieser  seligmachenden  fahrt  teilzunehmen. 

Diese  gedanken  betreffen  Hartmann  persönlich.  Von  ihnen  erfüllt,  fordert  er 
die  deutsche  ritterschaft  auf,  das  kreuz  zu  nehmen.  An  die  hochgesinnten  wendet 
er  sich  besonders.  Das,  worauf  sie  ihren  sinn  gerichtet  haben,  den  rühm  der  weit, 
können  sie  auch  auf  der  kreuzfahrt  erwerben,  dazu  aber  noch  ein  weit  herrlicheres 
gut,  die  ewige  Seligkeit.  "Wem  aber  dies  zu  teil  werden  soll,  der  muss  ein  keusches 
herz  und  einen  reinen  sinn  zur  fahrt  mitbringen.  Für  den  zügellosen,  der  sich  nicht 
beherrschen  und  von  sünde  frei  halten  kann,  ist  das  kreuz  nur  eine  fessel  und  bringt 
ihm  keinen  gewinn.  Aber  nicht  allein  den  männern,  die  in  den  heiligen  kämpf  ziehen, 
bringt  die  kreuzfahrt  gewinn,  sondern  ihr  segen  wird  auch  der  frau  zu  teil,  welche 
ihren  mann  im  rechten  geiste  auf  die  fahrt  sendet.  Auch  sie  muss,  wie  der  mann, 
herz  und  sinn  rein  halten.  Sie  bete  für  sich  und  ihren  gatten.  So  frommt  die  kreuz- 
fahrt des  mannes  auch  ihr. 


HABTMANNS   KREUZLIEDER  397 

Acht  von  den  neun  kreuzliedern  Hartmanns  sind  es.  welche  wir  im  vor- 
stehenden analysiert  haben.  Sie  umfassen  nur  79  verse,  aber  welcher  reichtum  von 
gedanken  ist  in  ihnen  enthalten!  Sie  strömen  aus  der  tiefe  eines  leiderfüllten  herzens, 
das  mit  den  freuden  der  weit  gebrochen,  aber  gerade  dadurch  in  sich  ruhe  gefunden 
hat.  Sie  steigen  auf  zu  dem  höchsten  und  reinsten  ideal  eines  kreuzritters ,  der  der 
sache  gottes  mit  leier  und  Schwert  dient.  Nicht  in  vollen  Strophen  tönt  sein  lied;  es 
bewegt  sich  in  den  knappsten  Worten  und  formen,  alles  lyrische  bei  werk  verschmähend, 
nur  den  kern  bietend.1  Aus  dem  engen  rahmen  aber  tritt  uns  eine  scharf  ausgeprägte, 
fest  in  sich  geschlossene  persönlichkeit  entgegen,  die  nur  ein  erhabenes  ziel  vor  äugen 
hat  und  diesem  mit  aller  inbrunst  zustrebt.  Bei  ihr  wollen  sich  nicht  herze  und  llp 
scheiden,  wie  bei  Friedrich  von  Husen  (MF  47,9);  in  ihr  toben  auch  nicht  die  ge- 
danken, dass  sie  wider  an  die  alten  mcere  und  wider  fröide  pflegen  wollen,  wie  in 
Keinmar  (MF  181,13  —  32). 

Dasselbe  bild  bietet  uns  nun  das  neunte  lied:  Ich  rar  mit  iuwern  kulden, 
Herren  unde  mage,  trotzdem  es  auf  einen  ganz  andern  ton  gestimmt  ist.  Dort  mahnt 
der  dichter  mit  Worten,  die  gerade  durch  ihre  ruhe  wirken,  zur  kreuzfahl t;  hier 
schlägt  er  in  leidenschaftlichem  feuer  dem  falschen  ideal  seiner  zeit  mit  der  faust  ins 
gesiebt.  Er,  der  doch  selbst  dereinst  die  süssigkeit  des  liebeswahns  besungen  hatte 
(MF  208,  20fgg.),  ruft  nun  den  minnesängern  zu: 

Ir  minnesinger1  iu  niuox  ofte  »lisselingen: 

dax  iu  den  scltaden  tuet,  dax  ist  der  wdn 
und 

ir  ringent  umbe  liep  dax  iuwer  niht  enwil. 

Der  höhn  dieser  verse  wird  nicht  durch  das  bedauern   gemildert,   iu   das   der  dichter 
sein  lied  ausklingen  lässt: 

wan  müget  ir  armen  minnen  solhe  minne  als  ich'' 
Und   doch  ist  es  nicht  zelotischer  hass,   der  ihm   diese   worte   eingibt;   sie   sind  ein 
werberuf  an  die  minnesänger,   seiner  heiligen  sache  beizutreten,  wie  er  oben  um  die 
ritter  und  frauen  geworben  hat: 

doch  scehe  ich  gerne  dax  si  ir  eteslichen  beete, 
dax  er  ir  diente  als  ich  ir  dienen  sol. 

"Wir  sehen:  diese  neun  gedichte  stehen  im  engsten  seelischen  und  geistigen 
zusammenhange.  Einer  Stimmung,  einem  geiste  entsprungen,  bilden  sie  ein  ganzes. 
In  inhalt  und  form  gleich  hochstehend,  sind  sie  das  beste  und  eigenartigste,  was 
Hartmann  geschaffen  hat,  und  sie  sollten  nicht  hinter  seine  weltliche  dichtung  gestellt 
werden.  Eines  von  ihnen  unecht  erklären'-  heisst  einen  edelstem  aus  Hartmanns 
ehrenkranz  brechen. 

Dieser  selbe  mann  soll  nun  zur  selben  zeit  das  gedieht  M  F  20(3,  10 — 19 :1  ver- 
fasst  haben: 

1)  Schreyer,  Untersuchungen  über  das  leben  und  die  dichtungen  Bartmanns 
von  Aue.  Progr.  Fforta  1874,  s.  18:  „Wir  finden  grossen  reichtum,  dabei  Bchnellen 
fortschritt  der  gedanken,  eine  kräftige,  selbstbowusste  knappe  Sprache,  dazu  die  voll- 
endetste reim-  und  verskunst." 

2)  Das  letzte  gedieht  ist  von  Greve,  Lungen,  Schreyer,  der  Spruch:  Stcelch 
frouwe  von  Kauffmann  für  unecht  erklärt  worden,  Vgl.  Piper  in  [Kürschners  D.  nat- 
lit,  Hart.  v.  A.,  s.  27. 

3)  Gegen  Burdachs  versuch,  die  strophe  mit  (hm  vorhergehenden  ra  vereinen, 
spricht  sich  Sarau,   Hartmann   von   Aue  ;ils   lyrikei   B.  I  Egg.  aus. 


398  mach  in. b 

l  Ich  hdn  des  reht  da%  min  lip  trüric  8t, 
wart  mich  tninget  ein  vil  sendiu  not. 
swax  fröiden  mir  von  kinde  wonte  bi, 
die  sint  verxinset  als  es  got  gebot. 
u  mich  hat  besirtrret  mines  her  reu   tot; 
dar  xuo  so  trüebet  mich  ein  rarende  leit: 
mir  hat  ein  wip  genäde  ividerseit, 
der  ich  gedienet  hau  mit  steetekeit 
9  sit  der  stunde  dax  ich  üf  mime  stabe  reit. 
Kann  man  sich  denn  einen  schärferen  gegensatz  in  inhalt  und   form   denken   als   den 
zwischen  den  obigen,   von  herber  Weltverachtung,   erhabenem   idealismus  und   männ- 
licher begeisterung  erfüllten  gedienten  und  diesem  jammerliede?    Aber  nicht  nur  der 
allgemeine  eindruck,  sondern  auch  einzelne  erwägungen  sprechen  für  seine  um 'ohtheit. 
Schon  "VVilmanns  hat  auf  den  auffälligen  umstand  hingewiesen,  dass  ITartmann 
in  den   kreuzliedern   eine  geliebte   nicht  erwähnt.     „Von   der  geliebten   ist  in  keiner 
dieser  Strophen  die  rede,  und  doch  wäre  ihre  erwähnuug  nicht  nur  natürlich,  sondern 
beinahe  notwendig  bei   einem  schritte,   der  eine  jahrelange  trennung,   vielleicht  eine 
trennung  auf  immer  zur  folge  hatte.     Friedr.  v.  Hausen  (MF  47,  11.  48,3),  Reinmar 
der  Alte  (181,  13),  Albrecht  von  Johansdorf  (86,  25.  87,  14,  33.  89,  21)   stellen  den 
abschied  von  der  geliebten  gerade  als  das  hin ,  was  ihnen  die  kreuzfahrt  schwer  macht, 
und  der  letztgenannte  dichter  will  seiner  dame  den  halben   lohn   abtreten:   nur  Hart- 
mann  sollte  die  seine  ganz  vergessen?     Er  sollte  sogar  so  weit  gehen  zu  sagen,  die 
kreuzfahrt  werde  ihm  leicht,  weil  die  weit  ihn  so  gewöhnt  habe,   dass  er  nicht  eben 
sehr  an  ihr  hange  (211,  18)?"     "Wilmanns  schliesst  mit  recht  daraus,  dass  Hartmann 
zur  zeit  seiner  kreuznahme  nicht  in  einem  liebesverhältnis  stand. 

An  Friedrich  von  Husen  sehen  wir,  dass  ihm  der  minnedienst  nach  der  kreuz- 
nahme gewissensbedenken  erregte.    Leib  und  herz  befinden  sich  miteinander  in  streit 
(MF  47,  9fgg.  und  MF  46, 19  fgg.).     So  unsanft  dieser  streit  auch  für  ihn  ist  (MF 
46, 9fgg.),   er  kann  sich   von   dem   aller  besten  wip  nicht  losmachen;    er  muss  ihr 
dienen  und  ihrer  gedenken,  wohin  er  auch  fährt.     Gott  möge  es  ihm  vergeben: 
dax  ruoch  oueh  er  vergeben  mir: 
wan  ob  ich  des  sünde  siile  hdn, 
xwiu  schuof  er  si  so  rehte  wol  getan? 
Bei  dieser  frage  hätte  sich  Hartmann   wol  kaum   beruhigt;  jedesfalls  aber  wäre  auch 
in  ihm  der  kämpf  zwischen  sele  und  lip  entbrannt  und  hätte  seinen  ausdruck  in  den 
kreuzliedern  gefunden.2 

Aus  diesen  geht  nun  aber  gerade  mit  gewissheit  hervor,  dass  der  kämpf  schon 
entschieden,  dass  der  lip  überwunden  war  und  die  sele  den  sieg  davongetragen  hatte. 
Es  ist  ganz  undenkbar,  dass  Hartmann  nach  der  kreuznahme  noch  den  minnedienst 
und  die  minnedichtung  gepflegt  habe.  Sie  sind  völlig  unvereinbar  mit  der  weltver- 
achtung,  die  sich  in  den  kreuzliedern  spiegelt.  Dann  hätte  Hartmann  auch  nimmer- 
mehr sein  trutzlied  gegen  die  minnesänger  schleudern  können.  Man  hätte  ihn  höhnend 
auf  seinen  eigenen  liebesjammer  verwiesen.  Sein  eigenes  schwert  hätte  ihn  nicht  nur 
geschlagen  (MF  206,9),   sondern   erschlagen.     Aber  auch  in  die  zeit,  die   zwischen 

1)  Wilmanns,  Zu  H.  v.  A.  liedern  und  büchlein,  Zschr.  f.  d.  a.  14,  s.  147  fg. 

2)  Auch  auf  Reinmar  MF  181, 12  fgg.  ist  hier  zu  verweisen. 


HARTMANNS  KREUZLIEDF.R  399 

dem  tode  des  herrn  und  der  kreuznahme  vielleicht  angenommen  werden  könnte,  kann 
unsere  strophe  nicht  verlegt  werden,  denn  es  ist  ja  gerade  das  erstere  ereignis.  durch 
das  Hartmann,  um  einen  ausdruck  Reinmars  zu  gebrauchen,  der  gerade  mnot  xer 
tverlte  ganz  genommen  wird.     Nach  diesem  Unglück  hört  er  auf  zu  werben 

umb  allex  dax  ein  man 
xe  wereltlichen  fröiden  tetner  haben  sol. 

(Reinmar;  MF  159, 1  fg.) 
Auch  in  sich  betrachtet,  erweckt  die  strophe  die  grössten  bedenken  gegen  ihre 
echtheit.  Von  ibr  kann  ebenfalls  kurz  und  bündig  gesagt  werden,  dass  sie  nichts  von 
Hartmanns  art  hat.  Als  grund  für  seine  traurigkeit  gibt  der  dichter  in  erster  reihe 
liebeskummer  an,  v.  2,  aber  erst  fünf  zeilen  weiter  sagt  er  uns,  welcher  art  dieser 
liebeskummer  ist  und  knüpft  ihn  nun  als  ein  sekuudäres  moment  {dar  xuo)  an  den 
tod  des  herrn.  Dieses  Unglück,  das  Hartmann  zu  so  ergreifenden  worten  bewegt, 
wird  hier  mit  den  trivialen  Wendungen :  Ich  hän  des  reht  dax  min  lip  trüric  si  und 
mich  hat  besivceret  mines  herren  tot  abgetan,  während  auf  der  anderen  seite  das 
kurze,  nur  neun  zeilen  umfassende  gedieht  an  einer  Übertreibung  des  ausdrucks 
ieidet,  wie  sie  den  werken  Hartmanns  und  ganz  besonders  den  kreuzliedern  durchaus 

fremd  ist.1 

swax  fröiden  mir  von  kinde  wonte  bi, 
die  sint  verxinset  als  es  got  gebot. 

Man  stelle  demgegenüber  die  einfachen  und  doch  so  innigen  worte 

der  fröide  min  den  besten  teil 
hat  er  dahin. 

In  der  strophe  MF  209,  15  —  24  klagt  Hartmanu,  dass  ihn  die  siccere,  die  er  von  der 
geliebten  erdulde,  mehr  bedrücke,  als  es  die  reichsacht  tun  würde;  ihr  könnte  er 
entweichen,  aber 

dix  leit  wont  mir  alles  bi 

und  nimt  von  minen  fröiden  xins  als  ich  si)/  eigen  st. 

Auch  in  diesen  worten  nichts  von  der  Überspanntheit  der  obigen.  Noch  krasser  klingt, 
dass  er  die  frau 

sit  der  stunde  dax  ich  üf  mime  stabe  reit3 

geliebt  habe.  In  dem  schönen  liede,  in  dem  Hartmann  über  sein  wirkliches  oder  nur 
vorgegebenes  liebesglück  jubelt,  sagt  er  nur  (MF  215,  29): 

si  was  von  kinde  und  muox  me  sin  >/iin  kröne, 

aber  diesen  einfachen  ausdruck  ron  kinde  hatte  der  Verfasser  unserer  strophe  schon 
in  der  dritten  zeile  gebraucht,   und  so  verstieg  er  sich,    augenscheinlich    durch   reim- 

1)  Ein  anderes  urteil  über  die  spräche  dieser  strophe  fällt  Naumann,  '/.■>.  I.  d   a. 
22,  47. 

2)  Vgl.  Nithart  (48,8fgg.): 

Nie/man  sol  tun  vrouwen  sieh  vergdhen. 

des  uitrt  ich  wol  mne:  mirsi  diu  mtne  gram. 

der  getrat  ich  leider  also  nähen 

du:   ich  ii\   ir  hende  ein  ;/hsi/i  grüffel  nam. 

dax  uns  ir  gekoufet,  in  der  krdme  stuont  >\  veile, 

dax  wart  mir  reruiweii   sit   mich  grÖxem   iiiiheih. 

do  si  reif  mit  binden   üf  dem   seile. 


400  MA'HIJI.K 

not  veranlasst,  zu  dem  vorliegenden.  Die  Übertreibung  tritt  noch  stärker  hervor, 
wenn  man  daran  denkt,  dass  „der  begriff,  den  man  mitkint  verband,  eine  viel  läi 
Lebenszeit  ümfasste  als  der,  den  wir  jetzt  damit  verbinden".  Vgl.  Mhd.  W.  I.  817". 
Wir  tun  gut  „von  kinde"  nicht  mir.  „von  kindheil  auf",  Bondern  mit  „von  Jugend  auf 
zu  übersetzen.  Dass  llartniann  das  wort  und  die  Wendung  in  diesem  inne  gebraucht, 
dafür  sei  nur  auf  eirj  besonders  bezeichnendes  beispiel  hingewiesen.  Iw.  6330  er» 
zählt  eine  der  Jungfrauen : 

des  selben  landen  hcrre 
gewan  den  muot  dax  er  reit 
niuwan  durch  sine  kintheit 
suochen  aventiure. 
Selbst  Iweiu  wird  v.  52G0  von  dem  truchsess  ein  kint  genannt,  gerade   so  als   wenn 
heute  jemand  höhnisch  als  „junger  mann"  bezeichnet  wird.    Die  Wendung  von  feinde 
ist  häufig  genug;  lleinzel'  hat  die  beispiele  aus  MF  zusammengestellt.    Nur  Heinrich 
von  Morungeu  geht  einmal   über  den   gewöhnliehen  ausdruck  hinaus,   indem  er  sich 
rühmt,  dass  er  von  kindheit  auf  einen  stäten  sinn  gehabt  habe  (MF  136,  9  fgg.j. 

Unter  den  ueun  zeilen  der  strophe  wird  der  inhalt  der  zweiten  von  der  achten, 
das  von  kinde  der  dritten  von  der  letzten  widerholt.  Widerholungen  sind  ja  bei 
Hartmann  nicht  selten.  So  finden  wir  den  vers  eines  kreuzliedes:  got  hat  vil  wol 
%e  mir  getan,  MF  211,  11,  fast  wörtlich  in  dem  klagelied  der  frau  über  den  verlust 
des  geliebten  mannes:  got  hat  vil  lool  xuo  xir  getan,  MF  217,34.  Ebenso  ist  es  an 
sich  ohne  belaug,  dass  das  trüren  des  dichters  als  von  einer  vil  sendiu  not  her- 
rührend bezeichnet  wird,  in  unserer  kurzen  Strophe  ist  aber  nicht  bloss  eine  oder 
die  andere  wendung  den  minneliedern  Hartmanns  entnommen,  sondern  eine  bei  der 
kürze  des  gedichts  auffällige  anzahl.     Man  vergleiche: 

v.  2  ein  vil  sendiu  not:  MF  217,31  in  müexe  Helen  sende  not 

214,  16  des  herxe  ist  vri  von  sender  not. 
v.  3  von  kinde:  215,  19,  s.  o. 

wonte  bi :     209,  24  dix  leit  wont  mir  allex  bi 
v.  7  mir  hat  ein  wvp  genäde  wider  seit :  208,  4  f  gg.  die  sivceren  tage  sint  alxe  lane 

die  ich  st  gnaden  bite 
und  si  mir  doch  verseif. 
v.  4  die  (fröiden)  sint  verxinset  lehnt  sich  sprachlich  an  das  kreuzlied :  Nu  zinseilt, 
ritter,  iuwer  leben  und  ouch  den  muot  an  und  inhaltlich  an  die  ebenfalls  schon  an- 
geführte stelle:  dix  leit  ivont  mir  alles  bi  und  nimt  von  minem  fröiden  xins  als 
ich  sin  eigen  si.  Der  kompilatorische  charakter  der  strophe  ist  also  wol  unver- 
kennbar. 

"Was  bedeutet  nun  zuletzt  der  ausdruck:  ein  varende  leit?  Haupt  hat  es  in 
der  anmerkung  zu  MF  als  „ein  zu  gange  gebrachtes"  gedeutet,  Naumann  als  „ein 
nicht  nachlassendes,  den  dichter  immer  begleitendes",  Bech3  II,  s.  30  als  „ein  leid, 
das  im  gange  ist,  nicht  weichen,  nicht  ruhen  will".  "Wären  diese  deutungen  richtig, 
so  müssten  sie  auch  auf  den  ausdruck  varende  fröide  zutreffen.  Dass  dies  aber 
nicht  der  fall  ist,    ergibt  sich  aus   den  klaren   und  unzweideutigen   worten  Eeimars 

MF  174,  3  fg.: 

Ich  hän  varender  vröuden  vil 

und  der  rehten  eine  nilit  diu  lange  wer. 

1)  Heinzel,  Über  die  lieder  Hart.  v.  A.,  Zs.  f.  d.  a.  15, 140. 


HÄRTMANNS   KREUZLIEDER  401 

varende  fröuden  sind  also  in  Übereinstimmung  mit  dem  eigentlichen  sinne  des  Wortes 
„vergängliche,  vorübergehende  freuden".  In  demselben  sinne  ist  das  wort  Walther 
13,  23  (Wilmanns  s.  130)  gebraucht: 

Aller  arebeite  heten  wir  vergexzen, 

dö  uns  der  kurze  sumer  sin  gesinde  wesen  bat. 

Der  brähte  uns  varnde  bluomen  tmde  blat: 

du  trouc  uns  der  kurze  vogelsane. 

wol  im  der  ie  nach  stceten  fröiden  rane! 
Hier  stehen  die  stceten  fröiden  im  gegensatz  zu  den   carnden  fröiden  des  sommers. 
Im   sinne   von  unstcete  ist  das   wort  bei  Walther  von  Metze   gebraucht,   eine  stelle, 
auf  die  Wilmanns  verwiesen  hat.     Die  ganze  Strophe  lautet  MSH  309 b  (VII,  1): 

Ick  habe  ein  herxe,  dax  mir  sol 

noch  gröxen  schaden  oder  vrumen  machen; 

ein  vurnden  Ion  erwürbe  ich  wol, 

da  von  ich  einen  sumer  möhte  lachen  : 

Als  ich  denne  den  erwürbe ■, 

der  tccer  unstcete,  sam  der  kle, 

mit  den  bluomen  er  verdürbe, 

so  müest'  ich  werben  aber,  als  e. 

nach  heile  muexe  ex  mir  ergdn:  [wärt. 

inger  eines  varnden  lönes  niht,  mich  vröut  noch  bax  ein  lieber 
Aus  diesen  stellen1  geht  hervor,  dass  auch  rarndex  leit  nichts  anders  bedeuten  kanu 
als  „vorübergehendes,  vergängliches  leid".  Den  gegensatz  bildet  stcetex  leit,  ivem- 
dex  leit.' 

Nun   hat  Haupt  für  unsere  stelle   eine  stelle  aus  Rubin    herangezogen,    aber 
dabei  selbst  bemerkt,   dass  die  handschriften  auseinandergehen.     BC  haben  varnd> 
leit,  A  werndex  leit.2     Die  richtigkeit  des  letzteren  ergibt  sich   aus   dem    zusammen- 

1)  Es  sei  noch  verwiesen  auf  Reiumar  von  Zweter,  MSH  II,  186 a  (50),  Bartsch4 
Golther,  Deutsche  liederdichter,  s.  221: 

Kiu  lip,  xwö  sele,  ein  munt,  ein  muot, 

ein  triuwe  vor  missewende  und  oueh  vor  varnder  schäm  behuot,  usw. 

2)  Für  diesen  ausdruck  sei  verwiesen  auf  Walther  89,26  (Wilni.  s.  329): 


Trist.  1530: 


Trist.  UÜ78: 


f rinnt,  dest  oueh  min  klage 
und  mir  ein  wemde  nßt. 

„seht,  herre",  sprach  si,  „deist  diu  not. 

du:   ist  iliu  wernde  herxeklage, 

in  der  ich  alle  mme  tage 

mit  lebendem  übe  sterben  muox. 


ex  was  diu  wernde  sweere, 
diu  endelöse  herxenot, 

ro//  der  si  heidi-  lägen  tot. 

Uliich  von  Singenberg: 

na  sende,  erbarmherxer  got,  mir  des  so  sUste  riutoe 
dax  ich  der  weite  widersage 

und  ich   mit  diner  siiexen   munter  volleist  noch  den 
iemer  werndi  n  lön  h<juii< . 
Pf  äff,  Der  minnesang  I.  s.  L26  (Kürschners  IV  uat.  lit). 

ZEITSCHRIFT  F.  DBDTSOKH    l'NU.ui.uulK.      im.  XXXV.  26 


402  KAIJKKMANN 

hang,  und  es  ist  daher  mit  recht  von  von  der  Hagen  eingesetzt  worden.    MS  II  1,316' 

(XVII): 

Dt r  vogele  süexex  schallen 

hat  mich  hügende  hnihf. 

dax  min  werndex  leit  ein  teil  geringet  ist; 

dax  muox  mir  wol  gevalh  u, 

dax  si's  habcnt  gedäht: 

so  wol  dir,  Hoher  sumer,  dax  du  komen  bist! 
Die  vorliegende  stelle  erweist  also  die  möglichkeit,  dass  in  dem  varnde  leil  unserer, 
nur  von  C  überlieferten  strophe  ein  fehler  der  handschrift  vorliegt.  Diese  möglichkeit 
erhöht  sich  zur  Wahrscheinlichkeit,  da  einem  minnesänger  doch  kaum  zuzutrauen  ist, 
dass  er  eine  vil  sendiu  not  als  ein  varndex,  ein  vorübergehendes  leid  bezeichnet. 
Wenn  wir  aber  auch  diese  textänderuug  mit  v.  d.  Hagen  vornehmen,  die  oben  dar- 
gelegten  bedenken  gegen   die  echtheit  der  strophe  werden   dadurch  nicht  vermindert. 

RATIBOR.  P.  MA<  HÜLS. 


L1TTEBATUK. 

Axel  Olrik,   Om  Ragnarok.     Kobenhavn   1902.     135  s.     (Ssertryk  of  Aarb.  for  nord. 
oldkynd.  og  bist.  1902). 

Wie  es  TU  1,  137 fgg.  mit  dem  Baidermythus  versucht  wurde,  unternimmt  es 
Olrik,  aus  dem  Fenrirmythus  gewisse  wandermotive  erzählender  dichtung  uuellen- 
mässig  zu  belegen.  Bei  der  fesselung  des  Fenrir  heisst  es  bekanntlich:  man  habe 
bei  seinem  gomsparri  dem  wolf  ein  schwert  zwischen  ober-  und  Unterkiefer  ein- 
gesetzt (SnE  p.  34 fg.);  mit  offenem  maul  kommt  er  zum  götterkampf,  sein  Unter- 
kiefer schleift  am  erdboden,  der  Oberkiefer  steht  am  himmel  —  gapa  mundi  kann 
•meira  ef  rüm  vceri  til  —  Viparr  stapft  mit  dem  einen  fuss,  an  dem  er  den  zauber- 
schuh trägt,  in  den  Unterkiefer,  mit  der  faust  fasst  er  dem  untier  in  den  Oberkiefer 
und  reisst  ihm  so  den  rächen  entzwei  (SnE  p.  63 fg.).  Dass  wir  es  hier  mit  mär  che  n- 
motiven,  die  namentlich  in  Osteuropa  verbreitet  sind,  zu  tun  haben,  hat  Olrik 
(s.  90  fgg.)  in  überzeugender  darlegung  erwiesen  (vgl.  die  parallelen  im  Archiv  f.  slav. 
phil.  5,  12.  Radioff,  Proben  der  volkslit.  der  türk.  stamme  1,  38 fgg.  70fgg.  351  fgg., 
namentlich  301.  Kallas,  Märchen  der  Ljutziner  Esten  nr.  5):  „saledes  kan  dette 
motiv  —  uhyret  med  gab  lige  til  himlen  .  .  .  —  folges  over  hele  den  tyrkisk - finsk  - 
slaviske  folkeverden;  og  fra  dens  nordostlige  til  dens  sydvestlige  udkant  kan  vi  folge 
det  sserlige  trsek,  der  svarer  til  vor  Fenresulv,  at  kseberne  nagles  eller  spaerres 
fra  hinanden  ..."  (s.  95). 

Nun  kehren  diese  märchenmotive  aber  auch  in  bildlicher  darstellung  auf  dem 
Gosforth  -  kreuz  wider  (Aarb.  1884,  12fgg.  u.a.)  und  Olrik  handelt  s.  5fgg.  über  diese 
darstellungen.  Ich  hätte  zu  bemerken,  dass  auf  diesen  bildern  das  schwert  fehlt  und 
der  held  dem  untier  mit  einer  lanze  in  der  band  entgegentritt  (ungefähr  wie  in  der 
s.  94  besprochenen  Variante!),  dass  wir  nach  Olriks  eigenen  nachweisen  mit  einer 
märchenscene  rechnen  müssen1  und  daher  kaum  befugt  sind,  mehr  aus  diesen 
bildlichen  darstellungen  zu  entnehmen,  als  dass  sie  die  Verbreitung  des  märchens  in 
Nordwesteuropa  belegen  (s.  10  fg.).     Mit  den   wollen:    „billedet  ma  i   begge  tilfa^lde 

1)  Vgl.  Leskien -Brugmann,  Litauische  Volkslieder  und  märchen  s.  407.  559. 


ÜBER   OLRIK,    RAGXAEOK  403 

fremstille  Vidar"  (s.  7)  geht  Oirik  zu  weit;  vgl.  die  bemerkung  s.  8 fg.  und  die  den 
Sachverhalt  deckende  erklärung:  det  er  som  vidnesbyrd  om  de  enkelte  fortaellingers 
tilvaerelse,  disse  mindesmserker  skal  benyttes  (s.  10).  Mit  andern  worten:  es  kann 
auch  Bugge  recht  haben,  der  die  vou  anderen  als  Vidar  gedeutete  figur  als  Christus 
anspricht  (Home  of  the  eddic  poems  s.  LXV),  denn  mit  Sicherheit  ist  eben  nur  das 
märchenmotiv  constatiert,  über  den  uamen  des  (märchen)helden  vermögen  wir  nichts 
auszumachen.  Es  wäre  wol  richtiger  gewesen,  die  litterarischen  und  die  monumen- 
talen Zeugnisse  für  die  Fenrirscene  im  Zusammenhang  zu  behandeln  und  die  steine 
nicht  höher  einzuschätzen  als  die  sagen  und  märchen.  Denn  das  ergebnis  der  Unter- 
suchung ist  an  sich  lehrreich  genug  und  wertvoll. 

Nun  geht  aber  Olrik  uoch  weiter  und  führt  die  ganze  figur  des  gefesselten 
Fenrir  auf  osteuropäische  quellen  zurück:  auf  nordischem  boden  sei  die  Vorstellung 
des  gefesselten  raubtiers  mit  dem  gömsparri - motiv  zusammengewachsen  (s.  95).  Er 
handelt  unter  dem  titel  „Det  bundne  uhyre"  ausführlich  über  diesen  punkt  (s.  78fgg.) 
und  betont,  die  rolle  des  Fenrir  gehe  in  raguarok  auf,  sei  aber  hierbei  eine  der  ailer- 
wichtigsteu  (alle  myter  drejer  sig  om  hau  skal  vsere  bunden  eller  los  . .  han  er  alene 
til  for  Verdens  -  odelaeggelsens  skyld  s.  80).  Die  Vorstellung  eines  raubtiers,  das  von 
heldenhafter  band  gefesselt  aber  beim  Weltuntergang  loskommen  wird,  belegt  Olrik 
in  der  Apokalypse,  im  Avesta,  in  der  heldensage  der  Tartaren,  im  märchen  der  Esten 
und  schliesst:  den  samme  myte  om  Verdens  uudergaug  ma  altsä  have  eksisteret  hos 
vidt  adskilte  grene  af  den  finsk-tyrkiske  folkeset  i  Asien  og  Osteuropa  (s.  86).  Wie 
nun  „  der  gefesselte  Loki "  sein  vorbild  habe  in  dem  gefesselten  Satan  des  christlichen 
mittelalters  und  daher  keine  altnordische  Vorstellung  sein  könne,  vielmehr  in  einzel- 
zügen  fremden  einfluss  sicher  erkennen  lasse  und  durchgehends  sich  als  mit  dem 
christlichen  Lucifer  identisch  erweise  (s.  87),  so  entspreche  der  Feuriswolf  in  den 
grundzügen  dem  finnisch- tartarischen  mythus:  ligesom  den  ragnaroksbundne  mennes- 
keskikkelse  tilhurer  et  vist  omräde  (det  kristne  Europa  samt  Norden  med  dens 
Lokeskikkelse) ,  slutter  vort  bundne  rovdyr  sig  i  begreb  og  i  omräcfe  til  de  forestillioger, 
som  vi  kau  folge  gennem  Osteuropa  og  ind  pari  Asiens  stepper  (s.  9U),  vgl.  s.  97: 
medens  den  bundne  Loke  bygger  pä  kristne  forestilliuger,  horer  Feniesuhen  sam- 
men  med  en  gruppe  af  ostlige  lands  forestilliuger. 

Von  solchen  wandermotiven  und  mythologischen  wanderfigureu  (Loki,  Fenrir) 
unterscheidet  Olrik  die  im  norden  heimischen  Weltuntergangsvorstellungen.  7on 
den  Färöern,  von  Island,  namentlich  aber  von  Jütland  bringt  er  aus  dem  folklore 
belege  dafür  bei,  dass  eine  grosse  schlänge  einmal  kommen  uud  die  weit  zerstören 
werde  (s.  97fgg.  102);  bemerkenswert  ist  das  beispiel  von  Brande  kirke  (s.  98):  to 
tyrekalve  kaemper  med  lindormen  og  faelder  den,  nun  er  seh  sä  ilde  medhandlede, 
at  de  kun  gär  syv  og  ni  skridt  för  de  synker  livlose  til  jorden  en  mserkelig 
lighed  med  Voluspä,  hvor  Thor  ogsa  gar  ni  skridl  fra  den  drsebte  orm,  för  hau 
r  (s.  53).  Olrik  weist  die  schlänge  auch  in  Tirol  und  Salzburg  nach,  erinnert 
an  die  persischen  und  indischen  parallelen  (s.  L03fg.),  lehn!  jedoch,  wegen  der  ört- 
lichen gebundenheit  nordischer  sagen,  die  annähe  wandermotivs  ab,  betont 
vielmehr  die  stetigkeil  epischer  gedanken,  die  noch  unter  dem  neuen  dichterischen 
bild  der  midgardschlange  durchbrechen  (s.  L04 

Nach  ähnlichem  verfahren  bemühi  sieh  Olrih  die  Vorstellung  vom  fimbulvetr 
(s.  Lltgg.),  vom  versinken  der  erde  ins  meer  i  L9fgg.)  vom  versohwinden  der  sonne 
(s.  33fgg.)  —  Ursache  des  fimbulvetr  (s.  39)?  als  im  norden  altheimisch  sicher- 
zustellen.   Ortliche  gebundenheit  bedeute  rüohl  so  viel  als  örtlichen  Ursprung  (8.  L5), 

26 


404  B  \l  1  I  MANN 

aber  für  die   Vorstellung   vom    versinken   der  erde  ins   tneer,    die  allerorten  an  den 

keltischen  und  nordischen  küsten  des  Atlantischen  occans  begegnet,  will  es  ihm  evident 
erscheinen  „at  nur  s;i.dan  en  natur  er  ei  Btadigt  vilkär  for  denne  tros  bevarelse,  mä 
den  i  endnu  langt  höjere  grad  vaere  en  betingelse  for  dens  fodsel  (s.  23).  Trotzdem 
entscheidet  er  sich  in  diesem  lall  zu  gunsten  der  keltischen  küstenstiiche:  del  l  t 
lidet  tsenkeligt,  at  disse  nabofoLk  med  naer  sammenhaengende  kultur  uafhaengig  af 
hinanden  er  komne  til  denne  opfattelse;  det  ene  mä  have  länt  fra  det  andet . . .  det 
er  i  höjeste  grad  sandsynligt,  at  lseren  om  en  Verdens  andergang  er  mit  fra 
Kelterne  til  Norden,  ikke  omvendt  (s.  30fg.)- 

Als  beweismaterial  dafür,  dass  die  ragnaroklehre,  die  weit  Untergang 
keltischen  Ursprungs  nach  dem  germanischen  norden  verpflanzt  worden  sei,  dienen 
nicht  die  meteorologischen  anzeichen,  die  im  folklore  bis  in  die  gegenwart  herein 
sich  erhalten  haben,  sondern  die  mythischen  geschehnisse  der  götterkämpfe ,  die 
s.  47fgg.  behandelt  werden.  Scharfsinnig  hat  Olrik  erkannt,  dass  der  weltbrand  für 
die  ragnarok  nicht  entfernt  die  bedeutung  besitzt,  die  man  ihm  beizumessen  gewohnt 
ist:  Surtar  logi  sucht  die  Wohnungen  der  götter  heim,  den  gsengse  tro  kender 
ingen  brand  af  jorden,  men  vel  en  Surts  lue  i  gudeverden  .  . .  derimod  optraeder 
verdensbranden  hos  en  msengde  andre  af  jordklodeus  folkeslag  (Kelter,  Hinduer, 
Perser,  Joderne  etc.)  s.  40.  Auch  in  der  VQluspä  ist  von  einem  weltbrand  sowenig 
die  rede  als  iu  den  VafbrübnesmöJ,  die  lieder  berichten  nur  von  einem  brand  Asgards; 
die  erde  sinkt  ins  meer1:  odelseggelsen  ved  ild  er  pä  nordisk  grund  bleven 
indskra3nket  til  gudesagnene  (s.  42),  die  geschehnisse  fassen  sich  denn  auch  in 
dem  begriff  ragnarok  zusammen  und  was  dieses  wort  bedeutet,  erfahren  wir  aus  der 
synonymen  formel:  päs  regln  deyja;  „dette  er  det  störe  ragnaroks  -  problem:  en 
verdensafslutning  derförstog  fremmest  er  gudernes  undergang;  en  stejl  modssetning 
til  den  kristne  la3re..som  besang  dommedagen  som  guds  störe  sejr  over  djaevel  ogtrolde". 
Grade  eins  ist  sicher:  dass  wer  da  versuchte,  die  nordischen  ragnarok  auf  christliche 
Vorstellungen  zurückzuführen,  die  unterscheidenden  grundformen  unterschätzte  (s.  47). 
Das  central -problem  der  ragnarok  ist  das  „sterben  der  götter"  (s.  134  vgl. 
TU  1,  297  u.  ö.).  Darin  bin  ich  mit  Olrik  durchaus  einverstanden.  Das  ist  aber  seiner 
art  nach  nicht  so  sehr  ein  mythologisches,  als  ein  religiöses  problem  und  leider  ist 
Olrik  auf  die  religiöse  seite  der  frage  gar  nicht  eingegangen.  Er  behandelt  die  ein- 
zelnen motive  als  folklorist  (cfr.  folkemindeforskeren  s.  128),  nicht  als  religions- 
historiker.  Das  ist  insofern  verwunderlich  als  er  mit  mir  die  ansieht  vertritt,  es 
handle  sich  um  probleme  religiöser  art  (til  dels  af  stör  religiös  raekkevidde  s.  129); 
wenn  ich  jedoch  seine  Schlussbemerkungen  richtig  deute,  beabsichtigt  er  auf  die 
religionsgeschichtlichen  fragen  in  einer  spätem  arbeit  zurückzukommen  (s.  134  fg.). 
Vorerst  deutet  Olrik  nur  an  (s.  106  fgg.),  dass  er  sich  der  auffassung  G.  Storms  an- 
schliesse  und  den  glauben  an  Seelenwanderung  voraussetze,  während  ich  auf  dem 
Standpunkt  stehe,  dass  es  damit  nicht  getan  ist,  dass  das  sterben  der  götter  seinen 
eigenen  religiösen  gehalt  hat  und  dass  auch  hier  für  das  mythologische  sterben  sein 

1)  Mir  ist  nicht  gegenwärtig,  worauf  sich  die  behauptung  Olriks  stützt:  for 
den  fuldstaendige  Verdens  brand  mä  da  Voluspä  b?ere  ansvaret  .  .  .  denne  opfattelse 
hviler  alene  pä  Voluspäs  autoritet  (s.  40),  denn  str.  57  enthält  kein  wort  davon,  dass 
die  ins  meer  versunkene  erde  vom  feuer  überflutet  worden  sei,  den  hergaug  wird 
man  sich  nach  Vafhiübnesm.  50  vorzustellen  haben.  Von  den  durch  das  ahd.  Muspilli 
suggerierten  Vorstellungen  müssen  wir  loskommen;  für  die  annähme  eines  erdbrandes 
leistet  nicht  einmal  das  wort  muspilli  („feuer")  etwas. 


ÜBER    OLKIK.    BAGNAEOK  405 

religiöser  wert,  das  opfer,  eingesetzt  werden  muss.  Aber  wie  gesagt,  um  die  religiösen 
anschauungen  und  ceremonien  hat  sich  Olrik  vorerst  noch  nicht  bemüht.  Er  wollte 
die  mythen  aufarbeiten.  Für  die  um  das  sterben  der  götter  und  um  die  neuen  götter- 
ordnungeu  spielenden  mythen  bringt  er  dieselbe  forschungsmethode  in  anwendung, 
die  im  vorstehenden  bereits  erwähnt  wurde.  Er  construiert  nicht  etwa  eine  uridg. 
mythologie  und  leitet  aus  einem  uridg.  mythus  die  nordischen  mythen  ab,  sondern 
lässt  einzelne  mythen,  die  verschiedenen  Völkern  gemeinsam  sind,  von  volk  zu  volk 
wandern:  ligheden  mellem  Nordboerues  myter  .  .  pä  den  ene  side  og  de  persiske  og 
keltiske  pä  den  anden  side  lader  sig  dog  ikke  forklare  ud  af  den  faelles  baggrund  .  . 
de  mä  vsere  vandrede  eller  efterlignede  fra  land  til  land  (s.  109  vgl.  s.  117).  So  auch 
der  götterkampf  in  der  Obinn-Viharr-Fenrirscene,  in  der  IJ6rr-Mibgarzormscene  und 
in  der  Freyr(?)-Surtrscene  (s.  48fgg.).  Von  diesen  glaubt  Olrik  nachweisen  zu  können, 
dass  sie  aus  der  keltischen  mythologie  entlehnt  sind  —  die  eine  und  andere  com- 
bination  ist  uns  bereits  aus  den  Schriften  von  Sophus  Bugge  geläufig,  ich  glaube  aber 
kaum,  dass  Olriks  ausführungen  überzeugender  wirken  werden  (s.  03 fgg.),  zumal  der 
verf.  selbst  schwerwiegende  bedenken  äussert  (s.  65).  muspell  ist  er  geneigt  für 
christlich  auszugeben:  imod  en  rent  hedensk  oprindelse  taler  den  begrebsnuessige 
klarhed  hvormed  det  fremtraeder  i  oldtysk.  Det  er  da  en  slagskygge  af  de  kristne 
dommedags-forestillinger,  der  vaudrer  sammen  med  og  forud  for  kristendommens  forste 
indtnengen.  Det  synes  rimeligt,  at  ordet  er  vandret  fra  det  ene  folk  til  audet  i  digt 
(s.  68).  Naglfar  dagegen  hat  seine  Voraussetzung  im  heimischen  Volksglauben,  sofern 
hier  abergläubische  gebrauche  mit  abgeschnittenen  nageln '  einschlagen  (s.  69  fgg.). 
Surtr  wird  aus  der  Verbindung  mit  Miispelhsynir  gelöst,  als  „verdensdybets  jaette" 
gedeutet  (s.  71  fgg.)  und  mit  einem  altkeltischen  unterweltsgott  identificiert  (s.  77). 
Hierzu  ebnet  sich  Olrik  die  bahn,  indem  er  mit  den  hss.  gegen  alle  neueren  textkritiker  - 
Vol.  51  liest:  Kjoll  ferr  austan  koma  muno  Muspellz 

um  Iqg  lypir  enn  Loki  styrir. 

Ein  zweiter  halbvers  Koma  muno  muspelh  ist  sonst  in  Vqluspä  etnerhört  und  Snorri 
hat  jedenfalls  unsere  strophe  mit  dem  emendierten  Wortlaut  gekannt  (Loka  fylgja  allir 
heljarsinnar  SnE  p.  63)  und  um  seine  fassung  zu  beseitigen,  reichen  die  gegen- 
bemerkungen  Olriks  (s.  66  anm.)  nicht  aus.  Wo  er  über  ahd.  muspilli,  and.  mudspeUi 
handelt,  wäre  eine  auseinandersetzung  mit  Zeitschr.  33,  5  zu  erwarten  gewesen,  dann 
wären  wol  die  ungenauigkeiten  und  Unklarheiten  vermieden  worden,  auf  die  wir  jetzt 
s.  07 fgg.  stosseu.  Schon  seine  stilkenutnis  musste  ihn  davor  bewahren,  dir  worte 
mvdspelles  megin  obar  man  ferid  (llel.  2591)  aus  dem  Zusammenhang  mit  endi 
thesaro  weroldes  zu  reissen  und  so  eine  rein  äusserliche  ähnlichkeit  mit  einer  für 
Lokas.  42  mit  Grundtvig  erschlossenen  lesart  Muspelh  megtr  riäa  myrkvid  yfirs  zu 
erzielen.  Ich  fürchte  sein  versuch  unisprll  aus  dem  alt  heimischen  sprachgut  des 
nordens  zu  streichen  (s.  73),  wird  nicht  bloss  an  der  Übereinstimmung  scheitern,  die 
im  geographischen  zwischen  Vol.  f>l  ,  Lokas.  42  und  Sn  K  besteht. 

Auf  lebhaften  Widerspruch  worden  auch  die  im  sohlusskapitel  über  die  ragnarok- 
schildorung  und  die  quellen  der  Voluspfi  (s.  Lllfgg.)  vorgetragenen  ansiohten  st<>sscti. 

1)  Ein  interessanter  beleg  hierzu  findet  sich   hei   Fr.  Kreutzwald,  Ehstnisohe 
märchen  s.  143  fg.  360. 

2)  Heinzel-Detter  bilden  nur  eine  scheinbare  ausnähme,  denn  ihre  edition  i>t 
keine  textkritische. 

3)  Ich  halte  diesen  vers  metrisch  für  bedenklioh,  vgl.  Zeitsohr  34,  177. 


40ß  KAUYFMANW 

Er  unterscheidet  in  diesem  gedieht  drei  stoffliche  kategor ien:  entweder  werden  seine 
angaben  durch  andere  quellen  bestätigt  oder  bleiben  von  ihnen  unberührt  oder  -' 
mit  ihnen  im   Widerspruch.     Er  betont  die  malerischen   und  ästhetischen  qualitäten 
der  Voluspä  um  sie  als  kunstschöpfung  ers»       ien  zu  lassen  —  ich  vermisse  bei  der 
Charakteristik  des  werkes  nur,  dass  Olrik  nicht  auch  Veranlassung  genommen  hat, 
prophetische  tendenz  hervorzuheben;  im  iibrij  ich  fast  mit  denselben  worten 

die  compositioDsform  des  werkes  geschilderl  (mii  s.  IM  vgl.  TU  1,304).  In  -1er  be- 
urteilung  der  einzelneu  stellen,  die  nach  meiner  ansieht  echl  und  zuverlässig  sind. 
weiche  ich  allerdings  wesentlich  von  Olrik  ab.     Er  bemüht  sich   mytho  Zeug- 

nisse aufzuspüren,  die  den  angaben  anderer  quellen  widersprechen  und  daraus  dem 
Voluspä- dichter  einen  strick  zu  drehen.     Aber  er   li.it    nur   einen   einzigen   fall 
gebracht,    um    ihn   selbst   wider   fallen    zu   lassen:    v.  40  stehe    im    Widerspruch    mit 
Grimnesm.  39  (s.  115).    Es  handelt   sieh   um  die  sog.  sonnen wölfe,  vo  einer 

der  sonne  voraus,  der  andere  der  sonne  nach  rennt'.  Weshalb  von  diesen  um 
nicht  gesagt  worden  sein  solle,  sie  seien  im  Isarnvibr  gross  gezogen,  ist  nicht  ein- 
zusehen. Olrik  gibt  denn  auch  selbst  zu,  es  sei  möglich,  den  Widerspruch  zu  be- 
seitigen. Dass  wir  an  zahlreichen  andern  stellen  des  gedichts  angaben  vorfinden ,  die 
>onst  nirgends  widerkehren,  begrüssen  wir  dankbar;  ihnen  nur  subjektiven  wert  bei- 
zumessen, ist  ein  literarhistorisch  nur  sehr  schwer  zu  verteidigendes  verfahren  (..alt 
Jet  er  digterudmaling  "  s.  117),  dabei  sich  auf  anieihen  aus  dem  ausländ  zu  beziehen  — 
Heimdallr  wird  z.  h.  auf  den  die  posaune  blasenden  erzeuge!  Michael  zurückgeführt 
(s.  118fgg.)  —  ist  ein  ausweg,  den  wir  doch  erst  zu  beschreiten  raten,  wenn  nicht 
einzelheiten,  sondern  ganze  zusammenhängende  reihen  von  figuren  und  motiven  sich 
versorgen  lassen.  Aber  der  Voluspä- dichter,  nach  Olrik  beheimatet  „pä  en  ö  eller 
Strand  indenfor  golfströmmens  milde  klima"  (s.  23),  soll  sich  sprungweise  bald  in 
heidnischen  bald  in  christlichen  motiven  bewegen,  soll  von  nordischen  mythen  auch 
nicht  viel  mehr  als  wir  gewusst  haben  (s.  127  fg.  129),  soll  aber  trotzdem  in  beträcht- 
lichem umfang  religiös  wirken  (s.  129),  soll  die  widerkunft  Christi  aufgenommen 
haben  (s.  126 fg.),  obwol  was  wir  bei  ihm  davon  hören  völlig  von  den  christlichen 
quellen  abweicht  (s.  132).  Wir  werden  daher  gewarnt,  dieses  im  ganzen  heidnische 
gedieht  —  die  vollendetste  darstellung  der  heidnischen  gedaukenwelt  (s.  130)  —  nach 
seinen  christlichen  elementen  zu  überschätzen.  Es  steht  also  im  gründe  nicht  anders 
als  bei  den  thesen  Bugges,  wenn  Olrik  sagt:  „de  optrin  i  ragnarok,  som  kun  kendes 
i  VQluspä,  svarer  alle  til  kristne  motiver  i  verdeus  undergang  og  de  er  indkomne  i 
nordisk  ved  län  fra  kristendommen.  Mellemledet  ved  denne  overf0relse  synes  i 
enkelte  tilfaelde  at  have  vseret  den  folkelig  -  irske  digtning  af  gude-  og  helteaeventvi  ■■• 
(s.  133). 

In  tabellenform  hat  0.  schliesslich  die  ragnarokmotive  in  drei  gruppeu  geteilt 
(s.  133 fg.):  1)  hedensk  (solen  sluges  af  solulv;  fimbulvinter;  jorden  synker  i  hav; 
Fenresulven;  ormen  i  dybet;  gudekampen;  Surts  lue;  den  nye  gudesla?gt;  den  over- 
vintrede  menneskeslsegt).  2)  af  kristen  oprindelse,  men  almindelig  kendte 
i  vikingetiden  (Loke  kommer  los;  Muspels  folk  [?J ;  Balders  komme  [??]).  3)  af 
kristeu    oprindelse,    saerlige    for    Voluspä    (menneskehedens    fordaervelse  [?]; 

1)  Worauf  die  worte  „störe  antal  af  dybtgäende  modsigelser"  beruhen,  ist  mir 
nicht  bekannt. 

2)  Warum  ist  zu  s.  34 fg.  nicht  auf  Hervararsaga  (ed.  Bugge)  s.  246  verwiesen 
worden? 


DBEB  GOTTHELF,  DAS  DEUTSCHE  ALTERTUM  407 

gjallarhornet  indvarsler  ragnarok;  solen  sortner  og  stjaerner  styrter1;  verdensbranden ; 
salighedsboligen;  den  maegtiges  komme). 

1)  ffier  weicht  Olrik  von  seiner  sonst  geübten  praxis  ab,  was  durch  den  heutigen 
Volksglauben  als  volkstümlich  belegt  ist,  für  heimisches  gut  auszugeben. 

SIEL.  FRIEDRICH   KAUFIMANN. 


Gotthelf,  Friedrich:     Das    deutsche    altertum    in    den    anschauungen    des 

sechzehnten    und    siebzehnten   Jahrhunderts.      Berlin    1900.     VIII,  G8 

(=  Forschungen  zur  neueren  litteraturgeschichte  hrg.  von  Fr.  Muncker  XIII).  1,50  m. 

In  einem  flüchtigen  überblick,  ausgehend  von  den  „historischen"  romauen  des 

17.  Jahrhunderts,    erzählt  der  Verfasser  von  dem    dialog  Huttens   an,   was  Aventin, 

Seb.  Franck  (s.  16),  die  ersten  humanistischen  geschichtsschreiber  —  es  fehlen  Irenicus, 

Beatus  Khenanus  u.a.  —  und  deutsche  autoren  des  16.  jahrh.  (Burkard  Waldis  s.  23; 

Jakob  Schopper  s.  29;    Michael  Beuther  s.  34;    Rollenhagen  s.  36;  Th.  Hock  s.  37  fg.) 

ihrem  publikum  an  urgeschichtlichen  notizen  zu  bieten  hatten.     Der  bericht  über  das 

17.  jh.  setzt  mit  Clüver  (s.  39)  ein  und  gipfelt  in   den   leistungen  eines  Moscherosch 

(s.  44),    Buchholz  (s.  48),    Grimmeishausen  (s.  54),   Anton  Ulrich   von   Braunschweig 

(s.  55).  Lohenstein  (s.  60).     Die  selbst  im  bibliographischen  versagende   kleine  schrift 

(vgl.  z.  b.  s,  2  anm.  s.  53  anm.  s.  60  anm.)  genügt  nicht  einmal  den  bescheidensten  an- 

sprüchen,  die  man  etwa  an  eine  doctordissertation  stellen  könnte. 

KIKL.  FRIEHRIi'H    KAUFMANN. 


Heinrich  May,  Die  behandlungen  der  sage  von  Eginhard  und  Emma.  Berlin, 
Alexander  Dunker  1900.  (Forschungen  zur  neueren  litteraturgeschichte,  hsg. 
von  Fr.  Munker  XVI.)     3,30  m. 

Ob  es  gerade  ein  sehr  glücklicher  gedanke  war.  die  bekannton  Zusammen- 
stellungen von  Varnhagen  über  neuere  behandlungen  der  sage  von  Einhanl  und  Emma 
in  einer  besonderen  schrift  breit  auszuführen,  mag  dahingestellt  bleiben.  Jedesfalls 
aber  musste,  wer  die  arbeit  einmal  aufnahm,  sie  doch  wol  sorgfältiger  und  gründ- 
licher durchführen,  als  in  dem  vorliegenden  buche  geschehen  ist. 

Der  Verfasser  behandelt  im  ersten  abschnitte  die  entstehung  der  sage  und  ihre 
verschiedenen  fassungen  mit  bequemer  Oberflächlichkeit,  die  nirgends  über  die  Vor- 
gänger hinauskommt,  ja  diese  nicht  einmal,  wie  sich's  gebührte,  benutzt  hat.  "Was 
nicht  Varnhagen  schon  angezogen  hat,  ist  May  meistens  unbekannt  geblieben.  Er 
scheint  gar  nicht  zu  wissen,  dass  der  held  seiner  darstollung  die  historikei  gerade 
in  den  letzten  jähren  lebhafter  beschäftigt  hat;  er  hat  sich  auch  sichtlich  nicht  die 
mühe  genommen,  die  quellen  selbst  einzusehen,  um  ein  eigenes  urteil  in  seiner  Sache 
zu  gewinnen.  Es  sei  uns  darum  erlaubt,  zur  entstehung  der  sage  hier  ein  wort 
zu  sagen. 

Man  weiss,  dass  dieselbe  plötzlich  im  12.  Jahrhundert  auftaucht,  in  dem  bald 
nach  1167  geschriebenen  Chronicon  Laureshamense  (oder  wie  May  b.2  sagt:  „in  den 
Urkunden,  die  ein  mönch  des  Klosters  Lorsch  anlasslich  einer  von  Eginhard  gemachten 
Schenkung  in  das  chronicum  Laurcshanien.se  schrieb*!!).  Es  erhebt  sich  also  sofort 
die  frage,  die  unserem  Verfasser  freilich  keinerlei  Kopfschmerzen  gemacht  hat,  woher 
denn  der  autor  der  chionik,  der  sicher  mönch  in  Lorsoh  war,  seine  er/.ählung  ge- 
nommen habe. 


408  PANZER 

Ihre  grundzügo  sind  bekannt.  Einhard,  erzkaplan  uud  geheimschreibet  des 
kaisera  Karl,  wai  ohronik,  der  tochti  errn,  Emma,  so  leidenschaftlich 

tan  wie  sie  ihm.    Eini  kommt  er  in  ihr  gemach  und  genicsst  ihre  Li<  be. 

Wie  er  am   morgen  sich    Eortschleichen  will,    ist  starker  schnee  gefallen.    Ihr  bei- 
samm<  bt  durch  seine  fusstapfen  zu  verraten,  trägt  ihn  die  geliebte  aal 

rücken  über  den  hof.    Unglücklicherwi  lauscht  Karl  den  Vorgang,  aber 

zunächst.     Einhard,   vom  bösen   gewi  plagt,   bitte!   darauf  den  kaiser  am  Beine 

entlassung,  da  seine  dienst«'  nicht  nach  gebühr  belohnt  würden.  Karl  versi 
antwort.  Er  versammelt  seine  paladinc,  erzählt  ihnen,  was  er  gesellen  und  verlangt 
ihr  urteil  über  den  Verbrecher.  Die  meinungen  sind  geteilt.  Der  kaiser  seilst  er- 
klärt, die  betrübende  tat  lieber  durch  milde  verdecken  als  dm  e  noch  schimpf- 
licher machen  zu  wollen,  vermählt  die  liebenden  und  stattet  den  Schwiegersohn  mit 
land  und  kleinodien  reichlich  aus. 

Die  anknüpfungspunkte  dieser  erzählung  in  der  wirklieben  geschieht«  Karl 
grossen  liegen  klar  vor  unseren  äugen.  Alle  Voraussetzungen,  auf  deneu  die  sage 
sich  aufbaut,  finden  dort  sich  vor.  Von  dem  anstössigen  leben  der  töchter  Karls 
erzählt  Einbards  Vita  Caroli  M.  in  dem  viel  citierten  cap.  XIX  ebenso  wie  von  der 
neigung  Karls,  diese  Verhältnisse  ohne  strafe  zu  dulden.  Dass  Karl  den  nächtlichen 
schlaf  durch  aufstehen  zu  unterbrechen  pflegte,  meldet  ebenso  Einhard  cap.  XXIV. 
aber  auch  der  Monachus  Sangallensis  II.  3;  bei  diesem  findet  sich  I.  30  zudem  die 
nachriebt,  Karl  habe  den  palast  in  Aachen  so  anlegen  lassen,  id  ipse  per  cnncellos 
solarii  sui  euneta  posset  widere,  quaecumqtie  ab  inlrantibus  vel  exeuntibus  quasi 
latenter  fierent.  Dass  ferner  Einhard  zu  den  nächsten  vertrauten  Karls  gehört- 
bekannt,  auch  hiess  seine  gattin  wirklich  Imma,  uud  wie  zärtlich  er  sie  geliebt  hat, 
sehen  wir  noch  aus  dem  rührenden  briefc  an  Lupus,  späteren  abt  von  Ferneres,  in 
dem  er  ihren  tod  beklagt.  Dass  Imma  zwar  vornehmer  abkunft,  aber  keine  tochter 
Karls  war,  ist  vollkommen  sicher.  Man  hat  hier  immer  schon  auf  Angilbert  hinge- 
wiesen und  sein  Verhältnis  zu  Bertba,  um  die  Verschiebung  in  der  sage  zu  erklären. 
In  der  tat  war  nichts  leichter,  als  Angilbert  und  Einhard  zu  verwechseln.  Waren 
doch  beide  aus  vornehmem  fränkischem  gescblecht,  beide  am  bofe  Karls  erzogen, 
später  vertraute  des  königs  und  in  höchsten  ehrenstellen  ihm  zur  seite ,  beide  sehüler 
Alkuins,  beide  dichter,  beide  äbte,  die  ihre  klöster  mit  reliquien  und  glänzenden  bauten 
auszustatten  bedacht  waren1.  Kam  zu  diesen  drei  elementen:  Verhältnisse  an  Karls 
hof,  Einhard  und  Emma,  Angilbert  und  Bertha,  als  viertes  das  schneemotiv,  so  war 
unsere  sage  fertig.  Es  ist  bekannt,  dass  dies  letztere  motiv  in  selbständiger  existenz 
vor  der  Lorseber  chronik  in  den  Gesta  regum  Anglorum  des  Wilhelm  von  Malmesbury 
begegnet,  dort  von  einer  Schwester  Heinrichs  III.  und  einem  kleriker  erzählt.  Die 
frage  ist  nur:  wann  kam  die  Vereinigung  dieser  elemente  zu  stände  und  wie,  durch 
lebendige  volkssage  oder  etwa  auf  litterarischem  wege,  durch  gelehrte  combination 
und  erfindung? 

"Wattenbach  neigte  wol  ersterer  ansieht  zu ,  da  er  (Geschichtscpaellen 6  2,  403)  die 
Vermutung  ausspricht,  der  Verfasser  der  Lorscher  chronik  möchte  seine  erzählung  münd- 
licher tradition  entnommen  haben.     Ob  diese  auffassung  aber  richtig  ist? 

Mit  der  Versicherung  des  autors  (MG.  SS  XXI.  357)  er  erzähle,  proid  a  maio- 
ribus  nostris  memoriae  traditum  est,  ist  so  und  so   wenig  anzufangen;  es  ist  das 

1)  Die  naebweisungen  im  einzelnen  geben  die  biographien  der  beiden  mäuner 
von  Althof  und  Kurze. 


ÜBEE   MAY,    EGINHAHD   UND   EMMA  409 

die  übliche  phrase,  durch  die  sich  im  mittelalter  auch  erfindungen  den  rücken  zu 
decken  pflegen.  Man  darf  aber  doch  darauf  hinweisen,  dass  die  geschichte  Angilberts, 
nach  der  unsere  sage  sicher  sich  gebildet  hat  oder  vielleicht  gebildet  wurde,  gerade 
in  der  ersten  hälfte  des  12.  Jahrhunderts  im  gedächtnis  der  nachweit,  und  zwar  spe- 
ciell  geistlicher  kreise,  neu  aufgefrischt  ward.  Damals  betrieb  man  von  S.  Riquier 
aus  die  kanonisation  Angilberts.  Seit  1110  geschahen  dort  an  seinem  grabe  uner- 
hörte wunder,  die  abt  Anscher  in  drei  büchern  beschrieb,  um  sie  dem  erzbischof  von 
Rheims  zu  unterbreiten.  Ja  er  verfasste  auch  eine  eingehende  Vita  Angilberts,  die 
einer  mit  maiestas  angeredeten  person  zugeeignet  wird,  unter  der  man  wol  den  papst 
zu  verstehen  hat.  Hier  ist  auch  ausführlicher  von  Angilberts  Verhältnis  zu  Bertha 
die  rede.  Zu  bequemer  vergleichung  mag  die  stelle  nach  MabilloD,  Acta  Sanctorum 
ord.  Bened.  IV.  1.  118  hier  eingerückt  sein. 

Rex  memoratus,  heisst  es  von  Karl  d.  gr.,  de  regina  Hildigarda  tres  dudum 
filias  genuerat,  quarum  sunt  nomi/na  Ruodthrudis ,  Berta  atque  Gisla:  ex  l/is  una, 
ruh  licet  Berta,  avidissimo  amore  in  clarissimum  rinn»  Angilbertum  oeulos  in- 
jrrit:  et  quem  in  paterno  amore  super  omnes  mortales  convaluisse  noterat  eutndem 
sibi  in  sponsi  titulum  et  (/»iuris  remedium  totis  affeetibus  provenire  praeoptabat. 
Sed  quia  genitoris  sensibus  lu/cr  per  se  int i 'murr  puellaris  animus  trepidabat,  egit 
tandem  opportune  importtene,  ut  hure  sitae  »/cutis  passio  patri  Carolo  reniret  in 
notitiam:  qui  quidem  moleste  tulit  Im  ins  modi  ml»»/  in  ckara  prole  exortum: 
sed  reritus  ne  res  in  pejus  procederet,  eonsiderans  etiam  domni  Angilberti  inge- 
nuam  a  proavis  nobilitatem,  detulit  filiae  suam  voluntatem  et  inito  consilio  cum 
primoribus  die  statuto  filiam  aceurate  ac  regdliter  exornatam  domno  Angilberto 
eonjugem  sociavit  eunetis  faventibus  qui  m/esse  poterant.  Sic  domnus  Angilbertus 
a  sacerdotii  sanetimonio  desciscens ,  regis  gener  effectus  est  et  er  tot»  sociatus 
copulae  nuptiali  duos  fölios  Nithardum  et  Hartnidum  proereavit.  Data  est  etiam 
Uli  maritimae  Franciae  magna  pars  in  ducatum,  ut  scilicet  regis  gener  honoris 
fastigio  nun  eareret. 

Diese  Vita  konnte  ja  wol  in  der  zweiten  hälfte  des  1*2.  Jahrhunderts,  jener  zeit 
intensivsten  geistigen  austausches  mit  Frankreich,  in  einem  kloster  des  westlichen 
Deutschland  bekannt  sein,  und  es  ist  doch  auffällig,  wie  sehr  genau  die  erzählung 
des  Lorscher  Chronisten  am  Schlüsse  mit  ihr  zusammentrifft  in  der  Überlegung  Karls, 
wie  er  die  unbequeme  sache  behandeln  solle,  iu  der  berat ung  mit  den  primores,  in 
der  anerkennung  des  Verhältnisses  durch  Verheiratung  der  liebenden,  endlich  der 
reichen  ausstattung  des  Schwiegersohns.  Nur  der  eingang  weicht  in  der  Lorscher 
sage  ab,  weil  dort  das  schneemotiv  eingeschoben  ist  und  zwar  genau  in  der  gestalt, 
wie  wir  es  bei  Wilhelm  von  Malmesbury  finden,  so  dass,  wer  die  erzählungen  Wil- 
helms und  Anschers  vereinigt  und  die  namen  Einhard  und  Emma  für  das  Liebespaar 
einsetzt,  ohne  weiteres  genau  die  erzählung  der  Lorscher  chronik  bekommt.  Aller- 
dings hat  Steindnrf.  Heinrich  III.,  bd.  1,  s.  517  fg.  sich  dagegen  ausgesprochen,  dass 
man  Wilhelm  von  Malmesbury  für  die  quelle  der  Lorscher  sage  halte.  Es  sprächen 
dagegen  „namentlich  die  abweichuugen  in  bezug  auf  die  personen:  die  verliebte  Prin- 
zessin, in  dem  einen  falle  die  Schwester,  in  dem  andern  die  tochter  eines  Kaisers;  ferner 
die  verschiedonartigkeit  des  ausgangs:  in  dem  einen  falle  dauernde  trennung  der 
liebenden,  in  dem  andern  eine  förmliche  hochzeit".  Diese  einwände  erledigen  sieh 
sehr  einfach  dadurch,  dass  in  der  Lorscher  ohronik  ci.cn  mit  der  erzählung  Wilhelms 
die  geschichte  Angilberts  verbunden  ist,  wie  Ansoher  sie  erzählt.  Plausibler  möchte 
vielleicht  ein  weiterer  einwand  Steindorfs  soheinen,  wenn  er  fortfährt:  ..  Auch  ist  doch 


410  i'ANZF.n 

nirhi  zu  unterschätzen,  dass  die  Lorsoher  erzählung  dei  bi  daubigten  geschiente  zienv- 
Liofa  nahe  steht,  während  Wilhelms  entsprechende,  aber  auf  Heinrich III,  bezogene 
erzählung  einer  solchen   grundlage  entbehrt11.     Diese  bemerkung  beruht   aber   doch, 

wenn  sio  schon  auf  don  eisten  blich  bestechen  mag,  auf  einer  kleinen  logisohen  Ver- 
wirrung. Was  die  Lorscher  erzählung  mit  Wilhelm  von  Malmesbury  wirklich  gemein 
hat,  das  ist  der  beglaubigten  gesohichte  Karls  genau  so  fremd  wie  der  geschichte 
Heinrichs  III.;  denn  identisch  ist  in  beiden  beriohten  eben  nur  das  schneemotiv.  Was 
dagegen  in  der  Lorscher  sage  der  authentischen  geschichte  Carls  und  si 
entspricht,  das  fohlt  bei  Wilhelm.  Es  kommt  positiv  dazu,  dass  der  Wortlaut  im 
Chron.  Lauresham.  mit  Wilhelm  doch  an  einigen  stellen  recht  auffallend  zusammen- 
trifft. Es  wird  ja  wol  durch  den  identischen  stoff  gegeben  sein,  dass  der  Lorscher 
autor  (MG.  SS  XXI.  358)  sagt:  ne  per  restigia  pedum  virilium  agnitus  proderetur, 
foras  exire  timuit  wie  Wilhelm  (MG.  SS  X.  467)  tum  clericus,  gut  st  deprekenden- 
dum  per  restigia  in  nive  timeret;  merkwürdiger  schon,  dass  hier  wie  dort  für  die 
iiblo  läge  des  liebhabers  der  ausdruck  angustiae  verwandt  wird.  Sehr  genau  stimmt 
zusammen,  wie  die  Überlegungen  des  kaisers  nach  der  entdeckung  beiderseits  ge- 
schildert werden,  da  Wilhelm  sagt:  Et  forte  tum  Imperator  minetum  surrexerat  et 
per  fenestram  coenaculi  despioiens  vidit  clericum  equitantem;  primo  quidem  /ix?/ 
hebetatus,  sed  re  diligentius  explorata  pudore  et  mdignatione  öbmutuit  und  recht 
ähnlich,  nur  mit  ausführlich keit  und  ernst,  die  Lorscher  chronik:  Eam  noctem  Im- 
perator divino  ut  ereditur  nutu  insomnem  duxit  diluctdoque  consurgens  eminus- 
que  de  aula  prospieiens  intuitus  est  fdiam  suam  sub  prefato  onere  nutanti  gressu 
rix  incedere.  Quibus  midto  intuitu  perspectis  Imperator  partim  admiratione,  par- 
tim dolore  permotus  non  tarnen  dbsqve  divina  dispositione  id  fteri  reputans,  sese 
continuit  et  visa  interim  silentio  subpressit.  Und  für  nicht  mehr  zufällig  kann  ich 
es  halten,  wenn  bei  Schilderung  der  Vereinigung  der  liebenden,  wo  gewiss  eine  fülle 
verschiedener  ausdrücke  zu  geböte  standen,  eine  so  auffallende  Übereinstimmung  be- 
gegnet wie  cum  .  .  .  cupitis  fruerentur  amplexibus  bei  Wilhelm  und  datis  amplexi- 
bus  cupito  satisfecit  atnori  in  unserer  chronik.  Ich  neige  daher  zu  der  auffassung, 
dass  die  sage  von  Eiuhard  und  Emma,  wie  die  Lorscher  chronik  sie  erzählt,  litte- 
rarische erfindung  ist,  entstanden  durch  ineinanderschieben  der  erzählung  Anschers 
von  Angilbert  und  Bertha  und  Wilhelms  von  Malmesbury  von  der  Schwester  Hein- 
richs III.  und  Übertragung  der  so  entstandenen  erzählung  auf  die  woltäter  von  Lorsch, 
Einbard  und  Emma.  Es  bestärkt  mich  hierin  noch  folgende  Überlegung.  Dass  der  mann 
das  weib,  der  liebende  die  geliebte  trägt,  ist  natürlich  und  poetisch,  vom  künstler 
in  wort  und  bildwerk  auch  oft  genug  dargestellt,  und  sehr  wol  kann  eine  dichtung 
sich  geradezu  auf  diesem  motive  aufbauen  wie  etwa  der  herrliche  Lai  des  deux 
amants  der  Marie  de  France.  Der  Vorstellung  aber,  dass  das  weib  den  mann  trägt, 
bleibt  etwas  untilgbar  komisches  anhaften  selbst  dort,  wo  die  handlung  auf  einem 
sittlichen  gründe  ruht  wie  etwa  in  der  Weinsberger  weibertreu  oder  in  unserer  sage. 
Soll  dies  motiv  einer  ernsthaften  poetischen  behandlung  zugänglich  werden,  so  muss 
es  mit  sehr  zartem  finger  angefasst  und  die  sittliche  idee  so  wie  in  de  Vignys  ge- 
dichte  La  neige,  wol  der  schönsten  behandlung  der  sage  von  Einhard  und  Emma, 
derart  in  den  Vordergrund  gerückt  werden,  dass  wir  darüber  das  lächerliche  der 
körperlichen  Situation,   also  die  sinnliche  ansebauung  gänzlich  vergessen1.    Wo  dies 

1)  Daher  es  an  sich  unmöglich  ist,  unsere  sage  dramatisch  ernsthaft  zu  be- 
handeln. Vgl.  die  scenischen  anweisungen  E.  T.  A.  Hoffmanns  zu  Fouques  drama 
(May  s.  104):   „Das  tragen  Eginbards  macht  eine  unangenehme  Schwierigkeit,   da  der 


i  BEB    MAY,    EGINHABD    UND    EMMA 


411 


motiv  in  einer  erfundenen  erzählung  angewandt  wird,  da  kann  von  hause  aus  nur 
eine  komische  Wirkung  beabsichtigt  sein.  In  der  anekdote  bei  Wilhelm  von  Malines- 
bury  ist  dieser  possenhafte  Charakter  durchaus  festgehalten1  und  sie  erweist  sich 
eben  dadurch  ursprünglicher  als  die  Lorscher  sage,  wo  das  motiv  ins  ernsthafte  de- 
placiert ist. 

"Was  aber  wol  den  Lorsch  er  mönch  bestimmt  haben  kann,  gerade  dies  ge- 
schichtchen von  Heinrichs  III.  Schwester  aufzunehmen V  Vielleicht  tat  er  es,  weil 
ihn,  was  Wilhelm  eingangs  von  dem  Verhältnis  der  gesehwister  erzählt  (sororem 
sanctimonialem  unice  diligebat,  ut  suo  eam  lateri  deesse  non  pateretur,  sed  semper 
t r Icli ii i um  eius  suo  coniungeret)  an  das  erinnerte,  was  Einhard  von  Karls  Verhältnis 
zu  seinen  töchtern  berichtet,  Vita  Caroli  c.  XIX:  fUiorum  ae  filiarum  tanteun  in 
educando  curam  habuit,  ut  numquam  domi  positus  sine  ipsis  caenaret,  numquam 
Her  sine  Ulis  faceret.  Denn  aus  Einhard  stammt  doch  auch  wol  die  angäbe  des 
Chronisten,  Emma  sei  regt  Oraecorum  desponsata  gewesen,  was  Einhard  von  Hruod- 
thrud  erzählt.  Die  Übertragung  stimmt  recht  wol  zu  dem  leichtsiun  und  der  Will- 
kür, womit  unser  autor  auch  sonst  die  Urkunden  und  geschichtswerke  entstellt  hat, 
die  er  benutzte;  vgl.  darüber  die  einleitung  von  Pertz  zu  seiner  ausgäbe  a.  a.  o. 
s.  337  fgg.2 

May  betrachtet  in  einem  zweiten  capitel  die  „bearbeitungen  der  vereinfachten 
sagengestalt".  Er  lehnt  mit  recht  die  meinung  derer  ab,  die  in  der  sage  von  Arnikas 
und  Amelius  und  der  erzählung  von  Nureddiu  Ali  und  Maria  der  gürtelmacherin 
Einhard  und  Emma  widerfinden  wollten.  Aber  ebenso  sicher  haben  die  von  May 
ausführlich  besprochenen  „Nachtigalldichtungen"  mit  dem  stoffe  nicht  das  mindeste 
zu  tun  und  das  gleiche  wird  schliesslich  wol  auch  von  den  spanischen  und  portugiesi- 
schen Gerineldoromanzen  gelten.  May  behandelt  es  zwar  als  eine  ausgemachte  sache, 
dass  diese  romanzen  auf  der  Lorscher  gestalt  der  sage  fussten  uud  das  schueemutiv, 
das  keine  von  ihnen  kennt,  nur  aufgegeben  hätten.  In  der  tat  aber  ist  dafür  nie  ein 
beweis  versucht  worden  oder  wenigstens  ist  der.  soviel  ich  sehe,  einzige  anlauf  dazu 
kaum  geglückt.  G.  Paris,  Hist.  poet.  de  Chartern.  215,  anm.  7  will  in  den  worten  der 
prinzessin  in  einer  dieser  romanzen  (Primavera  nr.  161  a):  No  te  asustes,  Gcrincldo, 
<iue  siempre  esta/re  contigo:  mdrehate  pur  los  ja/rdines  que  luego  <>l  punto  te  sigo 
„un  confus  souvenir  de  la  conduite  matinalo  faite  ä  Eginhard  par  la  princesse"  er- 
kennen; aber  mit  unrecht.     Denn   das   gehen   durch   die  gürten    wird   dem   geliebten 

lose  vornohme  pöbel  leicht  über  so  was  das  maul  verzieht.  Die  prinzessin  mag  den 
Hebung  huckepack  getragen  haben,  auf  dem  theatei  geht  es  nicht  wol.  Am  besten 
ist,  es  wol,  sie  umschlingt  ihn  mit  einem  arme  und  beb!  ihn  vorwärts,  SO  dass  sieh 
dio  gruppe  ungefähr  mach!  wie  die  bekannte  antike:  Amor  und  Psyche"  usw. 

1)  Der  kaiser  ist  mmetum  aufgestanden,  sieht  clericum  equitantem,  ermahnt 
ihn  später  heimlich,  als  or  ihn  zum  bischof  macht,   ne  ulterius  inequites  mulierem 
und  die  Schwester,  die  er  als  äbtissin  einsetzt:   nee  nitro  patiaris  clericum  equi- 
tantem,  wobei  etwa  auch  an  Aristoteles  gedachl  sein  mag,  wie  er  von  Phyllis 
ritten  wird. 

2)  Dass  die  erzählung  sehen  von  einem  Vorgänger  des  Verfassers  der  Lorscher 
chronik  erfunden  und  von  diesem  übernommen  sei,  wäre  an  sich  möglich,  wird  aber 
jeden,  der  das  oben  vorgetragene  plausibel  findet,  aus  mehreren  -runden  unwahr- 
scheinlich dünken.  Kaum  glaubhafter  erscheint  mir,  dass,  wie  sich  auch  denken  Hesse, 
volkstümliche  auffassung  etwa  langer  sehen  Eänhards  gattin  zur  tochter  Karls  gemach! 
hätte.  Einhard  ist  überhaupt  keine  Bgur,  die  die  volkssage  beschäftigen  kennte. 
bevor  dio  erfindungen  des   Loraoher  ehrenisten   ihr  eine  so  anziehende  anek 

dichtet  hatten. 


412  I..    w.l.'i  i  RB.    ZI  M    IWhIN3 

bder  doch  deutlich  nur  deshalb  anbefohlen,  damil  er  nachher  dorn  könig,  als  er  dem 
Lauernden  begegnet,  auf  die  frage,  woher  er  komme,  mit  einem  anmutigen  bilde  wahr« 
heitsgemäss  antworten  könne:  Pasaba  estos  jardines  para  ver  si  han  floreetdo,  yvi 
que  Htm  fresea  rosa  el  calur  ha  drslitcidu.  Im  übrigen  enthalten  diese  romanzen 
ausser  dorn  verbreiteten  grundmotiv  —  liebe  des  pagen  und  der  Lcönigstochter  vom 
vator  entdeckt  —  nichts  von  den  charakteristischen  eigentümlichkeiten  dei  I. 
version;  Otto,  La  tradition  d'Eginhard  et  Emma  dans  la  poesie  romancesca  de  La 
peninsule  hispanique  b.  IHfgg.  hat  bei  Beiner  confrontierung  der  beiden  über! 
eigentlich  nur  feststellen  können,  dass  sie  im  einzelnen  punkt  für  punkt  abweichen. 
Auch  die  namen  stimmen  nicht.  Der  könig  bleibt  in  den  romanzen  stets  unbenannt, 
von  einer  erinnerung  an  Karl  keine  spur;  die  königstochter  heisst,  wo  sie  überhaupt 
benannt  wird,  Enilda,  der  liebhabor  in  einer  einzigen  portugiesischen  Variante  Eginaldo, 
einmal  Beginaldo  und  sonst  stets  Qerineldo  o.  ä. ;  ob  diese  form  aber  so  zuversicht- 
lich1 auf  Eginaldo  als  das  ursprüngliche  zurückgeführt' werden  kann,  weiss  ich  nicht. 
In  den  folgenden  abschnitten,  dem  hauptteile  seines  buches,  behandelt  May 
die  neueren  litterarischen  bearbeitungen  des  Stoffes.  Seine  ausführungen  sind  hier 
sorgfältiger  und  gründlicher;  freilich  vermisst  man  auch  hier  noch  manches.  Unter 
der  grossen  zahl  von  Einharddichtungen,  die  er  aus  woltätiger  Vergessenheit  un- 
barmherzig ans  licht  zieht,  befinden  sich  äusserst  wenige,  die  einen  ästhetischen 
wort  behaupten.  Soll  einer  derartigen  Sammlung  litterarischer  abfülle  einige  beleh- 
rung  abgewonnen  werden,  so  kann  dies  wol  nicht  durch  blosse  Inhaltsangaben  und 
einige  bemerkungen  über  die  jeweilige  Charakterisierung  der  personen  geschehen, 
worauf  May  sich  eingeschränkt  hat.  Da  von  einer  künstlerischen  individualität  der 
bearbeiter  meist  keine  rede  ist,  müsste  gezeigt  werden,  wie  der  stoff  sich  von  Jahr- 
hundert zu  Jahrhundert  nach  den  jeweils  herrschenden  zeitströmungen  von  selbst  in 
form  und  tendenz  umgestaltet.  Dass  in  Mays  Zusammenstellungen  auch  die  tugend 
der  Vollständigkeit  nicht  ganz  erreicht  ist,  ist  schon  von  anderen  recensenten  ange- 
merkt. Zu  ihren  nachtragen  sei  noch  verwiesen  auf  G.  G.  Bredow,  der  seinem  buch 
über  Karl  den  grossen,  Altona  1814  auch  eine  „dramatische  dichtung  zur  feier  des 
28.  Januars  1814"  eingefügt  hat.  Sie  besteht  im  wesentlichen  darin,  dass  die  per- 
sonen an  Karls  Sterbelager  wechselweise  versificierte  capitel  aus  Einhard  und  dem 
Mönch  von  St.  Gallen  aufsagen,  doch  ist  auch  die  sage  von  Einhard  und  Emma  hinein 
verflochten. 

1)  Otto  a.  a.  o.   s.  21  a.  60  'D'Eginardo  on  fit  Reginardo,   d'oü  par  metathese 
Gerinardo '. 

FREIBURG    I.  BR.  FRIEDRICH    PANZER. 


0.  F.  Benecke,  Wörterbuch  zu  Hartmanns  Iwein.    Dritte  ausgäbe  besorgt  von 

C.  Borchling.     Leipzig,   Dieterichsche   Verlagsbuchhandlung,   Theodor  Weicher. 

1901.    IX,  313  s.    10  m. 

Das  schöne  mass,   die  ruhige  klarheit  seines  stils  haben  Hartmann  von  Aue 

zum  klassiker  der  schule  gemacht..     Insonderheit   hat  sein  Iwein  nun  schon  gene- 

rationen  von  germanisten  als  turnapparat  für  die  ersten  Übungen  im  mittelhochdeutschen 

gedient.    Nicht  zum  wenigsten  haben  hiezu  die  trefflichen  hilfsmittel  beigetragen,  die 

gerade  für  sein  Studium  zur  Verfügung  stehen,   die  Lachmann  -  Beneckesche  ausgäbe 

mit  ihren  an  belehrung   unerschöpflichen    anmerkungen    und  Beneckes  Wörterbuch. 


BERGER  öbeb  tiiiei.k,  lüthebs  sprichwöbtehsammlung  413 

Dies  erscheint  hier  in  einer  dritten  ausgäbe,  die  dank  den  bemühungen  ihres  heraus- 
gebers  eine  wesentlich  verbesserte  zu  nennen  ist. 

Gründlicher  als  in  der  zweiten  von  Vulken  besorgten  aufläge  geschehen  war, 
sind  hier  die  verweise  auf  die  zweite  recension  von  Lacbmanns  text  eingestellt,  die 
von  der  ersten,  an  die  das  Wörterbuch  ursprünglich  anknüpfte,  nicht  unwesentlich 
sich  unterscheidet.  Vor  allem  aber  hat  Borchling  den  benützern  des  buches  dadurch 
den  grössten  dienst  erwiesen,  dass  er  die  entsetzlich  unbequeme  citiermethode  nach 
Seitenzahlen  beseitigt  und  für  jeden  beleg  die  versziffer  gegeben  hat.  Auch  die  in 
letzter  zeit  wider  so  lebhaft  in  fluss  gekommene  Hartmannforschung  ist  sorgfältig 
ausgenützt  und  an  den  entsprechenden  stellen  überall  auf  die  einschlägigen  arbeiten 
von  Kraus,  Vos,  Zwierzina  usw.  verwiesen  worden.  Vielleicht  hätte  hier  noch  etwa- 
mehr geschehen  können.  Der  anfänger,  für  den  das  buch  doch  auch  bestimmt  ist, 
hat  nicht  zeit  und  oft  nicht  gelegenheit,  die  citierten  abhandlungen  einzusehen;  ihm 
wäre  mehr  gedient,  wenn  statt  des  blossen  Verweises  mit  zwei  worten  gesagt  würde, 
was  denn  an  dem  betreffenden  orte  festgestellt  ist. 

Wichtiger  noch  wäre  freilich  ein  anderes  gewesen.  Beneckes  allgemeinere  be- 
merkungen  sind  in  vielen  punkten  überholt,  die  gegebene  bedeutungsentwicklung  lässt 
bei  zahlreichen  artikeln  zu  wünschen  übrig.  Für  den  altmeister  ist  das  kein  Vorwurf; 
es  wäre  ein  trauriges  zeugnis  für  unsere  Wissenschaft,  wenn  sie  an  einem  solchen 
buche  nach  siebzig  jähren  nichts  zu  berichtigen  fände.  Hier  hätte  die  tätigkeit  des 
herausgebers  wol  etwas  kräftiger  einsetzen  dürfen.  Die  halbe  seite  z.  b.,  auf  der  über 
die  partikel  ge-  gehandelt  wird,  ist  für  den  wissenden  unbrauchbar,  für  den  anfänger 
aber  direct  schädlich,  weil  sie  ihm  vorenthält,  dass  neuere  forschung  die  bedeutuug 
der  partikel  längst  genauer  und  richtiger  erkannt  hat  und  so  an  vielen  orten.  Auch 
manches  überholte  in  der  terminologie,  mhie  abgestumpftes  hiar*  u.dgl.  dinge  hätten 
verschwinden  dürfen,  ebenso  wie  die  unpraktische  zerteilung  der  Wörter  mit  an- 
lautendem k-  unter  c  und  k  besser  beseitigt  wäre. 

Vielleicht  bietet  eine  künftige  aufläge  gelegenheit,  hier  eine  durchgreifende 
revision  eintreten  zu  lassen.  Für  die  vorliegende  aber  wollen  wir  dem  herausgeber 
für  seine  sehr  mühevolle  arbeit  aufrichtig  dankbar  sein. 

FREIBURG    I.  BR.  FRIEDRICH    PANZER. 


Luthers  sprich würtersaminlung.  Nach  seiner  handschrift  zum  ersten  male 
herausgegeben  und  mit  anmerkungen  versehen  von  Enisl  Thiele,  predige]  in 
Magdeburg.    Weimar,  Herrn.  Böhlaus  nachf.  1900.     XXII,  448  s.    10  m. 

Als  die  frucht  eines  neunjährigen  tleisses  liegt  liier  ein  buch  vor,  das  fortan 
in  der  Lutherlittoratur  einen  bevorzugten  platz  einnehmen  and  die  sprach-  wie  die 
kulturgeschichtliche  erforschung  des  16.  Jahrhunderts  vielfaltig  befruchten  dürfte.  Die 
kenntnis  der  wertvollen  Sprichwörterhandschrift  Luthers,  ehemals  als  kostbares  erb- 
stück  in  der  familie  Lingke  behütet,  dann  1862  in  den  handel  übergegangen  und  ver- 
schollen, verdanken  wir  dem  verblichenen  altmeister  der  Latherforschung  Julius  kustlin. 
dessen  unermüdlichen  bemühungen  es  1889  endlich  gelungen  war,  ihren  verbleib  zu 
ermitteln,  sie  war  in  den  besitz  der  Bodleiana  übergegangen,  die  eine  Photographie 
der  hs.  der  kgl.  bibliothek  zu  Berlin  überliess.  Da  diese  sich  ebenso  anzulänglich 
erwies   wie   eine   ältere,    dem   ohemiker   Jacobsoi  absohrift,    s.>  war   eine 

genaue  vergleiohung  des  Originals  geboten,  die    1891    in  Oxford  von  Eduard  Sievers 
vorgenommen  wurde.    Aul'  grund  der  Sieversschen  abschrift  konnte  aunmehr  dei  text 


414  BEB 

authentisoh  hergestellt  werden,  and  Köstlin  betraute  mit  der  bearbeitung  dos  wichtigen 
ineditums  einen  jüngeren  fachgenossen,  dernichi  cur  durch  Beine  ausgäbe  dei  Luther- 
schen  fabelhandscbrift  und  durch  Beine  mitwirkung  an  der  Weimarer  Lutherau 
sondern  auch  als  landsmann  Luthers  und  ehemaliger  zögling  der  Wittenberger  Volks- 
schule für  solche  leistung  ausgezeichnet   vorbereitet  war.     D  ästigen  arl 
bedingungen   Indien   wir  nun  ein   buch  von   vorbildlichem  wer!   zu  danken,  au 
germanisten,  historikez  und  theologen  reiche  Belehrung  Bchöpfen  werden. 

Der  sorgfältige  abdruck  der  bs.  gib!  die  Urschrift  treu  wider  bis  auf  drei  punkte: 
das  lange  /"  hat  Thiele  durch  s  widergegeben,  zwischen  den  beiden  r-typen  hat  er 
nicht  geschieden,  und  die  durchzählung  der  Sprichwörter  bat  er  selbständig 
Nach  einsieht  der  Sieversschen  abschritt  und  der  gleichfalls  in  Berlin  befindlichen 
photographischen  nachbildung  (Cod  siinul.  3)  habe  ich  nur  geringfügiges  zu  erinnern 
gefunden,  was  ich  hier  anmerken  will.  S.  6,  z. !)  lies  Grosse;  zu  9,14  ist  in  den 
lesarten  nachzutragen:  nach  redlin  angefangenes  th  dun  heu;  9,24  fehlt  der 

{«-haken  über  maul,  dergleichen  1T>,  18.  30  über  bauch  und  zürnet;  s.  18  gehört 
randschrift  patiatur  nicht,  zu  z.  5,  sondern  zu  z.  6;  18,  18  lies  geht  st.  gehet;  s.  19 
gehurt  die  randschrift  nicht  zu  z.  18/19,  sondern  zu  16/17;  21,21  lies  rechter  st. 
rechten;  22, 1  lies  ivil  st.  will;  22, 18  lies  Oedult  st.  Geduld;  23,  1  fehlt  aber  dem 
a  in  muhe  das  diakritische  zeichen;  23,25  lies  fpiu  web  st.  spinnweb;  24,14  lies 
noch  st.  nach;  24,22  lies  Dcy  (Deus)  st.  dey.  —  In  dein  citat  s.  12,  z.  3  v.  u.  ist  statt 
11,  1  zu  lesen  13,  1;  zu  14,  17  in  den  lesarten  ist  die  falsche  auflösung  darf  zu 
streichen;  ebenda  z.  3  v.u.  ist  statt  Seite  18  und  19  zu  lesen  Seite  17  und  18.  An 
druckfehlern,  die  auch  s.  423fgg.  nicht  berichtigt  sind,  sind  mir  noch  folgende  be- 
gegnet: 8.  XIII,  z.  1  lies  Melanthons  st.  Melanchthons ;  s.  XX,  z.  G  Schleusner  st. 
Schleusener,  z.  7  Ketxseker  st.  Ketscher  (ebenso  s.  74);  s.  78,  z.  5  v.u.  lies  %ucy  st. 
ywey;  s.  123,  z.  8  v.u.  lies  Scherer  st.  Sehreber;  s.  227,  z.  1  v.  u.  lies  Hauspost.  st. 
Huspost.;  s.  250,  z.  8  lies  15  st.  14;  s.  256,  z.  7  v.  u.  lies  gehen  st.  geben;  s.  257,  z.  5 
lies  Hildebrand  st.  Hildebrandt;  s.  308,  z.  6  v.  u.  lies  gerne  st.  gerne. 

Luthers  Sammlung  ist,  wie  die  Verschiedenheit  der  schriftzüge  lehrt,  nicht  nur 
iu  getrennten  Zeiträumen  entstanden,  sondern  von  ihm  auch  mehrfach  überlesen  und 
mit  nachtragen,  eiuschüben  und  raudglossen  versehen.  Der  erste  absatz  umfasst  s.  1 — 4 
mitte  (nach  Thieles  Zählung  nr.  1 — 39),  darin  sind  später  nachgetragen:  nr.  5,  die 
randschrift  zu  nr.  6  —  8,  nr.  7,  8b,  die  randschrift  zu  nr.  19  und  das  /cjy  (=  scilicet) 
zu  nr.  31.  Der  zweite  absatz  besteht  aus  dem  rest  von  s.  4  (Thiele  nr.  40 — 45),  darin 
ist  später  ergänzt  die  lateinische  glosse  zu  nr.  43,  das  wort  körn  in  nr.  45  und  die 
randschriften  zu  nr.  41— 44.  Der  dritte  absatz  reicht  von  s.  5  —  8  mitte  (Thiele 
nr.  46  —  92),  darin  sind  später  zugefügt  die  randschriften  zu  nr.  73—75  und  die 
lateinische  glosse  zu  nr.  92.  Der  vierte  absatz  beginnt  s.  8  mitte  und  erstreckt  sich 
bis  s.  10  (Thiele  nr.  93 — 128);  darin  sind  nachträglich  eingeschoben  nr.  111.  120  und 
die  randschrift  zu  nr.  125.  Der  fünfte  absatz  umfasst  s.  11 — 13  (Thiele  nr.  129 — 169), 
hier  ist  später  eingefügt  nr.  134  und  die  correctur  zu  nr.  156.  Der  sechste  absatz 
reicht  von  s.  14  — 16  (Thiele  nr.  170  —  211),  darin  sind  spätere  zusätze  nr.  177a  und 
nr.  180.  Der  siebente  absatz  umfasst  s.  17.  18  (Thiele  nr.  212  —  240),  der  achte 
s.  19  —  23  mitte  (Thiele  nr.  241 — 312),  darin  ist  später  nachgetragen  der  schluss  von 
s.  20  (Thiele  nr.  267—  274).  Der  neunte  absatz  reicht  von  s.  23  mitte  bis  s.  26  (Thiele 
nr.  313  —  380),  der  zehnte  umfasst  s.  27  —  29  (Thiele  nr.  381—431),  der  elfte  s.  30  —  34 
(Thiele  nr.  432  —  489).  Dass  mancherlei  sprichwörtliche  redensarten  von  Luther  doppelt 
verzeichnet  sind,  beweist  gleichfalls  eine  über  grössere  Zeiträume  sich   erstreckende 


ÜBER   THIELE,    LUTHERS    SPRKHWÜRTERSAMMLTJNG  415 

fortfiihruDg  der  Sammlung:  nr.  33  =  nr.  243 ;  nr.  86.  87  =  nr.  469.  470;  nr.  276  = 
nr.  477;  nr.  301  =  nr.  475.  An  drei  stellen  hat  Luther  solche  widerholungen  selbst 
bemerkt  und  berichtigt:  nr.  26  und  29  sind  nach  nr.  203  nochmals  gebucht  und  dann 
wider  getilgt;  nr.  80  ebenso  nach  nr.  396;  nr.  432  war  schon  als  nr.  428  ähnlich  da 
und  wurde  dort  wider  gestrichen. 

Über  die  entstehungszeit  der  hs.  hat  Thiele  in  der  einleitung  s.  XIV f gg.  sehr 
überzeugende  erwägungen  angestellt,  die  Edw.  Schroeder  (A.  f.  d.  a.  27, 102 fg.)  durch 
wichtige  hinweise  auf  das  Verhältnis  der  Lutherschen  Sammlung  zu  der  seines  lands- 
niannes  Agricola  ergänzen  konnte.  Demnach  ist  es  wol  zweifellos,  dass  Luthers 
Sammlung  nicht  vor  1530  begonnen  wurde  und  mindestens  1535  ihn  noch  beschäftigte, 
was  aus  dem  (von  Thiele  wol  mit  unrecht  bei  seite  geschobenen)  brief  an  "Wenzel  Linck 
vom  20.  märz  d.  j.  geschlossen  werden  darf.  Wie  von  Thiele  die  vorrede  Luthers  zu 
seinen  fabeln  mit  der  entstehung  der  Sprichwörtersammlung  in  beziehung  gebracht 
wird,  das  darf  gewiss  auf  allgemeine  Zustimmung  rechneu.  Seine  weitere  annähme 
aber,  Luther  habe  diese  Sammlung  lediglich  angelegt,  um  sie  bei  der  fortsetzuug 
seiner  fabelbearbeitungen  zu  verwerten,  ist  zu  schwach  begründet,  um  sich  halten  zu 
lassen.  Vielmehr  hat  Luther  allem  anschein  nach  den  versuch  gemacht,  die  Sammlung 
Agricolas  zunächst  für  seine  person  aus  eigener  kenntnis  des  sprichwörterschatzes  zu 
mehren.  Dass  er  sich  trotzdem  mehrfach  mit  jener  berührte,  erklärt  sich  leicht  aus 
undeutlicher  erinnerung  an  das  dort  gelesene.  Im  gegensatz  zu  Agricolaschen  deutungeu 
befindet  er  sich  unverkennbar  bei  nr.  41,  wahrscheinlich  auch  bei  nr.  74;  aber  auch 
sonst  ist  er  bemüht,  landläufigen  deutungen  eine  edlere  wendung  zu  geben,  so  bei 
in.  12  — 44.  73.  75.  80.  125,  wie  er  anderseits  auch  sein  besonderes  wolgefallen  an 
dem  weisheitsgehalt  einzelner  Sprüche  zu  erkennen  gibt,  z.  b.  bei  nr.  215.  311.  325. 
Daneben  war  sein  augenmerk  besonders  auf  solche  redewendungen  gerichtet,  die  ihm 
teils  durch  ihre  neuheit,  teils  durch  ihre  dunkelheit  oder  mehrdeutigkeit  vor  andern 
beachtenswert  oder  erklärungsbedürftig  schienen,  denn  nur  aus  diesem  gesichtspuukt 
wird  sich  die  zunächst  befremdende  tatsache  verstehen  lassen,  dass  eine  fülle  sprich- 
wörtlicher ausdrucksweisen,  mit  denen  Luther  in  seinen  schritten  zu  arbeiten  liebte, 
in  diese  Sammlung  nicht  aufgenommen  sind.  Luthers  hs.  war  also  von  anfang  an 
nicht  auf  eine  Inventarisierung  seines  sprichwörtervorrats  angelegt,  sondern  auf  eine 
auswahl  nach  bestimmten  zwecken,  in  der  allzu  geläufiges  wol  nur  dann  eingang  fand, 
wenn  es  zur  abrundung  einer  gruppe  dienen  sollte,  d.  h.  als  ein  erhellender  beleg 
unter  verschiedenen  weniger  klaren  ausdrucksformen  eines  und  desselben  gedankens. 
Denn  dieses  bestreben  ist  für  Luthers  Sammlung  namentlich  —  wenn  auch  nicht  ihrer 
ganzen  ausdehuung  nach  gleichmässig  —  kennzeichnend:  erklärung  seltener  oder  dunkler 
Sprichwörter  durch  Zusammenstellung  mit  bekannten  und  durchsichtigen.  Aul  diese 
weise  ist  seine  Sammlung  zugleich  ein  kommentar  geworden  ohne  die  äusseren  merk- 
male  eines  solchen:  in  der  gruppierung  nach  der  sinnesverwandtsohaff  ist  der  kom- 
mentar bereits  enthalten,  und  die  ergibigkeit  der  Volkssprache  in  der  ausprägung 
synonymer  Wendungen  konute  so  gleichzeitig  lehrreich  zu  tage  treten.  Auch  aus 
diesem  buche  lässt  sich  also  wider  lernen,  dass  Luthers  philologische  begabung  nicht 
gering  geachtet  werden  darf.  Wiefern  diese  hier  im  einzelnen  sichtbar  wird,  wäre 
wol  einer  eingehenderen  darstelluug  wert,  wie  denn  überhaupt  zu  erhoffen  ist,  dass 
durch  Thieles  schöne  gabo  mancherlei  Untersuchungen  fördernden  an>tesS  empfangen 
weiden. 

Zu  selchen  hat  der  Verfasser  selbst,  vielfach  gestützt  auf  den  rat  eines  der 
bewährtesten    Lutherkeuner,    des    leiteis    der    Weimarer    ausgäbe    Paul    Pietsoh,    den 


416  BF.no  kk 

trefflichsten  grund  gelogt.  Auf  rund  400  seiton  hat  er  das  füUhorn  seiner  belesen- 
heit  ausgeschüttei  und  vor  allem  aus  den  Schriften  Luthers,  bisweilen  auch  aus 
sonstiger  litteratur  des  16.  Jahrhunderts,  parallelen  und  analogieen  zusammengeta 
um  don  ursprünglichen  sinn  der  einzelnen  Sprichwörter,  den  anschauungskreis,  in  den 
sie  hinein  gehören,  und  die  Varianten,  in  denen  sie  Dachweisbar  sind,  deutlich  zu 
machen,  allerdings  wird  man  den  wünsch  nicht  unterdrücken  können,  die  gesamte 
sprichwörterlitteratur  der  zeit  möchte  systematisch  ausgenutzt  und  für  jede  nummer 
verglichen  und  auch  die  zeitgenössischen  Bchriftsteller  möchten  in  weit  grösserem 
um  Hinge  ausgebeutet  worden  sein;  aber  das  wird  jetzt  auch  von  andern  hesorgt 
werden  können,  und  wer  durch  eigene  Studien  in  der  läge  ist,  abzuschätzen,  was  es 
kostet,  schon  in  der  masse  der  Luthersehen  Schriften  so  zu  hause  zu  sein  wie  Thiele, 
der  wird  gegenüber  der  gewaltigen  summe  des  hier  geleisteten  zu  viel  hochachtung 
empfinden,  um  an  den  Verfasser  noch  darüber  hinaus  ansprüche  zu  stellen,  die  für 
die  kraft  eines  einzelnen  kaum  ganz  erfüllbar  sind.  Denn  dass  selbst,  innerhalb 
von  Thiele  gezogenen  grenzen  für  nachlesen  noch  reichlich  räum  bleibt,  das  leinen 
die  berichtigungen  und  ergiinzungen  von  Bossert  (Theol.  litteraturzeitung  1901,  nr.  8), 
Strauch  (Deutsche  litteraturztg.  1901,  nr.  19),  Kolde  (Gott.  gel.  anz.  1901,  8G4  t 
Reuschel  (Euphorion  8,  161  fgg.),  Köhler  (Theol.  stud.  und  kritiken  1902,  s.  158fgg.). 
Einiges,  das  mir  gerade  zur  band  liegt,  will  auch  ich  nicht  zurückhalten. 

