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ZEITSCHRIFT
FÜR
DEUTSCHE PHILOLOGIE
BEGRÜNDET von JULIUS ZACHER
HERAUSGEGEBEN
VON
HUGO GERING UND FRIEDRICH KAUFFMANN
FUNFUNDDREISSIGSTER BAND
vk.i
w
HALLE a. S.
VERLAG DER BUCHHANDLUNG DES WAISENHAUSES
1903.
Pf
3 003
Sc/, 3f
INHALT.
Seite
"Wanderer und Seefahrer. Von R. C. Boer 1
Beiträge zur kritik und erklärung der Gudrun. II. Von Fr. Panzer . . . . 28
Über das lied vom Hürnen Seyfrid. Von Chr. A. Mayer 47. 204
Konrad Maurer. Von W. Golther 59
Beiträge zur mittelhochdeutschen syntax. Von E. Bernhardt . . . . 145. 343
Das Dorotheaspiel. Von Heinr. Schachner 157
Die entstehungszeit von Wolframs Titurel. Von Karl Helm 19G
Sigrdrifumäl und Helreiö. Von E. C. Boer 289
Über causalen ausdruck in Minnesangs frühling. Von James Hey mann . . 330
Aus deutschen handschriften der königl. bibliothek in Brüssel. Von R. Priebsch 362
Eine mittelhochdeutsche Übersetzung des Lebens der väter. Von Reinh. Nehert 371
Beiträge zur quellenkritik der gotischen bibelübersetzung. VI. Die Corinther-
briefe. Von Fr. Kauffmann 433
Über die quellen von c. 26 — 29 der Vojsunga saga. Von R. C. Boer . . . 464
Zur frage nach den quellen des Opus imperfectum. Von Fr. Kauffmann . . 483
Zu den quellen Heinrich Kaufringers. Von A. L. Stiefel 492
Die Berliner liederhandschrift vom jähre 1568. Von Arthur Kopp .... 507
Miscellen.
Die ersten versuche einer nachahmung des altdeutschen minnesangs in der neueren
deutschen litteratur. Von Rud. Sokolowsky 71
Zu Johann Oldekop. Von Karl Euling 80
Ein unbekanntes schwankbnch des 16. Jahrhunderts. Von A. L. Stiefel . . 81
Zur kenntnis der altd. litteratur (Ein lied aus den Carmina Burana; Eint' mhd.
strophe; Zum Baum garten berger Johannes baptista). Von Konrad Schiff -
mann 86
Zum ahd. Heinrichsliede. Von F. Holt hausen 89
Zu Goethes gesprächen. Von Fr. Kauffmann 90
Klopstock, Gleim und die Anakreontiker als nach dichter des altdeutschen minne-
sangs. Von Rud. Sokolowsky lMl'
Hartmanns kreuzlieder und MF 206, 10—19. Von P. Machule 396
Zur titteneinteilung des Heliand. Von Willi. Brückner 533
Zu Fischarts bilderreimen. Von Anton Englert
Zu Gottfr. Aug. Bürger. Von Erich Ebstein 540
Litteratur.
A. Wuttke, Der deutsche volksaberglaube der gegenwart, bearbeitet von E. H.
Meyer; von Fr. Kauffmann 90
E. Hoffmann-Kraycr, Die Volkskunde als Wissenschaft; von Fr. Kauffmann \<\
R. Andree, Braunschweiger Volkskunde2; von Fr. Kauffmann
E. Björkman. Seandinavian loan-words in Middle English; von 0. Binz . . 96
P. Herrmann, Deutsche mythologie; von Fr. kauffmann ld
G. Roethe, Die reimvorreden des Sachsenspiegels; von G. Ehrismann . , hr2
K. Drescher. Arigo der Übersetzer des Decamerone und des Fiore di virtfi;
von G. Ehrismann 106
H. Badstüber, Die nomina agentis auf -<sre bei Wolfram und Gottfried; von
G. Ehrismann 113
IV INHALT
Seite
P. Tr. Schulz, Typischei der Heidelberger liederhandi chrift; von G. Ehrismann 114
M. J.van der Meer, Goti ob ataxis I; von II. Reis 120
W. Meyer. Der gelegenheil dichter Venantius Fortunatus; von Fr. Kauf f mann 124
A. Schaer, Die altdeutschen Eechter und spii m W. Brückner . . . 125
II. G.Graf, Goetlio über sein- dichtungen; von ES. liruhn 127
A. Noltc, Der cingang des Parzival; von \. Leitzmann 129
L. P. Betz, La litterature comparee; von IL Drescher ... .... L38
A. Polzin, Studien zur geschichte des deminutivurns im deutschen-, von M. Jl.
Jellinefc 140
•I. <!. Schottelius, Friedens sieg hrg.von Fr. ES. Koldewey; von M.H. Jellinek 141
J. Zimmerli, Die deutsch -franz. Sprachgrenze in der Schweiz III; JI. Morf,
Deutsohi und Romanen in der Schweiz; Tappolet, I stand der
mundarten in der deutschen und französischen Bchweiz; von II. Suchier 142
0. Behaghel, Der gebrauch der Zeitformen im ennjunet. nebensatz des deutschen;
von 0. Men sing 224
E. Steinmeyer und E. Sie vers, Die ahd. glossen III. IV; von II. l'alander 230
AVolframs von Esehenbach, Parzival u. Titurel hrg. von E. Martin; von
A. Leitzmann 287
A. Beck, Die Amberger Parzivalfragmente; von A. Leitzmann ..... 244
Kudrun hrg.von E. Martin2; von Fr. Panzer 245
S. Benedict, Die Gudrunsage in der neueren deutschen litteratur; von Fr. Panzer 247
Laurin und der Kleine Rosengarten hrg.von G.Holz; von W. Uhl . . 248
E. Consentius, Lessing und die Vossische zeitung; von A. Schöne . . . 255
Friedrich der grosse, De la litterature allemande hrg. von L. Geiger2;
Justus Moser, Über die deutsche spräche und litteratur herausg. von
C. Schüddekopf; von Hashagen 259
R. Tombo, Ossian in Germany; von W. Golther 285
A. Olrik, Om Ragnarok; von Fr. Kauffmann 402
Fr. Gotthelf, Das deutsche altertum in den anschauungen des 10. und 17.
Jahrhunderts; von Fr. Kauffmann 407
H. May, Die behandlungen der sage von Eginhard und Emma; von Fr. Panzer 407
G. F. Benecke, Wörterbuch zu Hartmanns Iwein3 bes. von C. Borchling;
von Fr. Panzer 412
Luthers sprichtwörtersammlnng hrg. von E. Thiele; von A. E. Berger . . 413
Luthers vermischte Schriften weltlichen Inhalts hrg. von R. Neubauer2; von
A. E. Berger 418
M. Gorges, Mittelhochdeutsche dichtungen; von G. Rosenhagen ..... 419
E. Martin und H. Li en hart. Wörterbuch der elsässischen mundarten I; von
M. Erdmann 421
Joh. von Schwarzenberg, Das büchlein vom zutrinken hrg. von W. Scheel;
Johann Fischart, Das glückhafte schiff hrg. von G. Baesecke; von
A. Hauffeu 553
A. Ölinger, Deutsche grammatik hrg. von W. Scheel; von H. Wunderlich 556
Ang. Silesius, Heilige seelenlust hrg. von G. Ellinger; von L. Pariser . . 559
H. v. Kleist, Michael Kohlhaas hrg. von E. Wolff; von R. Schlösser ... 560
H. Roetteken, Poetik I; von Th. A. Meyer 562
Jean Pauls briefwechsel mit seiner frau und Chr. Otto hrg. von P. Nerrlich;
von R. M. Meyer 565
K. Burdach, Walther von der Vogelweide; von W. Golther 567
Fr. Vogt, Die schlesischen weihnachtsspiele ; von AV, C reizen ach . . . . 568
B. Patzak, Er. Hebbels epigramme; von R. M. Meyer 570
Nachträge und berichtigungen 429
Neue erscheinungen 286. 430. 571
Nachrichten 144. 288. 432
Register von W. Beese 573
WANDERER UND SEEFAHRER,
I.
Analyse des 'Wanderers'.
Fünf zeilen sagen aus, dass der änhaga, der über das kalte meer
fährt, des scböpfers hülfe von nöten hat. Das geschick ist sehr grau-
sam (?). Z. 6 führt den eardstapa ein; er spricht: „Morgens klage ieh
einsam meine not (8-9); es lebt keiner, dem ich mein innerstes mit-
teilen kann (9 — 11). Ich kann aus eigener erfahrung sagen: das ist
eine sitte, welche für einen eorl sich ziemt, dass er sein herz fest ver-
schliesst, — er möge denken, was es sei (11 — 14). Ein herz, welches
der trauer sich hingibt, vermag dem geschick keinen widerstand zu
leisten" (15—16). — Über z. 17 — 18 vgl. unten. — „So habe ich
unglückseliger, meiner heimat beraubt, fern von meinen verwandten,
oft mit fesseln mein gemüt verschlossen, nachdem vor langem die erde1
meinen2 herrn bedeckt hat und ich verachtet über das meer führ, den
saal eines schatzgebers suchend, ob ich nah oder fern (einen solchen?)
finden konnte, der in der halle an liebe dächte und mich armen trösten
wollte (19 — 28). Wer das empfunden hat, weiss, welch ein grausamer
gefährte der schmerz ist für denjenigen, der keine teuren freunde hat
(29 — 31). Die Verbannung, kein goldschmuck, ein kaltes herz, kein
erdenglück wird ihm zu teil (32 — 33) s. Er erinnert sich an den saal, die
männer4, die schatzgebung, wie in seiner Jugend sein goldfreund ihn
festlich bewirtete. Die herrlichkeit ist vorüber (34 — 36)." Über
z. 37 — 38 vgl. unten. — „Dann wird der arme änhaga oft durch schlaf
und schmerz überwältigt (39 — 40). Er glaubt seinen herrn zu streicheln
und zu küssen, haupt und bände auf dessen knie zu legen, wie et früber
1) hruscm heolster biwräh, 1. hn'tse biivrdk?
2) Statt mine ist mit Ettmüller m'nnh zu lesen.
3) warafi hinc vn<<-l,isl usw. Anstatt hinr lese ich ki. Oder ist das richtige
kirn (Rieger)?
4) sele, seegas, so Rieger und Gr. (Bibl.). Oder 1. selesecgas mit Gr. (Germ. 10)
und Sweet? Der eardstapa wird kaum seine" vertfanäte*i als 'aulioos, domesticos' be-
zeichnen (vgl. seleßegen). — Dass z. (Ü2 von magitßög'rtäs redet, hat keine beweiskraft,
vgl. unten s. 5fgg.
ZETTsrnmKT K. DEUTRCTTR PHTT.OT.OOTK. BD. XXXV 1
widerholt zu tun pflegte, wenn er in alten tagen geschenke empfieng
(41 — 44)'. i);mii erwachl der wineUas guma; \<>r ihm breiten sich
die falben wogen (45— 46)2; er sieht seevögel Bicb baden und die flügel
ausbreiten (47); er aiebl reif und schnee fallen, mit bagel gemengt
Dann worden die durch den verlust der teuren entstandenen schmerz-
haften berzenswunden um so schwerer zu ertragen; die sorge kehrt
zurück (49 — 50). Dann durchwühlt die erinnerung an die verwandten
die brüst; er weint freudentränen8; eifrig schant er um sich (51— 52);
die scliaar der freunde entschwindet widerum (dem blicke), die menge
der schwimmenden, und sie bringen dort Dicht riele bekannten grüsse (53
bis 55a)4. Der schmerz erneuert sich dessen, der jedesmal Bein be-
trübtes herz ofer wapema gebind senden muss (55b — 57). a J'i> dahin
erzählt nicht der dichter sondern der von ihm z. 6 eingeführte eardstapa.
i) Mit Thorpe 1. giefstöles anstatt giefstolas.
2) fealwe wegas i. e. wdegas, vgL Sweet in den anmerkungen; fealone wdg auch
sonst, s. Gr. s. v. fealo.
3) greteS gliwstc&fum. gliwstcef, zeichen der freude: zum ausdrack vgl. nltn.
grata hdstofnm. ce/pa hdstqfum.
4) Die nicht ganz richtig überlieforte stelle wurde von den herausgebern nicht
verstanden und falsch interpungiert. secga geseldan, nom. oder acc. pl., 'aus männern
bestehende genossen', d. h. 'schaar der freunde' (gesrlda, socius). Wenn secga geseldan
subject zu swimmad ist, so ist geondsceaiceS intransitiv, 'schaut um sich'. Doch
sind alle Zusammenstellungen mit geond- transitiv, s. Gr. I, 498; vgl. zumal das nahe-
stehende gcondseon; auch geondsceawian an der einzigen stelle wo es ausser hier
vorkommt, s. Bosworth- Toller 426a. Es liegt also auf der hand secga geseldan als
object zu geondsceawad> aufzufassen: 'er blickt eifrig nach ihnen aus' (um die traum-
bilder deutlicher zu sehen). Wenn das richtig ist, hebt der neue satz mit swimmad,
nicht mit secga an. Dann folgt swimmad eft onweg. Das verbum swimman ist
sehr richtig gewählt, denn das traumbild entschwindet über das meer, an dessen
strande der wineleas guma sitzt (vgl. 46 — 48). cft, wie auch das bild des mondryhten
entschwunden ist. Im folgenden fleotendra ferd ist ferä zu emendieren zu ferd, i. e.
I'icrd, fyrd, agmen, exercitus. "Wer glaubt, dass geondsceawad absolut steht, und
dass secga geseldan das subject zu swimmad ist, muss fleotendra ferd als appositiou
dazu auffassen, fleotende heissen die männer, nicht weil sie im leben Seefahrer waren,
sondern weil sie onweg swimmad. Das bild ist schön durchgeführt, bringet steht
dann im singular durch anlehnung an das collectivum ferd. Doch glaube ich. dass
fleotendra ferd subject, und dass sivimmad ein fehler ist für swimmeS, welcher sich
aus einer irrigen auffassung des secga geseldan als subject erklärt. Auf keinen fall
ist es richtig, mit "Wulker und Sweet nach omeeg semicolon oder sogar colon und
zu gleicher zeit nach ferd nichts zu schreiben. — nö fcla cüdra ewidegiedda, denn
das traumbild spricht nicht. — Ich lese demnach wie folgt:
georne grondsceatvad
secga geseldan. SwimmeS eft onweg
fleotendra ferd, nö peer fela hringed
cüdra cw ideg iedda .
WANDBRER ÖNB SF.F.FAHKRR
Das object der erzählung ist der ivineleas guma (45), und zwar von
z. 30 — 31 (l>äm Jjc htm lyt hafats Uofra geholena) an. Dieser ist frei-
lich mit dem eardstapa identisch; der eardstapa aber hält ihn mit grosser
epischer Selbständigkeit dadurch, dass er durchgehend von ihm in der
dritten person redet, von sich fern. Auf einmal fällt nun der eardstapa
z. 58 aus der rolle. Aus der dritten person geht er in die erste über,
und zu gleicher zeit vernehmen wir nichts mehr von seinen noch von
des ivineleas guma subjectiven empfindungen, sondern es folgen all-
gemeine betrachtungen ,, Darum kann ich in der ganzen weit keinen
grund finden, weshalb ich nicht betrübten herzens sein sollte, wenn ich
das ganze leben der eorlas erwäge, wie plötzlich die mutigen helden
starben." Wäre hier noch ein zweifei berechtigt, ob von allen eorlas
ohne unterschied die rede ist, oder ob das praeteritum auf die ver-
wandten des ivineleas guma deutet, das folgende (62 b — 63) lässt nur
eine auffassung zu. „So fällt diese weit jeden tag hin". Es folgt eine
Schlussfolgerung, welche man kaum erwartet hätte. „Darum kann ein
mann nicht weise Averden, bevor er einen (guten) teil der winter in der
weit (erlebt) hat." Das klingt einigermassen sententiös, und unmittelbar
daran schliesst sich eine reihe sprüche, welche lehren, welche fugenden
ein wita besitzen soll, dass ein beorn nachdenken soll, bevor er spricht,
dass ein vernünftiger mann erwägen soll, wie geistlich (er??) ist [(73)
ist die absieht zu sagen: wie nur das geistliche bleibt?], wenn der weit
Herrlichkeit vergeht; und dieser gedanke führt zu der z. 63 erwähnten
tag für tag alternden weit zurück; z. 75fgg. heisst es: „so stehen nun
an mehreren orten in dieser weit wälle, durch die der wind weht, mit
reif bedeckt; häuser liegen in schutt; weinsäle verfallen; ihre besitzer
liegen des glückes beraubt (tot) (79); alle stolzen krieger sind bei dem
walle gefallen (80); einige nahm der kämpf fort; andere trug ein vogel
[nach einigen interpretatoren 'ein schiff' (vgl. s. 6 anm.)] hin über das
hohe meer; einige tötete (?) der graue wolf (vgl. s. 6 anm.); einige be-
grub weinend ein eorl in ein grab (80 b — 84). Auf diese weise hat
der schöpfer diese wohnstätte (oder diese erde? pisne eardgeard) verödet,
bis die alten riesenschöpfungen (die gebäude) der burgbewohner leer
standen ohne jubel (85 — 87)." Hier lenkt die Überlieferung wider in
die z. 58 verlassene spur ein. „Dieser betrachtet dann in seinem an er-
fahrungen reichen gemüte1 diese ruine (pisne wealsteal) und dieses
finstere leben, weise im gemüte (fröd in ferhe wise geflöhte) ; oft
denkt er an die vielen schlachten zurück, und er spricht die folgenden
worte (88 — 91): lWo kam das pferd bin, wo der mann, wo der schatz-
1) geflöhte verstehe ioh mit Grein als substantivum ; wise instr, -
1*
geber? Wo sind die festsäle geblieben, wo die freude in der halle V
Ach, glänzender becher! acb, panzerkämpfer! ach, dem forsten dienende
schiir! Wie ist die zeil vergangen, verschwunden unter der bulle der
nacht, als wäre de niedagewesen! (92 96) Auf der spur der teuren
schar (d.h. an dem orte, wo sie gefallen) steht jetzl ein wunderhoher
wall (ein denkmal, vgl. s. 7), mit Schlangenbildern geschm ickl (97 98);
die männer oabra die krafl der äpeere fort, die nach toten verlangenden
waffen, das mächtige geschieh (99 -100); und stürme schlagen wider
die steinmassen (101); tobendes wetter, des winters ungestüm, bält die
erde in knechtschaftJ; dann kommt der beengende finstere schatten der
Miicht und sendet vom norden her wilde hagelschauer, den helden zum
höhn (anda, vexatio; 102 — 105). Das ganze erdenreich is< voller be-
schwerdon; das geschick wendet die well unter dem himmei. Hier sind
besitztümer vergänglich; hiev ist der freund vergänglich; hier i>t der
mensch vergänglich; hier ist der verwandte vergänglich: dieser ganze
erdenraum ist eitel' (106 — 109). So sprach der im gemüte weise; er
setzte sicii abseits und sann (111)". Es fplgen noch einige spräche
(112 — 115), welche mahnungen enthalten zur treue, zur mässigung in
zornesäusserungen, falls keine aussieht auf räche vorhanden ist; schliess-
lich eine Seligsprechung dessen, der sein glück beim himmlischen vater
sucht, in dessen hand unser aller heil ruht.
Es ist klar, dass der wineleas guma, über den der eardstapa z. 31
zu reden anfängt, und den er z. 58 aus dem äuge verliert, gegen das
ende des gedichtes wider auftritt. Z. 91 steht: päs word ucicih. und
darauf folgt die klage über pferd, mann, schatzgeber usw., welche z. 110
mit der bemerkung über die eitelkeit alles irdischen schliesst. Hier
sind zwei auffassungen denkbar. Entweder sind päs word äcitib worte
des dichters und z. 92 — 110 werden vom eardstapa gesprochen, den er
z. 6 — 7 sprechend einführte. Oder der eardstapa spricht päs word äcwfiS,
und was folgt, sind worte des wineleas guma (z. 31. 45). Im ersteren
fall hat der dichter selbst z. 58 den eardstapa, der erzählte wie dem
wineleas guma bei seinen visionären träumen zu mute war, unter-
brochen, und er hat es für notwendig erachtet, ihm von neuem das
wort zu geben und zu motivieren, dass er zu reden anhebt. Die einzig
1) hrüse. 1. mit Sweet hrüsem. Die interpunetion ist:
101: and ßäs stdnhleopu stormas cnyssaÖ;
hriS kn'osande hr/isan bindet,
wintres wöma; ßonne ivon eymeS,
nipeS nihtscua usw.
WANDERER UND SEEFAHHEK
richtige motivierung aber wäre diese, dass der dichter mit seinen eigenen
beraerkungen fertig war; wir vernehmen statt dessen, dass der eardstapa
zu reden anhebt, weil er einen wealsteal betrachtet, weil er über das
düstere leben nachdenkt, und weil er sich an frühere schlachten erinnert.
Das ist doch keine weise, jemand, den man selbst unterbrochen hat.
seine rede fortsetzen zu lassen. Und was der eardstapa dann sagt, ist
auch keineswegs eine mögliche fortsetzung seiner unterbrochenen rede.
„Wo sind pfercl, mann usw. hingekommen?" Hat er denn zuvor
pferd, mann usw. gesehen? Keineswegs. Also ist es auch nicht der
eardstapa, der spricht: 'Hurer civom mearg' usw.; im gegenteil. die worte
päs word äcivib sind worte des eardstapa, und damit führt er den
wineleas guma, von dem er bisher in der dritten person gesprochen,
redend ein. Dem widerspricht nicht, dass z. 110 mit der rede des
wineleas guma auch die des eardstapa schliesst, denn dieser hat seiner
erzählung von dem ivineleas guma, der ja niemand anders als er selbst
ist, nichts hinzuzufügen, und er schweigt daher, sobald seine in der
klage über die Vergänglichkeit alles irdischen culminierende erzählung
zu ende ist. Nun sind z. 92 fgg. durchaus dazu geeignet, von dem
ivineleas guma gesprochen zu werden. Denn diesem hat ein traum-
gesicht sich gezeigt. Er glaubte seinen herrn zu sehen; er erwachte
und sah nur badende seevögel. Er glaubte sodann seine verwandten
zu sehen; er erwachte, und die erscheinung glitt über das meer fort,
wo seine gedanken ihr folgen (56 — 57). Fürwahr, dieser mensch hat
guten grund zu fragen: wo sind sie hingekommen, mann, pferd, herr.
saal — die ganze ausmalung ist nur eine weitere ausführung des vorher
kurz skizzierten traumbildes. Aber das bewusstsein kehrt vollständig
wider, und das hivcer civom, das sich im gegebenen Zusammenhang
nicht direct auf die Wirklichkeit, sondern auf die Scheinwirklichkeit des
traumes bezog, geht in ein ed 14/ über.
Es wäre nun in der tat höchst auffällig, wenn der eardstapa^ der
das wesen des ivineleas guma so tief auffasst und so plastisch vor äugen
führt, der es auch nicht für notwendig erachtet, der klage seines beiden
ein einziges wort hinzuzufügen, seine erzählung auf ihrem höhenpunete
unterbrochen hätte, um mitzuteilen, von welcher beschaffenheil der Lau!
der weit ist, und wie ein wita und ein beorn sich zu betragen haben.
Und doch muss man sich jene rerse, ';,"s s'<-> /u dem ursprünglichen
gedichte gehören, als einen teil der rede des eardstapa verstellen: als
directe äusserung des dichters haben sie gar keinen zweck und stören
den Zusammenhang weit mehr, denn nicht nur die mitteiluug, dass der
eardstapa zu reden aufhört, sondern auch die in solchem falle uneni-
6 BOBB
behrliche nachricht, dasa er wider anhebt, fehlt. Aufgrund diesei er-
wägungen ist man, wie ich glaube, rollständig dazn berechtigt, /.. '^
bis 87 für einen jüngeren zusatz, für den in der Ökonomie des gedientes
kein platz vorhanden ist. zu erklären1.
Di«' person, welche z. 88 w' genannt wird, isl also der ivineUas
guma aus z. 31 — 57. Das pronomen genügt kaum zur bezeichnung
einer person, von der in den letzten 30 /.eilen (58 — 87) nichl die rede
war. A i m ■)■ es ist doch eine art hinweisung, und mau darf ruhig be-
baupten, dass, wenn es unter diesen umstünden kein leichtes ist zu
verstehen, auf wen z. 88fgg. sich beziehen, solches vollständig unmög-
lich wäre, wenn das pronomen nicht dastünde. Wenn aber z. 58 — 87
ursprünglich nicht zu diesem gedichte gehörten, so war eine solche hervor-
hebung einer person, welche das subject des unmittelbar vorhergehenden
Satzes war, wenigstens überflüssig. Dass se tatsächlich ein zusatz des
interpolators ist, der die anfangs- und Schlusszeilen von z. 58—87
schrieb, beweist nun der parallelismus im ausdruck mit den ursprüng-
lich vorhergehenden zeilen.
] I Kino nähere betrachtung dieses absehuittes folgt in einem anderen zusammen-
hange. Hier weise ich noch auf den Widerspruch, in dem z. 80 — 84 mit ihrer an-
geblichen aufzählung von todesarten mit den echten zeilen 7 und 91 stehen. Die
verwandten des wincleas guma sind im kämpfe oder sonst nirgends gefallen, vgl. auch
z. 97 — 98 (z. 99 — 100, welche gleichfalls von mehreren todesarten nichts wissen,
übergehe ich aus gründen, welche sicli später ergeben werden). Unter solchen um-
stünden will es mir nicht einleuchten, weshalb der vogel z. 81 sutiu/c oßbeer, als
ein schiff erklärt werden soll, bloss damit der interpolator nicht menschen von
einem vogel über das meer tragen lasse, denn er gibt uns wol härtere nüsse zu
knacken, und ein märchen dieses inhalts kann ihm leicht bekannt gewesen sein, wenn
er auch niemals von Hagen, dessen Jugendgeschichte Wülker, Grundr. d. gesch. d. ags.
litt. s. 206, ohne grund in diesem zusammenhange anführt, gehört hatte. — Bezeichnend
ist der umstand, dass der interpolator seiner eigenen aussage widerspricht, denn wenn
(l)if)iii) eal gecrong wlonc bi ivealle (79b — 80a), wer bliebe dann gespart, um auf eine
andere weise sein leben zu verlieren? Übrigens glaube ich nicht, dass in diesem
wirren gerede eine aufzählung aller denkbaren todesarten beabsichtigt worden ist;
namentlich scheint mir die Übersetzung deaSe gedcelde 'übergab dem tode, tötete1,
trotz Andreas 955 sehr zweifelhaft; auf den wolf angewendet, dem es um einen frass,
nicht um ein opfer für den tod zu tun ist, ist das eine sehr verschrobene ausdrucks-
weise, angenommen, dass sie an sich möglich ist. — Ist vielleicht deade geddlde
'teilte mit dem tode' so zu verstehen, dass diesem die seele, dem wolfe der körper zufiel?
Natürlich auf dem schlachtfelde. Dann müsste man vielleicht z. 80 ealle für stime lesen
(eal geht z. 79 unmittelbar voran, und summe folgt z. 81. 82. 83), und der sinn der
ganzen stelle wäre : „ alle nahm der kämpf fort (79) ; einige trug (nachdem sie gefallen)
ein raubvogel (adler, rabe, meinetwegen der Seeadler) über das meer dahin; andere
frass der wolf; einige (diejenigen unter den gefallenen, welche nicht von den raubtieren
verspeist wurden) begrub ein eorl.
WANDERER USD SEEFAHRER
Der eardstapa erzählt die ernpfindungen des ivineleas guma in
chronologischer reihenfolge; jedesmal wird die mitteilung mit demselben
worte eingeleitet: z. 39: tonne sorg and slcep . . . earmne anhogan
oft gebindat; z. 45: tonne onwcecnet; z. 49: ponne beot py heßgran
heortan benne ; z. 51: ponne mäga gemynd mod geondhweorfeÖ1. Daran
schliessen sich in völlig gleicher weise z. 88fgg.: ponne . . . geond-
pe ncet, . . . oft gemon wcelsleahta worn. Dieser parallelismus liefert
einen neuen beweis dafür, dass oben z. 58 — 87 mit vollem rechte aus-
geschieden wurden.
Es sieht aus, als habe der interpolator an dieser stelle sich nicht
damit begnügt, das pronomen se hinzuzufügen; er hat, wie es scheint,
auch versucht einen gewissen Zusammenhang mit seiner interpolation zu
stände zu bringen. Formelle einwendungen, welche sich wider z. 88 — 89
erheben lassen, werden ihre beweiskraft nur einer näheren betrachtung
des ganzen entlehnen. In bezug auf den inhalt ist zu bemerken, dass
die beiden Zeilen sich weder auf z. 57 noch auf das was folgt, sondern
auf das unmittelbar vorhergehende beziehen, pisne wealsteal (88), „diese
m auer statte " scheint eine ruine zu bezeichnen. Nun ist z. 86. 87 von
einer ruine die rede, und auch z. 76fgg. beschreiben eine solche, aber
das ursprüngliche gedieht weiss davon nichts. Der wineleas guma sitzt
am meeresstrande (z. 57) und aus z. 98 lässt sich folgern, dass in der
nähe ein grabmal sich befindet2, obwol er dasselbe erwähnen kann,
auch wenn er nicht selbst am orte steht. Aber obgleich zweimal von
wcelsleahtas die rede ist, dass die bürg des herrn zerfallen ist, wird
nirgends berichtet. Man könnte fragen, ob pisne wealsteal nicht auf den
iceal wundrum he'ah sich beziehen kann. Abgesehen davon, dass das eine
wunderbare bezeichnung eines unversehrten grabmals wäre, verbietet auch
pisne (88), welches auf das unmittelbar vorhergehende weist, eine solche
auffassung. Z. 88 — 89 hängen also mit 58 — 87 zusammen. Das beweist
nun nicht, dass 58 — 87 echt, sondern dass auch 88 — 89 unecht sind.
Denn es ist auch zwischen 88 — 89 und 90 ein directer Widerspruch in
der ausdrucksweise vorhanden. Aus z. 90 geht nämlich hervor, dass die
betrübte Stimmung nicht ein einziges mal durch den einmaligen anblick
einer bestimmten statte, sondern widerholt durch das verschwindende
1) Dieser parallelismus zeigt deutlich, welche iuterpunctiou des betreffenden
abschnittes die richtige ist: jedesmal hebt mit ponne ein neuer satz an. Falls die
herausgeber darauf aufmerksam gewesen wären, hätten sie nicht an einigen stellen
ponne als unterordnende conjunetion aufgefasst.
2) Das grabmal kann ein am strande errichtetes weil sichtbares de*ukmal
gewesen sein, wie ein solches im Beowulf beschrieben wird.
trau pibild erweckl wird, feor oft gemon wcehleahta wom\ da- oft be-
finde! sich in bestimmtem Widerspruch mit pünt . steht aber in voll-
ständigem einklang mit 39 57, vgl. 39; hoivne sorg and sldp ....
änhqgan oft gebindet] vgl. aucli z 56 /»in/ j>e sendan eceal swlfti
geneahht i oft)... we'rigne sefan (vgl. noch z. 8. 20), Die erinne-
rung an die schlachten, wo die verwandten gefallen, Bchliessi sich ferner
auf's beste an die bemerkung, dass, die träum gestalten verschwinden.
Angesichts dieser tatsachßn weise ich nur der Vollständigkeit
halber auf das geschmacklose wUe gepöhte, eine unklare widerholung
von fröd in ferhe, auf den schlechten stil, der geondpencet und feor
oft gemon olino Verbindung nebeneinander stellt, und auf den Welt-
schmerz, der z. 89 zum ausdruck kommt und zwar an die eingebildete
weltklugheit des interpolators aber nicht an den positiven schmerz des
wineÜas guma malint; dass dieser seine klage mit einer stilistisch sehr
hoch stehenden allgemeinen bemerkung schliesst, ist eine ganz andere
erspheinung. Das ergebnis ist, dass die fortsetzung von z. 57 ursprüng-
lich lautete (88/90. 91): ponne froä in /erbe fear oft genton iral-
sleahta ivorn and pds ivord dciviö.
Dieses resultat ist für die beurteilung der übrigen teile des ge-
wichtes massgebend. Z. 29 — 36 wird der wineleas guma eingeführt:
wer das erlebt hat, weiss, wie schwer sein geschick ist. Weder gold
noch freuden, Verbannung und ferbloca freorig werden ihm zu teil.
Er erinnert sich entschwundener Seligkeit. Darauf folgt z. 37 — 38: for-
pon wdt se pe sceal his winedryhtnes leofes larcwidum lange forpolian.
Dann die aufzählung von traumerscheinungen und empfindungen, mit-
einander verbunden durch das widerholte ponne am anfange des satzes.
Dieses ponne steht mit dem vorhergehenden in keinem syntactischen
Zusammenhang. Man fragt nun: was bedeuten z. 37 — 38? Was weiss
derjenige, der die lehren seines winedryliten lange . entbehren muss?
Der text bleibt die antwort schuldig. Eben so unmöglich wie die con-
struetion ist der sinn. Denn das einzige was folgen könnte ist, dass
diese person weiss, wie schwer das leben ohne herrn und ohne ver-
wandten ist. Aber das wissen wir schon lange. Das wurde z. 29fgg.
mitgeteilt und mit derselben wendung eingeleitet: Wdt se pe eunnaft usw.
Dort war die bemerkung am platze. Hier aber, wo von den vorstellungs-
complexen jenes wissenden die rede ist, ist die mitteilung, dass er
weiss, nicht nur überflüssig, sondern in hohem grade störend. Die
beiden Zeilen lassen sich charakterisieren als ein äusserst ungeschickter
versuch, deutlich zu sein. Mit einer gelehrten miene setzt sich der
interpolator an die erklärung, forpon, 'desshalb' sagt er, und nun
WANDhHKK UMj SKKiAÜKER
widerholt er, was schon gesagt worden ist, bleibt aber mitten in seiner
erklärimg stecken. Den winedryhten hat er aus dem yoldivine (35)
und dem mondryhten (41) zusammengeleimt1. Eine ähnliche stelle ist
z. 17 — 18. Z. 12fgg. sagt der eardstapa: „einem eorl ziemt es, dass
er sein herz fest verschliesst, was er auch denken möge. Ein gemüt.
das sich dem schmerze hingibt, vermag dem geschicke nicht zu wider-
stehen." Die allgemeine Wahrheit wird dann z. 19 — 20 an der redenden
person exemplificiert. „So musste auch ich unglückseliger verbannter
oft mein herz mit fesseln binden." Zwischen der lehre und dem bei-
spiele steht nun (z. 17 — 18): forpon dömgeorne dreoriyne oft in hyra
breostcofan bindafi fceste. Der fall ist dem oben besprochenen voll-
ständig analog. Der gedanke ist nur eine widerholung von z. 13 — 14.
und dieselben Wendungen werden benutzt: bindaft fceste = z. 13 fceste
binde; für Jiordcofan findet der exeget die geringe Variation breostcofa;
das ganze wird, wie z. 37, mit forpon erklärend eingeleitet, und auch
die grammatische ungeschicktheit fehlt nicht, denn das adjectivum
dreoriyne schwebt in der luft, und das object möd oder hyge, zu
welchem es als bestimmuug gedacht ist, muss aus dem vorhergehenden
satze ergänzt werden. Es fällt auf, dass dieses forpon, welches zwei-
mal die schlechte widerholung eines schon mitgeteilten gedankens ein-
leitet, auch in der grossen interpolation (z. 58 — 87) zweimal begegnet,
das erste mal sogar gleich am anfang. Und beide male gleichfalls ohne
jede bedeutung. Denn man versteht in der tat nicht, wesshalb der
sich erneuernde schmerz desjenigen, der seine gedanken ofer wapema
gebind sendet, für einen anderen einen grund abgeben kann um mehr
als sonst der fall sein würde, traurig gestimmt zu werden, wenn er
an das ganze leben und den tod der eorlas denkt (58 — 62 a), und noch
weniger leuchtet es ein, wie aus der Vergänglichkeit der weit sich er-
geben soll, dass ein mann nicht weise werden kann, bevor er alt ist
(64 — 65a). Die frage, wie jemand auf den gedanken kommen konnte,
so viele unnütze bemerkungen mit forpon einzuleiten, lässt sich von
dem bisher gewonnenen Standpunkte aus noch nicht beantworten; doch
genügt das forpon, um für die vier stellen einen ein/igen nichts
weniger als genialen dichter zu constatieren. Zu gleicher zeit verdient
es beachtung, dass ein weiteres forpon in dem gedichto nicht vor-
kommt.
lj Damit soll wie sich versteht nur gesagt »m. woher das übrigens öftor
begegnende wort an dieser stelle stammt. Das verfahren des mterpolators an
anderen stellen (vgl. unten) und auch am anfang dieser zeile berechtigt zu dioser
annähme.
10 BOEU
Noch eine stelle in der ersten bälfte « 1 « gedientes ist mir sein'
verdächtig, nämlich z. 24b — 29a. So lange man die ganze Über-
lieferung mit all ihren Zusätzen als eine einheil betrachten konnte,
Gelen diese zeilen nicht besonders auf, da ihr Inhal! doch einigermassen
dem stoffe des gedientes sich fügt. Nachdem aber der gedankeng
des dichters als ein sehr subtiler und ein sehr logischer sich
hat, ist <I<t nachweis, dass sieden Zusammenhang stören, kein schwie-
riger. Der eardstapa hat gelernt sein herz zu verschli essen, ><-it die
erde seinen herrn deckt und er Geringschätzung erduldend von dannen
gieng (19 — 24a). Wer das erlebt hat, kennt die sorge dessen, der
keine freunde hat (29b fgg.). Der herr und die verwandten leben in
der erinnerung fort (34 fgg.). Was stellt nun zwischen 24a und der
fortsetzung? Der eardstapa ging von dannen:
ofer wapema gebiml
25 söhte sele dreorig sinces bryttan,
hivccr ic feor öppe neah fmdan meahtc,
Pone pe in meoduheaUe mine ivisse
oppe mec freondledsne frefran ivolde
wenian mid wynnum.
Dass der eardstapa sofort einen Stellvertreter seines herrn sucht,
stimmt schlecht zu der Stimmung unseres visionärs. Doch hätte dieser
einwurf bloss den wert eines subjeetiven Urteils, wenn nicht sprach-
liche und stilistische erwägungen hinzukämen. Das antecedens zu
pone pe (27) kann nur sinces bryttan sein — der aecusativ pone im
anschluss an z. 26 und unter dem einfluss von söhte — denn wenn
man pone mit findan verbindet, so steht in den zeilen, dass der
eardstapa den saal eines bestimmten schatzgebers sucht, um zu sehen,
ob vielleicht irgend einer (der anwesenden etwa) ihn zu trösten bereit
sei; ohne die nähere bestimmung in z. 27 wäre nur der plural sinces
bryttena am platze. Wenn aber z. 27 zu z. 25 [gehört, wo ist dann das
objeet von z. 26? Wie man die stelle auffasst, der ausdruck bleibt
verschroben. Und was soll es heissen, dass der eardstapa jemand
sucht, „der von liebe weiss — denn mine kann nur = myne sein —
oder mich freundlosen trösten wollte"? Dazu kommt der uns schon
zur genüge bekannte mangel an Originalität des ausdrucks. 24b: ofer
wapema gebind = 57 a. 25: sele . . . sinces bryttan vgl. 34: sele . . . and
sinepege. 29: wenian mid ivynnum, vgl. 36: ivenede tö wiste. 28:
freondleasne , vgl. 45: wineUas guma. — 25: dreorig zeugt bloss von
armut des ausdrucks, denn dreorigne (17) stammt aus derselben feder.
Zu 24b ist noch zu bemerken, dass ausser der einleitung, über welche
WANDERER UND SEEFAHRER 11
unten s. 21 fg. zu vergleichen ist, nur an dieser stelle berichtet wird,
dass der eardstapa über das meer fuhr; z. 56 sendet er bloss seine
gedanken in jene richtung; z. 97 scheint er am grabe seiner verwandten,
also wahrscheinlich auch wol in ihrem lande, zu stehen. Es kommt
noch der metrische fehler (27b) mine (= myne) wisse hinzu, der
schon mehrere emendationen hervorgerufen hat, der aber nur ein nicht
alleinstehendes zeugnis des metrischen Ungeschickes unseres interpola-
tors ist. Der richtige anschluss ist demnach:
23b. 24a/29b:
and ic hean poiion
wöd wintercearig. Wdt se pe cunnah usw. ;
wadan ohne Ortsbestimmung in der bedeutung 'meare, progredi', be-
gegnet auch sonst, z. 6. By. 130.
Dass in der rede des wineleas yuma z. 99 — 100 ein zusatz
sind, lässt sich kaum bezweifeln. Zwar fehlt ein so direktes äusseres
zeichen der interpolation, wie an mehreren der oben behandelten
stellen. Aber der satz stört den direkten Zusammenhang von 98/101,
welche von dem denkmal reden, um zu widerholen, was man lange
weiss, dass die männer, für welche ein denkmal errichtet wurde, tot
sind. Die aufzählung asca firyfte usw. erinnert an z. 80fgg.; namentlich
ist wyrd seo märe verdächtig (vgl. unten s. 21); zu den eorlas ist z. 60
und auch 84 zu vergleichen; der eardstapa nennt seine verwandten mit
herzlicheren namen; noch unmittelbar vorher heissen sie leof dugufy
und ähnlich an allen anderen stellen, wo er sio erwähnt.
Auch z. 112 — 115 gehören nicht zu dem ursprünglichen ge-
dichte; das zeigt der direkte Zusammenhang mit 65bfgg. Der inhalt
der Sprüche steht dem gedichte durchaus fern; der hinweis auf diu
himmel (z. 115) lässt sich überall anbringen. Mit einem gewissen
geschmacke sind hier schwellverse, welche allerdings auch z. 74 a. 75a
vorliegen, für den schluss gewählt worden, vielleicht im anschluss an
die letzte feierliche zeile des ursprünglichen gedichtes1.
Die längere interpolation z. 58 — 87 lädt zu einer genaueren be-
trachtung ein. Zwei demente lassen sich in ihr deutlich unterscheiden.
Zunächst die ausführungen über die eorlas, welche plötzlich starben,
über die täglich alternde weit, über die in trümmem liegenden wein-
säle und was damit zusammenhängt; sodann die Sprüche, die mit den
denksprüchen derselben (Exeter-) handschrift eine enge Verwandtschaft
J) Als einen schwellvers des dichtere fasso ich auch z. 107 a auf. liier ist
der aulass dazu derselbe wie 111, eine gehobene stimmuug, welche einen entsprechenden
ausdiuek sucht; vgl. auch die form der y- 108 — 9. A.uoh LlOa ist bo zu verstehen,
zeigen, welche unten Doch klarer zu tage treten wird. Die frage, ob
die sprüohe von demselben oder von einem jüngeren interpolator wie
die übrigen zusätze herrühren, — von einem alteren kann nicht die
rede sein, da die spräche inmitten der grossen Interpolation angebracht
worden sind ist oiehl leicht zu beantworten. Gegen die Identität
der Verfasser der Interpolationen 1 und II1 scheinen mehrere gründe
ZU reden: I dichtete selbst3, denn v igt, bezieht sich auf den
inhalt des gedientes; die rerse haben ausserhalb dieses zusammenhai
niemals existiert. II nimmt verse auf, welche er nicht Berber gedichtet
hat, aus seinem gedäcbtnisse oder, weniger wahrscheinlich, aus einem
geschriebenen buche. Ferner ist es a priori nicht Behr wahrscheinlich,
dass I seine predigt über die Vergänglichkeit dieser erde unterbrochen
haben würde, um Sprüche aufzunehmen, deren inhalt seinem gedanken-
gange gerade so fern steht wie dem des alten gedichtes. Demgegen-
über ist daran zu erinnern, dass wir von I nicht genug wissen, um
mit Sicherheit zu entscheiden, wozu er im stände gewesen sein kann.
Dass der Zusammenhang bei ihm zuweilen manches zu wünschen übrig
lässt, kann aber nicht geleugnet werden. Es fragt sich somit, ob eine
scharfe grenzlinie zwischen I und II gezogen werden kann. Zu I ge-
hören 58 — 63. 75 — 87; zu II 65b — 72; fraglich bleiben 64— 65a;
73 — 74. Letzteres verspaar: ongietan sceal gleaiv hcele, hu gdstlw biö,
po?i?ie ealre pisse worulde wela iceste stondeft, zeigt einen einigermassen
gnomischen Charakter und stimmt auch darin mit den vorhergehenden
Sprüchen überein, dass es eine Vorschrift enthält. Der verseingang:
verbum oder substantivum mit folgendem sceal ist dem von 65b. 70
gleich. Andererseits mahnt der schlechte stil — das subjeet des satzes
1) Wo die Unterscheidung notwendig ist. nenne ich die beiden interpolationen-
gruppen I und II und deute mit diesen zahlen auch ihre Verfasser an. ohne dadurch
über die frage, ob tatsächlich zwei verschiedene Verfasser anzunehmen sind, zu
präjudicieren. Zu I gehören z. 58 — 87 mit ausschluss der Sprüche, ferner 16 — 17.
24b — 29a. 37 — 38. 99 — 100; zu II die Sprüche in der grossen interpolation und
z. 112 — 115.
2) Damit wird ihm keine dichterische Selbständigkeit zugesprochen; Originalität
des ausdrucks geht ihm völlig ab. Wo er nicht dem gedichte selbst seine formein
entlehnt, benutzt er andere quellen, vgl. unten s. 21 fg., wo mehrere beispiele an-
geführt werden. Z. 87 enta geiveorc stammt ferner aus Euine 2; eine andere ent-
lehnung aus demselben gedichte unten s. 17; schwächere anklänge finden sich in
dem vorliegenden passus (58 — 87) au mehreren stellen. — Hierher gehört auch die
von Rieger hervorgehobene stelle Wa. 75 'Der menschen geschicke' 64 — 5 [Swä
missenlice . . . geond eorßan sceat). Sume . . . swnne usw. (z. 80 fgg.) findet sich
durch dasselbe gedieht durchgeführt, aber auch anderswo (z. b. in "Des menschen
gaben'.
WANDERER UND SEEFAHRER 13
hu gdstlic bib fehlt — an I; und der inhalt klingt wenigstens un das
folgende swld ml . . . winde biiväune iceallas stondab an. Freilich lässt
sich das auch daraus erklären, dass die folgenden zeilen II an einen
sprnch über die Vergänglichkeit mahnten, und der schlechte stil könnte
in diesem falle auf mangelhafter Überlieferung beruhen. Eine entschei-
dung ist hier schwer zu treffen1. Die fortsetzung zu 63 bildet aller-
dings 75, nicht 73, aber auch das beweist nichts, da auch dann, wenn
man 73 — 74 zu II stellt, doch 64 — 65a noch 63 von ihrer natürlichen
fortsetzung trennen. Denn dass diese l1* Zeilen, welche einerseits den
Zusammenhang zwischen 63 und 75 stören, andererseits, obgleich sie
einen gnomischen Charakter tragen, doch den folgenden Sprüchen, welche
alle in einer und derselben weise anheben, formell fernstehen, zu I
gehören, beweist das forpon am anfange. Auch hier wäre also die
entscheidung unsicher, wenn nicht ein äusseres kennzeichen (forpon) zur
hilfe käme. Das würde darauf weisen, dass tatsächlich eine scharfe
grenzlinie nicht vorhanden ist, und zu dem Schlüsse führen, dass I
und II von einem interpolator herrühren. Aber gerade an dieser stelle
wird eine naht sichtbar. Während überall, auch in den Sprüchen, eine
gewisse regelmässigkeit des Versbaues wenigstens angestrebt worden ist.
steht man bei z. 65: wintra dcel in woruldrice. Wita sceal gepyldig
vor einem metrischen ungeheuer. Die zeile ist überfüllt: ihre erste
hälfte kann gar nicht zwei- und schwerlich dreihebig gelesen werden;
es hat den anschein, als bilde diese hälfte eine volle langzeile. Wenn I
blos diese hälfte schrieb, so war das freilich keine tadellose langzeile.
aber das liesse sich doch recht wol verstehen. Er hatte eine vollständige
langzeile wie Gen. 1185 wintra gebidenra on woruldrice im gedächt-
nisse. Als er nun nach dem muster von gebidenra </>>'l eine erste halb-
zeile schrieb, wurde diese um eine silbe zu kurz: aber ein dichter
der unmittelbar vorher (64) einen vers schreiben konnte wie:
forpon ne mag iceorjum wis wer. cer //'•' äg<
wird auch kein bedenken gehegt haben, z. 65 on sui ersten halbzeile
zu stellen. Die zweite halbzeile: woruldrice steht dann metrisch auf
1) Das steht aber fest, oh man nun für z. 73 — 74 and 75fgg. einen
zwei dichter annimmt, dass z. 7.~> ein neuer satz anhebt und nach 74 punctum —
nicht semicolon, wie die herausgebe! schreiben stehen muss. Der Zusammenhang
zwischen 63 und 75 ist vollständig klar, und durch die gewaltsame Verbindung von
73 — 74 und 75 zu einem safze wird zwar 75 verständlich, 7S— 74 bleiböi
unklar wie zuvor.
2) Man beachte auch die durchaus sprachwidrige verebetouung ».58, "
/.. 59, wo min die hauptatäbe sind.
I I B01 K
einer linie mit der von demselben interpolator gedichteten z. 27b: mim
wisse. Als nun darauf die Sprüche in den texl aufgenommen werden
sollten, Iml) der erste spruch -- wie viele andere— mit einer zweiten
balbzeile an, und nun wurde z.65 für die anknüpfung verwendet
Da wir bisher bei I keiner zeile begegneten, welche bis zu dem
grade wider die metrischen regeln Verstoss! wie diese, liegt der ge-
danke an einen zweiten interpolator nahe. Indessen ist doch zu er-
wägen, dass die zeile, auch wenn sie ganz aus der feder von I stammt,
doch in gewissem sinne einen ausnahmefall darstellt Denn wo es
galt, etwas fertiges wie einen spruch aufzunehmen, war die metrische
Schwierigkeit grösser als da, wo es bloss darauf ankam, den eigenen ge-
danken oder die eigene gedankenlosigkeit weiterzuführen.
Unser vorläufiger schluss ist, dass einige, freilich nicht zwingende
gründe für zwei interpolatoren reden, dass aber, falls im weiteren laufe
der Untersuchung gründe für eine entgegengesetzte auffassung sich er-
geben würden, die verschiedenen zusätze des 'Wanderers1 sich auch als
arbeit eines einzigen interpolators erklären' lassen.
IL
Untersuchung des 'Seefahrers'. Das gegenseitige Verhältnis
zwischen 'Wanderer' und 'Seefahrer'.
Mit Kluge (Engl. Stud. 6, 312 fgg.) nehme ich an, dass z. 64b— 124
ein jüngerer zusatz sind. Es ist aber leicht zu ersehen, dass das gedieht
ursprünglich nicht mit 64a aufhörte; die Überlieferung ist also an dieser
stelle fragmentarisch, und kein grund ist vorhanden, die möglichkeit
zu leugnen, dass sie auch an anderen stellen lückenhaft ist. Ferner
glaube ich mit Rieger (Zschr. 1, 330), dass das, was dem zusatze vor-
hergeht, ein dialog ist, wobei ich nicht entscheide, ob derselbe von
zwei personen geführt wird, oder ob eine person mit sich selbst
redet. Ich kann aber nicht die ganze erste hälfte des überlieferten
gedientes (1 — 64a) für einen dialog halten, und zwar aus folgenden
gründen: 1. die grenzlinien zwischen rede und gegenrede sind über-
all scharf gezogen. Rede und gegenrede sind durchgehend ungefähr
gleich lang. Die reiselustige person spricht 33b — 38 (= S'/i z.)
— über 39 — 43 vgl. unten — der, welcher von der reise abhält,
44 — 47 (= 4 z.). Die übrigen Zeilen verteilen sich in folgenderweise:
48 — 52 (5 z.). 53 — 57 (5 z.). 58 — 64a (6 Vi z-)- Dazu steht nun in
keinem proportionellen verhältniss, dass derjenige, der die reise wider-
rät, mit einer rede anfängt, welche länger ist als alles, was folgt (32x/2 z.
WANDERER UND SFFFAHRER 15
gegenüber 32 z. im dialog). 2. die person, der das reisen keine freude
macht, spricht z. 1 — 33a in einem ganz anderen tone als später.
2.1 — 33a teilt er seine persönlichen erlebnisse mit; die besch werden
und gefahren, welche er persönlich erfuhr, erfüllen ihn ganz; kein wort
von allgemeinerer bedeutung, nicht einmal der rat zu hause zu bleiben,
wird vernommen. Demgegenüber malen z. 44 — 47. 53 — 57 in ganz
allgemeinem sinne die entbehrungen des seemannslebens aus, der See-
fahrer aber, der aus eigener erfahrung spricht, ist verschwunden; der
ton der zeilen ist ausschliesslich adhortativ — von einer klage keine
spur. 3. das, was die reiselustige person z. 33b fgg. aussagt, ist keines-
wegs eine antwort auf das, was vorhergeht. „Darum treibt mich mein
herz dazu an, dass ich selbst den hohen meeresstrom1 kennen lerne."
Warum? Weil es einem anderen dort unbehaglich zu mute geworden?
Was ist das für eine logik?
Der dialog — besser: der uns bekannte teil des dialogs — hebt
also z. 33b an; die ersten worte zeigen, dass etwas vorangegangen, dass
also am anfang wie am ende ein stück fehlt. Was vorhergeht, ist ein
anderes gedieht, die klage eines Seefahrers, gleichfalls fragmentarisch,
welches auf grund der ähnlichkeit des inhaltes mit dem dialogischen
gedichte verbunden wurde. Inhaltlich steht es in der mitte zwischen
'Wanderer' und dialog. Der mann klagt über seine einsamen reisen.
Die einsamkeit teilt er mit dem eardstapa des 'Wanderer', die seereise
als hauptinhalt ist der berührungspunkt zwischen 'Klage' und dialog.
Betrachten wir zunächst noch den 'Seefahrer' als ganzes, so zeigt
sich mit dem 'Wanderer' nicht bloss stoffliche Übereinstimmung, sondern
auch gleichheit des ausdrucks. Das haben auch andere bemerkt. Zu
welchen Schlüssen aber berechtigen diese Übereinstimmungen? Weisen
sie darauf, dass beide gedichte aus einer schule stammen, wo bestimmte
gefühle und stereotype gefühlsausdrücke zur manier geworden waren?
Oder hat während der mündlichen oder schriftlichen tradition eines der
beiden gedichte das andere beeinflusst, sei es durch irrtümliche Über-
führung von motiven, sei es durch absichtliche Umarbeitung? Wenn
die gleichheit aus der schule stammt, lässt sich erwarten, dass die
Übereinstimmungen einigermassen gleicbmässig über das ganz»' verteilt
sein werden. Auch wird mehr ähnlichkeil als vollständige gleichheit
sich zeigen. Hingegen weisen gruppenweise auftretende Übereinstim-
mungen, zumal bei starker ähnlichkeit, auf direkte beeinflussung. Wie
verhält sich in dieser hinsieht der 'Seefahrer' zum 'Wanderer'?
1) hean streamas 1. mit Kumulier heahstreamas. Oder hin striamas^
I <) BUKK
An anklängen, welche aus der ähnlichkeit der dichtungsart sich
leicht erklären, linde ich:
Se. 12 mertw&rig. 29 icrr'xj. Wa. 57 Uüirig \e sefdn. 15 wirig möd.
[2 55 /ra / se wow (se beorn) ne wät. Wa. 11 7c ftj sdj5«
//v/7. 29 Wät sr />r cunnat vgl. ::7 (interjwl. I). Wät sä
/>r sceal usw.
Sc. l i earmceärig (Vgl. 5 ökatseld). Wa. 2 mödeeärig. 20 earm-
iriiriij. 21 irinlercearig.
Von grösserer bedeutung sind die folgenden zum teil schon von
Riegef verzeichneten Übereinstimmungen, welche ich in vier grnppen
teile (über eine fünfte gruppe s. die amtierkung zu s. 24).
1. Se. 23 Stormas pcer stänclifu böotan. Wa. 101 /V/n stänhleopu
stör ums enyssaft.
Se. 31 JV/y; nihtscüa. Wa. 104 w^eö nihtscüa.
Se. 31 norpan snhvde. Wa. 104 — 5 norptm onsendeÜ farSo h&glfare.
Se. 32 /////// hrusan band. Wa. 102 — 3 hf&saft bindet! tbintres wörtiä.
Se. 32 luegl feol on eorpan. Wa. hrio hcejflfeers, vgl. auch 102
hrib hreoscnde.
Falls Se. 26 mit Gr. und Rieger frefran statt feran zu lesen ist,
kommt noch hinzu:
• Se. 25 b — 26 nd?iig hleötncega
feasceaftig ferb frefran meahte.
Wa. 28 oppe mec freondleasne frtfmn ivolde.
2. Se. 65 — 66 pis deade lif lehne on lande. Wa. 108 — 9 lnJjr InCs
fe'oh lerne usw.
3. Se. 14 iscealdne sä. Wa. 4 krimeealde sce.
Se. 15 ivunade ivrceccan lästum. 57 pe pd lurcecldstas ividost
leegab. Wa. 5 wadan ivrcecldstas.
4. Die Sprüche Se. 106fgg., vgl. Wa. 112: dazu der schluss. der in red-
seliger weise dazu auffordert, den himmel zu suchen, vgl. Wa. 114b — 115.
Es fällt sofort auf, dass die Übereinstimmungen nicht gleichmässig
verteilt sind, sondern gruppenweise auftreten. Zumal zeigt sich das
deutlich an gruppe 1, auf welche allein in einem räume von 10 zeilen
von den 9 bis 10 in den grnppen 1 — 3 enthaltenen stellen 5 bis 6
fallen, während in 32 aufeinander folgenden zeilen (33 — 64) keine
einzige Übereinstimmung mit dem Wanderer vorhanden ist. Jene zehn
zeilen mit fünf bis sechs parallelstellen zum Wanderer stehen nun
gerade am Schlüsse des ersten gedichtes, der 'Klage': es stehen sogar
vier der genannten stellen in direktem zusammenhange miteinander in
den letzen 21/, zeilen. Die folgerung, dass diese zehn zeilen in der
WANDKRKR UND SKKFA11RER 17
vorliegenden gestalt die arbeit jenes compilators sind, der die "Klage'
mit dem dialoge zu einem ganzen vereinigte, und dass dieser bearbeiter
dabei den "Wanderer benutzte, liegt auf der hand. Vorläufig constatiere
ich, dass wenigstens z. 31 — 33a ganz von ihm herrühren.
Die zweite gruppe enthält nur eine stelle: Se. 65 — 6. Wa. 108 — 9.
Welches gedieht hier der entlehnende teil ist, kann nicht zweifelhaft
sein. Die prächtige lyrik des Wanderers ist im Seefahrer zu albernem
gerede benutzt worden1. Die worte stehen an einer ähnlichen stelle
wie gruppe 1, nämlich unmittelbar hinter dem dialogfragmente am
anfange der hinzugefügten langen predigt; die einleitungsphrase musste
widerum der Wanderer hergeben; derselbe pfuscher schrieb diese zeilen
'und jene. Die erkenntnis aber der Umarbeitung resp. der unursprüng-
keit der z. 22 — 33a und 64bfgg. führt zu der entdeckung einerneuen,
sehr wichtigen Übereinstimmung, welche auch über die person des mn-
arbeiters ein licht aufgehen lässt. Denn an beiden stellen begegnen
wir dem unglückseligen aus den Zusätzen des Wanderers schon zur
genüge bekannten forpon. Der Zusammenhang lässt keinen zweifei
daran übrig, dass derselbe interpolator I, der die mit forpon anhebenden
teile des Wanderer schrieb, auch Se. 27 und 64 niedergeschrieben hat.
Se. 27 fgg. liefert sogar ein vollständiges analogon zu Wa. 17 — 18. 37 — 38.
Was lange vorher erzählt worden ist, wird noch einmal widerholt und
obgleich es nichts erklärt, mit einem erklärenden forpon eingeleitet.
Z. 12 fgg. heisst es: „das weiss ein glücklicher mensch nicht, wie ich
unglücklicher im winter auf dem kalten meere mich aufhielt". Es
folgt eine beschreibung der Situation: reif, hagel, wasservögel; und
dann: „darum (!) weiss ein glücklicher mensch nicht, welches elend
ich auf dem meere erduldet habe''. Zum ausdruck ist zu bemerken,
dass wlonc and wingäl (29 a) aus Ruine 35 a stammt. — Gerade so ein-
fältig steht forpon z. 64 da. „Mein gemüt reizt mich unwiderstehlich
über das meer zu reisen, darum (sie!) mache ich mir mehr aus des
herrn jubel als aus diesem toten, vergänglichen leben auf dem lande"
(oder „auf der erde"? es ist gerade so deutlich wie es Wa. 61 ist, ob
von bestimmten oder von allen eorlas die rede ist).
Man sieht leicht, dass eine und dieselbe nicht sehr gewissenhat'u-
person den Wanderer und den Seefahrer umgearbeitet hat. Es ist der-
1) leene als adj. zu Vif begegnet oft; in diesem falle beweist die grosse zahl
der Übereinstimmungen den Zusammenhang. Auch im 'Traumge&iohi \"m \u
z. 138 steht diese Verbindung; da aber der Wanderei mit dem Iraumgesioht
nichts gemein hat (ein genügender gnuid, um den behaupteten zusammenhao
beiden gedichte zu leugnen)* beweist liier die — öfter belegte Formel niohts.
ZEITSCHRIFT V. DRUTSCITE PHTT.OT.OQtR. BD. XXXV. _'
18
selbe, der die Fragmente der "Klage' und des dialoges zu einem ganzen
vereinigte, und mit diesen beiden ein drittes stück, von dem man sogar
mit grund annehmen kann, dass er es selbst gedichtel bat Wenigstens
ist ein bruchslück dieser stabreimenden homilie sein mach werk; das zeigt
u. a. ein weiteres fordern z. 72. „Ton diesen drei dingen eines: krank;
heit, alter oder das schwort ist stets die arsache des todes der men-
schen1, darum (ist) für jeden (\cv eorlas das lob derjenigen, die nach
ihm leben und nach seinem hingange über ihn reden, das beste der nach-
reden (lästworda) " ; der ausdruck isl so stümperhaft wie der gedanke;
in Übereinstimmung mit seiner gewohnheit hisst überdies der dichter
widerum einen unentbehrlichen satzteil, diesmal die copula, fort.
Der dialog hat mit dem Wanderer wenig "der nichts gemein und
scheint, soweit überliefert, ziemlich gut erhalten zu sein. Abgesehen von
seinem eigenen werte, hat er auch für die jüngere geschichte der Über-
lieferung seine bedeutung. Er belehrt uns darüber, wie der interpolator zu
seinem forpon gelangt ist. Denn das wort begegnet im dialuge zweimal an
durchaus richtiger stelle. Die eine steht gleich' am anfang. Die reiselustige
person antwortet. Man muss annehmen, dass der andere auf die besebwer-
den der seereise hingewiesen hat. Allein nicht bloss achtet er dieselben
nicht, im gegenteil treiben sie ihn zur fahrt an: ein 'darum' hat also
guten grund. Gerade so 58: „der glückliche mensch weiss nicht, was
diejenigen leiden, welche die wege der Verbannung ziehen. Gerade
deshalb verlangt mein herz nach dem meere." Das ist tadellos. Aber
nicht für einen nüchternen bücherwurm, der nicht versteht, wie gerade
drangsal und gefahr mit magischer gewalt das herz anzuziehen vermögen.
Unser interpolator verstand von dem gediente nicht mehr als dass
widerholt eine vollständig heterodoxe behauptung mit fotpon eingeleitet
wurde — dass das gedieht ein dialog war, scheint er nicht einmal
gesehen zu haben — und er machte nun selbst von dem von ihm
entdeckten stilmittel einen freien gebrauch. Überall wo es ihm einfiel,
etwas zu schreiben, was mit dem vorhergehenden nicht im geringsten Zu-
sammenhang stand, oder wo er doch die logische entwicklung der ge-
danken durch eine widerholung oder eine unerwartete wendung unter-
bricht, da schob er sein forpon, welches ja im ursprünglichen gedichte
in für ihn gleich unverständlicher weise verwendet wurde, dazwischen..
Im forpon des dialoges zeigt sich Stilgefühl. Es ist darin etwas
refrainartiges, welches die widerholten ausbrüche des Verlangens charak-
terisiert. Aber es wurde mit feinem geschmack benutzt. Nicht alle
1) Statt gehwylce (68) lese ich gehwyleum. Aber was bedeutet rir his t'ul dgd ?
WANDKRKR UND SERFAHRER 19
reden des reiselustigen mannes beginnen mit diesem werte. Z. 48
hebt er einfach an: „die bäume blühen, die maulbeeren sehnnicken
sich". "Wo aber einmal forjjon refrainartig zur Charakterisierung des
gefühls der reiseinst verwendet wird, ist die möglichkeit ausgeschlossen,
dass auch die andere person, welche vor der reise Avarnt, ihre rede
auf dieselbe weise anfangen wird. Doch hat der interpolator auch das
zu stände gebracht. Nachdem z. 33 b — 38 das verlangen nach der reise
zum ausdruck gekommen ist, malt der erfahrenere mann die entbeh-
rungen, welche der reisende erduldet, in beredten worten aus. Vier
zeilen (44 — 47) erwähnen die harfe und die ringe, frauenliebe und
weltfreude; alles das existiert für den reisendeD nicht; "immerfort wird
der, welcher auf dem meere fährt, von verlangen heimgesucht". Zwischen
rede und gegenrede sind fünf zeilen eingeschoben, mit denen sich
nichts anfangen lässt. „Darum" (also weil der erste redner gerne reisen
will!) „ist kein mann auf erden so stolz noch so vom glücke begünstigt,
noch in seiner jugend so tüchtig, noch in seinen taten so stark, noch
ist ihm sein herr so hold, dass er auf dem meere nicht stets in sorge
verkehren müsse, wohin (auch?) sein herr ihn senden (?) will". Wer
das versteht, dem ist wol keine stelle der Überlieferung unverständlich.
Soll das ein teil des ursprünglichen gedichtes sein, so können die worte
nur zu der rede dessen, der von der reise abrät, gehören. Aber welch
eine spräche! Der interpolator erleichtert uns widerum die beurteilunu
der stelle durch den gebrauch seines gewohnten flickwortes, welches
er diesmal vollständig im sinne des Originals anzuwenden glaubte. Unser
urteil wird, sofern das noch nötig ist, durch die ausserordentlich stümper-
hafte metrische form der z. 40 — 41, von denen 41 den höhepunkt
der missgestaltung erreicht, bestätigt. Abgesehen von diesem zusatze
und von geringern fehlem der Überlieferung halte ich 33b — 64a für
ein gut erhaltenes fraginent, lang genug, um eine ästhetische Würdigung
zuzulassen. Der poetische wert ist nicht gering anzuschlagen. Drei-
mal wird die äusserung der reiselust widerholt Gegenüber dieser,
einigermassen monotonen, refrainartigen widerholung steht auf der seit.'
des warnenden ein Verständnis für das was gesagt wird und ein weh-
mütiges eingehen auf die worte des ersten redenden. Am schönsten
kommt diese Stimmung z. 53fgg. zum ausdruck. Der jubel über das
frühjahr wurde erwähnt: bäume blühen, maulbeeren schmücken -ich.
die flur gewinnt ein Liebliches aussehen ; das alles fordert /.um schleunigen
aufbrach auf. Die antwort zeigt, dass die rede verstanden wurde; auch
der warnende hört die stimme der oatur: „aber gleichfalls singt der
kuckuck,* der böte des sommers mit klagendem rufe: er kündi
20 BOKR
bitter im herzen". Ich kann Sweet nicht beistimmen, der im kucku
gesang einen ruf Bieht, der zum aufbrach mahnt, und die ,atriking
parallel' welche er (Reader7 223) aus Kennan's Siberia anführt, scheint
mir dem gedanken der stelle durchaus fern zu stehen.
Über die form des dialoges ist noch einiges zu bemerken. ESs zi
sich schon, dass rede und gegenrede in ungefähr gleich langen perioden
aufeinander folgen. Eine rede besteht aus 4 Zeilen, zwei aus 5, 6ine am
anfange aus 5x/2, eine am Schlüsse aus 61/, zeilen. Das steht auf der
grenze der strophischen form1. Die ähnlichkeil mit mehreren dialogischen
Eddaliedern, in denen es gleichfalls rege! ist, dass jeder der redenden
jedesmal eine Strophe spricht, und wo häufig, wenn die Strophe für den
gedanken nicht ausreicht, eine zeile hinzugefügt wird, lässt sich nicht
verkennen. Unser gedieht scheint darin eine alte tradition fortzusetzen.
Dass die freie strophenform beim dialog bewahrt blieb, während sie dem
epos — ich sage nicht verloren ging, sondern - abgeht, erklärt sich
aus der natur der verschiedenen dichtungsarten. Auf teilung in formell
markierte abschnitte weist im vorliegenden gediente auch eine eigen-
tümliche erscheinung bei der alliteration. In den beiden fünfzciligen
reden zeigt nämlich die letzte zeile doppelalliteration; 52: on flodwegas
feor gewltan; 57: pe pd wrcecldstas widost leegab. Ist eine Schluss-
markierung der überfüllten strophe oder bloss die hervorhebung des
Schlusses der rede beabsichtigt? Die widerholung der erscheinung an
der entsprechenden stelle ist wol nicht zufällig'2.
Ich unterziehe nun die 'Klage' einer näheren betrachtung und
untersuche zunächst die dritte der oben angeführten gruppen von Über-
einstimmungen mit dem Wanderer. Se. 14 iscealdne sä. Wa. 4 hrim-
cealde sä (vgl. noch Se. 17 hrimgicelas).
Se. 15 tvunade ivrceccan lästum (vgl. 57)
Wa. 5 wadan wrcecldstas.
Die beiden stellen nebeneinander schliessen, wenn man in be-
tracht zieht, wie gruppe 1. 2 zu stände kamen, den zufall aus; das
wahrscheinlichste ist, dass hier derselbe interpolator an der arbeit ge-
wesen ist wie dort. Aber auch im Wanderer stehen die beiden stellen
1) Obgleich einzelne reden sich kürzen Hessen . ohne dass dadurch der Zusammen-
hang gestört würde, fehlt die berechtigung zu einem solchen verfahren, wo äussere
und innere kennzeichen mangeln.
2) Im Wanderer zeigt sich die erscheinung am schluss des gedichtes z. 108 — 9,
wo freilich eine starke Wirkung der feierlichen rede beabsichtigt wird, aber die doppel-
alliteration wird hier durch die widerholung des Wortes laue bedingt.
WANDERE« UND 8EKFAHREK 21
unmittelbar nebeneinander, und die frage erhebt sich, welches der beiden
gedichte hier die quelle des anderen ist1.
Im ,Wanderer' können die einleitenden Zeilen , welche die erwähnten
ausdrücke enthalten, leicht entbehrt werden; das gedieht hebt dann
mit z. 6 an. Auffälligerweise teilt die einleitung etwas mit, wovon das
gedieht, soweit ursprünglich, sonst nichts weiss, nämlich, dass der
dnhaga, d. i. der eardstapa auf dem meere fährt. Das wird sonst nur
noch in der interpolierten z. 24b gesagt. Der name eardstapa deutet
eher darauf, dass er zu fuss reist. Doch ist darauf kein grosser wert
zu legen. Auf jeden fall wäre es aber auffallend, dass jede weitere
andeutung der seereise dem ursprünglichen gedichte fehlen würde,
wenn die reise dem wanderer solche grosse beschwerden verursacht,
wie z. 3 — 5 aussagen. Die Vorstellung, dass der eardstapa auf dem
meere fuhr, kann der interpolator dem 'Seefahrer' entlehnt haben, aus
dem auch die ausdrücke stammen, in denen die fahrt mitgeteilt wird.
Auch die metodes milts sieht unecht aus, vgl. Wa. 114 — 115 und die
ganze predigt in der zweiten hälfte des Seefahrers, namentlich z. 116 -\
Formell lassen sich z. 1 — 5 leicht beseitigen; z. 6 bildet einen der
schlusszeile 111 vollständig entsprechenden anfang.
In der 'Klage 'sind die Zeilen (12 b — 15) unentbehrlich. Der bericht.
dass der mann, welcher die klage spricht, auf dem meere fährt, ist in voll-
ständigem einklang mit dem inhalte des gedichtes. Sodann beginnt der
passus in der cäsur, und wenn man ihn ausscheidet, ist an 12 a kein
anschluss zu finden. Ist die stelle ein zusitz, so ürass wenigstens
etwas verloren sein. Ferner wurde s. 17 gezeigt, dass z. 27 — 30
eine nachbildung von zeile 12b — 15 sind, welche also älter sein
müssen, als die von demselben interpolator (I), von dem hier die
rede ist, gedichteten z. 27 — 30. Das einzige, was wider z. 12b — 15
zeugen könnte, ist der parallelismusmit einer stelle im dialoge, Se. 55fgg. :
peet se beom (mon 12) ne wdt (= 12) estradig (vielfach angenommene
conjeetur für efteadig, deren richtigkeit durch 13 J>e him <>n foldam.
feegrost Umyeh bewiesen wird) secg, hwat J»i &time dm>gn(s pt
wrcecldstas ividost leegab (I: 14 — 15 hu ic earmeeang Iscealdm -
ivinter wunade ivrccccan Idstitm). Zwischen diesen beiden stellen muss
1) Wa. 32 ivaraö hine (?) torcBcldst, welches Etiegex zu Se. 11 stellt, trenne
ich von diesen beiden stellen, sowol auf grund des grösseren Unterschiedes, als weil
die stelle Wa. 32 isoliert steht. Das wori wreecldst ist auch sonst mehrfach belegt
2) Der interpolator des 'Wanderer' erwähnl /.. 2 tnetud: t. 10» ► wijrd, wu
dasselbe ist; Seef. 115 — 116 stehen beide zusammen: wyrd biö Btotör«, mtotud
vieahtigra usw.
22 HOKK
ein Zusammenhang existieren. Aber auf die wirksamkeil des inter-
polators kann derselbe nicht zurückgefübrl werden. Denn beide stellen
sind in ihrem zusan mhange unentbehrlich. Ich glaube daher, d
beide von anfang an dort gestanden haben, wo sie stehen, und dass
die Übereinstimmung in diesem MI aus der schule erklärt werden muss,
was auch die möglichkeit einschliesst, dass eines der beiden .
— Klage oder dialog -- bei seiner entstehung von dem andern beein-
tlusst worden ist. Jedweder dichter hat den gleichen gedanken in
seinem eigenen stile ausgearbeitet, der der Klage erzählend in der
ersten person des praeteritams, der des dialogs sententiös in der dritten
person plur. des präsens1.
Wanderer 1 — 5 ist also die arbeit des interpolators J und die Klage
des Seefahrers ist das von ihm benutzte vorbild. Unter solchen um-
ständen ist auch wol mödcearig (Wa. 2) zunächst unter dem einfluss von
S. 14 earrncearig geschrieben worden, obgleich earmcearig auch Wa. 20
begegnet: vgl. noch Wa. 24 wintercearig; zu z. 3 vgl. Andreas 314 jW///
pe lagoldde langa cunnap; zu z. 4 (neben Se. 14) Metra 27, 3 b — 4 swä
swd mereflödes yha hreraü iscalde sce.
Andererseits hat der bearbeiter auch die Klage mit Zusätzen ver-
sehen und dabei den Wanderer benutzt. Auf wrceccan lästum (z. 15)
folgt winemcegum bidroren. Das ist ein halber vers; die andere hallte
fehlt. Die herausgeber ergänzen, vollständig willkürlich, wynnum biloreii.
winemcegum bidroren ist ein deutlicher zusatz, dessen quelle Wa. 7 ist,
wo der eardstapa sich winemcega hryre erinnert. Die halbe zeile alli-
teriert mit der vorhergehenden (15), und so liegt hier ein beispiel —
vielleicht ein zweites, vgl. oben s. 13 fg. — vor, dass der bearbeiter
an einer stelle, wo er eine Verbindung macht, aus drei kurzzeilen eine
langzeile zusammensetzt. Dass der Seefahrer der freunde beraubt war.
steht im ursprünglichen texte eben so wenig zu lesen, als dass der
eardstapa:, der ivineleas guma im Wanderer zur see fuhr; beides hat der
bearbeiter hinzuphantasiert und dadurch eine ähnlichkeit der beiden ge-
dichte zu stände gebracht, welche weder dem einen noch dem anderen
zum segen gediehen ist; z. 17 schliesst sich vortrefflich an 15.
Unter diesen umständen ist es auch nicht unwahrscheinlich, dass
Se. 25b — 26 vom interpolator verfasst worden sind, in welchem fall
die richtige lesart wol ferb~ frefran ist (vgl. oben s. 16). In diesem fall
enthält die zeile eine ähnliche klage wie z. 16. Doch muss bemerkt
1) Eine ähnliche stelle, welche vielleicht auf eine tiefere Verwandtschaft von
'Klage' und dialog weist, ist z. 6 (Klage) atol yßa gewealc, z. 46 (dialog) ypa gewealc.
Übrigens begegnet diese forniel öfter, s. Gr. s. v. gewealc.
WANDERER UND SEEFAHHER 23
weiden, dass, wo die hs. ferft feran hat, die ernendation von ferft zu
ferd eine geringere änderung erheischt als die von feran zu frefran;
sie würde aber wol die änderung feasceaftig > — e nach sich ziehen.
Übrigens ist die ganze stelle 23 — 33 a, sofern sie noch etwas ursprüng-
liches enthält, bis zur unverständlichkeit verderbt. Da steht zunächst
z. 23a, eine nachbildung von Wa. 101 (vgl. s. 16). Dann singt der siearn,
der isigfepera ist; dann der earn, der ürigfepera ist. Dann folgen die un-
verständlichen z. 25b— 26, wobei zu beachten ist, dass z. 25b metrisch
an das vorhergehende sich nicht anschliesst, die alliteration fehlt. Dann
zum schluss z. 27 — 33a, welche zugesetzt sind (s. oben s. 17). "Was
soll man glauben? Ist der ganze passus von 23 an ein fabrikat des
bearbeiters? Aber sonst versucht er doch immer, der metrik einiger-
massen gerecht zu werden. Und die singenden vögel z. 23 b fg. setzen
den gedanken von z. 22 fort. Doch können isigfepera und ürigfepra
nebeneinander nicht bestehen. Auch kann man fragen, auf was pect
(ful oft peet earn bigeal) sich bezieht; die übrigen vögel singen, der
adler besingt lpcet\ Ich glaube, dass z. 23 ursprünglich lautete (in un-
mittelbarem anschluss an 22): ficer him earn onewafo isigfepera, und
dass damit das fragment schloss. Der interpolator fügte nun erst nach
z. 22 hinzu: Stormas peer stänelifu beotan. Vielleicht sollte das eine
langzeile werden, wie auch die entsprechende stellt' im Wanderer eine
langzeile füllt. Aber das benutzte material reichte dazu nicht aus, und
der interpolator entschloss sich einen teil der folgenden zeile für seine
langzeile zu benutzen; aus dem earn machte er dann einen siearn.
So entstand das metrische ungeheuer z. 23. Nun begann der folgende
vers mit dem worte isigfepera. Der reim erforderte in der zweiten
halbzeile ein vocalisch anlautendes wort, und da eartt dem inter-
polator noch frisch im gedächtnis war. schrieb er: ful oft peet earn
bigeal. Im ursprünglichen gedichte hiess es earn isigfepera. I>a> wort
hatte er schon benutzt; er wählte nun das ihm aus anderen ge-
dienten bekannte iirigfejjera. Dann aber wusste er sich nicht weiter
zu helfen und liess eine halbzeile ohne Stabreim folgen. Hie mög-
lichkeit wird zugegeben, dass z. 25b — 26 ein verderbter resl des
ursprünglichen gedichtes sind. Eine hallte /eile ist dann verloren ge-
gangen. Das fehlen der alliteration erklärt sich daraus, dass der
interpolator für 25a kein wort mit dem anlaut, den der im voraus fertige
Stabreim forderte, finden konnte und darum nur ein wen schrieb, welches
durch association an das vorhergehende isigfepera ihm eingefallen war.
Noch eine gruppe (1) von Übereinstimmungen zwischen 'Wanderer'
und 'Seefahrer' lenkt unsere aul iuciks;ini U< 1 1 aut sieh. Es sind die Sprüche
24 BOER
in der mitte und am Schlüsse des ersten und gegen den schluss des
zweiten gedichtes. Die Übereinstimmung besteht hier weniger im Wortlaut
als in der tatsache, dass spräche aufgenommen worden sind, und in der
art und der form jener spräche. Man sieht sofort, das ausspräche wie:
TU bip se pe Ins In'owe geheafdeti (\V;i. L12) und
Dol bip se pe Ins dryhien ne ondreedeb (Se. 106)
einer und derselben kategorie angehören. Da nun diese spräche nicht
früher als die übrigen Interpolationen aufgenommen sein können (aueh
im Seefahrer stehen sie mitten in einem zugesetzten stücke), und da
eine schicht von interpolationen, welche nicht jünger als die sprüche
sind, in beiden gedienten der Wirksamkeit eines und desselben bear-
beiters ihre entsteh ung verdankt, müssen wir auch die aufnähme der
sprüche in beide gedachte einem einzigen interpolator zuschreiben.
Die sprüche im Seefahrer stehen den s. 1 1 fg. erwähnten denksprüchen
noch näher als die im Wanderer; z. 106 ist wörtlich = Denkspr. Ex.
hs. 35; mit z. 107a vgl. Denkspr. 37. 109a = Denkspr. 51a. Das
erhebt die ausgesprochene Vermutung, dass die sprüche, wenigstens zum
grossen teil, nicht vom interpolator verfasst wurden, sondern dass er sie
aus dem gedächtnisse niederschrieb, zur Sicherheit1.
Wir treten nun mit neuen erfahrungen an die frage heran, ob
die interpolatoren I und II identisch sind. Der Seefahrer bietet für
die beurteilung der frage die folgenden data. Die zweite hälfte des
gedichtes von z. 64b an ist ein zusatz. Ihr anfang ist ganz gewiss die
arbeit von I. Die sprüche darin gehören zu IL Einen dritten bearbeitet'
zwischen I und II anzunehmen, der etwa den grössten teil dieser sehr
verwirrten homilie gedichtet hätte, hiesse die frage nur complicierter
machen; es wäre auch unmöglich, seine Wirksamkeit (I und II gegen-
über) zu begrenzen, noch abgesehen davon, dass man auch im Wan-
derer vergebens die spuren davon suchen würde. Also sind z. 64 b — 124
auf I und II zu verteilen. Da der hauptgrund II von I zu trennen der
ist, dass II sprüche mitteilt, und auch im Wanderer nur die sprüche
ihm zugeteilt 'werden können, wird man hier in gleicher weise ver-
1) Eine fünfte gruppe von Übereinstimmungen lässt sich nach dem vorher-
gehenden in wenigen worten abtun: Wa. 78b — 79 (dazu Beow. 1113), vgl. Se. S6;
"Wa. 75, vgl. Se. 90. Die beiden stellen im "Wa. stehen in der grossen interpolation
und wurden als I zugehörig erkannt. Die beiden stellen im Se. stehen in der am
ende hinzugefügten homilie, welche gleichfalls — zum grossen teil wenigstens — zu I
gehört. Die Übereinstimmung beruht hier^also auf der identität des Verfassers. Zu
gedroren (Se. 8(1) und dreäme bidrorene (Wa. 78) vgl. auch noch das oben besprochene
winemeegum bidroren (So. 16), welches von demselben verfasset' herrührt.
WANÜKKEK UND SEKFA11RER 25
fahren müssen. Nur ist es im Seefahrer noch schwieriger als im
Wanderer zu entscheiden, wo die spruchdichtung anfängt und wo sie
aufhört. 105 — 111 gehören ohne zweifei dazu; 103 wol auch. Aber
103 steht doch aussprüchen wie 115b fg. nicht fern. Gehören auch die
zu II? Trennt man 103 von 115b — 116 auf grund der freien metri-
schen form ersterer zeile, wozu sich die metrische form der Sprüche
im Wanderer vergleichen liesse, was muss man dann von 104 — 5
denken, welche syntactisch zu 103 gehören, aber vollständig regel-
mässigen versbau zeigen? Auch bei 111 — 115a ist zweifei möglich.
Wie dem aber sei, man wird nicht umhin können wenigstens 64b — 102
und 115b — 124 dem autor von I zuzuweisen1. Diese verse beleuchten
sehr deutlich sein verfahren, wo er nicht einzelne oder wenige zeilen
hinzufügt, deren inhalt und ausdruck er anderen stellen des gedichtes
entlehnt, sondern wo er sich gehen lässt; sie zeigen, dass er in der tat
nur selten mehrere zeilen nacheinander einen gedanken festzuhalten
oder fortzuführen versteht. Die stillosigkeit und der mangel an Zu-
sammenhang gehen viel weiter als die längere interpolation des „Wan-
derers1' auch nur vermuten liess. Darum haben wir keinen grund eine
oder mehrere zeilen zu verwerfen, weil sie einen bei ihm vermuteten
Zusammenhang unterbrechen; der hauptgrund, II von I zu trennen, fällt
somit hin. Schwache berührungen zwischen I und II sind noch die
folgenden. In den Sprüchen des Seefahrers begegnet zweimal das bei I
beliebte forpon. Doch bedeutet das nicht viel, denn z. 103 (meotudes
egsa, forpon hl seo molde oncyrred) ist pon mit Rieger als pronomen,
for als praeposition aufzufassen; z. 108 bedeutet forpon auch nicht
, darum', sondern ,weil', und es ist an dieser stelle kein flickwort wie
sonst bei I. Mehr bedeutet es, dass auch I, was II mehrfach tut, an
die denksprüche der Ex. hs. wenigstens an einer stelle deutlich anklingt:
Se. 70: ddl oppe yldo oppe ecghete (die stelle gehört ganz sicher zu 1,
vgl. oben s. 18), vgl. denkspr. 9b— 10a: ne hine mht drecep, ddl ur
ijldu. Zu beachten ist auch, dass der erbauliche schluss des Seefahrers,
der doch inhaltlich und formell zu I gehört, von der schlusszeile des
Wanderers sich auf grund des inhalts nicht trennen Lässt, während
doch die vier letzten zeilen des Wanderers ohne zweifei einem ein-
zigen bearbeiter zugewiesen werden müssen, der widerum nur II sein
kann. Schliesslich muss noch einmal die naht Wa. 65 betrachtet wer-
den. An und für sich scheint dieselbe dafür zu zeugen, dass 1 und 11
1) Seine directe spur wunle übrigens oben i>is z. 90 nachgewiesen, die folgen-
den zeilen, wenigstens bis 94, lasson sieb von 90 nicht trennen.
2G BOKK
zu trennen seien; sie liess jedoch auch eine andere erklärung zu, Nach-
dem wir min im ,Seefahrer' auf zwei vollständig analoge fälle (15. 2
welche nur I zugeschrieben werden können, gestossen sind, legt auch
W'u. 65 zeugnis dafür ah. dass 65b nicht eine interpolation zweiten
grades beginnt, sondern dass die überfüllte zeile durch «las zusammen-
stossen eigenen machweikes von I und von ihm vorgefundenen fertigen
materials entstanden ist.
Wenn es mir gelungen ist, die spur der Überlieferung richtig aufzu-
decken, so enthalten die unter den titeln 'Wanderer' und 'Seefahrer' be-
kannten dichtungen reste dreier alter gedieh te. Im ersten beklagt ein eard-
stapa den verlust seines teuren herrn und seiner verwandten und er teilt
in der dritten person seine visionären träume mit. Das gedieht umfasst
Wa. 6—16. 19 — 24a. 29b - 36. 39 — 57. 90 (mit ponne aus 88)— 98.
101 — 110. Es sieht danach aus, als sei es ohne schaden, bloss in
interpolierter gestalt, auf uns gekommen-.' Das zweite gedieht ist die
klage eines Seefahrers, der auf dem meere viel leid und mühsal er-
duldet hat. Es ist ein fragment und umfasst Se. 1 — 15. 17 — 22; eine
zeile aus 23 — 24a. [25b — 26?]. Das dritte ist ein dialog, in dem
abwechselnd dem verlangen zu reisen und dem schrecken vor den ge-
fahren der reise ausdruck gegeben wird; er umfasst 33b — 38. 44 — 64a
und ist in einigermassen freien Strophen gedichtet.
Der stil dieser drei gedichte ist einfach und klar, an mehreren
stellen gehoben und voll tiefer empfindung. Von dem überlieferten
formelschatz machen die dichter einen geschmackvollen gebrauch.
Mehrere anah, leyofieva, nicht archaistische, sondern aus dem vorhan-
denen poetischen Sprachmaterial richtig gebildete Wörter, zeigen die
fähigkeit der dichter zu selbständiger behandlung der dichterischen
1) AVa. 65 wintra dal in woruldrice | Wita sceal geßyldig (oben s. 13 fg.).
Se. 15 icinter icunade icrc&ccan Idstum \ ivinem&gum bidroren (s. 22).
Se. 23 Stormas ßcer stdnclifu beotan | ßc&r Mm stearn oneured (s. 23).
2) Die berührungen des 'Wanderers' und zwar des echten gedicktes, nicht der
interpolation. mit GuSläc 131S fgg. , auf welche Bieger hingewiesen hat. lassen sich
nicht mit Wülker (Gmndriss s. 206) auf nichts reducieren, doch sind sie entfernt
nicht derart, dass sie dazu berechtigen, auf einen gemeinsamen Verfasser zu schliessen.
Ich gehe auf diese frage nicht ein, bemerke aber, dass es mir wahrscheinlicher ist,
dass die stelle des GuSläc, welche im gedichte allein steht, vom Wanderer beeinflusst
worden ist, als dass das umgekehrte der fall ist. — Kurz vorher z. 1310 mahnt
gnornsorge weeg häte cet heortnn an Se. 10 — 11.
WANDEKER UND SEEFAHRER 27
spräche '. Im gegensatze zu dem überlieferten interpolierten texte
fehlen widerhohmgen fast ganz, und die, welche nicht ganz bedeutungslos
sind, sind auch nicht zufällig, sondern haben einen stilistischen zweck-.
Alles übrige ist das machwerk eines einzigen interpolators, der die
Klage und den dialog miteinander verband und weitere zusätze aus
folgenden dementen zusammenstellte: 1. widerholung. 2. Überführung
von Vorstellungen aus einem gedichte in das andere, wobei der in
beiden gedienten (Klage und dialog zähle ich für eines) vorhandene
formelschatz stark benutzt wurde. Dem dialog entlehnte er ein von
ihm nicht verstandenes forpoii als einleitung zu zwecklosen eigenen
bemerkungen. 3. Sprüche, welche er zum teil wörtlich anderswoher
aufnahm, zum teil vielleicht nach fremden mustern selbst dichtete oder
seinen bemerkungen anpasste. 4. frommes gerede.
In der handschrift sind 'Wanderer' und 'Seefahrer' durch 'Des
vaters lehren' (Bibl. I2, 353) und 'Des menschen gaben' (Bibl. III2, 140)
voneinander getrennt. Inhaltlich sind diese gedichte mit jenen nicht
verwandt und ihre Überlieferung zeigt auch keine spur einer solchen
Umarbeitung wie jene sie erfahren haben. Man muss annehmen. dass
' Wanderer' und 'Seefahrer' zu der zeit, da sie so grausam misshandelt
wurden, noch nicht durch jene beiden dichtungen voneinander getrennt
waren, sondern dass sie in einer handschrift, von welcher die Über-
lieferung der Exeterhs. stammt, unmittelbar aufeinander folgten. Es ist
sehr wol möglich, dass derjenige, der sie zuerst aus mangelhaftem
gedächtnis aufschrieb, sie interpoliert hat.
1) Der 'Wanderer' hat die folgenden an. ).ty. mafrpwfngifa; wyrmlic; hrim-
ceald. Die 'Klage': gesivinedagas; merewerig; hrimgicel; hurilpe] isgicel. Der
dialog: hringpegu; ('(s)teadig; ä/nfloga.
2) Der (ursprüngliche) 'Wanderer' zeigt die folgenden widerin düngen:
a) beabsichtigte: mödsefan mirme z. 10. 19. Der gegeusatz äseegan: sdlwn
zum ausdruck kommen.
wcelsleahta 6. 91. Dieselbe erinnerung treibt z. 6 den eardstapa, ■/.. 91 den
wineleas giima zum reden an.
sorg (cearo) biS geniivad 50. 55. Die widerholung des ausdruoks malt die
erneuerung des tiefen Schmerzes,
b. wie es scheint unbeabsichtigte, alle geringfügig:
wirig 15. 57. goldwine 22. 35. hriese 23. 102. gemon 34. 90.
Die 'Klage' hat:
iscealde sd& (wäg) 14. li), vgl. auoh isigfeßera 24. Die widerholui
darauf, dass die kälte diesem diohter als das grösste der Bohreoknisse der
meeresfahrt erschien.
Der dialog hat:
SG<yßa 35 ppa 46. — hwales c/>el 60, vgl. hwalto»,
28 PANZBB
Dass sie jemals in schriftlicher Überlieferung ohne jene zutaten existiert
haben, Lässt sieh nicht erweisen. Die veranlassung, sie zusammen
aufzuschreiben, war ohne zweifei ihre inhaltliche rerwandtechaft. Aber
der bearbeite)' hat sie nicht wie die 'Klage' und den dialog, deren
wahres Verhältnis ihm vielleicht unbekannt war, zu einem ganzen ver-
bunden; das beweist der umstand, dass sie später widerum getrennt
werden konnten. Das zeigt auch der fromme schluss, den er dem
'Wanderer' anhängte und der deutlich als ein schluss beabsichtigt ist.
AMSTERDAM. R. C. I50KK.
BEITRÄGE ZUR KRITIK UND ERKLÄRUNG DER GUDRUN.
2. Zur kritik und erklärung des textes1.
1,4 hatte C. Hofmann, MSB. 1867, 2,223, das überlieferte so
gexam dem riehen ivol ir minne gebessert in dem ricke = dem könige.
Martin hatte die sehr ansprechende conjeetur ursprünglich aufgenommen,
jetzt aber wider fallen lassen vermutlich von Sijmons einwand bekehrt,
dass riche in diesem sinne nur „mit bestimmter beziehung auf den
deutschen kaiser" gebraucht werde. Das ist aber doch nicht richtig.
Füetrer erzählt im Merlin, dass der herzog von Tintayol in der nacht
Uterpandragons hof heimlich verlässt, ohne vom könig Urlaub genommen
zu haben. Da heisst es str. 197, 1 meiner ausgäbe: Dy fit raten all
geleiche massen sein gähe flucht an vrlaub von dem reiche zu spät
vnd zu lästerlicher vnzucht. Hier ist von dem reiche = vom könig
von Britannien. Die stelle beweist ja zunächst nur fürs 15. jh.; aber
gerade diese Verwendung von riche ruht, wie das gotische und die ver-
wandten sprachen beweisen, doch wol auf uraltem gründe.
Zu 10, 1 In magetlichen eren, die ir da vuoren mite, si brähtens
im ze lande bemerkt Martin vdie ir da vuoren mite ist armselig aus
9, 4 widerholt." Ich weiss aber nicht, ob eine solche Interpretation der
stelle (die auch Bartsch und Piper teilen) richtig ist. Nach der Wort-
stellung bezieht man die ungezwungener auf eren und hat dann zu er-
klären: „in den jungfräulichen ehren, die ihr eigen waren, brachten sie
ihm die prinzessin in sein land." Es ist das wol eine nachahmung
Wolframscher ausdrucksweise, vgl. aus den von Kinzel, Zeitschr. 5. 18
gesammelten stellen bes. Parz. 54, 24 der frouwen herze nie vergaz im
enfüere ein iverdiu joolge mite, an rehter lausche iviplich site, ebenda
1) Vgl. Zeitschr. 34, 425.
beiträgt: ztjtl kritik tjn*d Erklärung der ottdrun 29
116, 13 wipheit, d/n ordenlicher site, dem rerf und fuor ie triuwe
mite. Eine ähnliche auffassung zeigen in unserem gedichte 7, 4 nach
sines vater töde volgte im beide vröude und michel iciinne und 1324. 3
si /ras die naht dt eine gescheiden von ir sichre, wo gemütszustände
als gefolge und gesellschaft gedacht werden. An unserer stelle liest
man vielleicht am richtigsten die ir ie vuoren mite; die hs. hat die ye
da v. vi. — Zu v. 3 die si da sahen gerne, die begnnden Heil bemerkt
Piper: vdä ist nicht lokal, sondern verstärkt das relativum: wer neu-
gierig war sie zu sehen, eilte herbei". Das ist gewiss nicht richtig.
Vielmehr ist da wirklich lokal und die si sahen gerne bedeutet nicht
,die neugierig waren sie zu sehen', denn das müsste heissen die si
scehen gerne oder die si da sehen ivolden (vgl. 328, 4. 1175, 4). Die
stelle besagt: eilig machten diejenigen sich auf, welche sie hier, im
lande des bräutigams, mit freuden sahen, willkommen hiessen (vgl.
46, 1); gemeint ist dabei in erster linie Sigeband und seine Umgebung.
48, 3 kann man hinter verdriexen doch wol nicht punkt setzen,
wie alle herausgeber tun, sondern nur komma. da doch nicht v. 2.
sondern v. 4 das logische subjeet zu verdriexen enthält: „was auch die
ritter um Sigeband taten, die fahrenden Hessen sich dabei keine mühe
verdriessen (diese spiele etc. der ritter durch ihre kunst zu verschönen).
Das auffällige für uns ist nur, dass v. 4 wie so oft paratactisch fort-
gefahren wird statt hypotactisch.
57, 4 Zu den von Martin gesammelten parallelstellen vgl. noch
Merigarto 41 dax, ist ouh ein ivunter, dax sertbe ivir liier unter. Rol.
5986 er gefrumete umbe sih, thax man ivole uone ime scriben malt
unxe an then jungisten tah, ebd. 8236 er gefrumeti unter PaUganes
mannen, thax- man ix iemer scriben mah unxe an tfnn jungisten tah.
ebenda 6237 thiu siniu manigiu wunder scriben stt tkie heithenen,
j. Tit. 3064, 4 dax solt man immer für ein wunder schriben, ebenda
4549, 2 geschriben und geprüeft (? 1. gebrieft) ist unser strifen, Dietrich
und der Wunderer 242 (v. d. Hagens heldenb. 2, 531) die konig vnd
fursten gut das wunder (Dietrichs kämpf) liesents sekriben. I>a<s auf-
zeichnung in annalen und dergl. gemeint ist. zeigen Spiegel 1S2, 3-1
man wirt dax ivunder sohriben in (in coronick noch, und besonders
deutlich j. Tit. 2680 die höhen niht Hexen beltben: durch sagebeeriu
/runder si hiexen alle schrtben den strit iegltcher in sin tun/ besunder
an si/t geh ü 'gdebuoch , und si de» jähen, ihr. e; unglaublich wäre ivan
(Hahn: von) allen, die <r\ horten oder sähen. Dagegen hat mündliche
tradition im äuge Klage B 317 für /runder so/ uiun: immer sagen > tkttt
so vil helede wart erslagen VOn eines tri lies \orne.
30 l'ANZKI;
Str. N:") erzähli den Schiffbruch der pilger; zu v. 4 die eilenden
meide heten ungemüeies deste mire fragt Martin: „Sahen die Jungfrauen
dem Untergang- der flotte mit schrecken zu?" Das ist doch wo! nicht
die meinung; die bemerkung will vielmehr sagen: das leid der Jungfrauen
wurde durch den Untergang der flotte umso grösser, weil hiermit die
möglichkeit ihrer errettung aus dem Greifenlande zerstör! war, die sieb
eben mit dem nahen dieser schiffe so glücklich gezeigt hatte.
116, 2 kann diu ungewonheite nicht „die ungewohnte Umgebung"
(Bartsch) meinen oder „das tragen fremder kleider" (C. Hofmann), sondern
das tragen männlicher kleidung (denn nur solche hatten die pilger natür-
lich an bord); vgl. die — auch in der missbilligenden beifügung des
dichters — der unsern vollkommen anlöge stelle 1233, 2 fg.
Dass 118, 4 die herstellung von Bartsch min vater, dö er lebete,
da ich kröne leider nimmer mer gewinne das richtige trifft, erhält von
aussen bestätigung. Unsere königstochter aus India ist mit vielem
anderen dieses abschittes aus dem Herzog Ernst entlehnt (Hilde-Gudr.
s. 197); von ebendaher stammt auch unser vers nach wort und ge-
danken. B 3536 erzählt ausführlich, wie der vater der Jungfrau in
ehren könig war die wile daz er mohte leben, dann wird er getötet
und seine tochter sollte als sein einziges kind das reich erben: 3562
von rehte sol da nieman tragen kröne wan daz houbet min. Aber das
ist durch ihre entführung unmöglich geworden: daz ist leider anders
gewant. ich muoz diz eilende lant büwen unz an den suontac.
193, 4 schreiben alle herausgeber ausser Bartsch genendieliche und
Martin erklärt: „da gieng es ihr so, dass sie stolz sein durfte". Eine
solche Verwendung und ausdeutung des wortes, das überall sonst nichts
anderes als „mutig, kühn" bedeutet, hängt ganz in der luft. Das über-
lieferte gencedecliche gibt einen vollkommen befriedigenden sinn; vgl.
besonders 957, 2, wo Gudrun von Ludwig aufgefordert, den Kormannen
gencedic zu sein, mit. der geistigen und sinnlichen bedeutung des wortes
spielend, antwortet: ivem mohte ich sin gencedic1? wan diu genäde min
von der bin ich so verre leider nü gescheiden. Unsere stelle besagt
umgekehrt, dass die Jungfrau nach langem leiden wider zu genäde, zu
ruhe und behagen, gekommen ist.
246, 4 sollte doch die herstellung Ziemanns der sol selbe entriuwen
mit mir dulden aus den ausgaben verschwinden, da sie das überlieferte
in jedem betracht verschlechtert. Unser gedieht kennt kein absolutes
dulden (vgl. 157, 2. 408. 3. 979, 3. 1047, 3) und der ausgesprochene
gedanke ist im munde Wates unmöglich. Das überlieferte der sol die
BffTTRAOK ZUR KRITIK UND ERKLÄRUNG PER GTTPRTW 31
selben triuwe von (so mit C. Hofmann statt mit1) mir dulden, bringt
vortrefflich den in gegenwart des königs mühsam zur ironie gemässigten
zorn Wates zum ausdruck.
249, 4 liest die hs. von silherweysse spangen suUen seule werden
geslagen. Sijmons behält das bei und erklärt: „es sind hier wol die
mastbäume gemeint, vgl. Mies sül Ernst 3328;" ich muss aber gestehen,
dass ich mir nicht vorstellen kann, was „aus silberspangen geschlagene
mastbäume" sein sollten. Martin liest mit silberwizen spangen suln
sie (nämlich die ciperboume) werden beslagen, aber dagegen muss man
doch wider einwenden, dass nicht die cypressenbäume, sondern höchstens
die aus ihnen verfertigten schiffsplan ken beschlagen werden müssen. Die
stelle muss wol aufgefasst werden in hinblick auf 264, 4 und danach
darf man als das richtige vermuten: mit silberwixen spangen suln du
siten werden beslagen, d. h. also die schiffswände (so wird Site von der
arche Noah gebraucht: Mhd. wb. 2, 2. 336b). — In 264, 4 die weneU
auo den steezen wurden icol mit silber gebunden ist wider das %uo
den steexen eine wahre crux interpretum. W. Grimm will darin „die
balken, das gerippe des schiffes" erkennen, nach Ettmüller bedeutet stdz
den ort, „wo die langseiten des schiffes zusammenstossen " ; aber beide
deutungen schweben in der luft, da stöx weder in dem einen noch dorn
andern sinne je vorkommt und schwerlich so vorkommen kann. Man
muss doch wol mit Bartsch „die stösse derweilen" darunter verstehen,
dann aber wol xuo in gein ändern. Denn dagegen werden schiffe ge-
spengt oder gebunden wie der term. tech. lautet — in Wirklichkeit mit
eisen, hier phantastisch, nach dem vorbild von Salomos schiff, mit silber,
wie 1109, 3 mit messing. Das zeigt klar eine stelle wie j. Tit. 2533, 2
(In wende gein icazzer volle man spengtt wol und zwar mit eisen,
wie 2538, 3 lehrt: weern die kiel mit tsen niht gebunden nach des
talfins lere, ir ivcere keiner nimmer lebendic funden. In demselben
abschnitte des j. Tit. findet sich auch noch stdxen vom anprall der wollen:
2536, 1 man sach die ünde stözen sam berge tobendi slüegen.
Zu der redensart 280, 4 vergleiche mau ausser den von Martin
citierten beispielen noch j. Tit. 2379, 1 swes mau eines gerU . der wirt
het den knallen, so dax er sie mir ein* ><■<>/ vieriu werte.
302, 4 sol ieman l<>[> erkoufen, der gäbe muosen si do habe//
rre könnte eine nachbildung sein von Parz. 404, 2 I sol wtplich ere sin
geivin, des houfes het si iil gepflegt n
1) Vielleicht Hesse auch mit sich verteidigen. Es müsste dann der seUx
oft noch im mhd., nicht ii lein . sondern rein deiktisch genommen nnd erklär! werden:
der soll diesen seinen -treuen" rat mit mir ausbaden.
32 PANZER
303, 4 werden die xwelf Schilde gevaxxet mit golde doch wol rich-
tiger mit Bartsch (und Piper) gegen das MM. wb., C. Hofmann und
die übrigen erklärer als „Schilde mit gold gefüllt" aufgefasst. Denn
wenn auch goldene, vergoldete oder mit goldenen bilden] geschmückte
sohilde nicht selten erwähnt werden (der I'im-cksaga c. 180 gelten sie
gar als abzeiohen adlicher geburt, vgl. c. 81 und 175), so führt doch
str. 308 unbedingt auf die auffassung von Bartsch: die hier erwähnten
(Mlt'lsteingeschmückten ,vaz' von silber und gold waren offenbar in
jenen Schilden gebracht worden. Denn der schild ist das alte mass des
freigebigen fürsten für auszuteilendes gold und gestein (beides natürlich
verarbeitet) und lebt als solches in den gedienten der heldensage fort;
vgl. zu den beispielen, die Jacob Grimm, Kl. sehr. 2, 202 fg.1 und Heyne
im DWb. s. v. geben, noch Orendel 2195 einen schilt hiex si dar strecke?!
und den mit rotem gold bedecken, Alph. 201, 2 sirer suochen ivil die
warte, der neme riehen solt, golt und edel gesteine, sivax üf schade
mac geligen, Dietrichs flucht 8078 Exel hiex üf den ho f tragen manegen
wol geladen schilt. Exel der ivart nie so milt xe geben mit dem guote,
Wolfd. A 559, 1 ex wurden sicherlichen Schilde dar getragen mit schätze
für den recken, Nib. 317, 1. 358,2 (gesteine). 1487,1. 2025, 3. 2130,2;
Ortnit 175, 4 bringt Alberich die goldbrünne im schild. In den höfischen
epen ist die redensart selten, doch wol weil sie den alten grossen schild
(tragen dar sin golt üf den breiten Schilden Nib. 1487, 1) voraussetzt,
nicht den kleineren des modernen ritters; ausser Lanz. 7707, Wig. 11251,
j. Tit. 4258, die schon Grimm anführt, vgl. noch j. Tit. 3019 golt und
edel gesteine mixxet er niht kleiner niur bi dem Schilde.
Sehr wichtig wäre für die geschichte der sage die str. 288, wenn
wir sie nur verstünden. Sie lautet in der hs. :
Sy het wol tausent meyle das wasser dan getragen
hin xe Hagenen purg xe Baliane so wir heeren sagen
da er herre weere xe Polay lasterliche
sy liegent tobeliche es ist dem meer nicht geliche.
Aus v. 4 geht klar hervor, äass der dichter hier eine von der
seinigen abweichende darstell ung der sage bekämpft; vergl. die von
Martin (Zeitschrift 15, 209) aus anderen dichtungen beigebrachten
parallelen. Worin aber bestand die abweichung? Offenbar kommt
alles an auf das richtige Verständnis von v. 3b. Polay ist nichts, muss
also jedenfalls geändert werden. Haupt (Zs. f. d. a. 2, 383) setzte
1) Vgl. auch den friesischen klippschilling und verwandtes RA3 77 fg. ; der nach-
druck liegt hier aber auf dem klänge der in den schild geworfenen~nüinzen.
BEITRÄGE ZUR KRITIK UND ERKLÄRUNG DKR GUDRUN 33
dafür Baijan und sämtliche herausgeber, Martin, Sijmons, Bartsch and
Piper haben sich diesem vorschlage angeschlossen1. In diesem falle
richtet sich die polemik natürlich nur gegen das lasterliche, d. h. gegen
eine darstellung der sage, nach der Hagen lasterliche geherrscht habe.
Wilmanns (s. 231), dem Sijmons (Beitr. 9, 94 fg.) und Martin (Zeitschrift
15, 209) sich anzuschliessen geneigt sind, meint. Hagen sei dort als
., schlimmer herr" („grausamer herrscher", „tyrann" sagt Sijmons) dar-
gestellt gewesen. Wie unser dichter dagegen mit solchen kraftausdrücken
hätte polemisieren können, ist mir unverständlich ; hat er seinen Hagen,
den välant aller künege, der als knabe schon im zorne einem ganzen
schiffe voller männer furchtbar wird, der als könig in einem jähr mehr
als achtzig enthaupten lässt, der alle freier seiner tochter tötet, ihre
boten sogar aufhängen lässt, der im kämpfe wie ein berserker tobt, denn
weniger als einen schlimmen herrn und tyrannen gezeichnet? Das läster-
liche müsste schon auf einen Vorwurf anderer, moralischer art gehen
und ich möchte denken, dass jene sagenfassnng vielleicht das Hilde -
Gud. s. 218 besprochene incestmotiv verwendet, also Hagens verhalten
gegen die freier damit motiviert hätte, dass er seine tochter selbst
heiraten wollte; dazu würde auch die ebenso heftige als unbestimmte,
den kern der sache verhüllende art passen, in der unser dichter da-
gegen polemisiert.
Ich kann mir freilich nicht verhehlen, dass die Vermutung Polay
sei für Baijan verschrieben, nicht ohne bedenken ist; der name steht
einen vers vorher richtig und ist auch sonst (161, 2. 293, 1. 441. 1.
559, 4) nie verschrieben. Sijmons berufung auf den fehler Gottelint
statt Gerlint 629, 4 ist nicht danach angetan, die sache wahrschein-
licher zu machen, denn wer den Schreibfehlern der hs. im zusammenha
nachgeht, sieht leicht, dass eigennamen regelmässig nur dahin ver-
schrieben sind, dass statt des richtigen namens ein anderer gesetzt ist.
nie aber ein sinnloses wort (Hagnen statl Hetelen 548, 1. Morlanden
und Sturmlannde statt Schinde 718, 3. 733, :'>, Horant und Hartman
statt Hartmuot 892, 1. 1650,4, Normandine statt Nortlande L678, 1. Hilde
statt Küdrün [citat verluren |). Höchstens findet ganz geringe entstellung
statt wie Gelinde statt Gerlinde 746. :: oder Horlant statt Hortlant
1417,4. So steht auch C. Hofmanns Polan (Münch. SB. L867, 2,230
dem überlieferten Polay sehr nahe8; ich würde dann lesen:
1) Unbrauchbar, weil reine willkür and mii den sonstigen angaben der diohtuog
nicht übereinstimmend, ist Haupts weitere änderung der riehen statt lasterliche.
Martin, der ihr früher gefolgt war, bat sie aufgegeben.
2) Eofmanns berufung auf dir paläogr. bräuohe des L5. jhs. musa natürli I
strichen werden, denn dir vorläge unserer lis. wai
ZKITSCIllfIBT F. DEUTSCHIC PHILOLOQIU. HI'. . \ \ V
34 I-AN'/tR
Si het wol tüsent mite da: waxxer dan getragen
hin :r Hagenen burc z,e Baijan1, so wir huren sagen,
daz er herre weere ze Polän lasterliche:
si liegent tobeltche; e% enist dem meere niht geliche.
Der hauptsatz si liegent I. ist anakoluthisch angeknüpft (eigentlich
braehylogisoh : „wenn sie das sagen, so ist das nichl wahr, sondern Sie
lügen"). Bei dieser lesart richtet sich die polemik des dichters natür-
lich gegen eine lokalisierung Hagens in Polen, Eine solche hätte, wie
die Walthersage beAveist, nichts auffälliges. Nur der gedanke, dass sie
lasterliche sei, möchte für das mittelalter, dem die polnische Wirtschaft
noch nicht sprichwörtlich geworden war, sonderbar erscheinen. Aber
man erinnere sich, dass bei Walthcr ,Polä?i' wirklich als verächtliche
bezeiohnung für einen „obskuren kerl " gebraucht wird, vgl. 80, 30 und
Wilmanns anm.
Zu 301, .'! purpur unde baldekin hete man da unwert fanden
vgl. En. 12 940 die kolter van samite, van pelle end van dimtte lieht
ende menichvare. man nam da vel luttel wäre op ein Hellte baldehin
ende op ein kateblatin end op ein verbleiten gewant.
314, 2. 3 ist wol mit engem anschluss an die Überlieferung und
constr. dreb v.oivov zu lesen: .sin kraft und ouch sin eilen sint starc
und ouch sin haut hat uns gemachet eine maneger fröuden guot.
Str. 316 stimmt sehr genau zu Bit. 6118 fg., wo Günther dem
Rüdeger, da er ihn von Ezel vertrieben wähnt, anbietet: nu sult ir
mich daz ivizxen län, ob ir ivelt beliben hie; so gap in der künic nie
von Hinnen landen also vil; fünvär ich iu daz sagen ivil, ich gibe
iu dristunt mere.
321, 4 fand Hildebrand, Zeitschr. 2, 469, den gedanken unvoll-
ständig und wollte lesen dann si sus gelückes nach der scheenen Hilden
solden biten. Aber die ergänzung ist wol unnötig, denn der nachdruck
liegt auf gelückes, das schon den gegensatz zu v. 3 enthält: sie hätten
den erfolg lieber im kämpfe gesucht und also ihrer persönlichen kraft
verdankt als der günstigen gelegenheit. — Zu dem seltsamen nach der
scheenen Hilden lässt sich etwa die fügung in Hermann und Dorothea
(1,42) vergleichen: Macht ich doch auch in der hitze nach solchem
Schauspiel so weit nicht laufen und leiden.
Dass 323,2 eine erinnerung an das FröSa mjgl vorliegt (Hilde- Gud.
s. 314) hat, wie ich jetzt sehe, schon Unland bemerkt (Schriften 3, 338).
1) xe Baijan darf, wie Klee, Germ. 25, 398 richtig bemerkt, des kontrastes
wegen nicht gestrichen werden; vgl. anch 161,2 xuo der hure xe Baijan. 293,1 ron
der burc xe Baijan.
BEITRÄGE ZUR KRITIK UND ERKLÄRUNG DER GUDRUN 35
331, 4 ist die Überlieferung lückenhaft. Die herausgeber ergänzen
gnoten und lesen : ja mohte man in selben einen guoten swertdegen
rinden. Bartsch (und danach Piper) erklärt swertdegen .einer, der mit
dem Schwerte umgehen kann', aber das bedeutet das wort nie in der
Gud., die den ausdruck nur in seinem ritterlich -technischen sinne kennt1.
Martin constatiert denn sehr richtig, dass swertdegen eine für Wate
sehr passende bezeichnung sei, und man wird weder die erklärung von
Sijmons plausibel finden, dass die bezeichnung hier ironisch zu ver-
stehen sei, noch die von Klee (Germ. 25, 399), sie sei scherzhaft schon
im hinblick auf den Zweikampf mit Hagen gebraucht, in dem Wate
sich 361, 4 als gelehriger schermknabe erweist. Zudem wird man guot
schwerlich irgendwo als epitheton bei swertdegen finden. Offenbar ist der
vers anders herzustellen und da im vorangehenden und folgenden von
der kleidung der Hegelingen die rede ist, so hat wol auch liier nichts
anderes gestanden als ja mohte man in selben gekleit (oder geziert) als
einen swertdegen vinden, d. h. Wate war so kostbar angezogen als sollte
es zur schwertleite gehen, vgl. 305, 3 si wären so gekleidet, sam si des
tages swert nemen solden.
Zu 339,4 vgl. auch Trist. 643 dar zwo /ras in der ouwe manet
ander schoeniu frouwe, der iegelichiu mohte sin von scheene ein ricJiin
künigin.
Für die 341. 3 erwähnte haartracht hat Hertz, Paizival anm. 185
nachweise gegeben, die Martins bemerkungen ergänzen und richtig aut
den orientalischen Ursprung dieser sitte verweisen; nachzutragen ist eine
interessante stelle aus Heinrichs von Neustadt Apollonius, die gerade
diesen punkt bestätigt. Dort (Strobl s. 60) trägt der alte Candor edel-
steine in sein haar gerigen nach der heidenscJ/en ort.
342, 1 vor ir gesidele stuonden die wcetlichen man hat anstoss
erregt, weil die Hegelingen ja 341, 4 (si hiez si sitzen beide Waten und
ron Tenemarke Fruoten) ausdrückliche aufforderung sich zu setzen er-
halten haben. Hierin liegt aber durchaus nichts auffälliges; denn es
ist im mittelalter genau so sitte gewesen wie noch heutzutage trotz er-
haltener aufforderung zum sitzen höflich stehen zu bleiben (und stuonden
342, 1 ist perfectiv: sie blieben stehen). Nachdem Gawan auf Schastel-
marveile sich im bette ausgeruht hat Parz. 581, 25 > r riht sich üf und\
saz, mit guoten freuden er az. ril manec frouwe vor im stuont, gehl
dies dem galanten manne wider den strich und er bittet dir alte königin:
, frouwe, ex- krenkt mir mine xuht, ir meget >»ir\ jehen vür ungenuht,
1) Für den allgemeinen gebrauch von swertdegen held sind mir qui
beispiele aufgesessen : Lampr. \l»'\. 3668 and Wolffl, D \ II. ~'~. l
36 PANZER
suln dise frouwen vor mir stän. gebiet in, daz si sih.cn gen oder
heizt si mit mir exxen'. Die königin leimt das ab: ,ulhi<: ivirt niht
gesezzen von ir enkeiner um an mich, her, si mähten schämen sich,
soltens iu niht dienen viV und die damen wünschen selbst stehen bleiben
zu dürfen: ir süezen munde in bäten da stenes unx er geeze, dax ir
enkeiniu seeze. Wie hier die jungen damen vor Gawan, so stehen sonst
die raänner in gegen wart vornehmer trauen. Hartmann von Aue be-
klagt sich über die ermüdende etiquette MSR 216, 35 Li rrouuwn Inner
ich nicht vervän wan dax ich müede vor in stän, galanter denkende
halten sie fest, trotz ausdrücklicher erlaubnis sichs bequem zu machen.
So Meleranz im gedichte des Pleiers v. 894 fgg. Der Tydomie ir herxe
steet gap den rät, ze dem juncherreu sprach si sän: Juncherre, ir
sali sitzen gän, ir habt gestanden hie gennoc'. dö sprach der junc-
herre klaoc: jfrouwe, lät mich bi ivitzen. solt ich vor in sitzen, des
weer mir armen kneht ze vil. immer ich daz dienen teil, dax ir mir
günnt der zühte min'. Tydomie muss ihre aufforderung widerholen
und begründen, dass sie wolanstehendes verlange (ein gast tuon sol,
swax im geblutet sin ivirt; ist dax er sin gebot verbirt, daz ist un-
gezogenlich), dann erst setzt sich Meleranz. Eine ähnliche scene spielt
sich ebd. 1181 fgg. ab. Ebenso verhält der ritter sich in einem gedichte
Hermanns von Sachsenheim, Hätzl. II, 14, 557 fgg. Er führt die dame
an einen quell: nider sitzen ich sy bat. sy sprach: das tun ich geren.
ich ivill aber nit emperen, ir müszt auch sitzen nider. ich stund still
und sprach hinwider: ,genad, fraw edel unde scheen' usw. Auch
Dietleib ist ein so züchtiges junkerlein. Als er mit seinem vater, nach-
dem ihre abkunft erkannt ist, von Etzel und Helche feierlich empfangen
wird, Bit. 4442 dö danete vlizeclichen her Biterolf und ouch sin hint
dem künege und ouch froun Heichen sint. si bätens sitzen neben in.
der knabe niht hete den sin, daz er sitzen solde. der künec dö niht
enwolde enbern erne seeze nider. Konrad von Haslau im Jüngling tadelt
solches zieren v. 653: so ist manc kneht in den toitzen, so in der
herre heizet sitzen, so sprichet er: 'ja sten ich woV. der tuot ouch
niht als er sol. Umgekehrt hat der Seifr. Helbl. IV, 258 sich über
lümmelei zu beklagen: ze hove hän ich daz gesehen: der herzog stuont,
sie säzen, so sie sin verwäzenf saz er bi in, si lernten, da mit si
bescheinten ir unzuht: daz tvas unreht. Dass höfische sitte in Deutsch-
land schon im 11. Jahrhundert den höflichen verpflichtete, in gegen-
wart von respectspersonen stehen zu bleiben und erst auf ausdrückliche
aufforderung sich zu setzen, zeigt Kuodl. Y, 43 alter rex surgens huic
dignas dicere grates a nostro vetitus residet. Und so bleiben also auch
BKITRÄGh; ZUR KRITIK UND ERKLÄRUNG DER GUDRUN 37
die Hegelingen, denen der dichter durchweg (Hilde-Gfud. s. 123) und
nochmals nachdrücklich hier, v. 2a, nachrühmt, dass sie manege zuht
künden, vor ihren stuhlen stehen oder zunächst stehen, bis die auf-
forderung zum sitzen vermutlich dringender widerholt war. Denn 343, 3.
344, 2 sind sie doch wol sitzend gedacht. Die zwischen den beiden acten
erfolgte Sinnesänderung ist nicht ausdrücklich erwähnt: eine stilistische
eigen tümlichkeit des gedieh tes, die Hilde- Gud. s. 118 mit weiteren bei-
spielen belegt und in den gehörigen Zusammenhang gerückt ist.
Zu den mannigfachen parallelen, die für die fechtscene 354 fgg. zu-
sammengetragen sind, gesellt sich noch eine (in Sonderheit dem Seghelyn
verwandte) episode im prosaroman Ysaye le Triste. Dort bittet der held
seinen erzieher, den einsiedler, ihn fechten zu lehren. Sie fechten
zuerst mit Schwertern, dann mit baumzweigen. In beiden fechtarten
zeigt sich Ysaye überlegen; vgl. Zs. f. rom. Phil. 25, 184.
365, 4 sivaz man sach ir sterke, doch hete ir Hagene da bezeiget
mere Avill Sijmons Beitr. 9, 95 fg. (im anschluss an Wilmanns) statt
Ilagene einsetzen Wate, „denn hätte Hagen die grössere kraft gezeigt.
so wäre kein grund zu einem mühsam verhaltenen zorne da gewesen."
Richtig verstanden ist die Überlieferung aber, wie ich glaube, voll-
kommen in Ordnung und viel feiner als die vorgeschlagene änderung.
Der dichter will offenbar sagen, Hagen habe bei diesem ersten gange
bereits mit dem aufwände aller kraft gefochten, während Wate solches
noch nicht nötig hatte, noch listig zurückhalten konnte.
381, 2 schreiben Sijmons und Piper nach C. Hof mann die säxen
linde loseten, da diu vogellin vergäxen ir dopne, denn „die zuhörer
können unmöglich auf das verstummen der vöglein horchen." Sollten
sie wirklich nie erfahren haben, dass mim eine überraschende stille
tatsächlich hört, dass man ihr recht eigentlich lauschen kann? Goethe
wusste es offenbar, als er — denn von ihm wird das lied doch sein —
sang: Horch, Philomelens kummer schweigt heule still.
398, 1 ist %e lobe eine unnütze änderung des überlieferten u
hove, das hier wie 397, 4 natürlich bedeutet: vor der königstoehtei .
Vgl. darüber Hildebrand Zeitschr. 2, 469.
449, 2 mutet das überlieferte erglixen der phantasie doch allzu-
viel zu. Von den rüstungen der zum wasser dringenden mannen Hagens
konnten allenfalls die wollen, aber doch wahrhaftig nicht der mei
boden erglänzen; zum überfluss können die leute Eagena der ganzen
Situation nach gar keine rüstungen angehabt halten. Man muss also
wol lesen: der grund begunde erdiexen; strtten wart getan, was ja
auch sonst betont wird, vgl. ."»67, 2 der sal begunde diexen von w
38 PANZER
beider siegen, 515, 1 di> sluoc Wate der alte, dar, im erwäget der wert,
1394, 2 dax im der wert erwagete und im der war erddz, Roth. 4223.
481, 4 wird der , gesuchte' aüsdrack ir lop man mähte kroznen
ja gewiss erst dem caesurreimer verdankt, ist aber doch nicht gerade
unerhört. Sie gfelt mir wol, ir lob ich krön sagt Hans Sachs, Giiselua
v. 668, ir hoher preis mus immer ivesen gekrönt in allen ecken Dietr.
ausfahrt, Stark 448, 9. Das gewöhnliche und natürliche ist freilich
einen mit lobe kromen, Wilmanns zu Walth. 40, 24.
508, 3 nimmt Martin an dem ausdrucke mit disen werden gesten
anstoss: er könne nicht Hagens leute bezeichnen, da die von Irrtche
davon unterschieden werden, auf die Hegelingen aber passe er umso-
weniger, als diese sich ja in ihrem lande befinden. Es ist nun wol
möglich, dass der ausdruck erst dem caesurreimer verdankt wird; aber
erklären lässt er sich schon. Es sind damit die eben aus der fremde
in die heimat zurückgekehrten Hegelinge gemeint, die ebenso 470, 4
geste genannt sind. Auch die aus Hegelingen in die heimat zurück-
gekehrten Normannen heissen 974, 1 geste.
644, 3 daxhete si xongenweide soll nach Martin ironisch gemeint sein,
„da Gudrun die feinde nicht mit begehrlichen äugen ansehen konnte".
Von begehrlichem anschaun ist bei ougenweide aber auch keine rede;
der ausdruck bedeutet hier wie sonst , Gudrun freute sich daran", weil,
wie v. 4 erklärt, tapferkeit den frauen immer eine wonne ist, auch am
feind. "Wirklich ironisch gebraucht ist der ausdruck 756, 4.
Auch 649, 4 ist bei Martin nicht richtig aufgefasst. In der ersten
aufläge stand ir vater und dem gaste si wünschte des si gedähte in
beiden und das wurde erklärt: ,da wünschte sie ihrem vater und dem
fremden, was sie auch gegen beide aussprach', was denn freilich ein
sehr wunderlicher ausdruck wäre. In der zweiten aufläge ist der
überlieferte text (im anschluss an Erdmann, Zeitschr. 17, 227) geändert
zu ir vater und dem gaste si wünschte des si in gedähten beide und
erklärt: „sie wünschte ihnen, was sie beide erwarteten." Aber zu einer
änderung der Überlieferung liegt gar kein anlass vor, da sie richtig
interpretiert einen vollkommen befriedigenden, ja den für den Zusammen-
hang allein möglichen sinn gibt: Gudrun wünschte dem vater und dem
freunde, was sie ihnen beiden zudachte; d. h. sie wünschte beiden
gelückes oder dax in möhte gelingen wie es 727 heisst. Denn ihrem
vater ist sie durch kindliche liebe, dem fremden durch die Zuneigung,
die seine tapferkeit ihr abgerungen, zu solcher Sympathie verpflichtet,
und so wird ihr Herwigs sieg beide liebe unde leide, macht sie gexweiet
in ir muote, wie es 654, 2 (nach der allein möglichen lesung) heisst.
BKITRAÜK ZUK KBlTIli UND KKliLÄllUNG DEU GUDRUN ?/.)
Gudrun steht also den kämpfenden parteien, indem sie beiden gutes
wünscht, genau so gegenüber wie Wolfram dem kämpfe Parzivals mit
Feirefiz; er drückt das in seiner originelleren art so aus (Parz. 742, 14):
gut ner da Gahmuretes leint! der wünsch wirt in beiden, dem getoußen
und dem Jieiden: die nante icli e für einen.
Zur beurteilung des Herwig 667, 2 erteilten rates vgl. 2. Büch-
lein 512 fgg. und Zeitschr. 31, 544.
681, 4 überliefert die hs. den überladenen halbvers si klaget e
dax verloren weere ir laut und ir vre. Martin und Sijmons schreiben
nach Müllen hoff si klagete, vlorn weere laut und vre. Aber das ir kann
unmöglich fehlen, da darauf aller nachdruck liegt, wirklich ja auch nur
ihr, d.h. ihr und Herwigs land verloren ist, nicht das, in dem sie weilt:
vgl. 685, 3 wo sie ihrem vater melden lässt, man sliiege ir die Hute
und breeche ir bürge uiteu. — Bartsch schreibt si klagete vlorn ir lant
und ir vre, richtiger ist vielleicht si klagete dö ir land und ir vre, vgl.
887, 4. 901. 2. 902, 2. 927, 3. 939, 2. 1471, 2. 1478, 4 u. ö.
Zu 685. 1 von sedele stuont dö Küdrün bemerkt Martin: ,um
zum könige zu gehen'. Aber diese ausdeutung wird dem tieferen sinn
der stelle keineswegs gerecht. Nicht umsonst hat der dichter 682, 1
ausdrücklich bemerkt: mit triuivvu tele si dax, dax diu maget vil edele
weinende sax: Gudrun sitzt, weil der trauernde nach mittelalterlicher
gebärdensprache sich niedersetzt und wenn sie 685, 1 aufsteht, so will
der dichter damit sagen, dass sie jetzt ihre trauer unterdrückt, um
kraftvoll das notwendige zu tun. Zum beweis ein paar belege für
viele: dö sach sie bi der scharte, dax ex Tristrant uns. nedir saxte
sie sich an dax gras: gröxir jämir sie b&vtng Eilli. Trist. 1884. alre
herre sinne st vergat; onsachte si bi lieni gesät, si weinde rele
En. 2015, nach klägelichen suchen gesa: er riuwecltchen nider G. Trist.
1436, er sax vor leide der nider Strickers Karl 1814, wie sitxent ir so
trürecUch? Virg. 511, 1, oivv, ir vreuden si vergäxen, mit jämer si
uf dax gras nidersäxen Rabenschi. 983, 5, von jt&merlichem leide sau
er üf dax gras, er muost vor grdxem leide sich legen üf <l<r. taut
Wolfil. I) IX. 70, 2, wie sin wir versexxen zwischen vröuden nider an
die jämmerlichen stat Walth. 13, 19, pe"oden uribltße scet Beow. 130 usw.
Zu 720, 1. 2 führt Zingcrle, Z. f. d. a. 44, 143 fgg. aus, die be-
festigang, in die Sifrid mit seinem beere sich wirft, hätte niemand
als warte bezeichnen können und will dahei lesen: si wichen von dem
strfte w einem waxxer dan, da te einer Site ein grdxer phlüm in
ran. Er muss nun erklären, dass mit waxxer „das raeer, eine meeres-
bucht" gemeint sei, was schwerlich jemand glaubwürdig finden wird.
40 ''•- «ZBK
Gewiss hat Martins besscrung ze einer warte das richtige getroffen;
in v. 2 aber ist keine notwendigkeit, das überlieferte hin ran aufzugeben.
Ich glaube Hilde-Gud. s. 346 fgg. nachgewiesen zu haben, dass Sifrids
kämpf gegen Herwig und Hetel auf den geschichtlichen ereignissen der
jähre 881/882, speziell den kämpfen um Elslow an der Maas beruht.
Ebd. s. 348 ist bereits betont, dass die sage auch das historische lokal
dieser geschehnisse, die befestigung am iluss. genau festgehalten hat.
Sie kann warte heissen, weil sie den Normannen wirklich als solche
diente; denn es war keine eigentliche bürg, sondern lediglich ein
befestigtes lager. Sifrid von Morland befolgt genau die kriegsführung
der Normannen, die bei ihren einfallen sich stets einen befestigten
Stützpunkt aussuchten, von dem sie das land verwüsteten, wohin die
beute zusammengeschleppt wurde, auf den sie beim nahen eines heeres
rasch zurückfallen konnten. So hatten ihnen besonders Gent und
Kortrijk lange gedient, 863 setzten sie sich in Nimwegen fest, 882 in
Conde im Hennegau, 883 in Duisburg, 883/84 in Amiens, 884 in Löwen,
885 in einem befestigten lager an der Seine, später vor Paris usw.,
vgl. Dümmler 3, 129 fgg., 148 fg., 209, 228. 222, 229 fg., 232. 247,
263 fg. usw.
737, 4 heisst es von Gerlind si ivunschte daz si hähen solden
beide Waten unde Fruoten. Da der Gudrundichter das Rolandslied nach-
weislich gekannt hat, so ist auch dieser vers vielleicht angeregt durch
Rol. 3590, wo Marsilie von Roland und Olivier wünscht: thie sehen
gesellen beide scolten billichen hangen, so wäre min xcille icol er-
gangen.
Für den uns seltsamen ausdruck in dax vierde laut 805, 1 hat
Martin mehrere parallelen gesammelt; vgl. noch Ottokar, Ost. reimchr.
87901 sin tohter ist diu schmnist magt, di man ze diser stunde in vier
landen vunde, Rol. 8183 ther ime sin spise hete gesant über einlif
lant, "Willeh. 342, 5 von Halzebier an sin selbes her über fünf laut
diu her ze helfe im wären benant, ebd. 339, 2 etzlicher (von den heiden-
königen) über daz fünfte mer mit maneger rotte dar was komm,
ebd. 377, 7 sus prüeve ich Poydjuses her, daz dar kom über daz fünfte
mer, Eckenlied 81, 5 do vuortenz zivei wildiu getiverc ivol durch niun
künecriche. Nicht selten finden sich ähnliche bestimmungen im nor-
dischen Volkslied. DGF. 1, 49. str. 20 antworten die Burgunden dem
Wächter Grimilds auf die frage, woher sie seien: hid saa ere ici kommen
äff trinde tyde land, d.h. aus weiter ferne; ebd. 2, 200 str. 35 räflnen
sluo synn wynnger offner thrinde konnge-rygge; Isl. fornkv. nr. 8,
str. 7 sagt die mutter zu ritter Stig pö pü siglir d pn'Sja pjööland (d. h.
BEITRÄGE ZUR KRITIK USD ERKLÄRUNG DER GUDRUN 41
sehr weit), i nätt gisiir Regisa pina sceng. In einem slavischen Volks-
lied (A. Grün, Volkslieder aus Krain, s. 35) heisst es: „trinket, fresset,
meines bruders rösslein! Dann heisst's laufen bis zum neunten lande,
dort zu finden meines bruders liebste." Dem Volksmärchen ist die be-
stimmung noch sehr geläufig. Bei Wolf DHM., s. 280 trägt das treue
füllchen den beiden „über drei königreiche weg ins vierte", ebd. s. 316
liegt das haus des vogel Greif „hinter drei königreichen und einem
grossen wasser"; im ungarischen märchen gehen weite reisen regel-
mässig über sieben mal sieben lande, vgl. Sklarek, Ungar, volksm.
s. 88. 91. 99. 103. 142. 162. 165. 166. 167. 181. 183. 188 u. ö; in
russischen märchen wird oft die aufgäbe gestellt, durch siebenund-
zwanzig länder ins dreissigste königreich zu wandern , vgl. z. b. Dietrich
nr. 3, 4 usw.
838, 2 got tuot mit gewalte, als ex umbe in stät ist verderbt
und zwar sicher durch den caesurreimer {: cid sprach Wate ihr alte la),
sodass man nicht mit Bartsch an dem zweiten halbvers ändern darf.
Ich vermute, dass ursprünglich gestanden hat: got tuot ie dem manne,
als ex umbe in stät d.h. gott verfährt mit dem menschen nach den
umständen. Vgl. Mhd. wb. 3, 135a, besonders U. Trist. 706 er tuot ir,
als man ie tete bi ligenden toiben.
Zu 864, 3 findet Martin es anstössig, dass hier ein hemd unter
der brünne gegen einen kopfhieb schützen soll, und Sijmons erklärt:
„Natürlich schützt nicht das seidene hemd unter der brünne Ludwig
gegen den köpf hieb, sondern die in dasselbe eingenähten reliquien."
Aber diese künstliche erklärung ist gar nicht erforderlich, indem wir
einfach anzunehmen haben, dass die seidene haube mit dem hemd
ebenso aus einem stücke war wie das hersenier, unter dem Ludwig
sie trug, mit der brünne. Dass die brünne im gegensatz zum halsberg
kein hersenier besessen habe (Härtung s. 440), ist eine behauptumr. der
die quellen mindestens des 12. js. aufs bestimmteste widersprechen,
vgl. Schultz 2, 32 anm. 4.
961, 4 stellt das schon von Vollmer vermutete anders mohtt <r
ir sterben niht erwenden den text gewiss richtiger her als Bartschens
<i. »lohte ir st. n. erw., dem die neueren herausgebei folgen. Denn
aller nachdruck liegt darauf, dass selbst er. der milde und feine Hartmut.
Gudrun auf keine andere weise aus der üblen läge retten konnte, in
die sein vater sie gebracht, als durch eine solche Verletzung des an-
standes. Vgl. zu dem gedanken str. L523 und EUldebrands treffende
erläuterung Zeitschr. 4, 362.
42 1ANZKR
978, 4 ist die besserung von Sijinons, der muh' ruhen für das
überlieferte emphähen einsetzt, durchaus unberechtigt und von nhd.
Sprachgefühl eingegeben. Das mhd. emphähen besteht eben in kuss
und umarmong.
Str. 1006 haben Unlands bemerkungen Germ. H. 81 ins rechte licht
gerückt. Spinnen und sticken als soziale gegensätze zeigt auch deutlich
die bemerkung über den bäurischen emporkömmlingSeifr. Helbl. VIII. 208:
sin toJäer vor frouwen ncet schön ab einem bildcer, diu billich da keimt
wcer, daz sie ir muoter spanne. Vgl. auch Kaiserchr. L1987 von der
vom fischer aufgefangenen Crescentia: ja ehan si trol mit siden [wurchen
swaz ir gevallet: an sivelhen borten man si stellet] da mag man ir
tiure ivol an kiesen.