Zu  s.  30  (nr.  3)  vgl.  Albert  Richter,  Deutsche  redensarten  -  (1893),  s.  9 fgg.  und 
Murners  Badenfahrt.  —  Zu  s.  33  (nr.  7)  vgl.  Hildebrand  im  Deutschen  wb.  anter 
'gelehrt'  und  Beiträge  zum  deutschen  Unterricht  (1897),  s.  320.  —  Zu  s.  50:  nr.  29 
steht  auch  Weim.  ausg.  19,  653,  10.  —  Zu  s.  78  (nr.  52)  findet  sich  in  Seb.  Francks 
Sammlung  die  Variante  Hans  ist  mich  boese.  —  Zu  s.  91  (nr.  71)  vgl.  eine  stelle  in 
Walchs  Lutherausg.  IX,  2635  'sie  haben  nicht  den  schnupfen,  sie  wissen  wol,  wo 
es  koth  will  regnen'.  —  Zu  s.  105 fg.  (nr.  86.  87):  der  sinn  beider  redewendungen  ist 
nicht  der  gleiche;  'kein  blatt  fürs  maul  nehmen'  bedeutet:  ohne  scheu  seine  meinung 
sagen,  'kein  spinnweb  für  dem  maul  wachsen  lassen'  bedeutet:  unaufhörlich  schwatzen. 
Ich  verweise  weiterhin  auf  Erl.  12, 170:  'kein  blatt  vor  das  maul  nehmen  und  keine  decke 
davor  ziehen  lassen'.  —  Zu  s.  99  (nr.  79):  von  der  schwärze  des  teufeis  redet  auch 
Weim.  ausg.  19,  355,  18.  —  Zu  s.  113  (nr.  95)  vgl.  Erl.  14, 136:  'denn  sie  stinket  nach 
Adams  fass'.  —  Zu  s.  130  fg.  (nr.  117,  vgl.  nr.  128.  364)  hätte  sich  eine  Zusammen- 
stellung geben  lassen  von  den  mannigfachen  Umschreibungen  für  überflüssige  oder 
unmögliche  dinge,  die  bei  Luther  begegnen,  z.  b.  Erl.  4,  318:  'das  heisst  die  hühner 
lehren  eier  legen  und  die  kühe  lehren  kalben  und  unsern  herrn  gott  lehren  predigen 
und  reden'  oder  Erl.  13,  188  (vgl.  20,66):  'Was  ist  es  anders  gesagt  denn  wenn  ich 
stroh  und  feuer  zusammen  lege  und  verbiete,  es  soll  nicht  brennen?';  ferner  Erl.  7,  108: 
'als  wenn  ich  das  wasser  bereden  wollte,  es  sollte  brennen';  Opp.  varii  arg.  VII,  118: 
'simili  enim  opera  littus  araris  et  arenae  semiua  mandaris  aiit  dolium  pertusum  aqua 
repleveris'  (dazu  Erl.  31,  383:  'Als  wenn  ich  wollt  ins  wasser  pflügen  uud  körn  säen 
oder  in  der  luft  fische  fahen  oder  wenn  ein  weib  von  einem  stein  und  ein  mann  von 
einem  bäum  wollt  kinder  zeugen');  Weim.  ausg.  II,  648:  'ignem  extinguere  ubi  nullus 
ardet';  Opp.  varii  arg.  7,  311 :  'aridis  stipulis  adversus  flammas  pugnare';  Erl.  29,  285: 
'das  hiesse  wahrlich  lieben  und  nicht  gemessen,  das  hiesse  vom  geruch  satt  werden 
und  vom  sehen  ins  glas  trunken  werden';  Erl.  30,258:  'über  tische  von  eisern  vögeln 
sagen,  so  über  den  see  fliegen,  oder  von  schwarzem  schuee,  der  im  sommer  fällt'; 
eine  ganze  reihe  solcher  Wendungen  wird  gehäuft  Erl.  7,336:  'auf  sand  bauen,  einen 
rock  aus  Spinnewebe  machen,  sand  für  mehl  nehmen  zum  brodbacken,  wind  säen 


ÜBER   THIELE,   LUTHERS    SPRICHWÖRTERSAMMLUNG  417 

und  wirbel  sammeln,  luft  mit  löffeln  ausmessen,  licht  mit  molden  in  den  keller  tragen, 
flammen  auf  einer  wagen  wiegen';  Luthers  wendung  'ad  calendas  Graecas'  (Opp.  varii 
arg.  7,  195)  gibt  Justus  Jonas  wider:    'wenn  auf  dem  eise  rosen  wachsen'   (Walch 

18,  2189).  —  Zu  s.  134  (nr.  123)  vgl.  Weim.  ausg.  19,  416,  13.  580,  24.  —  Zu  s.  154%. 
(nr.  139)  vgl.  Weim.  ausg.  6,  316,  10.  —  Zu  s.  140  (nr.  131)  vgl.  Ch.  Schweitzer  in  den 
Hans  Sachs -forschungen  (Nürnberg  1894)  s.  372,  der  aber  den  sinn  wol  zu  eng  fasst: 
die  eheliche  treue  brechen.  —  Zu  s.  167  (nr.  157)  vgl.  Weim.  ausg.  25,30,  11.  —  Zu 
s.  169  (nr.  158.  159)  vgl.  Weim.  ausg.  6,583:  'dasz  du  in  der  heyligen  schrifft  eben 
szoviel  kanst  als  der  esel  au  ff  der  lyren'  und  Opp.  exeg.  lat.  20,86:  'Altius  incipis 
Carmen  asinorum  more,  ergo  male  desiuis'.  —  Zu  s.  185:  'Hie  ist  niemand  daheime' 
(Erl.  30,  159)  vgl.  Weim.  ausg.  25,  63,  34 fg.:  'nemo  domi  est'.  —  S.  188  (nr.  185)  handelt 
es  sich  in  dem  wort  ramen  nicht  um  langes,  sondern  um  kurzes  «;  über  die  bedeutung 
belehrt  Mhd.  wb.  II ,  551;  Lexerll,  335  fg.  —  S.  202  (nr.  201)  ist  das  fragezeichen 
hinter  brieffe  zu  tilgen,  es  soll  heissen:  das  ist  wolverbrieft.  —  Zu  s.  210  (nr.  206) 
vgl.  Erl.  16,  114:  'aber  das  ist  eine  taufe,  da  der  teufel  den  hintern  dran  wischet'.  — 
Zu  s.  223  (nr.  220)  vgl.  Weim.  ausg.  15,  296,  21:  'Thu  wie  ander  leute,  so  narrestu 
nicht'.  —  Zu  s.  255  (nr.  223.  224)  vgl.  Erl.  5, 168:  'vor  freuden  auf  dem  köpf  gehen"; 
Erl.  10,  273:  'das  hiesse  eben  auf  den  ohren  gangen,  die  füsse  schieiern  und  den 
köpf  stiefeln  und  alle  dinge  verkehren'.  —  Zu  s.  232  (nr.  236)  vgl.  AVeim.  ausg. 
16,  616,  8.  —  Zu  s.  239  (nr.  250)  vgl.  Weim.  ausg.  15,  418,  29.  —  Zu  s.  246  am  schluss 
von  nr.  259  ist  anzufügen:  Weim.  ausg.  19,  546,20.  —  Zu  s.  265  (nr.  283)  vgl.  Erl. 
12,  346:  'Das  wird  aber  dem  papst  sauer  in  die  nase  gehen'.  —  Zu  s.  287 fg.  (nr.  313): 
in  der  redunsart  'ein  püocklin  dafür  stecken'  sind  verschiedene  anscbauungen  zu- 
sammengeflossen: der  pflock  an  der  armbrust,  der  riegel  an  der  tür,  der  pflock  im 
zäum  und  der  grenz-  oder  zielpflock,  wie  aus  folgenden  stellen  hervorgeht.  Erl. 
50,406:  'dadurch  wir  unsern  sünden  ein  gebiss  ins  maul  legen'  (hierdurch  wird  die 
redensart  'ein  ptlocklin  für  die  zunge  stecken'  de  Wette  V,  54;  Erl.  14,29  deutlich 
und  die  von  Thiele  angeführten  stellen  Erl.  25,  92.  32,29);  ferner  Erl.  13,  290:  'aber 
es  ist  hier  ein  pflöcklein  vorgesteckt  und  der  weg  verlegt',  Erl.  8,  501:  'es  ist  hier- 
mit allen  denen ein  ziel  gestellet  und  das  pflöcklcm  gestekket,  wie  fern  sie  in 

denselben    gehen    sollen,    dass    sie    das    maass    nicht    überschreiten',    Weim.   ausg. 

19,  278,  29:  'Aber  ich  stackt  im  ein  plock  darlür'.  —  Zu  s.  297  (nr.  324)  vgl.  Weim. 
ausg.  15,  736,  33.  —  Zu  s.  303  oben  vgl.  Weim.  ausg.  25,  59,  21.  -  Zu  3.  321  (nr.  352) 
vgl.  Erl.  12,  274:  'So  setzen  sie  die  hörner  auf,  bieten  ihnen  trotz  dazu  und  werden 
härter  denn  ein  ambos  und  diamant.  —  Zu  s.  328  (nr.  357)  vgl.  Weim.  ausg.  25,  3  1.  28.  — 
Zu  s.  351  (nr.  386)  vgl.  Nikolaus  Paulus,  Juli.  Tetzel  (Main/.  1899),  s.  16.  166.  —  Zu 
s.  359  'ein  strohern  hart  flechten'  vgl.  Weim.  ausg.  L6,  '>:;  .  9 

Das  buch,  dessen  wissenschaftliche  ausnutznng  durch  ein  19  Seiten  starkes, 
zuverlässig  gearbeitetes  Wörterverzeichnis  sehr  erleichtert  ist,  ist  mit  einer  so  n<>i- 
nehmen  gowandung  und   solcher  gediegen lieii  amaoke     ausgestattet,    wie   wir 

es  bei  wissenschaftlichen  Veröffentlichungen  bisher  nicht  gewohnt  waren.  Es  wäre 
höchst  erfreulich,  wenn  die  herren  Verleger  durch  ihr  verdienstliob.es  beispiel  bei 
vielen  ihrer  kollegcn  /■inen  ähnlichen  ch:-.'i/.  zu  erwecken  vermöchten,  In  diesem 
falle  geschieht  freilich  mit  der  prachi  des   druokes  dem  willkürlich  zu  ohten 

Lutherdeutsch  der  braven  Erlanger  ausgäbe  zu  viel  ein,-,  aber  wenn  der  verf.  auch 

neben  ihr  den  authentischen  te\t  der  Weimarer  ausgal Her  hätte    u  worl  kommen 

lassen  sollen,  ganz  wäre  dieser  mangel  heute  doch  QOOb  nicht  zu  vermeiden  gewesen, 
denn  die  grössere   haltte  der  Weimarer  ausgäbe  sieht   noch  aus.     Bis  sie  vollendet 

ZKITSCURIt'T    F.    DKUTSCHE   PHILOLOOI10.       BD.   \\\\.  27 


418  BEBGEB    ÖBEH    NEUBAUES    LTJTHEBfi    SCHRITT] 

vorliegt,  isi  es  hoffentlich  dem  verf.  vergönnt,  uns  das  umfassendere  werk  zu  Bchenken, 
zu  dem  er  der  berufenste  ist:   eine  erschöpfende  kritische  bearbeitung  mten 

Sprichwörterschatzes,  der  in  Luthers  Schriften ,  briefen,  predigten  und  tischreden  noch 
verborgen  liegt. 

HALLE    A.  s.  A.  B.    Bl  i ■■■ 

Denkmäler  der  älteren  deutschen   litteratur  für  den  litteratnrgeschichtli 
Unterricht  au  höheren  lehranstalten  herausgeg.  von  G.Bötticherund  K.  KinzeL  III.  '■'.. 
Martin  Luther  2.    Vermischte  Schriften   weltlichen   Inhalts  usw.,   ausgewählt. 
bearbeitet  und  erläutert    von   Richard  Neubauer.     Zweite   vielfach    verb 

aufläge.  Malle  a.  S.,  Imchhandluug  des  Waisenhauses  1900.  XIV,  283  s.  2.15  m. 
Der  erste  teil  dieser  vortrefflichen  auswahl  aus  Luthers  Schriften  war  Bchon 
1897  in  2.  aufläge  erschienen  (vgl.  Zschr.  25, 137  f gg.).  Der  jetzt  vorliegende  zweite 
teil  hat  die  bewährte  anordnung  des  Stoffes  beibehalten,  ist  aber  in  den  anmerkungen 
und  erläuterungen  durchweg  einer  sorgfältigen  aachprüfung  unterzogen  worden.  Die 
neuen  bändo  der  Weimarer  gesamtausgabe  und  besprechungen  der  ersten  aufläge  sind 
gewissenhaft  benutzt,  eine  beharrlich  fortgesetzte  liebevolle  beschäftigung  mit  dem 
schwieligen  stoff  ist  namentlich  den  sachlichen  und  sprachlichen  erklärungeu  sehr  zu 
gute  gekommen,  so  dass  diese  zweite  bearbeitnng  noch  erheblich  wertvoller  als  die 
erste  genannt  werden  darf  Hinsichtlich  der  textbehandlung,  über  die  s.  281fg.  rechen- 
schaft  gegeben  ist,  wird  man  mit  dem  verf.  nicht  allenthalben  einer  meinuug  sein 
können,  er  selbst  hat  sein  verfahren  als  ein  'eklektisches'  bezeichnet.  "Warum  z.  b. 
9,4.6.  25,  2  u.  ö.  gegen  den  originaldruck  für  gesetzt  wurde,  wahrend  8,1.  10,9.10. 
14,  25.  15,  2.  3.  13  u.  ö.  für  beibehalten  ist,  warum  10,  10  furcht  ohne  umlauts- 
bezeichnung  belassen  ist,  während  25,  G  etwa  grundlich  in  (/rundlich  geändert  wurde, 
solche  und  ähnliche  kleine  inconsequenzen  wären  bei  einer  neuen  aufläge  wol  besser 
zu  beseitigen.  Dass  auslassungen  und  kürzungen  als  solche  gekennzeichnet  werden 
könnten  (etwa  durch  punkte),  ist  ein  wünsch,  der  guten  kennern  des  Luthertextes 
allerdings  nahe  liegt,  wenn  ihn  auch  andere  vielleicht  nicht  teilen  werden.  Sehr 
schwierig  ist  die  interpunktionsfrage  zu  entseheiden.  Natürlich  musste  der  verf.  hier 
dem  gegenwartsbedürfnis  zu  genügen  suchen,  aber  ich  fürchte,  er  hat  darin  des  guten 
zuviel  getan:  der  grosszügige,  oft  ungefüge  und  schwer  durchsichtige  satzbau  Luthers, 
der  immer  mit  den  freiheiten  der  gesprochenen  rede  rechnet,  kommt  bei  der  iuter- 
punktionsweise  des  verf.s  nicht  ganz  zu  seinem  rechte,  er  wird  vielfach  in  zu  kleine 
teile  zerlegt,  bekommt  so  gleichsam  einen  zu  kurzen  atem  und  wird  auch  in  seiner 
syntaktischen  gliederung  nicht  immer  zutreffend  dargestellt.  Aber  die  rücksicht  auf 
germanistisch  wenig  geschulte  leser  musste  wol  auch  hierin  den  ausschlag  geben.  Im 
gauzen  ist  es  hoch  zu  rühmen,  wie  der  verf.  die  pädagogischen  zwecke  mit  den 
wissenschaftlichen  im  engeren  sinne  zu  vereinigen  gewusst  hat.  Es  gibt  keine  aus- 
wahl von  Luthers  schriften,  die  diesen  beiden  aufgaben  zugleich  besser  dienen  könnte, 
keine  vor  allem,  die  in  der  meisterlichen  beherrsehung  des  gewaltigen  Stoffs  mit  der 
vorliegenden  den  vergleich  aushielte.  Es  wäre  zu  wünschen,  dass  diese  ausgezeichnete 
arbeit  Neubauers  über  den  schulbereich  hinaus,  namentlich  beiden  theologeu  und  den 
studierenden  der  deutschen  philologie,  die  verdiente  Würdigung  fände.  Für  angehende 
germanisten  und  lehrer  des  deutschen  gibt  es  jedesfalls  keine  bequemere  und  zu- 
verlässigere einführung  in  das  Studium  der  Luthersprache,  wobei  sich  der  beigegebene 
ebenso  knappe  wie  gehaltvolle  'Grammatische  anhang'  besonders  nützlich  erweisen  wird. 

HALLE    A.  S.  A.  E.  BERGER. 


ROSENHAGEN   ÜBER   GORGES,    MHD.  DICHTUNGEN  419 

Mittelhochdeutsche  dichtungen.  Nebsteinleitung  und  erläuterungen  bearbeitet 
von  dr.  M.  Gorges.  Schöninghs  ausgaben  deutscher  klassiker  mit  ausführlichen 
erläuterungen.  27.  band.  Paderborn,  Ferd.  Schöningh  1901.  (VI),  224  s.  geb.  2  m. 
Aufgabe  und  einrichtung  dieses  büchleins  sind  dem  Verfasser  durch  die  Ver- 
lagsbuchhandlung vorgeschrieben  gewesen ;  auch  sind  diese  von  schulpraktischen  rück- 
sichten  auf  diu  amtlichen  Vorschriften  bestimmt.  Wir  haben  uns  hier  nur  zu  fragen: 
ist  diese  bearbeitung  geeignet,  interesse  und  Verständnis  für  die  deutsche  litteratur 
des  mittelalte rs  zu  wecken,  und  ist  das,  was  hier  gegeben  ist,  zuverlässig?  Die 
auswahl  ist  mit  geschmack  getroffen.  Es  sind  nur  poetisch  wertvolle  stücke,  die 
gegeben  werden.  Das  gilt  besonders  für  die  auswahl  aus  Walthers  gedichten.  Das 
ist  aber  das  einzige,  was  anzuerkennen  ist.  Als  hilfsmittel  für  das  Verständnis  der 
nihd.  dichtung  ist  es  entweder  nichts  wert  oder  ganz  unselbständig.  Schon  die  maasse 
der  auswahl  geben  ein  falsches  bild.  Das  Nibelungenlied  nimmt  122  seiten  text, 
25  s.  Walther,  38  bleiben  für  proben  aus  der  Gudrun,  den  höfischen  epen,  und  der 
lyrik  vor  Walther:  dem  Nibelungenliede,  das  doch  in  ungezählten  haus-  und  Schul- 
ausgaben zu  haben  ist,  hätte  sehr  gut  etwas  abgenommen  werden  können,  am  andere 
charakteristische  proben  zu  geben.  Denn  dass  diese  Sammlung  nicht  bloss  als  er- 
freuliche blüteniese  genuss  bieten  will,  sondern  auch  belehrung,  zeigt  die  einleitung. 
Dafür  hätten  die  erläuterungen  ganz  wegfallen  können.  Diese  sind,  wie  der  Ver- 
fasser auch  andeutet,  ein  zusammengepresster  auszug  aus  den  fuss-  und  kopfnoten 
der  Pfeiffer -Bartsch'schen  ausgaben.  Da  diese  das  Verständnis  vermitteln  sollen, 
sind  sie  hier  überflüssig,  weil  zu  den  mhd.  texten  immer  die  Übersetzung  gegeben 
wird;  zu  einer  genauen  erklärung  des  sprachlichen  ausdrucks  reichen  diese  ab- 
gerissenen notizen  nicht  aus.  Offenbar  ist  dem  herausgeber  der  platz  sehr  eng  zu- 
gemessen worden.  Dann  hätten  aber  die  allgemeinen  bemerkungen  über  Walthers 
lieder  wegfallen  können.  So  macht  es  sich  einfach  komisch,  wenn  es  zu  „Under 
der  linden*  einfach  heisst:  „ein  reizendes,  durch  wunderbaren  wolklang  ausgezeich- 
netes lied,  das  der  sänger  seiner  geliebten  in  den  in  und  legt  (vgl.  Pfeiffers  ausg. 
s.  23)^.  Das  schlimmste  ist  aber  die  einleitung.  Diese  fängt  mit  dem  arischen  sprach- 
stamm an,  gibt  eine  geschichte  der  deutschen  spräche,  einen  überblick  über  die 
deutsche  holdensage  und  bemerkungen  über  die  mhd.  litteratur  auf  weniger  als 
28  seiten.  Das  ist  ja,  als  ob  P.opp  und  Grimm  ihre  entdeckungen  gestern  gemacht 
hätten!  Alles  das  gehört  nicht  hier  her,  weder  die  Ariel-  noch  das  gotische  Vater- 
unser, noch  die  Merseburger  Zaubersprüche,  mich  die  ausführliche  Inhaltsangabe  der 
Wölsungensage.  Auch  diese  nicht,  denn  unser  Nibelungenlied  ist  für  sich  allein 
verständlich,  und  es  schadet  ihm  nur,  dass  man  es  als  sagenquelle  und  nicht  als 
dichtung  seiner  eigenen  zeit  liest.  Dafür  hätte  über  die  litteratur,  \mi  der  das 
buch  proben  bringt,  mehr  und  deutlicher  gehandelt  werden  können,  und  vielleicht 
auch  über  die  spräche,  wenngleich  das  in  aller  kürze  nicht  leicht  ist.  Was  aber 
gegeben  wird,  ist  fast  in  jeder  /eile  anfechtbar,  wei]  alles,  was  in  den  letzten  dreissig 
jähren  darin  geforscht  ist,  vom  verfasse!  oichl  beachtet  wird,  oder  es  ist  unklar. 
weil  es  eine  fremde  meinung  verkürzt  bietet  oder  mehrere  vereinigen  will. 

Gleich  der  /.weife  satz  lautet:  „Yerbreitel  über  die  ganze  weh  (i)  umfassl  dieser 
(der  arische  sprachstamm)  in  Asien  zwei  hauptzweige,  den  indischen  und  iranischen, 
in  Europa  fünf,  den  gräco-italo- keltischen  und  den  letto-slavo- germanischen." 
und  soforl  gehl  es  weiter:  „Vor  Jahrtausenden  verliess  das  im  mittelasiatischen 
hochlande  (wo  liegt  das?)  wohnende  voli  der  Arier,  von  denen  die  Germanen  ab- 
stammen, aus  unbekannten  "runden    eine  heimat";  dies   märchen  darf  man  beutzu- 


420  E08ENH  LG  .    MHD.   DICH!  DTTI 

tage  doch  nichi  mehr  o  unschuldig  erzählen,  Wenn  es  auch  wahr  wäre,  was  geht 
das  jemand  an.  dei  Walther  von  der  Vogelweide  Lesen  will.  Man  sollte  überhaupt 
die  frage  dei  urheimai  noch  mehr  als  etwa  gleichgültiges  behandeln:  wichtig  ist  es 
aber,  dass  die  Germanen  Jahrtausende  in  Nordeui   |  en  haben,  denn  das  bal 

ihren  volkscharakte]  gebildet.  Lbnlicb  altmodisch  and  zugleich  irreführend  sind  die 
sprachgeschichtlichen    bemerkungen,    besonders    über  die    LautverscbJ  id  das 

mitteldeutsche  („vielfach  mit  niederdeutschen  elementen  durchsetzt"!).  Es  komm! 
nicht,  auf  die  einzelnen  tatsachen  an,  wenn  man  sich  an  ein  laienpublikum  wendet, 
nicht  resultate  hai  man  mitzuteilen,  ondem  das  allerwertvollste,  was  die  Wissen- 
schaft sich  in  lnühsainci'  arbeit  erwirbt,  das  isi  die  erweiterung  und  vor  allem  die 
Verfeinerung  der  beobachtung.  Sogenannte  resultate  lassen  sich  weite]'  schwäl 
sie  veralten  nur  Leider  mehr  oder  weniger  schnell,  wie  auch  dies  büchlein  zeigt,  aber 
den  aussenstehenden  anbeispielen  zeigen,  wie  man  die  äugen  anders  einstellen  kann, 
das  fördert  und  bewahrt  auch  der  Wissenschaft  den  legitimen  respect  vor  ihrer  en 
arbeit.  Darum  trifft  auch  den  Verfasser  der  vorwarf,  dass  er  in  dieser  ''der  jener 
einzelheit  rückständig  ist,  nicht  so  sehr  als  der,  dass  er  diesen  condensierten ,  trans- 
portablen extract  überhaupt  hat  liefern  wollen.  Auch  dem  litterargeschichüichen 
teile  ist  vorzuhalten,  dass  er  den  vorliegenden  zweck  zu  wenig  fördert.  Die  Unter- 
scheidung von  volksepos  und  kunstepos  kommt  auf  eine  Wortdefinition  hinaus.  Es 
fehlt  dagegen  eine  berücksichtigung  der  geschichtlichen  und  gesellschaftlichen  Ver- 
hältnisse, welche  die  Voraussetzung  bilden.  Die  höfische  weit  wird  kaum  erwähnt. 
und  doch  ist  es  das  entscheidende,  dass  der  grösste  teil  der  mhd.  litteratur  für  sie 
gemacht  ist:  die  einteilungen  ergeben  sich  ans  der  geringeren  oder  grösseren  ab- 
hängigkeit  von  ihr,  von  ihr  muss  die  darstellung  ausgehen,  sie  ist  die  Voraussetzung 
auch  des  Nibelungenliedes,  das,  so  wie  es  nun  mal  da  ist,  genair  genommen  kein 
volksepos  ist.  Es  ist  ebenso  wenig  und  ebenso  sehr  „entsprungen  aus  der  ein- 
bildungskraft  des  deutschen  volkes"  wie  Goethes  Faust. 

Weiter  fehlt  eine  genaue  Charakteristik  des  Spruches,  besonders  im  gegen- 
satz  zum  eigentlichen  minnegesang,  und  doch  ist  "Walther  der  bevorzugte  dichter 
der  Sammlung.  An  einzelheiten  nur  folgendes :  Ortnit,  Eugdietrich  und  Wolfdietrich 
gehören  nicht  zum  „langobardischen  Sagenkreise"  (s.  16,  anm.  2),  Siegfried  und  Brunhild 
sind  nach  der  auffassung  des  deutschen  dichters  nicht  mit  einander  bekannt:  er 
kennt  sie,  aber  sie  ihn  nicht  (s.  213,  vgl.  NN.  393.  394).  Den  vergleich  des  liedes 
mit  der  Hias  könnte  man  in  der  hier  angeführten  weise  von  unterseeundanern  aus- 
führen lassen,  aber  vorsieht:  lieber  den  unterschied!  (s.  19,  anm.  1). 

Neben  Raupach  musste  Wilbrands  Kriemhild  genannt  werden;  aber  warum 
nicht  die  wichtigsten  erneue rungen  allein,  Hebbel,  Wagner  und  meinetwegen  auch 
Geibel  und  Jordan  (s.  20,  anm.  1).  „Die  spanische"  sage  vom  hl.  gral:  das  kommt 
mir  doch  etwas  spanisch  vor.  Vom  Twein  und  Erek  ist  es  wesentlich  zu  sagen,  dass 
sie  Übersetzungen  sind:  „der  Artussage  angehörig "  sagt  nichts  (s.  24).  Ebenso  ist 
Wolfram  nicht  ein  „gründlicher  kenner  einheimischer  und  fremder  sagen",  sondern 
litteratur  (s.  24).  Über  den  minnedienst  als  sitte  wird  nichts  gesagt,  aber  sanskr. 
»w»,  griech.  ftsfirrjad-ai,  lat.  meminisse  notiert  (s.  25).  Provenzalen  und  Franzosen 
sind  im  ma.  etwas  sehr  verschieden  (vgl.  s.  25).  Wenn  man  Minnesangs  frühling  als 
die  der  eigentlichen  blute  voraufgehende  zeit  definiert  (s.  26),  darf  man  Reinmar 
nicht  dazu  rechnen,  wenn  auch  seine  gedichte  in  dem  so  bezeichneten  buche  stehn 
(s.  27).  Dass  Walther  prinzenerzieher  gewesen  sei,  daran  zu  zweifeln  hat  man  selbst 
schon  anlass.  wenn  man  den  betreffenden  Spruch  nur  in  Pfeiffers  ausgäbe  liest  (s.  28). 


ERDMANN  ÜBEB  -MARTIN  V.  LIKMIAKT,  WÖKTERBÜCfl  DER  ELSÄSSISCHEN  MÜNDARIEN        421 

Für  den  dilettantischen  Charakter  der  arbeit  sind  die  vielen  etymologien  von 

naruen  bezeichnend,  die  bald  richtig,  bald  falsch  notiert  sind.  Sie  -ind  überflüssig, 
wenn  man  nicht  daran  die  altgermanische  namengebung  schildern  will,  oder  etwa  auf 
die  bedeutsame  tatsache  hinweisen,  dass  der  Hunnenherrscher  in  der  Weltgeschichte 
mit  dem  beinamen  lebt,  den  ihm  seine  gotischen  Untertanen  gegeben  haben. 

Diese  bearbeitung  ist  also  weder  geeignet  in  der  hand  des  schälers  noch  in 
der  des  lehrers  die  lectüre  mhd.  dichtungen  zu  fördern.  Weil  dies  urteil  negativ  ist, 
glaubte  der  referent  so  ausführlich  sein  zu  müssen.  Vielleicht  hat  die  sache  auch 
ein  allgemeineres  interesse.  Grade  im  letzten  Jahrzehnt  ist  besonders  viel  geleistet. 
um  weiteren  kreisen  die  durch  die  germanistischen  forschungen  gewonnenen  kennt- 
nisse  nahe  zu  bringen,  und  zwar  durchaus  nicht  allein  im  interesse  der  schule.  Es 
ist  ein  offenbares  bedürfnis,  das  von  beiden  seiten  gefühlt  wird.  Aber  man  muss 
nicht  vergessen,  dass  diese  Wissenschaft  eine  historische  ist,  und  wenn  auch  die 
geistige  Vorgeschichte  unseres  eigenen  volkes  ihr  gegenständ  ist,  so  hat  doch  nun 
einmal  unser  volk  die  tiefe  Unterbrechung  in  seiner  entwicklung  durchgemacht,  an 
der  wir  nichts  ändern  können.  Nicht  alles,  was  einmal  wichtig  gewesen  ist,  ist  noch 
heute  wirksam,  oder  wirkungsfähig.  Um  dies  wirksame  oder  wirkungsfähige  zu 
finden,  muss  man  die  gegenwart  unbefangen  fühlen  und  über  das  wesentliche  in 
unsern  erkenntnissen  und  beobachtungen  (dies  besonders!)  der  Vergangenheit  sich  klar 
sein.  Das  ist  aber  nicht  leicht:  als  allererste  grundlage  erfordert  es  ein  ganz  be- 
sonders tüchtiges  wissen  von  dem.  was  die  Wissenschaft  treibt. 

HAMBUBG.  '■■  ROSENHAGEN. 

"Wörterbuch    der    elsässischen    mundarten,    bearbeitet    von    E.   Martin    und 
H.  Lienhart,  im  auftrage  der  landesverwaltung  von  Elsass- Lothringen.  Erster  band: 
A.  E.  I.  0.  ü.  F.  V.  G.  H.  J.  K.  L.  M.  N.  Strassburg,  Trübner  1899.  (VI),  799  s.  20  m. 
Sauber  ausgearbeitet  und  reichlich    ausgestattet  liegt  seit  längerem  der  erste 
band  des  Martin -Lienhartschen  idiotikons  vor.     Gar  mancher  forscher  wird  seit  dem 
erscheinen   der  einzelnen   lieferungen   den   reichen  iuhalt    dieser   798  ökonomisch   ge- 
druckten  seiten   nachschlagend  und   vergleichend  verwertet   haben,    zur   belehrung  in 
philologischen  und  besonders   wol  in   folkloristischen   fragen.      Da  jetzt   vornehmlich 
infolge  anderer  aufgaben,  die  professor  Martin  obliegen ,  in  der  ausgäbe  der  lieferungen  eine 
pause   eingetreten  ist  (das   werk  hat  sich  erst  unter  den   banden   der   bearbeiter  zu 
einem  zweibändigen  ausgewachsen),  ist  es  wol  auch  für  diese  Zeitschrift  (im  anschluss 
an  XXX,  412)  die  rechte  zeit,  das  geleistete  zu  überblicken  und  zu  werten. 

Bei  der  besonderen  neigung  Martins,  allem  volkstümlichen  mit  wolwollendem 
interesse  nachzugehen,  und  der  trefflichen  Vorarbeit,  die  in  dieser  hinsieht  seit  dem 
kriege  von  zahlreichen  freunden  des  elsässischen  deutschtnms  geleistet  ist  i nieder- 
gelegt vor  allem  in  den  jetzt  18  jahrgangen  des  Vogesen  -  Jahrbuchs),  ist  es  leicht  zu 
verstehen,  dass  in  dem  vorliegenden  bände  gerade  diese  seite  der  lexikographischen 
forschung  aufs  reichlichste  vertreten  ist.  In  die  fand-  und  goldgrube  des  heutigen 
dialekts  ist  mau  wahrlich,  tief  hineingestiegen.  Kinderspiele  und  abzählreime,  soherz- 
sprüohe  und  Spottnamen,  Sprichwörter  und  derbe  abfertige ngen  die  fülle!  Kein  ein- 
ziges gedrucktes  deutsches  idiotikon.  auch  das  vielgerühmte  Schmellersohe  Dicht,  wird 
in  dieser  hinsieht  inhaltlich  au  das  elsässische  heranreichen.  Ein  paar  Stichproben 
mögen  das  illustrieren. 

Allgemein  bekannt  und  in  allen  deutschen  gauen  üblich  ist  die  sitte,  aus  ruf- 
namen    appellativa    zu    machen,    nach    art  von    Lii<jr,ilt<tn$,    Hemdmmatx,    dumme 


422  ]  \nn 

Trine.  Für  dio  entstehung  solcher  drastischen  ausdrücke  ist  das  wort  Schvnderhannes 
belehrend.  Der  berüchtigte  raube r  hiess  wirklich  Johannes,  Dämlich  Johann  Bückler. 
Infolge  seiner  brutalen  mordtaten  erhielt  er  den  böseo  Übernamen.  Solange  man 
sagte  „der  Schinderhannes",  meinte  man  das  Individuum,  welches  im  jähre  1803  hin- 
gerichtet wurde.  Wenn  aber  die  Volkssprache  fortschreitet  zu  der  Wendung:  das 
ist)  ein  richtiger  seh.,  so  ist  das  appellativum  (=  gewalttätiger  rauher)  fertig.  Der 
nächste  schritt  ist  dann,  aus  dem  Substantiv  ein  verbum  zu  bilden  wie  hänseln. 
Nun  sehe  man,  wie  zahlreiche  personennamen  in   der  el  bd   Volkssprache  der- 

artig verwendet  werden.  M  ä  nnli  c  h :  Ignatius,  abgekürzt  Naz,  Nazi ;  daher  Krappena  i  i 
Spottname  für  einen  zerlumpten  menschen  (von  hra/pp  eigentlich  kolkrabe,  dann  ge- 
spenst),  Käsnaxel  junge,  der  käse  isst  und  sich  dabei  beschmiert,  Brillenazi  brillen- 
tiäger;  oder  allgemein  du  Naxi,  du  dummer,  du  liisch  e  ta/uwer  Naxi.  —  Philippus, 
abgekürzt  Lips,  Lippel;  daher  Deisendips  (von  /leisem  Sauerteig)  ungeschickter  bäcker- 
lehrling,  Schmierlips  unreinlicher  mensch.  —  Laurentius,  abgekürzt  Lorenz,  Lenz; 
daher  Bübbelenx  ein  unbeholfener,  Trappten*  ein  schwerfälliger;  das  verbum  len  en 
lungern,  uflenxen,  erumlenxen  aufhalten,  hinhalten;  die  entstehung  des  schriftdeut- 
schen fauleuzer  zeigt  die  stelle  aus  Geiler  von  Kaysersberg:  o  du  fauler  lentx.  gehe 
zu  der  omeisx  und  lehre  von  ir.  —  Jakob:  die  Verkleinerungsform  Jockei  bezeichnet 
einen  gutmütigen ,  unbeholfenen,  hinkenden;  e  dummer  soupier  dalwatsehiger  Jochle, 

—  Leodegar,  abgekürzt  Ludi,  Ludel,  erhält  (wol  unter  ein  Wirkung  von  lueder)  die 
bedeutung  eines  trägen,  unverschämten,  moralisch  anrüchigen,  also  Lappeludel,  Fress- 
lud i,  Saüludi;  loss  dini  Topc  us  m  esse,  du  Ludi.'  —  Hilarius,  abgekürzt  Lari: 
Lärle  bedeutet  einen  tölpel.  —  Martin  ist  elsässisch  Marti  oder  Marte;  daher  Stier- 
marte  dummer,  Langmarti  schlanker,  Brillemarti  bebrillter,  Grässmärtel  finsterer, 
mürrischer.  Im  schriftdeutschen  dürfte  Matz  entsprechen:  hemdenmatz,  hosenmatx, 
das  gewöhnlich  von  Matthias  abgeleitet  wird.  —  Ulrich,  abgekürzt  Utz,  Uz  oder 
Üöli;  daher  Gebirg  utxel  Gebirgsbewohner,  Dorfüäli  Dörfler;  das  zeitwort  uzen  auf- 
ziehen, sich  über  jemand  lustig  machen,  ist  allbekannt  (der  Weigandschen  ableitung 
aus  dem  hebräischen  kann  man  entraten);  em  Ua/i  rüefe  vomere  wie  im  Simplicissi- 
mus.  —  Urban  ist  ein  grobian,  Hansdünncl  (Johannes  Daniel)  ein  eigensinniger, 
hochmütiger,  Zittermoritz  ein  geizhals,  der  um  sein  geld  besorgt  ist.  Man  sagt  im 
Elsass  von  Kunz  xu  Benz  schicken  (Konrad  und  Benno),  wie  sonst  von  Pontius  zu 
Pilatus,  und  s  isch  Hans  wie  Heiri  (Heinrich)  einer  wie  der  andere.  —  Weiblich: 
Apollonia,  abgekürzt  Appel  oder  Ploni;  daher  Schelappel  schielende  person,  Pritschappel 
waschweib  (pritschen  sind  die  in  der  111  und  anderen  gewässern  schwimmenden 
flösse,  die  den  Wäscherinnen  als  werkräume  dienen);  du  plauderseh  alles  us  nie 
alle  alte  Abble.  —  Ursula,   abgekürzt  Ursi;   daher  Kuttclursi  unreinliches  mädchen. 

—  Mechtild,  abgekürzt  Metz;  so  ist  schon  bei  Geiler  eine  Hadermetz  wie  Hedrrliss 
ein  zänkisches  weib;  der  gebrauch  des  wortes  für  ein  verächtliches  frauenzimmer,  im 
Elsässischen  allgemein,  ist  ins  schriftdeutsche  übergegangen.  —  Odilia,  französisch 
Odile,  deutsch  abgekürzt  Udel,  ist  im  Elsass  ein  häufiger  vorname,  wegen  des  alt- 
bemhmten  klosters  auf  dem  Odilienberge  bei  Oberehnheim  (woher  auch  die  Ottilie  in 
Goethes  "Wahlverwandtschaften  ihren  namen  erhalten  hat);  aber  nun  verächtlich 
Dreckucdel,  oder  des  isch  e  rechti  Udel  unordentliches  mädchen.  —  Maria:  die  kose- 
form  Meile,  Meyel  wird  mitunter  für  ein  ungeschicktes,  unordentliches  ding  gebraucht; 
Zusammensetzungen  Bampelmei,  Buremeiel,  Türkemeiel.  —  Christina:  das  deminutiv 
Krischengele  bedeutet  (wol  mit  anlehnung  an  krischen)  ein  wunderliches,  zaghaftes 
weib.  —  Agnes,  abgekürzt  Nesi,   Neks,  Nes  dient  zur   bezeichnung  von  beständig 


ÜBER  MARTIN  U.  LIEKHAET,  WÖRTERBUCH  DER  ELSÄSSISCHEN  MUNDARTEN  423 

klagenden  und  nörgelnden  personen;  die  Angenes  in  der  leimegrueb  ist  eine  jammer- 
base;  ja  es  existiert  sogar  ein  zeitwort  nesen  jämmerlich  bitten.  —  Eva:  lubakevi, 
Meiev  (—  Maria  Eva)  einfältiges  weib,  Gageirre  zerstreutes  rnädchen.  Der  Elsässer 
sagt  du  dummi  Lenor  und  Motschekäthel  für  eine  unordentlich  angezogene  Weibs- 
person. —  Mitunter  haben  die  katholischen  heiligennamen  mit  den  zugehörigen  legen- 
den auf  die  spräche  eingewirkt.  Der  heilige  Andreas  beschützt  gegen  Zauberei,  daher 
der  alte  hausspruch:  Sunt  Andreas,  mache  weichen  Und  Sunt  Helena  mit  dem 
krcuzxeichen  Treib  all  Hexerei  ran  diesem  hausgesmd  Und  lass  es  fromm  leben 
ohn  sündf  So  versteht  man,  dass  andreslen  bedeutet  (am  Andreastage  =  30.  no- 
vember)  abergläubische  gebrauche  vornehmen.  Im  Weilertal  sagt  man:  wer  dann 
ausgeht,  wird  geandreselt.  —  Sanct  Veits  krankheit,  der  veitsstanz,  ist  bekannt;  die 
grotte  des  h.  Vitus  liegt  im  Zorntal  bei  Zabern.  —  Samt  Töniges  fetter  (h.  Antonius) 
ist  die  gesiehtsrose,  die  schnell  Kathrin  der  durchfall.  —  Sanct  Christoph orus  hat 
über  alle  schätze  gewalt  und  kann  auch  die  verstorbenen  zwingen,  die  in  der  erde 
verborgenen  kostbarkeiten  anzugeben;  daher  ist  ehristoflen  schatzgräberei  treiben. 

Leicht  könnte  man  hier  jene  humoristischen  familiennamen  anknüpfen, 
die  entweder  einen  verbalstamm  mit  objekt  enthalten  (bildung  Dankegott.  Fürchte- 
bntx,  Habenichts,  das  kätzchen  Fangemaus  bei  Hey,  der  knapp''  Kostewein  bei  Willi. 
Müller)  oder  einen  ganzen  satz  (Bildung  Rührmichnichtan,  Vergissmeinnicht:  Laeh- 
michan,  Gehmirnach).  Sie  sind  im  Elsass  überraschend  häufig,  aber  im  Eis.  wb. 
nicht  sonderlich  berücksichtigt.  Zum  teil  werden  sie  aus  dem  vierzehnten  Jahrhundert 
herstammen,  aus  der  zeit,  als  sich  in  Strassburg  und  anderswo  die  stark  und  reich 
gewordenen  zünfte  vom  adel  und  der  geistlichkeit  auteil  am  stadtregiment  erkämpften. 
Damals  hat  sich  bei  handwerkern  und  ackerbürgern  der  familienname  festgesetzt,  der 
mitunter  einem  launigen  über-  und  Spitznamen  seine  entstehung  verdankt.  Hin  Bramar- 
bas, der  iu  der  zunftstube  sich  gerühmt  hatte:  komme  ich  einmal  vors  thor,  schlage 
ich  einen  ganzen  häufen  (kriegsknechte)  tot,  hiess  nun  Hans  Sladenhaufen  oder 
Hchlaejdenhauffen.  Ein  wirt,  der  durch  sein  inkorrektes  verhalten  den  gasten  uuehre 
gebracht,  hiess  nun  Jürg  Schentingast  oder  Schendegast.  [ch  stelle  hier  einige  Vaters- 
namen zusammen,  die  sich  im  Elsass  entweder  in  früheren  Jahrhunderten  oder  in  der 
gegenwart  vorfinden.  Wendenschimpf  (gebildet  wie  Störenfried,  Suchentrunk  Luther 
zu  Sir.  40,  30)  ein  mann,  der  die  fröhlichkeit  hindert,  ein  grämlicher.  Trennen- 
schimpf ähnlich  einer,  der  die  fröhlichkeit,  das  gute  einvernehmen  zu  stören  sucht. 
Sengenwald  ein  krieger,  der  den  wald  (der  feinde)  anzündet.  Zuckschwert,  Zuck- 
mantel,  Haumesser,  Haunschild  gehen  ebenfalls  auf  kriegerische  taten.  Schüttenüt 
und  Streisguth  gehen  auf  verschwendet-,  Sparschuh  und  Schürdiegeiss  auf  das  gegen- 
teil;  donn  wer  sogar  die  Ziegenhaare  verwertet,  muss  ein  sparsamer  hausvater  sein. 
Redslob  findet  sich  und  Kiese/ref/er,  Irmmmj  und  Hasdendeufel,  Umbundumb  und 
Baudendistel.  Ein  Junker  Johann  von  Marlei,  genannt  Schrendeleffese  (=  mit  ge- 
spaltener lippe)  erscheint  1295,  ein  Hans  Kumnochhinnaht ,  Schuhmacher  in  Strass- 
burg, 1427.  Letzteres  war  gewiss  eine  Lieblingsredensari  des  biederen  mannes  oder 
eines  vorfahren,  vgl.  den  bayrischen  forsten  Heinrich  Jasomirgott.  Aus  Sebastian 
Brants  Narrenschiff  wäre  zu  vergleichen:  die  fresser  kein  ich  rumdenhag,  lärskärli 
(=  leere  das  kleine  geschirrt,  schmierwanst ,  fülldenmag. 

Eine  andere  Stichprobe  seilen  die  Wörter  mit  schwankendem  anlaul  ab- 
geben. Nicht  selten  nämlich  ist  in  der  elsassischen  volksrede  der  (deutsche  oder 
französische)  artikel  mit  dem  Substantiv  verwachsen,  oder  man  hat  umgekehrt  den  an- 
laut  fortgelassen,  weil  man  ihn  für  den  artikel  gehalten  hat.    Beispiele  für  den  ersten 


424  EBDM 

Vorgang  bieten  Wörter  mü  >/  me  numhcmg,  Da  man  de-n- Umhang  oder  e-n-um- 
bang  ohne  abzusetzen  Bpricbt  (wie  etwa  im  Bchriftdeutschen  hut  des  mannee  klingt 
wie  hutesmannes)  so  ist  mis  bräuchlich  das  n  mil    Li  bsen, 

so  dass  man   sagen    kann:  de  numhä/ngle  sin  awer  uii  schön  geböjeli  •   für 

ast,  wie  mir  denn  neulieb  ein  kinderliedchen  auffiel:  Ems,  .>>■>.  drei.  Vier,  fünf, 
sechs,  Siewe,  acht,  n/in.  Geh  ins  gässeh  nin!  Im  gässele  ische  garte;  Im  garte 
isch  e  iiiiiiiii,  Am  bau/m  isdi  e  nascht,  Im  nascht  isch  i  nescht,  Im  nescht 
isch  en  ei,  Im  ei  isch  e  dotter,  Im  dotter  isch  e  haas,  Der  springt  dir  grad 
Uf  diu/'  lang  nas.  So  nochme  für  atem,  nägel  splint  (von  agele,  äglin  granne, 
splitter),  nadalie  georgine.  Mit  französischem  artikel  (wie  in  mini,  liinde,  lunde  ■ 
tatet  allgemein:  maisch  du,  wer  hit  im  magister  dene  laids- Schneeballe  uf  de  decket 
gschanxt  het,  dass  cm  s  ladädel  geloddelt  het?  —  ebenso  labbe,  larträt.  Recht 
auffällig  lästere;  das  ist  aber  nur  individuell,  wie  -.'Ihr  gärtner  als  saut.  Eier  eben 
wir  die  spräche  im  werden:  was  bei  tatet  allgemein  üblich,  hat  jener  gärtner,  dei 
fein  sprechen  wollte  mit  astern  versucht.  —  So  ist  auch  das  kuriose  wort  leschieres 
zu  erklären  (hat  isch  c  ganzer  I.  soldate  durich)  mit  den  nebenformen  eseh 
neschires,  reschieres;  es  ist  das  neuhobräisebe  'aschirutb  reichtum,  dem  an 
des  hebräischen  gutturals  'ajin  der  deutsebe  bestimmte  oder  unbestimmte  oder  der 
französisebe  artikel  vorgesetzt  ist.  —  Umgekehrt  aphäresis  bei  äcke  nacken  (de-n- 
näcke),  ac/ie  uaclien,  ädliiuj  abgerissenes  stück  faden,  wozu  man  och  für  noch  schmale 
rinne  fügen  kann  (fehlt  im  Eis.  Wb.).  Im  feminin  esle  brennessel  (uns  en-ne£ 
ererenx,  wol  aus  dem  dativ  der-reverenz;  akerstei  erklärt  sich  daraus,  dass  das  wort 
ins  neutrum  umgeschlagen:  des  -  sacristei.  Ameriske  tamariske  erklärt  sich  so,  dass 
das  fremde  wort  als  mit  dem  apostrophierten  artikel  zusammengesetzt  galt.  Den  voll- 
ständigen hat  man  im  Strassburger  diakonissenhaus  vermutet,  so  dass  dieses  am 
Kochersberg  und  im  Zorntal  als  akenesehus  erscheint  (wol  mit  anlehnung  an  A . 
eine  Agnes  medica  erscheint  auffallender  weise  im  14.  jh.  in  Strassburg).  Hument 
augenblick  ist  durch  falsche  abteilung  von  im-moment  entstanden.  Aus  falsche]'  ab- 
trennung  möchte  ich  auch  das  auffällige,  in  Strassburg  auftauchende  Zeitwort  guet 
afelen  essen  erklären,  das  schwerlich  von  judendeutsch  acheln  kommt,  wol  eher  von 
Schriftdeutsch  gut  tafeln.  Sah  ich  doch  neulich  in  einem  gut  elsässischen  tageblatt 
tvieti  Khir  gedruckt  für  das  wütige  heer:  trotz  der  im  Elsass  populären  Vorstellung 
hatte  der  Schreiber  oder  der  setzer  den  ausdruck  nicht  mehr  verstanden. 

Ohne  frage  lassen  sich  die  deutschen  mundarten  als  Schatzkammern  ansehen, 
aus  denen  die  Schriftsprache  gut  und  gerne  anlehen  machen  darf,  um  das  abgegriffene 
sprachgut  wider  aufzubessern.  Nach  elsässischer  anschauung  würde  man  an  die  stau- 
weiher  denken,  die  hoch  oben  in  den  Vogesen  augelegt  werden,  um  im  hochsommer 
der  wasserarmut  der  täler  abzuhelfen.  Geschehen  ist  das  ja  immer  und  allerorten, 
wo  originelle  Schriftsteller  und  besonders  volksredner  gewirkt  haben.  Geiler  wie  Luther, 
Ulrich  Megerle  wie  Fischart,  Fritz  Reuter  wie  Peter  Eosegger  bereichern  die  Schrift- 
sprache aus  diesem  quickborn.  Die  geniale  kraftsprache  in  Schillers  Jugenddramen 
schwäbelt  mitunter,  während  bei  Goethe  hier  und  da  das  Sachsenhäuser  deutsch 
durchschlägt. 

Freilich  muss  man  berücksichtigen,  wie  viel  der  dialekt  in  seinem  jeweiligen 
zustand  leisten  kann.  Die  derbe  spräche  der  mit  der  natur,  will  heissen  mit  zugvieh 
und  mistacker  in  steter  berührung  lebenden  dörfler  bietet  überall  eine  ausnehmende 
menge  von  kraftausdrücken  mit  unverfälschtem  erdgeruch.    Wie  sollte  es  im  „lande 


ÜBER  MARTIN  U.  LIENHAKT  ,  WÖRTERBUCH  DER  ELSÄSSISCHEH  MUNDARTEN  425 

der  fünf  grossen  W1  anders  sein?  Mit  vollem  rechte  betonen  die  Verfasser  des  idiotikons 
(vorr.  p.  XV)  die  pflicht  des  lexikographen ,  auch  so  etwas  zu  sammeln2.  Das  Elsass 
ist  ja  die  heimat  der  deutschen  satire,  und  sicher  ist  es  „kein  zufall,  dass  die  derb 
volkstümliche  litteratur  des  16.  und  17.  jh.  gerade  hier  ihre  blute  erlebt  hat."  Un- 
leugbar sind  jene  kraftwörter  und -Sprüche  auch  in  der  heutigen  litteratur  für  derbe 
komik  und  drastische  darstellung,  in  volksschauspicl  und  volksroman,  wol  zu  brauchen. 
AVollen  also  moderne  heimatskünstler  den  kämpf  gegen  grossstädtische  überfeinerung 
und  überspannte  geistigkeit  führen,  so  dürfen  sie  gerne  die  elsässische  Volkssprache 
als  „Sparbüchse"  im  sinne  von  Friedrich  Ludwig  Jahn  ansehen. 

Aber  das  elsässische  land  hat  doch  nicht  nur  für  ein  derb  volkstümliches 
Schrifttum  die  spräche  hergegeben,  sondern  auf  seinem  boden  dichtkunst  wie  prosa 
zu  hoher  Vollendung  gedeihen  sehen,  jene  zu  höfischer  feinheit,  diese  zu  schwer 
arbeitender,  wuchtiger  gedankenfülle.  Hiermit  komme  ich  auf  den  zweiten  teil  meiner 
besprechung:  darf  doch  ein  gewissenhafter  recensent  bei  aller  Anerkennung  des  ge- 
leisteten die  frage  nicht  vorsäumen:  was  fehlt  in  dem  vorliegenden  buche  noch,  und 
in  welcher  richtung  ist  weiter  zu  arbeiten? 

Keineswegs  um  zu  tadeln,  sondern  überhaupt  nur  angemerkt  soll  werden, 
dass  das  Martin -Lieuhart'sche  idiotikon  die  jetzige  Volkssprache  des  reichslandes 
nicht  vollständig  enthält.  Sammlung  und  ausarbeitung  sind  auf  das  Elsass  be- 
schränkt, „da  die  spräche  und  volksüberlieferung  Deutsch  -  Lothringens  wegen 
der  grossen  Verschiedenheit  von  der  elsässischen  sowie  wegou  des  mangels  an  älterer 
litteratur  und  selbst  an  wissenschaftlichen  vorarbeiten  eine  eigene  behandlung  ver- 
langt". Dort  ist  also  noch  eine  arbeit  zu  leisten.  Neuerdings  ist  sie  in  angriff  ge- 
nommen. Wie  die  Luxemburger  regierung  auf  grund  der  arbeiten  des  Zahnarztes 
AVeber  ein  Luxemburger  idiotikon  vorbereitet,  will  die  regierung  in  Metz  für  den 
verwandten  deutsch -lothringischen  dialekt  dasselbe  tun.  Unter  dem  vorsitz  des  bezirks- 
präsidenten  trat  im  jähre  1900  ein  ausschuss  von  sechs  mitgliedern  zusammen;  die 
herausgäbe  ist  professor  Ferdinand  Follmann  (von  der  Metzer  oberrealschule)  über- 
tragen. 

Für  ältere  zeiten  hat  das  Eis.  wb.  neuerdings  ein  merkwürdiges  Supplement 
erhalten  durch  die  posthume  herausgäbe  der  lexikalischen  Sammlungen  von  prof. 
Charles  Schmidt  (1812  — 1895).  Dem  Wörterbuch  der  Strassburger  mundart, 
das  wir  schon  erwähnten  (XXX,  414)  ist  jetzt  gefolgt  ein  Historisches  Wörterbuch 
der  elsässischen  mundart,  mit  besonderer  berücksichtigung  der  frühnhd.  periode 
(Strassburg,  Heitz  und  Mündel  1901).  Wenn  man  sich  mit  diesem  buche  beschäftigt, 
kann  man  das  bedauern  nicht  los  werden,  dass  es  nicht  möglich  war,  diesen  kost- 
baren handschriftlichen  nachlass  mit  dem  Martin-  Lienhart'sehen  apparat  von  100000 
zetteln  zu  vereinigen.  Gerade  was  die  herausgober  des  Eis.  wb.  „der  Zukunft  über- 
lassen zu  müssen"  glaubten  (vorw.  p.  III),  die  darstellung  der  vergangenen  sprach- 
verhältnisse,  hat  Schmidt  teilweise  geleistet,  freilich  unmethodisch  und  lückenhaft. 
[hm  schwebte  gerade  die  aufgäbe  vor,  die  Martin  aussohlieest,  die  jetzige  Volkssprache 
(er  kannte  nur  die  Strassburger,  daher  der  falsche  Singular  im  titel)  auf  sein  urbild, 
das  reine  hochdeutsch  des  ma.  zurückzuführen.  So  Bammelte  der  gelehrte  thei 
der  vorf.  der  besten  Melanchthon-biographie  (damals  hiess  er  noch  Karl  Schmidt ), 
mit  bienonileiss  aus  Strassburger   handschriften  und  seltenen   drucken,   von    denen   er 

1)  "Wasser,  weido,  wald,  weizen,  wein. 

2)  Etwas  zu  weit  ist  Martin  in  der  aufnähme  gemeiner  und  obsoöner  redens- 
arten  doch  wol  gegangen  (trotz  DWb.  1,  XXXII). 


426  KKIiMAN.V 

eine  kostbare  privatsammlung  besä       alle  aaffallendeo  ausdrücke,  alle  ihm  wichtig 
erscheinenden  belegstollen      Gottfrid  bai  er  wo!  auch   berü         I    I  wai 

nicht  sein  gebiet:   er  kehrte  immer  wider  zu  den  gottesmäni  und 

dor  reformationszeit  zurück.     In  Beinern   oachlass    fand   man    !.  ein  glossarium  i 
rianuiii,    2.  ein  glossarium  Brantiannm  et  Murnerianuro ,   '■'..  ein  glossarium  alsaticnm 
tnedii  aevi,  4.  ein  glossarium  alsaticum  zur  zeitperiode  1500  D  alung 

aus  Geiler  ist  schon  1869  begonnen  und  schein!  am  reichhaltigsten  zu 
Geilers  unerschöpften  reichtum  hatte  ja  der  altmeister  Jacob  Grimm  schon  1854  mit 
bestimmtheit  liingcwiescn  (DWh.  I,  XXXV),  Dass  Charles  Schmidi  fast  auf  jeder 
seite  den  gründlich  veralteten  Scherz  anführt,  dagegen  die  deutschen  philologen  des 
19.  jh.,  einschliesslich  Glimm,  meist  nur  mit  polemischen  bemerkungen  abtut,  erklärt 
sich  aus  seiner  (lokalpatriotischen)  Abneigung  gegen  seine  altdcutsclien  kollegeu,  die 
sich  bei  dem  alternden  gelehrten  zu  bedauerlichem  eigensinn  verhärtete.  Seine  erben 
wollten  den  vorgefundenen  schätz  nicht  unverwertet  lassen.  Ein  söhn  und  ein  enkel, 
beide  in  Paris  wohnend,  haben  die  vier  glossare  nach  alphabetischer  reihenfolge  (nicht 
nach  dem  Schmellerschen  System)  zusammengearbeitet.  So  wt  das  Historische  Wörter' 
buch  entstanden;  die  unfertigkeit  des  Werkes,  das  der  verf.  in  dieser  gestalt  niclit 
veröffentlicht  haben  würde,  haben  sie  selbst   bereitwillig  zugestanden. 

Auch  das  Eis.  wb.  ignoriert  die  älteren  perioden  keineswegs,  aber  die  an- 
führungen  sind,  nach  den  selbstgezogenen  grenzender  herausgeber,  gelegentlich,  und 
es  ist  mehr  dem  zufall  überlassen,  ob  wir  für  eine  wichtige  vokabel  schon  die  nötigen 
historischen  belege  abgedruckt  finden.  Wie  inhaltreich  würde  der  artikel  ahnend  ager 
publicus  werden,  wenn  man  nur  die  gedruckten  teile  des  Strassburger  urkundenhuebs 
daraufhin  ausheuten  wollte!  Lexer  citiert  als  ältesten  beleg  eine  Urkunde  von  112."». 
Im  manifest  des  bischofs  Walther  an  die  bürger  Strassburgs  (1261)  heisst  es  (TJrk.  B. 
I,  356):  wir  clagent  och,  sit  die  almeinden  gemeine  suln  sin  arm  unde  riehen, 
so  hant  doch  die  gewaltiser  von  Straxburc  der  almeinden  vil  imder  siel'  gezogen 
unde  geteilet  beide  in  der  stat  unde  davor  .  .  .  Die  form  ahnend  schon  1310  in  könig 
Heinrichs  Vll  landfrieden  (TJrk.  B.  II,  233).  —  Oder  wie  instruktiv  wäre  es,  wenn  der 
leser  zu  dem  artikel  olmann  (Eis.  wb.  p.  685)  über  die  alten  zünfte  aufgeklärt  würde; 
steht  doch  schon  1263  in  der  Vertragsurkunde  zwischen  bischof  und  stadt  (Urk.  B. 
I,  395)  eine  aufzählung  der  „antwerk":  rintsuter  unde  hurdewener,  ximberlute, 
kueffer,  oleylute,  swertfeger,  mulner,  sn/ide,  schilter  unde  satteler. 

Was  ich  direkt  vermisse,  ist  die  angäbe  der  mhd.  form  der  einzelnen  Stamm- 
wörter, unter  welcher  man  dieselbe  bei  Lexer  findet.  Mitunter  ist  sie  beigedruckt, 
aber  lange  nicht  oft  genug;  z.  b.  bei: 

ägerste  elster  (p.  21)  siehe  mhd.  agelster. 

aggrest  art  saurer  brühe  (p.  24)  s.  mhd.  agraz. 

ulwer  plump  (p.  35)  s.  mhd.  al-waere. 

amet  nachheu  (p.  35)  s.  mhd.  ämät. 

anken  Butter  (p.  55)  s.  mhd.  anke,  swm. 

Miseren  hausflur  (p.  61)  s.  mhd.  ern. 

ürten  zeche  (p.  70)  s.  mhd.  ürte,  irte. 

eisen  blutgeschwür  (p.  75)  s.  mhd.  eiz,  stm. 

euer  feldgrenze  (p.  82)  s.  mhd.  cter. 

ßfalter,  flicgfalter  Schmetterling  (p.  115)  s.  mhd.  vivalter,  zweifalter. 

kommen,  kamntlen  abästen  (p.  335)  s.  mhd.  hemelen. 

heischen  begehren  (p.  386)  s.  mhd.  eischen. 


ÜBER  .MARTIN  U.  LIEMIAKT,  WÖRTERBUCH  DER  ELSÄSSISCHEN  MUNÜAKTEN  427 

mutzen  schmücken  (p.  745)  s.  mhd.  mutzen. 

hinecht,  hint  heute  nacht  (p.  757)  s.  mhd.  hinaht  —  usw. 

Heisst  dies  rückwärts  blicken,  so  würde  eine  weitere  aufgäbe  des  lexikographen 
darin  liegen,  die  Wirkung  der  elsässischen  Volkssprache  in  hochdeutschen  Schriftwerken 
neuerer  und  neuester  zeit  nachzuweisen.  Der  Kolmarer  Pfeffel  wäre  daraufhin  durch- 
zusehen, wol  auch  der  Rappoltsweiler  Spener.  Einen  niederschlag  bei  Goethe 
wird  man  von  vornherein  vermuten:  weilte  er  doch  zwei  jähre  seiner  empfänglichsten 
periode  im  Elsass.  Nun  vergleiche  man  folgende  stellen:  Gesch.  Gottfr.  v.  B.  act  III: 
unterst  zu  oberst  stürzt  ihn  mein  herr  vom  pferde,  dass  der  federbusch  im  kot 
stack.  Zunderst  zöwerst  im  sinne  von  alles  durcheinander,  verkehrt,  drunter  und 
drüber  ist  eine  der  gewöhnlichsten  elsässischen  wrendungen,  s.  Eis.  wb.  p.  8;  ein 
spiel  dieses  namens  Jahrb.  des  Vogesenklubs  VIII,  79. —  Jeder  kennt  im  ersten  teile 
des  Faust  die  stelle,  wo  Mephistopheles  dem  liebespaare  nachruft:  Mut  will' ge  sommer- 
vögel  (v.  2847).  Das  bedeutet  Schmetterlinge,  so  im  Elsass  allgemein.  —  (v.  3075) 
Misshör  mich  nicht,  du  holdes  eingesteht!  Das  verbum  dürfte  manchem  aufgefallen 
sein;  misshören  für  falsch  verstehn  Eis.  wb.  p.  369.  —  (v.  2799)  Das  Sprichwort 
sagt:  ein  eigner  herd  Ein  braves  weih  sind  gold  und  perlen  teert.  In  der  form 
en  eijener  herd  isch  goldes  wert  Eis.  wb.  p.  371.  —  (v.  3105)  Mephistopheles  ist  so 
unhöflich,  nach  Gretchens  abgang  zu  rufen:  Der  grasaff!  ist  er  weg?  —  ein  wort, 
das  Goethe  ungalanter  weise  widerholt,  wie  er  seine  frühere  braut  in  Strassburg  als 
junge  nnitter  widersieht.  Die  spöttischen  Zusammensetzungen  mit  aß'  sind  im  Elsass 
sehr  volkstümlich.  Wir  finden  (Eis.  Wb.  p.  lli)  brüllaff,  galaff,  geigaff,  /""ff,  schlur- 
aff,  teigaff  u.  a.  Grasaff  sollte  hier  nicht  fehlen;  ich  kann  es  als  noch  heute  ge- 
bräuchlich bezeugen. 

Ich  schliesse  die  besprechung  des  trefflichen  werkes  mit  einigen  kleinen  nach- 
tragen. 

Zu  s.  44  eim  eins  buche.  Man  sagt  in  Strassburg  auch:  dem  liaw  i  cini 
gschteckt  mit  erniel  und  handmanscheetc. 

s.  44  in  dem  kindervers  wie  soll  s  heissen?  alti  mudelgeissen  ist  das  letzte 
wort  nicht  erklärt.     Es  sollte  s.  653  stehen:  mudel,  f.  eine  art  ziege  ohne  hörner. 

s.  45  ohneins:  bei  Zahlenangaben  (wie  lat.  uudeviginti)  schon  im  mittelalter: 
uiube  an  eine  xwenxig  mark-  luters  linde  lötiges  silbers  Straxpurgcr  gewiges.  Urk. 
B.  111,87. 

s.  40  iiberenxig:  hier  sollte  die  stelle  aus  dem  Pfingstmontag  nicht  fehlen :  was 
diss  e  daigaff  isch,  so  hvwerenxi  du  mm! 

s.  50  under  enander:  ilass  uf  dem  bekannte  plätzel  wirklieh  c  so  en  unter- 
nands  isch.     Str.  ztg.  28.  XL  1900. 

s.  55  ungkät  biete  ist  doch  wol  frz.  ennuete. 

s.  66  arg:  das  alte  Substantiv  dazu  heisst  ergr  (diese  Substantivbildung,  nach 
dicke,  fülle,  echt  alemannisch;  vgl.  eile,  vile,  heitere,  füchte,  vinstere).  erge  be- 
deutet kargheit,  geiz:  erge  des  silbers  im  sinne  von  geringer  geholt  der  münze. 
Urk.B.  11,259. 

s.  79  üsseren:  sich  eussem  steht  im  sinne  von  „die  stadt  verlassen,  verreisen" 
in  den  Leges  gymnasii,  abgedruckt  Festschi.  des  prot.  gymn.  I,  1  I-'. 

s.  89  fabrizieren:  bym  e  wirth,  der  schönt  füsser  fabrixirt.  Hut/..  Qed.  s.  101 ; 
auch  =  anrichten :  du  hesch  ebs  nets  fawrixiert. 

s.  128  ver-:  dazu  verrewlen  perire  (von  rebstöoken)  L.  Sohneegans,  Orthogr. 
anarchio  p.  52. 


428         ERDMANN  ÜBER  MARTIN   CT.  I.IhNIIAKT .   WÖRTERBUCH   DBB   I  Ml  HDABTEN 

s.  132  ßhrblose  waren  ausgebohrte  meterlange  holunderstäbe  zum  feaeranblasen. 
Teutscb,  Strassb.  bilder  p.  51.    Siehe  jetzi  Charles  Bohmidi  i  i  blase, 

s.  136  fuehr  spass,  scherz:  e  schont  fuehr  gab  düs  emol.  Hirtz,  Ged.  .-..  168. 
Das  davon  abgeleitet«;  adj.  fuerig,  fueriekt  sollte  wegen  seiner  häufigkeit  mehr  belegt 
sein.  Man  sagt  in  Btrassburg  a  isch  e  füerichti  gsehicht,  <■  füerichter  kerl;  im 
adverb:  der  hei  füeri  gebabbelt,  füerichti  Situation  Stosakopf,  !I"m  Ifaire  11.  13. 
c  füerichter  mode  ebenda  III,  7. 

s.  16G  fiug :  vlugengel  ist  der  erzengel  Micbael  (1261)  Urk.  B.  I,  360. 

s.  204  guguch:   dazu  das  deminutiv  giiksel.     .Man   sagt:    vüm  giücsel,  et 
(jiiksri.    So  vuem  gucksei,  meinscht,  i  bin  so  dumm?    Hirt/.,  Ged.  s.  168. 

s.  214  gige  druckiehler  für  gilge.  Das  wort  ist  nicbt  so  veraltet;  ein  Neu?- 
dorfer  apotheker  konnte  noch  neuerdings  seine  apotheke  zur  Oilgcn  nennen;  es  wird 
aber  (nach  dem  zeugnis  von  Ch.  Schmidt)  stets  Jilje  gesprochen. 

s.  223  gäng:  der  ausdruck  gäng  und  gab  wird  schon  im  ma.  flectiert  gebraucht: 
vier  und  xu-enxig  phunt  genger  und  geber  Straxburgere  Urk.  B.  11,222.  umbe 
W  mark  silbers  genges  und  gebcs  (1290)  Urk.  B.  III,  79,  s.  einleitung  s.  XXX  VI  II. 

s.  240  geist:  der  heilig  geist  für  poetische  begcisterung:   wo  saue,  dat 
dichter  sinn,  dass  sie  der  lieili  geiseht  thut  tritoe.     Schneegans,  Orth.  an.  s.  45. 

s.  277  grind  köpf,  schon  1332:  und  slug  Wilhelm  von  Stille  in  grint  mit 
eitlen/  messer  (Urk.  B.  V,  15). 

s.  278  grindig  ist  krätzig,  was  im  dialect  nicht  gebraucht  wird.  E  grindichi 
Jcatx.  —  Sinn  sie  nit  grüendi,  d  krotte?    Hirtz,  Ged.  s.  168. 

s.  288  fehlt  gspass.  dis  isch  e  dummer  g.  —  e  gspass  in  ehre  soll  nieme 
wehre.  Hirtz,  Ged.  s.  161.  —  Adj.:  gspässi(g).  Doch  d'  gspässi  nas  die  g 'fallt 
mir  nit.     Hirtz,  Ged.  s.  165. 

s.  297  hebet:  hebelendivien  ist  ein  scherzausdruck  für  prügel.  Der  het  e  portion 
hewelandiß  grieit.     Str. 

s.  362  kugelhopf  hat  seinen  namen  doch  wol  daher,  weil  das  backwerk  aus  der 
gugel,  d.  h.  aus  der  haubenartigen  kuchenform  herausspringt. 

s.  371  hard,  in  Ortsnamen  häufig,  sollte  klarer  abgeleitet  sein.  Im  Eis.  wb. 
steht  als  erste  bedeutung  wald,  meist  mit  hartem  höh,  buchen,  eichen  (gegensntx 
grüner  tvald,  Rheinwald).  Von  der  härte  des  waldholzes  hommt  der  ausdruck  sicher 
nicht.  Nach  dem  mhd.  (s.  Lexer)  ist  hart  zunächst  „fester  Sandboden"  im  gegensatz 
zu  der  gepflügten  ackererde.  So  Tristan  17342:  über  velse  und  über  herte.  Dann  weide- 
trift,  endlich  wald.     Überall  ist  der  gegensatz  zu  dem  urbar  gemachten  felde  ersichtlich. 

s.  406  Jäck  branntwein ,  das  abgekürzte  cognac. 

s.  432  kalb  Mosis:  do  müesst  einer  schun  c  geduldigs  kalb  Moses  (so!j  sin. 
Stosskopf,  Herr  Maire.     Es  ist  aber  jedesfalls  genetiv. 

s.  512  fehlt  kräbcle  altersschwacher  greis.  En  aldes  kräicucle  kummt  jetx. 
Hitz,  Ged.  s.  166. 

s.  680  memm.  mimmele  heisst  in  Ursprung  bei  Reichenweier  auch  ein 
kleines  kalb. 

s.  692  mund  (os)  ist  nicht  elsässisch,  dafür  und.  Nun  wäre  es  interessant, 
die  andere  bedeutung  tutela  aus  dem  ma.  nachzuweisen.  Im  Urk.  B.  II,  247  steht: 
von  Herrn  Reinboltes  Süsxen  unsers  burgers  und  sinre  kinde  und  ir  muntbar  wegen 
(1312).     Muntbar  ist  der  vormund. 

s.  694  munkendrüssel :  hier  fehlt  der  beleg  aus  dem  Pfingstmontag  I,  1:  i  toill 
e  schmixxel  xerst  von  unser m  mimggedrissel. 


NACHTRÄGE   UNO    BERICHTIG  l*N' JEN  429 

s.  702  mohre  (scrofa):  Hierzu  die  drastische  redensart  s  isch  scheen  ankumme, 
wie  e  moor  im  e  juddehüs.  Stosskopf,  Herr  Maire  1,8.  —  Ebenso:  grad  ivie  e  söu 
ins  juddehuus.     Hirtz,  Ged.  s.  165. 

s.  772  genams.  Die  herleitung  von  nemmm  =  nennen  ist  nicht  plausibel.  Viel- 
mehr von  genamen  =  genehm  erklären.  So  Urk.  B.  I,  364  in  dem  b riefe  bischof 
Walthers:  unde  uissent,  dax  wir  den  tac  mit  tcolten  genamen... 

STRASSBURG    I.  E.  M.  EEDMAKN. 


NACHTKÄGE  UND  BERICHTIGUNGEN. 

Zeitschr.  35.  6  änm.  z.  4  lies  und  st.  oder;  ebenda  z.  7  lies:  der  vogel  der:  s.  13 
z.  27  lies:  ivintra  gebidenra  st.  gebidenra  d<H;  ebenda  anm.  1  z.  4  fg.  lies:  durch  die 
gewaltsame  Verbindung...  wird  nicht  nur  75  unverständlich,  sondern  auch 
73.  74  bleiben  unklar  wie  zuvor. 

Zu  dem  aufsatze  H.  Schachners  über  das  Dorotheaspiel  (Ztschr.  35, 157 fgg.) 
war,  wie  uns  J.  Holte  freundlichst  mitteilt,  auf  die  in  seinem  Danziger  theater  (1895) 
s.  78  —  81  verzeichneten  dramen  und  aufführungen  des  16.  — 18.  jhs.  hinzuweisen. 
Ferner  verweist  er  auf  Wolter,  Zeitschr.  des  Berg,  geschichtsvereins  31,  98.  100 
(aufführungen  in  Köln  1628  und  1648),  Martin,  Strassburger  stud.  1,97  (auffuhrung 
in  Strassburg  1698);  F.  A.  A.  Meyer,  Olla  Potrida  (1791)  1,  87;  endlich  (zu  Massiugers 
englischem  Schauspiel)  auf  Koeppel,  Quellenstudien  zu  den  dramen  Chapmans 
(1897)  s.  82.  

In  meiner  abhandlung  über  den  ljoÖahättr  im  34.  bände  der  Zeitschrift 
hat,  was  ich  leider  erst  jetzt  bemerke,  der  setzer  in  dem  versregister  (s.  490  fgg.)  die 
Verweisungen  auf  den  Grögaldr  übersprungen.  Es  ist  also  s.  492  hinter  Gautr 
einzuschieben: 

Gg  V:öi,4r.  115a.  2.  V  :  130.  I8 :  58  a.  1.  91  a.  1.  I4 :  149.  21 :  55  a.2.  82c.  25: 
130.  28:16a.l.  82f.  24 :  150.  3 '  :  43.  114.4.  32:158a.  38:48.  78.  34:155. 
4' :55.  102a.7.  42:131.  43 : 58.  82\  44:142".  5  '  :  57  a.3.  78  a.  1.2.  52:130. 
5:!:59.  82d.  54:157a.l.  61 :  64,  5.  102  a.5.  6*:  158.  68: 36.  92 a.3.  6':  126 
a.2.  71: 64,5.  81.  7*:  130.  78:57,2.  82d.  74:135.  81: 64 a.4.  93.  88:156. 
8 :i:  55.  82  a.  9.  84:135.  91 :64  a.  4.  93.  9':  156.  98:2.  78.  94:141.  101: 
64  a. 4.  110 a.2.     10- :  150.     10' :  55.  84  a.  1.     104  :  139.     10r> :  130.  181. 

II1  :64  a.  4.  109.  1P  :  156.  118:55.98.  11'  :  170  a.3.  12' :  64  a.  4.  81. 
12- :  120.  12:,:2.  84°.  12*:  141.  13 l :  64  a.4.  81.  138: 155.  138:37.  91. 
134:155.  14'  :  64  a.4.  92  a.  1.  142:130.  14:,:8.  75,3.  14  '  :  182.  t51:3.88b. 
15-':142b.  153:  64,  4.  114,  5.  15*:145a.  16':55.  93.  10- :  141.  16:,:47.  94. 
16*  :145  a. 

Ausserdem  sind  folgeude  falsche  citate   zu  berichtigen:   Fj    6*:  121.     s '  :  10. 

82°.     18 3:  2.   75  a. 6.       Gnu   33' :66a. 2.      518:3.    75,3.       Hgsv    139':  61.    82  a.4. 

HHt18*:143.      Hov  6fi :  65,  3.  81,  1.     55 :l :  15  a.4.  78.     691 :  37  a.l.  81  a.  1.     130": 

64,  4.  75,  1.       Ls  12'-' :  142b.       Skin  41- :  162  a.      Vm   l4 :  151  a.2. 

Im  texte  der  abhandlung  ist  noch  folgendes  zu  ändern: 

§  3  (s.  168  fg.)  ist  unter  «  das  citat  H<je  110'  zu  streichen  und  unter  &  einzureiben 

(mal'a  at  I>ylja). 
§  3  aum.,  z.  2  lies:  §  75  st.  §  74. 


430  NOTE    KRSrilF.INUNOEN 

§  5  atnn.  1 ,  /..  3  Lies:  Shm  41 '. 

§  15  aum.  4,  ■/..:>,  lie      E$v  55"  (statt  155"). 

§  62  anm.,  /..  1    Inge  nach   |>;<t  ein:   7'}  10 '. 

§  79«  (s.  205  z.6)  lies:  liggja. 

§  82 f  z.  2  lies:  bäs  st.  es. 

§  129  z.  3  lies:  drjugt. 

§  136  anm.,  z.  .'i  Lies:  ban  st.  ban. 

§  141  z.  7  lies:  aldir  st.  aldar. 

§  1-11   anm.,  z.  5  lies:  at  bjarga  st.  ok   bj. 

tj  156  z.  12  lies:  skamniar  st.  skammer. 

§  157  z.  4  lies:  fengumk  st.  fckkumk. 

§  161   fussnote  (s.  479  z.  3  v.  u.)  lies:  roynt  .st.  reyt. 

§  1G3  aum.  1 :  die  stelle  Alv  IG2  ist  in  den  §  160  zu  setzen. 

§  170  anm.  3.  z.  3  lies:  Grundtvig  st.  Sijmons. 

s.  486  z.  16  lies:  buinn  st.  buina. 

s.  487  z.  20  füge  nach  Skm  2()2.  24  -  hinzu:  (aber  cod.  A  hat  an  beiden  stellen  den 

ganz  correcten  vers:  at  manns  enskis  munum). 
s.  489  z.  2  füge  nach  (BG1)  hinzu:  (so  schon  Grundtv.2  s.  208). 


NEUE  ERSCHEINUNGEN. 

Andreen,  Gust.  Alb.,  Studies  in  the  idyl  in  German  literature.  [Augustana  Library 
publications  nr.  3.]     Rock  Island,  111.  1902.     96  s. 

Cook,  Albert  S.,  Biblical  quotations  in  old  english  prose  writers.  Second  series, 
edited  with  the  latin  Originals,  index  of  biblical  passages  and  index  of  piincipal 
words.  New  York,  Charles  Scribner's  son  (London,  Edw.  Arnold)  1903.  XII, 
397  s.     6  sh. 

Dieterich,  Albreclit,  Über  wesen  und  ziele  der  Volkskunde;  Usener,  Herinaiin, 
Über  vergleichende  sitten-  und  rechtsgeschichte.  [Sonderabdruck  aus  den 
Hessischen  blättern  für  Volkskunde  I,  3.J  Leipzig,  Teubner  1902.  (II),  67  s. 
1,80  m. 

Döring,  E. ,  Beiträge  zur  kenntnis  der  Sondershäuser  mundart.  Sondershausen  1903. 
[Progr.  der  fürstl.  realschule.]     (II),  48  s. 

Edda  SaniMiidar.  —  Die  lieder  der  Edda  herausgegeben  von  B.  Sijmons  und 
H.  Gering.  Zweiter  band:  Vollständiges  Wörterbuch  zu  den  liedern  der  Edda 
von  H.  Gering.  [A.  u.  d.  t. :  Germanist,  handbibliothek,  begründet  von  Jul. 
Zacher.     VII,  4.  5.J     Halle,  Waisenhaus  1903.     XIII  s.  u.  1404  sp.     24  m. 

Eddica  minora.  Dichtungen  eddischer  art  aus  den  Fornaldarsögur  und  anderen  prosa- 
werken zusammengestellt  und  eingeleitet  von  Andreas  Heusler  und  Wilhelm 
Ranisch.     Dortmund,  Fr.  W.  Ruhfus  1903.     CX,  160  s.     5  m. 

Eulenspiegei.  —  Brie,  Friedr.  W.  D.,  Eulenspiegel  in  England.  [Palaestra  XXVII. J 
Berlin,  Mayer  &  Müller  1903.     VH,  152  s.     4,80  m. 

Fischart.  —  Engler t,  Anton,  Die  rhythmik  Fischarts.  Ein  beitrag  zur  geschichte 
der  deutschen  metrik.     München,  C.  H.  Beck  1903.     VIII,  99  s.     4  m. 

—  Hampel,  Ernst,  Fischarts  anteil  an  dem  gedieht:  „Die  gelehrten  die  verkehrten". 
Naumburg  1903.  [Beilage  zum  Jahresbericht  des  städt.  realgymnasiums  i.  e.j 
(IV),  72  s. 


.NEUE   ERSCHEINUNGEN  431 

Fulda,  Fürchtegott  Christ.,  Trogalien   zur  Verdauung  der  Xenien  (1797);  hrg.  von 

Ludw.  Grirnm.    [Antixenien,  1.  lieft  =  Deutsche  litt,  denkmale  des  18.  u.  19.  Jhs. 

nr.  125.]     Berlin,  B.  Behr  1903.     XVIII,  45  s.     1,20  m. 
Gudrun.     Die   echten  teile  des  gedichtes  nach  Karl  Müllenhoffs  text  übersetzt  von 

Ernst  Martin.    Mit  bildern  von  Jul.  Jürss.    Strassburg,  Heitz  1903.   (IY),  59  s.  4. 
Hebbel.    —    Fries,   Albert,   Vergleichende  Studien    zu  Hebbels    fragmenten    nebst 

miscellaneen  zu  seinen  werken  und  tagebüchern.     [Berliner  beitrage  zur  german. 

u.  roman.  philo!.  XXIV;    German.  abteilung  nr.  11.]     Berlin,    E.  Ehering   1903. 

(IV),  59  s.     2,40  m. 
Hechtenberg,  Klara,  Der  briefstil  im  17.  Jahrhundert.    Ein  beitrag  zur  fremdwörter- 

frage.     Berlin,  B.  Behr  1903.     48  s. 
Hoffmann,  Johannes,    Die  "Wormser  Geschäftssprache  vom  11.  bis  13.  Jahrhundert. 

[Acta  germanica  VI,  2.J     Berlin,  Mayer  &  Müller  1903.     (IV),  92  s.     2,80  m. 
Howard  Foley,  Emily,    The  language  of  the  Northumbrian   gloss   to  the  Gospel  of 

Saint  Matthew.     Part  I.  phonology.    New  York,  Henry  Holt  and  co.  1903.    [Tale 

studies  in  English,  Albert  S.  Cook  editor.  XIV.]     VI,  81  s. 
Jcllinek,  Artur  L.,    Bibliographie  der  vergleichenden  litteraturgeschichte.     I.  band. 

heft  1.     Berlin,    Alex.  Duncker  1903.     19  s.     (Der  Jahrgang  von  4  heften  6  m.) 
Knaust.  —  Heinrich  Knaust.     Ein  beitrag   zur  geschichte  des  geistigen  lebens  in 

Deutschland  um    die  mitte    des   16.  Jahrhunderts   von  Her m.  Michel.     Berlin. 

B.  Behr  1903.     VI,  344  s.     8  m. 
Levy,  Richard,  Martial  und  die  deutsche  epigrammatik  des  17.  Jahrhunderts.    Stuttgart, 

Levy  &  Müller  1903.     (IV),  111  s.     3  m.     [Heidelberger  dissert.] 
Melanchthon.  —  Ellinger,    Georg,    Philipp    Melanclitou.     Ein  lebensbild.      Berlin, 

R.  Gärtner  1902.  XVI,  624  s.  14  m. 
Metra.  --  Krämer,  Ernst,   Die  altenglischen  metra  des  Boetius,   herausgegeben  u. 

mit  vollständ.  Wörterbuch  versehen.    [Bonner  beitrage  zur  auglistik.  VIII.]    Bonn, 

P.  Hanstein  1903.  (VI),  159  s.     4,50  m. 
Sfourek,  E.  V.,  Über  die  negation   im  mittelhochdeutschen     [Sitz. berichte  der  kgl. 

böhm.  gesellsch.  der  wissensch.,  philos.-hist.  kl.  1902,  nr.  12.]     Prag  1902.  30  s. 
Nyrop,  Kristoffer.  Das  leben  der  Wörter.    Autorisierte  Übersetzung  aus  dem  dänischen 

von  Robert  Vogt.     Leipzig,  Ed.  Avenarius  1903.  (VIII),  263  s. 
Ordbok  öfver  Svenska  spräket,  utgifven   af  Svenska  akademien.     Haftet  23:  Asses- 

sorat  —  auktion.     Haftet  24:  Bekommelig  —  bemärka.     Lund,   Gleerup   [Leipzig, 

M.  Spirgatis]  1903.  sp.  2513  — 2672  u.  sp.  961  — 1120.  ä  1,50  kr. 
Platen.  —  Platen  in  seinem  Verhältnis  zu  Goethe.     Ein  beitrag  zur  inneren  entwick- 

lungsgeschichte  des  dichters  von  Rud.  Unger.     [Forschungen  zur  neueren  lit. 

gesch.  hrg.  von  Franz  Muncker.  XX 1 1 1 .  j    Berlin,   Alex.  Duncker   L903.  (Villi. 

190  s.     5  m. 
Polzln,  Albert,  Geschlechtswandel  der  substantiva  im  deutschen  (mit  einschluss  der 

lehn-  und  fremdworte).     Eildesheim  190:1.     tili,  71  s. 
Rosenhagen,  Gust. ,  Die  strophe  in  der  deutschen   klassischen  ballade.     1.  Strophe 

u.  darstellung.    (l'rogr.  der  realschule  in  Eilbeck.)    Hamburg  1903.    46  b. 
Schatz,   Josef,    Die   tirolisohe    mundart.     [Separatabdruck   aus  der   Ferdinandeums- 

zeitsohrift.]     Innsbruck.  Wagner  in  comm.     L903.    '.Ms.  u.  1  karte.     1.50m. 
Scheit,  Caspar.  —  Caspar  Scheits   Frölicb   heimfart   nach   ihren  geschichtlichen 

und  litterarischen  elementen  untersuch!  von  Karl  Eedioke.     Halle  1903.    (TT), 

72  s.  [Hallische  dissert. J 


432  MACHEN  i 

Schiller.  —  Hanstein,  Adalb.  v..  Wie  entstand  Schillei    l  ber?  [A.  n.d.  t: 

Forschungen  zur  neueren  litt. gesell.,  hrg.  von  Frau/,  Uuncker.  XX IL]  Berlin, 

Alex.  Duncker  1903.  (Villi,  SO  s.    2  m. 
Schtfnbaeh,  Anton,  K.,   Miszellen  aus  Grazer  handBohriften.     V,  12.    Dur  pn 

von  Bct.  Lambreoht.    [Sondorabdruck  aus  den  Beiträgen  zui  erfoi  chnng    teiri  eher 

gesohichte.     XXX III.  |    Graz  1903.    05  s. 
—  Über  einige  evangelienkonunentare  des  mittelalters.    [Sitzungsberichte  der  Caiserl. 

akad.  der  wiss.  in  Wien;  PhiL  bist  ol.  CXLVI.-I.;     Wien  1903.    (II),   176  s. 
Schonlng,  0.,   Dcdsriger   i    nordisi    bedentro.     |A.  u.  d.  t.:    Studier   fra   sprog-og 

oldtidsforskning  ndgivne  af  det  philologisk-historiske  samfund,   nr.  57.]     I. 

havi),  Klein   190:5.     54  s.     1  kr. 
Tobler,  Alfred.  Das  Volkslied  im  Appenzellerlande.    [Schriften  der  schweizer. 

schaft  für  Volkskunde.     III.|     Zürich  1903.     (IV),  147  8.     3,50  fr. 
Trautiiiaim,  Moritz,  Finn  und  Hildebrand.    Zwei  beitrage  zur  kenntnis  der  altgerm. 

heldendichtung.     [Bonner  beitrage  zur  anglistik.  VII.]     Bonn,    P.  Haust. -in   1903. 

VIII,  131  s.    4,50  m. 
Verner,  Karl,  Afhandlinger  og  breve  udgivue  af  Selskab  for  germansk  Glologi.     Med 

eu  hiografi  ved  Marius  Vibsek.    Trykt  pä  Carlsbergfondets  bekostning.    K 

havn,  J.  Frimodt  [Leipzig,  O.  Harrassowitz]  1903.   (IV),  XCII,  372  s.  und  2  taff. 

10  m. 
Weidling,  Friedr.,   Drei  deutsche  Psyche -dichtungeu   [Schulze,  Hamerling,  Me; 

Jauer,  0.  Hellmann  [1903].     23  s. 
Wulfila.  —  Friedr. Ludw.  Stamms  Ullilas  oder  die  uns  erhaltenen  Denkmäler  der  gotischen 

spräche,  neu  herausg.  von  Moritz  Heyne  und  Ferd.  Wrede.    10.  aufl.    Pader- 
born, Schöningh  1903.    XVI,  44G  s.    5  m. 


NACHRICHTEN. 

Am  31.  januar  1903  verschied  zu  Oxford  der  professor  der  angelsächsischen 
spräche  John  Earle;  am  6.  februar  zu  Dresden  der  Goetheforscher  Woldemar 
freiherr  von  Biedermann  (geb.  5.  märz  1817  zu  Marienberg). 

Befördert  wurden:  der  ausserordentl.  professor  dr.  Ernst  Elster  in  Marburg 
zum  Ordinarius,  die  privatdocenten  dr.  J.  Co  Hin  und  dr.  J.  Strack  in  Giessen  zu 
ausserordentl.  professoren. 

Professor  dr.  Gustav  Roethe  in  Berlin  ist  zum  ord.  mitgliede  der  kgl.  akademie 
der  Wissenschaften  ernannt  worden. 

An  der  Universität  Göttingen  habilitierte  sich  dr.  C.  Borchling  für  germanische 
Philologie,  an  der  Universität  Zürich  dr.  A.  Ehrenfeld  für  deutsche  litteraturgeschichte. 


Buchdruckerei  des  Waisenhauses  in  Halle  a.  S. 


BEITRÄGE  ZUE  QUELLENKRITIK  DER  GOTISCHEN 
BIBELÜBERSETZUNG. 
6.   Die  Corintherb  riefe.1 

Keiner  der  von  uns  für  die  gotischen  evangelien  angezogenen 
griechischen  bibelcodices  enthält  die  paulinischen  briefe. 

Es  erhebt  sich  also  die  frage,  an  welche  quellen  man  sich  für  die 
episteln  zu  wenden  habe. 

Zur  Untersuchung  erscheint  zunächst  der  zweite  Corintherbrief 
besonders  geeignet,  weil  er  vollständig  in  dem  cod.  Ambros.  B  und  zum 
teil  auch  in  cod.  Ambros.  A  überliefert  ist.  Mit  den  Varianten  und 
marginalien  dieser  handschriften  stellen  neue  hilfsmittel  der  quellen- 
kritik  sich  ein. 

1. 

Dass  auch  für  die  briefe  von  der  griechischen  bibel  des  Chrysostomus 
ausgegangen  werden  muss,  ersehen  wir  schon  aus  folgenden  belegstellen, 
für  die  ich  mich  auf  die  Zusammenstellung  von  S.  K.  Gifford  (Pauli 
epistolas  qua  forma  legerit  Joannes  Chrysostomus  Halis  Sax.  1902  = 
Dissertationes  philologicae  Halenses  XVI,  1)  stütze: 
Rom.  9,32  us  waurstwam  witodis :  ov%  euie  ££  tQyiov  alfc  cog  e§  tQycov 
VÖ/.10V  Chr  (mit  KLP  gegen  BFG). 

11,21  ibai  aufto  ni  puk  freidjai :  ovx  eitiev,  ovds  aod  (fslosiai,  dlld 
fxrjntog  ovds  aov  (psioExai  Chr  (mit  FGL  gegen  BP). 

12,2     ni  \t4  Chr  (cfr.  Gifford  p.Sl). 

13, 12  sarwam :  ovasti  sqya  dlld  OTtla  Chr. 

13, 14  fraujin  uusaramma  :  töv  kijqiov  fyitov  Chr  (cfr.  Gifford  p.  81). 

14,10  Xristaus :  XqiotoC  Chr  (mit  LP  gegen  BFG). 

14.18  in  paim :  sv  tovzoig  Chr  (mit  L  gegen  BFGP). 
l.Cor.  9,  22  l^aiwa  sumans  :  e\jie  rtavttug  civag  Chr. 

10,16  piupiqissais :  svloylav  titav  eijuo  Chr  (gegen  F('). 

10. 19  patei  po  galiugaguda  Ira  sijaina  aippau  patei  galiugam  saljada 
lya  sijai  :  bxi  elöioXöv  ci  eotiv  )]  üu  udo)X6dv%6v  n  eovtv 
Chr  (mit  KL). 

1)  Vgl.  Zeitschr.  32,  305. 

ZKITSCIIRIFT    F.    DKUTSCHK    PHILOLOGIE.       BD.   XXXV.  28 


434 

l.Cor.14,2]   anparaim : sreQoig  Chr  (gegen  B). 

15,48  lWleiks :  olog  (sine  Kai)  Chr. 
2.  Cor.  1,10  us  swaleikaim  dau|>um:  ex  vijXmotiTutv  (toooijtiüv)  9-avd 
tiov  .  .  .  in'/.   £i7Ctv  .-■/.    motu' Kor  /.in)i'>an'  Ohr  (di\  Gifford 
p.  83).  ^ 
1,15  anst:yÜQir  ivraß&a  Xeyei  Chr. 
2,12  in    aiwaggeljon  :  etc;    cd    evayyOuov   zovrtou    diu     ioF 

evayyeliov  Chr  (gegen  FG). 
5,3     gawasidai :  evÖvoAfjLevoi  Chr  (mit  KLP  gegen  FG). 
13,  3     unte  :  eitel  Clir. 
Eph.   2,8    jah  |>ata  ni  us  izwis : *Eq>eoLoig  yqu.(\t<>y  Heye . . .  nal  toüto 
ovy.  s£,  bfi&v  Chr  (gegen  FG). 
3,8     in  piudom  wailamerjan  po  unfairlaistidon  gabein  :  ev  lolg, 
l'd-veaiv    evayyekiGaatiai    tov    uveir/ylaoiov    7c'Lovvov    Chr 
(mit  KL). 
4,  6     in  allaim  uns :  iv  näaiv  fjfxlv  Chr. 
l.Thess.2, 15  swesaim  praufetum :  xovq  idlovg  TtQocprjrag  Chr  (mit  KL). 
Philip.   1,18  merjada :  /.arayyeXetai,  ovy.  e\ne  YMxayyeXtGÜio  Chr. 
Col.  4,8     ei  kunnjau:iVa  yvio  Chr  (mit  KL;  cfr.  Eph.  6,22  ei  kunneip 
Iva  yvCoxe  Chr). 
2. Tim.  4,1     bi   qum  is  :  xaxä   ttjv   IrcKfäveiav   avrod  Chr    (mit   KLP 
gegen  FG). 
Gifford  hat  auch  bereits  (p.  75  fg.)  in  weiteren  nachweisen  con- 
statiert,  dass  die  codd.  KLMP  der  griech.  episteln  vor  allen  andern  zu 
Chrysostomus  sich  stellen.    Wo  dieser  versagt,  wird  man  also  in  erster 
linie  auf  diese    byzantinischen    Codices    und    nicht    mit  Bernhardt    auf 
FG  sich  beziehen  müssen. 

2. 
Nun  liegen  aber  einwandfreie  indicien  vor,  dass  die  got.  Übersetzung 
der  griechischen  Corintherbriefe  verschiedene  Stadien  durchlaufen  hat 
und  nicht  in  der  ursprünglichen  fassung  erhalten  ist.  Es  genügt  auf 
die  in  den  gotischen  handschriften  erhaltenen  marginalien  zu  ver- 
weisen, um  jüngere  zusätze  zu  belegen.  Auf  diese  erscheinung  werde 
ich  im  verlauf  zurückkommen. 

Vollkommen  klar  treten  kritische  zusätze  auch  in  den  sub- 
scriptionen  der  beiden  briefe  heraus.  Die  Unterschrift  von  1.  Cor.  ist 
nur  in  A  überliefert:  du  Kaurinpium  .a.  ustauh.  du  Kaurinpium  fru- 
mei  melida  ist  us  Filippai,  swe  qepun  sumai,  ip  mais  pagkeip  bi 
silbins  apaustaulaus  insahtai  melida  ivisan  ns  Asiat. 


BEITRÄGE   ZUR    QUELLENKRITIK    DER   GOT.  BIBELÜBERSETZUNG  435 

Dieser  Wortlaut  ist  ganz  singulär  und  weder  in  einer  griechischen 
noch  in  einer  lateinischen  bibel  zu  belegen.  Er  enthält  den  selbstän- 
digen vermerk  eines  textkritikers,  der  nichts  mit  der  bibel  zu  schaffen 
hat.  Der  kritiker  charakterisierte  die  abweichenden  Überlieferungen 
dahin,  dass  die  eine  nicht  massgebend  und  einseitig  sei  (swe  qepun 
sumai),  die  andere  dagegen  zuverlässiger  und  vom  apostel  selbst  bezeugt 
sei  (mais  pugkeip  bi  silbins  apaus  tau  laus  insahtai  cfr.  1.  Cor.  15,  32. 
16,  5.  8).  Die  angefochtene  notiz  du  Kaurinpium  frumei  melida  ist  us 
Filippai  findet  sich  als  subscriptio  in  den  codd.  KL:  rvqbg  -/.OQivd-iovg 
TCQiotrj  syQacptj  ärcb  Oilutjctov;  die  anerkannte  herkunftbezeichnung  hat 
ihre  unterläge  in  der  subscriptio  von  P:  lyqäyit]  mib  ^Ecptoov  (+  zfjg 
Aaiag  cod.  116.  Eiithal.).  In  einer  kritischen  edition  wurden  also  die 
abweichenden  quellenangaben  mitgeteilt  und  nach  ihrem  historischen  wert 
beurteilt:  man  wird  hinter  solchem  verfahren  die  hand  der  gotischen 
bibelkritiker  Sunja  und  Fripila  (Zeitschr.  32,  317)  vermuten  dürfen.  Aber 
ausserdem  bietet  die  gotische  Unterschrift  das  sätzchen  du  kaurinpium 
.a.  ustauh.  Dies  hat  sein  correlat  an  der  Überschrift  des  unmittelbar 
folgenden  2.  Corintherbriefs:  du  Kaurinpaium  anpara  dustodeip.  Für 
die  verba  ustauh  und  dustodeip  versagen  unsere  griechischen  Codices 
KLP.  Sie  finden  ihre  deckung  an  den  lateinischen  formein  explirit 
und  incipit.  Man  hat  sich  also  im  laufe  der  zeit  nicht  darauf  be- 
schränkt, die  Unterschrift  des  griechischen  briefes  zu  verzeichnen,  son- 
dern hat  als  doublette  auch  die  lateinische  subscriptio  aufgenommen. 

Dass  hier  eine  jüngere  band  eingegriffen  hat,  lehrt  die  subscriptio 
des  zweiten  Corintherbriefs.  Sie  lautet  in  genauer  entsprechung  zur 
Überschrift  in  B:  du  Kaurinpium  anpara  ustauh.  Diese  worte  ent- 
sprechen nicht  der  griechischen  sondern  der  lateinischen  Schlussformel 
(ad  Corinthios  II  explicit  cfr.  Gabelentz-Loebe  I,  XXIII).  Die  griechische 
schlussformel  ist  in  A  neben  der  lateinischen  erhalten:  du  Kaurin- 
pium anpara  ustauh.  du  Kaurinpium  .b.  melip  ist  us  Filippai 
Makidonais  =  rcqbg  KoQivd-lovQ  .ß.  i-ygacpt]  mcb  Q)ikiit7Uov  KLP  -|  Jrtjfg 
lVla/.edoviag  K. 

Die  ursprüngliche  form  erhalten  wir,  wenn  wir  die  aus  lateinischer 
quelle  stammende  interpolation  du  —  ustauh  streichen.  B  hat  sieh  auf  die 
wunderliche  mischung  zweier  verschiedener  Schlussformeln  nichl  ein- 
gelassen. Vermutlich  war  also  in  der  ?orlagevon  AB  du  Kaurinpium 
anpara  ustauh  als  varia  leetio  ein  getragen,  die  von  dem  Schreiber 
von  B  an  stelle  ^v  im  context  überlieferten  fassung  eingesetzt  wurde, 
während  der  schreiber  von  A  mechanisch  beide  lesarten  uach  einander 

28* 


436  KAUKF.MAN'N 

widerholte.    In  einer  kritischen  ausgäbe  der  bibelübersetzung  darf  dies 

nicht  geschehen. 

Wir  werden  uns  aber  zunächst  begnügen  müssen,  wenn  BS  uns 
golingt  die  vorläge  von  AB  zu  reoonstruieren  d.h.  den  gotischen  bibel- 
text  in  der  form  herzustellen,  wie  er  in  jener  rorausliegenden  kritischen; 

mit   randnoten  versehenen    edition   —   die    ich    auf  Sunja    und    Frijiila 
zurückführe  —  sich  darstellte. 

3. 
Vollständig  ist  uns  der  gotische  text  des  zweiten  Corinther- 
briefes  in  cod.  Ambr.  B  und  beinahe  vollständig  ist  uns  der  griechische 
text  des  briefes  in  einem  commentar  des  Johannes  Chrysostomus 
erhalten  (Tov  iv  äyioig  7cacQÖg  i)(.uov  'hodvvov  uqyitJcio/.ÖTCov  Kivvocar- 
Tivov7t6leü)g  tov  Xqvoogi6(.wv  v7tö\xvr\\.KCi  elg  xhv  7cgög  KoQivtiiovg  dev- 
ttQav  htioxoliiv  MSG  61,  381  fgg.). 

Gelegentlich  hat  schon  E.  Bernhardt  constatiert,  dass  in  einzelnen 
lesarten  der  gotische  text  zu  dem  griechischen  des  Chrysostomus  stimme 
(vgl.  seine  anm.  zu  2.  Cor.  1, 10.  9,5  u.  a.).  Das  von  seiner  seite  geübte 
eklektische  verfahren  hat  ihn  jedoch  an  der  consequenten  ausnützung 
dieser  beobachtung  behindert1. 

Wenn  es  sich  jetzt  darum  handelt,  einen  neuen  griechischen  text 
zu  beschaffen,  der  einen  historischen  d.  h.  quellenmässigen  wert  reprä- 
sentiert, so  überlassen  wir  uns  vorerst  der  führung  einiger  marginalien 
und   Varianten   unserer  gotischen  handschriften.     Indem    ich   sie  mit 
dem  text  des  Chrysostomus  vergleiche,  bemerke  ich,  dass  ich  unter  der 
sigle  Chrys.  gleichzeitig  die  übereinstimmende  lesart  sämtlicher  oder  ein- 
zelner (besonders  namhaft  gemachter)  griechischer  bibelcodices  verstehe. 
1,  8     afsivaggividai  weseima  A  :  skamaidedeima  uns  B.    Die  lesart  von 
B  war  auch  A  bekannt,  so  fern  sie  hier  am  rand  verzeichnet 
wurde. 

Ein  analoger  fall  ist  12, 15  belegt,  wo  wir  lapaleiko  A,  gabaur- 
jaba  B  lesen,  dieses  jedoch  in  A  gleichfalls  am  rand  steht. 

Bei  Chrysostomus  finden  wir  an  der  1,8  entsprechenden  stelle: 
ii;a7TOQr]d-fjvai  fjfxäc  xal  tov  Lfjv,  rovreovi,  /itijdi  7TQOodo/.fjGai 
Ioitcov  fj(.i&g  tf\v  (p.  394).    Wenn  nun  2.  Cor.  4,  8  griech.  drco- 

1)  Im  allgemeinen  folgte  er  bei  Herstellung  seines  griechischen  textes  der  gruppe 
DEFGKL,  aber  diese  gruppe  existiert  nur  auf  dem  papier.  In  Wahrheit  setzt  sie 
sich  aus  zwei  selbständigen  Überlieferungszweigen  DE-|-FG  und  KL  —  wozu  AIP 
gehören  —  zusammen.  Bernhardt  hat  jedoch  bald  die  lesart  von  KL  (vgl.  4,  6.  10. 
5,19.  6,9.  7,7  etc.),  bald  die  lesart  von  DEFG  bezw.  FG  oder  gar  von  B  (9,  10. 
12, 1)  aufgenommen  und  dadurch  seinen  griechischen  paralleltext  entwertet. 


ISKITK.UIK    ZOT    QTJELLENKKITIK    DEB    GOT.  BIBELTJBERSETZ1  NG  437 

qoi'uevoi  ahl?  od/.  e^ajcoQovuEvoi  mit  got.  praihanai  akei  ni 
gaaggividai  übersetzt  ist,  scheint  sich  keine  möglichkeit  zu 
bieten,  die  lesart  von  B  auf  griech.  E%anoqri^f(vaL  zu  beziehen, 
wie  sie  denn  auch  von  Bernhardt  mit  der  begründung  abgelehnt 
worden  ist,  dass  skaman  sik  sonst  stets  =  aloy/vEO&ai  sei  (vgl. 
auch  s.  LXII  seiner  ausg.). 
1, 14  Jesuis  A  :  Jesuis  Xristaus  B  ^Irjoov  Xqiotov  Chrys.  +  DEFGMP 
[1,17  ei  sijai  A  :  ei  ni  sijai  B 

=  iva  fi  Chrys.,  für  B  fehlt  überhaupt  jeder  urkund- 
liche beleg,  wir  werden   daher  mit  einer  irrung  des  Schreibers 
zu  rechnen  haben1] 
1,19  merjada  A  :  ivailamerjada  B 
=  wrjQvx&slg  Chrys. 

2. 10  fragaf  A  :  fragiba  B2 

=  'AEyaQioiicu  Chrys. 

2.11  gafaihondau  A  marg.  :  gaaiginondau  AB 

=  7iXeov£Y„Tt]d-a>uev  Chrys. ;  vgl.  bifaihodedum 

ErcXEovE/arjoaLiEv   2.  Cor.  7,  2;     bifaihoda    hi)*EOvt/.Ti]oa   2.  Cor. 

12,  17.  18;    bifaihon  7il£ove£ictv  2.  Cor.  9,5;  der  Sachverhalt  ist 

von  Bernhardt  (Vulfila  p.  XLVII)  richtig  beurteilt. 

2, 14  J)airh  uns  in  allaim  stadim  A  :  in  allaim  stadim  pairh  aus  B 

=  dl  TjuCov  tv  Ttavxl  xötko  Chrvs. 
.    2, 15  dauns  A  :  Xristaus  dauns  B  =  Xqiotov  eviodta  Chrys. 
fralusnandam  A  marg  :  fraqistnandam  AB 

(=  2.  Cor.  4,  3.  1.  Cor.  1, 18)  ä/colliutvoig 

Chrys. 

2. 16  sumaim  dauns  as  daupau  du  daupau  A  :  su/maim  auk  dauns 
daupaus  du  daupau  B  =  oig  piv  öoiirj  i)-avaiov  elg  d-arazov 
Chrys. +  DEFGKL. 

2.17  swe  sumai  A  :  sumai  B  [swe  ausgefallen)1 

=  üotteq  oi  \oi7toL  Chrys. 
3,3     sivikunpai  A  :  sivikunp  B  (entstellt)1 

=  yavEQoviiEvot  Chrys. 
3,9     andbahtja  A  :  andbahti  B  =  /}  dia/.ovia  Chrys.  +  BDEKLP 
in  wulpau  A  :  us  ivulpau  B3 

=  ev  dö$r]  Chrys. 

1)  Auf  schreibversehen  ähnlicher  art   gehe  ich   im   folgenden  nicht   mehr  ein. 

2)  Vgl.  Bernhardts  note. 