1104, 1 wird das Hegelingische beer gezählt: man aide Li den
Schilden, wie vil ir mühte sin. .. der wurden sibenzic tüsent. Martin
bemerkt dazu: „doch wol nicht nach den Schilden der einzelnen, da
man ebenso gut die mannen selbst hätte zählen können, sondern nach
denen, die die hauptleute aufgehängt hatten". Das ist gewiss nicht
richtig. Freilich hätte man ebensogut die personen zählen können;
aber im kriege kommt es eben in erster linie auf die zahl der zur
Verfügung stehenden waffen an und hinter diesen verschwinden die
lebendigen personen, die sie bedienen. Auch das mittelalter zählte
seine kämpfer nacb helmen, Schilden, halsbergen, spiessen usw. Da
Zupitza zu Virg. 177. 8 diesen Sprachgebrauch nur mit drei stellen
belegt, auch die Wörterbücher versagen, führe ich an, was ich mir
dafür notiert habe. Zählung nacb Schilden: Ruodl. VI, 15 multi sunt
hie, quos non stwpefieri sat scio, si centnm scutis comes appetat uniun,
Roth. 4052 xwelf hundirt schilde brähter zö deine schalle, En. 143
doe der herre Eneas üi der horch leomen ivas, doe hade der helet milde
dri düsont skilde ende ridder also vele, ebd. 6694 doe quam der gräve
Volzan van Laurente toe gevaren met einre mekelen skaren: he furch
ivale hundert skilde, Gud. 632, 3 er ivolde niht erwinden, er enscehe
in da mit Schilden, Dietr., Flucht 5915 so bringt iu vil der scliilde
Rüedeg er der milde, Rabenschi. 562, 1 nach Rüedeger dem milden zogt
her Bloedelin mit achzehen tüsent Schilden, ebd. 838, 5 Rüedeger der
milde dem volgten sechzehen tüsent schilde, Wolfd. DX. 197, 3 mit fünf-
hundert Schilden er ir engegenc reit, Helbl. VII. 597 wol zehentüsent
schilde het wir daunoch hitite fruo. Ebenso wird buckelcere verwandt:
Rol. 2633 der kuninc von Marsilien iher vuorte üz siner iselen niwen
tüsent puckelare (= Karl 3101 fg.).
BEJTRiGJä ZUR KRITIK UND ERKLÄRUNG DER BÜDBDN 43
Zählung nach helmen: Rol. 2659 ther kuninc von Thüse ther
vuorte ü% slner clüse manegen heim prünen, Eilh. 5899 mit .
hundert heimln reit he do selbe, ebd. 8426 und sohle schtre sin geretin
nach üch her selbe mit drihundert helmen, Orend. 2939 (= 2959)
hie so kument si selber mit drixig tüsent helmen, die ivellent si machen
dem Grclicen Roc undertän; jüngere beispiele im DWß. 4, 2. 977.
Zählung nach halsbergen: Athis A* 112 Dionisin sie saztin mit
dusint halspergin an die huote vor den bergin , En. 8378 der heiser Freder icl,
te Romen geiviet wart nä sinre ersten lierevart. di he für over berge
met nieucgeu halsberge te Laneparten in dax Unit, Nib. 1921. 2 mit
tüsent halspergen kuoben si sich dar, 1523. 1 die Xibelunges helde
körnen mit in dan in tüsent halspergen , Wolfd. A. 144. 4 sehxic hals-
perge heix, dringen nach dir in, ebd. 159, 2 die halsperge dringen man
nücJi dem künege sach, ebd. 187. 1 mit hundert halspergen erbeixte
er üf dax gras.
Zählung nach spiessen: Rol. 2673 thare kam Maragriex, th< r
vuorte manegen freissamen spiez (= Karl 3143), Virg. 177, 8 im volgtt
vil der spiexe; nach hornbogen: Rol. 2609 Antelin von Horre vuorte
vünfzehen tüsent hornbogen, ebd. 2623 ther kuninc Maglierte, ther
vuorte vermexxene thiete, xwelef tüsent hornbogen, ebd. 4665 mit in
wären thar komen siven hundert hornbogen.
Nach Schilden, helmen und brünnen: Heinr. v. Melk, Erinnerung
412 mugen si der schilde vil geleisteit: helme uut brunne, dax ist
(Uin ir wunne, dax si mit menige riten, nach Schilden und helmen
Ortn. 53 die siner kamere phlägen, die schwofen dax man sr]inij>
drixic tüsent schilde und als manegex ritters dach, Wartb. 164, 9 fünf-
hundert helme brühten si und liehter schilde gliz ; nach Schilden und
rossen: Rabenschi. 552, 1 vrou Helche diu milde hat dir gesendet her
vünfxec tüsent schilde und als manic ors verdecket.
1109, 3 von spanischem messe wären si gebunden ist anver-
ständlich, so lange man den vers auf die anker bezieht Schönbachs
deutung (Christentum s. 175) hilft nicht, denn abgesehen davon. das>
gebunden in der von Schönbach angenommenen bedeutung „vermischt"
nicht vorkommt, hätte doch niemand sagen können: „die aus glocken-
speise gegossenen anker waren mit niessing vermischt*', sondern höchstens
„die glockenspeise, aus der die anker gegossen waren, war mit messing
vermischt". Offenbar darf eben si nicht auf die 1107, l genannten
anker, sondern muss auf die schiffe 11<>7, 1 bezogen werden und ge-
bunden steht in dem gewöhnlichen technischen sinne von beschlagen,
■14 1'aNZBK
oben zu 264, 4. Eine solche für uns auffällige umspringende beziehung
der pronomina ist in der Gud. sehr gewöhnlich.
Die episode 1125fgg. hat, wie ich nachträglich sehe, vor meinen
ausführungen Hilde-Gud. s. 361fgg. auch Graf in seiner abhand-
lung über den magnetberg (Miti, Leggende etc. 2, 363 fgg.) besproclien.
Graf stellt die angäbe unserer stelle, dass im magnetberg ein paradies
verborgen sei, mit einer reihe von Überlieferungen zusammen, die den
berg von Zauberern, f'ecn usw. bewohnt sein lassen. Das entspricht der
orientalischen tradition , die bereits (Erzählung des 3. Kalenders Weil l,85fg.)
einen Zauberer auf seiner spitze kennt; die angaben unseres gedichtes
haben damit aber m. e. nichts zu tun und erklären sich befriedigend
in der Hilde-Gud. s. 365 fgg. angegebenen weise. Auch das zusammen-
treffen mit dem Roman de Mabrian, auf den Graf verweist, ist ein zu-
fälliges. "Wenn dieser (Grässe, Sagenkreise s. 339) angibt, dass au dessus
de Vaiement en la vallec un chasteau nompareil q'on appelle fae,
parceque Artus et les fayes y habitent stehe, so ist das eine sekundäre
und gewiss sehr naheliegende Identifizierung des von feen bewohnten
chastel d'aimant, von dem auch andere quellen (Fortsetzung des Huon
de Bordeaux; spätere redaktion des Ogier) erzählen, mit dem chastel
der Morgane, wie es im Florian und Florete geschildert wird, während
die combinationen unseres dichters ganz anderer art waren. Die be-
richte im Wartburgkrieg und Reinfried v. Braunschweig von zauber-
büchern, die Sabulon und Yirgil auf dem magnetberg bewahrt bezw.
geholt haben (Graf s. 369), scheinen mir nebenbei bemerkt, wider zwei
wunderberge zu vermengen: den von Zauberern bewohnten magnetberg
und den Monte del lago della Sibilla, auf dem nach vielen berichten
auch die deutschen nekromanten ihre zauberbücher zu weihen pflegten.
Zu 1195, 4 wanne in diu vogellin ze Ormanle guote ritter
brcehten bemerkt Martin: „diu vogellin ist ungenau, da nur ein vogel
gekommen war". Der ausdruck wäre freilich mehr als ungenau, wenn
wirklich der schwan darunter zu verstehen wäre, der Gudrun er-
schienen war; er soll doch auch die ritter nicht , bringen'! diu vogellin
meint natürlich die Trompeter der morgeuröte, wie Basile sie einmal
nennt, die vöglein, die den morgen verkünden. Der satz ist lediglich
eine anmutige Variation von v. 2 (si erbiten beide Mime) ivanne ex,
wurde tac.
1247, 2 ob ir dax golt erkennet, so bin ich Hei'ivic genant, d. h.
„wenn ihr den ring erkennt, so heisse ich Herwig", ist sinnlos; die
deutungen von Bartsch und Martin aber sind gewunden und müssen
allerlei hineintragen, was nicht dasteht; Bartsch ändert ausserdem die
BEITRÄGE ZUR KRITIK UND ERKLÄRUNG DKK (iUJ)RUX 45
I Überlieferung. Es ist alles in Ordnung, sobald man richtig konstruiert
9 und interpungiert: komma nach v. 1 und 2 b als parenthese: seht auf
. meine band, ob ihr den ring erkennt — ich selbst heisse Herwig —
j mit dem ich Gudrun vermählt ward. Die parenthese ist nicht auf-
; fälliger als zahlreiche andere in unserem gedieht und vielleicht mit
jl feiner absieht gesetzt; Herwigs sich überstürzende rede malt sehr schön
| seine bewegung, sein drängen gewissheit zu erlangen. Das so, mit
I dem die parenthese eingeleitet wird, ist das bekannte, uns nicht mehr
| geläufige so des leisen kontrastes (zwischen golt und ich), den ich in
i der Übersetzung mit „ich selbst" widerzugeben versuchte.
Zu 1372, 4 der hax der Hegelinge ivirt e morgen äbent vil tcol
!j lande (vgl. 998, 4) vgl. j. Tit. 1360, 2 er muox mir tiure gelten den
kleinen, e sich der tac in äbent habe gewendet.
1385, 3fg. verspricht Gerlind mit ihren trauen den normannischen
jj kriegern in den ärmeln steine zuzuschleppen, wenn sie in der bürg
sich verteidigen wollen: ich und mine meide tragen iu die steine in
\ den stächen. Der brauch ist m. w. sonst nirgends nachgewiesen, doch
scheint eine stelle der Virginal, richtig gelesen, ihn zu belegen. Hier
i fordert Dietrich, als Hülle vor der bürg erscheint, seine schöne freundin
I Ibelin auf 516, 1: Juncvrouwe ir sulnt xe hove gärt und läxent mich
\ dl eine stän und reichent mir der steine ein sehse raste nähe bi.
jj Dazu bemerkt Zupitza: ein sehse ,etwa sechs'? Oder ist etsliche zu
, sehreiben?" Vielleicht ist die richtige lesart vielmehr ein stächt u.
vgl. 517, 1 diu maget Mre niht enlix si tele dax si der vürste hie:
1 und langte im vil der steine. Auch an das bild, das die Manessische
hs. (F. X. Kraus s. 75) dem Düring gibt, mag man sich erinnern. Es
| stellt eine belagerte bürg dar; auf der zinne steht eine frau, im be-
[ grille einen stein auf die belagerer hinabzuschleudern.
1412, 1 ist Herwiges doch wohl fehler der Überlieferung (nach
D 1413, 1) für Hartmuotes. Sichere fälle derartiger namensvertausehungen
I durch den Schreiber unserer hs. sind oben s. 33 angemerkt.
Zu 1428, 1 man künde iu von in allen geliche niht gesogen be-
I merkt Martin, der vers werde durch z. 4 erklärt: „die kämpfer waren
| nicht alle gleich tapfer; aber in dem getümmel konnte man sie nieht
unterscheiden"; Piper schliesst sich dem an. Das ist aber sicher un-
richtig. Der dichter will vielmehr sagen: „es ist nieht möglich euch
von taten und leiden jedes einzelnen der vielen tausend Streiter
in gleicher ausführlichkeit zu erzählen", ganz wie Heinrich von Veldeke
En. 11965: et war te seggeu al te laue w$ da genas end we d<i starf,
4P) PANZER, BKITRÄOK ZUR KRITTK CRP KRKLÄRUKG DKH 81 :
dt man al gencemen niet endarf noph al gencemen nietenmach, wan
dat her vele da döt lach.
Martin hat zu 1463 eine reihe von beispielen gesammelt iiii die
„altepische" art, in der hier die höchste unentrinnbare not formuliert
wird; ich habe mir noch notiert: Ortnit 486, 3 dö sprach der jeger wtse:
ich muo% in vware hüben, hiet er sieh under erde vor diu Muten
vergraben, Strickers Karl 6930 ich. bringes noch in gröxer ndt, si
entrinnen mir under di erden, Nicl. Manuel, Ablasskrämer v. 93 ich
ivil dir sunst die term von rippen roufen oder du musst mir unders
erhielt enthufen, Jourd. 3732 la cite ont si dose et enserree n'en puet
issir uns, qui soit a emblee, se par am ont n'en ist a la roter. Vgl.
auch Erec 6655 mit Bechs anmerkung.
Zu 1523,3 er vienc si bi dem hure: wer het im dax erhübet?
vgl. Xeidh. 81, 2 Lanxe der besivärte ein vil stolxex magedin: eine
kleine risen guot Karte er ab ir houbet, dar %ao einen bluomenhuot:
xoer het im dax erhübet?
1576, 2 iver möhte in widenvegen mit guoie dise vröude, die si
dö gewunnen schilt Martin einen trivialen gedanken. Möglich, dass
er uns so erscheint; in der alten dichtung aber begegnet diese art
der abschätzung sehr oft und zwar gerade wie an unserer stelle, um
das erwünschte des anblicks oder widersehens geliebter personen recht
drastisch zu bezeichnen. In Strickers Karl 5396 sagt Kursables zu
Turgin: du solt des vil gewis sin, dax ich niht goldes dtie list so grox
nceme so du bist, für dax ich dich gesehen hdn; im Goldemar 6. 9
sagt Dietrich zu den zwergeu, die ihn die frau nicht sehen lassen:
mbht ex mit iuwer hulde sin, dax ich si sehen solde, da für na>.m
ich niht tüsent marc; von Karl, der die Galie begrüssen darf, heisst
es im Karlmeinet 102, 35 wer eme gelouet an der sinnt, hundert off
dnset punt van seiner offte van golde, ich wene heg it neu en sonlde
vur dt groesse hauen genomen; als Biterolf und Dietleib sich durch
Rüedegers Vermittlung gefunden haben, heisst es Bit. 4302 Büedeger der
ivigant hete niht tüsent marc genomen, si enweeren bede dar bekomen;
Yirg. 431, 1 der äventiur diu magt verjach: so liebex ich nie nie
gesach von kleinäte noch von mägen, da vür sceh ich hern Hilte-
brant; als Jourdain seine gattin endlich widergefunden hat, sagt der
dichter 2477: ne fust si Hex por Vor d'une contree; Herr Konrad von
Altsteten meint von seiner geliebten ir kus der weere ein phant, den
ich für tüsent marke ncenie sä xe hont MSH 2, 65 usw.
FREIBURG I. B. FRIEDRICH PANZER.
THR A. MAYK.R. HDRKEN RBYFRTD 47
ÜBER DAS LIED VOM HÜRNEN SEYERID.
Seit v. d. Hagen (Grdr. 1812, 48 — 53) ,das Seyfridslied' oder
.das Lied vom hürnen Seyfrid' in die deutsche litteraturgeschichte ein-
geführt hat, ist in der sagengeschichtlichen forschung viel von ihm die
rede gewesen. Über dem sagengeschichtlich bedeutsamen inhalt hat
man aber das äussere gewand, die sprachliche form, vernachlässigt;
noch der letzte herausgeber, W. Golther, hat diesen teil seiner auf-
gäbe mit ein paar bemerkungen für abgetan erachtet. Eine Unter-
suchung dieser fragen wird um so notwendiger, als die von Golther
über den h. S. vorgetragenen ansichten ebensosehr kanonische geltung zu
gewinnen scheinen (vgl. Mogk, N. Jb. f. phil.gesch. paed. 1 (1898) 72fgg.:
Sijrnons, Grundr. III-, 639; Vogt, Grundr. II2, 300), wie sie in Wirk-
lichkeit wegen der ungenügenden berücksichtigung grammatisch -metri-
scher fragen fast auf schritt und tritt zum Widerspruch herausfordern
oder der ergänzung bedürfen1.
I. Lied oder lieder?
Es wird zunächst zu untersuchen sein, ob Golthers ansieht über die
äussere geschichte des h. S. richtig ist.
Nach Golther ist der h S. in der uns vorliegenden gestalt keine
Originaldichtung, sondern die überarbeitete zusammenfügung zweier
älterer lieder (I und II), von denen I in 1 — 15 des h. S., II in 16 — 176
wiederzuerkennen ist. Ausserdem sind eine reihe Strophen interpoliert:
38. 134—144. 154—157. 164 — 167. 170. 177 — 179 (Ji). I ist am
stärksten überarbeitet, wahrscheinlich von demselben manne, der Ji
in II einfügte.
Golthers kriterien für diese Scheidung älterer und jüngerer be-
standteile des h. S. sind sachliche Widersprüche und formelle Ver-
schiedenheiten innerhalb des gedichtes. Ich wende mich zunächst einer
betrachtung dieser zu.
Drei punkte führt Golther an:
1) Golthers arbeiten über den h. S. : Das lied vom hürnen Seyfrid. bg. v. Wolf-
gang Golther. Halle 1889 = Braunes Neudrucke 81 — 82. Geschichte d. d. litt.
Kürschner D.N.L. 163,1. 319-20. Germ. 3-1 (1889) 265 — 97 pass. Littbl. IS'.»",.
148. Z. f. vgl. litg. n. f. 12 (1898h 186 — 200. 2«9 — 31»; pass. Die folgenden aus-
führungen waren niedergeschrieben, als der aufsatz von M. Herrmann, Z.f.d.A.
46 (1903), ölfgg. erschien. Ich hoffe an anderer stellt! auf Hermanns ausführnngen
über das verwandtschaftsverhältnis der drucke des Seyfridliedea einzugehen, möchte
aber hier schon bemerken, dass ioh seine aufstellungen für ebenso anriohti) wie die
Golthers halte.
48 OHR. A. MAYKR
1. die nhd. reime sollen in I und Ji vorwiegend herr-
schen. (XX.)
Zum beweise werden 5 reime angeführt, in denen die 3. sg. ind.
praet. der verba der ersten ablautsreihe die jüngere form mit l zeigt.
Allerdings zeigt II nur die form mit ei (rayss : hayss 131,6. reytj
gemeyt 159,0). Aber I u. Ji haben die ei- und /'-form [steyg:feyg
1 13, 2; treyb : iveyb 160, 6 ; lidl : rät 11, 2; vertrieb-: lieb 14.2: lid : Sey-
frid 139,2; ritt : nit 17 0 , 2). Golther irrt, wenn er dem dichter 106, 0
einen reim wie: trib : ulp zutraut. Die nhd. diphthongierung ist dem
h. s. durchaus geläufig: vgl. iveyt : yemayt 32,0; seyn : stayn 14,6;
seyn : rayn 103, 2; vertraw : fraw 30, 0.
Für mhd. in fehlen — zufällig — belege. 166,6 ist also nur der
reim ireyb : iveyb möglich. Damit verliert unser kriterium die ihm
von G. zugeteilte beweiskraft. Der „jüngere teil" zeigt beide formen.
Ihre anwendung richtete sich offenbar nach dem reimbedürfnis, d. h.
der gebrauch beider formen ist eine eigentümlichkeit der reim-
technik des dichte rs, wie sie aus der früh -nhd. zeit sich durch
zahlreiche analoga erweisen lässt. Wenn II nur die alte form kennt,
reicht auch hier der gleiche grund aus, abgesehen davon, dass das
material zu knapp ist, um ex silentio so weitreichende Schlüsse ziehen
zu dürfen.
2. Stark apokopierte formen und rohe reime sollen sich
besonders in I u. Ji zeigen. (XX.)
G. begnügt sich mit den belegen aus I u. Ji und gibt nicht an,
was II bietet. Es müssen aber, wenn G. von „rohen" reimen spricht,
alle von der mhd. technik abweichenden bindungen angeführt werden.
Diese verteilen sich gleichmässig über das ganze gedieht. Endlich
fragt es sich noch, wie diese „rohen" reime zu beurteilen sind, ob
sie sich mit den „reinen" nicht zu einem bilde vereinigen lassen, das
der ausdruck der technik eines dichters ist.
3. Die überlaufenden konstruktionen sollen in I u. Ji
häufiger und schwerer sein als in II (XXI.)
Über den wert dieses kriteriums vgl. Jiriczek, Beiträge XVI
(1892), 116fgg., Schönbach, D. Christentum i. d. ad. heldd. 236. Zudem
sind G.s aufstellungen anfechtbar. Die häufigkeit (6 : 5) beweist bei
so geringem material nichts. Und die schwere ist doch nicht gefühls-
sache, sondern sie richtet sich nach dem syntaktischen Ver-
hältnisse, in dem die glieder des auf zwei Strophen verteilten Satz-
gefüges zueinander stehen. Ich gehe die belege durch.
HÜRST.N SF.VFRID 49
10/1 1 : wol mit demselben bache
10, 8 schnürt er den leybe seyn,
11,1 das er ward aller hürnen.
Vgl. 136/137: er würde Seyfrid nötten.
so würd der wurm die zwerge
136, 8 darnach alsampt ertödten,
137, 1 so er das magtlich bilde
durch die zwerg so verlür.
In II: 128/129: .. . holen, die da was
under dem trachenstayne
128,8 inn berg gieng, glaubet das,
129, 1 biss das der trach gefriste.
14/15: darumb sich von den hewnen
14, 8 hüb jamerlicher mordt
15, 1 an manchem held vil küne.
Vgl. 135/136: 135,8 das leer da was der berg
136, 1 darinn auch von dem schätze.
Ferner 177/178: ob eynem prunnen kalt
erstach jn der grymmig Hagen
177,8 dort auf dem Ottenwaldt
178, 1 zwischen den seynen schultern.
In II: 173/174: das wöll der teuffei, sprach Gynther.
173, 8 das man so werdt hie held
174, 1 für ander held so küne.
134/135: da Hessen die zwen künge
134, 8 den schätze ausher tragen
135, 1 unnd stiessen jn in ein h5len.
Vgl. II: 66/67: Seyfrid sprang als ein helde
66, 8 fünff klaffter hinder sich
67, 1 und fünff klafftet- herwider
sprang zu jm der vil werd.
Desgl. 159/160: nun sag mir, helt genieyt,
160, 1 lass mich deyner kunst geniessen.
Nur II hat eine form für sich, und die ist gerade die „schwerste":
146, 7 yedoch so müst er leyden
vom wurme vngemach
147, 1 (er schlug so weych das boren
mit seynem schwort so gut)
und auch die liitz vom tracheu.
Also zwischen die zusammengehörigen glieder (146, 7/8 und 147, 3) ist eine
parenthese (147,1.2) eingeschoben.
Ich vermag mich allem G.s gründen für eine formelle Verschie-
denheit gewisser teile des h. S. keine berechtigung zuzumessen. Form e 1 1
ist, der h. S. aus einem guss. Den beweis gibt die metrische Unter-
suchung des liedes.
ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. Uli. \\xv. i
50 <;MR. \. MAYBR
II. Die metrische form.
An erster stelle ist zu prüfen, ob und in wieweit reste
älterer verstechnik im h. S. widerzufinden sind1.
a) Das versende.
1. V o c a 1 d e h n u n g.
a) Nach der strophenform des Hildebrandtones: 3x, 3; 3x, 3;
3x, 3; 3x, 3 mit reim auf den geraden verszeilen, reimlosigkeit der
ungeraden wird für diese klingender ausgang verlangt. Dem fügt sich
die mehrzahl der verse; aber zahlreiche belege weisen nach mhd. technik
vix auf.
Vor 1 : - er : koler 7, 7. .9, 5.
-en: holen 131,1. 135,1; kolen 147,5.
vor r : - e : gespore 35, 5.
-en:gefaren 129,5; erweren 111,7; verloren G8, 5. 105,3. 121,3;
-horen(!) 147,1; zoren(!) 58,1; kuperan(!) 66,1. 157,1.
vor m: -e:neme 142,7.
vor n: -e:süne 134,1. 168, 5(!).
-ig : kunig 156, 5.
vor f: -e:hofe(!) 11, 7.
vor s: -e:wase(!) 79,5; rise 75,1. 85,1. 108,5. 153,3.
-en: genesen 115,7. 117,5; wesen 133,3; risen 109,1.
vor h: -en: besehen 86,5. 114,3.
vor b: -en: haben 126,5. 155,5; geben 63,7; leben 26,3. 31,3. 56,1. 82,5;
triben 139, 5.
-ich:Gybich 12, 3. 51,1. 169,1. 176,5.
vor d: -e:schmide 4,5. 7,1; Seyfride 34,1. 39,1. 41,1. 47,1. 51,5. 57,1.
60,7. 61,1. 63,3. 68,7. 69,5. 74,7. 87,5. 88,1. 89,1. 92,1. 94,1. 97,1. 98,7.
100,3. 101,3. 103,1. 104,1. 105,1. 106,1. 111,1.5. 114,1. 115,1. 116,5. 117,1.
118,5. 121,5. 127,1. 132,7. 140,1. 141,3. 143,1. 153,1. 159,1.7. 176,7.
-el:adel 174,3; edel 88,3. 107,5.
-er: wider 67,1. 78,3.
- en : Seyfriden 91,3. 145,3; vermiden 75,3.
vor g: -e:gelage(!) 150,1. 177,5; sage 28,1; tage 22,1. 174,5.
-el:nagel 172,7.
-en: Hagen 175,1. 177, 7; jagen 34,3. 42,3; sagen 29,1; erschlagen
7,5. 38, 7. 67,7. 163,5; getragen 62,5. 173,3; degen 170,1. 176,1; schlegen 78,7.
131,3; ligen 8,5. 150,5; geschwigen 177,3; betrogen 40,7; geflogen 141,5.
-et:maget 151, 7.
-est : mugest 104, 3.
vor t: -er:vater 31,5.
In diesen 125 beispielen muss, damit klingender ausgang vor-
handen ist, die nhd. vocaldehnung als geltend angenommen werden.
Ebenso in folgender gruppe von cäsuren:
1) Die belegstellen für I und Ji sind cursiv gedruckt.
HÜROT.N SKYFRTD 51
himel 40,5. 41,5. 109,7. 150,7; zusamen 78,5. 84,1; gekonieu 93.3. 158,1;
genomen 130, 1; darvone (!) 15,5; state 11, 3; gote (!) 56, 5; erliten 106,3; ge-
striten 105, 5.
Das sind im ganzen 125 + 14=139 von 716 im gedieht vor-
kommenden cäsaren, in denen mhd. vocalqaantität für mhd. versschluss
nicht ausreicht, sondern nhd. dehnung anzunehmen ist, also fast 20 °/o-
Das kann kein zufall oder sonst eine nachlässigkeit des dichters sein,
sondern muss in der spräche des dichters seinen grund haben.
Zugleich zeigt das auftreten der erscheinung in I, Ji und II 20 + 2 : 105
+ 12, dass beide stücke nahezu gleichmässig teilnehmen.
ß) Zu dieser annähme der dehnung ursprünglich kurzer stamm-
silbenvocale fügt sich eine erscheinung, auf deren wert Wilmanns
aufmerksam gemacht hat (Untersuchungen zur mhd. metrik, Bonn 1888
= Beiträge 4, 93 — 94), die Verwendung von ^x als vollständiger fuss
im versinnern.
vor w: -en:das er die löwen fing 33,6.
vor 1 : - er : ein koler sass im walde 6, 5.
-enrauf disem holen stayn 31,2. 64,5. 110,7. 118,7. 119,3. 133,2.
155, 2; der solt jm kolen geben 6, 8.
vor r: -e:die vor jm here triben 139,5; wo mag die thüre seyu 86,5.
-en:sie waynt aus jren äugen 31,7; noch must er jn verloren han
89,8. 90,8. 110,2. 167,6.
-es: auf nie res flute fert 72,4; in jres vatters lande 52,8.
-et: nun weret die hochzeyte 172, 1.
vor m: -enrvmb siinst liie nemen an 53,4. 126,4. 127,2.
vor n: -ig:vnd dass der künig Gybich 12,3. 16,4. 48,7. 159.5. 164,5; die
edel künigein 22,8.
vor s: - e : hilff gewinnen dise maydt 77,4; vnd den der ryse trflg 79, 6.
80,6. 81,2.
-er: das nie auff diser erden 44,3. 103,6. 110,6. 116,2.
-em:alhie jn disem lied 1,8. 31,2. 37,2. 41,7. 50. 1. 53,8. 02.7.
64,5. 131,2. 174,8.
-eil : aus nasen vnd aus munde 88, 7; er must jn genesen lassen 97,5;
des wesen werdt jr hören 1, 7; gewesen seyn jar 47. 2: vher disen holen stayn*' 1 10, 7:
tausent rysen vnderthan 59,4. 61,6.8. 80,1.
- es : wem solt dann dises gute 16 7. 7.
vor li : -el:von stahel ein heim hört 72.2.
-en:jm schlahen auf das eysen 4, 7. 146,4; het ye gesehen ligen v ~>
39,4. 44,4; viertzehen tag genfig 119,2. 172,2; zfl tisch, die iluhen hin 122,8.
vor b: -e:die drey künig lobesam 102.0.
-el:es nam ein nebel kappen 89,5; wie vbel haut jr than 22, 1.
-er:ryss die aus vberall 9,8. 29,6. 75,8. 141,8. L75,6; den obern
stayn gewan 1 1 5, 2.
-en : das er solt haben frag 6,4. 141, 6 \ bo lolereben Bohawen I
so wil ich geben dir 82. 0; deyn leben must du lau 10.4. 70, S. 113,3. 133,8 161,8.
-ich: mit babioh vnd mit hunden 34, i
l-
52 CHR. A. MAYER
Tor d: -eltdie edel künigein 22,8.
-er: es sass im Niderlande 1,1: vnd (Aren wider Laym 24.2.4. 31,4.
78, 2. 104, 4. 138, 7. 150. 2. 3.
-en:vnd lieff Seyfriden au 08, 2. 144, 2. 6. 177, 2; hernideu au den
Keyn 175,4.
-es: der les Seyfrides hochzeyt 179,5.
-ig:da8.s er seyn ledig wür 5,8.
vor g: -e:dass ich gelige tot 110,8; an Seyfrid sigelos 84,6.
-en:mit gold beschlagen wol 42,7; erlöst ein degen gmeyt 32,8.
34,6.7. 40, 4. 41, 6. 57, 4. 81, 3. 8. 84, 3. 91, 7. 95, 1. 156, 6; hie gegen mir zu
schätzen 82,3. 170,2; für dir hie ligen tot 116,4. 164,8; geflogen in den rafften
17, 7; verzogen da den wald 34,8; er ging gezogenliehe 115,3; vnd flugen wider ir
Strassen 143, 7.
-et : die maget von dem stayn 76, 6. 83, 4. 98. 2. 101, 4. 114, 4. 115, 4. 8.
154, 6; du schönes mägetleyne 26, 1. 30, 4. 55, 6. 83, 8. 120, 6. 141, 2\ er sprach: nun
saget, herre 45, 7 ; dem trachen siget an 107, 6.
-ent:du tugentreyne fraw 30,6. 45,5. 58,2. 76,2. 86,6. 113,4.
Mit dehnung der stammschliessenden consonanz:
vor t: -er: an meynem vatter here 22,5. 25,3. 46,6. 48,7. 51,1. 176,5; in
jres vatters land 51, 8. 134, 5.
-en:das werde boten brot 169,2.
vor m : - el : im hymel vnd auf erden 29, 5. 30, 2.
-en : warlich nit kumen her 76,4. 143,8; on ausgenuinen gotte 56.5. 60.8.
vor n: -e: den trachen ane sach 40,2.
-igrvil manig schleg on zal 66,2.
vor t: - en : funff tzehen fürsten riten ein 171,4.
-es:on gotes erbarmunge 50,7.
Mit enthetischem -e:erst ward das hören weychen 147, 7. Auf I, Ji fallen
31 belege, auf II: 136.
y) Endlich weist das gedieht eine reihe von reimbindungen kurzer
und langer vocale auf, bes. mhd. ^ (x) : j. (x) = nhd. j. (x) : j. (x).
faren : waren 9, 2. 35, 6. 123, 2. 127, 6. 143, 6; -er : herr 156, 2; erdt : leer 5, 2;
her: leer 76,2; tor : fürwar 72,6; -nam : kuperan 80,6; lobesam : lan 102,6; wunne-
sam : plan 91,2; -trib : lieb 14,2; - Seyfrid : lied 1,6; - erschlagen : fragen 163,2;
tagen : lagen 8,2; tag: frag 6,2; magt : gewagt 37,6 (7:11).
Nach allem dem kann kein zweifei sein, dass der spräche des
dichters die nhd. dehnung geläufig war.
2. Epithese und enthese.
Ein zweites mittel, das erforderliche mass der verse vor der cäsur
zu erreichen, ist die anwendung der nhd. epithese und enthese von -e.
mute (nom. sg.) 2, 7; wille (3. sg.) 3,3; schmide (nom. sg. m.) 7,1; hofe (acc.
sg.) 11, 7; jare (acc. pl.) 12,5. 26,5. 64,7. 125,3. 161,3; Nyblinge (acc. sg.) 14,1.
156, 7; warde (3. sg.) 16, 7; stane (inf.) 17, 5; haupte (acc. sg.) 21, 1. 55, 7. 72, 1.
98,3; mägetleyne (nom. sg.) 26,1; seine (inf.) 28,5; Seyfride (nom. sg.) 34, 1. 39, 1.
47, 1. 51, 5. 57, 1. 59, 7. 60. 7. 63, 3. 68, 7. 69, 5. 74, 7. 87, 5. 89. 1. 92, 1. 94, 1. 97, 1.
HÜKNEN SKYFR11) 53
98,7. 100,3. 101,3. 103,1. 104,1. 105,1. 106,1. 111,1.5. 114,1. 115,1. 116,5.
117,1. 121,5. 127,1. 140,1. 141,3. 143,1. 159,1.7. 176,7; hinache 35,3; gespore
(acc. sg.) 35,5; helde (nom. sg.) 40,1. 66,7. 162,5; Eugleyne (nom. sg.) 42,5. 45,1;
gotte (acc. sg.) 56.5; hineine 61,5; maide (acc. sg.) 69,7; zöge (3. sg.) 71,7; fürware
76,7; fewre (acc. sg.) 79,3; wase (3. sg.) 79,5; wende (nom. sg.) 86, 3; leibe (acc. pl.)
94,3; kuperane (nom. sg.) 95,7; staine (acc. sg.) 107, 1 . 110,7. 118,7. 135,3; arbeite
(nom. sg.) 111,3; weibe (acc.pl.) 115,5; weite (nom. sg.) 121, 1; vernunfte (acc. sg.)
125,1; jüngelinge (nom. sg.) 125,5; schätze (acc. sg.) 134,5. 166,5; steyge (acc. sg.)
137,3; gelage (3. sg.) 150,1. 177,5; Urlaube (acc. sg.) 156,1; leibe (nom. sg.) 161,5;
weibe (nom. sg.) 163,7; wurme (acc. sg.) 165,3; rosse (acc. sg.) 166, 7; Heyn© (acc.
sg.) 167, 1; zeyte (acc. sg.) 167, 3. 172, 1; gute (nom. sg.) 167, 7; sune (nom. sg.) 168, 5;
gienge (3. sg.) 179,7; (22:76).
Mit enthese : zoren 58, 1 ; hören 147, 1 ; (0 : 2>
Die schon unter a) 1 angeführten fälle abgerechnet, bleiben 54
belege = 7,54 °/0 , in denen durch anfügung des unorganischen e das
wort auf das erforderliche mass gebracht wird. Von den 716 eäsuren
des ganzen gedichtes sind demnach rund 27 °/0, d. h. mehr als ein
viertel nach mhd. technik unrichtig. Zum gleichen ergebnis führt eine
betrachtung von apokope und synkope am versschluss.
3. Apokope und synkope.
Beide werden in weitgehendem masse angewandt, um im reime
stumpfen ausgang zu erreichen.
«) Apokope.
«) nach kurzer silbe; ß) nach langer silbe1.
nom./acc. sg. st. n.: ß) gezwerg 153,2; gespräch 178,6; gericht 173,2.
nom. sg. sw. m. : ß) werd 67,2; trach 17,6; feyg 143,2.
nom./acc. sg. st. f. : a) zal 66,2; tür 137,4; klag 144, 8; ß) fraw 30,6; leer
o, ■/; frag 6,4; hüt 38,8 (N.! a. La.: rüw:) speis 118,6; erd 5,2; wund 108,6.
dat. sg. st. m./n.: a) tal 8,6; zil 68,6; tan 34,4. 37,2. 53,8. 78,8; ß) lied
1,8; Wut 70,6; mut 167.2; stain 31,2. 76,6; Reyn 51, 2. 102,4. 175,4; leyb 56. 4;
laid 64,8. 156,8; wald 177,8; schwerd 131,2; berg 133,2. 164,4. 168,2; gezweig
135,6. 164,2; land 51,8; grund 27,6; gang 137,6; witz 165,6; geschlecht 171.4.
dat. sg. st. f.: ß) natur 125, 2; gemeyn 169, 8; nas 178, 4; wag 28. 8; hrit 119, 8;
erdt 67,4; stund 151,6; hitz 129,2.
nom./acc. pl. st. m./n.: «) tag 172,2; ß) zweig 133,4; ring 174,6; gest 84,2
pron. pers. 3. dat. sg. : «) im 9, 6.
1. sg. ind. praes. v: «) sag 17,2. 56,8; ß) vertraw 30,8.
3. sg. conj. praes.: a) seh 175,6; ß) räch 175,8.
3. sg. ind. praet. sw. v: ß) wolt 127,2. 130,8; solt 130. ü: gert 130, l.
131,4; het 126,2; rant80,2. 147,8; kunt 149,6; verflucht 125,8; gerächt 150,2;
sucht 150,4.
3. sg. conj. praet. st. v: u) verlür 133,8. 137,2; ß) war 126,6; würd
125,4; erstach 178,8; tat 126.4. (21 : GH.
1) Ich ordne die belege noch nach grammatischen gruppeu.
54
OHU. A. MA^EH
p) Synkope (mit ■■f>''> <tclili<-h einsilbigen Wörtern I)
Nach "kurzer silbe; faren 9, 2; gefaron 35, 6. 123, 4. 127,6. 143, %\ geboren
16,6. 48,6. 63,4. 114,4. 1-12, 2; verloren 16,8. 49,8, 63,2. 114,2. 142, l\ nemen
26,4; Schemen 26,2; kumen 161,8; genuinen 161,6; verjehen 93,2. 101,6. 104,8.
161,2; gesehen 101,8. 104,6. 161,4; geschehen ^ 4; eben 6,6; geben 6,8. 71,6;
gegeben 121,8; leben 71, 8. 121,6; behagen 43, 6; sagen 15, i. 40,8. 43,4; erschlagen
15,2. 43,2. 95,8. 163,2; tagen 8,4; tragen 134,8; getragen 40, 6. 43,8; v,
134, 6; geholet 127,4; maget 17,8. 37,8. 95,6; verjaget 96,4.
Nach langer silbe: waren 9,4. 35,8. 123,2. 127,8. 143,8; kainen 39.4;
fliessen 10,2; beleiben 159, 2; treibeu 159,4; fragen 163,4; lagen 8,2; noten 136, ff;
ertöten 136,8; erbarmen 151,2; erden 54, 2; worden 48,8; verborgen 136,2; sorgen
136,4; dannen 172,6; verbrinnen 9,8; besitzen 165,8; verzoret 140,4; geschmähet
174,2; verfluchet 75,2; gesüchet 75, 4. 125,6; bleibet 162,0; beweibet 162,8; ge-
waget 37,6; gezeyget 157,6; bestellet 173,6; heltet 173,8; gespeiret 100,2; triftet
141,8; berichtet 179,6; zerrüttet 129,8; erschüttet 129,6; zwergen 168,4. (25:64).
b) Der verseingang.
Ich gehe im folgenden von der Voraussetzung aus, dass der deutsche
reinivers des 16. jhs. silbenzählend mit nichtbeachtung des natürlichen
accentes gebaut ist. Den beweis dafür bringt meine , Metrik des
Hans Sachs', die in kürze erscheinen soll; vgl. vorläufig Minor: Nhd.
Metr.2 333 fgg. und 528; 537.
Auftact.
1) ein einsilbiges, logisch tonloses wort steht vor einem logisch
betonten: i. gz. 989x. (209:780.) z. b.: 1, 1: es säss im Niderlände; 1,2: ein
kunig so wöl bekändt; 1,3: mit grosser mächt vnd gewälte.
2) eine unbetonte vorsilbe steht am anfang des verses: i. gz.
63x (15:48) z. b.: 1,8.: alhie in disem lied; 2,2: darzü stark vnd auch gross; 13,3:
gefunden wärdt so reyche.
3) ein einsilbiges wort steht am anfang des verses: i. gz. 298x
(65:233.) z. b. : 2,8: dass er nur züg darvön; 3,3: so er nicht bleyben wille; 4,8:
als ein ander schmidtknecht.
4) ein zweisilbiges auf der ersten silbe betontes wort steht am
anfang des verses: i. gz. 82 x (23:59.).
«) Namen: 28x. z. b.: 1,4: Sigmund was er genant; 36, 1: Seyf rid eylt nach
jn bälde; 36,7: Seyfrid des nicht verdrösse.
ß) Nominalkompositum: 6x. z. b. 8, 3: lindtwürm, krötten vnd ättern;
26,8: junkfräw vil wöl gethän; 119,2: viertzehen tag genüg.
y) Verbalkompositum: lx. 131,8: abrän das wässer hayss.
5) Komponierte partikeln: 9x. z. b.: 4, 1: also schied er von dannen;
21,3: dennöcht so was seyn steYcke; 27, 1: also müst du mir beyten.
() Ableitungen: 2x. 76,4: warlich mit kümen her; 170,7: künig, fürsten
vnd herren.
C) un - unbetont: lx : 117,7: vngessen vnd vntrüncken.
>]) Stammsilbe -J- flexionssilbe: 35 x : z. b. ; 14,6:. hütten Nyblinges hört;
41, 2: finstern alda begän ; 46, 3 : deyner tugent vnd trewe..
HÜKNEK SEYFK1D 55
Die mehrzahl aller verse hat demnach jambischen ein-
gang: 989 + 63 = 1052 = 73,5 %.
c) Das versinnere.
1) Apokope.
Ich gebe zunächst eine Zusammenstellung der belege für str. 1 — 60.
«) Nach kurzer silbe:
im auftact: (ich) kum wider 24,4;
in der Senkung: (er) thet fliessen 10,2]
in der hebung: (die) sün vil 14, 3; (die) sün so 16,6; (der) knäb was 2,1;
(er) züg därvon 2,8; (er) het mit 1,5. 16,5; (er) het sie 20,1; (er) het den 34,7;
(er) het Seyfrid 38,1; (er) het bey 39,3; — (ich) höret sägen 43,4; (den) künig
seyn 12, 2.
ß) nach langer silbe:
im auftact: als vil 9,4; (die) leng hat 28,4;
in der Senkung: all müsten 9, 3; kein creature 25, 5; (der) träch was 35, 6;
(er) sölt haben 6,4; (er) eylt nach 36, 1; (er) möcht fären 9,2; — (er) dienet willigk-
licheu 12,1; (es) wundert Seyfrid 10,3; etlich jär (acc.pl.) 3,8;
in der hebung: (ich) frew mich 60,7; (er) wöll dann 41, 5; (er) kern von
52,7; ündtwürm krotten 8,3; (der) träch legt 21,2; (der) träch zv 22,2; (ich) sech
sie 23. 7 ; (ein) träch wönt 49, 6 ; (ich) empfilch mich 30, 3 ; (du) zeyg mir 59, 7 ; (der)
ding gär 2,4; (er) dänck dir 46,1; (ich) bitt däss 46,7; (er) wölt nie 2,5; (er) wölt
reyten 42,2; (er) wält sein 58,7; (er) fürt sie 19,1; (er) rneynt der 7,1; (er) west
noch 37, 7; (er) beyst der 39,7; (er) dächt der 5,1.
vor einer vorsilbe: (die) wurm verbrinn .9,8; (er) würd bekänt 32,4; ferr
versendet 47,5; (das) weyt gefilde 59,3; (er) möcht geleychet 44,8; — (der) wurm
begünt weychen 10, 1.
Diese belege dürften genügen, um zu erweisen, dass die apokope
willkürlich nach dem versbedürfnis stattfindet.
2. Wörter vom typus v^x.
Sie werden im innern des verses teils als hebung + Senkung
gebraucht, teils als hebung oder als Senkung (oder als auftact). An
sich kann das ein rest älterer technik sein. Es ist aber schon
oben u. IL a. 3. ß. darauf hingewiesen, dass von den 89 zweisilbigen
reimen, 57 auf grund der allgemeinen Sprachentwicklung als einsilbig
anzunehmen sind. Die anderen 32 sind mundartlich einsilbig. In
fällen wie leben, stadel, sagen (19 x) ist für die mundartliche aus-
spräche einsilbigkeit anzunehmen als: lö'm, stä'l, säi^. Auch beleihen.
treiben, fragen, lagen (4x) haben als einsilbig zu gelten: bleim. trenn.
fräii^, lärn Auch erden, worden (2x) sind bei H. Sachs einsilbig
(> em, worn). Es bleiben als schwere synkopon verborgen, sorgen,
xwergen, fliessen, besitxcn, töten, //ofen (7x). Es darf hier auf die
56 OHR. a. M,\i Kl:
Orthographie des H. Sachs verwiesen werden, dessen starke wortver-
k Urningen sich aus dem bestreben erklären, die eigene ausspräche und
das übliche Schriftbild eines Wortes in einklang zu bringen. Daher
heisst es vber, wenn der vers zwei silben fordert, vor, wenn nur eine
stehn soll; entsprechend verborgen und verporgn, Leiptzig und Leiptzg,
und dergl. mehr.
«) Kurze silbe in clor hebung:
nemen das 121,(3; kunig so 1, 2; künig Gybichs 11, 7; künig seyn 12,2; künig
böten 32, 1 ; kunig so 43, 5; künig als 156, 4; kunig im 168, 2; vberälle 115,5 lebendig
162,6; neben im 92,3; sibentzig 54,3; döben verzert 140. 4 ; edel ein 108,6; — wider
vnd 5, 6; wider ir 143, 7; Hagen befolchen 178, 7; sägen die 30. 5; gelegen in 64, 8.
väter vnd 18, 7; 23, 3; 47, 3; 102, 3 (8 : 15).
ß) Kurze silbe in der Senkung:
kunig Jobesam 102, 6; künig hoch 158, 4; künig Gybich 169. 1 ; künigtochter 27, 7;
Gybichs hofe 11, 7; städel thor 72,6; riten ein 171,4 (1 : 6).
y) Kurze silbe im auftact:
oben aller 132,2: — vber aller 29,4; vber disen 110,7; nider in 66,4; oder
sich 103,4; oder ich 116, 3 (0:6).
d1) Lange silbe in der hebung:
vor vokal: jämer vnd 22,7; finger erkalte 10, 5; — essen vnd 119,1; linden
all 6,2 (2: 2);
vor konsonant: teuffei hin 74,3; 90,3; teuffei sprach 173,7; — hinder sich
159, 3; vnter der 99, 7; vnder dem 138, 3; — wünders niht 36, 7; — eisen schlug 5, 1;
zwischen den 11,2; — sprächen des 3,1; trachten nicht 104,4; — gäben dem 38,5;
fürsten riten 171,4; brächten mich 31,4; — scheützlich nicht 105,2 (5:10).
*) Lange silbe in der Senkung:
vor vokal: bergen in 8, 6;
vor vorsilbe: trächen gewinnen 107,8;
vor konsonant: deyner hilfe 152,6; deyner künst 160, 1; meyner grossen
150,8; seyner bräcken 35, 1; — meyner väter 23,3; trächen stain 109,3; alten zwerg
168, 4; verborgen schon 99,8; — junges bübeleyn 62, 6; — zweintzig stercke 48, 1;
grimmig Hägen 177, 7 (2 : 11).
O Lange silbe im auftact:
vor konsonant: seyner seel 124, 7; vnser taiisend 158,8; yedermänn 170, 2
(1 : 2).
3. Die vorsilben.
«) bleiben erhalten:
im auftact: z. B.: bewär 111, 2; beschleüsst 64, 4; bezwungen 153, 4; —
gewesen 47, 2; gewüchs 34,2; gelegen 64,8; — erlost 32,8; ersäch 101,4; erstach
177, 7; — vermag 93,6; verlieren 112, 4; verzogen 34,8 (5: 17);
HÜBKEN BEYFK1D 57
in der Senkung: z. b.: hie beleyben 159, 2; fru bereyt 178, 4; da begiin
41.2; — du gewältig 29, 3, hie gewännen 5,5. 5 ; hie gemachet 154, 2; — do empfand
(59, 2; wol empfangen 171, 5; — jm entwichen 149, 7; war entbrannt 18, 2; ward ent-
schlössen 100,1; — zu erneren 111, 7; da ergieng 12, 6; wöll ergan 94,8; — neu
verirret 37, 1; tür verborgen 99, 8; wol vergelten 75,3; — was zerrüttet 129, 8;
weit zergan 98, 4; wort zerbrach 29, 7; (48 : 210);
in der hebung: dö begund 101,5; — gottes erbarmunge 50, 7 ; wirds erlöst
50, 8 (— : 3).
ß) werden verkürzt:
vor der hebung, nach der Senkung: nach einer apokope: vnd gewalte
1,3; werd ge war 93, 8: het gelan 165, 4; — thur verborgen 99, 8;
nach vollständigem wort: das begündt 143,3; mich betrogen 40,7; —
seyden gewänd 85, 6; ein gewilde 5', 1; hilf gewinnen 77, 4; — schlug er entzweye 5, / ;
— stain erzittert 109,3; finger erkalte 10,5; — jn verloren 89, 8 ; dich verloren 90,8;
doben verzert 140,4; — dich villeicht 75, G; — jn zemorden 130, 4 (13:29);
vor der hebung, hinter dem auftact: so behieltst 60, 2; do begündt 150, 3;
do begriffe 109, 1; — so entgult 56, 3; — er gewän 48, 1; nun gewan 169, 1; des
gewert 24,5; — ich empfilch 30,3; — es empfing 45,5 ( — :9);
vor dem auftact: gelust keyner 77,8; gewaltiger 29,2 (0 — 2);
vor der Senkung, nach einer apokope: würm begünd 10, 1;
nach vollständigem wort: sünst geschech 126,8 (1:1).
4. Epithese.
Seyfride der 40, 1; 52, 1; — begriffe er 109, 1: den schätze aus her 134, 8; —
den leybe seyn 10, 8; den tode litt 11, 4; hayme lassen 24, 1; (den) rathe gab 128, 2;
das fewre schoss 132,8; der berge vol 155,8 (3:7).
5. Accentverletzung.
Verstösse gegen den grammatischen accent sind an jeder stelle des
verses und in jeder grammatischen katogorie zu finden. Im ganzen
zähle ich in den 1432 versen des h. S. 235 verse mit tonverletznng
= 16,4%; darunter 15 x ton Verletzung innerhalb eines verses an zwei
stellon, lx (156,7) an drei1.
1. das zweite glied eines nominalcompositums ist betont:
(c) Namen,
an erster stolle: Seyfrid 36,1.7; 49,2; i. gz. 24 x ; Sigmund /. /; Kriin-
hild 51,3; Gybich 1697. (6:21);
an zweiter sttelle: Seyfrid 13,5; 33,3; 35,3; i. gz. 14 x; Nyblin
13, 2. 8; 14, 6; Gyrnot 176, 1 (9 : 9);
an dritter stelle: Soyfrid(e) 1,6; 39, 1; 41. 1; i. gz. 46 >: ; ffigli
Nyblinge 156. 7; Krimhilde 179, 1 (7 : 42).
1) Nur eine accentverletzung und zwar vor der oäsui oder im reim i
93 verso.
58
r'uu- A. MAYEH, IIÜHNKN titVlKfO
/?) substantiva und adjectiva u. a..
an erster stello: lindtwiirm <S, 3; junckfraw 26,8; viertzehen 1 10, 2; fünfft--
zehen 171,4; dennocht 21,3 (1:4).
an zweiter stelle: junckfraw 18,4; viertzehen 172,2 ( — :2);
an dritter stelle: mutwillig 2,1; schmidtknecht 4,6'; junckfraw 30,6; u. a.
11 x. (2:9).
2. Eine ableitungssilbe ist betont:
an erster stelle: gwaltiger 29,2: künig 170, 7; warlich 76,4 (1:2);
an zweiter stelle: endtlichen 28, 2; herlich 43, 4; menschlichen 126, 2;
seltzam 35,5; stählein 80,4; teufflische 124,2 (— : 6).
an dritter stelle: taglichen 20,7; freundlichen 61,7; Eugleyne 42,5. 45,1;
erbafmunge 50,7; küuigin 51,3; weygändt 121,4; bulschaffte 125,7. (— : 8.)
3. Eine flexionssilbe ist betont:
-e: au erster stelle: beyde 39,6. 172,8; brinne 82, 7; stunde 121,3. (— : 4.)
an zweiter stelle: Seyfride 40,1. 52,1; beyde 128,5. (— : 3.)
-el: an erster stelle: zobel 43, 2; Eugel 118, 2. 153,2. 164,5. 168,5. (1:4.)
-er: an erster stelle: hinder 6, 7; oder 21,6. 90,4. 155,6; under 21,8.
88, 4. 128, 7. 135, 3; über 36, 6. 64, 2; deyner 46, 3. 55, 3; vnser 156, 7; edler 158, 4;
welcher 165,4; kuperan 153,3. (5:11.)
an zweiter stelle: vatter 2,3. 156, 7; ander 4,8; über 26,5. 89,5. 140,6.
u. a. i. gz. 13 X. (4 : 9.)
-ern: an erster stelle: finstern 41,2. ( — : 1.)
-en: an erster stelle: zwischen 8, 6; Mitten 14, 6; westen 31, 1. i. gz. 8x. (4:4.)
an zweiter stelle: krötten 8, 3; wurden 15, 2; botten 32, 1. i. gz. 15x. (4:11.)
-ens: an zweiter stelle: essens 36,3; hettens 38,8. (1:1.)
-ent: an zweiter stelle: tugent 55,3. (— : 1.)
4. Präfix un-, ur- u.a. ist unbetont:
an erster stelle: vngessen 117,7; (— : 1.)
an zweiter stelle: vnmassen 21,4; vntrewen 108,4. (— : 2.)
an dritter stelle: vntruncken 117,7; vnrnere MZ, 2; vrlaube 156,1; — auf-
sitzen 152, 3. (2 : 2.)
5) Das erste glied eines verbalcomposituras ist betont:
an erster stelle: begund 101,5; erlöst 50,8; gestorben 156, 8. (1:2.)
an zweiter stelle: erbarmünge 50,7. ( — : 1.)
Die accentversetzungen gehen so gleicbmässig durch das ganze
gedieht hindurch, dass sie die möglichkeit zweier Verfasser für die 1432
verse des h. S. ausschliessen oder wenigstens zu bemerken gestatten,
dass Golthers hypothese in der metrischen form des h. S. keine stütze
findet. Die erscheinungen der vocaldehnung, epithese und enthese,
apokope und synkope, weisen über die mhd. zeit als entsteh ungs-
zeit des h. S. hinaus; die rhythmische technik zeigt volle
Übereinstimmung mit der des Hans Sachs.
BRÜHL BEI KÖIJf. CHR. AUG. MAYER.
gOLTHER, K.ONKAÜ MAUKE« 5§
Conrad m aurer1.
Konrad Maurer wurde am 29. april 1823 in Frankenthal in der Rheinpfalz ge-
boren als einziger söhn Georg Ludwigs v. Maurer, der, seit 1826 an die Münchner
hochschule berufen, als lehrer der deutschen rechtsgeschichte und als Staatsmann zu
hohem ansehen gelangte. Alois firinz hat in der „Allgemeinen deutschen biographie",
band 20, die Wirksamkeit L. v. Maurers eingehend gewürdigt. Konrad Maurer genoss
eine sorgfältige erziehung. Er begleitete 1832 seinen vater nach Griechenland, be-
suchte nach seiner rückkehr 1834 ein Münchner gymnasium und bezog 1839 die
Universität. Das Vorbild seines taters führte ihn zu geschichtlichen und rechts-
geschichtlichen förschungen, die er in München und Leipzig unter Albrecht, vornehm-
lich aber in Berlin unter Homeyer, Richthofen und Jacob Grimm eifrig betrieb. Äti-
häehst aber wandte er sich zum praktischen beruf und bestand 1844 die Staatsprüfung.
1846 promovierte er mit der abhandlung: „Über das wesen des ältesten adels der
deutschen stamme". Diese arbeit, die noch heute wertvoll ist, ragt weit über den
durchschnitt der gewöhnlichen doktorschriften hervor und lässt bereits die besonderen
Vorzüge des scharfsinnigen, kritisch denkenden, historisch und philologisch gründlich
geschulten forschers klar erkennen.
Dem wünsche seines vaters gemäss betrat Konrad Maurer jetzt die gelehrte
lauf bahn und wurde 1847 ausserordentlicher. 1855 ordentlicher professor des deutschen
rechts an der Münchner hochschule. Seine vortrage behandelten deutsches privat-
und handelsrecht, deutsche rechtsgeschichte, erstreckten sich aber auch auf nord-
germanisches recht, religionsverfassung im germanischen heidentum und die Germania
des Tacitus. Vom sommer 1868 an las er nur noch über altnordisches recht (Staats-,
privat- und kirchenrecht) und nahm als professor der nordischen rechtsgeschichte
eine ausserordentliche, nur für seine person geschaffene Stellung untor den deutschen
rechtslehrern ein. Bis 1888 hielt er seine Vorlesungen vor einem kleinen, aber ge-
wählten kreis von zuhörern, die fast alle unter seiner leitung und anregung zur
akademischen lauf bahn als Juristen, historiker oder philologen sich ausbildeten. Das
gebiet, auf dem Maurer inzwischen anerkannter, unerreichter und unvergleichlicher
meister geworden war, lag weitab von der heerstrasse der gewöhnlichen berufswissen-
schaften. Maurers Vorlesungen setzten die kenntuis der nordischen spräche, geschichto
und altertumswissenschaft voraus und führten unmittelbar in die feinsten und schwie-
rigsten wissenschaftlichen Untersuchungen hinein.
1888 gab Maurer aus gesundheitsrücksichten seine Vorlesungen auf, war aber
noch längere zeit wissenschaftlich tätig, bis die zunehmenden mühen des hohen alters
ihn zur ruhe zwangen. So entschwand der verehrte manu langsam unseren blicken.
Sein am 16. September erfolgter tod bewegte viele herzen in Deutschland und im
norden und wird besonders bei den Isländern, bei denen Konrad Maurer geradezu
volkstümlich War, tiof schmerzlich empfunden werden. Mit Eonrad Maurer ist einer
der letzten dahingegangen , die noch Jacob Grimms persönliche leine und Freund-
schaft erfuhren, oin mann, der die germanische altertumswissenschaft, wenn auch
nur auf einem sondergebiet, begründen und aufbauen half.
Konrad Maurer lebte in stiller zuiüoktje/.ogenheit mit rastlosem tl.-is.-e nur
seiner Wissenschaft und trat niemals in die öffentlichkeit. Das von ihm vertretene
lehrgebiet der nordischen rechtsgeschichte ist in Deutschland nur wenigen faohmännern
1) Vgl. auch Philipp Zorn in der Allgemeinen zeitung L902, bei läge ox. 249.
60 ÜOLMU.K
bekannt. Darum wusstc man in weiteren kreisen nicht viel von dem ausgezeichneten,
in ganz ungewöhnlichem sinne hervorragenden manne. Er entzog sich so viel als
möglich äusseren ohren und lehnte darum auch die rektorwürde ab. Wo aber die
pflicht rief, stellte er sich mit rat und tat freudig zum dienst. Auszeichnungen,
die er nie suchte und von denen auch seine nächsten freunde kaum etwas hörten,
wurden ihm reichlich zu teil. Seit 1865 gehörte er der bayerischen akademie der
Wissenschaften an, wurde im laufe der jähre mitglied der Wiener und Berliner
akademie und aller nordischen gelehrten gesellschaften, er war ritter hoher bayerischer
orden, seit 1875 auch des Maximiliansordens, und besass die ersten dänischen, nor-
wegischen und schwedischen orden. 1892 ward er zum geheimrat ernannt. 187G
hielt er auf ehrenvolle berufung der norwegischen regierung in Kristiania Vorlesungen
über nordische rechtsgeschichte. Man suchte ihn dauernd im norden festzuhalten,
aber er kehrte nach München zurück.
1858 vermählte er sich mit Valerie v. Faulhaber und gewann in ihr die treuestc
genossin, die ihn mit ganzer seele verstand und verehrte. Von Maurers einfach -vor-
nehmer häuslichkeit schreibt ein Norweger, Ebbe Hertzberg, dass man da mit herz-
licher und wahrhaft nordischer gastfreiheit aufgenommen wurde, und dass sie zu den
liebsten erinnerungen zähle, die ein skandinavischer gelehrter aus München mitnehme.
Alois Brinz schreibt auf seine treuherzige art in der Allgemeinen deutschen bio-
graphie 20, 707 „in Konrad Maurer hat aber jeweilen einer, der keine gleich sichere
Vorschule, keine gleich bildsame Umgebung, keine gleich bewusste festigkeit des
wesens mit sich brachte — ohne ansehen von geburt und stand — noch in jungen
jahren seinen freund, eine stütze im leben, und sein vorbild im denken und handeln
gefunden und dankt dem geschicke, das dieses geschlecht in die Isarstadt verpflanzt
hat". Zwischen diesen beiden inännern bestand eine besonders innige freundschaft,
die in diesem falle ganz und gar auf persönlicher neigung und achtung, nicht auf
gemeinsamer Wissenschaft beruhte. Maurers schlichte, edle grosse wirkte schon durch
die rein menschlichen Vorzüge auf jeden, der ihm einmal nahe treten durfte.
Von Jacob Grimm in Berlin war Maurer auf germanistische Studien überhaupt
und rechtsgeschichtliche im besonderen gewiesen worden. Er begann schon als student
eine Untersuchung über angelsächsische rechtsquellen, die hernach in der „Kritischen
überschau der deutschen gesetzgebung" 1853 erschien. Ein Norweger, der architekt
Peter Holtermann, machte ihn zur selben zeit zuerst auf die nordischen quellen auf-
merksam, und Grimm empfahl dem jungen gelehrten nachdrücklich deren Studium.
Von J. Grimm und Wilda waren die damals noch wenig erforschten nordischen rechts-
denkmäler zum erstenmal für die deutsche und germanische rechtsgeschichte heran-
gezogen worden. Aber erst nach Übernahme seines lehramts in München beschäftigte
sich Maurer mit dem gebiet, auf dem er seine lebensaufgabe finden sollte. 1852 er-
schien bei Christian Kaiser in München, dessen verlag die meisten bücher Maurers
übernahm, seine erste schrift: „Die entstehung des isländischen Staates und seiner
Verfassung", worin der Verfasser eine schier erschöpfende kenntnis des altisländischen
volkes, seiner spräche, geschichte und rechtsverfassung bewies, die allgemeine be-
wunderung im norden und in Deutschland hervorrief. Es war damals überhaupt und
namentlich in Deutschland noch sehr schwierig, mit den denkmälern des nordens
bekannt zu werden. Die rechtsquellen waren nur ganz ungenügend herausgegeben
und daher lag auch ihre geschichte völlig im dunkel. Maurer erkannte mit scharfem
blick, dass eine behandlung der rechtsquellen nur auf grund einer erschöpfenden
kenntnis der geschichtsquellen möglich sei. Dem deutschen forscher stellten sich
KONRAD MAURKR 61
zahlreiche Schwierigkeiten entgegen, die masse des stoffs, die spräche der quellen,
die geringfügigkeit der hilfsmittel , der mangel an Wörterbüchern , die beschaffung der
meistens im norden gedruckten buche*-, von denen auf den öffentlichen bibliotheken
Deutschlands nur wenige vorbanden waren. Es ist ein erstaunlicher beweis von Maurers
gewaltiger arbeitstraft, dass er alle diese hemmnisse neben den anforderungen seines
lehramts für deutsche rechtsgeschichte in kurzer frist überwand. Dabei wurde er
von anfang an auf unmittelbare beschäftigung mit den quellen selbst hingewiesen.
Galt es doch keineswegs, eine im norden bereits ausgebildete Wissenschaft kennen zu
lernen und deren ergebnisse den deutschen gelehrten zu vermitteln; vielmehr war
diese'wissenschaft selbst aus den quellen erst aufzubauen. Maurer gewann aber dadurch
auch eine durchaus selbständige Stellung zur nordischen Überlieferung, die er bis ins
kleinste beherrschte. Damals legte er auch den grund zu seiner grossartigen bücher-
sammlung, die für germanische philologie überhaupt sehr reich, für nordische voll-
ständig war, deren ausgiebige benutzung er seinen freunden und Schülern gerne
gestattete. Schon diese erste schrift über Island ist in der Verarbeitung der quellen
und in der darstellung musterhaft. Noch 1882 wurde sie von Sigurd Sigurdsson ins
Isländische übersetzt und gilt mithin auf Island selbst für eine klassische, unüber-
troffene Schilderung. Maurer beabsichtigte, solche „Beiträge zur rechtsgeschichte des
germanischen nordens" in zwanglosen heften herauszugeben und zunächst die begrün-
dung der christlichen kirche und ihrer Verfassung auf Island, sodann die gemeind-
lichen und nachbarlichen Verhältnisse im isländischen freistaat zu schildern. Diese
plane wurden hernach in weit grösserem umfang ausgeführt, als Maurer zuerst sich
vorgestellt hatte, sie erwuchsen zu grossen werken, die an gehalt und umfang das
erste heft der „Beiträge" weit überragen.
Das kleine buch war nur ein Vorläufer zu dem zweibändigen hauptwerke: „Die
bekehrung des norwegischen stummes zum Christentum in ihrem geschichtlichen ver-
laufe quellenmässig geschildert" 1855/56. Vom isländischen volke wendet sich Maurer
hier zum norwegischen stammland, ja zum gesammten norden und erzählt eines der
wichtigsten ereiguisse mit wahrhaft klassischer Schönheit.
Die bekehrung Islands, die Maurer ursprünglich allein hatte behandeln wollen.
war nicht „ohne gleichzeitige stete berücksichtiguug der untrennbar in sie verlloch-
teneu norwegischen bekehrungsgeschichte zu bearbeiten und verständlich darzustellen;
andererseits gewann die so erweiterte aufgäbe ein selbständiges interesse, indem sich
nicht verkennen Hess, wie die kirchengeschichte Norwegens und Islands ganz vor-
zugsweise geeignet sei, die ebenso schwierige als wichtige frage nach dem inneren
hergauge bei dem übertritt der germanischen stamme vom heideutume zum Christen-
tum ihrer lösung näher zu bringen1". Im ersten band wird die äussere, im zweiten
die innere geschichte der bekehrung erzählt. Den norwegischen historikeru Manch
uud Keyser gegenüber steht Maurer ganz selbständig und unabhängig. Von Munchs
„Det norske folks historie" kamen Maurer die zwei ersten bände heftweise zu. nach-
dem die vorarbeiten und der erste entwurf der eigneu schrift bereits beendigt waren:
Keysers „Den norske kirkes historie" (1856/8) erschien erst nach der Bekehrung
viel Maurer dem werke Munchs, das er überall zu rate zieht, für den ersten teil
auch verdankt, so behauptet er doch an vielen stellen seine eigene abweichende
meinung, gestützt auf schwerwiegende gründe. Zu den glänzendsten abschnitten des
ersten teils gehören die prächtigon, wahrhaft künstlerisch gestalteten Charakterschil-
derungen der norwegischen könige, HakonE des guten und der beiden Olafe. Eine
darstellung, wie sie der zweite teil gibt, war Doch Die versuch! worden; hier steht
62 nnistnr.it
Maurer ganz allein. Aus zahllosen in den SQgur verstreuten einzelzügen gewann er
ein lebendiges und wirkungsvolles gesamtbild vom glaubenswechsel, wie er in der
seele einzelner personen und des ganzen Volkes sich spiegelt. Die Sammlung und
Verarbeitung der einzelheiten zur abgerundeten abgeklärten Schilderung ist ein meister-
stück. Dem heidentum sowol als der mittelalterlichen kirehe geschieht volle ge-
rochtigkeit.
So hatte Maurer bereits für seine ersten bücher die gesamte überlieferunj
Nordgermanen sich angeeignet, rechts- und geschichtsquellen und gedichte. —
bereiste er mit dem geographen Winkler, der die reise in einem hübschen buche
1861 beschrieb, Island, um land und leute persönlich kennen zu lernen. Das ganze
laud wurde durchritten; Maurer war bei den isländischen gelehrten, pfarrera und bauern
zu gast. Er vermied es, mit dänischen empfehlungon in Island zu reisen und gewann
gerade dadurch das besondere vertrauen der Isländer, die in dem deutschen gelehrten
bald einen warmen und verständnisvollen freund und fürsprecher ihrer vaterländischen
sacho erkannten und daher ihm gegenüber aus ihrer Zurückhaltung heraustraten und
ungewöhnlich mitteilsam und umgänglich wurden. Maurer beherrschte die isländische
spräche, die er sich nur aus büchern angeeignet hatte, so vollständig, dass er mit
den Isländern wie ihr Volksgenosse verkehren konnte.
Nach seiner rückkehr gab Maurer eine isländische saga, die geschichte von
Gullthorir, heraus und bewies in der behandlung des textes, dem eine ausführliche
einleitung über alter, glaubwürdigkeit und wert der saga vorausgeschickt ist, seine
philologischen kenntnisse. 1860 kamen die „Isländischen volkssagen der gegenwartu
heraus, die Maurer auf seiner reise grossenteils unmittelbar aus mündlicher Über-
lieferung aufgezeichnet hatte. In diesem buche bewährte er sein tiefgründiges Ver-
ständnis für die Volkskunde, die er stets mit besonderer Vorliebe pflegte. Seinen
bemühungen ist es zu danken, dass die reiche Sammlung von isländischen volkssagen
und märchen, die Jon Arnason und Magnus Grimsson veranstaltet hatten, zum ab-
schluss kam und 1862/64 in zwei grossen bänden bei Hinrichs zu Leipzig gedruckt
wurde. Und aus der isländischen Sammlung ist wiederum nachträglich zu ersehen,
wie trefflich und übersichtlich Maurer selbst gesammelt, ausgewählt und verdeutscht
hat. Jacob Grimm sprach in einem briefe au ihn eine wahrhaft rührende freude
über diesen ebenso reichen wie eigentümlichen Zuwachs zur germanischen sagenkunde
aus. Maurer hat die Islenzkar bjödsögur og aefintyri im 7. und 9. band der Germania
ausführlich besprochen und ebenso im 14. band, zu Willatzens Altisländischen volks-
balladen und heldenliedern der Fagringer, land und leute und ihre lieder meisterhaft
geschildert. Der schöno aufsatz Zur Volkskunde Islands im ersten band der Zeit-
schrift des Vereins für Volkskunde ergänzt und erweitert Gudbrands Vigfüssons ein-
leitung zum ersten band von Jon Arnasons Sammlung (verdeutscht in den isländischen
volkssagen von M. Lehmann - Fühes II, 1891). Man gewinnt daraus einen überblick
über die wissenschaftlichen bestrebuugen der isländischen Volkskunde in alter und
neuer zeit. Einen beitrag zur deutschen Volkskunde liefert Maurers abhandlung über
die bayerischen sagen (Bavaria I, 1).
Nachdem Maurer so auf breitester grundlage das norwegisch -isländische Volks-
tum und seine geschichte quellenmässig erforscht hatte, wandte er sich nach einigen
kleineren in der „Kritischen überschau der deutschen gesetzgebung" und der „Kritischen
vierteljahrsschrift" erschienenen aufsätzen, die sich mit den ausgaben der isländischen
gesetze befasst hatten, zu seinem hauptgebiet, zur nordischen rechtsgeschichte
und quellenkritik. Neben den rechtsdenkmälern selbst wird der vielfach rechts-
KONRAD MAURF.R 63
geschichtliche inhalt der sogur herangezogen und somit das angewandte recht auf-
gezeigt. Und die ergebnisreiche quellenkritik der gesetze führt zu einer ebenso
strengen kritik der sogur und damit zu sehr wertvollen literargeschichtlichen Unter-
suchungen.
In diesen Untersuchungen treten Maurers kritische begabung, wissenschaftliche
gründlichkeit und schöpferische kombinationskraft ins hellste licht. Keine überlieferte
meinung wird ungeprüft hingenommen, meist fällt sie vor seiner scharfsinnigen und
umsichtigen beweisführung gänzlich dahin, und ein neues, mit gründen und beweisen
wol gesichertes ergebnis tritt an ihre stelle. Maurer beherrschte alle wissenschaftlichen
hilfsmittel philologisch -historischer kritik, er besass ein feines Sprachgefühl für die
unterschiede norwegischer und isländischer rechtsausdrücke und vermochte aus eigenen
Sammlungen die altnordischen Wörterbücher, die er in gründlichen anzeigen im An-
zeiger für künde der deutschen vorzeit 1863, in der Germania 12, in der Allgemeinen
zeitung 1870, beilage nr. 6/7 und in der Kritischen vierteljahrsschrift 1886 besprach,
oft zu ergänzen und zu berichtigen, er gieng mit grösster gewissenhaftigkeit und
strengster Sachlichkeit zu wege. So erfuhr jede frage, die er behandelte, stets be-
deutende förderung, wenn nicht überhaupt endgiltige lösung.
Nun beginnt die lange reihe glänzender einzeluntersuchungen, an deren spitze
1863 die abhandlung über die „Grägäs", das isländische rechtsbuch , in der Hallischen
encyklopädie, band 77, s. 1 — 136, steht, und die meist in den denkschriften und
Sitzungsberichten der Münchner akademie, aber auch in zahlreichen juristischen,
historischen uud philologischen fachzeitschriften veröffentlicht wurden.
Der aufsatz über die Grägäs bespricht zunächst die handschriften und ausgaben und
erörtert dann die entstehung der rechtsaufzeichnung auf breitester geschichtlicher grund-
lage, aus der betrachtung der gesamten isländischen gesetzgebung seit den ülfljotstyg.
Dieser letzte teil wird 1869 durch die akademieabhaudlung: „Die quellenzeugnisse über
das erste landrecht und über die Ordnung der bezirksverfassung des isländischen frei-
staates" ergänzt. Nun folgt der beweis, dass die handschriften der Grägäs nicht etwa bloss
verschiedene recensionen eines und desselben amtlichen rechtsbuches sind, vielmehr
völlig verschiedene kompilationen , die nur grösstenteils aus denselben quellen geschöpft
und dadurch eine gewisse gleichartigkeit gewonnen haben. Diese quellen siud aber
teils gesetze, teils rechtsvorträge von gesetzsprechern, deren mehrere namentlich
genannt werden, teils privatarbeiten und formelsammlungen. Die texte der zwei
haupthandschriften , codex Regius und Arnamagn;ranus, entstanden in den jähren
1258 — 62 und 1262 — 71. Der name Grägäs für diese niemals unter einem gemein-
samen namen zusammengefassten rechtsaufzeichnungeu kam erat am anfang des
17. Jahrhunderts und nur durch einen irrtum auf. Dabei erörtert Maurer s. 98/9
auch zum erstenmal die frage, wie die liedersammlung des codex Regius zur be-
nennuDg „Edda Sa-munds" kam. Alle meinungen, die jemals von den älteren in-
ländischen gelehrten über die Grägäs geäussert wurden, unterwirft Maurer einer
strengen sachlichen kritik. Seine besonders auch au alten ausgaben und abhandlungen
reiche büchersammlung und seine aus genauen erbundigungen geschöpfte kenntnif
nur handschriftlich vorhandenen gelehrten Schriften der Isläuder ermöglicht auch in
diesem abschnitt eine sorgfältige und durchaus zuverlässige darstellung. Die Q]
frage ist durch Maurer in der hauptsache allseitig beleuohtel and der Lösung nahe
geführt worden.
Mit derselben beispiellosen umsieht, gründlichkeit und klarheit sind auoh alle
übrigen Untersuchungen Maurers geführt, so z. b. die über die entstehung teil der
64 GOLTHKR
iiltereu Gula|)ings- und Frostaf>iii{,'s]og in den Abhandlungen der Münchener akademie
1872 u. 1875 und in der Hallischen encyklopädie 97 (1878) oder die über das an-
gebliche Christenrecht könig Sverrirs (1877). Art und weise der betreffenden r<
auf Zeichnungen, Ursprung und alter, quellen, aus denen sie sich zusammensetzen,
werden gründlichst, lichtvoll und überzeugend geschildert. In der hauptsache ergibt
sich, dass die älteren norwegischen reehtsquelfen bis auf Magnus lagaboetir keine
gesetzbücher, sondern privataufzeichnungen sind, entstanden in anlehnung an den
Vortrag der gesetzsprecher. Keines der denkmäler ist älter als der anfang des
12. jhds. Wenn wir den nordischen gelehrten Keyser, Munch, G. Storni, Vilbjalmr
Finsen, Schlyter, Kolderup- Rosen vinge, die ausgaben der nordischen rechtsquelleu
verdanken, so steht Maurer an aller erster stelle unter denen, die uns jene denk-
mähler verstehen gelehrt haben. Er darf mit fug als der schöpfer der nordische);
rechtsgeschichte gerühmt werden.
Neben den aufsätzen, die sich mit den rechtsquellen selbst beschäftigen und
deren Hauptergebnisse der „Überblick über die geschichte der nordgermanischen
rechtsquellen" in Holtzendorffs Encyklopädie der rechtswissenschaft (5. aufl. 1889) und
die erweiterte norwegische Übersetzung „Udsigt over de nordgermaniske retskilders
historie" (Kristiania 1878) zusammenfasst, stehen ebenso glänzende Schriften über
den inhalt der rechtsbücher, über rechtsformen und verfahren und gerichtsleute.
Dabei wurden die geschichtsquellen in vollem umfange herangezogen. Hierher ge-
hören u. a. „Zur Urgeschichte der godenwürde" im 4. band dieser Zeitschrift, „Das
alter des gesetzsprecheramtes in Norwegen " 1875, „Über die einziehung der norwegi-
schen odelsgüter durch Haraldr härfagri" in der Germania 14, „Über die norwegischen
höldar" in den Müuchener Sitzungsberichten 1889, „Über die Schuldknechtschaft nach
altnordischem recht" in den Münchener Sitzungsberichten 1874, „Über das väpnatak
der norwegischen rechte" in der Germania 16, „Über die eingangsformel der alt-
nordischen rechts- und gesetzbücher" in den Münchener Sitzungsberichten 1886, „Die
rechtsrichtung des älteren isländischen rechts" 1887, „Über das bekenntnis des christ-
lichen glaubens in den gesetzbüchern aus der zeit des k. Magnus lagabeetir" in
den Sitzungsberichten 1892, „Über zwei rechtsfälle in der Eigla und Eyrbyggja" ebd.
1895 und 1896. Zur kultur- und kirchengeschichte gehören die beiden akademie -
abhandlungen „Über den hauptzehnt einiger nordgermanischer rechte" und „Über die
wasserweihe des germanischen heidentumes", in der Maurer eine nachahmung der christ-
lichen taufe vermutete. Die „"Wasserweihe" veranlasste den bedauerlichen ausfall Müllen-
hoffs im Anzeiger 7, 404 fgg., dem Konrad Maurer mit recht nur mit vornehmem
schweigen begegnete. Alle diese in anläge, beweisführung und gedankenreichtum, an-
schaulicher darstellung und strenger Sachlichkeit unvergleichlichen Schriften waren
eigentlich nur vorarbeiten zu einer umfassenden nordischen rechtsgeschichte,
die leider nicht mehr zur ausführung kam. Maurer verlor sich schliesslich zu sehr
in einzelfragen, dass es ihm nicht mehr gelang, das ganze zusammenzufassen, wie
es ihm früher z. b. in der „Bekehrung" so herrlich geglückt war. Im mittelpunkt
der Studien Maurers stand dabei das norwegisch - isländische recht mit seiner auf ge-
meinsamer grundlage ruhenden , aber im freistaat und unter dem königtum doch höchst
eigenartigen und verschiedenen entwicklung. Aber auch die dänischen und schwedi-
schen rechte durchforschte er aufs gründlichste, wovon einzelne abhandlungen wie
die gesamtdarstellung im „Überblick" zeugnis ablegen.
Maurers befähigung für quellenmässige geschichtschreibung bewährt siel
wiederum trefflich in der geschichte der entdeckung Ostgrönlauds (Grönland im mittel-
KONRAD MAURER
alter und Wiederentdeckung Grönlands), die er für ..Die zweite deutsche nordpolfahrt
unter führung von Koldewey" 1873 verfasste. Als einen besonders wertvollen ge-
schichtlichen beitrag liehe ich noch den im zweiten band dieser Zeitschrift veröffent-
lichten aufsatz „Islands und Norwegens verkehr mit dem Süden vom 9. bis 13. Jahr-
hundert" hervor.
Maurer hat sich endlich um die altnordische litteraturgesehichte grosse
Verdienste erworben, namentlich um die geschichtlichen sagas, sowol die Islendinga-
als die konungasogur, während er die mythischen sagas und die skaldenlieder mehr
bei seite lässt. Die beiden arbeiten „Über die ausdrücke altnordische, altnorwegische
und isländische spräche" in den Abhandlungen der akademie 1809 und „ über die
norwegische auffassung der nordischen litteraturgesehichte" im ersten band dieser
Zeitschrift sind hier vor allem wichtig. Maurer weist die dänischen und schwedi-
schen anspriiehe auf anteil am altnordischen Schrifttum als völlig unberechtigt zu-
rück, wendet sich aber ebenso entschieden gegen Keysers meinung, dass die so"ur
in der mündlichen Überlieferung der Norweger schon völlig ausgebildet gewesen seien,
so dass sie von den Isländern nur niedergeschrieben worden wären. Den Isländern
gebührt der rühm, die meisten sogn. altnordischen werke selbständig und kunstvoll
geschaffen zu haben. Die Norweger haben verhältnismässig nur wenig geschrieben
und viel später als die Isländer. Mit grosser gclehrsamkeit werden alle sogar ein-
zeln besprochen, ihr alter und Ursprungsland bestimmt, und damit wird die wis
schaftliche behandlung der altnordischen litteraturgesehichte, wonach Isländern und
Norwegern der ihnen gebührende teil sorgsam und gerecht zugemessen wird, begründet.
In den berühmten 72 anmerkungen werden beweise und belege erschöpfend ge^
Die geschichte der altnordischen prosa ruht fest und sicher auf dem von Mann
legten gründe. Nur wenige punkte, z. b. die von Maurer geleugnete Verfasserschaft
Snorris für die ganze Heimskringla, waren später zu berichtigen. Aus der akademie-
abhändlung zweigten sich mehrere einzelne aufsätze ab. So die ausgezeichict-n
arbeiten über Ari im 15. u. 36. band der Germania und die akademieabhandlung über
die Hcensa- Poris saga 1871. Ari war Maurers besondrer liebliug. Mit unermüdlichem
eifer kehrte er immer wieder zu ihm zurück und durch forschte die sogar nach den
spuren, die sein verlorenes Isländerbuch darin hinterliess. Feinsinnig wusste er Alis
eigenart und schlichte Zuverlässigkeit gegen die glänzenden leistongen Snorris her-
vorzuheben.
Auch der späteren isländischen dichtung widmete Maurer gründliehe anter-
suchungen. So gab er überhaupt zuerst die Skiöarima 1869 heraus und stellte m
haft genau die vorlagen fest, aus denen der dichter dieser prächtigen humoristis
reimerei schöpfte. Selbst die apokryphen sogur des 17. 18. jhds. behandelt ein au
im 13. baud der Germania und noch die Letzte grosse akademieabhandlung von 1894
beschäftigt sich mit der lluldar saga. Allen, auch den minderwertigen geisl
nissen der Isländer wandte Maurer liebevolle und eingehende Aufmerksamkeit zu. Er
strebte nach einer lückenlosen, umfassenden kenntnis der gesohiohtfl Islands von den
/eilen der besiedelung bis zur gegenwart herunter, und es ist bewundernswert, wie
er dieses ziel fern von Island und ohne unmittelbaren Zugang zu den handschriftlichen
schätzen der nordischen bibliotheken in unübertrefflicher weise erreichte. Bein urteil
über einzolheiteu der isländisch -norwegischen zustände im mittelalter fallt darum so
gewichtig in die wagschale, weil er wie kaum sonst jemand den Zusammenhang
ganzen überschaute.
ZKllscitini 1 I. DKUTSCHB PHILOLOÜIK. IM ». \\X\.
66 G0T.THER
Zum Jubelfest, das die insel in der erinnerung an den tausendjährigen bestand
ihrer bevölkerung feierte, schrieb Maurer 1871 ..Island von seiner ersten entdeckung
bis zum untergange des freistaates". Es ist vorwiegend eine verfassungs-, rechts -
und kulturgeschichte. Was Maurer in seinem ersten buch über Island 1852 ver-
sprach, die gemeindlichen und nachbarlichen Verhältnisse im isländi chen freistaat zu
schildern, wird hier erfüllt. Die ergebnisse der früheren Bchriften werden hier noch
einmal geprüft und kurz zusammen^efasst. Neu tritt hinzu die ge.sehicb.te vom
Untergänge des freistaats. Das hauptgewicht fällt auf die darstellung der inneren zu-
stände des freistaats auf seinem höhepunkt. Es werden auf grund der geschieht»- und
rechtsquellen der staat, die kirclic, die gemeinde, die Verwandtschaft, die nachbar-
schaft, die wirtschaftlichen zustände, die geistige kultur und insbesondere die litteratur
geschildert. Die Verhältnisse, aus denen die rechtssätze der Grägäs erwuchsen, ti
lebendig vor unsere äugen. Mit der ihm eigenen bescheidenheit schreibt Maurer über
sein in jeder hinsieht so gründliches werk: „Man wird der schritt die raschheit ihrer enf-
stehung in mehr als einer beziehung ansehen . . . Aber man soll dem buche hoffent-
lich auch ansehen, dass es auf mehr als dreissigjährigem Studium der isländischen
rechts- und geschichtsquellen , sowie auf eigener bekanntschaft mit land und leuten
ruht .. ansehen auch die innige liebe zudem isländischen volke, welche mir nicht am
wenigsten an den stellen die feder geführt hat, an welchen ich von übelständen, sei
es nun der vorzeit oder der gegenwart, zu sprechen hatte." Aber auch die Schick-
sale der heutigen Isländer lagen Maurer am herzen. Schon 1856 trat er in aufsätzen
zum isländischen Verfassungsstreit in der Allgemeinen zeitung warm für die politische
und wirtschaftliche Selbständigkeit der Isländer ein. Nach seiner reise 1859 schrieb
er für Sybels Historische Zeitschrift I u. II auf grund eigener anschauung und ge-
schichtlicher betrachtung abermals für die isländische sache; 1870 wieder in der
Allgemeinen zeitung. 1874 durfte er ebenda die erfüllung der gerechten isländischen
forderungen freudig begrüssen. Diese aufsätze, die eine staatsrechtliche frage der
gegenwart mit reifstem urteil und voller geschichtlicher kenntnis aufklären, erschienen
1880 in einer buchausgabe „Zur politischen geschichte Islands."
Maurer verfasste neben seinen schritten noch zahlreiche anzeigen, nachrufe
und dergl., die fast alle besonderen wert behaupten. "Was von nordischen gelehrten
auf dem gebiet der altertumskunde veröffentlicht wurde, besprach Maurer in deut-
schen fachzeitschriften und hielt so den Zusammenhang zwischen deutscher und nordi-
scher Wissenschaft aufrecht.
Diese anzeigen betreffen die verschiedenartigsten gebiete, und fast überall
weiss Maurer dem gegenstände neue Seiten abzugewinnen und wichtige ergänzungen
beizusteuern. Manchmal wachsen die besprechungen zum umfang selbständiger ab-
handlungen an z. b. „Nogle benuerkninger til Norges kirkehistorieu in „Norsk historisk
tidskrift" 3, III (1893), wo Tarangers arbeit über den einfluss der angelsächsischen
kirche auf die norwegische auf 113 Seiten kritisiert wird. Maurer trat in die nordi-
schen Studien ein in einem augenblick, wo alle bereits vorhandenen gelehrten Schriften
noch verhältnismässig leicht und schnell übersehen und gründlich durchgearbeitet wer-
den konnten. Den aufschwuug der nordischen altertumswissensebaft von 1850 ab
machte er in ihrem gesamten umfange in selbständiger arbeit mit. So besass er für
alle nordischen dinge fast erschöpfende kenntnisse und klares eigenes urteil.
In allen anzeigen tritt Maurers streng sachliches, oft auf überlegener kenntnis
begründetes urteil zu tage; seine einwände und sein Widerspruch sind immer förder-
lich und niemals verletzend. Maurer war viel zu vornehm uud milde, als dass er
KONftAÜ MATJRKU 67
im wissenschaftlichen streit jemals persönlich geworden wäre. Er wollte immer nur
belehren, nie kränken. Im nachruf auf Vilhjalmr Finsen hebt Maurer hervor, dass
er in ?>0 jähren mehr als irgend ein anderer gelegenheit gehabt habe, wissenschaft-
liche Streitigkeiten mit Finsen durchzufechten; aber kernen augenblick wurden dadurch
die freundschaftlichen heziehungen gestört: „In unbefangenster weise wurden viel-
mehr alle Streitpunkte unter uns brieflich verhandelt, und ermöglicht wurde dies da-
durch, dass keiner von uns beiden sich für unfehlbar hielt, und dass jeder dem
andern das zutrauen schenkte, dass auch er ohne jede rechthaberei lediglich um die
geschichtliche Wahrheit nach bestem wissen und gewissen sich bemühe". Und dieser
eine fall gilt für alle andern.
In den zahlreichen nachrufen, an deren spitze der auf Wilda im 4. band
der Kritischen überschau steht, die aber meistens nordischen gelehrten wie Vilhjalmr
Finsen, dem herausgeber der isländischen, und Schlytor, dem herausgeber der
schwedischen gesetze, Jon Sigurösson, dem isländischen forscher und politiker, Guö-
brandr Vigfüsson, Möbius u. a. gewidmet sind, gibt Maurer anschauliche treue
Schilderungen von der persönlichkeit und dem schaffen der ausgezeichneten männer,
denen er die letzte ehre erweist.
Maurers Vorlesungen waren wie seine Schriften durch den zauber seiner
vornehmen persönlichkeit geadelt. Er sprach stets, auch über die schwierigsten
gegenstände, frei, ruhig und sachlich, dabei höchst lebendig und anschaulich. Seine
vortrage waren selbständige wissenschaftliche Untersuchungen; sie forderten scharfes
mitdenken und mitarbeiten, waren aber musterhaft klar und fein durchdacht und
darum bis ins einzelne verständlich. Er erschien uns wie die leibhaftige Verkörperung
eines jener weisen nordischen gesetzsprecher, deren amt und würde er so trefflich zu
schildern verstand. Die fülle von wissenschaftlicher forschung und reichen ergebnissen,
die hier geboten wurden, lassen bedauern, dass so vieles davon, z. b. die geschichte
des isländischen und norwegischen gerichtswesens, des altnorwegischen prozesses,
des isländischen strafrechts, nicht allgemein zugänglich gemacht wurde, weil Maurer
in übergrosser gewissenhaftigkeit den für die Vorlesung bereits gründlich durchdachten
und verarbeiteten stoff noch nicht für reif und abgeschlossen zum druck hielt.
Trotz allen wissenschaftlichen erfolgen, trotz der auerkauuten führenden Stellung,
die er einnahm, wähnte Maurer seltsamer weise, in dem augenblick, wo er aus der
praxis zur Wissenschaft übertrat, seinen eigentlichen beruf verfehlt zu haben. Er
stellte an sich selbst zu hohe auforderuugeu und nahm das leben recht schwer. Daran
war zum teil das gefühl der Vereinsamung schuld, da er fern vom norden seine
nur im Studierzimmer, nicht im lebendigen, anregenden verkehr mit fa<
vollbrachte. Mit besonderer freude gedachte er seiner Vorlesungen in Kristiania, wo
ihm ein grosser kreis von hörern, unter ihnen die ersten norwegischen gelehrten, be-
schieden war. Da fühlte er sich durch den regen gedankenaustausoh in seinem
berufe einmal wirklich glücklich und zufrieden. Vielleicht wäre es ihm unter solchen
Verhältnissen auch leichter geworden, seine grossen plane zum ahsohluss ZQ brii
statt in der Münchener einsamkeil sich schliesslich in einzelfragen zu vergrübein.
Der grundzug in Maurers wesen war hohe gute, die sich auch durch weit-
reichende, in aller stille geübte wohltätigkeil kundgab. Welche förderung er -einen
Schülern zuwandte, wie er mit rat und tat an allen ihren Schicksalen teilnahm, das
wissen alle, dio er seiner teilnähme würdigte, dankbar zu rühmen. Neben Bi
rastlosen tätickeil il foi jeher und lehrer untcrhiell or mit seinen in dei ferne
08 QOWHRH
weilenden freunden bis in die letzten jähre seines leben einen regen und umfang-
reichen brief Wechsel, in döm er freigebig aus seinem reichen wissenshort spendete.
Maurers prächtige gestalt erregte aufsehen und be wunderung, wenn er bei universitäts-
feiern im roten talar der juristenfakultHt erschien. Bein edel geformtes, ausdrucksvolles
haupt in schneeweissem hart und haar mit dem klaren äuge, aus dem mitunter die
geistige Überlegenheit schalkhaft wolwollend hervorblitzte, blieb jedem unvergesslich.
Sommer und winter ging er im einfachen Überrock ohne jeden Schutz gegen wiud und
wetter. So schritt er durchs leben wie ein abbüd Odins, der als wanderet- mit weisem
rat und kluger rede bei den menschen zu gast kommt.
Schriftenverzeichnis.
Ich verzeichne sämtliche mir bekannte Schriften, die selbständigen werke und
abhandlungen vollzählig, von den kleineren anzeigen wenigstens die Zeitschriften, in
denen sie stehen. Ilerrn general von Belleville in München habe ich für freundlich«
hilfe zu danken. Ein bis 1875 reichendes Verzeichnis fügte Ebbe Hertzberg seinem
aufsatz über Konrad Maurer in (Norsk) Historisk tidskrift 3, 1875, s. 381—4 bei. Vgl.
auch den Almauach der k. b. akademie der Wissenschaften 1884 s. 197 fgg; 1890 s. 95;
1897 s. 125.
Selbständige Schriften.
Über das wesen des ältesten adels der deutschen stamme 1840.
Die entstehung des isländischen Staates und seiner Verfassung 1852.
Dasselbe in isländischer Übersetzung: Upphaf allsherjarrikis älslandi og stjörnarskipunar
pess. Islenzkatt af Sigurdi Sigurdarsyni. Reykjavik 1882.
Die bekebrung des norwegischen Stammes zum Christentum 1855/6.
Die Gull-Poris saga 1858.
Isländische volkssageu der gegenwart 1860.
Island von seiner ersten entdeckung bis zum Untergang des freistaates 1874.
Das älteste hofrecht des nordens 1877. (Festschrift zur Jubelfeier der Universität
Upsala.)
Zur politischen geschichte Islands 1880.
Beiträge in festschriften usw.
Das alter des gesetzsprecheramtes in Norwegen (festgabe für L. Arndt) 1875.
Studien über das sog. christenrecht könig Sverrirs (festgabe für Spengel) 1877.
Die rechtsrichtung des älteren isländischen rechtes (festgabe für Planck) 1887.
Grönland im mittelalter in der „Zweiten deutschen nordpolfahrt unter führung von
Koldewey". Leipzig 1873.
Abhandlungen der k. b. akademie der Wissenschaften zu München:
Über die ausdrücke altnordische, altuorwegische und isländische spräche 1869.
Die quellenzeugnisse über das erste landrecht und über die Ordnung der bezirksvor-
fassung des isländischen freistaates 1869.
Die Skidarima 1869.
Über die Hcensa-Poris saga 1871.
Die entstehungszeit der älteren Gulabingslög 1872.
Über den hauptzehnt einiger nordgermanischer rechte 1874.
Die eutstehungszeit der älteren Prostupingslög 1875.
Norwegens Schenkung an den heiligen Olaf 1877.
KONRAD MAURER 69
Über die wasserweihe des germanischen heidentums 1880.
Die Huldarsaga 1894.
Sitzungsberichte der k. b. akademie der Wissenschaften
zu München:
Über ein isländisches lied auf kaiser Friedrich den rotbart 1867.
Die Schuldknechtschaft nach altnordischem recht 1874.
Die berechnung der Verwandtschaft nach altnorwegischem rechte 1877.
Die freigelassenen nach altnorwegischem rechte 1878.
Die ärmenn des altnorwegischen rechtes 1879.
Über die entstehung der altnord. götter- und heldensage 1879.
Über die norwegisch -isländischen gagnföstur 1881.
Der Elisabeth von Schönau Visionen nach einer isländischen quelle 1883.
Die unächte geburt nach altnordischem rechte 1883.
Das Verdachtzeugnis des altnorwegischen rechtes 1883.
Die eingangsformel der altnord. rechts- und gesetzbücher 1886.
Das angebliche vorkommen des gesetzsprecher-amtes in Dänemark 1887.
Die norwegischen höldar 1889.
Das bekenntnis des christlichen glaubens in den gesetzbüchern aus der zeit dos königs
Magnus lagabujtir 1892.
Ein neues bruchstück von Södermannalagen 1894.
Zwei rechtsfälle in der Eigla 1895.
Zwei rechtsfälle aus der Eyrbyggja 1890.
Zeitschrift für deutsche philologie.
Bd. 1. Über die norwegische auffassung der nordischen litteraturgesehiehte. 1869.
IM. 2. Islands und Norwegens verkehr mit dem südeu vom 9. — 13. jhd. 1870.
Bd. 4. Die älteste cetologie. Zur Urgeschichte der godenwürde. 1S7:!.
Bd. 21. J6n Arnason. 1889.
Bd. 22. Gudbrandr Vigfüsson. 1890.
Bd. 23. Aug. Theod. Möbius. 1891.
Bd. 24. Arthur Reeves. 1892.
Bd. 25. Zur geschichtc des begräbnisses morc teutonico. 1893.
Bd. 27. Johan Fritzner. 1S95.
Bd. 31. Kälund, Gullporis saga. 1899.
Germania.
IM. 2. Schneewitchen. 1857.
Bd. 7. Dasent, The story of Burnt Njäl. 1862.
Bd. 7 und 9. Jon Arnason, I'joösogur. 1862 und 1864
Bd. 10. Zur geschichte der isländischen litteratur. (Bruchstücke des Bauksbök;
Eyrbyggja ed. Vigfüsson). 1865.
Bd. 12. Ein altes kindergebet. Altnordische WÖrterbÜoher. Fall Sveinsson, Kröka-
refssaga usw. 1867.
Bd. 13. Über isländische apokrypha. 1868.
Bd. 1 1. Über die einziehung der norwegischen odelsgüter durch könig Harald hurfagri.
Willatzen, Altisl. volksballaden und heldenlieder der Feeringer. Jon Porkolsson,
/Efisaga Gizurar Porvaldsonar. lsiü».
IM. I."). liier das alter einiger isländ. rechtsbücher. Ober Ali Porgilsson und sein
[sländerbuch. Bildebrand, Konungaboken af Snorre Sturiason.
70 KONRAD m '.nun
Bd L6. Öher das väpnatak <ler nordisohen rechte. Die Programme der gelehrten
BChulen Islands. 1871.
Bd. 17. [var Aasen, Ne.r.-k ordbog. \ b Ite folkeeventyr. 1872.
Bd. 18. Kölbing, Riddarasögur. Bildebrand, : folket under hednatidon. 1873.
Bd. L9. Freimarkt, Zur neueren litteratur aber nord. philologie und geschichte.
Da gottesurteil im altnord. rechte. Cederschiöld, Bandamannasaga,
Bd. 20. Über isländische apokrypha. 1875.
Bd. 23. li"T runenhandschriften. Johan Erik Rydqvist. 1878.
Bd. 24. Zur topographie Islands. Zum alten schwedischen hofrechte ls70.
Bd. 25. Die Sprachbewegung in Norwegen. Gragas hrg. von Finsen. 1880.
Bd. 26. Die riesin Hit. 1881.
Bd. 36. Grber Ari frodl und seine Schriften. 1891.
Germanistische Studien bd. 1.
Das sog. christenrecht konig Sverrirs. 1872.
Anzeiger für künde der deutschen vorzeit 1
Waldbär und wasserbär (zn Dhland, Germ. 6, 307 fgg.). Altnordische Wörterbücher.
Zeitschrift für deutsches altertu'm 1 >d. 18 (1875).
Runen in Berlin.
Zeitschrift des Vereins für Volkskunde.
Bd. 1 und 5. Zur Volkskunde Islands. 1891 und 1895.
Bd. 2. Das schneeschuhlaufen in Norwegen. 1892.
Bd. 3. Zum aberglauben auf Island. 1893.
Bd. 4. Die hölle auf Island. Zahlenbezeichnungen und rechtsleben. IS94.
Bd. 6. Die königslösung. Die bestimmten familien zugeschriebene besondere Heil-
kraft. Zum wettkampf des zaubereis mit seinem lehrling. 1896.
Bd. 8. "Weiteres über die hölle auf Island. Das clbenkreuz. 1S98.
Arkiv för nordisk filolo.ui.
Bd. 4. Vopu und vokn. 1888.
Bd. 5. Vigslodi. 1889.
Bd. 6. Reksbegu. 1890.
Bd. 7. Theodor Möbius. 1891.
Historisk tidskrift (Kristiania).
II, 3, 1887. Die einteilung der älteren Frostupingslög.
III, 2, 1893. Nogle bemserkninger til Norges kirkehistorie.
Sybels Historische Zeitschrift.
Bd. 1/2 1859. Der Verfassungskampf Islands gegen Dänemark.
Allgemeine zeitung.
185G, 2., 10., 11. okt.; 1870, 7.. 25.. 20. märz; 11., 12. april; 1874, 21., 27., 28.jan.
und beilage von 210, 222, 22.'.!: Zum isländischen Verfassungsstreit.
1870, beil. (3/7. Gudbrand Vigfusson, Au icclaudic english glossary.
1880, beil. 41. Jon Sigurdsson.
1885, beil. 53. Asbjörnsen.
SOKOLOWSKY, NACHAHMUNG DES ALTÜ. MINNESANGS IN DER NEUEREN DEUTSCH. LITTKRATCR 7 1
Allgemeine encyklopädie der künste und Wissenschaften.
Band 77 (1863), s. 1 — 136. Graagaas.
Band 96 (1877), s. 377—418. Gulabing.
Band 97 (1878). s. 1 — 74. Gulapingslög.
Encyklopädie der rechtswissenschaft von F. v. Holtzendorff 1? 1S72,
247 — 85; I5 1889, 251 — 385. Überblick über die geschichte der nordgermanischen
rechtsquellen. Dasselbe in erweiterter norwegischer fassung: Udsigt over de
nordgermaniske retskilders historie (oversat af Ebbe Hertzberg) Kristiania 187S.
Der abschnitt über das isl. recht ist im , Lögfoedingur ' III, 1899 ins isländische
übertragen: Yfirlit yfir lagasögu Islands.
Kritische überschau der deutschen gesetzgebung (1853 — 9).
Bd. 1, 2, 3. Über angelsächsische rechtsverhältnisse.
Bd. 1. Über die isländischen gesetze und deren ausgaben.
Bd. 2. „Über den begriff der autonomie" von Gerber.
Bd. 4. Nachruf auf Wilda.
Bd. 5. Das beweisverfahren nach deutschen rechten.
Bd. 6. Zur isländischen rechtsgeschichte.
Die Eritische vierteljahrsschrift für gesetzgebung und rechts-
wissenschaft (seit 1859) enthält fast in jedem band berichte über rechtsgeschicht-
liche, besonders nordische werke. Ich nenne hier nur den aufsatz in bd. 23: Der
verfassungskampf in Norwegen und die nachrufe auf Albrecht 19, Sehlyter 31, Frederik
Brandt 34, Yilhjälmr Finsen 35, Aubert 38.
In Herzogs realencyklopädie für protestantische theologie und kirche. vgl.
Halitgar (5), Island (7), Norwegen (10). Kleinere beitrage, insbesondere kurze an-
zeigen enthalten die Gott. gel. anzeigen 1880; Athenäum 1896; Folkeveunen 1894
ny rsekke 16; Ny felagsrit 1857 und 1864; Litteraturblatt f. germ. u. rom. phil. lv^ '.
1883, 1885, 1890; Litterarisches centralblatt 1877, 1880, 1881, 1S85, 1S87 — 90;
Jenaer litteratur-zeitung 1874/5, 1877, 1879; Englische Studien 16, 18, 22; Verhand-
lungen'der gesellschaft für erdkunde in Berlin 1S9S; Petermanns mitteilungen 1S9S;
Kevuo critique 1S75; Deutsche Zeitschrift für geschichtswissenschaft 5, 7 — 9, 12, u.f. 1;
Böhms Zeitschrift für internationales privat- und straf recht I, 1S90; Tidskrift for rets-
videnskab I; Zeitschrift des Vereins für Volkskunde 1, 3, 5 — 7.
ROSTOCK, OCT. 1902. W. G0LTHER.
MISCELLEN.
Die ersten versuehe einer nacliahinnng des altdeutschen minnesangs
in der neueren deatsehen litteratur«
In meiner dissertation (Jena 1891) habe ich das auflohen des altdeutschen D
sangs in der Wissenschaft bis zu demjenigen augenblick verfolgt, wo durch die Bodmer-
Broitingerschen Publikationen: ., Proben der alten schwäbischen poesie des L3. Jahr-
hunderts" (1718) und „Sammlung von minnesingern aus dein schwäbischen Zeitpunkte11
(1758/59) die grosse sog. Manessische liederhandschrift — wenn auch aoeh m
haft und nur unvollständig — zugänglich gemacht wurde. Wie bisher Melchior
Goldasts „Paraenetici1' die grundlage für das wissenschaftliche Studium der alten
lieder waren, so giengeu nun seit den jähren 1718 und 17.'>!> die gelehrten bestrebungen
72
und die nachdichtungi i [enen beiden Bo d veröffentHchuj
aus. K . i i ja ii' ii' ait Gleim aad den Göttingern wirklich zag in die
dichterische erneuern ng der minnesinger kam, so unbedeutend im übrigen auch deren
Lohe oooh waren man jedoch G bearbeitungen mter-
nommeo hat, ja dasi auch entgegen der landläuE I Dicht einmal
Bodmer d ler mit einer derartigen naohdichtui
;,.■!! Bodmer und Gleim noch andere iih imachl worden
dies zu i ill die auf| [es ein '.
dienst, den altdeutschen minnesang zuersl zum ind dichterische]
behandlung gemacht zu haben , ;ebühiH Mo berosch-Fhilander, der im „Weiber-
lob" (IL teil, 3. gesiebt] ein furnier vor kaiser Eeinrich I. ti and ich dabei
durch den abdruck des vollständigen, in der Mai handschrift dem grafeu
von Leiningen zugeschriebenen lied.es augenscheinlich bemüht, vor seinen lesern ein
poetisches bild von der zeii des turniers und des höfischen minnesangs zu entwerfen.
Und auch durch die wenigen worte, die Philandei in „Von tragedien
und belliscnen geistern" über den „Cavalier Milon", d. h. doch wol Meinloh von
Sevelingen sagt: „In einer Stall Bircano genandt, fände ich einen von Adel, einen
dapfferen schönen jungen mann .... Dieser Cavalier liiess mit Namen Milon... Er
machte schöne Vers, in welchen er sein Leiden zu erkennen gab, vnd richtete allerley
Ritterspiel und Ringelrennen seiner Dann' zu Ehren- an", — durch diese wenigen
worte wurde dem leser des 17. Jahrhunderts der typus eines altdeutschen minnesingers
mit seinem frauendienst, seinem rittorspiel und seinem versemachen ziemlich an-
schaulich vor äugen gestellt. Aber Moscheroscb- Philander steht mit diesen seinen
halb dichterischen, halb kulturhistorischen bemühungen innerhalb seiner zeit ebenso
vereinzelt da wie Hofmann von Hofmannswaldau mit seinen bestrebungen , einige
Strophen des minnesangs zu erneuern.
In der vorrede zu seinen 1673 erschienenen „Deutschen Übersetzungen und
gedichten'\ wo er nach art der Poetereyeu eine kurze übersieht über den entwick-
lungsgang der deutschen litteratur gibt, teilt Hofmannswaldau nicht nur einige citate
aus "Werner von Tüfen, Wolfram von Eschenbach, "Walther von der Vogeiweidc,
liVinmar vou Zweter und herzog Heinrich von Breslau naeli Goldasts „Paraenctici'-
mit, sondern fügt ihnen auch Übersetzungen hinzu. Dass ihm dabei das leichtfüssige
versmass der minnesinger und der freie wrechsel der verschiedensten versfüsse —
wenigstens in der regellosigkeit, wie sie Goldasts Veröffentlichungen darboten — nicht
gefiel, wer wollte ihm das verargen? War er doch der söhn einer zeit, in der der
geist der poesie durch überladenheit und strenge beachtuug von schulregeln schon
an und für sich scharf gegen den freien zug und die naive frische der mittelalter-
lichen lyrik abstach. Sehr bezeichnend ist es für Hofmannswaldau, dass er schon
bei der herübernahme des textes das bestreben zeigt, die versfüsse gleichmässiger zu
gestalten. Hauptsächlich tritt dies in der strophe Walthers: 'Wer zieret nü der eren
sal?' (MSH LXX, 3) hervor. Goldast hatte deren jambisches metrum nicht vollständig
durchgeführt, sondern — wie es die handschrift zeigte — vers 5 und 9 mit trochaeen
beginnen lassen; Hofmannswaldau hingegen wandelt diese beiden verse dadurch in
1) Unter dem begriff ..Minnesinger1', sind hier selbstverständlich alle dichter
der grossen Heidelberger lioderhaudschrift zusammenzufassen; es gehören also auch
die lehrgedichte: .. Der Wiusbeke", „Die Wiusbekin" und der „König Tirol'1 hierher.
2) Dies gesiebt soll übrigens nicht von Moscheroscb selbst sein, vgl. Goedeke,
Grundr. HI2, 233.
NACHAHMUNG DBS AI.TD. MINNESANGS IN DKR NEUEREN DEUTSCH. LITTERATÜK 73
jambische um, dass er in vers 5 ungeachtet des dadurch entstehenden hässlichen
hiatus ein „jo" einfügte und in vers 9 „ir" durch „ire" ersetzte1. Vers 6 und 8
fangen aus demselben gründe bei ihm mit einem zweisilbigen auftakt („Kernet"
und „Die da") an, während hei Goldast auch diese verse trochaeisch waren.
Von den gleichen erwägungen wurden auch seine Übertragungen, sowol in
bezug auf den ausdruck wie auf das versmass, bestimmt. Wie in der poes*ie jener
zeit überhaupt, so spielt natürlich auch hier der Alexandriner die hauptrolle. Kein
vers ist mehr an die regel gebunden und keiner lässt weniger Variationen zu als
dieser. Bekundet seine anwendung daher auch Hofmannswaldaus streben nach aus-
gleichung der Verschiedenheiten unter den versfüssen, so ist doch auch seine absieht,
hier und dort den vers des Originals beizubehalten, nicht zu verkennen. Sehr lehr-
reich ist in dieser beziehung seine Übersetzung der Strophe des bruders Wernher:
'So we dir werlt so we im der dir volgen muoz' (MSH V, 1). Nachdem er die beiden
eisten lebendigen verse des minnesingers fast bloss in neue Wörter umgesetzt hat.
verfällt er vers 3 — 10 in das Alexandrinermass. Vers 11, den man wol in zwei zu
zerlegen hat, beginnt in seinen beiden hälften mit dem trochaeischeu Schlagwort:
„Nackend". Vers 12 ist wieder ein Alexandriner und vers 13 endlich ist ein vier-
füssiger Jambus wie vers 7 des Originals. Ähnliche vermengungeu von Alexandrinern
und minnesingerversen finden sich in allen seinen Übertragungen in reicher anzahi.
Der lange Alexandriner aber rief mit seiner strengen gesetzmässigkeit eine
gewisse Verlängerung des ausdrucks hervor. Meist gibt sich diese in starker Über-
ladung kund, namentlich durch häufung der epitheta (z. b. für 'angesiht': ' ihr freund-
lich angesicht', oder für 'ougen': 'der verliebte glänz der äugen'), oder durch reihen
von flickwörtern : „gleichwie" [für einfaches: wie], gantz, auch, stets). Als eine art
von flickerei kann man es wol auch ansehen, wenn er einmal zwei verben, von
denen das eine schon an sich den finalen nebensatz regierte, in eins zusammenzieht
und sodann haupt- und nebensatz durch das einschiebsei: 'zum zeichen dass . .' ver-
bindet. Nur einmal hat Hofmannswaldau sich in diesen Übertragungen zu einer
kürzung verstanden, insofern er nämlich einmal, und zwar nicht ganz ungeschickt,
zwei verse des Originals zu einem verschmolz. Er tat es aber nur, um einen im
original allein stehenden vers in die reimverschliuguug hineinzuziehen. AVas jedoch
bei alledem anerkannt werden muss: der sinn ist im grossen und gauzen gewählt
geblieben. Dass sich zuweilen ein kleines versehen oder ein im munde der minne-
siuger nicht recht passender ausdruck eingeschlichen hat, — z. b. wenn er 'hüsere' mit:
'Haus und weih' übersetzt — wird man ihm verzeihen, wenn mau dagegen hält,
dass auch manches besser übertragen ist, als man es bei diesem ersten versuche
hätte erwarten dürfen.
Hatte Hofmannswaldau nur einige liederstrophen übersetzt, so unternahm es
um das jähr 1700 Dietrich von Stade als der erste, auch den Winsbekc. die
Winsbckin und den König Tirol in das neuhochdeutsche zu übertragen*. Das volumen
aber, in dem diese arbeit enthalten gewesen, ist wie die meisten übrigen werke Stades
leider nicht an das tageslicht getreten. Ob er durch Hofmannswaldaus Vorbild irgend
welche anregung empfangen hat, lässt sich auch nicht erkennen. Bei Dodmer,
der als der nächste den versuch einer Übersetzung von minnesingerstrophen wagte,
1) Hofmannswaldau schreib! also:
v. 5: Swer zühi hat dei is( jo ir gouch.
v. 9: nur ist ez i re werdekeit.
2) Interpretatio vornacula. Vgl. meine dissertaüou s. i'.'i.
7 1 BOKOLOWBKY
muss eine Bolohe beeinflu ing unentschieden '> !"ns scheint
daraus, dass Bodmer in den „Critischen briefen" (nr. XIIli die spräche der alten
deutflehen heidi ber derjenigen lobt, die „Hofmannswaldau ihnen in seinen
erdichteten liebesbriefen in den mund leget", kaum etwa, gewisses gefolgert werden
zu können.
im „Charakter der teutschen gediohte" (1734) bai Bodmer seinen ersten
Buob einer Bolohen Übertragung gemacht. Es bandeli Bich am ein paar rerse der
Winsbekin, die den Strophen 13, 16, 19, 29, 31, entnommen und von Bodmer der
mutter in den mund gelegi sind, obwol er Bie zum teil auch aus den Strophen
tochter schöpfte. I>a sein gedieht in Alexandrinern geschrieben ist, 30 wurde dadurch
wie bei Eofmannswaldau eine Verbreiterung der ausdrucksweise bedingt, die Bich in
Zusätzen offenbart. Diese zusätze sowio die von Bodmer zugedichteten vor-.- z
dass die alten lehren in die modernen anschauungen übertragen wurden. Ein junger
lierr z. b., der „der dame für die ergebung den Bchön ten dani bezeug! und seinen
höhern geist zu ihr hernieder neigt", isl ganz gewiss keine figur im sinne der alten
minnesinger. Und mhd. 'zuht' ist nicht dasselbe wie das religiös -sentimentale
ltugend'. Einst hatte die Winsbekin die befolgung von zuht und Bcham bloss als
lebensregel der tochter vor äugen gehalten, — jetzt sind begriffe wie 'tugend' und
Master' bestimmter geworden, denn die tugend ist mit sehranken umzogen und das
laster ist eine Beuche. Wie trivial aber ist es, wenn Bodmer sogar von der mutter
sagt: „Sie lobt und liebt es (das kind) auch, wie eine mutter soll'-, wo das original
nur hatte: 'Jun wiplich wip mit zühten sprach z'ir tochter, der si schone pflac'.
Offenbart Bodmer mit seiner lehrhaften manier ähnliche grundsätze, wie sie
später Gleim vertritt, so steht seine Übertragung von kaiser Heinrichs erstem liede
in den „Freymüthigon nachrichten von neuen büchern'- ( 1 74.")) unter dem unmittel-
baren einfluss von Gleims soeben erschienenem „Versuch in scherzhaften liedern,
Zweeter Theil. Berlin 1745", wie er sie denn auch selbst bloss als einen beweis
betrachtet wisseu wollte, dass in dem grossen codex „Lieder nach Anakreons und
Gleims manier und geschmack" enthalten seien1. Schon das versmass — reimlose
dreifüssige jamben mit ausschliesslich weiblichem versschluss — , das wegen seines
leichten, tändelnden ganges von den Anakreontikern so oft angewendet wurde, tut
das enge Verhältnis zu diesen deutlich kund. Anakreontisch ist es auch, wenn er aus
der 'vrouwe' des minnesiugers sein „mädcheu" oder seine „schöne'1 macht; ana-
kreontisch ferner die entsagungsvolle ergebung, wenn er seine geliebte nur „so ungern
meidet1', im gegensatz zu dem kaiser Heinrich, der seiner vrouwe 'so gar unsenfteclich'
entbehrt. Speciell an Gleim dagegen erinnert die selbstlose aufopferung, wenn er der
geliebten „bestäudig dienen" will, während der minnesinger sich von der seinigen
nicht trennen will noch kann. Genau wie später Gleim sehen wir ihn seiner geliebten
an der seite „sitzen", und in Gleimscher empfindungsweise ist endlich der überdruss
an der weit infolge des Verlustes seines mädchens, während der kaiser Heinrich in
diesem falle nur seine niedergeschlageuheit und seine untauglichkeit für den verkehr
mit den menschen bekundet. Eins jedoch unterscheidet diese Übertragung Bodmers
von den späteren Gleims und der Anakreoutiker: der umstand, dass sie trotz ihren
abweichungen vom original immer noch als eine Übersetzung bezeichnet werden muss.
Die wenigen verse, die Bodmer im 13. Critischen briefe aus Friedrich von
Leiningeu und könig Wenzel in neuhochdeutsche prosa übertragen hat und die nur
1) Vgl. Zeitschr. XVI, Söfgg.
NACHAHMUNG DES ALTD. MINNESANGS IN DER NEUEREN DEUTSCH. LITTERATUK 75
;tls eiue erklärung des Originals aufzufassen sind, verdienen keine weitere besprechung.
Wichtiger aber sind in den „Neuen critischen briefen" seine versuche, die alte
deutsche spräche wieder zu erwecken. Nachdem er im 18. briefe als Vorläufer Gleims
und Klopstocks einen poetischen bund, eine „akademie mit singern und gasten
von Wartburg" vorgeschlagen hat, in der die mitglieder ordenskleider nach massgabo
der bilder der Manessischen handschrift tragen und eine schöne an die sieger im
poetischen wettkampfe die preise veiteilen sollte, unternimmt er es im 63. briefe
nicht nur, die Wiedereinführung „der alten schwäbischen spräche als absonderlicher
mundart für die lustige Schreibart'1 zu empfehlen, sondern teilt auch sogar ein paar
proben mit, die er bereits in ihr gedichtet. So sehr man geneigt sein mag, diese
versuche als eine komische grille zu bezeichnen, so kann man doch nicht umhin ein-
zugestehen, dsss er — wie es denn überhaupt ein richtiges Verständnis der alten
spräche bekundet, wenn er sie als ,, reich, kurz, klingend, einfältig, natürlich, gelenk,
leicht" bezeichnet, — sich auch nicht ganz mit Unglück bemühte, diese kürze und
leichtigkeit der spräche nachzuahmen. Man urteile selbst:
Min sin min herz und al der lip
Sint alse vol gefüllt mit liederliebe
Diu mich getwingt durh ein vil suezes wip
In kau der liebe iht mere in mir behalten
Wan das ich muese nach enzwei gespalten
Des vle ich dich göttin der hohen minne
Enweder la mich an der werden vrowen
Niht ellu tage nüwer fügende schowen
Aid nim ein teil der minen senden tribe
Und schütte si der schonen in ir sinne.
Immerhin aber: neben manchem sprachlichen mangel sind es auch keine neue
gedanken, die er hier zum ausdruck bringt. Das anflehen der göttin Minne, den sinn
seiner herrin zu wenden, und — in einer zweiten strophe — das etwas lüsterne
schmachten nach der Umarmung sind ja zu allen zeiten dem minnesaug eigentüm-
liche Wendungen gewesen. Oder hat mau auch in dieser beschränkuDg auf den ge-
dankenkreis der miunesinger einen bewussten und gelungenen nachahmungsversueb
Bodmers zu erblicken? Die erste der beiden Strophen hatte er übrigens bereits am
12. September 1747 Samuel Gotthold Lauge brieflich mitgeteilt1. Beide fassungen stim-
men jedoch nicht vollständig übereiu. Auf der einen seite verrät es mehr geschmack,
wenn er in den „Neuen critischen briefen" sein früheres: 'gewaltigiu vrow minne'
durch: 'göttin der hohen minne' ersetzt; anderseits wird man aber auch dem alten
'mit sender liebe' vor dem neuen: 'mit liederliebo' den Vorzug geben müssen.
Eine dritte strophe, die Bodmer in der alten spräche gedichtet und die sieh
in dem märchen „Das erdmännchen" (Neue critische briefe 74) beiludet, hat mit dem
minnesang nichts weiter zu schaffen, als dass in ihr seine „erneucrung1" prophe-
zeit wird. Wenn er aber hierbei alle „sonderbare zeichen" dieser Weissagung bereits
für erfüllt erklärt, so sollte sich das unzweifelhaft auf die Gottschedfehde und den
durch diese mitveranlassten aufschwung der deutschen dichtung beziehen. Die doutsche
anakreontik vor allen dingen isl in Bodmers äugen der wiedererweckte minnesang,
jedoch erst dann, wenn die neueren dichter die alten Minnesinger als die unter allen
umständen nachzuahmenden Vorbilder anerkannt haben wurden.
1) Lange, Sammlung gelehrter und freundschaftlicher briefe I
,1) [0L0W8KY
Nur Doch einmal i ! floh eioer iib< i aem paar
tropben d rifl gemacht Er tal nem briefe an Gleim
_'. april 1767'; und es sind dieses mal zwei Strophen Walthers: MSll. XXXV, und
Xlj\'i Doch beide proben sind anbedeutend und weisen durch ihre flickwörter und
Interjektionen wieder auf die Anakreontiker bin. Auch eine Übertragung in bezai
von einer dieser strophon Walthers Bowie einer Strophe Beinmars, die in den „Apol-
linarien" (1783, hrsg. von Stäudlin) mitgeteilt werden, bedürfen keiner weiteren er-
örterung.
Einen be onderen platz in Bödme: eher tätigkeit auf
nehmen Beine in, die minnesinger auch in anderer beziehung poetisch zn
verwerten. „Das erdmännchen"8, „Die poetische luft"3 und „Dil änger Lei aben-
teuer und der minne auf Kastelmarveil"4 nennt er drei hierher gehörige geschichtchen,
die man am besten als märchen oder fabeln bezeichnen kann and die alle auf ein
dnsames, die selbstverberrlichung Bodmers, hinauslaufen. In allen dreien hat er
sieh selbst in den mitte Ipunkt gestellt. Im „Erdmännchen" macht er, von seinem
freunde Demaratus in den tann geführt, die bekanutschaft eines kobolds und erhalt.
nachdem dieser die alten Weissagungen der Jette auf ihrem bühel am Xeekar über die
erneuerung des minnesangs als erfüllt erkannt bat, von ihm den Manessischen codex,
„um ihn jenen vortrefflichen männern zu überliefern, welche sich zu seinen Zeiten
des minnesanges mit angebohrnen gaben annehmen.1' In der „Poetischen luft"
erscheint er selbst als Amilbert mit zwölf anderen personifizierten helden ->
werke zum besuch bei Walther von Maneck, der für sie die liebe des vierzehnten
bruders hatte. Gewiss hat man hinter diesem Walther den Rüdiger von 5Ianes.se zu
erblicken. In dem drittou märchen endlich wird er von einem Jüngling (Hadloubi in
die dichterburg geleitet und wohut dort dem gesange der alten dichter bei; zum
schluss von Wolfram gefragt, ob die muse der minne und der abenteuer die grenzen
Deutschlands verlassen habe, berichtet der ehemalige vertraute Klopsroeks und einstige
Verfasser des ,,-Noah" ihm. dass man sich mehr „um den einfluss einer heiligeren
muse bewerbe, die von Sion herab zu den sündigen menschen gestiegen.1. Aber sowol
diese wie Melpomene seien von Braga verdrängt worden; kein guter fürst nehme
sich ihrer mehr au. nur er allein mache unter den menschen eine ausnähme, denn
noch haben
„Achtzig winter und vier ihm nicht die geister gedämpfet.
Noch besucht ihn Siona, noch Alelpomene, die Griechinn."
Und Braga? Selbstverständlich betrachtete der eitle auch diese als seine freundin.
Nicht umsonst führt er auch hier die helden seiner eigenen werke in persona als
zeugen an.
Interessanter als diese fabeln ist Bodmers drama: „Friedrich von Tockenburg"5,
und zwar deshalb, weil wir in diesem nach den schüchternen anfangen Moscherosch -
Philanders in der tat den ersten grösseren versuch, die zeit des minnesangs poetisch
zu gestalten, vor uns haben. Der stoff, der in einzelnen partieen an Schülers
„Räuber" erinnert, behandelt die geschichte zweier brüder, Diethelm und Friedrich
von Tockenburg. von denen der letztere, da er der liebling und günstling des vaters
1) Briefe deutscher gelehrten ed. Körte I, 368.
2) Neue critische briefe, brief LXXIV, 474 fgg.
3) Litterarische denkmale, pag. 90 fgg.
4) Apollinarien, ed. Stäudlin, pag. 194 fgg.
5) In „Droy neue trauerspiele", 1761.
NACHAHMUNG DES AI.TD. MINNESANGS IN I>F,R N'F.UF.REN DEUTSCH. LITTKRATÜR 77
ist, durch den ersteren und dessen frevelhafte gemahlin um das leben gebracht wird,
während die mörder selbst die gerechte strafe ereilt. Als quelle hierzu dienten
Goldasts „Scriptores rerum Alemannicarum", und zwar genauer dessen dort gegebene,
ziemlich ausführliche besprcchung von „Cunradi de Fabaria Presbyteri S. Othmari
über de casibus Monasterii S. Galli in Alamanniau. Für uns sind an dieser stelle
nur zwei personen von interesse, die Bodmer nicht in seiner quelle vorfand. Es sind
Kliusor und der junge Kraft von Tockenburg. Der söhn jenes verbrecherischen Diethelm
ist von Bodmer wol nur eingeführt worden, um das geschlecht der Tockenburger durch
den namen Kraft in Verbindung mit dem gleichnamigen minnesinger zu bringen. Ei'
bekam dadurch gelegenheit, auch ein Streiflicht auf die litterarischen Verhältnisse der
damaligen zeit zu werfen, wie er diese auch noch durch erwähnung von Sivrit,
Volker, Amphortas, Hildebrand und Dietrich zu charakterisieren sucht. Auf Klinsor
jedoch scheint er durch Goldast selbst hingeleitet zu sein, der im anschluss an jenes
buch über ,,Die Schicksale des klosters S. Gallen" erzählt, der kaiser habe zum
empfang des abtes von S. Gallen nicht nur seine Würdenträger zusammengerufen,
sondern auch alles zur schau getragen, „quaeeunque habuit cara...., coelum astro-
nomicum aureum gemmis stellatum habens intra se cursum planetarum: elephantes
etiam et bardos . . . ." Allerdings liest Bodmers Klinsor das Schicksal der menschen
nicht aus den sternen, sondern aus ihren sitten. Aber er ist ein Weissager, und hierin
mag seine Verwandtschaft mit dem Schwarzkünstler Klinsor begründet sein. Im
übrigen könnte man vielleicht auch in jenen „barden", die sich im gefolge des kaisers
befinden, die Vorbilder für die poeten aus der Provence erblicken, deren ankunft auf
der bürg des grafen von Tockenburg Bodmer als ein geeignetes mittel erschien, Klinsor
für einige augenblicke von der bühne zu entfernen.
Schliesslich finden sich in Bodmers werken neben ganzen citaten aus den minne-
singern auch zahlreiche ausdrücke, die er den mittelalterlichen lyrikern oder den
epikern entlehnte. Von den letzteren seien nur genannt: sohl und miete (= lohn),
mähre, wonnevoll, minneklich, geding, stäte (= treue), wete oder wat (= kleidung),
gezogenlich, gach, biderb, weidlich, es gezam. Namentlich seine Übersetzungen
„ altenglischer und altschwäbischer balladen" (1780/81) sind voll von solchen Wörtern.
Ganze citate dagegen hat er mit Vorliebe aus Walther genommen. So in dem drama
„Friedrich von Tockenburg" : „ Du bist die rose ohne dornen und die taube ohne
galle", das die verräterische Isotte zu ihrer Schwester Isalde sagt. So ferner: „Euer
alter thron steht unter einer übien traufe" \ wie er den herzog von Lothringen zu
Heinrich dem vierten sagen lässt. Und so auch die "Walther - worte in seiner er-
zählung „Maria von Brabant", die er iu seinen ,, Litterarischen denkmaleu" (s. 184 fg.)
und neben vielen anderen citaten aus Shakespeare, Dante, dem Iwein und Freil
Tristan auch in den ,,Beyträgen in das archiv des deutschen Parmasses" (Bern 177»;;
3. stück) selbst als solche kenntlich gemacht hat.
Gleich Bodmer hat sich aber auch sein rivale Gottsched in eiuer Übersetzung
nach den minnesingern versucht. Es geschah in seiner „ Abhandlung von dem llore
der deutschen poesie zu kaiser Friedrichs des ersten zeiten"; und zwar hat er hier
13 Strophen des Königs Tirol aus Goldast ausgeschrieben und diesen, wie sein eigener
ausdruck lautet, ,,oine art von Übersetzung, so gut und genau sie sich in eben der
versart hat macheu lassen"', hinzugefügt. Dass diese „Abhandlung" eine rede war,
die er am 11. Oktober 1746 zu Leipzig in gegenwart des erbprinzon Friedrich von
i
1) Vgl, Joh. Crüger, Die erste Gesamtausgabe der Nibelungen, Frankfurt a. M.
1884, s. 6.
78 soKoi.ov. •
ßachson and dei I prinzer Xaver und Kai iuI Beine iiber-
etzung nichi ohne 3blieben. Behr bezeichnend i t <■ Bchon,
den König Tirol au wählte, and zwar hinwidernm »lche trophon', die sich
auf <las verhälti raten zu meinen Untertanen beziehen. Au- rücksichi auf
Beine zuhörer wird in gleicher weise wol auch die ai le des königs Tirol an seinen
Bohn , 0 junger piinz" al iibei etzung von ..vil jungei künic" entstanden sein. Im
ig, die im metrum kleine abweichungen ab-
inict — mit dem original übereilt Hmmt, deutlich den Btil Gottscheds zur Behau.
Wie ti'ivial i^t es, wenn er an die worte: „Damit waokern mann an »inen
ehren Bchwächst" noch, um die strophe zu vervollständigen, hinzufugt: .,I)as nie-
mand leiden kann.1' Da aber hinwiederum gerade dieser zusatz als ersatz für die
v.nrtc dos minnesingers : „niht baz ich dir geraten kan" aufzufa lässi sich
auch, weil der minnesinger sich kurz zuvor ähnlicher m in! hatte. G
bestreben, widerholungen zu vermeiden, nicht verkennen. Glaubt man nicht aber
widerum den philister zu hören, wenn Gottsched die worte des Originals: ,. Oh et
muoz diu elich wip dur zuht, dur vorhte Bwigen, si denket doch: du valscher lip"
übersetzt mit: „Und schweigt dein woib aus zucht und scheu, so denkt sie doch:
wo bleibt die mir gelobte treu"? Und bei alledem lässt er auch hier knechtische
devotion durchblicken, wenn er: „vil manic helt gevangen" durch „edle skia
überträgt.
Alle diese Übersetzungsversuche bezogen sich nur auf einzelne gedichte oder
abgerissene partieen der lohrgedichte. Ziemlich gleichzeitig wurde nun von zwei
litterarisch vielfach mit Bodmer verbundenen mannen) der versuch einer Übertragung
in grösserem stile unternommen. Es sind Samuel Gotthold Lange und Kaspar
Friedrich Renner. Für Lange besitzen wir allerdings kein direktes zeugnis dar-
über, aber es scheint doch aus einem briefe hervorzugehen, in dem ihn professor
Bohn zwar warnt „vor der arbeit, die er sich auf den hals geladen", zugleich aber
auffordert, ihm sein urteil über die minnesinger zu schreiben und ihm einige ihrer
lieder zu übersetzen. Diesem wünsche willfahrt Lange in einem briefe vom jähre
1757 oder 1758; ein arger druckfehler verhindert leider die genaue feststellung
des jähres2.
Genau wie Hofmannswaldau und Gottsched stellt Lange original und Über-
setzung einander gegenüber, ähnlich wie Bödme!- flicht er ein paar mal bemerkungen
über die eigentümlichkeiten der dichter und der spräche dazwischen, aus Bodmer
endlich genommen sind die angaben, die er über die lebensumstände mehrerer dichter
hinzufügt. Die Übersetzungen selbst lehuen sich ausserordentlich eng an die originale
an, so dass man sie — wie er es auch selbst als seine absieht bezeichnet — viel-
fach bloss als Umsetzungen in die neue spräche betrachten kann. Meist wird der
ausdruck unbeholfen, zuweilen geradezu unverständlich. Namentlich in den reimen;
hier entstehen einerseits assonanzen wie: '"Wahn — hab', anderseits aber lässt er da,
wo er, um nicht undeutseh zu werden, den reim absolut nicht beibehalten kann,
den alten ausdruck bestehen und fügt hinzu, was er bedeutet (so erklärt er das alte
„wiplich bild" als „bildung, Schönheit"), oder aber er weiss sich, wie später Gleim
und Klamer Schmidt, dadurch aus der Verlegenheit zu helfen, dass er einmal, um
1) MSH. 26 — 36.
2) Der brief des professors Bohn ist vom 10. November 1757 datiert, derjenige
Langes aber schon vom 5. März 1757. Vgl. ..Sammlung gelehrter und freundschaft-
licher briefe" I, 5J. 52.
NACHAHMUNG DES AT/TD. MINNESANGS IN DER NEUEREN DEUTSCH. T.TTTERATUR 79
auf das wort 'ungemach' einen reim zu erhalten, den seufzer 'ach' an das ende
des verses stellt. Geradezu undeutsch aber wird er, wenn er 'valsches äne' durch
Falschheit ohne' oder gar durch ' falschheit ohn' übersetzt.
Trotz dieses engen anschlusses an das original ist nicht nur Langes reimver-
sehliugung meist eine ganz andere, zuweilen gestattet er sich sogar auch leichte Um-
änderungen des gedankens. In des herzogs Heinrich von Breslau bekanntem liede:
'Ich klage dir meie, ich klage dir, sumerwunne' legt er einen vers, der ursprüng-
lich der haide gehört, dem dichter in den mund. Meist sind solche änderungen jedoch
aus missverständnissen hervorgegangen. Da er z. b. einmal das wort 'tougen' nicht
verstand, ist nicht nur ein guter gedanke ausgefallen, sondern auch der sinn des
ganzen zerstört worden.
Wie Gleim und die Anakreontiker hat Lange eine besondere Vorliebe für den
Superlativ oder für die Steigerung eines adjektivs durch vorgesetztes 'so'. Auch die
zahlreichen tlickwörter (wie 'wol' und 'auch') erinnern an jene. Gleims eigenen ton
glaubt man zu hören, wenn Lange des minnesingers -huld' mit 'gnade' und ,minne'
mit 'guust' überträgt, und als eine Übertreibung nach anakreontischem geschmack ist
es anzusehen, wenn er den moud, der bei den minnesingern nur in den sternen
schwebt, 'unter tausend gestirnen' schweben lässt; an die schäferlyrik wird man
erinnert, wo Lange von den „verliebten" redet und beispielsweise das 'minnekliche
heil' mit 'der verliebten heil' wiedergibt.
Unzweifelhaft hat Lange die anregung zu diesen Übersetzungen ursprünglich
von Bodmer empfangen. Dasselbe muss auch von dem Bremer stadtvogt Kaspar
Friedrich Renner gesagt werden, von dem Bodmer seiner zeit durch Friedrich
Hagedorns mittlerschaft nachrichten über die zu Bremen befindliche Goldastische ab-
schrift des grossen codex erhalten hatte. Im jähre 1760 veröffentlichte Renner unter
dem pseudonym Franz Henrich Sparre: „Die Winsbekinn, oder mütterlicher Unter-
richt glücklich zu lieben und zu heurathen". Seine vorrede an das „schöne ge-
schlecht", in der er bekennt, dass sowol seine dem original beigegebene Übersetzung
wie auch die hinzugefügten erklärungen den „schönen" lediglich „das nachsinnen bei
den veralteten Wörtern und redensarten erleichtern sollen", ist von bedeutung für die
ganze auffassung der Übertragung.
Geschrieben ist sie in reimlosen vierfüssigen jamben mit überwiegend klingen-
dem versschluss. Aber ähnlich wie bei Hofmannswaldau der Alexandriner ist dieses
versmass auf Renners Übersetzung nicht ohne einfluss geblieben. Auch sie ist durch
zahlreiche epitheta und manche zusätze anderer art breit und schwerfällig geworden.
In vielen fällen sind diese freilich der sucht, das original nach dem geschmack der
neuen zeit umzumodeln, entsprungen.
'Der frommen lob und rühm' ist hier das nächste erstrebenswerte ziel für die
tochter. So soll sie leben, 'als sich die frommen stets beflissen'. Gott will sie „als
den brunnquell aller gute unablässig bitten, dass sie ihn stets vor äugen habe".