3)  Willkürliche  änderung  des  Schreibers  (Reinhardt,  Vullila  p.  LXI)  wie  .">.  16V 
ebenso  5,  12.  G,  3.  8,10.  13,5;  vgl.  (i,  SA.  13,  7  A. 


438 

3,14  gablmdnodedun  A   marg  :  afdaubnodedun  AI; 

=  E7icoQCüd"q   Chrys.   vgi  gablindida 
2.  Cor.  4,  4 

4,  1     ni  wairpam  usgrudjans  A(— 4, 16):  ni  wairpaima  usgrudjans  B 

=  oi/.  ;'■/:/.<  c/.oiui.v  Chrys. 
4,4    gudis  A  :  gudis  uugasaihanins  B  (aus  Col.  1.15) 

=  xo$  d-eotö  Chrys. 
5,3    gawasidai  A  :  jah  gawasidai  B  =  vmi  ivdvadfxevoi  Chrys. 
5,12   (aftra  uns  silbans)  unafilhaima  A  luarg  :  uskannjaima   AI» 

=  avrioiävoutv  Chrys.; 
vgl.  aftra  uns  silbans  anafllhan  {ovvtruüvuv)  2.  Cor.  3,1, 
in  hairtin  A  :  hairtin  B  =  /.ctodiu  Chrys.  -+-  CDEKLP 
5, 16  kunnuni  A  :  kunnuni  ina  B 

=  yivibo~/.o/.iev  Chrys. 

5,  20  bidjandans  A  :  bidjam   B  =  deoiueüa   Chrys.  (die   entsprechende 

Variante  zu  gagawairpnan  ist  verloren) 

6,  3     ni  ainhun  A  :  ni  ainhun  pannu  B 

=  f.i7jÖ€f.iiav  Chrys. 
6, 8    jah  pairh  A  :  pairh  B  =  did  Chrys. 
7,3     mipgaswiltan  A  :  gaswiltan  B  (miß  ausgefallen?) 
=  ovvcncoSavüv  Chrys. 

7,  8     in  bokom  A1  :  in  paim  bokom  B  =  ev  vfi  ImoioLTj  Chrys. 
7,  9     waihtai  A1  :  in  waihtai  B  =  ev  ^rjöevi  Chrys. 

7, 10  bi  gup  saurga  A1 :  so  bi  gup  saurga  B  =  /;  vmxu  Ü-wv  Ir/c^  Chrys. 
8, 10  taujan  ak  jah  iviljan  A  :  wiljan  ah  jah  taujan  B 

=  cb  TCOifjOctL  dXXä  y.ai  cd  $Lki.iv  Chrys. 
8,16  faur  izwis  A  :  fehlt  B  (ausgefallen?) 

=  v7ieo  v/jibv  Chrys. 
8, 22  füu  usdaudozan  A  :  filaus  mais  usdaudozan  B 

=  nokv  G7TOvdai6cEQov  Chrys. 
9, 2     usivagida  paus  managistans  A  :  gawagida  pans  managistans  ixe  B 

=  rjQtd-ioe  zovg  rcXelovag  Chrys. 
12, 20  pwairheins,  aljan,  jiukos,  bihaita,  birodeinos,  haifsteis,  faiha, 
ufswalleinos ,  drobnans  A  :  pwairheins ,  aljan,  jiukos,  bihaita, 
birodeinos,  haifsteis,  drobnans  B  (mit  auslassungen).  Hierzu 
wäre  zunächst  zu  bemerken,  dass  haifsteis  (£'(>etg),  aljan  (ÜfiXog), 
jiukos,  birodeinos  Gal.  5,  20  widerkehren,  dass  aber  an  dieser 
stelle  birodeinos  interpoliert  zu  sein  scheint.  In  unserem  vers 
dürfte  also  bihaita  als  doublette  von  birodeinos  (=  v,aTaha)uai) 

1)  Hier  liegen  zweifellos  auslassungen  vor. 


BEITRÄGE    ZUR   QUELLENKRITIK    DEB    GOT.  BIBELÜBERSETZUNG  439 

auszuschalten  sein;  haifsteis  entspricht  sodann  agi&eia/  (wie 
Philipp.  1,17.  2,3),  ufswalleinos  muss  der  etymologischen  Wort- 
bedeutung nach  =  (fvaiioaeig  sein;  man  wird  also  zu  lesen  haben: 
pwairheins,  aljau,  jitikos,  birodeinos,  haifsteis,  faiha,  ufswal- 
leinos, drobuans  und  diese  liste  hat  ihre  entsprechung  an  griech. 
loeig  (DEFGKLP),  fäfkog  (DFG),  $uiwi,  v.aiu/.ahai ,  sgid-eiai, 
ifJi&vQiafj.oi }  cpuoiwoeig,  a/axuaiaGiai  (fehlt  FG-).  Alle  diese 
termini  stehen  bei  Tisch endorf  im  text,  Chrysostomus  ist  un- 
vollständig. 

13.4  appan  jabai  jah  A  :  appan  jabai  B  (jah  ausgefallen,  desgl.  im 

folgenden  weis?) 
=  /.cd  yag  ei  Chrys.  +  EL 

13.5  kituuup  ixivis  A  :  kunnup  B   (ixivis   ausgefallen,   wie   zu   ein- 

ging des  verses?) 
=  e/ciyivwo/.eie  tcazotg  Chrys. 
13,  7     ip  weis  sice  A  :  ei  weis  B  (vgl.  die  Verwirrung  v.  6) 

=  fjfiüg  de  tag  Chrys. 
13, 13  fraujins  A  :  fraujins  unsaris  B  =  xov  xvqiov  fawv  Chrys. 

4. 
Ich  veranschauliche  nunmehr  die  fortlaufende  Übereinstimmung  des 
gotischen  episteltextes  mit  dem  des  Chrysostomus,  indem  ich  zur  probe 
für  cap.  1 — 5  des  zweiten  Corintherbriefes  die  aus  seinem  commentai 
ausgezogenen  einzelverse  denen  des  gotischen  b  rief  es  gegenüberstelle 
und  abweichungen  auf  dieser  seite  durch  Sperrdruck  markiere.  Heben 
sich  diese  abweichungen  dadurch  auf,  dass  sämtliche  bibel Codices  den 
gotischen  Wortlaut  überliefern,  so  ist  zu  der  Variante  kein  weiterer  ver- 
merk gemacht. 

Cap.  1. 

1.  TLavXog  chcöacolog^lrjoov  Xqi-  Paulus  apaustaulus  Jesuis  Xri- 
ocov  did  d-eh]f.iavog  Öeov  /.cd  Tl-  staus pairh  wiljan  gudis  jah  Teimau- 
uöüeog  ö  ädelgtög,  //}  exxlijalq  iov  paius  bropar  aikklesjon  gudis  pizai 
Ö-eov  zfj  ovar]  l.v  KoQivttej  guv  roig  wisandein  in  Kaurinpon  mip  allaim 
ayioig  riaoi  colg  ovoiv  sv  vl>t  ijt  paim  weiham  paim  wisandam  in 
*u4ycdu                                                           allai    Akaijai. 

2.  yctqig  buiv  /.cd  eIq/jvij  ct/cö  ansts  i/wis  jah  gawairpi  t'tam 
S-eov  7cazQog  /.cd  kvqiov  3Itjoor  guda  attin  ansaramma  jah  fraujin 
Xqiotoü                                              Jesu   Kristau 

3.  evXoyrjrdg  u  tteög  </cd  ;ccaio  piupips  guj)  jah  atta  fraujins 
tov    /.cqiov    t^uov   ^ItjOuc    Xoioiuv,      unsaris   Jesuis    Xiistaus    atta    blöi- 


140 


K  \l   H  MANN 


6  7tazi]Q  i<T)t>  oIwviqu&v  /jci   fredg  ßeino  jah  gup  ailaizo  gafriaihte 
7cdotjg  jiaqa/.h'jOEiog 

4.  (S  7caqa/.ukG)v  ijfiäg  tv  Ttdojj  aei  ga{>raf'stida  uns  ana  allai 
(//^)  frXlipei  fjfi&v  elg  io  dvvuaOai  aglon  unsarai  ei  mageima  weis 
foiäs  jcaqu/.aküv  zovg  iv  7cäor)  ga]>rat'stjan  |>ans  in  allaini  aglom 
d-Xlipei,  diu  zfjg  7zaQa%Xtfoeco£,  fjg  ßairh  po gaplaiht  Jrizaiei  gaprafetidai 

7iaQaAalovfit0a  ariol  heu  tur  9-eotö.  sijtun   silbans   t'iani   guda 

5.  bei  xcc&wg  jceqiooevei  zä  71a-  ante  swaswe  ufarassus  ist  | »u  - 
dtjfiaza  zoC XqiozoV  elg  fjftäg,  oVcco  laine  Xristaus  in  uns,  swa  jah1 
dm  toP  Ä~£mroß  7ceqiooevei  Aal  t)  Jmirh  Xristu  ut'ar  filu  ist  jah  ga- 
7iaqaAlrjOig  i)fitov  [»latsteins  unsara 

6.  size  ös  i)hß6fi£&a,  V7tiq  zfjg  a|ij»an  ja]>|>c  breihanda,  in  izwarai- 
bfuov  7caQa/,lrjoeiüg  xal  otoirjoiag,  zos  gablaihtais  jah  naseinais  bizos 
zfjg  ivEQyovf,iivrjg  ev  bfiofiovfi  xCbv  waurstweigons  in  stiwitja  ]>izo  >a- 
avztov  7ca&tj/.i(xzo)v,  fov  Aal  r)f.ieig  mono  bulaine  bozei  jah  weis  win- 
7t6.oyfti.ifiv  Aal  i)  ilrclg  rjfiwv  ßsßala  nam  jah  wens  unsara  gatulgida  faur 
vtzsq  vftiov.  eize  7taQa/.aXovf.i£^a  izwis;  jabbe  gabrafstjanda,  in  iz- 
V7ZEQ  zfjg  V/.UOV  7caQaAli]G£wg  Aal  waraizos  gablaihtais  jah  naseinais 
aiozujQiag 

7.  zidozeg  ozi  Ü07ieq  -aoivcovoi  witandans  ]>atei  swaswe  gadailans 
iozs  zCov  7cad-rjfAdia)v,  ovzto  ytai  zfjg  bulaine  sijub2,  jah3  gablaihtais 
7caqaA.XrjOf.ijog  wairbib 

8.  ov  yaQ  dilofisv  htäg  dyvoeiv,  unte  ni  wileima  izwis  unweisans, 
döslopol,  txeqI  zfjg  d-liifieiog  fjfitov  brobrjus,  bi  aglon  unsara  bo  waur- 
zfjg  yEvof-itviqg  ijfilv  Iv  zfj  ^oia,  ozi  banon  uns  in  Asiai,  unte  ufarassau 
xa#'  v7tEQßolijv  ißaofj&ijfiEv  V7TEQ  kauridai  wesum  ufar  mäht  swaswe 
dvvafiiv  üovs  ££a7tOQi]$f]vai  fjfiäg  afswaggwidai  weseima  jah  liban. 
ytal  zoV  tfjv 

9.  all'  avzol  iv  eavzolg  zö  cctio-  akei  silbans  in  uns  silbani  an- 
~A.Qif.ia  zoü  S-avdzov  ioyjjA.af.iEv,  iva  dahaft  daubaus  habaidedum  ei  ni 
(xrj  7tE7Zoid-6zEg  ibfiev  iqj''  savzolg,  sijaima  trauandans  du  uns  silbam 
all'  ItzI  zu  -d-Eüj  zqj  iyEiQOvn  zovg  ak  du  guda  banmia  urraisjandin 
vsAQovg  daubans 

10.   dg    ex    zrjliAOvztov    Savdztov  izei  us  swaleikaim   daubum  uns 

iQQvoazo  rjftäg  Aal  qvoEzai (al. qvEzai)  galausida  jah  galauseib  . .  wenideduni 

. .  r[kTCVAaf.i£v  ozi  y.al  Qvoszai  ei  galauseib 

1)  övTtog  zki'DEFG  ita  e^Lat.,  aus  der  erhaltung  des  folgenden  jah  gaprafsteins 
wird  ersichtlich,  dass  es  sich  hier  um  eine  ursprünglich  am  rand  notierte  Variante  handelt, 
die  irriger  weise  vom  ahschreiher  in  den  text  aufgenommen  worden  ist. 

2)  nad-rifiaTWv  tön  DEFG. 

3)  xut  FG  et  Lat. 


BEITRAG K    ZUR    QUELLENKRITIK    HER    BOT.   BIBELÜBERSETZUNG 


441 


11.  GvvvTiovQyovvMjüv  /al  tifiaiv 
faceq  fj/LuDv  xfj  derjoSL'  'Iva  ev  7coXh7) 
7TQ0Otü7C(i>  xb  elg  ijfiag  yäqiGf.ia  diä 
txoXKCov  eiyaoiöcrftfi   vTieo  f){iiov. 

12.  fj  yäo  YMvyrjOig  ij/luüv  avii] 
loci,  xb  /liccqtvqiov  xfjg  oweidrjoewg 
fjjuibv,  ort  ev  a7cl6vtjvi  mal  el?u- 
/Qivela,  ov/  ev  aocpia  oaq/i/ft,  dXV 
ev  ydqixi  d-eov  dveoiqdrprjf.iev  ev  xo> 
wo f.io)  7ceqioooxeqiog  de  nqbg  bf.iäg 

13.  ov  ydq  aXka  yoa.rpof.iev  v/.uv, 
äXl?  tj  a  dvayivcoo/eve  rj  /.al  eTti- 
yivtoo/exe,  ekniCo)  de  ort  yml  ewq 
xelovg  htiyvtoGeo&e 

14.  /a&wg  /al  hceyvioxe  fyidg 
&7cb  (.teqovg,  ort  /avyjqua  lutov 
eo/.tev,  "/.aSaTTeo  /al  vf-ielg  fjuiov, 
ev  xfj  fyieqa  xov  xvqiov  fjfxwv  '/^(ToD 
Xqioxov 

15.  "/al  xavxrj  xfj  nenoi^oei 
eßovlö/.njv  jxqoxeqov  Ttqbg  vixag  eX- 
&elv 

16.  /al  di,'  vpaov  dieX&elv  elg  Ma- 
/edovlav  ymI  7cdXiv  ärtö  Ma/.eöoviag 
eX&elv  Tiobg  v/.iäg  /.al  &jp'  vuwr 
7CQ07Tef.up&fjvai  elg  xrjv  *Iovdaiav 

17.  xovxo  O'bv  ßovX6f.ievog,  (.iiq  xi 
äqa  xfj  eXaqpqicx  eyqrjod(.i7jv ;  ?y  a 
ßovlevo/nai,  /.axä  odq/a  ßovXevof.iai, 
iva  fj  7taq'  ef.iol  xb  val  val  "/al  xb 


at  hilpandam  jah  izwis  bi  uns 
bidai,  ei  in  managamma  andwairbja 
so  in  uns  giba  bairh  inanagans 
awiliudodau  faur  uns. 

unte  h/oftuli  unsara  so  ist,  weit- 
wodei  raibwisseins  unsaraizos  {Datei 
in  ainf  albein  jah  hlatrein  gudis1, 
ni  in  handugein  leikeinai,  ak  in 
anstai  gudis  usmetum  in  bamma 
fairb/au,  i{)  ufarassau  at  izwis. 

unte  ni  alja  meljam  izwis,  alja 
boei  anakunnaib  aipbau  jah  uf- 
kunnaib;  abban  wenja  ei  und2 
andi  ufkunnaib, 

swaswe  gakunnaidedub  uns  bi 
suniata,  unte  b/oftuli  izwara  sijum, 
swaswe  jah  jus  unsara  in  daga 
fraujins3  Jesuis  Xristaus 

jah  bizai  trauainai  wilda  faurbis 
qiman  at  izwis4  .  .  . 

jah  bairh  izwis  galeipan  in  Ma- 
kaidonja  jah  aftra  af  Makaidonjai 
qiman  at  izwis  jah  frani  izwis 
gasandjan  mik  in  Judaia 

{miuh  pan  nu  mitonds5  ibai 
aufto  leihtis  bruhta  ?  aibbau  batei 
rnito  bi  leika  bagkjau  ei  sijai  at 
niis  f>ata  ja  ja  jah  {»ata  ne  ne? 


18.  7tLOxbg  de  6  &eög,  oxi  ö  Xoyog 
fjf.uov  6  7Cobg  v/.tdg  ov/  lyevezo  val 
/al  ov. 


abban  triggws  gub  ei  bata  waurd 
unsar  bata  du  izwis  nist,;  ja  jah  ne 


1)  roß  &eov  DEM  dei  Lat. 

2)  ort  ioig  DEFG  qitod  itsqtie  Lat. 

3)  xvqiov  DEKL. 

4)  ik&elv  nnög  vfiüi  DEFG  KL. 

5)  ßov).ivdp6vo$  DEK. 

6)  ovx  iojiv  DFGP. 


442 


KAM 


19.  (>  yuo  Kir  Dior  vlög  ö  h  unte  gudis  Bonus  Jeans  Xristus 
bfitv  dV  fjfjUbv  M]Qv%d-eig,  oV  efioß  saei  in  i/.wis  |>airb  uns  merjada, 
%al  ~ilouavov  ymI  Tifj.o&eov,  tu'/.  J>airh  mik  jah  Siibann  jah  Teimau- 
eyivevo  vai  /ja  ov,  äXXä  val  h>  ]>ai u  ni  war])  ja  jah  ne  ak  ja  in 
aöcii)  yiyove.  imma  war|» 

20.  &'ffc«  /«(»  srcayyeXiai  !Hod,  hraiwa  raanaga  gahaita  gudis  in 
fcy  «;!m~  /ö  vat  itat  ^v  aöio>  /o  imma  bata  ja  <l  n  {•  |>«-  jah  |>;ü  rh  ina- 
«,///r,  rcjJ  d'&p  tcqöq  dög~av  oV  jjfi&v  amen  guda  du  wulbau  bairh  ans 

21.  o  (Je  ßeßaißv  fjfx&g,  ahv  -ö/uv  a]>]>an  sa  gabwastjands  ans  mi{. 
€tg  Xqiaxöv  wxi  yoiaaq  fjfxäg,  0-eoq  izwis  in  Xristau  jah  Balbonds  uns 

gup 

22.  xai  aq>qayiad(isvog  fjfiäg1  /.al  jah    sfgljanda    uns    jah    gibands 
(Jo^g  toj'  dqqaßiova  zod  7cve6fxaiog  wadi  ah  man3  in  hairtona  unsara 
Iv  TöZg  -/aqdlaig  jj/Liwv 

23.  */w  d»  /ndqzuqa  xbv  Ü-eov  a]>ban  ik  weitwod  gub  anahaita 
S7civ.aloTif.iai  hcl  zrjv  i/urjv  ipvyrjv,  ana  mejnai  saiwalai,  ei  freidjands 
ozi  q>eido/Li£vog  vf.uov,  ov/Jzi  tfld-ov  izwara  panaseibs  ni  qam  in  Kau- 
slg  Koqiv&ov.  rinbon 

24.  ovy  oci  xvQievofiev  v/liöjv  ztjg  ni  patei  fraujinoma  izwarai  ga- 
Ttiazecag,  dlld  ouvEqyol  iofiev  zfjg  laubeinai,  ak  gawaurstwans  sijum 
%aqäg  vf.iüv}  zfj  ydq  jc'iocei  Eozrj-  anstais1  izwaraizos;  unte  galau- 
"Accve.  bemai  gasto]mb. 


C  a  p.   2. 
1.   E/qiva    ös    t/tiavxv)    zö   juiy  Apjmn  gastauida  bata  silbo  at 

mis,  ei  aftra  in  saurgai  ni  qimau 
at  izwis. 

unte   jabai    ik    gaurja  izwis  jah 
b/as  ist  saei  gailjai  mik,  nibai  sa 


7iaktv  tv  hüjviß  eX&Eiv  7tqög  bf.iäg 


2.  el   ydq   iyio   Xtvcw    vpag  "/al 
xlg  ioxtv  6   Euyqaivwv    /lie,    ei  /.u) 

6    XvTtOVfXEVOg    Et,    E/.WV. 

3.  /.al    ydq   tyqaxpa    v(.iiv   avzb 


gaurida  us  mis? 


jah   J)ata  silbo5  gamelida  izwis. 


xovzo,    iva   /.u)   elSiov  Xvmqv   oyCo  ei  qimands  saurga  ni  habau  fram 

d(p'  tuv  eSel  /he  yaiqsiv  nETtoi&ujg  paimei    sknlda  faginon    gatrauands 

E7ti  Ttdvzag  vpag,   ort  i)  lt.u)  yaqd  in  allaim  izwis  jpatei  meina  faheps 

7cdvztov  bf.uov  ioziv.  allaize  izwara  ist. 

1)  &io  xal  dV  tcviov  FGP. 

2)  Gifford  p.  33. 

3)  Cfr.  5,  5. 

4)  Vgl.  die    parallelstelle   2.  Cor.  1,  15   nebst    den   worten    des   Chrysostomus : 
yÜQiv  d*  ivraü&a  ttjv  yciQuv  Xiysb  MSG  61,  408. 

5)  tovto  ciUTÖ  DEFGKLP. 


BEITRAGE    ZUR    QUELLENKRITIK   DER    GOT.  BIBELÜBERSETZUNG 


443 


4.  sä  ydq  7ioXXfjg  d-XiipEcog  /.ai 
avvo%fJg  vMQÖlac,  eyqaipa  vulv  dia 
7CoXXCov  da/.ovwv  ovy  'iva  Xv7XTq$f[X£, 
dXXd  xrp>  ayarcrp  'iva  yvioxs  Tjv  l'yto 
7C£QtaooreQiüg  eig  üfAag. 

5.  ei  dl  Tig  ?<,elv7it]~/.Ev,  ovx,  tus 
lslv7crj/.e,  dXXd  drcb  fxigovg,  'iva 
[irj  tTtißaqCo  rxdvxag   v/.tag 

6.  r/.avbv  zw  xoiovxw  fj  etxixl- 
f.iia  avTTj  ^  vtco  zCov  7cXeiqvlov 

7.  üoze  zovvavzlov  /.taXXov  vuag 
yaQioaod-at   /.ai  7Caoa/.aXeoai ,  (.nfj- 

TllOg     zfj     7CEQlOO0XtQU     XvTXTj     '/.CCCCC- 

7co9-fj  6  zotovxog. 

8.  öiö  naqa/aXG)  i'(.iag,  kvqcoocci 
eig  avxbv  dyd7xrjv 

9.  etg  xovxo  ydq  tyoaipa  vulv, 
'iva  yvG)  zrjv  do/Uf.trjv  v/liüv,  si  eig 
7idvxa  vTxrjXooi  laxe 

10.  v>  de  xt  yaoiLEods,  ~/.dyto  x.ai 
yaQ  iyco  ei  ri  /.sydoiouai  [o  /.syd- 
QiGfiatl1,  (3V  v/nag  sv  /xqoow7Xw 
Xqioxov 

11.  'iva  /.lij  7xX£0VEAXiqd-wi.i£v  V7tb 
xov  oaxavd'  ov  ydq  avxov  xd  voti 
uaxa  dyvoovuEv. 

12.  'EX&iijv  de  eig  xrjv  Tgcodda 
Eig  tö  EvayyiXiov  xov  XQiaxod  /.ai 
d"6qag  /lioi  dvE(i)y/.iiv7jg  Iv  KVQiqj 

13.  ov'A  Eöyrjvia  ävsotv  zw  7Xvev- 
uaxi  uov,  xu>  f,irj  evqeIv  fie  Tizov 
zbv  ddsXcpov  /tiov  .  .  d/toxa^duevog 
avxolg  e^fjX&ov  Eig  Ma/.EÖoviav. 

14.  T($  ös  d-£(J>  ydqtg  zv>  7cdvvoxE 
fjudg  ÜQiaußEvovri  Iv  (ko)   Xom k>i. 


aJ)J)an  us  rnanagai  aglon  jah 
aggwidai  hairtins  gamelida  izwis 
|>airh  managa  tagra,  ni  beei  saur- 
gaifj  ak  ei  friabwa  kunneib  bo-ei 
haba  ufarassau  du  izwis 

abban  jabai  b/as  gaurida,  ni  mik 
gaurida,  ak  bi  sumata,  ei  ni  ana- 
kaurjau  allans  izwis 

ganab  bamma  swaleikamrna  an- 
dabeit  bata  fram  managizain 

swaei  bata  andaneibo  izwis  mais2 
fragiban  jah  gablaihan,  ibai  aufto 
managizein  saurgai  gasiggqai  sa 
swaleiks 

inub  bis  bidja  izwis  tulgjan  in 
imina  friabwa 

dubbe  gamelida3,  ei  ufkunnaii 
kustu  izwarana,  sijaidu  in  allamma 
ufhnusjandans 

abban  bammei  Iva  fragibib,  jah 
ik;  jah  ban  ik  jabai  Ira  fragaf  fragaf 
in  izwara  in   andwairbja  Xristaus 

ei  ni  gafaihondau  fram  satanin 
unte  ni  sijum  unwitandans  mu- 
nins  is. 

abban  qimands  in  Trauadai  in 
aiwaggeljon  Xristaus  jah  at  hanrdai 
mis  uslukanai   in  fraujin 

ni  habaida  gab/eilain  ahmin  mci- 
namma  in  bammei4  ni  bigat  Tei- 
taun  brobar  meinana  .  .  twisstan-r 
dands  im  galaip  in  Biakaidonja 

abban  gada  awiliub  |>amma  sin- 
teino  ustaikojandin  hrobeigans  ans5 


1)  Gifford  p.  34. 

2)  vuäg  uülXov  DEFG  ms  magis  Lat. 

3)  iyQct\pa  DEKLP  (om.   vftiv). 

4)  iv  tg5  DE. 

5)  9-Qtafj.ßeiJovTt  »)u«s  codd. 


111 


K  \  I  ■  I  I 


y,al  i  i]r  öa/xrjv  i  /}_•  yvuHjecüs  ocdvot 
(pavEQovvti  öl'  fj(i&v  iv  nawl  n>/io> 

15.  'üii  Xoicikw  evcodia  i-o/.tiv 
zip  &ei7>  iv  tol^  ato^ofiivoig  Kai  iv 
volg  drcoXXvfievoig 

1(>.  volg  fxev  oofiij  ttavdxov  elg 
Vdvacov,  xolg  di  ooiu)  twfjg  slg 
Uor'jV.   -Aal  TCQÖg  xavxa  tlg   lyavog; 

17.  od  yaQ  iofxev,  üajceq  ol  Xoi- 
7Col  -/.aTciqXEvovceg  xbv  loyov  rot} 
$eov,  dW  ibg  £!;  elXi/.Qiveiag,  dXV 
(hg  ex  &eo%,  xaxEvwciov  xod  $eov 
iv  Xqloxuj  XaXoüf.iev. 

Cap. 

1.  ^Qyjof.ied-a  7tdl.iv  eavxovg 
avvioxdvEiv;  ei  (Ar)  xgrJLof.iEv,  dig 
xivsg,  ovoxaii'/itov  htiozo'kCjv  Tiqbg 
v/.iäg,  }j  i§  v(.uüv  ouoxaxr/Mv; 

2.  t)  yaQ  87tiOToXr]  fj^iCov  viiElg 
iöXE,  iyyeyQafAi-itvrj  Iv  xalg  YModiaig 
fjfiüiv  yivwoy.of.itv7]  /mI  dvayivwöAO- 

fXEVtj    V7V0    TxdvTLOV    dvS-QlÜTXCOV 

3.  (faVEQ0Vf.lEV0L,     OXi    ioxi    87TL- 

Gto"ki)    Xqloxov    diax.ovr]&£loa    dq>' 
fjtiüJv  ayyeyQcc[A[,t6V7]  ov  {.tilavi  dlld 

7XVEVf.lCCXl  S-eov  LlöVXOg'  OV'A  iv  7tXa^l 

Xi&ivaig,     aAA'    iv    Tika^l    /.ctodlag 
occQyJvaig 

4.  7tE7toid"t]Oiv  di  xoiavxiqv  t%o- 
}xev  öid  xov  Xgioxod  Ttqbg  xbv 
$e6v 


in  KriBtau  jah  dann  kun|>i.-.  Beinis 
gabairhtjandin  J>airh  uns  in  allaim 
stadim  .  . 

unte  Xristans  dauns  Bijam  wo\>\ 
guda  in  f»aim  ganisandam  jah  in 
|.;niii   fraijistnanclam 

sumaim  auk  dauna  dau|>au8  da 

'l;iuji;iii  siiinaiinuji  ]ian  ilaiins  lihui- 

naisx  du  libainai.  jah  du  £>amma 
h/as  wairj)s? 

unte  ni  siura  swe  sumai2  maid- 
jandans  waurd  gudis  ak  us::  hlutri- 

Jmi,  ak  swaswe  us  guda  in  and- 
wairbja    gudis  in  Xristau  rodjara. 


3. 

Duginnam  aftra  uns  silbans  ana- 
filban?  ai|>Jpau  ibai  fmurbuin  swe 
sumai  anafilbis  boko  du  izwis  aij)- 
|)au  us  izwis  anafilhis? 

aipistaule  unsara  jus  siu|),  ga- 
melida  in  hairtam  unsaraim  kunf>a 
jah  anakunnaida  fram  allaim  man- 
nam 

swikunj>ai  batei  siu|>  aipistaule 
Xristaus  andbahtida  fram  uns  inna 
gamelida  ni  swartizla  ak  ahmin 
gudis  libandins,  ni  in  spildom 
staineinaim  ak  in  spildom  hairtane 
leikeinaim 

aJ)J»an  trauain  swaleika  habam 
bairh  Xristu  du  guda 


1)  So  ist  jedesfalls  herzustellen,  denn  es  kann  nur  zufall  sein,  dass  zwar  zu 
us  daußau  die  Variante  daupaus,  nicht  aber  die  entsprechende  Variante  zu  vs  libainai 
überliefert  ist. 

2)  ol  noXXoi  K. 

3)  äir  l|  FG  sed  ex  Lat. 


BEITRAGE    ZUR    QUELLENKRITIK    DER    GOT.  BIBELÜBERSETZUNG 


445 


5.  ovx  oti  i/.avoi  ia/iiev  dqj^ 
eavTcov  tl  loyioaa&ai ,  <bg  t£  eav- 
xG)v,  i)  ydo  r/MvoxTqg  ijfiwv  Ix  tov 
&eov 

6.  dg  ymI  i/mvioöev  fjfiäg  öiax.6- 
vovg  v.aivrjg  öiad-rjy.rig,  ov  yqdfifia- 


ni  batei  wairbai  sijairna  bagkjan 
Iva  af  uns  silbara1  swaswe  af  uns 
silbam   ak  so   wairj)ida  unsara  us 


guda  ist 


izei    jah    wairpans    brahta    uns 
andbahtans    niujaizos    triggwos    ni 


zog  ällä  7iv£V(.iaTog,  tö  yaQ  ygaf-iua  bokos   ak    ahmins,    unte    boka   us- 

drtoy.xEivu ,  xö  de  nvEVfia  Cioojioiel.  qirnij»,  ip  ahma  gaqiujip. 

7.  el  de  i)  diav.ovia  tov  davdxov  abban  jabai  andbahti  daubaus  in 
iv  yodfifiaoiv  ivTExvTtcuuevrj  iv  li-  gameleinim  gafrisahtib  in  stainam 
&oig,  iysvrj&rj  evdo£r]  äoxEfir)  dvva-  warb  wulbag  swaei  ni  mahtedeina 
o&ai  äxEvioca  xovg  vlovg'looarjl  Eig  sunjus  Israelis  fairweitjan  du  wlita 
tö  7io6oL07tov  Mcovoetog,  did  tt)v  Mosezis  in  wulbaus  wlitis  is  J)is 
do^av    tov    7iQOOco7tov    avxov    tt)v  gataurnandins 

VMTaQyOL'flEVIjV 

8.  Ttcog  ovyl  fiällov  rj  dia/.ovia 
tov  nvEVf.ia.Tog  eoTat  iv  döSt]; 


9.  eI  ydo  fj  diav.ovia  Tfjg  v.aia- 
•/.oiOEiog  do£a,  rcollco  fiällov  fj 
diav.ovia  zfjg  dr/.aioovvijg  tveqlggevel 
iv  do^r] 

10.  /.ai    yäo    ov    dsdö^aorai    to 

ÖEÖO^aGflkVOV     EV     XOVXIO     TOD    fltQEl, 

cvey-ev  xfjg  v7iEQßallovG7jg  d6$t]g 

11.  sl  de  tö  Y.aTaoyovfiEvov,  did 
do^yg,  Tiollco  fiällov  to  fievov,  iv 
döBr]. 

12.  eyovxeg  ovv  xoiavxrjv  ifailda, 
7Collfj  7caqqrjGia  yoiouE&a. 

13.  viai  ov  /.a&aTiEQ  Mojvofjg 
ixi&Ei  ytdlvfifia  irtl  to  tiqooiüjzov 
eavxov,  üove  fu)  dxEvioai  (al.  Eig 
to  fir)  dxEvloai)3  xovg  vlovg  y£aQat)l 
eig  to  xelog  xo'C  "/.axaqyovfievov 

14.  dlV  i7X(OQiod-r]  xd  vo/jfiaxa 
avxwv.  ayoi  ydo  xfjg  o/jfiEQOv  to 
avtö  '/.dlvfifia  ev  xfj  dvayvwoEi  Tfjg 


h/aiwa  ni  mais  andbahti  ahmins 
wairbai  in  wulpau? 

jabai  auk  andbahti  wargipos  wul- 
Jus,  und  filu  mais  ufarist  andbahti2 
garaihteins  in  wulbau 

unte  ni  was  wulbag  [»ata  wul- 
bago  in  pizai  halbai  in  ufarassaus 
wulfjaus 

jabai  auk  bata  gataurnando  bairh 
wulbu  und  filu  mais  bata  wisando 
in  wulbau. 

habandans  nu  swaleika  wen 
managaizos  balbeins  brukjaima 

jah  ni  swaswe  Moses  lagida 
hulistr  ana  andawleizn  dupe  ei  ni 
fairweitidedeina  sunjus  Israelis  in 
andi  bis  gataurnandins. 

ak  gablindnodedun  frapja  ize; 
unte  und  liina  dag  bata  samo  hu- 
listr in  anakunnainai  £>izos  fairnjons 


1)  Xoyiona&ui  tl  «</>'  (uvtG>v  DEFGP. 

2)  7if()ioaevti  >)  diuxovia  codd. 

3)  Gifford  p.  34. 


446 


K  \  I   II 


7Cakaidg    dta'h^/.i^    ii/ri.i    u>t     arte 
"A.a"kv7Cc6(XtVOV,  Uli  ;')■    \umini  MXTCtQ- 

yeiiai. 

15.  dir  l'iog  (f/jUioo)',  fjvi'Aa  äva- 
yivwu/.i i Ki  }ltovfffjg,  yj'üjuiuc  l,ii 
zfjv  yiagd/av  avcaiv  kbltcu. 

16.  fjvlyia  ö,  av  87tLOrqe\pri  rcgög 
/.i'qiov,  ycEQiaiQelcai  xb  y.dXv/u^a 

17.  o  de  va'Qiog  xb  7CVEdf.id  eovi, 
ov  de  xb  7tveü(xa  y.vqiov,  enet  ekev- 
ÜEQia 

18.  fjf.ieiQ  de  7cdvieg  ävaxExakv(.i- 
f.ievo)  7Cqoow7C(i)  xrjv  86%av  yjqiov 
%aT07CxqiC.6f.iEvoi ,  xqv  avxrjv  eIkovcc 
(.iSTccfj.OQcpovf.ied'a  a7cb  dofyg  sig 
dok~av  /.a&d/CEQ  a7cb  vivqiov  ttvev- 
/.laxog. 

Cap. 

1.  3'E%oviEg  ovv  zrjp  diaxovtav 
cctvnqv,  xadcog  jjXeyd-Tjfiev,  ov/.  e/.- 

"ACCXOdf-lEV 

2.  dXV  d7t£i7td/,iE$a  xd  '/.qvTTxd 
xfjg  alayvvrjg,  /ni)  TtEQiTtaxovviEg  ev 
7cavovqyia  /.irjde  dolovvxeg  xov  Xöyov 
xov  Ssov  dXXd  xfj  ujccveowoei  xfjg 
dX^Ssiag  ovvioxiüvxsg  eavxovg  7tobg 
7täoav  GvvEidrjOiv  dvd-QioTZiüv 

3.  sl  de  xal  eoxi  */.E/,aXvf.i/.ievov 
xb  evayyeXiov  fyiwv,  ev  xölg  aTtoX- 
Xvf.ievotg  eoxi  y.ey.aXvf.if.ievov 

4.  ev  oig  6  9eog  xov  aliovog 
xovxov  exvajXtoGE  xd  vorjfxaxa  xtov 
a7tioxiov,  elg  xb  [ity  avydoai  avxolg 
xov  ajcüztOfibv  xov  EvayysXwv  xfjg 
dö^g  xov  Xqigxov,  og  eoxiv  eIklov 
xov  S-eov 


fcriggwos  \\isi|.  unandhulij)  ante  in 
Kristau  gatairada 

akei  und  hina  dag  mippanei 
siggwada   Moses  hulistr  I  i  i_r  i  j  ►  ana 

hairtin  ize1 

abpan  iiiififianoi  gawandei])  du 
fraujin,  afuimada  bata  hulistr. 

ab]»an  trau  ja  ahma  ist,  apßan 
barei  ahma  fraujins,  paruh  frei- 
hals ist 

abban  weis  allai  andbulidamma 
andwairßja   wulpu   fraujins   ßairh- 

saih^andans  bo  samon  frisaht  ingalei- 
konda  af  wulbau  in  wuljui  swaswe 
af  fraujins  ahmin. 


Dubpe  habandans  bata  andbahti 
swaswe  gaarmidai  waurjmm  ni 
wairbam  usgrudjans 

ak  afstobum  baim  analaugnjam 
aiwiskjis  ni  gaggandans  in  warein 
nih  galiug  taujandans  waurd  gudis 
ak  bairhtein  sunjos  ustaiknjandans 
uns  silbans  du  allaim  mipwisseim 
manne . . . 

apban  jabai  ist  gabulida  aiwag- 
geljo  unsara,  in  baim  fralusnandam 
ist  gabulida 

in  fcainiei  gub  bis  aiwis  gablin- 
dida  frapja  bize  ungalaubjandane,  ei 
ni  liuhtjai  im  liuhadeins  aiwag- 
geljons  wulpaus  Xristaus  saei  ist 
frisabts  gudis 


1)  y.tiTitt  inl  ir\v  xaQ$iuv  avxutv  DEFG. 


BEITRÄGE    ZUR    QUELLENKRITIK    DER   GOT.  BIBELÜBERSETZr\< , 


447 


5.  ov  ydo  savtovg  ■/.riovoao/.i€v) 
dl?.d  Xqioiov  ^Irjoovv  '/.iviov,  eav- 
vovg  de   dovlovg   vf.aov  did  'IrjGovv. 

6.  otl  6  d-eög  6  eIttojv  ex  o~a6- 
xovg  gjcog  Xdf.nj.iaL,  ela/ml'Ev  ev  zeug 
Aagdiaig  v/.wjv,  rtqbg  (pwTio/uöv  Tfjg 
yvwoecog    Tfjg    do<giqg    xov    &eov    ev 

TtQOOCOTZO)    XoLOZOV 

7.  tyjOfABv  de  tov  d-rjoovgöv  tov- 
tov  ev  öoTQa/avoig  gaeveolv,  Iva  r) 
vjVEoßolr}  tfjg  dvvd/.iEiog  ij  tov  &sov, 
'Aal  /.it)  e£  rjfxiov 

8.  ev    7iavxi    d-lifioiievoi,    all' 

OL)     OTEVOXüJQOUf.lEVOl'      d7T0Q0Vf.lEV0l, 

d!!?  ova  e^a/cooovf.ievot 

9.  öiü>x6/.iEvoi,  dXX'  ova  ey/Mra- 
Ai/.i7tav6(.iEvoi.  '/Mvaßakkö^iEvoi ,  dlX' 

OV'A    d7tolXv/,lEVOl 

10.  TtaVTOTE     TTjV      veAQCOGlV      TOV 

y.vQiov  ^Iiqoov  ev  toj  oiu/.iaTi  tteqi- 
(peoovTEg,  iva  'Aal  r)  Ccorj  ro£> 
^Irjöov    qjavEQcod-fj    ev     Tip    oih^iaxi 

fjf.lWV 

11.  y,al  ydo  fjfXElg  ol  LioviEg  eIq 
Üdvazov  fcagadido/LiExta  did  ^Itjoovv, 
Iva  Aal  i)  Ciorj  Tod  'Irjoov  (pavEQio$fj 
ev  fjfxiv'1  ev   Tfj  d-vtjTfj  oao'Al  i)(iiov 

12.  &ote  6  ddvaTog  evEQyElxat 
ev  r)f.uv,  r)  de  Liot)  ev  v/.uv 

13.  e%ovTEg  de  cd  avTO  -jcvEvua 
cfjg  7ciöTE(.og,  AaTa  cd  yEyoa(.t[.ievov 


al)j>an  ni  uns  silbans  merjam, 
ak  Jesu  Xristu1  fraujan,  ib  uds 
skalkans  izwarans  in  Jesuis 

unte  gub  saei  qab  ur  riqiza  liuhab 
skeinan,  saei2  jah3  liuhtida  in 
hairtam  unsaraim  du  liuhadein 
kun|)jis  wulj>aus  gudis  in  and- 
wairbja  Jesuis  Xristaus1 

abban  habandans  ])ata  huzd  in 
airpeinaim  kasam,  ei  ufarassus  sijai 
mahtais  gudis  jah  ni  us  unsis 

in  allamma  braihanai  akei  ni 
gaaggwidai,  andbitanai  akei  ni 
afslaubidai 

wrikanai  akei  ni  bilibanai,  ga- 
drausidai  akei  ni  fraqistidai 

sinteino  daubein  fraujins  Jesuis 
.  .  .  ana  leika  unsaramma  uskunba 
sijai"' 


sinteino6 weis libandans  indau- 
bu  atgibanda  in  Jesuis  ei  jah  libains 
Jesuis  swikunba  \\aii[>ai  in  riur- 
jamma  leika  unsaramma 

swaei  nu8  daupus  in  uns  waur- 
keib9,  ib  libains  in  izwis 

habandans  nu  bana  saman  ah- 
man  galaubeinais  bi  bamma  game- 


1)  'Irjoow  Xqiotöv  DE  Jesu/m  Christiuit  Lat. 

2)  8g  KLP. 

3)  om.  codd. 

4)  h]ac>i)  Xqmjtoü  KLP. 

5)  (fid'tQOilhij  ail  /ine/t/  versus  codd. 
(j)  &et  DEKLP. 

7)  om.  codd. 

8)  (iiv  KL. 

'.))    Iv    ijiiif    i'rnr/.'-i hci    Codd. 


448 


hiiaxevoa,  öio  iXdXriaa'  /.ai  fifielg 
/cioievofxeVy  diu  /ai  XaXovuev 

11.  biL  6  eyeiQag  xdv  •/.vqiov 
'Iqooffv,  '/.ai  ltf.idg  <hd  'lyood  eyeqel 
■/.ai  7caQaöir'io~Ei  ovv  6fJ.lV 

15.  xd  ydg  Ttdvxa  dt'  ifjdg,  iva 
t)  ydqig  7cXeovdaaaa,  diu  xwv  7tXei- 
ovwv  itjv  euyaqiaiiav  7ceqiooeöotj 
elg  vijv  öu^av  xoü  &eov 

16.  diö  '/.ai*  ov/.  e//a'/ov(.iev 
dXX'  ei  /.ai  ö  l'g*io  tj/ntov  av&qwcog 
diacpüeiqexai ,  dXV  ö  eoio  dva/ai- 
vovxat  fyteqa  "/.ai  tyieqct 

17.  xö  ydq  Ttaqavxi/a  eXacpqbv 
xfjg  &XL\peiog  fj(.iOjv,  elg  v7ceqßoXr^vi 
'/.a&'  v7teqßoXrjv  aiwviov  ßdqog  döfyg 
/.axeqyaLexai 

18.  /.irj  a/.07tovvTH)v  fjfxCöv  xd  ßXe- 
7x6/Liera,  dXXd  xd  /.ifj  ßXe7t6/neva.  xd 
ydq  ßXeTto/Lieva  7cq6o/aiqa,  xd  de 
(.li]  ßXe7c6(.ieva  aiiovia. 


Lidio  :  galaubida  in  |>i/.ei  jah1  rodida 
jah  weis  galaubjam  in  |»i/.<-i  jah 
rodjam 

witandans-  ]>atei  su  urraisjands 
t'iau Jan  .Jesu  jah  unsis  |iairh  Jesu 
urraiseij»  jah  fenragasatjif)  mijj 
i/.wis 

batuh  Jiau  allata  in  izwara.  ei 
ansts  managnandei  bairh  mana- 
gizans  awiliud  ufarassjai  da  wul- 
pau  guda 

inuh  bis  ni  wairfiam.  usgnidjans 
ak  Jiauhjabai  sa  utana  unsar  manna 
frawardjada  aibbau  sa  innuma 
ananiujada  daga  jah  daga 

unte-  ]>ata  andwairbo  .  .  leiht 
aglons  unsaraizos  bi  ufarassau  ai- 
weinis  wulbaus  kaurei  waurkjada 
unsis 

ni  fairweitjandam  bize  gasai lva- 
nane  ak  bize  ungasaib/anane;  unte 
|)0  gasaih^anona  riurja  sind,  ib  J)0 
ungasaih/anona  aiweina. 


Cap. 

1.  Öidafxev  ydq  bxi  lav  fj  eni- 
yeiog  f^iCov  olxla  xov  oxrjvovg  '/.axa- 
Xvd-fj,  oxl  ol'/odof-irjv  ex  &eov  1'yof.iev, 
oi'/(e)iav  dyeiqo7Toirjxov  aicoviov  ev 
xölg  ovqavöig 

2.  /.ai  ydq  ev  xovxqj  oxerdLo/.tev, 
xö  ol/.iqiriQLOv  fjfiaiv  xd  ei;  ovqavov 
eTievdvoao&ai  e7Zi7TO&ovvxeg 

3.  etTteq  ytai  evdvod/.tevoi,  ov 
yv[.ivoi  evqed^iqo6(.ied-a 

1)  xa(  FG. 

2)  (?&6t€s  codd. 

3)  om.  codd. 

4)  om.  K. 


Witurn  auk  batei  jabai  sa  air- 
beina  unsar  gards  {)izos  hleibros 
gatairada,  ei  gatimron  us  guda 
habam,  gard  unhanduwaurhtana 
aiweinana  in  himinam 

unte  jah  in  bamma  swogatjam, 
bauainai  unsarai  ])izai  us  himina 
ufarbamon  gairnjandans 

jabai  swebauh  jah  gawasidai  ni 
naqadai  bigitaindau 


BEITRAGE    ZUR    QUELLENKRITIK    DER    GOT.  BIBELÜBERSETZUNG 


449 


4.  vuxl  ydg  ol  bvveg  iv  rw  ffyvrjvet 
xovxvt,  oxerdlouev  . . .  iq?'  vi  ov  ÜeXo- 
uev  i/.dvoaa&ai,  dl?J  Inevdvoao- 
Öai. 

5.  6  de  -/.axegyaoduevog  fjfiäg 
elg  avxö  xovxo,  &e6g,  6  v.ai  dovg 
xov  dggaßwva  xov  nvevfxaxog 

6.  Saggovvxeg  otiv  ndvxoxe  ymI  . . 
ivdrjuovvxeg  iv  xo>  oiüLiaxi,  d/to- 
drjf.iovf.iev  anb  xov  Y.vglov 

7.  diä  7cioxeiog  ydg  rceqiTcazov- 
fiev,  ov  did  el'öovg 

8.  &aggovuev  de  v>ai  evdo/.ov- 
uev  . .  drcodr^ifjoai  Iv.  xov  ocouaxog 
v.ai  irdrjfifjoat  rxgbg  xov  v.vgiov 

9.  öiö  v.ai  (fiXotifiovfied-a,  el'xe 
kid^uovrceg,  el'xe  Iv.drjfwvrceg 

10.  xovg  ydg  icdvxag  fjuäg  cpavegco- 
■9-fjvai  dei  l'fi7tQ0(J&ev  xov  ßrjuaxog 
xov  Xgiozov,  %va  r/.aoxog  v.oul- 
arjcai  xd  ötd  xov  ocbfiaxog,  ngbg 
a  t7ioaSev,  elxe  dyaO'öv,  el'xe  v.av.ov. 

11.  eidoxeg  ovv  xov  cpößov  xov 
v.vgiov  dv&QtüTCOvg  riei&ofiev,  &eo) 
de  7ce(faveodjfied-ci'  ilrciLco  de  ymc 
Iv  xalg  ovveidt'jOeoiv  vfxwv  7xeopave- 
gCood-ai. 

12.  ov  rcdXiv  eavxovg  ovviovdvo- 
uev,  dXV  d(poQfit]i'  didövxeg  ruh1 
xav%r}[xaxog  v/ctg  fjfxwv  Iva  vmxi 
v.avydaSai i  ?cgbg  xovg  Iv  tcqoöimcü) 
-/.aiyiofitvovg  /.al  ov  vagdi'a 

13.  eixe  ydg  e^eaTijfiev,  d-eor  el'xe 
ococpgovovfiev,  Ifih1. 

14.  /}  ydg  dyd/cy  xov  tteov  Gwiyfii 
r)fidg 


jah  auk  wisandans  in  |>izai  hlei- 
brai  swogatjam  kauridai  ana 
bamniei  ni  wileima  afhamon  ak 
anahamon . . . 

abban  saei  jah1  gamanwida  uns 
du  banirna  gu|)  saei  jah  gaf  unsis 
wadi  ahman 

gatrauandans  nu  sinteino  jah  .  . 
wisandans  in  bamma  leika  afhaim- 
jai  sijum  fram  fraujin 

unte  bairh  galaubein  gaggam  ni 
bairh  siun 

aj)ban  gatrauam  jah  waljani  .  . 
usleiban  us  bamma  leika  jah  ana- 
haimjaim  wisan  at  fraujin 

inuh  bis  usdaudjam  jabbe  ana- 
haimjai  jajtpe  afhaimjai  .  .  . 

unte  allai  weis  ataugjan  skuldai 
sijum  faura  stauastola  Xristaus  ei 
ganimai  hrarjizuh  ho  swesona 
leikis  afar  baimei  gatawida  jabbe 
biub  japbe  unbiuj) 

witandans  nu  agis  fraujins  man- 
nans  fullaweisjam,  ib  guda  swi- 
kunbai  sijum:  abban  wenja  jah  in 
mibwisseim  izwaraim  swikunbans 
wisan  uns2 

ni  ei3  aftra  uns  silbans  ana- 
filhaima  i/. wis  ak  lew  gibandans 
izwis  b/oftuljos  fram  unsis,  eihabaib 
wibra  bans  in  andwairbja  lropan- 
dans  jah  ni  hairtin 

unte  jabpe  usgeisnodedum,  guda, 
jaf)be  fttUafrabjam,  izwis 

unte  friabwa  Xristans  dis- 
habaib  uns 


1)  om.  codd. 

2)  om.  codd.  nos  l.at. 

3)  =  ytin?  DE  KL. 

4)  om.  codd. 

ZEITSCHRIFT   F.    DBUT80HE    PHILOLOGIE.      Hl>.   \\\\ 


29 


KAI!  I 


15.  /.Qivmcag  roVzo,  Bvi  eV  elg         domjandane  (»ata  |>atej  ains  faur 

hteq     Ttaviojv     d/i/lhcrt.r,     8(>a    o\  aüans   «raswalt  j.annii   allai  gaswul- 

7CÜVTEC,  äftid-avov  . . .  Iva  01  -'•nii-  tun . . .  ei  |>ai  libandans  ni  panaseips 

(X77Y.&1  eavvöig  tfioiv,  äXlä  %$  fcsi(>  sis  silbam  Libaina  ak  pamma  faur 

(tt'nhr  dm)9av6vTi  /.«(  iyeQxHvn  sik  gaswiltandin  jah  arreisandiii 

16.  üoie  fjpuüq  cc7cu  xoC  vdv  Bwaei  weis  t'iam  pamma  nu  ni 
ovdiva  oYdctfiev  vuna  <uxq/.cl,  u  dt  ainnohuu  kunnum  bi  leika.  ipjabai 
y.al2  eyviinuxpev  ymvcc  oaQY.cc  Xqi-  ufkunpedum  bi  leika  Xristu  akei 
gtöv,  alla  vDv  ov/.txi   yirwa/.ouer.  nu  ni   f>anaseii>8  ni  kunnum 

17.  äaze  ei  vtg  ev  KQiavtp  ymhi]  swaei  jabai  Iv^o  in  Xri-t.-m  niuja 
yucloig,  xd  dgya~ta  mxQfjld-w,  Idol  gaskafts,  bo  alpjona  uslipun.  Bai 
yeyovE  /.and  xd  iidvxct  waurjmn  niuja  alla 

18.  xd  de  7cdvva  h  xov  foov  appan  alla  us  guda  parnnia  ga- 
xov  Yaxalld&vxog  fyißg  eavxiji  diu  fri&ondin  uns  sis  pairh  Xristu  jah 
xoü  Xqiovov  y.al  öüviog  fjfiiv  xt)v  gibandin  unsis  andbahti  gafri- 
öiay.oviav  xfjg  /.axallayfjg  f>onais 

19.  tog  on   $eög  fy   ev   Xqioxw  unte  swebauh  gub  was  in  Xristau 
yog(.iov     YMialldöotov     eavTqi    f^r)  manasep    gafriponds    sis    ni    rahn- 
loyiLÖf-uvog   avcdig   xd    naqanxöi-  jands  im  missadedins  ize  jah  lag- 
/xaxa   avxtov    %ai   ^ifxevog  ev  falv  jands  in  uns  waurd  gafriponais 
xöv  loyov  xfjg  Y.axallayfjg 

20.  hcsQ  Xqloxov  oiv  7XQ£oßevo-         faur  Xristu  nu  airinom  swe  at 
(.iev,    u>g   xov  3-eov   naqav.alovvxog  guda  gaplaihandin  pairh  uns,  bidjam 
SC  fyuüv.    JEÖi-iEd-a  V7X8Q  Xgtaxov,  faur  Xristu  gagawairpnan  guda 
YaralldyrjxE  xm  Seu) 

21.  xöv  ydq  (.d]  yvövxa  ä/j.aQxlav,  unte  pana  izei  ni  kunba  fra- 
V/.IEQ  fj/Aiov  äpaQxlav  htoii]OE,  iva  waurht  faur  uns  gatawida  frawaurht 
■fjfielg  yEvtbu£&a  ör/.aioovvy  dsov  ei  weis  waurpeiina  garaihtei  gudis 
ev  avxu).  in  imma. 


5. 

Aus  so  genauer  Übereinstimmung  des  Goten  mit  Chrjsostomus 
ergibt  sich,  was  von  der  behauptung  Bernhardts  „die  handschrift  Wul- 
fila's  stand,  wie  es  scheint,  der  italischen  klasse  zunächst"  (Vulfila 
p.  XXXIX;  vgl.  Gabelentz-Loebe  I,  XXX)  zu  halten  ist.  Von  Über- 
einstimmungen mit  (D)FG  (1,5.7.13.  2,  17.  4,  13)  ist  trotz  Bernhardts 
behauptung  (a.a.O.  nr.  15)  nichts  nennenswertes  beizubringen.  Die  be- 
deutung  der  betreffenden  lesarten  wird  schon  durch  die  mit  der  gruppe 

1)  om.  codd. 

2)  om.  K. 


BEITRAGE    ZUR    QUELLENKRITIK    DER    GOT.  BIBELÜBERSETZUNG  451 

KLMP  bestehenden   gleichungen   erheblich   reduciert   (1,  12.  14.  17.  20. 
2,9.  3,1.  4,6.11.17.  5,16).     Für  P  wäre  etwa  auf  9,10  zu  verweisen. 
Gegen  die  gruppe  (DE)FG  entscheiden  lesarten  wie: 

2. 3  saurga  --=  Xvztrjv  K  L  P  gegen  hm rjv  Inl  Xvrtfjv  D  E  F  G 

2, 12  cd  haurdai  mis  uslukanai  =  d-voag  fioi  dvEdjyfxivr^g  KLP  gegen 
d~vqa  fioi  f(v  iotyfievi]  FG 

3.5  sivaswe  af  uns  sübam  =  wg  eavzcov  KLP  gegen  et;  ccvzajv  FG 

3.7  in  gameleinim  =  iv  ygauuctoiv  KLP  gegen  iv  ygaiiuan  FG 

3.9  ivulpus  =  öo^a  KLP  gegen  dö^a  ioxiv  DEFG 

4.4  ei  ni  liuhtjai  im  =  elg  xb  firj  avyaaai   avxolg  KLP  gegen  elg 
xb  firj  avyaoca  FG 

4.6  gudis  =  xov  S-eoV  KLP  gegen  avxov  FG 

4.10  fraujins  Jesuis  =  yvqiov  ^Iijgov  KL  gegen  XqioxoC  FG 

4. 11  sinteino  =  dei  KLP  gegen  et  FG 

Jesuis  =3ItjO0ü  KLP  gegen  ^Iijoov  Xqioto%  FG 

4. 14  pairh  Jesu  =  öid  'Iijoov  KL  gegen  ovv  ^Iijoov  DEFG 

5,1     unhandnivaurhtana  =  dyEiQOTCoiiivov   KLP    gegen   ovx  d%Eiqo- 

no'uqxov  FG 
5,3     gaivasidai  =  svdvodusvoi  KLP  gegen  indvaauevoi  FG 

5.5  saei  jah  gaf =  6  Aal  öovg  KL  gegen  6  öovg  FG 

5.6  fraujin  =  kvqlov  KLP  gegen  #£ot>  FG 

5,  12  hairtin  =  xccodia  KLP  gegen  ev  xagöia  FG 

5.15  gasivalt  =  ani^avE  KLP  gegen  drts&ave  Xqioxdg  FG 

5. 16  kunnnm  =  yivtoay.ouev  KL P  gegen  yivcoo/.Ofi£v  nuxrct  aaQ/.a  DEFG 

5.17  niuja  alla  —  v*aiva  rä  rcdvxa  KLP  gegen  wxwct  FG 

5,  19  ivaurd  =  töv  Ao/ov  KLP  gegen  (roß)  eöayyeliov  xöv  Ao/orDEFG 
6,9     talzidai  =  7tccidev6u£voi  KLP  gegen  7ttiQa£6fievoi  FG 
6,14  ungalaubjandam  =  dnioxoig  KLP  gegen  juera  drttoxwv  FG 

7.8  in  paim  bokom  =  iv  xfi  i7iLOioXfi  KLP  gegen   eV  tt;  bcioxohj 
uov  DEFG 

7,14  allata  =  ndvxa  KLP  gegen  7tdvzoxe  FG 

8,3     w/a-r  mäht  =  VTtiq   övvafuv  KLP  gegen   xara  dtW/u*>'  DEFG 

(vgl.  12,  13) 
8,19  mipgasinpa  uns  =  GvvtY.dijf.wg    fjfiüv    KLP    gegen    ovvtx.di]fiog 

ijfuov  iytvExo  DE 

9.3  fauragasandida  =  uxEfixpa  KLP  gegen  i.7tifuf'afiEv  DE 

so  /"mm  ixivis  =  xb  vfttQ  bfißv  KLP  gegen  FG,  wo  die  worte 
fehlen. 

9.4  in  pamma  stomin.  pixos  Juoftidjos  *=  iv  xfi  imoardaet   fcvtj   rijfg 
"/«t'x^fffiwt;  KLP  gegen  ^r  //;  i;ionu'um   ratfagj    FG 

■_"j  • 


452  k  \  i i 

9,5    pana  =■  tafayv  KLP  om.  FG 

_y>///  m  swaswe      aal  fiij  tbg  KLP  gegen  /",  <:',-  FG 
9,9     </«*  aiwa  =  Eig  zuv  auova  LP  gegen  elg   töv  alßva  toC  aUovog 
FG  K 

10.5  yV///,  friihinjxiudaiis  =  xat  (dyjitdo)ii'Covieg  KLP  gegen  al%ftaXw- 
zitovzsg  FG 

10,  7     Xristaus  wisan  =  Xqiozoü  elvai  KLP  gegen    XqiotoG  dotiXog 

elvai  DEFG 
10,8     frauja  = -MQiog  KLP  gegen  ^eoc;  DEFG 
10,13  bopcmt  =  y-aw/rjauf-ieO-a  KLP  gegen  vMvyiofxevoi  FG 

w?m's  gup  =  fyäv  6  &eog  KLP  gegen  <5  #«Gg  FG   und    //m' 
ö  KÖQiog  DL 
11,4     Jesu  =  yIt]OoCv  KLP  gegen  Xoiazov  FG  (vgl.  12,1) 

aiivaggeljon  anpara  =  Euayytliov  Vzeqov  KLP  -f-  laußdvEzai  FG 

11.6  gabairhtidai  in  allaim  =  (pavEow&Evzeg  iv  7C&aiv   KLP   gegen 
(favEQiooavieg  FG 

12,  6     gahaitseip  ha  =  azot'«  rt  KLP  gegen  axotW  DEFG 

12.7  ei  m  ufarhafnau  =  iVa  ^r)  v7TEQaiQtof.iai  KLP  gegen  d*o  iVa 
|Ujy  V7CEQaiqiof.iaL  FG 

e*  m  ufarhugjau  =  iva  f.irj  v7TEQaiqo)f.iai  KLP  om.  DEFG 

12,  11  hopands  --=  xavyiof-iEvog  LP  om.  DEFGK 
12,19  aftra  =  tcccXlv  KLP  gegen  7takai  FG 

13,  2     ?m  melja  =  vüv  ygaepto  KLP  gegen  w  FG 
13,4     m  imma  =  £v  aw$  KLP  gegen  ffuv  aürw  FG 
13,7     bidja  =  t'vyof.iat  KL  gegen  evyö^e^a  FG 

13, 13  amen  =  a^y  KL  om.  FG1 

Ausschlaggebend  für  die  gruppe  KLMP  d.  h.  für  die  byzantinische 
recension   ist  12,  7  ei  ni  ufarhugjau,   denn   dieser  satz  findet  nur  in 
iva  (.irj  v7TEQatQioj.iat  KLPChr,  nicht  in  DEFG  seine  entsprechung. 
Ebenso  ist  12,  11  hopands  nur  in  Aavy(x)(.tEvog  LP  Cur  belegt. 
Ich  mache  fernerhin  auf  folgende  liste  aufmerksam: 
6,  14  aippau  ho  (:  zig  de  Chr)  =  rt  zig  LP 
6,15  Bailiam  (:  BshctQ  Chr)  =  Bsfaav  K2 

1)  Zweifelhaft  könnten  sein  stellen  wie  is  8,  9  =  ccvtou  DEFG  gegen  ixtivov 
KLP;  aiviliud  9,  15  =  y/tQig  FG  gegen  xitQl±  $i  KLP',  12,  13  skafiis  =  äStxiav  KLP 
oder  =  dfiagriav  FG?  12,  15  mins  =  jjttov  KLP  oder  =  ekuaaov  FG?  12,  16 
haurida  =  xKTtßäprjOu  KLP  oder  =  xaTtvdqxtiOa  FG?  Aber  sie  sind  nicht  von 
belang. 

2)  Zu  -vi  :  -n  beachte  Bernhardt,  Vuifila  p.  LIX.  —  Über  Moses  3,  7  usw. 
habe  ich  Zeitschr.  30,  163  gehandelt. 


BEITRAGE    ZUR    QUELLENKRITIK    DEB    GOT.  BIBELÜBERSETZUNG  4.13 

6.16  wairpa  ize  guj)  (:  l'aofjai  avzolg  elg  9eöv  Chr)  =  t'aoiiai  avziöv 
»sog  KL 

6. 17  afskaidip  ixwis  qipip  frauja  (:  dcpogiod-yre ....  X&yei  xvqiog  Chr) 
=  ärpoQiod-rjTE  ?Jyei  vivQLOg  LP 

7, 11  izivis2  (:  tv  vfj.lv  Chr)  =  vfj.lv  KL 

7. 13  unsarai  (:  vfiüv  Chr)  =  rjfiiov  P 

7.14  allata  izivis  (:  Ttdvrove . . .  t//n>  Chr)  ==  7cdvia  tfj.lv  (KL)P 

c?m  Titaun  (:  gVr*   T/iou  Chr)  =  /rpög  Tivov  P 

8.7  ?/s  i;wm  w  ims  (:  gif  üjuwj'  Chr)  =  gif  vfiiov  iv  fjfilv  KLP 
8,9     in  izwara  (:  (V  ^<«g  Chr)  =  öi'  ifiag  LP 

8, 19  du  fraujins  wulpau  (:  icqoq  ti)v  aviov  iov  v.roior  do^av  Chr)  = 

Ttqbg  rov  y.vqiov  öö^av  L 
8,21  garedjandans  (:  tzqovoovuev  Chr)  =  nQorooufievoi  KL 
9,  11  wi  allamma  (:  tVa  gV  navil  Chr)  =  gV  rcavzi  KLP 

10.8  atgaf  frauja  unsis  (:  Itfttnce  ftoi  6  xtioiog  Chr)  —  söwaev  u  xvqiog 
fjfilv  KL 

10,13  gamat  (:  efnoiasv  Chr)  =  sfxaTQTjOBv  M 
11,1     Zet'fr7  fva  (:  fjiyioov  Chr)  =  fuv.oov  vi  M 

11.3  riurja  ivairpaina  (;.  ovno  cpfraof]  Chr)  =  cp&ctQfj  P 

11.9  izwis  mik  silbern  (:  efiawöv  Chr)  =  ru/r  Hiacior  L 

12, 1      Jvopan  binah  (:  v.avyßattai  ö/j  Chr)  =  "/.avyao&ai  öel  LP 

ato"   m    batizo  ist  (:  ou  avfKpiqei   fioi    Chr)  =  ou   avfjqpsQet 
fiiv  P 
12,6     wiljau  (: /mI  d-eh'joiu  Chr)  =  d-ehfjGo)  KL 

13.4  m  ^^s  (om.  Chr)  =  etg  ß/wag  KLP 

13,11  gaivairpeis  jah  friapwos  (:  r^g  dya/vr^g  v.ai  rfjg  elo/rt^  Chr) 

=  r^g  eloijvTjQ  /.cd  xfjg  dydjir^g  L. 

6. 

Der  gotische  text  ist  uns  nun  aber  nicht  in  primärer  gestalt  über- 
liefert (s.o.  s.  434ff.).  Es  ist  die  tätigkeit  einer  kritischen  hand  erkennbar 
geworden  und  deren  quelle  hat  auch  die  altlateinische  bibel  gebildet 
In  welchem  umfang  diese  quelle  eingewirkt  hat  —  auf  diese  frage  geben 
uns  die  zum  ursprünglichen  text  vorliegenden  Varianten  bescheid: 

1.8  skamaidedeima  uns   A    marg.  V<       taederet  nos;    die  Griechen 
kennen  nur  die  lesart  l^aTTOQijd-^vai  ■=  afswaggwidai  weseima  \ 

2,  1 1  gaaiginondau  A  1!  [gafaihondau  A   marg.)      possideamur 
2,16  ms  daüpau  A...tts  libainai  AU      eoü  mortc  . . .  er  vita  illila- 
rius,  Epiphanius) 

3.9  andbahtja  A=   ministerio 


454  KAUF] 

3,11  afdaubnodedun  A  1'  [gablindnodedun  \  marg.)  ■  abtust  sunt 
(cfr.  excaecavit    1,1) 

4.1  ni  wairpaima  usgrudjcms  B      non  defidarnua  (infirmemur). 
5,3    gawasidai  A  =  vestiti  (induti) 

5, 1 1  in  havrtin  A  =  in  conti 

5,20  bidjandans  A  =  obsecrantes  (orantes)  wie  <>.  1  bidgandans  = 
exhortantes,  wo  die  Störung  der  construction  den  eindringling 
verrät  (siehe  Bernhardts  anm.),  und  8,  24  ustaiknjandans  = 
ostendcutes? 

In  erster  linie  beweiskräftig  und  evident  sind  die  stellen  2,11. 
3,14.  4,1.  Dazukommen  nun  aber  noch  weitere  bemerkenswerte  Über- 
einstimmungen des  gotischen  textes  mit  dem  lateinischen1: 

4, 17  pata  andwairpo  hcüahairb  ja//  leiht;  Chrys.  und  die  hand- 
schriftengruppe  KLP  lassen  für  hcüahairb  jah  im  stich,  dem 
aber  könnte  griech.  7cg6a/.aiQov  (wie  Marc.  4,  17)  oder  eher 
momentaneum  der  lat.  bibel  entsprechen 

5. 10  po  swesona  leikis  =  propria  corporis  Lat.,  wie  schon  Gabelentz- 
Loebe  (I,  XVII)  und  Bernhardt  bemerkten 

6,14  garaihtein  mip  ungaraihtein  =  iustitiae  cum  iniquitate 

8.2  pata  diupo  unledi  =  profunda  paupertas  (gegen  t)  /Mid  ßd&ovg 

7C'UO%£.la)  2 

8,  5    paproh  pan  =  deinde 

8,8     swaswe  fraujinonds  =  quasi  imperans  (gegen  zar'  ertiray^v)2 

8. 1 1  fauraist  muns  =  prompta  est  voluntas 

9,  4     ei  ?ii  qipau  =  ne  dicam 

10,5    jah  in  ufhausein  Xristaus   tiuhandans  =  et  in  obsequintn 

(obedientiam)   Christi  perducentes 
10,9     ei  ni  pugkjaima  swe  plahsjandans  ixwis  =  ut  non  existimenntr 

tanquam  terrentes  vos 
11,  3     fihideisein  seinai  =  astutia  sua 

af  ainf alpein  jah  swiknein  —  a  simplicitate  et  castitate 
11,16  unfrodana  =  insipientem 
11,23  sivaswe  unwita  =  velut  insipiens 

in  karkarom  ufarassau,  in  slahim  ufarassau  =  in  carceribus 

abundantius,  in  pktgis  supra  modum 
11,25  in  diwpipai  was  mareins  =  in  profundo  maris  fui 
12,7     leika  meinamma  =  carni  meae 

1)  Unkritisch  und  daher  unbrauchbar  sind  die  Sammlungen  von  W.  Bangert. 
Der  einfluss  lateinischer  quellen  auf  die  gotische  bibelübersetzung  des  Ulfila  s.  21fgg. 

2)  Vgl.  Bernhardt,  Vulfila  p.  XXXVIII. 


BEITRÄGE   ZUR    QUELLENKRITIK    DER   GOT.  BIBELÜBERSETZUNG  455 

12,  9     mahts  =  virtus  (?) 
12, 12  taiknim  =  signis  (?) 
12,  17  <3V  avrov  fehlt  Got.  Lat. 

12. 18  mipinsandida  imma  =  mini  cum  Mo 

12. 19  ei  sunjoma  uns  ivipra  ixwis  =  quod  excusemus  nos  apud  vos 
12,21  gup  (/.wo  fehlt)  =  deus 

13,2     aftra  =  Herum  (gegen  elg  rb  7cahv). 

Dass  die  gotischen  textkritiker  nun  aber  nicht  etwa  nach  der  lat. 
Vulgata  gearbeitet  haben,  lassen  die  ab  weichungen  vom  text  des 
Hieronymus  als  ausgemacht  erscheinen  (vgl.  1,6.10.  11.  17.  20.  23.  2,  1. 
14.  4,17.  6,14.  8,4.  9,2.5.7.11.  11,3.21.32.  12,1.7.11.19.  13,2.7), 
während  vollkommen  deutliche  spuren  der  Itala  —  zumal  wenn  wir  die 
gotischen  marginalien  in  betracht  ziehen  —  auftreten  (vgl.  z.  b.  2,11. 
4,1.  10,5).  Daher  ist  bei  dem  Verzeichnis  der  latinismen  nur  auf  die 
vorhieronymianische  bibelübersetzung  bezug  genommen.  Die  einzelbelege 
sind  mit  hilfe  von  Sabatier  leicht  zu  identificieren1. 

Es  ist  jedoch  wie  schon  ein  einzelfall  zur  genüge  dartut  (z.  b. 
10,7.  11,5)  an  eine  fortlaufende,  streng  systematische  berücksichtigung 
und  collation  des  altlateinischen  textes  nicht  zu  denken.  Vielmehr  hat 
sich  auf  seite  der  Goten  ein  freieres  verfahren  durchgesetzt.  In  folge 
dessen  ist  der  Wortlaut  der  ursprünglichen  Übersetzung  an  manchen 
stellen  nicht  mehr  erhalten,  sondern  durch  neuerungen  lateinischer  her- 
kunft  verdrängt. 

Ursprüngliche  randglossen  der  vorläge  von  AB  sind  in 
den  context  der  codd.  AB  aufgenommen  worden  (Zschr. 31, 313); 
es  sind  die  aus  dem  cod.  brix.  wolbekannten  wutpres  der  gotischen 
kleriker  Sunja  und  Fripila. 

Diese  randglossen  waren  doppelter  art:  sprachliche  und  textliche 
Varianten. 

Die  sprachlichen  Varianten  kamen  daher,  dass  am  rand  eines 
gotischen  epistelcodex  synonyma  verzeichnet  worden  waren,  dir  uns 
(zum  teil?)  noch  erhalten  sind;  vgl: 

2, 15  fraqistnandam  :  in  A  die  glosse  fm/usnttttdani 
5,12  uskminjaima  :  in  A  die  glosse  anafilhaima 
12,7     hnupo  :  in  A-die  glosse  gairu. 

Dieser  ältere  zustand  der  Überlieferung  ist  jedoch  in  unsern  Hand- 
schriften bereits  mehrfach  verlassen. 

Wir  glauben  zu  erkennen,  dass  zuweilen  in  A  die  beiden  lesarten 
der  vorläge  bewahrt,  in  B  dagegen  das  urteil  zu  gunsten  der  einen  von 

1)  Vgl.  auuh  Bernhardt,  Vulüla  p.  L. 


456  k  \u  i  ma-.'. 

beiden  lesarten  gefall!  worden  ist.  Denn  12,  15  steht  in  A  lapaleiko 
im  text,  dazu  die  randglosse  gabav/rjaba,  welches  I»  in  den  teil  gesetzt 
hat.  Genau  so  1,  8:  im  texl  von  A  steht  afswaggwidai  wesevma,  am 
rand  als  glosse  sharnaidedei/nia  uns  and  diese  Lesart  hat  der  Schreiber 
von  B  recipiert. 

Damit  sind  wir  jedoch  bereite  beiden  sinn  Varianten  angelangt, 
für  die  3,14  afdaubnodedun  mit  der  randglosse  gablindnodedun  in  A 
ein  schönes  beispiel  liefert. 

Wie  regelmässig  der  Schreiber  von  B,  so  hat  nicht  selten  auch 
der  Schreiber  von  A  auf  die  getreue  widergabe  seiner  mit  randglossen 
versehenen  vorläge  verzichtet  und  sich  zu  gunsten  der  einen  oder  andern 
lesart  entschieden.  Wol  vermögen  wir  aus  der  varia  Icctio  die  existenz 
zahlreicherer  marginalien  zu  erschliessen,  aber  nicht  mehr  darüber  ins 
reine  zu  kommen,  was  in  der  vorläge  im  text  und  was  am  rand  ge- 
standen habe,  vgl.  z.  b.  2,6  fragiba  A  :  fragafB;  4,  1  wairpam  A  :  wair- 
paima  B;  5,20  bidjandans  A  :  bidjam  B;  13,1  gastandip  A  :  gastan- 
dai  B;  noch  weniger  bei  synonymen  ausdrücken  wie  1,19  merjada  A  : 
wailamerjada  B;  7,8  unte  gasailva  A  :  gasaiha  auk  B;  9,2  us  wagiäa 
A  :  gawagida  B;  13,5  fraisip  A  :  fragip  B(P)1.  Wollte  man  zusätze 
auf  ein  Wirkung  der  marginalien  zurückführen,  dann  müsste  A  bald  die 
marginalien  übergangen,  B  sie  in  den  context  aufgenommen  haben 
(1, 14  Jesuis  A  :  Jesuis  Jtristaus  B;  1, 19  merjada  A  :  wailamerjada  B; 
5,16  ni  kunnum  A  :  ni  kunnum  ina  B;  7,  8  in  bokorn  A  :  in  paim 
bokom  B;  8,22  filu  usdaudozan  A  :  filaus  mais  usdaudoxan  B:  13,13 
fraujins  A  :  fraujins  unsaris  B),  bald  müssten  die  Schreiber  umgekehrt 
verfahren  sein  (5, 12  in  hairtin  A  :  hairtin  B;  6,  8  jah  pairh  A  :  pairh  B; 
7,  3  mipgaswütan  A  :  gaswiltan  B;  13,  7  ungakusanai  A  :  gakusanai  B). 

Dass  Störungen  des  ursprünglichen  Sachverhalts  auch  in  A  vor- 
liegen2, haben  wir  aus  den  quellenmässigen  belegen  für  seine  lesarten 
ersehen.  Ein  gleiches  ergibt  sich  mit  hinlänglicher  evidenz  aus  2,  11, 
wo  auch  A  jüngeres  gaaiginondau  in  den  text  aufgenommen  und 
älteres  gafaihondau  auf  den  rand  verwiesen  hat;  ferner  aus  2,  16,  wo 
die  sowol  dem  griechischen  text  als  der  lesart  von  B  entsprechende 
Variante  libainais  fehlt.  Sowol  A  als  B  haben  ein  fremdartiges  glossem, 
Avie  Bernhardt  erkannte,  an  der  merkwürdigen  stelle:  in  allaixos  mana- 
gons  aglos  unsaraixos  7,4  in  den  text  gesetzt. 

1)  Auf  schreibversehen,  auch  in  möglichen  fällen  wie  13.  5,  gehe  ich  nicht  ein. 

2)  Ein  sehr  interessantes  beispiel  liefert  Eph.  3,  21,  wo  B  =  KLPChrvs  die 
ursprüngliche  fassung  erhalten  hat,  in  A  dagegen  eine  der  lateinischen  bibel  ent- 
sprechende Variante  steht.     Umgekehrt  liegt  die  sache  Col.  1,  24. 


BEITRÄGE   ZUR   QUELLENKRITIK    DEB    GOT.  BIBELÜBERSETZUNG  457 

Es  ist  also  mit  der  tatsache  zu  rechnen,  dass  A  und  B  aus  einer 
und  derselben  mit  randglossen  versehenen  handschrift  X  herstammen1. 
Diese  handschrift  lässt  sich  mit  der  textkritischen  arbeit  von  Sunja  und 
Fripila  in  Zusammenhang  bringen,  wenn  wir  annehmen,  dass  in  X  (d.i. 
in  der  vorläge  von  AB)  die  siglen  gr  und  la  nicht  mehr  copiert  waren. 
Im  übrigen  dürfte  sich  aus  A  und  B  ein  wenn  auch  verblasstes  bild 
von  dem  werk  der  beiden  gotischen  kleriker  —  das  wir  mit  dem  des 
Wulfila  nicht  identificieren  —  gewinnen  lassen. 

Die  ausschliessliche  autorität  der  griechischen  bibel  wurde  von 
Sunja  und  Fripila  mit  entschiedenheit  vertreten,  der  Übersetzung  des 
Hieronymus  haben  sie  keinen  beifall  gespendet.  Daher  denn  auch  der 
zweite  Corintherbrief  der  Goten  als  fast  rein  griechisch  und  als  von  der 
Vulgata  nicht  beeinflusst  sich  uns  darstellte;  ich  erinnere  an  den  von 
Marold  versuchten  nachweis  eines  Zusammenhangs  der  in  (A)B  ange- 
deuteten lectionen  mit  dem  griechischen  ritual  (Stichometrie  und  lese- 
abschnitte s.  16fgg.).  Aber  bei  der  Wortwahl  (Zeitschr.  31,315)  kam 
das  lateinische  zur  geltung,  indem  die  gotischen  kritiker  randglossen 
mit  la  signierten,  bei  denen  der  lateinische  bibeltext  für  die  Wortwahl 
den  ausschlag  gegeben  hatte.  Damals  ist  eine  wenn  auch  nicht  gerade 
systematische  vergleichung  des  gotischen  bibeltextes  mit  dem  griechischen 
grundtext  und  mit  der  altlateinischen  version  vorgenommen  worden. 
Das  bedeutete  den  anfang  einer  allmählich  sich  einstellenden 
latinisierung  der  gotischen  bibel,  für  welche  die  epistelcodices  AB 
weit  ergiebigeres  material  bieten  als  der  cod.  argenteus  der  gotischen 
evangelien  (vgl.  Zeitschr.  30,  182) 2. 

Nehmen  wir  die  einzelnen  glossen  (adnotationes,  wulpres)  unter 
diesem  gesichtspunkt  durch,  so  zerfallen  sie  in  zwei  classen:  die  eine 
wird  durch  diejenigen  lesarten  gebildet,  welche  in  der  ausgäbe  von 
Sunja  und  Fripila  die  sigle  gr  geführt  haben  könnten,  z.  b. 

2,  11  gafaihondau  A  marg  =■=  7cXeoveyarj^c7)i.it}' 

3, 14  gdblindnodedun  A  marg  =  vcwowVri, 
die  zweite  classe  befasst  diejenigen  glossen,   welche   zur   Kennzeichnung 
ihrer    lateinischen    „etymologie"    mit    der    sigle    la    versehen    worden 
waren,  z.  b. 

1,8     skamaidedeima  uns  A  marg  =  taederet  nos. 

1)  Bernhardt,  Vulfila  p.  LXfg. 

2)  Über  (uiktj<>  vgl.  Marold,  Stichometrie  und  Leseabschnitte  s.  15.  Nebenbei  sei 
bemerkt,  dass  bei  erörterung  der  xsipdXata  und  &vuyv<öotis  in  zukunfl  von  Euthaliaft, 

der  wie  wir  jetzt  wissen  erst  in  der  zweiten  hälfte  des  7.  jhs.  gelebl   hat,  abstai 
nommon  werden  inuss  (v.  Süden,    Die  selirifteu  des  aeuon  testaments  1  [1902],  f>:>7  f^r.). 


458  KAUFMANN 

Im  laute  eines  Jahrhunderte  haben  Versetzungen  vom  rand  in  den 
text  und  dadurch  Störungen  der  ursprünglichen  textgestalt  stattgefunden 
(Bernhardt,  Vulfila  p.  XLVI). 

Dadurch  ist  eine  verhältnismässig  schwache  Zumischung  latei- 
nischer lesarten  in  den  griechischen  grundstock  der  Übersetzung  zu 
stände  gekommen.  Das  Lehrreichste  beispie]  ist  weil  2.1b'  olg  fiev  oout] 
Üaväiov  eig  9-dvcuov,  oig  c)>!  ör;^  SoF^  >u  '~t»t,v,  das  der  Gtote  ursprüng- 
lich genau  widergab  sumavm  auk  da  uns  daupaus  du  daupau,  su/mai- 
mup  pan  dauns  libainais  du  libainai.  In  dem  trilinguen  codex  der 
kloriker  Sunja  und  Frinila  (SF),  dem  die  altlateinische  Übersetzung  bei- 
gegeben war,  stellten  sich  zu  daupaus  und  libainais  die  randglossen 
us  daupau  und  us  libainai  ein  und  wurden  mit  der  sigle  la  versehen. 
In  X,  der  vorläge  unserer  epistelcodices  AB,  war  bereits  us  libainai 
(an  stelle  von  libainais)  in  den  text  gedrungen,  aber  daupaus  war  noch 
mit  der  glosse  us  daupau  versehen  geblieben,  durch  deren  aufnähme 
aus  X  erst  in  dem  text  von  A  die  Symmetrie  hergestellt  wurde;  B  hat 
uns  mit  der  erhaltung  der  ursprünglichen  lesart  daupaus  einen  erheb- 
lichen dienst  geleistet. 

Zwischen  SF  und  unserer  Überlieferung  AB  bedarf  es  nur  der 
einen  Zwischenstufe  X,  um  zum  Verständnis  der  textgeschichte  des 
gotischen  zweiten  Corintherbriefes  zu  gelangen. 

7. 
Den  ersten  Corintherbrief,  der  nur  in  bruchstücken  auf  uns 
gekommen    ist,  mit  gleicher   ausführlichkeit  zu   behandeln,   liegt  keine 
veranlass  ung  vor. 

Yon  derselben  beschaffenheit  wie  die  subscriptio  (s.o.  s.  434 f.)  ist, 
wie  man  längst  erkannt  hat,  die  stelle 

7,23  ivairpa  galaubamma  (vgl.  Rom.  9,21)  usbauhtai  sijup;  sie  ist 
aus  zt[.ifjg  ^yoQaad-rjTE  entstanden  durch  aufnähme  des  der  latei- 
nischen  bibel,    die  pretio  (=  wairpa)  empti   estis  bietet,  zu- 
nächst als  randnote  entlehnten  wortes  ivairpa.   Denn  Synonyma 
pflegten   in  X  am   rand  notiert  zu  werden  (vgl.  9,  20.  22);  ge- 
legentlich   aber   ist    die  adnotatio  in   den    text   gedrungen;    so 
lesen  wir  15,  10  arbaidida  jah  usaiwida  für  griech.  Ixoniaoa. 
Ähnliche  freie  interpolationen  aus   dem   lateinischen  liegen   noch 
l.Cor.  15, 23.  16,12.  19  vor  (+  paiei,  +  bandwja  izwis  patei  =  signi- 
fico  vobis  quia;   +  at  paimei  jah  salja  =  apud  quos  et  hospitor).    Leider 
fehlt  uns  hier  cod.  Ambr.  A.     Es  ist  die  Vermutung  nicht  ungerecht- 
fertigt, dass  die  Überlieferung  dann  vielleicht  läge  wie  13, 3  A,  wo  wir 


BEITRÄGE    ZUR    QUELLENKRITIK    DER    GOT.  BIBELÜBERSETZUNG  459 

mit  KL  und  Chrysostomus  im   texte  ei  gabrannjaidau ,   am   rand   mit 
den  Lateinern1  ei  foopau  lesen. 

In  der  mehrzahl  der  fälle  ist  jedoch  die  adnotatio  von  den  Schrei- 
bern in  den  context  aufgenommen  und  dadurch  die  ursprüngliche,  der 
griechischen  bibel  entsprechende  lesart  beseitigt  worden.  Ich  sehe  von 
weniger  beweiskräftigen  stellen,  an  denen  es  sich  um  flüchtige  aus- 
lassungen2  handeln  könnte,  ab  (1,  16.  18.  22.  4,5.  5,10.  7,7.  26.  8,12. 
13.  10,28.  12,16.  13,12.  14,23.25.  15,5.  16,11.  15).  Denn  hier  sind 
formwörter,  partikeln,  copula  und  ähnl.  im  spiele,  bei  denen  auch  die 
griech.  Codices  vielfach  schwanken  zeigen. 

Ernsthafter  und  entschiedener  auf  lateinische  vorläge  zurückweisend 
sind  die  folgenden  stellen: 

7,13  ni  afletai  pana  aban  (:  fxi]  dcptha»  aviöv  KLPChr)  =  non 
dimittat  virum.  Möglicherweise  hängt  aber  die  abweichung  von 
der  griechischen  vorläge  mit  der  änderung  7,  12  ni  aftetai  po 
qen  zusammen,  denn  an  dieser  stelle  fehlt  sowol  bei  den  Griechen 
als  bei  den  Lateinern  eine  mit  der  gotischen  formulierung  sich 
deckende  ausdrucksweise.  Diese  tatsache  führt  auf  die  Ver- 
mutung, dass  vielleicht  doch  in  dem  von  dem  Übersetzer  zu 
grund  gelegten  exemplar  der  griechischen  recension  die  gotische 
Variante  vorlag.  Denn  an  eine  rückwirkung  von  7,13  auf  7,  12 
würde  man  nur  denken  können,  wenn  die  worte  aban  und  qen 
als  correspondierende  marginalien  aufnähme  gefunden  hätten. 
Die  fälle  wären  dann  wie  7, 23  (s.  o.  s.  458)  zu  beurteilen.  Ein 
ähnlicher  fall  liegt  übrigens  10, 16  vor:  niu  gamaindups  hlo]>is 
fraujins  ist  .  .  .  ?iiu  gamaindups  leikis  fraujins  ist.  Die 
griech.  codd.  lesen  beidemal  tov  Xqiotov,  die  Lateiner  wechseln 
zwischen  Christi  und  dornini  (mit  ausnähme  des  Ambrosiaster, 
der  dornini  —  dornini  hat).  Die  gotische  lesart  scheint  auf  eine 
randnote  fraujins  zurückgeführt  werden  zu  müssen,  die  zwei- 
mal auf  *X.ristaus  statt  nur  einmal  auf  das  zweite  bezogen  wurde. 
7,  17  swaswe  galapoda  gups  (:  thg  vJ^hf/.Ev  6  /aqio^  KLChr)  =  sicut 
voeavit  deus. 

1)  loh  stütze  miob  auf  die  notiz  dos  Hicronymus  zu  dieser  stelle  (bei  Sabatiei 
und  Tisohendorf)  apud  nostros  error  inolevit.  Doch  kaun  es  sich  auch  um  eine  rein 
graphische  Variante  griech.  codd.  handeln,  wie  bei  der  randnote  L3, 5  {aJjjanoß  =  C'i^oi, 
vgl.  13,  4). 

2)  Vgl.  z.  b.  den  durch  den  eiugang  von  v.  lii  veranlassten  ausfafj  15,  L5; 
ferner  16,  20. 

3)  Voraus  geht  s/caswe  gadailida  guß  =  tbg  fxefxsQutev  6  fre6s  KLChr. 


4G0  KAUF] 

7,28  appan  jabai  nimis  qm,  ui  fnitvanrh1.es,  ja/t  /aha/'  liugada 
maioi,  ui  frawaurhta;  ij>  aglon  leikis  ga&taldand  po  swaleika, 
ip  ik  i-.itis  freid/ja  (:  eäv  ö*i  xai  yauJjajjs  \ytfnys  KI, 'in   .  o$% 

Yiittan^    /ja    &ctv  yi'jl-ij]    fj   ycäo'hro^,    m'y    'iitaon.v    !)/.ii'ii    t)f-    t  /~ 

OU07.I  V^ovoiv  ot   foioCtol,  eyto  de  bu&v  tpeidouai)       tti  autem 

{(//.  et  si,  si  et)  acceperia  uxorem,  non  peccasti  et  si  nup,  erii 
virgo,  non  peccavit,  tribulationem  tarnen  carnis  habebunt... 

9,8     aippan  jah  ivitop  (:  ))  or/t   mxI   ö  rofiog  KLPChr)  =  an  et  lex 
9,26  ni    du    univissamitta  (:  tog  ocy.  ud/fAiog)  -=  i/o//    in    incertum 
Lat.(??) 

10,17  ainis  hlaihis  jah  ainis  stiklis  bruJojam  (:  ex  xov  evdg  Sorot 
(.iscixo/iiev)  =  de  uno  pane  et  de  uno  calice  percipimus  Ital. 

10,29  pairh  ungalaubjandins  puhtu  (:  vuö  li'kXr^g  oweidrjoeojg)  = 
ab  infideli  conscientia  Ital. 
15,1.2  appan  kannja  ixtois,  broprjus,  patei  aiwaggeli,  patei  merida 
ixwis,  patuh  jah  andnemup,  in  pammei  jah  standip,  pairh 
patei  jah  ganisip,  in  ho  saupo  wailamerida  ixwis  skulup 
gamunan,  niba  sware  galaubidedup  :  yvioqiuo  dt  if.üv,  ädeXcpoi, 
c6  evayyiktov  o  svTjyyeXtodptjv  v/niv,  o  ymI  jcagthäßeie,  tv  cä  /.at 
hjc/j/mte,  öS  ofi  yuxl  oioLeod-e,  tivi  Xoyto  evrjyyeAiauur^v  bfuv 
ei  /.arexere,  e/.zög  ei  f.trj  el/.fj  tri  iotev  acut.  Dagegen  bei  den 
Altlateinern  (-f  Ambrosiaster):  notum  autem  vobis  facio,  fratres, 
quia  evangelium,  quod  praedicavi  vobis,  quod  et  accepistis,  in 
quo  et  statis,  per  quod  et  salvi  efftciathii ,  qua  ratione  evangeli- 
xavi  vobis,  debetis  sustinere  nisi  sine  causa  credidistis. 

15,  5  paim  ainlibim  :  rolg  öcoöe/m  der  griech.  codd.  Die  Lateiner  — 
und  DFG  —  haben  Ulis  undecim.  Diese  lesart  kann  der  goti- 
schen Übersetzung  nicht  wol  zu  gründe  gelegen  haben,  weil  der 
artikel  paim  unerklärt  bliebe1.  Die  stelle  ist  also  nur  so  er- 
klärlich, dass  ursprüngliches  *paim  twalibim  mit  der  randglosse 
la.  ainlibim  versehen  und  dieses  wort  von  den  abschreibern  in 
den  text  gesetzt  worden  ist. 

15, 10  halka  (:  '/.Evrj)  =  pauper,  egena  (cfr.  Gal.  4,  9) 

15, 14  galaubeins  unsara  (:  ^  Ttiorig  v\.uov)  =  fides  nostra  bei  einzelnen 
Lateinern  (cfr.  Sabatier);  dass  eine  nachträgliche  änderung  des 
gotischen  textes  vorliegt,  scheint  durch  galaubeins  ixwara 
15,  17  ersichtlich  zu  werden;  denn  auch  hier  lesen  wir  in 
mehreren  (griech.)  codd.  fjf.iwv. 

1)  Augustin  (bei  Sabatier  uüd  Tischeudorf  z.  st.)  bemerkt:  cum  articulo  enim 
hoc  gracci  Codices  habent. 


BEITRAGE    ZUR    QUELLENKRITIK    DER    GOT.  BIBELÜBERSETZrNG  461 

Sind  diese  stellen  beweiskräftig,  dann  können  auch  tilgungen  ein- 
zelner Wörter  auf  entsprechenden  vermerken  der  editoren  beruhen,  die 
eine  vergleichung  mit  der  altlateinischen  bibel  vorgenommen,  ja  sogar 
deren  text  in  besonderer  spalte  neben  dem  gotischen  und  griechischen 
aufgenommen  hatten.  Dies  wäre  jedesfalls  der  einfachste  modus,  unter 
dem  die  lateinische  bibel  ihren  einfluss  geltend  gemacht  haben  könnte. 
Man  vergleiche: 

1,16  ei  ainnohun  :  ei  %tva  allov  gegen  si  quem  Lat. 

1, 18  ganisandam  :  ocoLof.th'otg  fftäv  gegen  qui  salvi  fiunt  Lat.  (-f-  id 
est  nobis  Vulg.) 

1,  22  unte  :  hceiörj  y.al  gegen  quoniam  Lat. 

4,  5     stojaip  :  xi  /.Qivere  gegen  judicare  Lat. 

5, 10  ni  :  /.al  ov  ndvicog  gegen  non  iitique  Lat. 

7,  7     swe  :  thg  /.al  gegen  sicut  Lat. 

8. 12  slahandans  :  /.al  zv/irovieg  gegen  'percutientes  Lat. 

8. 13  bropar  :  ddelcpov  f.tov  gegen  fratrem  Lat. 
9, 8     aippau  jah  :  rj  olji  /ml  gegen  an  et  Lat. 

10,28  has  :  zig  öfuv  gegen  quis  Lat. 

12, 16  jabai  :  /.al  sdv  gegen  si  Lat. 

14,  23  jabai  :  idv  ovv  gegen  si  Lat. 

16,11   ni  hashun  :  fttf  Tig  o%v  gegen  ne  quis  Lat. 

Ganz  vereinzelt  scheinen  auf  demselben  weg  zusätze  eingedrungen 
zu  sein:  die  hauptstelle  ist  at  paimei  jah  salja  16, 19  (vgl.  oben  s.  458), 
ferner  15,5  jah  afar  pata  :  eha  gegen  et  postea  Lat.  Hierfür  könnte 
ferner  15,20  ip  nu  pande  sprechen;  denn  die  Griechen  haben  wvl  de, 
die  Altlateiner  si  autem  : pande  dürfte  also  mit  rücksicht  auf  lat.  si  als 
adnotatio  an  den  rand  gesetzt  und  irrtümlicherweise  in  den  text  ge- 
raten sein,  wie  übrigens  schon  Bernhardt  erkannte;  vgl.  14,23  (jah 
unweisai  :  et  idiotae  Ambrosiaster).  15,23.25.  Wenn  sich  Bernhardt 
sonst  mit  Vorliebe  auf  die  griech.  codd.  FG  bezogen  und  deren  lesarten 
sogar  in  seinen  griechischen  text  aufgenommen  hat,  so  war  dies  ein 
nicht  zu  billigendes  verfahren1.  Denn  diese  codd.  zeigen  an  andern 
stellen,   wie  schon   bei  II  Cor.   belegt  wurde  (s.  451),   so  abweichende 

1)  Bernhardt  eutschied  sich  für  FG:  1,  lü.  18.  22.  1.  -'.  6.  5,  3.  10.  13.  G,  1. 
7,  11.  13.  15.  18.  26.  27.  28.  8,  11.  12.  13.  9,  7.  9.  10,  16.  17.  20.  28.  29.  1 L,  21.  22.  23. 
28.  12,11.  12.  13.  13,9.  12.  14,23.25.  15,2.5.6.  10.12.  14.25.50.52.54.  16,  11.  12. 
15.  18;  gegen  FG:  1,21.  25.  4,6.  9.  5,3.  5.  7.  9.  12.  7,  f..  7.  L3.  I  1-  IT.  L8.  22.  24. 
8, 10.  13.  9, 1.  2.  5.  7.  8.  9.  20.  22.  23.  10,  2.  l1.'.  20.  23.  24.  27.  28.  31.  32.  33.  11,2.  3. 
23.  24.  27.  12, 12.  13.  l(i.  21.  13,  8.  l  I.  20.  21.  23.  15,  15.  17.  23.  2."..  26.  27.  31  34  17 
48.  50.  51.  '>:>.    16,6.  L5.  Hi.  L9.  23.  24. 


162  KA|-H\!\ 

lesarten,  dass  diese  (abendländische)  recension  der  ^riech.  bibel  dem 
Goten  anmöglich  bekannt  gewesen  -'-in  kann  (vgL  i<7>v  äawer&v  1,19. 
iftavrdv  4,6.  ocötöv  5,5.  7tOQveiag  5,8.  diddoMo  7,7.  &  rg  ffcrgxt  7,28. 
ywotx«s  9,5.    aviTj^  9,7.    ei%aqiaxlag   LO,  16.    foofl   11,2.'»  etc.). 

Eine  vergleichung  des  gotischen  textes  mit  dem  eon  ChrysostomtiB 
(MS(i  61,llfgg.)  gebotenen  griechischen  Wortlaut  belehrt  uns  darüber, 
dass  auch  für  den  ersten  Corintherbrief  die  byzantinische  recension  dem 
Übersetzer  vorgelegen  hat.  Ich  verzichte  darauf,  die  materialien  in 
extenso  vorzulegen,  da  die  Sachlage  hinlänglich  geklärt  ist.  Wo  der 
Gote  von  Chrysostomus  abweicht,  treten  entweder  die  bibelcodices 
überhaupt,  oder,  was  wichtiger  ist,  die  byzantinischen  codd.  KLP  mit 
genauen  entsprechungen  ein1.     Ich  hebe  folgende  stellen  aus: 

1,15  daupidedjau  (:  h[ia7ccia^xe  Chr)  =  tßÖ7Xxiaa  LP 

1,25  (fehlt  Chr)  =  LP 

5. 10  jah  (:  ?  Chr)  =  xai  P 

7.11  ahin  seinamma  (:  ccvöql  Chr)  =  Idlo)   dvöqi  P 
7, 13  soei  (:  ei  xig  Chr)  =  fjxig  KL 

7. 22  samaleiko  (:  öf.iouog  y,al  Chr)  =  öfxouog  P 
8,13  meinana  (:  om.  Chr)  =  /.wv  KLP 

9,  7     akran  pize  (:  e/.  xov  '/.aqnov  avxov  Chr)  =  xov  y.aqnbv  avxov  P 

9.23  ßatup  (:  rtdvta  Chr)  =  xovxo  KL 

10.19  patei  po  galiugaguda  ha  sijaina  aippau  patei  galiugam  saljada 
ha  sijai  =  ort  d'dcoXöv  xt  ioxlv  rj  bxi  eidtolo&vxov  xt  tovlv 
KL  (oben  s.  433) 

10,  23  all  (:  Ttdvxa.  fxoi  Chr)  =  /rdvxa  P 

11,2     broprjus  (om.  Chr)  =  ädeXyol  KL  vgl.  15,31  (KP) 

11,22  ha  qipau  izwis  (om.  Chr)  :  xi  vulv  einoi  KL 

13, 10  pata  (:  xove  xo  Chr)  =  xo  P 

15,7     ataugida  sik  (om.  Chr)  =  oicpö-tj  KLP 

15, 14  jas  (om.  Chr)  =  wxi  KP 

15.20  icaurpans  (om.  Chr)  :  eyevevo  KL 
15,29  ins  ( :  vexotov  Chr)  =  avxcov  KP 

15,31  fraujin  unsaramma  (om.  Chr)  =  xw  ytvolqi  t)/xwv  KLP 
15,50  ni  magun  (om.  Chr)  =  ov  öivavxai  KL 
16, 19  aikklesjons  (:  ix/.ht]Oiai  naoai  Chr)  =  eu  e/./.XqoiaL  KL 
Priska  (:  IIqioyuIIcc  Chr)  =  Ilgia/ia.  P. 
Vergebens  suchen  wir  nach  genauen  entsprechungen  bei  der  Ver- 
wendung von  formwörtern  wie  nu,  jah,  ik,  pan,  ip,  ist  und  ähnlichen 

1)  Beachtenswert  ist  z.  b.  7,5.  8,11. 


BEITRÄGE    ZUR    QUELLENTCRITIK    DER    GOT.  BIBELÜBERSETZUNG  463 

(vgl.  1,16.  22.  23.  4,5.  7.  5,8.  12.  7,5.  8.  11.  9,5.  9.  10,1.  17.  11,6.25. 
12, 12.  19.  13,  6.  10.  12.  14,  22.  15,  3.  15.  16.  17.  28.  29.  55.  16,  15.  16); 
sie  können  für  den  nachweis  quellenraässiger  beziehungen  nicht  wol  in 
betracht  kommen,  so  lange  uns  gerade  die  handschrift  der  byzantinischen 
recension  fehlt,  die  dem  Übersetzer  vorgelegen  hat.  Unter  denselben 
gesichtspunkten  sind  geringere  (13,10)  oder  grössere  (7,14.  15,14) 
differenzen  der  Wortstellung  zu  beurteilen.  In  andern  fällen  ist  mit 
schreibversehen  (z.  b.  auslassung  16,  20;  15,  54  =  cod.  M)  zu  rechnen 
oder  vielleicht  der  gotische  text  leise  zu  emendieren  (vgl.  13,3;  maujo 
statt  manjos  7,  25?  praufetjan  statt  praufetjans  13,2?  qipa  statt  qipam 
10, 19?),  für  den  griech.  cod.  eine  Variante  der  Schreibung  zu  berück- 
sichtigen (7,  27  Xvoiv  =  Ivoeiv)  und  selbstverständlich  schon  für  die 
griechische  vorläge  die  einwirkung  von  parallelstellen  als  möglichkeit 
vorauszusetzen  (9,  20  cfr.  Rom.  6,  14.  15,  31  cfr.  Rom.  8,  36).  Unklar 
bleibt  der  zweimalige  zusatz  von  leika  12,  15.  16;  und  die  formel  in 
Ivo  saupo  15,  2;  kaum  eine  andere  absieht,  als  die  stelle  dogmatisch 
klarzustellen,  dürfte  zu  dem  merkwürdigen  zusatz  von  gvp  (gott  vater) 
15,25  anlass  gegeben  haben1:  auch  hier  wird  man  mit  der  Überlieferung 
fertig,  wenn  man  gup  als  jüngere  randglosse  betrachtet  (vgl.  Ps.  109, 1. 
Matth.  22,  44.  45.  Mc.  12,  36.  Luc.  20,  42)  und  aus  dem  ursprünglichen 
text  der  got.  bibelübersetzung  ausschaltet.  Eine  ähnliche  forderung 
wurde  oben  s.  435  f.  für  die  herstellung  der  schlussformel  des  ersten 
Corintherbriefes  erhoben. 

1)  Damit  hängt  möglicherweise  der  einschub  von  is  hinter  fijands  zusammen, 
für  den  man  allerdings  auch  die  Altlateiuer  verantwortlich  machen  könnte. 

KIEL.  FRIEDRICH     KAllTMANN. 


4M  BOOT 

ÜBER  DIE  QUELLEN  VON  C.  26—29 
DEE  VQLSUNCxA  SAGA. 

Wenn   im   folgenden   ein   versuch   gemachl   wird,   den  inhalt   der 

den  capp.  26 — 29  der  Volsunga  Baga  zu  gründe  liegenden  lieder  zu 
bestimmen,  so  glaube  ich  um  so  eher  auf  eine  kritische  Sichtung  älterer 
ansiohten  verzichten  zu  dürfen,  als  eine  Bolche  vor  kurzem  von  Heusler 

(Lieder  der  lücke  s.  49  fgg.)  vorgenommen  worden  ist.  II<ii>]*i>  auf'satz 
entliält  manches  fördernde  (namentlich  der  gedanke,  dass  der  >aga- 
schreiber  hier  wie  an  anderer  stelle  mehrere  lieder  nicht  nacheinander 
sondern  nebeneinander  benutzt  haben  kann,  erweist  sich  als  fruchtbar); 
doch  scheint  er  mir  einen  für  die  beurteilung  der  frage  bedeutungs- 
vollen punkt,  dessen  betrachtung  schliesslich  zu  einem  in  der  Haupt- 
sache von  dem  seinigen  abweichenden  resultate  führt,  übersehen  zu 
haben.  Bei  einer  frage  wie  der  vorliegenden,  wo  es  sich  um  die  tren- 
nung  mehrerer  quellen  eines  als  einer  fortlaufenden  erzählung  über- 
lieferten textes  handelt,  ist  die  grosse  gefahr  in  dem  subjeetiven  de- 
mente der  kritik  gelegen.  Es  kommt  darauf  in  erster  linie  an,  dieses 
element  auf  ein  minimum  zu  beschränken.  Deshalb  ist  es  von  so  grossem 
gewicht,  dass  wenigstens  ein  imbestreitbares  factum  den  ausgangspunkt 
der  Untersuchung  bildet.  Wo  eine  deutliche  naht  vorhanden  ist,  da 
liegen  die  quellen  nebeneinander  und  bietet  sich  die  gelegenheit  zu 
ihrer  Charakterisierung.  Durch  eine  solche  stelle  ist  ein  kriterium  auch 
für  die  stellen  gegeben,  wo  die  Untersuchung  sich  ins  subtile  zu  ver- 
lieren droht. 