„Gross an mute" will sie zwar sein, „jedoch an demut nicht geringer". Wird sie
wegen ihres züchtigen lebens verleumdet, so will sie „unschuldig leiden", .letzt
gibt es überhaupt keine „redliche ('staete') mäunor" mehr auf der weit. W o 1-.
merker bei ihr waren, sollte einst die tochter 'wilder blicke niht ze vil * schiessen,
— jetzt soll sie dies unterlassen, „weil schlimme lauscher auf sie merken", d. h.
weil die ganze weit überall voll von „kläffern" ist. „Eingezogen zu leben", ist jetzt
das ideal eines züchtigen Lebenswandels. Versprach die tochter ihrer mutter früher,
die wilden blicke zu vermeiden, damit sie nicht -ze halt' würde. 30 will -
80 KIJI.I.'.'. ZI 1-illANS Ol©» OP
tun. um „nicht fend oder gar frech and racblo " zu werden. l Reine wip
in tagende wert' sind jetzt 'tugendhafte inder' and aus den mber
itte sind 'wilde ma" eworden, deren zage 'reizend and Bcbalknaft' lächeln
und die ihre 'regen angen hin- and lieri n, als ob ie das, was ihnen
mangelt . bai i ben wollen.
Nur naob 'staeter triuwe' begehrt im original da 'reine wip'. Jetzt da
ist ausschliesslich die ehe das ideal, 'staete triuWe' wird durob 'eheliehe h
ben and Renner hat in 1!» von ihm hinzugedichteten Btrophen die n
der tochter Vorschriften für ihr späteres leben nls haus frau erteilen lassen. Von dem
der mittelalterlichen dichtung ist . indlicb auch nicht die Bpur auf ihn
selbst übergegangen.
[mmerhin aber, worauf es ankommt: der erste teil der Rennerseben arbeit,
der die eigentliche Übertragung der „Winsbekin" enthält, isl nicht ohne wolbedachte
Sorgfalt verfertigt, und es ist daher zweifelhaft, ob ui,i" h mit zu den „flüch-
tigen Übersetzungen" zu zählen hat, von denen Renner am 5. april 1754 an Hage-
dorn sehreibt, sie seien ..stehenden fusses, währenden brunnentrinkens und auf ver-
anlassung der frau von Yrints gemacht" i.
Renner war ein kind seiner zeit, und bei der geringen zahl von Vorbildern
verdient sein versuch trotz aller mängel doch eine gewisse anerkennung. Auch jetzt
noch währte es fast anderthalb Jahrzehnte, bis die mittelalterliche lyrik einer auf-
erstehung eutgegengeführt wurde. Dies verdienst gehört vater Gleim. Vor dem
erscheinen seiner „Gedichte nach den minnesingern" (1773) scheint allerdings Bürger
sich schon in einer nachbildung der minnesinger in ausgedehnterem masse versucht
zu haben. Da aber dessen erste proben auch erst im jähre 1773, und zwar im
'Göttinger musenalmanach' erschienen, so ist neben einem noch vereinzelten liede
Gleims ein gedieht Klonstocks vom jähre 1704, nämlich die „Ode an kaiser Heinrich" *
die die hauptgedanken aus dem liede des kaisers Heinrich herübernimmt, der einzige
widerbelebungsversuch, den ich aus den jähren 1760 — 73 vorläufig anzuführen vermag.
1) Job. Crüger, Zeitschr. XVI, 206.
2) Klopstocks öden, hrgb. von Fr. Muncker und Jaro Pawel, Stuttgart 1889,
bd. I, 161 fg.
HAMBURG. RUD. SOKOLOWSKV.
Zu Johann Oldecop.
Im Jahrbuch für niederdeutsche Sprachforschung 27, 154 war die Vermutung
ausgesprochen, dass die dort mitgeteilten bemerkungen Oldecops nach entwendung
und Vernichtung der Originalhandschrift seiner chronik vielleicht das einzige wären,
was von seiner band erhalten ist. Jetzt findet sich noch in dem neuen (8.) bände
des von R. Doebner herausgegebenen Urkundenbuches der Stadt Hildesheim (Hildes-
heim 1901) s. 676 eine eigenhändige Oldecopsche notiz, die der herausgeber so wider-
gibt: „Kopbref mynes koffnes (sie.)." Dabei ist nicht beachtet, was s. 691 der aus-
gäbe Oldecops über seine eigentümliche lautgebung ffu = v bemerkt ist; geschrieben
hat O. „hoffües". Zugleich sei auf das s. 472. 487. 599. 717. 774 des Urkunden-
buches gegebene urkundenmaterial hingewiesen.
KÖNIGSBERG I. I'R. KARL EfLING.
STIKFKL, SCHWAN KLITTERATUR DES 16. JUS. 81
Ein unbekanntes schwankbuch des 16. Jahrhunderts.
Wenn der vorstehende titel die erwartuDgen des lesers etwa hoch spannen sollte,
so wird es ihm ergehen, wie es mir mit dem buche selber ergangen ist: er wird eine
enttäuschung erleben. Ich hatte auf die angaben eines katalogs hin grosse hoffnungeD
auf seinen inhalt gesetzt und fand darin — nicht eine unbekannte erzählung. "Wenn
ich gleichwol hier eine beschreibung des buches gebe, so bestimmte mich mancherlei
dazu. Einmal scheint es so gut wie unbekannt zu sein; wenigstens habe ich es nirgends
beschrieben oder angefühlt gefunden. Dann ist es charakteristisch für die zeit, in
der es erschien, nicht ohne interesse wegen herausgeber und Verleger — beide noch
etwas rätselhafte persönlichkeiten — und endlich wegen der die auswahl leitenden
moralischen absieht. Ich lasse sogleich die beschreibung des buches folgen:
AMOENIS
SIMA ET PVDICA 10
corum Facetiarumq? fylva, ex Pog/
gij Florentini Facetiarum Libro, a/
lijscp noftro faeculo infignis famae au/
thoribus, ad leuationem animi, iDge/
nijq? exercitium, ftudiofae iuuentuti
uigilantifXime conferipta, ac in
Centurias digefta.
AD LECTOREM
Procul eftote Catones tetrici, trifteq*
fruftra tumentium fupercilium, qui/
bus non uenio, nifi iocos & fales ue/
lint. Hilarem expeto lectorem, aut
certe mox facio.
Argen torati exeudebat M. Iacobus
Cammer Lander Moguntius
Mense Martio.
Titelbordüre. Auf der rückseite des titelblattes drei physiognomische köpfe.
Dann folgt auf dem zweiten blatt ein dedikationsschreiben „Venerabili Viro Domino
Ueorgio Rotenburgio, D. Stephani Canonico Salutem optat Polychorius Senior" auch als
Prologus ad Sophistam bezeichnet, über 10 seiten lang, und datiert „Kai. Martias.
An. 42." Auf der 11., 12. und 13. seite physiognomische köpfe, auf der 14. das bekannte
buchhändlerzeichen Cammerlanders: geflügelte Fortuna auf einer kugel schwebend.
Auf der 15. seite beginnt der text: 114 nummerierte und von A bis 0 acht signierte
blätter 12°. — Am schluss (blatt 114a) heisst es:
Argentorati exeudebat M. Iacobus
Cammer Lander Kai. Martiaa
An. M.ÜXLII.
Die letzte seite (114b) enthält nochmals das buchhäiHllerzeichen1.
1) Die königl. hof- und Staatsbibliothek zu München besitzt zwei exemplare des
büchleins, das eine hat die Signatur: L. eleg. m. 758d 8°, das andere (L. eleg. m. 8°
108) ist ein sammelband, der ausser unserem büchlein, dem 3. der Sammlung, noch
Bebeis: Facetiae, Gasts Cnnvivalrs Sernwnes (beide ebenfalls von 1642) sowie die
Pasqtiilli extatici (s. 1. e. a.) enthält. — Die physiognomischen köpfe in dem büchlein
sind offenbar dem im jähre zuvor bei Cammerlander erschienenen buch»1 9Physiognomiae
ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XXXV. Ü
82 stdefei
Die schwanke des buche* Bind drei quellen entnommen von denen der
i aber am die erste und dritte angibt: Poggio und Valerius Kaximus.
Waruiii er die zweite vorschwieg, weiss ich niohi I )i»s<- >-t dee Ottomax Luscinius
i.f)L'i erschienenes schwankbncb loci <<<• Sulesx.
Der oompilator bezeichne! auf dem titelblatb olung als „pudioa
iooorum facetiarumqi ' und auch im Prologus rühmt er sie „cum ab omni
fane lafciuia tum etiam a oauillo, dicacitate . . . femper remotiffimum*1. Spater
er: „Qui ... in rifu excitando funt immodici, In fcurrilitate aut biftrionica labor&i . . .
Eorum tnemor pudicas tantum facetias, oe teneras laederemus aures, ex
multis authoribus in bano confcripfimus sylvam".
Dass er das bucb „ex multis authoribus u compiliert habe, ist nicht richtig, er
hat, wie oben bemerkt, nur drei vorlagen gehabt, dass er aber von dem rühmlichen
gedanken ausging, anstössige schwanke aus seiner Sammlung auszuschliessen. sieht
man sofort, wenn mau letztere mit ihren vorlagen vergleicht.
Polychorius — also nennt sich der compilator — galt zuerst eine reiche aus-
wahl aus Francesco Poggio Bracciolini's Liher Facetiarum '• '. Er entnahm dem be-
rüchtigten Florentiner die nachstehenden nummern: 2. 3. 4. 7. 8. 9. 11. 12. 13. 14.
15. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 26. 28. 29. 30. 35. 36. 37. 38. 39. 40. 41. 48. 50.
51. 52. 53. 54. 55. 56. 57. 58. 59. 60. 61. 70 — 72. 74 — 77. 79 — 83. 86 — 00.
91—97. 100—104. 108—110. 113. 116. 119—121. 124—127. 129 — 132. 134—136.
139. 147 — 149. 151—154. 158. 160. 162—166. 169. 171. 177—179. 182 — 187.
189—190. 192. 194. 196 — 200. 202 — 206. 207 — 208. 211. 214 — 220. 224. 226 — 228.
230. 234 — 235. 243. 245 — 248. 250 — 253. 254. 255 — 256. 258 — 263. 268. — Das
sind im ganzen, wenn ich richtig gezählt habe, 165 nummern.
Polychorius hat wirklich alle die gemeinen zoten seiner vorläge bei seite ge-
lassen, ausserdem — wahrscheinlich weil nichts witziges darin liegt — die nummern
„de prodigiis" d. h. nr. 31 — 34, 167, 168 und 249. Das stärkste, was man bei ihm
iindet, sind Poggio 93 = De meretrice fene mendicante (bl. 20*) und 217 = De fatuo
dormiente cum Archiepiscopo Coloniensi qui dixit eum quadrupedem" (bl.45b), zwei
stücke, die im vergleich zu dem weggelassenen noch anständig genannt werden müssen.
vVeniger bedenklich war der compilator in der aufnähme nichtsexueller derber schwanke.
So verschmähte er z. b. nicht Poggio nr. 4 = De Iudaeo nonnullorum fuafu chriftiano
facto (bl. 2b), 70 = De aüaro qui urinam deguftavit (bl. 14b), 130 = De nomine qui
in somnis aurum reperiebat (bl. 28b) und 135 = Facetum Eberhardi fcriptoris apostolici
ijui ad Cardinalis confpectum uentris crepitum dedit" (bl. 30a).
Textliche äuderungen hat Polychorius, von kleinigkeiten abgesehen, an den
stücken aus Poggio nicht vorgenommen.
In ähnlicher weise verfuhr der compilator mit seiner zweiten quelle, mit den
loci ac || Sales mire festivi ab Ot || tomaro Lufcinio Argentino partim felec || ti ex bono-
epitome" entnommen und als lückenbüsser für die leeren Jseiten der nichtgezählten
präliminarblätter angebracht.
1) Betreffs dieses buches und seines Verfassers verweise ich auf Hermann
Arthur Liers aufsatz: Ottmar Nachtigalls „loci ac Sales mire festivi". Ein beitrag
zur kenntnis der schwauklitteratur im 16. jahrh. (Schnorrs Archiv, bd. 11, s. 1 — 50)
sowie auf L. Geigers artikel in der Allg. deutschen biographie, bd. 19.
2) Ich benutzte die Valdafer'sche ausgäbe von 1477 zum vergleich, von der
die k. hof- und Staatsbibliothek ein prächtiges, aber nicht ganz vollständiges exemplar
besitzt, ferner die ausg. Lond. 1798, die aber sehr dürftig ist — u. a. fehlen ein halb-
dutzend schwanke darin — und endlich die franz. Übersetzung „avec le Texte Latin",
Paris, J. Liseux 1878 (2 bde. kl. 8°).
SCIIWANKUTTERATUR DKS IC. JHS. 83
rum utriufqj linguae au || thorü mundo, partim Ion || gis peregrinationibus || uifi &" auditi.
ac || in Centurias || duas di || gefti.
Das buch, von dem aus dem 16. jahrh.1, nur eine aufläge bekannt ist, hat sich
wie es scheint, keiner grossen beliebtheit erfreut. Das hinderte aber nicht, dass es
von ein paar späteren schwankdichtern, besonders von Johannes Gast und unserem
compilator gewaltig ausgebeutet wurde. Die loci ac Sales umfassen 233 nummern.
Davon entlehnte Polychorius die nachstehenden: 1 — 5. 7 — 9. 12 — 14. 26. 29 — 30.
32. 34 — 48. 50—53. 56-60. 63. 66. 71. 72. 74. 76 — 80. 82. 85. 86 — 92. 94 — 96.
98 — 101. 106. 108. 110. 113. 132. 136—140. 142. 143. 148. 149 — 152. 155 — 159.
161-165. 167—170. 179-180. 182. 183. 185. 187. 188. 190—194. 196 — 199.
201—204. 207. 209 — 211. 219 — 222. 224. 225. 232. 233.
Das sind zusammen 128 schwanke, bei deren auswahl Polychorius sich aber-
mals von rücksichten der züchtigkeit leiten liess. So hat er z. b. ausgeschlossen
nr. 19 (anfaug: In coetum puellarum pudicitiae parum probatae . .). 24 (Capularis
quidam fenex ducta uxore iuuencula quae in Venerem propenfa . . .), 31 (Vxoris
cuifdam impudicae maritus deprehenfum) , 61 (Obiurgaui olim amicum cui uxor facie
honefta . .), 144 (Sacerdos quaedam veftalis . .), 145 (Increpatus quidam ob linguae
effreniorem licentiam . .), 154 (Adulterae cuiufdam uxoris maritus . . .), 174 (Adiniffus
quidam a muliere proftitui . . .) usw.
Andere stücke liess Polychorius v?eg, weil sie witzlos, langweilig oder gelehrte
mit griechischen citaten gespickte pedauterien waren.
"Wie bei Poggio, so respektierte der Sammler auch hier den text seiner vorläge,
wenigstens im grossen und ganzen. Textlich geändert hat er nur die 35. nummer aus
loci ac Sales (De Beguttis bl. 60 a). Ferner hat er zwei stücke ausserordentlich ge-
kürzt: „De quodam rhetore gloriofo" (bl. 67b) = loci ac Sales 56, wo er über zwei
Seiten auf 15 zeilen, und „De Diogene" (bl. 99 b) = loci ac Sales 204, wo er über
zwei Seiten auf vier zeilen kürzte. Die vielen griechischen citate des Luscinius,
darunter die aus den epigrammatikern hat er durchweg beseitigt, dagegen die latei-
nischen Übersetzungen, die Luscinius davon gibt, beibehalten. Endlich hat er die in
den loci ac Sales fehlenden Überschriften zu den einzelnen schwanken hinzugefügt,
wobei ihm offenbar Poggio als vorbild vorschwebte.
"Wenn ich den einfluss der loci ac Sales auf unser schwankbuch erschöpfen
soll, so habe ich noch zwei punkte zu erwähnen: 1. Die einteilung der schwanke in
„Centurias", wie sie der titel unserer Sylva ankündigt („in Centurias tres digesta")
ist durch die gleiche angäbe der loci ac Sales („ in Centurias duas digesti ") veranlasst.
2. Die oben angeführte anrede Ad Lectorem auf dem titel der Sylva ist nur eine
prosaauflösung des gedichtchens Ad Lectorem auf dem titel der loci ac Sales. Man
vergleiche :
Luscinius. Polychorius.
Hinc hinc procul moneo faceffat tetricus Procul eftote Catones tetrici, triftecp
Cato mihi, trifte dr* mpercilium fophwn fruftra tumentium supercilium , quibus non
Non iurgys fori, aut curis edacibus uenio, nifi iocos & fales uelint. Hilarem
Hie conuenit über, fales meros habens, expeto lectorem, aut certe mox facio.
Iocos, lepores, 6^ veneres, facetias.
Hilarem expetit lectorem, aut certe mox facit.
1) Am anfange des 17. Jahrhunderts ist es, wie schon Lier gezeigt hat, min-
destens noch dreimal (1602, 1603, 1608) mit Michael Scotus' Mensa philosophioa in
stark gekürzter form zusammen wider gedruckt worden.
84 STIkFRL
Ob die vielen anleiben, die Luscinius für seine bei ae tiales boi den alten
machte, Polychorius auf den gedenken gebracht haben, zur Vervollständigung seiner
Sammlung den Valerius Alaximus heranzuziehen, will iofa dahingestellt sein \.-.
Mut darin ähnelt er wider dem Vorgänger, daas ei Beine I an 29
aummern überschritt, gerade wie Lusoinitu seine „duaa oenturiae" um ?,.!,.
Bezüglich der dritten quelle, Valerius Maximus, kann ich mich kurz fassen.
Porychoriufl entnahm dein zweiten und dritten capitel des VII. buches der iJirta et
facta 36 nummern, wobei er, die reihenfolge des Römers beibehaltend, bis Dicta et
facta VII, 3, externa 3 kam. Textliche änderungen nahm er auch hier nicht vor.
nur liess er ein paar unbedeutende sätzchen weg.
Die arbeit des Polychorius bei der Zusammenstellung des bfichlems war also.
wie man sieht, keine sehr anstrengende. Er wählte aus den drei quellen das ihm
geeignet erscheinende aus und brachte es zum drucke. Erlebtes oder gehörtes nach-
zuerzählen, wie Luscinius oder der von ihm nicht benutzte II. Bebel es tat. oder
auch nur ferner liegende quellen heranzuziehen, kam ihm nicht in den sinn.
Wir brauchen uns deshalb nicht weiter mit dem inhalt der schwanke zu be-
schäftigen. Valerius Maximus und die Facetia des Poggio sind bekannt genug und
soweit stücke aus den loci ac Sales in betraoht kommen, genügt es, auf die oben
citierte arbeit von Lier zu verweisen, wo quellen und arbeitsweise des Strassburger
humanisten gewürdigt sind.
Man gestatte mir nur noch ein paar kurze bemerkungen. Zwei der quellen
des compilators waren, wie wir oben sahen, auch in der form von einfluss auf
Polychorius. Es fragt sich nun, hat letzterer daneben noch andere Vorbilder gehabt?
Im jähre 1541 — also ein jähr vorher — waren die Sermones convivales des Johannes
Gast unter dem namen Ioannes Peregrinus Petroselanus zu Basel ans licht ge-
treten1. Kannte Polychorius diese Sammlung, die eine gewisse ähnlichkeit mit der
seinigen hat? Regte sie ihn vielleicht zu seiner compiiation an? Diese fragen lassen
sich nicht entschieden bejahen, aber ebensowenig sicher zurückweisen. Man sollte
meinen, dass Polychorius etwas von Gasts Sammlung wusste. Auch Gast hat Poggio
und Luscinius, aber freilich daneben auch Erasmus, Barlandus, Keyserspergius. Sabel-
licus, Bebel. Petrarcha usw. benutzt. Auch Gast bezeichnet sein buch „salibus non
impudicis neque lafciuis . . refertus". Diese Versicherung Gasts indes wird durch den
inhalt des buches lügen gestraft. Gast hat eine erhebliche anzahl recht bedenklicher
geschichten aus Poggio und Luscinius herübergenommen, die Polychorius von seiner
Sammlung ausschloss; er bat Bebel und der Margarita facetiarum vieles entlehnt, was
besser weggeblieben wäre. Und so gewinnt man fast den eindruck, als ob Polychorius
seine Sammlung in der absieht unternommen habe, um den angeblich „non impudicis
neque lafciuis salibus" des Gast eine wirklich „pudica facetiarum sylva" entgegen-
zustellen. Ob daneben auch der gedanke mitsprach, den Sermones conrivales con-
currenz zu machen, ist schwer zu sagen.
"Wie dem auch sei, das hauptverdienst des buches beruht auf seiner moralischen
tendenz. Seit den tagen des zügellosen florentinischen humanisten hatten sowol seine,
wie andere lateinische schwanksammlungen circuliert und nicht zum mindesten den
widerlichsten zoten ihren erfolg verdankt. Um nur von Deutschen zu reden , so waren
Seb. Brant Adelphus Bebel und Luscinius in die fusstapfen Poggios getreten und
1) Basileae apud Bartholomeum "Westhemervm. Vgl. Germania 37, 223.
SCHWANKLITTEKATÜK DES 16. JHS. 85
selbst der protestaut Gast hatte sich nicht von zoten freigehalten. Da war es an-
zuerkennen, dass ein mann sich gegen den ström stemmte und eine von anstössig-
keiten gesäuberte facetiensammlung zur Unterhaltung gelehrter kreise schrieb, an der
selbst „tenerae aures" reine freude finden mochten und die unbedenklich der Jugend
in die hand gegeben werden konnte. Es ändert nichts an seinem Verdienste, dass
er nicht schule machte, dass spätere Sammler wie Hulsbusch und Frischlin und die
deutschen schwankdichter um die mitte des 16. Jahrhunderts, wie H. Sachs, Wickram.
Lindener, Schumann, Frey, Montanus und Kirchhof sein beispiel nicht befolgten.
Übrigens wird der litterarhistoriker die Sylva faeetiarum , wenn sie auch keine
neuen schwanke aufweist, doch als stoffquelle für spätere dichter im äuge behalten.
Gar mancher schwank des Luscinius mag, als die loci ae sales vergessen waren,
durch sie noch Verbreitung gefunden haben.
Ob das buch wol noch eine zweite aufläge erfuhr? Ich habe nichts hierüber
ermitteln können. Keinesfalls wird es sich einer grossen beliebtheit erfreut haben.
Neben Bebel und Gast, die dem Zeitgeschmack besser entsprachen und immer aufs
neue gedruckt wurden, konnte es sich nicht behaupten.
Wer war aber der Sammler Polychorius? B. "Wenzel* hat in einer fleissigen,
wenn auch noch vielfach der berichtigung und ergänzung bedürftigen dissertation über
ihn und den Verleger Cammerlander gehandelt und gezeigt, dass der Verfasser oder
herausgeber verschiedener im Cammerlander'schen verlag erschienenen schrifteu sich
bald Vielfeldt, bald Polychorius oder Multager oder Multicampanus nennt. Mit recht
hat er vermutet, dass alle diese namen auf einen mann deuten. Er meinte nun.
dass dieser eigentlich Vielfeldt hiess und corrector der Cammerlander'schen offizin war.
Einen beweis für diese behauptuug hat Wenzel nicht erbracht. Mir hat sich längst
der gedanke aufgedrängt, dass Polychorius, Multicampanus, Multager und — Vielfeldt
nur andere namen für Cammerlander selber sind. Was Wenzel au biographischen
notizen für beide personen zusammengetragen hat, ist nahezu identisch: beide sind
aus Mainz, heisscn Jakob, mussten aus der Vaterstadt fliehen, lebten entzweit mit
ihrer familie, hatten eine zeit lang ein hand werk betrieben, waren in Rom gewesen,
gehörten dem gleichen mit den widertäufern liebäugelnden bekenntnis an. beide er-
schienen lind verschwanden vollkommen gleichzeitig. Cammerlander war magister;
er besass also wie die meisten damaligen buchliändler gelehrte bildung. Die tätigkeit
der Polychorius, Multicampanus, Multager und Vielfeldt war im grossen und ganzen
doch nur eine solche, wie sie gar mancher buchhändler des 16. Jahrhunderts so z. b.
Egenolff, recht wol zu leisten im stände war: Übersetzungen und compilationen. Es
steht daher nichts im wege die beiden rätselhaften persönlichkeiten als eine anzusehen.
Das würde auch erklären , warum auf den büchern für eine und dieselbe person so
verschiedenartige namen erscheinen. Der drucker wollte — wenigstens für nicht-
eingeweihte — nicht als der Verfasser so verschiedenartiger werke angesehen werden
und vielmehr als Verleger einer anzahl von autoren gelten. Der corrector hätte
doch wol sich mit oinem humanistenuamen begnügt.
Ich spreche in vorstehendem natürlich nur eine Vermutung aus. die noch der
näheren Untersuchung bedarf, um l>"stätigt oder widerlegt zu werden. Ich weiss
recht gut, dass auch manches dagegen spricht. Vor allem wären arohivalisohe nach-
forschungen in Mainz und Strassburg, sowie eine erschöpfende Zusammenstellung der
1) Cammerlander uud Vielfeld, Ein beitrag zur litteraturgeschichte des sech-
zehnten Jahrhunderts (Rost, dissertation) Berlin 1891.
8ß BOBIPFHANM
im Cammerlander'schen verla bücher nötig. Wenzel hat in dieser bin-
Bioht noch viel zu wünschen übrig gelassen. Vielleicht v iranlai ■' m diese zeileu einen
jungen forscher, <Jie frage einer gründlichen prfifang zu untei ziehen, wozu mir leider
zeit und gelegenheit fehlt.
MÜNCHKN. A. I.. STUF] !■■
Zar kenntnis der nltd. litterntur.
A. Kin lied aus den Carmina Barana.
Das lied, welches J. Huemer im Cod. Co III, 9 der BibL pttbL in Linz fand
und in seinem 'Iter austriacum' (Wiener Studien IX 1887) -Abschied aus der heimat'
nannte, ist die n. 82 von Schmellers Carm. Bor.
Der codex, in dem es eingetragen ist, war früher eigentom dea llr,T
gründeten, 1787 aufgehobenen Benedietinerstiftes Garsten in Oberösterreich und ent-
hält von einer hand des 12. Jahrhunderts geschrieben eine mythologie (Miber fabularum'),
einen traetat 'de figuris psalterii', erörterungen 'de posituris et distinetionibus, de
barbarismis, de solecismo' etc., einen 'Remigius super Douatum' u. a., woraus er-
hellt, dass die hs. schulzwecken gedient hat.
Auf der zweiten seite des letzten blattes, von dem etwas weniger als die untere
hälfte weggeschnitten ist, steht das erwähnte lateinische gedieht von einer hand des
13. Jahrhunderts eingetragen.
Die Garstener version weicht von der bei Schmeller abgedruckten Benedict-
beurener und von der Stuttgarter (ed. G. Dreves in der Zs. f. d. a. 39 [1895], 363 aus
einer hs. '1 Asc. 95' der kgl. handbibl. in Stuttgart, s. XIII) fassung nicht unerheb-
lich ab. 0. Hubatsch in seiner schrift über die lat. vagantenlieder des mittelalters
(Görlitz 1870) und W. Wattenbach, Die anfange lat. profaner rhythmen des mittelalters
(Zs. f. d. a. 15 [1872]) haben darauf hingewiesen , dass die an verschiedenen orten ge-
machten aufzeichnungen infolge nur mündlicher Überlieferung in so erstaunlicher weise
auseinan dergehen .
Die letzte stropbe des Benedictbeurener textes fehlt in der Garstener hs. Der räum
hätte zur eintragung noch gereicht, wurde aber durch andere lat. verse ausgefüllt, die
ich hiehersetze: Benedicamus flori orto
De styrpe dauid die hodierno,
Quem produxit virga virgo Domino.
0 Maria pia virgo,
Que portasti alfa et w,
Voce clara cum iubilo
Benedicamus Domino.
Beachtenswert ist ferner, dass etwas über der ersten zeile des gedichtes am
rande des blattes die zwei worte 'Dulce lignum' mit neumen stehen. Es dürfte darin
die angäbe der melodie zu suchen sein, nach welcher das lied zu singen war. Da
bekanntlich sehr viele profane rhythmen des mittelalters parodien der kirchlichen sind
und ihre ausdrucksweise überall durchklingt, so deuten die worte 'Dulce lignum' wol
auf einen kreuzeshymnus ( Venantius Fort. ?) , dessen rhythmus und melodie der profanen
nachbildung untergelegt wurde, der uns aber leider nicht erhalten ist.
Stimmt diese Vermutung, dann dürfte wol auch Burdachs meinung (Reinmar
der alte und Walther von der Vogelweide, Leipzig 1880), dass zwischen der musik
der weltlichen lieder und der geistlichen kunstmusik ein scharfer gegensatz bestanden
ZUR KENNTNIS DER ALTD. LITTERATUR 87
habe, eine ansieht, die Willmanns, Zs. f.d. a. 25, nicht teilt, eine kleine einschränkuug
erfahren.
Da nach einer freundlichen mitteilung des herrn dr. F. Boll in München das
lied auch in der Benedictbeurener hs. mit neumen versehen ist, wäre es von interesse,
durch eine vergleichung festzustellen, ob mit dem texte eines solchen vagantenliedes
auch die melodie wanderte.
Was nicht die Überschrift 'versus' trägt, d. i. in hexametern, distichen oder
leoninen abgefasst ist, ist in den Carm. Bur. in fortlaufenden zeilen geschrieben und
so ist auch das Med im Garstener cod. nicht nach versen und Strophen abgesetzt.
Wie die in der hs. vorkommenden missverständnisse schliessen lassen, wurde
das lied aus dem gedächtnisse niedergeschrieben.
Ich gebe den text wörtlich und in den noten die abweichungen der zwei
anderen fassungen.
1. Dulce solum 3. Quod3 sunt flores1
natalis patrie, in yblis5 vallibus
domus ioci, etö quod3 todna
thalamus gracie, uestitur frondibus7
uos relinquain et quod mauant8
aut cras aut hodie pisces equoribus,
periturus tot habundat
amoris rabie. amor doloribus.
2. Vale tellus. 4. Igne nouo
ualete socii, Ueneris saucia
quos benigno mensque9 privs"'
fauore1 colui, non nouit talia,
et me uestri ut testantur11
consortem stuclii uera prouerbia:
deplangite 2, vbi amor
qui uobis perii. ibi miseria.
B. Eine mhd. strophe.
In dem Codex membr. 100 (s. XII) der Lambacher stiftsbibliothek findet sich
f. 45* folgende mhd. strophe von einer band des 14. Jahrhunderts:
Ich waiz ein vrowen, der dient ich gern
vnd wolt si mich wesunder leren,
wie ich e scult ier muet geuagen12.
daz wolt ich mit ir taugen tragen,
si ist aller tugent vol.
daz sprich ich von der warhait wol.
ir diener ich immer wesen scol.
1 ) B amorc. 2) B et me dulcis expertem studii S et vos dulces cniisortes
studii nie plangite. Vgl. die parallelstelle in Zs. E. d. a. 5 (1845), s. 29t5:
0 consorti's studii. deprecor valete.
quos benigne colui, lilii dolete.
3) B und S quot. 4) S apes. 5) B Hyble S Idae. 6) fehlt in P.S. 7) 1! quot
redundat Dodona frondibus. S quot vestitur Dodoua frondibus. 8) S nataut B ei
quot pisces natant equoribus. 9) BS mens quo. 10) B pia. 1 1 1 B ut Fatentur
S nunc fatetur.
12) geuagen unsicher [— gemuotvagen F. K.J.
88 BcmrrauNN, zun eshntnis dxb alto. lrtbbatob
Diese Strophe i I an anderer Btelle dei bs. ohleoht widerholt. Dieselbe hand
sohrieh auf f. 33b: Semper ego Bernire aolo t i 1 > i rirgo maria.
Diese worte klären uns über den obarakter der ml auf. Ks sind
verse auf Maria und wie anderweitige notizen in der bs. zeigen, Bioherlieb in Lambaob
geschrieben wurden.
C. Zum Baamgartenbergei Johannes Baptista.
K. kraus meint {Deutsche gediohte de L2. jaluli.. Hallo 1894, B. 105),
Banmgartenberger gedieht auf den hl. Jobannes Bapt . dessen anfangs verse bekannt-
lioh in die Kaiserchronik eingang gefunden haben, sei m Baomgartenberg selbst oder
in einem benachbarten kloster entstanden.
Dass Diemor Garstun als ort der abfassung ansehe, kann ich nicht mit Kraus aus
des ersteren bemerkung zu Ezzo 17, 9fg. herauslesen. Es wird sieh vielmehr üiemers
notiz auf die herkunft der hs. beziehen und, soweit ich sehe, auf einer unrichtigen
angäbe beruhen, derzufolge Dicmer die hs. gleich anderen Codices der Bibl. publ. in
Linz für ehemaliges Garstenor eigentum hielt. Aber auch daran ist nicht zu denken.
Da es natürlich nicht gleichgültig sein kann, wo der Johannes abgefasst wurde,
möchte ich in den folgenden zeilen eine andere auffassung vorbringen.
Ich will bei dieser gelegenheit betonen, dass bei bestimmung und einreihung
altdeutscher denkmäler aus klöstern selten gründlich vorgegangen wird, wie das viel-
fach unrichtige benennungen erkennen lassen. Für klösterliche handschriften käme
in sehr vielen fällen fremde herkunft in betracht.
Schon Scherer (Gesch. d. deutschen dichtung im 11. und 12. jahrh. QF. XII
[1875], s. 69) hat darauf hingewiesen, dass die Verehrung des täufers Johannes in
den auf ihn verfassten gedienten dieses Zeitraums in merkwürdiger weise hervortrete.
Johannes der tauf er, welcher bei seiner geburt die von banden der stummheit
gefesselte zunge seines vaters löste, so dass dieser den herrlichen lobgesang, der als
Benedictes bekannt ist, anstimmen konnte, galt im mittelalter als patron der sänger
und sängerschulen. Darum waren ihm auch die cantoies besonders hörig, seine diener
(J. Kaysei', Beiträge zur gesch. und erklärung der alten kirchenhymnen II, Paderborn
1886, s. 277).
Vielleicht haben wir au eine solche beziehung zu denken, wenn sich im Maria
Saaler Joh. Bapt. am Schlüsse der 'priester Adelbreht' als Verfasser des gedichtes eiueu
'scalch unde chneht des heiligen mannes, saneti Johannes' nennt und in ähnlicher
weise Heinrich, der Verfasser der litauei.
Bemerkt ruuss werden, dass gerade in den Urkunden von Cistercienserklöstern
uns weit öfter als der scholasticus der cantor begegnet.
Die ersten mönche von Baumgartenberg (il41 gegr.), zwölf an der zahl, mit dem
abte Friedrich an der spitze, kamen aus dem Cistercienserkloster Heiligenkreuz bei Wien.
Bei diesem umstände darf man in beziehung auf die herkunft des codex sowol.
wie des gedichtes auf das kloster Heiligenkreuz hinweisen, welches die nach Baum-
gartenberg ausziehenden brüder doch wol auch mit büchern versehen haben wird.
Aus einem ausgabenverzeichnisse des klosters (veröffentlicht von mir in Studien
und mitteilungen aus dem Benedictiner- und Cistercienserorden XX, 1899), das in
der zweiten hälfte des 12. Jahrhunderts, also in den ersten zeiten des Stiftsbestandes
niedergeschrieben wurde, geht hervor, dass man in Baumgartenberg bald schon den
bücherbestand durch ankaufe zu mehren suchte. Möglich also, dass auch die Pan-
normia des Ivo von Chartres mit unserem gedichte durch kauf oder tausch erworben
H0LTHATJSEN, ZU DE HEINRICO 89
wurde, möglich aber auch, dass sie zum ersten, vom mutterkloster gelieferteu
inventar gehörte.
Jedesfalls war der codex mit dem gedichte schon in den ersten zeiten des
stiftsbestandes eigentum des klosters Baumgartenberg. In einem bibliotheks-kataloge
dieses stiftes (ed. Stein meyer- Sie vers, Ahd. GH. IV, 1898), der sich im Cod. Cc VII, 7
der Bibl. publ. in Linz eingetragen findet und von Th. Gottlieb, Über ma. bibliotheken
(Leipzig 1890) in das 13. Jahrhundert gesetzt, aber noch dem ende des 12. Jahrhunderts
angehören wird, sind nämlich u. a. auch 'Decreta Ivonis in uno volumine' verzeichnet,
worunter zweifellos die Pannormia Ivos von Chartres zu verstehen ist, in welcher
der Job. Bapt. steht.
Ob nun das gedieht in Baumgartenberg erst eingetragen wurde, oder dort, wo
die hs. früher war, entzieht sich unserer kenntnis. Jedenfalls wurde es nicht von
einem 'recht ungebildeten landgeistlichen', wie Kraus will, sondern von einem mönche
eines klosters des 'grawen ordens' niedergeschrieben.
URFAHR. DR. KONRAD SCHIFFMANN.
Zum ahd. Heinrichsliede1.
V. 7 fg. sind überliefert:
hie adest Heinrich, bri(ngt) her hera kuniglich;
diynum tibi fore, thir selvemo xe sine.
Ich schlage vor, kuniglich in kuniling (= kunniling) 'verwandter' zu bessern
und mit Priebsch2 fore in foret; wenn wir daun thir als unbetonte nebenform von
thar auffassen (vgl. thar v. 20, thir v. 21), hera als adverb 'her' ansehen und mit
Schade3 sine = sinne nehmen, so erhalten wir einen vorzüglichen sinn: 'hier ist
Heinrich, orbringt einen verwandten her; es würde dir geziemen, selbst da zu sein',
nämlich wo Heinrich und dessen verwandter sind. Jetzt wird auch die anrede ambo
vos aequivoci* v. 13 verständlich, mit der kaiser Otto die beiden besucher anredet.
Auf die schwierige frage, welcher Otto und welcher Heinrich gemeint sind, will ich
hier nicht näher eingehen, sondern nur noch einige eigentümlichkeiten dieser stelle
besprechen. [Vgl. noch Breul, The Alod. Quart, of Lang. & Lit. I, 42 fg.]
Wer an dem artikellosen kuniling anstoss nimmt, kann in hera einen Schreib-
fehler für heran sehen5, da bei einem zugefügten adjeetiv das fehlen des artikels
weniger anstössig sein würde; das müsste dann heissen: 'er bringt einen vornehmen
verwandten'. Die verschreibung fore für foret erklärt Priebsch sehr einleuchtend
durch auslassung des t vor dem gleichen anlaut des folgenden thir; dass dies nicht
wol = nhd. 'dir' sein kann, ist schon in den anmerkungeu s. 100 von MSD3 mit hin-
weis auf mi 'mir' v. 13 fg. und g% 'ihr' v. 14 begründet worden. Selvemo endlich
erklärt sich durch syntactisebe attraction an tibi, vgl. aisl. kann baud pc im, at fara
fyrstum und Delbrück, Vergl. syntax III, 19.
1) Vgl. die litteraturangaben im Jahresbericht XX , s. 73 fg. und XXI. s. 66.
2) Deutsche handschr. in England I, 26. Ich war unabhängig von ihm auf
denselben gedanken gekommen.
3) Decas s. 7. Der dativ des ger. xe sinne — xe wesenne erscheint nach Braune,
Ahd. gr.-, § 378, anm. 1 schon bei Notkor.
4) Vgl. darüber Koegel, Gesch. d. d. litt. I, 2, 360.
5) Schade (Decas) liest bruother Mra 'f rater regius'.
KIEL. F. HOLTHAUSEN.
DO KAI'Kl.MANN, Zu QORflSB SMPBXOHBH
Zu Goethei geaprlehen«
„Mrs. LADglofa Parker kindly Bent me an easaj of Mr. Manning'fi Erom The
Journal of tbe Royal Society of New South Wales eol. XVI p, 159, 1883. .Mr. Manning
was an early settler in the north border of the Bouthern oolony. Aboat 1832 he
was in Europe, and mel Goethe, whose nndiminisbed curiosity, bebeing then about
eighty-five, indnced bim to bid Mr. Manning ezamii alian bei
Be did, but lost bis notes, made in 1MJ 1848. In the» wbich he later
reoovered, Mr. Manning used Christian terminology, instead of making a verbatim
report". ... A. Lang, Magic aud Religion (London 1901) p. 35.
KIEL. FR. KAUFFMA.NN.
LITTERATUE.
Der deutsche volksaberglaube der gegenwart von dr. Adolf Wuttke, prof.
der theol. in Halle. Dritte bearbeitung von Elard Hugo Meyer. Berlin,
Wiegandt und Grieben 1900. XVI, 535 s. 12 m.
Zum erstenmal ist das vielbenutzte werk anno 1860 erschienen. Eine zweite
völlig neue bearbeitung kam 1869 heraus mit der "tendenz. eine umfassende wissen-
schaftliche darstellung des gegenständes zu geben. E. H. Meyer hat nach seinen
eigenen worten das buch "Wuttkes fast unangetastet gelassen, schonend einzelne fehler
beseitigt, ihm bedenklich erscheinendes getilgt oder mit einem f ragezeichen versehen,
die auf die geschichte des hexenwesens sich beziehenden paragraphen wesentlich um-
gestaltet und aus der bisher minder berücksichtigten Überlieferung des deutschen Süd-
westens mancherlei neue angaben eingefügt (mit zahlreichen verweisen auf seine
neueren Publikationen: Deutsche Volkskunde 1898. Badisches Volksleben 1900). Das
litteraturverzeichnis (s. XIV — XVI) ist ergänzt und nimmt sich in seiner jetzigen Zu-
sammenstellung sehr buntscheckig aus. denn es enthält sehr ungleichwertige dinge
und berücksichtigt die seit 1869 erschienene litteratur viel zu wenig. Zum mindesten
wäre ein hinweis auf weitere bibliographische hilfsmittel erforderlich gewesen, um
•'eden benutzer in den stand zu setzen, Verbesserungen (Zingerles sitten, brauche usw.
sind in der ersten ausgäbe von 1857 citiert) und ergänzungen vorzunehmen (wir ver-
missen namentlich eine liste der Zeitschriften und periodischen publikationen der
einzelnen landschaftlichen vereine). So entsprechen auch die dem text am fuss der
Seiten beigegebenen litterarischen nachweise durchaus nicht den ansprächen d. h. ge-
statten dem weniger orientierten benutzer sehr häufig nicht, sich über den heutigen
stand der forschung zu vergewissern.
Über den wissenschaftlichen charakter des buches zu handeln, sofern wir
darunter historisch -kritisch begründete forschungsergebnisse verstehen, sind wir über-
hoben , da E. H. Meyer selbst die Verantwortung ablehnt. Das buch hat seinen wert
nur als „reichste Schatzkammer des deutschen volksaberglaubens" und wird deswegen
so lange eine andere, wirklich erschöpfende und streng systematische Übersicht nicht
von anderer Seite geliefert wird, unentbehrlich bleiben. Nur mahnen die sehr ernsten
mängel auch der neuen bearbeitung gegenüber in allen stücken vorsieht walten zu
lassen. Denn wol hat E. H. Meyer da und dort (?) angebracht, aber man sieht
durchaus nicht ein, was den so gekennzeichneten 'stellen ihr besonders fragwürdiges
gepräge gibt, wenn an anderem ort der blühende unsinn ungefährdet steht.
KAUFFMANN ÜBER WUTTKE, DER DEUTSCHE VOLKSABERGLAUBE DER GEGENWART 91
Es ist für den Historiker seit den entdeckuugeu J. Grimms kaum etwas so
reizvoll und zugleich so wertvoll, als sich in diese weit des Volksaberglaubens zu ver-
senken. Längst vergangene kulturepochen unserer Vergangenheit treten hier vor dem
erstaunten blick lebendig zu tage. Es ergeht uns dabei wie mit den volksmundarten:
untergegangene zustände sind in ihnen lebendig erhalten. Es ist im wesentlichen
mittelhochdeutsche oder mittelniederdeutsche spräche, was die dialekte weiterführen:
in buchstäblichem sinne repräsentieren die mundarten unsere deutsche aftersprache
d.h. nachgebliebene, dem modernen sprachbewusstsein verspätet und überholt dünkende
daher der Verachtung anheimgefallene Sprechweise.
Genau dasselbe besagt auf dem gebiet des glaubens, der brauche nnd der
sitte „afterglaube" bezw., was uns jetzt allein geläufig, „aberglaube". Es muss
vielfachen missverständnissen in auffassung und deutung dieses wortes gegenüber ein-
geschärft werden, dass das wort „aberglaube" nur im etymologischen Zusammenhang
richtig verstanden wird. Und danach bedeutet es nichts anderes denn „nachkommender,
nachgebliebener glaube" (vgl. got. afar, afardags, as. afaro, ags. eafora „nach-
komme"); die nebenform afterglaube (mit got. afardags vgl. bair. aftermontag) ent-
spricht genau den älteren, jetzt gleichfalls ausser kurs gesetzten bildungen afterivinter
(nachwinter), afterivelt und afterxeit (nachweit), afterbürde (nachgeburt). Die sub-
jective Wertbestimmung des wortes als „wahnglaube" liegt ursprünglich nicht darin.
Die entwicklung zu diesem „bösen" sinn ist hier wie dort jüngeren datums: „in dem
uamen, den der moderne mensch den dingen gibt, heftet er ihnen das urteil an, das
er über sie hat" (Beitr. 24, 464). So deckt sich also aberglaube mit lat. superstitio
(zu superstes) oder mit dem sinn, in dem wir seit Tylor und Lang engl, survival zu
gebrauchen gewohnt sind. Die in unserem buche s. 2 gegebenen ausführungen über
die Wortbedeutung sind hinfällig.
Das wesen des aberglaubens ist s. 6 zutreffend erfasst: „eine ansieht, welche
aus einer früheren, geschichtlich bereits überwundenen, niedrigeren stufe religiöser
Weltanschauung zurückgeblieben ist." "Wenn "Wuttke - Meyer aber fortfahren: „aber-
glaube ist alles was aus der durch das Christentum überwundenen heidnischen
Weltanschauung als rest zurückgeblieben ist", oder wenn Mogk sagt (Pauls Grundr.32,494):
„im heidentume wurzelt der aberglaube", so kann ich eine solche voreilige Schluss-
folgerung in ihrer allgemeinheit nicht gutheissen. Denn damit ist die ernste haupt-
frage umgangen. Ist es seit J. Grimm ausgemacht, dass der aberglaube Überbleibsel
aus vergangenen kulturepochen gerettet hat, so ist damit noch nichts entschieden über
das alter jener untergegangenen, im aberglauben restweise bewahrten kulturepochen.
Die analogie der spräche und andere indicien führen uns zunächst nur so weit, dass
der aberglaube die überbleibsei des mittelalterlichen lebens repräsentiert: dass
das alter tum im aberglauben noch lebendig sei, wird in jedem einzelfall zu er-
weisen sein. Nun ist es freilich leicht, das eine und andere als Überbleibsel aus den
fernsten zeiten der Vergangenheit tatsächlich nachzuweisen und insofern ist es richtig,
dass noch das heidentum im aberglauben sich fortsetze; was ich vermute, ist nur:
das sind die ausnahmen. Das regelmässige scheint, dass wir im aberglauben
im grossen und ganzen zunächst nicht das heidentum germanischer urzeit, sondern
das volkstümliche Christentum des europäischen mittelalters lebendig besitzen. Ich
erinnere an die neueren Untersuchungen über das alter unserer bäuerlichen Wetter-
regeln:1 sie gehen im wesentlichen auf den kirchonvater Boda zurück, genau so
1) Leider von E. H. Meyer nichl berücksichtigt!
92 kaum
wie A E. Sohoni dei aberglaube, der ao monate und tage sich
knüpft, aus Bedas Bebrüten Biob bersohreibt (Sitzungsberichte der Wien« r akad.
CX.LII, VII, L49). Derselbe gelehrte hat jetrl mau-.' wichtigen
gruppen deutschen aberglaubens die Verkehrtheit der herkömmlichen ansichten auf-
gezeigt. Er bat denn auch genau so. wie ich es widerholt getan bähe, zur aus* i
vorsioht gemahnt, „wenn man z. b. in deutschen Bogensf ormeln vom mittelalter bis
zur gegenwart spuren des germanisoh-heidnisoben Volksglaubens wahrzunehmen
meint So weit meine erfahrung reicht, sind solche ungemischt bo gut wie gar nicht.
aber auch mit christlichen dingen vermengt Belten vorhanden* (a. a. o. s. 130, cfr.
8. 49fg). Namentlich ist es durchaus anzulassig, die einzelnen formen, deren gegen-
wartig die abergläubische Bitte siob bedient, unbesehen ins heidentum zurückzudatieren.
Wol aber empfehlen wir die motive, die allgemein Keheirschenden gedanken gründ-
lich herauszuarbeiten und von ihnen für die gesohichte der älteren religion gebrauch
zu machen.
Unternimmt man es auf gruud der von Wuttke zusammengebrachten materialien
sich über die motive klarheit zu verschaffen, so tritt etwas seltsames zu tage. Der
moderne aberglaube ist in seiner totalität im wesentlichen auf ein einziges motiv
gegründet, das Wuttke selbst an zahlreichen stellen seines buches herausgehoben
hat. Er nennt es die „ Sympathie". Damit ist nicht bloss das wesen der sache zu-
treffend bezeichnet, sondern auch ein terminus gewonnen, der in der religionswissen-
schaft eingebürgert ist. Und daraus folgt ein weiteres. Halten wir uns an dieses
für den modernen aberglauben massgebende motiv der Sympathie, so entdecken wir
bald, dass damit nichts speeifisch heidnisch- germanisches aus dem aberglauben ge-
wonnen ist. Der glaube an die Sympathie der seelen und der dinge ist ein erbe des
menschen, so weit er über die erde verbreitet ist und hat zu allen zeiten wie an
allen orten des völkerlebens seine Wirksamkeit entfaltet. Er schlägt aber nicht in die
religion, sondern in die magie ein. Man vergleiche das hervorragende werk von
Frazer, The golden Bough, London 1890 (2. aufl. 1900). * Dass jenes motiv der
„ Sympathie" in der altgermanischen weit lebendig war, wisseu wir längst; also auch
damit gewinnen wir für das heidentum nichts neues aus dem aberglauben. Wol aber
ist uns — bei der dürftigkeit unserer Zeugnisse — verschlossen, die betätigung jener
sympathetischen magie im täglichen leben zu verfolgen: hier tritt der heutige aber-
glaube in die lücke, um selbst für die fernsten zeiten germanischer Vergangenheit im
höchsten grad aufhellend zu wirken.
Rechnen wir auch mit der annähme, dass die grosse masse der abergläubischen
einzelformen sich aus dem deutschen mittelalter herschreibe — sehr instruetiv
sind in dieser beziehung die von "Wuttke beigebrachten belege für die abergläubische
geltung des katholischen ritus unter den evangelischen (dieses thema verdiente eine
selbständige zusammenfassende bearbeitung) — so sind wir nicht blind dafür, dass
auch unter den einzelformen survivals aus weit fernerer Vergangenheit sich erhalten
habeu. Ich mache auf die s. 462 fgg. gegebenen ausführungen über totengebräuche
aufmerksam: noch werden wie vormals dem toten die dinge mit in den sarg gegeben,
die ihm bei lebendigem leibe zum gebrauch gedient haben, so z. b. der kämm, der
ihm gehörte und mit dem noch die leiche gekämmt wurde (vgl. S. Müller, Nord.
1) Ich spreche den lebhaften wünsch aus, dieses buch möge bei einer neuen
aufläge unseres Wuttke fortlaufend citiert werden : es ist ein unentbehrlicher comrnentar;
das urteil Schönbachs a. a. o. s. 97 könnte missverstanden werden.
ÜBER WUTTKE, DER DEUTSCHE VOLKSÄBERGLAUBE DER GEGENWART 93
altertumskunde 2, 77. 105: kämme liegen aus mehr als hundert grabfunden vor!). Es
geht der glaube: wer sich mit dem leichenkamme kämmt, muss sterben; der kämm wird
wie anderer hausrat dem toten mitgegeben, weil ein hauch seiner seele an seinem
eigentum haftet, weil der tote im hause bliebe und die zurückgebliebenen beunruhigte,
falls seine von ihm sympathetisch berührten gebrauchsgegenstände ihm nicht mit-
gegeben würden.
Auch auf umgekehrtem wege ist das alter der abergläubischen sitte erweisbar:
bemerkenswert ist, sagt Wuttke s. 424, dass die mühle, (d.h. die Wassermühle) im
aberglauben fast gar nicht vorkommt; auch der wein spielt eine verhältnissmässig
untergeordnete rolle (s. 427): aber auch hier ist die grösste vorsieht geboten, wenn
man sich der bevorzugten rolle der kartoffel erinnert! Die städtische bevölkerung,
die im Handelsbetrieb und im bürgerlichen gewerbe steht, verfügt nicht entfernt über
den reichtum von abergläubischen riten, wie die ländüche bevölkerung (s. 11 fg. 453 fg.)
u. a. Abor auch die an alte sitte gebundenen lebenskreise sind seit der vorzeit von
erschütterungen betroffen worden. Vieles ist in abgang gekommen, weil neue inter-
essen sich vordrängten und willenlos ist auch die jüngste errungenschaft in die aber-
gläubische Sympathie der dinge einbezogen worden. Wie beliebt ist es doch, eine
ganze periode des urgeschichtlichen lebens als die der (Jäger- und) fischervölker zu
bezeichnen und doch fehlen im aberglauben (wie im zauber) die fische so gut wie
ganz und gar (nur der hering tritt stärker hervor s. 115 u. ö, [siehe register], sonst
ist noch genannt: der hecht, der aal, die forelle, die schleie); gelegentlich tritt aber
das motiv des aberglaubens so echt heraus — weil die fische stumm sind, dürfen
Säuglinge und stillende mütter kein fischfleisch essen, sonst lernt das kind nicht
sprechen (s. 394) — dass wir zweifellos von solch vereinzeltem zeugnis auch für die
Vergangenheit gebrauch machen dürfen.
Uralter glaube haftet zäh an der geheimnisvollen bedeutung der erde, des
erdbodens und des erdinnern. In der deutschen mythologie nimmt die erdgöttin (die
z. b. Mogk Grundr. 32, 249 mit Frija identificiert) einen bevorzugten rang ein als das
Sinnbild der mütterlichen erde: ich weise darauf hin, dass dieses epitheton aus
dem aberglauben heraus sich nicht erweisen lässt. Die erde hat im aberglauben nur
unheimliches zu bedeuten: freundlich und günstig ist alles, was vom himmel
kommt (so z. b. der donnerkeil s. 91 fg. oder der tau s. 92. 436 u. ö.); unfreundlich
und gefährlich ist die erde; geheuer und ungeheuer ist es „zwischen himmel und
erde". Ich erinnere an die im luftrevier erscheinenden vögel (Wuttke s. 118fgg.) im
gegensatz zu den auf der erde beheimateten kröten (s. 117), wieseln, mausen, maul-
würfen, schlangen, die alle ebenso gefährlich als jene „herrgottsvöglein" nützlich sind.
Die erde kann wol als chthonische, nicht aber als „mütterliche" gottheit in frage
kommen, wie die folgenden belege veranschaulichen werden. Weit verbreitet ist
die sitte, reine Schutzmittel vor berührung mit dem erdboden zu bewahren (z. b. wenn
man den samen des schützenden farnkrautes in der Johanuisnacht einsammelt und
die blute schüttelt, muss man ein tuch unterlegen s. 98fg.). Die erdleute, erd-
mäunchen, erdwichtel sind die „unterirdischen" und als solche gefährlich und feind-
selig (s. 40fgg.) im gegensatz zu den über der erde im hause dienstbaren kobolden;
um jene zu versöhnen, bedarf es vielfach geübter opferhaudlungen, die alle abwehrende
geltung haben: bevor man trinkt, giesst man etwas auf die erde, um schaden abzu-
wenden (s. 291 fgg.); wenn am 1. mai das vieh ausgetrieben wird, so legt man ein
frisches ei und ein beil etc. unter die schwelle, bedeckt es mit rasen und liisst
das vieh darüber hinwegschroiten, dieses schützt das vieh vor behexung (s. 77 etc.);
04 KAUl'FMAN."* liliKr: MOH'MASN-KftAYKR. I > t K 70UUB.UMJI ALS WISST.SsCHAFT
man vergräbt einen kater anter einem bäum . damit, kein bösei geisi 'lern feld schade
(s.205), wie man. trenn viel pferde fallen; vor der BtaUtär ein lebendiges pferd ver-
gräbt oder um die pferde gesund zu erhalten, einen band unter der krippe verscharrt etc.
is. 2992g). In der Silvester- oder Thomasnacht Bteoken die madchen • <-u in
die erde und b teilen ihre schuhe rings herum, an anderen morgen linden sie die-
Belben verschoben: die riebtung auf den kirchhof zeigt den tod an (s. 233). Za
mittel erlangen gesteigerte kraft, wenn mau sie in einen ameisenhaufen legt (s. 113);
wirft man Bicb auf die erdo nieder, so hört man die bitte der zum tode bestimmten
(8. 24i)i oder wenn man sich auf einen kreuzweg stellt und ein Btuca b auf
den köpf legt, sieht man die hexen oder den teufel (s. 258 263), den büwisschneider
kann man sehen, wenn man vor Sonnenaufgang aus einer ecke des feldes rasen aus-
sticht und sieh auf den köpf legt (s. 259): unter der erde, im bereiebe der unter-
irdischen ist man vor behexung sicher (s. 283) oder eignet sieh deren kräfte an (z. b.
s. 318). Wenn man etwas gefundenes vom boden aufhebt, muss man sieb in acht
nehmen, weil einem dadurch leicht etwas angetan werden kann: hebt man es auf,
muss man dreimal darauf spucken, weil es behext sein kann; nur brot kann man
gefahrlos aufheben, denn über gottes gäbe hat der böse nicht gewalt (s. 307 fg.); wer
brot auf die erde fallen lässt, der muss os küssen, ehe er's isst, oder wer es auf
dem wege liegen sieht, muss es auf einen stein legen (s. 31) — um es dadurch der
unheimlichen gemeinschaft mit dem erdboden zu- entziehen. Krankheiten werden in
die erde vergraben und gebannt (s. 331 fgg.), man beachte z. b. wie ein fiebernder vor
Sonnenaufgang aufs feld geht, mit blossen knien niederkniet und einen spruch spricht
(s. 354), um das lieber in die erde überzuleiten; umgekehrt ist der Wöchnerin zu
raten, nicht mit blossen füssen auf die erde zu treten, sonst küsst ihr der teufel die
fussstapfen (s. 380) oder dem kriegspflichtigen , sich mit erde zu versehen und sich
dadurch- untauglich zu machen (s. 454). So legt man denn auch das neugeborene
kind auf dio blosse erde, um es fest und kräftig werden zu lassen (s. 381), d.h. um
die bösen geister durch die hingäbe freundlich zustimmen; wie man vornamen wählt,
die mit erd- anfangen (z. b. erdmann), um die kinder vor frühem tod zu beschützen
(s. 387). Sehr interessant sind in diesem Zusammenhang die gebrauche bei der be-
stellung des ackers. Das feld ist nicht als solches fruchtbar: es muss fruchtbar ge-
machtwerden (s. 417 fgg.), indem man z.b. die in den zwölften gebrannte asche aufs feld
streut, oder am pflüg ein stück holz vom osterfeuer anbringt oder das säetuch am
Weihnachtsabend als tischtuch gebraucht, in einen zipfel brot und geld, salz und
fenchel bindet, oder den samen zuvor vom priester segnen lässt. Man bringt erst
den unterirdischen ein opfer (s. 419). In diesen Zusammenhang gehört der alte ags.
zauber: seo bot hü pu meaht ßine ceceras betan (J. Grimm, Mythol. 2*, 1033fgg.),
den zu citieren für E. H. Meyer widerholt gelegenheit gewesen wäre, wie der spruch
seinesteils aus dem heutigen aberglauben eine beleuchtung erhält, die der neuste text-
kritische versuch nicht verträgt.
KIEL. FRIEDRICH KAÜFFMANN.
Hoffmann - Krayer , E., Die Volkskunde als Wissenschaft. Zürich, comm.-
verlag von Fr. Amberger 1902. 34 s. 1 m.
Die kleine Schrift ist dem bekannten und verdienten englischen folkloristen
E. Sidney Hartland gewidmet und nimmt das interesse um so mehr in anspruch, als
ihr Verfasser mitten in der praktischen arbeit steht und als herausgeber des „ Schwei-
KATOTMANN 1'BER ANDREE, BRAUNSCHWEIGF.R VOLKSKUNDE 95
zerischen arehivs für Volkskunde u berufen erscheint, über das arbeits verfahren rechen-
schaft abzulegen. Er unterscheidet „Volkskunde " von „ landeskunde " und bemüht sich
namentlich die Volkskunde gegen ihre nachbargebiete (ethnographie, kulturhistorie)
abzugrenzen. Die Volkskunde hat ihr eigenstes wirkungsfeld in den von der modernen
kultur durchdrungenen Völkern und richtet ihr augenmerk in erster linie auf das, was
unter den heutigen kulturvölkern noch altertümlich -primitiv ist, hat es mit einem
wort mit dem was die Engländer survival nennen zu tun; die „überlebsel" aus ver-
gangenen und überholten kulturstufen (nicht die „ errungenschaften u der gesamtkultur
wie die kulturgeschichte sie bearbeitet) geben den specifischen arbeitsstoff für den
folkloristen ab. H. will nun von einer stammheitlichen Volkskunde, welche die primi-
tiven anschauungen und volkstümlichen Überlieferungen einer Stammesgruppe dar-
zustellen hat, eine Allgemeine Volkskunde abtrennen. Diese disciplin habe den
principien und grundgesetzen volkstümlicher anschauung nachzugehen, wobei es nichts
verschlage, ob von Bantu - negern oder von hinterpommerschen bauern gehandelt
werde (s. 17).
In der Würdigung dieser „ Allgemeinen Volkskunde " sehe ich das hauptverdienst
des Verfassers. Er betont die parallele zur Sprachwissenschaft, die der principien-
wissenschaft sich in der erspriesslichsten weise erfreue, und fordert, den seelischen
kräften nachzugehen, die bei der bildung, Übertragung und Wandlung volkstümlicher
anschauungen in tätigkeit treten. Die mechanistische theorie lehnt er ab, stellt sich
mit entschiedenheit auf den Standpunkt derjenigen, die den Wanderungen der ein-
zelnen volkskundlichen motive nachgehen, ist aber „weit davon entfernt, das gleich-
zeitige auftauchen spontan - primitiver Vorstellungen hei weit auseinanderliegenden
Völkern zu läugnen tt (s. 29). Nur haben wir „ nicht von der generellen gleichheit
aller menschen, sondern im gegenteil von der individuellen Verschiedenheit" auszu-
gehen, um schliesslich zu den kollektiv -anschauungen zu gelangen. Vor allem tut
uns eine wissenschaftliche analyse des „primitiven denkens" not. Über die grund-
formen des primitiven, des volkstümlichen denkens habe ich TU 1, 170 fgg. gehandelt,
denn ich teile durchaus die von Hoffmann-Krayer an eine „wissenschaftliche" Volks-
kunde gestellten anf orderungen.
KIEL. FRIEDRICH KAUFFMANN.
Andree, Richard, Braunschweiger Volkskunde. Zweite vermehrte aufläge. Mit
12 tafeln und 174 abbildungen, planen und karten. Braunschweig, Vieweg und
Sohn 1901. XVIII, 531 s. 5,50 m.
Die — uns nicht zugegangene — erste aufläge war 1896 erschienen und wurde
so günstig aufgenommen, dass in sehr kurzer zeit eine zweite nötig wurde. Diese
unterscheidet sich „im wesentlichen dadurch, dass sie eine stark vermehrte und aus-
gebaute ist. Die kurz gehaltene einleitung der ersten aufläge wurde erweitert und in
abschnitte zerlegt, die zahl der abbildungen und tafeln dank dem entgegenkommen
der Verlagshandlung um die hälfte vergrössert " . Das schöne, reichhaltige buch lässt
der auf den weitesten gebieten der Volkskunde bewährte Verfasser mit einem „geogra-
phischen abriss" beginnen, behandelt ausführlicher die prähistorie, die ethnologischen
und anthropologischen fragen, und wendet sich s. 49 — 59 der niederdeutschen spräche
in Braunschweig zu. Es folgen: die Ortsnamen (s. 59), die fluruamen uud forstorte
(s. 84) ', siedelungen und bevölkerungsdichtigkeit (s. 132), die dörfer und die häuser
1) Sie wären mit der ortsüblichen ausspräche zu verzeichnen gewesen I
96 ni»
(s. 143), der bauer, die bitten und das gesinde (s. 204). der Bache und die Bpinn-
stubo (h. 22:<). gerät in )i"f und haus (g, 239), banernkleidung und schmuck (s
gebart, hocbzeit und tod (8.284), das jähr und die 124), geisterweit und
mythische ersoheinungen (b. 371), aberglaaben, Wetterregeln und volksmedicio (s. 400),
Volksdichtung and spiolo (s. 432), die spuren der Wenden (s. 500), register [t 521). —
Leider fehlt immer noch auch in dieser Volkskunde ein selbständiger abschnitt ober
die volkstümliche religion („ loli^iöse Volkskunde1- wie die theologen sie benennen
und widerholi nachdrücklich gefordert haben), die neben den sog. heidnischen Über-
bleibseln, wie sie unter „ aberglauben " verzeichnet zu werden pflegen, ein dun
selbständiges interesse zu beanspruchen hat Mancherlei einzelbeiten sind da und
dort (z. b. in dem abschnitt „das jähr und die feste") erwähnt und könnten, in
wesentlich ergänzter form zu einem besondern abschnitt ausgeweitet, einer neuen
aufläge zur zierde gereichen.
KIEL. FRIEDRICH KAUFFMAN.V.
Erik ßjörkman, Scandinavian loan-words in Middle English. Part 1. [A.u. d. t. :
Studien zur englischen philologie, hg. von Lorenz Morsbach. Heft VII].
Halle, Max Niemeyer 1!)00. VI, 191 s. 10 m.
Die Untersuchung der skandinavischen lehnwörter im englischen ist ein altes
desideratum der englischen Sprachgeschichte und grammatik. Denn trotz trefflicher
ansätze namentlich in den arbeiten von Brate und Kluge blieb noch manche frage
unbeantwortet. Die behandlung des gegenständes musste einem bearbeiter vorbehalten
bleiben, der eine gleich genaue kenntnis des skandinavischen wie des englischen mit
einer vollkommenen beherrschung des germanischen im allgemeinen in sich vereinigte.
Nur ein so vielseitig ausgerüsteter forscher konnte hoffen, der zahlreichen, auf schritt
und tritt sich entgegenstellenden Schwierigkeiten herr zu werden. Lange haben wir
auf einen so seltenen mann warten müssen; jetzt, da wir ihn gefunden haben, begrüssen
wir ihn mit um so aufrichtigerer freude. Denn — um das gesamturteil über das
uns zur besprechung übertragene buch vorauszunehmen — die anglistik kann der
schrift von Björkman, deren schlussteil, auf ende 1901 in aussieht gestellt, hoffent-
lich recht bald nachfolgen wird, nur wenige gleich gute und zuverlässige grammatische
Sonographien an die Seite stellen.
Die gründliche, um- und vorsichtige art des Verfassers, von der er schon in
seinem aufsatze ,,Zur dialektischen provenienz der nordischen lehnwörter im engli-
schen"1 sehr erfreuliche beweise gegeben hatte, zeigt sich am deutlichsten schon
in der einleitung, in welcher er über die von ihm angewandte methode und
das ziel seiner arbeit rechenschaft ablegt. Er weist zunächst überzeugend nach, dass
eine solche Untersuchung am besten auf dio skandinavischen lehnwörter im me. be-
gründet wird. Vom ae. lässt sich deswegen nicht gut ausgehen , weil in der ae.
periode die skandinavischen elemente sehr spärlich sind. Aus den von dem skandi-
navischen einfluss stark durchtränkten gegenden Merciens und Nordhumbriens sind
uns nur unbedeutende Sprachdenkmäler aus jener zeit überliefert. Zudem scheint die
annähme berechtigt, dass hier das skandinavische element erst mit der Vermischung
der beiden zunächst einander feindlich gegenüberstehenden bevölkerungsschichten , die
schliesslich freilich eine völlige aufsaugung des skandinavischen durch das englische
1) Sprakvetonskapliga sällskapets i Upsala förhandlingar 1897 — 1900.
ÖBEB Ti.TÖRKMAX. SPaKDINAVIAX LOAN-WORDS 97
zur folge hatte, eiuen wirklich bedeutenden räum einnahm. Während die in alter
zeit eingedrungenen lehnwörter auf die begriffssphären beschränkt sind, welche dem
leben und den gesellschaftlichen einrichtungen der eindringlinge angehören, haben
sich im me. diese kreise bedeutend erweitert und sogar formwörter, wie pronomina,
adverbia, conjunktionen ergriffen. Wir dürfen darum zweifellos verschiedene schichten
von lehnwörtern unterscheiden, von denen die letzte sich nicht vor 1050 bis 1150
festgesetzt hat. Dabei macht Björkman die sehr richtige Überlegung, dass nicht nur
die Engländer von den Skandinaviern wörter entlehnten, sondern dass auch umge-
kehrt vielleicht in beträchtlichem umfange eine aufnähme englischer Wörter in die
auf englischem boden gesprochene skandinavische spräche stattfand. Wir müssen
daher immer mit der möglichkeit rechnen, dass solche ursprünglich echt englische
wörter in skandinavisierter gestalt später wieder an das englische abgegeben wurden.
Aber auch das neuenglische eignet sich nicht als basis für die Untersuchung.
In sehr vielen fällen sind wir ohne eine gründliche kenntnis der me. Vorstufe gar
nicht imstande, die ne. Verhältnisse richtig zu beurteilen. Das schriftenglische zumal,
das in seiner mischung aus verschiedenen dialekten noch eine menge ungelöster
probleme darbietet, kann schon gar nicht in betracht kommen, und die dialekte sind
noch viel zu wenig erforscht, als dass man auf sie mit Sicherheit eine Untersuchung
aufbauen könnte. Darum ist auch Walls versuch (Anglia 20, 45fgg.), der eben die
ne. mundarten verwerten wollte, resultatlos oder wenigstens vielfach höchst zweifel-
haft in seinen ergebnissen.
Selbst wenn man vom me. ausgeht, bleiben aber noch Schwierigkeiten aller
art zu überwinden.
1. Die unterschiede im Wortschatz zwischen dem englischen und skandinavi-
schen sind im ganzen klein gewesen. Das hat eine gegenseitige Vermischung be-
deutend erleichtert und zur folge gehabt, dass bedeutungsverschiebungen am heimi-
schen material unter dem fremden einüuss stattfanden, oder dass wörter, die im
aussterben begriffen waren, neue lebenskraft erlangten.
2. Was wir von den skandinavischen sprachen vor ihrer berührung mit dem
englischen wissen, ist recht wenig, und auch unsere kenntnis des englischen der von
den Skandinaviern besetzten gegenden zur zeit der ersten einfalle eine verhältnis-
mässig beschränkte. Wenn nun im me. eine menge von Wörtern auftauchen, welche
im ae. nicht nachgewiesen werden können, sind wir nicht ohne weiteres berechtigt,
sie als fremdlinge anzusprechen. Sie können schon vorher als echt englische wörter
existiert haben und nur zufällig in den litterarischen deukmälern nicht überliefert sein.
3. Die kriterien der lautverhältnisse, der Wortbildung und der syntax sind
nicht immer absolut ausschlaggebend. Wir haben grund zu der annähme, dass viele
englische wörter, die eiue ganz englische form aufweisen, nichts destoweuiger aus
dem skandinavischen stammen. Denn es ist kein zweifei, dass die Engländer häufig
bei der entlehnung die fremden wörter ganz korrekt den Lautgesetzen des englischen ent-
sprechend umformten. Ein schlagendes beispiel liefert das Verhältnis von anlaufen-
dem s und anlautendem sk. Zweisprachige individuell merkten leicht, dass die gleichen
Wörter skandinavisch mit sk, englisch mit s anlauteten; daraus mag dann leicht Ver-
wirrung entstanden sein in der weise, dass z. b. sk auch in Wörtern gesprochen
wurde, die echt skandinavisch gar nicht vorhanden waren. So können skandinavi-
sierte englische wörter existiert haben, die dann in dieser form wieder ins englische
zurückkehrten; vielleicht ist so me. seatcren neben shatereh zu deuten. Umgekehrt ist
aber auch denkbar, dass skandinavische wörter anglisiert wurden, indem der aulaut
ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BP. XXXV. 7
ak regelreohl duroh i ersotzl wurde; di'-s i-,t vielleicht die beste erkläruog für me.
ahifften. Bei Bolchen Wörtern ist eine prüogliche Zuge-
hörigkeit unmöglich darum auch für <Jio vorliegende untersuchnng Dicht in
betrat in. Lhnlich verhält es sich mit einei niohl geringen anzahlvoa com-
positis: sie zeigen voll tändig englische Lautgestalt, und doch muss skandinavischer
Ursprung für sie angenommen werden, du sie im eo inzelt da<-tehea,
analoga dazu sich nur im skandinavischen finden ■/.. b. forword 'vertrag', la/nd
rädesmann . wäpengt
In erwägung dieser Schwierigkeiten hat Björkman sich als ziel gesteckt, nicht
den einfluss des nordischen auf das englische in jeder hinsieht zu ergründen, son-
dern nur festzustellen, was an eigentlichen lehnwörtem dem englischen aus dem norden
zugeflossen ist. Das eindringen ganzer redensarten, Sprichwörter u>w. lässt er ebenso
ausser betracht, wie die nachahmung nordischer Wortfügung mit englischem material.
Nur gelegentlich berücksichtigt er die Wirkung auf englische Wortbildung und wort-
hieguug: für die erstere citiert er als beispiel die hänfigkeit der verbalableitungen auf
-len und -neu im me. ; doch äussert er sich mit grosser vorsieht über die bestimm-
barkeit des skandinavischen anteils; mau darf ihm daher, auch wenn man selbst in
anbetracht der existenz vieler ganz entsprechepder bildungen in den heutigen deut-
schen mundarten, den skandinavischen einfluss in diesem punkte geringer anschlägt,
nicht den Vorwurf einer Übertreibung zu gunsten des nordischen machen. Nur schwer
wird man mit Sicherheit einfluss des skandinavischen auf die englische flexion er-
weisen können. "Wo sich nordische flexionsformen im englischen zeigen, sind sie
durchaus an nordische lehnwörter gebunden und üben als erstarrte bildungen die ihnen
ursprünglich zukommende funktion aus, so z. b. das auslautende r des nom. sing. masc.
von adjektiven, das in me. hager, hawur „geschickt" das nord. /• von hagr wider-
spiegeln dürfte, oder das auslautende t von me. tit, ne. scant, das dem nordischen
auslautenden t eines nom. sing, neutr. oder einem adverbium entspricht. Auch auf
die frage nach der herkunft der nordischen lehnwörter im englischen, ob sie mehr
ostnordisch oder mehr westnordisch sind, geht B. nicht weiter ein, nachdem er das,
was sich darüber vorbringen lässt, schon in seiner oben erwähnten abhandlung
gesagt hat.
In dem bis jetzt allein erschienenen ersten kapitel seiner arbeit beschäftigt
sich B. ausschliesslich mit der diskussion derjenigen Wörter, die auf grund lautlicher
kriterien sicher als fremdlinge agnosciert werden können. Erst wenn man durch ihre
betrachtung eine solide basis geschaffen hat, kann man versuchen, anhaltspunkte für
die beurteilung des englischen Wortschatzes nach anderen gesichtspunkten zu gewinnen.
Um dem Vorwurf der un Vollständigkeit zu entgehen, zieht B. alle Wörter heran, von
denen jeinmal nordische abstammung behauptet worden ist; er muss dann freilich
vielen von ihnen einen endgiltigen platz unter den lehnwörtern versagen, aber auch
so ist die menge der von ihm als nordisch festgesetzten elemente des me. eiue ganz
erstaunlich grosse.
Es kann nicht meine aufgäbe sein, hier im einzelnen den ausführungen des
Verfassers über den wert dieser lautlichen kriterien nachzugehen; ich muss mich damit
begnügen, hervorzuheben, dass es ein geouss ist, seinen ungemein umsichtigen und
weitblickenden abwägungen aller möglichkeiten zu folgen. Vielleicht ist es aber bis
zum erscheinen des Schlusses der abhandlung erwünscht, wenn ich eine vorläufig
fehlende inhaltsübersicht hier gebe:
DBBK BJÖRKMAX. SCAXDIXAVTAN LOAX-W0RDS 99
T. Kapitel: Lautliche kriterien für die nordischen lehuwörter im englischen.
1. Kriterien hergenommen aus dem vorgeschichtlichen unterschied zwischen
nordisch und westgermanisch: entwickelung des urgerm. yu>ggii, ii>
gg„ im nord. , wozu im westgerm. kein analogon.
2. Kriterien hergenommen aus dem unterschied zwischen der nordischen und
englischen lauteutwickelung.
A. Deutlich nordische diphthonge und vokale in nordischen lehnwörtern.
1. Nordisch ai, ei.
2. Nordisch ey, ey.
3. Nordisch qu, au.
4. Nordisch ä.
A. aus germ. <i.
a) "Wörter mit germ. & vor nasal.
b) Wörter mit a in me. Verkürzung aus ae. ce oder nord. a?
B. aus anderen quellen.
5. Nordisch ä.
6. Nordisch *.
7. Nordisch o.
8. Nordisch y.
9. Nordisch y.
10. Bemerkungen über die quantität der vokale als kriterium für nordische
lehuwörter.
B. Kriterien hergenommen aus den Verschiedenheiten in der entwickelung
von consonanten im englischen und nordischen.
1. Nordisch s£.
a) anlautend,
b) in- und auslautend.
2. Nordisch k,
a) anlautend in fällen, wo englisch eh zu erwarten wäre,
b) nicht anlautend. Dabei eine interessante, Morsbachs ansieht über
die frage der palatalisation wiedergebende anmerkung.
3. Nordisch g,
a) anlautend,
b) nicht anlautend.
4. Nordisch gutt. spirans j.
5. Nordisch d (ß).
6. Nordisch r.
7. Nordische consonantenassimilation,
a) Nordisch dd,
b) Nordisch kk < nk,
c) Nordisch //,
d) Nordisch nn,
e) Nordisch tt (t) < germ. ht.
8. Nordische consonantendissimilation,
a) germ. mn > in,
b) 3n > nn,
c) nn > <>>/.
7*
100 | ; , •; |.o\N -V-. •
9) Nordi mantenschw and.
ad :
,. i oord " ■
ß) oord
b) in- and auelautend.
10. töetatl
Bei der fülle der erscheinungen, welche im verlaufe der arbeit zur disku
111 werden, wäre es verwunderlich, wenn nichl trotz aller sorgsamen abwä
dem hier and da eine auffassung sieb als die olichste ergäbe,
welohe auf einen andern weniger zwingend wirkt, [ob muss es mir biei
überall da, wo mir eine andere erklärung einleuchtender erscheint, dies anzumerken 1.
Nur einen punkl möohte ieli herausgreifen, weil man daran die Schwierigkeiten vor
äugen fuhren kann, mit denen die etymologische erforschung ohen -• haupt-
sächlich in folge der Vernachlässigung der Wortbildung durch die grammatiker — zu
kämpfen hat.
S. 135 weist B. mit recht darauf hin, dass in- und auslautend ae. sc im me.
lautgesetzlich zu 8 geworden zu sein scheint, dass daneben "ige fälle sich
linden, in denen me. und ne. ein sk auftritt, ohne dass man sonst irgend welche
gründe für die annähme einer fremden abstammung dieser Wörter anführen könnte.
Ganz plausibel wird ein solches sk als resultat einer metatkese aus me. ks, x hin-
gestellt, z. b. in asken, aske < äöexe, tusk. Bei der besprechung der einzelnen iu
diesem paragraphen erwähnten Wörter scheint aber B. diesen gesichtspunkt gelegent-
lich doch wieder zu vernachlässigen und Wörter als nordisch zu aeeeptieren. nur weil
eine englische etymologie bis jetzt fehlt. So hält er z. b. auch bei basken an nordi-
schem Ursprung fest, freilich unter ahleitung aus nordischem baska (nicht aus ba
oder bakask), und indentifiziert es mit ne. (veraltet) bask= „to strike with a bruising
blow", ne. dial. bask = „to beat severely". Ob die sehr verschiedenen bedeutungen
sich bei gleichem etymon wirklich mit einander vereinigen lassen, bleihe dahingestellt;
iu der bedeutung „schlagen" aber scheint mir entlehnung aus dem nordischen un-
wahrscheinlich; deun wir finden neben bask in gleicher bedeutung auch bash, bei welchem
ein lautliches kriterium für skandinavische herkunft vermisst wird. Es dürften viel-
mehr meines erachtens im frühme. zwei formen *bascen und *baxen neben einander
existiert haben, von denen jene ne. bash, diese ne. bask ergab ganz entsprechend
dem frühne. ash neben ask aus me. asken bezw. axen.
Mit diesem *baxen < *baksen < *bagsen, ae. *bcegsian (?) mag das ne. verburn
to bag = „to cut com, peas etc." stammverwandt sein und beide könnten so mit
dem deutscheu dialekt. beette = „klatschend schlagen" < *bakxen zusammengehören.
Es existieren im ne. eine ganze menge solcher auf sli , selten s^, nur ausnahmsweise
auf x endigender verben, die meist eine heftige hewegung, einen kurzen schlag oder
einen schall bezeichnen und denen sich fast regelmässig ein gleichbedeutendes, auf
guttural, weniger oft auf dental oder labial ausgehendes verb an die seite stellen
lässt. Sie sind in der Schriftsprache noch nicht lange oder gar nicht reeipiert und
werden daher von den meisten etymologen, wol mit unrecht, als junge onomatopoetische
neuhildungen angesehen. Wenn man der Sache aber ein wenig nachgeht, merkt mau
bald mit erstaunen , dass auch im deutschen in sehr vielen fällen ein entsprechendes
1) Man vergleiche auch die anzeige des B.'schen buchs durch Luick und des
gleichen Verfassers aufsatz im Arch. f. d. st. n. spr. 107, 412 — 419 bezw. 322 — 329.
KAUITMANN ÜBER HERRMANN. DEUTSCHE MYTHOLOGIE 101
wort, freilich fast immer auf die dialekte beschränkt, existiert, dessen lautliche ^ge-
stalt ein hohes alter verrät, und so die Vermutung nahelegt, dass ähnliches auch im
englischen gelten könnte. Diese interessanten dinge so zu verfolgen, wie ich es bei
grösserer müsse gerne täte, würde mich hier viel zu weit führen. Demjenigen,
welcher den gegenständ behandeln will, kann der aufsatz von "Winteler in den Bei-
trägen zur gesch. d. d. spr. 14, 455 fgg. nützliche fiugerzeige geben. Ein paar bei-
spiele , welche diese correlation zu illustrieren vermögen , darf ich aber vielleicht doch
au fügen.
Zu brask schott. „zerbrechen, zerschmettern"- vgl. to brakc ,,hauf brechen,
den boden aufbrechen", brach prov. „egge" — zu clash vgl. clack. — clish : dick.
— crash : crack. — dush : duck. — fash schott. „plagen, ärgern, müde werden",
in der regel aus franz. fächer hergeleitet, vgl. aber to fag „ermüden", „sich ab-
arbeiten". — flash : flack oder flag. — flosh : flog. — gnash: dial. gnag. — hash :
hack oder hag. — hush : hug. — lash : lack. — push:pug. — quash : quackened,
quackle. — rash : rack oder rag. — smash : smack. — swash : sivack oder sivag.
Seltener ne. auf — sk : fisk (von Björkman vermutungsweise mit ae. fijs(i)an
in Verbindung gebracht):/«/, fldget, fach (vgl. Basler. gfitsj „unruhig sich hin- und
herbewegen" <; *fickexen : flckd, „reiben, kratzen"). — flisk : pick. — frisk : fr ig.
hisk : hie. — ivhisk : tvhig. — Zu dieser gruppe wären wol auch die von B. als
dunkel bezeichneten pasken, rusken zu ziehen.
Auf x: vielleicht ne. box : to boke „stossen", vgl. Schweiz, butid < huk\j
„anstossen": auch engl, bush „mit dem köpfe stossen". — gux = „to hiecup'1 ; guck
„jucken" (?).
Für lutske, ne. husk weist B. nordische entlehnung ab. Seine ableitung des
Wortes aus ae. hos (?) = „a pod" (deutsch hose) scheint mir wegen vokaldifferenz
bedenklich; ich möchte lieber auf hüsk < *hüdsk zurückgehen, zumal da in Schweiz,
dialekten hüt = „hülse", „fruchtschale" ganz gewöhnlich ist. Solche bildungen auf
-sk bei Substantiven sind ja im englischen nicht unerhört, man denke an frosc, ne.
lesk, lisk < ae. lesca, leosca in den glossen; bei einigem suchen Hessen sich die
beispielo gewiss vermehren: wenigstens glaube ich kesh, kex „hohler pflauzenstengel" '
(cf. keg, „fässchen"'?), mush „brei": muck ,, kot, unrat"; pash „gesiebt, \.o\Ä'i : pat
„klümpchen"; slush „schlämm, schmutz" : sind, „schlämm"; squash : squad „morast";
tusk „ büschel " : tuck „dicht zusammenziehen" hier einreihen zu dürfen.
Ich schliesse mit dem wärmsten danke für die reiche und vielseitige anregung
durch die lektüre des buches, welches ein aufmerksames, eindringendes Studium viel-
fältig lohnen wird. Möge es dem Verfasser vergönnt sein, sein werk bald zu ende
zu führen; die englische etymologie wird dasselbe, zumal wenn es durch einen aus-
führlichen index leicht benutzbar gemacht wird, auf lange hinaus zu den grund-
legenden Hilfsmitteln rechnen dürfen.
1) Zu diesem wort vgl. jetzt 11. C. "Wyld in Engl. stud. 30, 381 fgg.
BASEL. GUSTAV BINZ.
Hernimmi, Paul, Deutsche mythologie in gemeinverständlicher dar-
stellung mit 11 abbildungen im text. Leipzig, W. Engelmann 1S9S. Vfll,
545 s. 8 m.
In einom ersten teil wird der seelenglaube dargestellt (s. 3 — 107), d.h. die
seele als atem, dunst, uebel, schatten, feuer, licht und blut; die seele in dergestalt
1 02
und in mensohengestalt; ä fenthaltsorl der eelen; dei eelenkultus; zanberei nnd
bexerei; maren- odei al] ohioksalsgeistei Dei zweite teil bringt die fo
der naturverehrung I . 108—414); darunt Serrmann die mythologie dei
elbi8ohen geister, dei riesen and dei göttei In einem dritten teil bebandelt erden
u, lins (8.415 512): gottesdienst, opfer, prie tei and teropelweeen nnd -■
in ..irrten teil (s.513- 531) st.-llt er die Vorstellung! a vom anfang und ende
der weli zusammen. Den besoblnss machl ein regi »ter.
Das buch ist wolgemeint, aber unzulänglich Beinen besonderen Charakter bc-
kommt es duroh die eingehende Verwertung dei neueren I n über die auf
den römisch -germanischen Inschriften genannten ittheiten, auf die der
verf. um so stärkeres gewicht legte, als er eine deul che mythologie Bobreiben
wollte und auf die nordische mythologie nicht eingegangen ist. So berichtet er über
den Matronenkult (s. 102 — 107 mit abbildung des Kölner steins der Matronae Afliae),
über Mars Thingsus (s. 274 — 277 mit drei abbildungen) , Eercules Magusanue (s. 348),
Nehalennia (s. 374—383 mit zwei abbildungen), llludana (s. 385 fg.) u. a. Leider ohne
einen funken von kritik.
KIEL. FRIEDRICH KAU1FMANN.
Die reimvorreden des Sachsenspiegels von Gustav Roethe. Abhandlungen
der kgl. gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen. Philolog. -histor. klasse.
N. I. Bd. II. Nr. 8. Berlin, Weidmannsche buchhandlung 1899. 110 s. 4. 8 m.
Die beobachtung des Sprachgebrauchs und der reime der Präfatio II erweitert
sich dem Verfasser zur darstellung der niederdeutschen litteratursprache des 12.
und 13. Jahrhunderts: die erscheinungen , die dort in kleinem rahmen auftreten, sind
vorbildlich für die ganze litteratur des sächsischen volkes. Von der vergleichung der
beiden vorreden steigt die Untersuchung auf zu der revision der gesamten nd. poesie
seit "Wernher v. Elmendorf und Eilhart v. Oberge bis zum pfaffen Konemann; mit den
hier gewonnenen resultaten konnte dann Eikes rechtsbuch selbst auf seine spräche hin
geprüft werden. Den abschluss bildet, gleichsam symbolisch für die fernwirkende kraft
jenes grossen nd. Sprachdenkmals, der nachhall einiger verse des prologs II in Goethes
epigramm 'Sprache'.
Die erste, die strophische vorrede kann, was Roethe mit meisterhafter er-
klärungskunst erschliesst, nicht ebenfalls von Eike, dem sicher beglaubigten Verfasser
der zweiten in reimpaaren abgefassten, herrühren. Innere sowol wie äussere gründe
sprechen für zwei verschiedene autoren, verschieden sind gedankengehalt und künst-
lerische technik. Den nachdichter beschäftigt nur ein einziges thema, die missgunst
neidvoller kritiker, Eike aber lässt seine Individualität nach mehreren richtungen zur
geltung kommen, und während jener die ungünstig urteilenden als persönliche feinde
betrachtet, fasst Eike dagegen, bei aller schärfe der Selbstverteidigung, die kritik nicht
als gegen seine person, sondern objectiv gegen die in seinem buche vorgetragenen
rechtssätze gerichtet und rät darum, dass die, welchen etwas daran uüssehage, sich
bei wisen täten befragen sollen, ivende vil wiser täte leren, dien an gut keren, is
bexxere denne myn eines sy (v. 195 fgg.). Zu der höhe dieses Standpunktes, dem es
lediglich um die sache zu tun ist, hat sich der Strophenverfasser nicht aufschwingen
können, so dass sich auch in dieser hinsieht ein unterschied der büdung und des
charakters bei beiden dichtem offenbart. — Auch die phautasie arbeitet bei beiden
verschieden, wie ßoethe an den eingeflochtenen bildern zeigt: die Eikes beruhen auf
ÜBER ROETHK. SACHSENSPIEGEL 103
einfachen gleichsetzungen, der anonyme dichter „sieht lebende wesen, meist sich
selbst, in einer bestimmten Situation" (s. 9). Vielleicht kann man den unterschied
noch dahin bestimmen: der dichter der Präfatio I nimmt bekannte und geläufige
metaphern, Sprichwörter, aus der traditionellen volksweisheit, z. b. gleich im eingang
ich ximbere so man seget bi wege (Zingerle, Sprichw. im ma. s. 165), ja ist
uns von den argen kunt ein wort gesprochen lange: der vogel singet als
yme der n/unt geuassen steit zu sänge, v. 45 — 48 (Zingerle s. 160), und das passt
auch stilistisch zu der trotz des aufdringlichen hervorkehrens der eigenen person doch
wenig individuellen art der spräche seiner polemisch -didaktischen Strophen; Eikes
bilder dagegen tragen, wenn sie auch nicht über den schon in seiner zeit vorhandenen
vorstellungsstoff hinausgehen, doch nicht den Stempel solcher fest geprägten, allge-
mein giltigen formein. — Noch augenscheinlicher scheidet die metrische form und
der reimgebrauch die beiden dichter: Eike hält au dem freieren nd. rhythmus fest unter
Zulassung von Schwellversen mit Überfüllung der Senkungen , in den reimen mischt er
mundartliche formen ein, wie wat, %o, steif, gestüt; der anonymus dagegen folgt mit
regelrechter abwechslung von liebung und Senkung dem höfischen hd. kunstprincip
und vermeidet auffallende idiotismen.
Roethe hat die beiden Individualitäten in ihren gegensätzen scharf von einander
abgehoben, aber immer bleibt es auffallend, dass ein unberufener, an dem werke gar
nicht beteiligter sich so geharnischt dafür wie für sein intimstes eigentum ins zeug
geworfen. Sollte er doch vielleicht einen gewissen an teil an der abfassung gehabt
haben? Zum Sachsenspiegel wurden noch im 13. jh. viele zusätze gemacht (Homeyer.
Die extravaganten des Sachsenspiegels s. 225, Abhandlungen der Berliner akademie
1861). Sollte er in solcher weise daran beschäftigt gewesen sein? Wol liesse sich
dann sein eifer begreifen und auch, dass er sich, etwa wie der herausgeber einer
zweiten aufläge, infolge der interessengemeinschaft mit dem wirklichen urheber gleich-
sam identificierte.
Nicht vollständig scheint mir der auch von Roethe als "nicht ganz grundlos'
anerkannte einwand, die Verschiedenheit der technik in Präfatio I und II beruhe darauf,
dass jene eben in Strophen, diese in reimpaaren abgefasst sei, widerlegt durch die
entgegnung, dass sonst, wenn ein autor zugleich dichtungen in reimpaaren und zum
sprechen bestimmte Strophen verfasste — wie Hartmann im Büchlein oder Ulrich von
Lichtenstein im Frauenbuch gegenüber dem Frauendienst u. a. — doch nie der unter-
schied in der taktfüllung und betonung so gross gewesen sei, wie in den beiden
prologen des Sachsenspiegels (s. 18). Es brauchte doch nicht ganz ausgeschlossen zu
sein, dass ein dichter das streng lyrische prinzip regelmässigen betonuugsweohsels
auch auf nicht zum gesang bestimmte Strophen anwendete. Hugo v. Trimberg hat
dies in den gewiss nicht gesungenen Strophen von der Jugend und vom alter sowie
in den ebenfalls silbenzählenden einleitungsversen zum Reimer in der tat getan . während
er in den reimpaaren des lehrgedichts die Senkungen sehr frei behandelt.
Unter den mundartlichen reimen in Kikes vorrede misst Roethe vor allein dem
von wat (s. oben) auf: hat grosse bedeuhing zu, indem er ebensogut für nieder- als für
hochdeutsche spräche zeuge wegen des 'unzweideutig niederdeutschen' mit (s. 2-1 fg.):
aber wat ist doch auch mittelfränkisch. Und bei steit, das sowol nid. als nd. sein kann,
wäre die einschränkuiig zu machen, dass es nicht allgemein md., sondern wesentlich
nifrk. und rheinfrk. ist, vgl. Kraus, D. gedichte des 12. jhs. s. 148. Beide reimpaare,
wat : hat und steit : leit sind also auch mfrk. gerecht. Nun ist freilich nicht wahr-
scheinlich, dass Eike sich zu diesen reimen erst deswegen entschloss, weil sie duroh
101 MANN
mfrk. Überlieferung' sanotioniert gewesen wann. Bondern et wird sie unwillkürlich
seinem eigenen Sprachschatz, wie Boethe glaubt, entnommen haben, aber eine auch
mfrk. bindung wie ioat:hät kann nicht ohne weiteres and absolut für da
einandergehen von od. und hd. spraohe sengen.
Kn inzelheit der Interpretation möchte ich noch berühren: nicht eigentlich
Eür die stolzen helde bai Kikc Bein buch geschrieben („I zu einem publikum,
zu den stolzen helden, für die er sein buch geschrieben hat", b. 6fg.), sondern in
erster iinie hat er wo! die guten Mite im sinne, auf die Boethe durch citieren der
stelle 141 — 150 ebenfalls vorwiesen hat. das sind ehrenwerte, angesehene leute, die
autorität in rechtsgeschäften besitzen; mit 'stolzen helde' deute! er nicht etwa auf
alle freien Sachson oder überhaupt auf einen stand, sondern auf eine bestimmte
charakterveranlagung: es sind mariner, die ihr hohes Selbstgefühl leicht vergessen
lassen kann, dass alles irdische vergänglich ist.
Dass die littcratur Niederdeutschlands im mitt.-Ialter nicht in einheitlicher nd.
spräche abgefasst war, sondern starke anleinen bei der hochdeutschen machte, war
lange bekannt, als tatsache klar gelegt wurde aber dieses Verhältnis erst durch Behaghel
(Schriftsprache und mundart, 1896), indem er systematisch die einzelnen nd. werke
unter diesem gesichtspuukte prüfte. Eoethes Untersuchung, auf breiterer grundlage
angelegt, arbeitet die eigenart der einzelnen Verfasser heraus und dringt zu den be-
dingungen vor, die eine solche kunstsprache entstehen Hessen. Nur im 12. und 13.
Jahrhundert war sie allgemein in geltung, denn mit dem beginn des 14. jhs. sind die
lehrjahre unter der zucht hochdeutscher bildung vorüber, das nationale sächsische
geistesleben wagt sich frei hervor und damit tritt auch die niederdeutsche spräche
stärker in ihre rechte. In betracht kommen die noch assonanzen gestattenden "W'ernher
v. Einiendorf und Eilhart v. Oberge, ferner Eberhard v. Gandersheim, Berthold
v. Holle, die Braunschweiger reimchronik, Brun v. Schonebeck und endlich der pfaff
Konemann; Albrecht v. Halberstadt aber gehört eigentlich nicht in diesen kreis, da
er nicht für ein niederdeutsches publicum und nicht in jener nd. dichtersprache ge-
schrieben hat, aus welchem gründe ihn wol auch Behaghel nicht in seine liste auf-
nahm; er steht zu der hochdeutschen litteratur in dem nämlichen Verhältnis wie
der Italiener Thomasin, der mit ganz denselben gründen etwaige Verstösse gegen
die verskunst entschuldigt. Jene dichter nun strebten eine hochdeutsche sprachform
an, ohne jedoch das eindringen heimischer elemente gänzlich zu vermeiden. Xicht
allen gelang es in gleichem masse und nicht alle folgten denselben grundsätzen. Bei
den consonanten ist das prinzip der verhochdeutschung ziemlich einheitlich (auffallend
doch, dass Berthold v. Holle die t un verschoben lässt), aber mit ihrem vocalbestand
treten der Gandersheimer und Braunschweiger chronist stark aus der reihe der
andern heraus, besonders dadurch, dass sie e und i und die i- haltigen diphthonge im
Verhältnis viel häufiger untereinander binden als die andern , also reime haben wie riet :
geit, liep : bleip, sele : teile, eigen : verswigen (e : e). Boethe spricht diese reime für
entschieden niederdeutsch an (s. 48), mit der einschränkung , dass fast jede einzelne
dieser erscheinungen als mitteldeutsch nachweisbar sein werde, nicht jedoch das
„vocalische gesamtbild u (s. 39). Diese beiden dichter haben also ihre mischsprache in
der weise zusammengebracht, dass sie wesentlich hochdeutschen consonantismus, aber
niederdeutschen vocalismus einführten; sie nahmen auf die vocale weniger rücksicht,
indem ihnen das charakteristische merkmal des hochdeutschen im consonantenstand
liegen mochte. Vielleicht ist aber Eberhard von Gandersheim allein für diese freiheit
verantwortlich zu machen, denn der Verfasser der Braunschweiger reimchronik hat
ÜBER ROKTHE, SACHSENSPIEGEL 105
sein werk benutzt und sich wol auch sprachlich davon beeinflussen lassen: das häufige
berichte : gestickte hat er wahrscheinlich daher entnommen (Roethe s. 39), und ähn-
licher einwiivkung kann er auch bei der behandlung des vocalismus zugänglich gewesen
sein. Darf aber die bindung von cht : ft als eine „ scharf niederdeutsche eigenheit
des consonantismus " (s. 39) aufgefasst werden? Sie ist in der mfrk. litteratur, der
mundart entsprechend, ja sehr geläufig und sogar von höfischen dichtem zugelassen
(von Veldeke, s. Behaghels Eneide s. LXXV, Kraus, H. v. Veldeke und die mhd. dichter-
sprache s. 136; auch von Herbort von Fritzlar), ja es ist sogar wahrscheinlich , dass
Eberhard den reim berichte : gestickte schon als traditionellen vorgefunden hat, denn
bei Veldeke begegnet er mehrmals. Schrickt (schrift : Ecbricht) ist auch nicht so
vereinzelt: bei Brun spricht : schrift (Arwed Fischer s. XLI), und schon bei Veldeke
9497 geskrichte : gedickte. Als zugleich mittelfränkisch können ferner noch beansprucht
werden die reime von f(=p) : f(=b) wie scaf ': gaf, bischof : lof, oder von f:f
(= b) wie begreif: schreif (Brun v. Schonebeck, Arwed Fischer s. XLIII). Die
Schwierigkeit, zwischen niederdeutschen und hochdeutschen elementen zu entscheiden,
tritt also dann ein, wenn eine form zugleich niederdeutsch und mittelfränkisch sein
kann. Hier könnte der nachweis litterarischer einwirkung, etwaiger beeinflussung durch
die mfrk. dichtung, aushelfen, welche beziehungen freilich sehr verdeckt hegen.
Bei diesen dichtem also treten die dialectischen nd. reime zurück mit ausnähme
des letzten, des pfaffen Konemann, ums jähr 1300. Zwischen ihm und seinen Vor-
gängern ist ein beträchtlicher abstand im zurückdrängen der muttersprache , und
damit ist die periode der absoluten herrschaft des hochdeutschen in der nd. litteratur
abgeschlossen, in der nämlichen zeit, da auch in Oberdeutschland die mundarten mehr
Selbständigkeit gewinnen. Dasselbe resultat wie die Untersuchung der grammatischen
bestandteile liefert eine durchmusterung des Sprachschatzes: besonders bei Berthold
von Holle das bestreben, geläufige niederdeutsche worte, die den hochdeutschen
charakter seiner dichtungen beeinträchtigen konnten, zu unterdrücken, demgegenüber
viel stärkere beimischung des niederdeutschen bei Eberhard v. Gandersheim und in
der Braunschweiger reimchronik. Eine derartige prüfung des sprachlichen materials
ist ganz neu und eröffnet auch neue gesichtspunkte für die Würdigung der betreffen-
den autoren.
Bei den lyrikern interessiert besonders der fürst Witzlaw von Rügen. Die
Streitfrage um den dialect seiner gedichte hat Roethe endgütig gelöst, und zwar an
der band der litteraturgeschichte: wenn er besondere nd. Wörter, und zwar haupt-
sächlich in den reimen, einmischt, so folgt er der mode der zeit, die Frauenlob am
stärksten vertritt, jener sucht, die reime zu schmücken mit seltenen Wörtern, und
wie Frauenlob (und der dichter der Minneburg, vgl. Beitr. 22, 314 und 24, 392, 'wilde
rime' oder 'spekc rlvie') holt er solche auch aus seinem heimischen Sprachschatz.
Aber die bedeutung dieses dichtenden fürsten hat Roethe doch wol zu hoch dargestellt
mit den Worten, er habe einen befreienden schritt getan (s. 61 und 66). Dann hätte
er etwas von einer reformatorischen natur gehabt, da er sich, unter dem einfluss
seines günstlings Frauenlob, doch nur von dem ungeschmack der bankerott gewordenen
höfischen richtuug leiten Hess.
Im darauffolgenden abschnitt (IV) wird die früher viel behandelte frage nach
der ursprünglichen spräche des Sachsenspiegels dahin beantwortet, dass Eike sein
rechtsbuch ebenso wie die vorrede in jener temperierten litteraturspracho verfasst
habe, welche scharf hervorspringende eigenhciten des niederdeutschen ebenso wie des
hochdeutschen meidet. Der Wortschatz gibt hier den ausschlug, und da fehlen dem
106 EllftlSMANN
riele der geläufigsten od. form? noehtan, men, ui . rtde, eft,
dus, ichi (wenn), tegen, achter u. a | ,99). Die pruch
erfahren, doch ist ea schon aus allgemeinen gründen wahrscheinlich, d&^s Eike auch
in der prosa die vornehmere am hochdeutschen gemi — oe od. litteraturspraohi
wendete, denn i • Um ut als kunst- bezw. gelehrtei
wie die gehnndene rede. Wie weil freilich die ooncession gegen das bochdeul
. liisst sich hier, wo nur clor Wortschatz nicht auch der reimgebrauch zen
t, aoch weniger scharf abgrenzen als bei den gedienten; der .Spielraum ist eben
schon bei der poetischen gattung wi sn denken. — Die aufgäbe, die deutsche
spräche zu der feinheit eines wiBsenschaftliohen idioms zu erbeben (Roethe
dazu jene art wissenschaftlichen arheitens, jenes stilisieren des sprachstoffes, war es,
was ihn zu swere dünkte. Fram-k weist | An/.. 1'. d. alt. 26, 123 fg. ) darauf hin, dass
sicr/f eigentlich 'lästig' bedeute, nachdem er das mühevolle werk der lateinischen
redaction vollbracht, habe es ihm zu lästig geschienen, auch noch die deutsche be-
arbeitung auf sich zu nehmen. Aber gegen diese auffassung spricht die äusserung
:>< lest er doch genante des arbeite*, er wagte es trotzdem, und die bekämpfung
bloss einer die Stimmung trübenden unbehaglichkeit kann ihm nicht wol gleich als
wagnis erschienen sein, vielmehr liegt in diesen worten doch wol das bewusstsein, dass
er eine in der arbeit selbst liegende Schwierigkeit zu überwinden hatte. Dafür spricht
auch der gegensatz: für die lateinische bearbeitung- brauchte er keine beihilfe (äne
helphe vnd ame Ure) — demgegenüber duckt in die umwendung ins deutsche xti
swere. Übrigens hat Eike hier nur einen typischen zug, der in prologen beliebt war,
aufgegriffen, nämlich, die eigenen dichterischen oder schriftstellerischen fähigkeiten in
übertriebener bescheidenheit als unbedeutend darzustellen. Der anderen möglichkeit.
die Franck anführt, dass er platt wählen musste um den litten al genieine verständ-
lich zu werden und dieses ihm unangenehm gewesen wäre, lässt sich entgegen halten,
dass für ihn in die Sphäre des sächsischen rechts auch Thüringen, Meissen, die Lausitz
mit inbegriffen waren. Nach alle dem, wenn man Francks hinweis auf die bedeutuag
von swere = 'lästig' aufnimmt, so wird doch Boethes erklärung der ganzen stelle
nicht hinfällig, indem swere in diesem Zusammenhang prägnant gefasst werden kann
als 'drückend, mühe machend infolge der Schwierigkeit der aufgäbe', was zugleich
ein beispiel ist für jenen metonymischen bedeutungswandel von schwer = 'unan-
genehm drückend' zu 'der ausführung hindernisse entgegenstellend' (Paul, "Wb. s. v.l.
der fürs md. schon im 13. jh. zu belegen ist aus Heinrichs v. Krolewitz Vaterunser
(Mhd. Wb. II2, 810 fg., vier beispiele). Übrigens ist swere wol lehnwort aus dem hd.,
da die nd. form ja swär ist.
HEIDELBERG. G. EHRISMANN.
Karl Drescher, Arigo, der Übersetzer des Decamerone und des Fiore di
virtü. Quellen und forschungen, 86. heft. Strassburg. Karl J. Trübner 1900.
225 s. 8. 6 m.
In planmässigem auf bau, von den allgemeineren beziehungen zur näheren be-
stimmung der persönlichkeit vorwärts schreitend, stellt der Verfasser zusammen, was
sich aus darstellung und spräche für die lebensumstände des rätselhaften Arigo ergibt.
Die deutsche lokalf ärbung , die er als Übersetzer da und dort der Schilderung zu geben
weiss, eingestreute Sprichwörter und volkstümlich klingende deutsche reime, miss-
versteh ung der vorläge zeigen, dass er kein Italiener sondern ein Deutscher gewesen
ÜBER DRESCHER. ARIGO 107
ist, die predigtmässige rhetorik und stärkeres hervortreten des religiösen elementes
lassen den geistlichen erkennen, dialekt und Orthographie weisen nach Nürnberg: zur
feststellung dieser momente sind die eigentümlichkeiten in Stil und spräche beweis-
kräftig genug und auch versteckt liegende bezüge hat der Verfasser für diese zwecke
feinsinnig herauszufinden gewusst. So steht das bild des unbekannten nun in schärferen
umrissen vor uns, aber der Verfasser tut auch den letzten schritt, den zur endgiltigen
entdeckung des mannes: Arigo ist Heinrich Leuhing, ein humanistischen bestrebungen
huldigender pfarrer zu S. Sebald in Nürnberg1, und damit haben wir den festen boden
der Überlieferung nicht mehr unter den füssen, hier musste die combination einsetzen.
Abgesehen von den litterarhistorischen ergehnissen ist die abhandlung sehr
lehrreich hinsichtlich der stilistischen darstellungskunst des deutschen frühhumanismus.
Arigo benutzt oft bis zum übermass die Synonymik, jenes gepriesenste kunstmittel
der rhetoriken. Dazu hat er eine Vorliebe für religiöse ausdrücke. Wenn nun der
Verfasser auch durch diese, besonders durch bedeutsame stoffliche änderungen, den
geistlichen stand Arigos unzweifelhaft dartut, so sind doch jene stilistischen elemente
religiösen gehalts in ihrem werte als beweismittel ungleich. Ein grosser teil gehört
von vornherein der allgemeinen volkstümlichen Umgangssprache an und kann nicht ohne
weiteres für geistliche anschauungsweise des Übersetzers zeugen (s. 35). So haben die an-
rufungen gottes in abgebrauchten redensarten nur geriugen religiösen empfindungsgehalt
mehr, z. b. durch got, uilsgot, im namcn gots, ist es gotz gefallen (s. 29fgg.), und werden
deshalb als selbstverständliche phrasen der gewöhnlichen rede auch z. b. in dem vom
Verfasser mehrfach citierten italienisch -deutschen Nürnberger gesprächsbüchlein für
kaufleute (Brenner, Bayerns mundarten 2, 384 fgg.) aufgeführt: in gocx namen fol. 94,
15 u. ö. , fon gocx gnaden 101,9, mite got 98, 1, vergelcx got 95b, 22 u. ö. Es
sind religiöse formein, die ja längst heimisch waren und in den mhd. epen, volks-
tümlichen wie höfischen, oft vorkommen, wie besonders Schönbach, Das Christentum
in der ad. heldendichtung s. 3 u. ö., und Über Hartmann v. Aue s. 4fgg. gezeigt hat,
und die die Volkssprache noch heutzutage liebt, vgl. die verschiedenen fassungen bei
Schindler I, 960 fgg., 1225 und im Schweizer Id. II, 507 fgg., die zum teil wieder auf
hohes alter weisen (so schon im Hildebrandslied wettu Irmingot). Indirekt durfte der
Verfasser mit recht diese neigung zum volkstümlichen als beweis für den geistlichen
stand des Übersetzers mit wirken lassen, eben insofern, als es dem beruf des pre-
digers eignete, solchen der lebenden spräche entnommenen charakterzügeu räum zu
gewähren. Die predigt sollte auf das gemüt des volkes wirken und konnte dieses
um so eher erreichen, wenn sie auch den volkstümlichen ton traf. Leichtverständ-
lichkeit ist ein haupterfordern is nach den Vorschriften für geistliche beredsamkeit und
gerade das ist ein wesentlicher unterschied zwischen dem geistlichen stil und dem
weltlichen, der 'rhetorica divina' und der 'rhetorica humana', dass jener einfach, leicht
verständlich, alltäglich sein soll, während der andere verfeinerte rede erstrebt (ser-
monem politum), wie z. b. im Manuale predicatorum des Surgant nach Hieronymus
ad Damasum auseinandergesetzt wird (Libri primi Consideratio XIX): sä locutio [i.
e. rhetoricae divinae] pcdcstris et quotidianar similis usw. Auch vor dem
übermässigen gebrauch der synonyma wird gewarnt (Libri I Consid. XVI tertio modo);
hierin folgt Arigo allerdings der mode seiner zeit, und besonders die juristische kanzlei-
sprache war dem prunk der synonyma geneigt.
1) Seine Untersuchungen hat der Verfasser in allgemeinen zügen schon auf der
Philologenversammlung in Dresden mitgeteilt, vgl. Verbandlangen der 44. Versamm-
lung deutscher philologen und schulmäuner in Dresden s. 132 — 136.
1 08
Beruhen diese Wendungen geistlichen anstriche auf einem allgemeinen gebrauch
im der Volkssprache, eine andere gruppe b roh stilistische prineipien
des Übersetzers, d zu ätze sind also zwar individuell, aber rein formaler natur
und nicht m erste] Linie pontane ausbrüohe i i empfindens. So du- zu-
fügung stehender beiwörter wie gütliche ee, heiliger freitag , heilige hirehe
ähnlich auch ilbrecbl \. Eyb, Herrmann, \. •■. E heyUge chritfr
liehe Mrche' u.a. bei Butten, Bzamatölski Q.F.67,9). Oder jene fälle, wo
oinom begriff des Originals eine zweigliedrige formel gebildel wird1: toider [all* gött-
liche ere u/nd\ rechte erlieh \vnd gütlich . bitten und trösten, stereken und U
= confortevre u.a. (s.43fgg.). Arigo hat aber, aen von solchen zum geschmack
ii zeit gehörenden formelhaften wen Vorliebe, ein-
fache satzglirdi-r des italienischen textes zu erweitern. Durch diese technische tendenz
(„neigung zur fülle" bei Eyb, s. Berrmann s. 396) erklären sich ebenfalls Zusätze
religiösen Inhalts, z. b. zweigliedrige sätze wie sei/n seleheyle machet vnd tu einem
Krishn machet], ich schwere euch bei dem der vns alle geschaffen Imt vnd] mich
in sy encxündet hat, oder attribute wie got [der almechtig , der aller gute] ein über-
flüssiger geber ist s. 39, der \hrilig vater der] pabst s. 37, und diese, wenn auch i
falls zunächst wol durch das streben nach formaler erweiterung bedingt, lassen aller-
dings stark ein geistliches interesso durchblicken, dazu erinnern andere, besonders lang-
stieligere zusätze, so sehr an den predigerton, dass die folgerung des verfas-
sei geistlicher gewesen, wol zweifellos das richtige trifft. Diese erweiterungen ge-
hören unter das wesen der 'Amplificatio' in der predigt (Surgant, Libri I Consid. XVI.
auch Consid. XVIU quarta regula: Oportet fidelem predicatorem euhjarisando in
libro sepe implere aut supplere").
Ähnlich verhält es sich mit der zufügung von titulierungen in der anrede wie
herre, frawe, liebe fraive, lieben frawen, mein lieber man, allerliebster sun mein,
guter freundt u.a. (s. 58fgg.): sie gehören nicht zunächst der geistlichen beredsain-
keit an, sondern es war geradezu sitte, die anrede damit einzuleiten, und zwar schon
seit ahd. zeit, vgl. Zs. f. d. Wortforschung 1, 143. 145fgg., und dann durch das ganze
mittelalter hindurch. Auch die bezeichnung der Untertanen gegenüber den herrn als
arme leide geht nicht aus geistlichem empfinden hervor (s. 42 fg.), als ob reiche und
arme sich gegenübergestellt wären, sondern arme teilte ist an sich nichts weiter als
eine Standesbezeichnung = 'Untertanen, grunduntertanen', vgl. Schindler 1, 143,
Schweiz. Id. 1, 455, Grimm RA. s. iarmman armeleute' register; in der deutschen
Rhetorica (druck von 1488, fol. 45 a) findet sich Eyn brieff als sich eyn arm man in
eyns herren schirm gyt, mhd. arm man 'der nicht freie bauer, leibeigene, holde'
Lexer s. v., vgl. auch Burdach, "Walther von der Vogelweide s. 164 u. 304.
Also sind viele dieser zusätze geistlicher färbung wol im grossen und ganzen
aus gesichtskreis und gewohnheit eines geistlichen Verfassers zu erklären, aber ihr
zusammentreffen ist doch komplizierterer art. Ähnlich kann Arigo viele der nota-
riellen ausdrücke und gepflogenheiten (s. 82) aus der kenntnis von Formulare und
Rhetorica geschöpft haben, ohue selbst in juristischer praxis tätig gewesen zu sein,
1) Wie die lust an diesem stilistischen schmucke wuchs, zeigt die hs. der
Bl. d. tug., wo häufig zu einfachen Wörtern des ursprünglichen textes Synonyma am
rande nachgetragen sind.
2) In vereinzelten fällen kann auch Arigos vorläge schon gegenüber unseren
Decameronetexten erweiterungen gehabt haben; über glossen in hss. des Dec. vgl.
Manni , Istoria del Decamerone s. 631.
ÜBER DRESCHER, ARIGO 109
wie z. b. einschlägige titulierungen in der anrede auch zum stil der privatbriefe ge-
hören. Und so ist die ein setzung des titeis statt des namens (z. b. marekgraffe statt
'Walter' s. 85) z. b. auch bei Hütten zu belegen (Szamatolski Q. F. 67, 8).
Zur bestimmung des dialekts der Übersetzung zieht der Verfasser auch den
Wortschatz in ausgiebiger weise bei und liefert durch das Verzeichnis der beachtens-
werten Wörter für die deutsche lexikographie überhaupt einen wertvollen beitrag. Auch
in der Wortwahl offenbart Arigo jenen zug zum volkstümlichen und weiss dadurch
einen heimischen ton in den von der fremde übernommenen stoff zu bringen. Andrer-
seits lässt er aber ruhig italienische Wörter zu und einigem ale ganz grandios, so dass
ein wolbedachter plan in der auwendung des einheimischen oder im vermeiden des
fremden nicht ersichtlich ist. Zu einigen Wörtern möchte ich folgendes bemerken:
bei abweis 'stultitia, ineptia' s. 123 deuten die meistgebrauchten formen auf das alte
awtse. Polierer = polierer und palier = parlier sind zwei verschiedene substan-
tiva. Sehr oft gebraucht Arigo das für jene zeit noch selten belegte aasig , für das s
in dasig und hiesig möchte ich nachbildung an fürsich, hindersieh, übersieh, vnder-
sich, nebensieh annehmen. Gehäuse s. 143 ist nicht = gekösse sondern = mhd.
geheexe, collectiv zu häz hce%e Lexer I, 785. 1197, Schweiz. Id. 2, 1678.
Orthographie, dialekt und Wortschatz zusammen verlegen die Decamerone-
übersetzung nach Bayern, der Wortschatz speciell am ersten nach Nürnberg, wenigstens
kann kaum ein anderer ort diesem mit grösserem anrecht gegenübergestellt werden wie
der verf. gezeigt hat. Nun aber geht er weiter und findet in der spräche merkmale,
die nach Mitteldeutschland weisen und die annähme stützen sollen, Arigo sei identisch
mit dem in Naumburg geborenen Heinrich Leubing. Aber spräche und Orthographie
tragen einen durchaus einheitlichen Charakter und die anhaltspunkte, welche der Ver-
fasser für die mitteldeutsche herkunft des Übersetzers in ansprach nimmt, sind zu
unfest, um die hypothese zu sichern. Zunächst seien es einzelne Wörter, die nach
Mitteldeutschland führten: dünckelgut (nicht dünckelgut), schiig, tarxe, flach als
adj.. vielleicht auch slate (s. 197); aber für dünckelgut citiert der Verfasser selbst
u.a. auch Theobald Hock, und dieser ist nunmehr durch Jellinek als Oberpfälzer er-
wiesen (Zeitschr. 32, 392 fgg. u. 33, 84fgg.), die gekürzte form schillig zu Schilling ge-
braucht auch gerade jenes Nürnberger gesprächbüchlein fol. 19 tt (Bayerns mundarten
2, 397) \ flach, verbum flachen, weist der Verfasser selbst auch aus obd. quellen nach
und slate gerade aus der Oberpfalz (und Nürnberg); endlich das md. tarexe gegen obd.
tartsche hat als fremdwort nicht viel beweiskraft, übrigens setzt Arigo in wemaexa
(Drescher s. 178) ex, für ital. cci-a und das Nürnberger gesprächbüchlein hat öfter
es. für tsch in deuex (durch Vermittlung der venezianischen ausspräche, wo ci-a— ta).
Ferner bezüglich der Synonyma speybe oder speiet, pühelein, püchelein oder
höche, begem [oder] wegern bemerkt der Verfasser, es sei für einen Nürnberger
weniger nahe liegend gewesen, diese nebeneinanderstellung mit einem einheimischen
dialectwort zu machen als für einen zugewanderten (s. 197) und s. 82 schreibt er auf
grund dieser Verbindungen dem Arigo ein tieferes Verständnis für die überbrückung
des gegensatzes von mundart und Schriftsprache zu mit den Worten 'sie zeigen deut-
lich, dass Arigo nicht auf dem boden eines einzigen dialektes stand, und sind inter-
essante Zeugnisse für das streben nach breiterer Verständlichkeit. Die idee einer g<>-
1) Bemerkenswert ist der suffixwechsel : sg. der schillig — pl. die Schilling,
der pfennigt — die pfenningt (angefügtes t ist häufig in diesem denkmal), was also
der von E. Schröder (Zs. f. d. alt. 37, 124) vorausgesetzten betonung und flexion phennig,
phenninges, phenninge entspricht.
110 K1IKI
meinen spräche Leuchte! hier deutlich aui . sntümliche art von formel-
bildung isl nichl etwa eine originelle erfindung rn Ist in den
regelbüchern der geistlichen beredsamkeil antLihrj I XVlll
Sexta regula: Si quis esset in loco vbi mm esset oritmdut et haberei aliqua vxd-
i/ii,ia vocabula de quibus dubium esset vtrum talia nota essent communi populo
n l ,,,,,, usw. (darauf ein beispiel mit schwant* 'cauda', vgl. sekuxmcxe vnd
Drescher 8.82), und Nona regula: Quandocunque /„um inij,,,-, /,',„,,,/ „,,',,,,.- <■,.-,
isiliilnm Ulli minus intrll iijiliil, , /mir mldmil aliqUQ - Im, inj um !/<"■ i st tum ,,t ,, ,
mmjis intelligibilia, also 'las vulgär -wort soll durch ein allgemeiner verständliches
i werden, d.h. hier der bayrische bezw. Nürnberg! b durch den schrift-
sprachlichen (mit der betreffenden einschränkung
verbreiteten. Man kann also daraus eh< ^en, dass Arigo Bayer oder Nürn-
berger gewesen ist, aber an einem andern orte sich aufhielt [si quis esset vn loco
vbi im,/ esset oriundus), oder, was dasselbe ist, für ein puhlikum schrieb, bei dem
er die kenntnis der dialectworte nicht voraussetzen durfte. Im gründe allerdii..
die für prediger wol begründete Vorschrift hier zu stilistischer Spielerei ausgeartet-
Auch Jacob Schöpper iu seiner Synonymik hat nach Edw. Schröder ähnliche Verbin-
dungen (Marburger programm 1889 s. 34): kott und kuut . nur und rüge, hefel und
hebet, friesen und frieren u. a. ; bei Meisterlin z. b. gehilcx, oder hamthab (Joachim-
sohn, Die humanist. geschichtschreibung 1, 71); ähnlich auch im lateinischen Cicero
de proprietatibus termiuorum (druck vom j. 14SS) affiei-adßci, dardanea-dardcmia,
dulcedo-dulcido u.a. — Endlich sollen lautliche anzeichen gegen Nürnberg sprechen.
Aber nottorftig, nottörßig ist durch das subst. nottorft gerechtfertigt, welches z. b.
Decamerone 231, 6 vorkommt und auch Nürnberger chroniken 2, 302, 26. 2, 303, 4
und sonst: das o ist veranlasst durch das prät. bedorfte, part. bedorft und conj.
prät. bedorfte, dessen umlaut auch in das part. bedörfft eingedrungen ist (Dec. 469, 3,
Karg, Die spräche H. Steinhöwels s. 43) und heutzutage mundartl. schwäbisch in das
ganze präsens. From[men], geiconnen sind ebensogut schwäbisch als md., vgl. Kauff-
mann, Schwab, mundart s. 75. Unter köglet (s. 200) ist zunächst keglet = kegelichl zu
vorstehen, vgl. DWb. 5,391 (für kegel wird oft kögel geschrieben). So kann schliess-
lich auch das zunächst auffallende ich mosse = ich muox, moste = müeste nicht die
mitteldeutsche herkunft des Übersetzers beweisen. Mundartlich werden die formen
wol sein und nicht bloss graphische ausnahmen statt muosse müeste, aber o, ö findet
sich bei diesem zeitwort auch sonst in oberdeutschen und diesen nächstliegenden md.
mundarten: im alemann. (vgl. Weinhold, Alem. gramm. § 384), in den Sette communi
(Bayr. gramm. §332), im östlichen Taubergrund (mit kurzem o und ö: Heilig, Gramm,
der mundart des Taubergrundes § 188), in verschiedenen gegenden Schwabens (Hermann
Fischer, Geogr. der schwäbischen mundarten s. 44), in der Schweiz (Schw. Id. 4,499).
Die o, ö sind im Taubergrund und in Schwaben, zum teil auch in der Schweiz kurz,
die reduktion ist nach H. Fischer und dem Schweizer Id. eine folge von tonlosigkeit
(vgl. auch alem. wir mön = wir müezeri), ein lautlicher Vorgang, dessen bedingungen
schon in ahd. zeit fallen können, indem ö unter schwacher betonung, statt in uo über-
zugehen, bestehen blieb (wie dö-duo) und dann weiterhin zu o gekürzt wurde. —
Auch die behandlung des endungs-e im imperativ und schwachen präteritum kann
es nicht wahrscheinlich machen, dass Mitteldeutschland, speciell Ostmitteldeutschland
die heimat des Verfassers war ; vielmehr die tatsache , dass er in der Übersetzung des Fiore
di virtü immerhin sogar 57 fälle von schwachem präteritum ohne e (z. b. rerprachfi
gegen 90 mit e (z. b. verpraehte) zulässt, spricht eher gegen das ostmitteldeutsche.
ÜBER DRESCHER, ARIGO 111
Die sprachlichen kriterien dürften also nicht ausreichen, um in Heinrich Leubing
den Übersetzer des Decamerone und des Fiore di virtü zu sehen. Im gegenteil. Er
stammte aus Nordhauseu, studierte in Leipzig (um 1420), war in der kanzlei der
sächsischen fürsten beschäftigt, dann kurmainzischer kanzler, erst 1444 wurde er
pfarrer zu S. Sebald in Nürnberg, das er 1463 wieder verliess um seine letzte lebens-
zeit wieder in Sachsen zu verleben (f 1472), vgl. s. 208 fgg. Ist es nun denkbar,
dass ein mann, der mindestens fünfzehn jähre lang in einer mitteldeutschen kanzlei
beschäftigt war, nachdem er in reiferem alter erst in eine oberdeutsche Stadt ge-
kommen, so ganz und gar alle zeichen seiner bis dahin als mustergiltig von ihm
gehandhabten Orthographie und, wir dürfen sagen auch seiner muttersprache, abgelegt
und sich ganz in die lokale Schreibweise, ja noch mehr, in intime eigenheiten des
Sprachgeistes einer ihm bis dahin ganz fremden gegend sollte eingelebt haben? Und
dazu noch in verhältnismässig kurzer zeit, denn schon bald nach 1451 hat er nach
dem Verfasser die Übersetzung des Decamerone begonnen, also sieben jähre Dach
seinem eintritt in Nürnberg. Ja, noch weiter. Die hs. der Übersetzung des Fiore di
virtü hat Arigo im jähre 1468 geschrieben, schon ca. 1463 aber war er nach Meissen
gezogen, und von den jähren 1471 und 72 besitzen wir zwei schreiben von ihm, ab-
gedruckt im Cod. dipl. Sax. Eeg. II hauptstück III s. 206 und 214, und diese zeigen
ausser wenigen anlautenden p gar keine spur der charakteristischen Orthographie der
doch nur wenige jähre zuvor geschriebenen hs. des Fiore di virtü, besonders kein
ch für &, kein ch für h (wie gesecheti), kein -het für -heit, kein - icheit für -igkeit,
kein o für ä in rät, auch keine paragogischen e, der umlaut von u, uo ist nicht
bezeichnet (für, fürst, günstig u. a.) gegen ü Bl. d. tug. ; demgegenüber klärlich md.
formen wie schwachbetontes i für e (gutlichin, antwidir, abir, obinnarschalgk),
oder für oder, ab für ob, nach für noch, demnach, vff 'entlieh, in alder und ane-
waldenn d statt t, verne, frunt wo Bl. d. tug. freunt. Also 1463 wäre der Über-
setzer nach Meissen gekommen, hätte 1468 noch ganz die bayrische Orthographie bei-
behalten, 1471 dieselbe aber wieder gegen die sächsische aufgegeben. Man kann ja
freilich dabei entgegenhalten, dass diese briefe Schriftstücke im öffentlichen geschäfts-
verkehr Sachsens bilden, während der schön abgefasste codex der Bl. d. tug., höchst
wahrscheinlich ein dedicationsexemplar, zunächst für eine oberdeutsche persönlichkeit
zu privatem zwecke niedergeschrieben worden wäre, aber ein derartiger Wechsel in
der Schreibgewohnheit — zuerst mitteldeutsche kanzlei, dann bayrische Orthographie,
diese mindestens fünf jähre auf mitteldeutschem boden beibehalten und daneben oder
darauf wieder sächsische kanzlei, ohne nennenswerte Vermischung der verschiedenen
sprachlichen merkmale — würde doch eine allzu strenge beobachtung in einhaltung
orthographischer prineipien voraussetzen, wie wir sie für jene zeit kaum annehmen
dürfen.
Die endgiltigo festsetzung des tatbestandes könnte doch wol auf paläographischem
wege erzielt werden, indem man die von Leubings band geschriebenen, freilich nicht
zahlreichen, briefe vergleicht mit der von Arigo geschriebenen hs. der Bl. d. tug.
Die schriftzüge der oben angegebenen Dresdener briefe, die doch gewiss von Leubing
selbst niedergeschrieben siud, weichen nun total ab von denen Arigos in der hs. der
Bl. d. tug.1 Es liegt nun ja der einwand nahe, die letztere sei ein in zierlioheii
humanisteuzügen abgefasstes dedicationsexemplar, in den briefen dagegen die übliche
1) Dank dem gütigen entgegenkommen der Hamburger stadtbihliothek und dos
kgl. sächsischen haupt- Staatsarchivs zu Dresden konnte ich die hs. der Hl. d. tug.
und jene briefe Leubings auf hiesiger univers.-bibl. miteinander vergleichen
112 Kllld
kanzleischrift verwendet (der zweite, an zwei rarsten ist sorgfältig aus
geführt, der erste an einen befreundeten gönner, flüchtiger hingeworfen), ai
sei immerhin denkbar, dass ein and derselbe Schreiber nebeneinander in bestin
grondsätzen zwei Schriftarten gebranohen konnte. Aber einzelne durch die schveib-
gewohnheit naturgemäss sifli jeweils einstellende zflge in den bncbstaben weichen
hier so voneinander ab, dass der Schreiber der BL d. tug. geradezu die bestimmie
absichi gehabt baben müsste, seine handschrift zu verstellen.
Diese durch die tatsächliche Überlieferung gegebenen bedenken gegen die gleich-
setzung von Arigo mit Leubing können nicht aufgewogen werden durch die der hypo-
these günstigen bedingungeu, welche der Verfasser in den lebensverhältnissen Leubings
findet (s. 207 fg.), nämlich dass er wie Arigo in Nürnberg zu Buchen ist und zwar als
geistlicher mit juristischer ausbildung und neigung zu humanistischen Studien, endlich
den gleichen namen (Arigo -HemricK) tragt. Um Arigo mit Leubing zusammenzubringen,
ist der Verfasser noch zu der annähme genötigt, die Übersetzung des Decamerone,
die 1473 erschien, sei erst nach dem tode Leubings (1472) gedruckt worden (s. 221)
und möglicherweise habe die 'furcht, den gegnern eine willkommene handhabe zu
verstärkten angriffen zu bieten, ihn zurückgehalten, der Decameroneübersetzung seinen
namen zu geben'. Aber er hat ja auch das fromme buch von der Blume der tugend
mit dem namen 'Arigo' unterschrieben, dieser kann also nicht aus furcht als pseudonym
von ihm angenommen worden sein; auch ist er zu seiner Übersetzung vielleicht erst
von anderen veranlasst worden (s. 187 fg. ; die zutat Arigos am schluss der vorrede
beginnt erst mit 17, 29, nicht schon 17, 8).
Freilich wenn wirklich jene 'erbere manne und schöne frawen', für welche
Arigo sein werk geschrieben hat oder doch geschrieben denkt, Nürnberger kinder
waren, dann muss wol die zeit der abfassung etwa ein bis zwei Jahrzehnte vor das
druckjahr fallen, denn der Nürnberger humanistenkreis zerstreute sich um 1455 und
die spiessbürgerlichen gesinnungen der Nürnberger waren einer derartigen freien
leistung nicht günstig (vgl. Herrmann, Die reeeption des humanismus in Nürnberg passim).
Aber die elegante, leichtlebige gesellschaft Boccaccios entspricht, auf deutsche Verhält-
nisse übertragen, überhaupt nicht den ehrsamen stadtbürgern jener zeit, sondern
sie hat ihr abbild in der adlichen gesellschaft, und sollte die deutsche Übersetzung
nicht überhaupt für höfische kreise bestimmt gewesen sein? Diese art von erzahlungs-
litteratur ist ja überhaupt aristokratisch und wie die Übersetzungen von "Wyle und
einige von Steinhöwel wird auch Arigos Decamerone in den kreis der hoflitteratur
gehören. Seine Tugendblume ist vielleicht auch für einen höher gestellten jungen
mann abgefasst {edles chind, Drescher, Zs. f. vergleichende lit.-gesch. n. f. 13,465).
Auch die neigung zu humanistischen Studien bildet dem Verfasser eine Ver-
mittlung zwischen Arigo und Leubing. Aber wir können Leubings dahingehende be-
strebungen nicht kontrollieren, und darf man in der Decameroneübersetzung so viel
humanistische tendenz finden, dass man sie 'ganz aus dem geiste der renaissance
herausgewachsen' (s. 187) nennen kann? Da die eigenart Arigos weniger in besonderer
auffassung des Stoffes als in der art der darstellung zu beobachten ist, so wird zur
ausscheidung des humanistischen dementes zunächst sein stil zu befragen sein. Der
Verfasser hat gezeigt, wie dieser mit volkstümlichen elementen durchzogen ist und
vielfach der einfluss der populären predigtweise hervortritt, und oben ist zum ver-
gleich ein lehrbuch der geistlichen rhetorik nerangezogen worden. Das ist nicht im
sinne der neuen lehre, ein so starkes hervorkehren des volksmannes ist nicht huma-
ÜBER BADSTÜBER. NOMINA AGRNTIS 113
nistisch. Aber andrerseits stellt er sich in einem wesentlichen punkt seines über-
setzungsprincips in gegeusatz zu den Vorschriften der volkstümlich -geistlichen bered-
samkeit: die erste Eegula vulgarisandi lautet bei Surgant (Libri I Consid. XVIII): Non
oportet, predicatorem in modo vulgarisandi se cojistriugerc ad istam diffieultatem
quod velit transferre eerba ita proprie et eodem ordine sieut in latino po-
nuntur sed aliquando sensum ex sensu accipere sieut translatores faciunt gut
non semper verbu/m de rerbo sed sensum ex sensu aeeipiunt quia praedieator est
quasi translator seit interpres et sie meliori et aptiori modo quo poterit transferat
latinum in vulgare. Demgegenüber setzt Arigo die worte wie sie im lateinischen
zu stellen wären, das zeitwort ans satzende. Das ist die neue mode des Niclas v. Wyle,
die dieser in seinem program m in der ersten translatze (Keller s. 8, 20fgg., bes. auch
10, löfgg., und Joachimsohn. Württemberg, vierteljahrshefte 1896, S4fg.) begründet:
icarumb ich dise translaciones vf das genetvest dem latin nach gesetxet hab und
mit geachtet ob dem schlechten gemainen imd vnemieten man das vnuerstentlich
sin teerd oder nit. Das ist darumb usw. Ja, Arigo hat sogar oft gegen seine ita-
lienische vorläge die undeutsche verbalstellung eingeführt (vgl. Vogt, Zeitschr. 28,479,
AVunderlich, Herrigs archiv 84, 284) und die lateinische 'subtilitet' (Wyle 10, 16)
nachgeahmt. Dazu kommt dann uoch der übermässige gebrauch der Synonyma. Auf
der einen seite also stark volkstümlich, auf der andren humanistisch (rhetorica humana),
so gehen bei ihm die alte und die neue richtung im sprachlichen ausdruck durch-
einander. Jedesfalls zeigt jene lateinische färbung des stils, dass Arigo die 'schoen-
heit vnd Zierlichkeit' (Wyle 200, 21; sermo politus) der humanistischen rede anstrebte.
Und darin, im neuen stil, fand ja Niclas v. Wyle vornehmlich das wesen des huma-
nismus, hierin ruht der Schwerpunkt seiner neuerungsbestrebungen, er spricht nur
von der einführung der neuen stilistischen form, nicht von der bedexxtung der neuen
Stoffgebiete noch von den neuen ideen; er, der als Schulmeister pedantisch die Ortho-
graphie und interpunktion regelte, der 'erberer und f romer lüte kinder' und 'sogar
baccalary' die kunst des :schribens und dichtens' lehrte (9, 14), äussert nirgends
empfanglichkeit für die grossen gedanken der renaissance. Und auf dieser stufe des
humauismus — Albrecht v. Eyb gelangte weiter — dürfte auch Arigo stehen geblieben
sein, was wir von renaissauce an ihm verspüren, sind doch eigentlich nur äusser-
lichkeiten, und es ist sogar fraglich, ob er die ganze macht der satire, die ver-
nichtende komik Boccaccios herausfühlte. Das stoffliche interesse, die lust am fabu-
lieren, überwog gewiss weit, so dass ein polemischer uebenzweck ihn nur wenig reizte.
HEIDELBERG. G. EHRISMANN.
Itadstüber, Hubert, Die Nomina agentis auf wre bei Wolfram und Gott-
fried. (Dissertation1, Innsbruck 1897). Leipzig, Fock 1901. 82 s. 1,20 m.
Die nomina werden aufgezählt mit angäbe der belegstellen , auch sind etymo-
logische und sachliche erklärungen beigegeben in der art wie „ vischaere kommt bei
Wolfram und Hartmann vor und heisst: einer, der fischt, fischer" s. 23; oder: „mar-
tercere gehört zu denjenigen Wörtern, die ihrer bildung nach aus einem fremden stamme
herrühren; denn ahd. marti rar i geht zurück auf martira. Marterare aber wurde u>n
dem mhd. gebrauchten stamme marterer (merterer) gebildet. Gr. lat. heisst martira
natürlich martyriwn" (s. 25); oder: „klosnaere . . . abzuleiten aus klose, klüse. Daraus
1) Vgl. dazu Lit. blatt 1902, sp. 54.
ZEITSCHRIFT V. DEUTSCHE PHILOLOGIE. Kl). XXXV. B
114 fcirRisMAW
entstand eine regelmässige bildung auf nari. Dies dürfte die richtige ableitung sein.
Eine andere, wol etwas complicierto leitet klaute aus inhd. klüse, dagegen mhd. klöae
mit kldsenare aus ml. clausa ab" (s. 60 >.
HKIDRLUKRIJ. G. EHRISMANN.
Fritz Traugott Schulz, Typisches dei grossen Eeidelberger liederband-
Bohrift und verwandter handschriften in wort und bild. Eine germa-
nistisch-antiquarische Untersuchung. Göttinger dissertation. 1899. 116-. 3,20m.
Schulz behandelt in drei teilen die typen des thronenden herrschen», des ritters,
des dichters, und zwar, wie der titel angibt, hauptsäehlieli vom germanistisch- anti-
quarischen Standpunkte aus, indem er an den bildern jene äusserungen höfisch -
ritterlichen lebens zeigt, wie sie die epen des 12. und 13. Jahrhunderts schildern.
Für die einzelnen Illustrationen gibt er erklärungen, wobei er öfter von Oechel-
häusers auffassung (Die miniaturen der universitätsbibl. zu Heidelberg II) abweicht.
Hervorgehoben sei die erkenntnis des „Wechsels" bei Reinmar und dem Küren-
berger (s. 96 und s. 110 fg.). Um aber im Verständnis d-r bilder einen erhebl
schritt weiter zu kommen, hätte er in viel grösserem umfange die höfische epik bei-
ziehen müssen, deren grosse hedeutung für die erklärung der in den liederhand-
schriften vorkommenden ritterlichen und höfischen s'cenen K. M. Meyer (Zs. f. d. altert.
44, 197 fg.), allerdings erst nach erscheinen der dissertation, aufgedeckt hat.
S. 55 fgg., 63 und 67 nimmt Schulz, nach Oechelhäusers Vorgang, für Fenis und
Veldeke den typus des silbenzählens auf und dehnt diesen sogar auf die darstellungen
von Fenis, Hausen und Gutenburg in der "Weingartener hs. aus: aber hier macht
Fenis sicher einfach die gebärde des redens wie z. b. die dame auf bild s. 128 u.ö.,
Hausen hält die hand auf die brüst und desgleichen wol auch Gutenhurg. Es ist
überhaupt zweifelhaft, ob ein gestus des silbenzählens angenommen werden darf, denn
es wäre dies eine fast zu sinnreiche symbolisierung, als dass wir sie diesen malern zu-
trauen dürften, sie würde ein zu feinsinniges eingehen auf das innenleben bei den
darzustellenden personen und die daraus resultierenden sinnfälligen äusserungen vor-
aussetzen, demgegenüber man bei der ganz unter dem bann der tradition stehenden
arbeitsweise der mittelalterlichen maier doch jede ihrer leistungen zuerst auf ihre Origi-
nalität hin wird prüfen müssen. Dieselbe handbildung wie bei Fenis in der Heidel-
berger hs. (daumen, zeige- und mittelfinger ausgestreckt, die beiden andern einge-
schlagen) kommt auch schon auf bildern der nachsinnenden evangelisten vor, und
Veldekes beide vorgehaltenen finger (daumen und Zeigefinger) sind doch wol nichts
anderes als eine hinweisende geste wie bei Reinmar und Sevelingen, die eben-
falls auf eine rolle, bei Lüenz, Dietmar v. Eist u. a., die auf andere gegenstände
hinzeigen.
Das bild zu Stretelingen deutet Schulz, wie Oechelhäuser, auf lebhafte
Unterhaltung (s. 111), die manierirte beinstellung und Verdrehung des Oberkörpers
bezeichnet aber die haltung des tanzens, und die fingerstellung ist nicht eine beson-
ders erregte redegeste, sondern eine zum bewegungssystem des betreffenden tanzes
gehörende mimische ausdruckst orm ; auch Alwin Schultz, Hof. leben 1, 551 fasst
diese scene mit Weiss, Kostümkunde II, fig. 243 als einen tanz auf. desgl. Böhme,
Gesch. des tanzes 1, 33. Somit bezieht sich das bild auch nicht auf lied II strophe 1,
sondern auf das erste lied des dichters (Pfaffs abdruck der Heidelberger lieder-hs.
sp. 201), das sieh durch den musikalischen refrain deutlich als tanzlied kundgibt.
ÜBER SCHULZ, HEIDELBERGER LLEDERHA.VDSCHRLV 1 115
Eine ähnliche f ingersprache ist auf dem zweiten tanz hild der hs. C. , dem zu H i 1 d -
hold von Schwangau, zu sehen bei der an der linken hand des ritters gehenden
dame, während die an seiner rechten sich wiegende ihre rechte hand geradeso in die
hüfte stützt wie wiederum auf Stretelingens bild der ritter; das fingerspiel der
linken hand bei der linksseitigen begleiterin Hildbolds ist ferner sehr ähnlich dem
der solotänzerin bei Eeinmar dem fiedler. Übrigens ist diese handbewegung auch bei
tanzen des 15. und 16. Jahrhunderts zu treffen. In diesen tanzstellungen ist also
ein realer zug des damaligen lebens aufgenommen. — Mit dem schlag auf den mund,
den Rute dem boten versetzt, ist, etwas drastisch, wol die auf f orderung zum schweigen
angedeutet, vgl. DWb. 6, 1793: durch zuhalten des mvmdes gibt Zacharias seine stumm-
heit zu erkennen auf illustrationen der biblischen geschichte; unnötiges oder voreiliges
schwatzen wird so bezeichnet auf bildern der Heidelberger Sachsenspiegel -hs.
"Wenn man die bilder der Heidelberger lieder-hs. in ihrer reihenfolge durch-
geht, so sieht man. dass mit den einzelnen ständen, wie sie Schulte (Zs. f. d. altert.
39, 223 fg.) gruppiert hat, gewisse typen verknüpft sind. Es ist nun ja in der natur
des gegenständes begründet, dass die maier die verschiedenen stände auch unter ver-
schiedenartigen Vorstellungen erfassten, aber es lohnt sich doch, ihre erzeugnisse
unter diesem gesichtspunkt zu betrachten und zu beobachten, mit welchen mittein
sie die unterschiede in der lebensführung darstellten. Eingeleitet wird die Sammlung
durch das bild des k aisers, hier ein durch den inhalt gegebenes titelbild, das in
seiner starren stilisieraug hereinragt als ein denkmal einer vergangenen kunstperiode.
Darauf folgen die reichsf ürsten, unter ihnen wider Wenzel v. Böhmen in seiner
würde als regierender könig aufgefasst und dadurch vor den andern ausgezeichnet
(Konradin war nur titularkönig). Die f ürsten treten, den sagenhaften könig Tyrol
ausgenommen, nur auf in ritterlichen oder höfischen beschäftigungen , in schlachten,
turnieren, falkenjagd, Schachspiel, nicht in der eigenschaft als dichter oder als
minnende, auch nicht im einzelporträt, sondern immer in begleitung, mit hofstaat,
kriegsheer oder sonstigem gefolge, demnach auch nie in einzelner tjoste. Auch die
musikanten mit posaunen und anderen instrumenten, die dem markgrafen von
Brandenburg und seiner dame beim schach aufspielen, dienen dazu, den glänz
der hofhaltung zur anschauung zu bringen und sind wol nicht bloss aus rein tech-
nischen gründen angebracht, um den räum auszufüllen, wie R. M. Meyer a. a. o. s. 214
annimmt; beim spiel des herrn Goeli fehlen deshalb die musikanten, auch ist die- 'in
nur das trictrac zuerkannt, nicht das besonders vornehme schach („das Schachspiel
galt unter allen spielen als ein besonders edles", Schultz, Höf. leben 1,537). Kon-
radin hat einen vornehmen herrn als begleiter auf der falkenjagd, auf den späteren
jagdbildern hat der einfache ritter gar kein oder nur niederes gefolge (G-eltar,
Suonegge, Hetzbolt, Kol von Niunzen) und ein so pomphafter aufzug nach
dem turnier wie beim herzog Heinrich v. Br esslau kommt sonst auch nicht
wieder in der hs. vor. — Der typus des minnesängers als dichter und minnewerber
tritt ''ist mit der zweiten gruppe auf, den grafen und freiherrn (Schulte s. 224),
und zwar sofort beim ersten grafen, Rudolf v. Neuenburg, und es mag absieht
sein, dass er nicht auf die f ürsten angewendet wurde, denn die blosse darstellung
als künstler oder als liebeflehende würde ihrer würde nicht voll entsprochen haben,
wie auch die einzelfigur zu mager für die hoheit des fürsten scheinen mochte.
Da die bilder auf die standesverhültnisse der personen berechnet sind, SO er-
gibt sich dann weiterhin wider eine Verschiebung der typen vom Übergang des litter-
6
MC i nwi
lieben ininii' ang (zweite und dritte gruppe bei Schulte) zur bürgerlichen didaktik
(vierte gruppe). Für die ritterlichen dichter, gruppe II und III, ergeben sich fei-
le dar tellung arten:
\. AI minnesänger, und /.war: a) der dichter allein: Veldeke iL Walt her
v. d. Vogelweide in jener von Walther beschriebenen tiefern ten itimmung, Feni
and der von Glier« in ähnlicher haltung, aber ohne jenes innere ergriffensein, (hl
im aufstützen de ohwermütig geneigten bauptet zum ausdrucl
I)) mit boten oder Schreiber: Botenlaube, Eohenbnrg, Winterstetten,
Bietenburg, Bligger, Munegiur, Rute, Beinzenburg, dazu in epischer ein-
üeidung Trostberg (vgl. das bild zu Kubin und Veldeke Eneide v. 10840 fg.)<
Wahrend diese beiden gruppen au er dem letzten falle noch ganz typisch
gehalten sind und hier das thema nur wenig variiert ist, werden in der dritten dar-
stellungsart (c) die compositionsweisen manigf altiger, dazu die scenen lebhafter; es
tritt ein erzählendes moment hinzu.
c) Zugleich als dichter, durch 3pruchband oder brief gekennzeichnet, und alt
minner, also in directer beziehung zu der dame : Neifen, Bforungen, Bohen'v
Sc\ i'lingen (einfache Unterhaltung), Kilchberg, Seven, Rubin, Wildonie,
Stamheim (in epischer einkleidung). Eine abart bildet der Wechsel, wo die idee
des minnesängers als dichters lediglich durch die dramatische darstellung eines wechsel-
gesprächs verkörpert ist im anschluss an bestimmte Iieder der betreffenden Sänger,
so beim Küre nb erger und bei Rein mar in der Weingartener hs. , während C noch
das symbol des Spruchbands zufügt. Ins geistliche umgedeutet sind die darstellungen
des bruder Eberhard v. Sax und Heinrichs v. d. Mure.
d) Nur als minner: hier finden sich neben einfachen liebesscenen wie bei
Bernger v. Horheim, Ougheim (sie reichen sich die hände), Johansdorf, Alt-
stetten, Werbenwag, Wengen (sie umamien sich), Stadegge (abwehr), Teufen
(sie reiten zusammen), Stretelingen. Schwan gau (tanz), schon häufiger individuell
aufgefasste Situationen, in denen ein bestimmter vereinzelter Vorgang erzählt wird,
die sich von den epischen scenen unter b und c also dadurch unterscheiden, dass
jene typisch aufgefasst sind, in diesen aber ein nur einmal in die hs. aufgenommenes
ereignis in charakteristischen zügen festgehalten wird. Das sind die bilder zu
Heinrich v. Sax, Dietmar v. Eist, Hamle, Hornberg, Starkenberg, Goeli,
Buochein, Teschler, Rost von Samen, Wissenlö. Sie verraten meistens
deutlich ihre herkunft als Illustrationen epischer dichtungen und für einige sind die
Vorbilder von R. M. Meyer nachgewiesen worden. Ferner gehören zu den minne-
scenen zwei allegorien (minnepf eil) : Adelnburg, Wachsmut v. Mühlhausen,
und die bekränzungsbilder (die dame reicht dem ritter den siegeskranz, ursprünglich
wol turnierpreis) zu Toggenburg, Rotenburg, Singenberg. Mit dem fischfang
Pfeffels ist das genrebild erreicht und damit ist der Übergang zum stil der vierten
gruppe gemacht, wie denn auch die benachbarten bilder zum Hardegger, dem
Schulmeister von Esslingen und dem Taler schon die merkmale der sprach-
dichter tragen. Zwischen den ministerialen und den bürgerlichen ist schon in der
anläge der handschrift keine scharfe trennung zu erkennen, so dass Schulte einige
dichter der dritten gruppe erst zu der vierten gestellt wissen möchte (s. 236).
B. Der dichter als ritter, a) einzelfigur (porträt), meist siegelbild: Wolfram,
Künzingen, Walther von Metz, Hartmann, Ulrich von Lichtenstein (in
rüstung), Rugge, Tannhauser, Gutenburg (ungewappnet).
ÜBER SCHULTZ, HEIDELBERGER LIEDERHANDSCHKIFT 117
IV) Ritterliche scenen: Heigerloch, Hohenberg fschlacht), Düring (be-
lagorung), Klingen, Frauenberg, marschall v. Raprechtswil (tjoste), Lei-
ningen, Goesli (Zweikampf zupferd), Seharpf enberg, Ringgenberg (mensur),
Luppin. Füller (Verfolgung), Lüenz (steinwerf en) , Schenk v. Liniburg, Otto
v. Turne, Winli (nach und vor dem turnier), Hildbold v. Schwangau (tanz
nach dem turnier, in rüstung), Sachsen dort (ärztliche pflege nach dem kämpf),
Suonegge, Hetzbolt v. Weissensee (jagd).
C. Verschiedenes: Hausen auf der meerfahrt, Hesso v. Rinach mitkrüppeln
und bettlem, die ermordung Brennenbergs und die bedrohung Neidharts, der
Schenk v. Landeck imd der Schulmeister von Esslingen in ihrem eharakter
als schenk und lehrer, also in eigentlichen standesbildem , der Hardegger und der
Tal er als fahrende.
Ganz anders ist das Verhältnis in der vierten gruppe, die zumeist aus bürger-
lichen und fahrenden besteht, womit die spruchdichtung in den Vordergrund tritt.
Der typus Ab ist hier gar nicht vertreten, Ac nur durch her Alram v. Gresten
und von Obernburg, die also als ritterliche minnesänger aufgefasst sind; Ad nur
durch Günther v. d. Vorste in einer dem namen entlehnten darstellung, dazu her
Niuniu (Schiffahrt); endlich Aa durch Reinmar v. Zweter, dieser mit geschlossenen
äugen der inneren eingebung lauschend: dass für ihn diese vergeistigte art der Ver-
sinnbildlichung gewählt ist, durch die sonst nur Veldeke und Walther, zugleich
im anschluss an stellen ihrer lieder, ausgezeichnet sind, erklärt sich aus dem hohen
ansehen, in dem er bei den epigonen stand. Bezeichnend ist, dass der bürgerliche
dichter nie als minnender vorgeführt wird, ausser Hadlaub, aber dieser in aanz
realistischer widergabe zweier von ihm erzählten begebenheiten, die nach R. M. Meyers
ansprechender Vermutung aus einem liederbuche entnommen sind.
Die dichter werden also in der vierten gruppe , ganz wenige ritterliche herren
ausgenommen, nicht als minnesänger vorgeführt, sondern dafür tritt der typus des
fahrenden ein: während der minnesänger seine lieder der geliebten allein ent-
weder in einer rolle oder einem büchlein niedergeschrieben überreicht oder durch
boten zusendet, trägt der fahrende persönlich seine Sprüche mehreren personen,
herrn und dame vor, so bruder Wernher und Spervogel und vielleicht der
schon genannte Hardegger (vor zwei herren); oder er erhält einen mantel als
künstlerablohnung (S ige her). Als epische dichter sind charakterisiert Kon r ad v.
Würzburg, der einem Schreiber in einen folianten hinein, nicht auf eine rolle
oder in ein büchlein, dictiert, und Gotfrid v. Strassburg als erzähler im kreis.-
lebhaft zuhörender.
Auch der typus als ritter (B) ist spärlich vertreten: ganz fehlt das einzel-
porträt; in ritterlichen beschäftigungen sind zu treffen der Dürner. zur tjoste
reitend; Dietmar der Setzer im Zweikampf; Geltar allein auf die jagd gehend;
her Friedrich der Knecht als weiberdieb — ein thema, das für die abbildung
eines vornehmen herrn unmöglich gewesen wäre — und Totti ngen gar als gefan-
gener, die letzten beiden schon wider ausgeprägte situationsbilder.
Den kern dieser vierten gruppe bilden die erzählenden darstellungen. oft reine
genrebildor, meist individuell coneipiert aus dem namen des betreffenden dichten
oder aus einer textstelle : der tugendhafte Schreiber, Steinmar, Reinmar de r
fiedler, Hawart, Burggraf v. Regensburg, der junge Meissner, der
Mamer, Süsskind von Trimberg, Buwenburg, Rudolf der Schreiber,
Hadlaub (s. oben), Regenboge, Kunz von Rosenheini, Rubin u. Ruedc-er,
Hol v. \ i unze ii. Frauenlol Bnburg, der wilde Alexander, Bumz-
Lant, Boppe, dex Litsohower, der Kanzler.
Es zeigt sich also ein unterschied zwischen dei vierten gruppe and den drei
bxi ten in der künstlerischen auffassnng der darzustellenden vorwürfe: die herren
sind in feststehenden upim gezeichnet, am strengsten ist die traditionell Banctionierte
figur di's kaisers beibehalten, denn der altehrwürdige typus d< thronenden herrscherfi
gestattete keine willkürlichen abweichungen ; für die fürs ten, edeln und ritter waren
die Vorbilder gegeben in den Illustrationen dei epischen dichtongen, die seil dem
12. Jahrhundert einen aufsohwung der malerei überhaupt bezeichnen; oder, wie
R. M. Meyer ebenfalU nachgewiesen bat, in den Biegein und grabsteinen; oder be-
sonders in den zum teil der altchristlichen kunst entstammenden typen der religiösen
malerei. Solche feststehende Vorbilder gab es aber für die personen des neu aufstreben-
den liürgertum« nicht, hierfür konnte man nicht aus einem schätze allgemein ver-
breiteter motive schöpfen, denn die niederen stände waren bisher nur als Statisten und
nebeniiguren aufgenommen und nicht als träger der dargestellten idee, oder als gleich-
gestimmte masse auftretend und nicht als einzelwesen in charakteristischen merk-
malen gekennzeichnet. Hier gab es keine geschlossenen typen und so konnten sich
die maier freier gehen lassen; sie griffen, um diese leute niederen Standes in die
richtige Umgebung zu setzen, gern zu scenen des alltagslebens. Diese mögen nun
in der tat manchmal aus der kenntnis des wirklichen lebens geschöpft, jedesfalls,
wie natürlich auch solche der drei ersten gruppen, von eigener beobachtung der
maier beeinflusst sein, sicher aber wirkten auch hier überlieferte motive in hohem
grade mit. Das mass der Originalität, oder umgekehrt, der abhängigkeit, wird bei
diesen künstlern aber erst richtig abgeschätzt werden können, wenn durch aus-
gedehnte Untersuchung besonders der höfischen epen eine genauere kenntnis der
mittelalterlichen profanmalerei erlangt ist. Die erfindungsgabe der künstler wird be-
sonders an solchen dem gewöhnlichen leben entnommenen scenen der vierten gruppe
zu prüfen sein. Da fällt nun auf, dass einige darstellungen , die zum teil ausschliess-
lich für ihr thema erfunden zu sein scheinen, beziehungen zu den monats- und
tierkreisbildern haben.
Die illustration zum Marner ist das monatsbild des januar: ein mann am
feuer sitzend trinkt wärmende getränke, vgl. Uhl, Unser kalender s. 60. Das zeichen
des Januars ist der Wassermann, die ursprünglichen kalenderbilde r sind nun so ein-
gerichtet, dass links das monatsbild, rechts daneben das himmelszeichen steht, also
für den januar der sich am feuer wärmende und trinkende mann, rechts der ein
gefäss ausgiessende Wassermann. Werden die zwei hälften vereinigt, so entsteht eine
scene, wo die beiden figuren zusammenwirken, indem nun der ursprüngliche Wasser-
mann dem den monat repräsentierenden trinker einen becher reicht, wie auf unserem
bilde. Ein solcher Vorgang ist auf einem nur vorliegenden französischen kalender
v.j. 1504 reich ausgeführt, ein grösseres gelage auf einem lat. kalender aus England
v. j. 969 ist beschrieben von Riegl, Mitteil. f. österr. geschichtsforsch. 10, 65. Kalender-
vers: In jano claris calidisque eibis potiaris atque decens potus post fercula sit
tibi notus usw. (franz. kal.); deutsch: Genner bin ich genant, trinken und essen
ist mir wol behaut usw. (Germania 8, 107).
Ein bis auf einzeih eiten ähnliches bild wie das zum Kol v. Niunzen findet
sich in dem erwähnten französischen kalender zum planeten Jupiter: ein schütze
zielt mit der armbrust nach einem vogel, der im laube eines rechts stehenden baumes
sitzt, ein reiter (dieser links vom schützen) streckt die hand nach einem oben fliegenden
ÜBER SCHULZ, HEIDELBERGER LIEDERHANDSCHRIET 119
falken aus [unter dein bauine sitzt ein Schreiber am pult]. Auf dem genannten in
England entstandenen kalender ist das bild des novembers eine falkenjagd (Riegl s. 67)
und noch heutzutage ist die jagd ein stehendes bild für diesen monat in den kalendern.
Der schütze ist das zeichen des monats november.
Dass das bild zum Kol v. Niunzen mit den beiden vorhergehenden (Kunz
v. Rosenheim und Rubin u. Rüedeger) nach technik und auffassung zusammen
eine gruppe bildet, ist längst erkannt, und so wird man auch diese zwei auf die
herkunft aus kalenderbildern hin zu prüfen haben. Das erste, das zu Kunz v.
Rosenheim, entspricht dem kalenderbild des august: dessen monatsbild, links, ist
ein Schnitter, das planetenbild , rechts, eine reich gekleidete Jungfrau. "Wurden die
beiden stücke zusammen gerückt und in ein in sich einheitliches landwirtschaftsbild
gebracht, so ergab sich eine Unterhaltung zwischen Schnitter und Schnitterin, wie
es etwa frühere Jahrgänge des Lahrer Hinkenden boten darbieten (ältere Illustrationen
stehen mir nicht zu geböte). Eine ähnliche auffassung ist hier in der miniatur der
Heidelberger hs. ins höfische übertragen, das motiv des getreideschneidens zeigt
indes deutlich den ursprünglichen Charakter als kalenderillustration. Eine andere
widergabe findet sich ebenfalls in älteren Jahrgängen des Hinkenden boten: ein herr.
von seinem hund begleitet, gibt gebieterisch die hand ausstreckend befehle an zwei
Schnitter; auch damit hat das bild von C motive gemein.
Ganz dem texte angepasst ist das mittlere bild dieser gruppe, das zu Rubin und
Rüedeger, vgl. Oechelhäuser s. 324; immerhin kann das Stimmungsmotiv zum bild
des monats mai vorliegen, ein maigang in der schönen frühlingsnatur. In einem
deutschen kalender des 16. jhs. ist das monatsbild für den mai ein elegant gekleideter
junger herr mit einem falken in der hand im walde reitend, daneben als zeichen
geht ebenfalls einer mit blumenstengeln in beiden händen auf einer wiese, ent-
sprechend dem monatsvers: Hie kome ich stolzer nieige mit Mitogen bluomen maniger
läge, Germania 8, 108.
Auch beim tugendhaften Schreiber wird man zunächst an ein monats-
bild erinnert, an den September mit wage und obstsack, aber die gegenstände im sack
sind doch sicher geldstücke, wie Oechelhäuser erklärt. Die Situation entspricht der
erzählung Lichtensteins von seiner gefangennähme, besonders 544, 11 — 34: "Woinolt
und her Pilgerin hatten ihn festgesetzt, Pilgerin tritt zu ihm und redet ihn an:
„und weit ir lenger leben, so sagt wax ir uns wellet geben'', darauf Ulrich: „ich
gib in allex dax ich ha/n und immer mere gewinnen kan. Ja wirt iu guotes vil
gegeben dar umb dax ir mich läxet leben". Sivie vint mir der untriwe was. diu
miet half doch dax ich genas . . . Er hiex vil sere besmiden mich in einen
bogen: dax miiet mich, dann 547, 26 min burc die macht ich ledic sint: wie,
dax wil ich iueh verdagen, . . . ich het verlorn starkex guot. Die in der er-
zählung zeitlich aufeinander folgenden ereignisse sind im bilde zu einer soene zu-
sammengezogen: der dichter sitzt mit oiner boie gefesselt und lässt durch einen
knecht sein lösegeld abwägen, wobei Weinold und her Pilgerin mit erregten gesticu-
lationen auf ihn einreden. Die geberde des vom dichter entfernter stehenden, der
den Zeigefinger der linken hand auf die fläche der rechten richtet, ist dieselbe, wie
die des richters auf verschiedenen bildern der Heidelberger Sachsenspiegel -hs., vgl.
auch Repertor. f. kunstwissensch. 7, 414, und bedeutet belehrung, aufforderung zur
erfüllung einer pflioht, eines Vertrags. Die boie ist übrigens ein erkennungszeioheo
des zinszahlers in der kruue v. 9799 u. 10034.
L20 »»«
oi, aucb noch andere Illustrationen in dej Beid( kalenderbildern
tammen, kann ich mii dem mir zu al nicht weiter ver-
folgen. Bei Jakob v. Warte könnte man ebenfall an ein maibild denken, vgl. die
\Sayo seeure lavari sit Hl>i eure and In diesem nionai der mensch baden
soll 'null macht du dornen springen und leben wol; kalenderbilder zum mai bi i
Beine junge dame, die unter blühenden bäumen in einer badewanne sitzl and eina
blume in der band hält" usw., tJhl .61, oder mann and frau (ursprünglich die
z.wüIm monats) in einer kufe badend. Steinmars gelage könnte
rin dezemberbild zu gründe liegen, „mit toirsten und gtcot braten wil ich mm hus
iini beraten"; die Bsche (Pfeffel als Ei eher) ind das zeichen des februar.
HI.IM.I.I'.F.I;'.. 0. EHE! '
Dr. M. J. van der Meer, Gotische oasussyntaxia I. Boekhandel en drukkerij
voorheen E. .1. Drill. Leiden 1901.
.letlc Untersuchung über gotische syntax muss die tatsache beherzi
wir die gotische spräche nur aus Übersetzungen können, und dass der satzbau bei
Übersetzungen nur gar zu leicht durch den satzbau der vorläge beeinflusst werden
kann. Daraus ergib! sich die folgerung, dass für die syntactische forschung nur die-
jenigen Stollen in betracht kommen, in denen die Übersetzung von der vorläge ab-
weicht. Denn wo das gotische mit dem griechischen text übereinstimmt, ist immer
die möglichkeit vorhanden, dass wir es nicht mit einer gotischen, sondern mit einer
griechischen Spracherscheinung zu tun haben. Allerdings werden eigentiimlichkoiten
der einen spräche, die dem Sprachgefühl des übersetzenden ganz grell widerstreiten,
unter allen umständen eine änderung erfahren, es müsste denn eine interlinearversion
vorliegen, und eine solche ist die bibelübersetzung des Ulfilas nicht. Andere sprach-
erscheinungen des einen volkes werden von dem Sprachgefühl des andern zwar fremd-
artig empfunden, aber sie erinnern doch, wenn auch manchmal nur entfernt, an diesen
oder jenen gebrauch der eigenen spräche, sie finden in dieser irgend eine analogie
und werden alsdann übernommen, ohne erbgut der spräche zu sein. Für die Sprach-
geschichte kann eine solche herübernahme sehr wichtig werden — aber nur dann.
wenn die spräche noch eine bedeutende entwicklung später durchmacht, was beim
gotischen bekanntlich nicht der fall gewesen ist.
In einer gotischen casussyntax müssten daher in jedem abschnitt zuerst die
fälle ausgeschieden werden, die von der griechischen vorläge abweichen. Diese allein
sind zunächst von bedeutung für die historische Sprachwissenschaft. Die fälle, wo
vorläge und Übersetzung übereinstimmen, dürfen ja nicht ohne weiteres übersehen
werden , da die beiden sprachen gewiss auch gemeinsame eigentümlichkeiten besitzen
können, und es mag sich durch Sprachvergleichung manches hiervon als gemein-
germanisch erweisen. So lange man sich jedoch hier auf einem noch nicht hin-
reichend geebneten boden befindet, werden solche fälle lediglich für den descrip-
tiven teil der grammatik in betracht kommen können.
Es ist bedauerlich, dass der Verfasser diesen grundunterschied fast gänzlich
übersehen hat, und daher ist seine Casussyntax weniger historisch als descriptiv. ein
mangel, der entschieden hervorgehoben werden muss, so sehr man auch sonst der
fleissigen und gewissenhaften Zusammenstellung lob und anerkennung zollen kann.
Es wird zwar vielfach hervorgehoben, dass der Übersetzer der vorläge gegenüber
selbständig ist, doch geschieht dies immer nur gelegentlich und nicht grundsätzlich,
ÜBER VAN DER MEER, GOT. CASUSSYNTAX 121
und dalier ist es anderseits häufig unmöglich, aus der menge des angehäuften Stoffes
das zweifellos gotische auszuscheiden. Wir haben es, soweit es möglich war, ver-
sucht und wollen im folgenden die wichtigeren einzelheiteu hervorheben und be-
sprechen.
Die behandlung jedes einzelnen casus beginnt mit einer allgemeinen erörterung
über die ursprüngliche bedeutung desselben, wobei sich der Verfasser ziemlich eng an
Delbrück anschliesst. Diese erörterungen sind jedoch viel zu weitschweifig, zumal
da sich keine wesentlich neuen ergebnisse herausstellen. Einfacher und besser wäre
es gewesen, die von Delbrück für das idg. festgestellten casusfunctionen als grund-
lage zu nehmen und hiermit die got. Verhältnisse zu vergleichen. Der Verfasser ist
übrigens mit der neueren sprachwissenschaftlichen methode bekannt — abgesehen von
dem oben angeführten methodischen grundfehler — und handhabt sie häufig mit glück,
so dass sich an manchen stellen gute erklärungen finden; z. b. s. lfg. über die Ver-
wandlung des dativs der activischen construction in den nominativ der passiyischen ;
s. 8 über den nominativus absolutus. An vielen stellen jedoch vermissen wir klarheit
der darstellung und auch nur den versuch einer erklärung. Über den nom. c. inf.
erhalten wir kein klares bild (s. 6), da hier die griechische vorläge nicht berücksichtigt
wird und auch der vergleich mit andern germ. sprachen fehlt. Ähnliches müssen wir
s. 42 beanstanden, bei der behandlung des accusativ nach Zeitwörtern, die mit präpp.
zusammengesetzt siud, und zwar kommen hier präpp. in betracht, die sowol den acc.
als den dativ regieren. Im gegensatz zum griechischen werden hier die mit ana zu-
sammengesetzten verba angeführt: a/naqima/n {itpundvat c. dat.), anatrimpan (ini-
xeto&ai c. dat.); mit and zusammengesetzte verba: andstaurran (cmdstaurraidedtm ßo,
h'ißniuGivTO aörJJ); ferner faurbigaggau (noodystv), uipragaggan (ynavräv): dis-
driusan {Inmimtiv), bigraban (ninißäD.siv). Es sind dies verba der bewegung, die
durch die Zusammensetzung transitiv werden und den acc. regieren, eine bekannte
erscheinuug in der geschichte der germanischen sprachen, vgl. nhd. steigen ersteigen
besteigen, laufen durchlaufen, sehreiten beschreiten iibcrsclirciicn usw. Wir haben
liier einen alten accusativ, der das ziel einer bewegung bedeutet, ähnlich dem, der.
mit einer präp. verbunden, auf die frage „wohin" steht. "Wenn das griech. den dativ
hat, so ist dies daraus zu erklären, dass dem griech. Sprachgefühl ursprünglich weniger
das ziel der bewegung, als die an der handlung teilnehmende person (oder sache)
vorgeschwebt hat.
Die funetionen von dativ und accusativ lassen sich ja überhaupt nicht nach
streng logischen gesetzen scheiden; das bestimmende ist hier das ursprüngliche Sprach-
gefühl, das bald mehr das ziel der tätigkeit, bald mehr das anteilnehmende objeet
berücksichtigt hat, und dem folgt der traditionelle Sprachgebrauch, der aber trotz
mancher bedeutungsverschiebung vielfach erhalten bleibt. Im allgemeinen scheint das
got. den dativ häufiger zu gebrauchen als das griech.; so werdon s. 192 fgg. viele verba
angeführt, die in gleicher bedeutung sowol den dativ als den acc. bei sich haben
können, während die vorläge fast nur den acc. kennt. Doch gibt es auch selbständige
Verwendungen dos acc. im got., und hier erwähnen wir noch den acc. bei Impersonalien,
der einem griech. oder lat. dativ entspricht (vgl. s. 51): gadob (conveniebat), kar ixt
(/Litkti). Bemerkenswert ist, dass im got. grc<l<m. httggran, patirsjan impersonal, die
entsprechenden griech. Wörter alter persönlich gebraucht werden. Das got. bevorzugt
also hier dio unbestimmtere, allgemeinere form des Zeitworts.
Ähnliches sehen wir s. 52 bei dem prädicatsaocuBativ. I>as got. kennl eine
geringere anzahl von verba mit prägnanter bedeutung als das grieoh. ; die entsprochen-
122 REM
dun Zeitwörter der \oila^e weiden durch verba von allgemeinerer bedeutung iu \er-
bindnng mit prädioatsnomina widergegeben; vgl. i 53 briggan in wairßatu briggan
{u$m>0v), gamainja />. (avyxoivoOv)^ wundem />. [xnpuXtuvoOv)^ ferner garaihtana odei
UAwawhtana dotnjan oder gadomjan oder gateihan (fuuuoVv), toairßona rahnfwn
(ufyoüv), hroßeigwne ustaiknjan (d-Qmußttiitv)^ gatandida haban (xixavttigCa&iu).
Über eine ähnliche ersoheinung in der nhd. Umgangssprache vgl. meine Byntactisohen
Btadien (Beitrüge 18, s. 470 fg., § r>). Daselbst wurde zur erUärang dieser Bpraoh-
tatsache unter andorm auf den lautlichen verfall so mancher verbalformen im nhd.
hingewiesen. Dass aber auch schon die ältesten germanischen dialecte weniger
tempora und modi besitzen, als die idg. grundspraohe, ist bekannt, und dieser
arrnut an scharf gesonderten formen entspricht in der bedeutungslehre eine armut
an verben mit scharf prägniertem und reichem inhalt; den ausdruck eines solchen
Inhaltes haben nomina übernommen. Ausser bei dem prädicatsaccusativ sehen wir
auch sonst noch diese tatsache bestätigt. Dabin gehört, dass der Grieche verbal-
composita bildet (s. 63), während der Gote hierfür Verbindungen von verben mit ad-
verbial gewordenen accusativen verwendet: piup taujan pau unpiup taujan (uya-
Sonoifjaut, fi y.uxonmtiaui); yaliug weitwodidedun (hptvSouanii'Qovv). Ausserdem
noch die Verbindung von wisan und dem acc. tomporis icintru für griech. nuouyti-
ptiCfiv (s. 61). Ähnlich wisan c. dat. s. 80fgg. Au stelle eines griech. nomen com-
positum stehen im got. zwei nomina: z. b. leitil galunbjandans (ohyimiaroi) u. a.
Es besteht also auch im got. eine abneigung gegen inhaltsreiche nomina; die be-
deutung eines solchen nomen, besonders nominalcompositum, wird durch mehrere
nomina widergegeben.
Über den acc. c. inf. behauptet der verf., dass im got. der erste „trap van
ontwikkeling" geschehen ist. Ob dies der fall ist, oder ob entlehnungen aus dem lat.
und griech. vorliegen, soll hier nicht weiter erörtert werden; jedesfalls kann das erste
aus der geringen anzahl der beispiele nicht geschlossen werden. Hervorzuheben ist
noch der ausgedehnte gebrauch des got. acc. temporis für griech. dativ und prä-
positionsverbindung. Daneben findeu sich aber auch dative der zeit, denen im griech.
ebenfalls präpositionsverbindungen, aber auch acc. entsprechen (vgl. s. 95 fg.). Ähn-
liches sehen wir beim genitiv s. 133 fg. Leider geben die ausführungen des verf. keine
klarheit darüber, was die wähl des einen oder des andern casus veranlasst hat.
Der dativ findet sich im got. in bedeutenderem umfang als im griech.; ent-
spricht er doch nicht nur, wie im griech., dem idg. instrumentalis, sondern auch idg.
ablativ. Es ist zu billigen, dass der verf. diese drei im dativ zusammengefallenen
casus von vorn herein scheidet und darauf die ganze einteilung gründet. Im einzelnen
jedoch scheint mir diese hie und da, und zwar nicht bloss beim dativ, etwas willkür-
lich zu sein. Z. b. der unterschied zwischen dativus adnominalis und adverbalis ist
kein grundsätzlicher, da die ursprüngliche wähl des casus nicht durch die syntactische
klasse des wortes, sondern dureh dessen bedeutung bestimmt worden ist1.
Auch beim dativ seien die got. gebrauchsweisen hervorgehoben, die vom
griech. abweichen. Zunächst ist dessen Verwendung entsprechend griech. präpositions-
verbindungen zu nennen: so für ano c. gen. (s. 70) beim passiv.: afnimada imma
(«g&rjOtTta An' civtov); s. 73 pamma nimandin ni warjais (und tov cuoovrog
1) Aus ähnlichem gründe dürfte es sich kaum empfehlen, die casuslehre als
ganzes einzuteilen in casus ohne und mit präpositionen; die bedeutung der präpositions-
verbiudung ist vielmehr im anschluss an die gleiche bedeutung des casus ohne prä-
position zu behandeln.
ÜBER VAN DBR MEER, GOT. CASUSSYNTAX 123
fj.t) xioküatjg); für tlg c. acc. nach yaluubjun; für ngög c. acc. in sis J>o bad
(7106g ectvTÖv TctöTu 7iqoo rjviccTo). Der dativ steht auch für griech. genitiv nach
hausjan (axoveiv) und reikinon (üg/etv) sowie für griech. acc. bei verben, die be-
zeichnen „iemand of iets aangenam of onaangenaam, vordeelig of nadeelig, vriend-
schappelijk of vijandig gezind zijn" (s. 74); vgl. usagljan (i<7i(07iultti,v), gabairyan
(oi'VTt]Q(Tv), qistjan (ünoi.kuvui), gaßlaihan (nu.Quxu).iiv).
Interessant ist auch der gebrauch des possessiven dativ für einen griech. genitiv
poss. ; vgl. s. 90 ei uns wairßai ßata arbi (tva Tj/xßv yivr\tui xXiiQovofiiu), sice fijands
ixtois warß (wäre {%&QÖg v^wv yfyovu); draus imma du fotum (ßntatv uvtov tlg
rovg nö$ug)\ alluh auk ufhnaiwida uf fotuns imma (ndvrn yuQ intiustv vnb rovg
nöSug uvtov); gasalboda fotuns Jesua (ijlinptv Tovg nööug tov 'Itjaov) u.v.a. Zwei
gründe können hierfür angegeben werden. Erstens: der genitiv konnte im got. nicht
in dem gleichen umfang als selbständiger Satzteil verwendet werden wie im griech.
und ist daher dem durch die bedeutung nahe gelegten dativ gewichen. Es ist aher
femer anzunehmen, dass für das Sprachgefühl der meist adnominal gebrauchte gen.
eine engere Verbindung mit dem benachbarten nomen hat als jeder andere casus,
und nomen und genitiv werden leichter als zu einer einheit verschmolzen empfunden,
während nomen und dativ eher als zwei getrennte selbständige Satzteile erscheinen.
Wir haben nun oben gesehen, dass im got. eine abneigung gegen inhaltsreiche com-
posita besteht und dafür lieber zwei worte gebraucht werden. Dem ganz analog dürfte
es sein, wenn Ulfilas nicht eine als einheit gefühlte Wortfügung, sondern zwei als
getrennt empfundene Satzteile gebraucht. Wo sich im got. der genitiv poss. findet,
ist die vorläge nachgeahmt worden, mit den ganz wenigen — nur scheinbaren —
ausnahmen, die griech. ix c. gen. entsprechen.
Der an stelle eines früheren instrumentalis getretene dativ steht mehrfach für
einen griech. accusativ. So s. 107 fg. bei andwasjan (Ixdvtiv), gahamon (ivSv(n),
bugjan (noilBTad-ai), usbugjan (uyoQÜttoöui,); s. 113 sind mehrere beispiele angeführt,
wo der instrum. einem griech. acc. relationis entspricht; so gasleißeip sik saiwalai
seinai (f^toj^-jj rhv rpv/i]v uvtov). Weniger der dativ in seiner ursprünglichen be-
deutung, sondern der erbe des instrum. ist es, der hier an stelle des griech. acc. ge-
treten ist.
Vom genitiv ist vor allem der ausgedehnte partitive gebrauch im got. zu er-
wähnen; vgl. s. 124 ainshun praufete (ovdtig nQo<f>']Tt]g), ainhun ivaurde ubilaixe
(nßg Xöyog aannög). Wir finden den gen. pari bei Substantiven, bei den Zahlwörtern
ains und twai und den mit tigjus, tehund, hund, ßusundi zusammengesetzten, bei
den pronomina sa, Ivas, saei, fvarjis, loaßar, bei anßar, filu, manags u. ä.,
dann aber auch selbständiger bei verben. Wir sehen auch hier widerum die regel
bestätigt, dass das got. den einzelnen Wörtern eine grössere Selbständigkeit verleiht als
das griech. Zur Verdeutlichung vgl. man das nhd. mehrere männer mit der Wort-
fügung mehrere unter den männem, und man sieht leicht, wie hier zwei begriffe
ziemlich gesondert widergegeben, dort jedoch zu einer gewissen einheit verschmolzen
sind. Ähnliches sehen wir bei dem sog. genitiv „van kenmerk" (der kennzeichnung);
auch dieser steht da, wo im griech. ein einziges wort oder ein adjectivisches attribut
steht. Vgl. s. 151 fgg. afstassais bokos (linoarüaiov), aiwa dagc (tig jöv aißva), all
boko gudiskahos ahmahteinais (71u.au yQttipij 9-i6nvevarog). Auch beim gen. objec-
tivus findet sich die gleiche erschoinung: s. 180 fgg. du suniwc gadedai (dg viodfotui),
ivitodis garaideins (?) vo^iod-taiu).
124 KAU] ■ IIUT-M' 111 KU '. ' >.TL'S
Ob eis gen. in instrumentaler bedeutung im got. selbständig vorkommt, ist
den vom vi pielen nicht klar zu erkennen. Was hier angeführt wird,
mporaler gonitiv zu betrachten {dage managaixt h fjfiiQan ioXJ
dazn kommen • bia genitivischen Ursprungs. Ob
lioher gebrauch vorliegt oder nachabmung des grieoh., must dahin gestellt bli
Behr wahrscheinlich, dsi der gen. im Binne des ablativs, der durob-
i c. gon. entspricht, unter dem einfl gebraucht
worden ist. Der s. 178 als gen. „van di nach den
verben sich erinnern, bitten, bitten, begehren u. a., der vielfach accus, ent-
spricht, mu part. auf
Wir haben hier versucht, aus der menge des vom verf. gesammelten Stoffes,
soweit es bei der nicht gerade Behr übersichtlichen anordnung möglich war, die Bprach-
erscheinungen herauszuheben, die zweifell imlichkeiten sind. Es war
nichl immer möglich, die gründe zu erkennen, die den Übersetzer zu einer abweichung
von der vorläge bestimmt haben. Eine häufig widerkebronde erscheinung fanden wir
jedoch hierbei, die wir darauf zurückführen können, dass im griech. mehrere begriffe
leichter zu einem gesamtbegriff verschmolzen werden, während im got. sich eine ziem-
lich weitgehende Individualisierung der begriffe findet. Für die fortsetzung seiner trotz
aller mäugel verdienstlichen arbeit mag dem verf. geraten werden, sein augenmerk
vor allem auf diejenigen falle zurichten, in denen Ulfrias von seiner vorläge abweicht.
MAINZ. HANS REIS.
Meyer, Wilhelm aus Speyer, Der gelegenheitsdichter Ycnantius Fortuuatus.
Berlin 1901 (= Abhandlungen der kgl. gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen.
Phil.-hist. Masse n. f. bd. IV nr. 5). 140 s. 4. 9 m.
In der geschichte der deutschen lyrik hat schon Burdach diesem „ältesten mittel-
alterlichen dichter Frankreichs" seinen posteu angewiesen. Verfolgen wir z. b. die ent-
vvicklung der motive unserer naturschilderungen, so gibt sich alsbald zu erkennen , dass
von Venahtius Fortuuatus eine ziemlich directe bahn zu den Carmina Burana hinführt.
Wir sind daher W. Meyer für die scharfsinnige erörtorung zahlreicher um den autor
und um seine werke sich drehender fragen zu aufrichtigem dank verpflichtet; denn
„das Studium des Fortunat liegt sehr im argen" (s. 4). Der verf. handelt über
Fortunats leben im Frankenreich (s. 5fgg.), herausgäbe der Schriften (s. 23 fgg. 69).
dichterische gattungen (s. 30 fgg.)1, bemerkungen zu den einzelnen gedichten (s. 73fgg.
beachte: leben der Radegunde s. 90fgg\, Panegyricus auf Chilperich s. 113fgg.,
alliteration s. 138).
"Was wir nach einer so ausgezeichneten Voruntersuchung brauchen, ist eine
darstellung der stilmittel; denn dies problem hat W. Meyer nur gelegentlich gestreift.
1) „Man hat noch keinen dichter nachweisen können, dessen schätz an worten
und Wendungen Fortunat besonders benützt hätte ... er schildert nur, was wirklich
um ihn ist und das mit gedauken, welche den menschen seines gleichen nahe liegen"
seite 31.
KtKL. FRIEDRICH KAUFKHANN.
BRÜCKNER ÜIIF.R 8CHAER, FECHTER UND SPIELLEUTE 125
Alfred Sehaer, Die altdeutschen fechter und spielleute. Ein beitrag zur
deutschen culturgeschichte. Dissertation. Strassburg, Trübner 1901. 207 s. 5 m.
Die inhaltlich ziemlich reichhaltige, in der darstellung etwas schwerfällige arbeit.
zu der der verf. durch eine Preisfrage der philosophischen fakultät Strassburg angeregt
worden ist, steckt sich nicht das ziel, die geschichtliche gesamtentwicklung der Ver-
hältnisse der fechter und spielleute zu schildern, sie soll vielmehr hauptsächlich die
auffallende gleichartigkeit und den parallelismus in der historischen entwickluug dieser
beiden niedern volksklassen darlegen; sie fasst daher vielfach im einzelneu bekannte
ergebnisse früherer Untersuchungen unter diesem gesichtspunkte zusammen. Der verf.,
der sich in seiner abhandlung vorläufig auf die deutschen Verhältnisse beschränkt, der
aber eine allgemeine geschichte der fahrenden leute für später in aussieht stellt, gliedert
seinen stoff in drei capitel: 1. Die kämpen und fechter. 2. Die spielleute und das
fahrende volk. 3. Der zwischen den fechtern und kämpen einerseits und den spiel-
leuten andererseits bestehende, entwicklungsgeschichtliche parallelismus und seine ver-
schiedenen ausdrucksformen im rechtswesen und in socialen Verhältnissen, in litteratur
und spräche. Ein vierter teil bringt als anhang eine reihe litterarischer belegstücke,
die sich ihres umfangs wegen nicht wol in den zusammenhängenden text einfügen
Hessen.
Das erste capitel, das bei dem mangel einer umfassenden darstellung am aus-
führlichsten ist, sucht zunächst die anfange des deutschen kämpen- und fechter-
wesens festzusellen. Seh. hält es für sehr wahrscheinlich, dass mit den antiken,
speciell spätrömischen Verhältnissen noch ein näherer Zusammenhang bestehe, doch
hält er mit einem definitiven urteil über diese frage, deren beurteilung durch das
fehlen von Zeugnissen aus ältester zeit erschwert wird, noch vorsichtig zurück (s. 140fg.).
Den sichern ausgangspunkt der Untersuchung bilden jedesfalls zwei echt germanische
erscheinungen: der kämpe, der vor gericht die parteien im Zweikampf vertritt and
der höfische fechtmeister. Bei besprechung des gerichtlichen Zweikampfes äussert Seh.
die gewiss richtige ansieht, dass sich bei der weiten Verbreitung des kämpf urteils
schon frühzeitig eine art von berufsf echtem gebildet habe, die sich um lohn zum
austrage solcher Streitigkeiten anwerben Hessen. Es ist schade, dass der Verfasser die
neuausgabe der RA. nicht benutzen konnte, einige der ältesten und bezeichnendsten
belege sind ihm dadurch entgangen: 1. Fris. 14, 7 Licet unieuique pro se campionem
inercede conducere; ein forensis athleta wird Saxo gram. s. 384 erwähnt RA. 2. 592;
auch Liutpr. 71 wäre hier zu erwähnen: Si quis alium asto eompellaverit de pugna,
quod solet fieri per pravas personas RA. 2, 347. Sehr unsicher erscheint mir die
annähme, dass bereits in ahd. zeit verschiedene arten von kämpen unterschieden
worden seien, was durch das vorkommen der ausdrücke fustkempho, hmttiücempfo and
swertkempfo im Sprachschatz der glossenlitteratur bewiesen werden soll is. 29i. Die
ahd. bezeichnungen sind doch lediglich erklärungen der entspr. lateinischen beuennuDgeu
pugilator, gladiator etc., es ist darum wol methodisch unrichtig, daraus ohne weiteres
auf die damals bestehenden deutschen Verhältnisse zu schliessen. Für die existenz
von 'knüttelkämpen* hätte zwar Seh. auf die Geschichte der kampffechter von Löwen
(anhang s. 144 fgg.) hinweisen können; doch dürfen die Verhältnisse, wie sie dort vor-
liegen, nicht ohne weiteres verallgemeinert werden, da die sitte den Zweikampf mit
kampfstock und schild auszufechten lediglich den salischen Frauken eigen gewesen
zu sein scheint.
S. 41 fgg. handelt Seh. von den tierkämpfen, worin er am ehesten aooh die
spuren der römischeu gladiatorengebräuche erkennen zu können glaubt. Als frühsten
126 BRtTCKNRR ÜBER KCItAhR. I'KCHTKB UND Sr-IKI.I.K.UTE
belog dafür in Deutschland erwähnt er die stelle aus dem Rolandslied, die mi
beispiele für das auftreten der sog. katzenritter Btammeo aus dem 15. und 16. jahrh,
Einen sichern sohluss gestattet das dürftige material kaum. Mir scheint aber
auch die mögliohkeit zu erwägen — uud auch das fehlen älterer nachrichten dürfte
dafür sprechen , dass diese wilden tierhetzender Bpätern römischen /."it. nicht direct
etwa durch germanische kriegsgefangene nach Deui chland abertragen worden sind.
wie Soh, s. 15 anzunehmen geneigt ist, sondern dass diese arl Schauspiele sich zu-
nächst in don ehemals römischen [ändern weiter gehalten hat, wo auch die einge-
drungenen germanischen stamme daran gefallen finden mochten, und dass sie dann von
hier aus erst in spaterer zeit auch in das eigentlich'- Dcut-chland eingedrungen ist.
Unsicher scheint es mir ferner, ob Seh. mit recht auch das herumziehen von spiel-
louten mit tanzbären (davon handelt die s. 43 aus Hinkmar v. Rheims citierte Btelle)
unter das rechnet, was auf römische gebrauche zurückweist. Für das auftreten solcher
baren wäre übrigens als anschaulichste darstellung die stelle aus Ruodlieb V, 84 — 09
zu erwähnen gewesen.
Der zweite teil dieses capitels beschäftigt sich mit dem fechterwesen der spätem
zeit. In übersichtlicher weise worden hier die wichtigsten nachrichten über die aus-
bildung der fechtergescllschaften , das abhalten der fechtschulen und dergl. zusammen-
gestellt. Den schluss bilden umfangreiche Verzeichnisse der den fechterbrüderschaften
verliehenen Privilegien und confirmationen, der das fechterwesen betreffenden Ver-
ordnungen uud erlasse, und derauf die abhaltung von fechtschulen und dergl. bezüg-
lichen ort- und Zeitangaben, endlich listen der älteren fechterbücher und verschiedene
beschreibungen von fechtschulen.
Ganz kurz ist das zweite capitel. Bei der umfänglichen litteratur über die
spielleute konnte sich der verf. darauf beschränken, nur die wichtigsten resultate kurz
zusammen zu fassen. Dabei hat er mit recht hier und später mehrfach darauf hin-
gewiesen, dass unter der grossen masse der spielleute die eigentlichen sänger und
musiker zu allen zeiten etwas besser gestellt gewesen sind. Schon zur erklärung
dieser tatsache hätte es sich hier bei aller kürze empfohlen, auf den socialen unter-
schied in der Stellung der sänger an den altgermanischen fürstenhöfen und der spätem
spielleute hinzuweisen (vgl. Vogt, Leben und dichten der spielleute s. 7 fg.). Denn
wenn Seh. s. 89, nachdem er eben die Verhältnisse des Beowulf berührt hat, die
meinung äussert, dass die blütezeit des deutschen rittertums auch für die spielleute
den höhepunkt der Wertschätzung gebildet habe, so hätte hier zu gunsten dieser alt-
germanischen sänger eine ausnähme gemacht werden müssen. Dass ihre sociale
Stellung eine ungleich angesehenere gewesen ist, ergibt sich auch aus gewissen gesetz-
lichen bestimmungen, die Seh. im dritten capitel erörtert. Er sucht darin darzutun,
dass schon in früherer zeit zwischen kämpen und spielleuten, wie später zwischen
fecht- und meistersingerschulen, gewisse gegenseitige beziehungen bestanden haben
und stützt diese annähme durch rechtliche belege für die gleiche behandlung der
beiden. Laut Sachsenspiegel und andern rechtsquellen waren beide rechtlos und
wurden mit einer Scheinbusse abgefunden. Aber hier wäre es nun von vorteil ge-
wesen, die Zeugnisse aus früherer und späterer zeit schärfer auseinander zu halten.
Die bestimmung der Lex Angl. et Werin. 5, 20 Qui harpatorem in manum
percusserit, componat illum quarta parte maiori compositione quam alter i eius-
dem conditionis hominis, die s. 101 als das gerade gegenteil der sonst [d. h. später]
üblichen anschauungen erscheint, wäre dadurch, namentlich als gegensatz zu der dem
gleichen Zeitalter angehörenden Verfügung Campionem sine compositione oeeidere licet
BRUHX ÜBER GRAF, GOETHES DICHTUKGEV 12?
Lex Fris. 5, 1, in ein viel helleres licht gerückt worden; es wäre deutlicher hervor-
getreten, dass die spätere rechtliche gleichstellung der spielleute mit den kämpen,
wenigstens in der üblichen weiten ausdehnung des begriffes spielleute, erst eine folge
der geschichtlichen entwicklung dieses Standes ist.
S. 108 geht der verf. zur Untersuchung der litterarischen und sprachlichen zu-
sammenhänge zwischen spielleuten und fechtern über. Er bringt eine grosse menge
von belegen dafür bei, dass manche dichtungen gewissermassen im bild eines gericht-
lichen Zweikampfs oder ritterlichen kämpf Spiels gehalten sind und andere die sprach-
lichen ausdrücke der fechtschulen absichtlich verwenden. Auch eine reihe von kunst-
ausdrückeu, die von fechtern und meistersingern in entsprechender weise gebraucht
werden, gehören zu diesen gegenseitigen Übereinstimmungen, die auf einen weit-
reichenden parallelismus in der historischen entwicklung und endgiltigen gestaltung
dieser beiden niedern volksklassen schliessen lassen. Noch eine fülle einzelner punkte
werden im verlaufe erwähnt, die dieses schon in der einleitung kurz zusammengefasste
ergebnis der Untersuchung zu stützen geeignet sind. Besonders dankenswert, wenn
auch für das eigentliche resultat nicht von grossem belang, weil manches in ähnlicher
weise auch von den zunftmässig organisierten hand werkern gilt, sind die Verzeichnisse
einzelner gemeinsamer Spracherscheinungen, wie der gebrauch gewisser eigennamen,
deren deutung freilich hie und da bedenklich ist (ribald aus reginbald zu ahd. wrecca
s. 133), die benennung von Strassen und platzen nach ihrem gewerbe, sodann die
zahlreichen auf ihre tätigkeit bezüglichen ausdrücke, die eine dauernde bereicherung
des Sprachschatzes bilden. Ob einzelne derselben, wie z. b. 'einem ein bein stellen'
gerade aus der spräche der f echter stammen müssen, wäre wol "anzufechten' — diese
wendung fehlt in dem Verzeichnis s. 138 fg. — , doch tut dies der verdionstlichkeit der
reichhaltigen Sammlungen keinen eintrag.
BASEL. WILH. BRÜCKNER.
Haus Gerhard Graf, Goethe über seine dichtungen. Versuch einer Sammlung
aller äusserungen des dichters über seine poetischen werke. Erster teil: Die
epischen dichtungen. Erster und zweiter band. Frankfurt a. M., litterarische anstalt.
Kutten und Loening 1901/2. XXIII, s. 1 —492; II, s. 493 — 1189. 16 m.
Dass eine Zusammenstellung aller selbstzeugnisse Goethes über seine dichtungen
einem lebhaften bedürfnisse entsprach, bedarf kaum des beweises: der einzelne forscher
wird selten so mit glücksgütern gesegnet sein, dass er die z. t. längst vergriffenen
Schriften, aus denen sie geschöpft werden müssen, alle selbst erwerben könnte; und
wie viele der hier benützten bücher wird er auch auf kleinen Universitätsbibliotheken
vergebens suchen — ganz zu geschweigen der schulbibliotheken, in denen selbst die
Weimarer ausgäbe nicht immer zu finden ist. Die anführungen in darstellenden und
erklärenden Schriften liefern dafür keinen ersatz: sie sind nicht so vollständig, dass
sich der benutzer darauf verlassen könnte, und sie sind ausgewählt und angeordnet,
um das zu beweisen, was der betr. forscher für das richtige hält. Bei Graf hören
wir im texte Goethe allein reden; das bild, welches wir gewinueu, ist vom heraus-
gebet nur insofern beeinflusst, als die zeitliche bestimmung der undatierten äusserungen
seiner forschung verdankt wird — die übrigens nicht nur das tagesdatum, sondern
tunlichst auch die tageszeit festzustellen sucht (vgl. z. b. s. 727, 798fg.)
Mancher wird, wenn er hört, dass dieser baud auf fast 1200 Seiten nur die
selbstzeugnisse Goethes über seine epischeu dichtungen enthält, unmutig denken f*fy<*
128 bbuhn Über oräi . qokthrs du iitu
•tttKÖP und ol ■■■■!. rneineo . I indigen abdrm
eräugen Goethes hätten e • önnen. Andere wieder werden es überf!
(luden, «Jiiss auch solche notizen aufgenommen ind, 'ii'' an i
ich an jenem tage mit jener dichtung planend, ausführend oder feilend beschäftigt
bat. Diesen wird man sagen dürfen, dase füi den, der den trieb nicht, fühlt, dae
fertig genos ene nun durch seinen werdezustand zurückzuvei tunlichst bis an
den augenblich der konzeption, dies buch nicbi geschrieben ist. Äher freilich ais
non b rem nisi ignorantem: wer etwa, wenn '■> Bermann and Dorothea mit
seinen Bcbülern gelesen hat, sich mit hilfe des hier gesammeil selbst die
entstehuugsgeschichte aufbaut, der wird auch solche notizen nicht missen mögen.
Rege ten aber würden wol dem allgemein gebildeten leser, nicht dem !■■■
nügt haben.
Andrerseits — der Verfasser ist bibliothokar, und diese tätigkeit soll ja für
den, der sie ausübt, nicht immer ebenso nützlich sein, wie für andere; auch er ist
nicht frei von jenem streben nach Vollständigkeit nur um der Vollständigkeit willen.
Wenn etwa Goethe am 1. Juli 1807 aus Carlsbad an Christianen schreibt: „Ich bin
schon fleissig hier gewesen und werde es zunächst noch mehr sein", oder dreizehn
monate später ebendaher an dieselbe: „Mit meinem hiesigen aufenthalte bin ich noch
sehr zufrieden, ich habe mich viel besser befunden und mehr getan als vor einem
jähre", so wissen wir, dass seine arbeit in erster Iruie den „Wahl Verwandtschaften"
und ihn „Wanderjahren" gegolten hat, aber wir würden diese stellen (nr. 1 4 r> "> und
678 = 1478a) unter den äusserungen Goethes über die genannton beiden werke doch
nicht eben vermissen. Sollten sie aber aufgenommen weiden, warum fehlt unter den
Zeugnissen für den „"Werther" die stelle aus dem briefe an J. Fahimer vom 18. Ok-
tober 1773: „Mit meiner autorschaft steht's windig. Gearbeitet hab' ich, aber nichts
zustande gebracht" (II, 111. W.)? Sie verdiente dort gewiss ebenso gut ihren platz
wie nr. 913 (an Kestner): „Und nun meinen lieben Götz! . . . Ich glaube nicht, dass
ich so bald was machen werde, das wie der das publicum findet. Unterdessen arbeit'
ich so fort, ob etwa dem strudel der dinge belieben mochte, was gescheidters mit
mir anzufangen". Oder wenn das erste Zeugnis für den „Meister" aus dem jähre 1788
(nr. 1239) lautet: „Bei meiner lebensart hätte ich sollen wohlfeiler davon kommen,
allein meine existenz ist wieder auf eine wahre Wilhelmiade hinausgelaufen", wenn
als äusserung über die „"Wahlverwandtschaften" nr. 874 geführt wird (Ich hoffe, dass
Sie die gegenwart des sorgfältigen architekten beim einsetzen Ihrer unschätzbaren
Zeichnungen nicht vermissen werden. Das zutrauen, uns so köstliche und mehr-
jährige arbeiten zu überschicken, hat beim vorzeigen sowohl, als sonst, unsere ge-
wöhnliche Sorgfalt noch erhöht), nur weil Goethe dort Boisserees anspielung aufnimmt,
so durfte auch das billet aus den theaterakten nicht fehlen, in dem Goethe „Reinecke
Fuchs" I 37 citiert (briefe an Voigt 504). Ich nenne noch einige solcher äusserungen,
deren Zusammenstellung doch auch einem ehrlichen freunde der Goethephilologie den
Vischerschen Stoff huber ins gedächtnis ruft: nr. 633, 636, 638, 639, 641a, 642, 643.
646 — sie stehen auf drei Seiten des buches! Den bibliothekar erkenne ich auch in
der erklärung der abkürzungen ; würde ein anderer die abbreviatureu a. a. o. , s. , S.,
vgl. nicht dem Scharfsinn des lesers überlassen, würde er bei einer inhaltsübersicht
der „"Wanderjahre" uns darüber belehrt haben, dass W. Wilhelm bedeutet?
Der umfang des buches erklärt sich aber auch dadurch, dass Graf dem texte
reichliche anmerkungen beigegeben hat. Sie bieten zunächst einzelne erklärungen,
bei denen nicht nur auf die mitforscher, sondern auch auf „die weiteren kreise der
LEITZMANN ÜBER N'OLTK, EINGANG HKS PARZIVAL 129
litteraturfreunde" (s. VI) gerechnet ist: ehorizouten 7,32, limbus 85, 25, asthenisch
106, 2, Obelisken und asterisken 252, 24, latitudinarier 273, 20, demos 429, 13, in.
cum et sub 499, 14, die wallfischlaus 988, 1; warum daun nicht kotyledonenartig
938, 5 oder das philtrische halsband 1079, 30? Wenn Riemer die äusserung auf-
zeichnet (nr. 1562): „Die poesie hat den nachteil vis ä vis der bildenden kunst, dass
sie nicht tvouvorirov ist" — Graf mutet seinen lesern die griechischen lettern freilich
nicht zu — so wird das fremde wort ja in der anmerkung gedeutet: „eu-svnoptos
(gr.) = gut zu übersehen, leicht zu überblicken", aber der leser wird immer noch
über den wunderlichen fremdling den köpf schütteln, wenn ihm nicht gesagt wird.
dass der ausdruck aus dem 7. capitel der Aristotelischen poetik stammt, wo eben diese
eigenschaft von der tragödie gefordert wird. So wird auch nicht jeder bei nr. 1935 :
„Auf Ostern kommen Euch die neuen 'Wanderjahre' in die bände, und da möcht'
ich immer das alte wort wieder ausrufen: 0 ihr Athenienser", den bezug auf Ap.-
gesch. XVII, 21 fg. erkennen oder wissen, dass Goethe s. 830, 11 fgg. („Ich selbst
glaube kaum, dass eine andere einheit als die der fortschreitenden Stetigkeit in dem
buche zu finden sein wird, doch das mag sich zeigen, und da es eine arbeit so
vieler jähre und, wenn nicht ein günstling, doch ein zögling der zeit ist, so
bin ich, wenn man kleines und grosses vergleichen darf, hier zugleich Homer und
Homeride") auf Herders aufsatz „Homer ein günstling der zeit" (XVIII, 420 s.) an-
spielt. Das werk Grafs bedurfte ja überhaupt keiner erläuterungen; aber wenn er
solche gab, durften auch diese nicht fehlen. — Zu den erläuterungen kommen aus-
führliche bibliographische mitteilungen, rechtfertigungen der Chronologie und aller-
hand andere nützliche beigaben, wie die musterhaft klare Übersicht über die änderungen
in der zweiten fassung des „Werther" und ihre tendenzen (554fg.), sowie über den
iuhalt der „Wanderjahre" in den beiden fassungen (904fgg.), endlich ebenso praktisch
angelegte wie sorgfältig ausgeführte register. — Nicht zum wenigsten werden wir
auch Graf dafür dankbar sein, dass er da, wo Goethe auf äusserungen anderer bezug
nimmt, diese tunlichst vollständig mitteilt: ich erwähne nur die für den unterschied
des französischen und des deutschen geschmacks so interessanten bemerkungen Bitaubea
über „Hermann und Dorothea" (s. 167), die feinen aphorismen Abekens über die
„AVahl Verwandtschaften" (s. 438 fgg.), die tiefgründigen erörterungen Solgers über das-
selbe werk (s. 474 fgg.); auch hören wir gerne Kestner über den „Werther" (s. 508 fgg.),
Jaoobi, Herner, Körner über den „Meister" reden (s. 755fgg., 852; 757fgg.; 858fgg.)-
Grafs werk wird viel benutzt werden, aber wie das bei solchen büchern brauch
ist, meist ohne nennung und ohne dank; um so mehr ist ihm — und den Verlegern, die
an der ausstattung uichts gespart haben — wenigstens ein buchhändlerischer erfolg
zu wünschen. Insbesondere sei den schulbibliothekeu die Sammlung zur anschaffung
ar gelegentlich empfohlen!
FRANKFURT A. M. EWALD BBUHN.
Albert Xolte, Der eingang des Parzival. Ein interpretatdonsversuch. Marburg,
El wert 1900. III, 66 s. 1,20 m.
Seit Lachmanus bekannter grundlegender abhandlung versucht sich der gelehrte
Scharfsinn immer aufs neue an den mannigfachen rätseln, welche die einleitunj
Parzival dem Verständnis aufgibt. Sowol was die einzelinterpretation der Worte and
Wendungen als was die darlegung des gedanklichen Zusammenhangs der einzelnen Sätze
und abschnitte betrifft, gehen die meinungen auseinander und man begreift, wenn man
ZKITSCURIKT F. DEUTSCH K t'lllLOLOGIli. HD. XNW. 1»
130 i.! n/.M w\
die schon recbl umfänglii h gewordene litteratur übet deu
resignierten keptizismus Pauls, wenn er (Beil erde vielleicht niemah
gelingen hier vollständige klarheil zu schaffen. Trotzdem aber dürfen wir den mal nichl
verlieren, an der lö ung dieser probletne zu arbeiten, and jedei versuch, dei die
wirklich fördert and ansre erkenntnis weiterbringt mn mit dankbarer freude begrüsst
werden. Die schrifl eines Bchülei von Edward Schröder kann meii
erachtens nicht als eine wesentlich fördernde leistunj angesehen werden, wenn ihr
auch einzelne gute gedanken nicht abgesprochen werden Bollen. Oleich die philo-
logische Interpretation des eingang abschnitt I. I 14), bei dei die erörterungen
den begriff des uoivels zwar das tiohtige treffen, aber doch im keime nichl neu Bind,
bedeutet einen entschiedenen rückschritt gegen die älteren erklärungen; nicht mii
anfechtbar Bind die entwicklungen der gedankengänge, bei denen ein auffallender
mangel an kombinationsgabe und an der fähigkeit scharfer logischer formulierung mit
einer ermüdenden breite der darstellong band in liand geht. Ich versuche im folgenden
mein ablehnendes urteil eingehend zu begründen und trage zugleich vor, was ich
selbst positives zur erklärung der einleitung des Parzival beizubringen habe.
Das einzige wirkliche verdienst, das Noltes arbeit hat, ist die wol endgfltige
daileguug des begriffsinhalts des Wortes xwivel, zu der ich mich zunächst wende. Zwej
verhängnisvolle irrtümer vieler kommentatoren, dass xwivel in der ersten zeile des
Paizival eine ähnliche bedeutung wie unser nhd. Zweifel habe und dass das wort in
einem spezifisch religiösen sinne, als „zweifei an gott" oder ähnlich, gefasst werden
müsse, sind nun definitiv erledigt. Zivivel hat an der betreffenden stelle eine zwar
uns im nhd. ganz ungeläufige, aber auch sonst bei Wolfram belegte bedeutung, durch
die es synonymon von zvane, unstaete, untriuwe, verxagetheit und ähnlichen Worten
ist, und ist ein allgemein sittlicher, kein in erster linie religiöser begriff. Das hat
zuerst Wilhelm Müller klar erkannt und im Mhd. wörterb. 3, 960 b ausgesprochen;
in neuerer zeit ist es besonders von Roediger in seiner besprechung der schrift von
Adam (Arch. f. d. stud. d. neuereu spr. 90, 412) betont worden. Da jedoch, wie
Nolte (s. 24. 30) zutreffend bemerkt, die ausführungen beider gelehrten fast ganz
unbeachtet geblieben sind, so war eine genauere erörterung des Wolframscheu Sprach-
gebrauchs auf grund des gesammten Stellenmaterials, das bereits mit einer einzigen
ausnähme San Marte (Parzivalstud. 2, 174) zusammengetragen hatte, durchaus am
platze. Nolte mustert (s. 6) eingehend dieses stelleumaterial und stellt es in bedeu-
tungskategorien übersichtlich zusammen, so dass auch der hartnäckigste Zweifler über-
zeugt werden dürfte. Mit seiner an- und einordnung kann man fast durchaus ein-
verstanden sein: nur für die beiden stellen Parz. 712, 28 und 733, 12 will mir die
bedeutung „besorgnis, furcht (vor dem verlust der gegenseitigen liebe)'- natürlicher
erscheinen, da ich, wie sich nachher zeigen wird, Noltes erklärung von Parz. 1, 10
und 2, 17, die ihn zur einordnung an der von ihm beliebten stelle nötigte, für ver-
fehlt halte. Gezwungen scheint mir ferner, wenn Nolte (s. 11) Tit. 51, 3 und 4 in
eine so nahe gedankliche Verbindung mit einander setzt; zeile 4 bildet einen satz
für sich, der nichts weniger als eine begründung von zeile 3 sein soll. Die Titurel-
strophe teilt mit der Nibelungen- und Kudrunstrophe die eigenheit, dass nicht selten
der gedankeugang mit der dritten zeile erschöpft ist und mit der vierten ein neuer
beginnt, der entweder in sich abgeschlossen ist oder sich dann in der folgenden Strophe
weiterspinnt. So ist es auch im vorliegenden falle: der gedanke, dass die minne überall ist,
auf der erde wie im himmel, nur in der hölle nicht, füllt 51, 1 — 3 aus; dass die minne
mit dem xwivel sich nicht verträgt (51, 4), wird dann 52, 1 auf den jungen beiden
ÜBER NOLTE, EINGANG DES PARZIVAL 131
des romans und seine geliebte angewandt und weitergeführt. Dass aber die minne
in der hölle nichts zu suchen hat, ist so selbstverständlich, dass es einer begründung
wol nicht bedurfte.
In der einzelinterpretation des ersten abschnitts der dichtung (1. 1 — 14) muss
ich Noltes auffassung an drei stellen mit aller entschiedenheit beanstanden. Was die
erste angeht, so teilt er das los, den richtigen sinn nicht erkannt zu haben, mit allen
andern erklärern; bei den beiden andern hat er richtige ansichten seiner Vorgänger
aufgegeben.
1. Ist xivtvel herzen nächgebür , dax muox der sele werden sür beginnt Wol-
fram sein gedieht Seit Lachmann behaupten alle kommentatoren in seltener ein-
helligkeit, dass diese verse den sinn hätten: „wer im irdischen leben xwtvel im
herzen trägt, dessen seele wird in der hölle dafür büssen müssen" (Nolte s. 3). Sie
würden dann also genau dasselbe bedeuten, was acht zeilen später mit etwas andern
worten noch einmal angedeutet wird: der unstaete geselle wirt ouch nach der rinster
rar (1, 10). Warum aber Wolfram in dieser einleitung, deren gedankenfülle nirgends
glatt und restlos in der sprachlichen form aufgegangen ist und so rasch weiterdräugt,
dass es zuweilen nicht leicht ist, den psychologischen faden festzuhalten, denselben
einfachen gedanken, dass der ungetreue in die hölle kommt, so kurz hintereinander
zweimal gebracht haben sollte, darauf dürfte schwerlich eine antwort zu finden sein.
Der sinn der ersten stelle muss ein andrer sein, wenn wir nicht dem dichter die
gedankenlosigkeit zutrauen wollen, dass er sich nicht nur innerhalb der ersten zehn
zeilen widerholt, sondern auch den gipfelpuukt seiner ganzen erörterung, auf den sie
am ende erst gelangen sollte, vorweggenommen habe. Die wörtliche Übersetzung
würde, wie Nolte (s. 3) sagt, den "obigen sinn „nicht in gleicher schärfe" zum aus-
druck bringen; ich glaube vielmehr, dass sie den allein richtigen sinn gibt. Es han-
delt sich darum, festzustellen, welche bedeutung die Wendung sür werden an den
andern stellen hat, wo Wolfram sich ihrer bedient; genau die gleiche wird sie vor-
aussichtlich auch hier haben. Schon San Marte hat (Parzivalstud. 2, 207) eine an-
zahl von stellen zusammengestellt, an denen das wort sür begegnet; doch sind seine
begrifflichen distinktionen ungenügend. Ich gebe das vollständige material. sür hat
die bedeutung „scharf, herhe, bitter, unangenehm, schmerzlich", eigentlich und bild-
lich, und steht in Verbindung mit folgenden Substantiven: arbeit Tit. 72, 2; dun
Willeh. 41, 22; helle Willeh. 219, 13; honten Willen. 440, 27; Ion Parz. 463, 9; ma r<
AVilleh.64, IS; not Lieder 9, 23. Parz. 644,4. 789,21 ; ougenweide Tit.23,2; pm Parz. 8 UM .
smac Parz. 790, 6; sterben Parz. 523, 24. 711, 28; strit Willeh. 21, 11 ; tac Parz. 189, 30;
tot Parz. 643, 26; ungemach Parz. 295, 4; vlust Willeh. 168, 7 Im. 457. 10; wint
Parz. 742, 13; wunde Parz. 491, 8; xins Parz. 706, 14. Willeh. 76, 8 op. In bezug
auf personen steht es Parz. 514, 19. 531, 26. 587, 14; substantiviert (da; süre) Lieder
5, 36. Die Wendung sür werden mit dem dativ braucht Wolfram ausser unsrer stelle
noch sechsmal: Klinschors Charakter ist maneger diete worden sür Parz. 656, 13;
dax dm jugent so höher minne sehin tuot, dax muox dir werden sur, sagt Artus
zu Itonje Parz. 712, 6; Giburgc süexe wart in sür, den heiden und der kristenheit
Willeh. 12, 30 (leise ironisch und wortspielend); din habe wart sinen liden sür
ironisch vom Schetis, der keinen besitz als seine waffen hatte Willeh. 244, 3<>; ei
Willehalm .... da: dir min minne ie wart so sür, sagt Giburc Willeh. 310.21;
ähnlich düsf im ril dicke worden sür iuwer swester minne Willeh. 346. 1". Die
bedeutung ist in allen angeführten stellen: „etwas irirt mir sür. bringt mich in eine
beschwerliche, unangenehme, schmerzliche, kritische läge", Dieselbe bedeutung lie^r
9*
132 in/'
nun auch an im rei teile vor, die demnach zu übersetzen wi ber-
zens nachbar, dadurch komm! die Beele m eine uaaogenehme, kriti che läge" (insofern
nämlich ihr ewigea heil dadurch gefährdet werden kann). I bei den gedanklichen
zu ammenhan li Batzei mii den darauf folgenden bandle ich später; hier ma
zunächsl genügen, den einfachen wortsinn fe tgostellt zu haben. Di( ■■■■ der
bölle nichl da mindeste: dass die hölle selbsl an einer andern Btelle sUr und hei .
.|. i lohn, den Lucifer und Beine genossen dorl empfangen, an einer dritb oannt
wird, bal doch mit dem sinn unsrer stelle nicht im entferntesten etwas zn tun.
Wenn Lachmann (Klein, sehr. 1, 483) behauptet, schon der verl Jüngeren
Titurel, der unsern eingang weitläufig parapbrasierl und der in allen rein »pn
liehen fragen eine nicht zu unterschätzende autorität beanspruchen kann (vgl. Nolte
s, 13), habe an die höllenqualen gedacht, so übersieh! er, da e dorl I > ■'>>"/ ndeh-
gebüre dem herzen iht die lenge (22, l) beisst, was. wie wir Bpäter Behen wen
vun budeutung ist.
2. Was bedeuten die worte stoä sich parrieret unverxaget manmes mnoi
(1,4)? Mau sollte meinen, dass für denjenigen, der ttvtvel als synonymon von ver-
xagetheit richtig verstanden hat, keinerlei zweifei darüber besteben könnte, dasa un-
verxaget das gegenteil davon bezeichnen, also den verwandten begriffen State, triwwe
synonym sein muss. Diese auf der hand liegende konsequenz seiner eigenen dar-
leguugen über xwirel lelrnt Nolte (s. 20) unbegreiflicherweise ab und will den sinn von
unverxaget mannes muot wider auf den engen begriff der Tapferkeit einschränken,
obwol die weitere bedeutuug „unablässig strebender sinn*' schon durch Martin (An/..
f. d. altert. 12,207) und neuerdings durch Singer (Abb. z. germ. philol. s. 361). die
autithese gegen xioivel durch Paul (Beitr. 2, 67) festgestellt worden war. Dass Wol-
fram sehr vielfach unverxaget in einem umfassenderen sinne gebraucht, wie er für
uusre stelle schon durch den gegensatz notwendig gefordert wird, lehren aufs deut-
lichste stellen wie Farz. 97, 28. 182, 18. 462, 10. 502, 28. 526, 18. 609, 16. 703, 16.
787,25. Willen. 31,10. 105,28. 458,21; ferner beachte man Zusammenstellungen
wie /er rücke unverxaget Willeh. 264, 8 und unverxaget küene Willeb. 305, 19. Unsre
stelle ist daher zu übersetzen: „wo sich damit (nämlich mit dem vorhergenannteu
xivivel) durchsetzt unablässig strebender mannessinn." Zum sich parrieren gehören
zwei dinge, die natürlich genannt sein müssen, damit mau versteht, worum es sich
handelt: Nolte hält es (s. 4) für möglich, dass nur eins dieser dinge an unsrer stelle
genannt ist, das andre nicht; ein blick auf die gebrauche weisen von parrieren, die
Paul (Beitr. 2, 67) besprochen hat, zeigt die unhaltbarkeit dieser ansieht. Was zwei-
farbig erscheint und deshalb mit der färbe der elster verglichen wird, ist aber natür-
lich nicht der unverxaget mannes muot, der vielmehr die weisse färbe repräsentiert,
sondern die seele des menschen, die in zeile 2 genannt war und hier ja noch nicht
aus dem gedächtnis entschwunden ist. Die kleine, wirklich sehr kleine inkonzinnität
des ausdrucks, die durch die anknüpfung des Vergleichssatzes an zeile 4 und 5 her-
vorgebracht wird, soilte doch bei einem dichter nicht auffallen, der uns viel auf-
fälligere härten der gedanken Verbindung in fülle darbietet, durch die sich doch noch
nie jemand das Verständnis des sinnes hat trüben lassen. Dieser „mangel an logik"
(Paul, Beitr. 2, 68), wenn man es so nennen will, wird von Nolte (s. 19) viel zu
schwer genommen: wohin kämen wir bei diesem prinzip überhaupt mit der erklärung
unsrer dichter? Sachlich möchte ich zu dem elsterngleichnis noch zweierlei be-
merken. Es ist nicht eindringlich genug davor zu warnen, es mit der person des
Feirefiz und seiner gefleckten hautfarbe, die Wolfram gleichfalls mit der der elster
ÜBEB NOLTE, EINGANG DES PABZlV.iL 133
vergleicht, in irgend eine innere beziehung zu setzen, wie das noch jüngst recht un-
glücklich Singer (Abh. z. germ. philol. s. 372) getan hat: im einen falle handelt es
sich um ein sittliches Symbol, im andern um einen rein äusserlichen vergleich der
färben; dass das vergleichsobjekt beidemal die elster ist, ist reiner zufall. Ferner
glaube ich nicht, dass das symbolische gleichnis "Wolframs eigenem geiste entsprungen
ist: zwar führt der iudex zu Mignes lateinischer Patrologie nur stellen auf, au denen
naturhistorische beobachtungen über die elster (sämtlich auf Plinius und Isidor zurück-
gehend) mitgeteilt werden, ohne dass einer farbensymbolik dabei gedacht wird; doch
möchte ich trotzdem den vergleich für traditionell kirchlich halten undglaubeu, dass
er etwa durch einen prediger dem dichter bekannt wurde und ihm im Gedächtnis
blieb; vielleicht findet sich noch einmal ein lateinischer beleg.
3. Eiuen entschiedenen rückschritt zeigt endlich Noltes auffassung von der
unstaite geselle (1, 10), wenn er (s. 5) die seit "Wilhelm Müller, Bartsch, Zarncke
und Paul ziemlich allgemein angenommene ansieht, nach der unstate hier Substantiv ist,
gegenüber der Lachmannschen, die es als adjektiv nimmt, aufgibt. Seine gründe
zerfallen bei näherem zusehen in nichts. Wenn er das adjektiv „einfacher und
natürlicher" findet, so ist das seine subjektive ansieht; wenn ihm das im genetiv
vorangestellte Substantiv „unerträglich hart" erscheint, so ist eben "Wolfram und die
gesamte mhd. poesie voll solcher härten. Interessant ist immerhin, worauf Adam
(Interpret, s. 6) aufmerksam gemacht hat, dass Lachmann selbst die stelle verschie-
den aufgefasst hat: während er in seiner bekannten abhandlung von 1835 unstate
als adjektiv nimmt, übersetzt er in seinem Königsberger Vortrag von 1819 (Anz. f.
d. altert. 5,293) „der unstätigkeit genoss". „Dazu kommt", fährt Nolte in seiner
begründung fort, „dass es der grundbedeutung von geselle (der des örtlichen bei-
sammenseins) besser entspricht, die unstete als gesellen des menschen als umgekehrt
den menschen als gesellen der unsteete zu bezeichnen; in der tat ist bei Wolfram
das erstere die regel, das letztere ausnähme"; dann werden elf stellen zitiert für den
ersten fall, dem eine einzige für den zweiten gegenübertritt. Man sollte kaum glauben,
dass eine so ärmliche und prosaisch - nüchterne betrachtungsweise der von Wolfram
so fein und poetisch verwendeten Personifikation von seelenzuständen möglich sein
könnte nach den feinsinnigen erörterungen, die Bock (Wolframs bilder u. Wörter
f. freude u. leid s. 18) dieser seite des Wolframschen stils gewidmet hat. Dieser
sagt dort (s. 19) von dem kameradschafts Verhältnisse, in das der mensch zu seinen
seelenzuständen gesetzt wird: „Dieses Verhältnis besteht oder wird aufgehoben zwischen
dem affekt und dem menschen, so dass erstens der affekt der geselle genannt wird,
zweitens der mensch der geselle des affektes und drittens affekte und eigeuschaften
untereinander gesellen heisseu". Das dann folgende stellen Verzeichnis (vgl. auch
Ludwig, Der bildl. ausdr. bei Wolfram 1, 31) zeigt, dass Noltes behauptung über
regel und ausnähme falsch ist, dass vielmehr die beiden ersten der von Bock aul-
gestellten kategorien etwa gleich häufig vorkommen, daher also kein kritorium zur
beurteilung uusrer stelle zu holen ist; ausserdem gehören fünf der von Nolte ange-
führten elf stellen zu Bocks dritter kategorio, was hervorgehoben werden muss. Den
hauptboweis für seine ansieht aber findet Nolte in dorn versc valsch geselleclicher
muot (2, 17), dessen Übersetzung bei Paul (Beitr. 2, 71) „falscher einem manne an-
haftender sinn" jedoch meines orachteus ebenso zweifellos die einzig richtige ist, als
sie Nolte „ganz verfehlt" erscheint; das wird jedem klar sein, der das bei Bock
gesammelte Stellenmaterial durchdenkt. Es scheint mir recht unnötig, dass Nolte
immer (vgl. s. 10. 14. 63) nach einem „Verhältnis" sucht, für welches die begriffe
131 I.KIIZMA.S.N
dei' treue und untreue „gelten" Bollen,
uältnisse" auoh da aus den r lichten berauszutifteln versnobt, wo wie in
den ver.sen 1, 10 und '_'. I. eine einiacl viel nähet lag
ständlioh gelten diese begriffe gar nicht nur für einzelne fälle od« e des sitt-
lichen leb< in für das gesamte sittliche verhalten Et war
ein verhängnisvoller irrtum Lach manne, die Interpretation di auf diese
baliu gelenkt zu haben, wozu ihn vermutlich die mitbeziehung des xu/iveU auf dac
Verhältnis des menschen zu gott verführt hat; er hat aber nirgends den von ihm an-
genommenen sinn beides teilen so gepresst, wie Nolte dies tut. Ich erkläre dem-
gemäss mit Adam (Interpret, s. 6): ..nach Wolframs Sprachgebrauch kann im
hier nur Bubstantiv sein-; der umtcete gesellt isl genau so zu beurteilen wie der
tumpheit und der werdekeit genoa Parz. I 12, 13. 296, 20. Ein beweis für diese auf-
fassung ist vielleicht auch noch anderswoher zu entnehmen. San Harte ist den ei
beziehuugeii zwischen Wolframs Willehain und dem Kolaudsliede des pfaffen Konrad
sorgsam nachgegangen (ich habe darauf in andrem zusammenhange Beitr. 20, 155
hingewiesen und seine beobachtungeu um eine wichtige reminiszenz vermehrt): viel-
leicht hat Wolfram auch bei unsrer stelle eine prägnante Situation bei Konra
deutlich vorgeschwebt, dass er unwillkürlich in eine wendung des älteren, von ihm hoch-
geschätzten dichtere verfallen ist. Bei dem gerichtlichen Zweikampf zwischen Binabel,
der für seinen oheiin, den Verräter Geuelun. streitet, und Tirrih sagt der letztere mit
pathos (306, 15): du lebest unlange; der tiuvel hat dich gefangen, er newil dich nihi
laxen; mit anderen dinen genoxm vuort er dich tuo der helle; dt r untriuwen bistu
geselle; ähnlich heisst es nach Vollendung des Zweikampfes (307. 17): si heten sieh
selben verteilet, alle die der untriuwen gesellen waren (bei Baumgarten. Stilist, unl
z. Rolandsliede s. 45 fehlen beide stellen). Hier haben wir nicht nur den umstrittenen
Wolf ramschen ausdruck in eindeutiger grammat. fassung. sondern auch den Woif ram-
schen gedanken, dass der ungetreue dem teufel verfällt und in die hölle kommt.
Nach erledigung dieser einzelnen iuterpretatiousschwierigkeiten wende ich mich
zu einer genaueren betrachtung des zusammenhängenden gedanklichen inhalts der
ersten 14 verse. Ich glaube hierbei am besten zum ziele zu gelangen, wenn ich zu-
nächst eine paraphrasierende Übersetzung vorlege, die ich durch eingefügte Zwischen-
sätze kurz erläutern werde. Meiner ansieht nach will der anfangsabschnitt des
gedientes folgendes ausführen. „Ist der xivtvel des herzens nachbar (tritt er ihm nahe,
in dasselbe ein), das rnuss für die seele gefährlich werden. Befleckt und zugleich
geschmückt ist (dann nämlich) derjenige, bei dem sich unablässig strebender mannes-
sinn damit (mit dem xwtvel) durchsetzt, (so dass seiue seele schwarz und weiss er-
scheint), wie die färbe (das aussehen) der elster tut. Er kann aber trotzdem noch
immer froh sein (braucht die hoffnung nicht zu verlieren) : denn beide haben (noch;
an ihm anteil, der himmel und die hölle. (Er kann es nun mit einer von beiden par-
teien halten und bereitet sich demgemäss selbst sein Schicksal zu.) Wer (1) sich
der unsteete in freundschaft gesellt, hält ganz und gar die schwarze färbe fest und
färbt sich auch nach der finsternis (wird immer schwärzer)1: demgegenüber (2) hält
1) hat in vers 11 kann nicht einfach „hat" bedeuten; es steht dem habet
sich an in vers 13 genau parallel und nur, wenn man ihm den siun ., hält fest"
beilegt, entgeht man der notwendigkeit, in vers 12 eine tautologische widerhol ung von
vers li zu sehen. Noltes Übersetzung des uirt durch ..wird .... nach dem rode"
(s. 16) schwebt gänzlich in der luft; denn von dem Schicksal der seele im jei
ist hier direkt gar nicht die rede und am allerwenigsten kann sich etwa vers 1 1 auf
dieses, vers 12 auf jenes leben beziehen.
ÜBER NOLTB, EINGANG DES PABZTVAL 135
sich an die weisse der freund von sttcten gedanken". Von drei menschenklassen,
den treuen, untreuen und gemischten (so noch jüngst mit unglücklicher begründuug
durch die neutralen engcl, die doch gar nicht hierher gehören, Singer, Abh. z. germ.
philol. S. 300 und Zeitschr. f. d. altert. -14, 321), ist meines erachtens nicht die rede.
"Wolfram schildert vielmehr die psychologisch -ethischen prozesse, die der eintritt des
Mcivcls in das herz des menschen bedingt. Er befleckt ihn und macht ihn so elsterfarbig,
wodurch er halb dem himmcl und halb der hölle angehört, also sein ewiges heil aufs
spiel gesetzt wird. Von nun an spaltet sich die eutwickluag nach zwei entgegengesetzten
richtungen, je nachdem der mensch mit dem schwarzen oder dem weissen element
sympathisiert und freuudschaft schliesst (geselle ist bei weitem mehr als nächgebur:
zu letzterem kanu man sich auch feindlich verhalten). Im einen falle wird er immei
schwärzer und erwirbt sich die Verdammnis der hölle, im andern immer weisser und
der Seligkeit des himmels würdig. So, indem wir uns vorstellen sollen, dass die
eine färbe die audere abstechende hälfte allmählich sich assimiliert, haben wir uns
das symbolische farbengleichnis auszudenken. So hat es schon der jüngere Titurel
verstanden, wenn er (24, 3) sagt: da% sin agelstervarwe sich vereitle und werde
übend der blanken, und übe diu blenke siel/ aber danne entreine; dass erst ein
kameradschaftliches Verhältnis, also eine dauernde Verbindung mit dem xicivel zur
hölle führt, scheint dort durch den zusatz die lenge (22, 1) ausgedrückt zu sein,
durch den die sätze des Originals 1, 1 und 1, 10 gewissermassen kombiniert werden.
Es ist der in der christlichen Sittenlehre seit der zeit der apostolischen väter un-
zählige male begegnende, für die predigt so fruchtbare gedanke der beiden wege des
lichte und der finsternis, die der mensch zu beschreiten freie wähl hat, eine nicht
streng augustmische, aber populärkirchliche ansieht, die hier im ciugang des Parzival
und noch einmal im dritten buche in der religiösen Unterweisung, die Herzeloide
ihrem söhne erteilt, deutlich anklingt (vgl. auch San Marte , Parzivalstud. 2,43). Mit
monumentalen strichen werden, hier wie dort mit hilfe symbolischer bilder, die beiden
grossen feindlichen mächte, zwischen die der mensch mitten inne gestellt ist, in
ihrem wesen und ihren Wirkungen auf sein Seelenheil gezeichnet.
Strittiger noch sind die beiden folgenden abschnitte der einleitung (1,15 — '-'. 1
und 2, 5 — 22), sowol was die erklärung des einzelnen als was den gedankenzu-
sammenhang angeht. Noltes ausfühmngen über den letzteren, die er selbst (s. 45)
teilweise der willkürlichkeit zeiht, sind ungenügend und lückenhaft; einige Zeilen
weiss er überhaupt in der von ihm beliebten gedaukeuentwicklung nicht recht unter-
zubringen (vgl. s. 44). Ich gehe auf seine und der andern erklärer auffassung dieser
eutwicklung nicht durchweg genauer, zustimmend oder polemisierend, ein, sondern
gebe gleich meine eigene ansieht darüber, was Wolfram eigentlich mit diesen aus-
fuhrungen hat sagen wollen. ,,Für die tumben fliegt dies gleichnis zu rasch vorüber,
als dass sie ihm auf den grund zu kommen und das dahinter liegende Symbol zu
erkennen vermöchten. Aber es ist seine natur, dass es rasch entschwindet wie ein
aufgescheuchter base. Diese rasche Vergänglichkeit teilt es mit dem Spiegelbild und
dem träum des blinden: beide zeigen uns eine gestalt. aber das bikl ist von kurzer
dauer, verschwindet wieder und wird bald vergessen. Niemand ist so töricht, mich
auf der Innenfläche der hand zu raufen, wo ich keiue haare habe, d. b. etwas klär-
lich anmögliches zu versuchen. Genau so anverständig wäre es, auf solche Schreck-
nisse, die doch gar nicht vorhanden sind, mit schmerzensschreien zu reagieren und
von dingen dauer zu erwarten, dio ihrer aatur nach vergänglich sind wie teuer im
wasser und tau an der sonne. Ks ist aber auch niemand so wist , dass er nicht gern
13C
belehrang darüber annehmen könnte, was meine eingangsbetrachtui
und welche ittlichen forderungen sie enthalten. Dil je letzteren abei «itiv
and negativ, anmahnenden and warnenden mhali - Wei sieb auf
trastierenden mögliohkeiten reohl versteht, da is( dei wahre weist-, der
richtige trififi Falsche] einem menschen anhaftender inn (mangelnde fähigkeil
schon " beurteilen and daraus entspringende ansittliches odei «
handeln) dagegen bereite! /.m bölle zu und knick! die werdekeii wie ein hagelschlag
die hohe aaat*. Im einzelnen möchte icb zn diesen zv itten noch
bemerken. Fliegende* bUpel heissl wo! schwerlich, wie Nolte i i. 51) und Bchon früher
Stoscb (Zeitschrift 28, 50) wollen, „gleichnie von einen it i>i
linie: das zeig! schon der jüngere Titurol und die anspielung in sn;
Frauenehre, wenn es wirklich eine ist; ich fasse es mit Grin wörterh. 3,
1786) als „leicht entschlüpfendes gleichnis" und verweise auf die ähnlichen dort an-
geführten belege. Die differenz der kommentatoren in bezug auf die bedeutunf
erdenken (vgl. Nolte s. 37) scheint mir gesucht: das gleichnis verstehen kann doch
nur heissen das dahinter liegende symbol erkennen, wie ich in Keiner obigen para-
phrase bereits gesagt habe, und mit dem symbol selbst ist auch sein sittlicher inhalt
gegeben. Spiegelbild und träum als Sinnbilder der Vergänglichkeit sind biblisch: hiecom-
parabitur vi/ro consideranti vultum nativitatis suae in spt < ulo: eonsid* ravit t nim s< ei
abiit et statvm oblitus est . qualis fuerit Jac. 1, 23 »n Adam, Interpret, s. 10;
noch in Goethes epistel 1, 25, vgl. Hehn im ßoethejahrb. 8, 194); velut somniwn
avolans non mvemettir Hiob 20, 8 (vgl. noch psalm 72, 20; eccles. 34, 1; Jes. '29, 8).
Zi,i anderhalp an dem glase geliehet (die lesart von D gelichent könnte gehalten wer-
den: Graff 2, 118 belegt ahd. gilihhinon im gleichen sinne wie lihhön) ist sicher
nichts als eine Umschreibung für „Spiegel" (vgl. Nolte s. 43). Zu des blinden
troum hätte Singer (Abb. z. germ. philol. s. 412) nicht noch einmal Freid. 55, 1 her-
anzuziehen brauchen, da schon Lachmann (Klein, sehr. 1, 490) auf Renner 7900 hin-
gewiesen hatte: beide stellen sind identisch. Für das in seiner grundbedeutung noch
immer nicht recht aufgeklärte roum findet sich ein alter, bisher unbeachtet g<
bener beleg in der mit vielen deutschen Worten durchsetzten physik der heiligen
Hildegard, abtissin von Rupertsberg: de räum, <[iii desuper natat, ungttenlum fac
beisst es dort mehrfach bei rezepten zu medikamenten, deren bestandteile zunächst
in wasser gekocht werden (Patrol. lat. 197, 1301a. 1302c. 1303b). Da» glichet miner
ivitxe iedoch fasse ich trotz Martins einsprach (Anz. f. d. altert. 25, 362) mit Roediger
(Arch. f. d. stud. d. neueren spr. 90, 413) ironisch; auch hier ist Singer (Abb. z. germ.
philol. s. 412) mit seiner bemerkung zu spät gekommen (ebenso hat 21, 17 schon
Adam zu 2, 11 verglichen). Noltes angriffe auf Sievers' erklärung von 2, 6 (s. 38)
sind meines erachtens bedeutungslos: wenn er sich den artikel von Sievers noch ein-
mal genauer ansieht, wird er das selbst zugeben; im übrigen verweise ich für diesen
und die beiden folgenden verse auf die gute darlegung Adams (Interpret, s. 14). Dass
ich in der auffassung von 2, 17 weit von Nolte (s. 41) abweichen muss, zeigen meine
früheren erörterungen. Zum Schlussgleichnis des dritten abschnitts, dessen Verständnis
durch die von Sievers beigebrachte lateinische fabel gefördert, wenn auch noch nicht
vollkommen aufgehellt worden ist, kann ich nichts irgendwie gesichertes beibringen.
Bis 2, 22 geht der eigentlich schwer verständliche teil der einleitung; die nun
folgenden abschnitte bis 4, 26, die Nolte uoch in seine analytische betrachtung ein-
bezieht, bieten im allgemeinen der erklärung nur geringe Schwierigkeiten und ich
kann mich daher auf die erörterung zweier eiuzelheiten hier beschränken. Under-
i i;kj; N'OLTK, KI.v.a.v, DES l'AKZIVAl. 137
bint (2, 23) soll nach Nolte' (s. 53) „einlage, die zwei teile des gedicktes trennt"
bedeuten. Dass das wort bei dem Verfasser der Minneburg etwas wie „exkurs" bedeutet,
beweist für Wolfram nicht das mindeste, namentlich wenn die ganz gebräucbliche be-
dcutung „unterschied" an der betreffenden stelle einen genügenden sinn gibt. Und
das ist der fall: schon Lachmann hat ganz richtig die maneger slahte underbint mit
den früher aufgezählten kontrastierenden positiven und negativen lehren identifiziert,
die dort schanze genannt werden. Ich begreife weder, warum diese deutung „ziem-
lieh willkürlich", noch, warum sie „unbefriedigend" sein soll; es liegt meines erach-
tens gar kein grund vor, nach einer andern erklärung zu suchen, und es ist auch bis
auf Nolte niemandem eingefallen. Auch underslac Parz. 534, 5 kann ich nicht im
sinne von „exkurs" gelten lassen, sondern nur als „trennende Avand, trennungsmittel"
verstehen: Wolfram meint, seine weisen betrachtungen über miuneschmerzen könnten
Gawan seinem unglück leider nicht entziehen, so gern er dies auch wolle; seine worte
Hessen sich als trennungsmittel nicht mit erfolg anwenden. Endlich noch ein wort
über cd die äventiure sin (3, 18): Lachmann übersetzt „alles, was einem zugekommen
ist, all sein vermögen und glück", Adam (Interpret, s. 20) „all sein in edelsteinen
deponiertes gut", beide beziehen also das sin auf den besitzer des edelsteins; das
richtige gibt Sau Maite (Parzivalstud. 3, 166), wenn er übersetzt „mit all seiner Herr-
lichkeit11 und das sin auf den rubin selbst bezieht.
Was endlich Noltes annähme einer späteren einfügung der abschnitte 1, 15 bis
4, S betrifft, die Wolfram erst vorgenommen habe, nachdem schon ein gewisser teil
seines werkes dem publikum bekannt geworden und dessen kritik ihm zu ohren ge-
kommen sei (s. 49. 52. 61), so ist sie für mich gänzlich undiskutierbar. Ihre be-
gründung durch das dogma der dreissigerabschnitte (s. 57; mit Zarnckes bekanntem
und wichtigem aufsatz über Lachmanns zahlenmystik setzt sich der Verfasser nicht
auseinander; er zitiert nur Hagens doch deutlich redende Statistik, bekennt sich aller-
dings von ihr nicht überzeugt) könnte man für eine ironisierung dieser ganzen zahlen-
spielerei halten. Man höre die „regel", die sich nach Xolte für die abschnitte der
ersten drei bücher ergibt: „Die zahlen 30 und 32 herrschen neben einander vor; viel
weniger zahlreich, obwol nicht selten, sind absätze von 28 zeilen; andre zahlen da-
gegen, wie 26, 34 und andre, sind ausnahmen und ganz vereinzelt .... Charak-
teristisch ist also für die ersten drei bücher, dass nicht eine normalzahl durchgefühlt
ist, sondern zwei (30, 32), und dass die grösseren und die kleineren abschnitte si< h
nicht gegenseitig ausgleichen''. Wo bleibt da überhaupt noch ein gesetz oder 'ine
regel? Es ist unbegreiflich, wie nach Zarnckes einleuchtenden darlegungen über-
haupt noch jemand solche argumente ernstlich ins feld führen kann. Auf die aus
dem inhalt gefolgerten erwägungen, die Nolte zur annähme eines underbints führen,
gehe ich nicht näher ein, da sie mir zu subjektiv sind: der Verfasser hört hier das
gras wachsen.
Wichtiger ist eiu andrer gesichtspuukt, unter dem man die frage einer späteren
entstehuug, zwar nicht einzelner abschnitte, aber dos gesamten oingaugs, betrachten
kann: ob nicht vielleicht der gesamte, die ersten boiden bücher umfassende Gahnui-
retroman erst später dem werke vorgeschoben wurde. Diese ansieht ist bekanntlich
von Schönbaeh zuerst ausgesprochen und von Ludwig Grimm zu beweisen versucht
worden. Nolte freilich hält sie (s. 61 anm.) für ^gänzlich unannehmbar" und glaubt
wol gar durch seinen waffengang gegen Glimm (Anz. E. d. altert. 25, 'Jül'i ihr schon
den garaus gemacht zu halten. So einfach lässl sich aber doch aii lit mii
mechanischen Zahlenstatistik , die das ethos der erzählung und alle andren inneren
i:;s outH
»nomento der dichterischen teohnis und psyöhologie verna <io Litterargeschicht-
liohea problem lösen: ich freue mich bei diesem meinem glauben der willkommenen
Übereinstimmung mii Schönbach (Oött. gel. anz. 1901, 146). Dass seine byp I
über den Gahmuretroman einer begründung mit amfassenderem und eingehende!
wertetem material als dem von Glimm beigebrachten Fähig ist, denke ich in aller-
nächster zeit zu zeigen; dann wird auch auf die beurteilung des eingangs zurückzu-
kommen sein.
JENA. Al.Uhlil I.M1Z.M .
Louis 1*. Hotz, La litterature comparee. Essai bibliographique. Iutroduction
par J.Texte. Strasbourg, Trübner 1900. XXIV. L23 s. 4 m.
Die bezeichnung 'Vergleichende litteraturgeschichte' ist keine ganz glück-
liche, denn sie gibt keine erschöpfende Vorstellung von den verschiedenen aufgaben
dieser jungen Wissenschaft. Es handelt sich bei ihr ja nicht allein um eigentliche
vergleichuug, nicht nur darum (wie bei der vergleichenden Sprachwissenschaft oder
mythologie) aus verschiedenen sonderentwicklungen das aus gemeinsamer würze!
entsprossene, übereinstimmende durch wissenschaftliche vergleichung herauszustellen,
nicht bloss darum, litterarische ideen, stoffe, formen, werke und ganze geistige
Strömungen über alle nationalen schranken hinweg in 'ihrer totalitiit zu verfolgen und
von hier aus die entwicklung grösserer litterarischer gruppen zusammenhängend klar-
zulegen, sondern die vergleichende litteraturgeschichte bemüht sich auch, hiervon
abgesondert, das gauze gebiet litterarischer beeinflussung von uation zu nation im
einzelnen in den bereich ihrer betrachtung zu ziehen, sie wird also auch zugleich
eine gesehichte der vorübergehenden entlehnuugen , der nur zeitweiligen beeinflus-
sungen sein. Da nun aber jedes kulturvolk dem andern gegenüber stets einfluss zu
üben oder zu leiden vermag, und solche einzelbeeintlussung oder -entlehnung auch
stets in der umfassendsten weise stattfindet, so sehen wir die vergleichende litteratur-
geschichte ein ganz ausserordentlich umfangreiches gebiet bearbeiten, das mit der fort-
schreitenden entwicklung sich noch immerwährend erweitert. In seinem "Essai' hat
es nun B. unternommen, dieses ganze gebiet nachdem heutigen stände der forschung
bibliographisch durchzumustern. Jos. Texte, professor der vergleichenden litteratur-
geschichte an der Universität Lyon, hat zu der arbeit B.'s eine einleitung geschrieben.
Hierin werden, nicht gerade sonderlich geschickt, die fragen aufgeworfen, ob eine
solche bibliographie möglich und ob sie nützlich sei. Durch die zweite frage, an sich
überflüssig, will T. nur darauf hinweisen, dass die vergleichende litteraturgeschichte
sich lange in nutzlosen ästhetischen erörterungen bewegt habe und erst durch Schulung
an den anderen im eigentlichen sinne vergleichenden diseiplinen zur vollen Wissen-
schaft herangewachsen sei. Ebenso soll die erste frage nur dazu dienen, die vier
hauptgesichtspunkte hervorzuheben, die sich uach T. für die vergleichende litteratur-
geschichte ergeben, und zwar 1. Questions theoriques et questions generaux. Hierher
gehören ihm werke, wie die „Comparative litterature" von H. M. Posnett und die
„Prinzipien der litteraturwissenschaft " von A. (!!) Elster etc. 2. La litterature populaire
comparee ou le folklore. 3. La litterature moderne comparee ou Tetude comparative
des monumeuts proprement litteraires — also die Wechselbeziehungen zwischen den
verschiedenen litteraturen im einzelnen, die gesehichte einzelner werke in den anderen
litteratureu, wie etwa „Homer in der weltlitteratui"', wovon als von seinem lehens-
vverke Michael Bernays träumte. 4. L'histoire de la litterature generale . . . exposer
ÜBEB BETZ, LA LITT. COUPABEE 139
d'eusemble le developpement simultane de toutes les litteratures ou tout du moins,
d'uu groupe important de litteratures. Diese sachliche einteilung ist nun aber in der
nachfolgenden hibliographie fast ganzlich verwischt. Für ihren Verfasser bittet T. um
nachsieht und nennt dessen arbeit „une tentative aussi uouvelle . . que . . temeraire . .
uu travail ni completc ni definitif", B. selbst bezeichnet sein c. XIII nur als „esquisse
d'uu essai bibliographique". Aber selbst wenn mau auch diese einschränkuugeu
berücksichtigt, so ergibt sich doch bei vergleichung der stolzen flagge und der
etwas ärmlichen ladung ein bedenkliches missverhältnis. C. I und II enthält Etudes
theoriques und Les rapports litteraires generaux de la France, de l'Allemagne, de
l'Augieterre, de l'Italie et de l'Espagne, dann folgen die einzelnen länder in ihren
besonderen beziehungen zu einander: c. III La France et l'Allemagne, c. IV La
France et l'Angleterre, c. V LAngleterre et 1'Allemagne, c. VI L'Italie, c. VII
L'Espagne (et le Portugal), c. VIII die nordischen und slavischen litteraturen , in
c. X Frankreich, Deutschland und England in ihren litterarischen beziehungen zu
„einigen anderen" ländern, der einfluss der provencalischen poesie c. XI, dann noch
ein capitel (XII): L'antiquite grecque et romaine (et l'Orient [!]) dans les litteratures
modernes und schliesslich c. XIII: L'histoire dans la litterature. Und diese ge-
waltigen stoffmasseu auf zusammen 109 seiten ! Die französisch - deutschen be-
ziehungen vom mittelalter bis zum 17. Jahrhundert — einschliesslich der ganzen
mhd. blütezeit — werden auf etwas über vier seiten abgemacht, Moliere in Deutsch-
land hat nur 35, Goethe und die französische litteratur gar nur 74, Moliere in Eng-
laud nur 12, Shakespeare in Deutschland nur 177 nummern; das ganze klassische
altertum in der deutschen litteratur ist mit 125 titeln erledigt! Und dabei bleibt B.
nicht etwa bloss bei dem hauptsächlichsten und wertvollsten stehen: unbedeutende
einzelheiten, ja nebensächliches wird aus revuen, illustrierteu Wochenschriften, monats-
heften, ja sogar aus feuilletons (anzeigen französischer Faustübersetzuugen etc.) herbei-
geholt, die seiten zu füllen. Es steht in keinem Verhältnis zu dem ganzen, wenn
dem aufcnthalt Heines in Frankreich allein sechs nummern gewidmet werden, mit
Vorliebe wird P. Lindau citiert, auch eine nummer: Jules Claretie und sein aufenthalt
in Deutschland (Frkft. ztg.) findet sich (s. 23). Dagegen ist Vv\ Foerster nur mit einer
einzigen nummer erwähnt, die Studien zur litteraturgeschichtc von Bemays ebenso
wie Fuldas arbeit über die englischen komödianten in Deutschland fehlen, ebenso eine
reihe anderer arbeiten, die B. z. b. in den vortrefflichen bibliographien des Euphorion
bequem hätte zusammenfinden können. W. Scherer fehlt ganz, ebenso wird Hettneis
liauptwerk gar nicht, Brandes nur gelegentlich erwähnt. Man sieht klar, der verf.
hat wahllos zufällig gerafft, nicht systematisch gearbeitet, und das ganze ist in
Wirklichkeit kein essai bibliographique, auch keine esquisse, ja nicht einmal eine
esquisse d'uu essai. Und was vorliegt, befriedigt auch nicht einmal durch seine Zu-
verlässigkeit. Ausserordentlich häufig fehlen die voruamen der Verfasser, ebenso wie
die erscheinungsorte der werke, selbst bei Programmen; die Orthographie der vei-
fassornanien lässt zu wünschen übrig [s. 8. 9 Behagel; s. 19 Gothoim; s. 16. 18. 11
Trautwein (nur s. 41 richtig Trauttwoin); s. 29 Maximer (Maxeiner s. 27); s. -12
Gisbert Vincke; s. 03 F. Waldberg; s. 94 11. Büchler (Bücholer) etc. — alle nameu
so auch im register! In dem Verzeichnis der benutzten quellen wird citiort s. XV 111:
Zeitschrift für deutsches altertum und deutsche litteratur t. I 1857. Der erste band
dieser Zeitschrift erschien aber bekanntlich ISN, mit dem 13. (1867) begann eine
nouc folge und erst seit 1876, seit. Scherors eintritt, erhielt sie den zusatz „und
deutsche litteratur1'; ebenso hat, der aufsat/. von IBai'tsoh iiher die aaohahmunj
L40 ivtjm.
Folquets von Marseille durch Rudoli von Emi als '/. f. d. alt. XI
and XVIII L867. 1874' (Z.f.d.alt. Land XI erschien 1859, band XVIII 1875!) ein
gänzlich falsches oitat. Die s. 27 erwähnte chrifl ron Maxeiner ist in Wirklichkeit
inir eine bespreohung dieser schritt durch Picquei und der band Romania XXVII.
der sie enthält, isi nicht 1888, sondern 1898 erschienen; a. 26: die al
Brandstätter steh! oicht Eerrigs archiv 1868, aondern 1869; ...Will: dei ei b band
der Z.f.ygl. lit< gesch. erschien 1887 nichl 1888; die briefe Voltaires an den kur-
pfälzischen minister Buker stehen eicht Z. f. gesch. des Oberrheini II 1885, ondern
n. r. II (II. bd.) 1887 usw. usw.: R. .M. Meyers güni : il äherdie Zuverlässigkeit
der angahen (Euphor.Yll (1900) s. 797) kann ich somit nicht zustimmen. Der :
wird aber- von nutzen werden können, wenn owol das beizubringende material, als
auch die angaben im einzelnen erneuter genauer nachprüfung unterzogen wei
BONN. K- l
ilberl Pol/in, Studien zur geschichte des deminutivums im deutschen.
[Quellen und Forschungen zur sprach- und kulturgeschichte der germanischen
Völker. Herausgegeben von Alois Brandl, Ems! Martin. Erich Schmidt
I.XXXVIIL] Strassburg, Karl J. Trübner 1901. 109 s. 3 m.
Die alid. originallitteratur enthält sehr wenig deminutiva, auch in den besseren
Übersetzungen sind sie sehr selten. Dagegen bieten die glossen zahlreiche b<
und zwar werden nicht nur wirkliche lateinische deminutiva durch deutsche wider-
gegeben, auch solche, deren deminutiver sinn ganz verblasst ist, sondern sogar
winter, die gar keine deminutiva sind und nur durch ihre endung irgendwie an
deminutiva erinnern. Ein glossator bringt es zu stände cocodrülus mit linttoürmelin
zu übersetzen, ittful« wird durch biseofes hübelin, GinguVwm durch darmgurteltn
widergegeben. Einige dieser durch miss Verständnis gebildeten deminutiva sind usuell
geworden: kämlin = camelus; f ähnlein — vexillwu ; (eine sache geht am) Schnürchen
perpendiculum; stündlein (todesstunde) = artieulus. Auffällig ist. dass im
deutschen gerade solche tiernamen deminutivbildung zeigen, die sie auch im latei-
nischen haben. Aus diesen tatsachen geht hervor, dass die ursprünglich selten ge-
brauchten deminutiva nicht ohne starke beeinflussung durch das lateiu ihr verwen-
dungsgebiet erweitert haben. So weit stimme ich den ausfuhrungen P.'s zu. Aber
P. übertreibt, er will möglichst viel auf rechnung des latein setzen. Am liebsten
möchte er sogar die form des Suffixes -Im aus dem romanischen (ital. -Uno) her-
leiten. Das geht nicht. Das ahd. hatte, was auch P. nicht bestreitet, ein deminu-
tives /- suffix, dessen genus sich nach dem des grundworts richtete (scalkilo, niftila),
im lat. wie im romanischen stimmt das deminutiv ebenfalls im genus mit dem grund-
wort überein, und da soll das ahd. gegen den fremden und gegen den eigenen ge-
brauch ein entlehntes suffix immer neutral gebraucht haben. Das ist unglaublich.
Das Im- suffix muss sich auf deutschem boden entwickelt, es muss tm- deminutiva
gegeben haben auch vor dem einfluss des latein. Ebenso ««-deminutiva. P. meint,
dass das m- suffix (seif f in) nur aus Verlegenheit deminutiv gebraucht wurde, nach
rmalogie der bezeichnungen von tierjungen (xicMri). Dass die namen von tierjungen
zur Verwendung dos -in als deminutivendung geführt haben, ist nicht unwahrschein-
lich; aber unwahrscheinlich ist es. dass ein glossator aus blosser Verlegenheit etwa
navicula mit skiffi übersetzt bat, weil \icld die kleine ziege bedeutete. Es muss
chon deutsche /«-deminutiva gegeben haben. Nebenbei bemerkt, warum schleppt
.IKLLIXF.K ÜBER SCHÖTTELIUS ED. KOXDEWEV. 141
P. fingiri, vingerlin durch alle seine listen fort? Es soll eine durch anulus ver-
anlasste deminutivbildung sein. Aber das wort ist gar kein deminutiv, fhajirt verhält
sich nicht zu fingar, wie skiffi zu skif, es bezeichnet das zum finger gehörige, es
nmss wider eine ursprüngliche deutsche (bez. gerin.) bildung sein.
P. weiss die widersprechendsten erscheinungen für seine these zu verwerten.
Hat ein text wenig deminutiva , so zeigt er die alte sprödigkeit des deutscheu gegen
diese bildung; sind die deminutiva zahlreich, in verschiedener bedeutungsschattierung
vertreten, so ist das einfluss des latein: ,die mannigfachen feinen abtönungen und
Schattierungen, die das deminutivum im lateinischen in jahrhundertelanger, auf ge-
bildeter Sprechweise beruhender entwicklung ausgebildet hatte, fielen der deutschen
spräche als reife f nicht in den schoss.' Zeigt sich aber in modernen dialekten die
dernimitivbedeutung so abgeschwächt, dass das suffix keine bedeutungsnuance her-
vorzubringen scheint1, so weist dies wider auf fremden einfluss, ,der eine Unsicher-
heit und willkür des gebrauchs hinterlassen hat, die einer echt deutschen bildung
erspart geblieben wäre'.
Doch das sind Übertreibungen, wie sie in einer erstlingsarbeit selten fehlen.
Der talentvolle verf. wird sie gewiss in zukunft vermeiden lernen. Freuen wir uns
der mannigfachen hübschen einzelbeobachtungen. So wird bemerkt, dass Wulfila
barnilo und mawilo nur in der anrede gebraucht. Im mhd. erscheint das deminutiv
gerne neben einer negation2. Der minnesang, namentlich der spätere, liebt es, alle
körperteile der geliebten frau durch deminutiva zu bezeichnen. — Aufgefallen ist
mir, dass P. den starken gebrauch, den Heinrich von Freiberg vou deminutiven
macht, nicht näher besprochen hat.
1) Eingehender bat P. die anwendung der deminutiva in den mundarten nicht
untersucht.
2) Es kennzeichnet aber durchaus nicht ,eine gewisse unfertige Unsicherheit
des mhd. deminutivums, dass es sich gerne an ein die bedeutungsriehtung weisende
wort anlehnt'. Nicht das deminutiv lehnt sich an, sondern die negation attrahiert
ein wert, das ein kleines, unbedeutendes ding bezeichnet. Beispiele von solchen
Wörtern, die keine deminutiva sind, kennt jeder.
WIEX. M. H. JEM.INEK.
Friedens sieg. Ein freudenspiel von Jiistus Georg Schottelius. 1648. Heraus-
gegeben von Friedrich E. Koldewey. [Neudrucke deutscher litteraturwerke
des XVI. und XVII. Jahrhunderts nr. 175.] Halle a. S., Max Niemeyer 1900.
V, 78 s. 0,60 m.
Im jähre 1642 wurde Schottelius' freudenspiel zu Braunschweig im fürstlichen
burgsaal aufgeführt, die rollen wurden von den jungen herzögen von Braunschweig,
Anton Ulrich und Ferdinand Albrecht, den Zöglingen des dichters, und ihren gespielen
dargestellt. Erst 1648 erschien das stück im druck. Zum text des vorliegenden
neudrucks möchte ich folgendes bemerken. S. 7 z. 25 ist doch sicher E. F. Qn. statt
F. F. On. zu lesen, s. 15, z. 12 (es hat auch seine Zeiten Der Sprachen) grosser
{Ruhm) st. grossen, s. 18 z. 10 lobwirdige st. lobwidrige, z. 4 v. n. wahrscheinlich
{mit) deinen {veraunfftlosen Woltahten)\at. deiner, S. l'.i /.. 2 v. u. selbst st. felbst,
s. 22 z. 12 Asiatische st. Asiasische, z. 25 Büchsen st. Vüchsen, s. 23 z. 11 hundert'
mahlen st. hudertmahlen, s. 25 z. 13 flehe st. //che, s. 31 z. 6 vielleicht (Erlöse mich
doch nur) davon st. darin, s. 47 z. 20 aviairen st. ovifiren, s. 49 z. 21 (ehe er die
I t _> I ■ II 1 1 II
Probe seiner Tapfrigkeü n/so) verrichtet t. vernichtet, .64 / 13 den iL der. Selt-
;, rweise lial der berau geber die eitenanfänge de nicbtpagiuierteu
zwar immer bezeichnet, aber nur bis zu den fünften blättern gezählt. Natürlich
ind bücher in octavformal nur bis zum 5. blatl de bogen igniert, aber in oeu-
drucken bezeichne! man die Seitenanfänge , um im original etwas leichl zu finden.
\\ :i machi man mit den blossen klammern ohne zahlen? Üb alt in de$
einleitung jede bibliographi che beschreibung.
WIEN. M. II. .IEI.I.INKK.
Die d eutsch -f ran zösische Sprachgrenze in der Schweiz. Von
dr. J. Zlmmerll. [II. teil: Die Sprachgrenze im Wallis. Nebsl 17 lauttabellen
iiml :; karten. Basel und Genf, Georg 1899. 154
Deutsche and Romanen in der Schweiz. Von H. Morf. Zürich, Fäsi 8 Beei
1900. Ol s.
Über den stand der mnndarten in der deutschen und französischen
Schweiz. Von Tappolet. Zürich, Zürcher <t Furrer 1901. 40 s.
1. Zimmerli hal seine 1890 begonnene zehnjährige Wanderung durch die
Schweiz nunmehr vollendet und damit sein wichtige.'; werk (vgl. Zeitschi. XXV. 26(3
und XXIX, 283) zum abschluss gebracht. Im vorliegenden dritten teil wird die
romanisch -deutsche Sprachgrenze im Wallis dargestellt und auf zwei sehr eingehenden
karten veranschaulicht. Auch hier geht er von ort zu ort, überall die flurnamen
und die namen aus älteren Urkunden heranziehend. Diese urkundlichen stellen sind
von um so grösserer hedeutung für die Sprachgeschichte, als meines wissens ein zu-
sammenhängender text des romanischen Wallis aus dem mittelalter nicht auf ans
gekommen ist. Auf diese feststellungen folgen ethnologische erörterungen und be-
trachtungen über den verlauf der Sprachgrenze in der Vergangenheit. Unter der
Überschrift „Zusammenfassung der historischen ergebnisse" wird sodann ein blick
auf das gesamte durchschrittene gebiet geworfen, und dabei der Veränderungen ge-
dacht, welche die Sprachgrenze im laufe der geschichte erfahren hat, mit besonderer
hervorhebung der deutschen Ortsnamen auf romanischem gebiet, in soweit sich
solche aus Urkunden belegen lassen. Die drei letzten abschnitte behandeln die
Sprachmischung in der französischen Schweiz, den lautstand der deutschen grenz-
niundarten des Wallis, den lautstand des französischen dieses kantons. Zur ein-
gehenden begründung dieses abschnitts sind 17 doppelseitige lauttafeln angehängt,
die ein jedes der ausgewählten lateinischen stammworte durch 13 mnndarten ver-
folgen. Dankenswert ist auch die beigäbe einer karte der Schweiz, welche die Ver-
teilung ihrer vier sprachen auf grund der Volkszählung vom 1. dezemher 1888 er-
kennen lässt.
Zu einzelheiten finde ich nicht viel zu bemerken. S. 61 , der franzosische
name von Lenk (heute Leik/_ ausgesprochen) lautet Loeche. Er ist offenbar aus
dem deutschen namen entstanden, bevor die labialisierung des eu aufgegeben wurde.
— S. S7, eine etymologie der orte, welche Oösehenen oder Gesehenen heissen, hat
kürzlich Salvioni in La Lettora I, 719 (august 1901) aufgestellt: er leitet den namen
von it. cascina her und das letztere nicht von lat. caseus, sondern von lat. capsina.
S. 107 — 108, der lateinische name von Boncourt, deutsch Bubendorf, muss jeden-
falls Bovonis (nicht Bononis) curia lauten.
ÖBEH ZIMMERLI, MOKF, TAPPOLET 143
Es ist recht störend, dass Gauchats aufsatz „Le patois de Dompierre" nicht
nach der Seitenzählung von Gröbers Zeitschr. XIV, sondern nach der mit 1 beginnenden
eines Sonderabzugs citiert wird. Sollte (s. 137) die benennung der biene wirklich
auf ein vulgärlateinisches * muscitta zurückgehen und nicht vielmehr aus musca -\-
-itta neugebildet sein?
2. Die Schriften von Morf und Tappolet knüpfen beide an Zimmerli an.
Mor-f teilt die seine in sieben abschnitte folgenden Inhalts: I. Die Sprach-
grenze und die Ursachen ihres wandeis im mittelalterlichen leben. II. III. IV. Ge-
schichte der Sprachgrenze, besonders auf grund der flurnamen, im anschluss an die
drei teile von Zimmeriis werk, dessen beobachtungen nach der historischen seito
hier manche ergänzung erfahren. V. VI. VII. Zurückweisung der angriffe deutsche]
heisssporne, die den Charakter des Schweizers verunglimpfen, weil er seine roma-
nischen landsieute nicht als erbfeinde betrachten und behandeln will. Morf empfiehlt
auch eine mildere, ruhigere beurteilung der sprachlichen Überläufer, die sich der
Sprache ihrer romanischen nachbarschaft oder Umgebung anpassen, und nicht anders
beurteilt wrerden sollten, als die Romanen, die in deutscher nachbarschaft oder
deutscher Umgebung das gleiche tun. Er sagt u. a. s. 47 : „Unser schweizerisches
deutschtum ist älter, viel älter als manches nördliche, das sich lärmend gebärdet
und uns schulmeistern will. Wir sind nicht nur Germanisierte, sondern wir sind
Germanen".
Morf stellt die geschichtliche entwicklung der Sprachgrenze in folgender weise
dar. Um das jähr 700 war das ganze "Wallis bis zur Furka romanisch. Etwa im
9. Jahrhundert wurde Oberwallis von der Furka bis in die gegend von Brig von
Deutschen aus dem Haslital in besitz genommen. Wahrscheinlich im 12. Jahr-
hundert wurde das gebiet von Brig abwärts bis zur Lonzamündung (bei Gampel) und
das Lötschental germanisiert. An der Lonza lag im wesentlichen die deutsche Sprach-
grenze vom 13. bis zum ende des 15. Jahrhunderts. Im 15. Jahrhundert wurde das zu
Savoyen gehörige Unterwallis erobert, in Leuk, Siders und Sitten die schon seit dem
anfang des 15. Jahrhunderts nachweisbare deutsch'' spräche in diesen orten und in
der gegend um Leuk mehr und mehr befestigt. Wenden wir uns nordwärts, so ist
die Sprachgrenze in der zeit von 600 bis 900 von osten nach westen zurückgewichen.
Doch waren um 900 noch Plaffoyen, Murten. Ins, Biel und Bözingen romanisch. Seit-
dem sind drei erhebliche romanische gebiete deutsch geworden: das obere Gerinetal
nebst Plaffeyen; die herrschaft Murten; das westliche Berner Seeland mit Ins als
centrum. Was der Verbreitung des deutschen in diesen gegenden vorschuh leisten
nuisste, war der Übergang der Westschweiz mit der burgundischen kröne an das
deutsche kaiserreich (1032), und im 15. Jahrhundert die kriege der deutschen eid-
genossenschaft gegen Burgund und Savoyen.
3. Haben Zimmeriis und Morfs ausführungen dadurch auch eine allgemeine
bedeutung, dass sie die einflösse erörtern, die ehedem Veränderungen der Sprach-
grenze bewirkt haben oder noch heute bewirken, so liegt der wert von Tappolets
schrift auf einem anderen, für das sprachliche leben nicht minder wichtigen gebiete,
indem sie die näheren umstände ins äuge fasst, unter denen sich der Untergang von
volksmundarten unter dem drucke einer gebildeten Verkehrs- und litteratursprache
vollzieht. Die hierbei gemachten beobachtungen lassen sich ohne weiteres auch auf
den prozess des Untergangs von Volkssprachen anwenden; sie eröffnen uns daher
einen einblick in die bedingungen, unter denen /.. b. das gallische dereinst vor dem
MI
ringenden latein in Gallien orlo Nur wenige der heute wirk-
arnen einflü e finden auf da- altertum k- in« ■ anwendung, wie der gebraucl
telephons, der anlas [nbt, das einheitlichere und darum deutlichere Hochdeutsch voj
dem Bchweizerdeul cb zu bevorzugen. Beute z< i| • □ die ver chiedi i nden
jenen proz< dei mundarl in ehr verschiedenen Btadlen. In den
kantonen Genf, Waat and Neuenbürg liegen die | U in den letzten zügen.
In den katholischen landschaften der kantone Bern, Freiburg and Wallis erwi
sie sieb leb Noch kraftvoller aber lebl das Schweizerdeutsch (von Taj
will mit absichl bald Schwixerditseh bald -dütaeh bald -tut seh geschrieben
kanntlicb bis zu einem gewissen grade als nationale, edenfalls aber als interkani
spräche noch jetzi gebrauch! wird. Freilieb wird aus manchen
Sphären des verkehrslebens mehr 1 mehr hinausgedrängt. Wie rasch sieb der
ontergang einer mundarl vollziehen kann, lässl sich übrigens an Geni erna
bis 1703 öffentliche bekanntmachungen in der mundari zuliess, and schon hundert
jähre später das patois mit dem gebildeten französisch vertausch! hat Besonders
lehrreich ist, was auf s. 14 über den heutigen sprachzustand des grösseren t> ü- der
Waal and des Berner -Iura gesagt wird.. „Die älteren leute sprechen unter sich
noch patois, die jüngeren leute sprechen unter sich schon französisch. Dieser zu-
stand der Gleichberechtigung beider sprachen hall nicht lange an. Sind einmal die
jüngeren leute älter geworden, also etwa nach 20,' 30 jähren, so hat der alten
spräche das Stündchen geschlagen; diese jüngeren leute haben familien, in ■'■'
Familien spricht man französisch, nur der grossvater oder ein altes grossmütterchen
können noch patois, sie sprechen es aber auch nur mit altersgenossen , mit ein paar
alten freunden und mit der nachbarin, die auch schon in den Siebzigern ist.
10, 20 jahren ist die schar der patoisredenden gelichtet, ein paar gebrechliche Über-
reste aus der alten zeit kommen für den allgemeinen charäkter der Ortschaft nicht
mehr in betracht. Das französische hat gesiegt, wir sind in das stadium der ein-
sprachigkeit eingetreten." Den schluss macht ein ausblick auf die zukuuft des
Schweizerdeutschen. Der an der soeben ausgehobenen stelle geschilderte prozess
wird sieh auch in der deutschen Schweiz, wenn auch langsamer, vollziehen und
schliesslich zu einem, natürlich etwas lokal gefärbten. Hochdeutsch führen, wie man
es dort schon jetzt in verschiedenen mischungsgraden beobachten kann.
HALLE. HERMANN SO" HIER.
NACHRICHTEN.
Der privatdocent an der Universität Kiel, prof. dr. J. Stosch, ist nach Greifs-
wald übergesiedelt, um dort vertretungsweise über germanische philologie zu lesen.
Buchdruckerei des Waisenhauses in Halle a. S.
BEITRÄGE ZUR MITTELHOCHDEUTSCHEN SYNTAX.
I. Vom fehlen des subj ectpronomen s beim persönlichen
zeitwort.
In Wolframs Willehalm 39, 24 heisst es:
"Got, sil du verbiinnes
Gyburge minne mir,"
sprach er, "so nirn den trost ze dir,
swax de?' getouften hie beste,
dax der dinc vor dir &rge
dne urteiiltchen kumber.
des ger ich armer tumber.
Hier ist zu nim aus dem vorhergehenden mir das subjeet ich zu
entnehmen, eine nicht gewöhnliche und bei Wolfram besonders seltene
fügung. Diese stelle veranlasste mich zu einer Untersuchung des falls.
der von Erdmann in den Grundzügen der deutschen syntax I, 2 — 5,
von Paul in der Mhd. grammatik5 s. 86, ausführlich von Grimm in der
Grammatik IV, 203 fgg. behandelt worden ist. Ich glaube ihre dar-
stellungen in nicht unwichtigen punkten teils ergänzen, teils berichtigen
zu können1.
Es sind zwei fälle zu unterscheiden. Erstens das fehlende subjeet
schwebt dem leser oder hörer vor, indem es an einer anderen, mehr
oder weniger nahen stelle des Satzgefüges, in gleichem oder verschie-
denem casus, vorhanden ist, wie in der erwähnten stelle des Willehalm.
Zweitens, das subjeet fehlt bei gewissen verbalformen und verben ohne
solchen einfluss der Umgebung. Wir betrachten zuerst den letzten fall.
1) Meine Untersuchung erstreckte sich auf das Nibelungenlied, die gediente
Wolframs, Hartmanus, Walthers, Gotfrids Tristan und Bertholds predigten. Das
Nibelungenlied citiere ich nach der ausgäbe von Bartsch (Leipzig 1875), Wolfram,
Walther, den Iwein nach Lachmann, die übrigen gediohte Hartmans nach Beob,
Gotfrid nach von der Hagen, Berthold nach Pfeiffer ("Wien 1862); einige oitate stam-
men aus dem zweiten, von Strobl 1880 herausgegebenen bände. lue citate sind in
der Schreibweise der mir vorliegenden ausgaben gegeben; bei denen aus dem Tristan
habe ich das dehnungszeioben zugefügt.
ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHS PHILOLOGIE. BD. XXXV. 10
140 RF.nVHAJUPT
i'Imt den imperativ habe ich zu dem, was die grammatiken
geben, hinzuzufügen, dass du und i/r in der älteren spräche häuf
als jetzt hinzutreten, bald ror-, bald nachstehend, auch ohne be onderen
nachdruck, wie ihn z. b. Nib. 154 dei itz erfordert: habe du du
gebcere, diu werc wil ich begän. So in Ruals gebel Trist. 1841 du ■«
mir noch 80 wol geschehen, dm ich Tristanden miiezt sehen. Bei
Berthold I. "»72,32 folgt sliux du auf mehrere imperative "Ihm.- du, bei
Wa. 5, 17 <h) sende auf bite; :!•">. 26 3tehen neben einander wis du. und
lä. Audi Nib. 349 du: lui ir mich hoeren, Wa. 11. 30 her heiser, sti
ii wiUekomen liegt auf dem fürwort kein nachdruck.
Was die adhortative erste person plnr. des conjunetiva be-
trifft, die in der regel kein uir bei sich hat, so verweise ich auf die
grammatiken. Unentbehrlich ist wir (Grimm s. 207), wenn von der
verbalform das auslautende n abgeworfen ist, wie in ge wir bei
Wolfram; das Nibelungenlied hat auch ste wir 1780, laxe wir, gähe
wir 1607. Bei Walthcr pflegt wir nicht leicht zu fehlen; doch ohne
wir steht 29. 24 warten, vielleicht 77, 30' m'i hellen, wo Lachmann
helhnt hat.
Das fast adverbial gebrauchte warne, warn ohne ich findet sich
häufig im Parzival und im Nibelungenliede, obgleich auch in diesen
gedieh ten ich ween überwiegt. Im Erec, Gregorius und im 1. büchlein
Hartmans finden sich wenige beispiele der auslassung des ich, bei
Walther eins (34, 33), ebenso bei Berthold (II, 263, 15), im Willehalm,
in Hartmans andern gedichten, im Tristan keins; Trist. 18561 ist anders
zu beurteilen, worüber unten. Ziemlich häufig fehlt ich nach unde bei
Hartman, Gotfrid, Ber-thold, namentlich bei verben der rede: Iw. 3036
ex geschach doch wie, und sage iu wie, 8089; Trist. 3016 dix heixent
si curte da heim in Parmenie, und teil iu sagen uuibe wax; 16 999
redet der dichter in eignem namen und wil iu sagen umbe wax; Berth.
I, 271, 14 unde sage dir wd von; 432, 2 unde sage iu; Trist. 14756
hü weix ex aber got selbe wol, wie min herxe hin xe iu ste, unde
wil ein lüixel sprechen me; Berth. I, 72, 36 unde spriche noch mer;
H, 102, 12 und warne dich; Trist. 14764 und gih ex xe gote; Erec
5821 icis, herre got, gemant dax aller werlt ist erkant ein icort dost
du gesprochen hast, und bite dich. Auch im Nibelungenliede einmal
385 und wil iu helden raten. Selten fehlt ich bei anderen verben
ohne einfluss der Umgebung: Iw. 7500 unde enweix ouch niht; Trist.
18265 unde weix; 18114 und hau ex ouch benamen für dax. Von
der eigentümlichen kraft des unde, das subjeetpronomen entbehrlich zu
machen, wird unten noch mehrfach die rede sein.
BEITRÄGE ZUB MHD. SYNTAX 147
Die zweite person der einzahl entbehrt des du in dem Sprich-
wort selbe teste, selbe habe, z. b. Berth. I. 435, 18. 466, 16. 483, 11 (dafür
selbe tuo, selbe habe 471, 30), s. Grimm s. 217, Erdmann s. 4, Paul
s. 86. Nach Grimm s. 209. 217 kann du leicht fehlen, da die endung
-est deutlich die person bezeichne. Paul s. 86 anm. 2 meint, in fällen
wie rindest ieman, wes bist im gehax stehe windest für vindeste =
vindestu, bist für biste = bistu; es liege also keine auslassung des pro-
nomens vor; auch nach Erdmann § 4 kann vor folgendem vokal ein
angehängtes du verschlungen sein; vgl. formen wie daxte, wüte, icoltste,
daxt Wa. 71, 12. 91, 31 (Weinhold, Mhd. grammatik § 473). Diese an-
nähme wird bei folgendem vokal nicht abzuweisen sein: Parz. 743, 14
werlicher Parxiväl, so müexest einen trdst doch haben; Wolfr. Lieder
s. 9. 11 will an t rinne gedenken, scelec irip, so gist ein liebex ende
mir; Iw. 483 bist übet oder guot; Trist. 8415 iceliest (so Bechstcin,
ivellcstn v. d. Hagen) aber ran boeser diet ungehazxet sin, so sing ir
Met; Xib. 2023 Jcünec cur beese, war umbe reetest ane n/ich; vielleicht
auch Wa. 59, 37 wie sol man gewarten dir, Welt, teilt also winden
dich; Berth. II, 188,20 bist iendert; ebenso 110,30. Doch ist Grimms
annähme wol vorzuziehen, wenn auf das subjectlose verbum ein con-
sonant folgt, wie bei von der Hagen, Minnesinger I, 25 a gol . wie teilst
so nngeliche; Hartman, 1. büchl. 198 nn wixxest da:, herxt min; 1216
nn nnz gebintst mir dax ich tuo.