Hier  kann  ich  nun  zunächst  einer  beobachtung  Heuslers  mich 
anschliessen.  Eine  solche  naht  liegt  nämlich  unzweifelhaft  c.  28,  16 
(Bugge  147,  21)  vor.  Ich  nehme  das  nicht  nur  mit  Heusler  auf  grund 
des  Unterschiedes  im  stile  sondern  auch  auf  grund  des  inhaltes  der 
beiden  teile  des  capitels  au.  Im  ersten  teile1  haben  Brynhildr  und 
GuÖrün  sich  gezankt;  in  der  fortsetzung  fragt  GuÖrün  Sigurör,  was 
Brynhildr  fehle,  und  aus  seiner  antwort  geht  hervor,  dass  er  das  besser 
weiss  als  sie.  Am  folgenden  tage  spricht  in  B  GuÖrün  mit  Brynhildr; 
diese  macht  ihrer  Schwägerin  heftige  vorwürfe,  aber  auf  die  Unter- 
redung im  anfange  des  capitels  findet  sich  nicht  die  geringste  anspie- 
lung.  In  A  wird  darüber  gestritten,  wer  den  vortrefflichsten  neiden 
zum   gemahl    habe,    beide  parteien  loben   ihren   eigenen  gatten;    in    B 

1)  Das  gedieht,  welches  diesem  abschnitt  zu  gründe  liegt,  nenne  ich  A,  den 
hier  in  betracht  kommenden  abschnitt  AI;  in  gleicher  weise  gilt  für  die  fortsetzuug 
des  capitels  die  bezeichnung  B  resp.  Bl. 


£UR    VQLSUXGA    SAGA  465 

beklagt  sich  Biynhildr  darüber,  dass  Guörün  ihr  den  gatten,  der  von 
rechtswegen  ihr  zukomme,  genommen  habe;  hier  lobt  Biynhildr  SigurÖr, 
Guörün  aber  lobt  ihren  bruder.  Damit  hängt  zusammen,  dass  B  von 
einer  früheren  Verlobung  der  Biynhildr  mit  SigurÖr  weiss,  während 
eine  solche  mit  der  Vorstellung  von  A,  dass  Biynhildr  ihren  mann 
über  SigurÖr  erhebt,  sich  nicht  verträgt. 

Aus  dem  gesagten  folgt,  dass  der  schlusssatz  von  c.  29  Ok  par 
af  stöft  miläll  üfagnafor,  er  pcer  gengu  d  äna  ok  hon  kendi  hringinn 
ok  par  af  vartS  peira  vihrcvfta  ein  zusatz  des  sagaschreibers  ist,  der  A 
mit  B  verband.  Denn  eine  dem  inhalte  nach  mit  A  übereinstimmende 
erzählung  kann  in  ß  nicht  vorangegangen  sein.  Der  überlieferte  teil 
von  B  zeigt  klar,  dass  Biynhildr  ohne  GuÖrüns  beteiligung  vernommen 
hat,  wie  sie  bei  der  brautwerbung  betrogen  wurde. 

Eine  zweite  und  zwar  um  vieles  deutlichere  naht,  welche  wunder- 
iicherweise  auch  Heusler  nicht  aufgefallen  ist,  zeigt  sich  in  c.  29. 
Nach  dem  gespräche  mit  Guörün  legt  Biynhildr  sich  zu  bette  c.  29,  1 
(Bugge  149,  27).  Gunnarr  geht  zu  ihr  und  fragt,  was  ihr  fehle  (er 
weiss  also  von  der  scene  am  flusse  nichts,  was  dazu  stimmt,  dass  das 
stück  noch  zu  B  gehört);  sie  aber  gibt  keine  antwort  und  liegt  wie 
tot  da.  Als  nun  Gunnarr  in  sie  dringt,  fährt  sie  ihn  hart  an;  es  ent- 
steht ein  heftiger  Wortwechsel,  sogar  kommt  es  dahin,  dass  H<>gni  sie 
bindet,  da  sie  Gunnarr  zu  töten  versucht.  Als  Gunnarr  darauf  ihre 
fesseln  löst,  zerschlägt  sie  ihr  gewebe,  und  der  heidenspektakel,  den 
sie  macht,  wird  um  allan  bceinn  gehört.  Darauf  fragt  Guörün  ihre 
dienerinnen,  weshalb  sie  so  betrübt  sind  und  sich  wie  sinnlos  geberden; 
ein  mädchen  erklärt,  das  ganze  haus  sei  Jammers  voll.  Guerün  befiehl! 
dann  einer  dienerin  aufzustehen;  sie  meint,  es  sei  zeit,  Biynhildr  zu 
wecken.  Dazu  aber  ist  die  dienerin  keineswegs  zu  bewegen;  sie  be- 
hauptet, schon  viele  tage  lang  habe  Biynhildr  weder  gegessen  noch 
getrunken;  der  zorn  der  götter  sei  über  sie  gekommen.  Guörün  sendet 
nun  Gunnarr  zu  BrynhiJdr,  aber  vergebens;  er  bekomm!  von  ihr  keine 
antwort,  und  ebenso  ergeht  es  ÜQgni.  Am  folgenden  tage  gelingt  es 
SigurÖr,  sie  zum  reden  zu  bringen.  Kr  findet  ihren  saal  offen;  er 
glaubt,  dass  sie  schläft  und  zieht  die  bettteppiche  von  ihr;  er  redet  ihr 
zu  wie  einer  schlafenden  :  Vahi  />// ,  Bryrihildr!  söl  sktnn  am  allan 
besinn  oh  er  cril  sofbt. 

Wie  ist  das  möglich,  dass  von  einer,  deren  gesehrei  durch  das 
ganze  haus  gehört  wird,  nicht  nur  wie  von  einer  schlafenden  geredei 
wird,  sondern  dnss  sie  sogar  schweigend  zu  bette  liegend  gefunden 
wird?     Das  ist  kaum  einer  von  den  vielen  widersprächen,    welche  die 

ZEITSCHRIFT   F.    DEUTSCHE   PHILOLOGIE.       HU    \\\V.  30 


466  p.ov.n 

gegner  der  philologischen  krit.ik  ans  auffordern  werden,  ohne  einsprach 
hinzunehmen,  da  ja  die  besten  dichter  sich  inconsequenzen  zur  schuld 
kommen  lassen;  es  wird  erlaubt  sein,  diese  unmöglichkeil  für  die  Kritik 
der  Überlieferung  zu  benutzen.  Es  dürfte  dann  einleuchten,  dass  die 
erzählung  von  Brynhilds  toben  in  dem  Zusammenhang  von  c.  29  oicht 
am  platze  und  daselbsi  als  ein  einschub  zu  betrachten  ist  Die  versuche 
Brynhildr  zu  wecken  bilden  die  fortsetzung  zu  dem,  was  Bchon  am 
anfang  des  capitels  erzählt  wurde,  dass  sie  wie  tot  dalag.  K>  kann 
nur  darüber  ungewissheil  bestehen,  ob  die  frage  der  Guönin  an  die 
mädchen  nach  dem  -runde  ihres  wunderlichen  betragens  und  die  ant- 
wort,  das  ganze  haus  sei  füll  af  harmi,  zu  derselben  quelle  oder  zu 
dem  eingeschobenen  stücke  gehören;  im  ersteren  falle  hat  Brynhilds 
langes  schlafen  die  dienerinnen  erschreckt  und  ihre  unruhe  hat  durch 
das  anhalten  dieses  unnatürlichen  zustandes  sich  gesteigert;  im  anderen 
fall  ist  der  lärm  im  hause  der  grund  ihres  Schreckens.  Dafür  dürfte 
sprechen,  dass  Gudrun  die  frage  zwar  an  die  versammelten  mädchen  richtet 
und  dass  eine  von  ihnen  namens  Svafrlofi  darauf  antwort  gibt,  das;,  aber 
die  sich  anschliessende  aufforderung  aufzustehen  weder  an  die  mädchen 
zusammen  noch  an  SvafrlcyÖ  sondern  an  Guörüns  vinkona:  deren  namen 
man  nicht  vernimmt,  gerichtet  wird.  Ich  glaube  daher,  dass  die  naht  in 
diesem  teile  des  capitels  z.  48  (Bugge  151,  17)  anzusetzen  ist;  im  anfange 
des  capitels  findet  sie  sich  z.  4  (Bugge  150,  2).  Das  stück  z.  4 — 48  gehört 
also  nicht  zu  B,  es  liegt  nahe  darin  die  fortsetzung  von  AI  zu  suchen. 
Dass  es  tatsächlich  zu  A  gehört,  beweist  sofort  der  erste  satz,  der  auf 
die  scene  am  flusse  zurückweist.  Hvat  gerbt r  pü  af  hring  peim,  er 
ek  selda  per?  das  ist  das  einzige,  was  Brynhildr  nach  dem  ihr  in  AI 
von  GuÖrün  gemachten  vorwürfe  zu  Gimnarr  sagen  konnte.  Allerdings 
biegt  sie  dann  schnell  von  ihrem  eigentlichen  thema  ab  und  sie  hält 
eine  längere  rede  über  einzelheiten,  welche  sich  nicht  auf  den  ring 
beziehen.  Aber  soweit  ich  sehe,  liegt  kein  grund  vur,  hier  neben  A 
und  B  an  eine  dritte  quelle  zu  denken.  Denn  erstens  müsste  man 
dann  annehmen,  dass  der  sagaschreiber  an  dieser  stelle  einen  einzigen 
kurzen  satz  aus  A  entlehnt  hätte  und  dann  unmittelbar  auf  jene  dritte 
quelle  übergegangen  wäre,  zweitens  fehlt  zwar  die  strenge  logik,  aber 
ein  so  absoluter  Widerspruch  wie  zwischen  A2  und  B  ist  nicht  vor- 
handen; höchstens  liesse  sich  die  frage  aufwerten,  ob  etwa  ein  teil  der 
Strophen,  auf  denen  A2  beruht,  in  A  interpoliert  sind;  die  erledigung 
dieser  frage  muss  einer  anderen  stelle  vorbehalten  bleiben. 

Es  bietet  sich  hier  die  gelegenheit  zu  einer  bemerkung  über  die 
composition  der  saga.     Die  Situation  am  Schlüsse  von  AI  und  von  Bl 


ZUR    VQLSUNGA    SAGA  467 

ist  ungefähr  dieselbe.  In  AI  heisst  es:  Brynhildr  ser  nü  Jtenna  hring 
ok  kennir;  pä  fqlnar  hon,  sem  hon  datift  vceri.  Brynhildr  för  heim 
ok  mcelti  ekki  orft  um  kveldit.  Das  bat  eine  gewisse  äbnlicbkeit  damit, 
dass  Brynhildr  in  Bl  sich  zu  bette  legt,  auf  keine  zurede  antwortet 
und  wie  tot  daliegt.  Diese  ähnlichkeit  hat  der  sagaschreiber  für  seine 
zwecke  zu  benutzen  verstanden.  Er  teilte  zunächst  den  inhalt  von  A 
bis  zu  der  mit  B  correspondierenden  stelle  mit  und  Hess  dann  B  bis 
zu  der  entsprechenden  stelle  folgen.  Daraus  entstand  für  ihn  der  vor- 
teil, dass  er  A2  an  Bl  anschliessen  konnte,  ohne  dass  der  sprung 
sofort  bemerkbar  wurde.  Er  folgte  nun  widerum  A  (A2)  bis  zu  einer 
stelle,  wo  eine  gewisse  äussere  ähnlichkeit  nicht  mit  einer  später  son- 
dern mit  der  unmittelbar  in  B  folgenden  stelle  vorhanden  war;  an 
beiden  stellen  redet  GuÖrün  mit  einer  dienerin.  Der  anlass  sowie  der 
inhalt  der  Unterredung  war  aber  himmelweit  verschieden,  und  die  folge 
war,  dass  durch  dieses  rein  mechanische  Verbindungsmittel  auch  der 
schein  eines  logischen  Zusammenhanges  nicht  erreicht  wurde.  Dieses 
verfahren  des  sagaschreibers  ist  auch  aus  anderen  teilen  seines  werkes, 
—  man  denke  an  die  behandlung  der  Atlilieder  —  bekannt. 

Es  lassen  sich  zwischen  A  und  B  nicht  unerhebliche  unterschiede 
in  der  auffassung  der  ereignisse  constatieren.  A  kennt:  Sigurös  auf- 
enthalt  bei  Hjalprekr  (28,  7),  den  eid,  den  Brynhildr  zu  hause  bei  ihrem 
vater  ablegt,  nur  dem  berühmtesten  der  helden  zu  gehören  (29,  23), 
die  Werbung  durch  die  Gjükungar  mit  kriegsbedrohung  (29,  7  fgg.)1. 
Das  versprechen  der  Brynhildr  an  BuÖli,  den  helden  zu  besitzen,  der 
auf  Grani  sässe  und  die  von  ihr  angewiesenen  männer  töten  würde 
(29,  16  fgg.).  Den  flammenritt  (28,6.12;  29,20).  SiguriSr  hat  mit 
Brynhildr  einen  ring  gewechselt  (28,  13).  Brynhildr  hat  geglaubt,  der 
held,  der  das  feuer  durchritten  hatte,  sei  Gunnarr  (das  geht  aus  der 
scene  am  flusse  hervor).  Brynhildr  hat  ihren  eid  gebrochen  (29,  25); 
daran  schliesst  sich  unmittelbar  eine  Verwünschung  der  Grimhildr, 
welche  also  als  die  anstifterin  des  planes  zur  Werbung  zu  denken  ist. 
Brynhildr  lebt  zufrieden,  bis  sie  von  GuÖrün  den  wahren  Sachverhalt 
vernimmt.  Jetzt  wirft  sie  dem  Gunnarr  vor,  er  sei  nicht  der  beste 
der  hehlen.  Sie  versucht  ihn  zu  töten.  Sie  will  nicht  länger  mit  ihm 
Zusammensein.  Von  einem  früheren  verhältniss  zwischen  Siguror  und 
Brynhildr  weiss  A  nichts.  B  weiss  von  einer  Verlobung  d  fjallinu 
(29,123).  Gudrun  hat  der  Brynhildr  ihren  geliebten  genommen,  ob- 
gleich sie  wusste,  mit  wem  der  held  verlobt  war  (28,  tOfgg.).     Mehrere 

1)  Ist  in  15  Sigurös  bemerkung,  Gjukes  söhne  haben  den  Dänenkönig  und  des 
Buöli  bruder  erschlagen,  eine  reminiscenz  daran  1 

30* 


468  BOBR 

ani  pielungen  aui  den  flammenritt  bei  dem  zweiten  besuch  des  beiden, 
darunter  str.  24.  SigurÖr  erinnerl  sich  Biynhilds  namen  nicht  (er  ha1 
also  den  zaubertrank  genossen)  (29,  L24).  Audi  Brynhildr  bal  den 
rechten  Zusammenhang  nicht,  verstanden  fyri/r  l»iri  huldu  er  ä  In 
hu inii  hamingju,  aber  sie  hat  doch  Sigurör  an  Beinen  äugen  zu  erkenn«  d 
geglaubt,  als  er  in  Ounnars  gestall  durch  den  flammenwal]  zu  ihr  ritt 
(also  hatte  auch  sie  wo]  den  namen  des  geliebten  vergessen;  oder  war 
derselbe  ihr  von  anfang  an  unbekannt  geblieben?)  Nachher  versteht 
sie  den  richtigen  Zusammenhang  der  begebenheiten  (durch  eine  ahnung 
oder  durch  eine  erleuchtong  ihres  gedächtnisses,  wie  auch  SigurSr 
später  sich  des  geschehenen  erinnert?).  Sic  ist  jetzl  mil  ihrem  mann 
unzufrieden;  sie  beneidet  Guorün.  Diese  ergreift  die  partei  ihres  bru- 
ders;  dass  nicht  er  das  feuer  durchritt,  ist  niclit  seine  schuld;  Grani 
wollte  ihn  nicht  tragen.  Wenn  Brynhildr  nach  einem  heftigen  Wort- 
wechsel mit  Guorün  erklärt,  sie  liebe  nur  Gunnarr  (28,  76),  so  ist  das 
wol  so  zu  verstehen,  dass  sie  nicht  mehr  als  einen  mann  zu  gleicher 
zeit  liehen  will  (vgl.  29, 120 fg.);  SigurÖs  liebe  schlagt  sie  in  der  darauf 
folgenden  Unterredung  mit  ihm  aus. 

Es  fragt  sich  nun,  ob  es  möglich  ist,  auf  grund  dieser  unter- 
schiede auch  für  c.  26.  27  eine  trennung  zwischen  dem  was  A  und 
was  B  angehört  vorzunehmen.  Ich  betrachte  zunächst  c.  27.  Die 
Gjükungar  reiten  im  anfang  des  capitels  zu  Buöli.  Es  liegt  nahe,  den 
bericht  mit  A2  (29,  6)  in  Verbindung  zu  setzen.  Dann  reiten  sie  zu 
Heimir.  Dieser  wird  weder  in  A  noch  in  B,  soweit  die  beiden  quellen 
bisher  bekannt  sind,  erwähnt.  Man  ist  gewohnt,  in  der  erwähnung 
des  Heimir  eine  willkürlichkeit  des  sagaschreibers  zu  sehen,  der  Aslaug 
unterzubringen  wünschte.  Da  aber  B  die  vorverlobung  —  sei  es  auch 
nach  der  darstellung  der  saga  d  fjallinu  —  kennt,  so  ist  es  nicht 
unmöglich,  dass  der  dichter  sich  den  Schauplatz  derselben  in  der  nähe 
Heimis  vorgestellt  hat.  Seine  darstellung  hielte  in  dem  fall  zwischen 
Sigrdrifumäl  und  c.  24  der  saga  die  mitte,  wenn  nicht  d  fjallinu 
vom  Verfasser  der  saga  herrührt  (vgl.  darüber  unten).  Die  möglichkeit, 
dass  Heimir  an  dieser  stelle  aus  B  stammt,  würde  zur  Wahrscheinlich- 
keit erhoben  werden,  wenn  in  dem  capitel  auch  andere  spuren  von  B 
sich  nachweisen  Hessen. 

Es  folgt  der  flammenritt.  An  und  für  sich  könnte  derselbe  auf 
beide  quellen  zurückgehen.  Aber  die  scene  mit  Grani,  der  Gunnarr 
nicht  tragen  will,  zeigt,  dass  wir  es  mit  B  zu  tun  haben  (vgl.  Bl 
c.  28,  58fgg.).  Das  feuer  erlischt  (z.  23).  Das  ist  eine  paraphrasierung 
von  str.  23,  welche  ursprünglich   weder  zu  A  noch  zu  B   gehört  (vgl. 


ZTJB    VOLsrxf.  \    SAGA  469 

Zeitschrift  35,  310  fgg.);  die  echte  darstellung  von  B  folgt  z.  66,  wo 
SigurÖr  durch  dasselbe  feuer  zurückreitet.  Man  könnte  daher  versucht 
sein,  die  beiden  Strophen  A  zuzuteilen.  Allein  dagegen  spricht  erstens, 
dass  wenn  die  Strophen  von  mir  a.  a.  o.  richtig  interpretiert  worden  sind, 
sie  eine  Situation  beschreiben,  welche  auch  nicht  die  von  A  sein  kann, 
denn  in  A  war  an  dieser  stelle  nicht  davon  die  rede,  wie  Brynhildr 
in  den  zauberschlaf  versenkt  wurde.  Zweitens  spricht  str.  24  dafür, 
dass  str.  22.  23,  bevor  sie  in  die  saga  aufgenommen  wurden,  in  B 
standen.  Wenigstens  kannte  der  dichter  von  B  str.  22.  23,  denn  er 
plagiiert  sie  (vgl.  verf.  a.  a.  o.  s.  312);  wenn  nicht  er  selbst  sie  auf- 
genommen hat,  so  wird  die  ähnlichkeit  mit  str.  24  später  einen  grund 
zu  der  aufnähme  abgegeben  haben. 

Z.  41  fg.  (145,  16)  findet  Sigurör  Brynhildr  i  eilt  fagri  herbergi. 
Das  kann  aus  B  stammen.  Zwar  stimmt  es  nicht  ganz  zu  der  be- 
zeichnung  ihres  aufenthaltsortes  als  d  fjallinu  gelegen  (29,  123),  aber 
29,  82  (  =  B)  redet  Brynhildr  von  dem  mann,  er  kom  l  minn  sal. 
Wenn  Sigurör  nach  B  Brynhildr  an  zwei  verschiedenen  orten  besucht 
hat,  so  steht  also  für  den  zweiten  besuch,  von  dem  hier  die  rede  ist, 
der  saal  fest,  und  das  fagrt  herbergi  kann  auf  B  beruhen.  Wenn  der 
ort  beide  male  derselbe  war,  so  steht  wenigstens  ein  zeugnis  dem 
andern  gegenüber,  und  d  fjallinu,  über  welches  unten  s.  473  zu 
vergleichen  ist,  wird  verdächtig.  Wenn  aber  der  dichter  sich  Brynhilds 
aufenthalt  auch  beim  ersten  besuche  als  einen  Schemen  saal  vorstellte, 
so  bestätigt  das  die  oben  ausgesprochene  Vermutung,  dass  er  auch 
Hoimir  kannte.  Daran  knüpft  sich  weiter  die  frage,  welche  uns  unten 
beschäftigen  wird,  wie  c.  23.  24  sich  zu  B  verhalten.  Vorläufig  ist  zu 
constatieren,  dass  fagrt  herbergi  aus  B  stammen  kann.  Dass  das 
nun  auch  tatsächlich  der  fall  ist,  wird  dadurch  bestätigt,  dass  nicht 
nur  das  vorhergehende  sondern  auch,  wie  sich  zeigen  wird,  die  beilager- 
scene  auf  B  beruht.  Andererseits  muss  bemerkt  werden,  dass  die  Ver- 
stellung, welche  A  von  Brynhilds  Aufenthaltsorte  hatte,  nicht  bekannt 
ist,  so  dass  principiell  nichts  im  wege  stehen  würde,  die  bemerkung 
A  zuzuweisen,  um  so  weniger,  als  das  anmittelbar  folgende  aus  A 
stammt. 

Es  folgt  die  Unterredung  des  beiden  mit  der  Imidin.  Brynhilds 
zaudern  Hesse  sich  oberflächlich  sowol  aus  l'>  wie  aus  A  erklären;  nach 
A  wäre  ihr  betragen  durch  eine  anbestimmte  ahnung,  nach  1!  durch 
das  bewusstsein,  dass  sie  sclmn  einem  anderen  gehöre,  bestimml 
werden.  Aber  was  B  später  über  SigurtJs  empfang  durch  Brynhildr 
mitteilt,    stimmt    nicht    zu    dieser   erzählung.      Sie    sagl    c.    29,  s-">  fg.: 


170  BOKB 

pöttumx   ek  Jcerma  yhur  augu,  ok  fekk  ek  pö  eigi  visi  skifit  fyrvr'peiri 

hnhlu  <r  ii  hi  mi um  hamingju.  Das  dient,  lim  zu  erklären,  weshalb 
Brynhildr  damals  sich  nicht  bestimmt  geweigert  hat,  ihm  zu  folgen. 
siü  hat,  obgleich  er  sich  Gunnarr  aannte  und  obgleich  seiD  aus 
ein  anderes  war,  dennocli  geglaubt,  ihr  früherer  geliebter  sei  zu  ihr 
zurückgekehrt  c.  27  aber  erzähl!  etwas  ganz  anderes.  Brynhildr  be- 
grüsst  Sigurftr  wie  einen  ihr  vollständig  unbekannten  mann,  und  sie 
sagt  ihm,  dass  er  gewisse  bedingungen  erfüllen  muss,  am  sie  zu  be- 
sitzen. Die  bedingungen  sind  die  aus  A.2  bekannten.  Er  muss  hverjv/m 
mannt  fremri  sein  (vgl.  c.  29,  23 fg.  [=  A2|  <tl  ek  mundo,  peion  evnum 
unna,  er  dgcetastr  vceri  alinri).  Er  muss  die  männer  töten,  welche 
um  sie  angehalten  haben  (=  c.  29,  18:  okdrcepipä  menn  er  ek  kväÖ  d). 
Ferner  ist  sie  im  panzer  und  bewaffnet  mit  heim  und  schwert;  sie 
erzählt  von  ihren  früheren  heldentaten  und  behauptet,  sie  wünsche 
widerum  zu  kämpfen  (vgl.  c.  29,  10  fg.:  en  ek  bubumz  tilai  verja  landit 
ok  vera  hqfhiiigi  yfir  prifijungi  lifts).  SigurÖr  erinnert  sie  an  ihr  ver- 
sprechen, dem  mann  zu  gehören,  der  das  feuer  durchreiten  werde;  sie 
weiss  dem  nichts  zu  entgegnen  (vgl.  c.  29,  17  fg.:  ek  hetumx  peim  er 
rifti  hestinum  Granu  meh  Fdfnis  urß  ok  ri&i  minn  vafrloga).  Ein 
solches  versprechen  wäre  in  B,  wo  Brynhildr  schon  im  voraus  verlobt 
ist,  geradezu  unmöglich. 

Es  folgt  das  beilager,  dessen  beurteilung  von  dem  Andvaranautr 
abhängt.  SigurÖr  nimmt  der  Brynhildr  den  ring,  den  er  ihr  früher 
gegeben,  und  gibt  ihr  dafür  einen  anderen  ring.  Dasselbe  er- 
zählt AI  in  der  scene  am  flusse.  Daraus  würde  folgen,  dass  das  bei- 
lager aus  A  stammt,  wenn  es  ausgemacht  wäre,  dass  der  sagaschreiber 
nirgends  geändert  hat.  Mit  dieser  rnöglichkeit  muss  man  namentlich 
da  rechnen,  wo  dieselbe  begebenheit  nach  verschiedenen  quellen  mit- 
geteilt wird;  der  Verfasser  kann  da  eine  stelle  geändert  haben,  um  sie 
mit  der  anderen  in  einklang  zu  bringen.  Nun  verträgt  sich  die  Vor- 
stellung, dass  Brynhildr  damals,  als  SigurÖr  für  Gunnarr  um  sie  freite, 
den  Andvaranautr  besass,  keineswegs  mit  A,  welches  gedieht  von  einem 
früheren  besuche  nichts  weiss;  als  SigurÖr  zu  Brynhildr  kam,  war  er 
im  besitze  des  Andvaranautr;  er  konnte  ihr  also  zwar  den  ring  geben, 
aber  er  konnte  ihn  ihr  nicht  nehmen.  Die  Vorstellung  der  saga  stammt 
also  aus  B1,    und   der  Verfasser  hat  c.  28  in  anschluss  an  c.  27  dahin 

1)  Für  B  hat  natürlich  clor  ring  keine  weitere  bedeutung;  er  ist  als  ein  un- 
verstandener rest  einer  älteren  sagenform  zu  betrachten.  Denn  da  für  die  scene  am 
fluss  oder  einen  ähnlichen  auftritt  kein  platz  ist,  konnte  auch  Guömu  den  riug  nicht 
in  prahlerischer  weise  vorzeigen. 


ZT'R    VOT.SFNTrA    SAGA  471 

geändert,  dass  der  ring,  den  GuÖrün  vorzeigt,  der  Andvaranautr  ist. 
Damit  ist  in  Übereinstimmung,  dass  der  ring  nach  A2  nicht  der  And- 
varanautr sondern  ein  geschenk  BuÖlis  ist.  Das  wird  ferner  durch  die 
Skälda  bestätigt,  deren  darstellung  gleichfalls  auf  A  beruht1. 

Sigurör  reitet  darauf  durch  das  feuer  zurück  (B)  und  dann  mit 
den  Gjükungen  zu  Heimir  (B).  Dorthin  kommt  auch  Brvnhildr  (wes- 
halb reist  sie  allein?)  und  stattet  über  ihre  begegnung  mit  Sigurör 
einen  bericht  ab,  der  zu  dem  vorhergehenden  nicht  stimmt.  Sie  be- 
hauptet, sie  habe  dem  helden,  der  sich  Gunnarr  nannte,  gesagt,  dass 
nur  Sigurör,  ihr  frumverr,  dem  sie  auf  dem  berge  eide  geschworen, 
das  feuer  zu  durchreiten  im  stände  sein  werde.  So  etwas  hat  Brynhildr 
gar  nicht  gesagt,  aber  dass  sie  etwas  ähnliches  sagen  würde,  Hesse  sich 
nach  B  erwarten  (vgl.  die  s.  469fg.  citierte  stelle  c.  29,  83).  Es  liegt  also 
in  dem  berichte  an  Heimir  die  darstellung  vor,  welche  B  von  der 
begegnung  gibt.  Heimir  meint,  sie  solle  sich  in  das  unvermeidliche 
ergeben.  Die  kurze  bemerkung:  Brynhildr  moelti:  dottur  okkar  Sig- 
urtSar,  Aslaugu,  skal  her  tipp  fcefta  »teft  per  gehört  kaum  B  an,  ich 
halte  sie  mit  anderen  für  einen  einschub,  wahrscheinlich  vom  saga- 
schreiber.  Aber  nur  den  einen  satz.  —  Man  reitet  heim  und  Giimhildr 
dankt  Sigurör  für  seine  hilfe,  Brvnhildr  fahrt  zu  BuMi,  die  hochzeit 
wird  bei  Gunnarr  gefeiert.  Das  alles  ist  A.  Sigurör  erinnert  sich  nach 
dem  feste  an  seinen  eid  (B). 

Der  sagaschreiber  hat  also  aus  A  und  B  eine  erzählung  von  der 
Werbung  componiert.  Auf  A  beruht  ein  teil  des  mittelstückes  und  die 
äussere  an  knüpf  ung  (z.  1—4.  42  [40?] -60.  7  6-- 80.  [82?]),  auf  B  die 
einkleidung  (Heimir  und  der  flammenritt  z.  4—  42  [40?].  66  —  74)  und 
die  beilagerscene  z.  60 — 66,  also  der  wichtigste  teil  des  capitels;  natür- 
lich musste  die  bemerkung  z.  80 — 81,  dass  Sigurör  sich  des  geschehenen 
erinnert,  nach  dem  feste  folgen.  Das  wahrscheinliche  eigentum  des 
sagaschreibers  ist  nur  eine  kurze  bemerkung  (z.  75—  76). 

Die  beurteilung  von  c.  26  bereitet  Dach  dem  vorhergehenden  keine 
ausserordentlichen  Schwierigkeiten.  Der  hauptinhalt  setzt  Sigurös  frü- 
heren besuch  bei  Brynhildr  voraus.  Das  capitel  erzählt,  wie  Sigurör 
zu  Grjtiki  kam  und  den  zaubertrank  zu  trinken  bekam,  und  wie  darauf 
der  plan   gefasst   wurde,    für  Gunnarr    um   Brynhildr  zu   freien.     Als.» 

1)  Ich  stimme  also  mitSijmons,  Beiträge  3,280  darin  überein,  dass  die  Skälda 
c.  28  der  VqIs.  s.  gegenüber  das  richtige  hat,        ohne  grund  behauptet   Beu 
die  Skälda  könne  hier  nichts  beweisen,        abei  der  sagaschreiber  hat  nicht   willkür- 
lich geändert,  sondern  um-  «las  capitel  mit  einer  früher  von   ihm   benutzten  quelle  in 
cinklaug  gebracht.     Näheres  über  den  ring  im  exours  am  Bohlusse  dieses  auisatzes. 


1 , 2 

liegt  I»  der  darstellung  zu  gründe.  Bin  paar  iinebenheiten  deuten  jedoch 
darauf,  dass  mehr  als  6ine  quelle  benutzt  wurden.  Z.  30  biete!  Grtm- 
hildr  Sigurör  den  vergessenheitstrank.  Der  bekannte  zweck  ist,  ihn 
Brynhildr  vergessen  zu  Lassen  und  ihn  der  Gnörtin  zu  vermählen. 
Aber  das  folgt  uichl  unmittelbar  darauf.  Grfmhildr  stell!  Sigurfo  vor. 
dass  er  und  ihre  söhne  einander  eide  schwören  weiden:  ihresgleichen 
werde  dann  nirgends  gefunden  werden  (■/..  33).  Sie  behaupte!  auch, 
Gjüki  und  sie  werden  Sigurös  vater  und  mutter  sein,  also  eine  ziemlich 
deutliche  anbietung  der  tochter.  Sigmar  trinkt  und  vergissi  Brynhildr. 
Dann  vergeht  einige  zeit.  Einmal  alter  geschah  es,  dass  Grimhildr  zu 
GjtiM  gieng  und  ihm  vorschlug,  er  möge  dem  SigurBr  seine  tochter 
zur  frau  anbieten.  Das  sieht  aus  wie  ein  vollständig  neuer  plan.  Es 
geschieht,  und  nun  erst  schwören  sich  Sigurftr  und  die  brüder  eide. 
wozu  sie  schon  damals,  als  SigurÖr  den  trank  bekam,  aufgefordert 
wurden.  Weshalb  ist  das  damals  nicht  geschehen?  Darauf  wird  die 
hochzeit  mit  GuÖriin  gefeiert. 

Ich  vermute,  dass  hier  die  darstellung  von  A  hinter  der  von  B 
aufgenommen  ist.  Der  trank  stammt  aus  B.  Daran  schloss  sich  un- 
mittelbar der  eidschwur  und  in  aller  kürze  die  Vermählung.  In  A  aber 
wurde  erzählt,  dass  auf  Grimhilds  rat  GttÖrun  dem  SigurÖr  angeboten 
wurde,  und  in  diesem  Zusammenhang  wurde  gleichfalls  der  eidschwur 
mitgeteilt.  Durch  die  Verbindung  von  A  mit  B  wurde  der  zaubertrank 
von  der  hochzeit,  die  aufforderung  zum  eidschwur  von  der  ausführung 
dieses  Vorhabens  getrennt. 

Ich  glaube  nicht,  dass  A  sich  weiter  zurückverfolgen  lässt.  Ich 
nehme  an,  dass  A  damit  anhob,  dass  Gjüki  dem  SigurÖr  seine  tochter 
anbot;  darauf  folgte  die  Werbung  um  Brynhildr.  Also  eine  darstellung, 
welche  der  der  Sgkv.  skamma  vollständig  parallel  geht. 

Die  frage,  ob  sich  die  spur  von  B  weiter  als  c.  26  zurück  verfolgen 
lässt,  ist  nicht  so  leicht  zu  entscheiden.  Dass  B  mit  Sigurös  ankunt't 
bei  Gjüki  angehoben  habe,  ist  zwar  im  voraus  nicht  sehr  wahrschein- 
lich, aber  man  kann  fragen,  ob  nicht  etwa  B  die  vorverlobung  voraus- 
setzte, ohne  sie  ausführlich  mitzuteilen.  Eine  directe  andeutung,  dass 
B  weiter  zurückreicht,  sehe  ich  in  den  worten,  mit  denen  c.  26  anhebt: 
Sigurftr  ribr  nü  i  brott  meft  pat  mikla  gull;  skiljax  peir  nü  vinir. 
Das  setzt  voraus,  dass  sehr  kurz  vorher  von  dem  golde  die  rede  war. 
In  der  saga  ist  das  nicht  der  fall  (c.  25  handelt  von  GuÖrüns  besuch 
bei  Brynhildr  und  der  traumdeutung),  also  stammen  die  worte  aus  der 
quelle  der  saga,  und  in  B  wurde  das  gold  kurz  vorher  erwähnt.  Auf 
c.  24  in  der  vorliegenden  form   können   die  worte   auch   nicht  bezogen 


ZUR  VQLS1  m 


473 


werden;  in  c.  23,  welches  stofflich  mit  24  zusammengehört,  findet  sich 
bei  gelegenheit  von  SigurÖs  ankimft  bei  Heimir  die  bemerkung  (z.  13 
Bu.  136,  6):  fjörvr  menn  höfu  gulUt  af  hestinum,  wenigstens  eine  an- 
deutimg  der  grossen  masse  des  goldes.  Aber  die  bemerkung  wird 
wenig  pointiert.  Die  worte  skiljct/x  pcir  nu  vinir  können  auf  Heimir 
und  AlsvrSr,  zu  gleicher  zeit  auch  auf  Brynhildr  gehen,  auf  welche 
auch  die  saga  sie  bezieht.  Weiter  zurück  als  c.  23.  21  findet  sich  in 
der  saga  kein  anhaltspunkt  für  den  satz;  c.  22  stammt  aus  der  piüreks 
saga  und  mit  c.  20.  21  sind  wir  schon  bei  Sigrdrifumäl  angelangt,  deren 
darstellung  von  den  Voraussetzungen  von  B  in  dem  grade  abweicht, 
dass  von  diesem  gedichte  nicht  die  rede  sein  kann;  übrigens  wird  auch 
c.  20.  21  das  gold  nicht  erwähnt.  Erst  am  Schlüsse  von  c.  19  stossen 
wir  von  neuem  auf  das  gold,  aber  für  skilja%  peir  nu  vinir  bietet  c.  19 
keinen  anhält,  und  wenn  c.  2(5  an  c.  19  schlösse,  so  fehlte  ja  die  Ver- 
lobung, welche  gerade  für  B  charakteristisch  ist.  Also  ist  die  einzige 
anknüpfung,  welche  die  saga  für  c.  26  bietet,  in  c.  23.  2  f  zu  suchen. 
Wir  haben  zwischen  zwei  möglichkeiten  zu  wählen.  Entweder  para- 
phrasieren  c.  23.  24  den  anfang  von  B.  Dawider  scheint  zu  reden,  dass 
in  B  nach  der  saga  die  erste  begegnung  ä  fjalUnu  statt  fand.  Man 
muss  also  in  diesem  falle  annehmen,  dass  die  worte  d  fjallinu  c.  27,73. 
29,  123  vom  sagaschrciber,  der  an  c.  20.  21  dachte,  herrühren  (vgl.  oben 
s.  469).  Dazu  ist  zu  bemerken,  dass  wenigstens  die  zweite  stelle  (c.  29, 
123.  Bu.  154,  4)  zu  einer  erzählenden  bemerkung  gehört,  welche  den 
übrigens  den  ganzen  auftritt  beherrschenden  dialog  unterbricht;  sie 
steht  also  schon  deshalb  unter  starkem  verdacht;  es  lässt  sich  auch 
leicht  verstehen,  dass  dem  sagaschrciber  die  begegnung  auf  dem  felsen 
als  die  bedeutendste  erschien,  und  da  er  vorher  zwei  Verlobungen  er- 
zählt hatte,  musste  ihm  daran  gelegen  sein,  die  wichtigste  zu  betonen. 
Gegen  die  Zugehörigkeit  von  c.  23.  21  zu  B  lässt  sich  nicht  einwenden, 
dass  c.  24  keinen  flammenritt  erwähnt.  Denn  es  findet  sieh  in  1!  keine 
einzige  anspielung  darauf,  dass  Sigurftr  bei  seinem  eisten  besuch  einen 
flammenwall  durchritt.  Die  möglichkeii  ist  sogar  nicht  ausgeschlossen, 
dass  der  dichter  von  B  hier  selbständig  den  flammenritt  fortgelassen 
hat,  um  eine  widerholung  iW*  motivs  zu  vermeiden.  Für  diese  auf- 
fassung  spricht  ferner,  <l;iss  Brynhildr  nach  B  auch  hei  SigurÖs  zweitem 
besuche  nicht  auf  einem  leisen  ruht,  sondern  in  einem  saale  sitzt  wie 
in  c.  24  (vgl.  oben  s.  169)  und  d;iss  1!  Heimir  als  Brynhilds  pflegevater 
kennt1. 

1)  unter  Verweisung  auf  8.469  bemerke  ich  aooh,  dass  wenn  der  Schauplatz 
der  beiden  besuche  derselbe  war,  dadurch  schon  Für  den   ersten  besuch  ilas  local   in 


I  ,    I  BOKR 

Will  man  nicht  annehmen,  da--  c.  23.  24  aufB  beruhen,  bo  bleibt 
nur  die  möglichkeit  übrig,  dass  der  sagaschreiber  den  anfang  von  1! 
nicht  benutzt  hat,  da  er  schon  zwei  Verlobungen  des Sigurfcr  mit  Bryn- 
hildr  berichtel  hatte  Er  hat  dann  seine  paraphrase  von  B  mitten  im 
gedichte  mit  einem  neuen  capitel  begonnen,  und  zwar  sehr  ungeschickt 
mit  einer  Verweisung  nach  einer  früheren  stelle  des  gedientes,  welche 
er  nicht  mitteilt.  Die  wortc  <t  fjallinu  können  dann  zu  I»  gehören, 
dessen  darstellung  in  dem  falle  einigermassen  zwischen  Sigrdrifani&l 
und  c.  24  die  mitte  hielte.  Alles  wol  erwogen  erscheint  mir  die  erste 
alternative  als  die  richtige. 

Ich  klimme  zum  Schlussstück  von  e.  29,  z.  142  -151,  I)ii.  154,23 
bis  155,  5.  Die  beurteilung  dieses  abschnitte's  ist  mit  vielen  Schwierig- 
keiten verbunden;  ein  sicheres  resultat  wird  sich  kaum  erreichen  lassen. 
Neben  i\i'r  möglichkeit,  dass  es  zu  A  oder  zu  B  gehört,  besteht  eine 
dritte,  dass  es  auf  einem  anderen,  in  dem  früheren  teil  der  saga  nicht 
benutzten  liede  beruht.  Ferner  ist  das  Verhältnis  (\^>  abschnittes  zu 
Brot  ins  äuge  zu  fassen. 

Da  c.  23 — 29  vorwiegend  auf  B  beruhen,  erhebt  sich  auch  hier 
zuerst  die  frage,  ob  das  stück  zu  B  gehören  kann.  Leugnen  lässt  sich 
die  möglichkeit  nicht.  In  B  haben  Gunnarr  und  Brynhildr  nach  der 
katastrophe  noch  nicht  miteinander  gesprochen;  man  muss  annehmen, 
dass  der  dichter  von  B,  der  eine  breite  darstellung  und  Vielheit  der 
auftritte  liebt,  sich  die  gelegenheit  nicht  habe  entgehen  lassen,  auch 
ein  gespräch  zwischen  den  ehegatten  zur  darstellung  zu  bringen;  eine 
solche  Unterredung  war  ferner  für  die  weitere  entwicklung  der  band  hing 
unentbehrlich.  Dass  Brynhildr  den  Gunnarr  autstacheln  würde,  Siguror 
zu  töten,  war  auch  nach  dem,  was  in  B  vorangegangen,  zu  erwarten, 
und  die  Verleumdung,  welche  sie  zu  dem  zwecke  anwendet,  lag  ja  ganz 
nahe.  Stilistisch  ist  auch  wider  die  Verbindung  des  Stückes  mit  B 
nichts  einzuwenden;  es  enthält  ausser  einer  einleitung,  welche  wol  vom 
sagaschreiber  einigermassen  in  die  länge  gezogen  ist,  nur  eine  kurze 
rede  der  Brynhildr  ganz  im  stile  der  reden  und  gegenreden  in  dem 
unmittelbar  vorhergehenden  gespräche  mit  SigurÖr.  Es  lässt  sich  wenig- 
stens nicht  sagen,  dass  der  stil  dort  kürzer  als  hier  ist.  Direct  auf  B 
weist  sogar  z.  149:    nü  vil  ek  eigi  tvd   menn  eiga  seit»   i  eimü  lioU, 

die  nähe  Heimis  gelegt  wird,  also  die  Situation  von  c.  23.  24  gegeben  ist.  War  aber 
der  Schauplatz  ein  anderer,  so  folgt  daraus,  dass  beim  ersten  besuch  die  waberlohe 
eine  Unmöglichkeit  ist,  denn  Brynhildr  wird  dieselbe  doch  nicht  vorgefunden  oder 
mit  sich  geführt  haben,  wo  sie  nur  hinkam.  Also  entsteht  auch  so  eine  wichtige 
ähnlichkeit  mit  c.  23.  24. 


ZUR   VOLSTJNGA  t75 

vgl.  z.  120  —  1.  Wenn  der  abschnitt  nicht  zu  B  gehört,  so  hat  der 
sagaschreiber  an  dieser  stelle  wol  B  plagiiert.  Andererseits  kann  der 
schluss  der  rede  kaum  aus  B  stammen,  denn  den  Vorwurf  der  Guörün 
an  Brynhildr,  SigurÖr  habe  ihren  meydomr  genommen,  kennt  B  nicht. 
Falls  also  das  stück  zu  B  gehört,  so  hat  der  sagaschreiber  die  worte 
pviat  kann  hefir  pat  alt  sagt  Gttforünu  cn  hon  brigxlar  mer  hinzu- 
gefügt, um  einen  besseren  anschluss  an  die  darstellung  in  A  zu  er- 
reichen.    Vorläufig  müssen  beide  möglichkeiten  offengelassen  werden. 

Die  eben  angeführten  Schlussworte  von  Brynhilds  rede  legen 
andererseits  den  gedanken  an  einen  Zusammenhang  mit  A  nahe.  Einen 
solchen  vermutet  auch  Heusler.  Er  verbindet  den  schluss  von  c.  29 
mit  AI  und  glaubt,  dass  diese  beiden  stücke  den  anfang  des  liedes 
paraphrasieren,  dessen  fortsetzung  unmittelbar  nach  der  lücke  im  Codex 
Regius  steht,  also  des  Brot.  Die  frage  wird  aber  durch  die  nunmehr 
gewonnene  erkennfnis,  dass  A2  die  unmittelbare  fortsetzung  zu  AI 
bildet,  um  vieles  complicierter,  als  sie  Heusler  erscheinen  musste.  Ich 
werde  im  folgenden  versuchen,  die  beziehungen  zwischen  den  einzelnen 
fragmenten  (AI.  A2.  X  [=  c.  29,  142—151]  und  Brot)  genau  zu  con- 
statieren  und  zu  würdigen. 

Dass  der  schluss  von  c.  29  und  Brot  zusammengehören,  glaube 
auch  ich.  Durch  die  anklage  reizt  Brynhildr  Gunnarr  zum  morde;  das 
gegenstück  bildet  die  mitteilung,  dass  die  anklage  fälsch  war.  wodurch 
sie  ihn  davon  überzeugt,  dass  nicht  Sigur&r  sondern  er  selbst  seinen 
eid  gebrochen  hat1.  Die  frage,  ob  der  schluss  von  Brot  verloren  ist, 
ist  auf  verschiedene  weise  beantwortet  worden.  Heusler  schliesst  sich 
denen  an,  welche  sie  bejahen.  Er  ist  der  ansieht,  dass  ein  dichter,  der 
einen  teil  der  sage  poetisch  behandeln  wollte,  zwar  an  jedem  beliebigen 
punkte  anfangen  konnte,  aber  dass  er  genötigt  war,  die  geschiente  von 
da  an  bis  zum  ende  zu  erzählen.  Ich  kann  dieser  ansieht,  welche  mehr 
das  postulat  einer  ästhetischen  theorie  als  das  resultat  einer  historischen 
Untersuchung  ist.  nur  teilweise  beipflichten.  Bin  gewisses  gefühl  für 
Symmetrie  darf  man  allerdings  einem  wahren  dichter  auch  des  altertums 
zutrauen.  Man  wird  also  mit  recht  erwarten,  -  obgleich  auch  das  auf 
die  probe  ankommt,  --  dass  ein  guter  dichter  nicht  bei  der  behandlung 

1)  Daraus  folgt  wol,  dass  die  möglichkeit,  welche  oben  aooh  angenommen 
wurde,  dass  X  zu  B  gehöre,  verworfen  werden  muss.  Denn  das  1<>I>  der  höchsten 
treue,  welches  Brynhildr  in  Und  dem  Sigurör  spendet,  kommt  ihm  wenigstens  ans 
ihrem  munde  in  einem  gediente,  dessen  bauptinhalt  seine  antreue  ihr  gegenüber  bildet, 
nicht  zu.  Brynhilds  benehmen  in  Brot  setzt  voraus,  dass  n i<  h t  eine  vorverlobung 
stattgefunden  hat. 


176  BOEB 

eines  eine  fortlaufende  erzählung  bildenden  Stoffes  an  einem  belieb 
punkte  eingesetzt  und  widerura  an  einem  anderen  beliebigen  punkte 
aufgehörl  haben  wird.  Was  er  anfieng,  wird  er  zu  ende  geführl  haben. 
Alter  keineswegs  darf  man  verlangen,  dass  ein  jeder  dichter  det  alter- 
tnms.  wo  er  auch  angefangen  haben  mag,  gerade  die  geschiente  bi 
dem  punkte  weitergeführt  habe,  den  es  uns  gefällt  als  den  schluss  der 
erzählung  zu  bezeichnen.  Aus  dem  gründe  scheinl  es  mir  eine  sehr 
aprioristische  forderung,  dass  der  dichter  von  Brol  auch  den  tod  der 
Brynhildr  mitgeteili  halten  müsse.  Man  kann  gerade  so  gut  verlangen, 
dass  er  auch  den  Untergang  der  Nibelungen,  weshalb  nicht  auch  die 
geschichte  von  Sorli  und  Hamfcir  mitgeteilt  halte.  Das  einzige,  was 
man  zwar  nicht  verlangen  sondern  erwarten  darf,  ist  ein  gewisses  Ver- 
hältnis zwischen  dem  hauptinhalt  eines  gedichtes  einer-  und  dem  anfang 
und  schluss  andererseits.  Es  fragt  sich  also,  was  der  inhalt  des  gedichtes 
war,  von  dem  Brot  ein  fragment  ist.  Wollte  der  dichter  Brynhilds 
leben  oder  die  geschichte  ihrer  ehe  mitteilen-,  so  ist  allerdings  das  wahr- 
scheinlichste, dass  er  das  lied  auch  bis  zur  auflösung  dieser  ehe.  also  bis 
zu  Brynhilds  tode  werde  fortgesetzt  haben.  "Wenn  aber  der  gegenständ, 
der  ihn  beschäftigte,  die  weise  war,  wie  Brynhildr  Grunnarr  dazu  brachte, 
SigurÖr  zu  töten,  so  war  seine  aufgäbe  damit  erfüllt,  dass  er  erzählte, 
wie  seine  heldin  diesen  ihren  zweck  erreichte.  Hier  wäre  ein  bericht 
über  Brynhilds  tod  etwas  dem  stoffe  des  gedichtes  durchaus  fernliegendes. 
Da  nun  aus  den  erhaltenen  Strophen  nicht  hervorgeht,  welches  das 
eigentliche  thema  des  gedichtes  ist,  so  müssen  die  übrigen  data  die 
entscheidung  bringen.  Und  da  fällt  die  tatsache,  dass  das  gedieht  mit 
str.  18  schliesst,  ohne  dass  eine  lücke  vorhanden  ist,  schwer  ins  gewicht. 
Solange  für  das  fehlen  der  schlussstrophen  keine  genügende  erklärung 
gegeben  ist1,  so  lange  ist  jedenfalls  die  natürlichste  auffassung  der  Über- 
lieferung die,  dass  nach  str.  18  nichts  verloren  ist.  (Allerdings  ist  die 
möglichkeit  in  betracht  zu  ziehen,  dass  schon  zur  zeit  der  aufzeichnung 
der  schluss  verloren  war.) 

Daraus  würde  also  folgen,  dass  nicht  Brynhilds  leben  oder  ihre 
ehe,  sondern  ihre  anklage  wider  Siguror  den  stoff  des  gedichtes  bildet. 
Und  das  würde  zu  neuen  Schlüssen  in  bezug  auf  den  anfang  des  ge- 
dichtes führen.     Die  Werbung  fällt  ausserhalb  des  rahmens  eines  solchen 

1)  Dass  der  Sammler  den  schluss  fortliess,  weil  der  inhalt  der  betreffenden 
Strophen  auch  in  anderen  gedachten  mitgeteilt  wurde,  ist  keine  erklärung  sondern 
eine  behauptung,  für  welche  keine  einzige  analogie  existiert;  die  weise,  wie  der 
Sammler  sonst  die  parallelen  gedichte  behandelt,  macht  im  gegeuteil  ein  solches  ver- 
fahren seinerseits  höchst  unwahrscheinlich. 


ZUR   VQLSXJNGA    SaGA 


477 


gedichtes.  Das  beisst:  wenn  das  gedieht,  wovon  Brot  ein  teil  ist,  mit 
den  Strophen  anfieng,  welche  am  schluss  von  c.  29  paraphrasiert  sind, 
so  ist  es  ganz  in  der  Ordnung,  dass  auf  Brot  str.  18  nichts  mehr  folgt; 
str.  18  bildet  dann  den  schönsten  schluss,  der  sich  denken  Lässt  Wenn 
aber  auch  der  anfang  von  c.  28  auf  demselben  liede  beruht,  so  fällt  es 
allerdings  auf,  dass  das  lied  mit  Brynhilds  mitteilung  an  Gunnarr,  dass 
Sigurör  sie  nicht  berührt  hat,  schliesst.  Die  frage  nach  dem  Schlüsse 
von  Brot  hängt  auf  diese  weise  mit  der  nach  der  Zusammengehörigkeit 
von  A  mit  X  eng  zusammen. 

Für  die  einheit  AX  könnte  der  umstand  reden,  dass  X  den  Inhalt 
von  AI  voraussetzt.  Der  Vorwurf  der  GuÖrün,  über  welchen  Brynhildr 
sich  beklagt,  ist  derselbe,  von  dem  die  scene  am  flusse  berichtet.  Aber 
X  kann  AI  oder  die  tiadition,  auf  welcher  AI  beruht,  gekannt  haben. 

Stilistisch  ist  zu  bemerken,  dass  die  kürze,  welche  X  auszeichnet, 
auch  für  AI  charakteristisch  ist.  Das  beweist  aber  wenig,  denn  einmal 
ist  AI,  welches  nur  aus  zwei  repliken  besteht,  zu  kurz,  um  auf  die 
kürze  des  stiles  eine  entscheidung  zu  gründen,  und  ferner  hat  sich  oben 
gezeigt,  dass  X  stilistisch  sich  auch  mit  B2,  wozu  es  doch  nicht  gehört, 
wol  verbinden  Hesse. 

Ein  drittes  argument,  welches  etwa  so  lauten  würde,  dass  der 
schluss  von  A2  kaum  das  ende  des  ganzen  gedichtes  bezeichnen  kann, 
ist  nicht  acceptabel,  da  wir  nicht  wissen,  ob  A  etwa  fragmentarisch 
war,  und  da  der  sagaschreiber  das  gedieht  nicht  bis  zum  Schlüsse  be- 
nutzt zu  haben  braucht.  Auch  von  B  weiss  man  nach  c.  29,  141  nichts 
mehr,  und  doch  ist  str.  25  der  Vols.  s.  sicher  nicht  der  schluss  von  B. 
Wider  die  Zusammengehörigkeit  von  X  mit  A  spricht  A2.  Dass  dieses 
stück  mit  teilen  von  c.  27  in  unzweideutigem  Zusammenhang  steht, 
wurde  oben  ausführlich  nachgewiesen,  und  mit  einem  teile  von  c.  26 
winde  ein  Zusammenhang  wenigstens  wahrscheinlich  gemacht.  Ferner 
bildet  der  satz,  mit  dem  A2  anhebt,  die  unmittelbare  fortsetzung  zu 
AI;  wir  erkannten  also  eine  einheitliche,  richtig  zusammenhängende 
quelle  für  die  nicht  aus  B  stammenden  teile  von  c.  26 — 29,  141.  A.2 
lässt  sich  also  von  A  1  in  keiner  weise  trennen.  Aber  \  lässl  sich 
zwar  an  AI,  nicht  aber  an  A2  anschliessen.  Es  macht  einen  wunder- 
lichen eindruck,  nachdem  Brynhildr  dem  Gunnarr  in  Leidenschaftlichen 
weiten  seine  minderwertigkeit  vorgeworfen  und  sich  in  ziemlich  red- 
seliger weise  darüber  beklagt,  dass  sie  Signier  nicht  zum  manne  hat 
(29,  39fg.),  nachdem  sie  sogar  versucht  hat,  Gunnarr  zu  töten,  sie  nun 
plötzlich  an  sein  ehrgefühl  appellieren  zu  sehen.  Auch  ist  nach  der 
in   A2   vorangegangenen   scene  Gunnars  traue   in  \   (c.  2!»,  L45),   was  ihr 


478  bobb 

fehle,  Dichte  weniger  als  verständlich.  Aus  B  stammt  die  frage  Dicht, 
denn  schon  die  vorhergeheode  mitteilung,  Brynhildr  sei  jetzt  im  tande 
zu  reden,  welche  SigurtSr  dem  Ghinnarr  macht,  i-t  nur  ein  bindeglied 
zwischen  B2  und  X.  und  vom  sagaschreiber  wird  sie  auch  nicht  her- 
rühren, denn  er  musste  doch  wissen,  dass  der  grund  von  Brynhilds 
/.luii  dem  Gunnarr  schon  bekannl  war.  Die  frage  setzt,  wie  schon 
betont  wurde,  voraus,  dass  die  gatten  nach  der  eotdeckung  des  Geheim- 
nisses noch  nicht  miteinander  gesprochen  haben;  die  quelle,  welche  von 
dieser  Voraussetzung  ausgieng,  kann  also  nichts  gewesen  sein,  wenig- 
stens wenn  A  ein  einheitliches  gedieht   war. 

Wenn  ich  aus  diesen  gründen  nicht  /.andre,  X  von  A  zu  trennen, 
so  iniiss  hier  doch  bemerkt  werden,  dass  auch  A2  Dich!  einwandfrei 
ist.  Der  kurze  stil,  der  A  1  und  X  auszeichnet  und  der  Heusler  be- 
stimmte, diese  beiden  stücke  mit  Brot  zu  einem  ganzen  zu  verbinden, 
fehlt  wenigstens  bei  einem  teil  von  A2.  Hier  hält  Brynhildr  gleich 
am  anfang  eine  lange  rede,  welche  zu  den  repliken  in  AI  in  keiner 
Proportion  steht.  Diese  rede  ist  auch  inhaltlich  nicht  ganz  unanstössig. 
Es  würde  schon  oben  s.  466  bemerkt,  dass  Brynhildr.  nachdem  sie 
nach  dem  ringe  gefragt,  sofort  vom  thema  abbiegt,  um  der  einzelheiten 
der  brautwerbung  zu  gedenken.  Auch  lässt  sich  wenigstens  an  einer 
stelle  ein  gewisser  Widerspruch  nicht  verkennen.  Nach  dem  zu  A  ge- 
hörigen teil  von  c.  27  hat  Gunnarr  die  erlaubnis,  Brynhildr  zu  besitzen, 
wenn  er  das  feuer  durchreiten  werde,  von  ihrem  vater  (z.  43;  oh  fostra 
fügt  hier  der  sagaschreiber  nach  B  hinzu)  bekommen.  Aus  z.  51  geht 
ferner  hervor,  dass  Brynhildr  nicht  wusste,  dass  die  Gjükungar  bei 
ihrem  vater  gewesen  seien;  nur  die  allgemeine  bedingung  war  ihr  bekannt. 
Dazu  stimmt,  dass  Brynhildr  in  A2  (z.  23)  sagt:  das  versprach  ich 
daheim  bei  meinem  vater,  dass  ich  nur  dem  besten  der  beiden  gehören 
würde,  und  das  ist  Sigurör  (heima  cd  feftr  mins  correspondiert  mit  meü 
jäyrfti  feftr  phis). 

Aber  in  A2  begeht  Brynhildr  eine  tautologie,  und  zwar  gibt  sie 
beide  male  nicht  ganz  dieselbe  Vorstellung  von  der  sache.  Sie  hat  mit 
BuMi  eine  Verabredung  für  einen  bestimmten  vorliegenden  fall  gemacht, 
nachdem  nämlich  die  Gjükungen  ihren  vater  mit  krieg  bedroht  haben. 
Das  steht  mit  der  Vorstellung,  dass  sie  von  der  ankunft  der  freier  nicht 
unterrichtet  war,  in  Widerspruch.  Es  ist  derselbe  Widerspruch,  den  die 
Skv.  sk.  zeigt,  und  der  die  meisten  Herausgeber  veranlasst  bat,  aus  diesem 
liede  str.  36 — 38  zu  streichen. 

Also  passt  ein  teil  der  rede  der  Brynhildr  in  A2  doch  nicht  richtig 
in  den  Zusammenhang  von  A.     leb    bemerke   im    vorübergehen,    dass 


ZUR    YQLSUX&A    SAGA 


479 


durch  die  ausscheidung  dieses  teiles,  etwa  z.  7 — 22  (Bu.  150,  5 — 20), 
doch  für  X  kein  auschluss  gewonnen  würde;  —  aus  den  unvollkoru- 
menheiten  von  A2  lässt  sich  also  zu  gunsten  der  Verbindung  AX  nichts 
schliessen;  —  der  stil  von  A2  aber  würde  dadurch  mit  AI  mehr  in 
einklang  geraten.  Aber  wo  soll  man  mit  diesem  stücke  hin?  Zu  B 
gehört  es  auf  keinen  fall;  das  verbietet  schon  der  unmittelbare  auschluss 
von  B2  an  Bl;  ausserdem  kennt  B  nicht  BuÖii  sondern  Heirnir  als 
Brynhilds  pfleger.  Für  die  lözeilen  eine  unabhängige  quelle  anzunehmen 
geht  auch  nicht  an,  um  so  weniger,  als  derselbe  Widerspruch,  den  A2 
aufweist,  auch  aus  der  Skv.  sk.  bekannt  ist.  Mir  scheint,  es  bleibt  nur 
die  annähme  übrig,  dass  die  Strophen,  auf  denen  dieser  teil  von  Bryn- 
hilds rede  beruht,  zwar  in  A  standen,  als  die  saga  geschrieben  wurde, 
aber  daselbst  aus  einem  verlorenen  liede  interpoliert  waren1. 

Beachtung  verdient  ein  gewisses  Verhältnis  von  A  zu  Skv.  skamma. 
Wenn  oben  c.  26  richtig  beurteilt  wurde,  so  stimmt  der  anfang  von  A 
mit  dem  anfang  dieses  liedes  überein.  Ferner  wurde  in  A  eine  wahr- 
scheinliche interpolation  erkannt,  deren  Inhalt  mit  dem  einer  scheinbaren 
interpolation  in  der  Skv.  skamma  fast  identisch  ist.  Das  scheint  darauf  zu 
deuten,  dass  eines  der  beiden  gediente  das  andere  stark  benutzt  hat. 
wo  nicht  nach  dessen  Vorbild  gedichtet  worden  ist.  ich  zweifle  nicht 
daran,  dass  A  das  ältere  ist.  Wenn  das  richtig  ist,  so  wurde  die  Skv.  skamma 
gedichtet,  nachdem  jene  interpolierten  Strophen  schon  in  A  aufgenommen 
waren2.  Diese  beobachtung  dürfte  ein  letztes  moment  für  die  beur- 
teilung  des  Verhältnisses  zwischen  A  und  X  +  Brot  abgeben.  Denn 
zsvischen  Brot  und  der  Skv.  skamma  lässt  sich  ein  ähnliches  Verhältnis 
constatieren  wie  zwischen  A  und  diesem  liede.  Auch  hier  ist  Brol  das 
ältere  gedieht,  die  Skv.  skamma  der  entlehnende  teil.  In  Brot  sind  str.8 — 9 
ein  zusatz,  und  eine  nahe  Variante  dieses  Zusatzes  kohrt  in  der  Skv.  skamma 
(str.  18)  wider.  Das  ist  allerdings  das  wichtigst»1  argument  für  die 
einheit   von  A   und   X  -f-  Brot.     Doch   scheint  es,  dass   die  schwierig- 

1)  Der  oben  s.  470  betonte  Zusammenhang  dieser  zeüen  mit  einer  stelle  in  dem  \ 
zugewiesenen  teile  von  c.27  (z.  54— 56,  Bu.  146,  L—  i>  bleibl  zwar  bestehen,  doch  sehe 
icli  keinen  grund,  zugleich  mit  jener  auch  diese  stelle  für  auf  einer  interpolation  be- 
ruhend anzusehen.  Dort  ist  die  rede  von  direoten  kriegerischen  zurüstungen  wider 
die  Gjükungen,  bier  von  Brynhilds  kriegerischer  natur  im  allgemeinen  und  ihren  frü- 
heren heldentaten.  Die  stelle,  wo  ihre  walkyrennatur  sich  im  unzweideutigsten  lichte 
zeigt,  kann  aber  für  die  aufnähme  jener  Strophen  in  A  von  bedeutung  gewesen  sein. 

2)  Die  betreffenden  Strophen  in  der  Skv.  skamma  waren  dann  oichl  eigentlich  als 
interpoliert  zu  betrachten;  ihr  widersprach  inil  ihrer  Umgebung  würde  sioh  daraus  er- 
klären, dass  ihre  quelle  fremde  zusätze  enthielt. 


nohk 

keiten,  welche  sich  einer  solchen  auffa  ;ung  entgegenstellen,  diese  sonst 
auf  der  band  Liegende  folgerung  verbieten. 

Ich  komme  zu  dem  chlusse,  da  c.  (23.  24)  26  29  der  Vojsunga 
saga  auf  zwei  liedem  beruhen,  welche  der  aj  ischreiber  abwechselnd 
benutzl  hat  Auf  dem  kürzeren  liede  (A)  beruhen:  ein  kleiner  teil  von 
c.  26  (etwa  z.36  52,  Bu.  s.  L43,  7  23),  aus  c.  27  /..  I  l.  t2  |  10]  60. 
70— so  [82?]  (Bu.  s.  I  II.  6  9.  145,  17  [16?]  1  16,  7.  1  16,  23—147,  2 
|l  5?]).  Von  c.  28  /.  1—10  (Bu.  s.  N7.0  21).  Von  c.  29  z.  I  18 
(Bu.  s.  150,  2  151,  17);  darin  /..  7—22  ein  zusatz.  Möglichere 
hören  noch  hierher  (■.•_".),  149-  1  r>  1  (Bu.  s.  154,27  155,5)  und  Brot 
In  diesem  fall  ist  der  Zusammenhang  verderbt.  Wahrscheinlicher  hebl 
mit  c.  20,  149  (.'ine  neue  quelle  (X  Brot)  an.  Der  schluss  von  A 
blieb  dann  wie  der  sehluss  von  B  vom  sagaschreiber  unbenutzt. 

Aul  B  beruhen  die  übrigen  teile  von  c.  20—29  und  wahrscheinlich 
c.  23 — 24.  Wenn  die  bezeichnung  Sigurfcarkvröa  en  mein  für  eines  der 
verlorenen  lieder  richtig  ist,  so  kann  dieselbe  nur  auf  B  anwendung  finden. 

Fragt  man,  wie  die  beiden  gediente  sich  den  in  dieser  Zeitschrift 
35,  289  fgg.  besproehenen  fragen  gegenüber  verhalten,  so  gesellt  sich  A 
zu  der  gruppe,  welche  die  zweite  hauptform  (Sigurfcr  gewinnt  die  braut 
für  einen  anderen)  repräsentiert  (Brot,  Skv.  sk.,  namentlich  Helreio). 
Den  vufrlogi  stellt  das  gedieht  wie  die  übrigen  älteren  lieder,  welche 
sagengestalt  sie  auch  repräsentieren,  als  einen  wall  dar,  der  die  braut 
von  dem  contacte  mit  der  aussenwelt  abschliesst;  nur  eine  inter- 
polierte stelle  fasst  ihn  als  eine  maschinerie  auf,  über  weiche  sie  frei 
verfügt. 

B  ist  der  hauptrepräsentant  der  weniger  umfangreichen  jüngeren 
schiebt,  welche  die  beiden  hauptformen  der  sage  biographisch  con fa- 
muliert und  dabei  die  erste  hauptforni  zu  einer  Verlobung  umgestaltet. 
Aus  dieser  lässt  B  den  flammenritt  weg,  in  der  zweiten  form  bewahrt 
es  denselben.  Die  auffassung  ist  die  folgende.  Aus  c.  27,  7 — 9:  kvax 
(Heimir)  pal  hyggja,  at  pann  ehui  mundi  hon  eiga  vilja}  er  ribi  eld 
brennanda  Lässt  sich  wol  schliessen,  dass  Brynhildr  die  bedingung, 
dass  der  flammenwall  durchschritten  werde,  selbst  gestellt  hatte;  nach 
z.  9 — 10  befindet  sie  sich  jedoch  schon  vor  der  ankunft  der  beiden  inner- 
halb des  vafrlogi,  und  auch  aus  z.  72  geht  hervor,  dass  sie  wenigstens 
den  Gjükungen  und  Sigurör  die  aufgäbe  nicht  persönlich  gestellt  hat. 
Die  auffassung  des  flammenwalls  bildet  also  hier  die  brücke  von  der 
älteren  auffassung  in  A  zu  der  jüngeren  in  der  interpolation  in  A2; 
zusammen  bestätigen  die  beiden  lieder  die  a.  a.  o.  zur  geltung  gebrachte 
auffassung  der  entwickluug  der  poetischen  motive. 


ZUR   VÖLSUNGA    SAGA  4SI 

Excurs. 
Der  Andvaianautr. 

Es  wurde  oben  bemerkt  und  ausgeführt,  dass  die  Vorstellung-, 
nach  welcher  SigurÖr  der  Brynhildr  in  der  verhängnisvollen  nacht  den 
ring  Andvaianautr  nahm,  auf  B  beruht.  Das  ist  so  zu  verstehen,  dass 
der  sagaschreiber  eine  abweichende  Vorstellung  von  A  unter  dem  ein- 
fluss  von  B  dahin  geändert  hat,  dass  er  den  ring,  der  in  A  nicht  so 
hiess,  Andvaranautr  nannte.  Damit  soll  aber  keineswegs  gesagt  sein, 
dass  der  ring  in  B  Andvaranautr  hiess.  Die  stellen,  welche  für  die 
autt'assung  des  ringes  in  beiden  gedichten  in  betracht  kommen,  sind 
die  folgenden: 

Für  A.  1.  Skäldskaparmäl  (Sn.  E.  I,  362).  Gudrun  zeigt  der  Bryn- 
hildr einen  ring,  den  SigurÖr  ihr  genommen,  und  zeigt  auf  den  And- 
varanautr an  Brynhilds  arm. 

2.  Vols.  s.  c.  28.  GuÖrün  prahlt  mit  dem  Andvaranautr,  den  SigurÖr 
der  Brynhildr  genommen  hat. 

3.  Vols.  s.  c.  29.  Der  ring,  den  SigurÖr  der  Brynhildr  nahm, 
stammt  von  BuÖli. 

Zieht  man  in  betracht,  dass  A  keine  vorverlobung  kannte,  so  ge- 
nügen diese  drei  stellen  zum  nachweise,  dass  die  darstellung  der  Snorra 
Edda  die  richtige  ist,  dass  nämlich  SigurÖr  nach  A  der  Brynhildr  den 
Andvaranautr  gab  und  ihr  einen  anderen  ring  nahm. 

Für  B.  Nur  eine  darstellung,  in  der  jedoch  an  zwei  stellen  von 
einem  ringe  die  rede  ist,  und  zwar: 

1.  Vols.  s.  c.  24.  Sigurör  gibt  Brynhildr  einen  goldenen  ring. 
Der  name  des  ringes  wird  nicht  genannt. 

2.  Vo,ls.  s.  c.  27.  SigurÖr  nimmt  der  Brynhildr  den  Andvaranautr 
und  gibt  ihr  an  dessen  stelle  einen  anderen  ring  <i[  TFdfnis  arfi. 

Solange  man  annimmt,  dass  die  quelle  von  c.  21  nicht  die  quelle 
von  c.  27  ist,  ist  die  einfachste  erklärung  dieser  berichte  diese,  da>s 
das  gedieht,  auf  dem  c.  24  beruht,  den  namen  des  ringes  nicht  nannte, 
dass  aber  die  quölle  von  c.  27  davon  ausging,  dass  Sigurör  früher  der 
Brynhildr  den  Andvaranautr  gegeben  hatte.  Nach  dem  vorhergehenden 
kommt  mir  diese  erklärung  verwerflich  vor.  Wir  müssen  davon  aus- 
gehen, dass  beide  stellen  auf  demselben  gediente  beruhen.  Unter  solches 
umständen  ist  es  aber  sehr  auffällig,  dass  zwar  c.  27  aber  nicht  c  'I 
den  Andvaranautr  nennt.  "Wenn  der  dichter  von  1!  der  ansieht  war, 
Sigurör  habe  hei  seinem  ersten  besuche  seiner  geliebten  den   Andvara- 

ZEITSCHWFT    F.    DEUTSCHS    PHILOLOGIE.       BD.   w\v  ".I 


182  boi  i-.  zi  i 

nautr  gegeben,  ihn  ihr  aber  beim  zweiten  besuche  widerum  genommen, 
so  würde  man  erwarten,  dass  er  den  namen  des  ringes  mitgeteill  hätte, 
als  er  ilm  zuerst  in  die  erzäblung  einführte.  Wenn  er  aber  an  den 
Andvaranautr  nicht  gedacht  hat,  bo  gibt  die  stelle  c.  27  den  inhall  der 
entsprechenden  stelle  des  gedichtes  nichl  richtig  wider,  und  die  ab- 
weichung  erheisch!  eine  erklärung.      Diese  erklärung   bietel    nun  c.  28. 

Die  stelle  in  c.  27  steht  in  der  saga    anmittelbar   vor  der  aui    A 
beruhenden  scene  am  Busse.     A  aber  kannte  den  Andvaranautr.     Au 
diesem  umstände  in  Verbindung  mit  dem  schweigen  von  c.  24  schliesse 
ich,  dass  der  harne  des  ringes  vom  sagaschreiber  aus  A  in  B  übertragen 

werden  ist.  Die  tätigkeit  <]<■<  sagaschreibers  war  demnach  die  folgende. 
Als  er  c.  24  schrieb,  fiel  A  noch  nicht  in  seinen  gesichtskreis.  Seine 
quelle  (B)  erwähnte  hier  einen  ungenannten  ring;  der  sagaverfassei 
übernahm  die  nachricht,  ohne  darüber  nachzudenken.  Als  er  c.  27 
schrieb,  hatte  er  schon  A  neben  B  benutzt,  und  er  hatte  die  absieht, 
das  auch  feiner  zu  tun.  Sogar  musste  auf. diese  scene  anmittelbar  ein 
auftritt  aus  A  folgen.  A  aber  kannte  in  diesem  zusammenhange  den 
Andvaranautr.  Also  führte  der  sagaschreiber  c.  27  den  namen  des  ri> 
ein.  Aber  nach  c.  24  konnte  der  Andvaranautr  nur  der  ring  sein,  den 
Siguror  früher  der  Brynhildr  gegeben  hatte,  und  das  teilte  er  nun  c.  27 
mit.  Zu  gleicher  zeit  nahm  er  c.  28  auch  bei  A  die  entsprechende 
änderung  vor. 

Die  ursprüngliche  Sachlage  ist  demnach  die,  dass  nur  eine  quelle 
(A)  den  Andvaranautr  kennt  als  den  ring,  den  SigurÖr  bei  seinem 
ersten  und  einzigen  besuche,  als  er  für  Gunnarr  um  sie  freite,  der 
Brynhildr  gab.  Von  anderen  quellen  weiss  B  zwar  von  einem  ring, 
aber  dieses  gedieht  nennt  keinen  namen;  eine  dritte  quelle,  die  para- 
phrase  der  Sigrdrifumäl  (V\>ls.  s.  c.  22)  erwähnt  gar  keinen  ring;  ein 
solcher  hätte  auch  für  diese  sagenform  gar  keine  bedeutung. 

Ich  glaube,  dass  B,  obgleich  das  gedieht  sonst  das  produet  sehr 
junger  combinationen  ist,  hierin  auf  einem  ursprünglicheren  Standpunkte 
als  A  steht.  Nach  der  Verbindung  der  Nibelungensage  mit  der  sage 
von  der  befreiung  der  götter  aus  der  haft  der  zwerge  durch  das  gold 
des  Andvari  entstand  eine  stets  zunehmende  tendenz,  diesen  schätz  und 
speciell  den  mit  dem  fluche  behafteten  ring  als  für  den  beiden  ver- 
hängnisvoll anzusehen.  Es  ist  demnach  nicht  richtig  zu  verstehen,  wie 
der  ring,  nachdem  ihm  einmal  eine  solche  rolle  zuerteilt  worden  war, 
widerum  aus  der  Überlieferung  hätte  verschwinden  können.  Da  wir 
nun  nicht  den  verhängnisvollen  Andvaranautr,  sondern  den  namenlosen 


KAUFFMANN,    ZUR   FRAGE    NACH    DEN    QUELLEN    DES    OPUS   IMPERFECTTM.  t83 

ring  als  erkennungszeichen  auch  aus  der  deutschen  Überlieferung  kennen, 
fallt  es  gar  nicht  auf,  dass  dieser  ring  auch  in  der  skandinavischen 
Überlieferung  auftritt.  Jüngere  sagenbildung  hat  diesen  ring  mit  dem 
Andvaranautr  identificiert. 

Dass  der  zweite  ring,  den  Sigurör  der  Brynhildr  an  stelle  des 
Andvaranautr  gibt,  gleichfalls  aus  Fäfnirs  nachlassenschaft  stammte,  wird 
eine  hypothese  des  sagaschreibers  sein. 

SOESTDIJK.  R.  C.  BOER. 


ZUR  FRAGE  NACH  DEN  QUELLEN  DES  OPUS 
IMPERFECTUM. 

In  A.  Hilgenfelds  Zeitschrift  für  wissenschaftliche  theologie  jahrg.  46 
(Leipz.  1903)  veröffentlicht  soeben  H.  Boehmer-Romundt  eine  umfang- 
reiche Untersuchung  „Über  den  literarischen  nachlass  des  Wulfila  und 
seiner  schule".  Es  wird  sich  wol  noch  gelegenheit  bieten,  auf  die 
einzelnheiten  dieser  bemerkenswerten  publikation  einzugehen.  Für  den 
augenblick  liegt  mir  daran,  eine  das  Opus  imperfectum  betreffende  be- 
hauptung  zu  beleuchten.  Boehmer-Romundt  hat  sich  bemüht,  über 
die  hauptsächlichsten  quellenschriften  ins  klare  zu  kommen,  die  dem 
Verfasser  des  Op.  imp.  vorgelegen  haben.  Er  ist  zu  dem  ergebnis  ge- 
langt (s.  376):  „nur  eine  seiner  vorlagen  können  wir  noch  mit  Sicher- 
heit nachweisen,  den  commentar  des  Hieronymus  aus  dem  jähr  3981." 
Verhielte  es  sich  so,  dass  im  Op.  imp.  der  Matthaeus- commentar  des 
Hieronymus  benutzt  wurde,  dann  wäre  auch  die  fernere  these  stich- 
haltig: „Dieser  commentar  ist  nachweislich  im  märz-april  398  geschrieben. 
Mithin  ist  unser  werk  frühestens  um  die  wende  des  4.  und  5.  jahrb. 
entstanden'1  (s.  390). 

Auch  ich  habe  mich  mit  der  frage  nach  den  quellen  des  Op.  imp. 
beschäftigt  und  bin  mit  den  stellen  vertraut,  die  B. -R.  zu  seinen  gunsten 
ins  feld  führt.  Das  matorial  hat  mich  aber  nicht  zu  denselben  schluss- 
folgerungen  genötigt,  scheint  mir  überhaupt  nicht  geeignet  zu  sein,  um 
eine  quellenmässige  abhängigkeit  dos  Op.  imp.  von  dem  Matthaeus -com- 
mentar des  Hieronymus  sicher  zu   stellen. 

Man  hat  sich  zuerst  darüber  zu  vergewissern,  wie  der  verl.  des 
Op.  imp.  mit  seinen  quellen  verfährt.  Zu  dem  /.weck  greife  ich  zwei 
einwandfreie  stellen    heraus. 

1)  Zur  datierung  vgl,  Grützmaoher,  Bieronymua  L,  67. 

;i 


IM 


K  \  I  PI 


< >|>.  i in j).  |».  <)•_'<;. 

(Tarnen  cum  multa  ge  i  ei  impie 
hie  Manasses),  adduxil  super  eum 
deus  prineipes  \  irtutis  regi  A  iir 
ei  comprehenderu.nl  Manassen  in 
vineulis  ei  ligaveru.nl  eum  in  com- 
pedibus  et  perduxerunl  eum  in  Ba- 
byloniam  et  erat  ligatus  et  catena- 
tus  in  domo  carceris  et  dabatur 
i'i  hordeaceus  panis  ad  mensuram 
modicus  et  aqua  cum  aceto  modica 
ad  mensuram,  ut  vivoret  tantum 
et  erat  constrictus  et  in  doloribus 
valde.  et  ideo  cum  vehementer 
affligeretur,  quaesivit  faciem  domini 
dei  sui  et  oravit  deum  [quae  oratio 
extat]  ei  exaudivit  dominus  vocem 
eius  et  misertus  est  ei.  et  facta 
est  circa  eum  flamma  iguis  et  li- 
quefaeta  sunt  omnia  vineula  eius 
et  liberavit  dominus  Manassen  ex 
omni  tribulatione  eius  et  reversus 
est  in  Jerusalem  in  regnum  suiini 
et  cognovit  dominum  Manasses  di- 
cens:  ipse  est  solus  deus.  et  servivit 
soli  domino  deo  in  toto  corde  suo 
et  in  tota  anima  sua  omnibus  die- 
bus  vitae  suae  et  reputatus  est 
iustus. 


Op.  imp.  p.  632. 

Pqstquam  autem  rediit  a  peregre 
post  tot  menses  et  invenit  eam 
gravidam  manifeste,  forsitan  et  cor- 
poraliter     comminatus     est     quasi 


•  lonstitutionesapostolorum  [1.22. 

mal     '///<<]!     /i'oi,,j    :'.i      (/i'in,    im- 
cir/nriuj     //,     dwduetÜQ     i>,i      ßüOi 

/.t>>:  '  faao'ÖQ,   mal  xaxeXdßovxo  i"> 
Mavaaaffv   ■  i    deofioig   Aal    edyoai 
avxbv  ev  rceöaig  yakmaig  /m    , 
yov  avxbv  elg  BaßvX&va'  mal  iti  i 
uevog  mal  maxaaeaidrjgtofzi  voq  '<<: 
\n7jn  gfvÄamfjg  mal  edtdoxo  avxt 

iiii'uioy    t'ujuu    BV    niidhin]     luir/i  ^ 
/m     VdtOQ   i'ii     i,:;i    oklyOV   tum    lii 

avxbv,  mal  fy>  oweyj&ui  vog  mal  ödi 
viof-ievog  <><j  6doa.  mal  d/gßiaiatg  e&Xi 
ßy,  eCforiae  xo  TtoöowTtov  mvolov  tot 

,'ltor  KL/ oi" . . .  mal  7tooorr6^axo  ngög 
mÖQiov  tbv  S-eov  -  mal  ■-.// 

y.uroi  tfjg  gxüvfjg  avxo€  mtfoiog  xal 
cpmTeiorjOsv  avxöv.  mal  eyevexo  setoi 
avibv  cfXbB,  sevoog,  xal  exdmnaav 
itdvxa  xä  jieol  avxbv  oiör^a-  mal 
idaaxo  mvoiog  xbv  M.avaoofp>  ex 
xfjg  ÜXLipELog  aviov  mal  ETikaxoe- 
ipev  avibv  elg  *Ieqovüu/.iu  enl  nv 
ßaaikeiav  aviov.  mal  eyvto  Ma- 
vaao-fjg  on  mvqiog  aviog  ton  -3-ebg 
(.idvog  mal  ekdxqsvoe  tubr<;>  y.roi<;> 
xcö  &£co  tv  oh]  maodla  aviov  mal 
ev  olfl  xfj  il'oyfj  aviov  jcdoag  tag 
tj/LiEQag  xfjg  Ccofjg  aviov  mal  eko- 
yioSiq  ölmaiog.1 

Protevangelium  Jacobi  c.  13fg. 
i'l'hr  'Iwcrjq)  mcb  xtöv  oly.odof.ion1 
avxofv..  mal  eöqev  avxrp  wymo)[ie- 
vrtv...  mal  emdXeae  n)v  Maoiäj.1 
mal    eucev    avirj    M£U£?^LiEvri    xqS 


1)  Cotelier  bei  Migne  SG  1,  645  fgg.  Sabatier  zu  4  Eeg.  20,  1.  Vgl.  Didas- 
kalia  ed.  Bunsen,  Analecta  Anti-Nicaena  2,  253.  E.  Nestle,  Septuagintastudien  in 
(zum  gebet  Manasses)  Stuttg.  1899.  Boehmer  -  Romundt  s.  375  anm.  Die  altlateiuiscbe 
Übersetzung  kommt  anscheinend  nicht  in  betracht;  vgl.  Haiders  ausgäbe  p.  34,  6 — 15. 


ZUR    FKAGE   NACH   DEN    QUELLEN   DES    OPUS    IMl'KIM 


485 


sponsus  et  de  iudicio  terruit  eam 
quasi  vir  timoratus.  illa  autem 
cum  videret  se  innocenter  in  sus- 
picionem  criminis  decidisse  nee 
posse  se  iam  excusare,  testirnoniu 
ventris  convietam,  cum  lacrimis 
et  suspirio  clamans  iuravit  di- 
cens:  vivit  dominus,  nescio  unde 
sit  hoc.  quo  audito,  timuit  valde 
Joseph  et  ex  parte  credidit,  in  ea 
aliquid  esse  divinum. 

Liegt  bei  der  entlehnung  aus  den  Apostolischen  Constitutionen  eine 
genaue  Übersetzung  vor,  so  hat  der  verf.  des  Op.  imperf.  aus  dem  Prot- 
evangelium  Jacobi  zum  teil  wörtlich  übersetzt,  zum  teil  seine  vorläge 
gekürzt. 

Vergleichen  wir  nun  die  parallelstellen  aus  dem  Op.  imp.  und  dem 
Matthaeus-commehtar  des  Hieronymus,  so  dreht  sich  das  Verhältnis  um: 
Op.  imp.  hat  die  ausführlichere  und  Hieronymus  die  kürzere  Fassung. 
Wörtliche  Übereinstimmungen  sind  nicht  oder  nur  spärlich  wahrzuneh- 
men.    Ich  gebe  einige  beispiele: 


&€(p   zi  ToiTo   sjtoirjuag   mal   Itce- 

?M&OV     Y.VQIOV     TOV     $£OV     OOV\  .  .  .     l] 

ds  t/'/.aiae  7tiy.qwg  Xiyovaa  oxi  /.a- 
S-aQcc  eiiu  iya  v.ai  avdga  or  yi- 
vwo/A').  v.<d  ei7tev  'Ltoorjcp  UoS-ev 
oiv  iorl  rö  ev  Tft  yaotoi  aov\  / 
de   eirtev:    l"/~    /.i'otog  ö    &e6g  fiov, 

OV     yiVWGYAO     7l6d-tV     lözl      TOllO  .  .  . 

ytal  Icpoßiförj  'Icoorjtp  arpödga . . . 
cpoßovfxai  f.i)'j  Ttojg  ayyü.i/.öv  [Icyiov 
var.)  sgti  tu  h>  avTfj. ' 


Op.  imp. 

p.  635  Quidam  ex  hoc  verbo 
putant,  quocl  Joseph  donec  peperit 
quidem  non  illam  habuit  in  coneu- 
piscontia,  postca  autem  cognovit 
eam  et  filios  peperit  unde  et  Chri- 
stum primogeuitum  dicit,  quia  ille 
dicitur  primogenitus,  quem  alii 
Eratres  sequuntur. 

p.  645  omnes  prineipes  consen- 
serunt  Eerodi,  ut  requireret  pue- 
rum  ei  oeeideret. 

p.  646  dum  dicit:  per  prophetas 
nun  prophetam,  manifestal  quöd 
nun  certam  auetoritatem  prophe- 
ti.it-  protulitj  sed  sensum  prophe- 
tarum  colligens  dixit. 


Hieron  v  m  u  3, 
p.  25  ex  hoc  loco  quidam  per- 
uersissime  suspicantur  et  alios 
filios  habuisse  Mariam  dicentes  pri- 
mogenitum  non  dici  nisi  qui  habeat 
et  fratres. 


p.  28  imn  soium  Eerodes  sed  ei 
sacerdotes  ei  scribas  necem  domini 
Euisse  meditatos. 

p.  28  pluraliter  prophetas  voraus 
ostendil  se  nun  verba  de  scripturis 
sumpsisse  seil  sensum. 


1)  Evangelia  apoerypha  sd.  Tisohendorf  p.  24     26.   Prolegg.p.  \W'I.    Boehmer- 
rnrundt  s.  374. 


186 


KAUF] 


j).  658  modo  Interim  sine:  os- 
fcendil  quia  postea  Christus  bapti- 
/;ivi(  Joannem,  quamvis  in  secre- 

tioribus  libris  manifeste  I scriptum 

sit.  et  Joannes  quidem  baptizavii 
illum  in  aqua,  ille  autem  Joannem 
in  spiritu. 

p.    659    non     rupta    est     ei     ipsa 

creatura  caelorum,  scrl  per  baptis- 
nium  oculi  sensus  eius  aperti  sunt. 

p.  665  in  sequontc  domino  non 
infirmitas  sed  patientia  est,  in  du- 
centc  autem  diabolo  non  virtus  sed 
superbia,  quia  volentem  Christum 
non  intelligens  quasi  invitum 
ducebat. 

p.  666  non  do  Christo  dictum 
est  tantum,  sed  de  omni  nomine 
iuxto  quorum  personam  Christus 
suseepit. 

p.  671  propter  honorem  potes- 
tatis. 

p.  689  qui  ergo  doctor  est .  .  . 
si  vel  levia  haec  peceaverit,  ni- 
hil Uli  prodest  sacerdotalis  dignitas 
eins,  sed  proiectus  a  primo  eccle- 
siastico  choro  fit  inter  eos  qui  nee 
in  poena  sunt .  .  . 

p.  694  sed  ne  forte  homines 
humanae  naturae  mysterium  igno- 
rantes  . . .  aestiment  Christum  quasi 
itnpossibilia  ista  mandantein. 

p.  712  omnes  qui  sunt  super 
terram,  solius  dei  facient  uolun- 
tatem,  sicut  angeli  omnes  in  caelo. 

p.  722  non  dixit:  nemo  potest 
habere  deum  et  divitias,  sed:  nemo 
potest  dei  esse  servus  et  divitiarum. 
aliud  est  enim  habere  divitias,  aliud 


I».  30  sine  modo,  a\  o  t<  oderel 
i  liii -tum  in  aqua,  Joannem  a 
Christo  in  spiritu  baptizandum. 


p.  :;i   aperiuntur  caen'  nun  rese- 
ratione  elementorum,  sed  Bpirituali- 

bus  oculi-. 

p.31  non  ex  imbecillitate  domini 
venit,  sed  de  inimici  superbia,  qui 

\oluiilatein   salvatoris  necessitatem 
putat. 


p.  32    non    de   Christo,    sed    de 
viro  saneto  prophetia  est. 


p.  33   ut  victoris  dignitas   com- 

probetur. 

p.  36  (possumus  autem  et  aliter 
intelligere)  quod  magistri  eruditio 
etiamsi  paruo  peccato  obnoxius  sit 
deducat  eum  de  gradu  maximo. 


p.  41  multi . .  putant  esse  impossi- 
bilia  quae  praeeepta  sunt. 


p.  43  quomodo  angeli  tibi  in- 
culpate  seruiunt  in  caelis,  ita  in 
terra  seruiant  homines. 

p.  45  non  dixit:  qui  habet  divi- 
tias, sed  qui  servit  divitiis.  qui 
enim  divitiarum  servus  est,  divitias 
custodit  ut  servus,  qui  autem  servi- 


ZUIJ    FKA.GE    NACH    DEN'    QUELLEN1    DES    OPUS    [MPEBJ 


487 


tutis  excussit  iugum,  distribuit  eas 
ut  dominus. 


autem  servire  divitiis.  si  habes 
divitias  et  divitiae  illae  non  te 
faciunt  süperb  um  aut  violentum, 
sed  secundum  quod  potes,  das  im- 
potentibus,  dominus  es  divitiarum 
tuarum  non  servus,  quia  non 
te  divitiae  tuae  tenent,  sed  tu 
divitias  tuas.  si  autem  divitiae 
tuae  süperb  um  te  faciunt  aut  vio- 
lentum et  constrictus  avaritia  nemini 
aliquid  praestas,  tunc  servus  es 
divitiarum  tuarum,  non  dominus, 
quia  divitiae  tuae  te  tenent,  non 
tu  divitias  tuas. 

p.  743  non  dixit  illis:  discedite 
a  me  qui  operati  estis  iniquitatem, 
sed:  qui  operamini;  quia  iniqui  nee 
post  mortem  desinunt  esse  iniqui, 
quia  etsi  peccare  non  possunt, 
tarnen  peccandi  proposituni  tenent. 

p.  751  humilitatem,  quia  nee  in 
domo  sua  Christum  suseipere  dig- 
nura  se  esse  existimavit.  fidem, 
quia  credidit  eum  posse  quod  petiit. 
sapientiam;  quia  divinum  thensau- 
rum  absconditum  in  agro  terreno  . . . 
nullo  demonstrante  prospexir. 

Diese  reihe  von  parallelstellen  dürfte  genügen.  Es  isl  evident, 
diiss  diese  darlcgungcn  des  ()p.  imp.  nicht  direkt  aus  dem  werke  des 
Hieronymus  herstammen  können.  Ist  dies  ausgeschlossen,  so  müssen 
beide  aus  derselben  älteren  quelle  geschöpft  hahen. 

Nun  ist  bekannt,  wie  Hieronymus  bei  herstellung  seiner  commen- 
tare  verfahren  ist:  his  commentaries  are  mostly  compilations  Crom  others 
(Diction.  of  Christ. , biography  3,49.  Bardenhewer,  Patrologie  s.  133). 
Speziell  den  commentar  zum  Bfatthaeus  hat  er  in  II  tagen  in  höchsl 
flüchtiger  fassung  diktiert  (cfr.  Epist.  7."»,  10).  Wer  wollte  in  diesem 
weik  nach  selbständigen  combinationen  fahnden? 

Quellenmässige  abhängigkeil  des  Op.  imp  von  dem  elaboral  des 
flieronymus    wäre    nur    bei    wörtlicher    Übereinstimmung    umfang- 


p.  49  non  dixit:  qui  operati  estis 
iniquitatem,  oe  videretur  tollere 
poenitentiam ,  sed:  qui  operamini; 
hoc  est  qui  usque  in  praesentem 
horam  cum  iudicii  tempus  advenerit 
licet  non  habeatis  facultatem  pec- 
candi, tarnen  adhuc  habetis  affectum. 

p.  51  fidem  in  eo,  quod  credidit 
ex  gentibus  paralyticum  a  saluatore 
posse  sanari.  humilitatem,  quod 
se  iudieavit  indignum,  cuius  tec- 
tum  dominus  intraret  prudentiam, 
quod  intra  corporis  tegmen  divini- 
tatem  latentem  uideret. 


ISN  KM   II 

reicher  partien  zu  erweisen.  Wenn  Boehmer-Romundl  376  be- 
hauptet, uns  dem  Matthaeuscommentar  des  Hieronymui  habe  dei  rerf. 
des  Op.  imp.  stillschweigend  gros  e   abschnitte   meisl   ganz  wörtlich 

;d>gosohriohon,  so  fohlen  hierfür  die  belege.  Boehmer-Romundl  hal  nur 
die  eine  partie  p.  7!)()  beigebracht.  Damii  hal  es  aber  eine  besondere 
bewandtnis. 

Ks  handelt  sich  am  die  parabel  Matth.  KU,  43 ff.  (cum  immundu 
spiritus  exierit  ab  nomine).  Im  Op.  imp.  wird  folgendes  au  geführt: 
der  anreine  geisl  verlüssl  don  nionsehon,  wenn  or  auf  den  Damen 
Christi  getauft  wird.  Der  unreine  seist  treibt  sich  anter  denen  um- 
her, die  noch  nicht  taufe  und  bekenntnisforme]  empfangen  haben  (aut 
gentiles  aut  catechumeni) ;  er  wütel  aber  am  schlimmsten  in  den  b 
Christen,  die  don  heiligen  geist  nicht  in  sich  haben:  rerum  experwnmta 
nos  docent,  <//i<>»todo  Christianus  si  malus  evaserit  peior  sit  quam  si 
fuisset  gentilis.  Aul'  diese  werte  folgt  unmittelbar  die  verblüffende  be- 
merkung:  haec  jiarabola  melius  intelligitur  de  Judaeis  et  gentüibus. 
Mit  andern  worten:  jene  ausführungen  seien  nicht  haltbar.  AJso  nicht 
der  verf.,  sondern  ein  interpolator  hat  hier  das  wort  und  dieser,  nichl 
jener  hat  die  von  Boehmer-Romundt  angezogene  stelle  aus  Hieronymus 
abgeschrieben. 1 

P.  791  wird  fortgefahren,  als  wäre  das  interpolierte  Zwischenstück 
nicht  vorhanden,  und  als  gälte  es,  den  eigentlichen  typus  des  bösen 
Christen,  den  ketzer,  zu  brandmarken.  Auch  diese  stelle  findet  bei 
Hieronymus  ihre  entsprechung,  aber  die  unmittelbar  aufeinanderfolgen- 
den partien,  die  jüngere  interpolation  und  die  ausführungen  dos  alten 
autors  ergeben  merkwürdige  contraste,  wenn  wir  sie  mit  den  parallel- 
stellen des  Hieronymus  vergleichen. 

Op.  imp.  Hieronymus. 

p.  790  interpoliert:   (haec  parabola 
melius  intelligitur  de  Judaeis  et  gentüibus) 

ex  eo  enim   imod  finita  vel  parabola  vel  p.  83  ex  eo  ciiim  quod  finita  vel  para- 

exemplo  sequitur  dicens:  sie  erit  genera-  bola  vel  exemplo  sequitur:  sie  erit  et 
tioni  buic  pessimae  compellitur  ad  popu-  geuerationi  liuie  pessimae,  compellinror 
lum  Judaeorum  referre  parabolam,  ut  (non  ad  haereticos  et  quoslibet  homincs 
intellectus  loci  non  vagus  aut  instabilis  sed)  ad  Judaeorum  populum  referre  para- 
iu  diverso  flexu  atque  contradictionibus  bolam  ut  contextus  loci  non  passivus  et 
aliquorum  turbetur,  sed  firmus  et  stabilis  vagus  in  diversum  tluctuet  atque  insipien- 
vcl  ad    priora  vel  ad   posteriora  respon-      tium  more  turbetur  sed  haerens  sibi  vel 

1)  Ebenso  verhält  es  sich  vielleicht  mit  der  glossc:  mammonae  com  syriaca 
lingua  divitiae  appellantur  p.  722  =  memmona  scni/one  syriaco  divitiae  nuneupantur 

Hieronymus  p.  44. 


ZTJB    Fl.'.v.i:    KACH    DEN    "i  FELLEN    DES    OPUS    ttTPERFECTUM 


489 


deat.  vere  enim  immundus  Spiritus  a 
Judaeis  exivit,  quando  facta  est  portio 
domini  populus  ipsius  Jacob  funiculus 
hereditatis  Israel  (Deut.  32,  9)  vel  quando 
acceperunt  legem,  expulsus  autem  a 
Judaeis  ambulavit  per  aridas  gentes,  sed 
requiem  sibi  non  potuit  invenire  in  eis... 
non  inveniens  autem  requiem  in  gentibus 
dixit:  reuertar  in  domum  meam  unde 
exivi.  habebo  Judaeos  quos  ante  dimi- 
seram. 

Et  veniens  invenit  vaenam  quoniam 
iam  dominus  non  erat  in  eis  sed  nee 
Spiritus  seeundum  quod  dictum  fuerat  de 
eis:  ecee  relinquetur  vobis  domus  vestra 
deserta  (Luc.  13,  35).  videns 1  autem  eos 
diabolus  mundatos  verbis  scientiae  dei  ab 
ignorantia  quasi  quibusdam  spiritualibus 
scopis,  ornatos  autem  observationibus  legis 
propterea  assumens  seewn  septem  Spiri- 
tus nequiorcs  sc,  seeundum  quod  supra 
tradidimus,  habitavit  in  eis.  et  facta  sunt 
posteriora  populi  illus  peiora  prioribus 


Dieser  stelle  ganz  analog  ist 
p  Sil  Templum  autem  dei  speluncam 
facit  latronum,  qui  lucra  terrena  et  illi- 
eita,  non  etiam  spiritualia  in  animarum 
salutem  seetatur.  eultusque  religionis  eo 
modo  non  tarn  eultus  dei  est  quam  iniquae 

i otiationis    occasio.     nain    quotidie    in- 

greditur  Jesus  in  templum  suum  (id  est 
in  sanetam  ecolesiam)  ei  eiicil  omnes  ven- 
dentes  gratiam  dei  de  ecclesia  episcopos 
presbyteros  diaconos  omnesque  ecolesiasti- 
eos  nociion  et  laicos,  quia  unius  criminis 
habentur  pariter  dei  dona  vendentes  et 
ementes,  quia  scriptum  est  gratis  ac- 
cepistis,  gratis  date. 

Cathedras  quoque  columbas  vendentium 
evertit,  ut  lionor  quoque  sacerdotalis 
auferri  ab  eis  doceret,  qui  pro  terrona 
mercede  opus  dei  Eaciendum  oxistimant. 
quod  igitur  de  ecclesiasticis  diximus,  hoc 


ad  priora  vel  ad  posteriora  respondeat. 
immundus  Spiritus  exivit  a  Judaeis  quando 
acceperunt  legem  et  ambulavit  per  Loca 
arida  quaerens  sibi  requiem.  expulsus 
videlicet  a  Judaeis  ambulavit  per  gentium 
solitudines  quae  quum  postea  domino  ere- 
didissent  ille  non  inveuto  loco  in  natio- 
nibus  dixit:  revertar  in  domum  meam  unde 
exivi.  boc  est  abibo  ad  Judaeos  quos  ante 
dimiseram. 

Et  null  äs  invenit  vaeantem,  scopis 
mundatam  et  ornatam.  tune  vadit  et 
assumit  septem  alios  spi/ritus  secum 
nequiores  sc  et  intrantes  habitant  ibi... 
vacabat  enim  templum  Judaeorum  et 
Christum  hospitem  non  habebat  dicen- 
tem  ...  dimittetv/r  vobis  domus  vestra 
deserta.  quia  igitur  et  dei  et  angelorum 
praesidia  oon  habebant  et  ornati  erant 
superfluis  observationibus  legis  et  tradi- 
tionibus  Pharisaeorum  revertitur  diabolus 
ad  sedem  suam  pristinam  ei  septenario 
sibi  aumero  daemonum  addito  babital 
pristinam  domum  et  fiunt  illius  populi 
novissima  peiora  prioribus. 
eine  zweite: 

Templum    dei    in    latronum    coavertil 

speemn,    qui  lucra  'I"   religio! statur 

eultusque  eius  non  tarn  eultus  dei  quam 
negotiatimiis  occasio  est... 

quotidie  Jesus  ingroditur  templum  pa- 
tris  et  eiieit  omnes  tarn  episcopos  ei 
presbyteros  ei  diaconos  quam  laicos  ei 
universam  turbam  de  ecclesia  sua  ei  unius 
criminis  babel  vendentes  pariter  ei 
tes.  scriptum  est  enim:  gratis  aeeepistis, 
gratis  datt  .  . . 


cathedrasque     vendentium      coli  i 

i ,     qui    vendunl     gratiam     spiritus 

saneti ...  in  cathediis  magistroruin  dignitas 

Lndicatur,  quae  ad  nibilum  redigitur,  quum 

mixta    fuerit    luciis.     quod    d iclesiis 


1)  Vgl.  hierzu  im  folgenden  unter  p.  791. 


490 


KAUFl 


ilr  mihi  .     nun  quisque    de     e    inti 
dicit  enim  apostolu  i  U  mpltvm 

ili  i    i  I       !>,,  ihi         ,,,,<  tU       hul/llnl    in 

non  :  it  in  domo   pectoris  no 
tiatio,  nun  ementium  rondentiumque  com- 
mercia,  nun  donorum  cupiditas,  ne 
diatai  Jesus  iratus  h  •  qod  aliter 

mundet  templum  Buum  mi  flagello  ad- 
bibito  nt  de  Bpelunca  latronum  et  de 
domo  negotiationis  domum  Munis. 


unusquisque  de  e  intelligat  dich1  enim 
apostolu  vo  ' ■■/'■  templum  </ri  vi/vi  et 
apiritus  sa/nctus  hdbitai  m  vobis. 

nun     :-it     igitur     in     domo     peotoiis     tili 

negotiatio  illicita.  niln'l  boni  quod  faoimus 
vel  faoere  poi  ornus  adjuvante  domino 
appetita  jactantiae  faciamus  nun  b 
lui'ii  « ■  •  ■  1 1 < - 1 1 1 •  i  'uiitia,  .nun  malarum  cupi- 
ditate  rerum,  ne  ingredi&tur  Jesus  iratus 
;idus  et  nun  aliter  omundct  templum 
suum  nisi  flagello  adbibito  (id  est  correc- 
tione  gravissima)  de  spelunca  latronum 
(id  est  de  habitaculo  daemonum  per  usum 
iniquae  cupiditatis)  et  de  domo  negotia- 
tionis  (id  est  de  corde  teiTcni  lucri  in- 
hiante)  suae  faciat  domum  habitatioDis. 

Es  ist  nun  gewiss  kein  zufall,  dass  gerade  diese  aus  dem  Matthaeus- 
commentar  des  Hieronymus  abgeschriebenen  interpolationen  in  den  alten 
handschriften  des  Op.  imp.  noch  nicht  stehen.  Besonders  bemerkens- 
wert ist  es,  dass  p.  840 fg.  die  alten  Codices  mit  anführung  von  Matth. 
XXI,  13  unmittelbar  v.  14  verbinden  und  840,  41  —  841,  36  nicht  über- 
liefern. 