Von der dritten person sing, des conjunetivs behauptet Grimm
s. 208, sie könne des fürworts leicht entbehren; er führt dafür eine reihe
von belegen, meist aus den Minnesingern, an. Ich habe die beispiele
aus den Minnesingern sämtlich verglichen und meine, dass überall das
fehlende subiect aus der Umgebung zu entnehmen i>t. Sie werden zum teil
als meine einzigen ci täte (MS) aus den Minnesingern, an den betreffen-
den stellen meiner Untersuchung angeführt. Aus dieser dürfte sich auch
für die nicht besprochenen die richtigkeit meiner behauptung ergeben.
Dies sind, meine ich, die wenigen fälle, in denen sich das mhd.
die auslassung des subjeetpronomens so gestattet, dass dasselbe sich
nicht aus der umo-ebung entnehmen lässt.
Sehr ausgedehnt und dem heutigen Sprachgebrauch vielfach fremd
ist die auslassung des subjeetpronomens im Satzgefüge, mag dies nun
aus coordinierten Sätzen oder aus haupt- und nebensatz bestehen; «las
subjeet kann in dem einen teile fehlen, wenn es in irgend welcher
gestalt im andern enthalten ist und so dem bewusstsein des lesers oder
börers vorschwebt. Hiervon handeln Grimm s. 2 1 5 Egg., Erdmann s. 5,
In
I | IJKUNHA KliI
aber ohne den gegenständ zu erschöpfen und nicht ohne irrtum. ES
schein! mir oichl unwichtig, die grammatischen Verhältnisse, unter denen
die auslassung stattfindet, genau zu unterscheiden; dabei werden sich
mancherlei Verschiedenheiten im Sprachgebrauchs der alten heraus teilen.
Im allgemeinen bemerke ich: der conjunctiv kann des fürworte leichtar
entbehren als der indicativ; die conjunction unde spielt dabei eine gl
rolle; das Nibelungenlied und Wolfram sind der auslassung viel wenigei
geneigt, als Walthor, Eartman, Gotfrid und Berthold.
Wir betrachten zuersl den fall, dass c dinierte sätze gleiches
subjeet haben, das in dem einen teile fehlt, wie Pz. L80, 9 genuogt
haut des einen site und sprechent Bei Berthold tritt dabei oft Wechsel
des numerus ein, obgleich das subjeet im gründe dasselbe bleibt; das
Mm einem einzelnen gesagte wird auf die gattung übertragen oder um-
gekehrt, und die spräche schmiegt sieh der wechselnden gestalt des
gedankens an. So z. b. T, 193, 24 unde ivirt dax kint den vater ver-
fluochende — unde spreckent also; 478, 26 ex (den fisch) vriuset und*.
sinl \r allen xMen in dem wäge unde ist wachet; II, 149, 1 dir tribeni
sie fünf oder xehen jär und alle die wile und sie einem menschen
gelich ist; II, 217, 18 wird von boesen rätgeben gehandelt; dann heisst
es tvan er ratet einen rät da u/auec sünde von kumet, und dar u/mbe
sint sie der verfluochten. Auch Wechsel der person kann eintreten:
1,459, 13 ir laufet da gein sant Jacobe unde verkaufet da heime — .
Unde niestet sich, daz er vil veixter kumet danne er ü% fuor. 513, 21
war von sündern in der 3. plur. die rede; dann Avendet sich der prediger
an einen einzelnen: unde lerst ex hin slifen; ebenso 33, 18. Weniger
auffallend ist, wenn auf man das verbum ohne pronomen in der 3. plur.
folgt, wie Pz. 804, 30 man leit si nahe xuo xim dar — unde .sluoycu
:/to dax ijrap; vgl. Berth. II, 230, 18 dar umbe vliehe sie alliu icerlt
und schaffen noch reden mit in niht1.
Nicht immer ist es die conjunction unde, die den subjectlosen
satz mit dem das subjeet enthaltenden verbindet. So; Iw. 2854 sicer
ex (das haus) xe rehte haben wil, der muox diu dicker heime sin; so
1) Solcher Wechsel in numerus und person kann natürlich auch so geschehen,
dass das neue subjeet ausgedrückt wird. Der teufel erscheint bei Bertbold bald im
Singular, bald im plural: II, 56, G so köret er stnen vlt% dar an wie sie ans die
simde geraten, vgl. II, 138, 37. 255,10 ir frouwen, handelt iuwer ivirte wol, wan
du mäht dinen guoten wirt in kurzer wile also handeln dax — ; II, 70,6 ir miiexet
iemer gelten und dem wider geben, dem du ex- gestoln oder geroubet Mst. Wechsel
der person: II, 148, 31 du bist der schedelichste sünder, wan er nimt gote etelicltes
tages hundert sele; II, 28, 7 gäbe man dir drixec pfunt — , er heete dir xe rehte
uilit gelönet.
BEITRÄGE ZI'R MHD. SYM1X 149
tuo ouch underwilen schin, ob er noch riters muot habe, Trist. 12 255
wir seejen alle valscheit, so snlden lasier unde leit. Häufiger mit nü,
z. b. Pz. 814,10 durch xuht sohl ich minne kein, nunc mag irx herze
niht rersteln; Wa. 12, 33 si lerten uns hl kurzen tagen, daz wellents
uns nü widersagen, nü tuonx — und sagen — uolrecken; Bertb. I,
210,2 du soll — nü bist doch ein man; MS. J, 177 b dax ist un-
wendic, nü si also; I,96a daz ist der lieben gar ein spil und giht
si welle Ionen mir — nü laxe eht sin. Die sätze sind durch wem
verbunden: Wa. 20,29 dem habe ouch hie noch dort niht lönes mere,
wan (sondern) si eht guotes hie gewert; Bertb. I, 276, 32 du solt nic-
man heizen teeten, wan (denn) den hectest ouch ertostet. Auch ein
demonstrativ kann die sätze verbinden: Parz. 143, 28 si suln ein ander
gampel nemen, des laxen sich durch zuht gexemen; Wa. 45, 12 so lobte
ich die ze hbenne weeren; des enhaben deheinen muot.
Nicht eben häufig stehen die sätze ohne conjunetion neben ein-
ander, '/.. b. Iw. 3950 des wart in unmuote der leice, wände er weere
tot; Trist. 11310 gebietet im da;, er rar wäfenen sich; bereite sich,
als tuon ouch ich; Wa. 99, 36 siht si mich in ir gedanken an, so ver-
gütet si mir mine wol. minen willen gelte mir, sende mir ir guoten
willen, minen, den habe iemer ir; MS. I, 178a si gelönet mir mit
lihten dingen ivol; geloube eht mir swenne ich klage. Besonders auf-
fallend ist Trist. 18001: ex ist niht ein biderbe wip diu ir cre durch
ir Up, ir lip durch ir ere l<it. so guote state si des hat, da\ si si
beide behöbe; nun folgt eine lange reihe von conjunetiven enge, behalte,
bevelhe unde laxe, besetze, ziere. Mit Wechsel der person heisst es
Wolfr., Wh. 150, 21 wä nu die von mir sint erborn? ditx lasier habt
mit mir erkorn1.
Das gemeinsame subjeet kann natürlich auch in einem dem sub-
jectlosen satze vorangehenden Satzgefüge enthalten sein, und nicht nur
in dem letzten teile, der dem subjectlosen satze zunächst steht, sondern
auch in einem früheren. Das erstere ist z. b. der fall MS. I, 177 a: ich
weiz wol daz sis niht entuot. nü tuo e% durch (Im willen min;
Wa. 88,28 la die rede sin, daz du mir iht so seYe besweerest minen
muot. war gdhest also balde; Nib. 655 tuo ir sicu: du wellest, und
1) Schwerlich gehört hierher Pz. (183, 19: ein pfelle gap kostlichen pris, ge-
worhi in Ecidcmoiris, beul in breit unde laue, hohe <>!> im durch-schate swanc; ich
glaube, mit Bartsch, dass hier in gap kostlichen pris die altertümliche form des
relativsatzes ohne pronomen vorliegt, von der Erdmanu 3. 50. 51 handelt, und die
bei den dichtem jener zeit nicht selten vorkommt.
I 51 I
ncemest ir den lip, dax solde ich wol verkit en. Dai gemeinsame sub-
jecl ist in einem früheren Satzteile enthalten /.. b. MS. I, L81b da* si
mich als unwerden habe als si mir vor gebäret, da* geloubt ich nie-
mer. nü /"•. ein teil w tornes abe; tw. 1372 dd er .im dem hüst
Lrric, dn wart diu brücke nider län, unde sach.
Ein selbständiger hauptsatz kann den ubjectlosen satz von dem
das subject enthaltenden trennen, bo /. 1>. Wa. 36, 8 si behielten durch
sin '/•'.• dax was guot; nü geben durch sin ere; Trist. 1 8 r> ."> '. t min leit
ist doch gemeine, int trag' <: niht al eine, e% ist stn als vil s6 min,
und /irr//', / -. ist noch mere sin; Berth. !. 359, 11 ja tuest du des
selben niht; nü bin ich din ebenkristenmensche, unde hast vwene guoti
n><l>r. Die trennenden Sätze sind nicht selten von beträchtlichem um-
fange: Wa. IS, 16 sit diu minnecliche minne also verdarp, so sanc
ouch ich (in teil unmmnecliche. iemer als < \ danne stät, also sol
iii/i n singen, swenne unfuoge nü lergät, so sine/ aber von höfschen
dingen. I\\. 1095 folgt auf einen langen, mit ich weix beginnenden satz
unde weix ex, ebenso Pz. 40G, 9 auf ich enbiutx iu (406, 3) und en-
weix doch; Nib. 758 e: hat nach mir gesendet Günther der friunt n/in,
ir ii/nl sine mäge, durch eine höchgezite; i/h keem ich im vil gerne,
icnn (In: sin laut so verre lit: und bittent Kriemhilde daz si mit mir
rar. Berth. I, 346, 20 folgt auf einen satz mit dem subject wir: Nü
seht ivie maneger hande schade von dem ivorte wirt unde liden miiezen.
Unter umständen enthält von zwei coordinierten Sätzen der zweite
das gemeinsame subject, wie Pz. 165, 13 sine /runden wuosch unde
baut der wirt. So können wir noch heute sagen, aber nicht wie
Pz. 4, 28: swä lit und ivelhsch gerichte lac, 'wo welsches recht be-
steht und bestand"1. Ähnliche ungewöhnliche Stellung des gemeinsamen
begriffs findet sich Iw. 385 dö ich niene wolde noch beliben ensolde;
Wh. 166, 19 die wären und iu rerchsippe sint; 33, 18 Unten und
an orsen beiden. Besonders oft steht so ein possessivum: Pz. 33, 15
ivie was gebärde und ir wort; 271, 16 heim und ir schilde; Wa. 36, 14
Up und sin guot.
Bei Verbindung von haupt- und nebensatz kann das gemeinsame
subject in einem teile fehlen, ein gebrauch, den Erdmann s. 5, wenn
ich ihn recht verstehe, dem mhd. irrtümlich abspricht. Bei Berthold,
bei dem die auslassung des subjeets fast ganz an unde gebunden ist,
worüber unten noch zu reden sein Avird, findet sich solche fügung
meines wissens nur einmal: I, 355, 12 nü g<' als ez müge.
1) Zu dieser bedeutung von ligen vgl. Pz. 309, (J Artus, bl dem ein säe lac.
BEITRÄGE ZUR MHD. SYNTAX 151
1. Der hauptsatz mit dem gemeinsamen subject geht voran, am
häufigsten nach ivcenen und verben des sagens bei fehlendem daz, siehe
Grimm s. 210; z. b. Pz. 177, 15 ja wände ich ergetzet wcere drier leider
märe; Nib. 2272 si jähen wolten tragen Rüedegeren hinnen; Wa. 62, 38
ich ivccn nie bexzer Ideit gesach, wo Lachmann ivan ich liest. Im
[wein habe ich diese fügung nicht gefunden, wol aber im Erec 3373.
4536. 4427, auch in Hartmans liedern (13, 6) und im 1. büchlein (105.
472). Auch der Tristan hat sie meines wissens nicht; dagegen lässt
Gotfrid, und zwar, so viel ich sehe, er allein, in abhängigen delibera-
tiven fragen öfter das mit dem des hauptsatzes identische subject fehlen:
Trist. 4857 hie %uo neweiz ich waz getuo, 4851. 15507. Aber 9534
(wir enwizzen ivem getrüwen) kann getrüwen auch infinitiv sein, vgl.
4610 ich ewweste ivie gevähen an, 8625. 11260. 15 547. Über diesen
im französischen und englischen üblichen infinitiv habe ich in den gram-
matiken nichts gefunden. Gotfrid scheint ihn allein zu kennen, oder
gehört Nib. 2088 hierher: sine wessen wem ze klagene ir vil grcez-
Uchen not? Hierher kann man auch das fehlen des subjects ez in ge-
wissen nebensätzen rechnen: Nib. 1862 ich solz in gerne büexen, sivie
si dunket guot; Iw. 1715 daz er vüere swar in dühte guot; Nib. 348
dö ivas ir gesinde gezieret als im gezam; 705. Pz. 736, 30. 744, 18.
Iw. 7296 dö tete si als ir tohte. Vielleicht Iw. 3533 min geselle icas
her Gäivein, als mir in mime troume schein.
2. Der nebensatz mit dem gemeinsamen subject geht voran1; der
hauptsatz steht meistens im conjunctiv: Pz. 321, 16 lougent des In'r
Gäwän, des antivurte üf kampfes slac; Iw. 2868 hat er sich eren
verzigen und wil sich bi ir verligen und giht des danne, da-, er: ir
ze liebe tuo, dane geziehe si niemer zuo; Wa. 70, 37 sit aber er da
gerne si, so si ouch da; Berth. II, 178, 22 swaz sant Peter habe, dm
habe im; MS. 1, 184b gevähe si mich an deheiuer lüge, sä so schupfe
mich xehant; I, 122a mac si danne rechen sich, tuo des ich si bite.
Der indicativ im nachfolgenden hauptsatze ist selten: Trist. 10 783 nu
Kurvenal %e schiffe kam, sine rede ze handen na/m; mit Zwischen-
satz Wh. 147, 12 siuaz er den künec e geschalt, des wart ir tehen-
stunl da mer, und jach si wcere gar ze her.
3. Der übergeordnete satz mit dem gemeinsamen subjecl steh! an
zweiter stelle: Erec 3155 nunc kau ich des weegsten iiil/t ersehen (/ca\
sol mir armen geschehen?) wart (nur so viel sehe ich) sweäerx mir
kiese, daz ich dar an Verliese.
1) Dieser gebrauch soll nach Grimm s. '213 dem alid. geläufig, dem mlul. fremd
soin, die behauptuug ist irrig.
L52 [AUDI
I. Ziemlich häufig sind sätze, in denen der nebensatz mil dem
gemeinsamen mbjecl an zweiter Btelle steht, z. b. Pz. 436, 19 dar nach
tuo als si: Irre (nach des gatten tode tue die witwe, wie sie ah
ziemend vorschreibt); Erec 7455 wem sagen swa% si wellen; Greg. 2410
in) hei sich wol, des ist im not, swer er si; Nd». 148 nii spüen swi
st wellen; Trist. 72;;5 na grtfe wider da ich* liex; Berth. [, 355, L2
in) i/i als f. müge; 5,20 wnd gehoerest ie etwax, da% d '" mr nie
geheeret hast; Wa. 80, 5 geheize minn und grüexe baz, well' >•
rehte wmb 6re sorgen. Hier sind auch die Dachstehenden relativ
zu erwähnen, deren subjeet für den hauptsatz mit gilt: Pz. 20, 1 sut
um}) i< der ungerne vldch; Wh. 30, 29 ex enwend der in die herzen
siht; Iw. 4601 und wizze wol, swei mich jage, daz ich sin wol erbitt
Wir haben soeben falle betrachtet, wo in coordinierten sätzen oder
in haupt- und nebensatz das subjeet dasselbe war und nur einmal aus-
gedrückt ward. Sehr oft aber sind die subjeete verschieden, und das
im nachfolgenden satze fehlende subjeet ist in einem vorhergehenden
in gestalt eines casus obliquus, possessivs oder adverbs vorhanden. Sind
die sätze coordiniert, so verbindet sie fast immer unde. Hiervon handeln
Grimm s. 2 IG, Erdmann s. 5; bei Paul habe ich diesen gebrauch nicht
erwähnt gefunden1. Die Schriftsteller weichen darin von einander ab: bei
Berthold, Grotfrid und besonders bei Hartman sind diese fügungen sehr
zahlreich, auch bei Walther nicht ganz selten; im Nibelungenliede finden
sich nur wenige und noch weniger bei Wolfram. Ich beschränke mich
auf eine kleine anzahl von beispielen aus dem Iwein und Walthers
gedienten.
Der erste satz enthält im genitiv das im zweiten fehlende sub-
jeet: Iw. 4010 sit mich min selbes missetät verlos und weinen für
das lachen Ms; Wa. 115, 14 der herze ist ganzer tilgende vol und ist
sd geschaffen an ir Übe.
Dativ: Iw. 4674 daz im ein ast den heim gevienc und an der
gurgelen hienc; Wa. 61, 30 daz in diu ougen üz gefüeren und sich
doch einest stiezen in dem tage.
Accusativ: Iw. 2101 ex dimket mich guot und gan iu wol;
Wa. 93, 28 disiu Wirtschaft ncemc mich uz sendem muote und ncem
iemer von ir scheene niuwe jugent.
Possessiv: Iw. 4992 daz ivas sin spät unde sprach; Wa. 100, 22
min iville ist gnot und klage diu werc. Mit Wechsel des numerus
Berth. II. 159, 34 ex ist sin geteilter und loufent dort hin.
1) Doch; vgl. Paul s. 175 ((Red.).
BEITRAGE ZUK ÜHD. SYNTAX 153
Adverb: Iw. 6686 elane mohte niht cor bestem (vor den kolben
der riesen) unel lieten gröxen mort getan: Wa. 103, 19 elel lil gelt/st
des herzen an und git ouch hohen muot.
Aus dem Iwein habe ich gegen 40 solcher stellen gesammelt, aus
dem Tristan und Berthold etwa je 30, aus Walther 12. Dagegen bietet
das Nibelungenlied nur 6: 1243 mir ist geseit und icilz ouch wol
gelouben; 1684 ein teil icas ex, ir leit und dähte; Zarncke 74, 3 (anders
Lachmann und Bartsch) daz (land) hiez zen Nibelungen und waren
sine man; 725 dax truoc si in ir herze und wart ouch tool verdeit:
2138 da sack ein Hinnen recke Rüedegeren stän mit weinenden
äugen, und hetes vil getan; 1717 swer nemen welle golt, der gedenke
miner leide, und wil im iemer xoesen holt. Aus Wolframs gedichten
kenne ich nur zwei stellen: Pz. 556, 4 da: dühte si min >inheil und
bat mich; Wh. 180, 3 dö si der mareräcc umbe xdch und sime xorne
küme enpflöch. Beide male wird die auslassung dadurch erleichtert, dass
das zu ergänzende subjeet dem aecusativ si gleich lauten würde.
Es ist weitaus überwiegend, aber doch nicht immer unde, das solche
sätze verbindet. Berthold hat einigemal oder: I, 454, 28 dax dich der
donre slahe oder einen andern unreJtteu tot nemest; 376, 8 so ex hungert
oder durstet oder genuoc hat. Einmal so: 133, 2 dich genüget niht
dax — ; so will aber ex füegen. Walther hat auch nü: 64, 25 da\ ir
gezimel. nü habe ir dax für guot, ebenso 30, 14. Einmal ohne con-
junetion 10, 28 solt ich den pf äffen raten, so sprwehe ir haut — ir
zunge sunge — gedeckten dax — .
Zuweilen steht der subjectlose satz nicht unmittelbar neben dem
das subjeet enthaltenden: Wa. 67, 13 ich hän lip unde sele gewäget
tüsentstunt durch dich; nü bin ich alt, und hast mit mir diu gampel-
spil, vgl. Pz. 468, 5. Hierher gehört Titurel 54, wo das subjeet zu nü
tuende ouch die sine aus dem nicht unmittelbar vorhergehenden dem
Anscheivinc zu entnehmen ist. Vgl. noch Berth. I, 434, 13 sicer dran
(an einer gewissen sünde) funden ivirt, des wirt niemer mrr rät, unde
hat (die sünde) ouch die schalkeit dax sie — ; 530, 13 swer in sine//
gewalt kämt, der ist gar in ungeiverlichcr gevenenisse. Unde heizet
der ban; Iw. 6288 doch ivdrens unervaret. im ivart al umbe genigeu,
und Hexen ir werc ligen; 5073 fehlt bei und viel von der sweere das
subjeet er, das aus vorangehendem im 506!*, in 5070 zu entnehmen ist:
Er. 6528 onch verwiwen' \ im genuoge under stniu ougen, die andern
retten 'x tougen, ex weere toerltch getan und miiJitc': gerne laxen hän.
In einem aus haupt- und nebensat/c bestehenden Satzgefüge kann
das subjeet in einem teile fehlen, wenn der andere es im casus obliquus
L54 BAED1
enthält; doch ist *f t*-s«' Fügung nichl häufig, [eh könne folgende bei-
spielo: 1. Der hauptsatz ergib! 'Ins subjeet: Wh. 303, 2 dem werden
nie gexam da% ü% prtse träte; Pz. 52, 7 si enpfiengen von im ir laut,
als iesUchen an gt loch; Erec !»-"><>{.i wie mühte diu geselleschaß haben
dehemer liebe kraß under man und under wibe, dd rtiwan mit dem
Übe 8chtnent gesellen guot; Wa. 59, 35 wie sol man gewarten dirf
Welt, ivilt also winden dich (oder wilt wüte?). Der nebensatz ent-
hält das subjeet: Pz. 334,8 swax in <l<) wart xe teile, dax haben Uhu
minen hax. Hierher gehört die stelle des Wh., von der wir ausgiengen:
39, 26 got, sit du verbünnes Qyburge minne mir, — so ni/m den
trdst xe dir. Ebenso Hartm. 2. büchl. 806 und si dax ich ouch ir be-
hage, dar nach vähe'x mit mir an; Trist. 10 760 swenn' ich in den
sende dar, so rilen her xe hove xe mir; Wa. 116, 1 habe ir iemen iht
von mir gelogen, so beschouwe mich bax; MS. I, 181b Verliese ab ich
ir hulde da, so si verlorn; I, 124 1) miner ougen tougenlichex sehen,
dax ich xe boten an si senden muox, dax neme dur got von mir für
ein riehen; Berth. II, 272, 8 so alle Hute teil an dir habent, so soll h ■ il
an dir selben haben. Ganz vereinzelt steht der nebensatz mit dem
casus obliquus an zweiter stelle: Wa. 99, 31 nü hüeten swie si dunke
guot. Hier sind auch die relativsätze zu erwähnen, in denen sich ein
casus obliquus auf das fehlende subjeet des vorangehenden hauptsatzes
bezieht: Pz. 103, 21 dö sprach an dem was tumpheit schin; 132, 28
dd kom von de?n ich sprechen wil; 148, 29 sus wart für Artusen
brulit an dem got Wunsches het erdäht. Abgesehen von diesen relativ-
sätzen und der stelle aus Wh. enthält der hauptsatz den conjunetiv.
Die sätze stehen auch hier, bei Hartman und Gotfrid, nicht immer
unmittelbar neben einander: Iw. 2020 swä ich gevolget ir bete, dax
emvart mir nie leit, und hat mir ouch nü war geseit; 3279 sin salsc
was diu hungernot, diux im briet unde söt, dax ex ein süexiu speise
was, und wol vor hunger genas; vgl. 2674 fgg.; Greg. 3755 swie gröx
und sivie sivcere miner Sünden last ivcere, des hat nü got vergexxen,
und hdn alsus besexxen disen gewalt; Trist. 1599 sit dax ir xe trdst
uns allen komen sit unde iueh got tvider gesendet hat, so sol es alles
iverden rat, unde mugen vil harte tvol genesen.
Wir betrachteten bis jetzt solche fälle, wo das fehlende subjeet in
einem anderen Satzteile vorhanden und dem leser oder hörer gegen-
wärtig ist. Nicht ganz selten aber liegt die sache so, dass das fehlende
subjeet zwar aus dem zusammenhange sich ergibt, aber nicht ausdrück-
lieb genannt ist, eine freiheit, deren sich besonders Hartman und Berthold
bedienen, während sich bei Wolfram keine belege dafür finden.
BBITEÄ&E ZFK 3IHD. SYNTAX 155
Auf einen imperativ (ohne elu, ir) kann die 2. pers. des indicativs
oder conjunctivs ohne fürwort folgen. So folgt Iw. 5120 auf eine reihe
von imperativen und sult im des genäde sagen; Brec 4447 enpfäch
mich xe man und ivixxest; Wa. 91, 28 wirp nach herzeliebe; da ge-
winnest an (oder gewinnest = gewinneste?). Berth. I, 35, 23 slahex —
finde soll; 74, 33 nü bringet im nü zivirunt alse vil hin wider als er
iu in die secke stiex, unde habet im da mite gebüezet; 183, 38 losue,
rar hin unde rieh mich; darauf folgt, mit Wechsel des numerus, nach
mehreren Zwischensätzen 184, 4 unde sult üf sie varn.
Bei Hartman und Gotfrid kommt ferner vor, dass, wenn von
mehreren personen die rede war, ein nachfolgendes verbum im plural
ohne subjeetspronomen sie zusammenfasst: Iw. 6492 dar vuorte sin bi
der haut, und säzen zuo einander; 6875 diu totste in die rehten wege,
und, vunden; Trist. 4334 vil liepliehe satt er in xe sich an sine siten,
unde griffen an ir meere wider; 9760 ich wil nach miner tohter
gän, und komen ouch ie sä wider, wir zwo; 18946 den ivorten (unter
der bedingung) daz er in verzech, unde versigelten ouch daz; vgl. auch
11925 unde begunden.
Die freiheit in der auslassimg des subjeets geht jedoch weiter; es
ist zuweilen nur aus dem zusammenhange zu erschliessen. So folgt
Nib. 104 auf das gespräch Hagens mit Günther über Sivrit des königs
wort nü si uns willekomen; Trist. 9574. 15003 schliesst sich und seite
an längere directe rede. Auf das gespräch zwischen Iwein und Lunetens
anklägern folgt Iav. 5307 sus sint diu ivort hin geleit, und wurden '.'
strite gereit. Im Erec wird erzählt, wie Erec dem aus den bänden
zweier riesen geretteten ritter befiehlt an Artus' hof zu gehen, dann
heisst es 5698 ditz gelobt er unde schieden sich. Gawein berichtet von
dem durch gegenseitiges erkennen beendeten Zweikampfe zwischen ihm
und Iwein und fährt fort: 7616 dö im min nenne wart erkauf, dö
nanter er sich sei und rümte vlentschaft da, und gehellen iemer mir
in ein; das zu gehellen zu denkende wir ergibt sich aus dem Zusammen-
hang; vgl. über die stelle Grimm s. 216.
Über Berthold insbesondere ist noch zu bemerken, dass, wenn
seine rede der des gewöhnlichen lebens ähnlich war, in dieser die aus-
lassimg des aus dem Zusammenhang sich ergebenden, aber nicht aus-
drücklich namhaft gemachten subjeets noch häufiger war als bei den
dichtem. Einige bezeichnende beispiele aus den predigten mögen Iiut
noch angeführt werden: I, 436, 37 diu ander Sünde heizet ketzerte.
Unde gloubeut (die ketzer) alle sinnt ungltch; in einer rede über das
verhalten gegen das gesinde heisst es 90, :!!» unde sult in gar geuuoc
156 ■! ZI H USD
x'exxen geben; die herrschafi isl vorher nicht angeredel I39a 13 ist von
Judas die rede, des en nanu: aber Im vorhergehenden satze nichi sub-
jcct ist: ild\ half alle* niht, muh verlcoufte u jungest den prediger
umbe drtxec 'Pfenninge; L46, 25 so behieltest du dtne triuwe, und*
(das halten der treue) wcere den Muten nütxelteh. Von Salomos söhne
heissl es 152, 10 dd hete er tumbe rätgeben, dann folg! eine rede der
rätgeben, darauf Unde volgete den tumben rätgeben. Besonders kühn
ist die auslassung 207, 13: wü balde an starke buoxe, oder an den
grünt der helle! Unde wirt danne xe schänden, nämlich der, der
sich der busse nicht unterzieht1. Auf eine andere eigentümlichkeil
Bortholds ist oben schon hingewiesen: die auslassung (h-> subjeete
bei ihm fast durchweg an unde geknüpft; die wenigen stellen, wo der
subjectlose satz durch oder, sd, wan eingeleitet wird, wurden oben er-
wähnt Daher kommt es bei ihm kaum vor, dass das fehlende subjeet
aus dem hauptsatz in den nebensatz oder umgekehrt zu ergänzen ist:
die zwei mir bekannten ausnahmen I, 355, 12 //// ge als ex rniige und
II, 272, 8 so alle Hute teil an dir habent, so soll teil an dir selben
haben wurden bereits erwähnt.
Es hat sich ergeben, dass im mhd., oder, damit ich nicht zu viel
sage, in der spräche der von mir ausgezogenen quellen das fehlen des
subjeetpronomens ohne einfluss der Umgebung auf wenige fälle be-
schränkt, unter solchem einflusse aber und in mannigfaltigen satz-
verhältnissen sehr verbreitet ist. Zugleich haben wir gesehen, dass der
gebrauch der mhd. dichter und Schriftsteller keineswegs in allen dingen
übereinstimmt.
1) Vgl. auch was oben über den Wechsel in numerus und person in coordi-
nierten Sätzen bei Berthold gesagt ist.
ERFURT. E. BERNHARDT.
SCHACHNER, BAS DOEOTHEASPIEL 157
DAS DOEOTHEASPIEL.
Die heilige Dorothea wurde in alter zeit eifrig verehrt und ihr
festtag, der 6. februar, gab zu mancherlei gebrauchen veranlassung.
In Deutschböhraen heisst ein Sprüchlein: „Sanct Dorothe bringt den
meisten schnee", und ehemals gieng der cantor mit seinen schülem
von haus zu haus, sang von der hl. Dorothea und erhielt dafür eine
geldgabe1, wie das in czechischen gegenden heute noch üblich ist2.
Das Augustinerkloster in Prag besitzt eine vielbesuchte Dorotheakapelle.
Auch in Wien gab es an diesem tage ehedem festlichkeiten; die Doro-
theenkirche und die Dorotheengasse im centrum der stadt erinnern
daran. In Eisenerz wurde die heilige von den berglenten verehrt: im
Dorotheenstollen wurde vor zeiten der erzklumpen mit dem wunder-
baren bildnisse gefunden, der in der kapeile neben dem Barbarahaus
ausgestellt ist. Solche nachweise Hessen sich mit geringer mühe auch
aus anderen gegenden bringen, uns kann aber der angedeutete zug
von nord nach süd hier genügen.
Der bericht über das standhafte bekenntnis unserer heiligen, die
grausamen martern und ihren glorreichen tod wurde in der zeit, da
die Vorliebe für legenden blühte, fleissig abgeschrieben3. Viele ab-
schritten gehen auf die sog. Legenda aurea4, zurück, doch trifft
man auch längere, abweichende fassungen, die in dem legenden-
werk des Surius5 und in den Acta sanctorum des Bolandus0 verwertet
werden.
Auch die mittelalterliche dichtung hat sich dieses Stoffes bemächtigt
und ihn in deutsche verse umgeschrieben. Zu den ältesten bis jetzt
bekannten versifikationen der Dorothealegende gehören wol die bruch-
stücke aus dem 14. Jahrhundert, welche Diemer veröffentlicht hat7. Die
meisterdichtung ist durch Michael Schrade vertreten, der in 25 Strophen
1) v. Reiusberg-Düringsfeld, Festkalender aus Böhmen 18G2, s. 44.
2) Sobotka, Feste und brauche der Slaven. Ost. -ung. monarchie in wort und
bild. Bd. Böhmen s. 440.
3) Nur gelegentlich sei erwähnt, dass die handschriftenabteiluug der stifts-
bibliothek in Kremsmünster (Oberösterreich) drei solche legenden enthiüt: cod. 3, 31.
81,35 und 84,8.
4) Legenda Sanctorum (sive legenda Lombardica) Jacobi de Voragiue, Add. CVYI1.
5) Laur. Surius, De probatis sanctorum historiis. Köln 1570.
0) Acta sanctorum. Febr. tom. 1. pag. 771 — 776.
7) Kleinere beitrüge zur älteren deutschen Spruche und Literatur TL Wiener
sitz.- ber. XL s. 43fgg. — Eine reihe anderer gereimter Dorotheeulegendon weisen z. b.
Vogt und Jellinghaus nach in Pauls Grundriss 11 s. 362 und s, 122.
158 I ii \' RKRH
die legende von St. Dorothea „in der prieflfweis" besingt1. Blume hat
in jüngster zeit eine anzahl lateinischer Lieder de sancta Dorothea zu-
meist uns dem XV. Jahrhundert veröffentlicht2.
Ks ist daher nichl zu verwundern, da-- sieb auch das geistliche
Schauspiel ''inen stoff nichl entgehen liess, der eine reihe von bildi ra
und scenen zur aufführung darbot. Tatsächlich gehört das martyrium
der hl. Dorothea neben dein der hl. Katharina zu den ältesten legen-
darischen Stoffen, die dramatisch behandelt worden sind. Über auf-
führungen haben wir mehrfache berichte. Aufzeichnungen im Bautzener
rathause melden folgendes8: „Am 8. februar 1413 gab der rector scholae
wie alle jähre am Sonntag vor Dorothea mit consens des domstiftes und
rats mitton auf dorn markte eine Comoedie de Passionc S. Dorothea.
Als das spiel fast über die hälfto war und der vorwitzige pöbel in
grosser menge bey dem seigerthurrae, auf dem thum oder markte, auf
der gewandladen Ziegeldach gestiegen war. so brach es mit den leuten
ein, und stürzte ein stück ziegelmauer herunter, dass über 30 personen
erschlagen wurden, die man folgendes tags mit grossem weinen und
weliklagen begrub. Viele waren sehr beschädigt, viele blieben an bänden
und fassen lahm." Die bemerkung „wie alle jähre am sonntag vor
Dorothea" zeigt, dass diese aufführungen 1413 schon ganz eingebürgert
waren. Grosser anziehungskraft scheint sich das Dorotheaspiel auch in
manchen teilen Böhmens erfreut zu haben. Gradl ' weist aus den aus-
gabebüchern der stadt Eger seit dem jähre 1455 nach, dass fast all-
jährlich am Dorotheentage die schüler (lehrkinder) in der stadt herum-
giengen und von dem rate und wol auch vor den bürgerhäusern unter
anleitung des lehrers ihre lieder über die hl. märtyrerin sangen. Vom
jähre 1500 an wurde, allerdings in grösseren Zwischenräumen, in Eger
ein ausführliches Schauspiel gegeben. Das stück wurde auf dem rat-
1) In der Heidelberger handschrift cod. 392, die vor 1481 geschrieben wurde.
Das Inhaltsverzeichnis bei Bartsch, Meisterlieder der Kolmarer handschrift. Lit. -ver.
LXVIII s. 144.
2) C. Blume, Pia dietamina. 6. folge (1899) bringt s. 72fgg. sieben lieder, und
liturgische prosen des m. a. 4. folge (1900) s. 180 zwei lieder (= bd. XXXIII und
XXXIV der Analecta hymnica medii aevi von Blume und Dreves).
3) Aus K. v. "Weber, Archiv f. d. sächs. geschichte IV. s. 115 fg. Der heraus-
gebe! merkt dazu richtig an: „Der sonntag vor Dorothea war nicht der 8., sondern
der 5. februar 1413. " Jedenfalls liegt der unrichtigen angäbe nur ein Schreibfehler zu
gründe. Goedeke, Grundriss -I. 321 bringt dafür nach Flegel, Geschichte der komischen
literatur IV. 290fg. die zweifellos irrtümliche Jahreszahl 1412. — Vgl. Creizenach,
Neueres drama 1 , 129. 233.
4) H. Gradl, Deutsche volksaufführungen. (Prag 1895) s. 21 und 27.
DAR DOROTIIEASPIEI, 159
hause, vielleicht auch in der schule, von den lateinschülern unter mit-
wirkung von anderen bürgerssöhnen zur darstellung gebracht, zum
letztenmale im jähre 1544. Leider hat sich von diesen oder ähnlichen
spielen kein text in deutscher spräche erhalten. Ich zweifle aber nicht,
dass sie in ihrer einfachsten form solchen in czechischen nachbargegenden
ähnlich gewesen sein werden, von denen sich noch spuren auftreiben
lassen. So bestand z. b. in der umgegend von Taus in Westböhmen
bis in die letzten decennien der brauch, am Dorotheatage vor den
häusern ein dramatisches wechselgespräch aufzuführen, dessen Wortlaut
ich hier in deutscher Übersetzung folgen lasse1.
Chor: Liebe Christen!
Das andenkeu feiern wir hier
Der märtyrerin Christi des herrn,
Ein vorbild der ganzen Christenheit.
König: Du grausamer henker,
Tritt vor den kaiserlichen vater:
Gehe hin zu Dorotheen,
Sie soll sich nicht sträuben,
Mich zu ihrem gemahl zu erwählen!
Ich will ihr geben silber, gold und diamanten,
Perlen und krönen zu füssen ihr legen.
Henker: Ach meine liebe Dorothea,
Dein könig Fabricius schickt mich zu dir
Mit einer solch schlimmen künde,
Die aller weit wunderlich ist:
Du sollst dich nicht sträuben
Als gemahl ihn zu erwählen ;
Er will dir geben silber, goid und diamanten
Perlen und krönen zu füsson dir legen.
Dorothea: Die ehrerbietung habe ich bekommen.
Wie sich's gebürt zu sinnen genommen.
Die ehre ist mir so lieb und wert
Als ein gestank im kothe.
Ich brauche den vater
Nicht zum gatten zu nehmen,
Noch auch zu mir zuzulassen.
Ich habe meinen lieben im himmel
Und auf erden meinen herrn nnd vater,
Dem ich leib und soele ergebe
Aus ganzem herzen mein.
1) Die nachricht hierüber, sowie die beifolgende wörtliche Übersetzung ver-
danke ich der liebenswürdigkeit des hochw. priors P. Mothod Mühlstein in Taus; er
hat sich den text von leuten dictieren lassen, die selber noch an solchen auff&hrungen
mitgewirkt haben.
160 BOHAI
Henker: < » ihr henkerskuechte
Beid ihr bereit'.-'
Nehme! dieses weih,
Schlagt ihr den köpf herab
Zu dieser zeit!
Chor: ( • weh, o wehe!
Boret ihr leute eine kleine wedle
Von der chönen Jungfrau Dorothi i
Königin wollte sie nicht werden,
Lieber bitteren tode b ;
Henker: Stellet eueh zur seite, leute,
l»;iss ich mit dem achwerte ■•in. ■!! hieb eueb nich! gebe:
Strecke deinen hals hübsch weit,
Damit ich's meisterhaft abtue!
Chor: Stebe auf, du heilige Dorothea,
Welche geköpft wurde.
Von den heiligen engein in den himmel getragen !
Dem könig wollte sie nicht gehorchen,
Lieber den bitteren tod erleiden.
Also drei personen mit chor; Dorothea war weiss gekleidet, dei
henker im roten mantel schlug ihr am Schlüsse mit seinem hölzernen
türkensäbel eine papierkrone vom haupte. Offenbar stürzte dabei die
darstellerin zusammen, um die täuschung vollständiger zu machen, und
nachdem sie sich wider erhoben hat, weist der chor auf sie als eine
heilige des himmels hin. Der text leitet im ganzen wie in einzelnen
ausdrücken auf die Legenda aurea als entfernte quelle hin. „Dorothea-
gehen" heisst dieser brauch, der uns wie unser „sternsingen" freundlich
anmutet. Ein ähnliches spiel hat sich aus der gegend von Nachod in
Ostböhmen erhalten1; doch ist hier der text viel formelhafter und farb-
loser geworden, die handlung spielt sich nicht vor unsern äugen ab,
sondern der chor übernimmt die berichterstattung. Auch in Mähren
gab es dergleichen. Feifalik hat uns eine reiche auslese — zehn stück
— hinterlassen, alle in czechischer spräche2. Die kürzeren daraus
gleichen ganz dem obigen typus, die längeren unterscheiden sich nicht
etwa durch reichere handlung, sondern durch mehr worte; die auftrage
an die boten, ihre ausführung, die antworten und drohungen sind in
1) Veröffentlicht von prof. J. K. Hrose in der Zeitschrift Cesky lid, wie mir
ebenfalls prior P. Method Mühlstein freundlichst mitteilt. — Solche spiele hat wol
Eeinsberg a. a. o. s. 45 im äuge, wenn er behauptet, „dass auf dem lande und in
mehreren Augustinerklöstern Böhmens noch in unserem Jahrhundert Dorotheenspiele
aufgeführt worden seien." In deutscheu [gegenden sind alle meine nachfragen er-
folglos gehlieben.
2) J. Feifalik, Volksschauspiele aus Mahren, Olinütz 1864 s. 81— 166.
DAS BOROTHEASPEBL 161
die länge gezogen. Doch ist fast überall die bekehrimg und das
martyrium des Theophilus angefügt, und in den meisten wird am
Schlüsse der grausame konig vom teufel geholt. Eine wichtige aufgäbe
scheint es dabei gewesen zu sein, teufel und henker dem publikum in
derbkomischer weise vorzuführen ; trinken, spielen und lästerliche schimpf-
worte sind die beliebtesten hilfsmittel.
Im jähre 1507 liess Chilian Reuter (Eques) aus Wittenberg seine
lateinische Comedia gloriose 'parthenices et ruartiris Dorothee drucken1,
die allerdings von dem künstlerischen vermögen des Verfassers ein recht
trauriges Zeugnis gibt. Die technik ist höchst unbeholfen, der Übergang
zu neuen scenen unvermittelt, und widerholt wird die gegebene läge
gar nicht ausgenützt. Der äussere verlauf schliesst sich an die Legenda
aurea an und wird in fünf acte eingeteilt; die spräche ist ungeniessbar,
hochtrabend und mit vielerlei gelehrtem aufputz versehen. Der Ver-
fasser sucht hiermit seine Vorbilder im renaissancedrama nachzuahmen,
vermag sie aber nicht zu erreichen; denn er verfügt nur über den
gleichen dunkel, keineswegs aber über ähnliche fähigkeilen. Für uns
ist das stück nur von wert als beweis für die beliebtheit des Dorotheen-
stoffes auf sächsischem gebiete.
Einen interessanten beleg für deutsches spiel gibt uns noch
Joachim Greff, der lutheraner aus Zwickau, der das Dorotheenspiel an
wert und Wirkung gleich neben die passionsspiele stellt. Er schreibt2:
„. . . Vnd ist kein spiel so klein noch so geringe / man kan vnd sol
was daraus lernen / wie man sich hüten sol / itzt für hurerey vnd vn-
züchtiger lieb / itzt für fressen / sauffen / spielen / vnd dergleichen / alles
zu vnser besserung. Also auch vnser lieben vorfahren habens gut ge-
meinet vorzeiten /mit dem spiel der passion / wollen vns zu andacht vnd
fromigkeit reitzen. Dergleichen auch andere mit S. Dorotheenspiel/
darinn sie halten angezeigt vnd zuuerstehen geben wie wir vns mit
nichte/vnd durch keinerley weise von Gott/odder von seinem Gött-
lichen worte vnd seiner liebe / wedder durch Verfolgung odder einige
trübsal solten lassen abwende / gleichwie die heilige Dorothea gethan /
die ir leib vnd leben lieber vmb Christi vnd seines worts Avillen ver-
lieren hat wollen / den das sie die Abgötter soll angebetet haben \nd
1) ChUiani Equitis Meilerstal ini Comedia gloriose parthenices et martiris
Dorothee agoniam passionemque depingens . . . Am Bchl.: Impressum LiptzeK per
IJaccalarium Wolfgangum Monacensem anno M. CCCCCvij. — Vgl. hierzu Creizenach,
Neueres Drama II. s. r>:{ fg.
2) In der vorrede zu seiner Übersetzung der Aulularia des Plantus Magde-
burg 1535.
ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XXXV. 11
1 02 i rrsTi?
\ < . 1 1 (iutt Boli Bein abgefallen. Solch ein spiel ist auch gewesen von
des heiligen Johannis des tauffers enthaubtung vnd viel andere mehr
wie jederman bas weis denn ich 3agen kan. Alk- zu vnser besserung
(habe ich gi iches gi cbehen beide von rnsen rorfharen
vnde von den alten klugen weisen leuten poeten vnd allen viel andere
Scribenten, die es im zwei uel f aal gul gemeinl haben..." Diese stelle
zeigl im vereine mit den nachrichten aus Bautzen and Bgcr, das« die
Verbreitung des Dorotheenspieles auch auf deutschem gebiete keines-
ringe gewesen sein kann. Da- lateinische ßchuldrama des
XVII. Jahrhunderts hat unseren stoff noch einmal aufgegriffen, wie ich
aus einer handschriftlichen Sammlung von schulaufführungen ersehe, die
in der stiftsbibliothek zu KremsmünsteT aufbewahrl wird. Es ><>\\ da-
von weiter unten noch die rede -ein.
So ist es ebenso auffällig wie bedauerlich, da-- trotz der beliebt-
heit i](^ Dorotheenspieles nur ein einziger deutscher text — und dii
auch nur als bruchstück erhalten ist. Die handschrift, die sich im
besitz der bibliothek des Benediktinerstiftes Kremsmünster befindet, trägl
den titel ,,Ludus de saneta Dorothea" und ist von Hoffmann von Fallers-
leben in seinen „Fundgruben" abgedruckt worden; ich glaube aber
eine neue ausgäbe des stückes mit guten gründen rechtfertigen zu
können. Einige bemerkungen über die handschrift — cod. 81 der
manuskripten-abteilung — welche das stück enthält, will ich voraus-
schicken. Über die herkunft des ganzen bandes wie der einzelnen teile
lässt sich leider nichts sicheres feststellen. Er ist nach einer inschrift
auf blatt IIa der abtei Kremsmünster im jähre 1440 vom ursprüng-
lichen besitzer Johannes Seid de Leubs übergeben worden; der spender,
welcher der abtei noch andere bücher schenkte, heisst hier lionorabiJis
presbiter, qui habet noMseum fraternitatem ei anniversariwm — sonst
ist von ihm nichts näheres bekannt'-. Das buch ist ein sammelband
in quart, bis auf einige pergamentblätter durchweg auf papier ge-
schrieben, und vereinigt in sich eine anzahl verschiedenartiger bestand-
teile, im ganzen 41 nummern. Schon die zuweilen stark abweichende
1) Aus neuerer zeit mag hier erwähmmg finden: S. Dorothea. Legendi in
zwei aufzügen, aus der Sammlung „Religiöse Schauspiele für mädeherr von "Wilhelm
Pailler, Linz 1877.
2) Ein Johannes Seid war 1422 und 1428 rector der Wiener Universität und
auch sonst eine hervorragende persönlichkeit . s. Aschbach, Geschichte der "Wiener
Universität I s. 2dl fg. , 581 fg. Er hat mit unserem Seid kaum etwas zu tun, sonst
wären seine titel nicht verschwiegen. — Eine bürg Leubs stand in Niederösterreich
am linken Donauufer; sie ist zu beginn des 15. Jahrhunderts zerstört worden.
DAS DOROTHEASPIEL 163
grosse der einzelnen lagen deutet auf die willkür, mit der hier ganz
ungleiche elemente von einer sorgsamen hand unter eine hülle ge-
bracht und so vom Untergang gerettet worden sind. Auch der einband
stammt aus dem 15. Jahrhundert; er besteht aus zwei starken holz-
deckeln, die mit weissem rauhen leder überzogen sind; auf der vor-
deren aussenseite ist ein beschriebenes papierblatt aufgepresst, das
eine inhaltsangabe oder widmung enthalten mochte, heute aber nicht
mehr zu entziffern ist.
Ich kann diese gelegenheit nicht vorübergehen lassen, ohne auch
hier noch dankbar der bereitwilligkeit zu gedenken, mit der mich der
nunmehr verewigte bibliothekar P. Hugo Schraid bei der arbeit unter-
stützt hat. Er hat mir nicht nur seine privatnotizen über die hand-
schriften bedingungslos zur Verfügung gestellt, sondern ist mir auch
widerholt bei der entzifferung zweifelhafter lesungeu mit seiner reichen
erfahrung zur seite gestanden.
I.
Hoffmann1 behauptet in seiner ausgäbe s. 285: „Das deutsche
spiel von der hl. Dorothea ist nur noch vorhanden in einer schlechten
papierhandschrift des 14. Jahrhunderts. Die Schreibung der hs. musste
ich aufgeben, sie ist gar zu fürchterlich.'- Dem muss ich widersprechen.
Ich bin vielmehr der Überzeugung, dass Hoff mann die landschaftliche
färbung der spräche nicht verstanden und darum alles, was wir als
eigentümlichkeit des dialektes erkennen, für fehler gegen die sprach-
liche reinheit gehalten hat. Dass sich auch grobe Schreibfehler finden,
ist ja nicht zu leugnen; aber Hoffmann hat das gedieht ohne weiteres
in die strengen formen der sog. mittelhochdeutschen dichtersprache
zurückübersetzt. Damit hat er der spräche gewalt angetan und den
leser über den wahren zustand des denkmales im unklaren gelassen;
ich halte darum seinen herstellungsversuch nicht für „gerechtfertigt"
sondern für verfehlt, obwol ich gleich ihm der Überzeugung bin, dass
„das gedieht viel älter sei als die abschritt."
In der schon erwähnten handschrift bildeten die Matter 53 — 88
ursprünglich ein ganzes, das aus zwei quaternionen (hl. 515 — 60, 01 — 68)
und zwei quinionen (bl. 69 — 78, 79 — SS) bestellt; eine fünfte läge, die
wir wegen des jäh abgebrochenen inhaltes voraussetzen müssen, i>t
leider schon vor dem binden verloren gegangen. Die Seiten sind durch
1) St. Dorothea. Hrsg. 1837 von Hoffmann , Fundgruben II. 284fgg. — Knien
i'aesinnle-lichtdruck der ersten seite der hs. bringt Na^l-Zeidler, Deutsch - öster-
reichische literaturgeschichte I. 352.
11*
164 • HM lt
zwei parallele verticale mittellinien in je zwei spalten geteilt, rechts
und links ist der räum für die scbrif! durch ähnliche Linien abgegrenzt,
die etwa 1 cm vom rande abstehen. Für die einzelnen seilen
feine horizontallinien gezogen, die 1 ' , mm von einander entfernt sind;
die eindrücke der zirkelspitzen, mit hilfe deren die abstände bemessen
wurden, sind deutlich sichtbar. Jede spalte hal auf diese weise II
/eilen von beiläufig 58 mm breite.
Diese :;(i blätter (72 Seiten) umfassen inhaltlich die Dummem
IG — 22 des bandes; und zwar bildet nr. 16 einen commentar zu einem
metrisch grammatischen tractat, nr. 17 21 enthalten leoninische •
verschiedenen inhalts, und nr. 22 ist unser Dorotheaspiel. Innerhalb
dieses gebietes lassen sich deutlich zwei söhreiberhände unterscheiden.
Der erste Schreiber hat eine feine, zierliche ichrift; am Schlüsse des
commentars (endo bl. 80°) fügi er mit grossen lettern an: Anno domini
MCCCXXX.X in vigilia Assumptionis. Aul' der nächsten seite beginnen
mit schwärzerer tiute aber von derselben sorgfältigen und reinen hand
geschrieben die sprüche, jede /.eile bildet einen vers. Von bL 84" sp. 1
/eile IT) an zeig! sieh eine merkwürdige änderung in der Sicherheit
der schritt: sie wird schwankend, die buchstaben geraten bald grösser
bald kleiner, und nach mehrfachen ausätzen gibt der Schreiber die arbeit
auf sp. 2 zeile 11 mit dem verse: post peccata yudor, post balnea sudor1.
Nur eine zeile bleibt frei, dann setzt eine zweite hand die abschritt
fort und beschliesst diese versus bl. 86a sp. 2 mit dem Sprüchlein:
femina formosa sine moribus est odiosa. Dieser zweite Schreiber hat
eine grössere und stärkere schritt, wenngleich er sich bemüht, die ge-
nauigkeit und Sorgfalt seines Vorgängers nachzuahmen. Derselbe Schreiber
setzt auf der nächsten seite (bl. 86'' 1) mit dem Ludus de sancta Dorothea
ein. Aber sei es nun, weil er hier kein mustergiltiges Vorbild vor äugen
hatte, oder dass ihm das deutsche geläufiger war als das lateinische,
man merkt sofort eine schnellere Schreibart, und je weiter er kommt,
desto eilfertiger wird die schrift.
Diese beobachtungen rechtfertigen eine mutmassung über die zeit
der niederschrift unseres Stückes. Der erste tractat ist am 14. august
L340 vollendet worden"-. Da die ausehliessendon versus leonini keine
1) Demselben Schreiber gehören im bereiche des sammel bandes noch die
bll. 36a — 44a an, die auch in bezug auf zeilenverteilung genau den charakter unserer
blätter an sich tragen.
2) Hoffmanns bemerkung zum Dorotheaspiel: „Von derselben hand und mit
derselben dinte steht einige blätter früher die Jahreszahl anno MCCOXXXX" ent-
spricht, wie wir gesehen, nicht den tatsachen.
DAS DOROTHEASPIEL 165
änderung des schriftcharakters zeigen, hat die Schreibarbeit wol ziem-
lich unmittelbar ihren fortgang genommen. So entstanden acht zwei-
spaltige Seiten in durchaus gleichmässiger weise. Die folgenden 38
zeilen sind in verschiedenen Zwischenräumen geschrieben und end-
lich musste die Vollendung der arbeit einem anderen übergeben werden.
Aus der durchaus gleichartigen einteilung der Seiten in spalten und
zeilen erkennen wir, dass schon der erste Schreiber sämtliche lagen
des paketes zugerichtet hat. Es lässt sich nun kaum eine Ursache
finden, warum der zweite Schreiber, der schon die Vollendung der versus
leonini besorgt hatte, allzulange gewartet haben sollte, die vorbereiteten
papierblätter auch auszufüllen. Das geschah aber mit dem Dorothea-
spiele. Ich glaube daher nicht viel fehlzugreifen, wenn ich als mög-
liche und wahrscheinliche zahl für die zeit der niederschrift unseres
Stückes rund das jähr 1350 ansetze. Schriftcharakter und spräche stellen
einer solchen annähme kein hindernis entgegen.
Da uns die geschichte der handschrift über die herkunft dos
Stückes keinen aufschluss gibt, sollen im folgenden diejenigen sprach-
lichen erscheinungen zusammengestellt werden, die uns vielleicht, einen
schluss auf den dialekt gestatten werden. Ich schliesse mich dabei zu-
nächst ganz an Weinhold an, den ich in besonderen fällen eigens
citiere l.
Die starke ahneigung gegen den umlaut erinnert uns an den
mitteldeutschen schreibgebrauch, dem wir auch in anderen punkten
begegnen '-'.
J. Vocale.
a) Kurze vocale:
a. Dor umlaut nur in Heise 158, almechtiger L85; kette 235; unecht in den
238, wen 20, 43, 94, 148, 208, 254; fremdes e in sente 22.
a bleibt in sal, salt 5, 83, 87, 97, 134, 153, 154, 158, 221, 253, aber wol :
aol 20, er sol 224 (s. Arndt a. a. o. s. 13). Neben dieser md. erscheiuuug wird a zu
o: dor 128, dorvon 215, noch 55, 76, 84, 103, 107, 168. L95, wornoeh 73, torstu 151,
wie übrigens im 14. und 15. Jahrhundert auch auf md. gebieten zu finden ist (s.
Arndt s. 5).
c Altes e zähe erhalten in brengen 81, 93, 126, 138, 162, 226, 233. 246 nach
md. Vorgang (s. Arndt s. 17 fg.).
md. ei für e begegnet in dy reythe 40, reyde 1-1, 130. 137. ny/cs L56 und
bei den nasalierten formen geseynr 113, Iceyn (= gegen) 151.
1 Neben Weinhold erwähne ich: Wilmanns Deutsche grammatii [2; Behaghel,
Geschichte der deutschen spräche, in Pauls Grundriss der germ. philologie 1; Arndt.
Der Übergang vom mittelhochd. /um neuhochd. in der spraohe der Breslauer kanzlei.
Breslau 1898; Zwierzina, Mittelhochd. Studien, Zeitsohr. f. d. alt. bd. 44 und 45.
- Behaghel a. a. o. § 24 und 32.
166 CHNEH
Einen ähnlichen nachscl eigen heute noch die nordböhmiscben
<lia!r-k(o {■/.. I». um Gablenz -Reiohonberg), aber auch da mil and andere
österreichische lokale mundarten.
/. gtatl i schreibt die hs. Behr häufig y ohne erkennbaren unterschied. Wie
M,d. wird echtes i Irndt B. 17 fg.) hemilliache 112, en II»). 204
222, eren 254, geleden 235; zu m ///"■/// 111.
Die m,|. beliebte bezeiobnung di ohwüchten vocale in fiexion - and ab-
[eitungssilben durch i ist auch hier zu finden, ü als vor- and nachsilbe irvaren 32,
»rtwifeJ 63, irfori 186, 203, ü-wera 199, ircxeyget 265, KrfemJ 2i;'.i: adt'r 27, 73, 132,
140, 227, 228, 230, 232, 245, allirmeyst 164, glichirwia 188, //»//<///■ 237, wor<*r
181, 191, 203, oj»pÄ«r 81, 93, roeMtr 202, "W 65, MfMtr 160, 180, 165, vatir 59,
volwundym 239; diesen 24 Eällen tehen 38 mit ausgang auf -er gegenüber, t vor /
in erdenclossilin 146, teuphil 252, tempil 92, edillem 1" (edeler 113), hemilich 55,
hemillische 112. Selten ist die nachsilbe -in: cZmn dingin : gelingin 10 i"1' en
dingen -.beginnen \), gehabin: sagen 100, neben einer unzahl von formen aui
Vereinzelt der imperativ *>/•///// l. das particip gewollit 75, der genitiv ;/"//•. L96,
222. Immer das neutrale Personalpronomen fc's w 23, 26. 35, 108. 13'-'. l i
Arndt, s. 42).
Diese Schwankungen beweisen eine dem / ähnliche ausspräche des e, die auch
durch die reime wer (hs. m'):#er 72 (neben gyr-.dir 101) und vativ.her 60 be-
stätigt wird.
Eine Verdunklung des stammvocals zu ö: bilumii > filmen > burnrn zeigt
die form r<>rht\r/ü 170 (dagegen mrhmilr. 184).
o. Der zwischen o und ?< schwebende laut, der von md. Schreibern durch 6'
oder /> bezeichnet wird, liegt vor in ^//' 20. 121 (dagegen 24 mal nu), müget 19-4, 212
(moget 107), lihi-.sii/i 196 (//// 168), Mn^re 149 (Aonic 149); ferner in den reimen
blümen : eomen 22, vornumen : komen 122 neben ronionien: komcit 138, 230, " //-
komen : rro/nn). 140. Schwanken zeigt sich in sufcfe 198, 210 und .so/'/r 128, KttV
wwKen 200, 201, 200, 218 und wol wir 1!)."), vurchten 161 und »orAfe 38 (s. Arndt
s. 22 — 24). Hierher zu rechnen sind vielleicht auch böte (= fass, butte) 153. 174
und vorbax 69.
Allgemein md. a für o in <f/> == ob 36, 222. 227. adir = oder 26, 27. 7:!.
132, 140, 227, 228, 230, 232, 245 (s. Arndt s. 11 fg.). Das präfix vor- statt ver-,
md. durchaus festgesetzt (s. Arndt s. dl), eise!'. 'int liier 1 7 mal • allerdings sind in der
hs. die zeichen o und e einander oft sehr ähnlich, da aber o in überwiegender mehr-
zahl sicher steht, hahe ich die zweifelhaften falle als o gedeutet, willon 76 neben
willen St beruht vielleicht nur auf einein irrtum des Schreibers.
Dem umlaut von o ist die hs. durchaus abgeneigt (s. Arndt s. 24fgg.), wir
linden dafür 25 beispiele; durch die Schreibung Seh 154. 169, 175 ist wol dehnung
des o- lautes ausgedrückt.
u. Neben der masse der unumgelauteten u findet sich die Schreibweise
prüf 207 (vgl. pruffen 255; S. Arndt s. 29 fg.). Eine Verdunklung des unbestimmten
vocals zu u findet sich im Präfix %u = xer: exubroehen 260, xeuvhugen 258, xeu-
vleuget 266 (s. Arndt s. 42). — Darf das a im genetiv exeychans 190 als die hellere
1) Im Leben der hl. Elisabeth ed. Rieger (Lit. ver. XC s. 31) sind die formen
beiste, x/uhist auch in unserem sinn aufzufassen.
2) Vgl. Schönbach, Mitteilungen aus altdeutschen handsebriften IV.. Wiener
sitzber. 98 (1881) s. 917.
DAS DOHOTHEASPIEL 167
Variation des unbestimmten vocals der nebensilben betrachtet werden , von der Wein-
hold § 82 spricht? (s. Arndt s. 42)
b) Lange vocale und diphthonge.
Die laugen sind in unserer hs. nie als solche gekennzeichnet.
d zeigt nach md. art eine starke neiguug zur verdumpfung (s. Arndt s. 6fgg.)
i/o etwa ein dutzendmal, jo 183, 205, 238, 207, brockt 30, volbrocht : macht IG, ge-
docht 78, gnade 13, der imperativ lox 103. loxen 217. gebot: spot (= spät) 108,
host 219, 265 (hast 86, 186, 260), got : hot 156, hot 203. 208 (hat 190, 191); vgl.
dazu noch on 117 neben an, ane 142, 241, 249 (s. Arndt s. 13).
Umlaut findet sich in wenigen fällen: genedik etc. 101, 186, 208, 257, 263,
vorsme 146, im conjunctiv were 35, 181 und in den reimen Eicer : mer (= maere)
86, mereihere 68, -.gerne 120, anbeten : teten (= die taten) 254.
e aus ei (im 14. jh. im ganzen md. gebiet) zeigt sich in einigen Überresten:
hemilich 56, hclggeist (= heiligen geist) 63, sei (= seil) : urteyl 168; wenn wir dieses
e nur orthographisch als statt des hellen d stehend auffassen, das üi österreichischen
dialekten zunächst den umlaut des ä bedeutet (vgl. Zwierzina a. a. o. 44, 375 fgg.), so
würde dies auf einen österreichischen Schreiber hinweisen.
Im reime here:eren 114 ist die alte länge von herre, her in der aurede er-
halten (vgl. zu dem Worte Zwierzina 45, 19fgg.).
Allgemein durchgeführt -ehe- > e (auch ee geschrieben) in den formen von
jehen, sehen, geschehen u. a. ; auch vorsme 146 (s. Arndt s. 15).
t. Nach "Weinhold § 107 findet sich md. seit dem 12. jh. zuweilen ie, 'i für
lauges l geschrieben. Spuren dieses gebrauches scheinen zu sein llp 176 {lybe 152)
und der conjunctiv sge 220, 227, 232 {sy 22); hierher gehört auch vortielgen 34
(s. Arndt s. 20).
Diphthongierung des l zu et tritt nur in dem vereinzelten meyner 130 zutage,
sonst ist durchweg % geblieben (s. Arndt s. 21 fg.). Zu glich mit. langem i im reime
rieh : geglich 28 vgl. Zwierzina -15, 81 fgg.
ö. Starke abneigung gegen den umlaut (s. Arndts. 27): in den zahlreichen formen
Min huren, schone zeigt sich nie oe; im reime trost : irlost 186, 204; hören: toren 256.
ü. Umlaut ist nicht belegt. Die md. neigung, auch dem ü einen unbestimmten
laut nachschlagen zu lassen (Weinhold § 120) hat sich vielleicht in hat 178 erhalten.
ei. Der reim geist : allermeyst 61 ist formelhaft (vgl. Zwierzina 11, 384).
-age- und -ege- zu ag und eg contrahiert, erscheint in den reimen gesagt : behayt
124, vnverexayt : mayt 126, gesagt : mayt 226, ferner cristenheyt : angeleyt 56. Es
reimen also ay < age untereinander, und ey < ege mit altem -heyt] für einen
schluss auf den dialekt im sinne Zwierzinas (44, 3 14 fgg.) sind diese belege zu spärlich.
on. Die eigentümliche erscheinung, dass gerade im md. seit dem ende
J3. jh. der umlaut von ou in wintern erscheint, in denen er obd. Dich! zulässig wäre,
(s. Weinhold §128, Arndt s. 38), finde! in unserer hs. Vertreter in geleubet 155, ge-
leuben 209 (gcloiibrn 164, 196, 200, 201, 270) und wetibernisse 219; ebenso in
icuvletigen 258 und icuvleuget 266 (wenn diese formen von mir richtig erschlossen
sind). Die Schreibung der hs. :cn vlogen und tat vlogz ist durchaus verunglückt.
Das schwache verh vlouge (mache fliegen, verscheuche) isl allerdings selten, von
compositis erwähnen die Wörterbücher nur ervlouge (mache auffliegen), denn ter-
vlocke (zerreibe in flocken) kann natürlich nicht in betraeht kommen. IV
braucht man aber ein xervlouge (zertrümmere, zerstäube mit gowalt) nicht für an-
|i;s R< ii s' ■
ich zu halten. Füv den zusammen!) auf
. yget vei Boffmaou i i ab-
leo davon da - die transitive I
wird dadaroh der reim (wie nirgends im gediente) zerstört. Graphisch bi
annähme keine Schwierigkeit: der seltene ausdrock wurde vom al
-landen, and die ähnliohkeil der zeiohen e and o, y and g tal das übrige, wenn
eine w /-//'/' "■ icuvleygt t enthielt.
iu - md. ii (s. Arndt s. 31). RegelmS I weh und zwar für
den dativ des Personalpronomens 16, 112, 126, 225, für den aecosativ 113, 114,
lautei im,,- 94; da momen ewer 93 (aas wo nach alle zu
ergänzen) III. IM». 125, 156, 164, 256. Zam dath oueh 158 könnte man die Wein-
hold s. 105 anin. angeführte parallelstelle aus Br. Philipps Marienleben 1781
gleichen, wo diphthongierung des /; angenommen wird; ich glaube aber, dass die
Partikel oueh 157 einen Schreibfehler rerschuldet hat.
Wechsel zwischen u und o i-t vielleicht in hüh (= heute) 186 und 6>#-
tegtvm 148 zu erkennen.
Im übrigen ist stammhaftes iu zu ew geworden: gebeut 113, raewra L84, neun
221, 225 (der Schreibfehler wen 221 wurde durch die darüber gesetzte Ziffer IX gut
gemacht)', teupkil 252. *« in der adjectivflexion ist zu e geschwächt; schonen? 181
wurde von späterer hand ergänzt, da der Schreiber das wort ausgelassen hatte.
n. Alle ,V. auch die aus iu gebrochenen, sind verschwunden und nach md.
brauch zu i. i vereinfacht worden (s. Arndt s. 18fg.). So ausser den zahlreichen <hj.
sl. wi noch inj 235, nimant 199, 253, y 152, 238 (ye 237;. all/i 10, % 156, 247,
257, iehliöh 4; &egr&4 169, slixen : begisen 154, begysen : bevlisen 176, syde : gelyde
I70v sydendyngen 154. 175, rf« &*s< (— hiessest) 138, ptfieft 28. missevilAl^ li
34, 17. gebit : beril 54; 'linste 125, //6e 159, fo'ftew 49, 134.
«o ist iu einigen lallen w, u geschrieben: zw 18, ;/«/ 8, 9, raffen 5, a-»-
ruffen 201. Diesen formen stehen entgegen #/</ 143, mfit : gut ±6, 74, ti'in:*<'ni 196,
fcd* 102 und die indicative wi/r. 115, 117, 174, 178, 182, 230, >re«st 157. 211.
Für w immer ^< oder #: *//7<se 109, 129, >•"/•< 215, nnren 218 und die con-
junetive m«w 10, »«<se 114, »«?se 2, 18, mästen, 100 (s. Arndt s. 31).
2. Consonanten.
6 erscheint auslautend zu y> verhärtet in apgote 248, 250, aptgote 36, 92, 244,
256, 258, 266 (mit eingeschobenem <), während sonst immer oA steht sowol als prä-
position wie als conjunetion (= ob); ferner lop 97, 100. Im anlaut nur p/t 267.
adif statt öfter 107 und 232 hätte ich im text nicht als Schreibfehler behandeln sollen ;
vgl. Arndt s. 97.
jih für f in den lehnwörtern oppl/ir 81, S3 und teuphil 252.
/•. "-. Weinhold behauptet § 174, dass uu (= ie) statt anlautendem p (f) im
md. häutiger erseheine als obd., und hringt reichliche beispiele aus Schlesien. In
unserer hs. ist diese Verwechslung nicht selten: wals 254, irwaren 32. icafir 59,
teil 134, 141, 218, /rolk 80, wo» 59, doivon 2±7< wrowe 49, 90, 189, 207, i/o/e/crotre
65, 122, 139, 155, irvmlM 63, würfen 218, /tri 214, 215. Umgekehrt steht an-
lautend p statt mj iu vamemen 94, reiche 95, re/< 67, twi 63, rertfe 108, rissen 34,
>-o/ 67. Hoffmaun wollte iu dieser eigentümlichkeit ganz unberechtigt einen heweis
dafür sehen, dass der schreiher ein Czeche gewesen sein müsse.
t immer im auslaute. Eingeschobenes t sechsmal in aptgote (s. oben).
DAS DCÖtOTHBAePIEL 169
Für die von Wcinliold § 151 erwähnte eigentümliehkeit, dass das md. den sog.
grammatischen Wechsel von d : f in kurzvocalischen perfecten nicht habe, kann nur
die form geleden 235 herbeigezogen werden; Arndt (s. 68) erklärt die form geleden
(v. j. 1440) aus der analogie der präsensformen.
Eine erweichung des t nach / findet statt in alden : waldeti 2, halden : wctldeh
18, immer im präterituin solde, wolde (s. Arndt s. 65 fg.), nicht in weiten (= wählten) 29.
Spuren der md. Schreibweise th statt £, '/ zeigen reythe 40 (rcgde 121, 130,
137) und marthir 191 {matter 22, 182, 203).
*. Das einfache % als affricata nur in zetcar 182, sonst immer cz oder v.
wie in allen handschriften des 14. und 15. Jahrhunderts (s. Arndt s. 64). und zwar
cxu fünfmal: 17, 24, 197, 221 (ermessen) 260; dann exarte 129, unverexayt 125,
cxeyckans 190, irexeygen 257, 265, exuehten 64, cxwar 205, exwen 50, 220, 225,
eawott 155; herexen 72, 124, 268, sac« 145, saexes 141, s-ic-xe 187. Dagegen &cm
26 mal, dann iceubemisse 219, ^e«7 142, gexeyten 23.
s. Das gefühl für einen lautlichen unterschied der zeichen s und » maugelt
dem Schreiber:
s statt x in /<<?//« 122, ßej/se 182, keysen 108, Äe?/6i 120, 127, 163, hist 133,
ft^'stf 169, slixen : begisen 154, begysen : bevlisen 178, ^w/se 109, /^ 48 (fö* 33, 34),
stost 220, »asi 167, *«s 226; im Singular des neutrums als 143, alles 163, äs 26. 3."),
dirs 249, *Vs 180.
■x statt s im genetiv dez, 53, 75, 101. 252. götix 196, 222; beim pronomen
un» (dat. plur.) 9, 10, 12, rf«*ew 98; bei der eopula ixt 68, 72, 88, 117, 148. 202,
204, 224, 244, 262, 267, bix 101, 139. wax 40, 65, 66. Am auffälligsten wol im
anlaut zanc 15, zo 157, 194, alzo 88, 261, %y 169, zult 198. Auch in dieser weit-
verbreiteten erscheinung fs. Arndt s. 70fgg.) hat Hoffmaun wieder die czechische ab-
stammung des Schreibers entdecken wollen! Schreibt doch schon im jähre 1531
Fabian Frangk in „Ein Kantzlei und Titelbüchlein" etc.: „Man fmdts auch bei den
alten I das für hundert jähren und kürtz darnach das z fürs s . . . . gemeinlieh ist
braucht worden".1
seh. Im anlaut vor vocalen wird fast immer seh geschrieben, nur saez 145,
saezes 141, saden 132 (vor schaden 140 steht sade durchstrichen); vor consonanteu
erscheint s in den anlautenden Verbindungen sl, sm, sn, s/r: slixen 153, smäc 187,
vorsme 146, absniden 158, swester 134, 156, 159, 161. Im auslaut nur vah 254.
Zweifellos sprach der Schreiber hier überall seh; vielleicht war er durch die vo
beeinüusst, und es darf auch darauf hingewiesen werden, dass sich die md. hand-
schriften gegen seh zurückhaltend zeigen (s. Arndt s. 79, Weinhold §§206 — 210,
Wilmanus P § 103).
r. Der grammatische Wechsel zwischen * : r beim worte genesen ist in unserer
zeit kaum mehr anzunehmen (vgl. Weinhold § 207); schon aus diesem munde halte
ich Hoffmanns änderung des reimes genesen : genesen 38 in wären igenären für un-
richtig und setze dafür gewesen : genesen. Metathosis treffen wir im imperativ vor-
hörnt 170 (daneben vorbreute 184).
ng. Der gutturale nasal ng reimt (Weinhold §§ 216, 219) in bair. und md.
schriften vielfach auf nn. Unsero hs. liefert das beispiel dingen : beginnen 1. Be-
achtenswert ist die gowohnheit unseres Schreibers, ng duroh nn zu ersetzen; brennen 81,
J26, 138, 246, brennet 162. 226 {bringet 93, brengen 233), lanne 211, 212. kennen 245.
1) llorausgegebcu von Johann Müller, Gotha 1882, s. 10S.
L70
Den verderbten helygeiat i beili >;:; und tudyd* ;enden) <)l
lieg! wahrscheinlich eine nasalierte ausspräche zu gründe; anlass zum verschreiben
mag die ähnliohkeii der zeichen y und g gegebon haben. Etil gutturaler oasalii
müssen auob geseyne i i i) L13, keyn \ gegen) L51, sowie die zweisilbig zu
lesenden vörter kundengen i küni i und gri/mmy i grimmigen) 162 aus-
gesproohen werden.
In sente 21 i itturale elemi al au der ichreibung versohl
arndl b. 83), umgekehrl sidendyngen 154, 175, vgl. atynkindinge (Arndl .83 aus
dem jähre 1417). In ancumrte 160 liegt wol ein Schreibfehler vor.
Nasale resonanz ferner im plural k&nge 150 und in lebmdink 230. Btelll man
dieses wort mit kundengen, grimmy, sidendyngen (vielleicht auch kü/nge) zusammen,
so ist. unschwer zu erkennen, dass der gutturale aasal aus der reducierten Qexions-
silbo stammt.
'/. Der grammatisohe Wechsel h:g zeig! sich uach md. art auch im präteritum
von vliehen vlogen 51. In sa 1 < • j ist das g Dach dem stammvocal geschwu
(Weinhold § 225), vielleicht darf auch so 237 ähnlich aufgefasst werden. Überschüssiges
g in geglich 28.
/,-. Beim anlaut voa Iceyn (= gegen) 151 ist an enkegene zu erinnern.
///f/r 11.") erscheint mag 216; sonst im auslaut immer .tenuis. Die zeichen c and /.■
treten unterschiedslos auf, doch herrscht c vor, es steht ineist im auslaut. immer
vor cousonauten. Neben crist 42, 185, 201, 263, cristum 194, eristenman 43 das
Siegel ^>7« 29, 196, ^c 148. eh im auslaut einmal: piweA 28; vgl. s*cÄ 135, 177. 23 1.
h wird vor t immer ch geschrieben (ausser moht 32). Der form ichlich liegt
palataler reibelaut (= md. g) zu gründe. Boachte mit anlautend h (Arndts. 59): her
6, 7, 36, 40, 42, 204. 224, 258, hym 80; ferner here (= ehre) 147.
3. Einzelne beachtenswerte formenbildungen.
Im sg. des präsens ist e eingedrungen in bevele ich 102, neme ich 147 und
im imperativ nem 106, 130, 144, 177 (nym 223, 234, vornym 243); vgl. Weinhold
§§ 347 bis 350.
2. sg. des präsens auf -es in beuts du 145, reydes du 159; contrahiert horstus
171, £ots£m 151.
Die auffällige 3. sg. trachten 73 ist als Schreibfehler anzusehen oder als
analogic zur 1. sg., für die Weinhold § 395 reimbelege bringt1.
Abfall des -n in der 1. pl. zeigen singe uir 14, bitte wir in der anfaugszeile
des leis, sulle wir 205, suhle uir 210, wir sulle 75; die ganze endung ist abgefallen
in wol wir 195, vult wir 198.
2. pl. bei ausgang des Stammes auf d. I synkopiert: wert ir hören 70, wart
227. Ähnlich in der 3. pl. nem 97.
Der imperativ saga 71 zeigt Zusammensetzung mit der bekanuten interjeetion ;
daneben steht sage 74, verkürzt sa 104 (so 237?). Abfall der endung des plurals
in prüf 207.
1) Ebenso Schönbach, Über ein mitteldeutsches evangelienbuch in St. Paul;
Wiener sitzber. 137 s. 18, und Rieger a. a. o. s. 40 (sie erwähnen jedoch die 3. per-
son nicht).
DAS DOROTHEASPIEI, 171
Tm accusativ sg. des Personalpronomens tritt die md. form en 146, 204 auf.
Flexionslosigkeit des adjectivs und pronomens findet sich widerholt, metathesis der
masculinen nominativendung in eynre by ander 262. Die endung -eine des dativs er-
kennen wir in an dyme lybe 153; n statt m zeigen die dative xcu eynen gexeyten
23 und von der muoter vn den vatir 59.
4. Synthetisches.
Abgeseheu von der Verwendung in abhängigkeit vom Substantiv oder dem ueutrum
eines pronomens oder vom verbum als objeet findet sich der genitv advcrbiell als
massbestimmung: so sal her ruffen an de; allerbesten dex her hon 6, als Zeit-
bestimmung si syc langes tot 232. Einen nominativ der beziehung beim passivum
treffen wir im satzo sy wart dy ton fr angeleyt 56; doppelten ubjeetsaecusativ: do
Dorotheas da% vornan/ dy reythe 39, wenn nicht besser dax als Schreibfehler statt
da zu betrachten ist; dann sind die verse 39. 40 als der einzige fall zu verzeichnen,
in dem enjambement vorhanden ist. Die copula fehlt im satze wen ich eyn cristen-
man 43 und in den fragen ivo myn böte? 118, wi unsir antwurte nu? 161; ferner
Is vrowe man oder muyt 26; vielleicht darf man is als contraction aus ist ex an-
sehen. Hoffmann schreibt Ex /rare vrouice etc.
Bei der kürze des Stückes lässt sich über die sprachliche Zuge-
hörigkeit desselben ein endgiltiges urteil schwerlich abgeben, umso-
weniger, als die beobachtungen nur selten durch entscheidende reime
gesetzeskraft erhalten; auch hier muss bedauert werden, dass die zweite
hälfte des gedichtes verloren gieng. Doch darf darauf hingewiesen
werden, dass der spräche zahlreiche mitteldeutsche demente anhaften;
manche dieser eigentümlichkeiten werden gegen den schluss seltener
und es muss ausdrücklich hervorgehoben werden, dass sich erscheinungen,
die sonst als mitteldeutsche Unterscheidungsmerkmale zu gelten pflegen,
hier gar nicht vorfinden. Ich nehme daher an, dass die ursprüngliche
gestalt des gedichtes einem ostmitteldeutschen dialekte angehörte, dass
aber ein österreichischer Schreiber seine eigene mundart allmählich habe
mitspielen lassen. Wenn wir uns erinnern, dass gerade aus dem nörd-
lichen Böhmen und den angrenzenden gebieten Deutschlands die meisten
ja fast einzigen nachrichten von aufführungen eines Dorotheenspieles er-
halten sind, ist die Wahrscheinlichkeit nicht abzuweisen, dass auch unser
text von dort seinen ausgang genommen habe.
Vers und reim. Das bruchstück enthüll 270 verse1 (wobei ich
die anfangszeile dvs chorliedes nach v. 1! und das nach \. 32 wider-
holte verspaar 29:30 nicht mitzähle). Dem gedichte liegt das reim-
paar zugrunde, doch ist inbezug auf hebungszahl starke Verwilderung
h K. Ucinzol, Beschreibung des deutschen Schauspiels nu inittelalter b. 88
zählt 265 verse, da ihm nur die ausgabt! EToffmanns in den Fundgruben vorlag.
1 72
eingerissen, die mit dem fortschreiten de« Stückes zunimmt Zwei
drittel der reimpaare enden stumpf, die übrigen klingend; auftakt —
oin- und zweisilbig isi in den meisten fällen vorhanden. Die
Senkungen sind grösstenteils einsilbig, mitunter zweisilbig oder sie fehlen
auch ganz. Verschleifung und versetzte betonung sind frei benutzt, i
winl auch kein gewichl darauf gelegt-, dass die verse desselben reim-
paares gleich riel hebungen zeigen. Etwa zwei drittel der rerse sind
vierhebig, last ein Fünftel ergibt fünf hebungen, iebenmal zähle ich
drei hebungen bei klingendem schluss, nämlich v. 3, 17, 37, 95, 96,
127, 192; in mehr als zwanzig lallen müssen wir sechs hebungen an-
nehmen, und die überlangen verse 187, 204, 225, 259 spotten in ihrer
heutigen fassung jeder regel, denn sie lassen 7 — 8 hebungen zu. Solche
verse würden sieh nur durch einen gewaltsamen eingriff in eine ge-
setzmässige form Illingen lassen, und da überdies mitunter sichtlich
die dialektische ausspräche über holperige versfüsse hinweghelfen muss,
so ist eine ziffermässige feststellung der hebungszahlen der Willkür
überlassen. Manchen versen liesse sich freilich durch geringfügige
änderüngen eine glatte form geben, aber hierin habe ich mir absicht-
lich Zurückhaltung auferlegt: einmal, weil durch solche besserungen
das metrische gesamtbild doch nicht wesentlich beeinflusst würde, und
dann wollte ich dem eigenmächtigen vorgehen Hoffmanns gegenüber
ein möglichst getreues bild der handschrift geben. Zweifellos haben
ungeschickte und eilfertige abschreiber viel am texte verdorben; aber
so lange uns nicht eine zweite handschrift die gewähr einer besseren
Überlieferung bietet, müssen wir uns mit dem vorhandenen bescheiden.
Länge und kürze im reim gebunden findet sich nicht selten:
d:a. wären : irvaren 32, gar: dar 240, getan: an 30, : man 00, 190, 208,
220, stau : dan 48, warn : an 250 (vgl. Zwierzina a. a. o. 44, 1 fgg.).
öS : r. meere : here 68, meeren : geren (= gerne) 120, anbeten : ta ten 254 ; ferner
e : r. ir teeren : keren 200. Wenn wir die von Zwierzina (a. a. o. 44, 310) auf-
gestellte regel zu recht bestehen lassen, dass im Österreichischen nur e : e (= altes e)
und cc : ä (= seeundärer umlaut) reimen, im Mitteldeutschen aber nur c : e (= alter
umlaut) und ob : e : «', so müssen wir auch aus den angeführten beispielen auf md.
abkunft scldiessen.
i : /. syde : gelyde 170.
o : o. got : not 30, : kot 156, : tot 108, 210, gebot : not 42, : tot 232 (vgl. Zwier-
zina a. a. o. 44, 22 anm.); dorvon : hon 210.
An consonantisch ungenauen reimen finden sich man : broutigam 148, geyst :
leys 14, rormyden : blyben 102; mit abgestossenem r dorothe : ine 12; freie behandlung der
eigennamen theadara : dorothea 62. Die scheinbar ungenauen reime mere : gerne 120
leben : strebe 228 bedürfen zur herstellung nur leiser coujeeturen. Die wenig kunst-
volle art, den reim durch nachstellung des unflectierten Possessivpronomens myn : dyn
DAS D0K0THEASPIEL 173
: syn herzustellen , findet sich siebenmal v. 49, 50, 76, 84, 98, 106, 145 (vgl. hierzu
Zwierzina a. a. o. 45, 253 fgg.), darunter dreimal in der forrael noch dem willen dyn\
die ersten zwei beispiele sind sogar zu einem reimpaare verbunden. Attributive ad-
jectiva erscheinen nur zweimal im reim nachgesetzt und zwar Dorotheas so her 60
und saexes so vil 141; durch das zwischenstehende so wird aber ihr wert gehoben
und sie erhalten dadurch eine art prädikative bedeutung (vgl. Zwierzina a. a. o. 45,
265 fgg.). Zweimal begegnet uns rührender reim: syn : sin 50 — wobei das nachgestellte
unflektierte possessiv allerdings jedesmal eine andere form vertritt (3. sg. und 3.pl.) — ge-
hört nach Zwierzina (45, 301) zu den identischen reimen, die zwar in der kunstloseren
poesie aber nicht bei strengen dichtem durchschlüpfen. Ein fall schlimmster sorte wäre
aber gewesen : gewesen 242, doch ist wol das erste reimwort in genesen zu ändern.
IL
Dem inhalte nach hängt der Luckts de saneta Dorothea so enge
mit dem berichte der Legenda aurea zusammen, dass ich zum vergleiche
am besten den ersten teil dieser vorläge wörtlich hierher setze.
„De saneta Dorothea. Gloriosa virgo et martyr Dorothea ex patre Doro et
matre Thea fuit progenita ex nobili sanguine senatorum. Ulis temporibus viguit
persecutio Christian orum in terra Romanorum. Unde ipse Dorus spernens idola ro-
mana derelinquens praedia cum possessionibus, agris, vineis, castris ac domibus trans-
fretavit cum uxore sua et duabus filiabus Cristen et Calisten, perrexit in regnum
Capadociae venitque in civitatem Caesarea!» ibique habitans genuit filiam, de cuius
vita nunc intendimus loqui. Et ipsa genita seeundum morem christianorum oeculte
baptizata est a quodam episcopo saneto, qui uomen ei imposuit ex patre et matre
compositum. Dorothea autem ipsa puella repleta est spiritu saneto, virtutibus er
omni pacis diseiplina imbuta, formosa valde super omnes puellas regiouis illius. Quod
invidus serpens inimicus castitatis diabolus non sustinens Fabricium terrae praefectuin
in amorem virginis Dorotheae Stimulans, ut ipsam carnali coneupiscentia appeteret.
Qui mittens pro ea spondeus thesaurum et res absque compoti determinatione pro
dote prodere ipsam legitimo thoro producendam. Audiens hoc dulcis Dorothea quasi
lutum terrae despiciens terrenas divitias et intrepida se Christo desponsatam fatebatur.
Quod audiens Fabricius furore succensus mox eam in dolium plenum ferventis olei
mitti iussit. Ipsaque adiutorio Christi illaesa maneus ac si balsamo ungeretur. Multi
autem paganorum videntes hoc miraeulum intra se ad Christum convertuntur. Fabri-
cius vero credens hoc magicis artibus fieri ipsam iu carcerem reclusit novem diebus
absque eiborum alimentis; quae nutrita a sanetis angelis, dum producitui ad tribunal
pulohrior quam nunquam faerat apparuit eunetique mirabantur, quod tot diebus abs-
que eibo tarn formosa vidoretur. Fabricius vero dixit: Nisi deos in piaesenti ad
equulei poenas non evades. Dorothea respondit: Deum adoro non daemonem, du
eniin tui daemones sunt. Et prostrata in terram elevatisque in coelum oculis oravit
ad Dominum, ut ostenderet omnipotentiam suam et quod ipse sit solus Deus et non
alius praetor eam. Erexerat namque Fabricius oolumnam et desuper idolum. Kr
ecce multitudo angelorum cum impetu veniens content idolum, quod nee particula
columnae inveniretur. Et audita est vox daemonum per aera clamantium: Dorothea, our
nos sie devastas? Et multa milia paganorum ad Christum manifeste convertobantur,
qui etiam martyrii palmam ingressi sunt.11 Im weiteren verlaufe wird Dorothea auf
die Eolterbank gespannt, ihr körper auf die grausamste weise zerfleischt; am nächsten
174 IIM.I:
morgen aber er ihoint o cbön \v. i< - zuvor. Voll Braunen schickt sie der tyrann
zu ihren Bchwestern; diese sollen sie vom Christenglauben abbringen, den sie Belber
uns luiclit schoi en aber Bio werden von Dorothea zum wahren glauben
zurückgeführt and terben auf dem Scheiterhaufen. Noch einmal verweigert die heilige
vor dem präse da heidui che opfer and wird mil Btöcken and
bis die henkei knechte ermüden und wider wird sie über nachl von allen wunden
geheilt. Endlich Fällt Fabricius das todesurteil und I tD rothi 1 1 die tadl zum
richtplatz führen. Auf dem wege wird Bie vom protonotar Theophilus höhnisch ge-
beten, Bie möge ihm doch aus dem garten ihres brfiutigams rosen schicken, wa
zusagt. Durch ihr gebet erwirkt sie den menschen, die sie nach ihrem tode ani
erhörung in allen nöteh. Bevor sie den todesstreich empfängt, tritt ein lieblicher
knabe zu ihr mit einem körbchen voll rosen and a'pfeln; sie schickt ihn zu ]
philus und wird enthauptet an den iden des februar im jähre 287 unter den kaisern
Diuch'iian und Maximian. Theophilus stand indessen im palaste des Fabri
frsi.'lu'int der fi)»t'lknaln' an sein, r seife und überreicht ihm das körbchen mit den
worten: „Diese rosen und äpfel schickt dir meine Schwester Dorothea aus dem para-
diese.'- Auls tiefste ergriffen von dem wunder zur rauhen Winterszeit bekennt
der spötter zum glauben an Christus und empfängt ebenfalls die märtyrerki
Nach dm ausgesuchtesten quälen wird sein leib in stücke geschnitten und d
werden den vögeln zum frasse vorgeworfen.
Der Zusammenhang unseres bruchstückes mit der legend«- ist so
auffallend, dass man annehmen kann, sie sei vom dichter direkt ohne
mittelglied benützt worden. Der prolog, der nach der anspräche an
das volk die Vorgeschichte der heldin, die exposition, zu bringen hat.
weist zum teil geradezu wörtliche anklänge an die vorläge auf; und
wenn der bericht die eitern in civitatem Caesaream fliehen lässt, der
dichter dies aber übersetzt „in eyne stat, dez keyser gebit,1' so be-
stätigt dieser irrtum nur unsere behauptnng. Auch die lateinischen
spielanweisungen gehen mehrfach auf den Wortlaut der legende zurück,
wenn auch im spiele selbst die phantasie des dichters bei der aus-
nutzung und ausschmückung des gebotenen in ihre rechte tritt. Auch
hier aber wird die anordnung der vorläge strenge eingehalten und Hin-
aus besonderen gründen werden einzelheiten breiter behandelt; so die
bekehrung der beiden nach den einzelnen wundern oder die Werbung
des Fabricius um die schöne Jungfrau, den Zuschauern zu liebe oder
zum nutzen. Das opfer, das der tyrann am beginne den göttern dar-
bringen lässt, soll den christlichen zuhörern die Voraussetzung vor
äugen führen, welche die folgenden Vorgänge erst möglich macht. Das
erregende moment bildet hier wie dort die einbläserei des teufeis. Den
abfall der Schwestern hat der dichter vorausgenommen; der keim zu
dieser scene liegt in der legende erst in den späteren worten: Et misit
eam ad duas sorores suas Cristen et Callisten, quae metu mortis a
Christo recesserant, ut ipsae Dorotheam sororem suam a Christo avelle-
DAS DCmOTHF.ASriFX 175
rent. Es muss aber als geschickter griff des dichters bezeichnet werden,
dass er sich durch diese kleine eigenmächtigkeit für eine spätere scene
den weg ebnete.
Eine auffallende abweichung vom berichte der legende findet sich
nur in der erklärung des namens der heldin. Dort heisst der vater
Doms, die rautter Thea — eine einfache nebeneinanderstell ung ergibt
den gewünschten namen, so dass man fast vermuten möchte, die eitern
seien erst nach der tochter benannt worden. Merkwürdigerweise hat
sich der deutsche dichter den fall viel schwieriger gemacht, indem er
den vater Dorotheus, die mutter aber Theodora nennt und dann den
namen des kindes (nach altdeutscher weise?) aus je einer hälfte bestehen
lässt; dabei bereiten ihm die namen viele Unbequemlichkeiten, und die
verse 60 und 61 gehören auch metrisch zu den bedenklichen stellen.
Die von den Acta Sanctorum als massgebend zu gründe gelegte form
der Überlieferung kennt den namen der eitern nicht; doch heisst es in
diesem werke, nachdem von den Übertreibungen der Legenda aurea die
rede war, § 2 al. 11: „Eadem fere in magnum Menologium Yirginum
retulit Franciscus Laherius noster, qui patrem eins Theodorum, Theo-
doram appellat matrem1." Das klingt schon ähnlich, und es mag
unserem dichter eine fassung vorgelegen haben, die in bezug auf namen
ihre eigene wege gegangen war. So beginnt z. b. die oben erwähnte
legende cod. 3, 31 der bibliothek in Kremsmünster, die anfangs fast wörtlich
mit der Legenda aurea übereinstimmt, mit den Worten: „Gloriosa virgo et
martir Christi Dorothea ex patre Dorotheo et matre Theodora progenita
est." Ebenso heisst es in der von Diemer veröffentlichten deutschen
reimlegende (a. a. o. s. 71): „Mit rechter christes lere — Theodora und
Dorotheus — verschiden."
"Würde nicht schon das aussehen der handschrift eine grössere
ausdehnung des dramas gebieterisch fordern, als in unserem brach-
stücke vorliegt, so müsste auch der enge Zusammenhang des erhaltenen
teiles mit der logende ausser zweifei lassen, dass die dichtung einst
den ganzen stoff umfasst habe. Dadurch würde das stück auf die
doppelte länge kommen. Heinzel, der in seiner „Beschreibung des
geistlichen Schauspiels" auch unser spiel in den kreis seiner feinfühligen
beobachtungcn zieht, scheint es nicht für ausgemacht zu halten, da^s
die handschrift nur ein bruchstück enthält2, was für mich zweifellos
1) Gemeint ist Francis Lahier, Le grande Mi-imloge des saintes, bienheureuses
et venerables Viergos. I^ille 1645.
2) R. Heinzel, Beschreibung des geistlichen Schauspiels im deutsohen mittel-
alter (1898) s. 2,
ITC, | HNT.K
feststeht An diesem gründe weiohl meine aurTa sung in mehreren
punkten won der Heinzels ab. Der behauptung, dass Dur. einen wirk-
lich guten ausgang habe1, könnte man unter der roraossetzung zu-
stimmen, dasa ja die erlangung der märtyrerkrone für den guten
Christen ein glück und in höherem sinne auch ein triumph libei den
gegner. genannl weiden kann. A.ber Eeinzel nennt die Zerstörung des
götzenbüdes nach \. 258 die Katastrophe des Stückes2 und bezeichne!
die darauffolgende bekehrung der heiden als den erfolg der heldin ;.
der die sichere erwartung erregt, dass es dem gehassten Pabricius n
schlecht gehen, Dorothea aber noch glück erfahren werde4; und ei
rindet in diesem zusammenhange, dass der teufe! Schadenfreude g<
Kabricins errege, in dem er sie selber ausspreche5. Das alles ist nur
denkbar, wenn auf die noch folgenden martern und die Verurteilung
eum todo keine rücksicht genommen wird; erst auf dem schaffet kann
Dorothea als die wahrhaft triumphierende betrachtet werden. Wenn
feiner behauptet wird, dass v. 2ü7 einer für die mehrheit, d. i. ein be-
kehrter heide für alle spreche6, so wird wider nicht berücksichtigt
dass die hs. v. 270 mitten in der rede altbricht und es doch sehr
wahrscheinlich ist, dass nach dem primt/s paganus auch ein seeundus
ja vielleicht noch ein tertius zu worte kommen werde, wie dies ja auch
nach dem wunder im ölfasse v. 195fgg. geschieht.
Wir können uns die überlieferte handlung etwa in folgende auftritte
zerlegen: 1. Prolog. 2. Das opfer des Fabricius und des volkes. 3. Auf-
reizung durch den dämon. 4. Erste begegnung mit Dorothea. 5. Botschaft
an Dorothea. G. Werbung und Zurückweisung. 7. Abfall der Schwestern.
8. Erste marter im fasse mit dem siedenden öl. 9. Bekehrung der heiden.
10. Zweite marter im kerker, wo sie neun tage ohne speise und trank
bleibt. 11. Wunderbare Zerstörung des götzenbüdes. 12. Bekehrung
der heiden. Daran müssten sich im verlornen teile noch folgende
scenen angeschlossen haben: 13. Dritte marter auf der folterbank (dem
galgen). 14. Bekehrung und martertod der Schwestern. 15. Vierte
marter durch stockstreiche. 16. Das todesurteil. 17. Die begegnung
mit Theophilus. 18. Gebet auf dem richtplatze. 19. Der engel mit dem
blumenkörbchen. 20. Die enthauptung. 21. Bekehrung des Theophilus.
li Beschr. S:225fg.
2) Beschr. s. 274.
3) Beschr. s. 320.
4) Beschr. s. 345.
5) Beschr. s. 351.
6) Beschr. s. 309.
DAS DOROTHEASPIEL 177
22. Martyrium des Theophilus, wobei dahingestellt bleiben muss, ob
das künstlerische taktgefühl des dichters der Versuchung zu widerstehen
vermochte, diesen teil in eine reihe von marterscenen aufzulösen; auch
heidenbekehrungen konnten eingeschoben werden. Das siebenmal an-
gemerkte absingen des Silete bietet uns keine anhaltspunkte für sinn-
gemässe abschnitte. Dafür ist es zweifellos widerholt dazu verwendet
worden, pausen auszufüllen, die durch die unbeholfenheit der technik
entstehen z. b. wenn eine gruppe den bühnenort wechselt oder der
dialog von einer gruppe auf die andere übergeht und ähnlich1. Auf-
fällig kurz ist die scene nach v. 223: Dorothea ist allein im kerker,
der engel tröstet sie. Darauf sind nur zwei verse verwendet und doch
sollen zwischen der einkerkerung und befreiung volle neun tage ver-
streichen; da müssen das absingen des Silete, das abführen der ge-
fangenen und die rückkehr der diener ausgiebig ausgenützt worden
sein, um die zeit doch einigermassen zu zerdehnen2. Nicht gar so
schlimm, aber eingeschränkt genug erscheint auch der besuch des
Fabricius, der sich innerhalb sechs versen abspielt (v. 109 — 114); hier
dient der gang des Fabricius zum und vom aufenthaltsorte der Doru-
thea. der sich wol in prozessionsordnung entwickelt hat, dazu, eine
grossere Zeitdauer zu bewirken3. Eine Schwierigkeit anderer art bleibt
nach der scene im ölfasse bestehen. Es heisst dort, dass die henkers-
knechte Dorotheen die kleider vom leibe reissen, um sie mit dem
siedenden öle zu begiessen. Völlige nacktheit scheint allerdings in
alten darstellungen nichts durchaus unmögliches ' gewesen zusein; deco
war hier das anstössige des entkleidens leicht zu vermeiden, da ja
Dorothea bis zum halse im fasse sass und somit die handlung nur zum
scheine vorgenommen zu werden brauchte. Die Schwierigkeit beginnt
erst, wenn Dorothea unverletzt dem fasse entsteigt — wie geschieht
dies? »Sie muss entweder ebenfalls zum scheine ihre kleider wider
erhalten, oder die naivetät des publikums war gross genug, dass es
nichts auffälliges dabei fand, wenn sie trotz des vorausgegangenen
wider bekleidet erschien.
Das stück beginnt, wie schon erwähnt, mit einem prolög, den
ein herold spricht == primus dicit riemum, qui proponit ludum. Es
werden zuerst Gott, St. Dorothea und der hl. geist angerufen, damit
1) Vgl. Heiuzel, Beschr. s. 87.
2) Vgl. R. Heinzel, Abhandlungen zum altdeutschen drama. Wiener äitz.-ber.
bd. 134 (1895) X. s. 279.
3) Vgl. Heinzel, Abhaudl. s. 276.
4) Vgl. Heinzel, Beschr. s:2ö und 220.
ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. HU. XXXV. 12
178 r.\H
das spiel auch gui rollende! werde. Der Leia zu ehren des hl gei
nach \. II ist jedenfalls die bekannte und beliebt« trophe:
„Nu bitte v. ir den heili ■
umb den rehten glouben allermeist,
daz er an behüete an anserm ende,
sn wir heim suln varn n/ disem eilende. Kyrieleis1.
die Berthold v. Regensburg in der predig! von drin lagen zweimal
citiert2, und die später von den bauern in der schlachl von Franken-
hausen (]"). mai 1525) gesungen ward8. I);i< ganze volk stimmt in den
gesang mit ein (= et oantat omnis populus) besagt die spielanweisung.
Heinzel (Beschr. s. 86) scheint die möglichkeit nicht ausschliessen zu
wollen, dass hier omnis populus nur die Schauspieler bedeute wie in
der spielanweisung nach v. 9»>: Fabricius cum omni populo transit ad
ydolum; aber dort ist populus durch das vorausgehende ganz klar als
das von Ewer zum opfer zusammenberufene volk gekennzeichnet, während
im prolog gar kein anhaltspunkt vorliegt, das wort in einer beschränkten
weise aufzufassen. Nach diesem gebet vernehmen wir in einer art
exposition ereignisse, die vor den beginn des Stückes fallen1: die Vor-
geschichte der Jungfrau wird erzählt, wir werden auf ihre hohe ab-
stammung, auf ihre Schönheit und tugendhaftigkeit aufmerksam gemacht,
und der beginn des Stückes wird v. 69fg. ausdrücklich angekündigt.
Ob das spiel, wie es mit einer anspräche an das publikum begonnen
wurde6, auch mit einem ähnlichen epilog des berolds scbloss, muss
natürlich dahingestellt bleiben. Vielleicht bildete den absehluss eine
anrufung der hl. Dorothea, an der sich das volk ebenso beteiligte wie
anfangs bei der anrufung des hl. geistes.
Mit v. 71 beginnt das dramatische spiel, das nach bedarf von Vor-
schriften für die darsteiler unterbrochen wird, die lateinisch abgefasst
sind. Diese spielanweisungen geben zumeist an, was vor oder während
der folgenden rede getan werden soll, oder es wird auch anbefohlen,
was nach der rede zu geschehen hat, so nach v. 212: Fabricius dicit
ad tortores et facit paganos ducere ad decollandum; es kann auch der
inhalt der rede schon kurz angedeutet werden wie nach v. 88: Ewer
respondet et convocat populum, ut vadant ad eultum ydolorum, und
t) Wackernagel, Das deutsche kircheulied 11,44.
2) Berthold von Regensburg, herausgg. v. Pfeiffer I, 43. 45.
3) Hoffmann, Geschichte des deutschen kirchenliedes3 s. 201 fg.
4) Vgl. Heinzel, Beschr. s. 205.
5) Vgl. Heinzel, Abh. s. 23 und Beschr. s. 63.
DAS DOROTHEASPIEL 179
nach v. 96; Time Fabricius cum omni populo transit ad ydolum ipsum
laudando l.
Der Zusammenhang der auftritte untereinander ist zuweilen ein
loser. So ist schon beim Übergang vom prolog zum spiel v. 71 die
frage des ritters Grim nach dem begehren des Fabricius ziemlich un-
vermittelt. Überraschend ist nach der huldigung des tyrannen die auf-
reizung des dämons v. 103 fgg., die fast die form eines befehles an-
nimmt. Nicht so streng wie Heinzel (Beschr. s. 281 fg.) als rückblick
auf gar nicht geschehenes möchte ich den fall v. 121 fg. auffassen: Hast
du nü myn reyde vornümen? wol hyn vn heys dy iuncvrowe komen,
von der ich dir habe gesayt. Es ist richtig, das Fabricius zum boten
noch nichts von Dorothea gesagt hat und dass auch gar kein platz
dafür vorhanden ist: aber er hat kurz vorher v. 115 fgg. allen anwesenden
feierlich seine absieht verkündet und setzt nun in der frage v. 121
voraus, dass der diener in seiner Umgebung die mitteilung gehört habe,
ja er benimmt sich v. 123 so, als ob er sie nur oder doch hauptsächlich
dem boten gemacht habe. Nicht viel anders verhält es sich doch auch
v. 211 fgg.; Fabricius kündet den bekehrten beiden den tod an und
fragt dann die henkersknechte: Ir heren, hat ir nu vornomen mvnen
syn? Die art der verhängten todesstrafe erfahren wir hier nur aus
der spielanweisung: et facit paganos ducere ad decollandum. Zweimal
hintereinander, nach v. 236 und v. 242 besagt die spielanweisung das-
selbe: Fabricius contra Dorotheam dicit; es könnte also die zweite Vor-
schrift als überflüssig erscheinen. Doch ist es zweifellos, wenn auch
nicht ausdrücklich bemerkt, dass sich Fabricius v. 239 von Dorothea
ab — seinem gefolge zuwendet und von v. 243 an die gefangene neuer-
dings anspricht-. — In v. 83fg. antwortet der miles Grim seinem herrn
und spricht unmittelbar darauf v. 85fgg. zum boten, doch ist diese
wendung durch eine eigene anweisung angedeutet.
In unserem bruchstücke zähle ich 15 einzeln redende personell.
Dabei nehme ich an, dass der dämon zu beginn des Stückes derselbe
sei wie der aus dem idol vertriebene am Schlüsse, dass der Cursor
Ewer mit dem nuncius identisch sei, sowie dass die servi keine anderen
seien als die beiden tortores Notopolt und Tarant; das ist um so glaub-
licher, als die spielanweisungen offenbar zwischen tortores und servi
keinen unterschied machen, und Fabricius die servi widerholt als ir
exivene man anspricht (v. 220 und 225). Bei der letzten heidenbekehrung
1) Vgl. Heinzel, Abb. s. 9fg.
2) Vgl. Heinzel, Beschr. 9.69 und 84.
L2
ISO
wurde nur ein paganus in rechnung gezogen, da der jähe abbrach der
handschrift keinen zweiten mehr zu «rorte kommen I '■■■ Eeinzel (Böschr.
s. I.'ü) zählt IT einzelpersonen, bezeichnet sie aber nicht näher.
Die heldin des dramas i>t Dorothea; ihre Vorgeschichte erzählt
im der prolog. Daß stiici zeigt uns ihre letzten lebenstage1 und
gleich zu beginn in die gewall ihres feindes geraten '. Sie zeigt
sich standhaft gegen Verlockungen wie drohüngen, erträgt m
beistand die gransamsten martern und erringt sich durch ihren tod die
siegespalme der märtyrer. Einen scharfen gegensatz zu ihr bilden
ihre beiden Schwestern Criste und Büalliste, deren namen wir nutr aus
dem prolog kennen, sie erwecken durch ihre feigheil unsere Ver-
achtung8, tilgen aber die schmach der apostasie im zweiten (verlornen)
teile durch mutiges bekenntnis und durch den tod von henkershand.
— Gegner der heldin ist der römische Statthalter Fabricius. Vom
dämon angereizt begehrt er die schöne Jungfrau zum weibe, aber seine
liehe verkehrt sich in grenzenlose wut, als er nicht nur abgewiesen
wird, seiidern auch noch hören muss, dass die kühne eine chrisün sei.
Der beide und der verletzte liebhaber l lechzt nach räche. Kr ersinnt
die grausamsten martern, die sich immerfort steigern"', muss aber gegen-
über der von Gott beschützten dulderin seine Ohnmacht fühlen und ver-
mag schliesslich den gegenständ seines nasses zwar zu zerstören aber
nicht zu besiegen. All sein wüten führt nur dem Christusglauben
neue anhänget- zu und bringt ihm selbst neue beschämung.
Neben diesen vier aus der legende entnommenen darstellernamen
hat der dichter vier andere selbständig erfunden: Griin, Ewer, Notopolt
und Tarant. Primus miles Grün heisst der erste in der spielanweisung,
als littei- Gfrim wird er von Fabricius angeredet0. Er nimmt eine be-
vorzugte Stellung ein, empfängt unmittelbar von seinem herrn befehle,
gibt sie an einen untergebenen weiter und wird v. 89 von diesem here
angesprochen. — Der läufer (cursor) Ewer beruft als herold das volk
zusammen, damit es den göttern opfere. Wahrscheinlich ist Ewer auch
der böte (nuncius), der mit grossem eifer die Verbindung zwischen
Fabricius und Dorothea herstellt7. Fabricius ruft ihn v. 118 mit der
1) Ebd. s. 177.
2) Ebd. s.321.
3) Ebd. s.306 und 347.
4) Ebd. s. 238.
5) Ebd. s. 317.
6) Vgl. Heinzel, Abb. s. 68, Beschr. s. 1 92 fg.
7) Vgl. Heinzel, Beschr. s. 253.
DAS DOHOTHEÄSPHX 181
frage auf: ivo myn böte, den ich do hyn sende? Aus seinem munde
hören wir das einzige Scherzwort, das uns im ganzen stücke begegnet,
wenn er beim anblick der drei Schwestern v. 138 zu Fabricius sagt:
du hist mich eijne breiigen, nu sint drie komen und damit beweisen
will, dass er den auftrag vortrefflich ausgeführt habe. — Die beiden
henkersknechte (tortores) Xotopolt und Tarant, die auch servi heissen,
sprechen die verse 229 und 230 gemeinsam \ was sonst nirgends mehr
im stücke vorkommt. Auch sie werden v. 213 von Fabricius ir heren
angesprochen. Sie nehmen Dorothea in empfang und vollziehen an ihr
die anbefohlenen martern, sie führen die bekehrten heiden zum tode:
offenbar fällt ihnen auch die ausführung der in dem verlornen teile
angeordneten quälen zu. Alles das gewährt ihnen eine grausame lust.
Besonders Tarant zeichnet sich durch rohe gesinnung aus: er hat der
heiligen die kleider abzunehmen und sie zu fesseln; er hat nicht um-
sonst seinen berüchtigten namen, und um der kleider willen würde er
gerne auch ihrer neune verbrennen. Darf aus dieser bemerkung v. 184
geschlossen werden, dass die kleider der verurteilten in den besitz der
henker übergehen? Die stelle lässt kaum eine andere auslegung zu
und trotzdem soll gleich darauf Dorothea wider bekleidet vor das
publikum treten! Auch geselle Notopolt fasst den edlen vorsatz, die
Jungfrau so mit dem heissen öle zu begiessen, dass ihr haut und haare
abgehen sollen. Grimmiger höhn spricht v. 218 aus den werten des
einen knechtes, da sie die neubekehrten zum richtplatze schleifen: wir
wullen sy vurren, sie mohten ril über gen. Diese rohen kerle machen
den eindruck bestialischer grausamkeit. keineswegs aber, wie das sonst
wol üblich ist, werden sie zu komischen zwecken ausgenützt: dazu ist
unser stück durchwegs zu ernst gehalten.
Von den unbekannten persönlichkeilen tritt uns zuerst der dämon
entgegen. Auch der teufel spielt eine ernste, am Schlüsse zwar jämmer-
liche, nie aber eine komische rolle. Er verleitet den Fabricius, seine
äugen auf die schöne Dorothea zu richten, deren tugendhaftigkeit ihm
ein greuel ist, und erleidet dafür die strafe, dass er von der christin
aus seinem wohnsitze, dem götzenbilde, vertrieben und dieses zerstört
wird. Jammernd muss er enteilen: aus seinen Worten lässt sieh
schliessen, dass er eine mehrzahl von bösen geistern vertritt. Aut-
fallend könnte man es finden, dass Fabricius, obwol der teufel dabei
im spiele ist, eine so ehrbare annäherung versucht und Dorothea zur
ehefrau begehrt. Es zeigt sich hier wider der enge anschluss an die
1) Ebd. s. 28.
182
legende, in welche] der Statthalter Beine auserwählte ebenfalls legitimo
thoro zufuhren will und zwar auch aul einbläsei teufeis hin1.
Ich möchte den ''inst und die wortkargheit, die überall zutage
tritt, als beweis dafür ansehen, dass die entstehang des Stückes viel
weiter zurückreichl als die erhaltene niederschrift, und dass diese wider
abgesehen von sprachlichen Verschiebungen die ursprüngliche form gut
bewahrl hat. Spätere bearbeiter des Stoffes würden »ich gewiss die
mancherlei gelegenheiten Dich! haben entgehen lassen, dem geschmacke
des publikums zu huldigen, dein streben nach breite und der freude
am komischen, die sich auch von der ehrwürdigsten Umgebung nicht
zurückdrängen Hess, Zugeständnisse zu machen. Das zeigt sich ja
deutlich in vielen der erhaltenen czechischen bearbeitungen, von denen
in der einleitung die rede war.
Auch ein engel tritt redend auf; er bringt Dorothea speise in den
kerker und verweist sie v. 223 fg. auf den beistand Gottes. Mehrere
enge! zerstören auf die bitte Dorotheas, aber ohne selbst zu sprechen,
das götzenbild mit grosser wucht und von ' donnersch lägen begleitet.
Auch sonst greift die göttliche macht zugunsten der bekennerin ein2,
jedoch nicht immer benützt sie wie hier sichtbare Werkzeuge. Im öl-
fasse fühlt sich Dorothea so wol, als ob sie im duft einer blumigen
wiese sässe. Auf ähnliche weise wird sie auch die noch drohenden
martern ertragen. Christus selber erscheint nicht3, und der knabe mit
den paradisischen fruchten und rosen darf hier nur andeutungsweise
erwähnt werden, da er ja im erhaltenen bruchstücke nicht auftritt. —
Noch ist der heiden zu gedenken, die sich durch die wunder bekehren
lassen. Nach der glücklichen errettung aus dem ölfasse heisst es:
pagani sive milites, qui primo sit, convertuntur; der relativsatz soll
wol bedeuten „die zunächst stehenden." Drei geben ihrem glauben
öffentlich ausdruck und werden enthauptet. Nach der Zerstörung des
götzenbildes heisst es wider: pagani hie videntes, quod ydolum superasset,
conversi sunt ad dominum; also eine mehrzahl, doch nur einer spricht
v. 267 — 270, mitten im satze bricht die handschrift ab. Schon aus
der einleitung zur rede — et primus dicit — darf man schliessen.
dass noch andere folgen sollen.
Neben diesen einzelnen personen treten noch gruppen von Statisten
und Sängern auf, die als milites, pagani, populus bezeichnet werden,
1) In Reuters Comedia (s. oben) meint Fabricius, die höbe abkunft Dorotheens
lasse keinen andern ausweg, als sie zur gemablin zu erheben.
2) Vgl. Heiuzel, Bescbr. s. 229.
o) Ebd. s. 17G.
DAS DOHOTHEASPIEIi 183
und die gewiss eine grosse zahl ausgemacht haben werden. Vielleicht
sind die neiden aus den reihen der Soldaten zu entnehmen. Unter
populus ist gewöhnliches heidenvolk zu verstehen, das neben der
soldateska auch auf der bühne vertreten gewesen sein niuss; auf dieses
beziehen sich die worte: Ewer convocat populum, ut vadant ad cultum
ydolorum und: Tunc Fabricius cum omni populo transit ad ydolum,
ferner: Tunc Fabricius transit ad mansionem suam cum populo. Es
sind darunter die Untertanen des Statthalters zu verstehen, von denen
er v. 80 spricht: Mynen got den wil ich eren, vn all myn volk zcu
hym keren. Deshalb ist es schwer glaublich, dass die anweisung nach
v. 14 (et cantat oinnis populus) die zur gemeinsamen anrufung des
hl. geistes auffordert, dies heidenvolk im sinne habe; da ist die menge
der Zuschauer gemeint. — Ob die sänger des Silete eine besondere
gruppe ausgemacht oder sich aus den schon erwähnten massen nach
bedarf remitiert haben, geht aus den Spielanweisungen nicht hervor1.
Doch ist wol das erste anzunehmen. An ihrer spitze mag ein herold
gestanden sein, der vielleicht auch leiter des Spieles war und den prolog
sprach oder, wie es hier heisst: ricmum, qui proponit ludum2.
Trotz des einfachen, oftmals unbeholfenen aufbaues der handlung
herrscht doch auf der bühne lebhafte bewegung. Das volk strömt nach
der aufforderung des Cursor beim praetorium zusammen und zieht mit
Fabricius gemeinsam zum götzenbilde; von hier geht der Statthalter an
der wohnung Dorotheas vorüber an seinen platz. Der böte läuft zur
Jungfrau und wider zurück; diese kommt mit ihren Schwestern zum
fürsten und wird in das fass mit siedendem öle gestossen. Die be-
kehrten neiden werden zur hinrichtung abgeführt und Dorothea wird
in den kerker geworfen; von dort wird sie Avider vor Fabricius ge-
bracht und zum götzenbilde geführt, das dann von den engein zer-
trümmert wird. Die bühne muss also von nicht unbedeutendor aus-
dehnung gewesen sein, da zwischen und neben den einzelnen örtlich-
keiten ausser den hauptpersonen auch die begleitung von Soldaten und
volk ohne Störung zur geltung kommen musste. Bestimmte, deutlich
kennbar gemachte bühnenstandpiätze:! muss es mindestens folgende
gegeben haben: 1. Das praetorium (mansio) des Fabricius; 2. der platz
mit dem götzenbild; 3. die wohnung (mansio) der Dorothea; I. eine
art folterkammer oder einen folterplatz, auf dorn die verschiedenen
martern zur ausführung kamen. Über das aussehen dieser platze können
1) Vgl. Heinzel, Beschr. s. 28.
2) Vgl. Heinzel, Abh. s. 24.
3) Ebd. s. L33.
IS I
wir um Vermutungen aufstellen. Dei platz det Fabriciue I anaa!
nui' maasio, war aber jedesfaU be ondej hervorgehoben, da er spä
als praetorium bezeichnet wird: vielleicht war es ein tbronartiger auf-
hau oder eine laube vor einem durch couli er markierten palaete. D< i
aufenthaltsor! Dorothea« beisßl ebenfalls mcmsio, and et muse aaent-
(ohieden bleiben, ob dieses farblose worl nur Standplatz oder wohnu
haus bedeute; jedenfalls oaüsste dies so geartel sein, daes die zusohauer
die Vorgänge Im innern beobachten konnten1. Von ähnlicher beschaffen-
heit war auch ilcr keiker (ewcer), denn wir sehen darin, wie Doro-
thea vom enge) gespeist und getröstet wird. Solche örtlichkeiten
konnten nur durch halbhohe wände oder schranken markiert sein. Der
iolterplatz muss ausser dem kerker noch das öllass und den geigen
beherbergt haben, und auch die martern <\i'- verlorenen teües würde
ich liier vollziehen lassen. Vielleicht fallt auch die binrichtung in
diesen räum, vielleicht ahei waren allen einzelnen scenon gesonderte
platze zugewiesen; das musste sich ja auch nach dem orte der aul-
führung ändern. Mit dem „galgen" wird -in unserem bruohstücke
v. 245 allerdings nur gedroht, aber zweifellos ist damit der equuleus
gemeint, dessen quälen Dorothea in der legende nach der Zerstörung
des götzenbildes zu erdulden hat.
Die bülmeneinrichtung war höchst einfach. Ausser ein paar folter-
werkzeugen verlangt das stück nur ein leicht zerstörbares götzenbild
und die nötigen requisiten, um bei der Zerstörung grossen lärm und
Donnerschläge hervorzubringen; das konnte auch hinter oder unter der
bühne geschehen. Unklar ist bei dieser scene die beinerkung: daemon
per aera clamat; fliegt dabei der vertriebene dämon schreiend durch
die lüfte, oder ist darunter grosses geschrei des bereits verschwundenen
also unsichtbaren zu verstehen?
Der ort der ganzen handlung ist. wie uns legende und prolog
belehren, die stadt Cäsarea in Cappadocien.
Als zeit wird im stücke nur allgemein eine grosse christen-
ve.rfolgu.ng vorausgesetzt; die Legenda aurea meldet, St. Dorothea sei
im jähre 287 an den iden des februar unter den kaisern Diocletian
und Maximian auf befehl des Statthalters Fabricius enthauptet worden.
Andere berichte enthalten über tag und jähr kleine abweichungen: das
andenken der heiligen wird seit uralter zeit jährlich am 6. februar ge-
feiert. — Die handlung des dramas umfasst einen Zeitraum von elf
tagen, wenn ich die neuntägige hungerzeit als voll rechne und für das
1) Vgl. Heiazel, Vbli. s. 28. — Der ausdruck ntansio scheint sich in keinem
der übrigen alten spiele zu linden.
DAR DOKOTHKASPIF.L 185
vorausgehende wie nachfolgende je einen tag ansetze. Der grosse
Widerspruch zwischen Wirklichkeit und bühnenzeit, der gerade in der
kerkerscene zutage tritt1, enthält wol eine starke Zumutung an die Zu-
schauer, und darum kann es der dichter auch gar nicht oft genug
widerholen, dass Dorothea wirklich ganze neun tage im kerker gewesen
sei. Diese klippe zu umsegeln gieng über seine kräfte, während die
übrigen auftritte sich ziemlich glatt aneinander reihen.
Wenn wir unser stück mit dem Ludus de beata Katerina ver-
gleichen2, das aus dem XY. Jahrhundert von Mühlhausen (in Thüringen)
erhalten ist und mit dem Ludus de sancta Dorothea meist in einem
atem genannt wird, so erscheinen trotz mancherlei ähnlichkeiten doch
starke unterschiede. Die spräche unseres dramas ist von der des
Katharinenspieles gewiss nicht weit entfernt gewesen, doch ist sie hier
viel unverfälschter geblieben, weniger von fremden einflüssen verdorben;
auch die verse sind viel strenger gebaut. Es zeigt sich, dass das Doro-
theaspiel durch vielfaches abschreiben, sowie dadurch, dass es von
seinem ursprungsort gewandert ist, sprachlich und metrisch gelitten
hat. — Das Katharinen spiel ist aber in seiner entstehung zweifellos
viel jünger. Fs enthält viel mehr formelhafte Wendungen und weist
einen starken zug zur breite auf; die auftrage an die diener und ihre
ausführung, rede und gegenrede bedingen viele wörtliche widerholungen
einzelner verse und versgruppen. In die lateinischen spielanweisungen
werden häufig hymnen und an tiphonen eingeschaltet, die von den engein
oder sängern gesungen werden. Gewisse auffallende Übereinstimmungen
im aufbau der handlung sind mehr auf die ähnlichkeit der zu gründe
liegenden legenden als auf gegenseitige abhängigkeit zurückzuführen.
So bildet in beiden den ausgangspunkt das verweigerte götzenopfer,
ferner gleichen sich der botcnvcrkehr, die gefangennähme der heldinnen,
ihre martern, kerker, hungcr und schlage, der göttliche schütz bei allen
leiden, die Zerstörung des heidnischen instrumcntes, die bekehrung der
beiden und der martertod der vornehmen, das gebet vor der enthauptung
u. a. m. Ähnliches findet sich ja naturgemäss in den meisten märtyrer-
legenden. Das Dorotheaspiel ist herber, strenger, vielleicht auch un-
beholfener in der rede, das Katharinenspiol weitläufiger und tliessender,
es setzt eine ausgebildetere tradition voraus. 80 steht unser spiel auch
in dieser richtung für sich allein da.
1) Vgl. lleiuzel, Beachr. s. i'Ti und 283.
2) F. StopLiau, Neue ötoffeauiailungen für deutsche gesqhiclite. II. II' lt. Muhl-
hauseii 1847. 8. UUigg.
Ludus do S. Dorothea.
f 80 b 1 1 In nomine domini amen.
[noipit ludus do sancia dorothea.
I'rimus dioü ricmum, qui proponit Iudum.
Nu swigit ir inngen vn ir eü
daz sin got umso waldon.
In alle dyseu dingen,
daz eyu ichlieh mensche wi] beginnen,
5 Ro sal her zcu dem ersten ruffen an
dez allerbesten dez her kan,
daz daz ende werde gut
myt vn myt meren gut.
dez helfe vnz got zcu disin dingin,
10 daz vnz alhi muze wol gelingin,
vh dy heylege iuncvrov dorothe,
daz vnz der hülfe werde me,
Vn dy gnode dez heyligen geyst.
nu singe wir alle dysen leys:
Nu bitte wir den heyligen geyst etc.
et cantat omnis populus. Post cantum iterum dicit:
15 Um den zanc, den ir hot volbrocht,
do gebe vch vme got craft vn macht
Czu sen vh zcu halden;
Got der niftse vusir spilles walden.
Nu höret vn merket also wol,
20 wen ich nü künden sol
von sente dorotea der blümen,
wy sy zcu der marter sy comen.
Zcu eynen gezcyten is ist gewesen
Czu rome, als ich dovon han gelesen,
25 Gros ahtunge der cristenheyt.
Is vrowe, man ader mayt,
June, alt adir rieh,
dy vinch man alle geglich.
dy do cristum weiten zcu got,
30 dy brocht man alle in grose not.
alle dy cristen dy do waren,
dy man in rome moht irvaren,
dy liz man vortielgen vn vortriben
In hne (?) dui amen. Der spruch steht ganz am raude, der obere teil der
Buchstaben ist weggeschnitten; Hoffmann hat ihn gar nicht bemerkt.
1 Der grosse anfangsbuchstabe fehlt, im ausgesparten räum ist heute Is mit
bleistift eingeschrieben. — 8 myt minhe snude; offenbar ganz verderbte zeile. —
15 küm gibt keinen sinn; um vermutet Hoffmann. — 26 wrove. — 29 #pm. —
31 weren (?). — 32 ir waren. Nach v. 32 wiederholt die hs. die verse 29, 30: dy
cristen dy do kristum weiten zcu got, dy broch man alle in grozze not.
DAS DOROIHEASPIEL 187
vh mit wissen liz man keyn [86 b 2J do blyben,
35 Is were denne also getan,
ab ber dy aptgote wolde beten an,
dy zcu rome gewesen,
vn vor sulcher vorchte wol genesen.
Do dorotkeus daz vornam
40 dy reythe, ber waz von edillem stam,
Im missevil gar sere sulcb gebot.
bet- sprach: ihesu crist, hilf mir vz dyrre not,
wen ich eyn cristenman
vh wil nicht beten iren aptgote an.
45 Got zcu hant im gesant in sinnen milt,
wy sin here vn al syn gut
Lis aldo zcu rome stan
vn mit den sinen vur von dan,
Mit theodora der üben vrow syn
50 vn mit czwen tochtern cristen vn kalisten sin.
Set, do vlogen si zcu hant
zcu capadocien in daz lant
In eyne stat dez keyser gebit.
Zcu hant si got eyner tochter berit.
55 Noch dem siton der cristenheyt
hemilich wart sy dy toufe angeleyt;
von eynen bischof alzcuhant
wart si dorothea genant,
von der müter vn den vatir
60 Dorotheus so her
vh dy muter theodara,
also wart ir der nam darothea,
vn wart irvullet mit den heiligen geist
In czuchten vh tugenden allermeyst.
65 Sy waz schone vbir alle iuncvrowen,
daz in alle dem rieh nicht schöner waz zcu schowen.
Welt du wol vornemen dyse mere,
also izt dorothea komen here.
wy nu vorbaz [87 a 1] werde gesehen
70 daz wert ir hören vh sen.
Tunc primum cantatur: Silete. Primus miles Grim dicit:
Here fabricius, saga mer,
waz ist nu dynen herezen ger,
adyr wornoch trachten dyn mfit?
daz sage vns, daz dunket mich giit.
75 dez'sulle wir alle gewollit syn
gar noch dem willon dyn.
34 mit wy vissen. - :!7 genesen. — 42 ihn crist. - 4i) wrow. - 51 vloeen
sin. — 55 Noc. - .-)!) wnn. - watir. — 62 als so. 63 vart ir wullet. - holy-
geist. — ü4 czulthen vn tudyde. — 65 iücwixibbeji. — liti Bohowhen. »;? Verl
nu vol.
Fabricius n i
Ritter grira . daz jage ich dyr,
waz ioh au bau gedooht myr.
Mynen gol den wil ich
so \ ii alle iu.\ ii vulk Ben liym ki i
daz > breiigen daz opphii dar.
daz wil habe alses war.
[terum milee dioil :
Here fabricius, daz sal
gar noch dem willen dyn.
Milcs ad cursorem dicii :
85 horstu daz, Ewer,
hast du vornomen dynes bereu mer?
du salt kundengen alzculiant.
also weyt alzo izt mines hcren laut.
Ewer respondet et convoeat populuni, ut vadant ad eultum ydolorum:
here, daz han ich dicke getan.
90 Nu höret ir vrowen vn ir man:
Ir sullet alle tun mynes herren gebol
v n komet in den teinpil zeu dem aptgot,
vn brenget alle ewer opphir dar
wen man wirt vwer nemen war.
95 vh welche nicht dar komen,
dy nem syn keynen vromen.
Silete. Tunc fabricius cum omni populo transit ad ydolum ipsum laudando. dicit:
Myn got, daz sal dyn lop syn
|87a2] myt alle dyzen volke myn;
vn moch ich ir mer gehabin,
100 sy müsten dir alle lop sagen.
vh biz mir genedik, dez bitte ich dich,
in dyne hüte bevele ich mich.
Dcmon respondet:
Noch eyuer mayt loz sten dynen gyr
i'rabricie, daz sa ich dir.
105 dy schönste, dy in dem lande mac gesyn,
dy nem dir nach dem willen dyn.
fabricius converso ad ydolum dicit:
Ich wil tun noch dynen gebot,
Ich ge sy heysen komen, e iz werde zeu spot.
Tuuc fabricius vadit ad mansionem dorothee et dicit:
Got gruse dich, allerschonste clar,
il<> dy ich han gesen by manchen iar.
Dorothea rofert grates:
Here, iz nucht ewer spot,
80 wölk — 81 brene. — 90 wrowe. — 93 alle wer. — 94 var. — 95 reiche.
— 106 dy ine ne dir. — 108 Ich wil ge; Avil offenbar aus dem vorhergehenden verse
widerholt. — verde. — 109 aller schöste. — 110 mancheen.
DAS DOROTHE ASPIEL 189
so danke vch der hemillische got.
fabricius, Got geseyne vch, edeler here,
daz vch got muse eren.
Tunc fabricius transit ad mansionem suam cum populo et dicit:
115 Nu höret alle, waz ich muz ien:
dy aller schönste dy han ich gesen,
dy muz ich han, daz ist on ende.
wo myn böte, den ich do hyn sende'?
Nuncius respondet:
Here, ich antworte ewren mere;
120 wa ir mich heyst, daz tun ich gerne.
Fabricius ad nuncium:
Hast du nü myn reyde vornümen?
wol hyn vn heys dy iuncvrowe komen,
von der ich dir habe gesayt,
dy myme herczeu wol behayt.
[87 b 1J Silete . dicit Nuncius:
125 an ewren dinste bin ich vnverczayt
Vh wil vch brengen dy schone mayt,
waz ir mich heist werben,
vfi solde ich dor vmme sterben.
Nuncius currit pro virgine et dicit:
Got grase dich, czarte vn clar!
130 Hör vn nem meyner reyde war:
Myn here der bit dich zcu ym zcu komen,
iz kome zcu saden adir zcu vromen.
Dorothea respondet:
waz myn here gebeut, daz sal syn.
nu get mit mir, vil üben swester myn.
Silete . et Nuncius est reversus et dicit ad fabricium :
135 Sich here, wi do her get,
noch der dyn müt so sere stet.
ich han dyn reyde wol vornoinen
du bist mich eyne brengen, uu siut drie komen.
Et transit cum sororibus ad fabricium. Fabricius suscipiet eam . dicit:
.Iuncvrowe, nu biz mir wilkomen,
iiii iz kome zcu schaden adir zcu vromen.
golt silber vn saczes so vil
wil ich dir geben ane zcil;
als myn gut wil ich dir geben,
vn nem mich zcu eym eliöhen leben.
Dorothea respondet:
1)5 waz beuts du myn den säcz dyn!
Ja vorsme ich eu sam eyn erdenclossilin !
Nu nem ich dich noch keynen man.
L22 iücwrowe. — 126 brenne. — KU wil. - L38 brene. — 139 Jücwrwe
111 wil. — 143 Kiiout.
1 90 SOEAOH10R
wen iii<- n 'ii tu- i t in-, ii bi 5tegam,
der eyn konio ubir alle Irfioge i/.t.
iGo Daz sag ich dir in dirre vrist.
Fabriciua furo] i dorotheani 'li<it:
wy torstu «Ja/, v kej n tnii ben?
!] an dyme Lybe wil ich mich rechen!
In eyne böte sal man dich slizen,
vn sal dich mit sydendyngen 5ele begi
llic fabriciua dioil ad son
165 Ir czwn iuncvrowen, geleubet ir OUCh an Jen got,
den ewer swester hy genant bot«
Zo must. ir oucb den tot lyden,
vn sal ach dy helse ab sniden!
prima soror dicit:
ach, lihe swester, was reydes du
L60 wi vnsir antworte nu?
Secunda dicit:
Swester, wir sullen vurchten dy not,
dy do brengct den grimmigen tot.
bore, wir Won alles daz ir vns freyst,
vn gelovben an ewer gut allirmoyst.
Fabricius ad sorores. Et cum hoc iubet, ut dorotheam in oleum proiiciatur et
super caput fundatur.
165 Nu ir in vnsirm leben wellet wesen,
so moget ir vil wol genesen.
aber dy vast an eyn seyl
vn tut noch mynen vrteyl
vn begist zy myt dem oele, daz do syde,
170 do mit vorbornt ir alle ire gelyde!
Silete. Tunc tortores proiciunt eam ad oleum. Notopolt dicit:
Horstus, geselle tarant?
nu wirf ir abe ir gewant
vn warte, daz feste sin ir bant;
sy muz in dy böte zcuhant.
I7ö So wil ich sy mit dem sidendyngen oel begysen,
daz aller ir lip wirt bevlisen.
Nu sich vü nem sin war,
ir müz abe gen hiit vii har.
Tarant respondet:
Geselle, [88 a 1] du darft rnyr nicht sagen.
180 Ja ich wil irs nicht vortragen,
daz sy were noch so schone vn so clar,
Si mtiz dy martir leyden zewar.
148 ihr xpc- — 155 czvu iücwrow — 158 sal ouch. — 160 ancwurte. —
161 vurcten. — 162 brenet den grimmy. — 163 tun widerholt. — 167 adir. — sei.
— 181 schone ist im text ausgeblieben und schonew am rand von späterer hand mit
anderer tinte ergänzt; derselbe corrector ist von jetzt au öfter zu treffen.
DAS DOROTHEASPIEL 191
Jo heyse ich der tarant,
ich vorhrente ix nevne vm ir gewant.
Dorothea sedens m doleo illesa refert grates deo:
185 0 iesu crist, almechtiger trost,
wie genediclichen hast du mich hüte irlost!
Ja sieze ich in eynem balsem smac vn in einen towe
glichirwis als in eyner owe.
nu set, ir vrowen vn ir man,
190 waz czeychans got an mir hat getan,
daz mich dy marthir hat vormyden
vn vnvorsert byn bliben.
Sit ir daz hat geseen,
Zo müget ir wol an ihesum cristum ien.
Pagani sive milites, qui primo sit, convertnntur. primns dicit:
195 Dorothea, noch dynen gebot wol wir tun
vn wellen gelouben an ihesum cristum gotiz sun
vn wellen den han czu got,
zult wir mit dir liden den tot.
Secundus dicit:
Dorothea, daz kau nymant irwern,
200 wir wullen vns vz dem vnrechten gelouben keren
vn wullen gelouben an dynen heren ihesum crist,
der eyn rechtir nothelfer izt,
der dich von der martir hot irlost,
vn alle, dy en anrußen, den izt her eyu heyl vn eyn |88a 2] trost.
Tertius paganus dicit:
205 Jo czwar daz sulle wir alle yen,
wen wir han mit den ougen geseen;
dovon prüf, ir vrowen vn ir man,
wi geuedielich got dorotheen Iiot getan.
wir wullen ouch geleuben an denselben got,
210 vn sulde wir mit dyr lyden den tot.
Fabricius ad paganos:
Den tot den mfist ir ouch liden
vn muget yn ouch nu nicht vormyden.
Iterum fabricius dicit ad tortores et facit paganos ducere ad decollandam :
Ir heren, hat ir nu vornomen mynen syn?
nu nemet sy vn vurt sy hyn!
215 Nu vurt sy hyn vn komt dorvon,
ich mag nicht lenger geseen ireu hon.
Servus fabricio respondet:
Here, wir lozen sy nicht leuger sten.
Wir "wullen sy vurron, si mochten vil über gen.
187 baffem.— 188 oorrigiert in glicherwis. — 189 wrowe. — 193 Sy. darüber
corr. Sam. — 194 ihm eristu. — ien corr. in iehen. — 195 w , darüber wir. —
196 ilntt xpm. — 201 ihü crist. — 205 yen, corr. in yehen. — 20G geseen, oorr.
in gesehen. - 207 wrowen. 214 wrt.'— 215 wrt. — 218 wurren. - wi!
102
gl II v HN1 R
Fabriciufl contra dorotheam dioit:
Daz li'ist du mit zceuberni i getan!
220 im . den kfik'T. ii ■ zw <.ii<- man,
vii in neun tagen sal man ir nich'f czesson g<
lat. warten, ab sj er& götiz i ben'.
Silete eto. Tunc d'ucunt eam ad carcefem. angelu consoletdr eam dorotheam in
re.
I lorothea, nym dy Bpj) ibe dich wröl '
Got i/.t mit dir, als du wü\ m, [88* I he'f boI.
Fabriciufl dicit ad Bervos:
226 Ir czwene man. als iöh vch vor neVn tagen habe gesayt,
get vii brenget vs dem kerket dy mayt,
vii wart, ab sye tot adir lebi .
aair mit wblcherleye ob strebe.
Servi lespondönt:
wir han dyn gebot wol vornomen,
230 sisye tot adir lebmdink, sy muz komeh.
Iterum primus tortor dicit:
herc. wir tun gerne dyn gebot,
aber vns dunket, si sye langes tot.
Et tortores vadunt et ducunt eam de carcere ad pretorium et dlcunt:
Itere, wir biengen dir dy schone vn dy cfär,
Nu sich sy au vn nym sin war!
-'35 vn hette si ny geleden keyne piri,
Si mochte schöner nicht gesin.
Fabricius contra Dorotheam dicit:
So wi bistu des hungirs ye genesen?
Jo bistu schöner, den du bist y gewesen!
vns kan nicht volwuudyru gar,
24ü daz si izt so schone vn so dar,
vn ane spise so lange ist genesen,
also lange, als sy in dem kerker ist gewesen.
Fabricius contra Dorotheam dicit:
dorothea, nu vornym mich man:
du enbetest myn aptgot an,
•J45 adyr ich wil dich an eynen galgen beugen
vn wil dich von dem lebm brengen.
dovon wir sullen nicht lenger hy sten,
wir sullen zcu mynen apgotten [88 b 2] gen.
Silete etc. Tunc vadunt ad ydolum cum dorothea et dicit fabricius:
Dorothea, ich sage dirs au allen wan,
'-'50 uu bete myn apgote an!
Dorothea respondet:
IX
221 nen. — 224 vn am beginn der neuen seite widerholt. — 225 nev. —
226 brennet. — 227 leben. — 228 vor si radierter freier räum. — 232 adyr. —
236 So. — 239 nicht vol vol wüdyrn. — 241 so lanne ist gewesen. — 242 also
lanne alsy. — 244 aptot. — 245 hene. — 246 brene. — 247 do wou.
BAS DOROTHEASPIEL 1Ü8
fabricie, dyne gote, dy du mir nennest,
dy syn dez teuphil gespenst.
Sy sal nimant anbeten.
wen si sin vals mit eren teteu.
255 Nu sult ir alle pruffen \Ti hören,
wy vch ewer aptgote wellen toren,
hy pit ich myn got sine geuedikeyt irczeygea,
daz her dy aptgote [muge] zcuvleugen.
Post hoc angeli veniunt cxim magno inpetu et conterunt ydolum, ut hat tonitrus.
demon per aera clamat:
owe, owe dorothea, waz hast an vns gerochen,
260 daz du vnser gemach also hast czubrochen?
vn hast vns also gar vortriben,
daz eynre by ander nicht ist bliben.
Dorothea ydolo superato grates deo refert:
0 genediger here ihesu crist,
Wi gar eyn milder got du bist,
265 daz du dyne gotheyt host irczeyget
vn dy aptgote zcuvleuget.
Pagani hie videntes, quod ydolum superasset. conversi _sunt ad dominum et
primus dicit: Jo dorothea. daz ist also,
vn bin des von herezen vro,
daz ihesum han irkant
27o vh ouch den gelouben — — — —
Anhang.
Bei dieser gelegenheit will ich noch auf ein lateinisches Dorotheen-
spiel hinweisen, das einer Sammlung von schuldramen beigebunden ist.
die ebenfalls in der bibliothek des Stiftes Kremsmünster aufbewahrt
wird und deren bestandteile dem 17. und dem beginnenden 18. Jahr-
hundert angehören. Es führt den titel: Sancta Dorothea Virgo, Cesareae
in Cappadocia Martyrio affeeta a Sapritio Tyranno. Tragica scemi pro-
ducitur a luventute Cremiphanensi Anno 1651. Es ist auf quart-
blättern sorgfältig geschrieben und zeigt roten schnitt; offenbar war es
einst als handexemplar einem Würdenträger, vielleicht dem abte, ge-
widmet gewesen. Unmittelbar daran schliessen sich zwei scenarien de-
Stückes, eines in deutscher, das andere in lateinischer spräche, \\i<' sie
bei den Vorstellungen an das gelehrte und ungelehrte publikum ver-
teilt zu werden pflegten. Die leetüre des textes ist eine ziemlich trost-
lose arbeit; es soll hier nur angedeutet werden, wie sich dieses schul-
drama zum alten volksschauspiele verhält
254 wals. — 258 zeu vlogen. — 263 ihn crist. 266 zeu vlogz. — 269 ihfii
— 270 Nach vn radierte Kicke; mit ende der seite bricht die hs. ab, Hoffinann er-
gänzt noch vant als reimwort.
ZEITSCHRIFT 1'. DKOTSOHH PHILOLOGIE. BD \\\\ L3
194
Der stoff ist, wie ausdrücklich angegeben wird, aus der daniah
beliebten legendensammlung des Suriu entnommen. I)i>- .<m einem
prolog eingeleitete bandlung zerfall! in drei akte; die beiden er ten
akte bestehen aui je acht, der letzte au echs scenen. Der erste und
/.weite aufzug endigen in einem chorus mit musikbegleitung, an
den dritten schlies I sich die Verteilung der Jährlichen prämien" an
die studierende' Jugend; es ist also das stüci gelegentlich der absch
teier <\rs Schuljahres aufgefübii worden. Nichl mehr die grausame
Freude an marterscenen stellt im Vordergründe, sondern die freude an
grossen reden; die rhetorik mit allen kunstmitteln, alter auch mit an-
erträglichem bombasl und schwulst, tritt in ihre rechte, [m erst« d akte
werden Dorothea und ihre zwei Schwestern als Christen gefai
genommen; die Schwestern lallen aus furchl vom glauben ab („gehen
in dem glauben den khrebsgang", sagt das scenar I. 8), Dorothea
aber bleibt standhaft und wird den Schwestern zur behandlung
übergeben. Im /weiten akte wird die Jungfrau ihrer standhaftigkeil
wegen in den kerker geworfen, beredet aber dort ihre Schwestern zur
umkehr, was diese mit dem tod „in feurigen kesseln" büssen müssen.
Die marter wird jedoch nicht auf der bühne vollzogen. Im dritten
akte soll Dorothea auf der folterbank aufgezogen werden, aber durch
ein wunder vermögen die henkersknechte sie nicht vom platze zu be-
wegen; Sapritius lässt sie daher sofort enthaupten. Noch wird kurz
die bekehrung des Theophilus durch das rosenwunder dargestellt, und
das stück schliesst damit, dass sich der neue Christ dem tyrannen aus-
liefert Da sich Dorothea zur enthauptung in einem gerüst verbergen
muss, aus dem der köpf für den henker heraussieht — offenbar wurde
dabei eine puppe eingeschmuggelt — so wird dem publikum eigentlich
nur eine einzige überdies erfolglose marterscene zugemutet.
An die stelle der taten treten dafür in ausgiebiger weise gewaltige
reden. Schon die hauptleute, die zu aufang auf christenjagd ausgehen,
nehmen den mund recht voll. Der tvrann Sapritius kann sich gar
nicht genugtun in Verwünschungen und drohungen, und da diese gar
keine Wirkung tun, gerät er so in zorn, dass er nach dem henker
schicken muss „ad molliendum animum" (III. 3)2. Hier tritt die ganze
1) F. Laurentü Surii De probatis sanctorum historiis. Köln 1570, 3. auf-
läge 1618.
2) Vgl. dagegen Reuters Comedia gloriose martiris Dorothee (s. oben). Hier
kommt Fabricius über die bekehrung des Theophilus so sehr in wut („pre iracundia
non sum apud me!"), dass er — essen gehen muss; er ordnet ein reichliches fest-
mahl an und lädt alle Schauspieler dazu ein (5. akt schluss).
DAS DOROTHEA SPIEL 195
innere hohlheit dieser dramen zutage: derselbe grausame tyrann, der
eben noch wegen der hartnäckigkeit der Christin vor wut zu ersticken
drohte, verteilt am Schlüsse die prämien unter die studierende Jugend,
offenbar weil man vor einer fürstlichen person unter allen umstünden
respekt haben muss!
Den rhetorischen absiebten kommt auch die allegorie zu hilfe, die
wie ein rahmen das gemälde umschliesst. Im prolog fordert Ecclesia
militans die Zuschauer auf, dem kämpf und sieg der hl. Jungfrau Doro-
thea beizuwohnen. „Ad arma", ruft sie, „ad arma Christiano nomine
quieunque gaudet generöse stipendia miles mereri!" Sie versteht da-
runter vineula, secures, carceres et equuleos, palmas und schliesst mit
der bitte: „Haec arma traetabimus et hanc victoriam, dum Cothumo
iuvenili Musa peraget, vos parcere et benevolos speetare petimus.'' Zu
beginn des ersten aufzuges beklagt sich Idololatria über den rückgang
der götterverehrung, und die furie Alecto verspricht ihr, Sapritius gegen
die Christen aufzustacheln. Am Schlüsse beweinen Ecclesia, Fides und
Timor Domini im chore den abiall der Schwestern „mit betrüebter
rnusica." Der zweite akt beginnt, indem der hüllenfürst Pluto1 voll
freude dem Styx den sieg der abgötterei melden lässt. Aber in der
6. scene beschliessen Timor Domini und Poenitudo, das herz der! ab-
trünnigen Schwestern zu' rühren,1 was ihnen auch gelingt, so dass der
Chorus die liebe gottes über alles preisen kann. Der dritte aufzug
hat keine allegorischen figuren mehr.
Auch für das heitere element ist gesorgt. Die satellites, die nach
prahlerischen reden auf die christenjagd ausziehen, aber un verrichteter
dinge zurückkehren müssen, weil das wild schon ausgeflogen war, er-
innern an den alten miles gloriosus. Die eigentlich komische figur
bildet jedoch der Zimmermann Lentulus, der auf dem forum das trihunal
aufrichten helfen soll, aber statt zu arbeiten mit geschwätziger zunge
die zeit vergeudet „in depingenda sua Xantippe," oder, wie es gut
deutsch übersetzt heisst „mit beschreuhung seines alten hausskhreuz"
(IL 3). Nach dem bilde, das der mann von seiner besseren hälfte ent-
wirft, muss diese allerdings eine recht unliebenswürdige person gewesen
sein. Doch scheint sich die Satire nicht bloss gegen böse eheweiber
sondern auch gegen gewisse faule zimmerleute zu wenden. Lentulus
1) In Reuters Comedia reizen Pluto und die Euiie Alecto den Fabrieius auf,
dass er Dorothea töte; aber ihr auftreten, das wilde gebrüll „ho, ho, ho, ho — ha,
ha, ha, ha!" erinnert noch sehr an die rohen teufelsfiguren früherer zeit; nur der
name ist klassisch geworden (2. akt).
196
hat vnii seinem Beugen roter die lebre erhalten, keine arbeil zu über-
stürzen. Den rat befolgt der Bonn pünktlich; er Bieht gemächlich zu,
wrim andere zugreifen, und lässl Bich durch kein »chelt- noch stichel-
reden au seiner ruhe bringen Zu einem arge] wird er aber dafüi
auch bei der lohnzahlung übergangen
i 1:1 ,| Mi < ii. i. III IXBIl II 8l HAI i
DIE ENTSTEHUNGSZEIT VON WOLFRAMS TITUEEL
Über die entstehungszeil eon Wolframs Titurel Bind in nun bei-
nahe hundert jähren die verschiedensten ansichten ausgesprochen worden
Von diesen darf jene von Pfeiffer- Bartsch heute als allgemein auf-
gegeben betrachtet werden , während Domanigs hypothese von vornherein
jeder lebenskraft entbehrte: dass der Titurel weder vor noch zwischen
dem Parzival entstanden ist. steht durchaus fest; nur um das chrono-
logische Verhältnis zwischen T. und Willehalm kann es sich heute mich
handeln. Auch hierüber sind die meinungen geteilt: die meisten ge-
lehrten haben wol Lachmanns ansieht folgend die reihenfolge Parzival -
Titurel — Willehalm angenommen, ziemlich allein steht Herforth. der
(Zs. f. d. a. 18) gleichzeitige abfassung von T. und Wh. vertrat. Neuerdings
hat nun Leitzmann (PBB. XXVI, 145 fgg.) die schon von Jacob Grimm
und A. W. Schlegel ausgesprochene, später von San Marte (Wolframs
leben II, s. 34-4) vertretene ansieht, dass T. das letzte unter Wolframs
werken sei, zu begründen unternommen.
Leitzmanns Untersuchungen haben sicher die Titurelforschung
wesentlich gefördert und die resultate seiner capitel über den strophen-
bestand und die composition nehme ich durchaus an. Dagegen glaube
ich, dass er mit seiner datierung des T. ebensowenig das richtige ge-
troffen hat als seine Vorgänger.
Die frage lässt sich bekanntlich nicht für sich allein entscheiden.
sondern nur im engsten Zusammenhang mit jener andern, ob der Wh.
vollendet oder unvollendet ist. Nach der bis heute vorherrschenden
ansieht ist der Wh. ein torso (vgl. Bernhardt, Zeitschrift 32, 36 und
die dort verzeichnete litteratur; Vogt, Grundr. II, s. 201) und als grund
dafür wird ziemlich allgemein angenommen, Wolfram sei über der ab-
fassung des 9. buches vom tod ereilt worden, nachdem er schon nach
Vollendung des 8. buches die arbeit im Vorgefühl des nahenden endes
vorübergehend unterbrochen habe. Leitzmann dagegen hält zwar nicht
mit Clarus, San Marte, Bolin das gedieht für vollendet (nach dem
DIE ENTSTEHUNGSZEIT VOK WOLFRAMS IITCREL 197
ursprünglichen plan!), er nimmt aber an, es sei von Wolfram absicht-
lich unvollendet gelassen beziehungsweise mit einem nicht dem ursprüng-
lichen plan entsprechenden notdürftigen schluss versehen worden. Ganz
ähnlich äussert sich Bernhardt (a.a.O., s. 38fgg.); während dieser aber
zur erklärung des „notdürftigen" abschlusses wider zu der annähme
greift, "Wolfram sei darüber gestorben, lehnt Leitzmann diesen schluss
ab. Natürlich erklärt er sich auch die Unterbrechung nach dem 8. buche
nicht in der oben angegebenen weise. Ich glaube nun, dass er betreffs
dieses 8. buches im recht ist; denn dessen Schlussworten (402, 18fgg.)
ist tatsächlich nichts zu entnehmen, was auf eine Todesahnung Wolframs
gedeutet werden könnte oder auf irgend einen äusseren zwang, der
ihn an der fortführung seines werkes gehindert hätte. Vielmehr scheint
auch mir die stelle aufs klarste darzutun, dass W. sich freiwillig von
seiner arbeit abgewendet hat, und ins besondere fasse ich vers 30:
deste holder ich dem weere als ein Zeugnis dafür auf, dass W. durch-
aus nicht an eine etwaige fortsetzung seines werkes nach seinem (von
ihm angebl. erwarteten) tode dachte, sondern an eine solche zu seinen
lebzeiten. Wenn Leitzmann vermutet, der tod des landgrafen Hermann
habe Wolfram bestimmt, die auf dessen veranlassung begonnene dichtung
bei seite zu legen, so hat er meines erachtens damit einen grund, aller-
dings wie ich glaube nicht den einzigen und auch nicht den wichtigsten,
richtig erkannt. Auch dass es das zureden teilnehmender freunde ge-
wesen sein mag, das den dichter veranlasste, sein werk wider zur band
zu nehmen, scheint mir ganz einleuchtend. Weiter kann ich Leitzmann
jedoch nicht folgen und vermag vor allem in den letzten uns erhaltenen
abschnitten des Willehalm einen notdürftigen abschluss nicht zu er-
blicken, weder in Leitzmanns noch in Bernhardts sinne; denn gerade
um als solch ein abschluss gelten zu können fehlt dieser partie so gut
wie alles.
Es kann zunächst kein zweifei daran bestehen — und auch Leitz-
mann bestreitet dies ja nicht — , dass Wolfram ursprünglich die absieht
hatte, sein werk viel weiter zu führen, als es uns erhalten ist. Die im
Wh. an verschiedenen orten begegnenden hinweise auf später zu er-
zählendes zeigen dies deutlich genug: rergl. Bernhardt a. a. o., s. 39. Wie
weit Wolframs plan reichte, lässt sich schwer bestimmen, ob wirklich
bis zur Werbung Rennewarts um Alyze. wie Bernhardt und Seeber (Über
Wolframs Willehalm) aus 284, 15 und 330, 27 schliessen wollen, scheint
mir sehr zweifelhaft. Aber die rückkehr Rennewarts gehörte sicher noch
dazu; ohne von dieser zu berichten konnte Wolfram sein werk keines-
falls absichtlich schliessen: ein „notdürftiger" abschluss, wie ihn Leite*
198 in. i.m
mann und Bernhardt annehmen, hätte nach dei ganzen anläge des
c 1 1 « • 1 1 1 < ■ in ei iter linie als das wichtigste Rennewarta weiteres Schicksal
vorführen müssen, Ich kann also uichl finden, da die
hauptsächlichsten faden der erzählung zu einem ponnen
seien" (Leitzmann s. 151), and eben dass dies nicht geschah, bev
meines erachtens klar, dass Wolfram an einen Bolchen „notdürftigen"
abschluss nicht gedacht hat. Derselbi »chlu - ergibt sich aber auch
auf positivem wege aus dem. was uns nun wirklich in dem uns er-
haltenen ende des 9. buches mitgeteilt wird. In breitester weise wird
die erzählung weitergeführt: Rennewart ist gefangen, darüber lässt
lins <\tir dichter nicht im zweifei, und wenn er ' UM auch nicht
direkt sagt, lässt er es uns auf echt Wolframsche weise erfahren
aus den werten Bernarts (Wh. 458, 22): wa% ob uns uf dem nähjagt
Rennewart ist ab gevangen? Im anschluss daran wird dann ausführ-
lich dargestellt, wie der austausch gegen die gefangenen heidenfürsten
vorbereitet wird (bis 461,17). Bernhardt nimmt nun an, 161, 23fgg.
sei dieser plan dvs austausches plötzlich aufgegeben worden: hier
habe Wolfram sein nahendes ende fühlend einen anderen schluss
angeknüpft. Diese argumentation zeigt entschieden einen logischen
tehler: auch eine an dieser stelle den dichter erfassende todesahnung
hätte doch naturgemäss die folge haben müssen, dass derselbe sich
bestrebt hätte, wenigstens das gerade begonnene in raschen zügen zu
ende zu führen.
Ist denn nun aber dieser schluss von 461,23 ab wirklich wie
B. meint etwas so ganz fremdes, oder ist er nicht vielmehr die in sorg-
loser epischer breite fortschreitende durch nichts in rascheren gang ver-
setzte weiterführung der erzählung? Gewiss, es ist von da ab von
Rennewarts austausch nicht mehr ausdrücklich die rede; deshalb muss
aber doch alles was geschieht in Zusammenhang mit diesem plan be-
trachtet werden. Und wenn uns Wolfram auch hier wider nicht alles
direkt sagt, so kann an dem gedankengang eigentlich doch kaum ein
zweifei entstehu: Matribleiz ist schon 458, 26 von Bernart in erster
linie als geeignetes pfand zum austausch gegen Rennewart bezeichnet
werden. Der austausch selbst wird nun aber nicht durch Verhandlungen
eingeleitet, sondern dadurch, dass Willehalm spontan eben diesen vor-
nehmsten der gefangenen an Terramer zurückschickt: dadurch dass ihm
die leichen der gefallenen fürsten mitgegeben werden, wird die gefällig-
keit, die dem Terramer erwiesen wird, noch erhöht. Nach dem ehren-
codex der ritterlichen gesellschaft, der ja auch Terramer angehört, ist
es undenkbar, dass dieser Willehalms grossmut stillschweigend hinnimmt,
DIE EYTSTEiH'v WOLFRAMS IITUKKL 199
er nmss1 — so haben wir Wolframs gedanken zu verstehn — sie da-
durch erwidern, dass er nun seinerseits Rennewart freigibt.
Dass dies nicht mehr dargestellt wird ohne irgend ein wort der
aufklärung darüber, weshalb es unterblieb, darin vermag ich eben nur
einen beweis zu erblicken, dass Wolfram unerwartet gezwungen wurde,
die arbeit abzubrechen — durch plötzlichen tod oder durch schwere
erkrankung, von der er nicht mehr genas.
Ich nehme also2 trotz Leitzmann an, dass Wolfram in der tat
durch den tod an der Vollendung seines Willehalm verhindert wurde'',
1) Vgl. 459, 3: gein den (dem?) wirt Bermewart wol (d.h.: sicher) qutt.
2) Ein weiterer beleg für die unvollständigkeit des Wh. wurde darin erblickt,
dass der abschnitt 467 nur noch sechs verse hat. Gegen den daraus gezogenen schluss
wie gegen die ganze eiuteilung in abschnitte von 30 versen hat sich San Marte (Wille-
hahn s. 114 fgg.) aufs entschiedenste gewendet. Mir scheint die Lachmannsche ein-
teiluug weder dadurch noch durch das, was Bock (Beiträge XI, 194 fgg.) beibringt,
erschüttert zu sein. Trotzdem möchte auch ich auf die unvollständigkeit des ab-
schnittes 467 keinen schluss bauen, weil immerhin mit der möglichkeit zu rechnen
ist, dass sich im 9. buch des Wh. sechs plusverse befinden. Auch kann nicht ge-
leugnet werden, dass die frage nach der berechtigung der Lachmannschen einteilung
allerdings einer gründlichen naehprüfung bedarf; diese dürfte sich aber weder einfach
auf die Lachmannsche interpunetion stützen, noch sich mit so dürftigen Zählungen
begnügen, wie die San Hartes sind. Übrigens ist auch der schluss, den San Marie
aus seinen zahlen zieht, übereilt: er hätte vor allen dingen einen vergleich ziehen
müssen mit den Verhältnissen, wie sie in Parz. 1 — IV vorliegen. San Marte fand.
dass (nach Lachmanns interpunetion) in Parz. V — XVI 197 abschnitte ohne stärkereu
ruhepunkt in den folgenden übergehn, während 407 mit dem satzende schliessen, das
sind 32,6 resp. 67,4 %. (Im Wh. sind die entsprechenden zahlen 38 % und 62 %).
In Parz. I — IV dagegen ist das Verhältnis ein ganz anderes: nämlich 54,3 % unJ *5,7 %•
Hier überwiegen also die abschnitte, die nicht mit dem satzende schliessen. Sollte
nicht hieraus schon geschlossen werden können, dass Wolfram vom 5. buche ab, sich
bemühte, das ende eines abschnittes mit einem grösseren Sinnesabschnitt zusammen-
fallen zu lassen? Deutlicher wird das bild noch, wenn wir die zahlen der einzelnen
bücher betrachten. Wir finden in I — IV folgende Verhältnisse: I 64,9 — 35,1; II 44 — 56;
111 46 — 54; IV 68,9 — 31,1. (In U und III überwiegen also die abschnitte der zweiten
art, aber nicht sehr bedeutend.) Im 5. buche dagegen erscheint das in IV vorliegende
Verhältnis mit einem male umgekehrt: 26,3 — 73,7, wobei noch besonders zu beachten
ist, dass gerade am anfang des buches die abschnitte, die mit dem satzende schli
gehäuft sind: unter den ersten 13 nämlich allein 12. In den späteren buchen) wären
die einzelzahlen: 34,5 — 65,5; 31,7 — 68,3; 34,3 — 65.7: 19,2—82,8; B4 -66; ••<> — 50;
36,4 — 63,6; 38,5 — 61,5; 25,5 — 74,5; 34 — 66; 22 — 78. Also auch im einzelnen ein
dauerndes starkes überwiegen der abschnitte der zweiton art. Nur im 9. buche halten
sich beide gruppen die wage; aber das darf ruhig als zofall angesehen werden, da
dieses unter allen büchern bei weitem den geringsten umfang (nur 30 absohnitte) hat.
3) Die verse in Ulrichs Willehalm (Kohl, '/.<■ f. d. a. 13, 162, Bernhardt a.a.O. 40)
sind nicht unbedingt beweisend; denn eine direkte beziehung auf den Willehalm ist
nicht nötig. Selbstverständlich ist nur die von Bernhardt gegebene interpunotion riohtig.
^00 BEL*
um] muss dementsprechend die möglichkeit, dass derTiturel noch nach
dem Willehalm \ ei, ablehnen.
Sehen wir nun, was wir aus dem T. selbst für Beine chronologische
bestimmung gewinnen können. Die tatsachen sind bekannt, so d
ein kurzer hinweis genügt 1. Jene schon von Liehmann und andern
(Leitzmann s. 103) für echi erklärte und nun durch das zeognis von M
wirklich als echl gesicherte atrophe "61 (j. T. 727) ist nach dem tode
des Landgrafen Hermann geschrieben, also nach dein 25. april 1'_'17.
2. Derselbe landgraf hatte Wolfram die quelle des Willehalm gegeben,
und die aus dieser quelle stammenden im T. verwendeten Damen Akarin
und Berbcster (vgl. Stosch, Zs.f.d.a. 32,471, Behaghel, Germ. 34, 188)
beweisen, dass Wolfram bei abfassung des T. jene quelle bereits gekannt
hat. Es ist min allerdings (Leitzmann s. L54) nicht denkbar, dass Wolfram
erst die Bataille d'AUscans gelesen, dann aber zunächst den Titurel
schrieben und erst nach diesem die Übertragung der BaiaiUt begonnen
haben sollte. Dem widerspricht, abgesehen von der wahrscheinlichen
arbeitsweise mittelhochdeutscher dichter, die tatsaclie, dass wir in diesem
fall (nach T. *61) ja schon den anfang des Willehalm nach landgraf
Hermanns tod ansetzen müssten, was nach der art wie Hermann "Wh. 3, 8
erwähnt wird, undenkbar1 ist. Deshalb aber mit Leitzmann zu schliessen,
Wolfram habe die namen erst seinem fertigen Willehalm ent-
nommen, haben wir keine berechtigung. Die einzig sicheren resultate,
die eine betrachtung des Titurel und des Willehalm uns ergibt, sind
vielmehr vorerst nur die beiden: 1. der Tit. kann nicht nach dem Wille-
halm verfasst sein; 2. er kann erst verfasst sein, als der Wh. bereits
begonnen war.
Sind wir nun deshalb genötigt, mit Herforth (Zs. f. d. a. 18) gleich-
zeitige arbeit Wolframs an T. und Wh. anzunehmen? Dass gegen diese
annähme schwere bedenken sprechen, hat Leitzmann (s. 118 fgg.) gezeigt,
und diese bedenken haben ihn wol in erster linie veranlasst, den Titurel
nach dem Willehalm anzusetzen. Dies ist nach dem oben ausgeführten
nicht mehr möglich, dagegen bietet sich uns wol ein anderer gang-
barer ausweg.
Wir wissen, dass zwischen dem 8. und 9. buche des Wh. eine
längere arbeitspause liegt, ja noch mehr: wir wissen, dass Wolfram, als
er das ende des 8. buches schrieb, die absieht hatte, den Wh. definitiv
1) Die gegenteilige Behauptung Lachmanns zu Walth. 17, 11 überzeugt mich
licht. Ich nehme übrigens mit Leitzmann an, dass W. vom landgrafen mit der quelle
aach den auftrag, sie zu übertragen, erhalten hat. Auch dies schliesst die aunahme
aus, dass Wolfram erst eiu anderes gedieht begonneu hahe.
s
DIE EKTSTEHUNGSZEIT VQK WOLFRAMS TITVREl. 201
bei seite zu legen. Sollen wir annehmen, dass in dieser zeit Wolframs
feder ganz geruht habe? Ich glaube nicht. Da nun der Tit. nicht vor
und nicht nach dem Wh. entstanden sein kann, noch auch zu einer zeit,
da Wolfram am Wh. arbeitete, so ist es ein ganz natürlicher, ja der
einzige noch übrig bleibende schluss, dass er in dieser arbeitspause
zwischen dem 8. und 9. buche des "Willehalm entstanden ist. Ich ziehe
diesen schluss unbedenklich, ja ich gebe dem Tit. sogar mit schuld
daran, dass Wolfram sich damals vom Wh. abwandte. Der tod Hermanns
allein genügt mir zur begründung nicht: wäre Wolfram wirklich in
einem intimen Verhältnis zu seinem stoff gestanden, er hätte ihn gewiss
nicht so leichten herzens bei seite gelegt. Hier muss ein tieferer grund
vorliegen, und ich glaube ihn ganz einfach darin erkennen zu dürfen,
dass ihm der stoff des Titurel eben mehr zusagte: es ist vielleicht der
erste fall in unserer kunstmässigen litteratur, dass ein tragisches problem
als solches einen dichter unwiderstehlich anzog. Vielleicht reizte es ihn
auch, die nicht geringen formellen Schwierigkeiten, die die gewählte
strophenform mit sich bringen musste, zu bewältigen. So lange land-
graf Hermann lebte, konnte Wolfram an ein aufgeben des Willehalm
nicht denken, als aber mit dessen tod die Verpflichtung an diesem werke
zu arbeiten erlosch, zögerte er nicht, sich jener anderen ihn stärker
anziehenden aufgäbe zuzuwenden. Wir erhielten also auf diesem wege
eine stütze für Leitzmanns ansieht, dass Hermann gestorben1 sei, Avährend
Wolfram mit dem 8. buche des Willehalm beschäftigt war.
Zu dieser datierung des Titurel passt auch vortrefflich eine kleine
einzelheit, die Leitzmann im gegenteil für seinen ansatz in anspruch
nimmt: die bekannte tatsache, dass Terramer, nachdem er Wh. I — VIH
stets nur könig heisst, auf einmal im 9. buche (zuerst 432. 16) den titel
ml inirät erhält. Da nun Tit. 93, 2 der admirät dl der Sarraxtine vor-
kommt, so schliesst Leitzmann , Wolfram habe hier diesen titel aus dem
9. buche, d. h. aus dem fertigen Willehalm entlehnt. Auch dieser schluss
ist unnötig. Der titel stammt aus dem Rolandslied2; dieses hat Wolfram
aber nicht erst kennen gelernt, als er am 9. buche des Wh. schrieb, er
1) Leitzmann will (s. 153) aus dein ton der beiden nachrufe schliessen, dass
der im Tit. als der wärmere auch der spätere sei. Darüber bestimmtes zu sagen, Ist
natürlich schwer; mir will aber scheinen, gerade die knappe erwäbnung im Wl
etwas zu kühl um als erstes wort aufgdfasst werden zu können, das Wolfram für
seinen verstorbenen gönner fand. Sie erklär! sieh jedoch sehr gut, wenn wir an-
nehmen, dass "Wolfram schon vorher (im Titureh des landgrafea gedacht hat.
"_') In der Bataüle d'AIiscans begegnet als allgemeiner titel Fürstlicher heer-
t'uhrer: amvres und amirans.
HELM
lut es vielmehr, wie die Zusammenstellungen bei San fcfarte (Wolframs
Willehalra s. 98 fgg.) zeigen, weil frühe] gekannt, vielleicht schon, al
den Wh. begann, jedesfalls aber als er am anfang di 3. buches arbeitete;
vgl. L08, 12: des enkalt min veter Balygan, der mit dem heiser Karle
Hihi. Es ist also keinesfalls nötig, da der titel im Titurel aus dem
Wh. stammt, sondern er kann Bebr wol direkt aus dem Rolandslied ent-
nommen sein, wie es unsere datierung des Tit. natürlich verlangt Ja
vielleicht dürfen wir annehmen, dass umgekehrl der titel seine auf-
nähme in Willehalm IX überhaupt ersl der vermittelung des Titurel
verdankt.
Die sache liegt nämlich durchaus nicht so einfach, als es scheint
Jener amirät von Palvir (Rol 130,28), in «lein Leitzmann Wolframs quelle
erblickt, ist nur ein untergeordneter heerfuhrer Marsilies, so dass man
nicht gut annehmen kann. Wolfram habe gerade an diesen gedacht,
als er den titel verwendete. Dagegen erhält im Rolandslied zweimal
(234, 22 und 251. 5r>) auch Paligan dm titel Admirate, jener selbe
Paligan. den Wolfram zum oheim des Terranier macht und dessen fahne
Terramer führt (San Marte s. 99). Was hätte nun näher gelegen, als
auch den titel von dem oheim auf den netten zu übertragen. Trotzdem
hat Wolfram im 1. — 8. buche nicht im geringsten daran gedacht: und
ich kann deshalb nicht glauben, dass er im !). buche ohne irgend eine
ganz bestimmte veranlassung darauf gekommen sein sollte, ihn noch
anzuwenden. Diese äussere veranlassung, die zwischen dem 8. und 9.
buche liegen muss, brachte meines erachtens die abfassung des Titurel.
Hier brauchte Wolfram einen titel, der mit dem des römischen kaisers
in parallele gesetzt werden konnte. Da erst erinnerte er sich des titeis
admirat; er verwendete ihn und bei dieser gelegenheit kam es ihm
wol erst zum bewusstsein, dass ja im Rolandslied auch Paligan so hiess
und dass er sich einen titel, der auch für Terramer vortrefflich passte,
hatte entgehen lassen. Als er dann später das 9. buch des Wh. schrieb,
holte er das versäumte nach kräften nach.
Wir sind auch keineswegs genötigt, mit Leitzmann (a. a. o. s. 154 fg.)
anzunehmen, dass die betr. stelle des Tit. die ausführliche erklärung
Wh. 434 als bekannt voraussetzte: das wort selbst war dem publikum
bekannt, es bedurfte im Titurel einer erklärung nicht, da es ohnedies
durch die parallele von selbst klar genug wurde. Willehalm IX aber
ergab sich das bedürfnis, zu erklären, inwiefern Terramer auch diesen
titel, der ihm früher nicht beigelegt wurde, führen konnte; denn dies
und nicht eine einfache worterklärung ist der eigentliche zweck der
stelle; das beweisen aufs deutlichste die verse 434, 16 fgg., in welchen
DIE EXTSTEHUNGSZEIT VON WOLFRAMS TITUREL 203
ausgesprochen wird, dass eben als erbe Baligans, des admirätes aus
dem Rolandslied, Terramer seine grosse macht besitzt.
Eine kräftige stütze seiner ansieht sieht endlich Leitzmann (a. a. o.
155) in jener bei Hahn fehlenden strophe des jüngeren Titurel, in welcher
der dichter berichtet, er schreibe fünfzig jähre nach seinem Vorgänger
und hinzusetzt: ein meisler ish üf nemende swenne cv mit töde ein
ander hie gerümet. Aber auch diese stelle widerspricht unserer datierung
nicht: wir nehmen ja an, dass "Wolfram, nachdem er Tit. 1 und 2 ge-
schrieben hatte, sich entschloss, nun doch zunächst den Wh. zu ende
zu führen, dass er aber starb, uhne dass ihm dies gelang und ehe er
wider zum Tit. zurückkehren konnte. 80 kann jeder von beiden, der
dichter des jüngeren Tit. ebenso gut als vielleicht (s. 0. s. 199, anm. 3)
Ulrich von Türheim ganz der Wahrheit entsprechend von sich sagen,
dass er ein werk fortsetze, an dessen Vollendung "Wolfram durch den
tod verhindert worden sei.
Ausgehend vom 8. buche des Willehalm können wir auch für die
absolute Chronologie von Wolframs werken vielleicht einen kleinen schritt
vorwärts kommen. Die Vollendung dieses buches darf, wie wir gesehen
haben, mit der grössten Wahrscheinlichkeit etwa in die mitte des Jahres
1217 gesetzt werden. Halten wir dazu die stelle Parz. 379, 18, so ge-
winnen wir ein ungefähres mass für Wolframs arbeitstempo. Ich setze
jene Parzivalstolle in das jähr 1205 (vgl. Burdach, Walther I, s. 60).
Wir erhielten also für 448 abschnitte Parz. -f- 402 abschnitte Willehami
etwas über 12 jähre (anfang 1205 bis mitte 1217); auf das jähr ergäbe
das durchschnittlich 2100 verse. Darnach ist zu schliessen, dass AVolfram
für Parz. 1 — 379 wenigstens fünf jähre gebraucht hat. er muss das
werk also spätestens anfang 1200 begonnen haben; die Vollendung wind.'
etwa ende 1211 anzusetzen sein. Wer jene Parzivalstelle ins jähr 1201
verlegt, muss natürlich den anfang des Parz. entsprechend weiter, wenig-
stens um ein jähr, zurückrücken.
Für die 175 Strophen (— 1225 verszeilen) des Titurel haben wir
eine arbeitszeit von mindestens einem halben jähr anzusetzen, sie werden
also in der zeit zwischen mitte 1217 und frühjahr 1218 entstanden sein.
Wh. IX ist sodann, seinem umfang nach ziemlich genau ein jahres-
pensum: ich setze darnach Wolframs tod in das frühjahr 1219.
GIESSEN. K\K'l. HELM.
_M1 I SB ' '
ÜBER DAS LIED VOM BÜENEN SEYFBID.
III. J)i<i reimteehnik dos hürnen Seyftid1.
a) Allgemeines.
Die grammatische Untersuchung hal von den reimen auszugehn.
Jedoch ist von vornherein die annähme als irrtum abzuweisen, dass sich
durch reimuntersuch ung die mundart, und damil die heimal eines
dichters feststellen liesse. Es kann sich nur um Feststellung der reim-
technik handeln. Denn die sprach Verhältnisse lassen sieh nicht zu
einem einheitlichen bilde zusammenfügen, sondern stellen ein
buntes gemisch von traditionen dar. örtlich und zeitlich von ein-
ander getrenntes, sich widersprechendes und abschliessendes steht neben-
einander; verschiedene! schichten lagern übereinander und machen es
unmöglich, an der hand von dialektgrammatiken ein denkmal zu loka-
lisieren. Zum ziele führt hier nur die vergleichende betrachtung
der reimtechnik, die uns zwar nicht unmittelbar die heimat, wul
aber die schule des dichters auffinden lehrt. Z. b. Hans Sach
kennt nicht weniger als 28 formen von reimen von ä, 6, ü, uo vor
n im auslau t:
an: man, : getan, : von, :lon, :sun, :nun, :tuon;
getan: lau, :von, :lon, :sun, :nun, :tuon;
von : von, : lou, : sun, : uun, : tuon;
Ion : krön , : suu , : nun , : tuon ;
sun : sud , : nun , : tuon ;
nun : nun, : tuon;
tuon : tuon.
Man wird zunächst daraus schliessen, dass in der mundart des
H. Sachs ä, d, ü, uo vor auslautendem n etwa zu ä~, d. h. gedehntem,
offenem nasalem o zusammengeflossen waren, und für ä:ö wird man
in der annähme bestärkt, wenn man sich des in den fastnachtspielen
mehrfach belegten scherzes erinnert, wo der pfaffe mit dem bann droht,
der bauer aber bohne versteht und den bohnen die erbsen vorzieht.
Fsp. V, 38, 254 fgg.: Inquisitor spricht: bist du des ketzers ein Verfechter,
so musst du in den schweren ban. Nachtbawer Clas spricht: so wil ich
in die erbes gähn. Desgl. III, 20, 147. 24, 267; V, 45, 14; VI, 37, 205.
85,131; VII, 47, 299. Achtet man genauer auf die Verteilung dieser
reime in grösseren stücken Sachsischer dichtung, so findet man, dass
die bindungen wie: an : man, an .-getan, getan : lan; von : von , von :
krön; sun (m.) : sun (f.), sun: nun, sun: tuon; nun: nun; tuon : tuon
1) Vgl. oben s. 47.
HÜRNES ^EYFRItl 205
etwa 3 — 4 mal so häufig sind, wie die von der art: an: von, : Ion,
:sun, :nun, : tuon und entsprechend für die anderen laute. Äusser-
licher zufall kann das darum nicht sein, weil reimworte auf -'/// nicht
häufiger sind als die auf -ön. Dazu zeigt die Orthographie des dichters
in seinen älteren originalmanuscripten, bes. MG. II, von dem K. Drescher
mir eine abschrift gütigst überliess, im reime in diesen reimgruppen
fast durchweg -an. Götzes abdrücke in F. S. und Fsp. weisen allerdings
mehr -on auf. Ol» da ein wol entschuldbares versehen des heraus-
gebers vorliegt, oder ob die Orthographie des dichters später einer ge-
wissen ausspräche nachgegeben hat, will ich unentschieden lassen. Jedes-
falls bevorzugt H. Sachs in seinen älteren originalhss. in reimen wie
an: an, : getan, :von, :lon, :sun, :nun, : tuon die Schreibung -an.
Andererseits schreibt er in den bindungen gleich artikulierter laute
etymologisch, also an : man, an: getan: aber von: Ion, Ion: krön, sun:
sun, nun : tun u. a. Dazu kommt drittens, dass im versinnern die
etymologische Schreibung vorherrscht, also: an, getan, von, ton, sun,
nun, tun und dergl. Ich schliesse aus alledem, dass die mundart des
H. Sachs die betreffenden laute schied. Trotzdem reimt sie der dichtei
auf einander. Ganz ähnliche Verhältnisse treffen wir im consonantismus.
Zahlreich sind bei H. Sachs reime wie tag: sack; balg : schalk: bcrg :
werk; legt : stecht. Man würde daraus schliessen. dass g und /, in den
in frage stehenden Stellungen dem dichter gleichlautend waren. Gleich-
wol begegnen ebenso oft reime wie jagt : wacht; berg : xwerch ( quer);
versorgt: forchi; ferner block : doch ; werk: xwerch ( = quer), so dass man
auf spirantische ausspräche von g und /,; in den betreffenden Stellungen
raten möchte. Und um die Verwirrung vollständig zu machen, reimt
derselbe dichter auch h : k im in- und auslaut. vgl. z. 1). sah: back;
siht: bricht; schuhen : fluchen und dergl. mehr. All diese reime können
nicht ein ausfluss der mundart des dichters sein, die doch einheitlich
in gewissen grenzen war wie heute eine volksmundart. Ich glaube
sogar, dass sich die mundart des H. Sachs aus seiner Schreibart und
reimtechnik überhaupt nicht klar wird erkennen lassen. Selbst wenn
man die heutigen Verhältnisse der Nürnberger mundart heranzieht, bleibt
noch Unsicherheit. Sprache und reimtechnik sind zunächst
zweierlei, und ich halte es für allein fruchtbringend, unbekümmert
um den grammatischen wert solcher Zusammenstellungen, ein mög-
lichst vollständiges bi ld von de r reimtechnik zugeben. Durch
vergleichung mit Acv kunst der Zeitgenossen lässt sich dann
zur Würdigung ihres einzel wertes gelangen. Ich hoffe genauer
auf diese fraee zurückkommen zu können in einer Studie über den reim-
206 OHB. A. MAY Kit
gebrauch des II Sachs und seiner Zeitgenossen. Vorläufig muE ich mich
mit der aufstellung der these begnügen: Zeigt eine vergleichung
zweier dichter au H'ii llige Übereinstimmungen <!<t reimtechnik,
so kann daraus nur geschlossen werden, dass diese dichtei
der gleichen Stilrichtung angehören, und ersl wenn ander«
gründe hinzukommen, dass sie landsleute und Zeitgenossen
s i n (I.
Es ergibt sich von seihst, dass die vergleichung von bekanntem
ausgehn muss. Kür den Hürnen Seyfrid isl m. e. diese grundlage gegeben.
Das gedieht ist nach unserer kenntnis zuerst in Nürnberg gedruckt; der
eiste erhaltene druck stammt aus Nürnberg: dei Nürnberger II. Sachs
hat den stoff zu seiner tragödie: ,Der hürnen Sewfrid' benutzt. I
liegt nahe, einen Nürnberger als Verfasser zu vermuten, und ich
halte den nachweis, dass der dichter des h. S. der gleichen schule
wie H.Sachs angehörte, für erbracht durch den vergleich der reim-
technik. Aus naheliegenden gründen muss ich mich hier daraui bi -
schränken, das massgebende anzudeuten. Vorläufig verweise ich auf
W. Sommer, Die metrik des Hans Sachs, Halle 1883, cap. 3 (s. 50— 65),
vgl. dazu Paul, Ltbl. für germ. und rom. phil. 1888, 165 — 68, und
V. Michels, Studien über die ältesten deutschen fastnachtspiele, Stras-
burg 1896 QF 77, der den kreis der Nürnberger stücke aber zu
eng zieht und darum mit vorsieht zu benutzen ist.
Eine andere frage ist es, nach welchen gesichtspunkten man
bei der aufstellung der reimtechnik des h. S. zu verfahren hat.
Man wird schon mit rücksicht auf Golthers these die mhd. spracli-
verhältnisse zum ausgangspunkt nehmen und darnach lautwandlungen
und doppelformen beurteilen. Daneben aber muss auf die nhd. Ver-
hältnisse rücksicht genommen werden. Wer z. b. nur das mhd. zu gründe
legt, läuft gefahr, manches für das frühneuhochdeutsche bedeutsame als
mhd. regelrecht bei seite zu lassen, z. b. mhd. lerliir : tliiir, aber nhd.
verlor : thür, desgl. apokope und synkope, wo sie nhd. nicht vorhanden ist.
Auf solche unterschiede des mhd. vom nhd. muss rücksicht genommen
werden, schon um die Veränderungen chronologisch festlegen zu können.
Der Vollständigkeit halber müssten auch nicht auffällige reimbindungen
mitaufgeführt werden, um die reiragruppen zu erkennen. Das trifft
besonders für die unter doppelformen gestellten reime zu. Wenn z. b. der
h. S. nur die form zwang (3. sg.) oder hän oder fragen kennt, so ist das an
sich nicht bedeutungslos, weil gleichzeitige dichtungen zwang und x/wung,
han und haben, fragen und f regen und dergl. mehr haben. Mass-
gebende Schlüsse können daraus aber deshalb nicht gezogen werden,
HÜRNEN SF.rFRID 207
weil in einem gedieht von so geringem umfang wie der h. S. nie mit
Sicherheit behauptet werden kann, dass der dichter, der die eine form
des reimzwangs wegen gebraucht, die andere überhaupt nicht ge-
kannt habe.
b) Die veimtechnik des hürnen Seyfrid.
1 . Lautiibergäng e.
«) Zum vocalismus.
1) mhd. a : ä vor n im auslaut: an : gan 25,6; : han 166,2; : lan 164,6;
stan 18, 6; — brau : gan 123, 6; — clan : gan 100, 6; — man : gan 97, 6; : han 52, 6. 60. G.
89,6; :lan 46,2. 49,2. 55,2; : plan 113,2; : stan 105,6. 112,6; : getan 22,2. 26,6.
74, 2. 90, 2. 92,6; : Untertan 153,6; — tan : gan 37,2; : han 53, 6; — man : kuperan 80, 6;
— lobesam : lan 102, 6; wunnesam : plan 91, 2. Vgl. Hans Sachs F.S. : an : gan I. 60, 59;
: lau 11,402,113; : plan 11,4,15; : stan I, 6,10; : getan 1,65,31; — bran : caplan II.
390, 147; — entran : hau 1, 4SI, 67; : stan II, 390, 135; : getan I, 197, 183; : Untertan
11 . 107, 5; — span : stau I, 326, 47; — gewan : plan I, 378, 91; : vertan I, 288, 3.
2) mhd. ä: ö: tan : darvon 42, 3. Vgl. Hans Sachs F.S. : von ran I, 56, 151;
: ban I, 476. 31 ; : kau I, 414, 43; : man I, 29, 321 : : entran I. 524, 75; : sau II. 264, 15;
.m II, 182,77.
3) mhd. ü : o; an : dron 68, 21 ; — hindan : schon 114, 6; — man : schon 86, H;
— gewan: schon 115,2. Vgl. H. S.: an : Ion 1,258,77; : oration H, 575, 25; : person
I, 104, 145; : Salonion I, 137, 101; : verschon I, 179, 105; : tron I, 75,33; ban : nun
II, 58, 57; : colacion II. 198. 13; : supersticion I, 402, 45; kan : Ion I, 61, 93; : mamon
II, 119, 91; : person 1,527,17; scorpion 1.268,49; : Simon 1,351,55; man : krön II
93.121; rlegation II. 187,115; : Ion 1.528,65; : nation II. 24«, 9: : non I. 185, 11:
: person 1, 189. 13; : verschon II, 138, 69.
■i) mhd. ä : uo: man : tuon 48, 2. Vgl. H. S.: tuon : an I, 22, 77; : mau I.
32,119; :bau 11,576,53; : hau 11,19,11; : kau 11,298. 107.
5) mhd. ä:u: undertan : darvon 2,6. Vgl. U.S.: von: gan 1,449.139; : hau
1,99,77; :stan 11,10,81.
6) mhd. ä : <>: gan : fron 98, 2. 158, 6; — lau: fron 115, 6; — getan:schon
99,6. Vgl. HS.: gan : Ion I, 338, 53; : non [1,37,57; : person [,534,23; :Salomon
11,285, 113; — han : pro&ession 11,360,43; :Salomon II. 211. 155; — stan:lon II.
334,61; :person 1,58,1; :tron 11,73,19; — getan : lou [,72,31; — Untertan : krön
II, 125, 169; : person I, 349, 107: — wan : krön II. 240. 139.
7) mhd. ä:uo: bestan:tuon 7, 2. Vgl. II. S.: tuon : gan I. 39. II; :han I,
130,43; :lau 1,72,11; : stan 1,131,103.
8) mhd. ä:ö vor r i. a. : furwar:tor 72,6. Vgl. II. S., M<i. II: altar : vor
256'; war: vor Kl' 17; Fsp.II: jaren : -wor(d)eD '.">,259.
9) mhd. " : " vor ch, I i. a.: nach : hoch 36, li; «Irat : brot IG;». 2; : tot 163, 6,
Vgl. H. S., Fsp.; gelag:hoch V, 31, 37: — hat : tot l. 19,167; ratrnot I, 14,25;
stat: not I, 7, 231.
h Oder sollte nach 0:thou, F : sagen : son mundartlich sä" zu lesen sein'
Aus Hans Sachs kann ich diesen reim aichi belegen. Vgl. Miohels I en d.i.
/orn (tsoprn) : geladen | gelQon)
'JMS I III-- A M
10) IiiImI. ii ■ ii nlid. o:h: VWlÜI fttl 133,6; tliui 137,2] kiin» : miiud
1 1:1 6. Vgl. H.S.: kuiii (1. 3. sg. ind.):brum l 525 105 dam l. 184,153; »tum
I. 180 I 19 am II. 583, 31; :um I, 120. 65 kamen : brummen I. 157, 119;
: dummen II , 146, 7.:. summen [1,533,37; gekumen : brummen r, 472 77; :reicb-
fcumen 11. 460,99; — kunt (1.3.8g ind mnd J. 137,95; :hund [,459
: muii'l r,94,44; : raqd [,63,56; .■••und [,216,79 künden (1. 3. pl. ind. oonj.) :
Kunden II 194,113; überwunden [,392,23; frum:brum [,116,82 ewan-
gelium [,359,131; hailtum 1,407,61; : sum [,203,433; : um 1,27, 253; - bui
[,80,111; : kunsi [,268,33; — besunder: Vormünder I. 162,53; :under I.
194,75; : wunder I. 269 ..
11) mini, r : i' : nemen : Schemen 96,2; i > 134, 2\ — bergrver-
zerl 140,2. Vgl. H. 8.: nemen : Schemen [,19,115; flecken hecken [,8,23; tetten
stedten [,13,63; weit rerjelt 1,17,35; weBt:besI [,79, 101; werd bescher! [,2fi
12) mhd. e : S: erd< : leer ~>. 2. Vgl. II. 8.: her : eer I. 15. 49; den : /.wen
I, 63, 66.
13) mhd. e : ar : her : leer 76, 2. Vgl. B. S.: her : waer I, ], 13; erd : beschwaeii
1,20,137; unrecht : geschmaechr. I, 27,273; schern : gebaern I, 19,99; bern : maern
1,36,60; frech : gaech 1,167,89.
14) mhd. ii : m : geschlecht : geschmaecht 174, 2. Vgl. II. S.: pferd : waer I,
17,:::;; fässer : frässer 1, 13,89.
15) mhd. e:ae: mer : waer 126,6. Vgl. U.S.: 1er : waer 1. :!. 79; sei : quael
[, 172, 123.
16) mhd. / : ei: weyt : gemeyt 32, 6; seyu : stayn 44, 6; seyn : rayn 103, 2. Vgl.
H. S.: reim : haiin I, 5, 37; pein : allain I, 0, 1; drei : inai I. 11, 1; sein : klain I.
12, 25; speis : rais I, 14, 129; weih ; er schraib I, 29, 325.
17) mhd. ü:au: vertraw : fraw 30. G. Vgl. H. S. : auf : lauf 1, 4. 19; saufen :
laufen 1,150,117; räum : zäum I, 105.293; strauch : auch I. 121,81; baut: schaut I,
13G. 31 ; trauen : fraueu I, 34, 165.
18) mhd. ie:i: ging : ding 29, G; — lieb : vertrib 14, 2\ — lied : Seyfrid 1,6.
Vgl. H. S.: tief: ergriff I, 17, 47; liecht : geschieht I, 32, 87; dienst: zinst i, 59, 33;
lieb : trib 1,5,71; hie : Poggij 1,17,53; schier: mir 1,49,8.
19) mhd. kurz. voc. : lang. voe. = nhd. lang. voc. :lang. voc. im inlaut:
Earen: waren 9,2. 35, G. 123, 2. 127, 6. 143, (1: — im auslaut: er : her 156, 2; —
ordt : leer 5,2\ — her : leer 76,2; — tor : fürwar 72, 6. Vgl. H. S.: erfaren : jaren I
81,155; : waren I, 128, 71; garen : waren I, 138, 13; sparen : jaren I. 40. 29; bereu:
maeren 1,3(5,69; schweren: hören 1,47,33; weren : leeren I, 22, 73; verloren : thoren
I, 20, 141; sporen ; ohren I, 115, 47; beschoren : thoren I, 78, 55; gebüren : füren I.
128, 87; schüren : rüren I, 130, 51; — far:jar I, 54, 09; gar : har I, 118,3; schar:
war I, 67, 33; ber : waer I, 40, 27; er : waer I, 39, 13; pferd : seer 1, 17, 33; mir : schier
I, 49,8; : vier I, 59, 23; vor : or (hora!) I, 27, 239; : thor 1, 83, 35: : rumor 1 . 57. 183;
vor m im auslaut: nam : kuperan 80,6; — lobesam : lan 102, 6; wunnesam :
plan 91, 2. Vgl. H. S.: breutigam : plan W. Till, 18, 19; : getan VIII, 716, 28; : Simson
W. X, 195, 10;
vor b i. a. : trib : lieb 14, 2. Vgl. H. S. : blib : hieb I. 140, 71 ; gib : lieb I. 81. 157 :
trib : hieb I, 85. 11; : lieb I, 5, 71 ;
vor d i. a.: Seyfrid : lied 1, 6. Vgl. H. S.: bad : gerad I. 19. V?,?>\ schad : genad
1,80,139; red:bed I. 90,55;
HÜRNF.V SF.YFRID 209
vo r g im inlaut: erschlagen : fragen 108,2: tagen : lagen 8,2; — im aus-
lauft: tag : trag 6, 2; magt : gewagt 37, 6. Vgl. IL S.: sagen : fragen I. 21. 27: er-
schlagen : fragen I. 21, 19; tragen : wagen I, 144, 25; geleger : waeger 1, 14, 113; ligen :
kriegen 1,141,113; : schmiegen 1,67,35; gestigen : biegen 1,101,143; zugen : trügen
I, 90, 67; mügen : ^enüegen I, 57, 205; — mag : frag I. 99. 73; lig : schmieg I, 70, 43;
zug : genüg T, 38, 149; : betrüg 1 , 86, CG; tüg : krüeg I. 42. 1 15.
20) mlul. kurz. voc. : lang. vor. (diphthong.) = nhd. kurz. voc. : kurz,
voc: vor n -f- cons.: mund : stund 108, G; — diug.-gieng 29, G. Vgl. H. S.: geding :
gierig 1,17,25. 110,99. 124,89; — kunt : stund I. 1,11.
21) mhd. kurz. voc. : kurz. voc. = nhd. lang. voc. : kurz, voc: vor /:
tal:al 8,6; : schall 120,2; — zil:will 68, G; — wol : voll 11, 6. 155, 65 — geholt:
wolt 127. G. Vgl. H. S.: fal : trübsal 1. 68,65: al : thal 1. 67,27; wil:spil 1.42, 111.
61,1. G2, 10; grill: vi] 1,145,9; vol : hol 1,123,23; 3ol:wol 41,59; vol : woll I, G, 8;
— alt:gezalt 1,-1,15; gestellt : erweif I. 12«, 99; weit : erzelt 1,17.35: gilt : spilt I.
10,67; stillt : spilt I, 3fr, 125;
vor r: verzert : berg 140,2; — er(de)u : gern 54,2; — verlorn : vorn 49, G; —
feit : hert 72, 2. Vgl. 11. S.: lern : bern I, 59, 17; gern : gewern I, Gl, 8; herrn : verzeru
I, 7, 4G; — kürn : schmiern I, 59, 13; — körn : geborn I, 49, IG; forn : erfrorn I,
95, 21; verlorn : zorn I, 2G, 221; — hart : hart I, 42, 121 ; karten : zarten I. 61, 6:
wart:art T, 17,28; irrt : schmiert 1.108,234; — ars : erfars I. 96,63;
vor ///: nam:<lamin 87, 2 ' ; : began 41,2; — wonnesam : man 83,2; — im:
verbrinn 9, 6. Vgl. II. S.: dämm : kam I, G7, 25; stamm : iiam I, 91, 101; zusainm :
nam 1,110,95; — grimm: im 1,15,173. 140,97; stimm : im I.G9, 23;
vor b: gab : ab 12, 2. 128, 2. Vgl. H. S.: ab : gab 1 . 109, 43. 59; : hab I. 9, 27;
: trab 1.115.72; : erschab 1,27,259;
vor g: magt : trach 17, G; verzagt : macht 9G, 2. Vgl. U. S. : steckt : verlegt 1,
130, G9; gedeckt : bewegt I, 49, 22;
vor t: gebot : got 24,6. Vgl. H. S.: bett : gere(de)t 1,25, 1G3.
22) mhd. lang. voc. : lang. voc. = nhd. kurz. voc. : lang, voc: vor s:
verdross : gross 2, 2; — genoss : sigelos 84, 6; — schoss : gross 132, 6. Vgl. H. S.:
lass : mass I, 121, 89; — floss : gross T, 20, 3; — müss : briss I, 24, 155; füss 1, 144, 43.
23) mhd. kurz. voc. : lang. voc. = nhd. kurz, voc : lang, voc: vor r:
wind : natur 125,2. Vgl. U.S.: ort:hort I. I. 13. 6,6. 30, 15. HO, 91; — w&rd:ge-
fürt T, 34, 161;
vor )i : s. 0. s. 207;
vor oh : geschlecht : geschmecht 171, 2. Vgl. U.S.: recht : geschmäeht I. 27.
273. 94,5. 95. 13; — flucht: sucht I. 101, 270; — fuchs :tüchs 1.32.121.
,•;) Zum consonantismus.
'_' 1 1 m:n: baim : stain 24,2. 31,2; — nam : began 41.2; : kuperan 80,6; —
lobesam : lan 102,0; winniesam : man 83,2: :plan '.»1.2; — jm : verbrinn 9,6.
U.S.: nam:an \Y. XIII, 75, 22; im : bin W. VII, 171. 5; breutigam : plan W. VIII.
is. L9; Lobesam : man W: XVI. 22. L9; Galileam : an W. XI . 269, 11.
1) Die lesarl isl richtig, Golthers Vermutung: man: trän 1 ■ strän, sträm)
abzulehnen. Vgl. Hans Sachs, P.S. 1 . 7, l l ^der Erosch)
s/u-at/t/ bald in des wassers ilunuh.
dir mauss mit forchten darauff sclwamb.
1 . 07. 25.
ZEITSCHRIFT V. DKTJT8CHE PHILOLOGIE. BD. XXXV. 14
210 TIN. A. MAYKJl
25) mt : nl: allsaml : want 57, 6; beidsand : bant l. H.8.: all an! : baut
11.70,:.]; jhanl [,568,93; :lan1 [.319,11; : pfand II. 361,63; : »chand I. 103.247;
en tanl II. 176, I L3; igewanl I. 540, 5
26) mhd. n : reyn : bey 109, 6 '.
27) -m: — : erbarmen : arm 151,2; flii W 2\ --■ besitzen : witz 165,6.
Vgl. H. S. M<-. II infinitive wie z.b.: strafe : waffe X: überwinde : kinde 2/2' a. a.
II. S. kennt jedesfalls den verlusl von n in unbetonter Bilbe. unmittelbare analoga
zu li. s. fliessen : stiess fehlen; doch vgl. perun(nen) : tun ( etan) F.S.I,
dien ( dienen) im versinnern F. S. I, .".77,::»;. Wahrscheinlich sind diese reime wie
Qiessen : stiess, besitzen : witz ans älteren flie !"- herzuleiten.
28j Verlust eines dentals: nach r: erd(e)n:gern 54,2; -
born 48, ü. Vgl. H. S.: erdencgern I. 195,111; orden:geborn II. 275, 11; werden:
gebärn [,35,19; :ern [,392,31; :fern [1,80,33; :gern I, 61,39; :herrn 1,400,151;
:kern 1,569, L25; worden : geborn I. 198,63; :dorn II. 290, L5; :erfrorn [1,464, 105
: born 11,135, 87; : körn II, 76, 7; ; verlorn 1.411,213. Ferner erd:leer 5, 2\ würd:
für 5,6; — art: war 124,2 (N!); — wurdrnatur 125,2; - gebrast : ww 19, 0. Vgl.
H. S.: würd : orfür I, 289, 23; : verlür I, 343, 41; : natur II. 634, ■',: : sehnt»] I.
: : 1 2, -1 1 ; : schwur 1 , 548, 09 ; pferi I : wer 1.17, 33 ; art : jar W. XXIII, 41 3. 8 ; wart :
ar W. III. 327, 22; beschreibt : weil) W. II, 295, 27;. affect : geschieh W. III. 5, 26;
: steck W. VII, 344, 5; : weck W. II, 281, 32; zubereitet : arzenei W. XXin, 280. 11.
29) Assonanz: maget: erschlagen 95,0; — maget:trach 17. f.; — gut:rfiw
(N. hutl) 38, 6'; — verzert : berg 140, LJ; jüngeling : kind 33, 2. Für II. S. vgl. die
unter 28 gegebenen belege; dazu nach Michels s. 118 aus Nürnberger fastnacht-
spielen: hab:tag; gelauben : äugen ; haben : sagen; ßübenkorp : mort'-'.
30) mhd. x:s i. a.: fürbass:was 61,2; — genoss : sigelos 84,6; — auss : haus
61, 6. 74, 0; — dass : was 128, 6. Vgl. H. S.: ass : was 1, 51, 26: auss : hanss 1,5, 03;
bass : has I, 67, 31 ; dass : blass 1, 102, 203; frass : was I. 138. 5; heiss : reis 1 . 34. 1.
31) mhd. g : k nach ii i. a. : zwang : gedank 97, 2. Vgl. H. S. : anfang : dank
11,15,13; : trank I, 380,37; gang : dank II, 436, 89; : krank I, 257, 33; lang: banl
I, 41, 83; : dank II, 106, 53; : krank I, 90, 7; bringt : winkt II, 582, 141.
32) mhd. -g : -h: tag ; gesach 23, 2; — unverzagt : macht (N!) 96, 2. Vgl.
H. S.: jagt : tracht I, 303, 41 ; : wacht W. XIII, 182, 31; schlagt : facht V. XX . 149, 2;
— versorgt : forcht 1,288,25; W. Ilf , 320, 23; XX, 190, 13. 524,13; — berg : über-
zwerh 1,5,01. 43,153. 105,300.
33) mhd. g: — : gezeigt : maid 157, G. Vgl. Michels s. 225: erzeigt: hinter-
listigkeit.
1) Vgl. die andern drucke ausser B, das frey : bey hat. Wenn B nicht 'las
ursprüngliche bewahrt hat, so ist dies der einzige reim, für den ich kein analogon
aus Nürnberger dichtungen kenne. Im versinneru steht bei H.Sachs, F. S. II, 012. 7 :
mei prüstüch. Für wesentlich halte ich es nicht, dass diese reimart fehlt, da die
Nürnberger einschliesslich H. Sachs sonst die nasalierung des vocals kennen.
2) Aus H. Sachs kenne ich dieser art nur F.S. II, 480, 107: tag : hat; Psp. VII.
50,23: tag: hob. Fsp. V, 7, 175: wirt : nit ist wol falsch überliefert. Zu lesen wäre:
Eulenspiegel: glück xv, herberg, mein wirt, ich bit.
Wirt: ey leiehnam gern, warumb das nit.
Was Sommer s. 07 an belegen für assonanzreim beibringt, stammt aus der druck-
ausgabe.
HÖHNEN SEYFRID 211
34) mhd. -h:-ch: sali : sprach 40,2. 45,2; — ü.bersech : rech 175, G; — ge-
schmecht:geschlecht 174,2; — gerueht : sucht 150,2. Vgl. H. R.: entfah : schwach II,
358,65; : sprach 1,476,59; sah : bach 1,319,5; : brach 1,542,43; : sprach I. 7,32;
neh:rech II, 159, 41; — seh : pech II, 414, 41: sih : ich II, 612, 21; vieh : ich 1.
399, 113; : brich I, 134,53; — geschmecht : brecht I, 295,9; sih t : bricht T, 591, 119;
: spricht 1 , 25, 187; nicht : spricht I, 518, 41.
2. Doppelformen.
35) Praet. sg. st. v. 1: reysstheyss 131,6; — reit : gemeit 159. .0; — steig:
feig 143, 2; — treib: weih 166, 6; — litt : nit 11, 2; : Seyfrid 139, 2; — ritt : nit
170, 2; — trib : lieb 14, 2. Vgl. IT. R. : baiss : schaiss (in.) I, 439, 79; schlaich : straich
II, 621, 31 ; bleib : leib 1, 111, 115; traib : weib II, 557, 15; schnaid : beid 1, 429, 49; —
griff: tief TI, 100, 11; biss:spiess 1. 33, 141; schlich :ich II, 212, 103; blieb:dieh II,
52, 99; schrieb: 'lieb [, 483, 129.
36) was, war: was:bass 61, 2; : gebrast 19,0; : das 128,6; : mass 178, 2\
: genas 149,2; — war:art 124,2 (N!). Vgl. H. S.: was:sass 1,16,1; : as r,327,3;
: das T, 510, 87; : frass T, 316, 49; : mass I, 254, 5.
war : dar I, 310, 13; : dar I, 321, 3; : dar I. 327, 13; : jar I, 289, 13.
37) meer, mee: mer:her 25,2. 41,6. 50,0. 111,6; :wer 126,6; — mee :
wee 20, 6. 85, 2. Vgl. H. S.: mer : er I, 546, 97. 561, 115. 570, 193. 574, 117. 584, 139;
:ser 1,302,21. 572,13. — mee:ee 1,21,31. 143,11; II, 66,203. 608,81. 631. 171;
: stee II, 569, 79; : wee I, 104, 2.r>l.
38) nicht, nit: nicht : gericht 173,2; — nit : lidt 11, 2\ : ritt 170, 2. Vgl.
H. S.: nicht : bricht I, 337, 18; : dicht I, 49, 14; : gicht I, 386, 112; : licht I, 104, 280;
: pflicht I, 27, 238; : gericht I, 106, 9; — nit : bitt I, 59, 28 ; : driti II, 2, 71; : frid I.
L67, 84; : mit I, 13,82; : quitt IT, 26,33; : riet II, 236, 119.
39) -aget, -eit: vnverzagt :macht 96, 2; maget : erschlagen 95, 6 ; : gewaget
37,6; — geleit : arbeit 106,2; — widerseit : bereit 78.2; — vnverzeit : laid 1 IG, 0;
: manheit 81, 0; — meid : gezeigt 15 7, 6. Vgl, H. 8.: maid : aid I, 94, 3; : baid I, 29, 3.
33, 155. 52,7. 129, 11; : laidt I, 56, 159; : beschaid 1. 35, 31. 87, 122. 150, 107. Die
anderen contractionsi'ormen scheinen H. R. nicht geläufig zu sein.
Es war meine aufgäbe, zu zeigen, das* das Lied vom hürnen
Seyfrid eine formell einheitliche Originaldichtung eines Zeit-
genossen und Landsmannes des Hans Sachs i*t. Diese aufgäbe glaube
ich gelöst zu haben. Eine andere frage ist es, wie die offenbaren
inhaltlichen Widersprüche zu erklären sind.
BRÜHL BEI KÖLN. CHR. Al*< .. MAYER.
1 1
212
MISCELLE.
Klopstock, <<l«'im and die Anakreontlker als naehdtehter
des altdentoehen mliniesangSi
Dass die bemühungen der tapferen Schweizer ßodmer and Breitinger um die
widcrerweckung der altdeutschen mii die in zahlreichen abhandlungen zum
ack kamen und in dem zweimaligen . untei dei
gekommenen versuche einer herausgäbe von liedern aus dem gro cn ■ •■ M • ischen
gipfelten1, unter den ze nur o lang am zu ancrkennung und nach-
oiferung gelangten, hai natürlich seinen grund niohl zum wenigsten in den
Zeitumständen . die die mittleren Jahrzehnte des 18. Jahrhunderts erfüllten. Von gro
ebonsowol philologischem wie historischem inten i I da ei te zeugnif einer an-
lehnung an den altdeutschen minnesang, das uns nach der beendigung der ki
unruhen entgegentritt. E stammt von Klopstock5 und wurde im jähre 1764 ver-
öffentlicht, ist also vielleicht nur wenige monate nach dem i!- eblu B burger
friedens entstanden: Ks i.-t seine ode an kaiser Beinrich, die sieb nur insofern an
das diesem l'ürsten zugeschriebene tninnelied anlehnt, I anken
kurz, in der ersten strophe zusammenfasst und zum ausgangspunkte für die eigenen
botrachtungen nimmt.
[m jähre 1749 — zur zeit seines aufenthalts in Langensalza — hatte Klu|
es in einem briefe an Bodmer^ direkl abgelehnt, sich weiter mit den alten lioder-
dichtern zu beschäftigen, da er nicht dazu aufgelegt sei. die spräche „dii
alten" zu studieren, was doch, um sie recht zu verstehen, nötig sei, — jetzt, fünf-
zehn jähre später, hatte er selbständig auf sie zurückgegriffen: fern von Deutsehland,
in Kopenhagen, scheint er ruhe und müsse dazu gefunden zu Indien. Ä.ber unzweifel-
haft: seine erweckung und anrufung von kaiser Heinrichs schatten zur Schlichtung
des „ Streites der Deutschen" kam etwas post festum.
Auf Gleims entschluss, sich in der erneuerung oder nachdichtung der minne-
singer zu versuchen5, ist jedesfalls Bodmer nicht ohne einftuss gewesen. Standen
beide schon vor der ersten Bodmerschen Veröffentlichung aus dem grossen codex mit
einander über die absiebten der beiden Schweizer im schriftlichen verkehr1', so mag
auch Bodmers gelegentliche briefliche bemerkung, dass zwischen Gleims geiste und
demjenigen der alten liederdichter „ eine solche Sympathie " bestehe7, dem von eit<
nicht ganz freien Gleim den gedanken eingegeben haben, sich auch einmal, ähnlich
1) Vgl. meine dissertatiou : „Das aufleben des altdeutschen minnesangs in der
neueren deutschen litteratur. Erstes capitel: Das aufleben in der Wissenschaft bis
1759". (Jena 1891).
2) Klopstocks öden, herausg. von Muncker und Pawel, Stuttgart 1889, bd. ].
s. 161fg. — Diese ode an kaiser Beinrich scheint doch wol ihrem Charakter nach ein
paar monate früher entstanden zu sein als das im gleichen jähre veröffentlichte Gieim-
sche lied: „ Ismene".
3) Vgl. Fr. Muncker. „ Klopstock. Geschichte seines lebens und seiner Schriften".
(Stuttgart 1888) s. 359.
4) Weimarisches Jahrbuch, bd. IV (1856) s. 135.
5) Vgl. R. Dorsch, Der altdeutsche minnesang und die Göttinger dichter. Bericht
d. Freien d. hochstifts, n. f., 17, 31fgg.
6) Vgl. meine Dissertation, s. 30 und 32.
7) Bodmer an Gleim den 12. sept. 1747, in: „Briefe deutscher gelehrten. Aus
Gleims litterarischem nachlass hrg. von W. Körte" (Zürich 1805 — 1806) bd. 1. s. tj4.
KLOPSTOCK, GLEIM IM' DIE ANAKKtOXIIKEK 213
wie jener es schon widerholt getau hatte, in ihrer nachdichtung zu versuchen. Bis
zu Glenns erstem versuch verstrich allerdings noch eine ansehnliche reihe von jähren.
Bodnier.s brief vom 2. april 1767, in dem er ihm direkt ein paar Übersetzungsproben
schickte, hat dann aber seine lust zu grösseren versuchen vielleicht aufs neue belebt1.
Möglich auch, dass er von Bodmer in einem verloren gegangenen briefe direkt auf-
gefordert wurde, hatte doch am 6. märz 1752 der junge Studiosus Wieland aus
Tübingen an Bodmer geschrieben: „Wenn sich nur ein Übersetzer fände, der alle
Lieder und gedichte, die man von Winsbeke und seiner frau, Walthern, Veldig usw.
hat, in unsere heutige mundart übersetzte, ohne ihnen etwas zu nehmen oder zu
geben"-. Wie unsympathisch müsste es nur dem keineswegs für die anakreontik be-
geisterten Wieland, dem Verfasser der ., Empfindungen des Christen", gewesen sein,
wenn Bodmer sich infolge dieses briefes wirklieh an Gleim mit seinem vorschlage ge-
wendet hätte! Im jähre 1771 steht Gleim sodann mit Gottfried August Bürger über
„ minnelieder " im briefwechsel. Sind auch Bürgers früheste, uns bekannte „ miune-
lieder ^ erst 177c! zur Veröffentlichung gelangt'1, so befasste er sich doch schon 1771
mit diesen versuchen. Am 20. october schrieb er an Gleim, er habe noch „ein dutzend
minnelieder" liegen, und „wenn aus einem oder dem andern etwas taugliches werden
könne, so stehe es herrn Michaelis auch zu diensten"4. Sieht es nicht aus, als ob
Gleim5 mit der absieht umgieng, eine Sammlung von nachdichtungen nach den minne-
singern von verschiedenen Verfassern zu veranstalten, um dadurch den armen, auch
als dichter hervorgetretenen Johann Benjamin Michaelis, der sich bei ihm in Halber-
stadt aufhielt, zu unterstützen? Hatte er kurz zuvor die „ Lieder eines armen arbeits-
mannes" zum besten von dessen Schwestern drucken lassen, so glaubte er vielleicht
auf diese weise für Michaelis selbst etwas tun zu sollen. Aber Michaelis starb schon
am 30. September 1772, und Gleims „Gedichte nach den minnesingern" (1773) wurden
wider zum besten der armen mädchen in die weit geschickt.
Für die arl und weise zunächst, wie die Göttinger bei ihren nachahmungeu
zu werke gieugen, ist charakteristisch , was Bürger im vorwort zur ersten ausgäbe
seiner gedichte' schrieb: .Man bilde sich nicht ein, als ob ich ... . das original vor
mir liegen gehallt und zeile bei zeile verdolmetscht hätte. Öfters hatte ich das fremde
gedieht vor jähren gelesen, sein Inhalt war meinem gedächtnisse gegen wärt u
blieben." So ist es bis jetzt auch in der tat nur gelungen . nachzuweisen, dass Bürger
ein- oder zweimal eine strophe AValthers aus der erinnerung nachdichtete. Von der
wortgetreuen Übersetzung eines ganzen gedichts ist keine rede, Und wie ei machten
es in der hauptsache auch die Mitglieder des Göttinger hains. Nur Miller scheint
sich einmal und Hölty sich zweimal eng an bestimmte vorliegende originale angelehnt
zu haben. Im übrigen gilt die bemerkung. die der Göttinger Musenalmanach von
1774 über die „minnelieder" dieses dichterkreises maohte: „Sie sind das zufällige
spiel einiger freunde, die, indem sie die alten, freylich nicht genutzten Überbleibsel
1 1 Vgl. Körte a. a. o., s. 308.
2) Wielands werke, bd. 10, b. 310.
3) Vgl. F. Mühlenpfordt: .Der einfluss der minneaioger auf die dichter des
fiöttinger hains". Dissert. i Leipzig ls*)i)i s. 21.
4) Biiefe von und an <«. A. Bürger, hrg. von Ä.dolf Strodtmann (Berlin 1874)
bd. I, s. 37.
5) Oder trug Michaelis sich selbst mit solchem plane',-'
G) 177s.
' 1 I
en zeitpunki • mit» inander La ob mau auch
einmal ganz in dem geiste der mii chten, und bei der gelegenheri
einige alte Wörter retten konnte, die nicht hätten untei a." NTai
i eben doch aichi immer richtig getroffen wurde. Die Schäferin, die aal
grabi bre berde weidei (Bürger)1, d junge rittersmann,
der dem liebchen den ganzen chleichl (Miller)9, «las „grussliche und -
liehe lächeln" der geliebten (Voss)", da Bind nun dooh Wendungen, die wir bei
den minnesingern vergeblich Buchen. Ä.ber am die absichten bandell der
geisl oder, wie Voss einmal sagte4, der ton der alten liederdichter war es, den man
vor allem widergeben wollte, and Franz töühlenpfordl bal in seiner dissertation gezeigt,
in welchem masse ihnen dies gelungen ist.
Wesentlich anders freilich liegen die ding» aun bei 'iloim.
Wie Bodmer hat Gleim sich zu verschiedenen malen in Dachdichtungen von
minneliedern versucht. Einer vereinzelten probe liess er 1773 die „Gedichte nach
den minnesingern " and L779 eine zweite b Walther
von der Vogelweide u folgen. Zwischen beiden liegen eine reihe von einzelne]
arbeitungen, die im Leipziger „ Umanach der deutschen musen" von 177-1 uud 177."».
im „Teutschen Merkur- von 1774, in der „Iris" von 1775 und 1770 und in den
.. Kh"je'eii -ler Deutschen aus handschriften und gedruckten werken" (hrg. von Klarner
Schmidt. 1776) veröffentlicht wurden6. Die „Gedichte nach den minnesin
h Göttinger Musenalmanach 1773, s. 115. — Aug. Sauers ausgäbe von Büi'gers
gedichtet], D.N.L., bd. 78, s. 45.
2) Göttinger Musenalmanach 1774, s. 195.
3) Ebeuda s. 203. Auch: Sämmtl. gedichte von J. H. Voss (Königsberg 1802)
band IV, s. 24.
4) Sämmtl. gedichte, bd. IV, s. 288.
5) Die ,, Gedichte uach den minnesingern " enthalten 46 nummern. Dabei steUi
Gleim die fürstlichen sanger (kaiser Heinrich, Wenzel von Böhmen, Otto von Bran-
denburg, Heinrich von Meissen, herzog von Anhalt, herzog Johann von Brabant,
herzog Heinrich von Breslau) an den anfang und vereinigt die übrigen unter der
rubrik: „Nach verschiedenen minnesingern". Von Walther von der Vogel weide, ..mir
welchem sich behaupten Hesse, dass die Zeiten der sogenannten minnesinger einen
Anakreon, und einen bessern, als die unsrigen schon gehabt", bearbeitet Gleim hier
vier lieder. Dieselben widerholt er — mit einigen unbedeutenden änderungeu — in
den „Gedichten nach "Walther von der Vogelweide ", die im ganzen aus 31 nummern
bestehen. Nr. 29 „Vorsatz eines kranken im may": „Wenn ichs ooeh erlebe, das.
ich rosen...*, findet sich auch im Leipziger „Almanach der deutschen Musen" von
1775, s. 43. In seiner ausgäbe von 1774 bringt dieser Almanach (s. 11) eine be-
arbeitung von Hadloubs gedieht: MSH. XXXVIII, 1.2.3 unter der Überschrift: „Das
schöne bette". — Der „Teutsche Merkur" (bd. V, Januar 1774, s. 23 — 24) bringt
einen „ minnegesang " von Gleim, zu dessen dritter strophe er die anmerkung macht:
„Ein dichter aus den zeiten der minnesinger hat diese zween verse hergegeben." Das
ganze bezieht sich auf „Herrn von Eine an fräulein Sunnemann die kleine." — Die
(ältere) „Iris" von 1775 (bd. IV, s. 62 — 70) bringt von Gleim nachdichtungen nach
Steinmar, dem wilden Alexander, Ulrich von Lichtenstein (zwei lieder) und Johann
Hadloub. Die „Iris" von 1776 (bd. V, s. 30 fgg.) hat nachbilduugen nach Reinmar
von Zweter, Gottfried von Strassburg, Konrad Schenk von Landeck, dem von Johaus-
dorf, Ulrich von Lichteustein und nach einem unbezeichneten text. — Die „Elegieen
der Deutschen" (177G, s. 115. 259. 264 und 351) bringen nach Reinmar dem alten:
„Über den tod herzog Leopold des sechsten", ein „Fragment nach den minnesingern",
ein (selbständiges?) gedieht „An die Minne" und eine apostrophe nach und „an"
Waltker, die mit einigen änderungen auch in die „Gedichte nach Walther von der
Vogelweide" (s. 30) übergegangen ist.
KiOFSTOCK, '.LEIM UND DDE ANAKREuNTIKEK 215
öffnet Gleim mit einer kurzen eiuleitung über den flor der deutschen poesie unter den
schwäbischen kaisern, in der er ausdrücklich Bodrners Verdienste um die wider-
erweckuug der alten gedichto hervorhebt und zugleich bedauert, dass dessen „Samm-
lung- bisher dem grössten teile der gelehrten unbekannt geblieben sei. Um zu zeigen,
wie die akademieen der Wissenschaft sich der sache annehmen könnten, entwirft er,
ähnlich wie Bodmer und Breitinger im vorbericht zum zweiten teile der „Sammlung"
eine reihe von aufgaben zur erforschung der deutschen poesie in jener periode, die
sich jedoch nur auf litterarische und kulturhistorische, nicht, wie bei jenen, auch auf
sprachliche fragen beziehen. Den „gedienten" selbst hat er unter dem texte die
originalstellen beigefügt1; dabei bittet er aber ausdrücklich, „manchen schein, als ob
er jene nicht verstanden hätte, nur für schein zu halten, weil er nicht selten, bloss
aus mangel der zeit, seinem köpf folgen und manche stellen stehen lassen müssen,
die er mit der feile gern hinweg genommen hätte." Naiver hätte der gute vater Gleim
seine allerdings noch ziemlich mangelhafte kenntuis der alten spräche'- gewiss kaum
entschuldigen können.
Schon in den titeln seiner beiden grösseren Publikationen hat Gleim aus-
gesprochen, dass sie keine eigentlichen Übersetzungen sein sollten. Auch für die
zwischen ihnen liegenden kleineren versuche, die auch in anderer hinsieht das gleiche
gepräge tragen, gilt dasselbe. Nur in wenigen fällen hat er sich genau an den mittel-
hochdeutschen text angeschlossen, meist ist die anlehnung an die originale gänzlich
willkürlich und frei. Sind es zumeist volle Strophen, oft auch ganze Lieder, die er
zu gründe legt, so greift er doch manches mal auch nur einige wenige zeilen frei aus
dem original heraus, sodass es in solchen fällen eigentlich nur ein einzelner gedanke ist.
den er verwertet. Eine bei Gleim sich sehr oft widerholende erscheinung ist die, dass
der anfang eines gedichts sich enger an das vorhild anlehnt als die fortführung. Ist
zuweilen dennoch wenigstens der allgemeine gedankengang derselbe geblieben, so ist
doch das original oft gänzlich verlassen worden und an seine stelle ist ein ganz neues
lied getreten. Auch die äussere form ist zumeist nicht immer diejenige des gruud-
textes. Die vielzellige strophe ist entweder durch die vielzellige ersetzt oder es ist
ein ganz freies metrum mit willkürlicher reimverschlingung und ohne strophen-
abteilung gewählt. Da aber Gleims verse, wie ja überhaupt diejenigen der Anakreon-
tiker, gewöhnlich sehr kurz sind, so ist es nicht wie bei Hofmannswaldau und Kenner
der eiulluss des metrums, der seine ganze ausdrucksweise viel breiter machte als die-
jenige seiner originale , sondern lediglich sein eigener geschmack. Oft ist eine strophe
des minnesingers zu zweien erweitert , manchmal ist allerdings auch das gegenteil der
fall, dann sind zwei strophen zu einer zusammengeworl'U. and die bearbeitung ist
kürzer geworden als das vorbild. Wenn also Gleim seine nachdichtuugen als ,, Gedichte
nach den Minnesingern, Gedichte nach Walther von der Vogolweide" bezeichnet,
so handelt es sich ebensowenig um Übersetzungen wie um gedichte nach der ait und
weise d. h. im geiste der minnesinger. Der unterschied gegen Bodmer auf dor einen
und gegen die Göttinger auf der andern seite liegt auf der haud. „Gedichte im an-
schluss au die minnesinger" — so etwa lassen sich die Gleimschen versuche, die
1) Bei den „Gedichten nach Walther von der Vogelweido" verweist er nur
unter den Überschriften auf die betreffenden stellen in Bodrners „Sammlui
2) Grobe missverstäudnisse des sinnes sind bei Gleim recht häulig. Oft hat
Gleim aber auch manchen alten ausdruck gar nicht verstanden, so wenn er tougen —
heimlich mit taugen = passen übersetzt. Die wahre bedeutung von milt = froigiebig
ist ihm auch uoch unbokaunt.
216 soko o
will aucli modi i imaok
nennen kann, am besten bezeichnen.
■ • I • - i 1 1 1 ■■ ach lallt im das jähr 1764. Er finde! sioh in den „Pi
chischen edicl I eine unidiohtun
M B II. ll . j. 71) und „Ismene " iiherechrii
Gleim bal die überschwänglichkeife
ml tandenen umdichtung* bedeutend gemildert. Lber in e . war
;odich1 für Gleirm dichterisches Verhältnis zu den minm hon rech!
charakteristisch. Zwar lehnte es sich — uainentlich in der beibehaltunj phen-
zahl — noch verhältnismässig eng an da original an, aber die arl der jpS
GTeimschen umdichttmgen lässt sich schon hier erkennen. Ohne dase ei ihr einen
liainou gab, glaubt er im gegensatz zum berrn von ] seiner geliebten nicht
singen zu können. "Wo jener nur den eindruck und die mach! schildert, die
vrouwi auf ihn ausübt, meint Gleim sie unter die enge! und göttinnen versetzen zu
in. Seine liebe zu Doris hindert ihn nicht, von seinem kalten herzen zu sprechen;
mit dem erinnerungsbilde an die geliebte i.-t es ihm nichl getan, er möchte sie auch
— echl anakreontisch — im wirklichen bilde besitzen, und anstatt das gedieh! nach
der weise des Vorbildes als ein erzählendes und nur zum Schlüsse apostrophierendes
minnelied zu geben, kleide! Gleim es in die form eines traunies, wobei er die aaf-
klärung und enthüllung, wie auch J. P. Uz3 und ai ' taten, erst ^anz
am ende bringt. Wichtig ist aber der inhall seines traumes: Wo der herr von Trös-
berg sie nur „bi maniger schoenen vrouwen" gefunden baben will, sieht Gleim einen
ganzen „kreis" von schönen trauen. Ismen e tritt hinein und „alle schönen über-
liesseu ihr den preis"-. Der begriff" der mittelalterlichen vrouwe ist versehwunden, so
selir Gleim auch geneigt ist. sich als den Sklaven seiner geliebten zu betrachten.
Es ist die vorstellungsweise der rokokozeit, die uns aus Gleims erstem minne-
singer -versuch entgegentritt.
Luch eine der ersten nummern seiner „ Gedichte nach den minnesingern "
die schäferliche einkleidung:
Unter ihren liehen schalen.
Fand ich eine hirtinn schlafen.
Zucht und Unschuld im gesiebt.
Wie ganz anders hatte Gleim in den vierziger jähren, damals, als er Doch echter
Anakreontikcr war, gesungen:
Aber seht nur, dort im schatten
Unter reben liegt ein mädchen . . .
An die stelle der reben sind jetzt wider die lieben schafe getreten, wein und trinken
spielen keine rolle mehr, und wie überhaupt die scharfen antithesen von stadt und
land, von hirt und könig oder arm und reich wider verwendet werden, so beweist
schon der häufige gebrauch des idyllischen demiuutivums oder von adjeetiveu wie
1) Vgl. Wilh. Körte. Gleims leben (Halberstadt 1811) s. 122fg.
2) .1. W. L. Gleims sämmtliche werke, erste original- ausgäbe aus des dichters
handschriften durch Wilhelm Körte (Halberstadt 1811) bd. I, s. 170. — Dazu vgl.
Körtes vorrede pag. X V: ., Besonders aber wurden diejenigen Veränderungen des dichters
wider ältere lesarten vorgezogen, durch welche hier und da ein vers oder eine Strophe
weggeschnitten wird ..."
3) Vgl. „Sämtl. poet. werke von J. P. Uz ", hrg. von A. Sauer (Deutsche litteratur-
denkmale), Stuttgart 1890, s. 130.
KL0PST0CK., GLEB1 UND DIE A.NAKUEuMIKKK 217
„ klein " uud „ Miss ", wie sehr vater Gleim dem niedrigen vor dem hohen den Vorzug
gibt. Selbst die mächtigsten potentaten finden ihr einziges glück wider in der idyl-
lischen liebe; dem kaiser Heinrich, der doch ehemals bei aller liebe zu seiner vrouwe
die würde und den stolz seiner Stellung gewahrt hatte, ist jetzt rang, herrlichkeit und
pracht nur durch den besitz seiner ., süssen" ..erträglich", uud herzog Heinrich von
Breslau ist glücklich, mit seinem ..süssesten weibchen" die flitterwocheu iu seiner
nun endlich wider durch muutcrkeit und freude erhellten „kleinen hütte" verleben
zu können. Dass alle schäferlich -neckischen episoden, sich in sittsamkeit abspielen,
sagt schon der könig Wenzel iu Gleimscher Umwandlung, wenn er erzählt, wie er
aus furcht, von seinem gewissen mit „ schlagen " gezüchtigt zu werden, auf den kuss
der schlafenden Schäferin verzichtete uud nun das schöne bewusstsein habe, dass er
recht getan. Von den ..kleinen bräunen mädchen ". die auf weichstem bettchen mittags-
ruhe halten, im träume die bände falten und betend „um männer bitten"1, ist keine
rede mehr.
Sofern man nicht lieber eine mechanische ilickerei annehmen will.
die neiguug, durch demonstrative pronomiua oder adverbia zu lokalisieren:
Himmel I Welche wonue
Hatten wir einmahl
Hier in diesem thal.
Unter mittagssoune,
Deren feuerstrahl
Dounerwolke dämpfte,
Dort am Wasserfall.
Ais die amsel kämpfte
Mit der nachtigall ! -
Ferner das bestreben zu individualisieren , nur dass (üeim hier, wo es sich doch um
alte deutsche dichter handelt, aus denselben gründen, um deren willen er statt
Amor, Nymphen und Zephyr „ liebesgötter " und „abendwinde" verwendete und Venus
nur noch vergleichsweise heranzog3, die sonst so beliebten römischen und griechischen
namen durch deutsehe ersetzte: Thusnelda, Eringard, llillma. Adelheid und Irmingaft,
und statt Seladou männernamen wie Sellmar, Hillmar und Werdogam. Was soll man
aber zu einer dichterischen Individualisierung sagen, die sich zu versen verstieg wie:
Wenn ich's noch erlebe, dass ich rosen
Auf der lieblichen Albertushöhe
Alit der schönen Anna Winli lesen gehe...'
oder gar:
[eh sass, in einem süssen traunio
Bei meiner Sunnemann und las....
1) „Versuch in scherzhaften Liedern": Körte, .Gesamtausgabe. bd.I, s. 87.
2) Iris, bd. IV, s. 7m.
3) Selbst da, wo einmal der herzog Heinrich von Breslau singt: „loh Venus
wil ir alles das erleiden...", ersetzt Gleim es durch: „Ich liebe..."
4) Gedichte nach Walther tob der Vogelweide, s. 54; vgl. auch oben s, 214,
anmerkuug 5.
5) Gedichte aaoh Waltber von der Vogelweide, s. H>. Über frfiul. Sunnemann
vgl. Bertuchs biiefe an Gleim, in: Wielands werte od. Pröhle, DNL. bd. 51, obal.
s. LX1X fgg.
Kili BohöneE lied des Johann Hadloub widmet er 177:; direkt dem „fräulein
Sunnemann" and noch im jähre 1779 begehl ei die g< chmacklosigkeit, dass er e
dichter wie Walther den Bohlanken leib der Lnna Winli1 b<
Die zweite ammlong zeigt einen dorchanf ernsten grandton. Von Bcbäferspiel
ist um wenig die rede, die ländlichen gedichte bekommen zum
weinerlichen zug, selbst um die unwirklichkeii wird geklagt*. Und
hier wie dort wählt Gleim gern Bolche Vorbilder, die von dem verschwinden der treue
aus der heutigen weit handeln8. „Über sein Langes leben" betitelt er eine um-
dichtung des Walthersehen: ,,Owe war siut verswuudeii alliu minin jär":
Ich seh, in gottes weit, mich um ... .
Und sehe — — freunde trag und kalt,
Die's nicht vor dreyssig lenzen waren '.
Doch pessimismus und menschenfeindschaft waren bekanntlich nichl die grund-
züge von Gleims leben. Bezeichnend Für seinen eigentlichen charakter ist ein fall,
wo er eine oft widerkehrende Wendung der minnesinger des iuhalts: „Ich wolte gar
von fröiden gau, Do tröste mich ein röter mimt •■ herausgreift und diese nach seiner
weise variiert. Erst hat man den verstimmten und verbitterten leibhaftig und plastisch
vor augon: Den köpf gestützt, in felsenschatten,
Auf traurigem, verdorrtem gras,
Wo nattern ihre uester hatten,
Sass ich, im äuge menschenhass!
Dann wird er wie der minnesinger6 durch den „roten mund" getröstet, da.s resultat
ist aber ein ganz anderes als bei dem markgrafen Heinrich von Meissen; nicht nur
dass er sich selbst gehoben fühlt, er denkt sofort auch wider an andere:
Und nun will ich den menschen leben,
Will, wider unter menschen nun,
Der rechten freude mich ergeben,
Will wider menschen gutes tun.
Patriotismus, f'römniigkeit, arbeitsamkeit , hauslichkeit und moral, — das sind
die ideale, die er seinen gedichten zu gründe legt, ohne sich viel darum zu kümmern,
oli sie ihm schon von seinen Vorbildern dargeboten w-urden. Doch Vaterlandsliebe
fand er bei Walther, und eine ganze reihe von dessen politischen gedichten hat er
verwertet. Auch für den ausdruck seiner protestantischen gesinnung fand er in
Walthers gegen den papst gerichteten stropheu das beste mittel6. Seine frömmigkeit
selbst aber erscheint nirgends charakteristischer als bei könig Wenzels tagelied
(MSH. III), das er in einen ,, morgengesang", noch dazu in dem typischen choral-
verse des „Wie schön leucht't uns der morgenstern ", verwandelt. Und: „Wolauf zu
1) In welcher beziehuug der name Winli zu dem gleichnamigen minnesinger
steht. Hess sich nicht erkeunen.
2) "Vgl. u. a. nr. 23 und 25.
3) U. a. Gedichte nach den minnesingern , s. 83 und 92.
4) Gedichte nach Walther von der Vogelweide, s. 25. Vgl. Gleims leben, s. 1S9.
192. 133 fgg.
5) Gedichte nach den minnesingern, s. 44.
6) Vgl. Gedichte nach Walther von der Vogelweide, s. 23. 24. 27. 29. 31. 32.
34. 39. 50. 52. — Auch hier hat Gleim sich übrigens ein grobes missverständnis zu
schulden kommen lassen. Walthers „Sagt an, her Stoc" glaubt er (statt auf die auf-
gestellten opferstöeke) auf einen päpstlichen legaten, herrn Stock, beziehen zu müssen.
ELOPSTOCK, GLEIM UND DIE ANAKBEONT1KEE 219
fröhlichen] gesang! Wolauf zur arbeit, schlaf ist tod!" — ist das nicht derselbe ton
wie in den liedern des säemanns, des pflügers, des gärtners oder des hirten?
Anstössige stellen, die bei den minnesingern nicht selten sind, sucht man in
Gleims nachdichtungen vergebens. Kaum dass einmal ein küsschen erlaubt wird. Auch
lieder voll der naivesten Sinnlichkeit hat er geändert. Man traut seinen äugen kaum,
wenn man liest: Unter' n linden,
Wo sie mir zur seite sass!1
Das „weibchen" sei auch eine tüchtige hausfrau2, auch „ gesangesfreundin " und „ge-
sellig" muss sie sein. Und was schliesslich die kinder betrifft, so gibt Gleim uns
wenigstens über die mädchen bescheid. „Mein töchterchen " — so überträgt er
Keinmars von Zweter: „Ein ledig wib" — bewerbe sich — um keinen manu, es
steht nicht wol! "Will es aber dennoch einen, so soll sie sich der allcrreinsten sitte
beständig befleissigen. Es sind dieselben lehren , die Caspar Renners frau Winsbecke
ihrer tochter gab3.
Berührt es diesen gruudsätzen gegenüber nicht komisch, wenn man auf andern
blättern wider hört, wie derselbe vater Gleim „ seinen bass" (basson) zu blasen ver-
steht, wie er seiner geliebten zu gefallen ., freudensprünge springt" und wie er um
einen „süssen gruss" von ihr sogar noch „etwas höher tanzen" will?1
Übei1 Gleims nachdichtungen steht das urteil fest. Bleibender dichterischer
wert ist ihnen nicht zuzusprechen. Auch die beibehaltung einiger alter Wörter and
construetionen wie: Minne, geleben, du sollt, entwanken, ohne wann, unsänftiglich.
ich gann, der viel grosse hass, hat nicht die bedeutung wie das gleiche bestreben bei
den Göttinger dichtem , die solche Wörter und redewendungen aus dem Studium der
miunesinger in ihre dichtungeu hinübernahmen5. Gleims nachdichtungen sind „dem
geiste, wie der kunst der alten dichter, völlig widerstrebend"'".
Um so mehr muss man sich verwundern, dass damals stimmen laut wurden,
die viele lobesworte über Gleims minnesiuger- versuche zu sagen wussten. Wielands
„Teutscher Merkur" zum beispiel, in der december-nummer von 1773, erklärt die
„Gedichte nach den minnesingern'' nicht nur für eine „wichtige aojuisition der lyrischen
poesie", sondern behauptet sogar, sie seien „mit getreuem abdruck des ursprünglichen
charakters und mit treuer beybehaltung des alten geistes" gemacht. Der Leipziger
„Almauach der deutschen musen" vom jähre 1774 T nennt seine „ freyen Übersetzungen
mit den beigefügten originalen das beste mittel, die nation auf eine so merkwürdige
epoche unserer dichtkunst aufmerksam zu machen", und als die „Gedichte uach
Wallher von der Vogelweidc" erschienen sind, weiss derselbe Almanach (1780)" von
ihnen zu sagen, sie seien „abermals ein herrlicher beytrag zur modernisierung der
alten minnesiuger". —
1) Gedichte nach Walther von der Vogelweide, s. 17.
"_') Gedichte nach den minnesingern, s. 81. — Möglicherweise ist Gleim auf die
in der zweiten strophe ausgesprochenen forderungen, dass das liebe weib auch „für
tisch und küche" sein.müsse, dadurch gekommen, dass er in dem Verfasser „Herr
Chuonrat der Schenke von Landegge" einen echten scheukengastwut vermutete!
3) Zeitschrift, bd. XXXV, s. 79 fgg.
4) Nach Ulrich von Lichtenstein: „Iris-. I>d. IV, Düsseldorf 1 7 7 ."• . s. ii"> u. tiS.
5) F. Mühlenpfordt a. a. o., s. 82 fgg.
G) W. Körte. Gleims leben, s. L72fg.
7) s. 66.
8j S. 74.
■ I
Wie nach mancher andern rieh fang, bo bai vater Gleim in bezug auf die
dichterische Behandlung und nachahmung dei mini bule gemacht. Von
< iöttingern, die ihr» q en '. kann unter
Gloim freunden waren doch, soweit es sieb iibi lervier —
Klamer Sohmidt, Johann Nikolaus Götz und ein paar ungenannte — , die
i< li In ähnlichen umdichi i achten.
Am begeistertsten scheirrl damei Schmi Von ihn
sitzen wir zunächst ein paai ven ache nach Walther von der Vogelweide und ein
i Dach Beinrioh von Morungen, die im „Almanacfa der deutschen musen" von
1771 erschienen8. Was bei den „barden" des 18. Jahrhundert so belieb! war und
von Goethe so verböhnl wurde: die ewigen ausrufe und interjeetionen, — Klamer
Schmidt zeigte dafür auch bei seinen Dachdichtungen nach den minnesin
gauz besondere noigung. Fast jeder satz isl mit einem ausrufungszeichen versehen,
und ohne bedenken schafft er sich durch ein angeflicktes: »ha!" den zugehörigen
reim auf: „Ja!" Das unmittelbare vorbild war ihm vater Gleim. Wie eng lehn! er
sich in der ganzen auffassung uud aufmachung an seinen i ,! Das gedieht
aaoh dem Morunger neunter: „Andenken an die erhörungsstunde ", in Gleim6chem
geschm ack spricht er von himmelsseligkeiten der bebe and von engein, die seinen
saiten horchen, und in dem einen gedieht nach "Walther, Da minnelager" betitelt,
einer verballhornung des entzückenden „Under der linden, an der beide-, gl
auch er den inhalt züchtiger gestalten zu müssen. Ja, Klamer Schmidt gehl hierin
beinahe noch weiter als Gleim. Zwar ändert er nicht wie dieser den grundgedanken
völlig um3, aber Walthers ausdruck, dass mau au den gebrochenen blumen und dem
gras erkennen könne, wo die liebenden lagen, war ihm doch zu sinnlich, — was
macht er als»' daraus?
Minnelager uns zu machen,
Nahm er rosen und Jasmin.
Hey! des muss ich jetzt noch lachen!
Doch die rosen möchten leicht verblühn:
Waller, willt du wissen, wo ich lag,
Tandaradey !
Geh' doch heute noch danach!
I od wer war dieser Waller?
Schmachtend kam ich hergegangen;
Kitter Winli war schon da.
Mich behaglich zu empfangen!
Susa! Nur ein kleiner vogel sah,
Wie so niedlich mir's der ritter bot!
Tandaradey !
Seht! noch ist der muud mir rot!
Das war selbst Johann Georg Jacobi zu viel, denn im „Teutschen Merkur * vom april
17744 schrieb er mit beziehuug auf dieses gedieht: „Sollten unsere neuen minnelieder,
auch die besten darunter, mit deu alten verglichen, wol etwas anderes seyn, als was
1) S. o. s. 213.
2) S. 8 uud 12.
3) S. o. s. 219.
i) Bd. VI , s. 54.
KLOPSTOCK, GtETM rvr> DK ANAKREONHKER 221
die lockpfeife des Vogelstellers ist, wenn man den würk liehen gesang des vogels da-
gegen hört? Dieser singt, weil er sein nest im grünen baut, weil er den gatten ruft
und die kinder warnt; indessen jener bloss seiner handtierung nachgeht. AVer in diesem
minnelager den geist der alten sänger zu verstehen, die naivetät der empfindung
aufzufangen im stände ist, der wird sagen, dass ich die Wahrheit rede."
Klanier Schmidt gehört ohne zwreifel ein gedieht, das als anonyme geburtstags-
gabe für Oleim im jähre 1773 zu Balberstadt erschien und den titel führt: ..Schön-
heit und liebe. Ein dialog. Von Reinmann von Brennenberg. u Im „Älmanach der
deutschen musen" von 1770, in dem es gleichfalls abgedruckt ist. trägt es die Unter-
schrift: St.. und dass wirklich Schmidt und kein anderer der Verfasser ist, sagt uns
ein herr 11. v. L. in seinem aufsatze: „Über die Unsterblichkeit der seele", der eben-
falls eine geburtstagsgabe für Oleim aus demselben jähre war: ..Mein lieber bruder
Katull-Petrarka hat Ihnen, vater Psammis, ein so süsses minnelied vorgesungen..."
Es kann hier nur jener dialog und als autor nur Klamer Schmidt, der Verfasser der
., Phantasierm nach Petrarkas manier" gemeint sein.
Klamer Schmidt hat die beiden ersten Strophen von Reinmann von Brennen-
bergs Wettstreit zwischen Schönheit und liebe1 benutzt. Mit den worten: „Genug des
ruhms!" bricht die liebe, nachdem sowol sie wie die Schönheit ihre Vorzüge auf-
gezählt und gepriesen haben , plötzlich ab, und der Schlussgedanke ist nun, dass zwar
beide schöne siege errungen haben, dass diese alter fruchtlos wären, würden sie nicht
durch unsterbliche dichterwerke verewigt, [ch hätte das ganze gedieht als gelegenheits-
prodnkt einfach kurz erwähnt, wäre es nicht eben ein paar jähre später auch in einem
dichterischen älmanach erschienen.
über die ungenannten, die mit ganz vereinzelten versuchen vertreten sind,
nur wenige worte. Von den liedern derjenigen „ungenannten- zunächst, die sich
in den von Klamer Schmidt herausgegebenen „Elegieen der Deutschen aus hand-
schriften und gedruckten werken"- finden, mögen zwei, wenn nicht alle drei, viel-
leicht Schmidt selbst zum verfasset' halten. Pas „ — Ch — " unter (lern einen scheint
auf die anfangsbuchstaben seines namens hinzudeuten, und wenn in dem andern eine
geliebte unter dem namen „Wunna" besungen wird, so stimmt das zu Schmidts ge-
dichte „Walther von der Vogelweide an seinen geist" :, das durch die Unterschrift
„ — Dt — " als von ihm stammend beglaubigt ist. „Das schöne kind. Mach m
Badloub" ist das an „"Wunna" gerichtete gedieht betitelt. Auch Gleim hatte dasselbe
ht bearbeitet1, bei ihm war es aber dem „ Fräulein Sunnemann " gewidmet. „Im
schatten einer linde sitzend, liebkoste sie das schöne kind". hatte Gleim begonnen und
sich damit dem eingange des minnesingers : „Ach ich sach si triuten wol ein kindelin"
ziemlich genau angeschlossen. Ein malerisches hihi, das uns entfernt an madonnen-
liilder erinnert, war es, womit Gleim and der minnesinger begannen. Der ungenannte
dagegen lös! alles episch auf.
,, Kaisei- Heinrichs minnegesang". gleichfalls von einem ungenannten, isi nur
insofern von interesse, als kaiser Heinrich hier nicht wie im original „die 3ü<
auch nicht wie bei Gleim seine „gemahlin", sondern „die kleine- besingt Mil
will ich die kleine grossen ".
L) MSB. IV. 10 und 11.
i'j Lemgo 177H. bd. I, s. 70; bd. LI. s. 327 und 360.
3) Ebenda II. 3.361.
-I ) i redichte nach den minnesingei n . .100.
222 t
A.uch eine erzählung: „Die herabla rang de monarchen* von einem ungenannten,
dei Bich im Leipzigei - Llmanacb der deutschen musen" von 177.V mir dem buch-
taben: F. unterzeichnet, tnuss biei genannt werden. Bie behandelt die Liebe
apotbekerstochter zudem am bofe tcaJ ei Friedrichs Ml aen dichter Tro
\i.|it nur als modell ist der miunesinger gleichen namens hier benutzt, es wird auch
die bearbeitui ines Beiner lieder, desselben, da Gleims erstem versnob einei nach-
dichtung zu gründe lag2, mitgeteilt. Und glaubi man nichi Oleim Belbst zu boren,
. er babe das lied, am ihm Beine altvaterische, aber nach-
drückliche spräche nichi völlig zu benehmen, nur mangelhaft übersetzt? Die Wahr-
heit ist: er hat das original in anakreontischem geschmack so sehr erweitert und
verändert, dass es zum teil kaum noch zu erkennen ist.
und schliesslich Johann Nikolaus Götz. Auch bei ihm zei
miimelied, das er bearbeitete: „Ich klage dir rneie....." vom herzog Heinrich von
Breslau", das Gleimsche gepräge: episch -erzählender eingang, idyllische deminutiva
und freie behandlung des Vorbildes. Wie trivial und pedantisch aber ist die art. wie
Götz das festhalten der geliebten durch diu hügel erklärt: in einer anmerkung be-
zeichnet er — sogar anter hinzufügung des lateinischen namen — den felsenstrauch
als ein stachliches gewächs, dass sich den gehenden überall fest an die kloider li
dii fliehte mit „kletten" am säume! Es wurde zeit, dass ein Umschwung kam. —
Fern im schlesischen osten, und zwar schon unmittelbar nach dem erscheinen
der „Gedichte nach den minnesingern *, scheint zuerst der zweifei an dem dichterischen
werte der Gleimschen nachdichtungen öffentlich ausgesprochen worden zu sein. Zwar
redet der Schlesier, der in Karl Friedrich Lentners „ Schlesischer anthologie" gleich-
falls nachdichtungen nach den minnesingern veröffentlichte, von den „glücklichen
bemühungen des vortrefflichen Gleim", im höflichen conversationstone fügt er jedoch
zweifelnd hinzu: „So schön diese lieder sind, so scheint mir doch nicht immer der
ganze altdeutsche geist unserer vorfahren darin zu atmen, zum öfftern die natürliche
treuherzige miene zu fehlen, und das kleid fast allezeit zu neu und modegerecht zu-
geschnitten. Es sind allerliebste lieder für unsere zeit mit einigen edlen gedanken,
lieblichen bildern und kernichten ausdrücken der vorzoit verschönert. Das wollte
Gleim ohne zweifei; und er hat geleistet, was er wollte; mehr von ihm zu fordern
wäre unbillig." Und ein anderer, der sich ebenfalls in einer nachdichtung versuchte
und der auch aus dem osten, wenn auch nicht aus Schlesien, so doch aus der Ober-
lausitz stammt, Karl Gottlob Anton aus Görlitz, äussert sich in derselben weise:
„Ich erkenne seine Verdienste gern an. aber dies war nicht Übersetzung, umschattung
war's ! " ''
Die eigenen minnesinger- versuche dieser herren aber. — wie verhält es sich
mit denen? Und zunächst: wer war überhaupt jener Schlesier?
In bezug auf die letztere frage befindet man sich auf recht unsicherem boden.
Es handelt sich sowol um minnelieder wie um ein grösseres gedieht, dessen voll-
ständiger titel ist: „Die zwar fürchterlichen, aber auch erfreulichen abentheuer, so
1) S.63fgg.
2) S. o. s. 216.
3) Auch Gleim selbst bearbeitete dieses gedieht: „Gedichte nach den minne-
singern", s. 67. — Götz' gedieht erschien in Ramlers ..Lyrischer blumeulese" (1778),
buch VIII, nr. 7; auch in Götz', von Ramler herausgegebeneu gedienten (1807), II.
s. 28 fg.
4) Deutsches museum, bd. II, stück IX, sept. 1778. nr. 10.
KLOPPTOCK. GLEIM DKD DTE AWAEREONTTKEB 223
zwoen Schwestern Gertraut und Eugelberthen auf einer winterreise begegnet. Zur
lehre und trost gedichtet von meister Heinrich Yrouwenlob." Mit einem teil der
minnelieder findet es sich in der Breslauer Wochenschrift: „Das Kränzel" vom jähre
1773, und als sein Verfasser hat uns wol Karl Ämil Schubert zu gelten1. Möglich,
dass er auch der autor eines teiles jener minnelieder war, die in der zweiten Samm-
lung der von dr. med. Karl Friedrich Lentner herausgegebenen ,,Schlesischen anthologie"
von 1774 veröffentlicht wurden und die der herausgeber ausdrücklich als von zwei
Verfassern herrührend bezeichnet. Ob ihm dann auch die Übersetzung von herzog
Heinrichs von Breslau gedieht: ..Ich klage dir meie..." in der ersten Sammlung der
genannten anthologie von 1773 gehört, bleibt zweifelhaft. Möglich aber auch, dass
wir es trotz dr. Lentners angäbe bei allen diesen versuchen nur mit einem autor,
also wol Schubert, zu tun haben, finden sie sich doch alle, die poetische erzähluug
eingeschlossen, auch in der zweiten ausgäbe der Schlesischen anthologie von 1777,
diedentitel: „Schlesische blumeniese u führt, und hier sind sie eben insgesamt unter
die eine Überschrift: ..Gedichte von herrn — " gebracht.
Aber auf den charakter kommt es an. Freilich, die poetische erzählung von
den beiden mutvollen Schwestern Gertraut und Engelberth hat mit der kutsche, den
feeen, dem Zauberer und seinen sylphen überhaupt nicht viel minnesingerisches an
sich. Nur wenn zum beispiel von dem ,, grimmen winter" gesagt wird, „er halte
uns die freuden ganz benommen", wenn es von der Schönheit der beiden Schwestern
heisst, wer sie sähe, dorn wäre es, als ob der frost zergangen wäre, oder wenn man
Wörter wie: minnen und minniglich liest, nur dann fühlt man sich an den minne-
sang erinnert. Verwandtschaft mit Heinrich Frauenlob liess sich nun schon gar nicht
herausfinden. Ihr allgemeines gepräge ist Gleimisch, und im einzelnen gilt das auch von
den minneliedern. Die vromve wurde zum ..süssen mädchen", zum ..liebelten" oder zur
„schönen", sie bekam einen namen (Gertraut); flickwörter, ausrufe. Zusätze, epitheta
und idyllische deminutiva wie blümehen und vögelchen, — alles ganz wie bei Gleim
und seiner schule, nur dass wir dem Verfasser wol glauben müssen, wenn er be-
hauptet, seine minnelieder verfasst zu haben, bevor Lange's und Gleims proben
herausgekommen seien. Und das eben ist das wichtige: ungefähr zu derselben zeit.
wo Gleim mit seiner schule den text der alten minnesiuger in der willkürlichsten
weise behandelte, lehnte man sich hier im osten Deutschlands in durchaus selh-
stiindigen nachdichtungen eng an die originale an und schickte seine arbeiten schliess-
lich als bewusste proteste gegen die mittlerweile im druck erschienenen ersten Gleiin-
schen modernisierungsversuche in die weit. Gilt das auch nicht von allen liedern in
gleichem masse, so docli vor allein von der Übertragung von des herzogs Heinrich
von Breslau liede: „Ich klage dir meie..." und von Walthers „Under der linden,
an der beide.." Dass der Verfasser weniger sinnlich zu sein sucht als "Walther. mu>s
man allerdings auch ihm um des geschmacks seiner leset willen zu gute halten. Hier
wie dort aber das absichtliche bestreben, die Vorbilder Dicht zu verwischen; nötigen-
falls wird sogar ein vers ohne den entsprechenden reim belassen, auch alte Wörter
werden beibehalten, und. was besonders interessaut ist. der Verfasser glaubte sieh
1) So wenigstens sagt Karl Konrad Streit in seinem buche: ..Alphabetisches
Verzeichnis aller im jähre 177-1 iu Schlesien lebender Schriftsteller". Allerdings satrt
Streit in demselben buche (s. 81), alle im „Kränzel" mit: Z unterzeichneten stucke —
und jene poetische erzählung ist tatsächlich mit: 7. unterzeichnet — rührten von dem
herausgeber der „Schlesischen anthologie ", dr. K !•' 1. entner. selber her. Wer kann
den Widerspruch lösen?
224
bei Walther auch in bezi ma keine allzu ibweichun
zu dürfen.
„Ich wollte aiohl übersetzen in schöne po ort Kii wotfc EKei
und da neuere Wörter wählen, and womöglich den I a". Da
die der Bchon oi.ru genannte Karl Gottloh Anton1 aus Görlitz seiner im „Deut-
chen museum" von 1778 veröffentlichten üh erbard '.'»n
Sa\ Marienlied mit auf den weg gab. Ja, Lnton r y.w weit Bind ihm die
reim Wörter nur einigermassen verständlich, o las t er »e ruhig bestellen und
zuweilen nur noch hinzu, welchem neuhochdeutschen ausdruck and begriff ->•■ ent-
preohen. Selbst oberlausitzische dialelctwörter mengl er hinein, fsl also seine aber'
tragung als dichterisches produkt ganz verfehlt, al nstücl Qfleim and eine
schule durfte sie nicht übergangen werden. —
.Mit welchen empfindungen mag der greise Bodmei auf alle diese Nach-
ahmungen und amdichtungen der minnesinger geschaut haben! Leider liegen I
bestimmte äusseningen von ihm über die einen oder die andern vor. Vielleicht sind
sie ihm gaT nicht, einmal alle zu g< ichi ekommen. Im jähre seines todes, 1783,
aber waren auch die nachdiehtungsversuche im gesehmacke Gleims -und der Oörtingei
so ziemlich abgeschlossen. Zwar brachte der „Göttin ger Musenalmanach" minnelieder
noch bis zum jähre L804, auch andernorts stimmte man kräftig in den neuerwachten
minnesang ein, und in vielen punkten lässi äich der einfluss Gleims noch lange
verspüren, — der Charakter aller dieser dichtungen aber war allmählich doch ein
anderer geworden, und. was in der folgezeit von grösster Wichtigkeit wurde, auch in
den wissenschaftlichen Bemühungen war man fortgeschritten und im deutschen dichtcr-
walde sangen um die wende des Jahrhunderts die romantiker 'las lob der frau Minne.
1) Anton war von beruf rechtsgelehrter. Vgl. über ihn: Allgemeine deutsche
biographie, bd. 1. s. 497.
HAMBURG. IM D0LT SOKOLOWSKY.
UTTEBATUE.
Der gebrauch der Zeitformen im conjunetivischen aebensatz des deut-
schen. Mit bemerkungen zur lateinischen Zeitfolge und zur griechischen modus-
verschiebung. Von Otto Behaglich Paderborn. F. Schöningh 1899. IX. 210 s.
4,40 m.
Die frage, ob es eine Zeitfolge der abhängigen rede nach art der aus der latei-
nischen schulgrammatik bekannten consecutio temporum im deutschen gebe, hat die
forschung schon des öfteren beschäftigt. Wer auf den heutigen Sprachgebrauch seinen
blick richtet, wird zunächst die Vorstellung von einem scheinbar ganz regellosen
schwanken gewinnen. Der gedanke einer einheitlichen regelung liegt besonders für
die praktischen zwecke der schule nahe. Soll man sagen: der böte meldete, Regens-
burg sei oder wäre genommen? Heisst es: mir meldet er. er liege oder er läge
Jcrank? Sagt man: er sieht aus, als /rare er krank oder als sei er krank? Jeder
öchulmann wird oft in die läge gekommen sein, zu schwanken, wie er sich diesen
verschiedenen möglichkeiten gegenüber zu verhalten habe. Es lag nahe, von der
historischen grammatik aufschluss darüber zu verlangen, und es waren zuerst Schul-
männer, die sich dieser frage annahmen und sie von verschiedenen Seiten her zu
beantworten versuchten: so Hoegg (Arnsberger progr. 1854), P. Müller (Bruehsaler
ÜBER BEHAGHEL, DER GEBRAUCH DER ZEITFORMEN 225
progr. 1869) u. a. Dann hat 0. Behaghel in seiner Jugendschrift: Die Zeitfolge der
abhängigen rede im deutschen (Paderborn 1878) dem problem eine ausführlichere Unter-
suchung gewidmet, deren ergebnisse freilich nicht in allen punkten unangefochten ge-
blieben sind (vgl. Erdmann, Anz. f. d. a. 5, 364 fgg.) Diese schrift hat nun Behaghel
auf anregung des Verlegers neu bearbeitet und hat sie so gründlich umgestaltet, dass
er mit recht sagen kann, an stelle des alten sei ein neues buch entstanden. Die
ursprüngliche schrift enthielt 85 Seiten, die vorliegende hat es auf 216 gebracht; kein
stein ist auf dem anderen geblieben. Ein vergleich der beiden arbeiten ist sehr lehr-
reich; er zeigt, welche f ortschritte die syntaktische forschung in den letzten 20 jähren
gemacht hat. Von diesen fortschritten darf Behaghel selbst durch eigene oder von
ihm angeregte arbeiten ein gut teil für sich in ansprach nehmen. Bei der vorliegenden
Untersuchung arbeitet er mit dem ganzen rüstzeug moderner syntaktischer forschung.
Noch nie sind in einer nicht ausschliesslich der dialektforschung dienenden schrift die
niundarten der gegenwart wie der älteren zeit so fruchtbar verwertet und so scharf
von der Schriftsprache getrennt worden, während freilich die zwischen beiden liegende
Umgangssprache auch hier ein unausgefülltes fach geblieben ist. Behaghels oft be-
währte Vorzüge, feine beobachtungsgabe und die fähigkeit scharfsinniger gliederung
des Stoffes, zeigen sich in diesem buche von ihrer besten seite. Ein gewaltiges, zum
teil schwer zugängliches material ist durchforscht und im ganzen wolgeordnet vor-
gelegt; zusammenfassende rückblicke und statistische tabellen erleichtern die Übersicht.
Ich stimme der von B. befolgten methode grundsätzlich zu und habe auch gegen die
einzelergebnisse nichts erhebliches einzuwenden. Ich kann mich daher bei dieser be-
sprechung, deren niederschrift sich zu meinem bedauern über gebühr verzögert hat,
auf eine kurze mitteilung der resultate und einige nachtrage beschränken. Bedauerlich
ist, dass B., der das altsächsische und die niederdeutsche dialektlitteratur seit dem
16. Jahrhundert nach gebühr berücksichtigt, der dazwischen liegenden stufe des mittel-
niederdeutschen gar keine beachtung geschenkt hat. Das gesamtbild wäre freilich durch
einbeziehung dieses gebietes nicht in wesentlichen punkten geändert worden, aber zur
Vertiefung und bestätigung hätte es gewiss manchen nützlichen beitrag geliefert.
Behaghels schrift zerfällt in zwei bücher; das erste bringt die tatsachen, das
zweite die erklärung. Es wird zunächst nachgewiesen, dass es für die ältere zeit,
„bis etwa zum 15. jh.", eine mechanische regelung der Zeitfolge gab, abhängig von
der zeitform des übergeordneten Satzes, dass also bei präsentischem hauptsatze im
nebensatz stets der conj. präs., bei präteritalem stets der conj. prät. stand, wenn nicht
ausdrücklich eine Verschiedenheit der beiden zeitsphären zum bewusstsein gebracht
werden sollte. Dann werden die besonderen fälle erörtert, die hier eintreten können,
z. b. das verfahren nach der perfectumschreibung, nach dem praesens historicum,
nach dem conditionalis, in vergleichenden Sätzen mit alse oder sa»i. Zu den zuletzt
genannten, in § 13 behandelten Sätzen möchte ich bemerken, dass nicht erst, wie B.
meint, in der prosa der späteren zeit der conj. prät. bei präsentischem hauptsatze
angewendet wird, sondern dass er schon in der dichtung der mhd. blütezeit vor-
kommt. Greg. 3364 der süexen weter gritox und diu heimliche linde . . . mir sint
also gemeine, als ob ich totere reine. 1. Büchl. 1762 ja lebe ich, satn ich strande
den tiefen se. Diese beispiele, von denen übrigens das zweite durch den zwang des
reimes hervorgerufen sein kann, scheinen allerdings vereinzelt zu stehen. Sonst be-
folgt Hartmann von Aue in diesen Sätzen offenbar ganz streng die consecutio temporum:
Er. 2798 er hrast, sam ex /rare ein rti/e: hast. 7511 d/i redest, sam ex st diu
spät. Das eindringen des prüteritunis in die Gregoitußstelle kann man sich vielleicht
ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XXXV. 1 5
226 MKS MINO
aus dem umstände erklären, dass das prät. in beiden gliedern dieser satzform so
ausserordentlich überwiegt. In den werken Bartmanna finden neb nach meinen Samm-
lungen mit «ls ah ob eingeleitete rergleichungssätze etwa 30, darunter nur zwei
präsentisohe (AJI L142 dax ich ah engestliche stän, ah ich xe tanze süle gän und
I. BüchL 977). Mit sa/m eingeleitete; sütze finden sich im Breo 10. in allen anderen
werken Bartmanns, wenn ich nichts übersehen habe, nur drei (Iw. 1430. 5381;
1. Bücbl. 1762); von diesen 19 fallen sind nur zwei präsentisch. Ferner ist zu be-
merken, dass gerade der eonj. prät. des verbums sem in der form uusre in diesen
vergleichungssätzen ungemein gebräuchlich ist. Unter 12 derartigen Batzen im [wein
ist nur einer, der nicht diese form aufwieso (753; vgl. dagegen 662. 2218. 3095.
3568. 3601. 3612. 5074. 6021. 6729. 1430. 5381). So mag sich denn dies- so übliche
form auch an der Gregorstelle dem dichter eingefunden haben.
Zu den spärlichen belegen, die B. § 12 für conj. präs. nach dem conditionalis
aus mhd. dichtem anfühlt, kann eine stelle hinzugefügt werden, an der in einem
vergleichungssatze (vgl. § 6 A 1) das irreguläre tempus erscheint: 2. Büchl. -!38 da*
ich etwenne gerner ein töre wäre dann ich so yröxe stetere von mtnen »enden
witxen trage (: klage). Unter die scheinbaren ausnahmen, die § 14 A aus Berthold
und Albrecht von Eyb belegt weiden, lässt sich als älteres beispiel wol Erec 3416
rechnen: noch dulde ich bax iuern xorn dan iuiver lip wce.re verlorn.
Nach ausscheidung der scheinbaren ausnahmen, unter die B. auch alle fälle
rechnet, in denen der dichter augenscheinlich unter dem zwange des reimes stand,
bleiben als wirkliche ausnahmen von dem mechanischen gesetz der Zeitfolge in der
tat nur wenige nach. Man braucht aber meines erachtens garnicht mit B. anzunehmen,
dass in der mhd. dichtung überhaupt kein einziges sicheres beispiel für die durch-
brechung dieses gesetzes nachzuweisen sei. Selbst wenn das eine oder andere auf-
taucht, was kann es beweisen gegen die erdrückende menge der fälle, die das gegen-
teil dartun? Es bleibt eine tatsache, dass die archaisierende spräche der poesie an
dem alten gesetz lange festgehalten hat, selbst dann noch, als die fortschrittlichere
prosa es zu durchbrechen begann.
Die von Behaghel aufgestellten regeln gelten nach meiner kenntnis im ganzen
auch für das von ihm nicht untersuchte mittelniederdeutsche. Ich habe die
fabeln Pseudo - Gerhards von Minden (ed. Seelmann) und einen teil der Chronik
Detmars (ed. Grautoff, Lüb. Chron. 1) darauf hin durchgesehen und könnte für alle
von B. behandelten fälle bestätigende beispiele beibringen. Die reguläre form ist durch-
aus die entsprechung der tempora; Chron. s. 28 van deme segeden se, dat were
heiser hinrik. 225 men sprikt, dat de koning na sinem dode hebbe vele teken dan.
Abweichungen bei bezeichnung einer verschiedenen zeitsphäre sind sehr gewöhnlich:
Ps.-Gerh. prol. 8 dat Esojms sin name were, secht uns de scrift. Vgl. 25, 40.
82,22; Chron. 1,65 u. o. Häufig ist auch der fall, dass auf präsentischen hauptsatz
conj. prät. folgt, weil schon im selbständigen satze conj. prät. in potentialer, hypo-
thetischer oder optativer bedeutung stehen würde: Gerh. 27,95 mi vrust so sere, dat
ik bi vure gerne were. 27, 90. 40, 15. 49, 34. 84, 33. 101, 126 u. o.
Nach der perfectumschreibung wechselt wie im ahd. und mhd. präsens und
Präteritum; präsens steht z. b. Gerh. prol. 36 sint lieft an dudesch 6k ein here en
del bracht ausser niere, dat dar ein minsche tucht unde ere bi unde Itovescheit jo
lere. Präteritum: 17, 14 min eldervader hat it geicieket, it scholde an »toter tit
gescheiten. Im späteren mnd. scheint hier der conj. prät. die oberhand gewonnen zu
haben: Scriba 180 he hafft sagt, datk en hör wehr. Hanenreyerey 289 eck hebb
ÜBER BEHAGHEL, DER GEBRAUCH DER ZEITFORMEN 227
noch wol ehr hört seggen, dat min möme hadd ok plegen tho hören seer. Vitulus 303
Wöbke hefft my bevalen, ik sehold ydt my wol leiten betalen. Wechsel der tempora
findet statt flanenr. 1 eck hebb ehnmal en solck sprikwort gehört: den ohlen kond
men wol entgahn . . . eer lehr si fast, eer recht si godt etc.
Ausnahmen von der regelmässigen folge der zeiten finden sich auch im mnd.
sehr selten. Offenbar unter dem zwange des reimes steht das einzige beispiel aus
Ps.-Gerh. 9, 5 unde bat se vullen innichlike, dat se or ut orem huse untwike so
lange, dat se dar enbinnen mochte ore tvolpe geioinnen. Lüb. Chron. 1, 51 binnen
der tyd scop de hertoyhe, dat to Lnbeke werde koren biscop conrad ist sicher falsch
überliefert; es muss ivorde (ind.) heissen. Dagegen ist unzweifelhaft: das. 1, 273 se
spreken, tvorumme he sulke lüde unthelde, ivente he en redelik here were ghewesen?
Do was sin antworde aldus: de not siner viande dwinghe ene darto, dat he un-
holden moste ive eme queme. Anders zu beurteilen ist das. 230 den ghelfen icas dit
moyelik, de nicht mochten liden, dat ienich am in ener icant sta malet, se ne
don eme schamphliken nok, wor dat se mögen. Hier lässt sich die abweichung von
der regel daraus erklären , dass sich dem Verfasser an stelle des anzugebenden zustandes
zur zeit der erzählung beieits in dem dass- satz der in seiner gegenwart noch fortdauernde,
im excipiereuden satze ausdrücklich als solcher bezeichnete zustand unterschob.
In den schon oben erwähnten vergleichungssätzen mit alsam u. a. herrscht auch
im mnd. eine grosse regelmässigkeit der Zeitenfolge. Bei Ps.-Gerh. folgt präs. auf
präs. 55, G0 mir ist rechte als ik si genesen. 14, 22. 94,4. Prät. auf prät. 6,20 he
vlo mi rechte als ik de duvel were. 16,56. 28,57. 40,41. 51,2. 87,11. 89,28.
91,68. 100,15.17. Nur einmal ist das gesetz durchbrochen : 101,112 so late ik, icht
ik were dot. Später ist in diesen Sätzen die alte regelmässigkeit gründlich zerstört
worden. In Schlues Comedia von dem frommen Isaac 1606 (ed. Freybe, Parchim 1890
progr.) kommen füuf beispiele vor; und zwar steht vier mal nach p rasen ti schein
hauptsatze der conj. prät. (26, 9 de puchet, als teere he sülvest her. 26, 13 du forest
groth geschrey, als ivere dy dyn brodt affgenomen. 45, 11 de süth jo uth alse ivant
de Droes wer. 72, 23 sü wo he geit, als wold he einen afsteken) und einmal nach
präteritalem hauptsatze der conj. präs. (freilich im reime): 42, 12 so löpen de
spittale thom water henin, ghelyk als wan se rasich syn. Ich werde auf diese er-
scheinung später noch einmal zurückkommen.
Im zweiten abschnitt des ersten buches behandelt B. die nhd. zeit, und zwar
zunächst die mundarten. Höchst interessant ist der nach weis, dass die heutigen
mundarten von der alten regel der Zeitfolge keine ahnung mehr haben. Sie besitzen
überhaupt im abhängigen satze nicht mehr beide conjunetive, sondern nur einen,
und zwar haben das niederdeutsche, das mitteldeutsche und die fränkischen mund-
arten des oberdeutschen nur den conj. prät., das alemannisch -schwäbische nur den
conj. präs. bewahrt. Das bairisch - österreichische ist zwiespältig, mit einem teil
seines bodens, dem Südwesten, schliesst es sich dem gebiet des präseus, mit dem
grösseren anderen teile dem des Präteritums an. Was also im alemannischen heisst
(Firmenich II, 530): i denk merr jetzt, i sei e Hoher mann, das würde ein holstei-
nischer bauer etwa so ausdrücken: ik denk mi nit . ik wer'n riken mann.
Dies allgemeine ergebnis, das aus zahlreichen quellen1 gewonnen und durch
kenner der mundarten bestätigt ist, steht jedesfalls fest, wenn auch im einzelnen
1) In die nd., meist Firmeuich entnommenen belegstelleu haben sich leider
ziemlich viele Irrtümer eingeschlichen; so steht gleich im zweiten beispiel aus Reutei
das für dat, im dritten beispiel aus Firmenich 1,48a mit statt uut , Bai? statt Boje.
namentlich über die abgrenzongen der gebiete sicheres nicht zu ermitteln war. —
Weit dürflägex ist trotz der aufgewendeten mühe das ergebnis aus der Untersuchung
der mundarton in älterer zeit anagefallen. Ks konnte nicht wol anders sein; die
Schwierigkeiten sind, wie B. mit recht betont, gross; «las material ist an sioh knapp,
das vorhandene für den bestimmten zweck nicht, ergiebig und obendrein nicht einmal
immer zuverlässig. Die Zusammenstellung der quellen 8. öOfgg. hat auch ein gen
litterar -historisches interesse. Mich wundert nur, das B. sich die leicht zugänglichen
ud. fastnachtspiele und Schauspiele hat entgehen lassen, die Seelmann und Bolte in
den drucken des Vereins f. nd. sprachf. I und IV herausgegeben haben. Sie hätten,
glaube ich, mehr ausbeute geliefert als manche der von B. durchgesehenen Schriften.
Die durch die beobachtung der heutigen mundart gewonnene Scheidung in zwei
grosse gebiete wird auch für die Untersuchung der Schriftsprache von der grössten
Wichtigkeit. B. ist hierbei mit grosser Sorgfalt und besonnenheit zu werke gegangen.
Er zeigt an der hand eines umfassenden materials, wie zuerst auf dem gebiete des
heutigen conj. präs. sich durch zurückdrängung des conj. prät. die auflösung des alten
grnndgesetzes vollzieht, wie dann etwa ein Jahrhundert später auch auf dem gebiete
des mundartlichen conj. prät. die zunähme des conj. präs. beginnt, der dann beständig
f ortschritte gemacht hat, so dass er heute in den formen, in denen er sich vom
indicativ deutlich unterscheidet, also namentlich in der 3. pers. sing, die herrschaft
über den conj. prät. gewonnen hat. Das ist das ergebhis in gröbster form ausgedrückt;
auf die menge der einzelbeobachtungen, die B. dabei bietet, kann ich hier nicht ein-
gehen. Nebenher möchte ich bemerken, dass in § 21 einige Verwirrung dadurch ent-
standen ist, dass unter die angekündigten beispiele von der 3. pers. sing, des prät.
sich auch solche von pluralischer form eingeschlichen haben.
Das von Behaghel gewonnene ergebnis halte ich in seinen hauptpunkten für
so sicher, dass ich es ohne bedenken zur einführung in die schulgrammatik empfehle;
ich werde darüber noch an anderem orte handeln.
Im zweiten buche (s. 160 fgg.) versucht dann B. die erklärung der im ersten
vorgelegten tatsachen und entwickelt hier im ganzen dieselben anschauungen , die er
bereits in der früheren schrift vertreten hat, doch in wesentlich vertiefter und ver-
vollkommneter form. Seine ausführungen über die modus- und personenverschiebung
werden wol heute kaum noch erheblichem Widerspruche begegnen. Nur scheinen mir
die beispiele nicht immer glücklich gewählt, und zuweilen werden allzu künstliche
auffassungen in die worte der schriftsteiler hineingetragen. Ganz unhaltbar als bei-
spiel für personenverschiebung erscheint mir die schon in der ersten ausgäbe des
buches angezogene stelle aus Reuter 8, 53: denk dir, hat mich der kerl vorigen
sommer 'ne art hosenxeug angesnackt. Hier soll nach B. mich für die 3. person
stehen, „denn im sinne Havermanns, der ja den gedanken haben soll, müsste es
heissen: hat ihm — dem Bräsig — der kerl angesnackt*. Der inhalt des satzes
hat mich .... soll aber garnicht als gedanke Havermanns erscheinen. Das denk dir
ist nichts weiter als eine bequeme einleitung der zu berichtenden tatsache und steht
zu dem inhalt des folgenden satzes in gar keinem inneren Verhältnis, wie es denn
auch ohne schaden für den Zusammenhang fehlen konnte. Es ist eine der in der
Umgangssprache so gewöhnlichen, in ihrer ursprünglichen bedeutung völlig verblassteu,
abgegriffenen formein, durch die der sprechende nur die aufmerksamkeit des hörers
auf das mitzuteilende lenken oder eine Spannung bei ihm erwecken will, wenn es sich
um eine seiner meiuung nach wichtige mitteilung handelt, wie hör mal, sieh mal u. a.
Richtig wäre Behaghels auffassung nur dann, wenn der inhalt der mitteilung einen
ÜBER BEHAGHEL, DER GEBRAUCH DER ZEITFORMEN 229.
fingierten fall enthielte, den vorzustellen der angeredete aufgefordert würde. Davon
kann aber an unserer stelle keine rede sein. Natürlich ist auch das colon, das B.
nach denk dir setzt, unberechtigt.
Die heranziehung analoger erscheinungen aus der griechischen und lateinischen
modus - und tempuslehre haben sich als recht fruchtbar für die erklärung des germa-
nischeu grundgesetzes erwiesen; doch scheinen mir die ausführungen darüber kaum
bedeutend genug, um eine ausdrückliche erwähnung auf dem titelblatte zu verdienen.
Als Ursachen für die auflösung der alten Zeitenfolge bezeichnet B. unzweifel-
haft mit recht die ausbildung des präsens historicum und das auftreten der perfect-
umschreibung für das einfache präteritum; beide mussten mit ihrem gegensatz zwischen
formaler und materieller geltung die Zeitformen des präs. und prät. in ein und dem-
selben satze als gleichberechtigt erscheinen lassen1. Ich möchte noch zu erwägen
geben, ob nicht auch die mehrfach berührten vergleichungssätze mit sam, als etc.
zur Verschleierung des ursprünglichen tatbestandes, zur erschütterung der regelmässig-
keit der Zeitenfolge ihr teil beigetragen haben. Die Unsicherheit hat hier offenbar
früh platz gegriffen; da sie einen bloss gedachten oder vorgestellten fall einführen,
so lag eine Vermischung mit den irrealen bedingungssätzen nahe und so konnte sich
bald nach präsentischem hauptsatz der conj. prät. einstellen; diese satzform ist dann
später die reguläre geworden, wenigstens im nd. gebiet, wo man kaum auf ausnahmen
treffen wird (vgl. Vitulus 434. 711. 858; Scriba 515. 629; Hanenr. 28. 210. 356.