Bei  p.  790  verhält  es  sich  mit  der  Überlieferung  so,  dass  für  diesen 
teil  des  werkes  überhaupt  keine  alten  textzeugen  bekannt  sind,  die 
aiitonticität  also  von  vornherein  strittig  ist.  Die  abhängigkeit  von  Hiero- 
nymus entscheidet  vollends  für  die  unechtheit,  was  um  so  eher  ein- 
leuchtet als  in  der  folgenden,  vermutlich  echten  stelle  von  solcher  ab- 
hängigkeit nicht  die  rede  sein  kann. 

Op.  imp.  Hieron v mus. 

p.  791  [Accedentes  autem  possu-  p.  84.  Quidani  istum  locum  de 

haereticis  dictum  putant,  quod  im- 
mundus  spiritus  qui  in  eis  antea 
habitaverat  quando  gentiles  erant 
ad  confessionem  verae  fidei  eiieiatur: 
postea  vero  cum  se  ad  haeresim 
transtulerint  et  simulatis  virtutibus 
ornaverint  domum  suam,  tunc  aliis 
septem  nequam  spiritibus  adjunetis 
revertatur  ad  eos  diabolus  et  habitet 
in  illis  fiantque  novissima  eorum 
peiora  prioribus.  multo  quippepeiori 
conditione  sunt  haeretici  quam  gen- 


mus  aedificationis  gratia]  etiam  ad 
haereticos  transferre  sermonem.  im- 
mundus  enim  spiritus,  qui  in  eis 
ante  habitaverat,  quando  gentiles 
erant,  eiectus  est  quando  facti  sunt 
Christian!;  qui  perambulans  gen- 
tiles caeteros  et  non  inveniens  apud 
eos  requiem,  credentibus  videlicet 
seeundum  tempora  et  ipsis  in  Christo, 
reversus  est  in  eos  quos  possederat 
ante,  inveniens  autem  eos  vaeuos 
a  spiritu  saneto,   vaeuos  a  timore 


ZUK  FRAGE  NACH  HEX  QUELLEN  DES  OPUS  IMPERFE' TUM  493 

dei  et  operibus  bonis  . . .  inveniens      tiles  quia  in  Ulis  spes  fidei  est  et 

eos  mundatos  scopis  .  .  et  ornatos     in  istis  pugna  discordiae. 

institutionibus  apostolicis:  assumsit 

secum  alios  Septem  spiritus  nequi- 

ores  et  inhabitavit  in   eis  et  facta 

sunt  nouissima  haereticorum  peiora 

prioribus.  haereticos  gentibus  esse 

peiores  dubitat  nemo,  prinium  quia 

gentiles  per  ignorantiam  Christum 

blasphemabant,      haeretici      autem 

scientes   Christi    laniant  veritatem. 

deinde  quia  in  illis  vel  spes  fidei 

est,  in  istis  autem  incessabilis  pugna 

et  discordia. 

Für  diese  zweite  stelle  wäre  denkbar,  dass  Hieronymus  aus  dem 
Op.  imp.  geschöpft  habe.  Ich  mache  darauf  aufmerksam,  dass  er  den 
ganzen  passus  mit  quidam — putant  einleitet.1  Ganz  unmöglich  aber  ist 
es,  den  Wortlaut  von  Op.  imp.  aus  Hieronvmus  abzuleiten,  denn,  von 
allem  andern  abgesehen,  dieser  gelehrte  hat  den  zweiten  abschnitt  vor 
dem  ersten  und  hat  seiner  darlegung  noch  ein  geleitwort  beigegeben, 
das  allem  andern  nur  nicht  einer  empfehlung  gleichsieht.  Er  schliessl 
nämlich  das  citat  ab  mit  der  bemerkung:  quura  haec  intelligentia 
plausum  quemdam  et  colorem  doctrinae  praeferat,  nescio  an 
habeat  veritatem.  Für  den  vcrf.  des  Op.  imp.  bildet  aber,  was  in 
den  äugen  des  Hieronymus  beinahe  eine  ketzerei  war,  die  eigentliche 
Substanz  seiner  parabeldeutung. 

Meine  behauptung,  der  verf.  des  Op.  imp.  habe  nicht  den  Matthaeus- 
commentar  des  Hieronvmus  benützt,  sondern  ein  älteres  werk,  das  auch 
dem  Hieronymus  vorgelegen  hatte,  dürfte  hiermit  erwiesen  .sein. 

1)  Ähnlich  an  anderm  Ort;  z.  b.  p.  728:  tale  sunt  etievm  Ghristiani  </ni  .  .  . 
revertuntur  ad  vomitivm  stwm  .sie///  canes  etc.  cum  quidam  eanes  eos  intelligi 
uolunt,  qui  post  fidem  Christi  reuertivntur  u<l  vomitum  peccatorum  sicir.u//  etc. 

Hieronymus  p.  47. 

KIEL.  -  FRIEDRICH    KM  FEM  \w 


492 


ZU  DEN  QUELLEN   HEINEICH   MJFRINGE] 

Der  erst  in  unseren  tagen  ans  Lichl  gezogene  mittelalterliche  dichtei 
Heinrich  Kaufringer  biete!  dem  foi  eher  in  mancher  hinsichl  rätsei, 
am  meisten  aber  in  bezug  auf  seine  quellen.  Obwol  ei  eine  anzahl  von 
schwanken  verarbeitete,  die  lange  vor  ihm  oder  zu  seiner  zeit  circu- 
lierten,   so   liat   sich   doch   keine  einz  i    vorlagen  mit  Bicherheil 

nachweisen  lassen.  A.ber  freilich  grosse  anstrengungen  eine  quellen 
aufzufinden,  sind  noch  nichl  gemacht  worden.  Der  einzige,  der  sich 
eigens  damit  befassi  hat,  Karl  Euling,  hat  es  mit  seiner  aufgäbe  ei 
leicht  genommen.  Zwölf  jähre  nach  seiner  ausgäbe  von  17  gedienten 
Eaufringers  (1*8N)  veröffentlichte  er  eine  schon  damals  angekündigte 
monographie  über  den  dichter  (Vogt,  Germ.  abhandL,  XVIII.  lieft,  Breslau 
1900),  worin  52  seiten  allein  den  quellen  seiner  bekannten  dichtungen 
(27  an  der  zahl)  gewidmet  sind,  aber,  mit  ausnähme  der  gedichte  nicht- 
erxahlenden  inhalts,  hat  er  betreffs  der  quellen  so  gut  wie  nichts  er- 
mittelt. Zu  den  19  schwanken  Kauf'ringers  hat  er  eine  bald  grössere, 
bald  kleinere  anzahl  von  näheren  oder  entfernteren  parallelen  zusammen- 
getragen, Wobei  er  die  bekannten  arbeiten  von  Dunlop-Liebrccht.  Benfey, 
Oesterley,  Reinhold  Köhler,  Bolte,  Bedier  und  andere  in  ausgiebiger 
weise  benützte,  aber  gleichwol  ist  es  ihm  nicht  geglückt,  von  einem 
schwank  die  quelle  wirklich  festzustellen.  Seine  Zusammenstellungen 
sind  zwar  nicht  ohne  wert  für  die  geschichte  einzelner  stoffe1  und  auch 
die  von  ihm  beobachtete  methode,  für  die  wol  ein  teil  der  oben  ge- 
nannten gelehrten  vorbildlich  war,  ist  nicht  zu  verwerfen,  aber  Euling 
hat  in  zwei  dingen  gefehlt:  er  hätte,  über  seine  hilfswerke  hinaus- 
strebend,  selbsttätig  in  der  mittelalterlichen  dichtung  nach  den  quellen 
suchen  und  öfters  seine  hilfswerke  fleissiger  und  sorgfältiger  benutzen 
müssen.  Ich  führe  für  letzteres  sofort  ein  beispiel  an.  S.  93  sagt  Euling 
bei  dem  schwank  (18)  'Das  üble  weib',  bei  dem  seine  nachweise  ganz 
besonders  ärmlich  ausgefallen  sind:  „Eine  ältere  entsprechende  quelle 
Kaufringers  ist  nicht  bekannt.  Nahe  steht  ihr  eine  kurze  anekdoten- 
hafte lateinische  fassung  bei  Stiefel  (Hans  Sachsforschungen)  s.  130 .  der 
ohne  beweis  orientalischen  Ursprung  annimmt."  Es  ist  wirklich 
belustigend,  wie  Euling  gerade  in  dem  augenblick  einem  anderen  eine 
Zurechtweisung  zu  teil  werden  lässt,  wo  er  selbst  eine  probe  ungenügen- 
der Sachkenntnis  liefert.     Ich  hatte    es   gewiss    nicht  mehr    nötig,   den 

1)  Reichhaltige  nachweise  späterer  bearbeitungen  der  einzelnen  stoffe  gibt  Arthur 
L.  Jellinek  in  seiner  besprechung  der  Eulingschen  monographie  Euphorion  IX.  s.  15S 
bis  168. 


DEN    QUELLEN    HEINRICH   KAUFRINGERS  493 

orientalischen  Ursprung  des  schwankes  zu  beweisen,  nachdem  der  so 
stark  von  Euling  benutzte  Benfey  es  erschöpfend  Pantschatantra  I. 
s.  519  —  534  getan  hatte.  Der  ungemein  verbreitete  schwank  rindet  sieh 
schon  in  der  Qucasaptati  (45.  und  46.  nacht)1.  Die  von  Euling  an- 
gezogene lateinische  version  ist  von  Abstemius,  wie  ich  1.  c.  angegeben 
habe  (cf.  Benfey  s.  526),  kommt  bei  Kaufringer  also  nicht  in  betracht. 
Über  anderweitige  Verbreitung  der  erzählung  und  über  die  litteratur 
vgl.  Benfey  s.  534.  Ich  würde  mich  mehrfach  ergänzend  zu  Benfey 
und  zugleich  über  das  Verhältnis  älterer  Versionen  zu  Kaufringer  hier 
äussern,  wenn  ich  nicht  wüsste,  dass  von  anderer  seite  eine  ausführ- 
liche arbeit  über  den  stoff  in  angriff  genommen  worden  ist.  —  Ich  lasse 
gleich  noch  ein  paar  beispiele  von  der  flüchtigkeit  und  ungenauigkeit 
Eulings  folgen.  S.  91  sagt  er  bei  dem  schwank  nr.  15  'Weiberlist': 
„In  die  übrige  europäische  litteratur  aber  gelangte  die  altindische  novelle 
auf  dem  gewöhnlichen  wege  über  Spanien.1'  Dass  Spanien  „der 
gewöhnliche  weg"  ist,  auf  dem  die  altindischen  erzählungsschätze 
nach  Europa  gelangten,  ist  nicht  erweislich.  Dieses  land  war  durch 
seine  arabische  bevölkerung  wol  einer  der  vermittelungswege,  aber  sicher- 
lich nicht  der  gewöhnliche.  Unstreitig  wurden  dem  abendlande  durch 
die  kreuzzüge  weitaus  mehr  stoffe  vermittelt,  und  seit  dem  Mongolen- 
einfall  ist  mindestens  ebenso  viel  wie  von  Spanien  von  Osteuropa  her 
zugeflossen.  —  Bei  der  ersten  erzählung  Kaufringers  'Der  einsiedler  und 
der  engel",  bei  der  8.  'Das  glückliche  ehepaar'  und  bei  der  II.  fDie 
unschuldige  mörderin'  nimm!  Euling  einen  Zusammenhang  mit  den 
Gesta  Romanorum  an.  Ich  halte  einen  solchen  für  vollständig  aus- 
geschlossen. Für  nr.  14  sagt  Euling  selbst,  dass  sie  „sich  in  einer  eng- 
lischen version  erhalten"  habe.  Ich  bemerke  dazu,  dass.  genau  aus- 
gedrückt, die  erzählung  nur  in  einer  englischen  handschrifl  (Brit. 
Museum  Add.  9066  sub  nr.  77)  und  sonst  in  keiner  englischen,  latei- 
nischen und  deutschen  Gesta- handschrifl  zu  finden  ist.  Ich  brauche 
keinem  kenner  zu  sagen,  dass  jene  englische  handschrift  viele  fremde, 
zu  dem  eigentlichen  Gesta- bestände  nicht  gehörende  stücke  enthält. 
Dazu  ist  auch  die  vorliegende  erzählung  zu  rechnen  sowie  die  unmittel- 
bar darauffolgende  (nr.  78),  welche  die  bekannte  erzählung  vom  hunde 
des  Aubrj  (Dog  of  Montargis)  enthält.  Heide  aummern  und  noch  einige 
andere  haben  sich  in  der  handschrifl  nicht  sowol  „erhalten"  als  viel- 
mehr hinein  verirrt  und  ihr  einmaliges  auftreten  berechtigl   nicht  dazu, 

1)  Im  „Textus  sünplicior",  in  der  Übersetzung  von  Richard  Schinidl  (Ziel  1894) 
3.66  —  68.  Im  Textus  ornatior  sind  es  die  55.  und  56.  erzählung,  in  der  übersei  ong 
von  R.  Schmidt  (Stuttgarl   L899)  s.  L32      L35 


494  RTIEFKL 

sie  zum  erzählungsschatze  der  Gesta  Romanorum  zu  rechnen.  Was  die 
beiden  anderen  erzäblungen  anbelangt,  so  isl  gewiss  nichl  daran  zu 
(lenken,  dass  der  bayrisch -schwäbische  volkssänger  aus  den  lateinischen 
<;.  K  schöpfte,  denn  nirgends  zeigt  er  eine  spur  von  kenntnis  der  spräche 
Roms.  Da  aber  die  in  betracht  kommenden  capitel  56  und  80  des 
vulgärtextes  nicht  in  einer  einzigen  handschrifl  der  deutschen  G 
Romanorum  vorkommen,  so  muss  dieses  mittelalterliche  fabelbuch  als 
quelle  Kaufringers  ausscheiden. 

Bei  solcher  flüchtigkeil  in  seinen  quellenforschungen  kann  läuling 
nicht  erwarten,  dass  man  den  darauf  gebauten  Schlüssen  immer  bei- 
pflichte. So  bestreitet  er  z.  1).  moine  in  den  Hans  Sachsforschungen 
s.  91  aufgestellte  behauptung,  dass  Kaufringer  in  seinen  schwanken 
ältere  dichtungen  zur  vorläge  hatte.  Die  sache  geht  ihm  so  nahe, 
dass  er  sich  zweimal,  s.  41  und  s.  59  dagegen  wendet.  Wie  widerleg! 
er  sie  aber?  S.  59  begnügt  er  sich  zu  sagen  „es  haben  sich  anhalts- 
punkte  dafür  nicht  ergeben;  im  gegonteil  deutet  die  arbeitsweise  des 
dichters,  wo  sie  zu  verfolgen  ist,  auf  prosaische  schriftliche  oder 
mündliche  quollen  hin.'1  Die  arbeitsweise  des  dichters  deute  auf 
bestimmte  quellen  hin!  Aus  der  arbeitsweise  sei  zu  ersehen,  dass  er 
keine  dichtungen,  sondern  prosaische  und  sogar  dass  er  jetzt  schriftliche, 
dann  mündliche  quellen  gehabt  habe?  Alles  das  aus  der  arbeitsweise? 
Ich  gestehe,  dass  ich  der  dunklen  rede  sinn  nicht  erfasse.  Oder  meint 
Euling  etwa,  dass  soweit  er  bis  jetzt  Kaufringer  quellen  nachzuweisen 
vermochte,  es  immer  nur  prosaische  gewesen  seien?  Prosaische  schrift- 
liche wol.  Aber  wie  will  er  denn  mündliche  quellen  nachweisen?  Und 
damit  will  er  mich  widerlegt  haben?  Hält  Euling  überhaupt  seine 
quellenuntersuchungen  für  endgiltig  in  dem  sinne,  dass  damit  meine 
ansieht  haltlos  wird?  Er  fasst  s.  98  seine  quellenforschungen  in  folgen- 
der weise  zusammen:  „Kaufringers  quellen  sind  die  predigt,  die  reich 
entwickelte  mystische  litteratur,  das  ihn  umgebende  leben,  Zeitgeschichte 
und  gleichzeitige  kulturzustände  (?)  und  vor  allem  wandernde  novellen- 
und  legend enstoffe,  die  teils  durch  Gestasammlungen,  teils  durch  münd- 
liche Überlieferung  wahrscheinlich  aus  dem  romanischen  Süden  nach 
Bayern  gekommen  waren."  Nachdem  ich  nur  für  die  schwanke 
ältere  dichtungen  als  quellen  annehme,  ist  hier  alles  bis  auf  die  wan- 

1)  Auf  der  gleichen  seite  sagt  Euling  in  einer  fussnote:  „S.  103  (der  Hans 
Sachsforschungen)  wird  er  (Kauf ringer)  ' Kaufering '  genannt."  —  Ich  bemerke  hierzu: 
der  uaine  des  dichters  kommt  in  meiner  arbeit  sechsmal  richtig  und  einmal  durch  ein 
druckversehen  zu  'Kaufering'  entstellt  vor,  letzteres  s.  103,  nachdem  er  drei  zeüeu 
vorher  richtig  gedruckt  steht.    Was  will  also  Euling  mit  der  bemerkung? 


ZU    DEN    QUELLFA*    HKINBICH    KAITTtlXGERS  495 

dornden  novellen-  und  legendenstoffe  usw.  zu  streichen.  Denn  deutsche 
predigten,  mystische  deutsche  litteratur  usw.  bildeten  die  quellen  der 
nichterzählenden  gedichte  Kaufringers.  Dass  er  bei  diesen  etwa  dich- 
tun  gen  zur  vorläge  hatte,  kam  mir  nicht  einen  augenblick  in  den  sinn, 
behaupten  zu  wollen.  Leider  sind  aber,  wie  ich  oben  sagte,  mit  den 
([Hellen  der  nichterzählenden  gedichte  Kaufringers  Eulings  quellen- 
ermittlungen  so  ziemlich  zu  ende.  Dass  die  Gcsta  bei  dem  bayrisch  - 
schwäbischen  dichter  wegfallen  müssen,  habe  ich  schon  oben  gezeigt. 
Dass  dieser  gerade  vom  romanischen  süden  d.  h.  von  Italien  seine  Stoffe 
empfing  (cf.  Euling  s.  72fgg.)  ist  nicht  erweisbar.  Trotz  der  verschiedenen 
von  Euling  mit  fleiss  zusammengetragenen  belegstellen  über  beziehungen 
zwischen  Italien  und  Bayern -Tyrol,  die  aber  doch  nur  die  möglichkeit 
eines  litterarischen  einflusses  vom  süden  her  darlegen,  weist  eben  die 
ganze  art  der  Kaufringerschen  Schwankdichtung  mehr  nach  Frankreich 
als  nach  Italien.  Natürlich  ist  an  eine  direkte  einwirkung  französischer 
dichtungen  auf  Kaufringer,  der  in  keinem  seiner  gedichte  auch  nur  die 
geringste  bekanntschaft  mit  dem  französischen  idiom  verrät,  nicht  zu 
denken.  Seine  vorlagen  waren  meines  erachtens  meist  deutsche  be- 
arbeitungen  französischer  fableaux,  wie  sie  lange  vor  ihm  in  deutschen 
gauen,  sei  es  handschriftlich,  sei  es  durch  spielleute,  verbreite!  wurden. 
Über  diese  fableaux  und  ihre  nachbildungen  möchte  icli  nur  ganz  kurz 
auf  folgende  punkte  hinweisen,  die  teils  als  allgemein  bekannt,  teils  als 
leicht  nachweisbar  gelten  dürfen:  Die  zahl  der  fableaux  war  eine  un- 
gemein grosse  und  es  ist  nur  ein  kleiner  teil  davon  erhalten.  Eine  anzahl 
von  fableaux  existiert  nur  noch  in  jüngeren  französischen  prosaischen 
nacherzählungen  oder  in  älteren  deutschen,  italienischen  oder  englischen 
nachbildungen.  Auch  von  den  deutschen  bearbeitungen  französischer 
schwanke  ist  nur  noch  ein  geringer  teil  vorhanden.  Von  vielen  fableaux 
circulierten  verschiedene  mehr  oder  weniger  von  einander  abweichende 
Versionen.  Wie  bei  fast  allen  von  Gallien  nach  Deutschland  gewanderten 
dichtungen,  seien  es  grössere  oder  kleinere,  sind  auch  bei  den  fableaux 
vornehmlich  litterarische  quellen  anzunehmen.  Der  prosaschwank  tritt 
im  mittelalter  gegenüber  dem  gereimten  ganz  bedeutend  zurück.  Seine 
hauptverbreitung  findet  er  in  den  predigten,  in  den  Qesta  Romanorwn 
und  anderen  lateinischen  moralischen  unterhaltungsschriften ,  wie  I>/s- 
ri/dt'na  ckricalis,  Tntctaliis  de  d/'rersis  historiis  Romanorum  (1326)  usw. 
Hierzu  kommt  noch  die  Historia  Septem  sapientum,  die  aber  gleich 
der  Diseiplina  clericalis  in  der  spräche  Frankreichs  bald  das  gewand 
des  verses  annimmt.  In  der  rulgärsprache  hat  die  prosaerzählung  an- 
fänglich wenig  boden.     Die  Contes  moralises  des  Nicole  Bozod  \\  t.  Jh.), 


496  STlF.n  i 

die  dazu  meisl  fabeln  und  nur  wenige  chwänke  enthalten,  ind  selbst 
für  die  späte  zeit  eine  ziemlich  vereinzelte  erscheinung.  S\n  »ehr  I 
sani  entwickelte  sich  die  prosanovelle  aus  der  auflösung  poetischer 
originale,  so  /..  I».  die  novelle  des  L3.  jahrhunderl  Du  rot  constanl 
l'empereour,  die  prosa  Ami  et  Amile  und  dgl.  mehr.  Doch  handeil  e 
sich  in  diesen  wie  ein  paar  anderen  fällen,  so  bei  der  Contesst  dt  Port- 
litten,  heim  Iloi  Flore  et  In  belle  Jeanne  nicht  um  schwanke,  sondern, 
streng  genommen,  um  kleine  ernste  romane. 

Ziehen  wir  die  consequenzen  aus  diesen  kurzen  andeutungen  für 
Kaufringer,  so  darf  wo]  behauptel  werden,  dass  seine  quellen  vor- 
nehmlich in  der  von  Gallion  zugeströmten  roichen  deutschen  schwank- 
litteratur  zu  suchen  sind,  von  der  sich  indes  nur  ein  kleine]'  teil  er- 
halten hat.  Manche  seiner  vorlagen  werden  sich  uns  daher  sicherlich 
immer  entziehen,  während  ich  bei  anderen  die  hofihung  noch  nicht  auf- 
gegeben habe,  dass  eifrige  nachforschung  von  erfolg  gekrönl  sein  wird, 
wenigstens  insofern  als  sie  das  einstige  Vorhandensein  einer  solchen  quelle 
mit  einiger  Sicherheit  nachweisen  wird. 

Was  den  eintluss  italienischer  schwanke  auf  deutsche  erzähler  an- 
belangt, so  ist  er  vor  dem  auftreten  der  grossen  italienischen  novellisten 
um  die  mitte  und  am  ende  des  14.  Jahrhunderts  meiner  ansieht  mich 
ausgeschlossen.  Er  dürfte  sich  in  der  hauptsache  erst  zu  beginn  des 
15.  Jahrhunderts  einigermassen  geltend  gemacht  haben.  Mit  Sicherheit 
lässt  sich  daher  für  keine  erzählung  Kaufringers  „der  romanische  Süden" 
als  heimat  bezeichnen;  es  liegt  auch  keine  zwingende  notwendigkeit 
dazu  vor.  Gleich wol  will  ich  die  möglichkeit  zugeben,  dass  der  eine 
oder  andere  schwank,  so  vielleicht  nr.  18  (Das  üble  weib)  von  Italien 
kommend,  sich  in  Deutschland  verbreitet  und  Kaufringer  bekannt  ge- 
worden sei.  Eine  direkte  entlehnung  aus  der  italienischen  litteratur 
seitens  Kaufringers  bleibt  natürlich  auch  ausser  betracht. 

Nach  Frankreich  aber  als  ihrer  eigentlichen  heimatstätte  weisen 
meines  erachtens  die  schwanke  2  (Der  bekehrte  Jude),  4  (Der  bürger- 
meister  von  Erfurt  usw.),  5  (Der  zurückgegebene  minnelohn),  7  (Der 
beichtvater  als  postillon  d'amour),  9  (Chorherr  und  schusterin),  10  (Die 
zurückgelassene  bruch),  11  (Die  drei  betrogenen  ehemänner),  12  (Der 
zehnte  von  der  minne),  13  (Die  Vergeltung)  und  14  (Die  unschuldige 
mörderin).  Aber  eines  darf  man  dabei  nicht  vergessen:  als  Kaufringer 
an  die  bearbeitung  dieser  schwanke  ging,  waren  sie  schon  1 — 2  Jahr- 
hunderte in  Deutschland  in  circulation,  und  dass  sie  sich  während  dieser 
langen  Wanderung  nicht  immer  in  ihrer  ursprünglichen  gestalt  erhielten, 


ZU   DEN   QUELLEN    HEINRICH   KAUFRINOERS  497 

liegt  auf  der  band.  Wenn  wir  daher  nicht  völlig  entsprechende  vorlagen 
für  Kaufringer  finden,  so  darf  das  uns  nicht  beirren,  an  der  gallischen 
herkunft  seiner  schwanke  festzuhalten.  Ist  doch  selbst  für  die  frühere 
zeit  so  z.  b.  bei  den  schwanken  nr.  25,  26,  27,  30,  35,  41,  43,  55,  61, 
62,  67  usw.  des  Gesammtabenteurs ,  deren  französische  abstammung 
ausser  zweifei  steht,  fast  ein  ebenso  freies  Verhältnis  zwischen  original 
und  nachbildung  zu  constatieren,  wie  bei  Kaufringer. 

Den  schwanken  von  entschieden  französischer  abkunft  kann  ich  — 
und  das  ist  es,  was  mir  eigentlich  heute  die  feder  in  die  band  drückt  — 
einen  unter  den  dichtungen  Kaufringers  anreihen  und  zugleich  an  einem 
beispiele  die  richtigkeit  meiner  oben  ausgesprochenen  Vermutung  zeigen. 
Es  handelt  sich  um  die  VI.  erzählung  Kautringers,  welche  Euling  'Das 
schädlein'  benannt  hat.  Euling  verweist  bei  diesem  schwank  auf 
Benfey,  Pantschatantra  I,  331  und  Landau,  Qu.  d.  D.  86,  303  und  be- 
merkt dazu:  „Benfey  spricht  den  grundgedanken  aller  dieser  erzählungen 
ungefähr  so  aus:  ,Ein  geizhals  liefert  seine  frau  selbst  ihrem  liebhaber 
aus,  jedoch  in  der  Überzeugung,  dass  sie  aus  irgend  welchem  gründe 
-  der  sich  nach  dem  geschmack  und  bildungsgrad  von  volk,  zeit  und 
erzähler  ändert  —  nicht  genossen  werden  könne  oder  werde.'  Mittel- 
glieder zwischen  unserer  novelle  und  anderen  bearbeitungen  dieses  Stoffes 
stehen  mir  nicht  zu  geböte."  Soweit  Euling.  Ich  habe  dagegen  zu 
erinnern,  dass  die  von  ihm  gemeinten  novellen  alle  von  Kaufringer  weit 
abstehen,  dass  es  aber  eine  erzählung  gibt,  die  dem  'Schädlein'  Daher 
kommt  als  irgend  eine  fremde  version  einem  Kaufringerschen  schwank. 
Und  diese  erzählung  findet  sich  nicht  in  einer  unbekannten  handschrift 
oder  in  einem  seltenen  buche,  sondern  in  einer  novellensammlung,  die 
Euling  oft  citiert,  aber  wie  es  scheint  nur  aus  compendien  kennt,  in 
den  Cent  nouvelles  nouvelles.  Gleichzeitig  gibt  es  zwei  italienische 
novellen,  die  denselben  stoff  behandeln.  Beide  sind  in  der  1  L83 
zum  ersten  male  gedruckten  novellensammlung  Porretane  des  Sabba- 
dino  degli  Arienti  enthalten. 

Es  ist  uns  also  hier  gelegenheit  geboten  wenigstens  in  einem  falle 
festzustellen,  ob  Kaufringer  sich  mehr  der  französischen  oder  der  italieni- 
schen sehwankütteratur  nähert,  ob  seine  Stoffe  aus  dem  romanischen 
süden  oder  aus  dem  romanischen  westen  kommen,  ob  er  mündliche  oder 
schriftliche  quellen  hatte. 

Kaufringers  gedieht  hat  folgenden  inhalt:  Zu  Strassburg  wohnte 
ein  reicher  mann  der  „das  aller  schönste  weib"  hafte.  „Darzu  bat!  die 
frawe  zart  zueht   und    grosser  tugett    vil.u      Ein   ritter  verliebte   sieh    in 

ZKITSOHKLTT    P.  DEUTSCHE    PHILOLOGIE.       BD     \\\\.  32 


198  in. 

die  Iran  und  stellte  ihr  auf  schritt  und  tritt  nach.  Die  tugendhafte 
bürgersfrau  dadurch  belästigt,  klagte  ihr  leid  ihrem  manne.  Die  er  ver- 
anlasste sie,  den  ritter  zu  einem  Stelldichein  ins  haus  einzuladen, 
er  ilm  su  zu  empfangen  gedenke,  dass  er  die  frau  ewiglich  in  ruhe 
La  'ii  werde.  Kurz  darauf  trifft  die  frau  den  aufdringlichen  wider  unj, 
des  befehls  ihres  mannes  eingedenk,  bestellt  sie  ihn  abends  in  ihr  haus. 
Entzücken  des  ritters,  der  Bich  pünktlich  einfindet  und  von  der  Iran 
empfangen  und  in  ihre  kammer  geführt  wird.  Bewaffnet  mit  hämisch 
und  schwort  sass  hinter  einem  grossen  fass  der  bürger,  des  augenblicks 
wartend,  wo  er  sollte  „Dein  ritter  fügen  grosses  lait".  Dieser  trug  nur 
einen  „tegen  an  der  seitten",  gab  aber  der  frau,  die  um  ihren  mann 
zu  ermutigen,  über  seine  schlechte  bewaffnung  schalt,  eine  solch  furcht* 
bare  probe  seines  degens  und  seines  armes  —  er  durchstach  eine  sechs- 
fache eiserne  platte  —  dass  der  lauschende  ehemann,  von  furcht  erfasst, 
sich  nicht  hervorzutreten  und  den  schrecklichen  anzugreifen  getraut. 
Der  ritter  vollbringt  mit  der  armen  frau,.  die  sich  vergebens  sträubt 
und  vergebens  das  einschreiten  ihres  mannes  erwartet,  seinen  willen 
und  entfernt  sich.  Nach  seinem  weggang  fällt  die  frau  mit  heftigen 
vorwürfen  über  ihren  feigling  von  mann  her,  der  sie  mit  der  erwägung 
zu  beschwichtigen  sucht:  „Ain  schädlin  ist  doch  besser  zwar  dann  ain 
schad."  Denn  hätte  ihn  der  ritter  erstochen,  so  wäre  das  übel  noch 
viel  grösser  gewesen. 

Diese  erzählung  deckt  sich,  von  einigen  nebenumständen  abgesehen, 
vollständig  mit  der  vierten  novelle  in  den  Cent  nouvelles  nouvelles, 
betitelt  Le  Cocu  arme.  Die  table  (des  matieres)  deutet  den  inhalt 
folgendermassen  an : 

„La  quatriesme  nouuelle  d'ung  archier  Escossois  qui  fut  amoureux 
d'vne  belle  et  gente  damoiselle,  femme  d'vn  eschoppier,  laquelle  par  le 
commandement  de  son  mary,  assigna  iour  audit  Escossois  et,  de  fait, 
garny  de  sa  grante  espee  y  comparut  et  besoigna  tant  qu'il  voulut, 
present  ledit  eschoppier  qui  de  paour  s'estoit  caiche  en  la  ruelle  de  son 
lit,  et  tout  povoit  veoir  et  ouyr  plainement;  et  la  complainte  que  fist 
apres  la  femme  ä  son  mary". 

Schon  diese  kurze  inhaltsandeutung  lässt  die  Übereinstimmung 
zwischen  der  deutschen  und  französischen  erzählung  erkennen.  Des 
besseren  Vergleichs  halber  wird  es  indes  nötig  sein,  den  inhalt  etwas 
ausführlicher  anzugeben : 

Ein  „archier"  der  schottischen  garde  könig  Karls  VII.  zu  Tours 
verliebte  sich  in  eine  bürgersfrau  von  grosser  Schönheit  und  stellte  ihr 


ZU   DEN   QUELLEN   HEIMUCH  KAUFRINGEHS  499 

eifrig  nach.  Belästigt  durch  den  aufdringlichen,  drohte  sie  es  ihrem 
manne,  einem  krämer  (eschoppier)  zu  sagen  und  führte  ihre  drohung 
auch  aus.  Der  gatte  „pour  bien  se  vengier  de  luy  a  son  aise",  be- 
fiehlt ihr,  dem  galan  zum  schein  eine  Zusammenkunft  im  hause  zu 
bewilligen,  wo  er  ihn  dann  gebührend  empfangen  wolle.  Der  verliebte 
Schotte  auf  den  folgenden  abend  eingeladen,  ist  ausser  sich  vor  freude. 
Der  krämer  bewaffnet  sich  mit  hämisch,  heim,  handschuhen  und  einer 
Streitaxt  und  „va  se  mettre  derriere  ung  tapis  en  la  ruelle  de  son 
lit  et  si  tres  bien  se  caicha  qu'il  ne  pourroit  eftre  apperceu."  Der 
archier  erschien,  vergass  aber  nicht  „sa  grande  bonne  et  forte  espee 
ä  deux  mains."  Er  fragte  die  frau,  ob  ihr  mann  zu  hause  sei,  und 
als  sie  verneinte,  rief  er:  „Or  le  laissez  venir  .  .  .  s'il  vient  je  luy  fen- 
drai  la  teste  jusques  aux  dens!  Yoire  .  .  .  s'ilz  estoient  trois,  je  ne  les 
crains!  Et  apres  ces  ..  parolles  vous  tire  hors  sa  grande  et  bonne  espee 
et  si  la  fait  brandir  trois  ou  quatre  fois."  Hierauf  verübte  er  seinen 
willen  und  der  mann,  eingeschüchtert  durch  die  drohungen  dos  Wüst- 
lings, sieht  voll  verächtlicher  feigheit  die  entehruug  seiner  frau  mit  an1. 
Als  der  „archier"  seines  weges  gegangen,  macht  der  verworfene  seiner 
frau  vorwürfe.  Der  Schotte,  der  den  Wortwechsel  hört,  kehrt  unver- 
züglich um,  der  mann  verkriecht  sich  voll  angst  unter  das  bett,  „la 
dame  tut  reprinse  et  de  rechief  enferrce  ä  son  beau  loisir  etc."  Dann 
geht  der  schreckliche  endlich  fort.  Neue  vorwürfe  des  unwürdigen 
gatten.  Die  bedauernswerte  frau  verteidigt  sich,  indem  sie  ihm  ent- 
gegenhält, dass  er  sie  ja  veranlasst  habe,  den  Schotten  einzuladen.  Sie 
werde  zeitlebens  herzeleid  über  das  ihr  widerfahrene  tragen,  das  ihr 
feiger  mann  geduldet  habe. 

Sieht  man  von  dem,  was  ohnehin  bei  der  beurteilung  des  Stoffes 
ganz  belanglos  ist,  von  der  verschiedenen  localisieruug  bei  dem  Deut- 
schen und  dem  Franzosen  ab,  so  haben  wir  es  in  beiden  Versionen 
offenbar  mit  einer  und   derselben  erzählung  zu  tun.     Die   französische 

1)  Noch  weiter  geht  die  feigheit  eines  ehemanns  in  einem  schwank  Eeinrich 
Bebeis  (Facetiae  IL  17),  den  ich  hier  anführe,  weil  er,  wenn  auch  von  einer  anderen 
ide«  ausgegangen,  duch  eine  gewisse  ähnlichkeii   mit   unserer  erzählung  hat. 
De  quodam  pulcherrimo  vindietae  genere. 

Erat  qui  adeo  dileetam  habebat  vxorem,  vti  diceret  le  viuuin  non  poüe  videre, 
vt  ab  altern  traetaretur.    posl  paueo  tempore  cum  Eacerel  Lter  Lila  per  fyluani. 

coactus  eft  ab  equite  quodam  \t  traderei  >i  vxorem  oognolöendam,  ipfeque  equum 
cum  vestibus  custodiret.  Mulier  ab  equite  rediens,  inorepuil  virum  quod  videre 
potuerit  lo  ab  alio  amari.  Taee  inquit,  n;im  et  ego  clam  tunioam  eins  in  partes 
difeidi.     Haue  ille  vindiotam  oum  vxoris  pudicitia  compenfauii 


500  STIEFEL 

darstellung  zeig!  gegenüber  der  deutschen  eine  kleine  erweiterung  i  i » — 
sofern.,  als  der  Wüstling  nochmals  zurückkommt  und  der  ehemann  sich 
unter  das  betl  flüchtet,  und  ein  paar  kleine  abweichungen  insofern,  als 
bei   Kaufringer  die  (Vau   den  galan  zur  kundgäbe   seiner  I  raft 

durch  ihre  frage  nach  seiner  schlechten  bewaffhung  reizt,  während  bei 
dem  Franzosen  der  Schotte  durch  seine  frage  nach  ihrem  manne  dazu 
kommt;  dann  insofern  als  in  den  Cent  nouvelles  nouvelles  der  mann 
zuerst  seiner  frau  vorwürfe  macht,  während  in  dem  deutschen  schwank 
umgekehrt  die  frau  mit  vorwürfen  anhebt.  Die  begütigenden  worte  des 
ehemannes  und  die  moralische  (?)  lehre  Kaufringers  fehlen  in  der  fran- 
zösischen novelle.  Im  übrigen  zeigen,  wie  gesagt,  beide  erzählungen 
die  auffallendste  Übereinstimmung. 

Es  liegt  natürlich  auf  der  hand,  dass  der  Verfasser  der  Cent  nou- 
velles nouvelles  die  schwanke  Kaufringeis  nicht  kannte  und  es  ist  chrono- 
logisch unmöglich,  dass  Kaufringer  die  Cent  nouvelles  nouvelles  benutzte, 
die  beiden  dichter  können  also  nur  aus  einer  gemeinsamen  quelle  ge- 
schöpft haben.  Wo  haben  wir  diese  zu  suchen,  in  Frankreich  oder 
Italien  ? 

Ich  will  hier  nicht  die  frage  aufrollen  und  entscheiden,  ob  Antoine 
de  la  Säle  wirklich,  wie  vielfach  behauptet  wird,  der  Verfasser  der  Gent 
nouvelles  nouvelles  ist  oder  nicht,  und  ebenso  wenig,  ob  diese  novellen- 
sammlung,  wer  auch  ihr  Verfasser  sei,  tatsächlich  aus  Sacchetti  und 
Foggio  wie  man  angibt,  stoff'e  entlehnte  und  ob  nicht  vielmehr  die 
Übereinstimmung  zwischen  den  Cent  nouvelles  nouvelles  und  den  beiden 
Italienern  auf  die  gemeinschaftliche  benutzung  älterer  französischer  vor- 
lagen zurückgehe:  ich  will  aber  einen  augenblick  annehmen,  dass  die 
Cent  nouvelles  nouvelles,  bekanntlich  1462  beendigt,  wirklich  ausser 
dem  Decamerone  noch  andere  Italiener  zu  Vorbildern  und  quellen  hatte. 
Es  kann  sich  dann  doch  nur  um  die  bekannten  älteren  novellisten, 
also  um  die  Cento  novelle  antiche,  um  Sacchetti,  Ser  Giovanni 
Fiorentino,  Ser  Cambi,  Giovan  Acquettino  und  Poggio  handeln. 
Aber  alle  diese  müssen  hier  ausser  betracht  bleiben,  da  sich  die  uns 
beschäftigende  erzählung  nicht  bei  ihnen  findet.  Sie  taucht  zum  ersten 
male,  wie  oben  erwähnt,  in  den  Porretane  auf,  die  zwischen  1475  bis 
1483  geschrieben,  also  jünger  als  die  Cent  nouvelles  nouvelles  sind, 
obwol  letztere  erst  drei  jähre  nach  ihnen  zum  drucke  kamen. 

In  dieser  bisher  noch  nicht  genügend  bekannten  novellensammlung 
finden  sich  zwei  erzählungen,  die  wir  hier  zu  betrachten  haben.  Die 
eine,  die  XXXVI.  des  buches,  hat  nachstehende  Überschrift: 


ZU    DEN    QUELLEN    HEINRICH    KAUFRINGERS  501 

„Liparello  da  Garnaglioni  s'afconde  in  una  caffa,  ordena  con  la 
moglie  dia  la  pofta  a  don  Petruzzo  per  bastonarlo;  il  quäle  uiene 
et  sopra  la  caffa  con  la  moglie  fe  da  piacere." 

Ich  will  den  inhalt  dieser  novelle  hier  ganz  kurz  andeuten.  Ein 
priester,  Don  Petruzzo  mit  namen.  stellt  der  frau  eines  gewissen  Liparello 
di  Ranzo  in  Garnaglione  nach.  Liparello,  der  es  bemerkt,  lässt  ihm 
einige  male  sagen,  er  möge  seine  frau  in  ruhe  lassen.  Da  diese  er- 
mahnungen  nichts  fruchten,  so  befiehlt  der  ärgerliche  ehemann  seiner 
frau,  den  geistlichen  einzuladen  und  ihm  zu  verstehen  zu  geben,  ihr 
mann  sei  nicht  zu  hause.  Sobald  er  dann  gekommen  sei,  wolle  er  ihm 
eine  tüchtige  tracht  prügel  zu  teil  werden  lassen  und  damit  die  last  zu 
weiteren  Unternehmungen  vertreiben.  Die  frau  sträubt  sich  gegen  diese 
einladung,  aber  nicht  aus  züchtigkeit,  sondern  weil  sie  den  jungen 
geistlichen  wirklich  gerne  sieht  und  ihn  nicht  misshandelt  wissen  will. 
Aber  Liparello  besteht  auf  seinem  willen.  Der  geistliche,  entzückt,  das 
ziel  seiner  wünsche  zu  erreichen,  erscheint  unmittelbar  nach  der  ein- 
ladung und  so  schnell,  dass  Liparello  nicht  zeit  findet  sich  zu  ver- 
bergen. Er  kriecht  daher,  um  nicht  gesehen  zu  werden,  in  eine  grosse 
truhe  hinein  ,,a  cui  la  donna  diffauedutamente  uolfe  la  chiaue".  Der 
priester  wird  trotz  des  widerstrebens  der  frau  alsbald  handgreiflich. 
Diese  „uedendo  ch'el  marito  non  la  foccorreua  ne  fapendo  che  lui  non 
poteua,  per  effer  chiauato,  ufcire  de  la  caffa",  liess  sich  besiegen  „ouero 
che  non  poffele  fare  altrimente  per  effere  gia  gittata  fopra  la  caffa  doue 
era  chiufo  il  marito".  Sie  ruft:  „0  marito  mio,  te  uenga  la  rabbia,  che 
cofi  uuole  cofi  habbia!"  und  ergibt  sich  in  ihr  Schicksal.  Darüber 
wütend,  schreit  Liparello  laut  auf,  der  priester  entflieht  voller  angst 
und  Liparello  macht  seiner  frau  heftige  vorwürfe  dass  sie  ihn  ein- 
geschlossen habe.  Diese  entschuldigt  sich  so  gut  sie  konnte  und  der 
Verfasser  schliesst:  „non  so  quelle  ne  feguiffe  poi."  — 

Diese  darstellung  weicht  nicht  unwesentlich  von  den  beiden  bis- 
her betrachteten  ab.  Statt  eines  k  riegers  oder  ritters,  ist  von  dem 
pfaffenfei nd liehen  Verfasser  ein  wollüstiger  priester  /um  beiden  des  aben- 
touers  gemacht  wurden.  Der  eliarakter  der  frau  hat  unter  seinen  bänden 
arg  gelitten.  Nicht  mehr  eine  durch  die  naehstellungen  belästigte  tugend- 
hafte bürgersfrau,  sondern  ein  kokettes  nach  der  sünde  lüsternes  weih 
haben  wir  vor  uns.  tis  fällt  ihr  gar  nicht  ein,  bei  dem  gatten  über 
die  Verfolgungen  des  platten  klage  zu  führen.  Der  manu  wird  selber 
die  aufdringlichkeiten  gewahr  und  schnaubl  nach  räche.  Der  ehemann 
ist  nicht  als  feigling  gedacht.  Wenn  er.  seine  räche  verfehlt  nnd  die 
gleiche  schmacb  wie  sein  deutscher  und  französischer  Vorgänger  erfährt, 


502 

so  ist  die  gedankenlosigkeit  Beines  weibes  daran  schuld.  Die  rolle,  die 
dabei  die  (ruhe  spielt,  erinnert  an  die  XX  \  1 1 .  erzählung  der  <  'ent  nouvt  lies 
nouvelles,  wo  "-in  buhlerisches  weib  ich  eine  Zusammenkunft  mit  ihrem 
„seruiteur"  sichert,  indem  sieden  gatten  in  eine  truhe  einsperren  I 

Durch  alle  diese  willkürlichen  and  zum  teil  gar  Dicht  motivierten 
änderungen  kennzeichnet  sich  Sabbadinos  novelle  als  eine  blosse  aach- 
ahmung.  Er  kannte  gewiss  die  Cent  nouvelles  nouvelles  und  verbarg 
seine  entlehnung,  wie  in  so  vielen  anderen  fallen,  indem  er  die  er- 
zählung bedeutend  abänderte. 

Dass  er  wirklich  diese  französische  Sammlung  kannte,  zeigt  auch 
die  zweite  hierher  gehörende  erzählung,  die  52.  seiner  Porretane,  welche 
in  der  Hauptsache  mit  Cent  nouvelles  nouvelles  nr.  1!»  identisch  ist1. 
Die  ähnlichkeit  mit  der  4.  der  französischen  Sammlung  ist  dagegen  hier 
gering.  Es  genügt  um  das  Verhältnis  zu  erläutern,  die  Überschrift  an- 
zuführen : 

„Gallante  per  giungere  la  moglie  in  adulterio  fe  afconde  fotto  il  letro, 
fente  uno  delli  fignori  di  Verona  darfe  piacere  con  lei  e  non  ardisse 
moftrarfe,  la  quäle  cofa  moftra  poi  per  ueftire  la  moglie  de  strane 
ueste,  doue  il  fignor  fe  leua  da  limprefa  e  dona  una  uesta  de  broc- 
cato  d'oro  alla  donna  e  Gallante  resta  contento." 

Die  ähnlichkeit  mit  Cent  nouvelles  nouvelles  nr.  IV  läuft  darauf 
hinaus,  dass  der  ehemann  einem  ehebrecher  gegenüber,  der  eine  mäeh- 

1)  Eine  ähnliche  erzählung  findet  sich  auch  im  Pecorone  (giornata  VII,  1)  und 
es  ist  hehauptet  worden,  dass  die  Cent  nouvelles  nouvelles  selbst  aus  diesem  schöpften. 
Ohwol  eine  Situation  (die  fragen  des  galans  an  die  ehebrecherin  über  die  einzelnen 
teile  ihres  körpers,  die  sie  alle  ihm  zuspricht  „salvo  che  le  parti  di  drieto,  disse, 
ch'erano  del  marito  etc.")  auffallende  ähnlichkeit  bei  beiden  autoren  aufweist,  so  kann 
doch  keine  rede  davon  sein,  dass  die  Cent  nouvelles  nouvelles  aus  dem  Pecovone 
schöpften,  denn  jene  bringen  die  einfache  ursprüngliche  fassung  des  schwankes,  während 
letzterer  daraus  eine  tragische  erzählung  grässlichster  bestrafung  des  ehebruchs  an 
den  schiüdigen  uud  ihren  verwandten  machte,  wobei  jene  Situation  ganz  episodisch 
erscheint  und  weggelassen  werden  kann,  ohne  dass  die  handlung  leidet.  Pecorone 
und  Cent  nouvelles  nouvelles  können  also  nui  aus  einer  gemeinsamen  älteren  vorläge, 
aus  einem  fablel  geschöpft  haben ;  die  erzählung  trägt  ganz  den  Charakter  eines  solchen. 

Dass  Sabbadino  die  Cent  nouvelles  nouvelles  und  nicht  das  Pecorone  zur-  vor- 
läge hatte,  geht  daraus  hervor,  dass  bei  ihm  wie  bei  jenen  die  fragliche  Situation  die 
hauptsache  ist.  Sabbadino  hat  in  abgeschmackter  weise  fragen  und  antworten  des 
paares  von  10  — 11  zeilen  (bei  Cent  nouvelles  nouvelles  und  Pecorone)  auf  48  zeilen 
erweitert.  Die  erzählung.  wenn  auch  nicht  so  einfach  wie  bei  dem  Franzosen,  hat 
doch  nichts  von  den  entstellungen  des  Pecorone  und  bietet  auch  sonst  noch  ein 
paar  Übereinstimmungen  mit  den  Cent  nouvelles  nouvelles,  die  ich  der  kürze  halber 
übergehe. 


ZU   DEN    QUELLEN    HF.IVRI'  !t    KAUFKENGEBS 


503 


tige  persönlichkeit  ist^   nicht  offen  einzuschreiten  wagt  und   unter   dem 
bette  versteckt  seine  schände  mit  ansieht,  bezw.  anhört. 

Ich  glaube  nicht,  dass  es  nötig  ist  bei  diesen  beiden  italienischen 
novellen  länger  zu  verweilen.  Weit  entfernt  für  die  italienische  her- 
kunft  der  fabel  zeugnis  abzulegen,  weisen  sie  selber  entschieden  nach 
Frankreich.  Und  dieses  land  ist  offenbar  die  heimatstätte  des  schwankes. 
Wie  bei  den  meisten  erzählungen  der  Cent  nouvelles  nouveUes  haben 
wir  auch  bei  nr.  IV  ein  altfranzösisches  Fablel  als  vorläge  anzusehen, 
das  der  erzähler  mit  einigen  änderungen  nachahmte.  Und  dieses  Fablel 
gelangte  auch  auf  irgend  einem  weg  nach  Deutschland,  um  dort  in 
deutschem  gewande  schliesslich  in  die  hände  Kaufringers  zu  fallen. 

Dass  ich  damit  mehr  als  eine  blosse  Vermutung  ausspreche,  dafür 
spricht  noch  ein  umstand:  ausser  der  grossen  sachlichen  ähnlichkeit 
zwischen  der  französischen  und  deutschen  version,  finden  sich  noch  in 
beiden  ein  paar  stellen,  die  einander  wörtlich  nahe  kommen,  so  dass  man 
unwillkürlich  auf  den  gedanken  gerät,  dass  darin  die  altfranzösische 
vorläge  durchschimmert.     Man  vergleiche: 

Kaufringer  s.  79.  Cent  n.  n.  nr.  4. 

Wan  er  der  frawen  wart  gewar.  Et  quant  il  sceuft  trouuer  temps 

Do  gieng  er  ir  pald  ze  plick  et  lieu  le  moins  mal   qu'il   sceuft 


Zuo  ir  redtt  er  auch  oun  schrick 
Und  darzuo  in  rechtem  schimpf... 
Manig  wort  in  schalkhait 
Das  was  der  rainen  frawen  lait . . . 
Das  traib   er  mit  so  stätter  pflicht 
Das  sie  des  nimer  liden  macht . . . 
Den  man  sie  das  ze  wissen  det. 
Und  clagt  im  grossen  überlast. 

S.  80. 
Wan  er  mit  dir  redet  mer 
So  haiss  in  pald  komen  her... 
Ich  sol  im  Ionen  seiner  min 
Das  er  fiirbas  ewiclich 
Mit  guotem  frid  muoss  lassen  dich. 

ibid. 
Da  kom  die  fraw  - 
Im  engegen  —  — 
Er  gruost  sie  zuo  derselben  frist 
Gar  lieplich. 


compta  son  gracieux  et  piteux  cas 

ne  laiffa  pas  ä  faire  sa  poursuite, 

mais  de  plus  en  plus  aigrement 
pourchassa  tant  que  la  damoiselle 
le  voulut  enchassier  ...  et  luv  dist 
qu'elle  advertiroit  son  mary  du 
pourchas  deshonneste  . . .  ce  qu'elle 
fist  tout  au  long. 

ibid. 
que,  s'il  retournoitplusäsaquefte 
qu'elle  luv  baillast  et  assignast  iour 
et  ...  Ic  blasme  qu'il  pourchassoit 
luy  seroit  chiei  vendu. 


.  .  il  vit  en  place  noltre  mer- 
ciere  qui  tut  par  luy  liumblemenl 
saluee. 


504  -.niiii 

S.  81. 
Erhattein  panzer  stari  und  rein  le   mercier   je  feil   armer  d'ung 

angelegt  —  — .  inl  lourt  ef   rieil  harnois. 

Unter  Bolchen  umständen  ist  doch  eine  mündliche  quelle  für  Kaul- 
ringer  ausgeschlossen. 

Und  hiermit  könnte  ich  meine  betrachtung  schliessen.  Endes,  ich 
will  die  gelegentheit  benützen  und  noch  ein  paar  stoffgeschichtliche 
bemerkungen  anfügen. 

Sab(b)adino  degli  Arienti  blieb  nicht  der  einzige  in  Italien,  der 
die  gescbichte  bearbeitete.  Kurz  nach  ihm  griff  ein  Zeitgenosse  von 
ihm,  Antonio  Cornazano  aus  Piacenza,  <\an  stoff  auf.  Wahrschein- 
lich erzählte  er  die  geschichte  schon  in  seinem  1502/150:;  zu  Mailand 
gedruckten  lateinischen  werke  De  proverbiorum  oriyine,  das  mir  Leider 
nicht  erreichbar  gewesen  ist.  In  seinem  1523  und  sehr  häufig  später 
gedruckten  italienischen  schwankbuch  Proverbü  in  facetie1  erscheint  sie 
als  die  zweite,  um  den  angeblichen  Ursprung  des  Sprichworts  „chi  cosi 
uuole  cofi  habbia1'  zu  erklären.  Ich  gebe  Cornazanos  erzählung  mit 
einigen  kürzungen  hier  wider: 

„Vn  giovane  . . .  haueua  una  donna  prudentiffima  e  bella:  lui  debile 
era  ma  fuperbo  molto  &  hauea  alquanto  del  millantatore.  s'accorfe  costui 
la  donna  fua  effer  da  un  bei  giouane  uagheggiata,  delquale  ben  che 
lei  gia  in  mille  chiari  inditij  accorta  fuffe,  non  perö  mai  come  fauia 
e  cauta  ne  haueua  relatione  fatta  al  marito,  per  non  fondare  principio 
a  qualche  fcandalo,  ma  ftauafi  in  fuoi  termini  poco  moftrando  accogerfi 
di  lui.  II  marita  delibero  di  sfaftidirfe  &  chiamata  un  di  la  moglie 
fola  diffe . . .  io  fo  che  Bindone  te  uagheggia;  che  coli  era  il  nome  del 
giovane,  delibero  del  tutto  amazzarlo  .  .  .  fagli  bon  uolto  6=  donagli  la 
posta,  in  altro  modo  io  a  te  torro  la  uita.  La  donna  ben  conofcendo 
la  poca  profperita  del  suo  marito,  e  la  robustita  del  atto  giovane  .  .  . 
mal  uolontieri  accettaua  di  farlo,  ma  pur  per  iTpurgare  ogni  fofpetto 
appreffo  quello  con  cui  fempre  hauea  a  uiuere,  feffi  obfequente  all' 
imperio  del  marito  . . .  non  molti  di  poi  li  die  la  posta,  il  marito  auifatone 
da  lei  s'ascofe  con  la  fpada  fotto  il  letto,  il  giouane..  uenne  .  ..  con  la 
spada  . . .  a  canto  . .  gionto  in  la  camera  con  la  donna  . . .  caua  la  fpada 
&  fa  una  leuata,  fulminando  qua  e  la  de  tich  tach  e  dimandando  fempre, 
oue  fon  quefti  poltroni,  fe  foffero   dieci  io  gli   uoglio  affrontare  ...  II 

1)  Ich  benutzte  ausser  dem  dürftigen  neudruck  in  der  Scelta  di  Curiositä  Lett. 
ined.  o  rare  Disp.  62,  Bologna  1865,  eine  ausgäbe  von  Ven.  1535  (Hof-  und  staatsbibl.) 
und  1538  Yen.  (Universitätsbibl.  hier),  jene  von  Zoppino.  diese  von  Bindoni-Patiui. 


ZU    DEN    QUELLEN    HEINRICH    KAUFRLNGERS  505 

marito  cio  udendo  incomincio  tremare  fin  fotto  il  letto.  II  giouane  . . . 
piglio  la  donna  .  .  .  &  cominciato  gia  caricar  lorza,  uedendo  lei  chel 
raarito  non  ufciua  per  tema  fi  stette  patienti  a  quei  malanni  sempre  ful 
fatto  dicendo:  Chi  cofi  uuole  cofi  babbia  etc." 

Dass  diese  erzählung  Cornazanos  von  Sab(b)adino  angeregt  worden 
ist,  beweist  der  umstand,  dass  schon  letzterer,  wie  wir  oben  sahen,  die 
frau  das  Sprichwort  „Chi  coli  vuole  cofi  habbia"  bei  der  gleichen  läge 
anwenden  lässt.  Alles  andere  bei  dem  jüngeren  erzähler  weist  auf  die 
Cent  nouvelles  nouvelles  hin.  So  z.  b.,  dass'  der  ehemann  statt  in  die 
truhe  unter  das  bett  kriecht,  dass  er  sich  als  feigling  erweist,  dass  der 
galan  kein  geistlicher,  sondern  ein  laie  ist,  dass  er  mit  dem  degen  aus- 
gerüstet erscheint,  nach  dem  ehemanne  der  frau  fragt,  sich  seiner  stärke 
rühmend,  es  mit  mehreren  aufzunehmen  erklärt,  mit  dem  degen  herum- 
fuchtelt usw.  Cornazano,  der  in  Frankreich  gewesen,  kannte  offenbar 
die  französische  novellensammlung.  Der  lüsterne  Italiener,  nach  dessen 
geschmack  diese  obscöne  geschiente  sichtlich  war,  hat  sie  übrigens  von 
allen  am  besten  erzählt  und  insbesondere  die  Handlungsweise  der  per- 
sonell besser  motiviert.  Mit  Kaufringer  bietet  er  keine  berührungspunkte. 
Er  steht  ihm  ferner  als  den  Cent  nouvelles  nouvelles. 

Von  Cornazano  gieng  die  erzählung  in  das  berüchtigte  1526  er- 
schienene buch  des  Cynthiio  degli  Fabritii,  IAbro  della  origine 
delli  volgari  proverbi1,  über,  das  bekanntlich  in  der  idee  eine  nach- 
ahmung  des  Cornazano  ist  und  auch  stofflich  mehrfach  auf  ihm  beruht. 
Unser  schwank  dient  in  der  seltsamen,  höchst  zügellosen  und  zum  grossen 
teil  recht  albernen  dichtung  Cynthios  zur  motivierung  des  gleichen  Sprich- 
worts wie  bei  Cornazano.  Es  ist  das  28.  bei  Cynthio  und  steht  fol. 
CXXIVb  —  CXXVIIP.  Der  Venetianer  verwendet  auf  jedes  Sprichwort 
drei  gesänge  in  terza  rima  von  je  ein  paar  hundert  versen,  in  unserem 
brauchte  er  zusammen  734.  Er  erzählt  die  geschiente  in  Langweiliger 
breite,  wobei  er  sachlich  Cornazano  nicht  durchweg  treu  bleibt  Aus 
dem  'giovane'  seines  Vorgängers  wurde  bei  ihm  wider,  wie  bei  Sab(b)a- 
dino  ein  geistlicher,  ein  'träte',  den  er  als  ausbund  aller  verworfenheil 
charakterisiert.  Auf  seine  Schilderung  und  auf  die  darstellung  seines 
Verhältnisses  zu  der  von  ihm  verfolgten  trau  verwendet  er  den  weitaus 
grössten  teil  der 'drei  gesänge.  Ersl  die  letzten  88  verse  bringen  die 
eigentliche  handlung.  I)<t  frate  handelt  genau  wie  sein  weltliches  Vor- 
bild  bei  Cornazano   und   es  nimmt  sieh  recht  seltsam  aus,  den  mönch 

I)  Über  dieses  buch  vgl.  die  von  mir  in  der  Zeitsohr;  32,  17.".  f  ■  angegebene 
litteratur. 


506  STIEFEL,    ZV   DEN   QUELLER    BEDIBXOH    KArnviNOEHR 

bewaffne!  mit  schild  and  schwer!  auftreten  und  mit  der  blanken 

die  lüfte  hauen  zu  Beben,  während  er  der  Erau  zuschreit:  „oue  ee  quel 

liecc,     (lf'|     tu«»     IpofO." 

Es  würde  mich  zu  weil  führen,  wollte  ich  das  fortleben  der  novelle 
in  späterer  zeit  hier  verfolgen.  [ch  begnüge  mich,  darauf  hinzuweisen, 
da  s  sowol  in  Italien  als  auch  in  Frankreich  der  stoff  ron  zeit  zu  zeit 
wider  auftaucht.  So  findet  sich  z.  I>.  ''ine  version  bei  Malaspini,  Ducento 
Hineile  (Ven.  1609)  prima  parte  sub  nr.  1">  unter  der  aufschrift  „Ama 
vno  Scozefe  la  moglie  di  vn  merciaio,  e  corae  per  ftrano  modo  godeffe 
dell'amor  fuo";  allein  diese  erzählung  ist  nur  eine  wörtliche  Übersetzung 
aus  den  Cent  nouvelles  nouvelles,  ein  buch  das  Malaspini  in  schamloser 
weise  geplündert  hat.  In  Frankreich  kommt  die  geschiente  u.  a.  in  dem 
Herreil  des  Plräsantes  &  facitieufes  nouuelles  (Lyon,  Barricat  1555)  Bub 
nr.  VIII  vor,  und,  wie  ich  Paul  Lacroix'  (Jacob  Bibliophiles)  ausgäbe  der 
Cent  nouvelles  nouvelles  entnehme,  in  den  Ioyeuses  adventures  et 
nouuelles  recreations  etc.  (Lyon,  Rigaud  1582)  vor,  in  jenem  sicher, 
in  diesem  wahrscheinlich  im  anschluss  an  die  Cent  nouvelles  nouvelles. 

Also  selbst  in  diesen  speäten  nachbildungen  des  alten  schwankes 
werden  wir  immer  wider  auf  die  Cent  nouvelles  nouvelles  und  damit 
mittelbar  auf  die  gemeinsame  vorläge  dieser  Schwanksammlung  und 
Kaufringers,  auf  das  alte  fablel  zurückgeführt. 

MÖNCHEN.  ARTHUR    LUDWIG    STIEFEL. 


KOPP,    BERLINER    LIEDERHANDSCHRIFT    TON    1568  507 

DIE  LIEDEEHANDSCHEIFT  VOM  JAHKE  1568. 
Berlin,  Mgf  752. 

Unter  den  liederhandsckriften  aus  dem  16.  Jahrhundert  kommen 
ausser  der  schon  von  Görres  ausgibig  benutzten  Heidelberger  Pal.  343 
vor  allen  andern  drei  Berliner  in  betracht,  eine  v.  j.  1568,  eine  v.  j. 
1574,  eine  v.  j.  1575.  Diese  Jahreszahlen  finden  sich  auf  den  deckein 
eingepresst,  sie  geben  wol  den  Zeitpunkt  der  anläge,  nicht  jenen  des 
abschlusses,  die  anfangs-  nicht  die  endgrenze  für  die  niederschrift  an, 
da  man  meist  ein  gebundenes,  leeres  heft  gekauft  haben  wird,  um  darin 
lieder  zusammenzuschreiben  oder  schreiben  zu  lassen,  nur  ausnahmsweise 
dagegen,  wenn  überhaupt,  es  vorgekommen  sein  mag,  dass  man  auf  lose 
blätterlagen  geschriebene  lieder  nachträglich  erst  binden  Hess.  Anders 
verhält  es  sich  dagegen  mit  sammelbänden  von  gedruckten  büchern 
und  heften;  wenn  dabei  der  decket  eine  Jahreszahl  trägt,  so  kann  diese 
nur  den  endpunkt  bezeichnen,  über  welchen  die  zeit  der  drucklegung 
nicht  hinausreicht.  Bei  drucken  ist  immer  der  iuhalt  früher  als  der 
einband,  geht  ihm  voraus,  bei  schriftlichen  Sammlungen  später,  folgt 
ihm  nach.  Bisweilen  können  die  Zeiten  der  Sammlung  in  druck  oder 
schritt  und  der  einfassung  in  einen  festen  deckel  weit  auseinanderliegen, 
das  ist  aber  bei  den  Berliner  handschriften  aus  den  jähren  1568,  1574 
und  1575  ebenso  wenig  der  fall,  wie  bei  mehreren  sammelbänden,  die 
gleichfalls  auf  dem  einband  eine  Jahreszahl  bieten,  z.  b.  Yd  7821  v.  j. 
1539,  Tel  7829  v.  j.  1554,  Yd  7831  v.  j.  1566  u.  a.  m. 

Hier  soll  nun  von  den  Berliner  drei  wichtigsten  liederhandschriften 
des  16.  Jahrhunderts  diejenige  vom  j.  1568,  die  früheste,  behandelt  werden. 
Auf  der  vordem  seite  des  einbandes  sieht  man  eingepresst  oben  die 
buchstaben  MGZMVß,  in  der  mitte  eine  göttin,  die  in  der  rechten 
band  eine  lanze,  in  der  linken  ein  brennendes  herz  hält  (wol  Diana, 
nicht  Yenus),  rechts  daneben  Cupido,  als  Unterschrift  zu  dieser  gruppe 
den  viel  angewandten  spruch  Amor  vincit  omnia,  schliesslich  am  untern 
ran  de  die  zahl  1568.  Die  rückseito  des  einbandes  zeigt  ausser  den 
buchstaben  HMll  M  noch  in  der  mitte  Fortuna,  welche  mit  den  bänden 
ein  geblähtes  segel  hält  und  auf  einem  delphin  stehend  über  die  wellen 
dahingleitet,  worunter  der  spruch  steht  Audaces  fortuna  iuvat. 

Die  handschrift  enthält  auf  78  blättern,  die  bis  zum  71.  schon  in 
der  ursprünglichen  anläge  durchgezählt  sind,  126  vollständige  Lieder 
und  zuletzt  ein  am  schluss  des  blattes  abgebrochenes  lied,  wonach  an- 
zunehmen ist,  dass  mindestens  ein  beschriebenes  blati  später  ausgerissen 
wurde.    Als  doppelt  aufgezeichnet  ist  nur  26  und  87  zu   rechnen;  zwei 


508  kopp 

fassungen  desselben  Liedes  stellen  sich  dar  in  L8  and  20;  bei  gleichem 
anfang  sind  ganz   verschieden    von   einander  die   aummern  2  and  23; 

in.  :;!)  und  93  finden  sich  bei  P.  v.  d.  Ae]-t  ,ii  teile  derselben  einheit 
Seine  der  grösseren  Liederhandschriften  aus  jener  zei!  schwank!  bo  nach 
dem  Eolländischen  hinüber  wie  diese  vom  jähre  L568,  and  in  keiner 
andern  finde!  sich  ein  so  grosser  bruchteil  ursprünglich  holländischer 
gedichte.  Sic  enthält  nur  wirkliche  Lieder,  nichts  meister-  oder  minne- 
singerisches, dazwischen  zahlreiche  Sprüche  (spr.).  AJle  bestandteile  jedoch 
von  dieser  handschrift  sind  in  höchst  verwahrloster  form  überliefert 
und  erscheinen  meist  in  so  fragwürdiger  gestalt,  dass  es  nur  selten 
verlohnt,  sieh  um  den  genauen  wortlaui  zu  kümmern,  dass  man  schwer- 
lich für  ein  lied  diesen  text  zur  grundlage  eines  neudrticks  wählen  darf, 
sondern  bei  der  durcharbeitung  der  handschrift  die  hauptaufgabe  darin 
sehen  wird,  für  die  lieder  andre  Eundstellen  nachzuweisen,  woneben 
dann  die  fassung  dieser  handschrift  gelegentlich  aushilfsweise  in  betracht 
kommen  mag. 

Angesichts  des  traurigen  zustandes  der  Überlieferung  würde  man 
versucht  sein,  gar  keine  gedruckten  quellen  für  diese  liedersammlung 
anzunehmen  und  alles  darin  auf  niederschrift  aus  fehlerhaftem  gedächtnis 
eines  dichterisch  und  sprachlich  ungebildeten  Schreibers  zurückzuführen, 
wenn  nicht  merkwürdige  beziehungen  zu  manchen  gedruckten  lieder- 
heftchen  vorhanden  wären.  Der  Nürnberger  druck  von  68  liedern  z.  b. 
ist  auffällig  oft  zu  der  handschrift  in  beziehung  zu  setzen,  und  nr.  11 
bis  13  dieser  68  lieder  entsprechen  den  nummern  75  bis  77,  33  und 
34  den  nummern  80  und  81  der  handschrift.  Von  dem  Sonderdruck 
Yd  9126  finden  sich  sämtliche  fünf  lieder  in  der  handschrift,  siehe 
nr.  23,  34,  49,  73,  96;  ebenso  von  dem  Sonderdruck  Ye  16  alle  drei 
lieder,  siehe  nr.  70,  73,  92  usw. 

Ausser  den  78  beschriebenen  enthält  die  handschrift  noch  eine 
anzahl  von  leeren  blättern.  Diese  wie  auch  die  beschriebenen  sind 
stark  vermodert  und  das  ganze  lieft  trägt  überall  die  spuren  des  alters 
und  starker  benutzung.  Die  schrift  ist  sehr  verblasst  und  obschon  sorgsam 
und  bedächtig  im  zuge  der  band,  so  doch  zu  fehlerhaft  und  vielfach 
undeutlich,  um  sicher  und  bequem  gelesen  zu  werden.  Ein  register 
zu  der  handschrift  existiert  bisher  nicht.  Beigelegt  ist  ihr  ein  Ver- 
zeichnis nach  der  reihenfolge  nebst  quellennachweisungen  von  der  band 
Meusebachs,  doch  wird  man  dadureh  nicht  viel  gefördert,  sondern  ist 
ganz  auf  sich  selber  gestellt  und  muss  in  allem  von  vorn  anfangen. 

Nach  der  seit  Görres  vielbenutzten  Heidelberger  liederhandschrift 
sowie  der  Berliner  v.  j.  1575,  wovon   die  letztere   demnächst  anderswo 


BERLINER    LIEDERHANDSCHRIFT   VON   1568 


509 


veröffentlicht  werden  wird,  behauptet  immerhin  die  Berliner  handschrift 
v.j.  1568  in  bezug  auf  reichhaltigkeit  und  umfang  die  dritte  stelle;  sie 
verdient  wo  nicht  einen  vollständigen  abdruck,  so  doch  eine  behandlung 
im  zusammenhange,  zweifellos  eher  als  die  sonst  veröffentlichten  lieder- 


handschriften,  diejenige  der  Ottilia  Fenchler,  die  Jaufener  u.  a.  m. 

Berl.  hdschr.  1574  or.  63  [ch  schweigh 
und  muos  gedenken  ...  4  achtz.  str. ;  1  u. 
2  =  1568  lu.  III.  Hdschr.  157.1  nr.  103 
in  3  Strophen  entspr.  I,  III,  V  vorstehen- 


1.  Ein  new  liedtt. 

Zu  wem  sali  ich  gedenken 
herz  allerliebste  mein, 
gros  ellendt  thutt  mich  krenken 
das  ich  nitt  bei  ir  mag  sein; 
ich  hab  mich  understanden 
mitt  frembdem  wunder  scherz, 
so  hastu  mir  umbfangen 
mein  gemutt  und  auch  mein  herz. 

Feins  lieb  du  darfs  nitt  denken, 
das  ich  will  abbe  lann, 
ich  will  vonn  deinent  wegen 
mein  vatter  und  mutter  verlan; 
des  las  mich  feins  lieb  genesen 
das  ich  dir  so  traw  will  sein, 
thun  mir  dein  herz  aufschliesen, 
schleus  mich  feins  lieb  darein. 

Eß  ist  und  wirt  mir  nymmer  kein 
so  lieb  als  du  mir  bist, 
kein  falsche  kleffer  mich  daran  irrett, 
die  lieb  g[e]waltig  ist, 
mitt  dir  zu  thun  und  zu  lassen 
all  was  zu  denn  erhn  gehoirtt, 
ich  bin  und  pleib  dein  aigen 
dein  aigen  ganz  vnuerkertt. 

Kin   blomlein  an  der  beiden 
mit   nhamen  vergis  nitt  mein 
Ins  dir  das  blomlein  wachsen 
woll  inn  dem  herzen  dein, 
kehr  dich  an   keinen   kleffer  nitt, 
so  pleiben  mir  alle  weg  stellen, 
las  dir  das  blomlein  wachsen, 
so  offt  dein  herz  begert. 

Ich  wünsch  dir  heimliche  leiden 
si)  fill  als  ich  es  hab, 
so  raagstu  mich  nitt  meiden 
im  jar  nitt  einen  tag, 
du  must  dich  selber  erbarmen 
und  oil't  gedenken  an    mich, 
schleus  mich  in  deinen  armen, 
erfrewe  dich  und  mich. 


der  fassung,  anfang  entspr.  1574. 

2.  Ein  annder. 
Ker  weder  gluck  mitt  freuden 
und  jag  ungefell  vonn  mir, 
gros  ungluck  muß  ich  leiden, 
ach  gott  das  clag  ich  dir, 
wann  ich  bedenk  mein  anfaugk, 
mein  gluck  das  hatt  ein  krebsganck, 
ker  wieder  gluck  und  mags  nitt  lanck. 

Mein  herz  ist  sehr  bedrubet, 
mein  gemutt  das  krenket  sich  sehr, 
wiewoll  ichs  nitt  hab  verschuldet, 
mein  seckell  ist  mir  worden  leher, 
vur  wein  und  beer  geh  ich  mein  gelt, 
darmitt  mein  gelt  kompt  in  die  weit, 
der  lieb  gott  weis  wer  das  jair  das  gluck 

Hoheit. 

Der  dar  will  holen  und  brassen. 
der  füll  sein   butteil   mitt  gelt, 
die  bolschaft  renmei  eim  die  taschen, 
sie  macht  wie  irs  woll  gefeit, 

spricht  mein  bole  far  darhin, 
der  nai'  der  hatt  des  geltes  viell. 
er  gibt  mir  was  ich  haben  will. 

Halt  dich  zu  deines  geliehen, 
so  geschiott  dir  eben  recht, 
und   nympstu  eine  reiche, 
30  iiiustu  sein   ir  kneeht. 
sie  spricht  „du  aar  verzeresi  das  mein, 
stehe  auf,   lall  jn,  divilV  anli  die  sehwein. 
und   was  du   hast ,  das  ist   mein." 

Das  leedtlein  ist  gesungen, 

ieder  man  es  nitt  gefeit, 

vonn  der  bulschafft  ist  ehr  rerdrun 

das   macht   ehr  hatt    kein   gelt, 


510 


sein  hout  zerbauweD,  sein  mantel  nittguott, 
sein  wambis  ist  jme  zerrissen  gar, 
das   ehr   zu   dem    broos    megdlein    Dicht 
komen  darf. 

Btr.2,  ■/..  '■'•  I.  oiohti  hab  ich  sonst  ver- 
schuldet, /.  I  I.  lehr  leer,  z.  7  zu 
chen:  der  lieb  oder:  dasjair—  1.  wer's; 
str.:;.  /..:;  l.reumi  dir,  z.  l  zu  streichen :woll; 
str.  4,  z.  1  1.  gleiche(n),  5  I.  verzerst,  <i  1. 
steh,   7  I.  und  alles  was  du  hast  ist  mein. 

Ausser  den  anfangsworten  und  ent- 
sprechendem strophenbau  bat  vorstehen- 
des lied  nichts  gemeinsames  mit  einem 
ebenso  beginnenden  liede,  das  in  zahl- 
reichen gedruckten  und  handschriftlichen 
liedersammlungen  vorliegt  und  wovon 
unsre  bandschiift  ebenfalls  eine'  fa 
(s.  unten  nr.  23)  überliefert  hat. 

3.    Ein  ander. 

Freuudtlicher  art 

du  hast  mich  hart 
mit  deiner  lieb  besessen, 

darumb  hab  ich  dich 

erwelet  vor  mich 
und  kan  deiner  nitt  vergessen, 

tag  und  nacht 

hab  ich  kein  raw, 
deine  hulde  zu  erwerben, 

in  erhn  dein 

will  ich  eigen  sein 
und  sali  ich  darumb  sterben. 

Ist  das  dein  will, 

in  aller  still 
salstu  es  mich  lassen  wissen, 

so  sali  mein  herz 

obn  allen  scherz 
altzeitt  dir  sein  geflissen, 

glaub  mir  furwar 

ohn  alles  gefar 
(aus  unverseb'nen  sacben) 

auß  deinem  mundt 

muß  werden  khuntt 
salst  du  frolieb  machen. 

Sulches  vurbedaebt 
iß  woll  betlrracht 


stundtl  mir  woll  zu  bedenken, 

li'-tt  nur  BulcheS  einer  vorhin  gl 

ich  liett  geacht 
vuj     cherz  und  auch  vor  Bchwenken 

ist  gutt.  dein   will 
den  ball  gai    -tili 

und    will    den    ..»nn    mir   nitt    wenden, 

in  diesem  lall 

las  un-  einmal! 
sulches  werden  folenden. 

I'.  v.  d.  Aeist,    De  arte  amandi    1602, 
s.  II."!:    Freundlicher  art,   du  hast  mich 
hart,   mit   deiner  lieb 
fassung  bei  1*.  v.  d.  Aelst  ebenso  schlecht 
w  ie  in  vorliegender  handschrift. 

4.  Ein  annders.  Ein  fnmdtlieh  augerm 
winekenn,  brengti  tust  meins  h>  \ 
beger  ...'.',  neuuz.  str.  1582  A94  u.  156, 
B23  u.  30.  Berl.  hs.  1574,  nr.  21;  1575, 
nr.  71  u.  124;  Hs.  f.  Ottilia  Fenchler  1592: 
Alemannia  I,  s.  54;  Heidelb.  hs.  Tal. 
343  fol.,  nr.  121.  P.  v.  d.  Aelst,  Blunim 
u.  Aussb.  1602,  s.  143,  nr.  152. 

5.  Ein  anders.  Nach  willenn  dein,  ich 
mich,  dir  allein,  in  trewenn  Um  >  ,:■  i- 
genn  ...  8  zwölfz.  str.  1582  A  3,  B  55; 
Öglin  1512,  nr.  20;  Forster  I,  43  —  in  je 
3  str.  Fassung  von  8  Strophen  in  einzu- 
drucken und  bei  P.  v.  d.  Aelst,  Blumm  u. 
Aussb.  1602,  s.  165,  nr.  171.  Gassenh.  u. 
Reutterl.,  nr.  16,  heftchen  v.  56  liedern 
(o.  t.  o.  u.  j.)  nr.  47  (bis  51)  nur  d.  erste  str. 
Berl.  bs.  der  herren  v.  Helmstorff  1569/75. 
nr.  29  in  8,  1574,  nr.  22,  1575,  nr.  37  in  je 
3  str.  Heidelb.  Pal.  343,  nr.  81  in  3  str.  — 
Erk- Böhme,  Liederbort  III,  s.  471,  nr. 
1667. 

(spr.)  Dar  ich  gerne  wTer  vnnd  nitt  en  moitt, 
dar  wer  mir  ein  getrewer  botte  guitt. 

6.  Ein  annder.  Im  thon  Wach  auff  mein 
Hertz.  In  druck  vnnd  schmertx,,  mein 
junges  hertx,  wirtt  nhu  ohn  schuldtt  ge- 
quelltt  ...  7  ueunz.  str. 

2  heb.  männl.  a  c  d  z.  1,  4,  7 

2  heb.  männl.  a  c  d  z.  2,  5,  8 

3  heb.  weibl.    b  b  b  z.  3,  6,  9 

7.  Ein  annders.  Reich  Gott  ivie  sali 
ich  clagenn,  wie  sali  ich  clagenn  mein 


BERLINER   LIEDERHAND  SCHRITT   VON   1568 


511 


nott  ...  4  achtz.  str.    Hs.  1574,  nr.  43  in 
3  str.,  ohne  die  letzte  vorliegender  hs. 

8.  Ein  anders.  Ich  weis  mir  ein  blom- 
genn,  es  statt  ahn  groner  heidenn  .  .  . 
3  ungleiche  Strophen.  2.  Wo  mag  sei 
sein  die  allerliebste  mein  ...  3.  Prince- 
liche  princesse  nach  euch  statt  all  mein 
verlangenn  .  .  . 

(spr.)  Dem  ich  mein  lebenn  hab  gebenn, 
Der  lest  mich  in  traurenn  leben, 
Wo  kumpt  das  ehr  mich  tothen  mag, 
Der  mir  das  leben  nitt  engab. 

9.  Ein  annders. 
Mein  syn  hab  ich  an  ir  gelechtt, 
sie  ist  ganz  woll  gebildet, 
in  thugtenn  ist  ihr  herz  gewrachtt, 
wie  all  ihr  wesen  vermeldet, 

wie  ein  Robin 

in  golde  fyn 
muchtt  ihr  mundtlein  rurenn, 
so  wehr  mein  junges  herz 
durch  all  leiden  und  schmerz 
in  irer  liebden  wolt  ich  sterben. 

Ich  mach  ir  herz 
eim  dyamant  wol  geligen, 
auf  erden  ist  kein  man, 
der  das  boxbluitt  magh  enthwigen; 

mocht  ich  sunder  den  thott 

meins  herzen  bloitt 
gnade  ahn  ihr  erlangen, 
so  wer  mein  junges  herz 
sunder  all  druck  leiden  und  schmerz 
nach  ihr  so  dragh  ich  verlangen. 

Van  naturen  thragtt  sie  ein  siegelstein 
vonn  suiden,  westen  und  norden, 
der  hat  sei  in  erben  in 
sei  will  mich  werlich  morden, 

helf  gluck  und  rath 

meiner  nitt  verlatt, 
viel  suchten  will  mich  verderben, 
so  wehr  mein  junges  horz 
durch  all  leiden  und  sahmerz 
in  irer  liebden  nicht  magh  sterben. 

Zu  str.  2,  z.  1 — 4  vgl.  stellen  wie  herrn 
Benj.  Neukirchs  gedichte,  1744,  s.  26: 
„Wie    lange    willst    du    grausam    sejm" 


str.  3:  Den  Stal  muß  endlich  Feur  und 
Glut,  |  Den  Marmel  Regen  schwächen,  | 
Und  warmes  Bock-  und  Ziegenblut  |  Soll 
Diamanten  brechen  .  .  . 

(spr.)  Kein  lieber  ich  beger 
Vnnd  wehr  ich  all  weltt  der  weltt  ein  her. 
Dieselben  zeilen  hinter  nr.  46  u.  95. 

10.  Ein  annders.  Hertzlich  tluiitt  mich 
erfrewenn,  die  frundtliclie  sommer  xeitt 
...  7  achtz.  str.  =  1582  A  20,  B  72; 
Bicinia,  Vitebergae  1545  I,  91;  Kaspar 
Scheidt,  Lobrede  des  Meyen  1551  Bl.  Jija; 
P.  v.d.Aelst,  Blummu.  Aussb.  1602,  s.  146, 
nr.  155;  Goedeke,  Grundr.  II2,  s.  40.  43. 
56.  57  u.  ö.  Niederd.  liederb.  nr.  17.  Fl. 
bl.  Berlin,  Basel,  Zürich;  Heidelb.  hs. 
Pal.  343  fol.,  nr.  40.  —  Wunderhorn  I, 
s.  239;  Görres  s.  35;  Wackernagel  s.  848; 
Unland  nr.  57;  C.  F.  Becker,  Lieder  und 
weisen  vergangener  Jahrhunderte,  2.  aufl. 
1853,  ILI,  s.  11;  Döring,  Sächsische  berg- 
reyhen  II,  s.193;  Hoffmann,  Gesellsehaftsl., 
nr.  160  (vgl.  62);  Goedeke -Tittmaun,  Lie- 
derb., s.  159;  R.  frh.  v.  Liliencron,  Deut- 
sches leben  im  volksl.  um  1530  (National- 
litt.  13),  s.  275,  nr.  95;  Böhme,  Altd. 
liederb.,  nr.  142 ;  Liederh.  II,  s.  191 ,  nr. 379. 

11.  Ein  annders.  Cleglich  so  hab  ich 
mich,  gantx,  außerweltt ,  dir  mirs  gefeltt, 
bouenn  allenn  junffrawewn  schone  .  .  . 
6  zehnz.  str. 

Z.  1  — 4,  0  —  9:  aabb  ddee  2  heb.  männl. 
Z.  5  u.  l<i:  c         c  3  heb.  weibl. 

(spr.)  Was  batt  hoffenii  sonder  trost 
Dem  der  seldenn  wirft  verlost 

II'.  Kin  annders.  .1//  mein  gedenck, 
leer  ich  vnnd  uendt,  mich  einer  tarti  is 

Steuerlich  .  .  .   I    sieben/.,  str. 

Z.  1  u.2,  l — 7:  aa  bb  co  2 heb.  männl. 
Z.3:  x  !  heh.  männl. 

Heidelb.  hs.  Tal.  343 fol.,  nr.  84  ebf.  I 
str.    Görres,  b.  52. 

(spr.)  Verlangenn  hat t  vinl'tan-enn  mich 

Drumb  so  bin  iah  Beldenn  Erolioh. 


512 


13.  Ein  annders.  Hertzlicher  troat  auff 
erden,  verlangen  du  thust  mir  wee  ■  ■  . 
3  neunz.  str.  Fassung  sein-  verdorben. 
\  86,  B  124.  Niederd.  H>.  11.  Fl.  bl. 
Berliner  hs.  1575,  nr.  69;  Heidelb.  Pal. 
343    or. 96;  Öörres  s.  128. 

(spr.)  Sunder  arcb  ia  mein  Bpill 
Mallicb  klaff  uns  ehr  will. 

1-1.  Kin  annders.  Zartt  schone  [nur. 
gedenck  vnnd  schare  ...  .'!  sechszehnz. 
str.  =  1582  \  2,  B  54;  Gassenh.  u.  Reut- 
fcerl.,  nr. 26;  P.v.d.  Ä.eli  I .  Blumm  u.  a.ussb. 
1602,  s.  27,  nr.  1 1 ;  De  arte  amandi  1602, 
s.  112.  Niederd.  liederb.,  nr.  74  —  u.  ö.  Fl. 
hl.  Berlin,  Hasel,  Weimar,  London  USW. 
Berliner  as.  1575,  nr.  19;  Mgq  Tis.  1,1. 
27b;  Weim.hs.  1537:  Weim.jahrb.  [(1854), 
s.  lo:.,  nr.  26;  Eeidelb.  Pal.343,  nr.  63u. 
203.  —  Wackernagel,  Kirchenlied  L841,  s. 
854;  C.  I'".  Becker,  Lieder  u.  weisen  ver- 
gangener Jahrhunderte,  2.  aufl.  1853,  I, 
s.  7;  Erk- Böhme,  Liederh.  III,  s.  483, 
nr.  1681. 

(spr.)  Wolstu  sein  sähelich 
So  mustu  sein  geduldigh 
Vnnd  vertrauwen  allein  auff  Gott 
Vnnd  haltenn  sein  gebott 
Ehr  gedenckt  sunder  verges 
Vnnd  kumptt  zu  seiner  zeitt  gewiß. 

15.  Ein  anders.  Nun  hab  ich  all  mein 
tagh  gehortt,  wie  scheiden/n  sei  ein  so 
schwere  pin  ...  3  zehnz.  str.  =  1582 
A45;  Goedeke,  Grundr.  II2,  s.  27:  Mainz. 
P.  Schöffer  1513,  nr.  50;  s.  31 :  Gassenh. 
1535,  nr.  27;  Gassenh.  u.  Keutterl.  (o.  j.), 
nr.  27;  u.  ö.  Fl.  bl.  Yd  7801  (v.  Nagler) 
st.  63;  Yd  7821  (einband  v.  j.  1539)  st.  17 
„Drey  scböne  lieder,  Das  |  erst,  So  hab 
icb  all  mein  tag  gehört"  ...  (o.  o.  u.  j.) 
Zusammen  mit  folgender  nr.  16:  Yd  7821 
st.  29  „Drey  hübsche  Lieder",  Nürnberg, 
K.  Hergofin  o.  j.  Dieselben  drei  lieder 
auch  in  Yd  9385 :  Drey  hubscher  Lieder,  | 
Das  Erste,  Yetzt  scheyden  bringt  mir  ] 
schwer.  Das  ander,  Ich  bin  schabab,  | 
macht  mich   nit  graw.     Das  dritte,   So  | 


hab  ich  all  mein  tag  gehört  (Bildchen. 
\  m  sc)  druck!  zu  Nürnberg  durch  | 

Valentin  N<  aber.  (4  bl.  8°  o.  j. 

etzten  blattet  leer).    BerL 
I,  ,  Mgf  488,   nr.  145,    Mgq  718   bl 

■    •  . 
f.d.  ph.  22,  s.  104.   Val.  Bolls  ha.  bL  I30b: 
Nun    hab   ich    all   mein    '  t,   wie 

schaid»  i!  3  ain  Bchwere  pein  . .  .  .'!  zehnz. 
Btr.   (unterz.  1525).       Wa  1841, 

s.  860;  • '.  F.  Becker,  Lieder  n.  weisen  I, 
s.  1 ;  Böhme,    Utd.  liederb.,  nr.  265. 

16.  Hin  anders.  Och  scheidenn  >/" 
brenges  mir  schwer  vnnd  mach*  mich 
ijiinl:  traurentlich  ...'.',  achtz.  str.  = 
1582   A  12,    B  64;    75    hubscher 

Coln.  Amt  v.  \irli  io.  j.)  nr.  l':  68  lieder, 
Nürmberg,  Bergu.  Neuber  (o.  j.)  nr.  22; 
Gassenh.  u.  Reutterl.  (o.  j.)  nr.  29;  Bicinia 
1553,  'nr.  8;  115  liedlein  1544,  nr.  74 
(vgl.  Goed.  II 2,  s.  28.  38.  40.  41).  Niederd. 
Ib.,  nr.  80;  u.  ö.  Fl.  bl.  Berlin,  Basel, 
London  usw.  Berliner  hs.  1575,  nr.  8; 
Heidelb.  Pal.  343,  nr.  137.  —Wackernagel 
1841 ,  s.  855. 

(spr.)  Die  zeitt  is  beidens  werdtt 
Der  krichtt  was  ehr  begertt. 

17.  Ein  annders.  Singe  ich  nitt  troll. 
das  ist  mir  leidtf  von  hertxen  thette  ichs 
gerne  ...  3  achtz.  str.  2.  Nochtans  will 
ich  einen  guetten  modtt  han  ...  3.  Och 
sorgeun  thuitt  meinem  heuffte  wee  .  .  . 

Zur  zweiten  Strophe  vgl.  1582  A  '_;'i. 
B  78,  hs.  1575,  nr.  98:  So  will  ich  doch 
einen  guten  mut  haben. 

18.  Ein  annders.  Frisch  vnuerxagtt, 
hab  ichs  genagtt,  in  rechter  lieb  vnnd 
treivenn  ...  3  zwölf z.  str. 

1582  A  14,  B  66;  Forster  I,  16.  Nie- 
derd. Ib.  1.  Fl.  bl.  Berlin,  Basel,  Frank- 
furt a.  M.,  London  usw.  Hs.  1575,  nr.  40; 
v.Helmstorffsche  1569/75,  nr.  19.  —  Böhme, 
Altd.  liederb.,  nr.203,  Liederh.  H,  s.  318, 
nr.  496.    Dasselbe  lied  noch  einmal  nr.  20. 

19.  Ein  annder.  Im  thon,  Hertz  einigs 
lieb  mich  nitt  bethrubtt.  Mann  singtt 
vonn  scheidens  hartenn  tcehe,   das   dag 


BERLIXFR    LIEDKRHANDSCHRIFT    VON    1568 


513 


ich  armer  gesell  vill  mehe  ...  4  ungleich- 
massige Strophen ;  Akrostichon  Ma-ri-aB. 

20.  Ein  annders.  Ich  habs  gewagtt, 
frisch  vnuerxagtt,  in  rechter  liebdenn 
wind  Iran  wenn  ...  3  zwölfz.  str.  =  nr.  18. 

(spr.)  Och  was  mos  ehr  leidenn 
Der  ein  lieb   hatt  vnnd  mus   sei   meiden. 

21.  Ein  annder.  Ich  schall  mein  hnrnn, 
in  jamers  thon,  mein  frendtt  iß  gantx 
verschwondenn  ...  3  zehnz.  str.  1582 
A  8,  B  17  u.  G0;  75  lieder,  Cöln,  Amt 
v.  Aich  (o.  j.)  44;  Forster  in,  9,  IV,  12; 
68  lieder,  Nürnberg  (o.  j.)  19  u.  67 ;  115 
liedlein,  Nürnberg  1544,  nr.  57;  Goedeke, 
Grundr.  II2,  s.  27.  29.  36.  37.  38.  40;  u.  ö. 
Niederd.  liederb.,  nr.  10.  Fl.  bl.  Berlin, 
Basel  usw.  Hs.  1575,  nr.  94.  —  Wun- 
dern. I,  s.  162;  Uhland,  Yolksl..  nr.  179; 
Goedeke -Tittmann,  Liederbuch,  s.  272; 
Böhme,  Altd.  liederb.,  nr.  443,  Liederh.  II, 
s.  51,  nr.  258;  1\.  v.  Liliencron,  Yolksl.  um 
1530  (Nat,- litt.  13),  s.  379,  nr.  131;  C  F. 
Becker,  Lieder  u.  weisen  II,  s.  20. 

22.  Ein  annders.  Vbnn  edler  artt,  ein 
frewlein  ;artt,  bistu  ein  krön  ...  3  elfz. 
str.  =  1582  A  15,  B  67;  Gassenh.  und 
Reutterl.  21;  68  lieder  14;  121  lieder. 
Nürnberg  1534.  nr.  28;  Bicinia,  Viteb. 
1545  II,  86  nur  die  mel.;  Forster  I,  35 
(vgl.  V,  20  u.  21);  Goed.II2,  s.  27.  29.  30. 
31.  37.  40.  41 ;  u.  ö.  Niederd.  liederb.,  nr.  71 
(65).  Fl.  bl.  Berl.  hs.  1575,  nr.  26;  Hei- 
(1.4h.  Pal.  313,  nr.  187.  —  Wackorn..  s.  851; 
Goedeke-Tittm.,  s.  20;  Böhme,  Altd.  Ib., 
nr.  130,  Liederh.  III,  s.  479,  nr.  L677; 
R.  frh.  v.  Liliencron,  Deutsches  leben  im 
Volkslied  um  L530  (Deutsche  national -litt. 
13),  s.  288,  nr.  100. 

(spr.)  Hern  gunst  vnnd  aprils  wotter, 
Junckfrawen  loff  vnnd  rosen  Idetter 
Kartenn  vnnd  wurpell  spill 
Verlauffenn  sich  dick  vnnd  vill. 
Vgl.KünstiikeWerltsprökel562,bl.E2": 
Heren  hülde  vnd  aprillen  weder, 
Frouwen  leue  vnd  rosen  bieder. 
Der  wöipel   vnd  dat  karten  spyl, 
Verwandeln  siok  vaken,  wo!  dal  weten  wil; 

ZEITsriH-ii  )     i       DB1   rSCHR    rmi.ol.oolK.       HD. 


Schone  Künstl.  Werldtspröke.  Ham- 
borch  1601,  bl.  20 a: 

Heren  hüld  vnd  aprillen  weder, 
Fruwen  leeue  vnd  rosenbieder. 
Karten.  wSrpeln  vnd  seyden  spil, 
Yorkern  sick  offt,  wolt  mereken  wil. 

Vgl.  ferner  Werltspr.  1562.  bl.  F2b;  Alt- 
preuss.  monatsschr.  n.  f.  9  (1872),  s.  533; 
Jahrbuch  d.  v.  f.  niederd.  sprachf.  2  (1876), 
s.  31.  Schreiber.  Nachscbösslinge  1664, 
s.  99:  Es  ist  der  Jungfern  gunst  |  Gleich 
wie  aprillen -wetter,  |  Gleich  wie  des 
glückes  dunst  |  Und  falsche  rosen  - 
blätter  .  .  .  Sperontes  III,  17  (1745) 
Der  Jungfern  gunst  und  rosenblät- 
ter,  |  Der  merzschnee,  das  aprillenwetter,  | 
Sind,  dünkt  mich,  immer  einerley  .  .  . 
Lobe,  Altdeutsche  Sinnsprüche  in  reimen 
1883,  s.  136:  Herrengunst,  aprilenwetter  ... 
(stamrabuchinsehrift  1618).  In  der  von- 
Helmstorffechen  hs.1569  75  heisst  es  hinter 
nr.  39  am  rande  von  bl.  34b:  „Junckh- 
frawen  lieb  vnd  rosen  platter  |  verkheren 
sich  wies  apprilen  wetter."  In  der  lieder- 
hdschr.  des  Clodius:  Hymni  studios.  Lips. 
1669  (Berl.  Mgo  231),  3.58:  Kein  g] 
narr  ist  weit  und  breit  in  dieser  weit  zu 
finden  .  .  .  lautet  von  5  achtz.  Strophen  im 
ganzen  die  vierte:  Sehr  lieblieh  schalt  der 
lauten  klang,  |  schön  ist  aprillen  wetter, 
gantz  rein  der  nachtigall  gesang,  |  süß 
rächen  rosen  blätter,  |  noch  höher  sehet/ 
ich  trauen  gnadt,  |  ach  aber  gahr  zu 
großer  schadt,  |  es  pfleget  mit  den  stun- 
den |  dieß  alles  zu  verschwinden. 

Des  Knahen  wundeihorn  IV,  hrsg.  von 
Erk  1854,  s.  52  nach  „Newe  Deutsche 
Liedlein u   1581   von  Knöfel: 

Berrengunst,  aprilenwetter. 

Jungfrauen -lieb  und  rosenblätter, 

Würfel-  und  kartenspiel 

Verkehr!  sieh  oft,  wers  glauben  will. 
Der    Ursprung    dieses    weil    verbreiteten 
Spruches   geht  wo)    auf   den  Ronner  des 
Eugo    von    Trimberg    zurück:     Bamberg 
1833,  s.  I  14,  /..  12  171  bis  77. 

23.   Ein  annder.    Ker  widder  gluck  mitt 
freudenn,     vnnd    i<t<i    ull    vnfaU    tonn 
xwv  33 


.,1 1 


mir.. .  3  Biebenz.str.  L582  A  35,  B88; 
Forster  III,  LT),  Ga  enh.  u.  Reutterl.  76; 
Goedeke,  Grundr.  II  ",  6.  27  (P.  Schöffera 
liederb.,  Mainz  1513,  ar.51 1,  ,  31  (Reutter- 
liedlin  1535,  nr. 27)  a.ö.  Fl.  bl.  Y<l  7821 
sl.  lt.  „Drey  hübsche  Lieder"  Nürnberg. 
K.  Bergotin  (o.j.)  3  in  3str.  Ye  22  „Dre3 
Sein', in'  Licdt.er"  Nu  ml  ii  tl';.  V.  NcuIut 
(o.  ).)  :;  in  :'.  Btr.;  Yd  9126  Ein  hübsch 
lied,  Mein  |  eynigs  A.  |  Ein  anders,  So 
wünsch  |  ich  jr  riii  gutte  nacht.  |  Hin 
anders  lied,  [ch  hab  |  verschüi  mein  haber- 
rnuß,  des  muß.  |  Noch  ein  liedlein,  Lieb-  | 
l i * r 1 1  hat  sich  gesellet,  mein.  |  [tem  noch 
ein  anders  |  liedlein,  Kit  wider  glück  mit 
freüden.  (Am  schluss :)  Gedrückl  zu  Nüren- 
berg  |  durch  .lobst  Gutknecht.  (4  bl.  8° 
o.  j.,  rückseite  des  ersten  und  des  letzten 
blattes  leer.)  „Ker  wider"  in  3  nach 
Wortlaut  u.  reihenf.  entspr.  str.  Die  lieder 
dieses  einzeldrucks  kommen  sämtlich  in 
der  handschrift  vor,  s.  unten  nr.  90.  49. 
34.  73.  ßerl.  hs.  1575,  nr.  19,  ebf.  in  3  str. 
Heidelb.  Pal.  343,  nr.  162  längere  fassung 
von  8,  nr.  163  kürzere  von  3  str.  —  Erk- 
Böhme,  Liederh.  III,  s.  467,  nr.  1662.  — 
Vgl.  noch  oben  nr.  2  längere,  sehr  ab- 
weichende fassung. 

(spr.)  Lieb  babenn  ist  ein  fein  sytt, 
Geltt  ausgebenn  hab  die  reitt, 
Das  junckfrawlein  ist  nitt  ehrn  werdtt, 
Die  geltt  vorm  irhem  holen  begertt. 

24.  Ein  annder.  Ich  weiß  mir  ein  fein 
bruns  megdelein,  hatt  mir  mein  hertx 
besessenn  ...  3  neunz.  str.  =  1582  A  33, 
B  85;  Gassenh.  u.  Reutterl.  12.  Niederd. 
liederb.  20.  Fl.  bl.  Heidelb.  hs.  Pal.  343 
fol.  nr.  150.  —  Böhme,  Altd.  liederbuch, 
nr.  197,  Liederh.  II,  s.  264,  nr.  446. 

25.  Ein  annder.  Hett  ich  siebenn  wun- 
schenn  in  meiner  getcaldtt ...  7  vierz.  str. 
Vgl.  Niederd.  liederb.,  nr.  114  (99),  in  9  str. 
P.v.d.  Aelst,  Blumm  u.  Aussb.  1602,  s.  26, 
nr.  39,  in  7  str.  Berl.  hs.  1575,  nr.  10, 
in  7  str.  Kopenh.  hs.  des  P.  Fabricius 
(1603/7),  nr.  135,  in  9  str.  Altpreuss. 
monatsschrift,    u.  f.    9  (1872),  s.  546.  — 


Dhland,  VolksL,  nr.  :.;  Böhme,  Altd.  II... 
nr.  276,   Lh.  III.     .  30,  nr.  L081. 

'_'<;.  Ein  annder.  Min  kwnmer  schwer, 
hallt  mich  !/"///-.  ihr,  gros  vnglück 
vmbgebenn  ...  ::  elfz.  >tr.  A  87,  B  126. 
lh.  1575,  in.  101.  Eoffmann,  <;••  eil 
schaftsl.,  nr.  334  nur  die  ei  te  tr.  Dies 
lied  s.  noch  einmal  onten  nr.  87. 

27.  Ein  annder.  0  falsches  hertx,  <> 
rotter  mtmdtt,  wie  hastu  mich  bedro- 
gewn  ...  4  vierz.  str.  Vgl.  Niederd.  Ib., 
nr.  '.tl  (80),  in  7  Strophen,  wovon  1  —  3 
=  1  -  111  d. hs.   Fl.  1,1.  Ye  133„Veei  ' 

(o.  o.  u.  j.)  .']  in  7  str.  Hochdeutsch  im 
Venusgärtlein ,  1659,  s.  54  (1656:  neudr. 
86/9,  s.  39)  ebf.  7  str. 

(spr.)  Grossenn  hernn  vnnd  schonen  frawen 
Sali    man    woll    dienenn    vnd   wienig   ver- 

trawen. 
Vgl.  Us.  1574,  bl.  130a:  Euphorion  9, 
625;  Werltspr.  1562,  bl.  A  iiijtt  usw.  Lobe, 
s.  148:  „Grossen  herren  und  schönen 
trauen  |  Soll  man  dienen  und  wenig 
trauen." 

28.  Ein  annder.  Rosina  war  was  dein 
gestaltt,  bei  koningh  Paris  lebenn  .  .  . 
3  zehnz.  str.  =  1582  A  174,  B  123;  75 
lieder,  Cöln,  Arnt  von  Aich  (o.  j.),  nr.  34; 
115  liedlein,  Nürnberg,  Ott  1544,  nr.  75 
und  noch  einmal  unter  d.  6  stimmigen  nr. 
10;  Gassenh.  u.  Reutterl.  (o.  j.),  nr.  50; 
P.v.d. Aelst,  Blumm  u.  Aussb.  1602,  s.  29, 
nr.  44,  De  arte  arnandi  1602,  s.  114  —  u.  ö. 
Fl.  bl.  Berlin,  Basel,  Zürich  usw.  Antw. 
liederb.  1544,  nr.  137.  Berl.  hs.  1574, 
nr.  34;  v.  Helmstorffsche  1569/75,  nr.  30; 
Kopenh.  hs.  des  P.  Fabricius  1603/7,  nr.90; 
Heidelb.  Pal.  343,  nr.  82.  —  Wunderb.  IV, 
s.  167;  AVackernagel ,  Kirchenlied  1841. 
s.  842;  Hoffmann,  Gesellschaftsl.,  nr.  159; 
Goedeke -Tittm.,  s.  26;  Erk-Böhme,  Lie- 
derh. HI,  s.472,  nr.  1669. 

29.  Ein  annder.  Ein  weiblich  biltt 
mein  hertx,  bexwungen  hatt,  in  rechter 
lieb  bis  in  den  thott  ...  3  fünfz.  str.  = 
1582  A  198  I  —  IH,  von  11  Strophen  im 


BERLINER    LIED  ERHANDSCHRIFT    VON    1568 


515 


ganzen;  Melchior  Franck,  Musikalische 
bergkreyhen  1602,  nr.8,  in  4  str.  Fl.  bl. 
Yd  7801  st.  12,  in  11  str.  Yd  7804  st.  15 
Ein  hubscher  Perg  Rayen.  Ein  weyblich 
bild  mein  hertz  bezwungen  hat ...  11  str. 
Gedruckt  zu  Augspurg  Von  Mathaeus 
Elchinger  an  sant  Vrslen  closter.  Yd  9658, 
zwei  lieder  enthaltend,  Nürnberg,  F.  Out- 
knecht (o.  j.)  2  in  11  str.  Ye  508  „Drey 
Schöne  Lieder"  Magdeburgk  Durch  Joachim 
Waiden  (o.  j.)  2  in  11  str.  Heidelb.  hs. 
Pal.  Germ.  343  fol.,  nr.  117,  in  7  str. 

(spr.)  Das  ich  bin  wildtt 

Schaffett  ein  wiblichs  bildtt. 

30.  Ein  annder.  Vngnadt  beger  ich  nitt 
vonn  ir  ...  4  vierzehnz.  str.  1582  A  1, 
B  53  in  je  3  str.;  115  liedlein,  Nürnberg, 
Ott  1544,  nr.  19,  in  3  str.;  Gassenh.  u. 
Reutterl.  (o.  j.),  nr.  41  nur  die  erste  str. 
Niederd.  liederb.,  nr.  24,  in  4  str.  Fl.  bl. 
Berlin,  Basel,  London.  Berl.  hs.  1575, 
nr.  9,  in  4  str.;  Weim.  hs.  1537:  Weim. 
Jahrbuch  I,  s.  104,  nr.  25,  in  4  str.;  Hei- 
delb. Pal.  343,  nr.  65,  in  3  str.;  München, 
univ.-bibl.  Ms.  328,  bl.  39,  in  3  str.  - 
Wackern.,  s.849;  Erk- Böhme,  Liederh.  111, 
s.475,  nr.  1673. 

(spr.)  Kleffer  bedenck  das  endtt 

Das  dich  der  duuel  schendtt 

31.  Ein  annder.  Ich  bin  verwundt  in 
jamers  nott,  tven  ich  gedenck  au  schei- 
dens  pein  ...  3  str.  Hs.  1575,  nr.  105, 
Pal.  343,  nr.  48,  in  je  3  str. 

32.  Ein  annder.  In  stettiger  boger,  ein 
freudein  fein  hob  ich  mir  außerlesenn... 
3  zehnz.  str.  Us.  1575,  nr.  128,  in  :; 
entspr.  str.;  Hs.  1537:  Weim.  Jahrbuch  1, 
s.  104,  nr.  16,  ebf.  3  entspr.  str.  lls.  157  I, 
nr.  12  hat  mit  2  Strophen  dieses  liodes  als 
dritte  und  letzto  dm  anl'angsstropho  des 
liedes  „Umb  liebe  noch  umb  leid"  (vgl. 
Niederd.  liederb.,  nr.  50,  Pal.  343,  nr.  80, 
Görres,  s.  54)  zusammengeworfen. 

(spr.)  Ich  will  mioh  leidenn  wind  meidenn 
Vnnd  bezwingenn  zu  allen  zeitten 


Dann  ich  bins  alleine  nicht 

Der  seinenn  willen n  nitt  enkrichtt. 

Zuz.  3.4  vgl.  Hs.  1574.  bl.  llla:  Eupho- 
rion  9,  303. 

33.  Ein  annder.  Hertx  einigs  lieb, 
dich  nitt  enthrtib,  so  vns  ietx  iciedder- 
strebt . . .  3  neunz.  str.  Akrost.  „He-le- 
na"  =  1582  A  36,  B  89;  Gassenh.  u. 
Reutterl.  61  nur  die  erste  str.  Niederd. 
liederb.,  nr.  7.  Fl.  bl.  Weim.  sammelb.  st.  17 
„Drey  hübscher  Lieder,  Das  erst,  Hertz 
eynigs  lieb,  bis  nit  betrübt u  .  .  .  Nürn- 
berg, K.  Hergotin  (o.  j.).  Berl.  hs.  157."». 
nr.  90;  Heidelb.  Pal.  343,  nr.  133;  Münch. 
univ.-bibl.  Ms.  328,  bl.  3;  Nürnb.  germ. 
national  -  mus.  Val.  Holls  hs. ,  bl.  161a 
(j.  1526):  Hertz  ainigs  lieb,  bili  nit  be- 
trieptt .  . .  3  str.  „He-le-na". 

(spr.)  Vntrew  hett  für  fill  parteienn 
Das  trew  nitt  kan  bedeienn 
Vntrew  ist  gemein 
Darumb  pleib  ich  allein. 

34.  Ein  annder.  Versturtt  Im))  ich  mein 
habermuß,  des  ums  ich  offt  entgellenn  . .  . 
4  zehnz.  str.  ==  1582  A  170,  B  94;  56 
lieder  (o.  j.),  nr.  11.  Fl.  bl.  Yd  9126  (be- 
schreibung  s.  oben  nr.  23),  5  lieder  eut- 
haltend:  3.  „Ich  bab  verschüt  mein  liaber- 
muß"  4  str.  Heidelb.  hs.  Pal.  343,  nr.  75 
u.  142.  —  Görres,  s.  61. 

(spr.)  Gott  geh  ihr  ehr  vnnd  guitt 

Die  mich  so  offt  suchten  thuitt. 

35.  Ein  annder.     Wo    mach    ein   man 

sein  leben  Insten,  ihr  In  ff/  nrluroui 
sein  stite  lieff .  .  .  4  vier/.,  str.  Vgl.  Antw. 
Ib.  1511,  nr.  121,  in  (i  strophen,  wovon 
die  drei  ersten  der  handschrift  entsprechen, 

während  in  den  sohlussstropl die  beiden 

fassungen  auseinandergehn. 

(spr.i   Der  ein  boß  weil'  liatt  ZU  der  ehe, 

Der  bedarff  nitt  \  aglücks  raehe. 
A0.  Ein  annder. 

Nun  wellen  wir   t'riseli    und    froliofa   sein. 

ii  -I i  weiß  mir  ein  feins  brunß  tnegdlein 
well  heuer  zu  diesem  Bommer, 


»IG 


ich  weiß  mir  ein    fcudenten  i  t  hübsch  und 

fein, 
olt  ich  Bein  dienerin  sein 
n   heimlich  und  verborgen. 

Nemb  ich  ahu  eins   baurmans  knaben 
i  sie  des  morgens  wie  die  raben, 
Sinn   de  all  umb  fressen, 
so  gib!  man  in  ein  habern  brei, 
daß  wasser  krach  stritt  aach  darbei, 
ein  Eeins  megdlein  will  ich  pleiben. 

I  ml  ohe n  ichdan  ein  handtwerksman, 

wehr  Unit  in  da    gel»  rnel  hau 

bei  jungen  leuthen  schlaffen, 

ehr  ai'beitl  den  tag  biß  an  die  nacht, 

das  ehr  die  lieb  nitt  furhenn  o 

ein  Eeins  megdelein  will  ich  pleiben. 

Und  aheme  ich  ahu  ein  reuthers  knaben, 
so  rui -Kt  ehr  den  sattell  auf  und  ab, 
daß  muß  ehr  ewig  threiben, 
ehr  unkt  den  satte!  auf  und  ab, 
das  ehr  die  lieb  nitt  füren  mag, 
ein   Eeins  megdlein  will  ich  pleiben. 

Nim  hatt  mein  liedtlein  schier  ein  endt, 
die  Schreiber  die  haben  die  wiesse  bendt, 
darzu  die  harte  federn, 
sei  singen  in  Chor  das  bor  ich  gern, 
das  iß  mein  trost,  mein  morgen  steru, 
zu  dem  will  ich  mich  schmucken. 

Vgl.  1582  B  186,  in  11  str.  Fl.  hl. 
Zürich,  stadtbibl.  sammelb.  Gal.  KK  1552 
st.  19,  Basel,  J.  Schröter,  1605,  in  8  str. 
Berl.  hs.  1574,  nr.  26,  in  5  str.  Hoffmann, 
Bonner  burschenlieder,  s.  256,  Gesell- 
schaft sl.  IL-,  s.63,  nr.  292. 

Simrock,  Volkslieder  (Volksbücher  8, 
1851),  s.  433  Sollt  ich  nicht  frisch  uud 
fröhlich  sein,  |  Sprach  eines  kaufmauns 
töchterlein  ...  7  str.  „Die  beckenjungen 
man  loben  soll."  (Aus  Bäckerhandwerks- 
gewohnheiten.) 

(spr.)  Kein  lieber  dan  dich 

Daß  weiß  Gott  und  ich. 

Dieselben  zeilen  s.  hinter  nr.  46  u.  95. 

37.  Ein  annder.  Nii  nach  nymmer  so 
rauweti  mein  geimrfh,  ich  ikob  rund 
wuidtt,  bei  dir  zu  sein ...  3  neunz.  str. 
=  75  lieder,   Cölu,  Amt  von  Aich  (o.  j.) 


nr. 3;  56 lieder (o.o.u.j  i.  nr. 36;  Gassenb. 
ii.  Reutterl.,  ni 

i  Mach  hoffenn  vnnd  rorlangenn  ein 

n  iß  beidenn  kein  pein. 

::s.  Hin  annder.  Ach  Ooti  wem  sali 
ich  clagenn,  das  ich  im  ellendtt  bin... 
::  aohtz.  str.  PaL  343,  nr.  101 ;  Manch. 
310,  jetzl  \Iu  M  3232,  8°,  bl.  125; 
MLone,  Anzeiger  7,  Bp.  240;  Böhme,  aitd. 
liederb.,  nr.  208,  Liederh.  II.  300,  nr. 
478 e. 

i  |iim  Ich  hab  mich  also  bedacht! 
Dar  man  meiner  nitt  en 
Dar  will  ich  wiedei   frembtt  Bein 
\'nd  Bolti  ich  darnmb  leiden  grosse  pein. 

:;'.).  Km  annder.  Mocht  ich  vergessenn 
lerhenn,  das  mehr  woll  an  dir  leitt... 

3  neun/.,  str.     Vgl.  unten   nr.  93  \\  ■ 

ich  mich   erneron  ...  .'!  neunz.  str.     1'.  v. 

d.  Aelst,  De  arte  am.  1602,  B.  182  W< 

ich  mich  ernehren .. .  8  neunz.  str.  ö.  Möcht 

ich    vergessen    lehren,   das    dunckt  mich 
mehr  dann  zeit .  .  . 

(spr.)  Allein  au  ff  Gott  vertraw 
Auff  menschen  zusagen  nicht  en  haw 
Gott  is  allein  dein  trow  heltt. 
Sunst  ist  kein  trow  in  der  weltt. 

40.  Ein  ander.  QvM  lieb  laß  dich  ge- 
dencken,  das  ich  nitt  bei  dir  wag  sein  . . . 
3  achtz.  str.  2.  Och  eddel  trost  meins 
hertzen  lost,  was  krenckestn  das  hertze 
mein  ...  3.  Ich  muß  hin  keien  vuud 
wendenn  mein  hertzenn  ieidtt... 

(spr.)  0  wie  woll  im  ist 
Der  treue  weiß  gewiß, 
Ein  gentzlich  ja  ein  gentzlich  nein 
Der  laß  mich  hertzlieb  werdenn  ein. 

41.  Ein  annder.  Der  verloren n  dienst 
vnnd  der  seindt  fUl,  der  ich  »/ich  pnder- 
wundenn  ha/n  ...  3  neunz.  str.  =  1582 
A  101,  B  42;  Forster  HI,  73;  68  lieder, 
Nürnberg,  Joh.  v.  Berg  u.  V.  Neuber  (o.  j.), 
nr.  58  nur  die  erste  str.  Fl.  bl.  Hs.  1575, 
nr.  1 ;  v.Helmstorff  1569/75 ,  nr.  21 ;  Ottilia 


BERLINER    LIEDERHAXIiS'TlHIH     VON    1568 


517 


Feuchter  1592:  Alem.  1,  s.  50;  Pal.  343, 
nr.  22;  Görres,  s.  86. 

(spr.)  Och  woltt  sei  als  ich 
So  wehr  mein  hertz  freuden  rieh. 

42.  Ein  ander.  Erkenn  werdt,  auff 
erdt,  von  tugentt  schon,  ein  krön  wi  ib- 
licher  artt ...  5  zehnz.  str.  =  1582  A  108, 
B  75;  Forster  I,  107.  Fl.  bl.  Yd  9299 
„  Drey  hübsche  lieder  *  Nürnberg,  K.  Her- 
gotin  o.  j.  (nr.  5  u.  28  d.  hs.  auch  darin) 
3.  Ehrn  werd,  auff  erd  ...  5  entspr.  str. 
Ye  514  „Vier  schöne  Lieder"  "Wullffen- 
büttell,  Cunradt  Hörn  o.  j.  (nr.  81  d.  hs. 
auch  darin),  4.  Ehren  werdt,  auff  Erdt .  .  . 
5  entspr.  str.  Yd  7801  (v.  Nagler)  st.  15, 
offenes  blatt,  2  lieder  enth.  1.  Ern  werdt 
auff  erd  ...  5  entspr.  str.  Berl.  hs.  von 
Helmstorff  1569/75,  nr.  31;  Pal.  343,  nr. 
120,  in  je  5  str. 

(spr.)  Ein  blintt  man  iß  ein  arm  man. 
Noch  iß  das  ein  armer  man, 
Der  sein  weib  nitt  bezwingen  kau. 

43.  Ein  annder.  Oupido  triumpkantt, 
anhoirtt  mein  Lamentieren ,  Mein  liebste 
lieff  plasantt,  wiltt  my  abemdonierenn  ... 
10  siebeuz.  str. 

(spr.)  Der  alltzeitt  myrekenn  khundt 
Ob  ehr  auff  fastern  grundt  stundt, 
Wo  ehr  seinenn  ancker  sinckenn  laitt 
Das  wer  der  beste  schiffmann  nitl 

Härmst,  hs.  1213,  bl.  I3b,  Dr.  5:  Ach 
Gott  der  wissen  koudt  .  .  .  Das  wer  der 
ärgste  seh.  nit. 

II.  Km  annder.  Mag  ick  vngefall  er- 
toerenn  auch  nitt  vu  dieser  fr  ist  .  .  . 
!)  ungleichm.  str. 

(spr.)  Ach  wo  lang  wo  fem  wo  gern  ich 
mochl  bei  ir  Bein, 
Das  krenckt  mir  hertz  mutt  vnnd  syn. 

Vgl.  Werltspr.  1562,  bl.  G  8b;  1601, 
bl.  29». 

45.  Kin  annder.  Stettig  du  /"'■</  tli, 
höchste  krön,  die  ich  in  meinem  hertxenn 

Irin/  ...'.',   acht/.,   str. 


(spr.)  Beider  will 

Schafft  vill. 

Der  liebster  will 

Das  ist  mein  zill, 

Darauff  ich  tracht 

Bei  tagh  vnnd  nachtt, 

Biß  das  ich  hab 

Das  mein  hertz  lab. 

So  stundtt  ich  fast, 

Mein  hertz  hett  rast, 

Des  sei  gemachtt 

Zu  guetter  nachtt, 

Mein  trewerdi  indtschaffi 

Sei  euch  zuge 

In  ewernn  hertz  gegossenn, 

Wie  ein  kern  in  ein  apffell  verschli 

Vgl.  P.  v.  d.  Aelst,  De  arte  amandi  I 
s.  1 1.1  Der  beider  wil,  Schaff«  I  gar  viel . . . 
18  z.  Schluss:  Mein  tre wen  dienst,  Befehl 
jhr  mit  fleiß,    Ins    hertz    gegossen,   Wie 
ein    kern  n,    In   ein    bier 

birne]  gut.  Biß  in  diu  todt. 

46.  Ein  annder.    Mein  synnekens 
>i/ji  versteurett,  druck  leidenn   moß  ich 
altxeitt  horenn . . .   1  vierzehnz.  str. 
(spr.)  Kim  lieber  dan  dich, 
Das  weis   *  i < » t t    vnnd   ich, 
Kein  ander  ich    be 

i  ih  ich  schon  wer  der  welö  ein  her. 
'/..  1  u.  2  s.  oben  hinter  nr.  36;  z.  3  u.  I 

hinter    nr.    '.);     alle    I     Zeilen    unten    : 

nr.  95.  Z.  1  n.  2  auch  in  der  nieder- 
rheinischen  hs.  v.  j.  L57 1 ,  bl.  95*:  Eupho- 
lion  9,  294. 

17.  Km    annders.       Meins    synnekens 
sei iitt    mir   durehiogenn,    von    eint 
schöner  ju/nckfraw  fein  .  .  .  .">  aohl 

Vgl.  \niw ,  Ib.  1544,  nr.  114,  in  5  Strophen, 
wovon  die  drei  ersten  den  handschrift- 
lichen entsprechen. 

18.  Bin  annder.  Frolich  so  lrillenn 
mir  singen,  schla  drin  weib,  vmb  denn 
fcop,    niitt    kluppelenn    Balstu  sei  schme- 

renn,  sei di  iiiekenn    ihr  mantell  vnnd  rock, 

vnnd   treitl   sei    mit t    den   fossenn,   vnnd 

su  ii  sei  bei  dem  har,  thuitt  ihr  da 


518 


.im,  ich  huir  <'iii  stim 
x.  1 1 r i< J  gib  jr  einenn  schlagh.  5  neunz.  str. 
M  1,1.  Berlin  V<l  9552  Km  new  lied, 
von  einem  |  alten  man,  wie  er  ein  weyb 
oam.  |  Wer  ''in  lied  von  einem  |  lieder- 
lichen man  vml  seinem  weyb.  |  Auch  ein 
tagweyß,  wie  |  man  die  bftseri  weyber 
schlahen  sol.  |  Ein  ander  lied,  In  dem 
thon,  [ch  het mir  fürgenummen.  (4bL8° 
o.  o.  u.  j.,  rücks.  des  letzten  blattes  leer.) 
3.  Frölieh  so  wil  ich  singen,  schlach  dein 
weyb  vmb  den  kopiT  . . .  5  str.  —  London, 
Brit.  museum  11,  522  df  26  Ein  kurtz- 
weylig  Lied,  |  von  eynem  liederlichen 
mau  |  vnd  seynem  weyb,  In  dem  |  Thon, 
Maria  zart.  |  Ein  Tagweyß,  wio  man  die  | 
bösenweyber  schlahen  sol.  |  (Bildchen.  Am 
schluss:)  Gedruckt  zu  Nürnberg  |  durch 
Valentin  Newber.  (4  bl.  8°  o.  j.,  rücks.  des 
letzten  blattes  leer.)  1.  Meyn  fraw  Hild- 
gart,  gar  offt  meyn  wart ...  5  achtzehnz. 
str.  —  2.  Frölieh  so  will  jeh  singen,  schlag 
dein  weib  vmb  den  kopff...  5  neunz.  str.  — 
Berl.  hs.  Mgq  718,  bl.  66a:  Mit  lust  so  will 
ich  singen,  vnd  schlag  dein  weyb  zum 
kopff,  mit  knutlen  soltu  sy  pören,  ver- 
setz ir  mantel  vnd  rock,  vnd  tritt  sy  mit 
den  fuessen  vnd  nym  sy  bey  dem  har, 
liatt  sy  darab  verdriessen,  ain  stym  die 
lautt  so  suesse,  so  gib  ir  manchen  stoß. 
5  str. 

(spr.)  Katzenn,  binden  vnnd  beeren 
Diese  drei  gedirte  kan  man  woll  lernen, 
Man  fiudt  abers  keinen  so  weisen  man, 
Der  ein  boß  weib  bezwingenn  kann. 

Vgl.  Werltspr.  1562,  bl.  F2b: 

Louwen,  baren  vnd  swyne, 
Dat  synt  dre  wilde  deerte  tho  themen. 
Ick  sach  nü  so  wyß  einen  Mau, 
De  ein  quädt  wyff  themen  kan  . .  . 

Werldtspr.  1601 ,  bl.  24a. 

19.  Ein  aunder.  So  ionische  ich  ir 
ein  gutte  nacktt,  xu  hundertt  thausentt 
stunden  ...  3  zehnz.  str.  =  1582  A  10, 
B  62;  Forster  I,  130,  Blumm  u.  Aussb., 
3.  87,  nr.  94;  Bicinia  1545  II,  92,  Gassenh. 
u.  Reutterl.  25  —   beide    male    nur   die 


erste    tr.    Fl.  bl.  Es.  1574,  nr.  16,    1575, 
or.39,  Pal.343,  nr.  183,  Val.  Hol!  1526, 
iL  I55b.   —    Boffmann,    Gesellschaft^., 
nr.  135;  Goedeke-Tittm.,  .-.  65. 
(spr.)  Leidenn  vnd  meiden  is  mein 

cleidt, 
F.in  mantell  von  druck  is  mir  bereitt, 
Vnnd  is  gefodertt  mitt  verdreitt, 
Noch  woll  ich  lieber  inn  ellendt  leben 
Dan  meinenn  bolen  vbergebenn. 

50.  Dweill    vmbstmst    ist    alU    kurut, 

um  IiujIh  ii  in//  frei gegebenn  ...  3  zwölf/., 
str.  =  65  lioder,  Strassburg.  Schöffer  u. 
Apiarius  (o.  j.),  nr.  45;  Förster  1,  120; 
Joh. Eccardus,  Newe  deutzsche  lieder  1 578, 
nr  4  (nur  d.  erste  str.;;  Dedekind,  Dode- 
katonon  1588.  nr.  30;  vgl.Goedeke,  Grundr. 
IL-,  s.  32.  34.  57  u.  ö.;  Wolkans  liederb.: 
Euphorion  6  (1899J,  s.  655,  nr.  55. 
(spr.)  Wehr  kein  weiblich  bildt  auff  erden, 
So  woll  ich  ein  waldt  bruder  werden n. 

51.  Ein  annder.  Ich  sag  ade.  mir 
xwei  mir  müssen  scheiden  ...  4  un- 
gleichm.  str.  Forster  n,  27  (Goedeke, 
Grundr.  IL',  s.  34);  Antw.  liederb.  1544, 
nr.  100;  Hs.  1537:  Weim. jahrb.  1 ,  s.  104, 
nr.  15;  ursprünglich  holländisch,  akro- 
stichon  auf  den  namen  „Jacob'".  <>.  Niege 
v.  Allendorf:  Berl.  Mgq  864,  V:  Zuchtige 
Liedlein  von  der  Liebe  ...  bl.  37 a  (alte 
Zählung  30a)  Ich  sag  ade  vff  begeren 
corrigieret.  |  Ich  sag  ade  |  Wir  zwey  wir 
müssen  scheiden  ...  3  siebenz.  str.  (bl.  6" 
mel.).  Willems,  Oude  Ylaemsche  Liederen 
1848,  s.  366;  Snellaert,  Oude  en  nieuwe 
Liedjes  1852,  s.  19,  1864,  s.  50. 

(spr.)  Mein  augenn  mögen  dich  woll  ver- 
ließen 
Mein  hertz  sali  nymmer  ein  ander  kesenn. 

Vgl. Hs.  1574,  bl.  45"  (auch  31") :  Eupho- 
rion 9,  s.  26  (auch  8,526). 

52.  Mein  Syn  sein//  mir  enthogenn, 
mein  hertx  iß  mir  durehwondtt  ...  3 
neunz.  str.  Vgl.  hs.  v.  j.  1537:  Weim.  Jahr- 
buch 1,  s.  103,  nr.  12  „Miju  sinnekens 
sijn  my  onf bogen"  5  str.  Vgl.  oben 
nr.  47. 


BERLINER    LlEDERHANDSOH.il]     V 


519 


(spr.)  Serpentin  zongen  iß  boß  veniii 
Noch  findtt  man  die  erger  sein. 

53.  Ein  annder.  Ich  reitt  mich  ein- 
mall  auff  euenture,  für  einen  ivaltt  was 
vngehuire  ...  3  siebenz.  str.  Hs.  1537 : 
Weim.  jahrb.  1,  s.  106,  nr.  43  „Ic  reet 
my  uit  op  avonturen u  3  str.  Heidell). 
Pal.  Germ.  343,  nr.  144  Ich  ritt  mir 
aus  nach  abentheur,  3  str.  Hone,  An- 
zeiger 7  (1838),  sp.  378.  -  Görres,  s.  90; 
Uhland,  nr.  146;  Böhme,  Altd.  Ib.,  nr.  188, 
Liedern.  III,  s.  183,  nr.  1295.  —  Vgl.  noch 
bei  Hoffmann,  Horae  ßelg.  2,  s.  84  lied- 
anfang  aus  d.  15.  Jahrhundert:  Ic  reist 
mar  mit  om  aventure  al  in  een  wout. 

(spr.)  Ehr  vnnd  zuchtt 
Freie  ich  in  aller  sochtt, 
Wer  mir  das  beschertt 
So  hette  ich  meins  hertzen  beger. 

54.  Ein  annder.  Ein  Libser  man,  der 
stertxen  kan,  da  dreibt  man  mitt  den 
spott  vnnd  hon  ...  3  siebenz.  str.  = 
Schöffer  u.  Apiarius,  65  heder  (Strassb. 
o.  j.),  nr.  28,  in  3  entspr.  str. —  Böhme, 
Altd.  Ib.,  nr.  357;  Liederh.  III,  s.  553, 
nr.  1767. 

(spr.)  Wer  ich  ein  böser  artt 
Dier  beste  (1.  bößte)  der  ehe  geborn  wartt 
Vnnd  wer  mein  mutter  ein  huer 
Vnnd  mein  vatter  ein  dieff, 
Hett  ich  geldtt  so  wehr  ich  lycb. 

55.  Ein  annder.  Das  flog  ein  blaw 
fließ,  auß  wilder  artt,  der  hatt  mir  »/ei- 
nen falckenn  entfortt,  ich  kons  nitt 
wiedder  finden.    5  str. 

(spr.)  "Wer  als  guitt  Schlitten  farenn  on 

sehne 

Als  bolenn  aus  der  ehe, 

So  dorfftenn  die,  baurenn    keiner  karren 

mehr. 

56.  Bin  annder. 

Ach  Gott,  was  sali  ich  Bingens, 
kurtzweill  ist  mir  wurden  theur, 
vor  Zeiten  ginck  ieh  springen, 
(las  bos  ich  alles  huett  |/.  heur]; 


mit  grossen  suchten  schwer 
verzehr  ich  mangen  tag, 
ungefell  ist  widder  gefer, 
wiewoll  ich  des  ohemantz  eu  clagh. 

Lieb  haben  und  zu  meiden 
ist  mir  eine  schwere  boiß, 
das  macht  des  kleffers  zunge, 
daß  ich  dich  meiden  inus. 
das  ich  dich  bah  verlassen 
so  ganz  und  überall, 
so  bin  ich  lieb  dein  eigen, 
glaub  mir  zu  diesem  malb. 

Du  hast  mir  [ganz]  umbfangen 
das  junge  herze  mein. 
nach  dir  hab  ich  verlangen, 
du  zartte  junckfrewlein  fein; 
dein  mundtlein  rott  mir  zu  meiden 
ist  mir  ein  schwere  buiß, 
deß  trauivn  ich  wiuter  und  sommer, 
das  ich  dich  meiden  moß. 

Ich  sali  und  moß  [mich]  scheiden, 
eß  kan  nitt  anders  sein, 
das  brengt  mir  grosses  leiden, 
ist  mir  ein  schwere   pein : 
ach  scheiden  immer  scheiden, 
[und]  wehr  hatt  dich  erdacht, 
du  hast  mein  junges  herz[e] 
auß  freuden  in  trauivn  bracht 

Vgl.  hs.  d.  Ainalia  von  Cleve:  Zeit- 
schrift 22,  s.  Hü  Leb  got,  wat  -<all  ich 
syngen,  |  kuitzwyle  ist  myr  woyrden 
duyro  . .  .  11  achtzeilige  Strophen,  wovon 
1.2.  5.6  vorstehender  Fassung  entsprechen. 
Eeidelb.  Pal.  343,   or.  L3  ■■    was 

sol    ich    singen,    freudt    ist    mir    worden 
deur  ...  5  achtz.  str. ;  71. 

(spr.)    (  »eh    Illuehtt    tob    WllllM  lien    dttS   ioh 

woltt, 

in  der  hellen  all  kleffer  liehen  soltt, 
So  moohtl  ich  zu  willen  sein 

Der  aller   liebster  mein. 

X.  3  ..  aller"  hinler  „  zu  -  in  der  hs. 
durchstrichen ;  .liehen"  „leben"  wie 
sehr  ult    in  der  hs. 

.">7.  Ein  annder.  Ooh  Oott  trie  ist  mein 
boll   80    irilll,    daß  man    innnui  an  drin 

//,,/,    jindt  ...   .">  ungleiohm.  Btr.    V 
Lntw.  Ib.  154  I,    in.  138,   in  ii  Btrophen, 


520 


wovon  die    i  hlu      trophe  >\>-\   band  ch]  ifl 

fehlt,    die    andern    'I i    enl  prechen   in 

dei   folge  l     ::.  5.   I.    Vgl.  Böhme,    Ütd. 
liedei  buch .  nr.  423. 

(spr.)  Liebde  mag  Leidtl  Leidenn, 
niercl  ich  zu  allen  zeitten, 
wer  mit  liebdenn  iß  vmbfangen, 
der  Bteitt  seldenn  sonder  verlangen. 

58.  Ein  annder.  Ach  lieb  mitt  leidt 
wie  hastu  dein  beschritt  cleglich  in  kurfa 
gespiltt  auff  mich  ...  '■'>  zwölfz.  str. 
L582  A  ii.  B58;  Forster  [,97;  Öglin  1512, 
„r.  i;  (vgl.  Goed.  II  '.  s.26  a.27  ;  Gassenh. 
n.  Reutterl.,  nr.  19;  Bicinia  1545,  II .  94; 
Blumm  ii.  Aussl..,  s.  180  (nr.  183).  Fl.  14. 
Berl.  hs.  1575,  nr.  38,  Beidelb.  Pal.  343, 
nr.  Md.  Münch.  Cgm  1137,  bl.  365.  - 
Wackern.  L841,  s.860;  Erk-Böhme,  Lie- 
derh.  III.  s.  455,  nr.  1644  (verdruckt  1444). 

i  spr.)  Mar  tlii-  Lieff  denn  heffl  gewaltt, 
Dar  seintl  die  gedanckenn  mennichfaltt. 

59.  Ein  annder. 

Mein  herz  ist  alles  traurens  voll. 
darzu  bin  ich  bedrofft, 
Ereudtt  und  niutli  ist  gar  darhin, 
für  einen   narren   werden  ich  geeufft, 
oeh  richer  gott  das  elag  ich  dir, 
das  ich  die  liebste  moiß  meiden. 
brengt  mir  ein  schwäre  pein. 

Trauren  und  leiden  moß  mein  eigen  sein, 
darzu  hin  ich  bedrufft, 
die  schönste,  der  ich  so  lang  gedienet  han, 
hart  mich  darzu  gebracht, 
daß  ist  des  falschen  kleffer  schuldtt, 
her  gott  mocht  ich  daß  ahn  im  wreghen, 
sunsl   wirti  sie  mir  nymmer  holdtt. 

Ich  hah  den  tagh  woll  ehr  geliebt, 
daß  ich   was  freuden  reich, 
kein  freier  holt  auf  erden   lieht, 
daß  ließ  ich  gethuncken  mich, 
nhu  hin  ich  verschmadett  vonn  aller  weltt, 
daß  liehtt  mein  herz  in  den  thoitt  gequeltt, 
biß  daß  eß  mir  besser  gefeit. 

Daß  ich  nhu  so  traurich  bin, 
•i   3  ist  meiner  traurigheit  schuldtt, 
und  wan  sie  sich  bedenken  woltt, 
sie  must  mir  wesen  holtt, 


och  mochi  i  B    under  den  thott  ges<  liehen, 
mein  herz  woltt  ich  aufeobliet 
und  Lassens  vonn  binnen  besehen. 

Beidelb.   Pal.   343,    nr.  68,    in 
Weim.   b  i.    1537:  Wenn,  jahrb.  1 .  8.  i<  l. 
nr.  20,    in    5  str.     Wolkans    Liederbuch: 
Euphorion  6,     .  659,    nr.  96,    in 
Str.  II .  /..  2    trawren    mos    ich    t;e 
nacht.    IV  fehlt  in  der  Berliner  he.    DU 
drei   letzten   /.eilen   bilden   eine  mehrfacl) 
angewandte  Bchlussformel ;   vgl.   Berl.  h& 
L574,   wo   die    letzte    Strophe    des  Liedes 
„Ich  schweigh  and  mues  gedenken  *  (i 
beginn! :   Lch  mogl  es  sunder  den  toi 
schi  hen ,  |  Berzallerliebster  mein,  I  Mein 
her/.    wol|t|    ich    dir    uf    schneiden ,  |   1  fad 
ns  von  binnen  bsehn  . . . 

(spr.)  Och  wie  schwaer  'las  ehr  di 
her  diepe  suchtet  und  uitt  en  claget; 
Ich  wer  well  fro  wan  ich 
Und  hette  waß  ich  haben  wolthe. 

60.  Ein  annder. 

Lustlich  so  hah  ich  mich  außerweltt 
meines  herzen  ein  ewigen   krön, 
die  mir  in  meinem  herzen  gefeltt 
bouen  andern  junckfrawen  schon, 
mitt  thugden  ist  sei  sehr  gezierel 
das  hübsche  junckfrewleiu  fein, 
des  ist  stetz  zu  ir  gekert 
das  frum  junge  herze  mein. 

Ich  sagens  nhu  zu  dieser  zeit 
all  auß  meins  herzen  grün  dt, 
mein  herz  steitt  mitt  ganzen  fleiß 
nach  irhem  roter  mundt, 
so  sali  sie  stetz  die  liebste  sein 
und  sein  mein  außerkoren, 
sie  gefeltt  mir  in  dem  herzen  mein, 
meinen  dienst  will  ich  nicht  sparen. 

Sie  lest  eß  mich  geniesen 
meines  herzen  einiges  trost, 
wan  sie  das  krichtt  zu  wissen. 
das  ich  uhu  sein  verlost 
von  mugh  und  auch  vonn  sorgen 
mein  syn  auf  jr  gestaltt, 
daß  redt  ich  vnuerborgen, 
sie  mir  allein  gefeltt. 


BERLINER    UEDERHAMDSCHE1FT    V" 


521 


Ihr  eigen  will  ich  sterben, 
das  redde  ich  ir  furwar, 
ir  traw  will  ich  erwerben, 
die  liebde  sali  werden  ciaer, 
die  ich  zu  ihr  hab  getragen 
so  manniche  stuadtt  und  tagh, 
nhun  will  ich  öffentlich  sagen, 
das  machet  Venus  macht. 

(spr.)  Ich  woltt  gern  wissen  wie  ehr  heisth, 
Der  sich  votm  hübschen  junckfrewlein  nitt 

narren  leiß, 
Nemo  is  ehr  genhant, 
Nusquam  is  sein  vatter  landt. 

Vgl.  Künstlike  Werltspröke  1562,  hl. 
B2a:  Ick  wolt  gern  weten,  wo  de  hete,  | 
De  sick  van  frouwen  nicht  narren  lethe... 
Werldtspr.1601,  M.  9*. 

Von  einem  in  fliegenden  drucken  (Yd 
7821,  st.  12  u.  14,  Ye  2942  u.  43)  mehr- 
fach anzutreffenden  liede  des  Jörg  Graff 
lauten  anfang  und  schluss: 

Nun  hört  jr  herren  all  geleych,  wie 
yetzt  bey  Wien  in  Österreich,  vier  mort 
sein  geschehen,  von  einer  hübschen 
vischerin,  das  wil  jeh  euch  veriehen  .  .  . 

Ich  west  so  gerne  wie  der  hieß,  der 
sich  nit  weiber  narren  ließ,  nun  last  vns 
all  bedencken,  wie  wir  bewaren  vnser 
seel,  das  wirs  dort  nit  versencken. 

Jahrbuch  d.  Vereins  I.  niederd.  Sprach- 
forschung (3.  jahrg.)  1877,  s.  Ol:  Ick 
wolde  gerne  weten .. .  s.  (i:'>  noch  einmal: 
Ich  wims  nicht,  wei  der  beist . .  .  I  zeilen, 
dahinter  „anno  1510".    Vgl.  noch  s.  66. 

61.  Kin  annder.  Ach  wmter  kalti  wie 
mannigfaltt  krengstu  herfa  mutt  wind 
sinnen  .  .  .  6  neunz.  str.  =  1582  A  25, 
B  77.  Niederd.  liederb.  82.  Kl.  1.1.  lls.  L574, 
nr.47;  1575,  ur.  14;  Es.  des  P. Fabriciu  . 
nr.  152;  Goedeke  -  Tittm.,  s.  161;  Brk- 
Böhme,  Liederhort  111,  s.  456,  nr.  1645. 

(spr.)  Der  mir  theitt  »las  ehr  mii 
leb  wils  im  lohnen  ob  ich  kau, 
Kli  sei  [gut]  oder  bofi  ioh  wils  gedenken 
Und  will  im  von  dem  Stilisten  Bohenkon. 


62.  Ein  annder. 
Ich  kam  darher  gegangen. 

die  zeitt  wai'tt  mir  nitt  lan^k, 
und  mir  wartt  dar  gegeben 
ein  freundtlich   ummefangk. 

Und  mir  wartt  dar  gegeben 
all  von  der  allerliebster  mein, 
mich  dochtt  es  kam  mir  eben, 
och  mocht  ich  bei  jr  sein. 

Sy  (?)  fortt  mich  allein  (?) 
als  hier  und  anders  wha. 
des  wünschen  ich  zu  gutte 
vill  thausent  guetter  jair. 

Das  ist  mir  ein  schwere  noitt. 
das  ich  mich  mus  meiden  ir  mnndlein  rott, 
wee  mir  hude  and  immer  mehr. 
wan  ich  sie  so  seiden  sehen. 

(spr.  i  <  Ich  wie  schwur  bie   drachtt, 
Der  schwigtt  vnnd  aemantl  clagtt. 

63.  Ein  annder. 
Woltt  mich  der  wechter  wenken 

nach  meines  herzen  Inst. 

das  ich   midi   nitt   verschli 

an  meines  lieben  brüst, 

ich  holt  ein  hor[n]Iein  schallen 

junckfrewlein  weckt  ewern  gesellen, 

das  ehr  sich  mit   \  erscblap. 

Wie  gern  woltl  ich  inn  wecken 
den  allerliebsten  mein, 
ich  fruchtl  ehr  soltl  ken 

sein   hei/,   and  auch   das  mein, 
ihm  musten  wir  zwei  scheiden, 
so  traurten   wir  alle   beiden, 
(las  thuet  des  tages  schein. 
(ich  wechter  wollestu  sohweigen 

und    folgen    meiner   lehr. 

hei  der  liebsten  woltl  ich  pleiben, 
verlassen  guitl  und  ehr, 
och  weohter  trauwer  geselle, 

wer   mein    lieb   in   der    hellen, 

hei    JIM    so    W  Olti    lob    sein. 

Ehr  nani  sie  bei  den  benden, 
hei  irer  sohneweisser  handtt, 

ehr   leidtt    sei   also   hahle, 

dar  ehi  das  bettelein  fantt. 


522 


dar  likrun  die  zwei  verborgen 
bis  an  den  lichten  morgen 
das  sich  der  tag  auf  brach. 

(spr.)  Ich   woltt  das  all  zongen  weren 
gesplisson, 
Die  mehr  klaffen  dan  s<ü  wisson. 

64.  Ein  annder.  Wor  ich  m/itt  dem 
leib  nitt  kkommen  mag,  dar  ist  all  tagk, 

du  in  hrrtx  vnnd  gcnndt ...  3  sieben/.,  str. 
Vgl.  Forste  111,57.  Fl.  bl.  Yd  7821,  st.  5 
Drey  schöner  lieder,  das  |  erst,  Mein  fleyß 
vnd  müe.  Das  |  ander,  Mein  hertz  bat 
sich  |  mit  lieb  verpflicht.  Das  |  dritt,  Wo 
ich  mit  leib  |  nit  kummen  mag,  |  da  ist 
alitag.  (Bildchen.  4  bl.  8°  o.  o.  u.j.,  rücks. 
des  ersten  u.  letztes  bl.  leer.)  3  in  3  str. 
Hs. M.  Ebonreutters  1530/50:  Berl.Mgf488, 
bl.  323%  in  3  str. 

(spr.)  Frundt  vonn  trawenn 
Trost  vonn  hubschenn  junckfrawenn 
Vnnd  geltz  gnoch  darboi 
Der  daz  erlangenn  kan,  Der  ist  aller  sor- 
gen n  frei. 

65.  Ein  annder.  Du  mein  schatx,  dein 
suesser  schwätz,  dein  weiblich  schon, 
vnnd  hohe  xuchtt,  ist  mir  kuntt  .  .  . 
3  zwölfz.  str.  Pal.  343,  nr.  24  u.  47,  in 
je  3  str.  Gassenh.  u.  Eeutterl.,  nr.  81 :  E 
du  mein  schätz ,  dein  süsser  schwatz ,  dein 
weiblich  schön  vnd  höchste  zucht,  ist  mir 
so  kundt ...  12  z.  (nur  d.  erste  str.) 

(spr.)  Frawenn  list 
Bedrugtt  als  was  da  ist, 
Wer  Gott  ein  gauch, 
Sei  bedrugh  in  auch. 

66.  Ein  annder.  Wiewoll  ich  arm  vnd 
ellendt  bin,  So  hob  ich  doch  einenn  stät- 
tigenn  syn  ...  5  fünfz.  str.  Vgl.  1582 
A  27  u.  227,  B  79  u.  174;  Forster  V,  49. 
Niederd.  liederb.,  nr.  52;  Blumm  u.  Aussb., 
s.  160  (nr.  167).  Fl.  bl.  Hs.  1574,  nr.  61, 
1575,  nr.45;  Hs.  f.  Ottilia  Feuehler  1592: 
Alemannia  1,  s.49 ;  Pal.  343,  nr.  38. —  Görres, 
s.  87;  Uhland,  nr.  72;  Hoffmauu,  Gesell- 
schaftsl.,  nr.  101 ;  Böhme,  Altd.  Ib.,  nr.  431 ; 
£h.n,  s..552#,>r.  747;    E.  ;v._Liliencron, 


Volksl.  um    L530  (Nat-litt  IS 

n r.  126;  O.F.  Becker,  Liedei  a. weisen  I. 

s.  17. 

(spr.)  Ann  einfeltig  vnnd  fi 
Jst  mein  Bchatz  vnnd  reichtomb. 

67.  Ein  annder. 

Jtz  wurtt  mir  kundt  verlangen 
in  meines  herzen  grundt. 
suchten,  trauren,  bangen, 
dick  und  zu  manger  stundt, 
moß  ich  im  herzen  dragen, 
das  ist  ein  leiden  groß, 
ich  weiß  es  nemantz  zu  clagen, 
des  stehen  ich  freuden  bloß. 

Ich  mocht  es  deme  clagen. 
ja  lieber  wer  ime  mein  leidtt, 
drnmb  muß  ichs  alleine  dragen, 
das  ist  gar  schwär  arbeitt, 
jedoch  so  will  ich  hoffen, 
wehr  weiß  wie  es  gefeldtt, 
es  mocht  noch  werden  offen, 
ich  wurdt  zu  ir  geseltt. 

Mich  will  verlangen  thotten, 
und  es  mich  hart  erbrantt, 
ich  leigen  in  grossen  nothen, 
doch  stett  zu  ir  gewantt 
mein  herz  ohn  widder  keren 
biß  auf  mein  hinnefartt, 
in  freuden  kan  sie  mich  erneren, 
wan  sie  nitt  wesen  woltt  zu  hartt. 

(spr.)  Der  mir  mein  hertz  beschwertt 
Vnnd  meiner  in  rechter  trewen   nitt  be- 

gertt, 
Der  loß  mich  pleibenn  der  ich  bin 
Das  beger  ich  vnnd  eigh  (?)  nitt  mein. 

68.  Ein  annder. 
Ade  ich  mos  mich  scheiden, 

ade  ich  mos  daraann, 
ich  bitt  nhu  dragtt  kein  leiden, 
das  ich  mos  vonn  dir  scheiden, 
gedenk  herzlieb  darann. 

Gib  nemantz  baldtt  glauben, 
vertraw  nitt  Jedermann, 
schlag  alles  aus  dem  synnen, 
das  dir  kein  schmerz  en  breugen, 
gedenk  herzlieb  darann. 


BERLINER    LIEDERHAXDSCHRIFT    VON    1568 


523 


Negst  Gott  bistu  mir  die  liebste, 
schwer  ich  auf  meinen  aidt, 
das  herz  in  meinem  leibe 
ist  dein  und  sali  dir  pleiben, 
wehr  ich  schonn    über  thausentt  meilen 

[weit]. 
Ade  du  außerweite, 
ade  ich  moes  daruann, 
Gott  moes  dir  in  gesontheit  sparen, 
und  dich  vor  leidt  bewaren, 
bis  das  ich  wieder  kom. 

Hs.  1574,  nr.  07, in  4  entspr.  str.  Akro- 
stichon „Anna"? 

(spr.)  Ich  bin  der  ich  bin, 
Wiltt  ist  mein  Syn, 
Hogh  ist  mein  mutt, 
Kleiu  ist  mein  guitt, 
Dar  ich  nitt  fill  von  han, 
Der  muß  mich  woll  mitt  freden  lan. 
Zu  z.  1—4  vgl.  Werltspr.  1562,  bl.  G  lb; 
1601,  bl.  26b;  Jahrb.  f.  niederd.  Sprach- 
forschung (3)  1877,  s.  62:  Ick  byn  de  yck 
byn  ...  6  entspr.  z. 

69.  Ein  annder.  Saligh  ist  der  tagh 
der  mir  das  gluck  verlehenett  liatt  .  .  . 
8  vierz.  str.  Vgl.  1582  A  95,  B  40;  Franck, 
Musikal.  bergkreyhen  1602,  nr.  16.  Fl.  bl. 
Hs.  1575,  nr.  3;  Pal.  343,  nr.  97  u.  185. 

(spr.)  Männer  list  iß  bchendtt, 
Frauwenn  list  hatt  kein  endtt, 
Weiß  ist  der  mann, 
Der  sich  für  frawen  list  hüten  kan. 

70.  Ein  annder.  Ich  mm  von  hm, 
danwib  ich  bin,  hertzliebste  mein,  in 
schwerer  pein  ...  3  siebzehnz.  str.  1582 
A  166,  B  49,  in  je  4  Strophen,  wovon 
1  —  3  den  handschriftlichen  entsprechen. 
Fl.  bl.  Ye  16  Drey  hübsche  Lieder,  das  | 
erst,  Lieblich  hat  sich  gesellet,  mein  |  hertz 
in  kurtzer  frist.  |  Das  ander,  Dein  lieb 
durch  |  dringt  mein  jungos  hertz  |  Das 
dritte,  Ich  muß  von  |  hin,  darum b  ioh 
bin.  (Bildchen.  Am  sohluss:)  Gedruokl 
zu  Nürnberg  |  durch  Valentin  |  Neuber. 
(4  1.1.  8°  o.  j.,  rücks.  des  letzten   Id.  lei  - 

3  in  1  str.  1  u.  2  s.  unten  nr.  73  und  9  ' 
Hs.  v.  Helmstorff  1569/75,  nr.  17,  in  I  str. 
Pal.  343,  nr.  161,  in  4  str. 


(spr.)  Ich  bin  from  frolich  vnnd  frey 
Vnnd  obrechtt  darbei, 
Wer  iß  der  gene  dann, 
Der  von  mir  bois  sagen  kan. 

71.  Ein  annder.  Ich  lag  der  schwende, 
so  ich  gedenck,  das  in  eint  jair.  ver- 
gessenn  gar,  iß  worden  mt  in  ...  3  neunz. 
str.    Hs.  v.  Helmstorff  1569  75,  nr.  12,  in 

3  str-  (spr.)  Nach  druck 

Kertt  gluck. 

72.  Nach  luist  hob  ich  mir  außerweltt, 
Die  fraw  meins  hertxerm  ein  trosterin ... 
3  neunz.  str.  =  1582  A4,  B  173;  75  Lie- 
der, Cöln,  A.  v.  Aich  (o.  j.),  nr.  26:  56 
lieder  (o.  j.),  nr.  16;  Forster  III.  55.  Nie- 
derd. liederb.,  nr.  51.  M.  Ebenreutters  hs. 
1530:  Berl.  Mgf  488,  bl.  330».  Vgl.  Bibl. 
d.  litt.  v.  30.  s.  1472;  Wackern.,  Kirchen- 
lied 1841,  s.  855;  C.F.Becker.  Liedern. 
weisen  vergangener  Jahrhunderte,  2.  aufl. 
1853,  III,  s.  3. 

(spr.)  Schon  wortt  vnnd  da  gelogenn 
Habenn  manchenn  gesellen  bedrogenn. 

73.  Ein  annder.  Lieblich  hatt  sich  ge- 
sellett,  mein  hert»  in  kurtxer  frist.  x/u 
emer  die  mir  gesellett  (l.gef.J... 
benz.  str.  =  1582  A.  19,  B  71;  Bergr. 
1531,  nr.  ls.  L536  u.ö.,  m.  27;  Förster  II. 
1540x1.0.,  nr.  ll;  Gassenh.  u.  Reutterl. 
(o.  j),  nr.  6  nur  d.  erste  Btr.;  68  lieder, 
Nürnberg,  J.  v.  Her-  u.  V.  Neuber  (o.  j.), 
nr.  29,  in  4  str.  Niederd.  liederb.,  nr.  in. 
Fl.  bl.  Berlin,  Basel,  Zürich.  Berl.  hs. 
1574,  nr.  17,  1575,  nr.  92;  Beidelb.  Pal. 
343,  nr.  164.  Nicolai,  Üm.2,  s.  ■'>.  ur.2; 
Waokern.,  s.856;  BofEmann,G(  sellso 

nr.  41 ;    Goedeke  -  Tittm.,  s.  25;    Böhme, 
Alul.  liederb.,  nr.  131,  Liedern.  11. 
nr.  456;  R.  v.  Lilienoron ,  Volkal.  um  1530 
i  Vit. -litt.  13),  B.294,   nr    103. 
ispr.)    Allein    mein 
Oder  laß  es  auß  sein. 

Vgl.  Joh.   Petras   de    ICerael .    1 
.hau    (o.  o.)   1656,    3    133;    1660, 
s.  102  (ii.  b\):    .. Lieb  mioh  allein.  |  < klei 
laß  es  gar  seyn  "    Einzeldruck  des  Bril 


524 


imiv  1 L522  'II  53  „Zwey  Hübschen  Lie- 
der" An;  purg .  « Ihristofi  Gaste!  (o.  j.). 
Bchluss:  ..  ML  in  Mein,  l  »der  i  laß  gar 
Bein."  Klone,  A.nz.  f.  kuude  d.  teui 
vorzeit  7  (1838),  Bp.  501 :  „Gar  mein 
oder  laß  aber  niobts  sein."  Eintragung 
der  jungen  baronesse  von  Crailsheim  aus 
dem  jabre  1771  in  die  von  ihrem  vater 
zu  seiner  Studentenzeit  angelegte  liedor- 
handschrift  (Borl.  Mgq  722):  „Liebe  mich 
allein  oder  laß  gar  sein.u  Kopp,  Deut- 
scbes  vulks-  u.  studentenlied,  s.  10,  Ein 
sträusschen  liebesblüten,  s.  14. 

74.  Ein  annder.  Schon/n  vnnd  tartt, 
vonn  edler  artt,  erxeigtt  hast  dich  genn 
mir  [rr it inli lirh  .  .  .  3  achtz.  str.  -  115 
liedlein,  Nürnberg,  J.Ott  1544,  nr.  38: 
E  schön  vnd  zart  von  edler  art,  erzeigt 
hast  dich  gen  mir  freundlich  ...  3  achtz. 
str.  Stellt  man  die  2.  Strophe  mit  der 
diitten  um,  so  hat  man  das  akrostichon 
„E-li-se".  68  lieder,  Nürnberg  (o.  j.), 
n r.  8,  wovon  der  anfang  fehlt:  meinen 
gir  all  lieb  vnd  trew  teil  ich  mit  dir. 
2.  Sech  ich  das  sich,  gelück  für  sich, 
keil  auff  mein  fart  ...  3.  Lieb  hat  kein 
maß  .  .  . 

(spr.)  Verlorenn  iß   wolthatt  vnnd   das 

guitt 
Daß  man  einem  vudanckbarenn  thuitt. 
Ein  böses  hertz  gar  seltenu 
Daß  guitt  mitt  guttem  thuitt  vergeltenn, 
l«;h  will  daß  sei  all  erstickett  werhenn 
Die  anders  sein  dan  sie  geberenn. 

75.  Ein  annder.  Ich  armer  boß  bin 
gantx  verirtt,  ach  Jupiter  sendt  mir  dein 
hilff  .  .  3  zehnz.  str.  1582  A  18,  B  70; 
Förster  III,  75.  Niederd.  liederb.,  nr.  55: 
in  je  6  strophen,  wovon  die  drei  ersten 
den  handschriftlichen  entsprechen.  68  lie- 
der, Nürnberg,  J.  vom  Berg  u.  V.  Neuher 
(o.  j.),  nr.  11  u.  17,  in  je  3  str.  Fl.  bl. 
Berlin,  Basel.  Heidelb.  hs.  Pal.  343,  nr. 
157.  —  Erk- Böhme,  Liederh.  III,  s.  464, 
nr.  1657. 

(spr.)  Wor  ich  mich  hin  wendt 
Vngefell  iß  altzeitt  mein  gesell. 


76.  Ein  anndei     l< ■/>  hm  ,  in  jegi 
uertxagttf    blaß   auf)    mein    fiorttn    hott 
in  h>   n  ,-.-iii/i>    .  .  I  achtz.  ed  in 

era  sinne;  Namenl.  „J 
Nürnberger  druck  von  68  Liedern  (o.  j.j. 
nr.  12;   vgl  ' toedt  ke,   ' rrundr.  II  '.  b.  H); 
Böhme,  Altd.  liederb.,  nr.  1 17. 
(spr.)  Deifl  zu  suchtenn  vnnd  vorn  zu  senden 
Vhell  zu  empfangenn  i  I  groß  eilende. 

77.  Ein  anndei.     Wit   hastu   mich 
krefftiglich  mitt  dein*  r  lieb  vmbfangenn .. 

rzehnz.  str.  =  68  lieder,  nr.  13. 

i  pi.)  Li<'ü  aldeti  \ and  macht!  greiß  bar. 
Sunst  aldett  mannieber  Bunder  jair. 

78.  Ich  clag  denn  tagh  vnnd  alle  stundt, 
daß  mein  außbundt,  nitt  hott  sein  ge- 
sundt  ...  3  fünfz.  str.  =  1582  A  189, 
B  146;.  121  lieder  L534,  tu.  27;  L 15  lied- 
lein 1544  unter  den  sechsst,  nr.  4;  För- 
ster I,  33;  Gassenh.  u.  Reutterl.  (o.  j.i. 
nr.  59,  nur  d.  erste  str.;  68  lieder,  Nürn- 
berg (o.  j.),  nr.  16,  in  3  str.  Fl.  bl.  Yd 
7821  (einband  v.  j.  1530)  st.  33: 
schöne  newe  Lieder  |  Das  erst,  Ich  klag 
den  tag  vnd  alle  stund.  |  Das  ander,  Schön 
bin  jeh  nit.  Das  |  dritt,  Sie  acht  meyn 
nit  auß  vbermüt.  (Bildchen.  Am  schluss:) 
Getruckt  zu  Nürnberg  durch  |  Kunegund 
Eergotin.  (4  bl.  8°  o.  j.,  rücks.  des  ersten 
und  des  letzten  bl.  leer.)  1  iu  3  entspr. 
str.  (Das  zweite  lied  s.  unten  nr.  108.) 
Yd  9261  bruchstück,  letztes  blatt  eines 
liederheftchens,  rücks.  leer,  Vorderseite: 
Ein  anders  Lied.  Ich  klag  den  tag  vnnd 
alle  stund  ...  3  entspr.  str.  Gedruckt  zu 
Augspurg,  bey  der  Agatha  Geglerin.  (1  bl. 
8°  o.  j.)  Yd  9681  Drey  Schone  Lieder,  | 
Das  erst,  Ich  armer  Tob  je.  Das  |  ander 
Ißbruck  ich  muß  dich  |  lassen.  Das  drit, 
Ich  |  klag  den  tag  vnd  |  alle  stund.  (Bild- 
chen. Am  schluss:)  Gedrückt  zu  Nürn- 
berg |  durch  Friderich ,  |  Gutknecht.  (4M. 
8°  o.  j.,  rücks.  des  ersten  und  des  letzten 
bl.  leer.)  3  in  3  entspr.  str.  (Das  erste 
lied  s.  oben  nr.  75).  Heidelb.  hs.  Pal. 
343.  nr.  85.  —  Erk- Böhme,  Liederh.  III, 
s.  464,  nr.  1658. 


BERLINER    LIK.nF.RHAM>SnTRIFT    VON    1568 


525 


(spr.)  Einer  der  woll  verbiedenn, 
Daß  ich  dich  nitt  soll  liebenn 
Vnnd  einen  rappenn  weiß  woltt  badenn 
Der  thuitt  vnnutz  arbeitt  auf!  sich  latheu. 

79.  Ein  aunder.  Eß  iagtt  ein  ieger 
wollgemutt,  ehr  iagtt  auff  (1.  anß)  fri- 
schem freiem  m/uth  ...  4  fünfz.  str.  = 
L582  A  113;  C8  lieder,  Nürnberg  (o.  j.), 
nr.  26,  ebf.  4  str.;  Eorster  III,  72,  in  7 
Str.  —  Wundern.  I,  s.  113;  Uhland,  nr.  101; 
Simrock,  s.  188;  Goedeke-Tittm.,  s.  110; 
Böhme,  Altd.  liederb.,  nr.  441,  Liederh. 
III,  s.  303,  nr.  1442. 

(spr.)  Schweig  vnnd  leitt, 
Mirck  vnnd  mydtt, 
Weß  fromb  mitt  ernenn, 
Des  kann  nemantz  verkerenn. 

80.  Ein  annder.  Ich  irr  iß  mir  ein 
megdlein  hubseh  vnnd  fein,  hntt  du 
dich  .  .  .  '.',  vierz.  str.  08  lieder,  Nürn- 
berg (o.  j.),  nr.  33,  in  3  str.;  Bergr.  1574 
II,  13,  in  5  str.  Fl.  bl.  Yd'<)!)94  Drey 
Hübsche  Lieder,  |  Das  erste,  Wach  auff 
meins  hertzen  |  ein  schöne,  zart  aller 
liebste  mein.  |  Das  Ander,  Mein  M.  [ch 
hab  |  dich  auß  erweit.  |  Das  dritt,  [ch 
weiß  mir  ein  meyd-  |  hin  hübsch  vud 
fein,  ?c.  (Bildchen.  Am  schluss:)  Gedruckt 
zu  Nürnberg,  durch  |  Valentin  Neober. 
(4  bl.  8°  o.  j.,  rücks.  des  ersten  u.  Letzten 
bl.  leer.)  3  in  5  str.  (Das  erste  lied  s. 
unten  in.  100).  —  Nicolai,  Almaiiach  1, 
s.  113,  nr.  19;  Wunderhon)  I,  s,  207; 
Hoffmann,  Gesellschaftsl.,  nr. 50;  Ooedoke- 
Tittm.,  s.  42;  Böhme,  Altd.  liederb.,  nr. 
200,  Liederh.  II,  s.  263,  nr.445;  I.'.  frh. 
v.  Lilieucron,  Volksl.  um  1530  (Nat.-Iiit. 
13),  s.  280,  nr.  97. 

81.  Ein  annder.  Erst  hebt  sie//  nutz 
vnnd  yamer  mi,  ich  sich  das  ichs  nitt 
wenden  kern,  ßo  eß  mus  gescheidenn 
sein  ...  3  sieben/.,  str.  1T.S2  A  195, 
B152;  vgl.P.  Schöffer  L513  bei  Öoedeke, 
Grundr.  11'',  s.  26  u.a.;  OS  Lieder,  Nürn- 
berg (o.  j.),  nr.  34,  in  3  str.  Niederd. 
liederh.,  nr.  I.  Kl.  bl.  Ils.  v.  Belmstorff 
1569/75,  nr.  ls.  Pal.  343,  nr.  li;>. 


(spr.)  Wer  ein  vngluck  nitt  meiden  kan, 

Der  gehe  nhur  frisch   mitt  fremden  dran. 

Das  leidtt  das  man  mitt  freuden  annympt 

zu  leichter  wan  eß  einem  anknmptt 

82.  Ein  annder.  Für  alle  freudtt  rmff 
diesscr  erdtt,  hab  ich  mir  ein 
ausericeltt  ...  3  zehnz.  str.  OS  lieder, 
nr.  40,  ebf.  in  3  str.  Fl.  bl.  Yd  7801 
(v.  Nagler),  st.  24.  ebf.  3  str.  Weim. 
sammelb.,  st.  55  Drey  hübsche  Lieder, 
Das  Erst,  Für  alle  freud  auff  diser 
erden  :c.  |  Das  ander,  Ich  scheid  dahiu, 
doch  |  bleybt  meyn  sin.  Das  dritt.  j 
Wie  schön  plüet  vns  |  der  Maye.  (Bild- 
chen. Am  schluss:)  Getruckt  zu  Nürnberg 
durch  |  Kunegund  Hergotin.  (4  bl.  8°  o.  j., 
rücks.  des  ersten  und  des  letzten  I 
leer).  Für  alle  fiewd  auff  diser  erden, 
hab  jeh  mir  eyn  schätz  außerweit  .  .  . 
.".  str.  Das  dritte  lied  des  einzeldrucks 
unten  nr.  118.  Heidelb.  hs.  Pal  343,  nr. 
132,  ebf.  3  str.  ursprünglich  akrostichon 
FELifXr 

83.  Ein  annder.  Kein  freudtt  ohn  leidtt 
n/(ii/  mir  wiederfaren,  dweill  ich  plech 
der  liebenn  tuchtt  .  .  .  .">  zehnz.  str.  = 
1582  A  ::;»,  B91.  Niederd.  Liederb.  109(94). 
Fl.  bl.  Hs.  1574,  nr.  18;  1575,  nr.  Iv  Kik- 
Böhme,  Liederh.  III,  s.  168,  nr.  1663 

(spr.)  Eß  liatt  die  ridtt, 
Wie  ichs  anfangli  so  schickt  siehs  nitt. 

84.  Ein  annder.  Nye  grosser  leb  mir 
\/i  handenn  kam,  vonn  wunderlichem 
schertxenn  ....'!  zehnz.  str.  1582  \  191 ; 
Forstei  I,  109;   Goedeke-Tittmann,  b.  24, 

(spr.)  Nemantt  aufferdenn  so  woll  ihoitl 
Das  eß  iederman  dunckti  -''in 

85.  Kin  ander.  Betrachlt  vnnd  achtt, 
was  scheiden«  machtt,  kein  l>ittc>s  krault 

ii/i/}   enlenn.    Mag  nesein 

(spr.)  leb  pleib  du-  holdtt, 
Eß  kosi  waß  aß  well. 
Daß  weiß  GoW  vnnd  ich, 
Der  weh  be  \  ur  leidtl  behuitl   dich  ^  und 

mich. 


526 


HO.  Kin  annder.  Entwundtt  mein  ge- 
muitt,  ist  nahe  ir  guitt,  für  scha/m  ich 
ir    niit    sagenn    kau,    mein    hertxlich 

gir  ...'.'>  zwi'il  IV..  str. 

(spr.)  So  lang  das  gluck  einem  bei  teitt, 
Kin  ieder  freundtlich  zu  jra  geitt, 
Kiun|it  er  aber  jn  vngefell, 
So  heist['s:]  kein  geltt  kein  gesell. 

ST.  Kin  annder.  Mitt  kommer  schwer, 
in  iit  kommer  schwer,  hott  mich  ganU 
sein  (1.  seer),  groß  vngluck  vmbgebenn... 
3  elf/.,  str.  Vgl.  oben  in.  26  noch  einmal 
dasselbe  lied. 

(spr.)  Wer  schweizer  vnnd  orhen  bleser 
Die  pflumen  Streicher  vund  fedder  leser 
Bei  sich  im  hauß  wonenn  lest, 
Der  hatt  furwar  auch  gerne  gest. 

88.  Ein  auiider.  Holtseheligs  toeib,  dei- 
ner reiner  stoltxer  leib,  hatt  mich  be- 
hafft,  mitt  schwerer  leib  ...  3  str.  Fl.  bl. 
rd  7821  (einband  v.  j.  1539),  st.  19,  drei 
lieder  enthaltend,  Nürnberg,  K.  Hergotin 
o.  j.  2.  „Holdtseligs  weyb"  3  str.  (Nr.  49 
auch  in  diesem  einzeldruck). 

(spr.)  Vergangenes  sali  man    dencklich 

achten, 
Das  zukunfftig  sali  man  für  betrachten, 
Das  gegenwurtig  ordinerenn, 
So  mag  man  ein  rechtt  lieben  füren. 

89.  Ein  annders.  An  dich  kau  ich  nitt 
frewenn  mich,  seilt  du  mich  hast  ge- 
fangenn ...  3  zwölfz.  str.  =  1582  A  34, 
B  86;  75  lieder,  A.  v.  Aich  (o.  j.),  nr.  5, 
in  3  entspr.  str.;  Gassenh.  u.  Reutterl., 
nr.  31.  Hs.  d.  Amalia  v.  Cleve:  Zeitschrift 
22,  s.  402,  in  3  str.  Fl.  bl.  Yd  9911 
Zwey  Schöne  |  Lieder,  Das  erste  Sag  |  an 
hertz  lieb  was  scheyden  |  thut.  |  Das  ander, 
On  dich  kan  ich  |  nicht  freyen  mich.  | 
(Bildchen.  Am  schluss:)  Gedruckt  zu 
Nürn-  |  berg  durch  Valen-  |  tin  Neuber 
(4  bl.  8°  o.  j.,  rücks.  des  ersten  und  des 
letzten  blattes  leer).    2  in  3  entspr.  str. 

(spr.)  Seich  an  mich  vnnd  gedenck  an  dich, 
Bistu  vnstrafflich  so  straff  mich. 

90.  Ein  anders.  Es  uundertt  rechtt 
mich    kranchen    knechtt,    daß    ich    ver- 


schmaheti    (1.  verschmechf)    n,n   n    .«<>ltt 
si  in  . . .  '.',  achtz 

(spr.)  [ob  bin  ellendicb  vund  rill. -in 
tob  enweiß  aemantt  der  micb   mitt  trau- 
ten meinet 

91.  Kin  annder.  Ach  vnfall  schwer 
iiiml  sehentlich  pein,  verlangenn  nun// 
mein  leiden  ...'.'>  zwölf/.,  str.  Akrostichon 
„An[n]a"? 

(spr.)  Sei  krencktl  mir  syn  nmd   moitt 
Dy  Cm  mir  des  gefallene  thuitt, 
Vur  sei  stell  ich  Ir-il,  mnd  guitt. 

92.  Ein  annder.  Dein  lieb  durchdringtt 
mein  eilendes  hertx,  furwar  <.n  schertx, 
hin  ich  verwundt . . .  3  elfz.  str.  1582 
A  205,  B  165.  Kl.  bl.  Ye  15  „Drey  hübsche 
Lieder-'  Nürnberg,  V.  Neuber  o.  j.  (nr.  70 
auch  darin).  5Te  16  „Drey  hübsche  Lieder1 
Nürnberg,  V.  Neuher  o.  j.  (nr.  70  u.  73 
auch  darin).    Alem.  1,51. 

(spr.)  Noch  gewin 

Steitt  mein  synn. 

93.  Ein  annder.  Weß  sali  ich  mich 
ernerenn,  ich  werdtt  gehaltenn  so  kortt... 
3  neunz.  str.  Vgl.  oben  nr.  39  Mocht  ich 
vergessen  lehren  ...  3  neunz.  str.  P.  v.  d. 
Aelst,  De  arte  am.  1602,  s.  182  Wes  soll 
ich  mich  ernehren.  ich  bin  gehalten  so 
hart ...  8  neunz.  str.  5.  Möcht  ich  ver- 
gessen lehren  .  . . 

(spr.)  Kundtt  ich  mitt  blauwen  lackenn 
Ein  loß  hertz  stehett  machenn, 
Hett  ich  bürg  vnnd  landtt 
Ich  geb  sei  all  vmb  blaw  gewanndt. 

94.  Ein  annder.  Wha  sali  ich  hin,  wa 
sali  ich  her,  ivha  sali  ich  mich  hin 
kerenn  ...  4  zwölfz.  str.  =  1582  A  82, 
B  155.  Fl.  bl.  Hs.  d.  Amalia  v.  Cleve:  Zeit- 
schrift 22,  s.  405,  nr.  28,  in  10  str.  Hs. 
1575,  nr.  68,  Pal.  343,  nr.  11 ,  in  je  4  str. 

(spr.)  Och  Gott  ker  vnnd  wendt 
Mein  sach  zum  gutten  endt. 

95.  Ein  annder.  Eß  taghtt  vor  dem 
tvalde,  stelle  an  ff  sehonn  boill .  .  .  3  str. 
Fassung  sehr  verdorben. 


BF.RLIVF.R    LIFJiEKHANIlSCHRIFT    VON    1568 


527 


(spr.)  Kein  lieber  dan  dich, 
Das  weiß  Gott  vnud  ich, 
Kein  lieber  ich  beger, 
Vund  wehr  ich  schonn  der  weit  ein  her. 

Dieselben  vier  Zeilen  s.  oben  hinter  nr. 
46;  z.  1  und  2  für  sich  besonders  hinter 
nr.  30;  z.  3  und  4  hinter  nr.  9. 

96.  Ein  annder.  Mein  einigs  A  mein 
höchster  schätz,  mein  trost  miff  dieser 
erden/n  ...  3  zwölf z.  Strophen,  deren  letzte 
nicht  vollständig  ist.  Vgl.  Pal.  343,  nr. 
171,  ebf.  3  str.  Fl.  bl.  Yd  9126  (beschr. 
s.  oben  nr.  23)  in  3  str.  Yd  9918  Zwey 
hübsche  Lieder,  |  Das  erst,  Es  ritt  ein 
Reutter  |  wolgemut.  |  Das  ander,  Mein 
eyuigs  A.  |  mein  höchster  schätz.  (Bild- 
chen. Am  schluss:)  Gedruckt  zu  Nürnberg 
durch  |  Valentin  Neuber.  (4  bl.  8°  o.  j., 
rücks.  des  ersten  und  des  letzten  blattes 
leer).    „Mein  einigs  A."  3  str. 

(spr.)  Ich  hab  dir  hertz  lieb  mein  liebenu 

geben n. 
Du  kanst  mich  thottenn  oder  lassenn  lieben, 
Noch  sali  mir  uemantz  lieber  sein 
Dan  allein  das  junge  hertze  dein. 

97.  Ein  annder.  Ellendtt  brengtt  fein, 
dem  hertzenn  mein,  so  ich  dich  li<l>  mus 
meidenn  . .  .  3  zwölfz.  str.  Akrostichon 
ELS?  =  Forster  I,  92,  III,  79;  115  lied- 
lein 1544,  nr.  76,  in  2  str.;  65  lieder, 
Strassburg,  Schöffer  u.  Apiarius  (o.  j.), 
nr.  43,  in  3  str.;  Gassenh.  n.  Reutterl., 
nr.  51,  nur  d.  erste  str.  Vgl.  Goedeke, 
Grundr.  II2,  s.  32.  34.  36.  38  u.  ö.  Fl.  bl. 
Berl.  hs.  1575,  ur.32;  Heidelb.  Pal.  343  fol., 
nr.  67. 

(spr.)  Noch  guitt  vnnd  gluck 
Stell  ich  mein  hoffnung  duck. 

98.  Ein  ander.  Ade  ich  mus  mich 
scheidenn,  uns  traurentlichem  mutt  .  . . 
4  neunz.  str.  1582  A  169,  B  87,  in  je 
7  strophen,  wovon  die  I  ersten  den  hand- 
schriftlichen entsprechen.  Kl.  hl.  Yd  9081 
Schoner  lieder  zwey.  |  Das  Erst,  Lide 
iniiU  ich  mich  Bchey-  |  den,  ans  trawrigk- 
lichem  mfit.  |  Das  Ander,  Freundlicher 
helt,   ich  hab  |  erweit,    mevn    heit/,    bej 


dir  |  zu  bleyben.  \  M.D.XXVj.  (4  bl.  8° 
o.  o.,  rücks.  des  ersten  und  des  letzten 
blattes  leer).  1  in  7  str.  —  Yd  7S21 ,  st.  22 
Schöner  Lieder  zwey,  |  Das  erst.  Aide 
jeh  mich  scheyden,  |  auß  traurigk- 
lichem  mfit.  |  Das  ander,  Freundlicher 
held,  jeh  hab  |  erweit,  meyn  hertz  bey 
dir  |  zu  bleyben.  (Bildchen.  Am  schluss:» 
Gedruckt  zu  Nürmberg  durch  |  Kunegund 
Hergotin.  (4  bl.  8°  o.  j.,  rücks.  des  ersten 
und  des  letzten  blattes  leer).  1  in  7  str.  — 
London,  Brit.  mus.  11,  522  df  18  Schöner 
Lie-  |  der  zwey  Das  erste,  Aide  ich  |  muß 
mich  scheiden,  aus  trawrig-  |  klichem 
mut.  |  Das  ander,  Freundtlicher  Heldt, 
ich  |  hab  erweit,  mein  hertz  bey  |  dir  zu 
bleiben,  |  (Bildchen.  Am  schluss:)  Ge- 
druckht,  zu  Straubing,  |  durch  Hansen 
Burger.  |  Amor  vineif  oiimia.  (4  bl.  ^u 
o.  j.,  rücks.  des  ersten  und  des  letzten 
blattes  leer).  1  in  7  str.  —  11,522 
Zwey  Hübschen  Lieder,  das  |  Erst,  Aide 
ich  mfiß  mich  scheyden,  auß  |  trawrigk- 
lichem  Mnt.  |  Das  ander,  Freündtlichei 
Held,  ich  hab  erwölt,  mein  Hertz  |  bey 
dir  zubleiben  je.  |  (Bildchen)  |  Getrucki 
zu  Augspnrg,  Durch  |  Christoff  Oastel. 
(3  bezw.  -1  bl.  8°  o.  j.,  viertes  Hart  fehlt, 
rücks.  des  ersten  leer).  \m  schluss: 
„AlleinMein,  Oder | laß  gar  sein."  1  in  7  str. 
—  C.F.Becker, Liedern. weisen  I.  3.  15. 

99.    Ein   annder. 

Schons  lieb  ich  bin  dir   treu   und    holtl 
aulJ  ganzem  meinem   herzen, 
woltt  gott  das  mirs  geboren  soltt 
initt  dir  frundtlich  zu  Bcherzen, 
nicht   liebers  auf  erdt 
mein  junges  her/  begertl 
dan  dein  Freundtschafft  su  erwerben, 
desto  Erolicher  woltt  ich  Bterben. 

Du  soltt  mein  gemueti  aichl  verachten, 

du  soh s  megdlein  rein, 

und  mein  gunsl  [solt]  du  betrachten, 
dweil   ich   dich   für  all   gemein 

hab  außerkoren 

nitt  laß  sein  verloren, 

Itl  lieb  mitt  trewen, 
daß  boII  dioh  um  gerauwen, 


i28 


Sprich  zu  mir  «'in  Ereundtliohe  redde, 
das  mein  herz  troal  befinde, 
ii ml  mein  schmerz  sich  verker  zu  freudt, 
dir  will  ich  mich  eweglicfa  verbynden, 
der  diener  dein, 
zuiü  liebste  mein, 
vor  meines  lebens  ende 
will  ich  \<in  dir  tritt  wenden. 

(s|ir.)  Suchten  \  und  clagen 
Machen  mich  altt  in  meinen  jungen  jairen 

(1.  tagen). 

100.  Ein  annders.  Wach  auff  meine 
hertxn  eine  schon  wvrtt  aller  liebste 
du  in  ...  8  siebenz.  str.  Vgl.  Niedenl. 
liederb.,  nr.  144(130).  Fl.  bl.  Hs.  d.frh.v. 
Reiffenberg,  Nouv.  Souvenirs  d'Allem.  I, 
s.  224;  Mgq  718,  bl.  1  lft.  —  Nicolai,  Alma- 
uach  II,  s.  9,  nr.  3;  Wackernagel,  s.839; 
Goedeke -Tittm.,  s.  7:",;  Böhme,  Alt-I.  Ib., 
ar.  118,  Lh.II,  s.  603,  nr.804. 

101.  Ein  annder.  Mein  hertxigs  lieb, 
ich  mich  stetx  ich,  noch  dir  in  allenn 
irlm...  (i  zwölfz.  str.  Wechselgespräch: 
jüngling  str.  1.3.5;  Jungfrau  2.4.6. 

102.  Ein  annder.  Ade  mitt  /cid//,  ich 
von  dir  scheidtt . . .  3  achtz.  str.  =  1582 
A  177,  B  130  (nur  2.  3  =  III.  II);  Lieder- 
buch, Augsburg,  Öglin  1512,  nr.  18,  ebf. 
in  3  str.  (Goed.  II2,  s.  26);  121  lieder, 
Nürnberg,  Ott  1534,  nr.  3,  nur  aniangs- 
strophe.  Berl.  hs.  Mgo  237,  bl.  4a,  in  3  str. 
Hs.  d.  Amalia  v.  Cleve:  Zeitschrift  22, 
h.  401,  nr.  7,  in  3  str.  IIs.  f.  Ottilia  Fench- 
ler:  Alemannia  1,  s.  28,  in  3  Strophen, 
eingerahmt  von  den  beiden  Sprüchen : 
„Lieb  ist  leydes  anfang,  |  es  geste  kurz 
oder  lang"  und  „lieb  haben  vnd  nicht 
genießen,  |  das  möcht  den  tüffel  ver- 
drießen". Pal. 343,  nr. 64,  in  3  str.  Ketz- 
manns  hs.  1552,  bl.  281b,  in  3  str.  —  Hoff- 
mann, Gesellschaftsl.,  nr.  154. 

(spr.)  War  ich  mich  ker  vnnd  wendtt 
(1.  wend'  und  kehr',) 
Ist  mir  nichtz  lieber  dan  mein  ehr. 

103.  Ein  annder.  In  kerter  clagh,  für 
ich  meinxeitt,  vnnd  hin  mitt  schmertxevm 
beladenn ...  3  achtz.  str. 


(spr.)  Die  ich  mir  in  erhn  bab  außerweltt 
Darfur  nein  ich  kein  guitt  aoob  geltt. 

104.  Ein    annder.     0   weiblich   bildtt, 

nie    ri  ich    iinid   milll  ,    dein     Inli  , r/n  //>  i,h 

allenn  das  a/uff  erden/n  ist  ...'.'>  zwölfz. 
h    Goi  deke   gl  ondr.  1 1 '.  höflfer 

1513,  nr.  19.    Pal. 343,  u  iplich 

bildt,  und  noch  einmal  ar.  72   Ein  züch- 
tiges bilt,  in  je  3  str. 

(spr.)  Wer  kans  geramen, 
Dar  ein  jeder  spricM  amen. 

105.  Ein  annder.  Hett  ich  vill  geltt, 
so  wehr  ich  werft  gehalten/n  . . .  '■'>  zebnz. 
str.  =  A.  v.  Aich  (o.  j.),  nr.  19,  in  3  Btr. 
(Goed.  II-,  s.  27);  Pal.  343,  nr.  L35,  in 
ebf.  3  str. 

(8pr.)  Haltt  dich  woll  daz  ist  mein  ratli. 
Hab  lieb  der  dich  lieb  hatt. 

100.  Ein  annder.  Ich  stell  leidtt  ah, 
von/n  sulcher  hob,  der  ich  nein  weiß  tu 
geneissenn  ...  .'!  zwölfz.  str.  A.  v.  Aich, 
nr.  51  (Goed.  II2,  s.  28);  Ernster  I.  18 
(II2,  35);  Gassenh.  u.  Eeutterl.  70  (nur  d. 
erste  str.);  Eccardus  1578,  nr.  10  (ebf. 
nur  d.  erste  str.);  Hs.  1575,  nr.  79. 

107.  Ein  annder.     Aus  guethem  wohn, 

ich   Litrtx  besann,   %u.  geben»   mich,   in 
dienst  vnnd  pflichtt ...  3  zehnz.  str. 

108.  Ein  annder.  Schonn  hin  ich  nitt 
mein  höchster  hortt,  laß  mich  des  nitt 
entgeltenn  . . .  3  zehnz.  str.  1582  A  181, 
B137;  Pinck  1536,  nr.  30,  ebf.  in  3  str. 
(Goedeke  II2,  s.  33).  Fl.  bl.  Hs.  1575.  nr. 
20.  —  Wundern.  III,  s.  77;  Hoffmann,  Ge- 
sellschaftsl., nr.  14;  Goedeke  -  Tittm..  s.  13. 

(spr.)  Ewig  ist  lanck, 
Aber  lanck  ist  nitt  ewigh, 
Darumb  verhör  — 

109.  Ein  annder.  Brennende  lieb  d/i 
heische  flam ,  ic/'c  hastu  midi  vmb- 
gebenn ...  7  zehnz.  str.  Akrost.  „  Bar- 
bara." =  1582  A  110,  B134.  Fl.  bl.  Hs. 
1574,  nr.  55;  1575,  nr.  110;  Hs.  f.  Ottilia 
Fenchler  1592:  Alemannia  I,  s.  8. 


BERLINER   LIEDERHAND  SCHRIFT    VON    1568 


529 


110.  Ein  annder.  Mein  hertx  (Ins  fnnckett 
ftammenn,  auß  rechter  liebdenn  gloett  . . . 
4  neunz.  str. 

(spr.)  Inn  leidenn  still 
"Wer  weiß  wie  es  gott  fugen  will. 

111.  Ein  annder.  Traurenn  mus  ich 
tag  vnnd  nacht,  vn/nd  trauen  groß  ver- 
langenn. .  .  4  siebenz.  str.  Berl.  lis.  1574, 
nr.  23,  ebf.  4  str.  Akrost.  „  Anna."  Antw. 
Ib.  1544,  nr.  147,  in  G  str. 

112.  Ein  annder.  Eß  tagett  cur  dem 
ostcn,  der  tag  schein  vberall ...  10  vierz. 
str.  1582  A  41,  B  93;  Niedere!,  liederb. 
118  (103)  —  in  je  10  Strophen,  wovon 
die  6  ersten  denjenigen  der  handsebrift 
entsprechen.  Fl.  bl.  Ye  429  „Vyff  lede" 
(o.o.  u.  j.)  l.Tdt  daget  vor  dem  osten... 
10  str.  Antw.  liederb.  1544,  nr.  75,  in 
9  str.    Heidelberger  Pal.  343,  nr.  126,  in 

7  str.  Mona,  Anzeiger  7  (1838),  sp.  211.  — 
Böhme,  Altd.  liederb.,  nr.  104,  Liederh.  I, 
s.  33G ,  nr.  94  a  bis  d  und  II,  s.  600 ,  nr.  800. 

113.  Ein  annder.  Ich  reift  ein  mall 
spatzerenn  durch  einem)  grimenn  icnlll ... 

8  fünfz.  str.  1582  A  147,  B  11  in  je 
13  str.  Hs.  1575,  nr.27,  in  5  str. —  Uhland, 
Volksl.,  nr.24;  Böhme,  Altd.  Ib.,  nr.  138 
und  139,  Lb.  II,  s.  260,  nr.  440. 

Von   einem    andern,   ähnlich   beginnen- 
den liede  die  anfangsstr.  bieten  die  68  Li< 
Nürnberg  o.  j.,  nr.  18:  Ich  rit  ein  mal  spa- 
cieren,  spacieren  durch  den  wald  . . .  7  z. 

(spr.)  Auffrechtig  in  allenn  sachenn 
Kan  ir  lieb  vnnd   freundtschafft  machen. 

111.  Ein  annder.  "Die  luethe  die  ma- 
ckenn sieh  spitxich,  auff  mich  gnr  rn- 
uersehuldtt  ...  4  achtz.  str.  Es.  1575, 
nr.  125,  in  3  str.  Fl.  1,1.  Wolfenbütte] 
Scheller,  Bücherkunde  der  sassisch-nie- 
derd.  spr.,  s.  478. 

(spr.)  Ehr  vnnd   ein   getrew  hertz  woll 

besteitt 
AIht   [;ils( -licit t  vnnd  vntrew   zu  nicht .  ver- 

115.  Kin  annder.  Der  heger  <lns  iß 
ein  sparwer  vogell,  er  spotl   allenn  an 

ZEITSCHRIFT    V.    DKÜTSOHK    PHILOLOGIE,       llü. 


dernn  vogelein  an  der  heidenn  ...  12  fünfz. 
str.  FI.  bl.  Ye  1141  „Veer  schöne  Leder" 
(o.  o.  1611)  1.  De  heger  ys  ein  speger 
vagel ...  9  str.  Heidelb.  hs.  Pal.  343  fol.. 
nr.  110,  in  11  str.  —  Görres,  s.142:  Böhme, 
Altd.  liederb.,  nr.  171;  Wolkansliederbuch: 
Euphorion  6,  s.  651. 

(spr.)  Ich  bin  ein  vogell  der  gern  be- 
druchtt. 
Darann  mein  mundtt  nichtes  luchtt, 
Wer  gernn  will  frembde  gutter  erbenn 
Der  mus  offt  quades  thottes  sterbenn. 

Vgl.  Werltspr.  L562,  bl.  F4a;  Werldtspr. 
1601,  bl.25a. 

116.  Ein  annder.  Wienig  träte  ist  auff 
erdenn,    darzu    wienig    erbarkeitt  ...  4 

achtz.  str.  Hs.  1575.  nr.  106,  in  ü  str.  Hs. 
d.  Frdr.  v.  Reiffenberg   1588:   Noov 
venirs  d' Allem.  I,  s.  236,  in  4  str.     Mone, 
Anzeiger  7  (1838),  sp.  84,   in    1  str. 

117.  Ein  annder.  Ich  hott  mich  auß- 
erkorn  'in  [ein-  lieb  wolgethann  .  .  . 
7  achtz.  str.  Hs.  Reiffenb.  158S:  Nouv. 
Souvenirs  1.  s.  L'5  1 .  in  5  hs.  f. 
Ottilia  Fenchler  L592:  Alein.  1,  s.  23.  — 
F.  W.  frh.v.  Ditfurth,  Frank.  Volkslieder  II. 
s.  238;  Erk-Böhme,  Li  lerh.  II.  8.  Ins. 
nr.  584b. 

1 L8.  Ein    annder.      Wii    schonn    blut  t 
vnß  >le,-  meije  ....'<  siebenz.  str.     L5S2 
A  30,    B  32  n.  82,   in  je   I  Btr.;    Forstei 
III,  20,  in   6  str.     68   lieder,  Nürnberg 
o.  j.,  nr.  36,  in  3  Btr.;    Niederd.  Liedorb., 
nr.68(63),  in  5  str.    Fl.bl.  Berlin,  Weimar, 
Ziiiich  usw.    Berl.  bs.  157 1 .  nr.  37; 
nr.  47;  Beidelb.  Pal. 343,  nr.  17  u.  L93. 
Wunderh.I,s.  378;  Göro  -.     100;  Unland, 
nr.  58;  Boffmann ,  Gesellschaftsl.,  ni 
Goedeke-Tittrn.,  s.  163;  Böhme,  Altd.  Ib., 
in.  264;  l.h.  11.  s.  201 ,   nr.  390;    Et  frh. 
v.  Lilienoron,  Volksl.  um   1530  (Nat-litt 
L3),  s.  277,  nr.96. 

119.    Km   annder.       Ein     muls    n/s     ich 

spatxiren  ginok,  durch  wunder  weide 
merekett  seltxatn  ditiek,  Ooh  liebes  lieh 
im  laß  erbarmen  dich  .  .  .  w  priiuh, 

txxv.  34 


530 


Zeilen  abgesetzt,  nichl  -m  k.n nl>;u  ■  •  strophen- 
abteilung. 

120.  All  mein  gepeus  thuitt  mir  so 
wee,  win  soll  ich  klagenn  mein  vei- 
dreiß . . .  5  achtz.  str.  Vgl.  Antw.  liederb 
1544,  ii r.  3,  in  7  atrophen,  von  denen 
1.2.4.6.7  den  handschriftlichen  entspre- 
chen. Tricinia  Wittembergae  1542,  nr.  62, 
nur  'Ii''  erste  str.  u.  mel. 

(spr.)  Beldenn  sehenn  ich  hassen  dich 
Das  du  so  dick  bedrouest  mich 
Seldenn   sehenn  thutt  wer 
Lannge  scheidenn  noch  vill  mehe. 

121.  Ein  annder.  Juuckfraw.  Ach  Unit 
wie  lang,    stehe   ich    vm    schwang,    ich 

tiiviidt  du  icolst  nitt  konicnn  ...    I  ZWÖlf- 
zeilige  str. 

Gassenh.  u.  Reutterl.,  nr.  3  Ach  Gott 
wie  lang  hab  icli  gewart,  ich  meynt  du 
wolsi  oil  kommen  .  .  .  nur  die  erste  str. 
56  lieder  nr.  54  0  lieb  wie  lang  steh 
ich  im  zwang,  ich  meynt  du  wölst  nit 
kommen  .  .  .  ebf.  nur  die  erste  str.  Hs. 
Pal.  343,  nr.  179  0  wie  lang  hab  ich  ge- 
wart, ich  meint  du  solst  nit  sein  kom- 
men ...  3  str. 

(spr.)  Durch  dich  leidtt  ich, 

Wann  du  wiltt  so  trost  mich, 

Mit  freudenn  alzeitt, 

Dem  kleffer  zu  speitt. 

122.  Ein  annder.  Kein  besser  freudtt 
auff  erden  nitt  ist,  Dan  [der]  bei  sei- 
nem bolenn  ist  ...  7  sechsz.  str.  Vgl. 
1582  A  42,  B  176.  Niederd.  liederbuch, 
nr.  31.  —  Wunderhom  IV,  s.  9;  Unland, 
nr.  60;  Goedeke-Tittm.,  s.12;  Erk-Böhme, 
Liederh.  II,  s.  213,  nr.  401  (s.214,  nr.402). 

(spr.)  Hab  ich  lieb  so  leidtt  ich  nott, 
Laß  ich  ab  so  bin  ich  thott, 


Ehe  ich  lieh  durch  leidü  woltt  lau, 

Ehe   woltt   ich  all    mein    tag   in  tri 

,in. 

L23.  Ein  annder.    Ein  boler  mos 
leidenn   fill,   des  bin    ich    innenn  wor- 

iiriiu  . , .  7  zehn/,  tr.  Liederhs.  d.  Amaua 
..  CLeve:  Zeitschrift  22,  b.  125:  Ayn 
bueler  mo;  ß  ich  lyden  \\  II  . . .  7  achtz. 
str.  —  Erk -  Böhme,  Liedern.   II,   B.  292, 

Ml.    171. 

L24.  Ein  annder.  Verltmgenn  verlan- 
gen/n '///  thitett  meinem  hertxermjnne... 
t;  siebenz.  str.  Antw.  liederb.  1544,  nr. 
157.  ebf!  in  6  str. 

125.  Ein  annder.  Mochtt  ich  hertz 
lieb  bei  dir  gesein,   nitt   mehr  tcoltt   ich 

begerenn  ...  3  zehnz.  str.  1582  A  67  u. 
154,  B20  u.  135,  in  je  4  str.  Beil.  hs. 
1575,  nr.  12  u.  61,  ebf.  in  je  1  Btr.  Fl. 
hl.  Val.  Holls  hs.  1526,  bl.  123'':  Feins 
lieb  möcht  ich  bey  dir  gesein,  nit  mer 
wolt  ich  begeren  ...  5  zehnz.  str. 

126.  Ein  annders.  In  fear  iß  liit ,  .  brent 
mir  mein  hertz,  Mein  :<yu  ennd  mein 
gedanckenn  ...  3  achtz.  str.  Kehrreim 
„Noch  frew  ich  mich  der  wiederfartt. " 

L27.  Ein  annder.  Traurenn  du  bist 
mein  eigen  all  geblebenn  Trostloß  bin 
ich  voll  pfantaseien  ...  2  achtz.  Strophen, 
von  der  dritten  der  an  fang:  Dedentt  die 
neiders  die  idtt  mochtenu  merekenn,  Ich 
Sprech  mein  lieb  war  ich  sie  sege,  Ich 
soltt  ir  gan  sagen  allett  von  Fraw  |  Hier 
wird  abgebrochen,  wahrscheinlich  ist  das 
blatt  dahinter  ausgerissen. 

Vgl.  Antw.  Ib.  1544,  nr.  146,  in  10  Str., 
wovon  1  u.  2  =  Hs.  I,  5  u.  6  =  H,  3  = 
in  anfang. 


BERLINER    LIEIiERHANDSCHRJFT    VO 


531 


Verzeichnis  der 
Hs.  Y.  j. 

Ach  Gott  was  soll  ich  singen  ...  56 
Ach  Gott  wem  soll  ich  clagen  .  .  38 
Ach  Gott  wie   ist  mein  boll  so  wiltt     57 

Ach  Gott  wie  lang  stehe  ich  im  schwang  1 21 
Ach  lieh   mit    leidt  wie    hastu    dein 

bescheit 58 

Ach  Unfall  schwer  und  sehentlich  {»ein     91 

Ach  winter  kalt 61 

Ade  ich  mus  mich  scheiden,  ade  ich 

mus  darvan 68 

Ade  ich  mus  mich  scheiden  aus  trau- 

rentlichem  mutt 98 

Ade  mit  leidt  ich  von  dir  scheidt  .  1  <  >ii 
All  mein  gedenck  ker  ich  und  wendt     12 

All  mein  gepeus  thuitt  mir  so  wee  .  L20 

An  dich  kan  ich  nitt  frewen  mich    .  89 

Aus  gutem  wahn  ich  kurz  besau       .  1 1>7 

Betracht  und  acht,  was  scheiden  macht  85 
Brennende  lieb  du  heische  flam   .     .109 


Cleglich  s.  Kl     .     . 
Cupido  triumphant 


i:i 


Das  flog  ein  blaufuß 55 

Dein  lieb  durchdringt  m.  e.  hertz     .  92 

Der  heger  das  ist  e.  sparwer   vogel  115 

Der  verloren  dienst  u.  der  seind  vill  41 
Die   leute   die  machen   sich    spitzich 

auf  mich 114 

Du  mein  schätz,  dein  suesser  schwatz  65 

Dweil  umbsunst  ist  alle  kernst      .     .  50 

Ein  boler  mos  sich  leiden  (ill  .     .     .  L23 

Ein  freundtlich  äugen  wincken     .     .  4 

Kin   lihserman   der  stcrzeii   kan       .      .  54 

Hin  weiblich  bill  m.  hertz  bezw.  hat  29 
Einmals  als  ich  spatzieren  ginefe  .     .119 

Ellendt  brengl    pein  d.  liertzen   mein  !i7 
Entzundt   mein   gemuitt    ist    nahe   ir 

guitt 86 

Erben  werdt,  auf  erdt 42 

Erst  hebt  sich  nott  und  yamer  an    .  81 

Eß  iagi  ein  ieger  woügemutt  .     .    .  79 

Eß  taget  vor  dem  osten 112 


liederanfänge. 
1568. 

Eli  taget  vor  dem  walde      ....     95 
Eß    wundert    recht    mich    krancken 
knecht 90 

Freundlicher  art  du  hast  mich  hart  3 

Frisch  unverzagt  hab  ichs  gewagt     .  18 

Frolich  so  willen  mir  singen,  schla  d.w.  4> 
Für  alle  freudtt  auf  diesser  erdtt 


•  Hirt  lieh  laß  dich  gedencken  .     .     .  40 

Hertz  einigs  lieb,  dich  nitt  entrüb    .  33 

Hertzlicb  thuit  mich  erfrewen  d.  fr.  s.  10 

Hertzlicher  trost  auf  erden  ....  13 
Hett  ich  sieben  wünschen  in  m.  gewali 

Hett  ich  vill  gelt,  so  wehr  ich  wert  geh.  L05 

eligs  weiß 88 

rmer  boß  hin  gantz  verirtt  .  75 

tch  '"in  ein  jeger  unverzagt    .    .     .  76 

Ich  bin  verwandt  in  jamers  nott      .  31 

[ch  babs  gewagt  frisch  unverzagt     .  20 

Ich  hatt  mich  außerkorn  e.  f.  1.  wolg.  117 
Ich  kam  darher  gegangen    ... 

Ich  klag  den  tag  und  alle  stund  .      .  7s 

Ich  lach  der  schwenci 71 

Ich    mus   von  hin 

[ch  reit  einmal  spatzeren     .    .    .    .11:; 

[ch  reit  mich  einmal  auf  euenture    .  '>'.'. 

Ich  sag  ade  mir  zwei  m.  müssen  seh.  51 

[ch   schall    mein   hörn   in  jamers  thon  '_'l 

1    dl     leidtt     (1.    leicht)    ah        .        .        .  1"-; 

Ich  weis  nur  e.  blomgen,  es  stat  an 

groner  heiden B 

ich  weis  mir  e.  f.  braus  megdelein  .  24 
[ch  weis  mir  e.  megdlein  hübsch  u.  feh 

In  druck  und  Bohmertz 6 

In  feuriß  hitz  brent  mir  m.  hertz  126 

lu  heu,  r  .1,1  h  f ii i   ich  mein  eeil     .  1"."< 

In  stettiger  beger 32 

It/.  uuitt  mir  kumlt  verlangen    .     .  67 

kein   besser  Ereudt    auf  erden    n it   ist  122 

Kein  fieiidt  uhn  leidt  ma-  mir  widert  B  : 

Km  wider  gluok  mit  Freuden  .     ,  2u.  23 

h  su  bah  ich  mich  gantz außerw.  1 1 


532 


KOPP, 


Lieblich  hat  Bioh          '       .    ...  73 

l.u  thcii  bo  hab  ioh   mich  außerweU  60 

Mag  ich   in fall  erweren  auch   mtt  1 1 

Man  sinvt  % . ,ii  soheidena  hartem  wehe  19 

M  i  •  1 1 1  einigs  a   mein   höchster    icbatz  96 
Mein  hertz  das  Eunokel  lammen  .     .11" 

Mein  hertz  ist  alles  traurens  voll     .  59 

Mein  hertzigs  lieb  ich  mich  stetz  ieb  l'ii 

Mein  syn  hab  ioh  an  ir  gelecht  .    .  i» 

Mein  s>  n  seint  mir  enthogen   .     .     .  52 

Mein  synnekens  seinl  mir  durchtogen  11 

Mein    svnnekens    sunt    mir  versturet  46 

Mit  kummer  schwer 26  a.  S7 

töooht  ich  hertzlieb  bei  dir  gesein     .  125 

Mocht  ich  vergessen  lernen     ...  39 

Nach  lusi  hab  ich  mir  außerweit     .  72 

Nach  willen  dein 5 

Nun  hab  ich  all  mein  tagh  gehört   .  15 

Nun  wollen  wir  frisch  u.  frolich  sein  36 

Ny  noch  nymmer  so  rauwet  m.  gemuth  37 

Ny  grosser  leb   mir  zu  banden  kam  84 

0  falsches  hertz  o  rotter  mundt  .     .  27 

0  weiblich  bildt,  wie  reich  vnd  milt  104 

Och  vgl.  Ach 

Och  scheiden  du  brenges  mir  schwer  16 

Ohn  dich  —  s.  An  dich 

Eeicb  Gott  wie  sali  ich  clagen     .     .  7 

Rosina  war  was  dein  gestalt    ...  28 

Salig  ist  der  tag,   der  mir  d.  gluck 

verleimet  hat 69 


Schon  bin  ich  oh*  mein  höchster  boi  I 

Schon  and  zarl .  von  edler  arl      .    .  7-1 

Schona  lieb  ich  bin  dir  treu  and  hol!  99 

ich  oitt  w>il .  da    i  ■'  mii   L<  idl  I  i 
So  wünsche   ioh  ir  e.  gute  aachl   zu 

hunderl  thau  enl   stunden   .    .     .  l't 

Stettig  du  bist  die  höchste  krön  ,     .  LS 

Trauren  du                         d  all  gebl.  127 
Trauren  mus  ich  tag  and  Dacht    ■     .111 


Mit  beger  ich  aitl  von  ir 


30 


Verlangen,  verlangen  gy  thuet   mei- 
nem hertzen  pine 124 

Versturt  hab  ich  mein  habermuß  3  1 

Von  oller  art  ein  Erewlein  zart    .     .  22 


Wie IT  auf  meins   hertze  ein   schone 
Wenig  trauw  ist  auf  erden 
Weß  sali  ich  mich  erneren 

Wha  s.  Wo 

Wie  hastu  mich  so  krefftiglich 
Wie  schon  bluet  vnß  der  meye 
Wiewoll  ich  arm  und  ellendt  bin 
Wo  mach  ein  man  s.  leben  lusten 
Wo  soll  ich  hin,  wo  soll  ich  her 
Wolt  mich  der  wechter  wencken 
Wor  ich  mitt  dem  leib  nitt  kbommen 
mag 


L00 

nt; 
93 

77 

118 
66 
35 
94 
63 

64 


Zart  schone  fraw,  gedenck  und  schaw     14 
Zu  wem  soll  ich  gedencken  hertz  aller- 
liebste mein 1 


l'KIEDENAU    BEI    BERLIN. 


ARTHUB    KOPP. 


BRÜCKNER,    ZUR    l'ITTF.NETNTKIl.r  533 

MISCELLEN. 
Zur  fltteneinteilung  des  Heliand. 

Mit  der  ausarbeitung  einer  kleinen  abhandlung  beschäftigt,  die  unter  dem  titel 
'Der  Helianddichter,  ein  laie'  als  programm  dos  Basler  gymnasiums  1904  erscheinen 
Soll,  musste  ich  auch  die  einteilung  des  Heliand  mit  derjenigen  Tatians  verglei 
Dabei  hat  sich  mir  herausgestellt,  dass  diu  ausführungen  Behaghels  über  die  capitel- 
einteilung  im  Cottonianus  (Germania  31,  377 fg.)  der  ergänzung  und  berichtigung 
dürftig  sind.  Behaghel  hat  darauf  aufmerksam  gemacht,  dass  die  einteilung  an  manchen 
stellen  fehlerhaft  überliefert  ist,  und  dass  meistens  durch  eine  Verschiebung  der  zahl 
um  wenige  werte  ein  befriedigender  einschnitt  hergestellt  wird.  Die  meisten  fehler 
in  C  sind  genauer  dahin  zu  präcisieren,  dass  der  Schreiber,  wenn  ein  fittenschluss 
mit  der  cäsur  einer  langzeile  zusammenfällt,  den  einschnitt  regelmässig  nicht  in  das 
versinnere  setzt,  sondern  ihn  vor  dem  ersten  halbvers  bezw.  nach  dem  zweiten  halb- 
vers  der  durch  den  einschnitt  betroffenen  langzeile  markiert.  So  iindet  es  sich  bei 
den  eapitelzahlen  9  (v.  693),  15  (v.  1211),  18.  22.  27.  34.  36.  38.  39.  55.  58  61 
(v.  5108)  und  69.  Eine  einzige  ausnähme  bildet  40  (v.  3223),  wo  nach  den  angaben 
von  Sievers  der  einschnitt  richtig  im  versinnern  bezeichnet  ist.  Ich  meine  nun 
die  Ursache  dieser  fehler  sei  offenbar  in  der  beschaffenheit  der  vorläge  von  C  zu 
suchen  und  auch  unschwer  zu  finden.  Dieselbe  scheint  in  abgesetzten  verszeüen  ge- 
schrieben gewesen  zu  sein;  der  fittenschluss  war  im  versinnern  Dicht  markiert,  da- 
gegen war  die  capitelzahl  am  raude  angemerkt.  Durch  Unachtsamkeit  und  Gedanken- 
losigkeit des  Schreibers,  der  sich  ja  eine  menge  kleiner  versehen  zu  schuldes  kommen 
liess,  ist  dann  die  capitelzahl  bei  der  abschrift  gerade  da,  wo  sie  stand,  in  den 
in  dem  ja  nun  die  verse  nicht  abgesetzt  sind,  eingerückl  wurden,  so  dass  allemal 
entweder  der  letzte  halbvers  oder  der  erste  einer  solchen,  uichl  mit  einer  vollen  lang- 
zeile endenden,  bezw.  beginnenden  litte  unrichtig  abgetrennt  wurde.  Bei  dieser  be- 
schaffenheit der  vorläge  begreift,  sich  auch,  dass  in  M  die  fittenzählung  wegfallen 
konnte;  geblieben  ist  ja  hier  die  eine  randnotiz  I  1 152,   die   in  C  ebenfalls 

als  Überschrift  in  den  text  aufgenommen  erscheint.  Gelegentlich  isl  beider  abschrift 
in  C  die  am  rande  stehende  capitelzahl  um  eine  oder  auch  am  zwei  /.eilen  zu  früh 
oder  zu  spät  eingerückt  worden:  so  die  zahlen  7  vers  535  statt  537  (s.  Behaghel 
a.a.O.),  wenn  man  hier  ändern  will,  26  v.  2166  statt  2167,  29  nach  2361  statt  zu 
70  v.  5865  statt  zu  5867.  Mit  berücksichtigung  dieser  durch  das  Ungeschick  des  ab- 
schreibers  verursachten  kleinen  fehler  lässl  sich  die  einteilung,  wie  sie  C  I 
durchaus  verteidigen.  Die  in  den  ausgaben  aus  verkennung  dieser  umstände  allge- 
mein vorgenommenen  grösseren  Snderungen  bei  litt''  7.  9.  15.  29  und  61  Boheinen 
mir  durchaus  annötig  und  anrichtig.     Bei  7.   L5.  29  und  61  ist  die  (<  ein- 

teilung der  aandschrif!  derjenigen  der  ausgaben  entschieden  vorzuziehen.  Dass  in  der 
vorläge  von  C  die  verszeüen,  allerdin  die  sonst  herrschende  Übung,  abj 

waren,  ergibt  sich'  m.  e.  mit  Sicherheit  daraus,  dass  die  vom  rande  in  den  text  ge- 
ratene litien/.ahl  nie  im  versinnern,  sondern  Btets  am  Bohluss,  bezw.  am  anfang  einer 
langzeile  steht. 


\\  ii  ii  i.i  „m   m;r<  km  i;. 


,  ;  |  K'.'.i  BEI 

Zu  FiBcharte  bllderrelmen. 