1372 u. a.). Diese Sätze bedürfen noch einer gründlicheren Untersuchung, als B.
ihnen zukommen lassen konnte. Dabei wäre dann namentlich auch der heutige Sprach-
gebrauch festzustellen ; denn was B. darüber s. 92 sagt , ist doch gar zu unbestimmt^
und die s. 156 citierte bemerkung Prahls, dass aus diesen sätzen das präteritum schon
erfolgreich verdrängt werde , bedarf — so wahrscheinlich sie nach dem ganzen gange
der entwicklung ist — doch auch noch des beweises. In den novellen C. F. Meyers,
die ich durchgesehen habe, kommen auf 40 fälle von conj. prät. 20 fälle von conj.
präs.; anderswo wie z. b. in der „Versuchung des Pescaraa überwiegen die präsen-
tischeu formen (13 gegen 10). Ich halte es übrigens nach meinen beobachtungen
nicht für unmöglich, dass zuweilen noch gewisse feinere bedeutungsunterschiede bei
der wähl des modus unbewusst mitspielen; man vergleiche z. b. er sieht aus, als ob
er krank wäre (ich weiss aber, dass er es nicht ist) und als ob er krank sei (ich
weiss nicht, ob er es ist).
1) Interessant müsste es sein, die Untersuchung auf das mittelnieder-
ländische auszudehnen. In den erzählenden werken der mnl. poesie herrscht bereits
zu ihrer blütezeit eine neigung für das präsens historicum und die perfectumschreibung
wie sie zur gleichen zeit im eigentlichen Deutschland unerhört ist. Zahllose beispiele
findet man in den epen des Jacob van Maerlant (um 1250). Dieser verwendet das
präs. historicum nicht bloss um einen gewissen ruhepuukt in der handluug festzulegen
oder das ergebnis einer reihe von Vorgängen auszudrücken, wie das bei Wolfram
v. Eschen bach so gewöhnlich ist, sondern geradezu um eine in der Vergangenheit ein-
getretene handlung zu bezeichnen, ganz gleichwertig dem präteritum und nicht selten
im selben satzo mit diesem wechselnd. Ein besonders starkes beispiel dieses wechseis
steht Alexanders geesten 9, 928 (Franck): dit sprae hi ende meutert hi tief sijn
swert ende stac dien ggant dor sine siden. Ebenso bei der perfectumschreibürjg:
Hist. v. Troyen 793 (Verdam) orlof >/a»/ Inj am haer säen ende ea up sijn bedde
gheghaen. Demnach wird man sich nicht wundorn, wenn im mnl. früher und häufiger
als anderswo das alto grundgesetz erschüttert erscheint. Hist. v. Tr. li>71 hi />ri»st
of dat syn moeder ivaer. Alox. 3,460 Alexander gheboot, dat men niemen en sin
te doot. Öfters in sätzen mit als, oft u. a. Alex. 3, 912 sti vlieghet Haut in die
ghebarc ocht in die tvilde sc tvare. 4, 335 hi vaert, oft ecn rer rader wäre.
230 PALAHDEH
Durch Bebagbeis schrift ist. nicht nur die wissenschaftliche erkenntnis erheblich
gefördert worden, Bondern aus ihren wichtigsten ergebnissen kann auch und damit
kehre ich zu meinem ausgangspunkte znrück die schule unmittelbaren nutzen
ziehen. Es ist zu wünschen, dass sie bald in die schulgrammatikeD übergeben. Frei-
lich wird mau sich auch dann keine übertriebenen noffnungen auf eine baldige ein-
heitliche regelung dos Sprachgebrauchs maohen dürfen. Wo der oonj. prft nicht
die mundart, sondorn auch die umgangsspraohe so vollständig und ausschlii
beherrscht wio in meiner heimat, da wird er auch aus der Schriftsprache schwerlich
je ganz verdrängt weiden.
KIEL. OTTO MKNSIN'i..
Die althochdeutschen glossen, gesammelt und bearbeitet von Elias Steinmevcr
und Eduard Nievers. Dritter band: Sachlich geordnete glossare, bearbeitet
von Elias Steinmeyer. XII, 723 s. Vierter band: Alphabetisch geordnete glossare.
Adespota. Nachträge zu band I — III. Handschriftenvcrzeichnis. XV, 7'.">
Mit Unterstützung des k. preussischen kultusministeriums und der k. preussi-
schen akademie der Wissenschaften. Berlin, Wuidmannsche buchhandlung.
1895 und 1898. 28 und 32 m.
Es sind nun schon hald vier jähre verstrichen, seitdem der vierte band der alt-
hochdeutschen glossen erschien, welcher den abschluss des grossartigen Sammelwerkes
brachte. Das reiche glossenmaterial, welches den grössten teil der althochdeutschen
sprachquellen bildet und dem Sprachforscher wie dem kulturhistoriker gleich wichtig ist,
liegt also endlich an einer stelle gesammelt vor und bietet sich leicht und bequem
zu weiterer Verarbeitung dar. Es hat aber den herausgebern des werkes nicht allein
daran gelegen, dieses rohe material, welches in Zeitschriften und Wörterbüchern zer-
streut war oder dem forscher nur schwer zugänglich in den verborgenen bewahrungs-
stätten der bibliotheken und klosterarchive schlummerte, wieder ans licht zu ziehen
und die ausbeute in einem allen zugänglichen Sammelwerke unterzubringen. Schon
die namen der herausgeher bürgten dafür, dass das ziel der arbeit nicht innerhalb
dieser engen grenzen stecken blieb, sondern weit über die des mechanischen sammelns
ausgedehnt ward. In den vier bänden, wo das resultat des jahrelangen unermüd-
lichen sammelfleisses niedergelegt ist, findet man den ganzen ermittolbaren alten
glossenbestand sorgfältig gesichtet, nach verschiedenen seiten hin bearbeitet und er-
läutert, sowie nach bestimmten, scharf beobachteten prinzipien gruppiert und angeordnet.
Mit welchen Schwierigkeiten die beiden herausgeber und ganz besonders der-
jenige von ihnen, dem der löwenanteil der arbeit zugefallen, bei der anordnung und
bearbeitung des ungeheuren und schwer zu bewältigenden Stoffes zu kämpfen gehabt
haben müssen, das hegreift sofort jeder, der sich etwas eingehender mit der glossen-
sammlung beschäftigt hat. Um solchen Schwierigkeiten mit erfolg die spitze hieten
zu können und aus dem kämpfe mit dem widerspenstigen und his zur Verzweiflung
verworrenen material als sieger hervorzugehen, muss man mit den besten eigen-
schaften des philologischen forschers ausgenistet sein, — gerade mit den eigen-
schaften, welche Steinmeyer in so hohem grade besitzt und die besonders deutlich
in diesem seinem werke an den tag treten. Mit sicherer hand und einem weitreichen-
den blick, der auch in den kleinsten details stets den ganzen gewaltigen stoff über-
sieht, beherrscht Steinmeyer sein material. Man staunt über die grosse belesenheit,
welche er bei der anweisung der glossen an die betreffende textstelle oder bei ihrer
AHD. GLOSSEN HI. IV. 231
sonstigen fixierung an den tag legt und mehr als einmal bewundert man seinen Scharf-
sinn in der beurteilung der liandschriftenverhältnisse und in der deutung dunkler
glossen. Einen besser qualifizierten bearbeiter als Steinmeyer hätte man für die alt-
hochdeutschen glossen kaum gefunden. Aber bei einem werke, wie das vorliegende,
spielt auch die wissenschaftliche genauigkeit und Sorgfalt eine überaus wichtige
rolle; damit das werk als grundlage für wissenschaftliche arbeiten der verschiedensten
art, die die älteste zeit der deutschen spräche als gegenständ haben, dienen könne,
ist es ja unumgänglich nötig, dass die handschriften mit möglichst grosser Sorgfalt
exzerpiert sind. Auch in dieser hinsieht dürften ldie althochdeutschen glossen' kaum
etwas zu wünschen übrig lassen. Die überall in dem buche zu tage tretende ge-
nauigkeit, mit welcher die kleinsten Schreibeigentümlichkeiten der handschriften notiert
sind und die ausgezeichnet sorgfältig gelesene korrektur flössen dem leser ein an-
genehmes Sicherheitsgefühl ein und auch ohne die hss. zum vergleich herbeizuziehen,
glaubt er an die Zuverlässigkeit des abdrucks. Es versteht sich freilich, dass alle
abdrücke nicht absolut fehlerfrei sein können; auch in dieser beziehung ist das ideal
nicht zu erreichen. Besonders hier, wo eine solche masse handschriften abgeschrieben
sind, wird es nicht wunder nehmen, wenn der abschreiber hie und da einen
punkt unbezeichnet lässt, eine rasur nicht bemerkt, oder einige buchstaben missver-
standen hat. Es kann ja überhaupt doch nie der abdruck, so sorgfältig er auch ver-
anstaltet sein mag, den wert der originalen hs. haben, wie es Steinmeyer in der
vorrede des zweiten bandes ausdrücklich bemerkt. "Wo es also auf die feinsten
nüancen und eigenheiten einer hs. ankommt, wie etwa bei einem vergleich mit einer
anderen nahe verwandten, da kann der abdruck das original nicht ersetzen. Wenn
es sich aber nicht um diese feinsten details und charakteristica der hs. handelt, so
kann man, meine ich, sich getrost auf die abdrücke in Steinmeyers und Sievers'
glossenausgabe verlassen.
Es hat lange gedauert, bevor die herausgeber die f nicht ihrer arbeit als voll-
ständiges, abgeschlossenes werk den fachgenossen vorlegen konnten: ein volles viertel-
jahrhundort hat das sammeln, sichten und bearbeiten des materials erfordert. Nach
verhältnismässig kurzer zeit erschienen die ersten zwei bände: der erste, welcher die
bibelglossen enthielt, schon im jähre 1879, der zweite, welcher die glossen zu den
übrigen religiösen und den profanen Schriften brachte, im jähre 1882. Dann trat
aber ein längerer Zwischenraum ein: erst im jähre 1895 gelangto der dritte band zur
Veröffentlichung und ihm folgte nach drei jähren der mit Ungeduld erwartete vierte
teil. Auf den inhalt der beiden letztgenannten teile wollen wir im folgenden etwas
näher eingehen.
Der dritte band, der von Steinmeyer allein bearbeitet ist, bringt die sachlich
geordneten glossare, welche in drei hauptabteilungen eingeteilt sind, nämlich:
gruppcnglossare, einzolglossare und mischungen. Unter der ersten kategorie sind
solcho glossare aufgeführt, die aus mehreren einzelglossareu zusammengesetzt sind,
deren verschiedenartige bestandteilo aber nicht durch zufall oder dio willkür des
schreibeis in eine hs. vereinigt wurden , sondern von einem rodaktor oder bearbeiter
derartig zusammen vorarbeitet worden sind, dass sie ein einheitliches ganzes bilden.
Zu diesen gruppenglossaren , wclcho in chronologischer folge aufgezählt sind, gehören
u. a. die alten St. Galler und Cassoler glossen, sowie das äusserst wichtige Summarium
Heinrici. Dieses letztgenannte glossar nimmt allein mehr als den dritten teil des ganzen
bandes in ansprach (ss. 58 — 350), indem der Übersichtlichkeit wogen alle verschiedenen
rezensionen des elfton buches gesondert mitgeteilt sind. — Diojonigou sachlichen glossare.
232 PALANDER
deren einzelne teilt.* bloss zufällig in dieselbe bs. geraten Bind und also nur lose und
äuBserliofa mü einander zusammenhängen, sind in ihre betreffenden bestandteile auf-
gelost. Aus diesen besteht die zweite grappe der sachlichen lie Bog. einzel-
glossare. Je nach ihrem verschiedenen inhall sind die einzelglossare in fünf haupt-
katcgoricn geordnet: l. der mensch, 2. dietiere- 3. das pflanzenreieh, l. himmelvnd
erde, 5. des lebens notdurft. — Die dritte grappe sachlicher glossare hat Bteinn i
'misohungen' benannt und er versteht damit, resto oder Konglomerate von sinzelglossaren,
die bich nicht mehr in ihre ursprünglichen bestandteile zerlegen lassen, oder auch
auszügo aus solchen, deren ursprünglich«; gestalt nicht mehr an erkennen ist; — Am
schluss des bandos folgt ein anhaug, in welchem das handschriftenverhaltni
Summarium Heinrioi erörtert wird; als terminos ea quo für dessen entstehung wird
das jalir 1007 statuiert. Ganz zuletzt bringt ein nachtrag die während des druckes
neu aufgefundenen und in diesen band gehörenden gll. in der hs. des deutschen
Seminars zu Göttingen und in der Cheltenhamer hs. 7087. — Im ganzen sind für
diesen band 153 hss. benutzt; von den zum ersten mal hier veröffentlichten glossaren
verdient besonders die pilanzennamen enthaltende rolle beachtet zu werden, welche
sich im besitze der grafen von Mülinen in Bern befindet.
Eine ungeheure mühe und einen grossen kraftaufwand muss das sichten und
ordnen des im dritten bände gebotenen materials vom bearbeiter erfordert haben.
"Wenn es in den ersten zwei bänden oft schwer genug war, den einzelnen glossen
ihren rechten platz anzuweisen und den verderbten worten eine richtige deu-
tung zu geben, so erbot sich hier doch eine gute stütze in den textausgaben der
alten Schriftsteller, zu denen die gll. geschrieben waren. Ganz anders stellte sich
aber dieselbe aufgäbe in bezug auf die sachlichen glossare: hier fehlte jedes rück-
grat ganz und gar und der bearbeiter war einzig und allein auf das vorliegende
material angewiesen. Seine hoffnung, in dem bereits im erscheinen begriffenen Corpus
der lateinischen glossare ein wirksames hilfsmittel zu finden, wurde wegen der an-
ordnung dieses Werkes, über welches Steinmeyer in der vorrede (s. I) seine Unzu-
friedenheit ausspricht, fast gänzlich vereitelt. Bei der bearbeitung der sehr schwierigen
pilanzenglossare haben jedoch die im dritten bände des Corpus befindlichen botani-
schen vocabulare erhebliche dienste geleistet, wie die in den noten angebrachten zahl-
reichen verweise bezeugen.
Die geringe hilfe, welche das Corpus glossariorum latinorum dem bearbeiter
geleistet, liess ihn nicht seinen ursprünglichen anordnuugsplan verwirklichen, wonach
der innere Zusammenhang der einzelnen glossare deutlich hervorgegangen wäre. Er
war deshalb gezwungen, ein anderes Ordnungsprinzip zu wählen und so hat er denn
das material auf die obengenannte weise in drei hauptgruppen gegliedert. Die an-
ordnung des Stoffes im dritten bände ist also zum teil bedingt von den ungünstigen
umständen, unter welchen die arbeit geschehen musste. Im grossen und ganzen ist
aber Steinmeyer denselben prinzipien treu geblieben, die er beim herangehen an die
bearbeitung des materials sich aufgestellt und die er in der vorrede zum ersten
bände ausführlich entwickelt hat. Und es war ja von vornherein klar, dass die
arbeitsrnethode in allen bänden im wesentlichen gleich bleiben musste. Steinmeyer
geht von der ansieht aus , dass die rein sprachlichen zwecke sich den kulturgeschicht-
lichen unterordnen müssen. Deshalb hat er die handschriften nicht in der gestalt
vorgeführt, wie sie uns heute vorliegen, sondern er hat sie in grössere oder kleinere
teile zerstückt und druckt diese dann an ganz verschiedenen stellen in seiner Samm-
lung ab je nach dem inhalt und der eigenart der betreffenden glossen. Diese methode
AHB. GLOSSEN III. IV. 233
hat, wie Steinmeyer (vorrede zum band 1, s. VIII) ganz richtig voraussah , nicht un-
geteilte anerkennung gefunden. Es gibt linguisten , die gerne gesehen hätten , dass
die hss. ohne irgend welche änderung „mit haut und haaren" abgedruckt worden
wären. Allerdings würde der benutzer es in einigen fällen bequemer haben, wenn
ein solches verfahren eingeschlagen worden wäre. Bei der bestimmuog des sprach-
lichen Charakters in grösseren hss. hätte man nicht — wie jetzt — die verschiedenen
teile derselben zusammenzuflicken gebraucht, was trotz der hilfe des im vierten
bände befindlichen Verzeichnisses, doch mit einiger mühe verknüpft ist. Und auch
abgesehen von dieser kleinen Unbequemlichkeit in praktischer beziehung, hat die Zer-
stückelung der hss. noch einen nachteil, indem die Übersichtlichkeit derselben dadurch
erschwert wird: die Zusammensetzung und die eigenart der hss. stellt sich gar nicht
so deutlich dem leser dar, wenn er sie nicht ungeteilt vor den äugen hat und voll-
ständig überblicken kann. Ich bezweifle aber sehr, dass die durchführung des an-
ordnungsprinzipes , wonach die hss. in der gestalt vorgeführt werden sollen, wie sie
uns überliefert sind, eine allgemeinere anerkennung gefunden hätte als das von
Steinmeyer gewählte. Im gegenteil glaube ich, dass die zahl der unzufriedenen viel
grösser sein würde als jetzt, denn alle die, welche nicht rein sprachliche, sondern
kulturgeschichtliche interessen im äuge haben, hätten sich sicher getäuscht gesehen,
wenn der bearbeiter ihre arbeit auf keine weise erleichtert hätte. "Wenn man bedenkt,
wie vielerlei zwecken und interessen ein solches werk wie das vorliegende dienen
soll, so dürfte man einsehen, dass ein ideales anordnungsprinzip, welches in gleichem
grade den wünschen der verschiedenen benutzer genügen würde, etwas ganz un-
mögliches ist. Nach reiflichem erwägen und prüfen hat Steinmeyer unter den sich
darbietenden methoden diejenige gewählt, nach welcher das überlieferte material
in einzelne teile zerlegt und je nach seiner art uud beschaffenheit auf die vier bände
verteilt ist. Meines erachtens ist die wähl dieses anorduungspinzipes als glücklich
zu bezeichnen. Denn wenn es den Sprachforschern in einigen fällen etwas unbe-
quem erscheinen kann, so wiegt dies nicht schwer neben den vorteilen, welche es
bietet. So wie die glossen in der Sammlung jetzt geordnet sind , geben sie ein gutes
bild von der mittelalterlichen klosterarbeit und der kultur dieser zeit. Und beson-
ders finde ich die lektüre des dritten bandes in dieser hinsieht interessant und
lehrreich.
Bei der erklärung der in diesem bände äusserst zahlreichen dunklen glossen
zeigt Steinmeyer grossen Scharfsinn und es ist ihm geluugen, für eine ganze auzahl
unklarer worte eine befriedigende deutung zu finden. Er ist nicht nur bemüht ge-
wesen den deutschen text aufzuklären, auch den lateinischen glossen hat er seine
aufmerksam keit gewidmet. Zu seinen besserungsvorschlägeu ist nachher, so viel ich
weiss, nur weniges nachgetragen worden. Ich möchte hier nur einige bemeikuugen
hinzufügen. — S. 445 anm. 11 hält Steiumeyer das deutsche wort bouz (— magalis)
für eine entstellung von bore oder boruc; ich glaube jodoch nicht, dass das * hi.-r
verderbt ist, sondern wäre geneigt das wort mit der im Vocab. opt. stehenden glosso
beussc madialis (= magalis) porcus domesticus castratus in Zusammenhang zu bringen.
Überhaupt ist Steinmoyer nicht sparsam mit don anmerkungon : auch da, wo der
leser ohuo weiteres einen schreibfohler bemerken und berichtigen kann , hat er zu-
weilen in der note eine erklärung gegebou und wo es ihm nicht gelungen ist eine
verderbte glosse aufzuklären, hat er das ausdrücklich erwähnt. Um so mehr wunder
nimmt es, wenn man bisweilen gar keine bomerkung liudet, wo mau eine solche er-
wartet. Wie soll man z. b. den merkwürdigen fohler im cod. SGalli :M'J (8, 17 '•'):
234 l'AI.A.MiF.R
Cerua leuinta verstehen' &ber die glosse rinooero elawrU im cod. BOalli '-".,'.' •
i-. 1 16 '"■') läset sieb Steinmeyer ebenfalls gar nichl aus; darf mau darin ein corrnptel
von einhurno sehen, wie ich aufgrund von rinocerus ßtnAwrmo, Henotmio, tinhuirn^
vrhtmt (s. 158 ' IB) vermuten möchte?
Die herausgeber sind überhaupt bi q in der tnitteilung dei glo
texte eine möglichst grosso Vollständigkeit zu erreichen; nur im dritten bände hat
Steinmeyer sich eine ausnähme von diesem grundsatz erlaubt Dm räum zu er-
sparen, hat er im Summarium nichl überall den vollständigen lateinischen text ab-
gedruckt, sondern da, wo ein längerer solcher vorlag, blos das erste wort desselben
mitgeteilt und mit punkten angedeutet, dass die folge ausgelassen ist. Hierdurch
wurden, wie es in der vorrede heisst, mehren! ho^en erspart Ks tragt sich aber,
ob diese raumersparnis nicht zu teuer erkauft ist. Demjenigen, der die gll. des
Summariums benutzt, kann nämlich der lateinische glossentext oft von sehr grossem
belang sein und er ist daher genötigt, die früheren abdrücke der hss. zu rate zu
ziehen. AVio wichtig es in einigen fällen ist, den ganzen lateinischen text des Sum-
mariums vor sich zu haben , mag ein beispiel zeigen. S. 81 16 steht abgedruckt die
glosse: Hiena . . . . ülintiso. Setzt man nun die ausgelassenen werte ein, so lautet
die betreffende stelle: Hiena vel puto ülintiso. Und dies ist gerade der einzige
beleg, wo das ahd. illintisu in der bedeutung iltis (= puto) bezeugt ist; sonst wird
es immer mit 'hyaena' glossiert. Da Steinmeyers und Sievers' glossenausgabe ein werk
ist, wo man den ganzen ermittelbaren alten glossenbestand in zuverlässigster form
beisammen findet und dadurch also alle älteren abdrücke entbehrlich gemacht worden
sind, so hätte mau nicht auf eine Vollständigkeit auch in diesem punkte blos zu
gunsten einer raumersparnis verzichten sollen.
Nach dem ursprünglichen plane der herausgeber sollte der dritte band neben
den sachlichen vocabularen auch die alphabetisch geordneten glossen enthalten, welche
nicht zu nachweisbaren einzelwerken gehöreu. Da aber das inzwischen gesammelte
material sich sehr gehäuft hatte, konnten diese im dritten bände nicht platz finden
und wurden daher für den vierten aufgehoben. Ausser den alphabetischen glossaren
bringt dieser band noch die sog. adespota oder die herrenlosen glossen, sowie die
nachtrage zu den vorigen bänden. Den zweiten teil des vierten bandes bildet ein
ausführliches Verzeichnis aller in dem buche benutzten handschriften und zum schluss
folgen mehrere tabellen und register, welche die anwendung des grossen werkes be-
quemer machen sollen. — Die alphabetischen glossare, welche den band eröffnen
(ss. 1 — 219), zerfallen in zwei gruppen: a) bestimmbare, d. h. solche glossare,
„welche, trotzdem die lateinischen vorlagen in ihren Verzweigungen und Varianten
bisher nur ganz mangelhaft bekannt sind, sicher klassifiziert werden konnten" und
b) nicht bestimmte, d. h. solche glossare, ,, welche festen formen gar nicht oder blos
vermutungsweise sich einordnen lassen", oder ., deren alphabetisierung sekundärer
natur und deren coneeption nicht einheitlich war". Unter den ersteren nehmen die
von Sievers bearbeiteten Salomonischen glossen den weitaus grössten räum ein. Die
interessanten czechischen glossen, welche sich in der zu dieser gruppe gehörenden
Prager hs. befinden, sind — soweit sie nicht verfälscht sind — im texte mitgeteilt,
die gefälschten haben in den anmerkungen ihren platz gefunden. Leider musste die
von Sievers gemachte Untersuchung über das Salomonische glossar, welche in einem
anhang dem vierten bände beigefügt werden sollte, wegen mangels an räum ausge-
lassen werden, ebenso wie die behandlung der sog. Monseer glossen von Steinmeyer.
Die letztere ist nachher als universitätsschrift bereits veröffentlicht worden. — "Von
AHD. GLOSSEN m. IV. 235
den nicht bestimmten glossen verdienen besondere beachtung die in der hs. des
Trierer priesterseminars befindlichen, welche in einem eigentümlichen mischdialekt
überliefert sind. Von den in diesem denkmal besonders zahlreichen dunklen glossen
hat Steinmeyer in den noten eine anzahl gedeutet, zur erklärung anderer Vermutungen
ausgesprochen, es bleibt aber doch eine menge, die noch der auflösung harrt. —
Unter dem abschnitt 'Adespota' sind alle diejenigen glossen vereinigt, deren urspruug
und Zugehörigkeit nicht ermittelt werden konnte; den schluss dieses abschnitts bilden
einzelne federproben der Schreiber. Dass die zahl dieser herrenlosen glossen nur ganz
gering geworden ist (ss. 220 — 249), das haben wir Steinmeyers scharfsinnigen und
unermüdlichen forschungen zu verdanken. — Xach den Adespota sind die im laufe
der fortschreitenden arbeit neu aufgefundenen glossen als l nachtrage' zu den vorigen
bänden abgedruckt (ss. 250 — 370) und damit ist der glossentext des werkes zum
schluss gebracht. Steinmeyer spricht aber in der vorrede (s. VI) als seine Über-
zeugung aus, dass der ahd. glossenvorrat mit seiner Sammlung noch lange nicht er-
schöpft ist, sondern dass noch ganze mengen von unbekannten deutschen glossen-
handschriften in den französischen und italienischen bibliotheken verborgen liegen.
Den zweiten und grössten teil des vierten bandes bildet der zur anwendung
des werkes nötige apparat, in welchem das mit Ungeduld erwartete handschriftenver-
zeichnis (ss. 371 — 686) die grösste bedeutung hat. Dieses höchst interessante Ver-
zeichnis zählt alle benutzten handschriften — im ganzen sind deren 665 — auf und
gibt unter jeder nummer eine beschreibung der betreffenden hs. Aufgezählt sind die
manuskripte in alphabetischer Ordnung nach den bibliotheken , in weichen sie sich
finden. Hierbei ist immer der aufbewahrungsort mit dem deutschen namen benannt.
Da aber in dem texte selbst die handschriften mit den lateinischen benennungen
aufgeführt werden, so hat ein in der mittelalterlichen lateinischen literatur wenig
bewanderter leser oft wol mühe genug, bevor es ihm gelingt für den lateinischen
namen des textes das deutsche aequivalent im Verzeichnisse aufzufinden. Die meisten
leser werden noch wissen, dass der cod. Oenipontanus unter Innsbruck zu finden ist
und vielleicht auch, dass cod. Argentoratensis unter Strassburg aufgesucht werden
muss, aber sicher wird es leser geben, welche ziemlich lange hin- und herblättern
müssen , bevor si cod. Casinensis unter Montecassino im Verzeichnisse finden. Schlimmer
ist es noch in solchen fällen, wo der leser aus dem namen des besitzers auch den
aufbewahrungsort des codex erraten muss. So findet man z. b. cod. prineipum de
Wallerstein im alphabetischen Verzeichnisse unter Mayhingen und cod. domini Ludo-
vici Pascoü unter Enemongo in Friaul. Man kann auch nicht von jedem benutzer
der glossen verlangen, dass er wissen soll, dass museum riantiuiani in Antwerpen
und cod. Vadianus ein in der stadtbibliothek zu St. Gallen befindlicher codex ist. Es
ist ja wahr, dass man bei den lesorn der althochdeutschen glossen eine gewisse
wissenschaftliche Schulung voraussetzen darf, aber nimmt man in betracht, dass leute.
welche auf den verschiedensten forschungsgebieten arbeiten, die glossen benutzen
werden, so kann man nicht von allen mit recht fordern, dass sie mit der Domen-
clatur der europäischen bibliotheken vertraut sein sollten. Einige verweise wären
daher hier am platze gewesen und sie hätten gewiss nicht viel räum in ansprach
genommen.
Die Beschreibungen , welche Steinmeyer in dem Verzeichnisse von den hand-
schriften liefert, sind so ausführlich, wie man nur billigorweiso verlangen kann; auch
die in ihnen sich findenden kloinen lateinischen verse, rätselfragen und sonstigen
uotizen der schroiber sind mitgeteilt worden. Auf diese weise bietet das Verzeichnis
236 l'ALA.M.ER. AMI). &L0 Dl DZ. IV.
ein sehr anschauliches bild von der arbeit in den klöstern; es weht dem leser ein
hauch aus der alten zeit entgegen1 und das tote niaterial wird lebendig. — Nachdem
der inhalt des betreffenden codex geschildert ist, wird kurz erwähnt, #er die glossen
aufgefunden hat und was nachher für dieselben getan worden ist Aher Steinmeyer
hat sich nicht damit begnügt sorgfaltig ausgeführte beschreibnngen von den hand-
schriften zu geben: er hat sein augonmerk auch auf die compositum der Codices ge-
richtot. Oft sind diese aus mehreren, ursprünglich ganz selbständigen teilen zusammen-
gesetzt, welche nur zufällig zu einem codex vereinigt wurdon. Solche Sammelcodices
sind in dem Verzeichnisse in ihre bestandtoile aufgelost und diese sind mit besonderen
nummern versehen, wobei immer das Jahrhundert der abfassung angegeben ist. Hier-
durch hat Steinmoyer den linguisteu einen grossen dienst getan, denn wo es gilt, die
spräche eines codex zu bestimmen, stellt sich ja die sache sehr verschieden, je
nachdem ob eine einheitliche hs. vorliegt oder ob man es mit einem codex zu tun hat,
dessen verschiedene teilo an verschiedenen orten und zu verschiedenen Zeiten ge-
schrieben sind.
Obgleich bei der abfassung des Verzeichnisses die iuteressen der Sprachforscher
keineswegs ausser acht gelassen worden sind, hatte wol mancher von ihnen doch
beim abwarten desselben einen wünsch gehegt, der nicht verwirklicht wurde. Das
'pium desiderium' bestand darin, dass man zugleich mit den beschreibungen der
Codices auch etwas über den dialekt der in ihnen befindlichen deutschen glossen er-
fahren würde. Es versteht sich natürlich, dass es unmöglich gewesen wäre, irgend
welche Vollständigkeit in dieser beziehung zu erreichen. Um sichere angaben in bezug
auf die spräche der glossare zu geben, die oft durch viele hände gegangen sind und
daher auch spuren von den verschiedenen mundarten der abschreibe!- tragen , müssen
erst genügend viele einzeluntersuchungen vorliegen. Aber im laufe seiner jahre-
langen besebäftigung mit deutschen glossen hat wol Steinmeyer auch ihren sprach-
lichen charakter beobachtet und darüber hie und da etwas notiert. Wenn er dies
im Verzeichnisse hätte mitteilen wollen, wäre daraus sicherlich ein wertvoller beitrag
zu weiteren Untersuchungen entsprungen. Denn wenn jemand im stände ist, über den
dialekt der althochdeutschen glossen winke zu geben, so müsste es doch Steinmeyer sein.
Nach dem handschriftenverzeiclmis folgen 7 tabellen , von denen die 6 ersten die
früher angewandten sigeln und bezeichnuugen der hss. sowie die bisherigen glossen-
ausgaben und -collationen aufzählen; die siebente tabelle bringt ein Verzeichnis aller
berichtigten textstellen. Ganz zuletzt stehen fünf verschiedene register, welche die
anwenduug des buches erleichtern sollen. Der alphabetische index aber, der in der
vorrede zum ersten bände versprochen wurde und der den benutzern der glossen
von der allergrössten praktischen bedeutung gewesen wäre, ist nicht den übrigen
registern beigefügt. Statt dessen verspricht Steinmeyer ein grosses althochdeutsches
Wörterbuch erscheinen zu lassen, dem ein Verzeichnis aller ins althochdeutsche über-
setzten lateinischen ausdrücke angehängt wird. In der abwartuug dieses Wörterbuches
müssen sich die benutzer der glossen ohne einen index behelfen, so gut es eben
goht. AVer sich mit der glossensammlung eingehender befasst und sich mit der an-
ordnung des Stoffes vertraut gemacht hat, der wird sich darin schon ohne mühe zu-
recht finden. Aber einer, der die methode nicht näher kennt und das buch etwa
nur zum nachschlagen gebrauchen möchte, wird freilich einen index sehr vermissen
und ohne mühe und zeitverschwenduug kommt er dabei nicht aus.
1 Menschenwerk ist Stückwerk' sagt Steinmeyer in bezug auf seine leistung und
diesen satz muss man ja gelten lassen, insofern ein solches idealwerk wol nie ge-
LEITZMANN ÜBER WOLFRAM ED. MARTIN 237
schaffen wird, bei dem man nicht etwas aussetzen könnte. Aber die ansprüche,
welche man überhaupt berechtigt ist auf ein menschenwerk zu stellen, erfüllt die
vorliegende glossensammlung in glänzender weise. Solche werke erscheinen nicht zu
jeder zeit; sie bezeichnen eine epoche in der geschieh te der philologischen Wissen-
schaft. Möge man nur überall in den fachmännischen kreisen verstehen 'die alt-
hochdeutschen glossen' recht zu würdigen und möge auf dieser grundlage die wissen-
schaftliche forschung in würdiger weise fortgesetzt werden!
HF.LSIXGF0RS. HUGO PALAXDER.
Wolframs von Eschenbach Parzival und Titurel. Herausgegeben und er-
klärt von Ernst Martin. Erster teil: text. Halle, Waisenhausbuchhandlung 1900
(Zachers germanistische handbibliothek 9, 1). LI1I, 315 s. 5 m.
Es kann wol keinem zweifei unterliegen, dass eine neue ausgäbe der werke
"Wolframs von Eschenbach und zwar einerseits in textkritischer hinsieht eine gründ-
liche revision des Lachmannschen textes, andrerseits in exegetischer die bearbeitung
eines eingehenden kommentars ein dringendes bedürfnis unsrer Wissenschaft ist.
Bartschs ausgäbe des Parzival und Titurel kann, auch abgesehen davon, dass sie den
Willehalm ausschliesst, nach keiner von beiden richtungen hin als ausfüllung dieser
empfindlichen lücke betrachtet werden. So hervorragend und besonders zur zeit ihrer
entstehung wegweisend für unsere werdende Wissenschaft Lachmanns kritische arbeit
am text des Parzival (weniger am Willehalm und Titurel) gewesen ist, so darf uns
doch sein text, im Wortlaut sowol wie in der interpunktion, nicht zum starren unan-
tastbaren schema werden. Das wäre auch ganz gewiss nicht in seinem sinne: man
beachte doch den grossen abstand des Iwein von 1827 und des Iwein von 1843 und
bedenke, dass es Lachmann nicht mehr vergönnt gewesen ist, vom Wolfram eine
zweite ausgäbe zu bearbeiten. Eine ganze reihe wolbegründeter vorschlage zu besse-
rungen sind im lauf der jähre veröffentlicht worden; unsre kenntnis der mhd. reim-
technik und Stilistik ist, besonders durch die glänzenden arbeiten von Zwierzina, in
ungeahnter weise vertieft und fruchtbar gemacht worden; sprachliche und metrische
Untersuchungen lehren uns an den von Lachmaun hergestellten Wortlaut, syntaktische
an seine interpunktion mehr und mehr die kritische sondo legen; das sehr er-
weiterte handschriftliche material kann auf die gestaltung des textes trotz Lachmanns
richtiger erkeuntnis der grundverhältnisse nicht ganz ohne einfluss bleiben. Wenn
Lachmaun in der vorrede (s. VIII) im hinblick auf die mannigfachen pfuschenden
dilettanten seiner tage mit schärfe die „ersten einfalle eines neuen lesers" gegenüber
seiner stets „mit Sorgfalt erwogenen" auffassung von den pforten seiner arbeit ver-
wies , so wollte er gewiss nicht damit den naturgomässeu fortschritt der echten Wissen-
schaft verdammen und seine eigene leistung für kanonisch erklären, wie dies der
neuste herausgeber (s. II) tut.
Martins ausgäbe enthält in der bis jetzt erschienenen ersten hälfte den text
des Parzival und Titurel nebst einer kritischen oinleitung; die versprochene zweite
hälfte soll eine litterarhistorische eiuleitung und den auf Müllenhuffs and Luoaes vor-
arbeiten beruhenden komuientar bringen. Der bis jetzt vorliegende text genüg! in
keiner weise den an eine revision der Lachmannsohen ausgäbe zu stellenden auforde-
ruugeu und macht einen durchweg rückständigen sindruok. Bis in die geringfügigsten
238 i.kit/
und belanglosesten einzelheiten wird hier La'hiiianna text reproduciert: die des und
'A/. die der- und re-, die gegebn^ lehn, warn, die grossen anfuiiKsljucbstabeuinitt.il
im satze, die inkonsequent beibehaltenen reste des Notkerscheo kanons, alles er-
scheint bei Martin wieder. Demgegenüber .sind die wirklichen abweichnngen von Lach-
nianns lesatten gering an zahl und inhaltlich unbedeutend. Von der grossen zahl
sicherer und wolbegründoter besserungsvorschläge, die aufgestellt worden sind, ist
nahezu kein einziger in Martins text aufgenommen worden: man kann billig gespannt
sein, wie der herausgebe? es fertig bringen wird, was doch seine aufgäbe sein mü
im kommentar alle die erwägungen und beobachtuugen stringent zu widerlegen, die
zu jenen vorschlügen geführt haben. Von der notwendigkeit einer revision der Lach-
mannschen interpuuktion kann er sich „auch nach erwägung der oft zunächst be-
stechenden Vorschläge von Paul" (s. XXXIV) nicht überzeugen. Es kann natürlich
hier meine aufgäbe nicht sein, ausführlich aufzuzeigen, wo und ausweichen gründen
Lachmanns text aufgegeben werden muss: ich darf vielmehr darauf hinweisen, dass
ich selbst eine textausgabe der werke Wolframs in Pauls Altdeutscher textbibliothek
herauszugeben im begriff bin, von der das erste, die sechs ersten bücher des Parzival
enthaltende lieft vor kurzem erschienen ist. Da nun auch Martins einleitung keiner-
lei wichtigere textkritische Untersuchungen enthält, so ist es schwer, die existenz-
berechtigung des buches, das unsre wissenschaftliche erkenntnis kaum irgend in
nennenswerter weise fördert, zu begreifen.
Eine besondere nachlässigkeit scheint bei der drucklegung des buches gewaltet
zu haben. Das zeigen einerseits die massenhaften druckfehler, die einleitung, lesarten
und text in fast gleicher weise verunzieren, andrerseits der merkwürdige umstand,
dass, offenbar weil das als druckmanuskript gebrauchte exemplar einer der spätereu
auflagen von Lachmanns text nicht genügend durchkorrigiert war, eine beträchtliche
zahl von druckfehlern , die sich im laufe der zeit in diese späteren auflagen ein-
geschlichen haben, bei Martin unbeanstandet passiert sind. Ich habe mir bei kurso-
rischer vergleichung, ohne Vollständigkeit erstreben zu wollen, folgende fälle notiert:
Parz. 133, 1 ivax für icas; 253, 12 lat für lat; 290, 16 hat für hat; 297, 2 cumpünir
für citmpäme; 313, 14 ivax für was; 331, 20 uuverxagt für unverzagt (!); 460, 20
Taurtan für lauriän (vgl. Lachmann1 s. 640); 480, 30 dohte für tohte; 517, 25 ica\
für was; 552, 9 icax für was; 605, 16 wax für was; 692, 6 jamers für jämers;
747, 19 Feireßx für Feireßx; 756, 1 nach für nach; 763, 16 brakt für bräht; 784, 1
Über für Über; 785, 1 künec für kibiec (!); 790, 25 wax, für icas; 221, 19 lautet
der reim mit einem aus Lachmann übernommenen Satzfehler trayn : geslagen ! Die
verszahl 75, 20 steht neben einer falschen zeile, weil dies bei Lachmann irrtümlicher-
weise der fall ist. Alle diese dinge hätten vermieden werden können und müssen.
Ich gebe noch einige kritische bemerkungen zu einzelnen stellen der ein-
leitung, um zugleich Martins Standpunkt zu einzelnen strittigen punkten ins licht zu
stellen. Martin spricht s. II von dem nach dem Vortrag des dichters aufgezeichneten
archetypus, s. XXXI von seinen aus der improvisation zu erklärenden kühnen satz-
fügungen: er hält also noch immer an dem phantom des analphabetismus Wolframs
fest, was nach den letzten erörterungen über diese frage von Lichtenstein und Grimm
doch wol nicht angängig sein dürfte. Wann wird dieser aberglaube endgiltig einmal
aus unsrer Wissenschaft verschwunden sein? Nur als eine Spielerei aber kann man
es betrachten, wenn Martin s. IX aus den vereinzelten svarabhakti vokalen der haudschrift
D scbliesst, es möge darin eine ausspracheeigentümlichkeit des dichters sich spiegeln:
ÜBER WOLFRAM ED. MARTIN 239
D ist nicht der archetypus, vorausgesetzt dass dieser wirklich nach einem vortrage
niedergeschrieben wurde, uud sein Schreiber dürfte keinerlei interesse an Wolframs
individueller ausspräche gehabt haben, noch weniger aber daran, sie phonetisch genau
widergeben zu wollen. — Dankenswert, aber nicht vollständig ist der systematische
überblick über die orthographischen eigen tümlichkeiten der handschrift D (s. III — XV):
vieles hier genau verzeichnete hat gar keine textkritische bedeutung, dagegen fehlt
ein überblick über die Schreibfehler in D, aus dem mancherlei zu lernen gewesen
sein würde; dass auf diesem wege sogar die korrektur einiger fehler im texte ge-
wonnen werden kann, denke ich anderswo zu zeigen. In die oft sehr subtilen schluss-
folgeruugen, die Martin an verschiedenen stellen aus der Orthographie von D auf die
des archetypus zieht, kann ich ihm meistenteils als auf einen allzu ungewissen boden
nicht folgen. Überhaupt scheint er mir, so richtig uud frachtbringend im grossen
und ganzen das von ihm energisch betonte, konservativ sich an D haltende textkritische
priucip auch ist, im einzelnen denn doch vielfach zu weit zu gehen und die glaub-
würdigkeit kleiner und kleinster eigenheiten zu sehr zu pressen. Dass ihm bei dieser
ganz gerechtfertigten Vorliebe für D gar nie der gedanke kommt, ob die verse, welche
D fehlen, überhaupt Wolframs werk ursprünglich augehören, ist doppelt verwunder-
lich. — Die form diens (s. VI) hat schon Paul richtig als identisch mit dienstes er-
klärt und treffend bemerkt, dass sie höchstwahrscheinlich gar nicht Wolfram zukommt,
sondern dem Schreiber von D, der ja auch streng entsprechend trös für tröstes (Parz.
737, 26. 768, 29. 807, 19) schreibt. Martin, der diese parallelschreibung selbst citiert,
behält trotzdem diens im texte bei. — S. XV verteidigt Martin die von Lachmann
meist aus jungen und schlechten handschriften aufgenommene Lesart schenesehlant
für das geläufige seneschalt. Das wort findet sich neunmal im reim: Parz. 151,21
{■.Lalant). 153,1 (: Lalant). 194,15 (: lernt). 197,22 (: hant). 203, 20 (: hant). 204,8
(: lernt). 206,5 (: laut). 214, 14 (:hcmt). 219, 12 {:zehant); alle neun stellen gehören
dem dritten und vierten buche an; an einer zehnten (195, 15) hat Lachmann aus G
schenesehlant : hant aufgenommen, während D seneschalt : geralt bietet. Im sechsten
buche reimt dann viermal seneschalt: 290,23 (:walt). 295,17 (: geralt). 296,17
(: ribalt). 304, 17 (: walt). Die handschrift D hat auch in sieben fällen der obigen
neun seneschalt, also einen ungenauen reim. Martin glaubt das problem durch folgende
erwägung zu lösen: „es ist jedoch wahrscheinlicher, dass Wolfram sich zuerst einer
ungewöhnlichen form bediente, die in den handschriften nur durch anpassuug au das
französische abgeändert wurde (in G durchweg), und dass er selbst in der unter-
brechungszeit vor dem 6. buch die richtigere angenommen hat, als dass er anfänglich
das wort stets ungenau, später aber genau gereimt hätte". Mir scheint es im gegen-
teil notwendig, hier negation und position miteinander zu vertauschen. Eine form
schenesehlant ist weder in deutschen quellen irgendwo sonst vorhanden noch kann
sie aus dem französischen irgendwie abgeleitet werden; vielmehr ist es höchst wahr-
scheinlich, dass sie dem bestreben jüngerer Schreiber, den unreinen reim -alt'.-ant
zu beseitigen, ihre existenz verdankt (zuweilen helfen sich die handschriften auch
auders, so durch weglassen des verspaares oder durch tiefergreifende änderungen;
vgl. die lesarten zu 203, 19 und 219, 11). Diese reimuugenauigkeit hat aber bei
Wolfram nicht mehr anstössiges als die andren uugenauigkeiten, die seine werke
uns bieten und deren mehr sind, als Lachmanns text zeigt, der nur diejenigen stehen
liess, die er nicht durch konjektur zu beseitigen vermochte (vgl. darüber Zwiemna,
Zs. f. d. a. 45, 20 aum., dessen liste aber immer noch nicht vollständig ist). Nun sind
der reimmöglichkeiten auf -alt nicht allzuviele und niohl alle passen in jrdeu zu-
240 LKITZMA.NN
sammcnhung: ein wuU steht nicht immer zur Verfügung und übe gera!/ wird Bach
nicht immer jemand. Daher zog es "Wolfram vor. seneaehaii ungenau auf -$mi zu
reimen, es sei dünn, dass der Zusammenhang ein gevoltme 195, L5 zwanglos darbot,
später aber das wort im reime nur dann zu bringen, wenn eine reine bindung nah''
lag, d.h. soinen gebrauch zunächst sehr zu beschränken, dann ganz aufzugehen
unterstützte ihn hei diesem bestreben der umstand, dass Keie nach dem Beohsten
buche fast ganz aus der handlung dos romans verschwindet. Dass nach meiner auf-
fassung im vierten buche sencschalt kurz hintereinander rein und unrein gereimt ist,
hätte seine genauo parallole im ersten buche, wo Raxallc 43, 1 auf w«, 40, 1 auf n)i
reimt. — Nur kurz sei erwähnt, dass Martin, wie man dies bei seiner streng konservativen
tendeuz auch erwarten musste, s. XVI trotz Paul für den artikel die und s. X V 1 1
trotz Bock für die ellipse von sin nach lät mit prädikativem adjektiv eintritt: beide
punkte sind für mich nicht diskutabel. — S. XVI heisst es: „in D oder wol bei einzelnen
Schreibern dieses textes herrscht die fehlerhafte neigung vor, und durch ouch zu
verstärken"; dann folgen neun beispiele, je eins aus buch 1, 3 und 13, vier aus
buch 14, zwei aus buch 15. Nach Lachmann (s. XV) ist 1) von drei händen ge-
schrieben, deren dritte schon 18, 30 beginnt: danach erübrigt sich zunächst die obige
ausdehnung der „fehlerhaften neigung" auf „einzelne Schreiber", da alle stellen
demselben Schreiber gehören. Das nebeneinander von zind und und ouch ist eiue
der allorhäufigsten erscheinungen in dem Variantenapparat unsrer mhd. texte; aber
so einfach, wie sie Martin erscheint, liegt die sacbe denn doch für den Parzivaltext
nicht. Innerhalb der ersten sechs bücher, auf die ich mich der kürze wegen be-
schränken will, findet sich (ich lasse die stellen unberücksichtigt, wo und ouch von
beiden handschriftenklassen geboten wird) die in rede stellende Variante im ganzen
neunzehnmal und zwar steht achtmal und D gegen und ouch G (3, 30. 119, 30.
187, 11. 193, 26. 225, 16. 303, 29. 319, 27. 324, 11) und elfmal und G gegen und
ouch D (27, 7. 28, 15. 45, 26. 64, 3. 101, 2. 131, 28. 151, 5. 162, 12. 173, 3. 304, 22.
310, 24). Welche gründe nötigen Martin von diesen elf stellen zwei beliebig heraus-
zugreifen und gerade hier das ouch für fehlerhaft zu erklären , während er es an den
andern neun unbehelligt stehen lässt? Der blinde glaube an Lachmanns Unfehlbarkeit
ist die veranlassung: an diesen beiden stellen ist sein text, ebenso wie an den sieben
stellen in buch 13 — 15, der klasse G gefolgt und dieser muss ja nach Martin (s. II)
„festgefügt und wolbegründet fortdauern". Mir scheint es auf der band zu liegen,
dass wir kein recht haben, diese stellen nach verschiedenen gesichtspunkten zu be-
handeln, natürlich auf die gefahr hin, den urtext des dichters vielleicht hie und da
nicht gewonnen zu haben, wozu eben bei derlei dingen die Sicherheit unsrer hand-
schriftlichen Überlieferung nicht ausreicht. Es ist das ein typisches beispiel für den
eklektizismus, der in Lachmanns textkritik so vielfach das gewonnene kritische resultat
eigenwillig durchkreuzt und den zu beseitigen eine der Hauptaufgaben derjenigen text-
revision ist, die Martin hätte vornehmen sollen. — Bekanntlich sind die Verbindungen
mit al bei Wolfram äusserst beliebt und zeichnen ihn vor den andern höfischen epikern
aus (vgl. zuletzt Zwierzina, Zs. f. d. a. 45, 347). Die klasse G hat hier (ich verspare
mir die Vorführung des gesamten statistischen materials auf eine andre gelegenbeit)
die deutliche tendenz , durch beseitigung dieses al Wolframs spräche der Hartmannschen
anzugleichen, während D diesen originellen zug sorgfältiger bewahrt. Lachmann ist
auch hier an einer anzahl von stellen, meist aus metrischen gründen, eklektisch
verfahren und der klasse G gefolgt: natürlich spricht auch Martiu (s. XVL) von , zu-
gesetztem" al, ohne Lachmanus lesungen auf ihre berechtigung hin zu prüfen. —
ÜBER WOLFRAM ED. MARTIN 241
S. XVII gibt Martin Bock zu, dass D häufig französische Wörter verdeutscht: aber
er setzt die französischen Wörter nur an den stellen ein, wo ihm Lachmann hierin
vorangegangen war, und gibt z. b. die langen namenlisten 770 und 772, auf die Bock
dasselbe prinzip mit recht angewandt hat, in der alten metrisch holprigen form. Man
muss aber meines erachtens in diesem punkte selbst über Bock noch hinausgehen
und z. b. 296, 5 sin pensieren aus G aufnehmen, das D durch sine gedanke übersetzt
hat. — Dankenswert ist das Verzeichnis der handschriften und bruchstücke (s. XVIII
— XXX), zumal in Lachmanns späteren auflagen die neu gefundenen handschriften
leider nicht nachgetragen worden sind. Übersehen hat Martin die in der Zs. f. d. a.
41, 249 gedruckten Marburger fragmente. Eine eingehende Untersuchung über das
Verhältnis der vielen handschriften zu einander, namentlich die dringend notwendige
nähere klassifizierung und wertung der einzelnen zeugen der klasse G hat Martin
nicht vorgenommen und entschuldigt diese Vernachlässigung einer hauptpflicht eines
herausgebers mit den worten (s. XXXI): „dies im einzelnen zu untersuchen halte
ich für verdienstlich, vermag mich aber nicht selbst damit zu beschäftigen". Er hat
es vorgezogen, ein trockenes, mit fehlem durchsetztes Verzeichnis der dd und gg,
wie sie Lachmann der bequemlichkeit halber ohne Unterscheidungszeichen benannte,
zu geben und diakritische exponenten einzuführen, bei denen ihm dann allerdings das
missgeschick untergelaufen ist, dass die in den lesarten gebrauchten zu den in dem
Verzeichnis gegebenen mehrfach nicht stimmen. Wäre Martin diesen fragen nach-
gegangen, so hätte er die nicht zu verachtende entdeckung machen können, dass
unsre klasse D durch einige bisher G zugezählte fragmente erweitert werden kann,
ja dass es ein G-fragment gibt, das lesarten des archetypus einzig richtig bewahrt
hat: ich darf hier auf meine arbeit über das handschriftenverhältnis hinweisen, die in
uicbt allzulanger zeit in den Beiträgen erscheinen wird.
Ich könnte noch auf eine reihe von einzelheiten der eiuleitung eingehen, z. b.
die falsche auffassung von wrde 195, 1 als werde statt als wurde s. VI (auch in der
vorhergehenden zeile setzt D den konj. praet.), die von diu en 741, 5 als diu den
statt als diu in s. IX, die beurteilung von epita fluni s. XVII usw., ich unterlasse
dies aber, um noch mit ein paar worten auf das Verzeichnis der lesarten (s. XXXIV
— XLVD zu kommen. Martin verzeichnet hier alle abweichungen der handschrift D
von seinem texte, auch alle offenbaren Schreibfehler-, überall da, wo sein text mit
handschriftlicher gewähr von D abweicht, setzt er die betreffende lesai*t mit nennung
der betreffenden zeugen und einer eckigen klammer vor die lesart von D, die er auf-
gegeben hat; also alles, was vor der klammer steht', sind von D abweichende lesungen
seines textes. Es beweist recht geringe Sorgfalt bei herstellung des lesartenverzeich-
nisses, dass hier an einer reihe von stellen eine lesart durch zeugen derjenigen von
1) gegenüber begründet wird, während im text doch die verworfene lesung von D
erscheint: so ü, 13. 59, 6. 92, 7. 212, 27. 220, 14. 238, 8. 287, 2. 357, 5. 490, 16,
wobei ich nicht für Vollständigkeit der liste stehe. Zu dieser mangelnden Sorgfalt
stimmt es, wenn au einer grossen zahl von stellen vom text abweichende lesungen
von D überhaupt nicht vermerkt sind: so 172,23. 283,20. 315,30. 328,20. 370,7.
401, 3. 464, 10. 467, 14. 490, 28. 494, 8. 548, 11. 555, 8. 27. 590, 9. 596, 7. 14. 628,
14. 629, 14. 645, 20. 649, 9. 652, 3. 662, 15. 690, 17. 699,8. 702, 18. 717, 10. 719, 8.
736, 5. 737, 5. 9. 25. 26. 741, 1. 9. 758, 15. 762, 12. 768, 29. 791, 14. — Auf die les-
arten zum Titurel einzugehen verbietet mir der schon über gebühr angeschwollene
umfaug dieser bosprechuug. Was ich angeführt habe, dürfte zur begründung des
oben ausgesprocheneu gesamturteils genügen. Dem Studenten, für den dooh Zaohers
ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XXXV. 16
242 im/-
i rermanist. bandbibliothei zunächst gedachi i t Qnd dem in den übrigen bänden so w>rtreff-
liohe editionen geboten werden, kann die vorlie □ gäbe nichl empfohlen werdi
II \ \. AI.HKIM Lhl'IZ.M I
Dem 'iln'iistiilienden darf ich eine erwiderung gleioh beifügen, welche sich
freilicli ganz kurz fassen muss. Zunächst gestehe ich die angezeichneten drnckfehler
meines text.es zu: man wird sie, und zwar vollständiger, in meinem zweiten bände
als nachtrag vorfinden. Es sind wesentlich ausgefallene circumfleze u. ä. Aul eine
Verwechselung von u und n weist der reo. durch ein ausrufezeichen noch
hin. Wer das druckfehlerverzeichnis hinter Lehmanns erster ausgäbe kennt, wird
vielleicht über das meinige nicht so hart urteilen wieder rec. Er vermisst an meinen
Jesarten die Vollständigkeit: warum bleibt er aber in seiner eigenen ausgäbe 10, 15.
40, 13 usw. bei fil li roy, ohne auch nur die lesung der hs. D jUflJwoy zu
merken, die der romanischen grundform näher steht? Hier haben wir bei ihm alles,
was er mir vorwirft: unvollständigkeit des apparates, unnötige abweichuug von der
besten Überlieferung, nichtberücksichtigung einer korrectur durch andere. Dass ich
die vorschlage seiner freunde nicht annehme, beweist doch nicht, dass ich sie nicht
geprüft habe. Den nachweis, warum ich diese vorschlage verwerfe, verlangt er in
meinem kommentar zu finden: dieser ist so schon umfangreich genug geworden und
zu einer überflüssigen polemik habe icli weder räum noch lust. In den vom rei
zuversichtlich entschiedenen punkten, dem masc. die usw., der form sekeneseklani usw.
halte ich meine gründe noch immer für richtig. Die zuletzt genannte form ist nicht
auffallender als schahtelhir anstatt sehastelan. Meinerseits hin ich begierig zu hören,
wie der rec. die unechtheit der in der hs. D fehlenden verse, die er einklammert,
beweisen wird. Wenn er sich rühmt unter den hruchstücken der klasse (t solche
gefunden zu haben, die eigentlich zu ü stimmten, so wird die frage aufgeworfen
werden müssen, ob nicht mischhandschriften vorliegen. Dass ich selbst in den hss.
und fragmenten mich, wo ich gelegenheit hatte, auch nach den textverhältnissen
umgesehen habe, wird man mir glauben. Aber eine wirklich dankenswerte, um-
fassende beschäftigung damit verlangt eine zeit und kraft, die mir leider nicht zu
geböte steht; ob der rec. die aufgäbe lösen wird? Einstweilen möge für seine ebenso
bestimmten als irrigen behauptungen als beispiel dienen, dass er Wolframs analpha-
betismus schlankweg für einen aberglauben erklärt. Er zeiht also den dichter einer
lüge, zu der man gar keinen grund sieht und die in der zeit und Umgebung Wolframs
nur kurze beine gehabt haben würde. Er weiss nicht, wie verbreitet die Unkenntnis
des lesens und Schreibens bei den damaligen rittern war und übersieht völlig, dass
Wolframs aussage durch seinen stil und vers nur bestätigt wird. Wenn der recensent
schliesslich meine ausgäbe den Studenten nicht empfiehlt — sondern seine eigene, —
so begreife ich das vollkommen. mabtin.
Durch die gute der redaktion geht mir vorstehende erwiderung Martins noch
vor dem abdruck zu. Da sie nirgends den versuch macht, sachlich durch Vorführung
von tatsachen oder gründen einen der von mir in meiner besprechung behandelten
punkte zu widerlegen, sondern nichts enthält als worte und kategorische behauptungen,
so könnte ich sie getrost auf sich beruhen lassen und die entscheidung dem forum
der Wissenschaft anheimstellen. Da sie jedoch eine reihe von tatsächlichen Unrichtig-
keiten, entstellungen und Verschiebungen des gesichtspunkts der beurteilung enthält,
so habe ich es doch für angemessen und notwendig erachtet, mit rücksicht auf die-
ÜBER WOLFRAM KI). MARTIN 243
jenigen unter den fachgenossen, denen die hier behandelten dinge nicht unmittelbar
gegenwärtig sind und sein können, eine kurze berichtigung zu geben, damit nicht
etwa den bemerkungen Martins eine ungebührlich hohe bedeutung beigemessen werde.
Ich schliesse mich der einfachheit halber dabei an die reihenfolge seiner satze an.
1. Martin gesteht die von mir gerügten druckfehler seines textes zu und stellt
eine noch grössere liste in aussieht. Ich pflege nicht in besprechungen druckfehler,
die der kundige sich selbst sogleich verbessert, als solche zu monieren und habe das
auch in diesem falle nicht getan: worauf es mir ankam, ist die genesis dieser druck-
fehler. Es sind genau dieselben, die sich in den späteren Lachmannschen ausgaben
finden, und daher Zeugnisse für eine grobe nachlässigkeit bei der herstellung des
druckmanuskripts. Ob die einzelnen fälle leicht oder schwer wiegen (Martin versucht
das erstere zu betonen, aber von den 20 aufgeführten fällen betreffen nur 8 aus-
gefallene cirkumflexe) , ist dabei ganz gleichgiltig. Lachmanns „druckfehlerverzeichnis"
hinter der ersten ausgäbe erscheint aber in ganz falscher beleuchtung bei Martin:
„Verbesserungen und Zusätze" hat es Lachmann selbst mit vollem recht genannt, da
es zum überwiegenden teile textbesserungen und nachtrage zu den lesarten, nicht
aber eigentliche druckfehler enthält, von denen hier die rede ist.
2. Ich habe Martins lesartenverzeichnis unvollständigkeit vorgeworfen und zum
beweise 38 stellen citiert, bei denen abweichende lesungen von D nicht vermerkt sind:
er rückt mir dagegen auf, dass ich in meiner ausgäbe im lesartenverzeichnis nicht
angebe, dass D fd(l)uroy hat. Hier ist der direkt und deutlich von jedem von uns
ausgesprochene, bei der Zusammenstellung der lesarten beabsichtigte zweck gänzlich
ausser acht gelassen: Martin will (s. XXXIV) die Varianten der handschrift D von
seinem texte zusammenstellen und hat dies in den 38 citierten fällen unterlassen;
ich stelle (s. V) die abweichungen meines textes von dem Lachmanns zusammen , hatte
also, da wir beide fil li rot lesen, absolut keine veranlassung die Variante von D
anzuführen. Es fällt also der gegen mein Variantenverzeichnis erhobene dreifache
Vorwurf in nichts zusammen.
3. Dass Martin die bisher zu Lachmanns text beigebrachten besserungsvorschläge
nicht geprüft habe, habe ich nirgends behauptet. Wenn er ihre Widerlegung, von der
ich glaubte, dass er sie in seinem kommentar bringen würde, vollständig ablehnt und
zwar mit der begründung, dass ihm zu einer „überflüssigen polemik" räum und zeit
fehle, so liegt darin neben einem unbilligen autoritätsglauhen eine geringschätzung
der ernsten wissenschaftlichen arbeit einer grossen zahl teilweise hoch-
verdienter gelehrter, die ich nicht für möglich gehalten hätte, wenn ich sie nicht
schwarz auf weiss vor mir sähe. Was es für einen sinn haben soll, dass er die von mir
citierten forscher als meine „freunde" bezeichnet, namentlich alier, was dies für den
wissenschaftlichen wert ihrer arbeiten austragen soll, ist mir gänzlich unverständlich.
4. Don von mir versuchten eingehenden Widerlegungen einiger behauptungen seiner
einleitung setzt Martin im weiteren nur die Versicherung entgegen, dass er seine gründe
noch immer für richtig halte. Ich hatte mich ja allerdings niemals der hoffiuuig hin-
gegeben, ihn als starren anhänger Lachmanns etwa überzeugen zu können, hätte
aber doch geglaubt, dass er irgendwie auf meine sachlichen ausführungen eingehen
würde; leider scheint er auch diese wie alle polemik für „überflüssig" tu hallen. So
mag er denn immer an Wolframs analphabetismua weiter glauben ! Luoh wir angläubigen
dürfen ja wol hier von einer „ebenso bestimmten als irrigen" behanptnng Bpreohen,
JKNA. U.HKIM' I.KIT/.MVNV
244 J.F.ITZMANN ÜÜEK F1K< K . I'AHZI VA I.KKAC MKNTK
Die Amberger Parcifalfragmente und ihre Berliner und Aspersdorfer
orgänzungen. herausgegeben von dr. Anton Beck. Amberg, Böes L902. üO s.
und 12 autotypierte tafeln. 5 m.
Gegen Weihnachten l'JOl lief durch alle grösseren Zeitungen die notiz von
einer in Amberg aufgefundenen Parzivalhandscbrift Die vorliegende publikation
macht diesen fund allgemein zugänglich, der Bich nun als bei weitem geringfügiger
und minderwertiger herausstellt, als man nach jeuer stark übertriebenen nach-
rieht erwartet hätte. In dem quartband einer inkunabel der Amberger proviozial-
bibliothek, die höchstwahrscheinlich aus dem kloster Walderbach am Regen stammt,
fanden sich als Vorsatzblätter vorn und hinten zwei blätter einer pergamenthandschrift
des Fai'zival aus der zweiten hälfte des 13. Jahrhunderts , enthaltend die verse 715,28
— 720, 26 und 735, 18 — 740, 20. Das fragment gehört zur redaktion G des gedichts,
wie bei deren ungleich weiteren Verbreitung gegenüber der älteren fassung D von
vornherein zu erwarten war: das beweisen sowol sämtliche wichtigeren lesarten im
einzelnen wie besonders die dieser redaktion eigentümlichen Kicken hinter 736, 14 und
22. Interessant ist die unzweifelhafte tatsache, dass die beiden Amberger blätter mit
drei andern schon bekannten fragmenten einmal zu einem und demselben codex gehört
haben, nämlich mit zwei Berliner fragmenten aus Hoffmanns und Pfeiffers besitz und
den jetzt in Oberhollabrunu befindlichen fragmenten aus Aspersdorf (bei Martin, Parzival
und Titurel 1, XXIII. XXVI als G* und Gw bezeichnet; eine kollation des Pfeiffer-
schen doppelblattes gab, was Martin entgangen ist, Scheel in der festgabe an Wein-
hold s. 66); und zwar gehörten beide Amberger blätter, das zweite Aspersdorfer blatt
und das Pfeiffersche blatt zu einer und derselben läge der ursprünglichen handschiift.
Irgendwelcher gewinn für die textkritik des Parzival ist aus dem neuen funde nicht
zu ziehen, mit dessen eben skizziertem wirklichen werte die üppige, umfängliche und
splendid ausgestattete publikation Becks in gar keinem richtigen Verhältnis steht. Der
fundbericht, das Variantenverzeichnis und der nachweis der Zugehörigkeit der fragmente
zu andern bereits bekannten wären auf zwei Seiten einer unsrer wissenschaftlichen
fachzeitschriften unterzubringen gewesen. Statt dessen erhalten wir eine foliopublikation
mit ausführlichstem fundbericht, einer längeren erörterung über die „möglichkeit neuer
funde", einer eingehenden inhaltsangabe des ganzen Parzival, in die sämtliche zum
alten codex gehörige fragmente in Simrocks Übersetzung wörtlich eingeschoben sind,
einen diplomatischen abdruck der Berliner, Amberger und Aspersdorfer fragmente,
unter dem text (fl transskription " nennt es der herausgeber), Lachmanns gesamten
Variantenapparat (dieser wird noch dadurch vermehrt, dass jeder circumflex Lach-
manns, weil er in der handschrift nicht steht, als lesart gebucht und sogar ein druck-
fehler einer der späteren Lachmannschen ausgaben [676, 29 ivax für tcas] gewissenhaft
als abweichung vermerkt wird), endlich eine autotypische nachbildung sämtlicher
bruchstücke auf grossen tafeln. Selbst ein gutes stück lokalpatriotismus und senti-
mentale begeisterung , wie sie sich auf s. 3 breit macht, zugegeben ist das doch des
guten etwas zu viel. Hier hätte ein kritischer freund den herausgeber beraten und
erbarmungslos alles überflüssige wegschneiden sollen, zumal fast in jedem teile des
buches auch noch kleinere und grössere fehler und missgriffe unterlaufen, die des
herausgebers Sachkenntnis nicht immer im besten lichte erscheinen lassen. Die haupt-
quelle für die kenntnis und beurteilung Wolframs ist ihm (s. 6. 19) Hollands Geschichte
der altdeutschen dichtkunst in Bayern. Den namen Klinschor etymologisiert er (s. 6)
als „ Kluniazenser " ! Die Übersicht über den inhalt des Parzival (der constant „Par-
cifal" geschrieben wird) ist nicht nur stilistisch ungeschickt (vgl. z. b. s. 16: „freund-
PANZER ÜBER MARTIN, KUDRUN 245
liehst empfangen und, nachdem er sich gewaschen, mit einem herrlichen mantel der
königiu Repanse de Schoie bekleidet" usw.), sondern enthält auch eine anzahl von
Irrtümern: s. 15. 17 wird Ginover, die königin, von Keie geprügelt, weil sie bei
Parzivals ankunft am hofe lacht; s. 16 wird Parzivals heirat nach dem Zweikampf mit
Klatnide gesetzt, während sie ihm vorhergeht; s. 17 besiegt Parzival nach Segremors
und Keie auch Gawan, wovon kein wort bei Wolfram steht; s. 19 ist Antikonie eine
fee, wol durch miss Verständnis von 400, 9 sin (Vergulahts) art ivas von der feien.
Der text der fragmente enthält eine ganze zahl von lesefehlern, worunter auch einige
druckfehler sein mögen: vgl. 370,17. 372,15. 716,12. 718,9. 719,10. 17. 729,22.
731,29. 733,18. 734,26. 735,22. 737,27.743,18. Obwol die Zugehörigkeit der bruch-
stücke zur redaktion G feststeht, ergänzt Beck fehlende versteile fast immer durch
lesarten der klasse D, zuweilen auch ganz sinnlos (z. b. 729, 6 [s/rjax prüere für
[siver djax prileve). Unter den vereinzelten Worterklärungen , die im Variantenapparat
stehen, findet sich folgende hübsche glosse, mit der ich schliessen will: 735,23 der
iväpenroc gap blanken schilt .... die würme Salamander in worhten xein ander in
dem heixen viure „ worhten = würgten " !
JENA. ALBERT LEITZMANX.
Kudrun herausgegeben und erklärt von Ernst Martin. 2. verbesserte aufläge.
Halle a. S., verlag der buchhandlung des Waisenhauses 1902. = Germanistische
handbibliothek begr. von J. Zacher. II. LX, 372 s. 7 m.
Dass Martins Kudrun nach drei Jahrzehnten nochmals in erneuter gestalt er-
scheinen kann, ist freudig zu begrüssen. Die sorgfältigen erläuterungen , mit denen
der Verfasser seinen text umsichtig und mit ausgebreiteter belesenheit begleitet, sind
der erforschung des gedichtes vielfach zu gute gekommen. Und darüber hinaus be-
hauptet ein so trefflicher sprach- und sachcommentar bedeutung und Wirkung; gewiss
hat er vielen so wie dem recensenten zur ersten einführung ins mhd. wertvolle dienste
geleistet.
Die neue aufläge ist wirklich eine verbesserte. In den erklärungen scheint
besondere Sorgfalt auf Vervollständigung der angaben über den wort- und phrasen-
schatz der dichtung verwandt. Wirkliche Vollständigkeit ist allerdings auch jetzt nicht
durchweg erreicht, wenigstens habe ich sie, wo ich die angaben des commentars mit
meinen notizen zu vergleichen anlass hatte, nur selten gefunden. So fehlt z. b. zu
6, 4 in der Sammlung der stellen für mir ist we nach 967, 2; zu 151, 2 einem hin
engegene gän 340,4. 1077,3; zu 160, 1 üf den sunt tragen 'ausladen' 1146, 1 und
der verweis auf die abweichende Verwendung der phrase 747, 2; zu 174, 1 plan fehlt
1569,2; zu 206,4 xe lerne geben fehlt 1035,4, ebd. zu vollecUch 654,4. 1672,3; zu
274,4 dax (diu) lant rümen 312,2. 552,1. 799,2. 1694,1, vgl. 455, 1. 1603,2; zu
vliexen 'schwimmen' fehlt 85, 1. 1166, 2.4. 1271,4; zu 311, 4 sinen anden rechen
fohlen 1047, 4. 1160, 3. 1365. 4. 1373, 4. 1589, 4 (die phrase ist sonach keineswegs
nur eine „formel des zudichters", wie M. bemerkt, denn 1373 ist „echt"); zu 312,3
in der maxe fehlt 1665, 3, vgl. 1613, 3 (auch stoht der ausdruck nicht „stets reimend ",
sondern selten im reim, meist in der cäsur) usw. Unbehaglich wird die sache, wenn
die bemerkung ausdrücklich so formuliert ist, als ob die aufzählung eine vollständige
sei, z. b. zu 822,4 so rehte unvrceliohen „die gleiche Verstärkung findet sich 860, I
und Nib. 24,4", wonach man glauben muss, dies so rehte fände sich nur zweimal in
Gud., während es häufig ist (117,3. 165,4. 348,3. 412,2. 1222,1 usw., ebenso wie
246 PAWZBH
rehte 447,2. 902, I. 1292,2) oder zu 450,4 slolx „dies stets ehrende beiwort findet
sich auch 160,4. 463,4" was den ansahen! weckt, al es qui dreimal im gedieht,
dem es ganz geläufig i.-r (115,2. 597,4 619,3. 620 l 648,2. 717,4 783, l. 788, 1 usw.;
im ganzen habe ich mir 20 ßtellen aotiert).
Von diesen beobachtangen zum Sprachgebrauch derdichtung abgesehen, ist an
den erklärungen nicht viel verändert Vollständig hineingearbeitel hat der
er selbst im 15. bände dieser Zeitschrift oa batte; aui fremde Untersuchungen
ist seltener verwiesen, als man hie and da wünschen möchte. Leider sind mehr!
unhaltbare erklärungen stehen gebliehen, wo andere sohon das richtige gegeben haben,
z. b. wird zu 340, 2 eine erklärung widerholt, die den hei igen Bcherz des
dichtere zerstört, den Bartsch längst richtig erklärt hatte. 199, 1 ist wider in unn
licher weise gedeutet trotz des Hilde -Gud. s. 1 19 bemerkten; dass auf die bemerkungen
zu str. 1590 die ausfuhrungen von Schönbach und Zingerle keinen einfiuss gewinnen
konnten, ist seltsam genug, unbegreiflich, dass Martin die frage 1523,3 widerum als
„platt" bezeichnen durfte, nach dem was Hüdehrand, Zeitschr. 4, 362 dazu Dem
hat, u. ä. mehr.
Martin wäre hier vermutlich eher zu änderungen geneigt gewesen, wenn er in
den 'unechten' teilen nicht jederlei anstoss und selbst einen unsinn für berechtigt hielte.
Leider ist in der neuen aufläge nichts gestrichen von dem ständigen gescheite auf die
interpolatoren , ihre schwächlichen, törichten, elenden' zutaten und wie die kraftaus-
drücke alle lauten mögen, die, wie ich wol sagen darf, weder dem gegenwärtigen
geschmacke noch der gegenwärtigen einsieht der forschung entsprechen. "Wie gerne
hätte man sie ersetzt gesehen durch ausführungen über die zahlreichen stilistischen
eigentümlichkeiten der dichtung, die bes. dem anfänger, dem M. sonst bereitwillig
zu hilfe kommt, seltsam und erklärungsbedürftig genug erscheinen müssen. AVer hier
sich ausschliesslich der führung dieses commentars überliesse, dem müsste die dichtung
nach ihrer formalen seite ein buch mit sieben siegeln bleiben; wird doch z. b. nicht
einmal das so charakteristische Stilmittel der Variation auch nur einer erwähnung
gewürdigt.
Dem buche war der fortschritt hier durch ein allzu starres festhalten an Mülien-
hoffs kritik verschlossen. Bei ihr ist Martin auch in der einleitung, die die geschichte
der dichtung im Zusammenhang geben will, überall stehen geblieben, unerschüttert
von allem, was seither von verschiedenen Seiten dagegen eingewandt ist. Neue gesichts-
punkte sind von Martin zu gunsten Müllenhoffs nicht geltend gemacht und ich habe
dem was ich früher gegen diese theorie vorgebracht habe nichts hinzuzufügen, aller-
dings auch nichts davon zurückzunehmen. Aussprechen aber muss ich, dass diese
vom recensenten wie von anderen forschem gemachten einwände in Martins darstellung
keineswegs nach ihrem gewicht zur geltung kommen. Ich zweifle nicht im ent-
ferntesten daran, dass Martin aus voller und lauterer Überzeugung für Müllenhoffs
kritik eintritt, die behauptung aber tut ihm nicht unrecht, dass er vor manchen
tatsachen und consequenzen neuerer Untersuchungen schier geflissentlich die augeu
verschliesst. So kann man doch nach Kettners ausführungen wahrhaftig nicht, wie
s. XL geschieht, behaupten, dass wirkliche nachahmung des Nibelungenliedes nur in
den Zusätzen, nicht aber in echten str. auftrete, während tatsächlich „echte" Strophen
sich finden, in denen gleich je drei langzeilen aus dem Nib. genommen sind, die ent-
lehnungen dort auch ebenso gruppenweise beisammen stehen wie in den sog. Zusätzen
(beispiele s. Hilde -Gud. s. 143). Wenn M. gegen meine vergleichung der Gud. mit
der Klage einwendet, der gemeinsame gebrauch mancher formein erkläre sich daraus.
ÜBER BENEDICT, DIE eUDRTTNSAGE DJ DEB NEUEBEN DEUTSCHEN LIXTERATUR 247
dass diese längst in der epik der spielleute ausgeprägt waren, so unterschreibe ich
das vollkommen. Aber das hilft nicht über die (von M. freilich nicht registrierte)
tatsache hinaus, dass eine grössere individuelle scene, str. 921 fgg., der Klage wörtlich
nachgeahmt ist und zwar in ganz der nämlichen weise von den „ echten " wie „ un-
echten" str. dieses abschnittes. In den ausführungen über Nibelungenstrophen und
oäsurreim hätte man eine eingehendere berücksichtigung der Untersuchungen von
Sijmons erwarten dürfen.
Etwas mehr als an der geschichte des epos ist an den ausführungen über die
geschichte der sage geändert. Namentlich findet mau jetzt eine genauere Übersicht
über die quellen; auch ist Müllenhoffs aufsatz über Freyja und den halsbandmythus
hineingearbeitet. Für die Gudrunsage ist wie schon in der einleitung zur textausgabe
herleitung aus der Schwanrittersage vorgeschlagen, was schwerlich überzeugen wird.
Aus der einschlägigen Untersuchung des referenten sind nur einige einzelheiten an-
gemerkt, mehrfach so, dass ich mich nicht damit einverstanden erklären kann. So
muss, was s. LIII gesagt wird, falsche Vorstellungen erwecken über die art wie ich
Gudrun mit Herborg in beziehungen gesetzt habe; auch s. LX muss ich in den ver-
dacht kommen, dass ich mit Martin die Südelilieder für „versprengte reste der alten
sage" hielte, während ich vielmehr der meinung bin (und mich deutlich dahin aus-
gesprochen habe), dass gerade umgekehrt die Gudrun aus diesen liedern geschöpft hat.
Zum Schlüsse noch zwei tatsächliche berichtigungen zu kleinigkeiten der ein-
leitung. Die erste nachricht über die Gud. (s. VII) hat Alois (nicht Anton) Primisser
nicht 1817 in der "Wiener gelehrten zeitung erscheinen lassen (die es überhaupt nicht
gibt), sondern im Intelligenzblatt zur Wiener allgem. litteraturzeitung nr. 18, may 1816,
sp. 13S— 142, wider abgedruckt (mit der falschen quelleaangabe „Wiener Allg. Gel.
Zeitung") in Büschings Wöchentl. nachr. bd. 3 (1817), 174 — 181; vgl. schon die mit
der ersten AViener mitteiluug gleichzeitige notiz Primissers ebd. bd. 1, 389 (25. stück,
vom 20. brachmonat 1816). — Ferner ist s. XII zu berichtigen, dass der Gudruntext,
auch wie Martin ihn herstellt, nicht 98, sondern 99 Nibelungenstr. enthält; die auf-
zählung hat 822 übersehen.
KREIBURCt I. Ii. FRIEDRICH PANZER.
Dr. Siegmund Benedict, Die Gudrunsage in der neueren deutschen litte-
ratur. Rostock, in commission bei H. Warkentien 1902. 119 s. 2,50 m.
Nachdem eben erst B. Krichenbauer in zwei Amauer program men die neueren
(ludrunübcrsetzungen zusammengestellt und charakterisiert hat, bringt die vorliegende
dissertation in drei abschnitten eine sorgfältige beschreibung und kritik aller Über-
setzungen, epischen und dramatischen bearbeitungeu des alten gedichtes. Die Charak-
terisierung des verf. ist anschaulich, sein urteil, soweit referent, dem die wenigsten
der besprochenen bearbeitungen zugänglich sind, urteilen kann, im einzelnen zutreffend.
Über das problem als ganzes hätte sich wol mehr und richtigeres sagen lassen,
wenn der vorf. es von der höheren warte der geschichte und des inneren wesens der
alten dichtung betrachtet hätte. Im gründe liegt die sache wol so. Dass ein manu,
der philologische kenntnisse mit dichterischer fähigkeit in der art eines Wilhelm Hertz
vorbände, uns eine gute Übersetzung der Gudrun liefern könnte, ist zweifellos. Dass
Wilhelm Hertz sie so wenig wie eine Übersetzung des Nibelungenliedes geliefert hat,
darf mau aber gewiss mehr seiner künstlerischen einsieht als dem zufalle zuschreiben.
Denn es ist kaum abzusehen, wem mit solcher Übersetzung gedieni sein sollte. Dem
248 UHL
forscher sind die original'' zugänglich und allein brauchbar; dem laien aber, der nur
ästhetischen genuss Bucht, wird auch die beste übei etzung Die ein reines behagen
erwecken. Es liegt das augenscheinlich daran, das in diesen epen zwi edene
Stilrichtungen sich oft unerfreulich mischen, worüber an anderem Ölte mehr zu sagen
sein wird. liier kann nur eine bearbeitung helfen, die aus dorn altea epos das, was
für uns moderne allein wirksam ist, geschickt auswählt und zu einem neuen ganzen
verarbeitet. Es kann das ebcnsowol in epischer als dramatischer form geschehen.
Wenn in ersterer nichts geleistet ist, so liegt das zugegebenormassen an der Unfähig-
keit der bearbeiter; Baumbachs Horand und Hilde ragt noch wie ein türm aus den
dichtorn vierten und fünften ranges hervor, die sich an der aufgäbe versucht haben.
"Wenn dagegen noch mehr die dramatischen bearbeitungen beinahe alle unter der
kritik stehen, so möchte der verf. den grund im Stoffe suchen, der undramatisch Bein
soll. Mit unrecht. Der Stoff ist dramatisch; man muss nur vor allem die künst-
lerische einsieht besitzen, die den bisherigen bearbeiten! mehr oder weniger fehlt,
um zu erkennen, dass nicht Gudrun, sondern Hartmut der tragische charakter der
erzählung ist und somit allein held eines darauf gebauten dramas sein kann. Der
stoff wird hierzu noch eine bedeutende Umgestaltung nötig haben; aber die ersten
intentionen sind gerade hier sehr schön und fein schon von dem alten dichter hinein
gelegt, es gilt nur sie consequent und tactvoll auszubauen. Lasst nur ein taleni
kommen, dem die Zauberformel gegeben ist und der -reiche schätz herrlicher poesie,
der hier beisammen liegt, wird rasch aus der tiefe emporsteigen und nichts verloren
haben an seinem alten glänz und werte. Nur so viel darf man vielleicht einschränkend
sagen, dass, wie die dinge einmal liegen, hier wie bei den Nibelungen die oper die
angemessenere dramatische form wäre. Unsere eigene Vergangenheit liegt uns in so
himmelweiter ferne, dass die gestalten eines derartigen Vorwurfs, seien sie auch
künstlerisch vollendet, leicht in luftleeren räum zu stehen kämen. Hier mag denn
die musik eintreten und das verbindende milieu erzeugen oder ersetzen, das wir aus
eigenem nicht hervorzubringen vermögen.
FREIBURO I. B. FRIEDRICH PANZER.
Laurin und der kleine rosengarten. Herausgegeben von Georg Holz. Halle,
Niemeyer 1897. XXXXVI, 213 s. 7 m.
Textkritische arbeiten mit grossem apparat sind in unserer Wissenschaft eine
Seltenheit geworden, oder eigentlich immer gewesen. Die musterleistungen Lachmauus
blieben unerreichte Vorbilder, wenn auch die schule es unternahm, ähnliche aufgaben
genau nach der art des meisters zu behandeln. Selbst Müllenhoffs „ Heldenbuch "
stand bereits nicht mehr auf der gleichen höhe. Daran mochte allerdings die so ganz
anders gestaltete Überlieferung den hauptteil der schuld tragen. Da nun im letzten
Jahrzehnt zwei werke Lachmanns einer nachprüfung unterzogen sind (der Iwein von
Emil Henrici, der Parzival von Ernst Martin; eine revision des Nibelungentextes bietet
"Willi. Braune), so erscheint es gewiss berechtigt, dasselbe verfahren auch auf Müllen-
hoffs ausgaben anzuwenden. Dies hat jetzt, zunächst beim Laurin, Georg Holz ver-
sucht, und zwar mit gutem erfolge. Bekannt ist seine wertvolle Vorarbeit, die be-
stimmt war, den fehlenden 6. bd. des HB. zu ersetzen: Die gedichte vom rosengarten
zu Woims, Halle 1893.
Das hier zu besprechende buch stellt sich also die aufgäbe, den Laurintext
Müllenhoffs, der 1866 im 1. bd. des HB. herauskam, in revidierter fassung vor-
ÜBEK LAUKIN ED. HOLZ 249
zulegen \ Aus dem kritischen material Franz Roths, das die Berliner bibliothek verwahrt,
hat Holz nicht minderen gewinn erzielt als damals Müllenhoff. Auf s. VII konnte wol
nochmals bemerkt werden, dass für den archetypus aller hss. bereits von Müllenhoff
das zeichen A, das auch Holz gebraucht, verwendet wurde (vgl. s. II). Das Ver-
zeichnis der hss. und drucke ist äusserst sorgfältig und übersichtlich gearbeitet; auch
in der litteratur weiss der herausgeber gut bescheid. Zu s. XXXI möchte ich nur
noch, der Vollständigkeit wegen, die modernisierung nachtragen, die Ignaz V. Zingerle
auf grund von Ettmüllers ausgäbe geliefert hat: König Laurin oder der rosengarten
in Tirol. Innsbruck 1850. 16°. (Mit einleitung und anmerkuugen.) — Auf s. XI u.
heisst es wol besser: s : spirantischem % oder s : spirans §; vgl. s. XXIX u. —
s. XLV z. 7 v. u. ist an über unscnön.
Was die Constitution des textes betrifft, so ist Holz in mancher beziehung von
Müllenhoff abgewichen. Bei der schlechten Überlieferung des Laurin liegen zwei
methodische fehler nahe: übertriebene strenge oder allzu grosse nachsieht gegen die
willkür der Schreiber. Müllenhoff neigte sich dem ersten extreme zu; er liebte con-
jeeturen und athetesen, die aber bei der volksepik oft sehr übel angebracht sind. Holz
hat das gegenteil zu vermeiden gewusst; seine, wenn auch gewissenhaft kritische, so
doch etwas freiere behandlungsweise des textes sagt uns mehr zu als die starre akribie
der Lachmannschen schule. Aber nicht nur die methode ist bei Holz eine ganz
andere als bei Müllenhoff, sondern es besteht zwischen den beiden ausgaben auch
noch ein zweiter, sehr wesentlicher unterschied. "Während nämlich Müllenhoff die
Kopenhagener hs. (K) seiner bearbeitung zu gründe legte, bringt jetzt Holz die
Pommersfelder papier-hs. (p), die auch den grossen rosengarten enthält, wider zu
ehren; nach dem vorgange von A. Edzardi, Eosengarten und Nibelungensage, Germ.
26 [1881], 172 fgg. Diese hs. erweist sich als die abschrift eines verlorenen Originals,
das dem archetypus sehr nahe gestanden hat. Die von Müllenhoff vorgenommene
Scheidung aller hss. in zwei klassen, eine bairisch- österreichische und eine mittel-
deutsche, hat Holz grundsätzlich aeeeptiert; nur in einigen, allerdings wichtigen
punkten ist er zu einem andern resultate gelangt. So construiert er z. b., sehr mit
recht, noch zwei zwischengruppen, die vom archetypus zu jenen beiden klassen
hinüberleiten sollen (x und B; vgl. s. VIII, woselbst der Stammbaum der hss. gegeben
wird. Dass x hier etwas anderes bedeutet als im Varianten Verzeichnis, halte ich nicht
für glücklich). Die entstehung der mitteldeutschen tradition setzt Holz etwas früher
an als Müllenhoff (ca. 1260 — 70; vgl. s. Vj. Aus B floss daun C (um 1290. rhein-
fränkisch), und aus C um 1300 D, welche bearbeitung Holz s. 96 fgg. in kritischer
herstellung mitteilt; sie fand aufnähme im heldenbuche und ward bekannt durch dessen
drucke (zuerst um 1480; o. o. und j.).
Auch im einzelnen zeigt die kritische herstellung manche abweichung vom
texte Müllenhoffs. Wesentlich ist z. b. die änderung: von arte ein unser wigant
(statt: von Garte) Laurin A 44. 810. 1366. 1416; vgl. die begrüudung des beraus-
gebers, s. XXIII und 183. Dennoch scheint die alte lesart den vorzug zu verdienen.
Sie findet genaue parallelem in solchen stellen wie z. b. Laurin A 75: von Berne her
Dietrich; 92.580: von Herne ein vürstc lobelich; 421: von Stire her Dietleip; 517:
von Berne der kiimc man; 545: von Berne der ril /verde; 572: von St irr ein rittcr
1) Die sog. Schulausgabe des Müllenhoffschen Laurintextes, die den apparat
und dio aumcrkuugen weglässt, erschien zuerst Berlin 1874; '-'1886. Holz erwähnt
sie gleich auf p. [I], was der auonymo rocousent des Lit. cbl. (189S, 3(iS) übersehen
zu haben scheint.
250 ui;
imverxeü. Es ist der bekannte epische, all be typus: be nennung eine«
recken wird seine beimal oder berkunfl angeführt; vgl. auch Ü97fg.:
/)/) sj, rur.lt Wirlmuh mi
r/n rittet biderbe imde vru/m.
Zwar werden, wie in dieser stelle, auch die tugenden der beiden . aber
sie kommen doch ersi in zweiter Linie. Wa Bolz », 183 ausfährt, scheint mir nicht
svungen zu sein. Der Ortsname Öwrte war gewiss nicht, allgemein W'-k.t/i r -
kam das missverständnis leicht zu stände. Lehrreich für die entstehungsgeschi
dieser confusion sind vermutlich die verse \ 532: gai ei/n wtser wtgemt and L398:
iniiiir gurte in der imgcmt, sowie besonders 118 fg.:
daz, mac wol der garte sin,
davon ims Hildebra/nt hat //<
(Vgl. auch 26G: harte wol). Der Nürnberger druck von Friedrich Gutknecht (o. j..
ca. 1550; ed. 0. Schade, Leipzig 1854) hat die alte lesart aufgenommen: Von OarU
280; von Garten 846. 1192. — Laurin A 60 scheint sorgen den vorzug zu verdienen
vor eren; trotz eren-vri, das Lexer aus MtSH 1, 73 * anführt. Der dichter gebraucht
hier offenbar einen humorvollen euphemismus für sterben, von welchem ein<
kanntere fassung in der nhd. redensart: „dem tut kein xahn mehr wek/" vorliegt. —
S. XXXIII fg. spricht Holz von Ettmülkrs „verszerdelmender manier". Dagegen Lässi
sich höchstens einwenden, dass der begriff unserer • Wissenschaft damals ein ganz
anderer war als heute. Ich erinnere nur an das ähnliche verfahren, das noch Joseph
Diemer, mehr denn 20 jähre später, bei den gedichten des 11. und 12. jhs. an-
wendete (Wiener S. B. 1851 — 67). Ludwig Ettmüller hat trotz alledem seine grossen
Verdienste, auch um den Laurin. Müllenhoffs metrik war durch das ziemlich streng
beobachtete prineip der vierhebigkeit wol etwas benachteiligt. Holz hat sich auch hierin
grössere freiheit bewahrt: Laurin A 844 ist ein fünfheber, 180 ein sechsheber stehen
geblieben. An beiden stellen sind Müllenhoffs kürzungen , wenn sie auch sehr einfach
und plausibel erscheinen, principiell dennoch zu verwerfen. Der spielmann denkt und
fühlt ganz anders als der gebildetere ritterliche dichter; er individualisiert und ver-
anschaulicht mehr als dieser. Dabei ist ihm die zahl der hebungen nebensache. —
Der Verfasser des Laurin A macht 928 einen versuch, den alten Hildebrand als weisen
ratgeber zu charakterisieren, indem er ihm ein Sprichwort in den mund legt: ,guoten
tae man %e dbende loben sol' = Laurin D 1506); vgl. Wander I, 6, 9; 7, 15. 25. 36;
IV, 1008,375; 1009,401. Auch im Laurin D scheint an einer stelle eine sprich-
wörtliche redensart vorzuliegen (2756 — 58; es redet Biterolf):
,swer im selber schaden birt
und sim rehte unreht ttiot,
des ende teirt selten gnot'.
(Vgl. dazu die im Lit. cbl. 1898, 369 gegebenen parallelen; daselbst auch die überzeugende
änderung sim 2757 [statt xem]. für welche eine hs. liehe gewähr vorhanden ist.) Mit
solchen und ähnlichen Stilbeobachtungen , die vielleicht zur Würdigung der spielmanns -
epik etwas beitragen könnten, hat sich Holz nicht abgegeben; wie denn überhaupt
ein commeutar gänzlich fehlt. Die „ anmerkungen u (s. 183 fgg.) beziehen sich aus-
schliesslich auf den kritischen apparat. (Dies wurde bereits von anderer seite con-
statiert: Lit. cbl. 1898, 369.) Hier erweist sich Müllenhoffs ausgäbe wider als unent-
behrlich. — Zu Laurin K I, 1777: Ains morgens, was ein suntac. Das an dieser
stelle auch von Müllenhoff 1810 zwischen morgens und was gesetzte komma pflegt
mau doch sonst bei dem bekannten änö y.oivoi) wegzulassen. Im Eosengarten
ÜBER LAURIN ED. HOLZ 251
A 60,4 hat Holz in einem ähnlichen falle dieses koninia nicht gesetzt: und namen
xe den armen ir schilte wären breit. — Zu Laurin D 1091. Hiltegrin ist kaum
eigenname (trotz Krimhilt.'); das wort bedeutet wol nur: .. kämpf niaske" und muss
daher im text hiltegrin geschrieben werden. Man sehe die von TV. Grimm in der
DHS. gesammelten belegstellen ; hauptsächlich s. 270 das citat aus ,Ecken ausfahrt',
woselbst der ausdruck einmal mit dem unbestimmten artikel verbunden erscheint
(ein hütegrvn). Vgl. a. a. o. 269: „mithin eine allgemeine poetische be-
nennung" CSV. Grimm i. — Die verse Laurin A 259 — 262 möchte ich in eckige
klammern einschliessen ; sie sind vielleicht ein späterer zusatz (vgl. 277 fg.). Der in-
halt dieser vier zeilen bringt nichts neues, nur eine widerholung; ausserdem ist das
Schimpfwort esel 259 wol nur eine spielmannsmässige vergröberung der tören 251
(vgl. Laurin D 525 — 28; auch ir siidel und ir aff'eu ib. 509 ist übertrieben). — Auf-
fällig erscheint es, dass im Laurin A nach Übereinstimmung aller hss. die rede ist
vom „pfänden" des rechten fusses und der linken hand (264. 378). Umgekehrt
liegt der fall im Laurin D (530: rechte haut d; 546. 590. 698. 714: den linken
vuoz, die rehten hant). Diese an zweiter stelle von lins genannte Verbindung ist
offenbar eine rechtsf ormel, die nach Laurin D nun auch ins Heldenbuch und in
die jüngeren bearbeitungen überging; sie scheint den vorzug zu verdienen vor der
ersten fassung. Die fränkischen capitularien des ausgehenden achten und beginnen-
den neunten Jahrhunderts „greifen zuweilen ins strafrecht ein" (Waitz, Deutsche
verf. gesch. IIP, 1883, 613). Zweimal wird für meineid das abhauen der hand an-
gedroht (nr. 20 und 30 bei Boretius M. G., Leges II, I), und an der ersten dieser
beiden stellen, in einem Capitidare missorum generale v. j. 802, heisst es ausdrück-
lich (a. a. o. s. 98, 36): ,Si quis autem post hoc in periurio probatus fuerit. manum
dextera [!] se perdere sciat'. War diese strafe im altgermanischen rechte vielleicht
auch für tempelschändung (sacrüegium) oder für haus- resp. landf riedens-
bruch vorgesehen? Ein beleg hierfür ist mir nicht bekannt, doch würde die an-
nähme einer solchen sitte recht wol zur idee des Laurin passen. Der held ist ein
könig (A 64) und besitzt auf seinem gebiete die territorialhoheit. Das vernichten
der guldinen borten (A 138) seitens der abenteuernden fürsten ist eine grenzveiietzung,
ein ansagen der fehde. (Über die diabetische Verwechselung von borten und portt n
s. Holz s. VI.) Der landfriede wurde beschworen (v. Schulte, Lehrb. d. d. reiehs-
und rechtsgesch.3, 1873, 221 fg., m. litt.); der brach des landfriedens war also zu-
gleich ein eid brach. So kam es vielleicht, dass auf beiden vergehen die gleiche busse
stand (vgl. im allgemeinen noch Eich. Schröder, Lehrb. d. d. rechtsgesch.'- [1894],
346. 722. 732 11.)
Lachmann und Müllenhoff setzten die entstehuug des zweifellos tirolischen
Laurin um 1200 an (DHE. I, XL1II; vgl. Holz XI); eine datieruug, der sich der
neue herausgeber zunächst anzuschliessen scheint. Später jedoch (s. XXXV fg. | mach!
Holz das gedieht um 50 jähre jünger. Laurin A kann vor L250 nicht entStauden
sein, denn es ist keim' Überarbeitung, sondern nffenliar ein erster entwurf. Zwei ver-
schiedene stoffe sind ungeschickt combiniert: die roseugarten-sage und eine erzählung
vom zwergkönig, der madchen raubt (hier speziell Dietleibs Schwester). Diese letzte
fabel ist die ältere; sie tritt selbständig im .Goldemar' auf (s XXXVI). BIuss sie
deshalb wirklich mit notwendigkeit die ältere seini !
Ich will dem verdienten herausgeber nicht widersprechen; er hat sich offenbar
gut in die materie luneingelescn, and im Laurin sind ja die mite noch deutlich er-
kennbar. Aber ich möchte die frage anregen, ob oiohl vielleicht jene beiden tnotive
252 uhl
dennoch miteinander verwandt sein könnten. Allerdings mbssten wir, um dieses zu
erkennen, etwas tiefer eindringen, als gewöhnlich zu geschehen pflegt. Schon Richard
Eeinzel erkannte ganz richtig, dasa „unsere gedichte vom Rosengarten l >« - i Worms
nur wenig mythisches mehr zeigen" (Über die Nibelungensage, Wienei 8. B. '.'IX,
1885, 679), aber trotzdem hat auch er wider den ganzen mythologischen apparat in
bewegung gesetzt (a. a. o.). Der Rosengarten ist immer noch nicht erklärt. •■,
durch das Bertangaland der Thidhreksaga, noch durch die Wangionen d<s Rheingaues,
noch endlich auch durch don kirchlichen begriff des paradieses. Laurin A 240 be-
weist, dass der dichter den rosengarten und das paradies als zwei ganz verschiedene
dingo ansah (vgl. A 920)! Auch in einem volksliede: „Maria im rosengarten" (bei
Hauff en, Sprachinsel Gottschee, s. 193fgg.) sind rosengarten und paradies ausdrück-
lich voneinander getrennt. Viel einleuchtender ist die schlichte erklärung, die Wilh.
Grimm abgab, Der rosengarte, 183(5, LXXV: „ein bloss der lust fLXXVIj und sorg-
losen glückseligkeit gewidmeter aufenthalt." Die rosen versucht L. Laistner, Germ.
26, 70 fgg. volksetymologisch zu deuten (z. I». durch got. rohsni aüX-tf). Wenn hier
auch keine gewissheit erzielt wurde, so sind derartige sprachgeschichtliche ent-
wickelungen den rein mythologischen doch immer vorzuziehen. Manchmal ergeben
sich überraschende resultate; man denke au die einfache erklärung des „mäuseturms"
(=muos-turm); vgl. auch Felix Liebrecht, Zs. f . d. myth. 2 (1855), 405fgg. Merk-
würdig bleibt die ahd. form rösgarto auf jeden fall. Ortsnamen wie Rossleben sind
zu vergleichen. — Die erwägung, dass oft der friedhof als ein rosengarten gedacht
wird, wo Christus oder Maria herrscht, (Hocker, Stammsagen der Hohenzollern, 1857. 34)
führt uns dagegen nicht weiter. Dieser aufenthaltsort der abgeschiedenen seelen, der
durch einen seidenfaden die unverletzlichkeit der gräber andeutet, ist eine junge christ-
liche Vorstellung, die sich vielleicht mit heidnischen dementen gemischt hat. Von
dieser Vorstellung findet sich nichts mehr im späteren Sprachgebrauch, der unzweifel-
haft "W. Grimms deutung bestätigt; vgl. namentlich die redensart: „im rosengarten
sitzen". (Hierher wol der Ortsname: Rosario da santa Fe, oder ist die stadt nach
der rosenzucht so benannt?) Ferner: Eosengarten als buchtitel ist ein anpreisendes
epitheton, das häufig variiert wird (z. b.: Eucharius Röslin, Der Schivangeren fraiven
vnd Hebammen Rosegarten. Strassburg, Martinus Flach junior, 1512 u. ö. 4°.) Diese
bezeichnung entspringt einer altpersischen sitte (vgl. z. b. : Rosarium, d.i. rosen-
garten . . . durch Bernhardum Xicanim Aneumanum, Emden 1641; Persianischer
Rosenthal, deutsch nach Saadi, von Adam Olearius, Schleswig 1654, und ähnl.).
JJ{(Q{<&fiaog m. stammt aus dem persischen und bezeichnet urspr. einen tiergarten,
einen park. Die sitte, einen tiergarten zu halten, entsprang dem praktischen be-
dürfnis der Sicherung. Im burggraben sind wilde tiere zu finden (heute gibt es
noch bärenzwinger, z. b. in Bern); ein letzter rest ist unser hofbund an der kette.
Erst später wird die menagerie ein luxusgegenstand. Ganz ähnlich ist der rosengarten
aus der hecke hervorgegangen, die als schütz gegen Überfälle diente. Der
„verhau" ist aus der fortifikationslehre wol bekannt; M. Heyne citiert Moltke , Schriften
und denkwürdigkeiten 3, 396. Künstliche stachelzäune werden bei festungsbauten
immer noch verwendet. Besonders geeignet für die anläge solcher verteidigungshecken
war der wilde rosendorn (rosa canina). Ich muss es den botanikern überlassen, zu
untersuchen, ob diese strauebart etwa speciell zur tirolischen flora gehört; viel-
leicht stammt sie, wie das wort naouduaog, aus dem Orient (DWb. 8, 1163 wird
nach Fick4 1, 556 auf das iran. ßoodov und das arm. vard hingewiesen.) Dass der
rosendorn blüht, ist nebensächlich für die befestigungskunst, aber nicht für
ÜBER LACRIN F.D. HOLZ 253
die phantasie des volkes! Die heckensiedelung der urzeit lebt als verwunschenes
schloss in märchen und sage. Der tierzwinger ist ein litteraturmotiv geworden
(z. b. in Schillers „Handschuh" verwertet), ebenso die dornhecke (vgl., um nur
einiges zu nennen: GA. L1II; Uhlands ballade Der rosengarten; Kotzebue, Die
rosen des herrn von Malesherbes [1813]: 0. J. Bierbaum, Sehnsüchtige melodie
[Modern, mus.-alman. a. d. j. 1894, 76]:
„ Roseninsel, schwanunischwommen,
Roseninsel im grünen meere,
Roseninsel, düfteschwere. —
Sonnenheisse,
Felsenweisse,
Heckenheimliche roseninsel."
(In dieser letzten dichtung ist die idee von der glückseligen insel Thule mit der
Vorstellung einer hecke vereinigt.) Bei afrikanischen stammen vertritt der kaktus
den dorn.
Wenn der feind endlich die siedelung berennt, so wird im zwinger wie in
der dornhecke gekämpft; daher die spätere identität von turnierplatz und rosen-
garten. Zu friedenszeiten übt man bereits das waffenspiel im burghof oder im burg-
graben. Auch die Artushöfe sind hier heranzuziehen; vgl. die von S. Singer, Anz.
1898, 553 fg. citierte Schrift von E. Jacob, Rosengarten im deutschen lied etc. s. G2.
So wird der rosengarten ein „gemeingut der niederen mythologie" (Holz,
D. ged. v. rosengarten zu "Worms, C; Jiriczek, Deutsche heldensagen, 1898, 254).
Zu welchem zwecke berennt nun der feind die siedelung? Um diese frage
zu beantworten, müssen wir uns bei den anthropologen rates erholen. Die ethno-
logie rechnet mit einer zeitperiode, in der die raubehe oder die exogamie noch
nicht ersetzt war durch die kauf ehe (vgl. Richard Schröder a. a. o. 67; 68 GS;
277). Der kämpf, den die angehörigen der braut oder diese selbst mit dem entführei
einst zu bestehen hatte, ist aber noch deutlich erkennbar an den rudimentären spuren,
die er in gestalt der hochzeitsbräuche zurückgelassen hat. (Vgl. z. b. Kulischer,
Intercommunale ehe durch raub und kauf, Zs. f. ethnol. 10 [1878] 193 — 226 und bes.
Westermarck, Gesch. d. menschl. ehe, deutsche ausgäbe [1893], woselbst reiche
litteratur.) Uns interessieren hier besonders die deutschen märchen, in deneu ein
armer freiersmann ein oder drei probestücke oder kraftleistungen ablegt und so die
prinzessiu (königstochter) heimführt. (Auch Günthers kämpf mit Brünhilde ist ein
ähnliches motiv.) In den „Kinder- und hausmärchen " der brüder Grimm erscheint
nun unter 200 nummern dieses thema nicht weniger als 50 bis 60 mal variiert; mau
darf mithin vielleicht behaupten, dass ungefähr ein vierteil aller deutscheu märchen
auf diese idee zurückgeht. Jene probeleistungen (z. b. wettkampf, bogenschiessen,
ringen; auch die rätsei der Turandot und vieles andere gehört hierher) erklärt Bastian,
Allgem. grundzüge der ethnologie, 1884, 44 als „gemilderten raptus*. Die art,
wie die braut erworben wird, ändert sich; die raubehe geht langsam in die kaufehe
über. (Vgl. noch über diese erscheinung: F. Bernhöft, Frauenleben der vorzeit,
Wismar 1873). Im Indischen war1 noch zu historischer zeit die achte. Dämlich die
räkshasa-iorm der ehe (d. i. der raptus) gesetzlich vorgeschrieben für die krieger-
kaste (gütige mitteilung des herrn privatdozenten dr. Julius von Negelein). Hier
hat sich also noch mehr erhalten als nur verblasste erinnerungen wie bei uns. und die
sanskrit- litteratur operiert häufig mit der tatsache dieser bestehenden einrichtung der
nominell gewaltsamen ehe.
254 DHL DBEB i M i.-l-. i D. HOLZ
Die rose de ro engartena muss frühzeitig, gleich den tieren d<\s tiergartens,
als totem von einzelnen geschleohtern verehr! worden Bein, uns deren zahl Bioh
später der hohe adel rekrutierte. Ulan denke an das mächtige dynastengesohlecht der
böhmischen herren von Rosenberg, an den kämpf der weissen mit dei roten rose usw.
Deshalb tritt dii'so blumo häufig in der heraldih auf, /.. b. als Stadtwappen; vgL
i '. V. Meyer, Die msü vmi NVwport. In diesei Bchönen bailade e zugleich
Bymbol der Jungfräulichkeit, wofür noch viele andere belege beizubringen wi
vgl. z. b. Böckel, Deutsche Volkslieder aus Oberhessen, 1885, XIX. Auch diese«
symhol ist ans dem ins1.it u( der raubehe zu erklären. „In den l )i<-n-
bedeutet so viel wie „blumen brechen"; vgl, Dhland, Volksl.'-' 80 (52, L):
jjunkfreidin , sol ich mit euch gwn
in euren rosengarten?
und da die roten röslrin stein,
die feinen und die xa/rten' '.
Das DAVb., das 8, 1197 diese stelle citiert, erklärt die zweite zeile: „im eigent-
lichen sinne", womit allerdings das richtige getroffen ist, aber vielleicht unbewu.sst.
Der feind erstürmt auf einem beutezuge die heckenfestung und erbeutet die Jungfrau
nach heftiger gegenwehr. Das „Dornröschen" (brüd'ei Grimm, nr. 50, mit anmerk.)
ist. das bekannteste beispiel aus dieser uralten sagengattung. Friedrich Vogt hat es
mit wenig glück naturmythologisch zu deuten versucht (D.1- Thalia. Festschr. für
Weinhold. Germanist, abhandlungen , XII, 1896, 195 fgg.) Auf die Verschiedenheit
der mannigfachen zu erfüllenden probeleistungen können wir uns hier nicht ein-
lassen; das wird hoffentlich bald an einem andern orte geschehen. Nur den unter-
schied, der gewöhnlich zwischen der socialen Stellung des freiers und der braut
besteht, wollen wir noch kurz hervorheben, da er zur erklärung der Laurin-figur
nicht unwesentlich zu sein scheint. Der schwache sucht den mächtigen zu überwinden,
der kleine den grossen. Da es mit der körperkraft nicht gelingt, so bedient sich der
von der natur oder durch glücksgüter minder bevorzugte der list. Eine lange reihe
von kämpferpaaren marschiert hier vor uns auf, von Goliath und David, von Salomon
und Markolf bis zu dem riesen Schlagadodro und seinem zierlichen gegner in Immer-
mann's „Tulifäntchen". Dasselbe Verhältnis besteht zwischen dem werbenden und
der umworbenen in den sagen, die auf die raubehe zurückzuführen sind. Ver-
blasste erinnerungen an kämpfe, die von stammen kleineren körperschlages gegen
solche von grösserem einst zur urzeit in Europa geführt wurden (die anthropologie
spricht wie die sage von zwerg- und riesenvölkern) , mögen in zwei typen fixiert
worden sein. Man denke an den mythischen streit der Lapithen mit dem thessalischeu
reitervolko der Kentauren, der auf einer hoch zeit anliub; man denke an den raub
der Sabinerinuen. Hier beim „sabinischen raptus" (Bastian) fehlen jene beiden typen,
aber die kentauromachie kennt sie (Peirithoos, der bräutigam der Hippodameia
und Eurytion, der Kentaur, der die braut rauben will.) Ähnlich denke ich mir die
deutschen märchen vom „Daumesdick" entstanden (Kinder- und hausin. nr. 37),
ferner vom „tapferen" (nr. 20) und vom „klugen schneiderlein" (nr. 114).
Vgl. auch noch „Daumerlings Wanderschaft" (nr. 45) und „Der meisterdieb"
(nr. 192), in welchen beiden stücken allerdings das motiv der raubehe nicht mehr
deutlich oder gar nicht mehr durchschimmert. — Die elben der mythologie sind
ebenfalls ethnologisch zu deuten. — Alles dieses führt uns auf die frage nach den
SCHONE fBER C0N8ENTTDS, LESSIW 200
Uranfängen der germanischen eristik; ein bisher noch wenig bearbeitetes gebiet, das
reichen ertrag verspricht. (Mein anthropologischer gewährsmann war herr privat-
docent dr. Max Luhe.)
KÖNIGSBERG I. PK. WILHELM UHL.
Lessing und die Vossische zeitung. Von Ernst Consentius. Leipzig, Eduard
Avenarius 1902. VI, 110 s. 3 m.
Für die Jugendperiode von Lessings litterarischer tätigkeit, von 1747 bis un-
gefähr 1755, sind allmählich zahlreiche anonyme beitrage, meist recensioneu und
anzeigen, in den Zeitungen und Zeitschriften jener zeit gesammelt worden, bezüglich
deren aber die forschung zu einem sicheren resultate noch nicht hat gelangen hönnen,
insofern als für die mehrzahl von ihnen Lessings Verfasserschaft bald zuversichtlich
angenommen, bald vorsichtig bestritten oder doch zum mindesten bezweifelt worden
ist. Daraus erklärt es sich auch, dass, je nach dem Standpunkte, den die heraus-
geber gegenüber diesen fragen im ganzen und im einzelnen einnehmen, die ausgaben
von Lachmann, Maltzahn, Redlich und Muncker hinsichtlich der Jugendarbeiten von
Lessing sehr erheblich in ihrem bestände von einander abweichen.
In Wahrheit ist es keine leichte aufgäbe, die hier vorliegende frage nach Lessings
Verfasserschaft mit hinreichender Sicherheit zu lösen. Zwar kommen gelegentlich
(vgl. beispielsweise Lachmann 5, s. 75 und 77, und Redlich 12, s. 424) directe und
indirecte Zeugnisse zu hilfe, aber wirklich entscheidende kriterien fehlen zumeist, und
so ist die Untersuchung auf die diskussion von Wahrscheinlichkeitsgründen angewiesen,
deren beweiskraft von den herausgebern und litterarhistorikern je nach ihrem philo-
logischen temperament verschieden eingeschätzt zu werden pflegt.
Die oben genannte schritt von E. Consentius ist als ein mit musterhafter vor-
sieht und trefflicher beherrschung des Stoffes geschriebener beitrag zur lösung der
frage willkommen zu heissen, ob eine anzahl von grossenteils in der Vossischen
zeitung erschienenen recensionen mit recht Lessing zuzuschreiben sind, wie dies von
Franz Muncker in band 4 und 5 seiner ausgäbe (1889 und 1890) geschehen ist. Un-
gefähr 40 solcher kleinen aufsätze werden darauf hin untersucht, und es ergibt sich
als resultat, dass für sie Lessings autorschaft teils als unwahrscheinlich, teils sogar
als unmöglich zu erachten ist. Schon diese negativen ergebnisse haben ihren wert,
sie beruhen aber auch auf sehr positiven tatsachen und auf neuen gesichtspuukten,
welche von bleibender bedeutung und geeignet sind, unsre erkenntuis von Lessings
eutwickelungsgang und der in jenen jähren aufkeimenden deutschen litteratur wesent-
lich zu fördern.
Lachmann hat (bd. 3, s. 375 anm.) den grundsatz aufgestellt, dass, wo es gilt.
Lessing als den Verfasser eines anonymen Schriftwerkes zu er- eisen, man •nur ab-
lehrten, nicht aber bloss auf gefühl beruhenden gründen nachgeben dürfe", und hat
es gelegentlich (bd. 5, s. 78 anm. a. e.) als 'verwegen' bezeichnet, zwei dergleichen
stücke für echt zu erklären 'bei denen man wol an Lessing denken könnte'. So
richtig dies an sich ist, so wenig wird man verkennen können, dass bei problemen
dieser art ein gewisses recht auch anderen gründen wird eingeräumt werden müssen,
als bloss 'gelehrten', worunter doch wol bestimmte, von gefühl und deutung unab-
hängige und selbständige Zeugnisse zu verstehen sein werden, und dass es gegebenen
falles erlaubt sein kann, ein anonymes stink recht gut als echt Lessingiseli anzu-
sprechen, weil sein 'stil oder inhalt geradezu auf Lessing zu deuten scheint' (Muncker,
bd. 4, vorrede s. VT1). Dass freilich Muncker. wie auch vor ihm insbesondre Redlich,
256 sen-
il) letzteren gesichtspunkte allzu vertrauensvoll gefolgt ist. sucht Consentius nach-
zuweisen, indem er darlegt, dass man vielfach zn unrechl aus dem Btoff und inbalt
oines recensierten buches Bowie auofa aus etwaigen persönlichen beziehnng
Verfassers zu Leasing geglaubt hat, aufdiesen als den recensenten sohlii ollen,
während auf grund derselben anzeiohen man mit weit grösserer wahrscheinlichkeil
vielmehr auf andere gleieh zeitige autoren. wie /.. b. Mylius u. a. zu raten berechtigt
ist. Bei dieser kritischen musterung wird Consentins Sehr erfolgreich dadurch unter-
stützt, dass er getan hat, was seither noch viel zu wenig geschehen ist und worin
mau Beinern beispiele in zukunft folgen möge: er hat sich eine ausgebreitete und
gründliche Vertrautheit mit den erscheinungen des damaligen büchermarktes, ins-
besondere den Zeitschriften sowie mit ihren zahlreichen, grossenteils wenig bekannten
mitarbeiten! erworben, und damit der Untersuchung eine gesicherte basis gegeben.
Wo die argumentation darauf hinauskommt, die möglichkeiten, so viel als erreichbar,
vollständig zu sammeln um sie dann gegeneinander abzuwägen und den Wahrschein-
lichkeitsbeweis zu führen, ist eine solche methodisch angestellte erweiterung des
materials noch von besonderem werte1, und zu wie guten resultaten sie führen kann,
ist z. b. aus s. 42 zu ersehen, wo der verf. auf grund derselben nachweist, wie wenig
die Zuversicht berechtigt ist, mit der Muncker auf grund des gesichtspunktes der
'sitte der zeit' (bd. 5, s. VII) eine ansehnliche anzahl anonymer recensionen aus deu
jähren 1751 — 54 als Lessingisch in seine ausgäbe aufgenommen hat. Überhaupt wird
ein gutes teil der, seit Lachmann, von Mohnike, Danzel, Maltzahn, Redlich, B. A.
Wagner und Muncker als in Lessiugs frühzeit gehörig angesehenen und in die aus-
gaben übernommenen aufsätze, wenn nicht völlig beseitigt, so doch nur mit grossen
bedenken betrachtet werden müssen, und jedesfalls wird man dem verf. beistimmen,
wenn er es als unstatthaft bezeichnet, aus einzelnen Jahrgängen gewisser Zeitungen
alle diejenigen recensionen als echt zu behandeln, deren form und inhalt nicht 'geradezu'
gegen Lessings autorschaft (s. 42) zu sprechen scheint.
Die methodisch geführten quellenuntersuchungen des verf. liefern auch für das
sprachliche und stilistische moment wertvolle ergebnisse. Freilich wird man gerade
für die echtheitsfrage keine grosse beihilfe hiervon erwarten, wenn man bedenkt,
dass es sich um aufsätze aus der periode vom herbst 1746 bis etwa zum jähre 1754
handelt, welche Lessings studentenjahre und litterarische lehrzeit umfasst und mit
seinem 25. lebenswahre abschliesst. Unmöglich kann vorausgesetzt werden, dass schon
in so frühen jähren sein Sprachgebrauch und seine stilistische technik hinreichend
durchgebildet und individuell gefestigt gewesen sein sollten, um ein wenigstens einiger-
massen zuverlässiges kiiterium für oder wider gewähren zu können. Eine musterang
von Wortschatz und Sprachgebrauch wird aus diesem gründe nur geringen ertrag
bringen können, etwa etliche sächsische und lausitzische idiotismen abgerechnet, welche
aber widerum ziemlich leicht wiegen, weil gerade die in frage kommenden Zeitungen
ausser Mylius und Lessing noch zahlreiche andere kursächsische mitarbeiter zählten.
Am ersten wird von einer sorgfältig aber ohne pedanterie angestellten Untersuchung
der stilistischen momente ertrag zu erwarten sein. Denn schon das im jähre 1754
von dem kaum 25 jährigen L. geschriebene jugendlich übermütige Vaderuecum zeigt
einen so stark individuell und scharf ausgeprägten stil, der sogar gelegentlich an
1) In derselben richtung der Untersuchungen des herm Verfassers liegt auch
sein aufsatz: 'Lessing und Naumann, mit benutzung von ungedruckten briefen' in der
Sonntagsbeilage nr. 14 zur Vossischen zeitung nr. 159 vom 6. april 1902, der für diesen
wenig bekannten freund Lessings zahlreiche und interessante mitteilungen gibt.
iJBEB CONSENTIUS, LESSING 257
manier streift, dass der versuch nahe liegt, ihn in seinen entwickelungsstufen nach
rückwärts zu verfolgen und so doch die eine und andere stilistische eigentünilichkeit
aufzuspüren, die man berechtigt ist, bereits für die vor dem Vademecum liegenden
jähre als specifisch Lessingisch anzusprechen.
Wenn man aber schon hierbei sich hüten muss, gewisse stilistische eigen-
heiten als Lessingisch anzusehen, die bei ausgebreiteterer kenntnis der damaligen
deutschen prosa sich vielmehr als öfters hervortretende lokal- oder zeiteigentümlich-
keiten erweisen, so liegt diese gefahr noch ungleich näher bei der aufgäbe, Lessings
Wortschatz und Sprachgebrauch im ganzen oder auch nur für einzelne seiner
entwickelungsstufen zu erforschen. Wer nicht, wie der verf. augenscheinlich getan,
sich eine umfassende bekanntschaft mit der damaligen litterarischen produktiou, ins-
besondere mit den zahlreichen Zeitschriften erworben, sondern das deutsch jener zeit
vorwiegend eben nur aus Lessing kennen gelernt hat, wird öfters verleitet werden,
gewisse oft und merklich ins äuge fallende, von dem späteren Schriftdeutsch abweichende
ausdrücke und sprachformen als charakteristisch für Lessing anzusehen, die doch die
ganze Sprachperiode der er angehört und seine Zeitgenossen mit ihm gemein hatten.
Der verf. hat hierüber mehrfach sehr sachkundig und überzeugend gehandelt, so
(s. 10. 27. 82. 90) besonders über den allen Lessinglesern sicherlich wolbekannteu
gebrauch, das hilfszeitwort nach dem participium passivi wegzulassen, wie z. b.: 'ich
betaure, dass ich das gewünschte noch nicht absenden können'. Selbst wenn das
hilfszeitwort im conjunctiv steht, lässt es L. gelegentlich weg, wie in der Hamburger
dratnaturgie 1, 17. stück (Lachmann, bd. 7, s. 77): 'Nun wäre weiter an die heyrath
nicht zu denken, wenn nicht Lisander selbst sich nur durch Unfälle zu dem bürgerlichen
stände herablassen müssen'. Das ist freilich sprachlich sehr hart, und ich kann dafür
nur diese eine stelle beibringen, zweifle aber nicht daran, dass sich ihrer noch mehrere
finden mögen. Und unzweifelhaft ist, dass die erstgenannte construction sich zwar
bei Lessing überaus häufig findet, aber als für ihn charakteristisch keineswegs gelten
kann, da sich beiden meisten prosaisteu dieser epoche nicht minder zahlreiche belege
für sie nachweisen lassen.
Auf s. 70 — 82 nimmt der verf. gelegenheit, sich gegen eine recension von
Franz Muncker über die von ihm im jähre 1899 veröffentlichte Schrift: 'Freygeister,
naturalisten, atheisten, ein aufsatz Lessings im AVahrsager' zu verteidigen: wie mir
scheint, in manchen einzelnen punkten mit gutem erfolg. Doch muss ich allerdings
hinzufügen, dass ich bezüglich der hauptsache nicht überzeugt worden bin, und gegen-
über der Vermutung, dass das sechste stück des Mylius'schen "Wahrsagers vom 6. febr.
1749 nicht von dem herausgeber, sondern von dem damals eben zwanzig jähre alt
gewordenen Lessing verfassl wurden sei, meine im 32. bände dieser Zeitschrift
ausgesprochenen bedenken aufrecht erhalte. Zu dem damals a. a. o. s. 528 gesi
füge ich ergänzend hinzu, dass mir noch immer inhalt und ausdrucksweiv jenes auf-
satzes durchaus nicht Lessingisch erscheinen wollen und dass ich vornehmlich den
ton auf den die polemik gestimmt ist, beträchtlich tieferstehend Und.' als man es bei
Lessing gewöhnt ist. Aus dem kleinen, von Conseutius in seiner obengenannten schritt
vom jähre 1899 wider abgedruckten Wahrsageraufsatze hebe ich folgende stellen her-
vor: '. . . sie sind vogelfreye leute, welche ein jeder gelehrte arme sünder anschnauzen,
und wenn es ihm beliebt, gar über den hauten schiessen darf (s. 10); \ . .wenn man
sie nach allen prädicamenten methodisch durchschimpfl \ . . dieses thun alle
diejenigen, welche alsbald mit freygeistern um sich herumwerfen, so bald jemand
nicht, mit bangendem köpfe und gefaltenen bänden, zu allem säet: [oh gläUD(
Zeitschrift: p. deutsche Philologie, hu. xxxv. 17
258 -' ttöNi i'iih' i -i vi.
(s. 15); wo das alte Lutheracbe umgelautet« glauben (glauben! absichtlich verspottend
gewählt ist. Vielleicht ist in der von Moritz Bi Lhrten stelle ans Geliert (2
'glaub an seinen aamen die alte iprachform ebenfalls mit absichl Ferner
\ . . wider welche bo viele theologische invaliden und philosophi i mit
privilogirten Schimpfwörtern zu felde ziehen (s. L5); •■ . , so bald als oiohl Lehrer,
sondern Strafprediger über sie kommen, deren votum geflucht an
schimpft wird' is. L6); '. . . durch gesetzpredigten werden diese leute in ewigkeit Dicht
innen, und wenn auch ein angeflügeltoi bolzschreyer mit Beinern geschrey die
stärksten mauern erschüttern Bollte1 (s. 18); das wort bolzschreyer (corpus glandai
bäher) bezeichnet der verf. (s. 80) als einen metaphorischen ausdruck. Gewiss ist er
das hier, aber das darauffolgende -geschre} zeigt deutlich genug, weshalb er gewählt
ist, und dass. wie bekanntlich bei vielen der tieiwelt entlelinten vergleichen, es dabei
weniger auf die bildlichkeit, als auf die bosheit hinauskommt. Das wort Bcheint nicht
weitverbreitet, und in die Schriftsprache Dicht aufgenommen zu sein: jedesfalls kann
seine anwendung bei dem 20jährigen 'jungen gelehrten' Lessing einigermassen über-
raschen, wogegen es in der feder etwa des bereits 27jährigen weltgewandten viel-
erfahrenen und hervorragend naturkundigen Mylius sehr natürlich erscheinen könnte.
Einige weitere einzelheiten wie 'die elendesten gelehrten trossbuben' (s. 19) und ähn-
liches lasse ich bei seite und verweise nur noch auf die den schluss bildende scene,
wo der gottesleugnerische freigeist 'auf dem flügel eine polonnoise spielt', während
St. Simplex ihm mit theologischen vorwürfen gröblich zusetzt, bis der vernunftgläubige
Euphronymus dazwischen tritt und den atheisten durch gründe seines irrtums über-
führt, eine sceue, für die ich weder in inhalt noch darstellungsweise irgend eine analogie,
ebensowenig im jugendlich -unreifen als im späteren gereiften Lessing zu finden wüsste.
Die hier mitgeteilten stellen weichen m. e. von der denkart und ausdrucksweise
merklich ab, die in den als zweifellos echt beglaubigten Jugendarbeiten Lessings zu
erkennen ist. Die vom verf. aufgestellte Vermutung strikt zu widerlegen vermögen
diese abweichungen freilich nicht, aber wenn sie auch dazu nicht beweiskräftig genug
sind, so tragen sie doch dazu bei, die anderweitigen bedenken zu verstärken, welche
gegen den vom verf. versuchten Wahrscheinlichkeitsbeweis vorgebracht worden sind.
Dagegen stimme ich dem verf. in den bemerkuugen völlig zu, die er (s. 79)
über gebrauch und bedeutung des um die mitte des 18. Jahrhunderts vielfach und in
verschiedenem sinne angewandten Wortes 'naturalist' gemacht hat und zu denen ich
noch zwei gelegentlich gefundene stellen beibringen kann. Joh. Jacob ßeiske schreibt
in seiner ende 1770 verfassten lebensbeschreibung (s. 8): 'Ich konnte zu ganzen stunden
aus dem herzen beten. . . . Allein die hitze verrauchte bald; ich kam in die weit, kurz,
ich ward nicht viel besser, als ein naturalist'. — Und in einem von "Welcker in
G. Zoega's Leben bd. 1, s 43fgg. abgedruckten (zu Leipzig im jähre 1777 verfassten)
aufsatze schreibt Zoega (s. 49): 'dennoch sind diess die herrn, die ganze Schiffs-
ladungen von religionsverteidigungen schreiben, die wider uaturalisten, deisten und
wie die ganze schwarze reihe lautet, declamiren'. Und derselbe Zoega (Welcker
s. 231) schreibt am 6. septbr. 1779 über Lessings Nathan an einen freund: 'Dass ich
ihn schon gelesen habe, kannst du leicht denken, auch dass er mir wenig gefallen
hat. Ich bin nun einmal ein feind von der art philosophie: gutes kann sie nimmer-
mehr stiften und böses sehr viel. Was mag doch w-ol herrn Lessing bewegen als
prophet des naturalismus aufzutreten ! V
Möge der verf. bald weitere ergebnisse seiner Lessingstudien folgen lassen!
KIEL. A. SCHÖNE.
II tSHAGEN CBEB FRIEDRICH D. GR. KP. &EIGEH ÜMD JÜSTTJS MÖSEK BD. SCHÜDDEKOPF 259
De la litte rature allem an de (1780) vou Friedlich dem grossen. 2. vermehrte
aufläge nebst Chr. W. v. Dohms deutscher Übersetzung, hrg. von L. Geiger.
(Deutsche litteraturdenkmale des 18. und 19. Jahrhunderts, nr. 16, hrg. von Sauer.)
Berlin, Behr 1902. LX, 84 s. 1,50 m.
Justus Moser, Über die deutsche spräche und litteratur (1781), hrg. von
C. Schiiddekopf. Ebenda nr. 122. XXVII, 31 s. 0,80 m.
Vorliegende neuerscheinungen führen auf ein litterarhistorisches problem zurück,
dessen Wichtigkeit es verlangt, etwas länger dabei zu verweilen. Im folgenden soll
über die beiden ausgaben zunächst referiert und sodann über die schritt des königs
und einiger seiner gegner zusammenhängend gehandelt werden. Denn der offenen
fragen gibt es auch jetzt noch viele1.
Die 1. aufläge von Geigers ausgäbe ist 1883 erschienen. Die 2. aufläge ver-
zeichnet s. III fg. die seitdem herausgekommene litteratur und verwertet ihre Haupt-
ergebnisse. Zur ergänzung sei noch hingewiesen auf Mentz, F. d. g. und die deutsche
spräche (Zeitschr. für deutsche Wortforschung I, 1900) und auf Krauskes referat
über mehrere der neueren schritten (Hist. zeitschr., n. f., bd. 21). Einige ergänzungen
der neuen aufläge seien angeführt: Vfg. : F. d. g. und Klopstock, Gessner, Lessing,
S. G. Lange, Denis. IX fg. : Neuere Ayrenhoff litteratur. XIV: Beiträge zur erklärung
der schrift. XXXIV fgg. : Gegenschriften von Tralles, Rehberg, Gornperz, Rauquil-
Lieutaud. LH fgg. : Über Dohm2. Bei der analyse der Wezelscheu gegenschrift fehlt
ein hinweis auf die bedeutung der langue fixee (s. 1871, 184 II). Gs. referat
(s. XXXII) ist hier ungenau. In dem neudruck der schrift des königs ist leider die
Seitenführung der ersten aufläge verlassen worden. Zur kritik des ganzen ist auf die
folgenden darlegungen zu verweisen.
Scbüddekopf schickt seiner ausgäbe eine inhaltreiche Vorbemerkung voraus,
welche zuerst die gegensch ritten im allgemeinen (s. V — IX) behandelt und Geigers
U'merkuugen mehrfach ergänzt. Zu Moser übergehend, veröffentlicht Seh. wertvolles
neues material (s. IXfgg.):i. Die litteratur über Moser, von der Seh. nichts sagt,
ist gerade für das litterarhistorische gebiet sehr unergiebig. Eine schöne gesamt-
würdigung jetzt bei Dilthey, Das 18. jahrh. und die geschichtlichi' weit (Deutsche
rundschau, aug. sept. 1901). S. XV — XVII folgen erkläruugen einzelner stellen der
schritt, die freilich manche frage unbeantwortet lassen. Von einer analyse wird leider
abgesehen. S. XVIII — XXIII bieten ausführliche Zusammenstellungen über die be-
urteilung der schrift bei den Zeitgenossen. Die textgeschichte (s. XXIII — XXVI)
ergibt das resultat, dass M. in dem zuerst iu einer beilage der Osnabrückischeu intel-
ligenz- blätter 1781 erschienenen aufsatz für die buchform (ib.) einige änderungen an-
gebracht hat. Diese letztere ist von Seh. mit recht seinem neudruck zagrunde gelegi
worden. Die 'Nachschrift über die nationalerziehung der alten Deutschen' (s. 25 — 31)
weicht erheblich von der aus Abeken IV bekannten form ab4.
1) Es sei mir gestattet, herrn professor Koste r in Leipzig für die liebens-
würdige förderang dieser arbeit herzlichst zu danken. ■»
2) Auf andere ergänzungen wird im folgenden aufmerksam gemachl werden.
3) S. IX1 wird auf eine bevorstehende neuausgabe des ganzen Moser hin-
gewiesen.
4) Sie bleibt ausser betracht, da sie ohne genaueres eingehen auf Als. historische
Verdienste nicht gewürdigt werden kann.
17'
_•<;<)
Mi ii
Beide ausgaben Eördern die erkenntnis der Bohrift des königs and Mosers in
manchem wichtigen punkte, [mmerhin verlohnt >■• sich, auch jetzt noch genauer auf
jenen litterarischen streif einzugehen.
Goethes berühmtes urteil über Friedrich den grossen in Dichtung and wahrheil
ill 7) bezieh! sich mehr auf die Wirkungen, die Friedrich < l»*i- grosse absichtslos auf
die deutsche litteratur ausübte, weniger auf die Stellung, die er bewusst zu ihr ein-
nahm. I in ilicsr zu erkennen, wird man do<-b immer wider zu der kleinen Schrift
des jabres 1780 aber die deutsohe litteratur greifen. Sie ermöglich! zugleich ein
besseres Verständnis der litterarischen parteien der zeit überhaupt Denn zahlri
gegenschriften sind durch die Schrift des königs hervorgerufen worden. Keine
diesen aal gewandter und mutvoller zugleich die sache der vom könig am härtesten
verurteilten richtung vertreten, als die Justus Mosers.
Der titel der schrift lautet: De la Litterature allemande; des defauts qu'on peut
lui reprocher; (juelles en sont les causes; et par quels moyens on peut les corriger.
Der äusseren form nach ist sie ein brief , dessen entstehungsgeschichte vom adressaten
selber, dem grafen Hertzberg, erzählt wird1. Jm jähre 1779. bei einem aufenthalte
in Breslau, hat der könig mit seinem minister lebhaft über die übersetzbarkeit des
Tacitus verhandelt. Nach ansieht des königs kann er von den Deutsehen nicht ebenso
prägnant übersetzt werden , wie von den Franzosen (39). Doch belehrt ihn Ilertzberg
durch zwei übersetzungsversuche eines besseren (40 — 48). Auch sonst hat nach Hertz-
bergs zeugnis (44) der könig bei dieser gelegenheit litterarische themata in gesprochen
behandelt'-. In der folge, d. h. im nov. 1780 (45) geht er dann selber daran, eine
besondere schrift über ähnliche fragen auszuarbeiten; Hertzberg wird dabei zu rate
gezogen; er findet aber die kritik, die der könig an der deutschen spräche übt, zu
streng (45). Was Hertzberg über seine mitarbeit in der offiziellen 'Histoire' mitteilt,
erhält nähere beleuchtung in zwei privateren äusserungen. Nach der einen3 hat er
den könig noch besonders auf die berühmten männer hingewiesen, 'die jetzt unserm
vaterlande ehre machen'. Nach der andern (an Moser bei Abeken X, 247) hat er
versucht, dem könig 'einen bessern begriff von der deutschen spräche und litteratur
und auch selbst von seiner nation beizubringen.' Das ist alles, was wir über diese
Verhandlungen erfahren. Am 10. nov. bereits (50) ist die vollendete schrift in den
händen des ministers. Was dieser zwei tage später (50 — 52) au abänderungsvorschlägen
noch beibringt, betrifft nebensächliches. In der hauptsache ist er jetzt einverstanden
(52). Der könig aber erklärt seine schrift schliesslich (53) für ganz massvoll und
behauptet, er habe die Deutschen darin nur mit rosenruten gestrichen; es ist ein bild,
das dem könig als besonders treffend erschienen sein muss; denn er verwendet es in
bezug auf die schrift einige monate später d'Alembert gegenüber (Oeuv. 25, 172). Als
Hertzberg trotz dieser Selbstcharakteristik mit Verbesserungen kommt (14. nov.: 53 fg.),
muss er vom könige eine kurze ablehnende bemerkuug einstecken4. Und dann beginnt
1) Histoire de la dissertation sur la litterature allemande in den Dissertationen
Hertzbergs, Berlin 1787, s. 39 — 58.
2) Wobei er bereits einen wichtigen grundgedanken der schrift, die notwendig-
keit der beförderung der klassischen Studien (45) ausgesprochen hat. Er unterhält
sich mit Garve und Arletius.
3) Bei Meister, Fs. d. g. woltätige rücksicht auch auf Verbesserung teutscher
spräche und litteratur, Zürich 1787.
4) Des königs ■ vorstellungsart ' ist nach Goethe 'eigensinnig, voreingenommen,
unrectificirlich ' (bei Suphan, Fs. d. g. schrift über die deutsche litteratur, Berlin
1888, s. 28).
ÜBER FRIEDET II D. GR. ED. GEIGER OND JUSTUS MOSER ED. SCHDDDEKOPF 261
der druck. Das ganze liegt ende nov. vollendet vor. Die recension der Spener'schen
zeitung (bei Geiger XXH — XXV) trägt das datum des 2. dez.1
Alles dies aber ist nur die äussere entstehungsgeschichte der schritt. Für das
Verständnis der schritt besagt sie sehr wenig. Da ist es viel wichtiger, zu wissen,
dass die schritt nicht nur die ansichten des alten königs von 1780 widergibt. Sondern
sie ist gewissermassen zu einem grossen repositorium geworden für all die gedanken,
die der könig sich seit den traben tagen seiner jugend über die deutsche litteratur
zurechtgelegt hatte. Keineswegs nur in den Breslauer gesprächen liegt der keim der
schritt'2; vielmehr würde es nicht schwer sein, jeden wichtigeren gedanken der
schritt von den 30er jähren ab aus den werken des königs oder aus aufzeichnungeu
über seine gespräche zu belegen3. Alle allgemeineren gedanken sind in der tat weit
älteren datums4. Das gilt ebenso sehr von den gründen, die nach Fs. meinung den
litterarischen tiefstand herbeigeführt haben (besonders der krieg5), wie von den reform-
vorschlägen. die der könig ausspricht:
1. Dass die l klassischen' schriftsteiler studiert werden sollen; 1757: Gottscheds
bericht über ein gespräch mit F. bei Krause, F. d. g. und die deutsche poesie,
Halle 1884. s. 91 u. ö. — 1775: Oeuv. 23, 350.
2. Dass man den einfluss der Schriftsteller auf die spräche überhaupt anerkenne:
1775 ib. — 1781 ib. 25, 172.