Unter  den  bei   Bernhard  Jobin   erschienenen  blättern  von  Tobia  die 

A.  Androgen  im  dritten  ba  Deutschen  Peintre-Gra  t,  befinden 

sich  mehrere  mit  bisher  unveröffentlichl  gebliebenen  bilderreünen ,  die  mögliche]  ■ 
von  Fischail  berrühren.     Es  sind  die    die  folgenden  bolzschnitthogen: 

1.  Matthias  Flaccius  (1571).    Amli-.,  s.  18,  nr.  5.    M  it  einem  drei  paltigen  gedieht: 

GLeichwie  die  Weldi  die  Warheit  bas  t...  Dann  1 1  nur  frid  vnd  Ereüd, 

2.  Rudolph  Gwalther  (1571).     Andr.,  s.21,  nr.9.     Mit  einem  drei  palt 

diohl  von   1 1  zeilen : 
[Ndem  würt  noch  Gott's  Lieb  gespüri  ...  Dazu  vns  Gotl  w6l  Gnad  I 

3.  Carl  Mieg  (1572).    Andr.,  s.24,  nr.  16.    Mit  einem  zweispaltigen  gedieht.    S.u. 

4.  Jacob  Sturm.      Andr.,  8.30,  nr.  25.     Mit   einem  drei  paltigen  gedieht.     S.u. 

Dazu  komm!  noch  ein  bolzschnitt,  der  nach  Androgen  Vermutung  wahr- 
scheinlich nicht  von  Tobias,  sondern  von  Haus  Christoph  Stimmer  herrührt: 

5.  Anton  Frankenpoint,    Kiese  aus  Gellern   (1583).      tadr.,  s.  211,  nr.  3.     Mit 

zweispaltigen  versen: 

GLeichwie  man  gzwoiffelt  hat  vorzeiten  ...  Damit  sich  spiegel  dran  die  Welt. 
Von  nr.  3  und  4  befinden  sich  exemplare  im  biesigen  kupferstichkabinet.  Die 
unter  den  bildnissen  stehenden,  meiner  ansieht  nach  wahrscheinlich  von  Fischari  ver- 
Eassten  lobgedichte,  von  denen  Andresen  nur  die  erste,  bezw.  die  erste  und  letzte 
/eile  anführt,  teile  ich  unten  mit.  Ausserdem  bringe  ich  noch  ein  längeres  bilder- 
gedicht  zum  ahdruck,  welches  sich  auf  einer  von  Passavant  in  seinem  Peintre  -  Graveur, 
band  3,  s.  3.32  unter  nr.  6  beschriebenen  darstellung  des  Strasshurger  Münsters  von 
Daniel  Specklin '  befindet  und  das  vielleicht  gleichfalls  Fischart  zum  Verfasser  hat. 

Die  Orthographie  und  Interpunktion  der  originalgedichte  gebe  ich  unverändert 
wieder.     Die  verszahlen  und  Spaltenbezeichnungen  rühren  von  mir  her. 

1.    Bildnis  des  Jacob  Sturm.2 
Ohen:  Bildnuss  des   weiland  Edlen   vnnd  Ehmvesten   Herrn  Jacob  Sturn 

Stätmeisters   zn   Strasburg,  Welcher  nach  befürderung  der  Ehre  Gottes,   an  Kirchen 

vnd  Schulen  bewisenen  |  rühmlichen  diensten,   am  30.  Tage  Octobris,  im   1553.     vnd 

seines  alters  im  63.  Jare  seliglich  ist  verschieden. 

In  einer  tafel  im  unteren  teile  des  rahmens:   Zu  Strasburg,   durch  Bernhard 

Jobin.  |  Mit  Rom.  Kay.  May.  Freiheit. 

Unter  dem  bilde  die  folgenden  verse  in  drei  spalten: 

rAs  soll  ein  Adel,  wann  er  nicht 

Kund  ist  durch  Adelich  geschieht, 
Das  jhn  nicht  allein  Statt  vnd  Herrn, 
Für  seine  gutthat  dauckbar  ehrn 
5  Bey  leben ,  sonder  auch  darnoch 
Inn  aller  History  rhümen  hoch. 
[Sp.  2.]  Gleieh  wie  dann  solchs  ist  widerfahren, 
Dem  Herrn 8  Jacob  Sturm  vor  Jaren, 

1)  Vgl.  über  ihn  ADB,  bd.  35,  s.82fg. 

2)  Vgl.  über  ihn  ADB,  bd.  37,  s.  5fgg. 

3)  Hier  ist  wohl  „Herren",  v.  12  wol  „Elsäss'schen"  zu  lesen. 


w: 


ZU   FISCHABTS    BILDERREIMEN  535 

Der  vmb  sein  weisen  guten  rath, 
10      Den  er  beredt  anbringen  that, 
Nicht  allein  bleibt  ein  wäre  zier 
Des  Elsässischen  Adels  für  vnd  für. 
[Sp.  3.]  Sonder  seim  gantzen  Vatterland, 

Welchs  er  hat  gziert  durch  sein  verstand, 
15  Als  er  pflantzt  die  Religion, 

Stifft  Schulen,  vnd  ward  jhr  Patron. 
Darumb  allweil  Strasburg  besteht, 
Ja  die  "Welt,  nicht  sein  Lob  zergeht. 

2.    Bildnis  des  Carl  Mieg1. 
Oben:    Abcontrafeytung,    weylandt    des    Ehrnvesten,    Fürsichtigen,  |  "Wolver- 
dienten  Herrn,   Carl  Mieg,  alten  Ammeisters  zu  Strassburg:  |  So  den  14.  tag  Martij. 
Anno.     72.  seines  Alters  im  50.  Jar,  seliglich  |  in  Christo  Tods  verschieden. 
Unten  in  zwei  spalten  das  folgende  Akrostich: 
Konten  die  Romer  jhren  Leuten, 
Als  sie  im  Frieden  oder  Streiten 
Redlich  sich  hielten,  hoch  verehren 
Lobzeichseulen  mit  Schild  vnd  Wehren. 
5  Mit  was  Rhat  wolt  man  nicht  den  brauch 
In  solchen  hohen  Männern  auch 
Erhalten?     wie  dem  einer  hie 
Gewiss  war  Ehr  Herr  Karle  Mieg, 
[Sp.  2.]  Am  dienst  seins  Vatterlands  bewärt 

10  Mit  hilff  vnd  Rhat,  gantz  vnbeschwärd, 
Eyfrig  glehrt  in  Glaubssachen  gar: 
Ia  der  Frombkeit  ein  Vorbild  zwar? 
Solt  man  nicht  einem  solchen  Herrn 
Thnn  ein  danekbar  Denckmal  verehrn? 
15  Ernstlich  jhn  fürmaln  jederman 
Rhümen  darbey  on  vnderlan? 
Darunter:    Getruckt  zu  Strassburg,  durch   Bernhard  Jobin.   —    Mit   Rft.    K 
May.  Freyheit. 

Hinter  dem  anfangsbuchstaben  des  1.  und  8.  verses  steht  aus  versehen  ein  pnnkt 
Da  Fischart  zu  verschiedenen  anderen  bei  .lobin  erschienenen  holzsohnitten 
von  Tobias  Stiminer  erklärende  verse  verfassl  hat.  so  ist  es  nichl  unwahrscheinlich, 
dass  auch  die  gedichto  auf  den  beiden  obigen  blättern,  von  denen  das  erste  vermutlich 
aus  dem  anfang  der  siebziger  Jahre,  das  zweite  aus  dem  jähre  L572  stammt,  von 
ihm  herrühren.  Audi  stil  und  versbehandlung  bieten  eher  anhaltepunkte  für  als  gegen 
diese  annähme.  'Die  verse  zeigen  verhältnismassig  glatten  rhythmus,  wie  er  den 
reimpaaren  Fischarts  aus  der  früheren  Zeil  seines  Schaffens  eigen  ist.  (Vgl.  meine 
Schrift  »Die  rhythmii  Fischarts  ",  München  1903,  s.  7fgg.)  Das  einsetzen  mit  einer 
rhetorischen  frage,  wie  es  sich  in  den  beiden  gedienten  findet,  isl  i"-t  Fisoharl  häufig 
anzutreffen.    So  beginnt  die  „Vorrede  zum  üohlein"  Kim/.    .:.  L22  Wi*  kandü 

1)  Ammeister  in  Strassburg  im  j.  L558,  64  u.  70.     Vgl.  Kindler  von  Knoblooh, 

Das  goldene  buch  von  Strassburg  (Wien  1885/86)  s.  206 


JAbi  Christenhaii  etc.,  der  „Kehrab"  E(auffen)  1.  17::  861  man  dan  atmen 
schweigen,  etc..  „Eikones"  nr.  1  II  L, 38'   Was  hüffts ,  o  Teutschland 

Vgl.  ferner    T.     fcl Wein«  K 3,  209ffgg.  nr.24.  79,  .Ehezuchtbüchleii 

or.  4.  7. 34. 50,  „Reimvorrede  zum  Brotkorb"  K  3,  319,  prolog  zu     D 

K  2,  331  *.    Ganz  fischartisch  isl  die  annomination  im  ersten  reimpaar  von  nr.  1.    . 

arl  des  Wortspiels  begegnel  bei  Fischarl  ange in  häufig,  bo  z.b.  im  „Lob  der  la 

II    I.  355ffgg.,  v.  67fg.,   U7fg.,  54  I  Vgl. 

auch  Galle,  Der  poetische  stil  Fischarta  (Ro  tocker  diss.  1893)  b.  55fg.     La 
auf  Carl   Wieg  erinnert  die  an  antike  vei  anknüpfende   parallele   im   eh 

an  ähnliche  hinweise  bei  Fischart,  z.  b.  am  anfauge  des  „Glückhaften  Behufes" 
der  „Vorbereitung  in  den  Amadis". 

In  sprachlicher  hinsichl  enthalten  beide  gedichte  keine  auffallenderen  Wendungen 
und  formen,  die  icht  zu  belegen  wären.    ])!>■  bei  mai  I  Hern 

jener  zeit  begegnende  hervorhebunj  rsonennamens  durch   voranstellung 

entsprechenden   persönlichen   fürworts  wie  in    Ehr  Herr  Karle   Mieg   nr.2,  \. 
Fischart,  wie  ich  bereits  in  der  Alemannia  bd.  19,  s.  123  anm.  2  entgegen  einer  be- 
hauptung   Bessons,  nachgewiesen  habe,  durchaus  nicht  fremd.    Zu  den  dort  angeführten 
belegen  füge  ich   noch  weitere   hinzu:    „Lazius"   Alemania,   bd.  1,  132,  z.  22  u.  29, 
133    z.  (i  v.  u.,  135,  z.  16,  139,  z.  9;  „Flöhhaz1"  "Hall.  Neudr.  nr,  5,  s.  67, 

gantua"  Hall.  Neudr.  nr.  65ffgg.,  s.  7,  z.  12;  „Trostbüchlein"  H  3,  13,  z  i 
z.  1;  „Ehezuchtbüchlein"  11  3,151,  z.  20,  153,  z.  2,  303,  z.  3-1.  -  VoranstelluDg  des 
genitivs  wie  in  nr.  2,  v.  12  Ia  der  Fronibheit  ein  \'or/>i/</  vwar  findet  sich  bei  Fischart 
z.  b.  im  „Lob  der  lauten"  H  1,364,  v.  338  Der  Lauten,  aller  */>>''/  ein  krön,  in 
der  „Vorbereitung  zum  Amadis"  K  3,  31,  v.  100  Die  aller  weissheit  ist  ein  gspunst, 
im  „Jesuiterhütlein"  H  1,  233,  v.  139  des  Heißs  eyn  Ihm,  im  „Bündnis"  H  1.  22J. 
v.  182  Der  Statt  im  Sckweitxerland  ein  kern.  Auch  in  der  prosa,  z.  b.  ,.'! 
büchlein"  H  3,  59,  z.  11  jres  anmuts  ain  Exempel,  112,  z.  11  jrs  aignen  vbels  ain 
vrsaeh.  —  Die  Verwendung  des  iufinitivs  „thun"  als  füllwovt  wie  in  nr.  2.  v.  14 
kommt  gleichfalls  bei  Fisehart  vor,  freilich  sehr  selten.  Vgl.  "Widmung  zu  St.  Domi- 
nici  Leben"  K  1,130,  v.  289 fg.  Darin  dein  Mfmchisßh  Monstra  nun  Magst  \u  eim 
theil  besehen  thun,  .,  Wunderzeitung  von  ainer  Schwangeren  Jüdin"  K  3,70,  v.  9 ff gg. 
Wie  Christus...  Das  verplent  Judisch  Talmutg schlecht ..  .  Zur  lefa  uill  xu  spott 
pringen  thun. 

3.    Ansicht  des  Strassburger  Münsters. 
In  der  oberen  ecke  rechts  befindet  sich  in  einer  holzschuitteinfassung  das  fol- 
gende zweispaltige  gedieht: 

VOn  Strasburg,  der  Vralten  Stat, 
Die  man  Argentorat  gnant  hat, 
Find  man  erst  im  Strabone  gschriben, 
"Wie  30  tausent  Teutschen  pliben 
5  Nah  vm  die  Stat  Strasburg  hibei 
Vms  jar  treihuntert  sechzig  trei 

1)  Auch  wirkliche  fragen  stehen  mehrmals  am  anfaug,  so  im  Uhrwerk  K  3,383, 
in  dem  gedieht  auf  den  Freiherrn  von  Schwendi  K  3,  296,  im  prol.  zum  Stauffenberg 
H  1,265,  in  der  Armada  nr.2  K  3,354. 


I  BABTS    BILDERKEIMEN 


Erschlagen  von  Kaiser  Julian, 

Dem  damals  d  Stat  war  vntertan: 
Dan  Römer  herschten  biss  an  Rein, 
10      Drum  hetteus  dise  Stat  auch  ein. 
Da  aber  das  Teutsch  Volk  die  Franken 

On  der  Roiner  willen  vnd  danken 
In  Galliam  hnein  zog  vnd  trang, 
Dassel  lug  gwaltig  auch  bezwang, 
i:>  Ynds  nauten  jrena  Namen  gleich, 

Wie  es  dan  noch  heut  haisst  Frankreich. 
Da  ward  auch  Strasburg  vutertan 

Den  Fränkisch  Könign,  da  es  dan 
Sehr  an  Volk  vnd  gebäu  zunam, 
20     Biss  das  König  Dagobert  kam : 
Dem  gföl  wol  glegenhait  der  Stat, 

Das  er  den  Thurn,  so  angfangen  hat 
Der  Konig  Ludwig  seiu  Vorfar 
Im  vir  huntert  neun  vnd  nein 
25  (Der  dan  erstlich  ain  Christ  war  worden 
Mit  allen  die  jm  zugehorten, 
Vnd  den  Haidnischen  Tempel  hie 

Eailigt  vnd  weitert  nicht  on  muh) 
Zu  ainem  Christelichen  Tempel 
30     Nach  seins  gdachten  Vrans  Exempel 
Ganz  herlich  schon  hat  ausgefürt, 

Vnd  mit  Bischöflich  Ward  bezirt 
Vms  jar  sechshuntert  virzig  trei 
Vnd  freihait  geben  auch  dabei, 
35  Sazt  den  ersten  Bischof  Arbogast, 
Dan  er  kaiu  Bapst  kant  damals  I 
Also  nam  die  Stat  in  der  Khu 
An  "Würden  vnd  gebäuen  /.u. 
Anno  tausent  siben  er  verpran, 
40      Dan  jn  der  Tonner  zündet  au. 

Welchs  damals1  leicht  geschehen  kunt 

Weils  mehrtail  von  holz  gbauet  stund: 
Nachmals  noch  soelis  pranst  glitten  hat. 
Die  zwar  nicht  wenig  nan  geschad, 
16  Dan  in  ainer  prunsi  gingen  vnter 
Bäuser  55  \  ir  hunterl : 
Doch  den  vnt'all  onangesehen 
Ward  mi  jar  tausenl  fünfzehen, 
[Sp.  2.]    Vnter  Bischof  Wernher  von  Bapspu 
.'in       Dom   vir   vnd   \  irzigsten   von  B 
angefangen  gelegi  zuwerden, 
Da    tif  Fundament  in  der  Erden, 

l)  Im  original:  dams 


LEBT 

YipI  man  legi  dran  ganz  zeheo  Jai 

Bi      es  der  Erden  gl<  ich  ward 
■  Wiwol  dran  etlioh  bunter!   Man, 

()n  VnterlaB  gearbaii  ban. 
Erwin  von  Steinbach   Bauherr  war 
Der  hat  gstelt  < i i r ■   visirung  gar: 
Doch  bierzwischen  kam  aine  pranst, 
60     Da    solch  müh  ward  zum  thai]  ve 
Drum  im  jai  da  man  bat  geschribi 

Tausenl  zwaihuntei*t  sibenzig  siben, 
Den  fünf  vnd  zwanzigsten  Maij  zwar, 
Auf  Vrbans  tag,  da  Kaiser  war 
65  Rudolf  von  Eapspurg,  ward  angfangen 
Vinl  erbaut  was  dran  war  vergangen: 
Die  Kirch,  vnd  <l<-s  Timms  ain  klain  stück 

Ganz  ausgef&ri  mit  gutem  glück, 
In  acht  vnd  zwaiuzig  jarn  dahin, 
TD      In  dem  starb  der  Bauherr   Krwin: 
Darnach  kam  als  bald  an  sein  stat 

Da  man  1305  gzalt  hat 
Johan  Hilz  ain  Maister  von  Coln, 
Der  that  jn  biss  an  beim  aufstelln. 
75  Welcher  kaum  ward  gar  ausgestelt 
Schid  diser  Maister  von  der  Welt, 
Also  plib  vngbauen  ain  weil, 

Am  Thurn  des  heims  sein  obertail: 
Biss  das  man  ain  aus  Schwaben  pracht, 
80     Der  es,  Got  lob,  hat  ausgemacht: 
Ward  also  vollend  dises  Wunter 
Als  man  zalet  virzehen  huntert 
Vnd  neun  vud  virzig  jar  dazu, 
In  seiner  höh  hat  er  Werkschuh 
85  Fünfhuntert  sibenzig  vnd  vir,] 
Ist  durchsichtig  nach  aller  zir, 
Ist  sammen  gsazt  von  stain,  metall, 

Wie  solches  mögen  schauen  all, 
Drum  hat  der  gierte  Man  Solin 
90      Nicht  on  sonder  bdenken  vnd  sinn 
Vnter  die  wunterwerk  der  Welt 

Auch  disen  schonen  Thurn  gestelt. 
Den  hat  dem  Vaterland  zu  ehren, 
Vnd  zu  nuz  den,  die  in  begeren 
95  Aus  lib  vnd  dinsten  verursacht 

Bernhard  Jobin  in  truck  gepracht. 

Die  erste  ausgäbe   des   holzschnittes,   dem  die   vorstehenden  reime  beigegeben 

sind,  ist,  wie  Passavant  a.  a.  0.  angibt,  im  jähre  1566  mit  der  adresse  „Gestellt  auffs 

einfältigst  durch  Daniel  Speckle  und  Bernhard  Jobinn  Formsehueider  zu  Strassburg 

MDLXVI"  erschienen.     Dieser  erste  druck  enthält  die  erklärenden  verse  noch  nicht. 


I, TS  BILDERREIMF.N  539 

Die  strenge  durchführung  der  Schreibung  ai  für  rnhd.  ei  sowie  anderer  eigentümlich- 
keiten  der  Orthographie  Fischarts '  in  dem  obigen  gediente  Lässt  mit  Sicherheit  schliessen, 
dass  der  uns  vorliegende  abdruck  des  holzschnittes  aus  den  jähren  1Ö74  — 1577  stammt, 
in  denen  sich  Fischarts  tätigkeit  als  korrekter  in  der  offizin  seines  Schwagers  auch  in  der 
Schreibung  der  Jobinsche  drucke  geltend  macht.  Zu  der  annähme  jedoch,  dass  Fischart 
der  Verfasser  der  versc  sei,  berechtigt  die  Orthographie  derselben  nicht,  da  nach  einer 
feststeil uug  Viltnars-  nichl  nur  Fischarts  eigene  werke,  sondern  auch  andere  aus 
Jobins  druckerei  hervorgegangene  Schriften  mein-  oder  minder  konsequent  zu  jener 
zeit  die  Fischartische  Schreibung  aufweisen.  Was  eigentlich  an  die  möglichkeit  der 
autorschaft  Fischarts  denken  liisst.  ist  der  umstand,  dass  der  dichter  zu  verschiedenen 
bei  Jobin  erschienenen  holzschnittbogen,  darunter  auch  zu  Tob.  Stimmers  abbildung  der 
künstlichen  münsteruhr  und  den  vielleicht  ebenfalls  von  dem  genannten  künstler3  her- 
rührenden abbildung  der  figuren  am  Strassbu  rger  münster  erklärende  verse  schrieb.  Innere 
gründe  lassen  sich  für  die  annähme  nicht  geltend  machen.  Weder  in  sprachlicher  noch  in 
metrischer  hinsieht  zeigen  die  in  ziemlich  trockenem  toue  gehaltenen  reime  irgend- 
welche von  jenen  charakteristischen  oigentümlichkeiten,  an  denen  Fischarts  sämtliche 
reimwerke  mit  ausnähme  der  frühesten  so  reich  sind.4  Jedenfalls  müsste  bei  einem 
gedichte  von  dem  umfange  des  obigen  ihr  mang«  I  an  irgend  einem  kennzeichen  des 
Fischartischen  stilcs  als  entschiedener  I-  a  Fischarts  autorschafi  gelten,  wenn 

es  sicher  wäre,  dass  die  verse  aus  den  jähren  1574—1577  stammen.  Da  jedoch  an- 
zunehmen ist,  dass  das  Specklinsche  blatl  zumal  im  Elsass  und  ganz  besonders  in 
Strassburg  grossen  absatz  fand'',  so  ist  es  nicht  unwahrscheinlich ,  dass  schon  vordem 

1)  Vgl.  Baeseke,  «1.  Fischart,  Das  glückhafte  schiff  von  Zürich,  Hall,  ueudr. 
nr.  182,  s.  Xfgg.  und  Vilmar,  Zur  Literatur  Fischarts,  2.  aufl.  (Frankfurt  ISO".)  s.  501 

2)  A.  a.  o.,  s.  26. 

3)  Andresen  hält  es  für  wahrscheinlicher,  dass  das  Matt  von  B.  Ch.  Stimmer 
herrührt.     Vgl.  s.  213,  nr.  7  a.  a.  o. 

4)  Ganz  fischartisch  klingt  wol  der  volltönende  reim  Hapspu]  bürg 
(v.  40fg.),  der  an  die  ähnlichen  im  Gl.  Schiff  Türacburg:  Stratburj  .)  und 
im  bündnis  Strassburg:  Trostburg  (2,  v.231fg.)  and  Trautburg:  Strassburg 
5,  v.  211  fg.)  erinnert;  (vgl.  A.  Englert,  !>!.■  rhythmik  Fischarts,  s.  91fg.).  Ülein  es  ist 
sehr  fraglich,  oh  jener  reim  wirklich  als  schwebender  zu  betrachten  ist.  und  ob 
nicht  vielmehr  die  verse  t9fg.  zu  lesen  sind  „TJnt[e]r  Bischof  Wernhervon  Bapspürg, 
Dem  vir  vnd  virz[i]gsten   von  Strasburg." 

5)  Im  jähre  1587  erschien  eine  von  M.  Greuter  gestochene,  verkleinerte  oach- 
bildung  des  Specklinschen  blattes,  die  dann  ich  in  0.  Schadäus'  „Summum 
Argentoratensium  Templum"  (Strassb.  1617)  aufgenommen  wurde.  Vgl.  Passavanl  a.  a.  ■  >. 
s.  351,  nr.  1.  Ein  weiterer  beweis  für  die  beliebtheit,  deren  sieh  (las  Man  erfreute, 
ist  es,  dass  noch  in  späterer  zeit  nachbildungen  davon  erschienen.  Im  In 
kupferstichkabinel  befinden  sich  zwei  nachdrucke  dm-  grösseren  ausgäbe  im  gleichen 
format.  Die  eine,  mit  der  äufschrifl  „Strassburg,  Gedruckl  bej  Fnderich  Wilhelm 
Schmuck,  Königlichen  Buchtrucker"  gib!  die  oben  abgedruckten  verse  mit  verschiedenen 
änderungen,  Zusätzen  und  weglassungen  wieder.  Knie  unter  dem  gedichte  stehende 
bemerkung  weist  auf  die  eroberung  Strassburgs  durch  die  Franzosen  im  j.  1681  (auf 
dem  Blatt:  1682)  und  den  darauffolgenden  einzug  Ludwigs  Xl\.  hei  Dei  uolzschniü 
rührt  wol  wie  die  in  der  gleichen  offizin  kopie  der  1574  bei  Jobin  erschienenen 
abbildung  des  astronomischen  uhrwerks  im  Strassburger  münster  (vgl  Ld.  Hauffeo, 
Euphorion,  bd.  3,  s.  7l<n  ans  dem  ende  des  17.  Jahrhunderts  her.  D  hier 
befindliche  nachdruck  mit  der  adresse  „Stra  bnrg  zufiuden  bey  Johan  Tsoherrung  Auf 
S.Temas  Plan11,  bring!  erklärenden  texl  in  lateinisoher  prosa  im  an^ehluss  an  die 
fassung  des  gedichtes  auf  dem  Schmucl                  in  unter  beifügung  eines   hinv. 

auf  die  daselbsl  nichl  erwähnte  Zerstörung  der  turmspitzo  duroh  den  blitt    im  j.  1654 
und  den  Wiederaufbau  derselben.    Dieses  Matt  mag  aus  dem  anfang  des  18.  jahrhui 
stammen. 


iip  ii  der  i  er  noch  nicht  wieder 

mit  abdruck  veröffentlicht  worden  war,  dem  vielleicht  die  erkläret 
ben  waren.     Liesse  i  ich  oachwi  zu  der  z 

in  die  Fischaro   er  b  eil  füllt,  also  um   1570,  'lärm  würd 

fehlen    Fischartischer  eigentümliehkeiten   in     pracl  rod«  u 

beweis  gegen  seil  Brschaft  bilden,  da    sii igenart  in  seinen  früh 

Lehen  /.um   teil   midi   sehr  spärlioh   hervortritt,     allerdings  könnte  dann  dii 
bältnismässig  ni  zahl  von  accentverletzungen  Fischarts  autorechafl  nm  so 

lieinen   lassen,  als  gerade  de    en   erste  dichtungen  ziemlich 
rbythmus  zeigen.     Indes  darf  eicht  übersehen   werden,  das  rnach- 

ung  ilm-  metrischen  glätte  in  den  obigen  versen  recht  >'."1  durch  'Ii''  gebunden- 
licit  in  der  darsteUung,  welche  dem  dichter  durch  die  rücksicht  auf  den  beschränkten 
räum  auferlegt  wurde,  veranlasst  Bein  mag,  wie  denn  auch  die  trockenheit  und  farb- 
losigkeil  der  stilistischen  einkleidui  arückzuführen  sein  dürfl 

1)  "Wie  trocken  und  bölzern  sind  /..  b.  auch   eini  childernde  stellen  im 

„Uhrwerk",  wie  v.  r  251fgg.  (s.  Kur/.  3,384  bst  den  ergänzi 

im  Euphorion  .'!.  7<< 

MÜNCHEN.  •  I.ERT. 


Zu  Gottfried  August  Bürger. 

1.  Gottfried  August  Bürger  und  J.  A.  Leisewitz. 
Das  stammbuchblatt  Bürgers  an  Leisewitz  ist  bereits  von  Adolf  Strodtmann  in 
der  morgenausgabe  der  Nationalzeitung  vom  28.  november  1874  mitgeteilt  worden; 
wenn  ich  es  hier  wider  abdrucke,  so  tue  ich  das  deshalb,  weil  diese  vier  zeilen 
die  allererste  fassung  der  ersten  strophe  des  bekannten  Bürgerschen  gedichtes 
darstellen,  worauf  bis  jetzt  meines  wissens  noch  nicht  aufmerksam  gemacht  wurde. 

Bisher  galt  die  in  Bürgers  erster  gedichtausgahe  (Göttingen  1778.  s.  122  fg.) 
verzeichnete  fassung  „Das  vergnügte  leben  17  73"  als  erste  fassimg  des  gedichts; 
die  erste  strophe  desselben  heisst  dort: 

Der  geist  mus  denken.     Ohne  denken  gleicht 
Der  mensch  dem  oechs-  und  eselein  im  stalle. 
Sein  herz  mus  lieben.     Ohne  liebe  schleicht 
Sein  leben  mat  und  lahm,  nach  Adams  falle. 
Nachdem  aber  in   der   Gegenwart  vom  4.  februar  1899    che  wirklich    erste 
vollständige  fassung  des  gedichts,   die  dort  „Das  glückliche  leben.    Nach  dem 
Grecourt"  überschrieben  ist,   bekannt  gemacht  worden   ist,  wovon  die   erste  strophe 
so  lautet:  Der  mensch  muss  denken;  ohne  denken  gleicht 

Der  mensch  dem  oechs-  und  eselein  im  stalle. 
Das  herz  muss  lieben;  ohne  liebe  deucht 
Er  sich  nur  ein  traurig  ding  nach  seinem  falle, 
durfte  man  —  da  das  gedieht  dem  briefe  Bürgers  an  Gleim  vom  29.  sept.  1771  beilag, 
als  entstehungszeit  des  liedes  den  herbst  1771  annehmen. 

Aus  dem  nun  zum  schluss  mitzuteilenden  stammbuchblatt  Bürgers  vom  2.  märz 
1771  ergibt  sich  nun,  dass  das  gedieht  bereits  aufang  1771  entstanden  ist: 


ZU    G.  A.  BÜKGER  541 

Der  geist  muss  denken;  ohne  denken  gleicht 
Der  mensch  dem  oechs-  und  eselein  im  stalle. 
Das  herz  muss  lieben;  ohne  liebe  deucht 
Er  nur  ein  traurig  ding  nach  Adams  falle. 
Erinnere  Dich  zuweilen 
an  Deinen  aufrichtigen  und  zärtlichen  freund 
Göttingen,  den  2.  märtz  1771.  Gottfr.  Aug.  Bürger. 

2.   Gottfried  August  Bürger  und  Carl   Friedrich  Gramer. 

Seit  Adolf  Strodtmann  die  briefe  „von  und  an  Bürger-  (Berlin  1^74.  4 
herausgab,  sind  jetzt  nahezu  30  jähre  verflossen;  in  diesem  menschenalter  sind  etwa 
200  briefe  Bürgers  ans  licht  gezogen,  die  z.  t.  gänzlich  unbekannt,  z.  t.  nur  fragmen- 
tarisch gedruckt  waren;  manche  davon  sind  in  antiquariatscatalogen  aufgetaucht  und 
wider  verschwunden.  AVie  unendlich  schwer  ist  es,  diese  neu  entdeckten  und  in  ver- 
schiedenen Zeitschriften  zerstreut  gedruckten  Bürger -briefe  zu  übersehen!  Daher 
kounte  wol  August  Sauer,  der  die  Bürgerschon  briefe  an  Göckingk  aufgefunden 
hat,  vor  kurzem  mit  recht  betonen:  „Hoffentlich  erhalten  wir  bald  eine  zweite  ver- 
vollständigte aufläge  der  Strodtmannschen  sammln  i 

Da  dieser  wünsch  indes  für   die  nächste  zeit  noch  ein  frommer  :  beint, 

so  sollte  man  wenigstens  bemüht  sein,  die  in  entlegenen  und  seltenen  Zeitschriften 
enthaltenen  briefe  Bürgers  ans  licht  zu  ziehen!  Aus  diesem  gründe  halte  ich  es 
nicht  für  ungerechtfertigt,  einen  hrief  Bürgers  an  den  bündler  Carl  Friedrich  Cramer 
hier  wider  abzudrucken1,  der  Strodtmann  seiner  zeit  entgangen  ist  und  der  seit. lcm 
offenbar  unbekannt  geblieben  ist,  trotzdem  Go  o  Grundriss  auf  denselben 

hingewiesen  hat. 

Ehe  ich  den  brief  Bürgers    selbst  zum   ahdruck   bringe,    mag    bier 
passus  Cramers  erwähming  finden,   der  zugleich  den  Bürgerschen   brieJ   einleitet  und 
erklärt  (s.  401.  1.  c): 

10  [dec.  1791]  Sonnabend. 

Der    C  o  n  d  o  r. 

(ad  vocem:  Adler'-,    episodisch.) 

1. 

Man  erlaube  mir,   hier  meine   Vorlesungen   zu   unterbrechen,  damit   ich   mich 
noch  näher,  als  ich  schon  gegen  Jacob  gethan,   üb  ^entliehe  vim  et  significa- 

tionem  verbi:  Adler,  erkläre.  Wie  wenig  darunter  irgend  etwas  arges  bey  mir  ob- 
walte, erhellt  zur  genüge  aus  dem  reuevollen  bekenntnisse,  welches  ich  hiermit  ablege, 
dass,    als   weiland    die   unhämh  hande    von    harden-,    freyheits-,    bailaden-, 

minne- Sängern,    und    Homerverdeutschern,    die    zumal    aus   den    Individuen:    Hahn. 
Hölty,  Miller,  den  Stolbergen,  Voss,   und   meiner  Wenigkeit,  bestand,  theils 
studierens,  theils  (zu  grossem   ärger  des  dortigen   effendi's)  Bingens  halber,   um  die 
jähre  1772  —  74,  sich  in  der  alma  Georgia-  Lugusta,  [  102]  der  Fürstin,  befand, 
adlerbenennungy  so  wir  nachher  mit  der  unanmaassendern  ,Der  sii  ver- 

1)  „Menschliches   leben,     siebentes  stuck.     Gerechtigkeit   and   gleichheit!   von 
C.  F.  Cramer."  —  Dieses  werk   (20  bände,    Altena   1791     1797)  fasst  gewissennassen 
Cramers  bestrebungen   zusammen.        Der  aebentitel  dieses  siebenten  stüoks   b 
„Reseggab  oder  geschichte  meiner  reisen  nach  den  caraibischen  inseln  von  C  F.  Cramer. 

Viertes  stück.    Altena  und  Leipzig  in  der  K;i\ enschen  buchhandlung  1791 

2)  S.öfgg.  1.  c 


5  T_'  ri  r. 

tauscht,    ihr  Belbst,   von    sich    selbei    beygelegt  and   asurpiert  worden  ist    Wir 
nahmen  aber  diese,  von  Stolberg  vor  gar  nicht   langer  zeit   durch  einen  kupfei 
I  iehe  seine  jaml  e  bild,  im  spirituellen,  nicht  im  politischen 

und  waren  nebenbey  bescheiden  genug,  dem   alter  and  rahme  derjenigen  diel 
von  denen  wir   gelernt,    keinen   stein   in  die  wege  zu   legen.    Sie  wurden  von 
mit   dem   Damen  der  sonnenadler  apotheosirt;    indess   wii 
begnügten,  ganz  gewöhnliche,  oder  gar  weiche  von  der  kleinst«  .  die  man 

Steinadler  nennt,  zu  seyn.     Nur  Bürgern,   den  Bchon   eil  äff,   über  ans, 

an  bürgerlichen  würden,    erhob,    schwindelte,    als    ihn  di  de]    mu  en   mit 

ihrer  Lenore  belehnt,  /.war  nicht  von  politischem  hochmuth,  aber  von  poeti- 
schem Btolze  der  köpf;  so  dass  ihm  dieser  täte]  nicht  einmal  mehr  gut  genugwar, 
and  ich  von  seiner  klaue  bey  dieser  gelegenheit   folgendes    Sendschreiben    s.  103 
hielt;  —  das  in  der  litteratur   unsere]    poesie  für  and   für  merkwürdig  bleiben  wird. 

2. 

Exegi  inoiniiiontum  aere  perennin 
Gottfried  August  Bürger  an  Carl  Friedrich  Cramer. 

i  h  Uiehfausen] ,  den  I2ten  aug.  177:;. 

Monsieur 
Denn  ein  mehreres,  als  ein  monsieur,  ist  Ec  nicht  gegen  mich.  Ich  aber  bin 
ein  Herr.  Also,  monsieur,  man  fügt  Ihme  hiermit  zu  wissen,  dass  Unsere  unsterb- 
liche Lenore  fertig  ist;  und  dass  Wir  sie  binnen  8  tagen  nach  Göttingen  bringen  und 
an  der  heiligsten  eiche  des  hayns  zur  schau  ausstellen  werden.  Eher  und  einzeln 
bekommt  sie  kein  sterblicher  zu  sehen.  Zugleich  lassen  wir  Ihinc  hiemit  anverhalten 
seyn,  dass  Wir  den  titul  eines  adlers  abgelegt,  selbigen  Ihme  und  seines  gleichen 
überlassen,  statt  dessen  aber  Uns  den  titul  eines  condors  beygelegt  haben;  welcher 
uns  denn  um  so  [s.  404]  mehr  anstehen  und  ziemen  will,  als  Wir  durch  die  gnade 
Gottes  in  der  Lenore  ein  werk  hervorgebracht  haben,  dergleichen  noch  nie  g< 
auch  wohl  nie  wieder  werden  dürfte.  Es  wird  also  hinführo  in  Unsern  ausfertigungen 
heissen:  Wir,  von  Gottes  gnaden,  condor  des  hayns  etc.  etc. 

An  Unsere  untergebene,  dergleichen  Er  ist,  werden  Wir  Uns  der  anrede  bedienen: 
Unsere  freundliche  willfahrung  zuvor! 
Achtbarer  guter  adler3. 
Uebrigens  werden  Wir  Ihn  mit  einem  Er  beehren.     Er  aber  hat  Uns  also  an- 
zureden: Allererhabenster  grossmächtigster  condor, 
Allergnädigster  condor  und  herr. 
Uebringens  hat  Er  Uns  ew.  condorschaft  zu  betituln.    Wornach  Er  sich  zu 
achten.     Gegeben   in  Unserer  residenz  Gelliehausen ,   der  geburt  Christ  im  1773  sten, 
Unsere  condorthums  im  ersten  jähr. 

(L.       S.       N.       C.4) 

G.  A.  Bürger,  condor. 

1)  Er  war  amtmann  in  Gelliehausen.    [Cramer]. 

2)  Wenigstens  wird  es  dauernder  seyn,  als  die  mäkelnde  recension,  vom  er- 
habenen ästhetischen  throne  herab ,  die  ich  von  seinen  gedichten  in  der  [Allgemeinen] 
Litteraturzeitung  las.  [Cramer].  —  Gemeint  ist  natürlich  Schillers  recension  über 
„Bürgers  gedichte"  vom  15.  und  17.  Januar  1791. 

3)  Die  gewöhnliche  titulatur  eines  amtmanns  im  Abyssinischen.     [Cramer.] 

4)  Diese  abbreviatur  heisst  wahrscheinlich: 

LOCO.      SIGILLI.     NOSTRI.      CONDORIANI.     [Cramer.] 


ZU    G.  A-  BÜRGER  543 

P.    S. 

Achtbarer,  guter  adler! 
Als  Wir  misfälligst  vernehmen  müssen,  wie  Er  neulich  der  adlerschaft,  durch 
einen  bizarr -nachlässigen  anzug1  eine  maculain  angehänget,  und  solchergestalt  selbige 
vor  den  äugen  der  Strasse  verunehret,  da  doch  ein  recht  gesunder  adler  keinesweges 
mit  strupfigen  federn,  sondern  mit  solchen  augethan  seyn  tnuss,  worin  sich  das  bild 
der  sonne  [s.  406]  spiegeln  kann,  so  wird  Ihme  solches  von  wegen  Unserer  eondor- 
schaft  ernstlich  verwiesen,  und  Ihme  gerathen,  sich  lieber  eine  andere  adler -narrheit, 
welche  der  Strassen  nicht  so  in  die  äugen  füllt,  zu  erkiesen.  Daran  geschiehet  Unser 
rath  und  wille.     Gegeben,  wie  oben. 

Nochmals:  Achtbarer,  guter  adler. 
Wir  begehren,  dass  Er  die  TJnsrer  hausfrawen 2  versprochene  musicalia  forder- 
samst  schicken,  oder  selbst  bringen  wolle. 

ut  supra.  

(Die  auf schrift  des  rescriptes  war: 

A  Monsieur 
Monsieur  Cr  am  er. 
Aigle  tres  renomme 
a 
Göttingue.) 
Auf  diesen  so  charakteristischen   und  launigen  briof  Bürgers  antwortet  Cramer 
am   18.  august  1773   (Strodtmann   1,   135);    au    demselben    tage    antwortet    der    hain 
(Strodtmann  I,  13(ifg.)  und  Bürger  erwidert  am  19.  august  (Strodtmann  I,  137fg.). 

Cramers  antwort  an  Bürger  kann  erst  klar  werden,  wenn  man  den  eben  mit- 
geteilten brief  Bürgers  kennt.  Die  vier  eben  citierten  briefe  gehören  eng  zusammen; 
ich  kann  mich  W.  v.  Wurzbachs  urteil  Dicht  anschliessen ,  welch  „Kurz   es 

gab  eine   ganze  scherzhafte   fehde,    bei  welcher  es   uns   nur  wundert,    wie  leute  von 
25  jähren  und  darüber  noch  so  kindliche  gemüter  besitzen  konnten.  • 

Bürgers  Übermut  in  dem  stolzen  bewusstseiu  der  vollendeten  Lenore  i>t  für 
uns  etwas  so  natürliches,  dass  man  sich  kaum  darüber  zu  verwundern  braucht 

3.   G.  A.  Bürger  und  Christian  Jacob  Wagenseil  i  1  756  -  183 

Vor  kurzem  hat  L.Werner  in  Augsburg  (im  „Sammler11  vom  25.  u.  27.  Sep- 
tember 1902)  über  Wagenseils  Lebensgang  ausfuhrlich  berichtet 

Uns  interessieren  daraus   nur  sein  Göttinger  aufenthalt    und  seine  beziehui 
zu  Bürger,    um   so   mehr    als   man   hei   Strodtmann   usw.  kein    wort    über   Wagenseil 
findet. 

Mit  empfehlungsbriefen  Millers  langte  Wagensei]  am  17.  octooer  l .  7.'.  in  Göt- 
tingen an,  wo  der  „harn"  eben  aufgelösl  war.  -  Es  fand  gerade  die  jährliche  Stiftungs- 
feier der  Universität  statt,  bei  der  Wagenseil  den  professor  Chr.  <;.  Heyne  die  festrede 
halten  hörte  und  auch  der  promotion  Blumenbachs  beiwohnte.    Proreotor  war  damals 

1)  Ich  hatte  nämlich  das  unglück  gehabt,  in  der  Zerstreuung  einmal  ohne  hui 
über  die  Strasse  zu  gehen,  woraus  ein  schreckliches,  die  ganze  Stadt  acht  tags  lang 
beschäftigendes  gerüchl  und  gerioht  über  mich  entstanden  und  ergangen,  das 

auch  zu  des  condors  Wissenschaft  durchgedrungen  war.      I  ; 

2)  Gemeint  ist  die  hofrätin  Liste;  bei  Listet  in  QeÜiehausen   hat  Bürger  fast 

zwei  jähre  (Juni    1772  bis  mär/.    1771)  gewohnt 

3)  G.A.Bürger.     Sem   leben   und  seine   werke  (l 


5  11 

ter,  der  im  fest  aders  auffiel,  weil  ihm  zwei   pedelle  in  roten   mänteln 

and  wi  derten  perücken  vorangier 

Als  juris!  borte  Wagenseil  bei  Meister,  Belchow,  Pütter,  Böhmer  und  Schlözer  — 
and  er  war  sehr  Qeissig   bei  ihnen;  in  nähere  beziehungen  trat  er  zu  bwä- 

ii   landsmann  I..  v.  Spittler,   dem   er  auch   seine  poetischen     ■• 
durfte;  nebenbei  borte  W..  enseil  theo!  ollegia  oad 

sammelte  bereits  als  Student  materialien  zu  seinen  späteren  historischen  arbi 

Fruchtreich  wurde  für  Wagensei]  der  verkehr  mit  dem  Bänger  der  Lenoi 
den  Wagenßeil  eine  Sendung  von  Goethe  zu  bringen  hatte.  Bürger,  der  damals  i 
in  Wöllmarshausen  wohnte,  forderte  zn  eifrigem  b  il   kam  oft, 

ein  herzlicher  nt  nii  ht , 

poetischen  versuche  Bürger  vorzulegen,  obwol  er  seine  compositionen  dein  Bü 
sehen  Musenalmanach  anbot,  wo  auch  einige  erschienen  sind. 

Durch  Vossens  Vermittlung  wurde  Wagt  zum  goldenen  zirkel" 

aufgenommen,  der  u.a.  auch  Bürger  angehörte. 

Auch  die  freundin  des  Göttinger  hains,  Charlotte  von  Einen  er  kennen. 

Sie  Fand  gefallen  an  Wagenseils  poetischen  und  musikalischen   neigungen,   and 
blieben  noch  in  fortwährendem  briefwechsel,  als  Charlotte  bereits  verheiratet  war. 

Im  herbst  1778  schied  er  von  Göttingen,  wo  er  sieh  drei  volle  jähre  als  akade- 
mischer bürger  aufgehalten  hat,  und  kehrte  in  seine  heimat  zurück,  um  sich  einem 
praktischen  lebensberufe  zu  widmen. 

4.  Gottfried  August  Bürger  und  J.  Tb.  L.  Wehrs. 
Ein  bisher  unbekanntes  stammhuchhlatt  Gottfried  August  Bürgers  be- 
findet sich  seit  kurzem  in  der  städtischen  altertomsammlung  in  Göttingen,  in  der  sich 
auch  noch  andere  andenken  an  ihn  finden;  (alle  Bürger  darstellenden  porträts,  teils 
im  original,  teils  in  photographischer  nachbildung,  ferner  photographische  aufnahmen 
von  Bürgers  verschiedenen  Wohnungen,  bilder  seiner  angehörigen  usw.j. 

Was  nun  das  stammbuchblatt  anlangt,  das  hier  zum  ersten  male  zum  abdruck 
gelangt,  so  sei  dazu  bemerkt,  dass  Job.  Thomas  Ludwig  Wehrs  (geb.  zu  Gott, 
den  18.  jxüi  1751,  f  26.  Januar  1811),  dem  dasselbe  gewidmet  ist,  auch  zu  den  Jüng- 
lingen gehörte,  die  am  12.  September  1772  in  dem  dorfe  Weende  bei  Göttingen  unter 
einer  eiche  den  „hain"  gründeten.  Wehrs  hat  indes  als  dichter  keine  hervorragende 
rolle  gespielt.  So  konnte  Voss  von  ihm  sagen:  „Wehrs  hat  geschmack,  aber  nicht 
feuer  genug,  den  flug  des  gesanges  zu  wagen",  und  Bürger  sagte  einmal  von  ihm 
(5.  december  1776):  „Saul  mischt  sich  seit  einiger  zeit  auch  wieder  unter  die  pro- 
pheten".  Hier  also  die  Klopstockschen  verse,  die  beweisen,  dass  Bürgerauch  zu 
dieser  zeit  noch  unter  dem  einfluss  des  „Messias"  stand: 

Sich  nicht  rächen,  auch  da  nicht,  wenn  räche  gerechtigkeit  wäre, 

Das  ist  edel!     Erhaben  ist's  den  beleidiger  heben! 

Ihn  mit  geheimen  Wohltun  im  elend  erquicken  ist  himmlisch! 

Klopstock. 
Hiermit,  mein  liebster  Wehrs,  empfiehlt  sich  Barem  freundschaftlichen  herzen 

G.  A.  Bürger. 
Gottingen,  den  26.  September  1777. 
Bürger    wird    dieses    blatt,   als   er  in   Göttingen  auf  besuch  war,   geschrieben 
haben;   denn   zu   der  zeit  wohnte  er  als  amtmann  in  Wöllmarshausen   bei  Göttingen. 


ZU    G.  A.  BÜRGER  545 

5.  Eine  anzeige  Bürgers  aus  dem  jähre  1778. 

Carl  Schüddekopf  hat  gelegentlich  der  Besprechung  der  5.  aufläge  der  Grise- 
baclischen  Bürgerausgabe  [Ztschr.  f.  d.  a.  42  (1898)  s.  318fg.]  mit  vollem  recht  darauf 
hingewiesen,  dass  nur  eine  anzeige  Bürgers  bei  Grisebach ,  wie  auch  in  allen  früheren 
ausgaben  der  Bürgerschen  werke  fehle.  Schüddekopf  fand  die  betreffende  anzeige  im 
Teutschen  merkur  von  1778,  juli,  s.  95. 

Wie  ich  nun  aus  der  in  meinem  besitz  befindlichen  Bürger  -  ausgäbe  von  1 77S 
(Göttingen)  ersehe,  ist  die  anzeige  hier  zum  ersten  mal  von  Bürger  veröffentlicht 
worden,  und  zwar  auf  dem  letzten  blatf  der  betreffenden  ausgäbe.  Mein  exemplar 
hat  J.  v.  Döring  bereits  „den  10.  juni  1778  vom  Verfasser  i  Bürger)  geschenkt  erhalten". 

Erst  danach  wird  die  anzeige  im  Teutschen  merkur  und  wol  auch  in  anderen 
Zeitschriften  abgedruckt  worden  sein. 

Die  anzeige,  die  beginnt:  „Ich  biu  bewogen  worden..."  ist  übrigens  trotz  der 
Schüddekopf  sehen  bemerkung  auch  nicht  in  die  Bürger -ausgäbe  von  \Y.  v.  Wurzbach 
(1902)  aufgenommen  worden,  die  sonst  an  Vollständigkeit  nicht  viel  zu  wünschen 
übrig  lässt. 

6.  Gottfried  August  Bürger  und  K.  E.  Schubert. 

„Das  Mädel,  das  ich  meine",  welches  Bürger  zum  24.  august   L776,  zum  acht- 
zehnten geburtstage  „Gustchens"  (Mollys)  gedichtet  hatte,  erschien  zuerst  im  Göttinger 
musenalmanach  für  1777;  im  Göttinger  musenalmanach  auf  1779  las  man  das  gedieht 
parodiert  als  „hexe,  die  ich  meine".     Nach  dem  briefe  Bürgers  vom  22.  october  177s 
hat   dazu   G.  C.  Lichtenberg  „bloss  die  idee  und   grundlage  hergegeben.      Die 
ausfuhrung  bis  auf  ungefähr   zwei   Strophen  gehört  mir".  —  In   demselben  jähre  er- 
schien nun  noch  eiue   parodie,   unter  dem  titel  „Ausforderung  an  Büi 
findet  sich  in  der  Berliner  litteratur-    und    theaterzeitung  (11.  September 
1779,  nr.  XXXVII,  s.  580fg.)  und  ist  bis  jetzt  der  beaohtung  entgangen.    Unterzeichnet 
ist  sie  mit  K.  E.  S.;  es  wird  niemand  anders  sein  als  k    E.  Schuber!  ilTIl 
[vgl.  Goedekes  Grundriss2  V,  255),  der  manchen   beitrag   zu  der  Berliner  litteratur  - 
und  theaterzeitung  geliefert  hat.     Die  „Ausforderang  an  Bürger"  lautet  so: 

1.  3. 

Schöner  Bürger!  reim  ich  ein,  Lieblich  ist  auch  ihr  gesicht, 

Süsser  mag  Dein  liedohen  seyn:  I  ad  aus  stirn  and  wange  Bprioht 

Schöner?  süsser?  —  mag  es  doch!  Eugelseelc  Eromm  and  rem, 

War  es  zehnmal  schöner  noch:  Ruhig  hell,  wie  inondessohein: 

Lieber,  holder,  als  das  Deine,  Seieheu  unsohuldglanz  hat  keine 

Ist  das  mädel,  das  ich   meine.  Wie  das  mädel,  das  lob   meine. 

•      2.  4. 

Jenes  äuge  sey  so  blau,  I  od  der  das  an   ihr  getan, 

Wie  die  hyaciuth  im  tau;  \  ihm  sich   meines  hei/.ens  an. 

0  in  solcher  liebesprachl  Haucht  ihm  süsse«  hofnung  ein, 

Hat  es  Dir  doch  nie  gelacht:  Noch  von  ihr  geliebt  .  u  Beyn: 

Solchen  himmelsbliei  hat  keine,  l'ass  ich  nicht  mehr  trostlos  weine 

Als  das  mädel,  das  ich  meine.  um  das  mädel,  das  ich  meine. 

ZEITSCHRIFT    F.    DEUTSOHB    ritlLOUiOUC.       HU.    KXXV. 


5. 
Bleib  Dir  schon  im  bardeoki 

Unentwaii'lt  der  Liederpreis; 

\\  ag  ich  in  der  liebe  whier 

Einen  wettekampf  mit  Dil : 

Sü  geliebet  wurde  keine 

Wie  das  mädel,  'las  ich  meine. 
Was  übrigens  die  Berliner  litteratnr-  und  theaterzeitung   betref  noch 

weiter  anlangt,  so  sei  hier  noch  bemerkt,  dass  Minor  in  der  Dummer  vom   21.  oo- 
tober  1780  (nr.  XI. III.  s.  673    680)  den  ersten  Behr  interessanten  druck  der  von  B  i 
übersetzten   bexengesänge  aus  Macbeth  gefunden   bat1,   und  dass   iob  in  eben    I 
Zeitschrift  vom  24.  februar  1781   (nr.  VIII.  s.  113-   115)  die  älteste  vollständige  fassuug 
von    IlmiM t>    „prolog,   gehalten   bei   einer   privatvorstellung  der  Kulalia  zu  Göttii 
entdeckt  habe   (wiederabgedruckt  in   der   „Gegenwart1'  vom    19.  october    1901,    s.  246 
bis  247). 

7.  Gottfried  August  Bürger  und  .loh.  Christ.  Friedr.  Scherf. 

Am    17.-  Juni    1785   waren   zu  Bissendorf  (bezirk    Eannover)    „herr   Gottfried 

August  Bürger,  dichter  und  lehrer  des  teutschen  stils  zu  Göttingen"  und  „Demoiselle 

ista   Maria   Wilhelmme  Eva  Leonhart"    (Mollyj   getraut.     Kurz   darauf  reiste  der 

dichtei-  zur  kräftigung  seiner  stark  angegriffenen   gesundheit  nach  Meinberg   „einem 

heilbade  in  der  grafschaft  Lippe -Detmold'1. 

Wie  mir  die  fürstliche  rentkammer  in  Detmold  gütigst  mitteilt,  steht  „in  der 
Meinberger  badeliste  von  1785  unter  nr.  109  amtmann  Bürger  aus  Göttingen  ein- 
getragen, der  am  25.  juni  im  damaligen  Trampeischen  kurhause  abgestiegen  ist"1; 
dieses  datum  war  bisher  nicht  bekannt;  wir  wissen  jedoch,  dass  Bürger  am 
24.  juli  Meinberg  wieder  verliess3,  und  constatieren  also  jetzt,  dass  Bürger  nach 
gerade  vierwöchentlichem  aufenthalte  seine  kur  in  Meinberg  abbrach;  wie  er  selbst 
schreibt,  hat  er  in  Meinberg  —  und  Pyrmont,  das  er  als  nachkur  aufgesucht  zu  haben 
scheint,  —  „brunnen  und  bad  gebraucht"  (Strodtmann  III  160fg.),  „ohne  jedoch  etwas, 
das  sonderliches  aufhebens  wert  wäre,  an  gesundheit  zu  ertrinken  und  zu  erbaden" 
(Strodtmann  III,  154);  ebenso  unmutig  lässt  sich  Bürger  in  seinem  briefe  an  Dieterich 
(Bissendorf,  den  4.  September  1785;  Euphorion  3.  erg.-heft  s.  119)  über  sein  „höchst- 
elendes befinden''  aus;  er  spricht  von  „köpf-,  zahn-,  haisweh,  Schwindel  und  quälen 
der  hypochondrie4*.  „Ich  kam  fast  kränker  von  Meinberg  und  Pyrmont  zurück,  als  ich 
hinreiste  und  hätte  diesen  kostbaren  versuch,  gesund  zu  werden,  füglich  sparen  können. 
Erst  seit  etwa  acht  tagen  scheint  es  mir  durch  den  ernsthaftesten  gebrauch 
anderer  und  wirksamerer  mittel  auf  einen  besseren  fuss  zu  kommen  und  ich 
darf  hoffen,  bald  wenigstens  in  leidlicher  gesundheit  wieder  zurückzukehren".  . . . 

Anfang  october  1785  ist  Bürger  nach  Göttingen  zurückgekehrt;  von  hier 
konnte  er  am  4.  november  an  Bertuch,   mit  dem  er  in  Pyrmont  zusammen  getroffen 

1)  Vgl.  Jahrbuch  der  Deutscheu  Shakespeare  -  gesellschaf t.  36.  Jahrgang  (1900) 
s.  122  —  128. 

2)  Nicht  am  27.  juni,  wie  W.  v.  Wurzbach  in  seiner  Bürger  -  biographie  (s.  223) 
irrtümlich  angiebt. 

3)  Vgl.  Bürgers  epigramm:  ..An  die  nymphe  zu  Meinberg" ;  handschrift  auf  der 
Berliner  bibliothek. 


ZTJ    ß.  A.  liÜRGER  547 

war,  schreiben1:  „ich  befinde  mich  besser,  als  ich  mich  seit  verschiedenen  jähren  be- 
funden habe.  Daran  hat  aber  weder  Meinberg,  noch  Pyrmont  samt  allem  hocus 
pocus  und  Schattenspiel  an  der  wand,  was  da  den  armen  kranken  vorgezaubert  wird. 
Sondern  allein  der  medicinische  adlerblick  und  die  weit  kräftigere 
hülfe  des  ehrlichen  Scherf  anteil.  Ich  reiste  von  M.  nach  P.  noch  elender  weg, 
als  ich  hingekommen  war.  Ganz  anders  aber  schwang  ich  mich  empor,  als 
ich  anfing  zu  thun,  wie  mir  Scherf  geboten  hatte. 

Kurz  ich  bin  jetzt  au  leib  und  seele  in  einer  art  von  Wiedergeburt 
begriffen  .  .  ." 

Ausser  Scherf  füngierte  damals  als  badearzt  in  Meinberg  der  landphysikus  hof- 
rat Trampel2,  dem  Meinberg  viel  zu  danken  hat;  ob  er  auch  Bürger  behandelt  bar, 
mag  dahingestellt  bleiben;  jedenfalls  hat  es  Scherf  verstanden,  Bürgers  zerrüttete 
gesundheit  durch  den  gebrauch  „anderer  und  wirksamerer  mittel"  —  als  die  erfolglos 
genommene  bäder-  und  brunnenkur  es  vermochten  —  zu  heben.  Scherf  wird  eine 
medicamentöse  behandlung  eingeleitet  haben,  die  als  nachkur  zu  den  genommenen 
bädern  und  brunnen  ihre  günstigen  Wirkungen  gehabt  haben  mag;  denn  am  21 
cember  1785  schreibt  Bürger  (Strodtmann  III  161):  „Wenn  mein  fast  ganz  hinwett 
leben    nunmehr    allmählich    wieder    aufzugrünen    und    zu    blühen    an!  habe 

ich  es  wol  nicht  bloss  brunnen,  bädern  und  apothekeu  zu  verdanken,  sondern 
hauptsächlich  ihr  (Molly),  ohne  deren  erfolg  ich  lieber  mein  daseyn  gar  nicht  haben 
möchte.14 

Aus  Scherfs  briefen  über  das  gesundheitswasser  zu  Meinberg,  erstes  heft  1 1. 
1794)  s.  216  geht  hervor,  wie  seine  Stellung  als  arzt  in  Meinberg  war;  es 
dort:  „Ich  bin  jede  woche  zwey  tage  in  Meinberg,  insgemein  den  mittwochen  und  Sonn- 
tag, und  wenn  es  verlangt  wird,  so  reise  ich  auch  noch  öfter  dahin.  Sie  wissen  es 
schon,  dass  mir  die  ärztlichen  geschäfte  in  Meinberg  mit  übertragen  sind,  und  ich 
bin  verpflichtet,  jeden  Kurgast,  der  sich  auch  meines  ärztlichen  rates  bedienen  will, 
mit  den  kenntnissen  beyzustehen,  die  ich  durch  Studium  und  erfahrong  in  unserer 
kunst  nur  immer  besitzen  mag;  Sie  kennen  mich  und  wissen .  köpf  und  herz,  30 
gut  mir  gott  beydes  gegeben  hat,  widme  ich  tätig  den  kranken,  die  mir  Ihr  zutrauen 
schenken". 

„"Was  übrigens  das  knrhaus  anlangt,  in  dem  Bürger  abstieg,  SO  sei  bemerkt, 
dass  Trampel  ein  „ schönes  logirhaus,  das  zugleich  mit  badestuben  versehen-  war. 
im  jähre  1769  aufführen  Hess,  weil  sich  der  besuch  fremder  hoher  onrgäste  sein 
vermehrte.  Dieses  haus  ist  jetzt  herrschaftlich,  unter  dem  nainen  des  stern 
bekannt"3. 

Das  fürstliche  kuxhaus,  der  „stern",  sieht   heute  nooh;  es  wäre  wol 
an  dem  hause  für  den  sänger  der  Lenore  eine  gedenktafel  anzubringen!    Hat  er  dooh 
„an  die  aymphe  zu  Meinberg"  einige  verse  geriohtet,  anter  die  er  die  worte  schrieb: 
„Zur  erinnerung  au  freude  und  leid  in  Meint) 

1)  Der  brief  ist  zum  24.  April  1889  in  druck  -.-eben  und  Klaus  Groth  als 
festgruss  übersandt  von  Berthold  Litzmann. 

2)  Job.  Erhard  Trampel  (1737  L818),  promovierte  1760  in  Göttingen,  war 
mehrere  jähre  am  Lippischen  hofe  angestellt,  wurde  Lippischer  hofral  und  Bpftter 
geheimrat,  Hess  sieh  I7'.t:>  in  Pyrmonl  nieder,  wo  er  badearzt  und  inspectoi  dei 
mineralquellen  war.    (Elwert  1.  614;  Biogr.  med.  VII,  360.     Diot  bist.  IV.  27H 

:i)  Rudolph  Brandes,   Die  mineralquellen   und  Bchwefelschlammbadei 
berg  usw.  (Lemgo   L832)  s.  -~:>  u.  s.  '_':_".». 


548 

8.  G.  A.  Bürget  and  Christ.  Fried  r.  Dan.  Bobabart. 

Aus  Bürgers  briefwechsel  erfahren  wir,  dass  er  i  icht" 

plante   (brief    vom    l r».  apri]    1770);    ein   balbes  jähr  später  (am    17.  october)  betont 
Bürger  nachdrücklich:   „Es   muss  und   muss  gehn  mit  einem   grö    ern  roll    i 

licht.'      Diese  beiden  äusserungen  sowie  die  folgende  dritte  sind  Bämtlicfa  an  Boie. 

gerichtet:  „Ich  bin  nunmehr  auch  mit  der  wähl  eil  zueinem  ignen 

ohi  fertig  and  bearbeite  tag  und  naohi  in  meinem  köpfe  den   plan,  dei    sich  mir 
schon  sein-  weil  entwickelt  hat....   Noch  sage  ich  dir  nichts,  weder  vondi 
stände,  noch  der   behandlung.     Beide   würdesl   dt    mit  mir  nicht  zusammenreimen." 
(Brief  vum  25.  october  L779  I 

Bürgers  sämtliche  bailaden  sollten  zu  diesem  „national -gedieht"  nur  Vorberei- 
tungen sein;  daher  sei  es  gestattet,  da  das  geplante  gedieht  offenbar  nicht  zu  stände 
gekommen  ist,  kurz  darauf  einzugehen,  an  wen  es  gerichtet  werden  Bollte. 

Wir  sind  in  der  glücklichen  läge,  dass  uns  Chr.  Friedr.  Dan.  Schubart  in 
seinen  Gesammelten  Schriften  (Land  VI,  Stuttgart  1839,  s.  138)  eine  kleine  ootiz  auf- 
bewahrt hat,  die  uns  verrät,  dass  das  Bürgersche  gedieht  Friedrich  d  in  ge- 
widmet sein  seilte:  „Bürger  arbeitel  an  einem  volksgedieht  auf  Friedrieh 
den  grossen;  hat  er  dies  vollendet,  so  wird  er  hoch  stehen  auf  der 
poetischen  himmelsleiter.  Seinen  bisherigen  poetischen  Charakter  glaub'  ii 
ziemlich  in  der  scala  enthüllt  zu  haben." 
Bürger 


16 

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In  eben  diesem  aufsatze  (a.  a.  o.  s.  132- — 138)  über  die  „kritische  scala  der  vor- 
züglichsten deutschen  dichter"  heisst  es  (s.  133):  „Popularität  oder  volkssinnigkeit 
halte  ich  mit  Bürgern  für  eine  der  vorzüglichsten  eigensehaften  eines  diehters.  Wen 
nur  wenige  verstehen,  der  kann  unmöglich  jene  göttliche  einfalt  haben,  die  für  jeden 
menschen  von  sehlichtem  verstände  verständlich  und  einschneidend  ist.  Je  stärker 
und  dauernder  die  eindrücke  eines  diehters  bei  der  nation  sind,  je  grösser  ist  er."... 

Diese  gesichtspunkte  mögen  wol  auch  Bürger  geleitet  haben,  als  er  sich  Friedrich 
den  grossen  zu  seinem  beiden  erwählte;  ausserdem  war  Bürger  „voll  höchster  be- 
wunderung  für  den  grossen,  und  liebevollster  Verehrung  für  den  guten  könig",  den 
vortrefflichsten  der  menschen  (Strodtmann  III,  80  fg.),  wie  er  ihn  in  demselben 
briefe  nennt. 

Wir  wissen  nun  aber,  dass  auch  Schubart  einen  hymnus  auf  Friedrich  den 
grossen  gemacht  bat,  der  im  frühjahr  1786  entstanden  ist  (Strauss  II,  180)  und  dessen 
erscheinen  mit  Friedrichs  tode  (am  17.  august  1786)  zusammenfiel;  aber  bereits  im 
december  1783  schreibt  Schubart  seinem  söhne:  „Ich  arbeite  wirklich  (gegenwärtig) 
an  einem  gedichte  auf  Friedrich  den  grossen!  den  einzigen!!  ....  ein  produkt,  das 
seit  Jahren  in  seiner  seele  immer  reifer  geworden  war  und  das  er  in  wenigen  stunden 
aufs  papier  niederwarf".  Man  vergleiche  dazu  die  oben  citierte  stelle  aus  dem  briefe 
Bürgers  an  Boie  aus  dem  october  1779.  Dem  Schubartschen  hymnus  hat  mehr  die 
person,  an  die  er  gerichtet  war,  als  sein  poetischer  gehalt  bedeutung  gegeben,  sagte 
einmal  ein  kritiker,  und  es  ist  viel  wahres  an  dem  urteil;  der  beste  erfolg  für  Schubart 


ZU    G.  A.  BÜRGER  549 

war  freilich  der,  dass  er  vorzüglich  durch  dieses  gedieht  seine  freiheit  erlangte.    (Vgl. 
G.  Hauff,  Chr.  Fr.  Dan.  Schubart  usw.  [Stuttgart  1885]  s.  224  u.  s.  304  —  306.) 

Besteht  nun  irgend  ein  Zusammenhang  zwischen  dem  Schubartschen  hymnus 
und  dem  von  Bürger  geplanten  gedichte?  Die  Sache  wäre  leicht  zu  entscheiden,  wenn 
man  wüsste,  wann  und  woher  Schubart  die  notiz  über  Bürgers  absieht  genommen 
hat.  Ich  glaube  indes,  vermuten  zu  dürfen,  dass  Schubart  —  wenn  auch  nicht  von 
Bürger  selbst  —  so  doch  von  dem  Göttingischen  kreise,  vielleicht  durch  Boie,  dem 
etwas  darüber  auszuplaudern  zwar  ausdrücklich  verboten  war,  künde  von  Bürgers 
plan  erhalten  hat. 

Schubart  hält  bereits  in  seiner  chronik  aus  dem  jähre  1770  (s.  118)  Bürger 
für  einen  ganz  originellen,  heiteren,  allgemein  verständlichen  Volks-  und  vater- 
landsdicbter;  vielleicht  wusste  damals  Schubart  schon  etwa-  von  Bürgers  plane, 
der  1779  der  ausführung  nahe  gewesen  zu  sein  scheint  und  doch  niemals  ausgeführt 
worden  ist. 

Aber  wie  dem  auch  sei,  ich  glaube,  dass  vielleicht  Schubart  durch  Bürger 
die  anregung  zu  dem  hymnus  auf  Friedrich  den  grossen  erhalten  hat. 

9.    Gottfried  August  Bürger  und  E.  L.  M.  Rathlef. 

1788  erschien  zu  Lemgo  in  der  Meyerschen  buchhandlung:  „Serklaide.  Eine 
von  der  belagerung  Magdeburgs  ausgehende  und  mit  der  entscheidenden  Schlacht 
Breitenfeld  sich  endigende  handlung"  (8°;  302  Seiten).  Der  Verfasser  dieses  epos 
ist  Ernst  Lorenz  Michael  Rathlef,  der  am  2.  Januar  1743  zu  Langenhagen  in 
Hannover  geboren  wurde1;  er  studierte  in  Göttingen  und  ward  später  amtssebj 
zu  Aerzen  bei  Hameln;  seit  1787  zu  Nordholz  im  herzogtum  Bremen,  starb  er  am 
14. januar  1791. 

Trotzdem  bei  Goedeke  (Grundiv'  IV,  65;  V,  378)  eine  nicht  geringe  zahl  von 
Eathlefs  werken  verzeichnet  steht,  ist  die  „Serklaide"  dort  nicht  angegeben. 

Dieser  umstand  veranlasst  mich,  auf  das  vergessene  werk  hinzuweisen,  das 
auch  besonders  in  litterarischer  hinsieht  aufmerksamkeil  verdient,  die  es  noch  nicht 
gefunden  hat. 

Mir  war  es  vor  allem  interessant,  dass  Rathlef  die  vorrede  (s.  7 — 68)  zu  seinem 
werke  „An  herrn  Bürger"  gerichtet  hat. 

Rathlef  begründet  die  widmung  so:  „Erlauben  Sie.  dass  ich  mich  an  Sie  v. 
indem  ich  im  begriffe  bin,  dem  ehrwürdigen  publicum,  dem  ich  noch  wenig  bekannt 
bin,  ein  werk  vorzulegen,  an  Sie,  den  freund  desselben,  dessen  schätzbare  hekannt- 
SChaft,  nun  da  Sie  dieses  gedichl  bereits  seit  einigen  jähren  in  banden 
haben,  mir  einiges  recht  dazu  giebt.  Es  war  immer  mein  I0O88,  kritische  freunde 
zu  suchen,  und  nicht  /.u  linden,  [ch  fand  endlich  sie.  tob  hatte  die  schmeichelhafte 
fs.  8]  hofnung,  Ihre  erinnerungen  nutzen  zu  kennen;  aber  Ihre  eigenen  litterarisohen 
und  bürgerlichen  Verwickelungen,  and  mehr  als  diese,  haben  körperliohe  Rohwachheiten 
Sie  darin  verhindert [bre  eigenen  sohriftliohen  und  mündliohen  Äusse- 
rungen haben  mir  wenigstens  so  viel  ormuntening  gegeben,  dass  ich  ein  werk. 
welches  seit  manchen  jähren  die  fruchl  meiner  be[s.  9Jsten  und  freyesten  stunden 
war,  nicht  ganz  auf  die  seite  gelegt  habe." 

1)  Goedeke  (6rundr.s  IV,  65)  gibt  an,  dass  l>.  LI  12  :u  Nienburg  geboren  wurde. 
Die  berichtigung  verdanke  ich  herrn  pastor  Nutzhorn  In  Bissendorf. 


EBSTEIN 

Wir  sehen  also,  dasi    Bürget  Bathlefa  „Serklaide"  bei  einigen  jähren 

in  den  bänden  gehabl   und  sich   schriftlich   und   mündlich   mit   dem  autor  äbei 
epos  auseinandergesetzt  hat;  weiter  erfahren  wir,  dass  Bürger  „verschiedene" 
„poetischen  kinder"  in  seinen  Göttinger  musenalmanacb  aufgenommen  hat. 

Rathlef  betont  weiter,  dass  er  seine  eigenen  gedanken  aber  dieses  gedieh! 
rade  ihm,  als  „dem  vertrautesten  freunde  Homers"'  mitzuteilen  sich  erlaube, 
wenn  sie  gleich  nichi  mit  den  seinigen  übereinstimmen  Bollten. 

Rathlef  meint  hiermit  das  für  sein  epos  gewählte  metrum:  er  hat  sich  endlich 
für  die  sechsfüssigen  ungereimten  Jamben  entschieden;  erst  dachte  er  an  den  Ale- 
xandriner (s.  29),  den  er  indes  „aus  mehr  als  einer  Ursache  bedenklich"  faud;  als 
probe  giebt  Rathlef  den  ersten  gesang  der  Eenriade  (s.  30  —  46)  in  dieser  versart  über- 
sotzt,  wider;  dann  machte  Rathlef  den  versuch  in  gereimten  Jamben,  worin  Pope  auch 
den  Homer  iibersetzl  hat  -  als  probe  giebt  Rathlef  den  anfang  des  achten  buches 
der  llias  (s.  46  —  57)  --  er  kommt  aber  dabei  zu  folgendem  Schlüsse:  „Wie  viel 
gehet  hier  verloren  des  altpathetischen,  dieser  eigenen  Homerhcit,  und  wie  viel  muss 
hier,  so  gut  es  kann  in  seine  stelle  gerückt  werden,  um  sinn  und  vers  zu  ergänzen! 
So  viel  fesseln  hat  dieses  sylbenmaas  und  der  reim.  Jenes  altpathetische  verlieret 
vielmehr  seine  Wirkung  und  grenzet  hier  oft  an  das  lächerliche." 

„Aber  bey  dem  allen",  fahrt  Rathlef  fort,  „habe  ich  mich  nicht  zum  hexa- 
meter  entschliessen  können,  und  halte  ihn  eben  so  wenig  passend  für  moderne  sub- 
jeete.  Ob  er  überhaupt  der  teutschen  spräche  mit  ihren  vielen  consonanten  angemessen 
sey,  will  ich  (s.  58)  hier  nicht  untersuchen.  Aber  desto  glücklicher  haben  Sie  [Bürger] 
ihn  zu  Ihrer  Übersetzung  der  Iliade  gewählt,  auch  stolpern  bey  Ihnen,  cui  dedit  ore 
rotundo  Musa  loqui,  die  hexameter  nicht  so  über  consonanten  hin.  Dieser  vers,  wenn 
er  also  besonders  geschickt  ist,  einen  alten  dichter  zu  übersetzen,  indem  er  sich  am 
meisten  der  poetischen  prosa  nähert,  auch  eben  desfalls  gewählt  zu  werden  verdienet, 
um  ein  subjeet  aus  der  alten  zeit,  und  besonders  ein  solches,  das  aus  der  heiligen 
schrift  gezogen  worden ,  zu  besingen,  wenn  er  am  geschicktesten  ist,  das  pathetische 
der  alten  anzunehmen ,  dieser  vers  muss  eben  desfalls  ein  jedes  andere  gedieht  in  das 
komische  fallen  lassen,  und  selbst  dadurch  alle  pathetische  Wirkung  vernichten.  Ich 
habe  daher  denen  nicht  beypflichten  können ,  welche  den  hexameter  ohne  unterschied 
für  den  besten  vers  der  epopee  halten. 

Ich  blieb  also  bei  den  Jamben."  — 

Wir  wissen,  dass  Bürgers  „erste  jugendidee"  die  Verdeutschung  Homers  in 
jambischem  rhythmus  war;  aber  da  er  „eine  dolmetschung,  an  geist,  körper  und 
bekleidung  dem  original  so  nah  als  möglich"  erstrebte,  und  die  zuerst  gewählte  jam- 
bische versart  diesem  grundsatz  noch  widersprach,  so  liess  er  (im  jähre  1783)  den 
jambus  fallen,  nun  „veränderte  er  die  waffen"  und  rückte  mit  einem  hexametri- 
schen versuch  ins  feld,  bei  dem  er  sich  mit  höherem  recht  des  bemühens  rühmen 
durfte,  „unverwandt  und  bis  zum  schmerze"  die  äugen  auf  einen  punkt  gerichtet  zu 
haben,  „dem  Homer  an  geist  und  leib  auch  das  kleinste  nicht  zu  geben  oder  zu 
nehmen2." 

1)  Vgl.  Otto  Lücke,  Bürgers  Homerübersetzung,  Norden  1891  (programm) 
und  Bruno  Kaiser,  Bürgers  erste  aufsätze  über  die  Verdeutschung  Homers  [Eupho- 
rion  VIII,  649  —  659]. 

2)  Citiert  nach  W.  v.  Wurzbachs  Bürger  -  ausgäbe,  bd.  IV,  s.  60  u.  R.  Haym, 
Die    romantische    schule    (Berlin    1870)    s.  157.   —   Die    ersten    im    hexameter   ver- 


ZU   G.  A.  BÜRGER  55  ! 

Über  Rathlefs  übrige  werke  findet  man  genaueres  in  Meusels  Lexicon  der  von 
1750—1800  verstorbenen  teutschen  Schriftsteller,   bd.  XI,  s.  53 fg. 

Was  zum  schluss  noch  die  gedichte  Rathlefs  anlangt,  die  Bürger  für  wert  ge- 
halten hat,  in  seinen  musenalinanach  aufzunehmen,  so  sind  es  wahrscheinlich  die  mit 
Rf.  bezeichneten  lieder  in  den  Göttinger  musenalmanachen  von  1779  — 17841.  Zwei 
davon  „Cynthiens  Hand"  (G.  M.  alm.  1779,  s.  67)  und  „Liebeslied  eines  poeten  an 
sich  selbst"  (ebenda  s.  109 fg.)  sind,  nach  Bürgers  brief  vom  22.  october  1778,  fast 
ganz  von  Bürger;  besonders  an  dem  gedichte  „Cynthiens  Hand"  hatte  Bürger  „vor- 
züglichen Wohlgefallen":  die  beide  Rathlefschen  gedichte  hat  deshalb  August  Sauer 
in  seine  Bürger -ausgäbe  (s.  478  fgg.)  unter  die  „Umarbeitungen  fremder  gedichte" 
aufgenommen. 

10.    Ein  brief  Elise  Bürgers. 

Vor  kurzem  habe  ich  in  dem  „Jahrbuch  für  das  gesamte  bühnenwesen ,  Deutsche 
Thalia"  I.  Wien  und  Leipzig,  s.  42  —  64,  acht  ungedruckte  brief'-  Elise  Bürgers  aus 
den  jahren  1803  — 1809  veröffentlicht. 

Im  anschluss  daran  sei  hier  ein  brief  Elisens  mitgeteilt,  der  im  jähre  1901 
von  der  Göttinger  Universitäts-bibliothek  erworben  wurde;  vgl.  Chronik  der  Georg 
August -Universität  für  das  rechnungsjahr  1901  (Göttingen  1902)  s.  34  fg. 

Im  wilden  mann  am  mittwoch 
ahend,  6  uhr. 

So  eben,  meine  werthe  freundin!  bin  ich  hier  angelangt  und  würde  Sie  diesen 
abend  persönlich  statt  dieser  zeilen  überrascht  haben,  wäre  ich  nicht  vom  üble] 
und  wetter  erschöpft.  Wie  unendlich  freue  ich  mich  auf  Ihr  wiedersehen  nach  so 
langer  zeit!!  Bestimmen  Sie  die  stunde  wo  Sie  morgen  mich  bei  sich  sehen  wollen! 
Indessen  sende  ich  Ihnen  die  beiden  kleinen  gedruckten  büchlein  zum  willkommen 
als  ein  geschenk  der  freundschaft  —  und  —  meiner  Stammbücher  fortsetzung  seit 
wir  uns  nicht  mehr  sahen  —  damit  Sie  voraus  wissen  wie  weit  ich  die  weit  indess 
von  süd  und  nord  beschaut  habe! 

Die  frau  Elise  umarmt  Sie  herzlichst,  empfiehlt  sich  dem  gemahl  und  wünscht 
wohl  zu  schlafen  [Elise  Bürger]2. 

Unter  den  „beiden  kleinen  gedruckten  büchlein",  die  Elise  ihrer  freundin 
übersandte,  ist  vermutlich  „Mein  taschenbuch,  den  freundlichen  meines  gesohlechts 
geweiht  von  Elisa  Bürger,  geb.  Hahn",  zwi  bändchen  (in  8°)  Pirna  1804—1805, 
zu  verstehen;  daher  ist  dieser  brief  wol  in  dem  jähre  1SI1"'  geschrieben;  die  Stamm- 
bücher Elise  Bürgers  scheinen  leider  verloren  gegangen  zu  sein. 

11.    Die  Bürgerbüste  Chr.  Friedr.  Tiecks  auf  der  Walhalla 
bei  Regensbur^. 
Im  anschluss  au  meinen  auisatz   ober  Bürger -bilder  (Zeitschrift   für  büoher- 
fieuudo,  5.  jahrg.  [juni  1901],  8.89-  107)  und  die  notiz  in  der  „Beilage  eui  Ällg. 

deutschten  stücke  aus  Eomer  liess  Bürger  im  I  band  (Jahrgang  1784)  von  Goeckingks 
„Journal  von  und  für  Deutschland"  erscheinen;  seit  diesem  jähre  Bcheini  Bürger 
nicht  mehr  mit  dem  Eomer  beschäftig!  zu  haben, 

1)  Vgl.  0.  Chr.  Redlich,  Versuch  eines  chiffernlexioons  usw.  (Hamburg  1875) 
s.  23.  36  u.  48. 

2)  Auf  seite  -1  steht:  „Von  Elise  Bürger,  geb.  Halm,  einst  berühmt  als  deola- 
matrice." 


552 

zeitang  vom  6.  i    L902  (nr.  204)  b.  L61fgg.,  wo  ich  ein  offenbai  versöhn 

profilbild  Bürger  ans  der  band  Joh.  Christ,  Reinharts  in  dem  „Journal  von  und  für 
Deutschland"  (Jahrgang  L785)  alf  kupferstich  erhalten  nachweisen  konnte,  nabeich 
mich  bemüht,  in  der  Gegenwart  (vom  20.  September  1902  [nr.  38],  183  1  S7j  von  den 
denkmalern  kunde  zu  geben,  mit  denen  man  den  Bänger  der  Lenore  im  laufe  der 
zeit  geehrt  hat. 

Ich  habe  daselbst  ausführlich  deT  Ti<  Äschen  Bürgerbi'  te  an  dem  jähre 
1817  —  die  auf  der  Walhalla  steht,  gedacht;  mit  aller  Wahrscheinlichkeit  glaubte  ich 
damals  annehmen   zu   müssen,   dass  Tieck   „seiner  arbeit  den  anonymen   kupfei 

TS  zu  gründe  gelegt  hat,  der  nach  einer  Zeichnung  des  Göttinger  tunsthistorikers 
Fiorülo  gemacht  ist  und  vorder  im  jähre  L796  erschienenen  Prachtausgabe  der  Bf 
sehen  gedichte  stellt";  ich  hatte  meine  ansichi  möglichst  zu  Eestigen  gesucht,  bemerkte 
aber,  dass  ein  endgiltiger  nachweis  darüber,  nach  welchem  porträt  Tieck  gearl 
hat,  sich  wol  aus  den  damaligen  akten  ermitteln  lassen  müsse. 

Zu  meiner  freude  teilte  mir  lierr  pastor  Nutzhorn  in  Bissendorf  gütigst  mit. 
dass  meine  Vermutung  vollkommen  richtig  sei.  Denn  A.  "W.  Schlegel  schreibt  an  seinen 
freund,  den  bildhauer  Friedr.  Tieck  auf  dessen  brief  vom  1.  februar  am  24.  februar 
1817  aus  Paris1:  „Wegen  des  bildnisses  oder  der  bildnisse  von  Bürger  wird  es  das 
beste  seyn,  dass  Du  dich  an  professor  Fiorillo  wendest.  Er  war  Bürgers  guten-  freund, 
und  ist  ausserdem  der  einzige,  der  in  Göttingen  etwas  von  der  kunsi  versteht.  Ich 
glaube  nicht,  dass  ein  gutes  gemählde  vorhanden  ist:  ich  kenne'  nichts,  als  den  mittel- 
mässigen  kupferstich  vor  seinen  gedichten.  Sein  arzt  war  ein  gewisser  Althof,  der 
seitdem  als  leibarzt  nach  Dresden  berufen  worden;  wo  er  jetzt  ist,  weiss  ich  nicht.14 

12.    G.  A.  Bürger  und  Heinrich  Heine. 

Wir  wissen,  dass  Heinrich  Heine  als  Göttinger  student  mit  grosser  Verehrung 
von  Bürger  sprach,  dessen  volkstümliche  art  ihm'  ungemein  zusagte  (vgl.  Adolf 
Strodtmann,  Dichterprofile  [Berlin  1883]  s.  250.) 

Erinnern  wir  uns  noch  folgenderstelle  in  „Über  Deutschland"  (band  VI,  Ham- 
burg 1867),  wo  Heine  die  Schlegelsche  kritik  der  Bürgerschen  gedichte2  beleuchtet. 
So  verwundert  sich  Heine  (a.  a.  o.  s.  116)  „über  die  innere  leerheit  der  sogenannten 
Schlegelschen  kritik:  z.  b.  wenn  er  den  dichter  Bürger  herabsetzen  will,  so  vergleicht 
er  dessen  balladen  mit  den  altenglischen  balladen,  die  Percy  gesammelt, ....  die  alt- 
englischen gedichte,  die  Percy  gesammelt,  geben  den  geist  ihrer  zeit,  und  Bürgers 
gedichte  geben  den  geist  der  unsrigen.  Diesen  geist  begriff  herr  Schlegel  nicht;  sonst 
würde  er  in  dem  ungestüm,  womit  dieser  geist  zuweilen  aus  den  Bürgerschen  ge- 
dichten hervorbricht,  keineswegs  den  rohen  schrei  eines  ungebildeten  magisters  gehört 
haben,  sondern  vielmehr  die  gewaltigen  schmerzlaute  eines  titanen,  welchen  eine 
aristokratie  von  hannövrischen  Junkern  und  schulpedanten  zu  tode  quälten.  Dies  war 
nämlich  die  läge  des  Verfassers  der  T Lenore",  und  die  läge  so  mancher  anderen 
genialen  menschen,  die  als  arme  docenten  in  Göttingen  darbten,  verkümmerten  und 
in  elend  starben.     Wie  konnte   der   vornehme,   von  vornehmen  gönnern   beschützte, 

1)  In  K.  v.  Holteis  300  briefen,  III.  teil,  s.  92ffgg.  (Hannover,  Rümpler  1872). 

2)  Erschien  zuerst  in  A.  W.  v.  F.  Schlegels  „  Charakteristiken  und  kritiken " 
(1800),  band  II,  dann  im  zweiten  teile  der  kritischen  schritten  von  A.  W.  v.  Schlegel 
(1828),  dann  u.  a.  bei  A.  W.  Bohtz,  Bürgers  sämtliche  werke  (1835)  s.  503  —  524. 


HAUFFEN    t;BER    SCHWARZENBERG.    VOM    ZUTRINKEN    ED.  SCHEEL  553 

renovierte,  baronisierte ,  bebänderte  ritter  August  Wilhelm  von  Schlegel  jene  verse 
begreifen,  worin  Bürger  laut  ausruft,  dass  ein  ehrenmann,  ehe  er  die  gnade  der 
grossen  erbettle,  sich  lieber  aus  der  weit  heraushungern  solle!" 

Heine  spielt  auf  die  Bürgerschen  verse  an,  die  „Mannstrotz"  überschrieben  und 
zuerst  im  Göttinger  rausenalmanach  von  1788  erschienen  sind  (s.  74): 

Solang'  ein  edler  biedermann 

Mit  einem  glied  sein  brot  verdienen  kann, 

So  lange  schäm'  er  sich  nach  gnadenbrot  zu  lungern! 

Doch  thut  ihm  endlich  keins  mehr  gut: 

So  hab'  er  stolz  genug  und  mut, 

Sich  aus  der  weit  hinaus  zu  hungern. 

13.    Gottfried  August  Bürger  und  Ludwig  Philipp  Hahn. 

Anonym  erschien  1781  in  Frankfurt  und  Leipzig  „Zill  und  Margreth"  eine 
ballade  aus  den  werken  des  Westlicher  bänkelsängers  (49  Seiten,  8°).  Wir  wissen, 
dass  Ludwig  Philipp  Hahn  (1746  — 1814)  der  Verfasser  dieser  schmutzigen  mord- 
geschichte  ist,  über  welchen  wir  eine  ausführliche  abhandlung  aus  der  feder  EL  M. 
Werners  besitzen  (Strassburg  1877).  Hier  sei  nur  gesagt,  dass  dieser  bänkelsang  zu 
dem  krankhaftesten  gehört,  was  in  der  geniezeit  der  stürm- und  drangperiode  geleistet 
wurde.  Besonders  interessant  erscheint  es  mir  nun,  das  dieses  heftchen  „dem 
stolzen  dichter  Bürger  zu  Willmarshausen"  gewidmet  ist.  Wodurch  Hahn  sieh  zu 
dieser  widmung  veranlasst  fühlte,  und  in  welchem  Verhältnis  er  zu  Bürger  gestanden 
hat,  darüber  vermochte  ich  indes  nichts  zu  ermitteln. 

HEIDELBEEG.  ERICH   EBSTEIN. 


LITTEEATUE. 

Johann  von  Schwarzenberg,   Das   büchlein    vom    zutrinken.      Herausgegeben 

von  Willy  Scheel.     (Neudruck  deutscher  litteraturwerke  des   XVI.  und  XVII. 

Jahrhunderts  herausg.  von  W.  Braune   nr.  170).     Halle  a.  S.,  M.  Niemeyer  1000. 

XIII,  44  s.    0,60  m. 
Johann  Fischart,  Das  glückhafte  schiff  von  Zürich.    (1577).     Berausgegeben 

von  Georg  Baesecke.    (Ebenda  nr.  182).    L901.     XXV.  60s.    0,60m. 

1.  Scheel  liefert  einen  sorgfältigen  abdruck  des  „Zutrinkens"  von  Johann  von 
Schwarzenberg  und  zwar  nicht  aach  der  Originalausgabe  <>  (1512 —  |,  sondern 
nach  dem  posthumen  abdruck  A  im  Teutschen  Cicero  1534,   weil  er  mit    reohl   die 

zusätze  (kurze  in  den  prosatexl  eingeschobe ereimte  sprüohe)  und  die  stilistischen 

äuderungen  des  textes  Schwarzenberg  selbsl  zuschreibt  In  den  anmerkongen  unter 
dem  text  sind  die  Varianten  von  0,  sowie  von  späteren  drucken  (1535  und  1540)  ver- 
zeichnet. 

Die   oinloitung    bringt    nur    das    wesentlichste,    weil    sich    Scheel    die   weiteren 
sprach-  und  litteraturgesohiohtliohen  ansführnngen  für  eine  geplante  monographie  aber 
Johann  von  Schwarzenberg  vorbehält.    Scheel  hat  ja  auch  inzwisohen  auf  derSti 
burger  philologenversammlung  einen  Vortrag  über  'Sohwa  in  Beiner  bedeutnng 


55  I 

Für  reobl  and  sprach  benden  L6.jahrbuad.erts  (au  zog  in  Zeitschr.  3 

dten. 

'Das  bücblein  vom  zutrinken'  steht  mitten  drin  in  einem  reichen  litteratur- 
zweige,  der  deutschen  trinklitteratur  des  16.  Jahrhunderts,  [ob  habe  darüber  auch 
mit  kurzer  Charakterisierung  des  büchleins  von  Bchwarzenberg  gehandeil  in  der  Viertel- 
jahrsschrift f.  litteraturgeschichte  2, 8.481  513 1  iehemi  ine  nachtrage  ebenda  6,  I74i 
Man  vergleiche  auch  darüber:  M.  Osborn,  Die  teufellitteratur  des  16.  jhs.  (Acta 
germanica  III,  3,  s.79fgg.  u.a.).    Manchen  beitrag  zu  diesem  ade  bringt  auch 

jetzt  A.  Bömer  in  seiner  ausgäbe  von  F.  Dedekindus,  Grobianus  (Latein.  litteratur- 
denkmäler  des  XV.  und  XVI.  Jahrhunderts,  nr.  16). 

2.  Baesecke  Iässt  seinem  überaus  getreuen  abdruck  des  Glückhaften  Behufes  (A.) 

von  Kiscliart  eine  einleitung  vorausgehen,  die  nicht  n r n l;i n ■_■  I i«  li  ist,  aber  manche  neue 
ergebnisse  zur  Wirksamkeit  Fischarts  beibringt.  Unter  anderem  machl  es  Baesecke 
sehr  wahrscheinbeh ,  dass  die  sicherlich   bei  Jobin  gedruckte   fassung  A    nicht   1576 

erschienen  ist,  wie  man  bisher  allgemein  angei imen  bat,  sondern  erst  in  der  fa  ten- 

messe  l.r>77  und  dass  ihr  im  jähre  l,ri7(i  eine  (verloren  gegangene)  sonderausga ho  ohne 
die  anhänge:  Schmachspruch  und  Kehrab  vorausgegangen  ist. 

Gelegentlich  dieser  beweisführung  bat  B.  die  Schriften  Fischarts  bis  1577  be- 
züglich der  Orthographie  durchgesehen  und  ist,  in  diesem  punkte  die  dankenswerten 
ausführungen  Vilmars  (Zur  litteratur  Fischarts2,  s.  51)  ergänzend,  zu  dem  ergebnis 
gekommen,  dass  in  den  Schriften  von  1570—74  mhd.  ei  l  >  ei  oder  ey,  hingegen 
von  1575  —  77  mhd.  ei  >  ai,  t~>  ei  wird.  Beide  seh  reihweisen  sind  mit  strenger 
rogelmässigkeit  durchgeführt.  Einzelne  werke  von  1574  auf  75  zeigen  den  Übergang. 
Das  Ehozuchtbüchlein  1578  gehört  noch  zu  der  zweiten  gruppe,  in  den  letzten  zehn 
bogen  und  der  vorrede  aber  zeigt  sich  schon  die  Schreibung  ei  >  ey,  i  >  ei  der 
späteren  schritten,  die  aber  auch  nicht  lange  streng  festgehalten  wird.  Wenn  B. 
diesen  ausführungen  hinzufügt:  „In  den  achtziger  jähren  kehrt  Fischart  auch  noch 
einmal  zur  ersten  Schreibung  zurück:  Brotkorb,  Armada,  Gegenbadstüblein "  so  muss 
ich  dazu  bemerken:  nicht  Fischart,  sondern  seine  setzer.  Die  annähme  Vilmars,  dass 
Fischart,  in  den  schritten  von  1575  — 1578  seine  eigene  rechtschreibung  durchgesetzt, 
vorher  und  später  aber  die  Schreibung  mehr  oder  weniger  den  setzern  überlassen 
habe,  ist  zweifellos  richtig.  Fischart  war  in  dem  genannten  Zeitraum  corrector  bei 
Jobin.  Er  hat  ausserdem  in  seinen  zumeist  aus  seiner  letzten  lebensperiode  stammen- 
den handschriften  (vgl.  Crecelius  in  der  Alemannia  1,  113—145  und  Hauffen  in  der 
Zeitschrift  für  bücherfreunde  2,  21 — 32)  strenge  an  der  Schreibung  der  Schriften  von 
1575 — 1577/78  also  mhd.  ei  =  ai  und  i  =  ei  festgehalten. 

Über  die  quellen  zum  Glückhafft  schiff  hat  Bächtold  schon  abschliessend  ge- 
handelt. Inwieweit  sich  Fischart  über  die  pritschmeisterlichen  dichtungen  der  zeit 
erhebt,  habe  ich  (Fischarts  werke,  auswahl  1,  s.  XXII fg.)  dargelegt.  Baesecke 
untersucht  nun  auf  grund  eingehender  sorgfältiger  vergleichung  der  einschlägigen 
dichtungen  die  noch  erkennbaren  pritschmeisterlichen  züge  im  Glückhafften  schiff. 
Sie  nehmen  keinen  grossen  räum  ein,  ergeben  sich  durch  die  behandlung  desgleichen 
Stoffes  zum  teil  von  selbst,  treten  nicht  deutlich  hervor  und  sind  rein  äusserlich. 
B.  betont  besonders  als  kennzeichen  der  gattung,  dass  die  einleitung  deutlich  abgesetzt 
ist  und  eine  geschichtliche  betrachtung  enthält,  wie  so  häufig  bei  Lienhart  Flexel  — 
doch  fehlt  die  den  pritschmeistergedichten  übliche  einkleidung  — ,  ferner  geschicht- 
liche und  etymologische  Spielereien,  —  die  Fischart  allerdings  auch  in  anderen  dich- 


ÜBER    FISCHART,    GLÜCKHAFT    SCHIFF    ED.  BAESECKE  555 

tuDgen  sehr  gerne  anbringt,  das  preisen  freundnachbarlicher  gemeinsamkeit  und  treuer 
pflege  ererbter  rügenden,  —  das  bei  Fischart  bei  dem  weitereu  ausblick  eine  viel 
tiefere  bedeutung  gewinnt  —  endlich  (bei  Unterbrechung  der  historischen  erzählung) 
die  Vorführung  des  ausschreibens  und  des  „bestes",  pritschmcisteriiche  fügungen  in 
geschichte  und  lob  der  beiden  städtc,  eingeschobene  datumüberschriften  und  nach 
dem  schlusswunsche  das  ängstlich  vollständige  Verzeichnis  der  teilnehme!'. 

In  einer  anmerkung  zu  s.  Xfg.  nimmt  Baesecke  die  Übersetzung  des  sechsten 
buches  des  Amadis  ganz  für  Fischart  in  anspruch  und  fühlt  einige  seiner  stileigen- 
heiten  als  belege  hierfür  an.  Ich  möchte  auf  diesen  gegenständ  etwas  näher  ein- 
gehen. Bekanntlich  sind  die  meinungen  über  den  anteil  Fischarts  am  sechsten  buch 
des  Amadis  bisher  geteilt  gewesen.  Goedeke  (Grundriss2  2,  s.  474)  meint,  dass  nur 
das  einleitende  gedieht  (neugedruckt  bei  Kurz  3,  s.  29  —  32)  und  nicht  die  Übersetzung 
des  ganzes  buches  von  Fischart  herrühre.  Bobertag  (Geschichte  des  romans  1,  360) 
und  Besson  (Fischart  166)  lassen  die  frage  offen.  Scherer  (Anfänge  des  deutschen 
prosa- romans,  Quellen  und  forschungen  21,  s.  70)  sagt  ganz  richtig,  die  autorschaft 
Fischarts  müsse  „  durch  philologische  Untersuchung  doch  zu  ermitteln  sein ". 

Gehen  wir  dieser  frage  auf  den  grund,  so  ergibt  es  sich  meiner  ansieht  nach 
mit  Sicherheit,  dass  Fischart  selbst  das  sechste  buch  des  Amadis  aus  dem 
französischen  verdeutscht  habe.  Zuvörderst  besagt  der  titel  ausdrücklich:  „auß 
frantzösischer  sprach  newiieh  in  teutsche  durch  .1.  F.  M.  G.  gebracht L'.  Ferner  heisst 
es  am  schluss  der  deutschen  ausgäbe  (s.  762):  „Endet  sich  das  sechste  buch  von  dem 
Amadis  auß  Frankreich.  Alors  comme  alors".  Also  wider  der  von  Fischart  so  oft 
und  besonders  gerne  am  Schlüsse  seiner  Schriften  angewendete  französische  Wahl- 
spruch. Dass  Fischart  mit  dem  inhalt  des  sechsten  buches  des  Amadis  sehr  vertraut 
war,  ergibt  sich  daraus,  dass  er  öfters  und  auch  noch  viele  jahro  später  darauf  anspielt 
So  in  der  Geschichtklitterung  1575  (Alsleben  s.  158)  wo  die  fee  Urganda  als  wichtige 
gestalt  bezeichnet,  in  einem  zusatze  der  ausgäbe  1582  (s.  427)  wo  ihr  affeasobiff 
(siehe  6.  buch,  44.  capitel)  und  in  einem  zusatze  von  1590  (s.  395)  wo  ihre  Zauber- 
kunst „sibentzigen  järig  siben  Schläfer  zu  machen"  (siehe  6.  buch,  21.  capitel)  er- 
wähnt wird1.  Diese  beiden  motive  werden  auch  noch  im  Stauffenberg  1588  v.  61  —  66 
herangezogen.  Die  anderen  bücher  des  Amadis  hingegen  scheint  Fisohari  nicht  ge- 
kannt zu  haben.  Er  erwähnt  nirgends  deren  inhalt3  und  er  versetz!  in  der  Praktik ;| 
den  stoff  des  in  Fischarts  zeit  sehr  verbreiteten  Volksbuchs  vom  kaiser  Oktavian 
(Goedeke,  Grundriss2  2,  s.  21  fg.)  fälschlich  in  den  Amadis. 

Baesecke  bringt  einige  beispiele  zum  stile  der  Verdeutschung  bei:  zwei-  and 
dreigliedrige  formein,  Häufungen,  Wortspiele,  die  für  Fisohari  bezeichnend,  aber  oooh 
nicht  allein  beweisend  sind,  weil  sich  ähnliches  auch  bei  einigen  anderen  Schriftstellern 
der  zeit  findet.     Ich    habe   schon  vor  einigen   jähren  die   ganze   Verdeutschung  des 

1)  Ebenda  1582   (s.  453)   nenn!    Fisohari    auob    'Ich   „Threao]    des    Lmadys*, 
das  ist  ein  gleichzeitig  erschienener  französischer  auszug  aller  Äjnadisbüoher:  'Fi- 
des tous  les  livres  d'Amadis  de  Gaule    2  bde.    Lyon   1582. 

2)  Dor  hinweis  in  der  Gesohichtklitterung  gehl  memer  meinung  nicht  über 
das  sechste  buch  hinaus,  sondern  hier  verbindet  Fisohari  das  Lmadis-motiv  willkür- 
lich mit  der  Artussage.  Auch  die  gereimte  einführung  Fisoharts  sum  Amadis  erwähnt 
nichts  von  den  übrigen  büohern. 

3)  Praktik  1572:  „ Amadisläser,  die  vber  dem  keyser  Ootaviano  (1574  vber 
dem  verlohi'enen   kind   keysers  Oetavianus)   weinen. 


556  buch 

iech  i' n   buchea   mil   dem   französi  chen  Amadis  und  au  ierdem  Bpraohe,  worl  chatz, 
stil  der  verdeui  n  bung  mil  i  pracbe,  wortb  od  stil  dei  iil  lu  iffa  □  I-  i 

verglich  BD    und    daraus   die    Überzeugung   gewonnen,    dass   Fiscl 
deul  ohung  !"■  orgl  hat.     Mir  fehl!  es  hier  leider  an  räum  die  belege,  die  ich  mir  in 
Langen   listen    zusammenge  teilt    habe,   v<   zufuhren.     Ich   vei  pare  e     mir   für 
andere  gelegenheit.     Erwähnen  möchte  ich  hier  nur,  da      l  ganz 

genau  aus  dem  französischen  übertragen  ha!      Ohne  er  en  und   zu 

er  sie  sonsi    liebt,     Das   ist   auffällig,    erklär!   sich   aber  wol  durch  den  auftraj 
Verlegers,  der  seinen   lesern  eine  getreue  Übertragung  bieten  trollte,   und  durch  das 
vorbild  der  übrigen  verdeutschten   &.madisbücher. 

Fischarts   Übersetzung   des   Amadis   1572   war  eine   gute    Vorarbeit    für 
(ieseliichtllitferun^  lTiTfi.     lTnfl  Fischart    hätte  i  ich  wol  kaum  an  die  auf- 

gäbe der  Gargantua -Übersetzung  herangewagt,  wenn  er  sich  nicht  vorher  durch  den 
An, ;ulis  eine  gewisse  fertigkeit  erworben   hätte.     Dfese  erwägung  !    noch   die 

ohcn    ;nis;',c:,],nichi'n<!   aniwhine.      Als   aiilTin^cr   zeigt,  sieb   ja    Fischart   im     \  uiadis  durch 

ungelenke  stellen  in  der  Verdeutschung,     und  wenn  Frantzen  (Kritische  bemerkt 

zu  Fischarts  Gargantua)  in  der  Geschichtklitterung  die  seltsamsten  Übersetzungsfehler 

aufgedeckt  hat,  so  fehlt  es  daran  natürlich  auch  im  Amadis  nicht.  Ich  verweise  nur 
auf  einen  komischen  Verstoss.  Für:  „j'avois  la.  connoissance  de  la  tette  de  ma 
nourisse"  sagt  Fischart  s.  284  „so  hab  ich  allbereyt  schon  meiner  saugammen  kopff 
vnd  angesicht  erkennet".  AVobci  er  la  tette  (brüst)  mit  la  tete  (köpf)  verwechselt 
und  so  den  sinn  des  ganzen  satzes  missdeutet. 

FRAG.  ADOLF    IIAUFFEX. 


Die  deutsche  grammatik  des  Albert  Ölinger,  herausgegeben  von  Willy  Scheel. 

Ältere  deutsche  grammatiken  in  ueudrucken.  Band  4.  Halle  a.  S. ,  M.  Niemeyer 
1897.    LXII,  129  s.    8.     5  m. 

Schon  bei  der  besprechung  von  Müllers  ausgäbe  der  grammatik  des  Laurentius 
Albertus  (Zeitschr.  30,  394)  habe  ich  kurz  auf  den  vorliegenden  neudruck  hingewiesen 
und  die  Stellung  Scheels  in  der  Streitfrage  Albertus -Ölinger  gekennzeichnet.  Jetzt 
muss  die  eigentliche  anzeige  unlieb  verspätet  nachhinken. 

Zunächst  seien  zum  Verständnis  der  angedeuteten  Streitfragen  einige  tatsachen 
widerholt.  Die  grammatik  des  Ölinger  hat  einige  partien  mit  der  des  Laurentius 
Albertus  gemein,  und  bei  der  frage  nach  der  priorität  des  einen  oder  andern  steht 
der  umstand  im  wege,  dass  die  drucke  beider  autoren  die  gleiche  Jahreszahl  (1573) 
tragen.  Allerdings  weist  die  widmuug  bei  Laurentius  ein  früheres  datum  auf  (Septem- 
ber 1572)  als  bei  Ölinger  (september  1573)  und  aus  einigen  begleitgedichten  des  buches 
von  Ölinger  glaubte  man  herauslesen  zu  müssen,  dass  sie  auf  einen  plagiator  zielen, 
der  das  manuscript  Ölingers  geplündert  habe  und  diesem  dann  mit  dem  druck  zuvor- 
gekommen sei.  Dies  die  ansieht  Raumers,  der  den  plagiator  in  Laurentius  Albertus 
suchte,  während  Reifferscheid  umgekehrt  den  Ölinger  für  den  plagiator  des  Lau- 
rentius erklärte,  worauf  Müller-Fraureuth  gar  zu  der  Vermutung  kam,  beide 
personen  zu  identifizieren1. 

1)  Müller  hat  diese  ansieht  seitdem  wider  aufgegeben  auf  grund  neuer  von 
ihm  aufgedeckter  tatsachen,  s.  u. 


VBEK    ÖL1NGER,    DEUTSCHE    GRAMM.   ED.   SCHEEL  557 

Ein  widerstreit  der  meinungen,  bei  dem  das  überlieferte  niaterial  nicht  aus- 
reichte, um  eine  sichere  beurteil ung  zu  ermöglichen.  Scheel  gieng  daher  auf  eine 
neue  fährte  aus,  wo  ihn  einige  neue  veröffentlich ungen  begünstigten.  Einmal  hat 
J.Meier  (vgl.  Beiträge  20,  566  fgg.)  eine  zweite  schrift  Ölingers,  die  Duodecim  dialogi 
von  1587  aufgefunden,  eine  für  den  Unterricht  bestimmte  deutsche  Übersetzung 
der  Dialogues  de  Jean  Loys  Vives,  traduits  de  Latin  en  Francois  pour  l'exereice  des 
deux  langues  (Antwerpen  1584).  Damit  war  für  die  keniitnis  der  Persönlichkeit 
Ölingers  eine  neue  quelle  erschlossen,  die  namentlich  auch  das  problem  des  Verhält- 
nisses zur  französischen  Schulgrammatik  nahe  brachte.  Und  in  dieser  richtung  kam 
andererseits  E.  Stengels  ein  unologisches  Verzeichnis  französischer  grammatiken  (Oppeln 
1890)  sehr  gelegen. 

So  hat  der  herausgeber  den  hauptteil  seiner  einleitung  auf  einer  eingehenden 
prüfung  der  vorlagen  Ölingers  aufgebaut,  die  einleuchtende  ergebnisse  erzielte.  Zur 
bestätigung  dieser  ergebnisse  mag  schon  der  umstand  dienen,  dass  gleichzeitig  oder 
vielleicht  noch  vor  Scheel  auch  C.  Müller,  der  herausgeber  des  Laurentius  Albertus, 
eine  gleichartige  Untersuchung  mit  ähnlichen  Schlussfolgerungen  anstellte,  die  nur  zu- 
fällig etwas  später  im  druck  erschien  K 

Als  wichtigste  unter  diesen  ergebnissen  erscheint  mir  einerseits  die  sorgfältige 
kennzeichnung  der  arbeitsweise   Ölingers,    die  sich   Scheel   besonders  angelegen  sein 
Hess;    andererseits    die    hervorhebung    derjenigen    züge,    in    denen   Ölinger    sich   von 
Laurentius  unterscheidet.     Hier  hätte  der  herausgeber  ein    übersichtlicheres   bild 
weifen  dürfen.     Man  konnte  ja  früher  schon  den  gegensatz  der  beiden   gleichzeitigen 
grammatiken  dahin  kennzeichnen,   dass  die  von  Ölinger  einen  rein  praktischen  zweck 
im  äuge  hatte  und  an  ausländer  als  leser  gerichtet  war,  während  Laurentius  Albertus 
seinen  eigenen  landsleuten    dienen  wollte,    sofern  diese    ein    mehr   wissenschaftliches 
interesse  an  ihrer  muttersprache  nahmen.     Dazu  kommt  nun  als  neuer  bezeichni 
zug    die    grundverschiedenheit    in    der    anlehnung    au    fremde  vorlagen    und   muster. 
Laurentius  ist  durchaus    von    der    lateinischen    schulgrammatik    beeinflusst8,    Öl 
wenig,  er  ist  weit  mehr  von  der  französischen   urammatik  abhängig.      Die  ausführlichen 
phonetischen    bemerkungen    in    dem    capitel    „Potestas    et    pronunciatio    literarum" 
(s.  11 — 21),   die  bei  Laurentius  ganz   fehlen,   die  zahl   der  casus  (5  bei  ölinger,  der 
mit  recht  einen  deutschen  ablath   ablehnt),  die  aufstellung  von  -j  oonjugationsklai 
mit  denen  ölinger  erstmals  den  versuch  macht  die  wirre  mannigfaltigkeit  der  deut 
verbalformen  in  ein  System   zu   bringen,    die   verständige  abtrennung  der  bilfsverba 
von  dem  verbum  als  solchem,   endlich  anter  vielen  einzelheiten  noch   die  eingehende 
gliederung  der  pronomina  —  all  das  hat  ölinger,  wie  Scheel  überzeugend  dartut,  der 
französischen  grammatik  abgelernt.     Von  der  lateinischen  schulgrammatik  ist  die  dar- 

1)  C.  Müller,  Albert  Ölingers  deutsche  grammatik  und  ihre  quellen.  Jahres- 
bericht des  Wettiner  gymnasiums  zu  Dresden  1 1897 1.  Müller  bringt  hier  seinerseits  neue 
belege  für  die  schriftstellerische  tätigkeil   und   Persönlichkeit   des  Laurentius  all 

bei,  den  er  aus  der  Wittenberger  matrikel  von  1551  als  Laurentius  Albrecht  aus 
Neustadt  in  Franken  nachweisen  kann,  bis  diesem  gründe  nimmt  Müllei  auch  Beine 
frühere  identificierung  des  Laurentius  und  des  ölinger  zurück.  In  manchen  einzel- 
heiten  stimme   ich    hier   mehr   mit    Müller  als   mit    Scheel    überein,    wählend    ich  diesem 

in  der  erklärung  der  gewonnenen  tatsachen  den  ehe. 

2)  Müller  will  auoh   bei  Laurentius  abhängigkeit  von  der  französischen  gram 
matik  annehmen,  die  aber  kerne  sicheren  Linien  gibt    Ebenso  scheint  mir  bei  ölinger 

der  lateinische  einiluss  zu     tail    betont. 


WUNDKKLK.H,   ÜBKB  ÖLINGKtt,    i»i.i  i-'in    '.Hamm.  BD.  SCHEEL 

Stellung  des  oomparativs  und  Superlativs,  die  motion  dei  substantiva,  einiges  in  den 
regeln  and  endlich  der  abschnitt  übei  die  syntax  äbernommen1.  Auf  diese  an- 
lehnung  an  die  lateinische  grammatik  gehen  nun  die  mei  ten  berührungspunkte  mit 
Laurentius  Albertus  zurück,  so  dass  es  nur  wenige  einzelheiten  sind,  'Jh.-  für  eine 
anmittelbare  benutzong  <J<-s  Albertos  durch  ölingei  prechen:  die  beispiele  innerhalb 
der  genusregeln,  eine  stelle  in  der  einleitung  und  der  gedankengang  im  chlussoapitel 
von  der  prosodie,  dessen  Bchlusssatz  wörtlich  mit  Albertus  (vgl.  s.  39)  übereinstimmt 
Ob  auch  andere  deutsche  grammatiken  von  der  excerpierenden  arbeitsweise  ölin 
gestreift  wurdi'ii,   wie  Scheel    nachweisen   möchte,   lässt  sich   doch   nicht  mit   sicherheil 

feststellen. 

Dagegen  fügen  sich  die  einzelheiten,  mit  denen  Ölinger  anscheinend  allein 
steht,  zu  einem  bilde  zusammen,  das  mit  allem  andern,  was  wir  von  ölinger  wi 
gut  übereinstimmt.  Die  zahlreichen  bemerkungen  über  mundartlichen  Sprachgebrauch 
verraten  den  geschärften  blick  eines  an  der  Sprachgrenze  geborenen  (Ölinger  stammt 
aus  Strassburg)  und  entsprechen  der  erfahrung  eines  mannes,  der  in  Baden,  der  Pfalz 
und  Lothringen  weilte  oder  beziehungen  unterhielt.  Aus  langjährigen  beobachtungen 
beim  Unterricht  und  bei  sonstigem  austausch  deutschen  und  französischen  sprachgutes 
stammen  die  Sammlungen,  in  denen  (Jünger  namentlich  die  formenfülle  des  deutschen 
verbums  zu  beschreiben  und  zu  meistern  suchte  (vgl.  z.  b.  seine  Zusammenstellung 
der  verba  anomala).  Er  ist  hier  tiefer  in  das  weseu  der  sache  eingedrungen,  wie 
namentlich  die  bemerkung  beweist,  mit  der  er  die  traditionell  übernommene  aufstellung: 
„Tempora  sex  sunt"  selbständig  wider  einschränkt:  proprie  vero  Germani  duo  tantum 
habent  tempora,  nempe,  praesens  et  praeteritum  ünperfectum:  reliqua  circumloquuntur 
(s.  66).  Mit  sicherem  blick  unterscheidet  Ölinger  bei  ausnahmeerscheinungen  zwischen 
mundartlichen  gewohnheiten  und  schriftgemässen  neigungen,  vgl.  z.  b.  in  den  Obser- 
vationes  verborum  (s.  98):  Helvetij  et  quidarn  alii  plaeruuque  iufinitivo,  vel  partieipio 
praeteriti  temporis  utuntur,  pro  tertia  persona  pluralis  praesentis  temporis:  veluti, 
Ihr  haben  das  gesagt  pro  habet.  Verba,  wollen,  sollen,  dörffen,  können,  mögen 
et  similia  in  praeteritis  cum  sequente  infinitivo,  plaerunque  loco  partieipii  praeteriti 
temporis  ponuntur  in  infinitivo:  veluti,  Sie  haben  gelin  Paris  wollen  reisen,  pro 
gewölt. 

Überall  betätigt  Ölinger  einen  ausgesprochenen  sinn  für  Ordnung,  gefällige  ab- 
rundung  und  zweckmässige  gliederung,  am  deutlichsten  zeigt  sich  dies  in  dem  capitel 
über  die  Zahlwörter,  das  er  aus  zerstreuten  angaben  seiner  Vorgänger  zusammen- 
gestellt hat. 

So  lässt  sich  bei  Ölinger  trotz  durchgängiger  anlehnung  an  fremde  muster  und 
trotz  eingehender  ausnützung  seiner  Vorgänger  von  einer  gewissen  Selbständigkeit  der 
arbeit  sprechen,  und  er  hat  von  seinem  Standpunkt  aus  auch  das  recht,  sich  gegen 
etwaige  ausbeutung  durch  andere  zu  wehren. 

Scheel  hat  auch  für  die  viel  umstrittenen  begleitgedichte  fremde  muster  —  und 
zwar  antike —  nachgewiesen.  Er  hat  ihrer  beweiskraft  damit  abbrach  getan,  nur  war 
es  unnötig,  sie  widerum  auf  Laurentius  Albertus  zu  beziehen.  Dafür  hegt  kein 
zwingender  grund  vor. 

Den  quelleunachweisen  lässt  Scheel  eine  hübsche  Zusammenstellung  der  sprach- 
lichen eigentümlichkeiten  folgen,   wie  sie  in   dem  deutschen  sprachmateriai   zu  tage 

1)  Hier  hat  Müller  richtig  hervorgehoben,  dass  Ölinger  der  lateinischen  gram- 
matik  mehr  in  der  theorie,  der  französischen  mehr  in  der  praxis  folgt. 


PARISER   ÜBER    ANGEL.   SILESIUS,    HEIL.   SEELENLUST    ED.   ELLINGER  559 

treten,  das  Ölinger  als  beispiele  verwertet.  Obwol  gerade  dieses  aus  allen  möglichen 
quellen  und  denkmälern  zusammengetragen  ist,  zeigt  es  doch  das  bestreben  ebner  ein- 
heitlichen regelung,  das  aucb  über  die  allgemeinen  linien  der  Strassburger  druck- 
sprache  hinausgeht. 

HEIDELBERG.  H.  WUNDERLICH. 


Angelus  Silesius,  Heilige  seelenlust  oder  geistliche  hirtenlieder  der  in 
ihren  Jesum  verliebten  Psyche.  1657.  (1668).  Herausgegeben  von  Georg 
Ellinger.     Halle  a.  S.,  Max  Niemeyer  1901.     XXXVII,  312  s.     3  m. 

Der  herausgeber,  dem  wir  schon  die  vortreffliche  ausgäbe  des  „Cherubinischen 
wandersmaun's"  in  der  gleichen  Sammlung  verdanken,  bat  seinem  neudruck  der 
„Heiligen  seelenlust"  die  erste  ausgäbe  des  Werkes  von  1657  (A)  zu  gründe  gelegt 
und  das  fünfte  buch  nach  der  zweiten  von  1668  (ß)  hinzugefügt.  Ausserdem  gibt 
er  in  der  einleitung  die  —  verhältnismässig  geringfügigen  —  abweichungen  der  drucke 
von  1697  und  1702,  die  sich  beide  im  übrigen  genau  an  B  als  vorläge  halten.  Weitere 
ausgaben,  die  zum  teil  „erbaulich"  verändert  sind,  hat  Ellinger  mit  recht  für  seinen 
neudruck  unberücksichtigt  gelassen.  Doch  sei  hier  der  hinweis  gestattet,  dass  mehrere 
auflagen  der  „Heiligen  seelenlust"  aus  dem  19.  Jahrhundert  ihr  fortleben  als  andachts- 
buch  in  der  katholischen  kirche  bezeugen.  So  ist  z.  b.  die  Stuttgarter  ausgäbe  von 
1847  ausdrücklich  bezeichnet  als  „in  und  ausser  der  kirche  statt  eines  gebetbuches 
zu  gebrauchen"  und  mit  einem  Verzeichnis  der  Zeiten  versehen,  für  welche  die  ein- 
zelnen lieder  sich  vornehmlich  eignen.  Ähnliche  zwecke  verfolgt  die  1862  in  Etegens- 
burg  bei  Mauz  erschienene.  Den  titel  des  Werkes  hat  Christ.  Aug.  Gebauer  |17'.»2  bis 
1852)  wider  aufgenommen  und  untei  ihm  geistliche  lieder  vtm  Spee,  Seheffler  und 
Novalis  herausgegeben.  —  In  der  einleitung  legt  Ellinger  die  grundgedankeu  klar,  die 
den  dichter  bei  dem  vorliegenden  werk  geleitet  haben  und  stellt  die  litterarischen 
eiuflüsse  fest,  unter  denen  die  Heilige  seelenlust  entstanden  ist.  Die  gleiehm 
beherrschung  der  mystischen  litteratur,  wie  der  profanen  und  geistlichen  diobtung, 
welche  auf  Seheffler  eingewirkt  hat  und  der  er  seihst  wider  ein  lange  zeit  giltiges 
vorbild  geworden  ist,  ermöglicht  es  dem  herausgeber  ein  in  solcher  vollständigkeil 
noch  nicht  gebotenes  material  zur  vergleichung  beizubringen.  Er  war  deshalb  in 
der  läge  bei  der  behandlung  des  so  schwierigen  themas  von  einem  verfahren  abzu- 
sehen, das  sich  mit  audeutungen  und  hypothesen  genug  tat  oder,  wie  es  z.  b.  in  der 
Lemckischen  darstellung  der  fall  ist,  das  hauptgewichl  aul  eine  ästhetische  betrachtung 
der  äusseren  form  zu  verlegen.  —  Au  seiner  „Zuschrift  an  Jesus  Christus1'  geht 
hervor,  dass  Seheffler,  wie  einst  Otfried  den  laicorum  cantum  obscenum,  die  „be- 
schreibuug  der  thörichten  welt-liebo"  durch  geistliche  dichtung  in  bemüht 

war.     Zur  erreichung  seines  Zweckes  greift   er  auf  die   modische  sohäfer] sii  . 

gesellscliaftslied  und  die  lyrik  seiner  bedeutendsten  Zeitgenossen,  wie  die  Opitianische, 
zurück,  insofern  er  ihr  metrisches  gefüge,  mitunter  auob  einzelne  strophenteili 
volkstümlich  geworden  waren,  in  entsprechender  Veränderung  herübernahm.  Ins- 
besondere weist  Ellinger  auf  Johann  Hermann  Seliein  hin,  dessen  lieder  in  der 
„Heiligen  seelenlust"  metrisoh  nachgebildet  sind.  Weil  umfangreicher,  als  man  bisher 
annahm,  sind  auch  die  anlehnungen  an  die  pastoralen  abschiedsUeder,  wie  sie  indem 
von  Waldberg  nach  dem  druck  von  1656  herausgegebenen  Liederbuch  „Venus  -  gärtlein" 
vorliegen.    Schefflers  eigene  angäbe  bestätig! .  dass  er  auob  ans  dei   lateinischen  hymnen* 


500 

dichtung  geschöpft  hat.     Eben  o  lieferte  ihm  das  deutsche  katholische  Irirchenlied  an- 

en  und  d;iss  der  evangelisch  aufgewachsene  dichtei  die  schätze  d< 
kirchenliedes  sich!  anbeachtet  Liess,  versteh!  sich  eigentlich  von  selbst.  Zumal  Johann 
Franoi  kommt  in  dieser  binsicbl  wie  bereits  Kahler!  nachgewiesen  hat,  —  in  be- 
tracht.  Eine  beemflussung  der  „Heiligen  eelenlnst"  duroh  Bpees  Tratznachtigall  ball 
Ellinger  nicht  für  ausgeschlossen,  Bie  Bei  aber  keine  falls  von  tiefgreifende]  bedeutung 
gewesen.  Da  beide  werke  einer  verwandten  richtung  angehören  and  beiden  aatoren 
die  gleichen  quellen  zu  geböte  standen,  sind  einzelne  Übereinstimmungen  Leichl  erklär- 
lich, die  wol  auch  auf  kosten  des  Zeitgeschmacks  zu  setzen  sind.  Die  mannigfachen 
anlehnungen,  die  zu  verzeichnen  waren,  sind  ohne  einfluss  auf  das  durchs 
artige   gepräge   der  dichtung.     Bie  bleibt,   ßchon   insofern    von    kulturhi  i    be- 

deutung, als  die  barocken  eleniente,  die  sie  neben  seelenvollen,  echt  poetischen  st  . 
enthält,  sich  noch  in  den  kantatentexten  widerspiegeln,  die  J.  S.  Bach  componierl 
liat.  Ellinger  kennzeichnet  sie  treffend  als  ein  mittelglied  zwischen  jener  mystischen 
richtung,  die  eine  scliwännerisch  gesteigerte  kirrhlichkeit  /.tun  ausdrack  bringt,  und  den 
dichterischen  ergüssen  des  pietismus.  Im  gegensatz  zu  dem  „Cherubinischen  wanders- 
mann",  dessen  pantheistische  bestaudteilo  sich  —  trotz  aller  bemühungen  Seltn 
und  der  seiuo  anschauungen  übernehmenden  kritik  —  nicht  wegleugnen  lassen,  steht 
der  dichter  in  der  „Heiligen  seelenlust"  auf  kirchlich  -  dogmatischem  boden.  Ihre 
entstehuug  wird  man  demnach  erst  nach  Schefflers  übertritt  ansetzen  dürfen.  Über 
ihr  fortleben  in  der  deutschen  litteratur  —  sie  hat  besonders  auf  die  dichter  des 
pietismus  Arnold ,  Zinzendorf  und  Tersteegen  gewirkt  —  verspricht  der  herausgeber 
eine  eigene  Untersuchung.  Nach  den  wertvollen  ergebnissen  der  vorliegenden  darf 
man  von  ihr  eine  weitere  förderung  unserer  keuntnisse  von  der  geistlichen  dichtung 
des  17.  und  18.  Jahrhunderts  erwarten. 

MÜNCHEN.  LUDWIG   PARISER. 


Heinrich  Ton  Kleist :  Michael  Kohlhaas.  Kritische  ausgäbe  mit  erläuterungeu  von 
prof.  dr.  Eugen  Wolff  in  Kiel  (=  Meisterwerke  von  Heinrich  von  Kleist  mit  er- 
läuterungen  von  Eugen  Wolff.  III.)  Minden  i.  W.,  J.  C.  C.  Brans  vorlag  1902. 
150  s.     1,20  m. 

Dem  „Zerbrochenen  krug"  und  dem  „Prinzen  von  Homburg"  hat  E.  Wolff 
nunmehr  als  drittes  bändchen  seiner  einzelausgaben  von  Kleists  hauptwerken  den 
„Michael  Kohlhaas"  folgen  lassen.  Die  gestaltung  des  textes,  um  die  sich  Wolff  in 
den  beiden  früheren  fällen  so  dankenswerte  Verdienste  erworben  hat,  bot  diesmal 
keine  Schwierigkeiten,  da  der  herausgeber  einzig  auf  den  vollständigen  druck  der 
novelle  im  ersten  bände  von  Kleists  „Erzählungen"  (1810)  angewiesen  war.  Die 
interessanten  abweichungen ,  die  für  das  erste  viertel  der  Phoebus  -  druck  von  1808 
bietet,  finden  sich  als  nr.  3  der  angehängten  erläuterungen  widergegeben;  zu  bedauern 
ist  nur,  dass  weder  der  text  eine  Zeilenzählung  aufweist  noch  auch  der  fortlaufende 
apparat  die  Seitenzahlen  fett  druckt,  wodurch  die  benutzung  der  lesarten  sehr  er- 
schwert wird.  Im  übrigen  bringen  Wolffs  erläuterungen  zunächst  (1.)  eine  lebens- 
und  werdegeschichte  des  dichters,  die  allzu  knapp  ausgefallen  ist;  wenigstens  über 
den  novellisten  Kleist  hätte  der  leser  hier  doch  einigermassen  unterrichtet  werden 
sollen.  Daran  schliessen  sich  (2.)  erörterungen  über  den  Stoff  und  den  geschichtlichen 
Hans  Kohlhase;  nach  dem  lehrreichen  aufsatze  Pniowers  über  Kleists  werk  (Branden- 


ÜBER   KLEIST,    MICH.  KOHLHAAS    ED.  WOLFF  561 

burgia,  dezember  1901)  hätte  die  vollständige  chronik  des  Peter  Hafftiz  (nicht 
Haft,  wie  Wolff  nach  Burkhardt  schreibt),  die  in  Kleists  tagen  nur  handschriftlich 
vorlag,  wol  etwas  vorsichtiger  als  quelle  genannt  und  auf  die  aus  Leutinger  stammen- 
den besonderheiten  stärkeres  gewicht  gelegt  werden  können.  Dass  der  seiner  zeit 
von  E.  Kuh  noch  mit  in  rücksiebt  gezogene  Mentz  übergangen  wird,  kann  man  da- 
gegen verschmerzen,  da  ihm  Kleist  in  der  tat  kaum  etwas  entnommen  zu  haben 
scheint.  Von  den  beilagen  zu  diesem  abschnitt  dürfen  namentlich  die  ersten  drei,  ein 
schreiben  Johann  Friedrichs  von  Sachsen  in  Sachen  der  Kohlhasischen  händel  und 
zwei  Originalbriefe  des  berühmten  „fehders"  selbst,  wol  anspruch  auf  interesse  er- 
heben; schade,  dass  das  erste  und  dritte  dieser  stücke  modernisiert  sind.  Alles,  was 
Wolff  sonst  noch  zum  ,, Kohlhaas"  beizubringen  hat,  fasst  er  in  seinen  fortlaufenden 
anmerkungen  (4)  zusammen,  die  wol  manches  ansprechende  bieten,  aber  stilistisches, 
sachliches,  auf  die  komposition  und  den  inneren  gehalt  bezügliches  so  bunt  durch- 
einander bringen,  dass  der  leser  gar  nicht  zur  gestaltung  eines  klaren  bildes  kommt. 
Ich  zweifle  vor  allem,  ob  der  schule,  an  die  Wolff  doch  wol  in  erster  linie  denkt, 
mit  dieser  anordnung  und  der  unverhältnismässig  starken  betonung  des  sprachlich - 
stilistischen  gedient  ist.  Hätte  Wolff  sich  entschlossen,  dasjenige,  was  seine  erläu- 
terungen  im  wesentlichen  bieten,  in  einer  ausführlichen  klaren  einleitung  niederzulegen, 
die  ihm  gestattet  hätte,  den  stoff  wirklich  zu  ordnen  und  typisch  widerkehrendes 
straff  zusammenzufassen,  so  würde  er  nach  meinem  gefühl  zum  Verständnis  des  werkes 
mehr  haben  beitragen  uud  den  schüler  stärker  zum  selbst-sehen  und  -denken  haben 
anleiten  können.  So  legt  man  die  ausgäbe  mit  geteilten  empfindungeu  aus  der  band. 
Da  hier  einmal  vom  „Kohlhaas"  die  rede  ist,  sei  es  mir  gestattet,  auf  eine 
andre  neuausgabe  des  werkes  zu  verweisen,  die  mir  freilich  nicht  zur  besprechuug 
vorliegt  und  die  ich  auch  hoffentlich  nie  zu  gesicht  bekommen  werde.  Es  herrscht 
namentlich  in  den  kreisen  der  forscher  die  fable  convenue,  dass  Kleist  sich  längst  der 
ihm  gebührenden  hochachtung  erfreue;  demgegenüber  möchte  ich  denn  doch  auf  den 
Weihnachtskatalog  1902  der  G.  Groteschen  Verlagsbuchhandlung  in  Berlin  aufmerksam 
machen,  der  auf  s.  33  als  neuigkeit  anzeigt:  „Heinrich  von  Kleist,  Michael  Kohlhaas. 
In  freier  und  zeitgemässer  bearbeitung  (!)  herausgegeben  von  Chr.  Hamann. 
Mit  Illustrationen  von  Carl  Böhling  und  Paul  Thümann".  In  der  beigedruckten 
empfehlung  heisst  es:  „Mit  der  vorliegenden  neuen  bearbeituug,  die  sich  nicht  darauf 
beschränkt,  den  an  stilistischen  mangeln  leidenden,  vielfach  zerhackten  Batzbau 
Originals  durch  einen  einfacheren,  dem  modernen  Sprachgefühl  mehr  angepa&Sten  zu 
ersetzen  (!),  sondern  es  sich  auch  angelegen  sein  liess,  namentlich  die  Boenen,  die 
das  familienleben  des  helden  schildern,  mit  volleren  färben  auszumalen  (1),  um  so 
einen  mildernden  gegensatz  zu  den  vielen  düsteren  und  ergreifenden  bilden)  zu  ge- 
winnen (1),  erscheint  dieses  nie  veraltende  schöne  werk  in  einer  reiob  und  vortrefflich 
illustrierten,  dabei  überaus  billigen  Volksausgabe".  Das  isl  denn  dooh  ein  starkes  Brück, 
und  nicht  genug  kann  es  beklagt  werden,  dass  ein  hooh  angesehener  vorlag  es  auf 
sich  genommen  hat,  ein  so  ungeheuerliches  attentat  aui  ein  meisterweri  unserer 
klassischen  dichtung  mit  seiner  flagge  zu  decken;  die  rüoksohlüsse,  die  man  daraus 
auf  die  Stellung  des  breiteren  publikums  zu  Kleist  ziehen  muss,  sind  wahrhaft  er- 
schreckend. Auch  die  illustrationen  begehre  ioh  nach  der  beigegebenen  probe  nimmer 
und  nimmer  zu  schauen  —  aber  in  dieser  hinsiohl  Bind  wir  ja  in  Deutschland  Ober- 
haupt nicht  verwöhnt.  Wer  übrigens  naoh  weiteren  bi  -  dem  theraa  „Kleist 
und  die  gegenwart"  verlangt.  Bei  auf  den  x.  band  der  „Jahresberichte  für  neuere 
deutsche  littcraturgeschichte"  (Tv",4,62 — 64)  verwiesen,  wo  A.  von  Weilen  in  dankens- 

ZKITSCHKIFT    F.    DEUTSCHE    PRTLOLOOIE.      BD.  XXXV. 


562  TB.   A.  MKYr.K 

•  ... :  e  übe]  die  laue  aufnähme  des  „Prinzen  von  Homburg"  bei  publikum  and 
kiitik  in  Wien  1899  berichtet  Den  vogel  hat  allerdinge  erst  Max  Burckhard  ab- 
geschossen, der  zwei  jähre  später,  wie  bekannt  sein  dürfte,  den  priozen  ein  „wider- 
liches, nach  caesarismus  stinkendes  kommisknopfstüok"  genannt  hat  —  getreu  dem 
Sprache:  „Ehrt   eure  deutschen   ineister!" 

.IKNA.  BUDOLI    SCHI.ü 


Hubert  Roetteken,  Poetik.    I.  teil.   München,  C.  H.  Beck  1902.    XIV,  315  8.    7  m. 

Schon  längere  zeit  führt  Roetteken  einen  verdienstvollen  kämpf  für  eine  psycho- 
logisch-ästhetische  Vertiefung  der  literarhistorischen  forscbung  gegen  die  Oberfläch- 
lichkeit einer  betrachtung,  wie  sie  sich  so  leicht  bei  rein  philologischer  Schulung  ein- 
stellt. Immer  wieder  verlangt  er  als  unentbehrliches  rüstzeng  für  den  beruf  des 
litterarhistorikers  eine  gründliche  theoretische  Vorbildung  in  psychologie  und  ästhetik. 
So  ist  es  denn  nicht  nur  das  directe  theoretische  interesse  an  den  ästhetischen  Pro- 
blemen, das  Roetteken  zur  abfassung  seiner  poetik  veranlasst  hat,  sondern  vor  allem 
das  praktische  bedürfnis,  der  eigenen  und  fremden  litterargeschichtlichen  arbeit  einen 
festeren  Untergrund  zu  geben.  Mit  diesem  zweck  ist  auch  schon  die  methode  aus- 
gesprochen, der  R.  folgt:  Unter  ablehnung  jeglicher  deduction  aus  metaphysischen 
ideen  geht  er  den  weg  der  modernen  psychologisch -empirischen  ästhetik,  deren  ver- 
fahren er  an  dem  gesamten  material  der  poetik  zur  durchführung  bringen  möchte. 
Ein  solches  unternehmen  ist  um  so  freudiger  zu  begrüssen,  als  die  poetik,  wie  sie 
gegenwärtig  vorgetragen  zu  werden  pflegt,  noch  viele  Sätze  mit  sich  führt,  die  ihren 
Ursprung  aus  einer  mit  fremden  Voraussetzungen  an  die  poesie  herantretenden  deductiv- 
metaphysischen  ästhetik  deutlich  an  der  stirne  tragen.  Von  dem  auf  drei  bände  be- 
rechneten gesamtwerk  liegt  der  erste  band  vor,  der  die  grundlage  für  die  ganze  poetik 
legt  durch  eine  allgemeine  analyse  der  psychischen  Vorgänge  beim  genuss  einer  dichtung, 
während  die  zwei  weiteren  noch  ausstehenden  teile  der  behandlung  des  dichterischen 
Schaffens  und  der  verschiedenen  dichtungsarten ,  sowie  der  darstellungsmittel,  des 
stils  und  des  Ursprungs  der  poesie  gewidmet  sein  sollen. 

Nach  einer  gehaltvollen  einleitung,  in  der  er  sich  mit  Lamprechts  bekannten 
methodologischen  ansichten  auseinandersetzt,  beginnt  der  Verfasser  sein  eigentliches 
thema  mit  der  frage,  ob  es  objective  merkmale  gibt,  an  denen  wir  ein  sprachliches 
werk  als  dichtung  zu  erkennen  vermögen  und  er  glaubt,  diese  frage  verneinen  zu 
müssen.  Insbesondere  kann  er  im  gegensatz  gegen  die  übliche  theorie,  die  die  „innere 
anschauung"  als  das  kennzeichen  der  poesie  in  ihrem  unterschied  von  der  prosa  be- 
trachtet, als  solche  merkmale  nicht  die  inneren  bilder  betrachten,  die  in  der  form 
von  optischen  und  akustischen  reproductionen  oder  in  der  gestalt  von  organempfin- 
dungen  durch  die  poesie  gelegentlich  in  uns  hervorgerufen  werden.  Nach  den  feinen 
Selbstbeobachtungen,  die  uns  R.  über  seine  eigenen  erlebnisse  an  der  poesie  mitteilt 
erweist  er  sich  als  eine  persönlichkeit  von  einer  höchst  lebhaften  optischen  und 
akustischen  phanta&ie  und  von  grosser  mimischer  erregbarkeit.  Unter  solchen  umstanden 
ist  die  entschiedenheit  besonders  erfreulieh,  mit  der  er  ausspricht,  dass  die  poesie 
auch  ohne  solche  innern  bilder  genossen  werden  kann  (s.  48),  ja  dass  der  genuss  des 
weniger  zu  ihrer  hervorbringung  disponierten  lesers,  wenn  auch  anders  gefärbt,  doch 
ebenso  intensiv,  vielleicht  sogar  intensiver  sein  kann,  als  der  eines  andern,  der  zu 
dieser  hervorbringung  mehr  disponiert  ist,  weil  sie  leicht  die  psychische  kraft  zu 
sehr  auf  sich  resorbieren   und  damit  andern  facto  reu  entziehen  kann,  die  zum  vollen 


ÜBER   ROETTEKEN,    POETIK  563 

Verständnis  ebenfalls  wirksam  werden  sollten  (s.  173/4).  Diese  tatsache  führt  zu  weit- 
gehenden folgerungen  hinsichtlich  der  bestimmung  des  Unterschieds  der  poesie  von 
den  bildenden  künsten  und  der  wähl  des  Stoffgebiets  in  der  poesie,  die  freilich  von 
R.  in  diesem  band  noch  nicht  gezogen  sind. 

So  gewiss  ich  nun  aber  auch  mit  R.  einverstanden  bin,  wenn  er  das  unter- 
scheidende merkmal  der  poesie  nicht  in  der  innern  anschauung  zu  finden  vermag,  so 
wenig  kann  ich  seine  ablehnung  jeglichen  objectiven  merkmals  gutheissen.  Er  möchte 
die  entscheidung  ganz  ins  subject  und  dessen  betrachtungsweise  verlegen.  ,,  Jedes 
sprachliche  werk",  meint  er,  „ist  für  den  geniessenden  eine  dichtung,  sobald  und 
solange  er  sich  ihm  gegenüber  im  zustand  der  ästhetischen  anschauung  befindet"  (s.  81). 
Ästhetische  anschauung  aber  ist,  so  lehrt  das  zweite  capitel,  in  dem  im  anschluss 
an  diesen  begriff  auch  noch  der  eindruck  der  lebenswahrheit  und  die  poetische  illusion 
behandelt  werden ,  ein  zustand  der  aufmerksamkeit  und  des  hingegebenseins,  der  durch 
keine  fremden  zwecke  und  fremden  beziehungen,  sondern  durch  die  freude  an  den 
allein  für  sich  betrachteten  angaben  des  sprachlichen  werks  hervorgerufen  ist.  Nun 
mag  man  immerhin  zugeben,  dass  man  bei  einzelnen  sprachlichen  angaben,  und  wenn 
auch  seltener,  bei  ganzen  sprachlichen  zusammenhängen  im  zweifei  sein  kann,  was 
der  Verfasser  damit  beabsichtigt  hat,  eine  dichtung  oder  nicht;  aber  darauf  kommt 
es  auch  nicht  an,  ob  etwas  vom  Verfasser  als  dichtung  gemeint  ist,  sondern  vielmehr 
darauf,  ob  es  seinem  wesen  nach  eine  dichtung  ist;  oder  anders  gesagt,  ob  es  die 
möglichkeit  gewährt,  an  ihm  in  den  zustand  der  ästhetischen  anschauung  zu  treten 
oder  ob  es  diesen  zustand  erschwert  und  gar  unmöglich  macht.  Dass  das  jeweils  von 
der  beschaffenheit  des  sprachlichen  werks  abhängt,  ist  eine  unbestreitbare  tatsache, 
die  natürlich  auch  R.  nicht  leugnet.  An  dieser  beschaffenheit.  die  sich  unschwer 
bestimmen  lässt,  hat  die  poesie  ihr  objectives  merkmal.  Poetisch  sind  alle  sprach- 
lichen angaben,  in  denen  leben  als  solches  unmittelbar  ausgesprochen  und  zur  er- 
scheinung  gebracht  ist,  und  ästhetisch  fasst  man  solche  angaben  auf,  wo  man  ihnen 
das  leben,  das  in  ihnen  erscheint  und  sich  äussert,  nachempfindend  entnimmt  zu 
keinem  andern  zweck,  als  um  es  in  seiner  kraft  und  lebensfülle  zu  gemessen.  Es 
ist  m.  e.  ein  mangel  an  Roettekens  buch,  der  sich  des  öfteren  spürbar  macht,  dass 
in  ihm  das  object  der  anschauung,  die  poesie,  ein  Undefiniertes  x  bleibt. 

Im  folgenden,  dem  dritten  capitel,  behandelt  Roetteken  ausgehend  von  der 
Unterscheidung  eines  directen  und  eines  associativen  factors  zuerst  di« •  associativen 
psychischen  funktionen,  die  zum  Verständnis  des  poetischen  und  überhaupt  jedes 
sprachlichen  textes  führen  und  sodann  die  allgemeinen  gefühlsanlässe,  die  uns  in  der 
poesie  entgegentreten  mitsamt  den  hedingungen,  die  ihre  Wirksamkeit  gewährleisten 
oder  erhöhen.  Dieser  abschnitt  bietet  eine  reiche  fülle  klarer  Scheidungen  und  feiner 
beobachtungen ,  die  eingehendste  beachtung  verdienen.  Ich  möchte  namentlich  den 
passus  über  die  einschmelzungen  —  so  möchte  Roetteken  genannt  wissen,  was  man 
sonst  wol  auch  als  Verschmelzung  oder  Verwachsung  bezeichnet  —  als  eine 
wertvolle  leistung  erwähnen.  Immerhin  wäre  es  den  ansführungen  Rs  ,-.u  gute 
kommen,  wenn  er  die  alte  einteilnng  in  tonn-  und  inhaltsgefuhle  nicht  zu  gunsten 
der  neuen  Unterscheidung  eines  directen  und  assueiativen  faotorS  verlassen  hätte. 
Diese  Unterscheidung,  die  nach  Pechners  Vorgang  von  Külpe  in  den  Vordergrund  ge- 
stellt worden  ist,  ist  nicht  an  der  po  innen  und  in  sie  von  aussen  ohne  innere 
berechtigung  hineingetragen.  Külpe  und  Roetteken  können  sie  in  der  poesie  nur  damit 
aufrecht  erhalten,  dass  sie  ein  element,  das  nach  ihrem  eigenen  geständnis  vielfach 
nur  associativ  vorhanden  ist.  sämlich  den  klang  und  die  betonung  der  worte,  für  den 


.",»11  III.  \.  Ml.',  i  l;    i  i:i  B    BOKTTEJEEN,    J'OhllK 

directen  factor  der  pi  eben,  ein  widersprach,  mit  dem  diese  ganze  einteilung 

gerichtet  i  t.  Eätte  R.  Btati  ihrer  den  unterschied  von  form-  und  inhaltsgefühlen 
durchgeführt  and  zugleich  erkannt,  dass  formelle  lusl  überall  da  ensteht,  wo  die  auf- 
fassenden organe,  in  der  poesie  al  o  oi  bliche  vorstellungstätigkeit  and  die 
phantasie,   in  eine  ihrem  wesen  entsprechende  energisch«    and  dabei  doch  mühelose 

i   werden,  bo  wäre  in  die  fülle  dei  einzelnen   gefühl 
aufzählt,,   mehr  Übersichtlichkeit  and   Zusammenhang  gekommen,  ihre  ableitung  wäre 
einheitlicher  und  sicherer  geworden   and  der  ganze  abschnitt  hat!  inea  all- 

gemein psychologischen  einen  mehr  ästhetisch  p  chen  Charakter  bekommen. 

Zudem  wäi'e  seine  analyse  vollständiger  geworden.  .Man  kann  d<  r  poi  sie  nach  ihrer 
materiellen  and  formellen  seite  nur  dann  voll  gerecht  werden,  wenn  man  die  poetik  auf- 
baut auf  eine  theorie  des  Verständnisses  d.  h.  auf  eine  analyse  unserer  an  der  rede 
geübten  vorstellungstätigkeit  als  desjenigen  Organs,  mit  dem  wir  das  in  der  poesie  ge- 
gebene erfassen,  R.  hat  diese  arbeit  nur  zur  hälfte  geleistet:  er  hat> nur  (ungetan,  wie 
wir  zur  vergegenwärtigung  des  inhalts  des  einzelnen  satzes  gelangen,  dagegen  hat  i 
unterlassen,  seine  analyse  auf  den  psychischen  prozess  auszudehnen,  in  dem  wir  eine 
anzahl  zusammenhängender  Sätze  zur  einheit  des  redeganzen  verbinden  und  zu  zi 
welche  rolle  dabei  die  poetischen  handlungs-,  stimm ungs-  und  Charakterbilder  spielen, 
in  denen  wir  die  einzelheiten  der  rede  zu  kraftvollem  und  bequemem  überblick  zu- 
sammenfassen und  durch  welche  weiteren  momente  der  Vollzug  der  einheit  gefordert 
und  darum  lustvoll  wird.  Die  Spannung  mit  ihrem  antrieb  zum  vorwärtsschreiten 
and  die  causale  Verknüpfung  mit  ihrer  starken  nötigung  zum  rückblick  wären  hierbei 
in  erste  linie  zu  stellen  gewesen.  Auch  hätte  sich  aus  unserer  auffassung  vom  form- 
schönen ergeben,  welche  bedeutung  gerade  derjenige  inhalt,  der  nach  unserer  Über- 
zeugung im  gegensatz  gegen  Roettekens  ansieht  das  unterscheidende  merkmal  der 
poetischen  rede  ausmacht,  die  darstellung  und  darbietung  von  leben,  für  die  form- 
schönheit der  rede  hat.  Poetischer  inhalt  der  rede  setzt  unsere  vorstellende  tätigkeit 
ganz  von  selber  in  eine  beflügelung  höchst  lustvoller  art;  er  schafft  vorstellungsreiz 
und  dieser  vorstellungsreiz,  der  durch  den  poetischen  inhalt  neben  der  inhaltlichen 
lust  erzeugt  wird,  darf  bei  einer  aufzählung  der  gefühlsanlässe  der  poetischen 
nicht  unbeachtet  bleiben. 

Mit  dem  wert  der  poesie,  dem  ästhetischen  und  ausserästhetischen  befassl  sich 
das  letzte  (4.)  capitel  des  buchs.  Es  ist  namentlich  für-  den  litterarhistoriker  beachtens- 
wert und  enthält  treffliche  winke  über  die  ausscheidung  des  bleibenden  absoluten  vom 
individuellen,  nationalen  und  zeitgeschichtlichen  wert  einer  dichtung.  Auch  die  ein- 
rechnung  einer  etwaigen  kathartischen  Wirkung  der  poesie  unter  die  ausserästhetischen 
werte  der  poesie  halte  ich  für  überzeugend.  Aber  was  R.  über  den  ästhetischen  wert 
der  poesie  selbst  sagt,  ist  merkwürdig  dünn  und  ungenügend.  Für  ihren  ästhetischen 
wert  nimmt  er  den  überschuss  sämtlicher  im  zustand  der  ästhetischen  anschauung 
erlebten  lustgefühle  über  die  darin  erlebten  unlustgefühle  in  ansprach.  Wenn  nun 
aber  der  ästhetische  wert  ausschliesslich  in  der  höhe  der  lust  besteht,  in  die  das  ge- 
niessende subjeet  versetzt  wird,  so  wird  er  damit  ganz  ins  subjeetive  und  unbestimmte 
gerückt;  wie  will  man's  vom  boden  dieser  anschauung  aus  einem  wehren,  seine  lust 
im  ästhetisch  minderwertigen  zu  suchen,  zumal  nach  Roettekens  ansieht  anerkannt 
werden  muss,  dass  auch  „wo  sich  allmählich  ein  feineres  ästhetisches  Unterscheidungs- 
vermögen  herausbildet,  dieses  kaum  den  erfolg  haben  wird,  dass  der  betreffende  nun 
bei  der  leetüre  der  werke,  die  seinem  jetzigen  auffassungsvermögen  entsprechen, 
intensivere  lustgefühle   erlebt  als   er  sie  früher  bei   der  leetüre   der  ihm  damals  zu- 


R.  M.  MEYEB   ÜBEB   NEBBUCH,    JEAN    PAULS    BBIEFWECHSEL 

sagenden  dichtungen  erlebte"  (s.  311 — 12)?  Koetteken  weiss  auf  diese  frage,  die  er 
sich  selber  stellt,  nur  eine  aasserästhetische  auskunft:  er  meint,  es  „liege  im  intei 
des  gegenseitigen  Verständnisses  unter  den  Volksgenossen,  dass  ein  möglichst  grosser 
kreis  wenigstens  an  einer  anzahl  von  dichtungen  mit  den  höchstgebildeten  dieselbe 
rückhaltlose  freude  teile."  Hier  rächt  sich  wider,  dass  R.  kein  objectives  merkmal 
für  die  poesie  zu  finden  vermocht  hat.  Hat  man  erst  einmal  das  wesen  der  poesie 
in  der  darstellung  und  darbietung  von  leben  erkannt,  dann  wird  man  ihren  weit 
nicht  in  der  lust  des  subjects,  sondern  im  object  selbst,  in  der  tiefe,  der  kraft,  der 
anmut,  der  inneren  Wahrheit  der  lebensdarstellung  suchen  und  dann  darf  man  dem, 
der  sich  am  oberflächlichen,  nichtigen  und  geschminkten  erlustigt,  die  mahnung  zu- 
rufen ,  er  solle  es  lernen ,  seine  lust  im  tiefen .   walnen  und  echten  zu  finden. 

Diese  mängel  in  der  grundauffassung  des  schönen,  so  störend  sie  an  einzelueu 
punkten  sich  geltend  machen  mögen,  sind  gleiehwol  nur  wenig  im  stände,  dem  wert 
des  trefflichen  werkes  abbrach  zu  tun.  Seine  bedeutung  liegt  in  der  einzelanalyse. 
Mit  dem  vollen  überblick  über  die  entwicklung  der  modernen  psychologie  verbindet 
R.  eine  sichere  besonnene  meisterschaft  in  der  Selbstbeobachtung,  die  die  gruudlage 
jeder  wirksamen  analyse  iu  den  geisteswissenschaften  ist.  Sein  buch  stellt  daher 
ebenso  eine  Zusammenfassung  der  von  der  empirisch  psychologischen  ästhetik  seither 
erarbeiteten  erkenntnisse  dar,  wie  es  andererseits  in  zahlreichen  punkten  eine  wert- 
volle bereicherung  derselben  bietet.  Glückt  es  Koetteken,  sein  werk  iu  der  begonnenen 
weise  zu  vollenden,  so  werden  wir  für  die  poesie  eine  einzeldarstellung  von  einer 
schärfe  des  eiudringens  und  einer  so  umfassenden  behandlungsweise  haben,  wie  wir 
eine  solche  meines  wissens  zur  zeit  für  keine  andere  kunst  besitzen. 

SCHÖNTBÄL    I.  W.  111.  A.    MEYEB, 


Jean  Pauls  briefwechsel  mit  seiner  frau  und  Christian  Otto.  Heraus- 
gegeben von  Paul  Nerrlich.  Berlin,  Weidmannsche  buchhandluDg  L902.  XVI. 
350  s.     7  m. 

Die  neue  Veröffentlichung  von  Jean  Pauls  wichtigsten  briefwechseln  bedarf  kaum 
der  rechtfertigung,  die  der  herausgeber  im  vorwort  gibt.     Kr  stützt  sieh  insbesondere 
darauf,  dass  von  den   zweihundertundacht  mitgeteilten  briefen   bish<  r  neunundse 
ungedruckt  waren  (s.  VII)  und  dass  die  bekannte  Veröffentlichung  von  Ernst   I 
nicht  nur  grosse  ungenauigkeiten    sundein  auch  ganz  erstaunliche  abänderungen  auf- 
weist.    Nerrlich  gibt  davon  höchsl  ergötzliche  proben:    Förster  schreibt  etwa  ..■ 
lität",  wo  Jean  Paul  ,,mortalität"  schrieb,    und   lässt  einm    braumeister,   den    der 
dichter  nach  „hefe"  gehen   liess,   nach  „hofe"  gehen.    Wo  Jean  Paul  schrieb:  „Ich 
habe  in  Gotha  auf  Weimar  Losgezogen",  setzt  der  frühere  herausgeber:  „Ich  hatte  in 
Gotha  schöne  tage".    Jean  Pauls  „pack"  macht   er  zur  „gesellschaft"  und  aus  dem 
., langweiligen"  Nicolai  den   „gelehrten"   Nieuhu.     unter  diesen    umständen  ist 
neue  ausgäbe  gewiss  berechtigt,  und  sie  ist  es  doppelt,  wenn  es  sich  um  ein  so 
volles  denkmal  handelt,  wie  die  briefe  Jean  Pauls  an  seinen  freund  und  seine  gattin, 
die  schon  durch  eine  blosse  titelauflage  aufs  neue  dem  allgemeinen  iuteresse  empfohlen 
zu  werden  verdii 

Freilich  bringl  das  bueb  zum  weitaus  grössten  teile  nur  die  briofo  des  di< 
a]oei  immerhin   auch   eini  i  haraktoristiseho  vou   der 

274.  284).     Caroline,  die  ihn  i  nein  geliebi 

genug  die  erfahrung  zu  machen,  da  und  sterbliche  sieh 


566  B.M.  MKYJ-.K   m;kk  t>  EBBLICH,    ikan   PAULS   bbutwichsbl 

binden,  und  die  Bohmerzliohen  anklagen,  die  sie  gegen    eine  Tändeleien  mit  jungen 
mädchen  oder  fremden  trauen  erhebt,  werden  durch  Jean  Pauls  Verteidigung  (b.  276) 

und  s(;in(!  an  Ibsens ,, Komödie  der  liebe w  gemahnenden  ausführungen  übe]  d 
der  ehelichen  liebe  (8.  304)  Dicht  geheili  worden  sein.  Daneben  erscheid  ansei  dichter 
Ereilioh  auoh  als  der  zärtliche  gatte  und  besondere  vater,  als  den  wir  ihn  zuni 
au  finden  erwarten,  und  gelegentlich  tritt  auch  in  sonderbaren  mischungen  jenei 
sentimentale  cynismus  auf,  dei  etwa  auch  Lichtenberg  aur  verfugung  stand  und  den 
Jachariaa  Werner  bis  zur  Eratze  trieb.  Dahin  gehören  .seine  arithropogonischcu  zu- 
rüstungen  (s.  187),  oder  ''in  höchst  charakteristische]  briei  aber  die  gebort  der  lochte] 
(s.  190).  Wenn  N.  (s.  V1J1)  behauptet:  „Kein  einziger  der  hier  folgenden  briefe  ist 
ein  ausiluss  der  Eesperusstimmung",  sn  wird  dies  doch  durch  manche  ausrufe  (..wie 
glühte  die  weit  so  rosenfarben  1 "  s.  127,  „eine  göttliche  taubin''  s.  187)  widerlegt;  mehr 
qoeh  durch  die  oft  genug  allzu  „rosenfarbenen"  urteile  über  personen  und  orte.  Nicht 
nur  wird  dem  erst  bartgescholtenen  Kanne  (s.  323)  am  Schlüsse  mindestens  ,,eine 
herrliche,  edle  physiognomie"  nachgesagt  und  nicht  nur  der  sonderbare  Radlof  (s.  268) 
„ein  tiefsinniger,  köstlicher  deutscher  sprachgelehrter1'  genannt,  sondern  sogar  der 
kutscher  ist  „der  beste  und  mildeste"  (s.  316). 

An  derartige  idiotismen  muss  man  sieh  nun  wol  gewöhnen  wie  an  jenen  kultus 
Jean  l'auls,  über  den  er  selbst  (s.  252)  scherzt.  Hat  er  doch  überall  „liebeüber- 
fliessende  herzen"  (s.  249)  zum  echo  seiner  eigenen  empfindungen!  Aber  eben  auch 
dies  macht  das  buch  kulturhistorisch  so  wichtig,  so  wol  durch  seine  Schilderungen  des 
hoflebons,  als  durch  mitteilungen,  wie  die  von  einem  Schauspieler,  der  heute  noch  auf 
der  bühne  auftritt,  während  er  morgen  ins  Zuchthaus  muss  (s.  184).  Welch  ein  charak- 
teristisches genrebild:  die  mutter  der  heiligen  allianz,  frau  von  Krüdener,  magnetisiert 
(s.  256)!  Oder  jenes  chiffrespiel,  das  uns  aus  Goethes  tagebüchern  geläufig  ist,  wie 
erscheint  es  uns  hier  fast  bis  zur  blasphemie  gesteigert,  wenn  die  verwittwete  herzogin 
als  heiliger  geist,  der  herzog  als  osterlamm  bezeichnet  werden  sollen  (s.  90)!  Auch 
das  ist  etwas,  was  an  jenen  sentimentalen  cynismus  erinnert,  daneben  aber  freilich 
auch  an  Jean  Pauls  leidenschaft,  seine  an  sich  doch  reichen  und  tiefen  gedanken  mit 
allerlei  äusserlichem  prunk  des  witzes  auszustaffieren.  Klagt  er  doch  selbst  darüber, 
wie  der  „Tristram"  seinen  stil  verdorben  habe  (s.  115). 

Überhaupt  fehlt  es  nicht  an  wichtigen  bemerkungen  zur  technik  und  inneren 
form  seiner  romane.  Als  die  bedeutsamsten  erscheinen  mir  die  bemerkungen  über 
das  ende  des  romans,  als  dem  eigentlichen  alles  zusammenfassenden  fokalpunkt  (s.  193); 
über  Schmelzte  (s.  205)  sowie  besonders  über  Hesperus  und  Titan  (s.  109)  gibt  er 
geistreiche  mitteilungen,  wie  es  ihm  denn  auch  sonst  nicht  an  Selbsterkenntnis  fehlt 
(s.  127);  während  er  gegen  die  empfindsame  briefschreiberei  (s.  166)  eifert,  ist  ihm 
selbst  doch  der  gedankenaustausch  mit  herzlich  ergebenen  genossen  seiner  empfindungen 
umsomehr  ein  bedürfnis,  als  ihn  das  durcheinandergehen  der  litterarischen  urteile 
(s.  1  Gl  anm.,  s.  178)  vielleicht  sogar  über  die  grossen  eigenen  erfolge  (s.  155.  173) 
unsicher  macht.  Er  steht  Herder  bei  aller  persönlichen  Verehrung  doch  leidlich  ob- 
jeetiv  gegenüber  (s.  134.  192),  während  er  Friedrich  Schlegel  stark  auf  sein  poetisches 
System  einwirken  lässt  (s.  196).  Jenes,  „ineinanderschieben  der  geschienten "  (s.  1 10), 
das  er  zum  herrschenden  prinzip  seiner  technik  gemacht  hatte,  ist  ja  mit  der  roman- 
tischen ironie  und  mit  dem  prinzip,  dass  der  dichter  hoch  über  seinem  Stoffe  stehen 
müsse,  so  eng  verwandt,  dass  Jean  Paul  lange  genug  als  ein  eigentlicher  roman- 
tiker  gelten  konnte.  Bei  den  flauen  freilich  wird  ihm  die  romantik  leicht  zu  heftig, 
und  mit  Karoline  von  Feuchtersieben  so  gut  wie  mit  Charlotte  von  Kalb  gelingt  kein 


OOLTHER   ÜBEB    BUHDACH.    WALTHEB    V.  IL  VOGELWEIDE  567 

dauerndes  Verhältnis.  Vor  allem  aber  ist  der  dichter  auch  für  seine  eigene  gattin  zu 
romantisch  —  und  sie  für  ihn.  Sie  stellte  anf orderungen ,  die  gerade  diese  nach  un- 
aufhörlicher Vertiefung  in  jede  schöne  seele  bedürftige  natur  nicht  erfüllen  konute. 
und  die  zum  teil  recht  heftigen  conflicte,  die  daraus  erwuchsen,  geheu  gerade  aus 
den  bisher  noch  nicht  veröffentlichten  briefen  Carolinens  wie  auch  aus  mitteilungen 
aus  briefen  ihres  vaters  deutlicher,  als  sie  bisher  zu  kennen  waren,  hervor. 

Charakteristisch  ist  auch  das  misstrauen  gegen  die  Verleger,  das  sich  wie  eine 
schleichende  krankheit  von  Müllner  und  Schopenhauer  bis  zu  Hebbel  fortgepflanzt  hat. 
Viebig  ist  ihm  ein  „zögernder  diebu  (s.  229),  Cotta  ein  „geizhals"  (s.  288).  —  Seine 
politischen  urteile  zeigen  dagegen  eine  viel  grössere  Sicherheit,  vor  allem  in  der  ent- 
schiedenen Zusammenstellung  der  englischen  und  der  französischen  revolution  (s.  194, 
vgl.  188,  Bonaparte  s.  145).  Daneben  wird  dann  wider  ein  süffiges  bier  entdeckt 
(s.  227)  oder  wir  erhalten  höchst  ausführliche  nachrichten  über  den  Speisezettel  der 
theeabende  in  München. 

Zum  Verständnis  des  wichtigen  Werkes  hat  der  herausgeber  erstens  (s.  329) 
einen  ausführlichen  apparat  und  zweitens  (s.  333)  einen  commentar  beigesteuert,  und 
ausserdem  durch  ein  register  (s.  345)  die  nutzbarkeit  dieser  fast  verschütteten  quelle 
zur  kultur-  und  litteraturgeschichte  des  letzten  fin  de  siecle  beigesteuert. 

BERLIN.  HIC'HABD  M.  MEYER. 


Konrad  Burdaeh,  "Walther  von  der  Vogel  weide.  Philologische  und  historische 
forschungen.  Erster  teil.  Leipzig,  Duncker  und  Humblot  1900.  XXXIII.  320s. 
7,20  m.  (Vgl.  jetzt  noch  Burdach  in  der  Deutschen  rundschau  1902,  29,  heft  L/2). 
Im  vorwort  berichtet  Burdach  von  den  Schicksalen  seines  buches,  das  unter  er- 
schwerenden äusseren  umständen  auf  der  reise  vollendet  wurde.  Das  lebensbild  (s.  1—122) 
wurde  für  die  Allgemeine  deutsche  biographie  (band  41,  189b)  geschrieben  und  ist  be- 
reits bekannt  und  gewürdigt.  Im  neudruck  ist  diese  arbeit  sehr  übersichtlich  und 
eingehend  gegliedert  worden,  so  dass  sie  iu  der  neuen  fassung  noch  viel  besser  wirkt. 
Die  Untersuchungen  und  anmerkungen  enthalten  den  wichtigsten  wissenschaftlichen 
teil.  Hier  eröffnet  Burdach  ganz  neue  ausblicke  und  bereichert  die  Waltherforschung 
mit  wertvollen,  wolbegründeten  ergebnissen.  Vor  allem  besitzt  das  buch  hohon 
methodischen  wert,  weil  darin  selbständige  historische  und  philologische  Forschung 
fruchtbar  zusammenwirken.  Burdach  begnüg!  sich  nicht  damit,  dass  '•:  von  den 
besten  zusammenfassenden  darstellungen  der  historiker  kenntnis  nimmt  und  ihre  •■!- 
gebnisse  zugrunde  legt,  vielmehr  steigt  er  selber  ZU  den  quellen  hinab.  Im  gegebenen 
fall,  wo  die  politische  parteistimmung  zu  bestimmtem  Zeitpunkt  ergründet  werden  soll, 
wird  der  philolog  den  quellen  mancherlei  entnehmen,  was  der  historikei  als  anwesent- 
lich bei  seite  liisst. 

Die  Untersuchung   geht   aus  von  der   zeitlichen    bestimmung   des   reiohst s 

(Lachmann  8,28),  den  Lachmann  und  andere  vor  den  '.).  juni  1198,  ins  Frühjahr  und 
in  die  österreichischen  Verhältnisse  Walthera  gesetzl  hatten,  und  Fuhrt  /.um  end- 
ergebnis,  dass  der  Spruch  vielmehr  in  Worms  in  den  letzten  tagen  des  juni  gedichtet 
und  vor  reichshofboamten  und  reiohsdienstrnannen  vorgetragen  wurde.  Walther  vertritt 
völlig  den  politischen  Standpunkt  der  S  tauf  er,  oft  in  bo  wörtlicher  Übereinstimmung 
mit  den  amtlichen  kundgebungen  dei  königlichen  kanilei,  dass  nahe  persönliobi  be- 
ziehungen    zwischen   dem  dichter    und  den    staulisehen    reiohshofbeamten    anzunehmen 


568  ■  i.'H/.t-A.v  ii 

Bind.  nnt  Burdaoh  für  die  'armen  i."/i/</r    eine  ganz  neue  erklärung.    Nicht 

bloss  auf  Otto,  Bernhard  tob  Sachsen  and  Berthold  von  Zähringen  zielt  dieser  aus- 
druck.  Die  beiden  letzteren  Bind  überhaupt  rar  nicht  gemeint,  vielmehr  die  'reguli 
provineiales'  im  sinne  des  Btaufisohen  weltimperinms,  die  könige  von  England,  Prank- 
reich, Sioilien  und  Dänemark.  l!>-i  dieser  auslegung  treten  die  geechichtliohi 
petzungen  des  Spruchs  in  scharfe  und  helle  beleuchtung  AJlee  wird  anschaulich^ 
wort  ist  jetzt  gewichtig.  Die  kuust  des  dichtere  erscheint  uns  jetzt  erst  auf 
ibrer  vollen  liöho,  wenn  jeder  ausdruck  auf  ganz  bestimmte  Vorstellungen  und  an- 
Bchauungen  zurückgeführt  werden  kann  und  keine  allgemeine  blasse  redensart  mehr 
übrig  bleibt.  Burdachs  beweisfuhrung,  die  mit  allei  vorsieht  und  umsieht  langsam 
schritt  für  schritt  vorschreitet,  ist  zwingend  und  wird  schwerlich  Widerspruch  er- 
fahren. Für  die  richtigkeit  zeugt  auch  noch  der  umstand,  dass  Koethe  (Z.  f.  d.  a.  11. 
116  und  196)  zur  selben  zeit  unabhängig  Walther  9,  14  genau  ebenso  erklärte. 

Den  ersten  Spruch  des  reichstons  (8,4)  setzt  Burdach  kurz  nach  dem  6.  juni 
1198  als  ältesten  versuch  Walthers  in  der  politischen  Spruchdichtung  grossen 
„Die  anfange  seiner  grossen  politischen  dichtung  schweben  nicht  mehr  räum-  und  zeitlos 
im  Ungewissen.  Wir  kennen  nun  den  Schauplatz  und  die  gelegenheit  der  ersten  sehritte 
auf  seiner  laugen  Laufbahn  als  poetischer  publicist.  Wir  kennen  den  bezirk 
ältesten  publikums.  Wir  kennen  die  politische  atmosphäre,  in  der  seine  Spruchdichtung 
zu  wachsen  anfieng.  Und  vor  allem:  wir  sehen  in  unerwarteter  weise  bestätigt,  wie 
seine  ganze  dichtung  den  bedürfnissen  und  empfindungen  des  augenblicks  ent- 
springt. Hinter  jedem  satz,  oft  hinter  jedem  einzelnen  wort  steht  das  leben,  das  volle, 
leuchtende  und  leidenschaftliche  leben  eines  bestimmten  kreises  ringender  menschen. u 
Als  Walther  anfangs  juni  am  staufischen  hof  zu  Worms  eischien,  da  vollzog  sich  in 
kuust  und  leben  die  bedeutungsvolle  wendung,  der  dichter  ward  reichsherold,  Sprecher 
für  den  gedanken  des  staufischen  weltkaisertums  im  geiste  Friedrichs  I.  und  Heinrich-  VI. 

Burdachs  buch  enthält  neben  dem  erschöpfend  ausgeführten  grundgedanken 
noch  zahlreiche  wichtige  bemerkungen  über  allerlei  einzelheiten.  S.  '297  fgg.  wendet 
er  sich  entrüstet  gegen  die  auslegung,  die  Wallner  in  der  Z.  f.  d.  a.  40,  338  fgg. 
der  stelle  Walthers  32,  11  über  einen  kunstgenossen  namens  Stolle  angedeihen  Hess. 
S.  306 fgg.  macht  Burdach  wahrscheinlich,  indem  er  die  politischen  Verhältnisse  ein- 
gehend darlegt,  dass  Walther  zwischen  1199  und  1202,  vor  der  dänischen  herrschaft, 
die  von  1202  —  25  dauerte,  bis  zur  Trave,  vermutlich  wol  nach  Lübeck,  kam.  S.  295 fg. 
findet  Burdach  eine  bisher  verborgene  anspielung  auf  Walthers  Tegernseer  spruch  in 
Wolframs  Willehalm  136,  10.  Mir  ist  überhaupt  die  s.  76  angenommene  beziehung 
auf  den  wein,  insbesondere  den  von  Bozen  etwas  bedenklich.  Den  wein  haben  Pfeiffer 
und  Simrock  in  den  spruch  hinein  erklärt.  S.  291  fgg.  sind  aus  dem  formelbuch  des 
Buoncompagno  einige  fürs  mittelalterliche  spielmaunsleben  lehrreiche  stellen  ausgehoben, 
die  bisher  unbeachtet  blieben.  (Vgl.  jetzt  auch  Schönbach,  Wiener  Sitzungsberichte 
145,  80  fgg.). 

ROSTOCK.  W.  &OLTHEE. 


Schlesische  volkstümliche  Überlieferungen.  Sammlungen  und  Studien  dei 
schlesischen  gesellschaft  für  Volkskunde  hrg.  von  Friedrich  Vogt.  Bd.  I:  Weih- 
nachtsspiele.  A.  u.d.f.:  Die  Schlesischen  weihnachtsspiele.  Von  Friedrich  Vogt. 
Mit  buchsehmuck  von  M.  Wislicenus  sowie  vier  gruppenbildern  der  Betzdorfer 
weihnachtsspiele.     Leipzig,  Teubner  1901.    XVI,  500  s.     8°.     5,20  m. 


ÜBEB  VOGT.  SCHLESISCHE  WEIHNACHTSSPIELE  -""»69 

Das  reichhaltige  roaterial  von  weihnachtsspielen ,  auf  dem  dies  werk  sich  aufbaut, 
wurde  teils  vou  Vogt  selbst,  teils  von  freunden  der  volkstümlichen  Überlieferungen  in 
verschiedenen  gegenden  Schlesiens  aufgezeichnet  und  ist  im  archiv  der  von  Vogt  ge- 
leiteten Schlesischen  gesellschaft  für  Volkskunde  vereinigt.  Vogts  publication  behandelt 
die  verschiedenen  arten  des  dramas,  die  sich  aus  den  festspielen  der  Weihnachtszeit 
entwickelten:  Adventspiele,  Christigeburtspielc,  Herodesspiele  und  Sternsingerspiele. 
Überall  ist  die  herausgäbe  der  texte  mit  eindringenden  litteratur-  und  culturgeschicht- 
lichen  Untersuchungen  verbunden.  Viele  neue  und  merkwürdige  tatsachen  gewann 
Vogt  dadurch,  dass  er  für  die  darstellung  der  entwicklung  dieser  spiele  mit  grosser 
belesenheit  und  umsieht  die  bei  Schriftstellern  des  16.  und  17.  Jahrhunderts  zerstreuten 
gelegentlichen  äusserungen  verwertete,  die  freilich  sehr  oft  gegen  diese  spiele  als 
gegen  einen  verwerflichen  alten  missbrauch  gerichtet  sind.  Von  besonderem  int. 
ist  es  zusehen,  wie  die  verschiedenen  phasen  der  entwicklung  der  gelehrten  litteratur 
ihre  spuren  im  volkstümlichen  drama  zurückliessen:  die  geistlichen  spiele  des  mittcl- 
alters,  die  knittel Versdramen  des  reformationszeitalters,  dann  wider  feierliche  Alexan- 
driner; in  den  hirtenscenen  lässt  sich  die  nachwirkung  der  bukolischen  renaissaneepoesie 
feststellen  und  in  ein  Breslauer  weihnachtsspiel  hat  sich  Harlekin  als  luftiger  diener 
des  Herodes  eingeschlichen;  hier  finden  wir  auch  in  die  scene  des  bethlehemitischen 
kindermords  den  spass  in  widerwärtiger  weise  eingemischt,  ähnlich  wie  dies  schon 
in  mehreren  mittelalterlichen  weihnachtsdramen  der  fall  war.  Im  Adventspiel  zeigt 
Vogt   den   Zusammenhang   mit   den   alten  klösterlichen  spielen  vom   hei  '      olaus, 

doch  nimmt  er  mit  recht  an,  dass  hier  im  gegensatz  zu  anderen  geistlichen  spielen 
anch  altheiduische  Vorstellungen  und  gebrauche  einwirkten,  dass  der  glaube  an  das 
umgehen  mythischer  wesen  zur  zeit  der  Wintersonnenwende  in  deu  weihnachtsumgäi 
nachgewirkt  hat.  Hinsichtlich  der  eigentlichen  weihnachtsspiele  wird  darauf  1 
wiesen,  dass  wir  schon  aus  dem  spätem  mittelalter  im  hessischen  weihnachtsspiel  ein 
charakteristisches  beispiel  dafür  besitzen ,  wie  die  ursprünglich  lateinischen ,  liturgisch- 
dramatischen darstellungen  der  Weihnachtszeit  nach  dem  Übergang  zu  aufführungen 
in  der  Volkssprache  allmählich  den  Charakter  annahmen,  der  aoch  jetzt  in  den  weih- 
nachtsspielen vorherrscht.  Die  prophetenspiele,  in  denen  die  bedeutung  des  weihnachts- 
festes im  grossen  Zusammenhang  der  kirchlichen  Weltanschauung  zur  darstellung 
kommen  soll,  haben  mehr  auf  die  umfangreichen  cyklischen  spiele  eingewirkt,  die 
in  der  schönen  Jahreszeit  unter  freiem  himmel  aufgeführt  wurden;  dagegen  bat  sich 
für  die  spiele,   die  sich  auf  die  ereignisse   in  Bethlehem  .   ein  volkstümlicher 

stil  von  eigentümlich  deutschem  gepräge  entwickelt.  Besonders  zeig!  sich  dies  in  der 
figur  des  alten  Joseph.  Wenn  Joseph  den  brei  für  das  kind  besorgt,  die  windeln  be- 
schafft und  das  kindlein  wiegt,  so  sind  das.  wie  Vogt  bemerkt,  motive,  von  denen 
das  lateinische  weihnachtsspiel  noch  nichts  weiss,  die  aber  im  hessischen  schon  breit 
.im  geführt  erscheinen.  Indessen  glaube  ich,  dass  bei  diesen  und  ähnlichen  im  weih- 
nachtsspiel immer  mehr  hervortretenden  zutaten  die  internationale  predigt-  und  contem- 
plationslitteratur  in  einem  höheren  grade  mitgewirkt  hat,  als  dies  in  der  darstellung 
Vogts  hervortritt,  wenn  er  auch  für  die  spätere  entwioklung  den  einfluss  der  erbauuogs- 
schriften  des  pater  Cochem  auf  das  volkstümliche  drama  hervorhebt    '  ikannt 

wie  sein-  ilie  männlichen  und  besonders  die  weibliohon  asketischen  sohriftsteller  sich 
in  ihren  Visionen   mit   den  ein/.elheiten  der  geburl  Jesu   besohäfl  b,  die 

revelationen  der  Margarete  Ebnerin  (ed.  Strauch  s.  l<"i  über  die  windeln  Jesu,     Auf 
diese  litteratur  sind  wol  auch  manche  Übereinstimmungen  dei  deutschen  und  dei 
ländischen  weihnachtsspiele  zurückzuführen.    Abei  wie  dem  auch  sei.  die  weihnachts- 


570  K.  M.  MEYEB     ÜBEB    PATZ  AK,    HEBBELS    EI'IÜKAMÜK 

spiele  zeigen  uns.  wie  das  voll  alle  diese  verschiedenartigen  demente  in  seiner  art 
auffasste  and  zu  der  schönsten  und  anmutigsten  Wirkung  vereinigte.  Vogt  hat 
wol  daran  getan,  dass  er  nicht  nur  eine  reihe  von  überlieferten  texten  mit  philolo- 
gischer genauigkeit  herausgab,  sondern  ausserdem  auob  am  ende  der  betreffenden  ab- 
Bchnitte  das  Bchlesische  Adventspiel,  das  Christigebortspie]  und  das  Eerodesspiel  in 
einer  sehr  liebevoll  und  dabei  mit  sehr  viel  tact  und  geschiek  neu  herg<  richteten  form 
mitteilt,  wie  sie  bei  einem  teste  diu-  schlesischen  gesellschaft  für  Volkskunde  in  Breslau 
1899  zur  darstellung  kamen;  ein  berioht  dei  8ohlesischen  zeitung  über  dieses  fest 
(1899  ur.  112.  115)  Iässt  uns  erkennen,  wie  erbaulich  und  zugleich  herzerfreuend 
diose  im  volk  fortlebende  poesie  auf  die  grossstädtische  Zuhörerschaft  wirkte;  Vogt 
konnte  mit  recht  in  seinem  einleitenden  vertrag  sagen,  diese  spiele  seien  noch  lobens- 
wert und  darum  auch  am  leben  zu  erhalten. 

MiAKAU.  W.  CBEIZENAGH. 


Friedrich  Hebbels  epigramme  von  dr.  Bernhard  Patzak  (Forschungen  zur 
neueren  litteraturgescliichte,  herausgegeben  von  dr.  Franz  Muncker).  Berlin, 
verlag  von  Alexander  Duncker  1902.     VII,  110  s.     2  m. 

Das  fleissige  buch  gehört  doch  zu  jenen  nicht  allzu  erfreulichen  leistungen,  die 
eine  schöne  aufgäbe  nur  halb  erledigen.  Zwar  wenn  man  in  der  inhaltsangabe  sieht, 
dass  erst  über  die  entsteh  ungsgeschichte  (s.  1)  und  dann  über  die  eigenart  (s.  58)  der 
Hebbelschen  epigramme  gehandelt  wird,  so  sollte  man  meinen,  man  würde  eine  er- 
schöpfende darstellung  dieser  merkwürdigen  dichterischen  producte  erhalten.  Aber 
nur  der  eiste  teil  bietet  wirklich,  was  man  erwarten  konnte.  Mit  grosser  Sorg- 
falt wird  den  keimen  der  epigramme,  die  ja  so  oft  nur  versifizierte  tagebuchnotizen 
sind,  nachgespürt;  natürlich  nicht,  ohne  dass  gelegentlich  zweifelhafte  resultate  mit 
zu  grosser  Sicherheit  ausgesprochen  würden,  wie  denn  z.  b.  dasselbe  epigramm  zwei 
mal  (s.  13  und  s.  21)  auf  verschiedene  gedankliche  wurzeln  zurückgeführt  wird.  Ebenso 
erscheint  mir  z.  b.  die  entstehung  des  epigramms  auf  Klein  (s.  56)  durch  die  notiz 
vom  3.  mai  1861  noch  nicht  völlig  gegeben,  da  ja  der  gegensatz  in  jener  notiz  und 
in  diesem  epigramm  wesentlich  verschieden  ist.  Aber  man  hat  doch  für  die  meisten 
epigramme  das  material  hier  gut  bei  einander,  nur  dass  leider  die  Übersichtlichkeit 
ganz  fehlt,  die  durch  eiu  register  in  der  reihenfolge  einer  Hebbel -ausgäbe  so  leicht 
hätte  hergestellt  werden  können.  —  Besonders  bemerkenswert  erscheint  mir  ührigens 
die  tatsache,  auf  die  P.  (s.  19),  ohne  sie  zu  betonen,  hinweist,  dass  Dämlich  Hebbel 
öfters  auch  epigramme  wider  in  prosa  auflöst,  während  er  zumeist  allerdings  gern 
die  einmal  gefundene  form  festhält  und  sich  auf  sie  bezieht,  oft  in  ganz  unbestimmten 
Worten  wie:  dies  legte  ich  einmal  in  einem  epigramm  dar  und  dergl.  mehr. 

Sehr  viel  schwächer  ist  der  zweite  teil.  Die  eigenart  der  Hebbelschen  epigramme 
wäre  vor  allem  von  der  psychologischen  Seite  her  aufzufassen  gewesen.  Man  hätte 
untersuchen  müssen,  weshalb  es  eigentlich  der  dichter  für  nötig  hielt,  gedanken,  die 
er  doch  bereits  geborgen  hatte,  noch  einmal  in  versform  zubringen;  man  hätte  unter- 
suchen müssen,  ob  die  epigramm -reihen  als  solche  für  ihn  ein  höheres  ganze  dar- 
stellen oder  eben  nur  eine  zufällige  anhäufung  sind;  man  hätte  prüfen  sollen,  welche 
gedanken  er  dieser  formung  für  würdig  hält  und  welche  nicht  und  dergl.  mehr. 
Hiervon  findet  sich  bei  P.  nichts,  nur  versucht  er  und  zwar  in  widerholten  anlaufen 
(s.  89 fg. ,   s.  100 fg.)   ihren   inhalt  systematisch   zu   ordnen   und  bringt  es  dabei    doch 


NEUE    ERSCHEINUNGEN  571 

nicht  über  ein  aufzählen  hinaus,  das  oft  genug  zu  einer  blossen  widerholung  in  matter 
prosa  wird.  (Überhaupt  ist  das  deutsch  des  Verfassers  ein  allzu  wenig  gepflegtes  und 
namentlich  missklänge  wie  s.  53,  wo  ein  satz  mit  „gerichtet",  der  andere  mit  „be- 
richtet" schliesst,  oder  s.  56  der  störende  reim  „ferner  bringt  Werner"  hätten  wol 
vermieden  werden  können).  Mit  mehr  glück  geht  P.  auf  die  ästhetische  und  poetische 
bedeutung  der  epigramme  ein  und  wagt  (s.  70,  vgl.  s.  93  anm.)  mit  anerkennenswertem 
mut  von  dem  heutzutage  vorgeschriebenen  Hebbel -kultus  abzuweichen.  „Von  Hebbels 
zahlreichen  epigrammen  im  elegischen  versmasse  scheinen  mir  verhältnismässig  nur 
wenige  poetisch  hoch  zu  stehen.  Die  meisten  derselben  sind,  wie  ich  bereits  nach- 
zuweisen versuchte,  lediglich  in  verse  gebrachte  denkergebnisse  aus  oft  jahrelang 
weiter  gesponnenen  gedankenreihen".  Doch  fehltauch  hier  die  grundlage  einer  festen 
einteilung  der  epigramme  überhaupt  (trotz  s.  71).  So  könnte  es  denn  gerade  von  dem- 
jenigen epigramme,  das  der  Verfasser  am  eingehendsten  und  nicht  ohne  glückliche 
einfalle  bespricht,  von  dem  epigramm  auf  die  Villa  Reale  in  Neapel  (s.  81)  zweifel- 
haft sein,  ob  dies  gedieht  wirklich  noch  in  diese  gattung  gehört. 

Die  wichtigste  beurteilung  der  epigramme  wäre  wol  vom  litterarhistorischen 
Standpunkt  zu  gewinnen  gewesen.  Aber  auch  hier  beschränkt  sich  der  Verfasser 
darauf,  gelegentlich  Hebbel  an  Platen  (s.  81)  oder  an  Goethe  zu  messen  und  ersetzt 
fast  durchweg  eine  objeetive  Charakteristik  durch  eine  rein  persönliche  kritik  (vgl.  z.  b. 
über  Geibel  s.  107  oder  über  die  ästhetik  des  hässlichen  s.  75). 

Und  wie  vieles  fehlt  noch!  Durfte  der  Verfasser  sich  darauf  beschränken,  zu 
sagen:  „Bei  den  epigrammen  vergleiche  man  nur  die  vielen  von  einander  abweichen- 
den fassungen  derselben  in  den  verschiedenen  ausgaben."  War  nicht  gerade  hier  eine 
wirkliche  Würdigung  dieser  arbeit  absolut  unentbehrlich,  um  zu  zeigen,  woMumi  weg 
der  dichter  von  dem  ersten  gedanken  bis  zu  der  für  ihn  letzten  fassung  beschritt? 

Kurz,  wir  müssen  es  widerholon:  für  die  entstehungsgeschiehte  der  epigramme, 
freilich  den  leichteren  teil  der  arbeit,  hat  F.  wichtiges  materiai  beigebracht  Für  die 
Würdigung  ihrer  eigenart  vom  psychologischen,  ästhetischen  oder  litterarischen  Stand- 
punkt hat  er  kaum  die  ersten  anfange  geboten. 

BERLIN.  BIOHASD  M.  MXYXB. 


NEUE  ERSCHEINUNGEN. 


Beowulf  mit  ausführlichem  glossar  herausgegeben  von  Mein/.  Eeyne.  7.  aufl.  be- 
sorgt von  Ad.  Socin.     Paderborn,  Bchöningb   L903.     VIII,  298  B.     5  m. 

Böttieher,  Gotthold  und  Einzel,  Karl,  Altdeutsches  lesebuoh.  Balle,  Waisenhaus 
1903.     VI,  192  s.    geb.  2  m. 

Bvlnnd,  Hans,  Der  Wortschatz  des  Zürcher  Uten  testaments  von  l.">'_\r>  and  1531 
verglichen  mit  dem  Wortschatz  Luthers.  Eine  sprachliche  Untersuchung.  Berlin, 
Schwetschke  1903.    VI,  84  s.    5,50  m. 

Dclilinger,  Theodor,  Deutsche  scherflein  zum  Sprachschätze.  Stuttgart,  Max  Kiel- 
mann 1903.    (IV),  246  s.    -I  m. 

Festgabe  für  die  13.  bauptversammlung  des  Allgemeinen  deutsohen  Bpraohvereina  in 
Breslau.  Don  vereinsmitgliedern  und  gasten  gewidmet  von  dem  eweigverein 
Breslau.     Breslau,  W.  G.  Kon,   1903     B2  s. 

Inhalt:  II.  Jantzen,  Sohlesi  ohe  diohter.       NN'.  Pielitz,  Das  sie]  dei  band 
hing  in  Goethes  Tasso.  —  A.  Gombert,  Über  'las  altei  einigei  Bohlagwörtor. 


572  i  osi  in  r  i 

Frenssen,  Gast.         Kinzel,    Carl,    Gust.   Freu    en,    dei    dichl  förn    Dhl 

|  \.  u.  d.  f.:    Deutsche  dichtei  des  19.  Jahrhundert  von  0.   L    od.    VI. 

Leipzig,  Teubner  1903.  0  m. 

Ilciitsch ,  Alice  A.,  La  litterature  didactique  du  moyen  lg<  r.\  Bpeciali 

au\  femmes.    Cahors,  Coueslant  L903.    XIV,  23i 
Meyer,  Elard  Hngo,  Mythologie  der  Germanen,  darge  telll 

bürg,  Trübner  1903.     XII.  526  s.    8,50  m. 
Modern  philology.     A   quarterly  Journal   devoted   to   research   in   modern  languages 

and   literatures.     I.  l    (June  1903).     Chicago,  The  an  pr<    • 

[Leipzig,  <».  Barrassowitz.]     L'Hi  s.    Subscriptionspreia  für  den  Jahrgang  3,50  sh. 
Darin  u.a.:  E.  Flügel,    Rei  to  the  Eoglish   langnage  in  the  German 

litterature  of  the  first  half  of  the  16   Century.        S.  X.  Eagen,  The  origin  and 

meaning  of  tho  nanu-   IggdrasilL  —  15.  Matthews,  The  mediaeval   drama.  — 

G.  Hcmpl,   Hickes's  additions  to  the  Runic  poem.  —  J.  Goebel,  The  a 

ticity  of  Goethes  Besenheim  .- 
Neidhard.  —  Pfeiffer,  C,  Die  dichterische  persönlichkeil  Neidharts  von  ReuentaL 

Paderborn,  Schöningh  1903.     IV,  98  s.     L,50  m. 
Olrik,  Axel,  Danmarks  heltedigtning.    En  oldtidsstudie.     l,te  del:  Rolf  krake  og  den 

aeldre  Skjoldungraskke.    Kobonh.,  Gad  1903.    VIII,  352  s. 
Panzer,  Priedr.,  Das  altdeutsche  volksepos.     Ein  Vortrag.    Halle,   Niemeyer  1903. 

34  s.     1   m. 
Riehl,  AVilh.  Heinr.  —  Matthias,  Th.,  W.  II.  Riehl,   Fluch  der  Schönheit;  Quell 

der  genesung;  Gerechtigkeit  gottes.    [A.  u.  d.i.:  Deutsche  dichter  des  19.  jahrh.... 

hrg.  von  O.  Lyon.    V.]     Leipzig,  Teubner  1903.    46  s.     0,50  m. 
Schmidt,  P.  Expeditus,  Die  bühnenveihältnisse  des  deutscheu  schuldramas  und  seiner 

volkstümlichen   ableger   im    IG.  jahrh.     Gekrönte   preisschrift.     [Forschimgen   zur 

neueren    lit.-gesch.    vou   Frz.    Muuclcer.      XXIV.]     Berlin.    AI.  Duncker  1903. 

X,  193  s.     5  m. 
Studies  and  notes  in  philology  and  literature.    Vol.  VIII.    Boston.  Ginn  &  Co.  1903. 

VI,  275  s. 

Inhalt:  Arthur  C.  L.  Brown,   Iwain,   a   study   in    the   origins  of  Arthurian 

romance.  —  G.  L.  Kittredee,  Arthur  and  Gorlagon. 


1.    SACHREGISTER 


573 


I.    SACHREGISTER. 


aberglaube:  Worterklärung  s.  91,  wesen  des 
aberglaubens  s.  91,  Zusammenhang  mit 
dem  germanischen  heidentum  selten 
nachgewiesen  s.  91  fgg.,  motiv  des  aber- 
glaubens die  Sympathie  s.  92,  alter  der 
abergläubischen  sitten  s.  93.  bedeutung 
der  erde  im  aberglauben  s.  93  fg. 

Andvaranautr  s.  481  fgg. 

Arigo:  stand  s.  107,  heimat  s.  109,  Arigo 
nicht  identisch  mit  Heinrich  Leubing 
s.  111  fgg.,  leserkreis  s.  112. 

Angelus  Silesius:  Heilige  seelenlust  s. 
•Vi  9  fg. 

Ayrenhoff  s.  272  fg. 

Baumgartenberger  gedieht  auf  Johannes 
baptista :  heikuuft  s.  88  fg. 

Bodmer  s.  73  fgg. 

Bürger:  B.  als  nachahmer  der  minnesinger 
s.  80,  s.  213,  stamm buchblatt  an  Leise- 
witz s.  540  fg.,  brief  an  Cramer  s.  541  fgg., 
Wagenseils  beziehungen  zu  Bürger 
s.  543  fg.,  stammbuchblatt  an  Wehrs 
s.  544  fg.,  anzeige  seiner  werke  s.  545, 
Schuberts  parodie  zu  „Das  Mädel,  das 
ich  meine"  s.  545  fg.,  badereise  nach 
Meinberg  s.  546,  Bürgers  und  Schubarts 
plan  eines  hymnus  auf  Friedrich  den 
grossen  s.  548  fgg.,  Bürgers  beziehungen 
zu  Bathlef  s.  549  fg.,  Elise  Bürger  s.  551, 
eine  Bürgerbüste  des  bildhauers  Tieek 
s.  551  fg.,  Heinrich  Heines  Stellung  zu 
B.  s.  552  fg.,  L.  Ph.  Hahns  ,.Zill  und 
Margreth"  Bürger  gewidmet  s.  553. 

Camnierlander  vgl.  schwankbuch. 

Carmina  Burana  s.  86  fg. 

Cramer  vgl.  Bürger. 

deminutiva  s.  14»)  fg. 

Dietrich  von  Stade  s.  73. 

Dorotheaspiel:  bearbeitungeu  der  D.- 
legende  s.  157  fg.,  dramatische  behand- 
luug  s.  158  fgg.,  Ludus  de  saneta  Doro- 
thea aus  Kremsmünster  s.  L62 
beschreibiuig  der  hs.  s.  162  fgg.,  alter 
der  hs.  s.  M » 1  fg.,  lautstand  s.  L65 
verbalformen  s.  170  fg.,  171. 

heimat  des  Stückes  s.  171,  metrik  s. 
171  fgg.,  quelle  s.  173  fgg.,  inhalt  and 
bau  des  Stückes  b.  L75fgg.,  s,  183 
personen  s.  I7'.i  fgg.,  text  s.  1m>  fgg.,  ein 
lateinisches  Porotheenspiel  aus  Krems- 
münster s.  193  fgg. 
Eginhard:  sage  von  K.  and  Emma  s. 
407  fgg.,  quellen  der  sage  s.  408,  ähn- 
liche sagen  s.  41 1  fg. 

Egkenuolder  s.  364  fgg. 

elsässische  mundart:  bildungen  aus  eigen- 

iiameu  8.   1-1  fgg.,  läniilienuameu 


schwankender  anlaut  infolge  übergezo- 
genen artikels  s.  423  fg. 

englisch:  skandinavische  lehnwörter  im 
mittelenglischen  s.  96  fgg.,  das  wort 
•basken'  nicht  aus  dem  nord.  herzu- 
leiten s.  100,  etymologie  von  verben  auf 
sä,  sk  und  x  s.  100  fg. 

fechter:  berufsfechter  im  deutschen  alter- 
tum  s.  125  fg.,  tierkämpfe  s.  125  fg. 

Fenrir  mythus  s.  402  fg. 

Fischart :  verse  zu  holzschnitten  s.  534  fgg., 
Das  glückhafte  schiff  s.  554  fgg.,  n 
Schreibung  Fischarts  s.  554.  quellen  des 
Glückh.  schiffes  s.  554  fg.,  Übersetzung 
des  sechsten  buches  des  Amadis  s.5" 

Friedrich  der  grosse:   seine  stelluDg  zur 
deutschen   litteratur  s.  259  fgg.,   gegen- 
schriften  gegen  Friedricl 
litt,  allem.  s.270fgg.,  Jerusalem  s.27 
Ayrenhoff  s.  272 fg.,   Wezel  8.273 
Herder  s.  275  fg.,   (ioethe  s.  275  anin.. 
Moser  s.  276  fgg. 

Gleim  s.  80,  s.  212,  s.  214  fg., 

glossen,  ahd.  s.  230  fgg. 

e:  s.  91 '.  i  isse  über   • 

dichtungen  s.  127  fgg.,    über  Friedrich 
den  gr.  s.  275  anm. 

gotisch:  gebrauch  des  dativs  und  akku- 
sativs  s.  121  fg.,  genitiv  s.  123  fg. 

gotische  bibelübersetzung:  die  Corinther- 
briefe  der  Wulfilabibel  nach  der  grie- 
chischen bibel  des  Chrysostomus  über- 
setzt s.  i  zum 
got.  texl  .  sj.,  gegenüberstelluDg 
des  Pos  und 
des  Chrysostomus!  .  der 
Wulfilatext  im  Verhältnis  zu  den  itali- 


schen    hilieln     8.     150  ffi 


benutzung 


der  Itala  bei  der  iiberarbeitui 

texti  fgg.,  eindringen  der  rand- 

3sen    in   den   ursprünglichen   ti 
g.,  1.  Corintherbrief       ■   - 
( röttinger  dichterbund  s.  21 
Gudrui  g.,  s.  _  15  fgg.,  die  saj 

der  neueren   litteratur  8.  2  17 
Halm.   Elise    vgl,    BÜJ 
Bahn,  Ludw.  Phil,  vgl,  Bi 

nann    von    Aue:    das    lied   M  I 

10-  19  nicht  \"n  Bartmann 
Hedwiglegende 
Heidelberger  liederhandsohrifl :   erklürung 

der  bilder  s.  114  fg.,  t>  pen  in  der  bild- 

liohen  darstellung  s.  115  fgg.,  anlehnung 

an  kalenderbilder  -.  l  ls  ' 

Heine,    lleinr.    Vgl.    Bül 

Heinrichslied  - 

Heiland :  atteneinteilung  s. 


574 


I.     SAfllKh.Gl.Vrhk 


BelreiÖ:  s.  30"!  fgg.,  vgl.  auch  Sigrdrifumäl. 
Berder  s.  275  fg. 
Boffmannswaldau  b.  72  fg. 
humanismus:  spräche  des  deutschen  früh- 

liumanisnius   s.   107  fg. 

Hürnen  Seyfrid :  einheitlicbkeil  des  liedes 
s.47 fgg.,  b.211,  metrik  b. 50 fgg.,  ent- 
stehungszeit  s.  58,  aus  den  reimen  ist 
nii'ht  ohne  weiteres  die  mundart  and 
heimat  des  dichteis  zu  ersohliessi 
204  Fg.,  beziehong  des  dichters  zu  Haus 
Sachs  s.  206,  reimtechnik  des  gediebtes 
8.  207  fgg. 

Jean  Paul  s.  565. 

Jerusalem,  Job.  Fr.  Willi.,  s.  271  fg. 

Kaufringer,  Heinrich:  quellen  seiner  dich- 
tungen  s.  492  fgg..  quoll*'  seiner  erzäh- 
lung  „Das  Schädlein"  s.  497  fgg. 

Kleist:  Michael  Kohlhaas  8.  560 fgg. 

Klopstock,  s.  80,  s.  212. 

Lange,  Sam.  Gotth.  s.  78  fg. 

Laurin:  s.  248  fgg.,  textkritik  s.  249  fgg., 
eutstehungszeit.  s.  251,  Ursprung  der 
motive  des  Rosengartens  s.  251  fgg. 

Leben  der  väter,  mhd.  Übersetzung  aus 
St.  Florian  s.  371  fgg.,  Florianer  text  und 
original  alemannisch  s.  371  fg.,  entste- 
hungszeit  der  Florianer  hs.  s.  372,  text 
der  hs.  s.  373  fgg. 

Leisewitz  vgl.  Bürger. 

lehnwörter,  skandinavische  1.  im  mittel- 
englischen vgl.  englisch. 

Lessing:  aufsätze  in  der  Vossischen  zei- 
tung  s.  255  fgg.,  der  aufsatz  im  Wahr- 
sager über  Freygeister  usw.  s.  257  fg. 

liederhandschrift:  Heidelberger  1.  s.  114fg. ; 
1.  vom  jähre  1568  Berlin  Mgf  752:  Be- 
schreibung der  hs.  s.  507  fg  ,  texte  und 
parallelen  s.  509  fgg.,  Verzeichnis  der 
liederanfängo  s.  531  fg.;  vgl.  auch  mhd. 

ljoöahattr  s.  429. 

Luther:  sprichwörtersammlung  s.  413  fgg. 

Macpherson  vgl.  Ossian. 

Mariengebet  s.  370. 

Maurer,  Konrad:  lebensbeschreibung  s. 
59  fg.,  wissenschaftliche  tätigkeit  s.  60  fgg., 
Schriftenverzeichnis  s.  68  fgg. 

metrik  vgl.  Hürnen  Seyfrid,  vgl.  Sigr- 
drifumäl. 

mhd.  liederstrophe  s.  87  fg. 

minnesang:  liederstrophe  s.  87  fg. ;  bilder 
der  Heidelberger  hs.  s.  114  fgg.;  die 
causale  Verknüpfung  in  der  syntax  von 
Minnesangs  Frühling  s.  330  fgg. ;  nach- 
ahmung  des  altd.  minnesangs  in  der 
neueren  deutschen  litteratur  s.  71  fgg., 
s.  212  fgg.,  Moscherosch  s.  72,  Hofmanns- 
waldau  s.  72  fg.,  Dietrich  von  Stade  s.  73, 
Bodmer  s.  73  fgg.,  Gottsched  s.  77  fg., 
Samuel  Gotthold  Lange  s.  78  fg.,  Kaspar 


Friedrich    Benner  b.  71».    Bürger 
B.213,  El  30,      212,    . 

tinger  s.  213  fg.,  Gleim  b.  80, 
21  i  fg.,   Gleims  kreie   b.  220  fgg.,   Karl 
Emil  Schubert  b.  222 

mittelenglisch  vgl.  englisch. 

Mu  er,  Justus,  vgl.  Fi  iedrieb    I 

Mo  cheroseb  b.  ~>. 

Diederdeutscb  vgl.  SachsenspiegeL 

l  lldecop,  Johann,  s.  80. 

ölinger:  Verhältnis  zu  Albertos  s.  556fgg. 

Opus    imperfeetnm:     quelle     Dicht     der 
Matthaeuscommentar    des    Hieronymus 
s.  483  fgg.,    interpolationen    im    i 
8.  488  fgg. 

Ossian  s.  285  fg. 

poetik:  wesen  der  poesie  s.  563.  ästheti- 
scher wert  der  poesie  3.  564 fg. 

ragnarok  s.  403  fg. 

Rathlef,  E.  L.  M.:  seine  „Serklaide"  549. 
—  vgl.  Bürger. 

Kenner,  Kasp.  Fr.,  s.  79. 

Rosengartcu  vgl.  Laurin. 

Sachs,  -Hans:  lautstand  der  reime  s.  204. 
vgl.  auch  Hürnen  Seyfrid. 

Sachsenspiegel:  erste  reimvorrede  nicht 
von  Eike  s.  102 fg.,  anteil  des  verfasse! 
dieser  vorrede  am  Sachsenspiegel  s.  103, 
verstechnik  s.  103,  nebeneinandergehen 
hd.  und  nd.  spräche  s.  103 fg.,  publikum, 
für  welches  das  buch  bestimmt  ist,  s.  104. 
anteil  der  hd.  spräche  an  der  nd.  litte- 
ratur s.  104fg. ,  ursprüngliche  spräche 
des  Sachsenspiegels  s.  105  fg. 

Scheffer  vgl.  Ängelus  Silesius. 

Schottelius:  Friedens  sieg  s.  141  fg. 

Schuhart  vgi.  Bürger. 

Schubert,  Karl  Emil,  vgl.  Bürger;  vgl. 
minnesang. 

schwankbuch  des  16.jhs.:  s.81fgg.,  quellen 
s. 82 fgg.,  moralische  tendenz  s.  84 fgg..  der 
Sammler  Polychorius  mit  dem  Mainzer 
buchbändler  Cammerlander  identisch 
s.85. 

Seh warzenberg:  Das  büchleiu  vom  zu- 
trinken s.  533  fg. 

Schweiz:  etymologie  v.  Ortsnamen  s.  142 fg., 
Sprachgrenze  s.  143  fg. 

Seefahrer  vgl.  Wanderer. 

Siegfriedsage  vgl.  Hürnen  Seyfrid. 

Sigrdrifumäl:  echtheit  der  Strophen  22  —  37 
s.  289  fg. ,  Interpretation  der  Strophe  21 
s.  290,  schluss  der  Sigrdr.  s.  290  fg., 
302 fgg.,  Verteilung  der  echten  Strophen 
s.  291  fg.,  mischung  verschied.  Strophen- 
formen s.  291  fg.,  die  eigentlichen  Sigrdri- 
fumal s.  292  fg.,  Zusammenhang  zwischen 
Strophe  20  —  21  und  22  —  37  s.  294 fgg., 
Zusammenhang  dieses  Stückes  mit  den 
Strophen  3  und  4  s.  297  fgg. ,  composition 


n.    VERZEICHNIS    DER    BESPROCHENEN    STELLEN 


575 


der  ursprünglichen  Sigrdr.  s.  301  fg.,  Ver- 
hältnis der  Sigrdr.  zu  den  übrigen  über- 
lieferungeu  der  sage  s.305fgg.,  Brynhildr 
und  Sigrdrifa  eine  gestalt  s.  321 ,  die 
runenstrophe  der  Sigrdr.  s.  324 fgg. 

skandinavische  lehnwörter  im  mittelengl. 
8.  9ö  fgg. 

spielleute  im  deutschen  altertum  s.  126  fg. 

syntax:  fehlen  des  Subjektpronomens  beim 
persönlichen  zeitwort  s.  145 fgg.,  gänz- 
liches fehlen  s.  146 fg.,  s.  156,  ergän- 
zung  aus  der  Umgebung  s.  147  fgg. ; 

gebrauch  des  neutralpronomens  ex 
s.  344fgg.,  unpersönliche  Zeitwörter,  die 
mit  ex  verbunden  sind,  s.  348  fgg.,  solche, 
bei  denen  ex  nicht  steht,  s.  352 fgg.; 

Zeitfolge  im  conjunctivischem  neben- 
satz  s. 224 fgg.,  gesetz  der  mechanischen 
regelung  der  Zeitfolge  gilt  auch  im  mittel- 
niederdeutschen s.  226  fg. ,  Zeitfolge  im 
nhd.  s.  227 fgg.,  gründe  für  die  auflösung 
der  mechanischen  Zeitfolge  s.  229,  Zeit- 
folge in  den  vergleichungssätzen  mit 
sam,  als  usw.  s.  229,  im  mittelnieder- 
ländischen s.  229  anm.; 

causalsätze  bei  den  minnesängern 
s.  330fgg. 

Volkskunde:  Schlesien  s.  568 fgg. 

Volsunga-saga:  quellen  des  abschnittes 
capp.  26  —  29  s.  464  fgg. 


Wagenseil  vgl.  Bürger. 

Walther  von  der  Vogelweide  s.  567  fg. 

Wanderer:  wiedergäbe  des  inhalts  s.  lfgg.. 
jüngere  Zusätze  s.  4 fgg.,  analyse  der 
interpolation  z.  58  —  87  s.  11  fgg.,  ur- 
sprüngliche und  spätere  teile  des  „See- 
fahrers" s.  14fg. ,  beziehungen  zwischen 
Wanderer  und  Seefahrer  s  15  fgg. ,  be- 
arbeiter  des  Wanderers  und  compilator 
des  Seefahrers  diegleicheperson  s.  17fgg., 
der  dialog  im  Seefahrer  s.  20.  Überein- 
stimmung der  klage  im  Seefahrer  mit 
dem  Wanderer  s.  20  fgg. ,  die  drei  alten 
dichtungen  im  Wanderer  und  Seefahrer 
s.  26. 

Wehrs  vgl.  Bürger. 

Wezel,  Job.  Karl,  s.  273 fgg. 

AViutnawer  s.  363 fg. 

AVolfram:  Parzival  s.  237  fgg. .  Am  berger 
Parzivalfragmente  s.  244  fg. ,  eingangdes 
Parzival  erklärt  s.  130fgg. ,  entstehungs- 
zeit  des  Titurel  s.  196  fgg. ,  schluss  des 
Willehalm  s.  197  fgg. ,  Titurel  in  der 
arbeitspause  zwischen  dem  8.  and  9.  buch 
des  Willehalm  rerfassl  s.  200  fgg,  gründe 
für  den  abbruch  der  Willehalmarbeit 
s.  201.  aufhören  der  arbeit  am  Titurel 
s.  203,  Chronologie  der  werke  Wolframs 
s.  203. 

Wulfila:  quellen  der  bibelübersetzung 
s.  433  fgg. 


IL     VERZEICHNIS  DER  BESI'IK  »<  II  KNKN   STKLLKX. 


Fäfnismäl: 

( rudrun: 

Gudrun: 

32  -  39  s.  291  fg. 

323,2  b.34. 

Bl  1,3  b.41. 

40  —  44  s.  305  fg. 

331,4  s.35 

961,4  b.41. 

Gudrun: 

339,  4  s.  35. 

3,4  s.  42. 

1,4  s.  28. 

341,3  s.  35. 

1006      -   i ■' 

10,1  s.28fg. 

342,  1  s.35  fgg. 

L104,  1   e 

48,  3  s.  29. 

354 1 

1109,3 

57,  4  s.  29. 

365,4  3.  37. 

1 125 fgg.  s.44. 

85      s.  30. 

381,2  s.37. 

1195,4  s.  44. 

116,  2  s.  30. 

398,  1  s.  37. 

L247,  2  i 

118,4  s.  30. 

449,2  S.37  fg. 

1372.  !    B.  15. 

L93,  1  s.  30. 

481,  I  s.38. 

L385      -    i  • 

246,4  B.30fg. 

508, .;  8.38. 

1412,1  e    15. 

249,4  s.31. 

i; 1 1,3  s.  38. 

1428,  i 

280,4  s.31. 

649,4  s.  38fg 

i  163      -  16 

288      s.32fgg. 

667,2  8.39 

1523,3      46. 

301       s.  34. 

681,  I  b. 

6  2  b.  46. 

302,  4  s.  3 1 . 

685,  i  s.  39 

Beinrichslied: 

303,  4  s.  32. 

720,  l.  2  s.  391 

V.     . 

314,2.3  s.31. 

.::..  I  a.40. 

I  ..Lii  i  i ii : 

316       s.  34. 

805,  i   s.  K)fg 

\    n.    BIO 

321.4  s.  34. 

838,2  B.41. 

8,249 

I II') 


576 


Jll.    WOHTKKGl    ii.i. 


Laurin : 
a  60      250. 
A  259     262  8.251, 
D  lo'.tl  8.251. 
K  I   1777   8.250 


Minnesangt    1'  i  iihling: 

206,  L0     L9 
Oddrunargrätr: 

17,5     8  B.3l2fg. 
Parzival : 

einganj     •■!  e  s.  KJOfg^. 


Reuter,  Fritz: 

s.  .  i  ! 
Vglsungasaga: 

V^luspä : 

51   b    W5 


in.    \voktkk<;istkr. 


Althochdeutsch: 

bouz  s.  233. 
elsunt  s.  234. 

Mittelhochdeutsch. 

kint  s.  400. 
zwivel  s.  130. 

Mitteleiiprlisfh : 

basken  s.  lOOfg. 
pasken  s.  111. 
rusken  s.  111. 


Neuenglisch: 

brash    s.  111.     box    s.  l 
clash  s.  1 1 1 .  crash  s.  1 

dosh  s.  1 1 1 .    i.i  I 

iisk  b.  Hl.  ßash  b.  1 
ilisk  s.  111,  flosb  s.  1 
frisk  s.  111 ,  goasb  s.  1 
bash  s.  11 1 ,  lnsk  s.  1 
husli  s.  111.  husk  s.  1 
lash    8. 111,     ]ius!l   s.  1 

'quash  s.  111.  rash  s.  1 
smash  s.  111,  swash  B.  1 
whisk  s.  111,   yux  s.  1 

Neuhochdeutsch: 

aberglaube  s.  91. 


Buchdruckerei  des  Waisenhauses  in  Halle  a.  S. 


0 


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PF  Zeitschrift  für  deutsche 

3003  Philologie 

Z35 
Bd. 35 


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