3. Dass ein mächtiges mäcenatentum die litteratur befördere B.
Und selbst der ton des königlichen urteüs über die deutsche litteratur, der fast
als ausfluss augenblicklicher Stimmung erscheinen möchte, ist ganz alt. Schon früher,
wenn er über die deutsche litteratur zu gericht sitzt, weiss F. sein urteil durch allerlei
lobeserhebungen zu mildern7. Auch der schluss: der prophetische ausblick in die
zukunft, die trüben gedanken, die dem könige kommen, da er das gelobte land sieht,
ohne dass er's betreten kann: all dies ist ähnlich schon sechs jähre früher in brieten
an Voltaire8 ausgesprochen:
Oeuv. 23, 337: Je ne verrai pas ces beaux jours de ma patrie, mais j'en prevois
la possibilite.
ib. 350: Pour moi, dont la carriere tend ä sa fin, je ne verrai pas ces
heureux temps.
39, 6: Ces beaux jours... ne sont pas encore venus; mais ils s' approchent...
je ne les verrai pas, mon äge m'en interdit l'esperauce.
1) Geiger2 XVIII — XXI handelt jetzt ausführlich über die der ausgäbe der
schritt sofort folgende correspondeuz des königs mit d'Alembert und M. Grimm, desgl.
s. XXXVIII — XLIV über die recensionen, gibt ferner s. XLIX — LII eine besprechung
der Dohmschen Übersetzung.
2) So Geiger2 XVI. Anders mit recht schon Moser IX, 156.
3) Darauf deutet F. selber hin: 15, 5.
■1) Ich habe mich auf die in der litteratur citierten stellen beschränken müssen.
Die bisherigen schritten haben aus dem im text gegebenen Sachverhalt die resultate
für die beurteilung nicht energisch genng verwertet.
5) 17:J»7: Oeuv. 21; 7S, speciell der 30jährige krieg: 1775 ib. 23,350.
6) Diesen gedanken spricht (iottsched a. a. 0 in dem gespräch zuerst aus.
7) 1737: Oeuv. 21,78: Le sol qui a produit un Leibniz peirl produire d'autres.
Vgl. 34, ] : Le sol qui a produit Des Vignes etc. Leilmiz wird 34, 25 erwähnt Ferner
1774 Unterredung mit. Swieten bei Arneth: Maria Theresia VUI, 62J und 1775:
I >cuv. 23, 337.
8) In denselben brieten finden sich schon teilstucke der disposition unsror schritt:
Oeuv. 23, 337.
262 KABHAGRK
Noch bemerkenswerter isi es. dassnicbl nur diese allgemeineren gedanken an
älterer /.''it. stammen, Bondern auob ganz bestimmte arteile über einzelne fehler der
spräche, einzelne ■■ ölker oder i chriften '.
Das datum der sohrift ist mithin dnrohans irreführend. Der könig
hat — von den paar Breslauer gesprächet] abgesehen — gar keine neuen erfahrungen
in leiner ächrifi niedergelegt, viel weniger noch besondere Studien abei win thema
gemacht. Es sind alte lieblingsgedanken, die er uns vorträgt.
Auch auf die disposition der Bchrifl haben ältere gedanken gewirkt (s. s. 261,
anm. 8). Vielleicht erklärt sich daraus ihre mangelhafte durchführung 2. Der titel
zwar Iiisst ein scharf gegliedertes ganzes vermuten. Zuerst Bollen die fehler auf-
gezählt, dann die gründe für sie angegeben, endlich besserungsvors<hläge ge-
bracht werden. Aber diese klare disposition existiert nur auf dem titel. Denn schon
auf den ersten Seiten (10,7) beginnen die besserungsvorschläge. Und noch ganz am
schluss (36, 17) kann der könig den kritischen eifer nicht unterdrücken. Auch die in
der einleitung (3, 15) aufgestellte disposition gerät auf die dauer ins schwanken. Der
könig gibt an, er wolle seine gedanken über alte und neue litteratur nach drei kate-
gorien darstellen; er unterscheidet so: 1. Langues. 2. Connoissances. 3. Goüt. Aber
gleich über die Sprachenfrage wird nicht zusammenhängend gehandelt". Zwischen
sprachliche bemerkungen werden solche, die das zweite gebiet betreffen , eingeschaltet.
In manchen partieen wird man beitrage zu der einen und zu der andern frage finden
(so 19, 36 fgg.). Vollends unbeachtet bleibt die trennung des dritten teils von den
heiden ersten. Nicht einmal die bemerkungen über das theater stehen zusammen
/gi 33 — 7, iß. 23, 2 — 34), und der könig scheint sich selbst der unübersichtlichen
anläge seiner arbeit bewusst geworden zu sein (8,37. ll,23fgg. 27,30)'.
Für eine inhaltliche ausschöpfung der schritt darf man aus alledem wol die
berechtigung entnehmen , vorher die disposition zu zerschlagen und die gleichartigen
gedanken aus den verschiedenen teilen (mit berücksichtigung der älteren parallelen)
zusammen zu stellen. Doch sei dieser inhaltlichen besprechung eine summarische
darstellung des gedankengangs des königs der Orientierung halber vorausgeschickt.
F. beginnt die eigentlichen ausführungen (3, 18) in dem tone, als wollte er eine
grosszügige vergleichende litteraturgeschichte geben. Er beschränkt sich jedoch auf
die griechische und römische litteratur und entnimmt ihrer entwickelung einige lehren,
die ihn auch bei der beurteilung der neueren litteratur leiten sollen:
1. Sprachliche und litterarische blute stehen in beständiger Wechselwirkung:
3, 20 fgg. 4, 11 fg.
2. Beide brauchen zu ihrem gedeihen den frieden"' und längere zeit (4, 23fgg.).
So fest geschlossen diese grundsätzlichen Vorbemerkungen auftreten, so zer-
rissen wird alsbald die ausführung, d. h. die anwendung dieser allgemeinen lehren
1) Der genauere nachweis folgt unten.
2) Man muss besonders beachten, dass es ein brief ist, worauf Köster auf-
merksam macht.
3)3,18 — 5,37. 10,7 — 25. 15,10-15. 17 — 17,27. 17,28 — 19,35.
36,12 — 37,21. 37,32 — 38,27.
4) Dasselbe beweist eine kleinere disposition, die einmal im voraus angegeben
wird: 15, 15 — 17. Und wenn F. etwa in der mitte, 19,36, meint, er gehe jetzt von
den sprachen- zum eruditionscapitel (connoissance wird am besten mit erudition wider-
gegeben), so ist das deshalb nicht richtig, weil er schon früher (10, 25) mitten zwischen
sprachlichen ausführungen über die erudition gehandelt hat.
5)3,26-4,9. 4,17—19. Vgl. 35. 18 — 36. 12.
DBKR KKTKDTVli H D. GR. ED. GEIGER UND JtTSTÜS MOSER KD. SCHÜDDEKOPF 263
auf die beurteilung der litterariscben läge Deutschlands. Kaum sind in aller eile die
mängel der spräche (4, 30 — 5, 37; ausnahmen 5, 37 — 6, 32) festgestellt, da wird schon
wider eine vergleichende geschichtsbetrachtung zur erkenntnis des litterarischen tat-
bestandes zu hilfe gerufen, wobei es für den Verfasser bezeichnend ist, dass an die
stelle der vergleichenden litteraturgeschichte unmerklich die vergleichende politische
und kulturgeschichte tritt (7, 12 — 8, 36). Der vergleich ergibt für Deutschland ein
ungünstiges resultat.
Alle guten keime, die etwa doch noch vorhanden sind (8,37 — 10,6)', können
sich nach ansieht des Verfassers nur dann erspriesslich entwickeln, wenn die sprach -
(10,7 — 25 vgl. 15,10 — 15) und eruditionsreform'2 einsetzt. Dann beginnt der
kreislauf von neuem, und es folgt der dritte überblick über die sprach- und litteratur-
geschichte der nachbarvölker3, der schliesslich nichts weiter beweist, als die these
der grundsätzlichen Vorbemerkungen: dass spräche und litteratur in ständiger Wechsel-
wirkung sich befinden. Dieser gedanke bleibt auch bei den folgenden bemerkungen,
die zu den deutschen Verhältnissen zurückkehren, wenigstens in sieht. Daneben wird
jetzt das Studium der klassiker warm befürwortet (17,28 — 19, 35 vgl. 10, 28 — 11, 13).
Und das angeschlossene eruditionscapitel ist gleichfalls von diesem gedankeu beherrscht
(19, 36 — 23, 2. 23, 35 — 32, 28 bes. 32, 29 — 33, 27). Mitten zwischen den mannig-
faltigen reformvorschlägen für die bildung der zeit treffen wir auf einen heftigen
angriff gegen das drama des Sturmes und dranges (23,2 — 34). Als nebensache soll
man ihn ansehn. Und doch ist er im gründe der prüfstein für die ganze Stellung Fs.
zur deutschen litteratur.
Die schlusspartieen wechseln das thema noch häufiger. Zuerst eine gedrängte,
'tröstende' Übersicht über die bisherigen heroen der deutschen geistesgeschichte (33, 28
bis 34, 32). Darauf ganz unvermittelt eine Widerlegung der einwände, die etwa gegen
das dreimal widerholte vergleichend -historische raisonnement erhoben werden könnten
(34,33 — 36,12), endlich eine empfehlung der deutschen spräche als litteratur- und
hofsprache (36,12 — 37,21. 37,33 — 38,27) nebst einigen hoffnungsvollen ausblicken
in die Zukunft (37,21 — 32. 38,28 — 39,15).
Will man der Schrift inhaltlich mächtig werden, so wird man diesem vielfach
gewundenen und sich widerholenden gedankengange nicht folgen, sondern lieber nach
den von der einleitungsdisposition (3, 15) aufgestellten gesichtspunkten den stoff grup-
pieren. Sie stimmt mit dem wirklichen inhalte weit besser zusammen, als die titel-
disposition, die doch nur unvollkommen küber inhalt und gang der darstellung orientiert'
(anders Suphan, s. 8).
Der könig hat in der einleitung idees sur la Litterature ancienne et moderne
in aussieht gestellt. Tatsächlich hat er in der ausfuhrung diese fremden litteraturen
überhaupt viel eingehender behandelt, als die deutsche. Er ist ja, wofür os kaum
eines beweises bedarf4, in der fremden litteratur. 1»'<. der französischen, viel besser
1) Der könig liebt es, solche erfreulieben ausnahmen anzuführen: 6. 1 — 32.
12,5 — 8. 33,28 — 34,32 (vgj. 11.16 — 23). 37,15 — 32. 38,37 — 39,15. 33.35: il ne
taut qu'un Prometbee rjui derobe du feil Celeste peur les animer.
2) 10, 25 — 15,9.
3) 15, 15 — 17, 27.
4) Nur einige Zeugnisse:
1732: ce prince ce '-111111111) pas les illemands: Mille bei Koser, Kronprinz1, b. 267
1750: Voltaire: L'Allemand est pour les soldats et pour les chevaux bei Jaooby,
F. d. g. und die deut80he litteratur. Baseler vortrau' 1875, B. 9.
1757: ich habe von Jugend auf kein deutsebes buoh gelosen bei Krause s. s'.(. über
2(14 "AMI
zu hause, als in der eignen. R isi ganz selbsl h, dass er aus der be-
ixrteilung der fremden die regeln für die deutsche entnimmt1.
An der Fremden litteratur entwickeil er seine ansichten über allgemeine sprach -
and litterarhistoriscbe 'gesetze'. Er hat sich dafür ein bestimmtes sehema gebildet
Znerst Dämliob herrscht in jedem lande eine barbarische Sprachmischung*. Mehr oder
weniger anmotiviert tritt nach ablaui einer anbestimmten zeit ein 'genie' auf. da
spräche reformiert and dadurch auch litterarische blute zeitigt (15,24. 16,3). Nur für
ml weiss der könig keinen solchen namen zu nennen. Das englische ist ihm '
überhaupt zuwider4, sosehr, dass er das ungeheuerliche urteil wagl die einzige
spräche, die durch Übersetzungen gewinne (17,21). Dies urteil über das englische
erhält noch eine besondere bedeutung, wenn man bedenkt, dass er einst I7.'i7 I >eut ich« ■
und Engländer als nahe verwandt bezeichnet hatte (Oeuv. 21, 78). Oberhaupt Bchweben
ihm, wenn er das deutsche behandelt, stets die ausländischen Verhältnisse vor. BU
in die letzten hoffnungsvolleren Sätze hinein, fühlt er denvergleich mit den nachbarn
fort. Er glaubt der nation kein herrlicheres Zukunftsbild malen zu können, als wenn
er sagt: 'unsre nachbarn werden einst deutsch lernen' (39,2). Die epistolae obscurorum
virorum scheinen ihn besonders wegen ihrer Wirkung auf Rabelais zu interessieren
(34,3 — 5). Und wenn er für die litteratur vor allem den schütz von oben her. vom
throne her verlangt, so hat er auch das aus fremden litteraturen abgeleitet. Alle diese
bald skizzenhaften, bald sorgfältiger ausgeführten bemerkungen über fremde littera-
turen5 sind nun keineswegs als heiwerk aufzufassen. Sondern sie geben dem Verfasser
überall die anleitung nicht nur zur kritik, sondern auch zur auf Stellung der reform-
vorschläge6. Das geht soweit, dass anstandslos die befolgung französischer lautgesetze
von den Deutschen verlangt wird (19,18 — 20 vgl. 17,28 — 32).
Eine reihe stillschweigender Voraussetzungen7 liegen bereits dieser
beurteilung der fremden litteratur und ihres Verhältnisses zur deutschen zu gründe.
Sie haben ihr schon 40 jähre früher zu gründe gelegen.
Dem könige ist es zunächst unmöglich, die litterarische entwickelung unab-
hängig von der politischen zu betrachten. Das folgt besonders aus dem ersten kapitel
Fs. ältere beziehungen zu Gottsched s. Litzmann, Ztschr. für deutsches alter-
tum XXX, 204 — 212.
1762: je ne connais ni ne yeux connaitre [die deutschen bücher] bei Mentz s. 214.
1781: Wieland (bei Suphan s. 77): 'Seit vielen jähren waren wir so gut, als gewiss,
dass der erhabene Verfasser niemals an unserer litteratur einigen anteil ge-
nommen habe'. Vgl. Dichtung und Wahrheit II, 7 (Hempel 21,63).
Damit vergleiche man aber auch die selbstcharakteristik an Voltaire, Oeuv.
23,350: un etre tracasse les deux tiers de sa course par des guerres continuelles etc.
1) Schon 1737: Oeuv. 21,78. Vgl. jetzt besonders Dilthey s. 356.
2) 15,17 — 33: Italien. 15,34—16,3: Frankreich. 16,34 — 17,8: England.
15, 35 wird ausdrücklich der damalige französische und der heutige deutsche zustand in
parallele gesetzt. Schon 1775 vergleicht er das Frankreich Franz' I. mit dem zeit-
genössischen Deutschland: Oeuv. 23, 337 fg.
3) Damit stimmt seine ablehnung der Stürmer und dränger sehr gut überein.
4) Ausser den von Mentz 201 angeführten stellen sei auf Hist. de mon temps
verwiesen. Hier schon wird das englische genau wie 17, 26 als sifflement bezeichnet.
(Publikationen aus den preussischen Staatsarchiven IV, 198).
5) Es konnte nur eine auswahl geboten werden.
6) Es heisst schon 4, 10: ee court recensement me peint la marche des choses.
Vgl. 15, 4.
7) Trotz der Versicherung des gegenteüs: 4, 29.
ÜBKR FRIEDRICH D. GR. ED. GEIGEB UND JDSTUS MÖSEB ED. SCHÖDDEKOPF 265
über die litte ratur der antiken völker. Und wie er überzeugt ist, die politischen Ver-
hältnisse bis ins kleinste durch reglementierung von oben beeinflussen zu können , so
hält er in demselben sinne die sprach- und litteraturentwickelung für reglementierbar1.
Deshalb fehlt ihm die fähigkeit allgemeiner historischer betrachtung, insbesondere
historischer betrachtung der spräche. Anachronismen rechnet er beim historiker nur
unter die 'kleinen' fehler (14, 19). Unhistorisch ist auch das wahllose vergleichen
aller möglichen litteraturprodukte, das sich durch die ganze schritt hindurchzieht.
F. sucht 'unsere Homere, unsere Virgile' etc. (5,28). Er fordert eine unbegrenzte
nachahmung der fremden. Er überschätzt von diesem Standpunkt die Übersetzungen.
Mit alledem aber gehört er bereits für die späten 60 er jähre einem überwundenen
geschlechte an. Denn gerade dies unhistorische vergleichen ist es, was Herders Frag-
mente in grund und boden bekämpfen'-.
Noch ehe also der könig ein einziges wort über seine eigne litteratur gesprochen
hat, zeigt er, dass die grossen taten der litteraturkritik, für die Herders Fragmente
den anfang bedeuten, für ihn nicht existieren. Hält man sich diesen prinzipiellen
Standpunkt des königs, wie er aus den abschnitten über die fremde litteratur folgt,
gegenwärtig, so ist seine ansieht über die deutsche spräche und litteratur nicht
weiter auffällig.
Schon in den allgemeinen grundsätzlichen Vorbemerkungen hatte der könig die
hohe bedeutung guter Schriftsteller für die sprachentwickelung dargelegt. Deshalb
spielen nun bei den reformvorschlägen. die F. für die deutsche spräche hat, über-
haupt die schriftsteiler eine grosse rolle (17, 32 — 18, 2 vgl. 10,7 — 13). Und zwar ist
für ihn die Wirksamkeit der poeten noch durchschlagender, als die der prosaisten s.
Schon 1775 hatte er hier von zwei oder drei genies alles erwartet (Oeuv. 23, 350).
Alles nun, was sich im leben der spräche der bewussten Umformung durch die
Schriftsteller widersetzt, ist verwerflich, so besonders die dialektische Verschie-
denheit. Die deutsche spräche zerfällt in ebenso viele dialekte, als Deutschland
provinzen hat. Chaque cercle* se persuade que son Patois est le meilleur (4, 30 — 33.
4,36 — 5,16. 24 — 26). Obwol Fs. eignes deutsch die niederdeutsche färbung nicht
verleugnet (Mentz 221), obwol er sich für die eine oder andre eigenheit seiner sprach-
weise von Adelung den Vorwurf einer 'widerwärtigen eigenheit gemeiner mundart'
1) Das ist der feind den Herder in 'Auch eine philosophie der geschichte' usw.
1774 (z. b. ed. Suphan V, 530) bekämpft.
2) Noch 1789 aber hat der Züricher eloquenzprofessor und freund Heynes:
J. J. Hottinger auf 364 s. eine Mannheimer preisfrage (5. bd. der Mannheimer preis-
schriften) unter dem titel beantwortet: 'Versuch einer vergleichung der deutschen
dichter mit den Griechen und Römern'. Doch ist diese schrift wenigstens über die
neueren dichter, z. b. Wieland und Lessing, sehr ausführlieh. Der Verfasser hat den
Shakespeare sogar dreimal durchgelesen (109) uud 'Göthe' wird doch wenigstens in
der gesellschaft von Weisse und Gerstenberg erwähnt (120), desgl. Schiller (121) 'mit
derjenigen achtung, die ihren talenten gebührt'. Herder wird rühmend oitiert (3371).
Was Blankenburg veranlasst hat, diese schrift unter den gegensch ritten gegen F. d. g.
aufzuführen, ist mir unverständlich.
3) 16,27 — 33. Altere parallelen bei Mentz L96. Dass er die mängel der deut-
schen spräche aus dem allgemeinen 'nationalgeist' ableite, wofür Mfcntz 206 beispiele
bringt, findet sich in unserer schrift nicht. Dagegen läss( sich 'las doppelte infc i
das der könig im allgemeinen an der spräche nimmt (ästhetisches und praktisches:
Mentz 195 fgg.) beobachten.
4) Meister 29 übersetzt fälschlich ' reieliskräis'; es ist doch wo! gesellsohafts-
kreis gemeint?
20fi HABE
zugezogen haben würde (ib. 223 8), urteilt er in den härtesten ausdrucken aber die
dialekte und Idiotismen, ohne sioh daran zu kehren, rade diese dinge, wie
Herder1 rieh ausdrückt, der 'sohuzgöttin der prache heilig sirni '. Auch hierin bleibt
der könig dem treu, was er schon immer gedachl bat. In der ältesten I
Eistoire de mon temps von 1746 (IV, 198 er sieb bereits genan so, behauptet
sogar, dass man räch von einem ende Deutschlands bis zum andern nur durch dol-
metsche]- werde verständigen können2.
Im übrigen erstreckt sich Beine sprachkritü ziemlich gleichmässig auf das
formale gewand und auf die sachliche brauchbarkeit.
Die vielen consonanten sind 8. e. für die äussere form der spräche
grösste unglück (18,33). Über die vielen >■ hatte er schon 1775 Voltaire sein leid
geklagt (Oeuv. 23, 337). Und 1757 machte er in dem gespräche mit Gottsched
fünf consonanten in der mitte von Gottscheds oamen einfach lächerlich.
Dann bekämpft der könig, allerdings nur auf grund eines Zufallsmaterials (19, 26.
L3,27), mit derselben schärfe die schlechten bilder (12,23 — 13,2. 19,20 — 31.
20,26 — 21,14). In dasselbe gebiet gehört sein angriff auf die Vermischung dis-
parater Stilgattungen (12. 14fgg. vgl. 177."): Oeuv. 23,337)*.
Aber das sind nur einzelheiten, die neben dem formellen grundschaden der
deutschen spräche nicht sehr viel bedeuten. Dieser ' grundschaden liegt darin, dass
die spräche überhaupt noch keinen stabilen zustand erreicht hat. dass sie noch nicht
zur langue fixee geworden ist (5, 12 — 22), wie etwa in Italien (15, 30) oder in
Frankreich (16, 20 vgl. 38, 14 und 1737: Oeuv. 21, 79). Mit dieser forderung einer
langue fixce hat sich der könig die möglichkeit einer genetischen betrachtungsweise
abgeschnitten ".
Die sachliche kritik, die F. an der spräche übt, wird meist in Zusammen-
hang mit den eruditionscapiteln gebracht. Hier vermisst er besonders die nötige
klarheit (5, 26 fg. 10,13 — 17. 17 — 25). Hier bekämpft er, wie so oft schon früher
(1737: Oeuv. 21, 78; 1746: Histoire de mon temps IV, 197; 1747: Oeuv. I, 232; 1775:
ib. 23. 337) die Weitschweifigkeit des deutschen (5. 27fg. 10.17—25. 18,4 — 26).
Die r e f o r m v o r s c h 1 ä g e 6, mit denen der könig an die spräche heran-
tritt, zerfallen in stilistische (18,4 — 31. 19,20—31. 20,31—21,14 mithinweis
auf die rhetorik7) und lautliche (18,31 — 19,20).
Für den stil hofft er das meiste von dem vorbild der alten klassiker, be-
sonders von ihrer kraftvollen kürze (18,5 — 26). Unschwer erkennt man an
1) Fragmente I, 2, 6 ed. Suphan I, 162.
2) Sogar der hinweis auf Italien (5, lOfgg.) findet sich schon hier. Gegen die
dialekte schreibt er auch an Voltaire 1775: Oeuv. 23.337.
3) Erst nachträglich habe ich gefunden, dass Mentz s. 207 für dies gespräch
eine ausführlichere relation benutzen kann, als der von mir herangezogene brief Gott-
scheds an Fiottwell (bei Krause).
4) 15, 12 (vgl. 19,31 — 35) wird über die armut an metaphorischen aus-
drücken geklagt.
5) Daher die forderung des recueil muui de la sanetion nationale: 4. 34 vgl.
15,31 — 33 und 1737: Oeuv. 21, 79; 1746: Histoire de mon temps (IV, 198).
6) Er bezeichnet sie 18, 4 als secours intermediaires im gegensatz zu dem
hauptverbesserungsmittel : der belebung des sprachlichen aufschwungs durch die Schrift-
steller.
7) Ähnliche äusserungen Meierotto gegenüber 1783 bei Meister 109.
ÜBER FRIEDRICH D. GR. ED. GEIGER FNT) JUSTTJS MOSER ED. SCHÜDDEKOPF 267
dieser stelle die nachwirkung der Taeitusverhandlungen aus der zeit der entstehungs-
geschichte der Schrift1.
Selbst an das lautliche gebiet wagen sich die besserungsvorschläge des königs
heran. Obwol er das Sprichwort: Caesar non est super grammaticos ganz gut kennt2,
verlangt er doch des 'wolklangs' wegen kurzer hand sagena statt sagen etc. und
empfiehlt die anwendung französischer lautgesetze aufs deutsche. Der erste Vorschlag
ist viel bespöttelt, hat aber vielleicht in etwas zur belebung der altdeutschen Studien
beigetragen3. F. verweist auch noch auf das englische, das zu seinem heile fremdes
spraehgut aufgenommen habe (17,15 — 18). Die schlussempfehluügen der deutschen
spräche, besonders der lebhafte wünsch, dass das deutsche hofsprache werde (37,33
bis 38, 27) 4, zeigen zusammen mit den erwähnten lautlichen besserungsbestrebungen ;
und den bekannten Verdiensten des königs um die hebung des deutschen Unterrichts,
wie lebhaft seine interessen für dies gebiet waren, trotz der immer wieder hervor-
tretenden fremdländerei.
Ob aber die mittel, die F. zur besserung der spräche vorschlägt, 'eine fein-
sinnige kenntnis der bedingungen der sprachentwickelung' verraten, wie Mentz s. 213
anführt, muss bei der offensichtlichen rückständigkeit des königs, namentlich in allen
grundsätzlichen fragen, ganz dahin gestellt bleiben6. Überflüssig wäre es andrerseits,
sich über die Unkenntnis des königs im jähre 1780 zu ereifern. Denn alles wichtige
auch des sprachcapitels ist weit älteren datums. — Wol gibt es schon zu Fs. zeit
eine feinsinnige kenntnis der spräche, vor allem einen historischen Standpunkt bei
der beurteilung, aber gerade im lager der gegner des königs, z. b. in Osnabrück bei
Moser und in Weimar bei Herder7.
Weit höher, als die sprachlichen sind die eruditionscapitel zu werten. In
ihnen, besonders in den tief eindringenden ausführungen über die philosophie oder
in den aufgestellten erziehungsgrundsätzen. die dem neuhumanismus den weg bereiten.
1) Das wort Tot verba, tot pondera führt F. sowol hier (18, 30) an, als in einem
der von Hertzberg veröffentlichten briefe (Hist. 44). F. hebt überhaupt die lateinischen
citate, selbst wenn sie falsch sind (Mentz 199). — Über die forderung guter bildet- usw.
s. oben s. 266).
2) Bei F. rufen ihm die sectateurs zeles du Tudesque dies Sprichwort partout
en beau latin entgegen (19, 7 fgg).
3) Gomperz, einer der recensenten, den ich nur aus Suphan (Zeitschr. 5, 243fgg.)
kenne, ist ganz erfreut, solche «-formen aus dem Freisinger Otfrid belegen zu
können (243 *).
4) Schon von Gottsched in dem gespräch 1757 geäussert: Krause 89.
5) Genaue berücksichtigung der grammatischen regeln wird IS, 22 — 26, 1 ver-
langt. Fs. praxis widerspricht dem augenfällig: Mentz 221 fg.
6) S. 214 führt Mentz eine reihe von zeitgenössischen urteilen an, die sich
ebenfalls abfällig über die deutsche spräche äussern, und sucht dadurch den könig zu
entlasten. Dabei aber kann der hinweis auf den stark französisch gebildeten herzog
Karl August nicht viel beweisen.
7) Mentz hat in dem wertvollsten teile seiner Schrift (217- 225) lehrreiche
Zusammenstellungen über die praktische kenntnis, die F. von der deutschen spräche
hatte, gebracht. Es geht daraus u. a. hervor, «lass selbst Fs. deutsch unter franzö-
sischem cinfluss stand (220). Mentz kommt zu dem Übrigens schon von Moser (IX, 156)
vermuteten resultate, dass V. wesentlich nur 'den märkischen dialekt, den militärischen
und kanzleistil seiner zeit' gekannt hat: eine ausrüstung, die ihn natürlich Dicht be-
fähigte, eine einigermassen wertvolle schritt über die deutsche spräche und litteratur
zu schreiben.
208 HABH
liegt zweifellos, so viel ältere gedanken hier auch widerkehren1, die bleibende be-
deutung unserer schrift. Man moss «las betonen, weil die z<
zumeist über diese teile der schrifi reohl flüchtig hinwegeilen. Im rahmen einer
LitterarhistoriBchea betrachtung ist natürlich ein urteil über diese abschnitte unmöglich.
Dasselbe *.rilt von den zerstrenten bemerkungen des königs über die politische und
wirtschaftliche entwickelung Deutschlands und der Dachbarländer.
Alle bisher aus der schrift herausgehobenen und im wesentlichen als alt-
fridericianisch uacbgewiesenen gedankeo haben ihr bei mit- und nachwelt noch keine
sonderliche berühmtbeit sichern können. Erst ihrem urteil über einzelne lite-
rarische ersoheinungen und besonders dem urteil über die bübne verdankt die
schrift ihre grosse Wirkung. Aueh hier werden wir an vielen stellen alten urteilen
des königs begegnen, ja durch sie ■/,. t. noch in die kronprinzenzeit zurückgeführt
werden. Aber es ist doch bemerkenswert, dass sein Vernichtungsurteil über das
drama des sturmes und dranges, so viel mir bekannt, in dieser schroffen form von
ihm noch nicht formuliert worden ist2.
Was er dagegen gleich über den Königsberger prediger Quandt rühmend (6, 15)
hervorhebt, weist in seine frühzeit zurück (1739/40: Geiger2 VII. dort näheres über
Qu.). Noch 1757 hat er Gottsched erzählt, 'wie Er ihn als Crou - Printz gehöret und
wie er Ihn bezaubert hätte ':i. Die eingehende berück-siehtigung der rhetorik über-
haupt erklärt sich ebenso sehr aus den Jugenderinnerungen, wie aus der starken be-
eintlussung durch die antike (Quintilian). Auch in der lyrik und epik sind es alte
freunde, die F. 1780 wider rühmt. Am bekanntesten sind da seine sympathieen für
Geliert (6, 4). Bereits 1757 ist er Gottsched gegenüber (bei Krause 90) voll seines
lobes1. Ein französisches lohgedicht, das ursprünglich für Gottsched bestimmt war
(Oeuv. XIII, 162 fg.), hat er später auf Geliert umgedichtet. Selbst im jenseits will
der könig, wie er launig an d'Alembert schreibt (1781: Oeuv. 25,172), Gellerts fabeln
und die idylles d'un Germain nomme G essner nicht entbehren. Dem 'Schwane von
Mantua' will er sie überreichen. Gessner erscheint auch in unserer schrift (6,7).
Aber der könig kennt ihn erst seit sechs jähren. Denn von dem erwähnten gespräche
mit Swieten berichtet dieser selbst (bei Arneth VIII, 621): Je citai Gessner. qu'il ne
connoit pas. Am weitesten in die Vergangenheit zurück weist vielleicht die er-
wähnung von Canitz, dessen schaffen noch ganz dem 17. Jahrhundert angehört (6,5).
Er erklärt ihn schon früher einmal (Oeuv. 1.232) für den einzigen guten dichter, den
Brandenburg unter Friedrich III. gehabt habe. Das urteil von 1780 ist weniger ein-
gehend und deshalb härter. Noch 1747 hatte F. geschrieben: c'est le Pope de l'Alle-
magne, le poete le plus elegant, le plus correct etc. Ä.
1) Besonders die empfohlenen autoren sind alte lieblinge: in den von Mentz
s. 225 citierten Visitationsvorschriften von 1770 erscheinen sie ebenso, wie iu dem
gespräch mit Gottsched (Krause 87 fgg.), die Maskov, Bayle, Vvrolff, Leibniz usw.
2) Hier wäre, wozu Köster die anregung gibt, erst einmal äusserlich nach-
zuweisen, welche deutschen stücke der könig überhaupt gesehen hat.
3) Von Massillon, den F. 22, 7fg. rühmt, ist er gleichfalls schon als Jüngling
beeinflusst worden: Hettner III, 2, 13. Im übrigen kann ich mangels genauerer kenntnis
der französischen litteratur auf urteile des königs über Franzosen nicht eingehen.
4) Auch in dem erwähnten gespräch mit Swieten citiert er 1774 Geliert:
Arneth VIII, 621.
5) Hall er wird nur im eruditionscapitel beiläufig erwähnt (34, 30), ist aber
doch scbon dem kronprinzeu mindestens dem namen nach bekannt geweseu: Koser,
Kronpr. 154.
ÜBEB FRIEDRICH D. GR. ED. GEIGEB DlTO JUSTÜS MÖSEB ED. SCHÜDDEKOPF 269
Nicht ohne absieht verschweigt F. den namen Klopstock. Bereits 1757 l hat
er ihn im gespräche mit Gottsched 'ganz verworfen ' (bei Krause 90) '-. Noch Swieten
aber zweifelt, ob er ihn überhaupt gelesen habe (bei Arneth VIII, 621) :i.
Erfreulichere anfange sieht der könig hier nur in versen eines anonymus —
es ist der anakreontiker Götz (s. Geiger2 XI — XIV) — an welchen ihm die 'cadenz'
und 'havmonie', ferner die glückliche mischung von daetylen und spondeen gefällt
(6, 22fgg.). Auch mit Swieten hatte er sich früher über den hexameter unterhalten
(bei Arneth VIII, 621). Von dem Götzischen gedichte ist dem könig vermutlich 1773
(Geiger- XI) ein exeniplar zu gesiebt gekommen. Es handelt sich also auch hier um
älteres material. Die sämtlichen äusserungen aber über die epik und lyrik der Zeit-
genossen bestätigen widerum die erfahrung, dass der könig von alten, ihm lieb ge-
wordenen gedauken nicht lassen kann. Nur in nebensächlichen punkten hat er (warum,
vermag ich nicht anzugeben) sein urteil leise geändert (Canitz — Milton).
Dasselbe darf man (von der bitterhöhnischen formulierung abgesehen) auch von
seinen bemerkungeu über drama und theater (6, 33 — 7, 16. 23,2 — 34) behaupten.
Seine klagen sind hier gleichfalls althergebracht. La scene allemande est abandonnee
ä des bouffons orduriers ou h de mauvais farceurs, qui representent des pieces Sans
genie, qui revoltent le bon sens et fönt rougir la pudeur. So heisst es in der redaction
der Hist. de mon temps von 1746 (IV, 199). Dieser ton wird auch in der folgezeit
bei ähnlichen gelegenheiten stets angeschlagen (1747: Oeuv. 1,232; 1775: Oeuv. 23, 237).
Und wenn er als kronprinz wirklich einmal in eine komödie gegangen ist, so schwört
er de bonne foi de ne pas jamais remettre le pied en telles comedies (1732 an
Grumbkow: Oeuv. 16,62. Genaueres Koser, Kronpr. s. 256).
Das ist einiges aus der Vorgeschichte der urteile von 1780 über das theater.
Daher nun der ausfall gegen das deutsche trauerspiel, das entweder hoch auf stelzen
gehe oder im schmutze wühle (6,33 — 7,1). Wie stark der geschmack seines volkes
verwildert sei, dafür sind die öffentlichen Schauspiele ihm überhaupt der beste beweis
(23, 3 — 5). Die abominables pieces de Schakespear sind ihm würdig der wilden
von Cauada. Vielleicht stammt dies urteil selbst der form nach von Voltaire'. Und
warum dies urteil? Weil Shakespeare die aristotelischen eiuheiten nicht beachtet und
die verschiedenen Charaktere und milieus in verletzender weise durcheinander mengt
(23, 5 — 21). Was Shakespeare, weil er am anfang der entwicklung steht, noch zu
verzeihen ist, darf man beim Götz nicht mehr entschuldigen. Es ist eine imitation
detestable de ces mauvaises pieces angloises (23,22 — 28), eine repetition de ces
degoütantes platitudes. Der könig weiss, dass sich über geschmacksf ragen streiten
lässt (22, 37). Aber hier handelt es sich nicht um eine geschmacksf rage, sondern
um den unterschied zwischen Seiltänzern und marionetten auf der einen und den
— tragödien von Racine auf der andern seito : zwischen Vergnügungssucht, mit der
1) Das harte urteil über Milton erscheint in unserer schrift abgemildert:
35,24 — 28.
2) Sicherlich auch aus dogmatischen d. li. freigeisterischen gründen. Vgl. Suphau,
Zeitschr. 5, 240.
3) Auch Meierotto gegenüber lehnt er zwei jähre später Klopstock ah (bei
Meister s. 112). Wielaud, der in unserer sohrifl gar nicht vorkommt, wird jetzt
rühmend erwähnt. Der könig fragt, wo er denn lebe, lud als er nun von \\ -Miliar
hört, ruft er: 'Ha ha! wo der herzog mit seinem döthe lebt'. 'Seinen üb]
Göthen als schriftsteiler eben nicht sehr zu sohätzen' lügt der referent hinzu 1 1 1
4) Gaertner N V '. Pröhle 168. Die holländische oper nennt K. iTtiS ein ohari-
vari digne du sabbat des sorcieis: Oeuv. 24. Löti
'_'70 HABHAGKK
man die zeit tot schlägt, und ernsthaften konstgenuss (23,31 — 34). Und das alles
egen eben den Goethe gerichtet, bei dem Bicfa gerade jetzt langsam, aber
die abwendung von seinem dramatischen jugendideal vollzieht.
Sehr merkwürdig kontrastiert mit dieser absage auf immer and ewig, da
stück, welches derkönig empfiehlt, verzweifelt mehr ähnlichkeit hat mit einem spec-
tacle aux marionettes, als mit dem hoben drama der Franzosen. El i -t das lust.-pi.-'
des Wieners Ayrenhoff, betitelt: 'Der postzag oder die aobeln passionen'1. Wun-
derbar9, dass er daran gerade das preist, was ihm der Götz in so anendlich viel
tiefererweise hätte bieten können: das originale: ce Bonl ooa mceui • nos
ridicules, que le poete expose sui' Le theätre 7,4.
Die Voraussetzungen für all diese arteile liegen in dem orthodoxen französischen
klassizismus *, den Lessing mehr als zehn jähre frühei in der dramaturgie bereits
bekämpft hat.
Dass die schweren gebrechen dieser litterarischen kritik aber vielmehr in dem
zu suchen sind, was sie verschweigt1, als in dem, was sie bespricht, ist schon früh
bemerkt worden. Aber man darf darüber nicht vergessen, dass der könig tatsächlich
nur alte freunde lobt oder alte feinde bekämpft. Ein Inventar über die 'guten' litte-
rarischeu fruchte der Zeitgenossen aufzunehmen . lag weder in seiner absieht, aoeh in
seiner befahigung. — Die grundlage für eine abschliessende beurteiiung der schritt
winde eine doppelte sein müssen. Einmal ein absolut vollständiges Verzeichnis aller
älterer äusserungen des königs über die themata unserer schrift5 und sodann biographisch
eine genaue darstellung gerade des letzten Jahrzehnts aus dem leben Fs.: seiner wünsche
und hoffnungeu, seiner Stimmung. Beide grundlageu sind aber in der bis-
herigen litteratur nocli nicht gelegt worden. — Eine Würdigung allgemeineren
Charakters ist oft gegeben worden, vielleicht am besten von Hertzberg (bei Meister s. 93):
'Die Epoke der besseren Bildung der deutschen Litteratur fällt in Zeiten, da
er seinen Staat zu retten und Deutschlands Ruhm zu mehren, mit Thaten bemüht
war, wie sie kein Zeitalter vor ihm gesehen hat. Auch nachher mit der Litteratur
wie ein zunftmässiger Gelehrter oder ein geschäftsfreyer Dilettaute fortzugehen,
davon halten ihn Beschäftigungen zurück, die wichtiger sind, als alle litterarische'.
Die persou des Verfassers und der inhalt der schrift bürgten dafür, dass in
dem schreibseligen Zeitalter alsbald die kritik gegen die ansichten des königs in den
kämpf zog c. Es sind nicht gerade die sterne erster grosse , die hier ihr licht leuchten
lassen. Aber zur erkenntnis der verschiedenen parteirichtungen sind manchmal die
äusserungen der kleineren geister besonders wertvoll, weil auf sie das Schlagwort be-
zaubernder wirkt, als auf die grossen7. Manches beachtenswerte hat diese kritik zu
tage gefördert, und es sind gar nicht nur 'kärrner, ausputzer, berichtiger, nach-
träger', die daran teilnehmen (so Suphan 12).
1) Mir lag es in der ausgäbe von 1803 vor (3. band der sämtl. werke s. 1 — 70).
Das stück ist 1771 in Berlin 40m al aufgeführt worden: Gaertner VIII (Berliner
programm 1892).
2) Es ist ferner auffallend, dass der könig gerade ein stück wählt, in dem
(allerdings maskiert) gegen die fremdländerei gekämpft wird: s. Geiger'-' IX fgg.
3) Sogar eine angebliche logik von Batteux wird 20, 16 erwähnt.
4) Die ganze kriegslyrik z. b., Gleim nicht ausgenommen.
5) Das fordert jetzt auch Schüddekopf s. V.
6) Eine reichhaltige Zusammenstellung brieflicher äusserungen jetzt bei Geiger2
s. XXIII — XXIX.
7) Das übersieht Schüddekopf s. Vfg.
ÜBEK FRIBDBICH D. &R. ED. GEIGER UND JUSTUS MOSER ED. SCHÜDDEKOPF 271
Als der erste ergreift der Braunschweiger abt Jerusalem das wort. 'Über
die teutsclie spräche und litteratur. An ihro kgl. hoheit die verwittwete frau herzogin
von Braunschweig und Lüneburg' ist der titel seiner in Berlin 1781 anonym er-
schienenen schrift. Über die entstehungsgeschichte orientieren neben Hertzbergs schon
citierter Histoire einige angaben, die Krauske aus dem Berliner geh. Staatsarchiv macht
(Hist. zschr., n. f., 21, 513 fgg.j. Wie schon die Widmung zeigt, schreibt J. auf ver-
anlassung seiner herrin, der Schwester des königs.
Gewiss beurteilt Hertzberg die schrift richtig, wenn er dem könige schreibt:
J. "ist im wesentlichen mit der meinung ew. maj. einverstanden' (Hist. 57). Aber J.
erlaubt sich doch allerlei charakteristische abweichungen l. Nach dem vorbilde des
königs behaudelt er in einem mehr kritischen teil (3 — 18) die gründe des litterarischen
tiefstands, in einem mehr rühnvenden die Symptome des aufschwungs (18 — 29)2.
Als bewährter kanzelredner:! nimmt er besonders an Fs. angriff gegen die
deutsche rhetorik anstoss, indem er (wie Ayrenhoff s. 124 und Moser s. 23) mit recht
darauf verweist, das alle äusseren bedingungen für die entwicklung einer grossen
öffentlichen beredsamkeit in Deutschland fehlen. Ferner genügen dem geistlichen
die gründe uicht, die F. für den verfall des theaters anführt. Er meint, ein wich-
tiges hemmuis sei gewesen, dass die geistlichen dagegen geeifert hätten (13). Und
es gelingt ihm sogar eine noch tiefere begründung: 'da Teutschland keinen national-
charakter hat, und unsre Schriftsteller . . . keine andre weit, als den ort ihres auf-
enthalts hatten, wo sie ihre ideale hernahmen, so blieb das französische theater
unter uns in dem besitze seiner Vorzüge' (14). Des königs Sprachkritik erklärt er
treffend und einfach damit, dass wer an die französische spräche gewöhnt ist, dass
dem natürlich das deutsche missfallen muss (16 fg.). "Aber jede spräche hat ihren
besonderen gang'. Sein ideal ist keineswegs die langue fixee (17)4.
Andrerseits kann er jedoch wider den höfischen ton nicht vermeiden. Mit
feiner beiechnung lobt er den preussischen kanzleistil (7; vgl. Koser, F. d. gr. I'-, 513)
desgl. nach Fs. Vorgang Canitz (7) und Thomasius (8). Seitdem überhaupt der könig
den thron bestiegen hat, macht sich ein allgemeiner aufschwung bemerkbar (9 fg.).
Aber als zeugen dafür führt er nun doch auch Lessing au (14. 20). Voltaire selbst
wird nach ansieht dieses sanften Vermittlungsgeistes die dramaturgie 'hier und da
mit kleinen Unruhen' gelesen haben. Von Goethe und Herder hat auch er geschwiegen5.
Ond in dem unhistorischen vergleichen bewegt auch er sich nur zu gerne6.
Am deutlichsten kommt der hofmann am Schlüsse zum vorscheiu. Da be-
zeichnet er es (22) als die l lächerlichste und vermessenste Unwissenheit', einen ver-
gleich mit den Franzosen zu versuchen (22). Ausführlich ist von Fs. gutem einflusse
1) Nur auf diese ist in der folgenden bespreohuDg eingegangen, daneben auf
das höfische.
2) Doch finden auch schon im ersten teile 'einzelne genies' platz.
3) 'Simplicität, licht und gemässigte wärme', sind seine eigenschaften : 12.
4) Er weiss, dass sich die grossen Franzosen nur ungern dein academiezwang
unterwerfen. Den könig ergänzend, behandeil er auch den musikalischen wert
des Deutschen (19fg.), ähnlich wie A.yrenhofi (127), der sogar meint, das singen
sei lbey uns beyuahe zur nationalleiden Schaft geworden'.
5) Von Goethe vielleicht wegeu des Werthers; denn der abt ist der vater des
unglücklichen Jerusalem.
(i) 'In Gesner ist die volle sanfte aatursprache des Theokrits; was ist
Tyrtäus gegen Gleim?' (19 vgl. 20 — 22). Die bist. > polit. ausführungen (22 fg.
25 fg.) müssen ausser betracht bleiben.
272 iiasha'.i ■
:nif die Sprachentwicklung (22 — 25) die rede. Und ein musterhaft höfischer Btil ist
im folgenden satze enthalten:
'Der woltätige einfluss der sonne giW jeder blnme ihre Schönheit und jeder
pflanze ihre fruchtbarkeit, wenn sie auch im Bchattigten thale von ihren
strahlen nicht unmittelbar beschienen werden'.
Am Schlüsse steht eine anendliche periode (26 281), die wider dazu bestimmt ist,
den allgemeinen aufschwung zu schildern1. Es bedarf für ihn keines Prometheus*
sondern nur 'eines Strahles von Fa. throne', 'den schon erweckten geist noch fernes
anzufeuern' (28). Ein hoch auf den könig schliesst fliese erst« chrift'. Goethes
urteil über sie: 'wohlgemeint, bescheiden, aufrichtig, alt, kalt and arm'. Il>
urteil über den ganzen mann: 'ein kleiner, enger, politischer köpf, gottserbärmlich'
(bei Suphan 57) bestehen noch heute zu recht8. Aber so 'alt' er auch sein mag:
er steht dem neuen geiste doch weit näher, als der könig. Sicherlich hat ein längerer
aüfenthalt in England (1737 — 40: Allg. d. biogr. 13, 780) auf ihn ebenso günstig ge-
wirkt, wie auf Moser. — Was ihn als theologen charakterisiert: das sanfte vermitteln
zwischen allen feinden1, hat er von neuem durch diese Schrift bewiesen. Die könig-
liche kritik verliert in dieser milden beleuchtung all ihre schärfen6.
Jerusalem ist an den von dem könige angeregten fragen selbst nicht sonderlich
interessiert gewesen, und die spitzen, die F. versteckt, aber jedem erkennbar, gegen
die theologie anbringt (14, 1 — 5. 24,14 — 16), hat der theologe Jerusalem mit geschick
ignoriert0. Denn er liebt die compromisse.
Lebhafter wird der ton, wenn näher beteiligte in die debatte eingreifen. /.. b.
der Verfasser des Postzugs, Cornelius von Ay renhoff7. Genau wie Jerusalem, nur
aus andern gründen, ist er mit den behauptuugen Fs. ganz einverstanden. So un-
passend wie möglich, vergleicht er Fs. Schrift in ihrer reinigenden Wirkung mit einer
oppositionsrede im englischen parlament (115).
As. 'schreiben' reiht ganz lose verschiedene hemerkungen aneinander. Nicht
nur im interesse Wielands, sondern vor allem im interesse seines Postzugs verwahrt,
er sich gegen die beurteilung der dialekte durch F. 8. Die gründe, die F. für die
gedrückte läge der deutschen litte ratur auf grund eingehender kenntni^ der franzö-
1) Auch 'ein armer conrector zu Seehausen' erhält dabei eine ehrenvolle er-
wähnung.
2) Vgl. s. 263, anm. 1.
3) Aber man vergleiche damit das enthusiastische urteil einer Zeitgenossin über
den 'himmlischen' greis bei Suphan 32. 'Kein streber, aber wachsender ehren
froh' Erich Schmidt, Lessing2 II, 107.
4) Selbst Socinianern ist er ein freund gewesen: Allg. d. biogr. a. a. o.
5) Jerusalems schrift ist viel gelesen worden, u. a. von einer correspoudentin
Hertzbergs (abdruck aus dem Deutschen museum st. X 1781 bei Meister 85 fg.). Sie
vermisst unter den von Jerusalem genannten prosaisten vor allem Sturtz, der kurz
vorher gestorben war (1779). Hertzberg verweist sie aber in seiner antwort vielmehr
auf Lessing, Wieland und Moser, als auf 'originalere und deutschere' schrift-
steiler (88).
6) Dazu stimmt die nichterwähnung der ins theologische hinübergreifenden
schrift.stellerei Lessings.
7) Schreiben an den herrn grafen M. v. Lamberg: Werke 1803 V, 113 — 142,
noch 1780 verfasst (142).
8) Statt nehmena (125) fordert er nehma, wofür er wenigstens auf dialekte
verweisen kann. Sonst sind seine sprachlichen reform vorschlage noch schlimmer, als
die königlichen. Er bekämpft das 'schreyende' seh und das 'keichende' h.
T?BER FRIEDRICH D. GR. BD. GEIGER OND JTTSTTTS MOSES BD. SOHDDDKKOPI 273
sischen litteratur angeführt hat, legt A. nicht lange auf die wagschale. Für ihn ist
einfach der zufall herr üher die Sprachgeschichte1.
In dem unhistorischen vergleichen decken sich seine ansichten mit den
bereits besprochenen. Den kämpf gegen die 'Grenadiers des altertums" gibt er von
vorneherein auf.
Im drama ist er gemäss seiner praxis klassizist ". Das folgt aus den Vor-
bildern, die er anführt (129), mit derselben bestimmtheit, wie aus dem tadel gegen
Lessings Stellung zu den Franzosen (133). Entrüstet fragt er in einem epigram me
'Vor Lessings Minna von Barnhelm' (V, 17): 'Der schurk im stück, warum ist er
Franzos?' Noch lange 'wird Melpomene seufzen, dass er zu viel böses von Corneille
und Voltairen, und viel zu viel gutes von Shakespearn geschrieben hat'.
Er versucht sich sogar in bemerkungen , die wie eine geschichte des zeit-
genössischen dramas aussehn. J. E. Schlegel. Cronegk, Weisse (136) sind auf
dem besten wege zum klassizismus gewesen. Aber da sind 'ein paar Sonderlinge ':!
auf den gedanken gekommen, alte regeln zu brechen, und Melpomenens tempel ist
nun 'in eine bunt übermalte gauklerbude ' verwandelt (137). Wenn der könig die
neuen stücke mit seiltänzereien auf eine stufe stellt, so sieht A. schon in der be-
zeichnung 'Schauspiel' ('guckspiel' = ausstattungsstück?) einen Verderb. Natürlich ist
es nicht schwer, als Hamlet und Lear erfolge zu gewinnen. Denn dazu gehört nur
'ein wenig grimassieren'. Man spiele aber erst einmal 'einen gut geschilderten tragi-
schen held aus einem gesitteten Zeitalter'. Dann wird man schon die Schwierigkeiten
merken4.
Viel schwerer als A., hat ein anderer lustspieldichter, Wezel, sich seine arbeit
gemacht. Seine Schrift. 'Über spräche, Wissenschaften und gesehmack der Teutschen'
(Leipzig 1781) beschäftigt sich auf 328 s. mit dem weiterspinnen der königlichen
gedanken. Den Zeitgenossen hat diese schritt allein schon wegen ihrer länge und sicher
auch wegen ihrer wasserklaren disposition ganz besonders gefallen"'. Als gegenschrift
aber ist AVezels arbeit kaum noch zu bezeichnen. An des königs schrift erinnert fast
nur noch die zu gründe gelegte einleitungsdisposition. Im übrigen wird jede kleine
bemerkung zu einem langen aufsatz aufgeschwemmt. 'Bloss zum leitfaden' dienen
ihm Fs. gedanken. Es ist unmöglich, hiervon in kürze ein bild zugeben". Principiell
ist er mit dem könig einverstanden7. Er spricht von 'Stiftern' der spräche (40. 58)
und nennt sie die 'tümmsten barbaren'. Dass er die spräche für regulierbar hält,
zeigen seine ungemein genauen reformvorschläge. Und wenn er am schluss (297)
1) Er ist sogar mächtiger, als die gunst der kröne (123). von der A. sonst
sehr viel hält (117 fg.).
2) S. Gaertner XV2.
3) Hierüber weiteres in den Epigrammen \\ L6. 19.
4) Am schluss werden wider 'genies' aufgezählt, nicht nur Joseph II. (139),
sondern sogar F. d. gr. selber. Über seine 'moderige' dramaturgische tlieorie. s. Erich
Schmidt II, 135 fg.
5) Sie erhält nicht nur bei F. v. Blankenburg Litt. Zusätze zu Sulzers Allu.
fheorie der schönen künste 1 , Leipzig 1796, s. :!71K einen lobenden zusatz (bei Blan-
kenburg findet sich eine ausführliche Bibliographie der gegenschriften, für die Krauake
a.a.O. noch ergänzungen bietet), sondern sie wird mich in einem handschriftliche!]
eintrag (in dem exemplar der kgl. öffentl. bibliothek in Dresden) allerdings unter gleich-
zeitiger kritik rühmend charakterisiert.
6) Besondere beachtung verdient der abschnitt über die höflichkeitsspraohe
s. 134—146.
7) Nur der eintluss yon eben wird 178. IS|> schroff abgelehnt.
ZKITSOHRIKT V. DRÜTSOHK PHILOLOGIE. m>. \xx v. Is
274 HABHAGJCi
ganz verzweifelt ruft: -vor kurzem wurde Shakespeare d<-r probieretein des schönen'
oder weiiii er in der einleitung gegen Oöthianismue und Hans-SaohsismuB (XII)
wettert, so hat er den könig ganz auf seiner Beite.
All«- drei besprochenen Schriften führen die vom könig begonnene debatte in
keinem wesentlichen punkte auch nur einen schritt weiter. Jerusalem bat allerlei
bezieh ungen zur 'neueren' litteratuT, A.ber eine ernsthaftere Verteidigung wagt ti
nicht. Ayrenhoff und Wezel gehören ooch ganz zu der partei der alten.
Erst bei dem schwäbischen pädagog>-n Joh. Mich. Afsprung1 Duden wir
gedanken'-', die in das bis zum überdruss widerholte Schema der Oottsobediauer nicht
mehr hineinpassen. Drei behauptuDgen des königs will er kritisieren: 1. da-
spracbe rauh sei, 2. dass der krieg, 3. dass der mangel an fürstlicher gunst die
litterarische blute verhindert'.
Er unternimmt es unter berufung aufs griechische zunächst, die dialektc ah
selbstverständliche Spracherscheinungen zu erweisen (äfg.). Gewiss ist das Studium
der alten von wert (8 fg.). Aber die deutsche spräche ist so 'urhaft'. dass sie diese
vorbildet' nicht braucht. Sie und die romanischen sprachen haben unvergleichbare
züge. Eben deshalb darf man nicht auf beide dieselben regeln anwenden. Dass es
den Deutschen an kraftvoller kürze mangle, leugnet er gänzlich (11), und es gibt zu
denken, dass ihm ganz von selbst das Lutherdeutsch in die feder kommt, als er bei-
spiele für diese tatsache anführt. Auch Luther gehört in manchem betracht zu den
heroen der ausgebrocheneu litterarischen revolution. Es ist bekannt, wie Herder ihn
wider zu ehren bringt. Mit prophetischem blick empfiehlt er schliesslich zwei mittel.
mit denen in der tat die moderne Sprachwissenschaft — wenn man so aUgemeine
formein wählen würde — ihre erfolge errungen hat: 'die Untersuchung der sprach«'
in allen Zeitaltern' und 'das fleissige Studium der analogie'.
Ebenso bedeutungsvoll für A.s fortgeschrittene denkweise ist es, wenn er so-
dann (12fg.) die hemmende Wirkung, die der krieg auf die litterarische entwickelung
nach Fs. meinung ausgeübt hat, bestreitet. Vielmehr: 'mitten unter des krieges
seh rocklichster Verwüstung' blühen die dichter empor. Gedanken, die dann bei Moser
eine grossartige abschliessende formulierung erhalten.
Geradezu grausam aber und furchtbar bitter ist, was er gegen Fs. satz: des
Augustes ferout des Virgiles vorbringt3. 'Wenn dies seine richtigkeit hätte, so sollten
wir armen halbbarbarischen Teutschen manchen Virgil haben, unserer genien sollte
eine legion seyn; denn wir haben ja der Auguste und Mäcene von einem ende
Teutschlands zum andern eine schwere menge' (14). 'Aber was ist ein genie? Ist
es nicht unter den menschen das, was Gott in der ganzen natur ist? "Wird es nicht
wie Gott durch das übermaass des gefühls seiner kraft zur Schöpfung bewogen?
und wenn es sein werk dargestellt hat, und sieht, dass es gut ist, geneust es dann
nicht alle schöpfungswonne?' Das ist das wehen des neuen geistes4. Und wenn wir
noch zweifeln, so erscheint nun endlich als eideshelfer auch Rousseau, jener manu,
der das Deutschland der zeit entzündet hat von Königsberg bis Strassburg und von
Osnabrück bis hinunter ins Schwabenlaud.
1) Bemerkungen über die Abhandlung von der teutschen litteratur. Frank-
furt a. M. 1781.
2) Nur diese werden im folgenden berücksichtigt.
3) Es würde ein besonderes capitel abgeben, wenn man hier die zahllosen
gesinnungsgenossen As. zusammenstellen wollte. Vgl. Erich Schmidt ■ II, C12.
4) Es folgt 16fgg. noch ein historischer kommentar.
ÜBER FRIEDRICH D. GR. ED. GEIGER UND JT7STUS MOSER ED. SCHTDDEKOPF 2YO
Die schlusspartieen der inhaltreichen kleinen Schrift bewegen sich wider mehr
in dem gewöhnlichen fahrwasser (23fgg.). Als Pädagogen gefällt dem Verfasser die
erbarmungslose kritik des königs am Schulwesen der zeit ganz besonders (26). Als
Schwabe erklärt er den lehrplan, den F. für den philosophieprofessor aufstellt, als
'unverbesserlich' (27).
Die schrift ist keine durchschnittsware, wie so vieles, was gegen F. verfasst
ist. Dass sie die Streitpunkte grundsätzlich fasst, ist gegenüber der verschleierungs-
manier Jerusalems ein hohes verdienst1.
Für die erkenntnis der ansichten dieser kleineren geister haben wir ein sehr
reiches material. aus dem im vorstehenden nur einige proben gegeben werden konnten.
Leider ist das bei den grossen, zumal bei den grossen in "Weimar nicht der fall'-.
Abgesehen von dem Verluste der Goethischen -litteratur' bleibt es am bedauer-
lichsten, dass auch Herder zu keiner Widerlegung das wort ergriffen hat. Wenige
monate früher, 1779 (Haym II, 117), hatte H. ein ganz ähnliches thema. wie der
könig, behandelt. Er hatte die preisfrage der Berliner academie 'vom einfluss der
regierung auf die Wissenschaften und der Wissenschaften auf die regierung' (ed. Suphan
IX, 307 — 408) beantwortet. Suphan (F. d. g. usw. s. 23. 1041) hat die Vermutung aus-
gesprochen, der könig habe die schrift zu sehen bekommen. Aber3 mag Hs. schrift
immerhin 'nach Sanssouci adressiert' gewesen sein (ib. 22 vgl. Haym II, 120): dem
ganzen tone nach ist sie aufreizend -herderisch4 und würde den könig, wenn er sie
gelesen hätte, zweifellos zu einer geharnischten antwort getrieben haben.
1) Meister (152) hat sie gelesen, ihre principielle bedeutung aber gar nicht er-
kannt. Er preist in der nachschrift zu dem mehrfach genannten sammelbiindchen (154)
an F. d. g. noch besonders, dass er sich der kabinetsjustiz enthält. Moser hätte ihn
da mit dem falle des müllers Arnold eines besseren belehren können. — Blankeuburg
(a.a.u. 372*) führt unter den gegenschriften auch Groddeck auf: 'Über die ver-
gleichung der alten, besonders der griechischen mit der deutschen und neuern schönen
litteratur', Berlin 1788, 71 s. Aber G. (ein schüler Heynes: 48 x) nimmt nirgends
direkt auf den könig bezug.
2) Goethes antwort auf des königs schrift. in gesprächsform gehalten, ist ver-
loren. (Darüber Suphan 2 fgg. 53 fgg. 81 fgg..). Für diesen veriust entschädigt in
einiger hinsieht der berühmte brief an frau v. Voigts, die tochter Mosers (Werke X,
244). Vgl. R. M. Meyer, Euphorion II, 134; Lessing, der anfaug 1781 stirbt, hat die
schrift noch gesehen (Erich Schmidt'2 II, 610), sich aber nicht mehr ausgesprochen. (Ein
durchschlagendes epigramm Kästners wird bei Krauske s. 513 citiert). Über Klop-
stock handelt Suphan wol erschöpfend (78fgg. vgl. Geiger2 XXXVI fg.), ebenso über
Wieland (24fgg. 77fg.). Hamann (bei Suphan 64fg.) hat die aufklärerische grund-
tendenz der schrift des königs ganz richtig erkannt. Ein besonders starkes beispiel
für den eindruck, den Fs. schrift machte, bietet Gleim (bei Suphan 80 fg.), der seinen
bereits gestorbenen freund Michaelis auffordert, noch aus dem jenseits an den könig
zu schreiben und ihn so zu bekehren. Vgl. Geiger2 XXV und s. XXXI Vfgg. über
die kleineren gegenschriften. Man vermisst einen Hinweis auf Afsprung.
3) Suphans parallele ist ungenau. Auch 3. 28 fgg. und Herder IX. 332
(Kömische htteraturgeschichte und Scipio Africanus) ist allvergleichbar. Geiger*
s. XXXVII fg. referiert nur über Suphans ansieht.
4) ...'die neuern, so oft untüchtige Meoänaten, zu loben, was sie nicht
verstehen und mit pfennigen zu belohnen, worüber sich der kluge schämt' (334) —
'das genie ist bestimmt, sich im dum- selbst seinen weg zu bahnen' (351 ). 'Der re
eines Staates muss beinahe ohne Lieblingsmeinungerj seyn' (361). Besonders isl auf
folgende blendende formulierung des historischen Standpunkts zu verweisen [376)
'Sowie man nicht dem ström der jähre und weltverfaS8Ung gebieten kann.
dass er rückwärts fliesse; wie kein gesetzgeber durch eine zauberruthe ein Rom,
Athen, Griechenland hervorrufen kann, wo es nicht ist and in nächsten anlagen
18*
!7ß taftSJ
Nur in einem längeren briefe an Hamann (bei Suphan 56fgg., er ist lücken-
haft überliefert) hat er eich über die 'litteratur' des königs1 and namentlich G<
ausgesprochen. I bei de£ Letzteren gespräoh bei das ganze hat mir nicht _
getban und die einfassung nicW gefallen'. I • II. hier wirklich nur der l mäkelnde
kritiker' (8uphan58)?' Darf man es nicht a H. zurwiderle
überhaupt der geeignetere gewesen wäre? Da wären die alten gedanken dei jn
zeit, durcb ein fast ununterbrochenes nachsinnen über die pbilosophie der gesehichte
genährt, zu gewaltigem durchbruch gekommen. Ist ■ ■- nicht möglich, ilass ei <l
universaleren Standpunkt an Goethes schritt, vermi
Das alles sind fragen, die sich mit onsern quellen nicht beantworten las
Sicher ist nur, dass unter dem eindruck der schrif! Fs. die Jugendarbeit der Frag-
mente wirklich wider hervorgeholt wird und 'einen neuen zunder der auferweckung1
erhält (Hs. werke I, s. XXXVIII). Der angriff des königs aufs draina wird die ver-
anlassung zu einem abschnitt des neuen entwurfs gegeben haben, der überschrieben
ist: 'Sophokles : Lessing : Göthe : Griechisches trauerspiel; unsres u. f." (ib.)8. Aber
II. kam, wie so oft, nicht über entwürfe hinaus.
So musste denn ein andrer mann, ein 'auswärtiger' für das angegriffene Weimar
eintreten. Es ist .Justus Moser in Osnabrück. In seltener weise vereinigt er in
seiner gegenschrift eine vernichtende sachliche Widerlegung mit der schonendsten
persönlichen behandlung. Sein schreiben lässt es uns einigermassen verschmerzen,
dass Goethes gesprach nicht mehr vorhanden ist. Denn so viel diesen Osnabrücker
advokaten sonst scheiden mag von Goethe und selbst von Herder: der verschiedene
lebens- und bildungsgang, die unendlich viel stärkeren praktischen interessen. die
unvergleichlich viel grössere gebundenheit an den boden der engeren heimat: er kann
und will die fäden, die sich von ihm aus durch Vermittlung seiner tochter nach
Weimar hinüberspinnen., nicht lösen*. Erst zehn jähre waren seit der zeit verflossen,
da er zusammen mit Goethe und Herder in den Blättern von deutscher art und kunst
vor das publikum getreten war5, und bei ihm waren jene alten gedanken in der
Zwischenzeit immer mehr ausgereift. Es war ihnen kein feind erwachsen aus einer
fremden weit. Sondern nur immer neue nahrung hatten sie gesogen aus dem boden
der heimat. Einer der wenigen, folgt er dem aufsteigenden gestirn von Weimar mit
heller freude,;. Jede neue erscheinung weiss er selbständig zu verarbeiten. Keine
auf reife wartet; so wäre es unvernünftig, aus liebhaberei alter zeit die seine zu
verkennen und zu versäumen, Rom anzuzünden, damit man ein brennendes Troja
sehe und neue homerische verse lese'.
F. d. g. selbst wird zweimal erwähnt: s. 356 wegen seiner praktischen Verdienste,
s. 369 weil er -die seltenen gaben, glücklich zu denken und zu handeln vereinigt".
Aus persönlichen gründen erklärt sich Hs. anerkeunung für die tätigkeit der akademie
(352 fgg. ganz im gegensatz zur ansieht des reisetagebuchs ed. Suphan IV, 105. In
der Bückeburger zeit [Auch eine phil. d. gesch. ed. Suphan V, 577. 581 fg.] vollzieht sich
der wandel in der Stellung Hs. zu F. d. g. im allgemeinen).
1) Er klagt über den 'despotismus des geschmacks'. wie wir aus Hamanns
antwort wissen (bei Suphan 64).
2) Da Goethes gespräch, das objekt seiner kritik, verloren ist, wird sich darüber
gar nichts ausmachen lassen.
3) Spätere reminiscenzen Hs. an die Schrift bei Suphan 69 fgg. 88 fgg.
4) Es ist die vollste Wahrheit, wenn frau v. Voigts (X, 242) schreibt, wenn
sie und ihr vater nach Weimar kämen, so geschehe es nur um Goethes willen.
5) Er veröffentlicht da seine einleitung zur Osnabrückischen gesehichte.
6) Es ist bekannt, welche rolle die Patriotischen phantasien in Goethes leben
spielen.
IHK!« FRIEDRICH D. OK. ED. GEIGEB UND ,11 STUS MOSEH ED. SCHÜDDEKOM 2 .' i
spur von der blindheit der alten gegenüber der neuen generation, die weder Klopstock
noch Herdern erspart blieb: ein hellsichtiger mann an der schwelle des greisenalters,
aber ein Jüngling in frische und freimut: wo gab es einen ebenbürtigeren gegner für
den alten könig?
'Der frühlingsthau erquickt und befeuchtet das land; wer mag es wagen, sein
bild vor die äugen zubringen?' das ist Nicolais freundesurteil über den ganzen mann
(X, 4). Wir dürfen es auch auf unsre schrift anwenden, müssen uns jedoch ähnlich
wie bei F. d. g. erinnern, dass auch Moser im wesentlichen mit alten gedanken
arbeitet. Sie werden nur in neuer fassung wider ausgelegt.
Schon der auf bau unterscheidet das 'schreiben' von den früheren. Denn
spräche und litteratur werden nicht gleichmässig berücksichtigt,' wie bei Af Sprung,
oder gar die spräche der litteratur vorgezogen, wie bei Wezel, sondern die litteratur
ist für M. durchaus das wichtigste.
Als grundforderung der schrift des königs erscheint ihm: dass wir die fremden
nachahmen sollen. Ist das berechtigt? ist seine gegenfrage. Der beantwortung dieser
frage dient die schrift. Allerdings gibt es in Deutschland, namentlich im öffent-
lichen leben (6) viele schwere schaden. Aber sie dürfen uns nicht zur Verzweiflung
treiben. Sie dürfen uns nicht die guten fruchte des landes vergessen machen.
Zu ihnen aber gehört vor allem der Götz. Eine Götzapologie ist denn in der
tat unsre schrift zum grossen teile. Aus ihr quellen eine weitere allgemeine drama-
turgische darlegung und eine Verteidigung Shakespeares heraus1. Zum
schluss wird der Standpunkt wider allgemeiner, indem die gefahreu der nach-
ahmung überhaupt gezeigt werden (16 — 18). Ferner wird der gauzen neuen
richtung der Lenz, Klinger und Wagner eine Verteidigungsrede gehalten (19). An-
gefügt' ist eine schutzschrift für die deutsche spräche (21 fgg.) und eine Würdigung
des königs (23 fg.), die die einleitung ergänzt3.
Eine beurteil ung des Schreibens im einzelnen hat vor allem die Patriotischen
phantasieen1 zum vergleich heranzuziehen, um auch für Mosers schrift den beweis
zu führen, dass er darin seinen früheren gedanken über deutsche litteratur (und
kultur) eine gewissermassen abschliessende gestalt hat geben wollen.
Der köuig hat aufs ausländ verwiesen, als auf die <juelle, von der alles gute
komme. M. fragt: sollen wir nicht lieber unsro eignen eichen"' ziehen? (5. 28).
Immerhin aber bedarf es vor allem der prüf ung, ob die Deutschen schon aus sich
1) Apologie Shakespeares: 12 fgg. Über den wahren begriff der -einheit": L5fg.
Vergleich zwischen deutscher und ausländischer entwickelung: 1 2 fg. 14fg.
2) Mit recht hebt Schüddekopf s. XVIII das sprunghafte der letzten partieen
hervor.
:}) Nach frau v. Voigts (X, 242) ist die schrift •im eifer aufs papier geworfen".
Sie schreibt weiter über ihren vater:
'Er ist selbst nicht völlig mit seiner arbeit zufrieden, weil seine gesund-
lieit ihm nicht erlaubte, das f euer, womit er ansetzte, lange genug zu unter-
halten".
Schon 1777 schreibt M. an Nicolai (X, 168):
'Man wird endlich steif und alt; und mich däucht oft, die munterkeit.
wodurch ich meine Vorstellungen zu heben suche, sei nicht mehr so wahr, als \ or-
dern; es sei heisse liebe in dem munde eines greises'.
Ein weiteres ungedrucktes zeugnis bei Schüddekopf 8. Will.
4) Und andere kleinere Schriften, desgl. natürlich die briete.
5) Wol absichtlich wählt, er diesen bäum. Kr erzählt 1. 329 selber, <la>s die
vorliehe für die eiche neck gar nicht alt s.'i.
278 HAflB
selbst seh* »pfor» dürfen oder oh sie sich noch immer auf 'las ausländ niü i
weisen hissen (6).
Diese prüfung beginn! M. mH eine] allgemeinen kritik der öffentlichen zu-
stände in Deutschland1. Wie M. die kleinste Erage des wirtschaftlichen lebene unter
ganz allgemeine politische gesichtspunkte bringt3, bo macht er es hier mit den litte-
rarischen. Aber er bleibt nicht in allgemeinheiten stecken. Bondern es ist etwas
ganz bestimmtes, was er gegen die öffentlichen zustände einzuwenden hat. Dai
der tnangel an grossen begebenheiten8, der den mangel an grossen Empfin-
dungen' und damit den mangel einer grossen litteratur veranlasst 6, 24fgg. :
Die gefahr macht beiden und der ocean hat tausend waghälse ehe das
feste land einen hat. Es müssen grosse Schwierigkeiten zu überwinden
seyn, wo grosse empfindungen und Unternehmungen aus unserer seele empor
schiessen sollen — oder der geist hebt sich nicht aus -einem gewöhnlichen
stände, die seele umfasst keine grosse Sphäre, und der mensch bleibt das ordinaire
geschöpf, was wir täglich sehen und nach unsern gemeinen regeln zu sehen
wünschen'
Schon seit Jahrzehnten klagt er über diesen schaden :
'Lange glückliche und wolfoile zeiten schläfern den menschen endlich ein
der philosoph spielt mit der besten weit, und der Staatsmann
mit eitlen entwürfen — — — nichts zwinget zu empfindungen und grossen
entschlüssen. Allein wenn die noth hereinbricht, wenn die gefahr beiden
fordert, und ein allgemeiner ruf den geist aufbietet, wenn der Staat mit seinem
untergange kämpft — — — - wenn die schrecklichste entscheidung nur mit der
grössten aufopferuug abgewandt werden kann, dann zeigt sich alles wirksam
und gross (ll,40fg., 1772)4.
Die gefahr, die not, den kämpf sehnt M. auch für die litteratur herbei. Denn sie
erst entfesseln alle grossen eigenschaften5. Darin ist er eiu grundsätzlicher gegner
des alten königs, der frieden und ruhe auch für die litteratur haben will. M. will
für jetzt nicht den frieden, sondern den krieg. Von ihm erwartet er eine aufrüttelung
der geister, das aufblühen der genies.
Daher empfiehlt er mit glühender begeisterung die kriegspoesie (9), die in
der schrift des alten Soldatenkönigs keines Wortes gewürdigt war. Ein prophet ist M.
1) Vgl. z. b. 1, 105. 287. 438; II, 40; IX, 241fgg.
2) Z. b. I, 385.
3) Es sei gestattet, an ein wort Goethes aus dem jähre 1795 zu erinnern (bei
Bode, Goethes ästhetik , Berlin 1901, s. 159): 'Wann entsteht ein klassischer national-
autor'? Wenn er in der geschiente seiner nation grosse begebenheiten . . . vor-
findet' usw.
4) In abgeschwächter form erscheinen solche gedanken auch bei F. d. g., Lettres
sur l'amour de la patrie: Oeuv. IX, 222.
5) 'Nie habe ich lebhafter gedacht und mächtiger empfunden', lässt er (JU, 87)
eine soldatenbraut sagen, 'als zu der zeit, wo mein erster geliebter fürs Vaterland auszog'
(im gegensatz zu 7, 6: 'unsre schönen stimmen leichter zu ordentlichen als heroischen
empfindungen'). Mit zitternder stimme erzählt sie da von der Seligkeit der auf Opferung
auch des teuersten. Wie kontrastiert mit solchen augenblicken 'unser jetziger leier-
stand' (88). Gerade in den späteron phautasien. die zeitlich unsrer schrift am nächsten
stehen, sind solche gedanken die lieblinge Ms. Da stellt er den handelnden teil der
menschheit dem speculierenden gegenüber (FV, 24 — 28); oder wider in den kleinsten
Verhältnissen: eine liebe die erobern will und eine, die erobert hat (IV, 50fg.) oder
er tritt, wie auch in unsrer schrift (7. 7) für den Zweikampf ein (IV. 131 fgg.). Vgl.
111,69; IV, 89.
I F'.KK' FRIEDRICH D. (iE. KU. ÜEIGEH l Mi JUSTDS MOSER ED. >' UÖDDEKOPF 279
da so gut, wie der könig (9, 23): 'der beste gesang für unsre nation ist unstreitig
ein bardit, der sie zur vertheidiguug ihres Vaterlandes in die Schlacht singt' . . . Natür-
lich, dass er in diesem zusammenhange Gl ei ms (9, 33) erwähnt. M. hat selber die
grossen zeiten des kriegs mit erlebt, mit dem herzog Ferdinand in engen beziehungen
gestanden und die not des kampfes durch seinen humor verklären dürfen. Bis hinein
in sein kleines lustspiel 'Harlequins heirath' spüren wir die Wirkungen. Da renom-
miert der Harlequin mit Ohrringen, die er 'im laufgraben vor Schweidnitz' erobert
hat (IX, 128) l.
Aber diese zeiten, die sich dem alten M. schon stark idealisiert haben mögen,
sind nun vorüber. An keiner stelle unsrer schritt ist der ton bitterer, als hier, wo
M. den mangel grosser begebenheiten beklagt (7, 26):
'Unsre empfindungen sind nicht zu der feinen rachsucht gestimmt, welche
in Lessings Emilie thönt, und wir haben höchstens nur Vaterstädte und ein ge-
lehrtes vaterland, was wir als bürger oder als gelehrte2 lieben. Für die er-
haltung des deutschen reichssystems stürzt sich bey uns kein Curtius
in den abgrund'.
Wenn aber wirklich einmal ein aufregendes ereignis vorkommt, wie die kabinets-
justiza Fs. in Sachen des müllers Arnold, den M. mit hohem freimut hier anführt
(7, 13fgg.): dann schweigt Deutschland.
Ohne also auf die historische beweisführung des königs einzugehen — wozu
M. weit befähigter gewesen wäre, als z. b. Afsprung — setzt er dem königlichen
dogma: Les muses demandent des aziles tranquilles (8, 25 fg.) positiv seine empfehlung
der kriegspoesie, negativ seine kritik an der "ruhe' der öffentlichen zustände entgegen,
und zwar nicht in der aufwallung des augenblicks, wie mau nach einem briefe seiner
tochter annehmen möchte (s. oben s. 277, anm. 3). Es sind vielmehr alte, lieb-
gewordene gedanken, die, über die phantasien zerstreut, sich doch schliesslich zu
einem kraft- und tatideal zusammenschliessen, das an die Sehnsucht des Sturmes
und dranges gemahnt. Empfindungsschwache Völker, wie die Deutschen, sollen sich
nicht mit empfindungsstarken, wie den Engländern etc. vergleichen wollen (7 fg.).
Keine bessere einleitung hätte er seiner Götzapologie vorausschicken können.
Ihr erster teil (9) beschäftigt sich mit der Widerlegung des königs. Oder es ist schon
gar keine Widerlegung mehr. Sondern M. sucht das urteil Fs. nur als einseitig — sub-
jektiv zu erweisen. "Alles was der könig daran auszusetzen hat, besteht darinn, dass
es eine frucht sey, die ihm den gaumen zusammen gezogen habe, und welche er auf
seiner tafel nicht verlange. Aber das entscheidet ihren werth noch nicht'
(9, 15 — 19). Ein anderes ist der geschmack der hofleute, ein anderes ein volisstück.
'Alles in der weit ist doch nur relativ schön und gross, und die eichel geht in
ihrem rechte vor der olive' (9, 8 fg. vgl. IV, 44; IX, 85). Dass M. gerade für die
breite masse des volkes, die der Götz in bunten bilden) uns vorführt, von jeher das
tiefste Verständnis hatte, bezeugt fast jede 'phautasie'. Als warmer freund jeder volks-
1) Ein neu aufgefundenes gedieht Ms. auf den jungen könig (1712) bei Sehüdde-
kopf s. IX— XIII.
2) Diese feindschaft gegen die 'gelehrten' ist gleichfalls althergebraoht: 1. 138;
Hl, 128-132; IV, 21. 25 fg. 3(3. 69. 10, 14 fg. in unsrer schrift hobt er ausdrücklich den
gegensatz zwischen diesen gelehrten und der 'deutschen art und kunst' hervor. Mit
diesen gelehrten überhaupt werden wir nie aohtung beim ausländ gewinnen: 10,23—30.
3) Die kritische Charakteristik des Staates der aufklärung 7.2ft,ru'. hat ebenfalls
ältere parallelen: [, 396fg. 438; Iü, 68fg. !•<); IX, 241 f gg. Der aufklärungsstaal mit
seiner reglementiersuchl ist besonders an dieser erschlaffenden ruhe bi huld.
280 tUhH
tümlichen cegung kann er gar nichf u . al den Götz mi( Ereuden btgrüssen. Er
trifft sieh darin mil dem sammle) der Volkslieder, der noch in pttterei seil Gotl
feierlich gedankl bat, dass Goethe den Götz geschrieben habe. '8chön and -
können unsre prodakte weiden', wenn wir hier weiter bauen (10.31). So empfiebll
er neben Klopstock and Goethe auch Bürger (10 fg. vgl. X, 234).
Jim zweiten (eile der Götzapologie achl M. (11 fg.) die dramaturgische
kiitik Ks. zu stürzen. Die untauglichkeil des Götz für die bübne scheint er verhüllt
zuzugeben ('Sammlung von gemählden LI, 8)'. ahei Bofort behauptel er ee wärt
Goethe ein leichtes gewesen, die verlangten einheiten berzu teilen (11, 13fgg.); abei
er wollte es eben nicht (11, 21— 24); denn er hat nur eine sammlung von gemählden
aus dem national -leben unsrer vorfahren' (11,8) geben wollen*. Trotzdem hat auch
der Götz seine 'einheit'; freilich nicht eine, wie der könig und Voltaire sie verlangen,
und wie sie M. nicht minder vernichtend kritisiert, wie Lessing . sondern eben eine
andre: eine einheit der mannigfaltigkeit '. Schon im Harlequin (1761), eine]
jugendschrift, hat er (IX, 93 fg.) zur erläuterung die musik herangezogen. Ganz
ähnlich in unserm schreiben der hiuweis auf ein doppelchöriges Heilig von Bach
(14, 20). Gerade diese mannigfaltigkeit ist im gründe das, was die deutsche von der
fremdländischen entwickelung abhebt (12, lOfgg.). Ein abstraktes Schönheitsideal hat
bei den Romanen immer viel stärker gewirkt, als bei den Deutschen (12,27 — 36).
Der könig hätte zusammen mit dem Götz gar nicht erst den Shakespeare zu
vorwerfen brauchen, um M. eine Verteidigungsrede für diesen zu entlocken: es war
selbstverständlich, dass, wer für den Götz eintrat, auch den Shakespeare lobte. Schon
im Harlequin, dessen dramaturgischer teil sich bisweilen mit dem 'schreiben' berührt,
hat er einen berühmten lobspruch Popes über Shakespeare angeführt (IX, 72). An
unsrer stelle eröffnet er die daiiegungen im Stile Lessings mit einem vergleich zwischen
dem tode Cäsars (13) bei Voltaire und Shakespeare. Wie man hier den unterschied
zwischen natur und künstlichkeit bemerken kann, so besonders anschaulich — und
das ist wider ein lieblingsgedanke — an dem unterschied zwischen einem englischen
und französischen garten (13, 25fgg.). Schon der Harlequin kämpft gegen die 'mono-
tonische einrichtung' der französischen gärten (IX, 68 vgl. 1,241), und als gegen-
stück beschreibt eine phautasie ('Das englische gärtchen' II, 330 — 332) die Vorzüge
der englischen. Wie bedeutend mag dieser angeborne wirkliebkeits - und natürlichkeits-
sinn durch den aufenthalt in England5 verstärkt worden sein: Shakespearekult und
Engländerverehrung gehen auch bei ihm band in band, wenn er sich auch gelegent-
lich — wie er denn überall die auswüchse bekämpft — gegen übertriebene anglo-
manie wendet (X, 189). Wenn wir dagegen, meint M. (14, 23fgg.), den guten eng-
lischen Vorbildern nicht folgen, dann sinken wir auf den Status von Ludwig XIV.
1) Vgl. frau rat 4. 2. 1781 (bei v. Loeper, Hempel 21, 395): -Meinem söhn ist
es nicht im träum eingefallen, seinen „Götz" vor die bühne zu schreiben'.
2) Dessen wolgetroffenes colorit M. als kenner rühmt. — 12, 1 — 9 gegen die
übertriebenen nachtreter Goethes.
3) 'Der herr von Voltaire versteht unter einheit des ortes eine ganze Stadt,
so dass eine handlung im capitol anfangen, und sich in einem hause endigen kann :
im Harlequin IX, 92 *.
4) Auch auf andern, z. b. politischem gebiete ist M. ihr freund: I, 397; II. 21;
111, 90. 94. — Im 18. stück der Dramaturgie wird der Harlequin mit anerkennung
erwähnt.
ö) Nicolai X, 28 — 30. Ms. briete, ib. 212 — 216 vgl. 90; HI, 94; IV, 236 fgg.
ÖBEB FRIEDRICH D. GR. ED. &EIGEB UND .IUSTUS MOSES ED. SCHÜDDEKOFF 281
und Marmontel herab1. — Den schluss der Shakespeareapologie bildet eine längere
ausführung (15 fg) über den wahren begriff der 'einheit' '.
Es bedarf keines beweises, dass auch dieser dritte gedanke: die empfehlung
einer verinnerlichten einheit (neben den beiden andern: der empfehlung der kriegs-
poesie und des volkstümlichen) d. h. der kämpf gegen den französischen klassizismus
eine eigentümlichkeit der litterarischen revolutionspartei ist'. Zwar sucht sich M. in
litterarischen fragen gerne als laien hinzustellen:
X, 157: 'ich erkenne mich nur für einen laien in dem Orden der schönen geister'.
X, 161: M. hat nie 'ein compendium der schönen Wissenschaften' gelesen.
Aber das sind wol scherzhafte Übertreibungen. Denn schon der Harlequin zeigt ihn
als verständigen kritiker der dramaturgischen Vorurteile. — Noch wertvoller aber muss
uns sein dramaturgischer Standpunkt deshalb erscheinen, weil er die französische
bildung sehr wol kennt, aber eben auch sehr früh auf ihren wahren wert zurück-
führt4.
Nachdem sich AI. mit seiner erläuterung des wahren begriffs der einheit recht
weit vom könige entfernt hat, kehrt er zur hauptfrage zurück und schildert die
gefahren des nachahmens fremder muster (16, 17fgg.) überhaupt5. Zunächst
weist er auf die notwendige inkommensurabilität von original und copie hin (16, 17 — 2-4 1.
'Es ist allezeit sicherer original als copie zu sein', war das thema einer der älteren
Phantasien gewesen (II, 222 fgg. V, 104 fg. ). An zwei beispieleu sucht er das zu er-
läutern: an dem Schicksal einer ganzen . litteraturgattung und an der eutwickelung
eines bestimmten litteraten. Die litteraturgattung ist die geistliche rhetorik
(16,25 — 17. 11), für die Moser die simplicität (die auch Jerusalem preist) weit höher
schätzt, als wenn mau die harfe Davids ergreift, ohne seinen geist zu haben (17. lOfg.i.
Da ist ihm das verfahren des Matth. Claudius (17, 2) viel empfehlenswerter. — Wie
er an den copieen im allgemeinen die Unwahrheit tadelt (16, 23), so im besonderen
an dem jungen Wieland (17, 12 fgg.). Denn das ist das zweite beispiel, das er
uns vorführt. Freilich hat Wieland die alten irrwege verlassen, und jetzt stellt er
1) Im anschluss daran (14, 35 fgg.) werden die französischen Shakespeareüber-
setzungen behandelt. S. 15 folgen weitere empfehkuigen der 'mauuigfaltigkeit'.
2) Zur erläuterung dienen zum teil beispiele aus der bildenden kunst, die M.
auch sonst liebt.
3) Wie weit M. mit seinen historischen arbeiten den Götz uud den Eginont
beeinflusst hat (Mollenhauer, Ms. auteil an der widerherstellung des deutschen g
Braunschweiger programm 1896, s. 11), habe ich nicht nachprüfen können.
4) Darüber Nicolai X. 13 15. 90. Wie der junge Goethe, .sehreibt er als 27-
jähriger französisch: ib. 201 fgg. Eine litterarische beeinflussung durch Voltaire hat
M. für das schreiben über Luther selbst zugegeben: K. 190fg. Es stammt wol aus
französischer quelle, wenn er die aotwendigkeil von kunstregeln überhaupt scharf
hervorhebt (III, 254 fg.; V. 7 4 fg.). — Noch 177s spricht er in einer 'Zuschrift an
einen jungen dichter' vom nutzen und vorteil der dichtkunst für die menschliche
glückseligkeit, obwol er sonst den dramaturgischen moralismus (hierin über Lessing
hinausgehend) bekämpft (EX, 23 fg. 210; V, 52 fg.). Einer der freunde seiner jagend,
St. Evremont, wird in unserm schreiben und auch sonst oft genannt Da
wird Marivaux im schreiben nicht erwähnt. — Im übrigen scheint das material
nicht reichlich genug zu sein, um eine entwicklungsgesohiohte seines dramaturgischen
Standpunkts zu geben.
5) Es ist sehr auffallend, dass er sich weder hier noch, so viel ich sehe, an
irgend einer andern stelle seiner werke auf Herder beruft. Persönliche beciehungen
zwischen beiden haben nichl bestanden: Eavm I. 747.
282 ilAillAi.KN
da als der 'meister in der kunst, «Jio Schleichwege de menschlichen herzens zu ent-
blössen' (17, lSfgg.)1-
Krst gegen den schluss dieser auseinandersetzungen (17, 27fgg.) gehl er von
nachabmungen zwischen einzelnen zu den zwischen ganzen nationen über und bu< b<
darzulegen, dass gewisse antersohiede zwischen den nationen überhaupt nicht aus-
gleichbar sind1, wobei das zuerst angeschlagene theina nocb nachklingt, wenn eshi
(18,2—4): "indem der Deutsche schreiben muss, tun professor zu werden, geht der
Engländer zur see, am erfahrungen zu aammlen3.
Das resultat dieser allgemeinen bedenken gegen nachalimung libi-rhaupi
das aus den früheren teilen des Schreibens bekannte: nur insoweit -als sie zur Ver-
besserung unsror eigentümlichen guter und ihrer kultur dienet' (18, 31 fg.) soll die
kunst der nachbarn nachgeahmt werden*.
Wie sich aber Moser schon früher gegen die extreme Weiterbildung der Götz-
tendenzen gewandt hat, so verwahrt er sich jetzt dagegen, dass man nun alle und
jede nachahmung für verwerflich halte. Er könnt die gefahren (19, 5 fgg.), die dem
an sich berechtigten Selbständigkeitsstreben nicht erspart bleiben, die gefahr tradi-
tionslosen Schaffens überhaupt, da man einen pfad verlässt, 'welchen auch schon
meister vor uns geebnet haben' (19, 8), 'oder wir folgen', heisst es weiter (19, 10), 'wie
Göthe in Werthers leiden, blos der erhöheten empflndung, und opfern die logische
Wahrheit der aesthetischen auf'"'. Der negativen folgt die positive Beschränkung des
kampfs gegen die nachahmung (19, 17fgg.). Denn M. erklärt ausdrücklich verschiedene
dichter, die 'nachgeahmt' haben, für wertvoll: Hagedorn, Gleim, Ramler, die Karschi n
und Geliert. Im Zusammenhang unsrer schrift aber ist diese doppelte cautel: die warnung
vor den gefahren allzu grosser Originalitätssucht einerseits und die anerkennung wert-
voller nachahmungsprodukte andrerseits etwas ganz nebensächliches. Denn schliesslich
wird der alte Standpunkt nochmals mit grösster deutlichkeit formuliert (19, 29 fgg.).
1) Wie M. sonst zu Wieland gestanden habe, ist aus dem bisher bekannt ge-
wordenen material nicht ersichtlich. In der buchform des Schreibens hat er das
urteil des zeitschriftenaufsatzes abgemildert: Schüddekopf s. XXIV.
2) Doch bekämpfter es auch (24, 25 fgg.), wenn man den ausländem zuwenig
gerechtigkeit widerfahren lässt.
3) Die folgenden bemerkungen über die Unmöglichkeit, gewisse Situationen und
in ihnen gesprochene worte nachzuahmen (18, 11 fgg.) gehört kaum noch zum thema.
4) Hinweis auf Rousseau und Klopstock: 18,33 — 19,4.
5) Wie weit diesem merkwürdigen urteil die Schlagwörter der Wertherkritik
vom Standpunkt der alten ästhetik aus zu gründe liegen, habe ich noch nicht nach-
weisen können. Es ist nicht ausgeschlossen, dass Ms. freundschaftliche beziehungen
zu Nicolai sein urteil mehr als gut beeinflusst haben. Denn er wünscht früher
alles ernstes, dass die Nicolaischen 'Freuden' den 'Leiden' angeheftet werden möchten:
'um die schwachen zu stärken'. Und über den Werther im ganzen weiss er nichts
besseres zu sagen: als: 'ich hänge mich nicht' (1775 an Nicolai: X, 156). Vielleicht
hat er durch seine tochter Goethe selbst über diese seine meinung aufgeklärt; denn
es heisst in ihrem mehrfach genannten briefc:
'Sie hätten nach meiner vormaligen antwort wohl nicht gedacht, dass mein
alter vater noch Ihr vertheidiger werden . . . würde' (X, 241).
Darauf verweist schon v. Loeper bei Hempel 22, 442. Er unterschätzt die tiefe des
abgrunds zwischen den 'Freuden* und 'Leiden', wenn er sich darüber wundert, dass
Goethe Nicolais machwerk überhaupt übel genommen hat (X, 159). — Eine Ver-
werfung des Werther aber findet sich weder 1775 noch 1781. Zum Schlüsse des
Schreibens tritt der Werther doch wieder dem Götz an die seite.
ÜBER FRIEDRICH D. SR. ED. OBIGER UND JTTSTUS MOSER ED. SCHÜDDEKOPF 283
Wie M. sich noch eben an dem Rousseau, der ganz aus sich selbst schöpft, gelabt
hat, so scheut er sich jetzt nicht, die berüchtigten namen aus der äussersten linken,
Lenz und Wagner zu nennen und ihrem schaffen grundsätzlich zuzustimmen1. Zu
früh für die deutsche kunst sind sie nach seiner ansieht gestorben. Eines neuen
Lessing bedürfte es, um diese keime zu regelrnässigerer entfaltung zu bringen (19, 32
bis 20, 3).
Hinter diesen selbständigen und noch heute wertvollen capiteln über die läge
der litteratur, die weit über das hinausgehen, was man von einer antwort auf Fs.
schrift erwarten möchte, tritt die ausführung über die spräche mehr zurück (20—23.)
Trotzdem hat M. auch diesem capitel einen gedanken zu gründe gelegt, der es von
den parallelen abschnitten in den andern gegen Schriften unterscheidet. M. nämlich
uileilt nicht über die spräche im allgemeinen, sondern über die Sprachgattungen,
sogar über die spräche der einzelnen Wissenschaften.
Mit Fs. ausstellungen kann sich M., auch wenn er's nirgends ausdrücklich
sagt, in keinem punkte einverstanden erklären. Denn es ist nur eine äusserliche
Übereinstimmung, wenn auch M. die spräche als arm bezeichnet. Der könig hält
sie für arm, weil sie nicht so logisch durchgebildet, nicht so begrifflich differenciert
ist, wie das französische. M. hält sie aus ungefähr dem genau entgegengesetzten
gründe für arm. Sie ist arm, weil sie eine buchsprache ist (20). Diese armut ist
die selbstverständliche eigenschaft jeder buchsprache, namentlich der französischen.
Dagegen ist das englische nach Ms. meinung keine 'buchsprache', sondern 'ein auf
den thron erhobener provinzialdialekt', der auf seinem eignen fetten boden steht, nicht
aber, wie unsre buchsprachen, auf der tenne dörret (20, 18 — 20) 2.
Ein paktieren zwischen diesen ansichten Ms. über die spräche und den fride-
ricianischen * war ganz aussichtslos. M. hat sich deshalb (im gegensatz zu Wezel)
auch hier mit keiner Widerlegung des einzelnen befasst.
Dagegen liegt ihm daran, die erfreulichen erscheinungen im deutschen sprach-
leben noch schnell der reihe nach vorzuführen. Er behandelt die komische spräche
(21,20 — 22,8), die dichtersprache (22,8 — 22), die kunstsprache (22.23 — 23,1), die
1) Es scheint die einzige stelle in den bisher publieierten schritten zu sein,
wo er über den Sturm und drang urteilt.
2) Genau denselben Standpunkt vertritt er in einem briefe an J. B. Michaelis
(X, 226 fg., der jetzt bei Schüddekopf s. XVI fg. im original vorliegt). Was F.d. g.
wol befürworten würde, die Sprachbildung "kalten philosophen' zu überlassen (227t.
gerade das verwirft er. Für M. ist überhaupt *jede provincial spräche gewissermassen
reicher und mahlevischer . ., als eine allgemeine, die sich nicht vom gründe er-
hoben' (ib.). Auch die litterarische Verwertung der berufssprachen hat dieser brief
schon ins äuge gefasst. — Ein kurzer, undatierter aufsatz über die deutsche spräche
(V, 82— 84) bespricht gleichfalls die frage, ob die deutsche spräche arm sei, und
beantwortet sie im selben sinne. Der ganze aufsatz kommentiert unser sprachcapitel
genauer. Doch ist es nicht möglich, für den einen oder deu andern die priorität zu
behaupten. Lessings Verdienste, die auch im schreiben erwähnt werden, streift M.
hier ebenfalls (83). Auch der hinweis aufs englische fehlt nicht.
Die Vorliebe für die idiotismeu teilt er u. a. mit Herder, ebenso z. t. die Vor-
liebe fürs altdeutsche. Ms. vordienste um die grundlegung der deutschen philologie
sind überhaupt sehr gross. Doch kann hierauf nicht näher eingegangen werden.
3) Diese haheu M. höchstens darin beeinflusst, dass wider parallelen mit dem
französischen gezogen werden (20, 31 fgg.i, wobei M. den vorsprung des franzö-
sischen offen zu gibt. Doch kommt er sein- bald auf die guten fruchte der deutschen
Sprachgeschichte zurück.
L'Nl HAHHAGEN ÜBEH l KiM.ifP 11 i>. '■):. BD. m.I'.i.i. I (0 J0SX1 • ÜÖSEU JtD. BCttÜUQJBKOl'l
rednersprache (23, I 5), die philosophische (23 5 s> and die historische pn
es.;. 8—22).
Den abschnitt über die dichtersprache, d. h. übei die spräche dei epil
lyrik, beginn* <-v mit <incin erlen-hb rui if/.i-r über ilen sjcm der Schweizer über
Gottsched. Sonst werden Haller, Klopstock, ("Heim in diesen zusammen!]
genannt. Don letzteren vorehrt M. nicht nur als den Verfasser der kriegslieder, Bondern
auch als den kenner <Iit altdeutschen poesie (X, 228).
Bei der besprechung der kunstsprache werden "Winckelmann und Sulzer
genannt, Herder und Leasing verschwiegen. Als meister der romansprache rühmt
er Wieland, Lavater, F. H. Jacobi und Miller (vgl. X, 155 fg. und jetzt Schüdde-
kopf s. XVII).
Auffallend kurz äussert er sich über die rednersprache, obwol er hier alfl
fachmann bezeichnet werden darf: Nicolai X, 8. 25; Abeken 37fg.; Goethe, Dichtung
und Wahrheit, III, 13 schluss (Hempel 22, 141).
Für die philosophische spräche verweist er nun endlich auf Leibuiz und
Wolff, deren namen in der ganzen debatte, die sich an die schrift des königs an-
knüpft, über gebühr zurücktreten1.
Auch über den historischen stil äussert er sich merkwürdig zurückhaltend.
Doch ist sein satz, dass der historische stil sich in demselben masse, als der preussische
name, vervollkommnen werde, berühmt geworden (23, !tfg.). Nicht minder beachtens-
wert ist es, dass er die grenzen des historischen, als eines wissenschaftlichen stils
deutlich erkennt. Auffallend nur, dass er, der doch zu den totengräbern der auf-
geklärt-moralischen geschichtsbetrachtung gehört, hier noch von einem 'erbaulichen7
Charakter des geschichtsvortrages spricht.
Ms. sprachcapitel entbehrt zweifellos der principiellen schärfe, die aus Herders
Fragmenten (und aus Afsprungs bemerkungen) bekannt ist. Ihm kommt es mehr
darauf an, ein inventar über das wertvolle unter den bisherigen leistungen aufzu-
nehmen. Damit widerlegt er auch den könig viel besser, als wenn er sich, wie
Wezel, auf das uferlose meer der aufklärerischen sprachbesserungsvorschläge hinaus
begeben hätte.
Zu diesen sachlichen Vorzügen der schrift kommt uoch ein persönlicher. Es
ist die überaus schonende form2, in der M. mit dem könig verhandelt. Anfang und
schluss des Schreibens beweisen das in gleichem masse. Am anfang (5, 8) lobt M. die
Lettres sur Pamour de la patrie Fs. (1779: Oeuv. IX, 211 — 244). Im schlusstei
(24, 16) lobt M. daran den 'systematischen geist der Deutschen'. Mit behagen mochte
er hier gesehen haben, wie der könig in der form des gesprächs den politischen
(juietismus siegreich überwindet ::.
Die Schlusscharakteristik hebt ein doppeltes an der gestalt des königs hervor:
einmal seine verliebe für Frankreich (23, 27fgg.). Kein wunder, dass er hier seinen
1) F. d. g. kennt ihre sprachlichen Vorzüge nicht. Denn er hat sich selbst beim
Wolff hartnäckig geweigert, ihn deutsch zu lesen.
2) 'So sehr er dem könige sein urteil zu gute hält, so sehr ärgerte er sich
über das nachbeten solcher leute, die unendlich weniger als der könig zu besorgen
und unendlich mehr zeit hätten, ihre lection zu studieren'. Frau v. Voigts X, 241
3) 24, 1 ist Ms. hinweis auf das hohe alter der gedanken, die der könig vor-
trägt, wichtig.
GOLTHBB, ÜBER SÖJIS©, 09SIA» IN 8ERMAXT 285
spott über Voltaire ausgiesst1. Denn Voltaire ist auf dramaturgischem und histori-
schem gebiete sein alter feind.
Die andre seite des königs ist seine Originalität, seine deutschheit: '-wo er sich
als Deutscher zeigt, wo köpf und herz zu grossen zwecken mächtig und dauerhaft
arbeiten' (24,6 — 8), da ist ihm der könig lieber, als 'wo er mit den ausländem um
den preis in ihren künsten wetteifert' (24, 9 fg.), ein satz. den ein hinweis auf andre
Schriften des königs weiter verdeutlicht.
Aber alle loyalität Ms. kann darüber nicht im zweifei lassen, dass M. der sach-
lich überlegene ist. Ihm ist es gelungen, unter Vermeidung aller eiuzelkritik aus ein
paar Sätzen des königs das grundsätzliche herauszufühlen. Er führt die Widerlegung-
grundsätzlich und stellt deshalb nur grosse gedankenkomplexe auf, natürlich in ganz
concretem gewande, mit einer fülle einzelner beispiele -, wie das stets seine art ist,
und doch in voller principieller schärfe.
Die grundgedanken des Schreibens sind, wie wir sahen, auch bei M. älteren
datums. So stehen sich in seiner und des königs Schrift in der tat die beiden soh.lu.ss-
redactionen einer ganzen lebensarbeit gegenüber. Alte und neue zeit ringen hier
miteinander. Eine Verständigung zwischen beiden ist ausgeschlossen. Und doch sind
beide wenigstens in einer hinsieht einig: in dem glauben an ihr volk, in der hoffnung
auf eine schönere zukunft. Und diese hoffnungen sind nicht zu schänden geworden.
1) 'Der durch die grossheit seiner empfindungen und seiner manier, alles um
sich herum und seine eigenen fehler verdunkelte ' 23, 28 — 30.
2) Nur die wichtigeren habe ich herausgehoben.
KIEL. DR. EASHAGEN.
R. Tombo, Ossian in Oormany. Bibliography, general survey, Ossian's influence
upon Klopstock and the Bards. New York 1901 (Columbia university gerinanie
studies, vol. I nr. II). 8°. 157 s.
Unter den englischen einfiüssen, die im 18. jahrh. nach Deutschland herüber
wirken, steht der Ossians obenan und verdient eine besondere Untersuchung und
darstellung, die Tomho in der vorliegenden Schrift in vollem umfang aufnimmt.
Nachdem Bruno Schnabel in den Englischen Studien bd. 23 die Wirkung Ossians auf
die englische litteratur bis 1832 untersucht hatte, erschien es um so mehr geboten,
die nicht minder zahlreichen und wichtigen ossianischen nachklänge in Deutschland
zu behandeln. Der Verfasser gibt zunächst nur den Klopstock und die barden be-
treffenden teil seiner forschungen, die bibliographie dagegen (s. 3 — 65) reicht bis 1897.
Dieses sehr reichhaltige Verzeichnis beruht auf den sammluugen des Britischen museoms
und der deutschen bibliotheken. Schon ein blick ins Schriftenverzeichnis lässt die
Zeiten, in denen Ossian auf der tagesordnung stand, sofort erkennen und der ge-
samtüberblick (s. 66 — 75) behandelt in grossen zügen dio Schicksale Ossians in Deutsch-
land, wie die nachrichten darüber, die Übersetzungen und nachalimungen zu- und
abnehmen, je nachdem aesthetische oder wissenschaftliche fragen hervortreten, bis end-
lich Ossian nicht mehr gelesen wird, sondern nur noch den litteratur- und sagen-
forscher beschäftigt. Hier wäre die bibliograpliie leicht noch zu erweitern gewesen,
wie schon aus Sterns aufsatz über die ossianischen holdenlieder (Zeitschr. f. vergl.
lg. 8, 51 fgg.) zu ersehen ist. Die Würdigung, die Ossian in den grösseren litteratur-
geschichton, z. I>. bei Wülker s. 5 fgg., erfährt, war zu verzeichnen Wülker urteilt:
„wie Macphersmis werk ein vierteljahrhunderi übersohätsl worden war, so wird es
186 «1 i BB8I hu .rs'OEN
jetzt meist unterschätzt, uud «Jas ist zw bedauern. Man hat sich jetzt gewöhnt, in
Macpherson nur einen betrüge! zu sehen; was er als selbständiger dichter gilt, wird
gar nicht erörtert". Ossian bat auch in Deutschland wie in England das unbestreit-
bare o|-osse verdienst, poetische k raffe, gefühl und nafur.-f iinmung. ausgelost odei
doch gekräftigt zu haben. Er ist ein bildner und erzieher für riele dichter und leser
"•wurden, woran Überschätzung und Übertreibung nichts ändert (vgl. Khnnann. I»i
bardische lyrii S. 9fgg.). Im $2 s. 75 — 81 bespricht Tombo die frühesten erwäh-
nungen uud Übersetzungen Ossians vor Denis und stellt fest, dass sie von Bremen.
Hamburg. Göttingen und Hannover, von städten, die englischen Einflüssen zunächst
zugänglich waren, ausgiengon. S. 82 — 105 sind Klopstock gewidmet, dessen öden
(von 1764. 1760 und 1767) und Hermannssehlacht die meisten ossianischen anklänge
autweisen. Goethe hat im Werther (I). j. G. 3, 327) aufs anschaulichste und fast er-
schöpfend in wenig worten alle bildlichen und stilistischen Wendungen und die ganze
Stimmung zusammengefasst. die die barden dem < »ssian nachempfinden. „Welch eine
weit, in die der herrliche mich führt. Zu wandern über die heide, umsaust vom
Sturmwinde, der in dampfenden nebeln, die geister der väter im dämmernden lichte
des mondes hinführt. Zu hören vom gebirge her, im gebrülle des waldstroms, halb
verwehtes ächzen der geister aus ihren höhlen, und die wehklagen des zu tode ge-
jammerten miidchens, um die vier moosbedeckten, grasbewachsenen steine des edel-
gefallneu ihres geliebten" usw. Es ist also verhältnismässig leicht, ossianische spuren
bei deutschen dichtem aufzudecken, wenn schon vorsieht dadurch geboten ist, dass
auch Macpherson aus den im 18. jh. bevorzugten stilistischen hauptquellen, aus der
bibel, Homer, Milton und lateinischen dichtem schöpft. Tombo zeigt, wie bei Klop-
stock allmälig das ansehen Ossians abnimmt, bis er am ende seines lebens seine
echtheit überhaupt bezweifelt. Gerstenberg (s. 103—19) hat zuerst kritische zweifei.
hernach aber im Skalden, Ugolino, besonders in der Minona verfällt er gänzlich
seinem einfluss. Denis (s. 119 — 38), der Übersetzer Ossians, ist natürlich am meisten
von ihm abhängig. Bei Kretschmann (s. 139 — 48) ist Ossians einfluss im wesent-
lichen aufs bardiet (Ringulphs gesang und klage) beschränkt und geht nicht so tief
wie bei den andern.
Tombo behandelt seinen gegenständ umsichtig, mit sachlich wolbegründetem
urteil. Die Studien sollen weiterhin Sturm und drang und die romantiker im Ver-
hältnis zu Ossian umfassen.
ROSTOCK. W. (iOLTHER.
NEUE ERSCHEINUNGEN.
Bauer, Karl, Waldeekisches Wörterbuch nebst dialektproben. Herausg. von Herrn.
Collitz. [A. u. d. t.: Wörterbücher herausg. vom Verein für niederdeutsche Sprach-
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Bethge, Richard, Ergebnisse und fortschritte der germanistischen Wissenschaft im
letzten vierteljahrhundert. Im auftrage der Gesellschaft für deutsche philologie
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Studien zur engl, philologie hrg. von Lor. Morsbach. XL] Halle, Niemeyer 1902.
(IV), 360 s. 5 m.
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[Särtryck ur Sjätte nordiska filologmötets förhandlingar.] Upsala 1902. 16 s.
XEUE BRSC'HEIN'CXGEX 287
< hamisso. — Tardel, Herrn., Studien zur lyrik Charaissos. [Progr. der handels-
schule (oberrealschule) zu Bremen.] Bremen, Winter in komm. 1902. 64 s. 1 m.
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B. G. Teubner 1903. 47 s. 0,50 m.
NACHRICHTEN.
In Christiania verschied in der nacht zum 23. februar der um die nordische
geschichte, altertumskunde und philologie hochverdiente professor an der dortigen
Universität dr. Gustav Storni (geb. 18. juni 1845 in Rendalen).
An der Universität Kiel habilitierte sich dr. Otto Mensing für germanische
philologie.
Die 47. Versammlung deutscher philologen und Schulmänner wird
vom 6. bis 9. october 1903 zu Halle a. S. stattfinden. Vorträge für die Plenar-
sitzungen sind bei einem der beiden Vorsitzenden (geh. regierungsrat professor
dr. Dittenberger in Halle, Wilhelmstrasse 22, und geh. regierungsrat professor
dr. Fries in Halle, Franckeplatz 1), vortrage für die germanistische section bei
einem der herren obmänner (professor dr. Strauch in Halle, Martinsberg S. und
professor dr. Matthias iu Burg bei Magdeburg) bis zum 1. juli anzumelden.
Bnchdrnekerei des Waisenhauses in Halle a. S.
SIGKDKIFUMAL UND HELEEIDH.
Den hauptinhalt der folgenden Untersuchung bildet eine kritik der
Sigrdrifumäl. Da indessen die hierhergehörigen fragen mit der nach
dem Verhältnis der Sigrdrifa zu Brvnhildr, welche widerum von der
beurteilung der Helreio nicht getrennt werden kann , unlöslich verknüpft
sind, habe ich die in der natur des Stoffes liegende doppelheit durch
eine einigermassen entsprechende Verdoppelung des titeis dieser abhaud-
lung angedeutet. "Wer geglaubt hat, dass der streit über das Sigrdrifa -
lied beendigt sei, hat sich geirrt. Nachdem Simons' Untersuchungen
(Zschr. 24, 1 fgg.) von mehreren Seiten beifall gefunden, so dass selbst
Gering in seiner Eddaübersetzimg die meinung derer, welche an einer ur-
sprünglichen zweiheit der beiden trauen festhalten, für eine Verblendung
erMären konnte, zeigt Heuslers aufsatz in der festgabe an Paul, dass
eine entgegengesetzte auffassung noch ernsthafte, gelehrte und scharf-
sinnige Vertreter hat. Ich glaube, dass das letzte wort in dieser Sache
noch nicht gesprochen worden ist, und versuche im folgenden auf einem
in gewisser hinsieht neuen wege die Sigrdrifa -frage ihrer lösnng uäher
zu bringen.
Namentlich die folgenden punkte wurden zur discussion gebracht
und waren für das urteil der forscher massgebend:
1. die echtheit der übergrossen mehrzahl der Strophen. Müllen-
hoff, dessen kritik den ausgangspunkt der jüngeren Untersuchungen
bildet, schied zwei Strophengruppen, 6 — 19 (1) und 22 .".7 (II) aus.
In bozug auf die erste gruppe stimmen die späteren forscher ihm un-
bedingt bei, und da ich derselben meinung bin — ■ obgleich ich in der
beurteilung des Verhältnisses der str. 6 — 19 untereinander von ihm ab-
weiche (vgl. darüber unten s. 324 fgg.), — lasse ich diese Strophengruppe
vorläufig beiseite. Über str. 22 — 37 gehen die meinungen auseinander.
Sijmons a.a.o. s. 19 fg. verwirft sie; dasselbe tut Gering (Übers, s. 216)
und auch Heusler (a.a.O. s. 6), der jedoch die zweite hallte von str. 37
anerkennt; hingegen erklärt Finnin- Jönsson sie für echt, und auch
Sijmons kommt in seiner ausgäbe von -einer früheren ansieht zurück.
Finnin- Jönsson glaubt sogar in der mehrzahl der Strophen 22— 37 an-
ZBITSOinUFT V. DBUTSOHK PHILOLOGIE. BD. W.W. 19
290 BORT?
spielungon auf Sigurös spätere gesrhieke zu erkennen. Hin versuch,
den umfang der Interpolationen auf eine von Mtülenhoff vollständig ab-
weichende weise zu bestimmen, wurde oviel ich weiss Dicht gemacht
Die herrschende ansieht ist demnach, dass die schwachen punkte der
Überlieferung von Müllenhoff richtig nachgewiesen worden Bind, und.
dass demzufolge die kritische frage keine andere ist als die oh an den
von Müllenhoff bezeichneten stellen eine Interpolation vorliegt oder Dicht.
Dazu bemerke ich vorläufig nur dieses, dass falls eine neue Untersuchung
zu einer abweichenden begrenzung der interpolierten teile führen sollte,
das urteil über den wert einer solchen Untersuchung ausschliesslich da-
von abhängig gemacht werden müsste, ob die möglichkeit besteht, die
vorliegenden data mit hilfe der durch sie gewonnenen resultate zu er-
klären. Auf keinen fall geht es an, der forschung hier respect vor der
tradition vorzuschreiben, denn wer von 37 Strophen sieben stehen lässt,
welche noch über zwei parallele gedichte verteilt werden, kann für seine
sieben Strophen nicht die pietätvolle Schonung des mitforschenden in
ansprach nehmen.
2. Mit dem urteil über die echtheit der str. 22 — 37 hängt die
interpretation der str. 21 aufs engste zusammen. Der kernpunkt der
discussion ist die auffassung des Substantivs ästräft in z. 4. Von früheren
herausgebern als 'liebevoller rat' erklärt, wozu Fäfn. 35, 2 zu vergleichen
ist, wird es von Müllenhoff als 'liebe' interpretiert, worin Sijmons a. a. o.
s. 20 ihm beistimmt (vgl. jedoch Sijmons Edda 335). Wer glauben kann,
dass SigurÖr von der eben erwachten Sigrdrifa rat empfängt, wird auf
grund der bekannten bedeutung des Wortes mit der älteren erklärung
der stelle fürlieb nehmen; wem die Situation ein solches verfahren der
Sigrdrifa auszuschliessen scheint, der wird eine einigermassen gezwungene
und der Überlieferung des gedichtes widersprechende exegese vorziehen.
Diese ansieht scheint einen psychologisch, jene einen philologisch rich-
tigeren Standpunkt zu repräsentieren. — Das urteil über str. 21 im-
putiert keineswegs eine bestimmte ansieht über die identität der Sigrdrifa
und der Brynhildr. Sijmons a. a. o., der die beiden gestalten für ursprüng-
lich identisch hält, und Heusler, der sie voneinander trennt, stimmen
darin überein, dass sie ästräh durch 'liebe' übersetzen und sfr. 22 — 37
ausscheiden.
3. Eine dritte Streitfrage knüpft sich an den schluss des gedichtes.
Die YQlsunga-saga enthält nicht mehr ratschlage der Sigrdrifa als die
papierhss., deren letzte in R verlorene Strophen von Bugge für echt
gehalten werden, was keinen Widerspruch erfahren hat. Aber sie schliesst
die erzählung der begegnung mit dem berichte einer Verlobung. Die
SIGRDRIFUMAL UND HKLREIDH 291
echtheit dieses berichtes wird von Bugge und nach ihm von Golther,
Studien s. 48 geleugnet; Müllenhoff, Sijmons. Finnur Jonsson, Heusler
halten die nachricht für alt. Die allgemeine auf'fassung ist die, dass
am Schlüsse des gedichtes zwei Strophen, welche eine Verlobung ent-
hielten, verloren sind. Ein solches strophenpaar würde an str. 20 — 21,
wie sie Müllenhoff interpretiert, sich richtig anschliessen, doch ist das
urteil auch hier nicht von der beurteilung von str. 20—21 abhängig;
Finnur Jonsson, der üsträft wie Bugge auffasst und str. 22 — 37 bei-
behält, glaubt doch an die beiden verlobungsstrophen.
4. Eine grosse Übereinstimmung der meinungen besteht darin, dass
man in den echten Strophen reste zweier lieder erblickt. Man ver-
teilt sie nach dem metrum. Die fornyröislagstrophen sind reste eines
anderen liedes als die ljoöahättrstrophen. Nach dieser ansieht gehören
also str. 1. 5 und die halbe Strophe in der prosa nach 4 zusammen;
zu dem anderen liede gehören str. 2 — 4. 20 — 21 und die verlorenen
schlussstrophen. Einige halten die 21j2 fornyröislagstrophen für bruch-
stücke einer fortsetzung der igftna mal oder eines gedichtes, welches alle
fornyröislagstrophen aus Reginsmäl und Fafnismal enthielt (Edzardi,
Germ. 23, 319; Sijmons a.a.O. s. 12. 18); ferner nahm Bugge, der nicht
eine trennung der Strophen nach ihrer metrischen form durchführt, hier
str. 6. 8 — 10 der HelreiÖ auf, während umgekehrt Finnur Jonsson die
halbe Strophe in der prosa nach 4 in die HelreiÖ versetzt. Nach Müllen-
hoffs Vorgang setzt man allgemein str. 2 mit der folgenden prosa nach
strophe 4.
Die oben erwähnte Verteilung der als echt erkannten fragmente
auf zwei lieder wird uns zunächst beschäftigen. Es will mich dünken.
dass kein zwingender grund dazu vorhanden ist. Der hauptgrund ist
der, dass eine mischung von fornyröislag- und ljoöahättrstrophen in der
eddischen poesie etwas unerhörtes wäre; zu etwas unerhörtem aber wird
sie dadurch, dass man die stellen, wo sie überliefert ist, hinweg-
interpretiert. Die schöne erklärung, welche Grundtvig von Fafh. 32 — 30
gibt, wird aus diesem einzigen gründe, dass sie die Strophen als zu-
sammengehörig betrachtet, von Finnur Jonsson, der sie kurz vorher
ansprechend nennt, zurückgewiesen; und doch existiert kein einziger
grund, die möglichkeit einer mischung a priori zu leugnen: ob sie tat-
sächlich vorkommt, das muss auf grund der Überlieferung entschieden
werden. Der zahl der vügel au! plastischen darstellungen des drachen-
kampfes ist in der tat weder für die eine noch \üv die andere Inter-
pretation der Strophen ein argumen! zu entnehmen: die künstler waren
292 BOBB
wol keine philologen. welehe die vügelzahl anstatt von den ranmverhält-
nissen der Zeichnung von dem texte der Fäfhismal abhängig machten;
ausserdem ist die zahl auf verschiedenen darsteliungen eine verschiedene
(s. K. ,).. Litt. hist. I, 275). Wenn nun gegen die einheit vmi l'Vitn. 32 — 39
keine andere einwendung sieh erheben lässt, als dass die Mischung von
stiophen verschiedener form 'uhert' i-t, so lässt sieh die stelle der Fäfnis-
mäl für die Zusammengehörigkeit von Sigrdr. 1. 2 ins leid führen1. Das
liisst sieh auch nicht leugnen, dass str. 1 eine gute anfandst »uphe einer
Unterredung ist, und dass str. 2 auf str. 1 vortrefflich folgt. Wenn nun
die beiden strophen reste zweier voneinander unabhängiger paralleler
lieder wären, wie wäre es dann zu erklären, dass an keiner stelle
parallele, aber widerholt aneinander schliessende Strophen der parallelen
gedichte überliefert sind? Denn, abgesehen von der Fäfnismälstelle,
widerholt sich dasselbe bei str. 5. Auf einmal versagt die Überlieferung
i\cs liedes im IjöSahättr, und siehe, eine fornyrSislagstrophe ist da um
die Kicke zu füllen. Nach Finnur Jdnsson fehlt hier eine Ijööahättr-
strophe ähnlichen inhaltes; etwas weiter erklärt er dann zwar, dass die
nur scheinbar verlorene Strophe keine andere als str. 8 der Überlieferung
ist, aber das werden nur wenige ihm zugeben; str. 8 ist eine sentenz,
keineswegs eine begleitende rede beim anbieten des bechers wie str. 5;
über ihr Verhältnis zu ihrer Umgebung vgl. unten s. 324. Schwierigkeiten
in der reihenfolge der strophen entstehen nicht durch die Verbindung
in verschiedenen metris gedichteter aufeinanderfolgender strophen, son-
dern erst nach der entfernung der fornvröislagstrophen , sobald man
gegen die Überlieferung das ganze mit einer ljööahättrstrophe anfangen
lässt (vgl. unten s. 298 fgg.).
Um aber einer aprioristischen ablehnung meiner resultate als auf
falschen Voraussetzungen beruhend vorzubeugen, mache ich die folgende
beweislÜhrung nicht von der Zustimmung, welche ich in der beurteilung
der metrischen frage finden werde, abhängig. Ich gehe also davon aus,
dass str. 1. 5 und die halbe Strophe in der prosa von str. 2 — 4 zu
trennen sind. Es erhebt sich dann die frage, welches der beiden ge-
dichte mit recht den titel Sigrdrifumäl führt. Der titel stammt aus den
papierhss., aber wenn dieselben echte strophen enthalten können, welche
nicht in R stehen, so ist auch die möglichkeit nicht ausgeschlossen,
dass sie nach einer alten tradition einen titel mitteilen. Angenommen
1) Auf andere gedichte, welche in der Überlieferung dieselbe mischung zeigen,
gehe ich in diesem Zusammenhang nicht ein, da ihre Untersuchung zu weit führen
würde.
SIGRDRIFUMÄL UND HELREIMI 293
aber, class der titel eine jüngere erfindimg ist, so bedeutet die frage:
welches der beiden gedichte müsste, falls beide vollständig überliefert
wären, in der Sammlung an der stelle stehen, wo jetzt das combinierte
gedieht steht? Hier teilt man allgemein die auffassung Bugges, der
s. 227 bemerkt, dass die eigentlichen Sigdrifumäl mit str. 5 anheben.
Das bedeutet, wenn man in betracht zieht, dass zu der zeit, als Bugges
ausgäbe erschien, die unechtheit der str. 5 — 19 noch nicht erkannt war,
das -mal zu verstehen ist wie in Hävamäl, also Sigrdrifumäl = ' die
feierliche rede der Sigrdrifa'. Nach der ausscheidung der str. 5 — 19
bezieht sich der titel, wenn Bugges auffassung richtig ist, namentlich
auf str. 22 — 37. Eine unwillkürliche Zustimmung in der auffassung des
zweiten compositionsgliedes in Sigrdrifumäl ist wol der grund, dass
Bugges ansieht, dass der titel dem ausschliesslich aus ljöoahättrstrophen
bestehenden gedichte zukomme, bisher nicht angezweifelt wurde. Aber
mal in composition mit einem nomen proprium bedeutet in den meisten
Eddaliedern etwas anderes, vgl. Reginsmäl, Fäfnismäl, Atta/mal. Es
steht also nichts im wege, Sigrdrifumäl als 'das gedieht von Sigrdrifa'
zu verstehen, und unsere frage bedeutet dann, 'welches der beiden
gedichte handelt von Sigrdrifa'? Falls die beiden gedichte parallele
gedichte sind, was vielfach behauptet aber niemals bewiesen worden ist,
so kann man raten, von beiden, aber wenn es wahr ist, dass Sigrdrifa
ursprünglich ein appellativum ist, so ist es sehr möglich, dass das wort
nur in einem oder sogar in keinem der beiden lieder vorkam, und wir
müssen dann fragen: welches lied schloss unmittelbar an das vorher-
gehende an? Das lässt sich wol entscheiden. Zunächst ist zu be-
merken, dass, wo das metrum die absolute entscheidung herbeiführen
muss für die trennung in gutem Zusammenhang überlieferter Strophen
in einem gedichte (Sigrdr. 1 und 2), es gewiss auch wol für die be-
urteilung des Zusammenhanges zweier aufeinander folgender eine fort-
gesetzte erzählung enthaltender gedichte, welche vielleicht erst in der
schriftlichen Überlieferung voneinander einigermassen getrennt winden,
eine gewisse bedeutung hat, zumal wenn der inlialt der betreffenden
gedichte die Schlüsse, wozu metrische erwägungen führen, bestätigt.
Das metrum zeigt nun, dass str, I. 7 und die halbe Strophe in der
prosa nach 4 die fortsetzung zu Fäfn. 40 — 44 bilden —wobei ich die
frage, ob sie ein teil des nämlichen gedientes wie diese sind, nner-
örtert lasse — und das bestätigt die prosa. Denn einerseits erzählt die
prosa das, was man nach Käfn. 40 — I 1 erwartet; in der prosa heisst
ferner die walkyre wie Kal'n. 11 Sigrdrifa; andererseits paraphrasiert die
prosa ein wenigstens der hauptsaehe nach aus fomyrttislagstrophen he-
204
stehendes gedieht, was nicht hloss daraus hervorgeht, dass die prosa
nach l eine halbe fornyrSislagstrophe enthält, welche freilich in der
reihenfolge des combinierten liedes oichl rechtam platze zu stehen scheint,
aber jedesfalls innerhalb der prosa aD vollständig richtiger stelle mit-
geteilt wird (näheres darüber s. 302), Bondern auch aus der mangelhafte]]
Überlieferung -des gedichtes in l'ornyr^islagstrophen, di en wortlaui zur
zeit, wo die Sammlung entstanden, augenscheinlich vergessen war, gegen-
über dem reichtum des Ijöoahattrgedichtes, welches vielleicht keine ein
zige liieke enthält. Auch der inhali der überlieferten fornyrolslagstrophen
zeigt den Zusammenhang mit Fifa. 40 — 44; von 2i/i str. weisen 1 '/•.-
direct darauf zurück; hingegen bezieht sich unter 35 Ljöoahättrstrophen
einzig und allein die erste, welche unmittelbar auch dem zusammen-
hange nach an eine fornyröislagstrophe sich anschliesst, auf den schlus
der Fäfnismäl.
Die frage, in welchem der beiden gediente wir die eigentlichen
Sigrnrifumäl zu suchen haben, ist für die Kritik der Überlieferung nicht
ohne bedeutung. Bugges ansieht, dass die eigentlichen Sigrdrifumäl
str. 5 anfangen, und die in den ausgaben über str. 21. 22 mitgeteilten
in R nicht enthaltenen aufschriften Sigurpr kväp und Sigrdrifa Iraf,
haben bisher die Kritik von einem schritt zurückgehalten, den ich im
folgenden zu tun versuchen werde, die vollständige trennung der walkyre
auf dem berge von der person, von welcher das gedieht handelt, zu
dem die übergrosse mehrzahl der ljoöahättrstrophen gehören. Die haupt-
frage dabei ist, ob sich dieses gedieht als ein in sich geschlossenes
ganzes verstehen lässt.
Zunächst wird uns die frage beschäftigen, ob str. 22 — 37 von
str. 20 — 21 zu trennen sind. Solange man von der absoluten Voraus-
setzung ausgeht, dass hier SigurÖr mit der von ihm erweckten walkyre
redet, lassen sich für und wider gründe anführen, und die entscheidung
bleibt unsicher. Gehen wir aber nicht von einer gegebeneu Situation
aus, sondern versuchen wir die Situation aus dem texte zu gewinnen,
so ist die erste frage diese, ob und wie die Strophen in dem gegebenen
Zusammenhang zu verstehen sind. Bei dieser fragestellung tritt die alte
auffassung von ästretä sowol wegen der bekannten bedeutung als wegen
des Zusammenhanges mit den folgenden Strophen in den Vordergrund,
und man braucht nur noch weiter zu fragen, ob der übrige inhalt der
str. 20 — 21 der auffassung von ästräft als 'liebevoller rat' sich wider-
setzt oder dieselbe bestätigt. Str. 20 steht damit in vollständigem ein-
klang, sie lässt aber auch die andere deutung zu. Über str. 21, 1 — 3
aber bemerkt Sijmons a.a.O. s. 19: 'Wenn der held emphatisch beteuert,
SIGRDRIFÜMAL UND HELREIDH 295
er wolle nicht fliehen, wenn er auch dem tode verfallen sei, denn er sei
kein feigling, so ist es undenkbar, dass der dichter damit die folgenden
durchaus uncharakteristischen lebensrege] n einleiten wolle. Diesen stand-
zuhalten war allerdings etwas geduld, aber weder mut noch todes-
verachtung erforderlich'; und auch in 21, 6 kann man eine wenigstens
übertriebene äusserung sehen, wenn z. 4 nur rat verlangt wird.
Ich glaube, dass nicht nur kein Widerspruch vorhanden sondern
dass sogar der Zusammenhang vortrefflich ist, sofern man nur von der
walkyre auf dem berge absieht. Ich bin davon überzeugt, dass in
diesem gedichte weder von SigurtSr noch von Sigrdrifa, deren namen
nicht bloss wie schon gesagt in den Überschriften, sondern auch in den
strophen nirgends genannt werden1, die rede ist. Die Situation ist die
folgende: Ein junger held in bedrängnis und not (rqmm eru rag of
risin)2 kommt zu einer weisen frau, einer volva, um ihren rat zu
empfangen und wie sich versteht zu gleicher zeit die zukunft zu er-
fahren. Das braucht er nicht ausdrücklich zu sagen, denn guter rat
und prophezeiung gehen band in hand, und dass er zur VQlva kommt,
zeigt zur genüge, dass er beide haben will. Aber die volva verweilt
hauptsächlich bei dem, was der held zur zeit von nöten hat, in erster
linie Vorsichtigkeit dem feinde gegenüber und ritterliche gesinnung; die
prophezeiung gibt sie am Schlüsse ihrer rede in einer einzigen zeile.
Aber der inhalt dieser zeile (langt lif pykkjomkak hfhungs rita) ist fin-
den helden hart genug um str. 21, 1 — 3 zu rechtfertigen, und so wird
zu gleicher zeit str. 20 verständlich. Die Wahrheit ist hart zu hören,
darum fragt die volva, ob sie reden oder schweigen soll; alles übel ist
zuvor bestimmt (d. h. sie kann nicht durch ihre rede das geschick be-
einflussen). Der held aber ist nicht gesinnt vor der Wahrheit zu fliehen,
wenn auch die volva ihm nur einen frühen tod zu künden im stände
ist (put mik feigem vitir); ihren heilsamen rat wünscht er als Leitstern
seines lebens, sei es kurz oder lang, zu empfangen. Nicht ohne grund
1) Vgl. demgegenüber die 2'/3 fornyröislagstrophen , welche Sigurör, Sigmundr,
Agnarr, Auoa erwähnen.
2) Diese worte können absolut Dicht bedeuten, was Finnin- Jonsson annimmt,
dass auf dem wege zu den späteren feindseligkeiten schon ein schritt getan ist. iu-
dom Sigurör zu Sigrdrifa, — welche nach dieser aul'fassung nur Brynhild sein kann —
gekommen ist. Denn abgesehen davon, dass ein zukünftiger streit zwischen fremden,
die zur zeit noch nicht einmal die erste bekanntschaft miteinander gemacht haben,
schwerlich of risin rog genannt werden kann, ist auoh von Brynhilds Standpunkte
Siguros ankunft in keiner weise als dor erste schritt auf dem verhängnisvollen wege
zu beurteilen. Im gegenteil wäre seine ankunft ein Bobiiti auf dem richtigen -■■
von dem der hold erst später abbog, als er zu Gjuki ritt,
bittet er nur um ihren rat; den inhall der prophezeiung hat er au
str. 20, 6 schon geschlossen '.
Wenn str. 20 37 nicht in dem Zusammenhang der Sigrdrifum&l
iiberlieferi wären, so würde wie ich glaube aiemand gegen die gegebene
Interpretation etwas einzuwenden haben. Es frag! sich nun, ob di<
Überlieferung entscheidenden einspruch dagegen erhebt. Der blosse um-
stand, dass die stropfen nun (Minna] dastehen, kann von forschern,
welche ihrerseits str. 6— 1(.» ausscheiden oder sogar von der ganzen
reihe 6 — 37 nur 20. 2] stellen lassen, nicht dagegen angeführt werden;
sogar ist eine Kritik, welche den Zusammenhang von 20-21 mit 22 37
1) Inwiefern der in halt des rates mit der Situation des beiden in verbind
steht, lässi sich nicht mit Sicherheit entscheiden, da näheres über die läge deshelden
nicht bekannt ist; indessen i t der rat so allgemeiner natur, dass er eher als ein kate-
chismus des heldentums anzusehen ist. P. Jönssons versuch, die ratschlage auf Si
lel, en zu deuten, scheint mir wenig gelungen. Str. 22 soll lir\ nhildr selbsl dem Sigurör
den rat geben, wenn er spätei widerkehre tun sie, für Gunnarr zu freien, sie nicht
zu berühren! (Was soll die zweite hälfte der strophe mit ihreni rate sieh an ver-
wandten nicht zu rächen bedeuten?). In der folgenden strophe rät Sigrdrifa gerade
das umgekehrte; Sigurör soll ihr den eid halten; er soll sie also nicht dem Gunnarr
überliefern. Der dritte rat bezieht sieh 'möglicherweise' auf einen [ringstreit; da aber
die isländische geschiehte aus lauter ningstreitigkeiten besteht und also der rat im
allgemeinen sinne ganz nahe lag, während von Sigurör nichts derartiges bekannt ist.
steht auch diese erklärung auf schwachen füssen. "Weshalb die Warnung vor troU-
konur und vor schönen weibern sich gerade auf Grimhildr und GuÖrun beziehen muss,
verstehe ich nicht; sowol trollkonur wie schöne weiber gibt es wenigstens in der
litteratur in überfluss, wäre aber eine solche warnung nicht dazu geeignet, Sigurör
zum schleunigsten aufbrach von dem aufenthaltsorte der Sigrdrifa — welche Hoch
auch ein schönes weib war — zu bewegen? Übrigens widerspricht auch die deutung
dieser Strophen {26. 28) der von str. 22 gegebenen. Für den sechsten rat. sowie fin-
den neunten weiss auch Finnur Jonsson keine an knüpf ung zu finden, und den siebenten
erklärt er selbst für eine allgemeine regel für beiden. "Was der achte rat, falschheit
zu scheuen und keine frau zu verführen, mit Grimhildr und Guörün, deren keine
nach irgend einer Überlieferung von Sigurör verführt wird, zu schaffen hat, ver-
stehe ich nicht. Dass der vargdropi im zehnten rat Guttormr sein muss, nimmt
Finnur Jonsson ausschliesslich darum an, weil er die strophe wie die übrigen auf
Sigurör zu beziehen wünscht; von Guttormr ist nichts bekannt, was zu einer solchen
bezeichnung anlass geben könnte; da überdies die zweite hälfte der strophe Jönssons
deutung widerspricht, ist auch seine erklärung des Wortes für diese stelle verwerflich;
was das wort bedeutet, geht aus z. 4 — 5 hervor. Es bleibt also nur der elfte rat,
sich vor seinen freunden in acht zunehmen, der auf Sigurör gedeutet werden könnte,
wenn andere Strophen dieselbe deutung zuliessen, welche aber in ihrer allgemeinheit
nichts für Sigurös leben charakteristisches enthält; auch dieser rat taugt jedem helden:
übrigens besteht die möglichkeit, dass sie im Zusammenhang mit den folgenden zeilen
andeutet, dass der held, an den die rede ursprünglich gerichtet war, von seinen
freunden böses zu befürchten hatte.
sigrdrifümXl und heleeidh 297
unversehrt lässt, weit conservativer als jene behandlung, welche den-
selben zerreisst. Wie aber verhalten sich str. 20 — 37 zu dem vorher-
gehenden?
Eine vergleichung von str. 20 mit den unmittelbar vorhergehenden
Strophen hinterlässt den bestimmten eindruck, dass str. 19 eine inter-
polation schliesst. Ein natürlicher anschluss an str. 19 ist nicht da,
auch ist nicht zu verstehen, wie str. 19 etwa die interpolation von 20 fgg.
veranlasst haben könnte. Da nun str. 6 — 19, wie verschieden der In-
halt nach der allgemeinen auffassung auch sein mag, doch alle von
runen handeln, ist es auch nicht wahrscheinlich, dass str. 20 sich ein-
mal an eine der zwischen str. 5 und ihr stehenden Strophen angeschlossen
habe, um so weniger, falls es sich ergeben würde, dass str. 6 — 19 ein
zusammenhängendes ganzes bilden (vgl. darüber unten s. 324fgg.); wir
müssen also um die anknüpt'ung für str. 20 — 37 zu finden, zu der
anfangspartie des gedichtes zurückgehen. Da stossen wir nun auf die
fornyrMslagstrophe 5, welche als teil der ursprünglichen Sigrdrifumäl älter
als str. 20 — 37 ist. An diese str. schlössen also str. 20 — 37 einmal an.
Fragt man nach dem grund zu der aufnähme der Strophen an dieser
stelle, so ist die Ähnlichkeit der Situation, welche darin besteht, dass
in beiden gedienten ein held mit einer mit ausserordentlichen fähig-
keiten begabten frau sich unterhält, zu betonen. Feiner ist es durch-
aus nicht unwahrscheinlich, dass die seherin, welche sich anschickte
eine feierliche rede zu halten, dieselbe dadurch einleitete, dass sie ihrem
Schützling einen becher voll Ijöba ok lihnstafa göftra galdra ok gaman-
rüna anbot. Die Möglichkeit, dass das lied von der seherin eine mit
str. 5 correspondierende Strophe enthielt — welche in dem fall verloren
wäre -- ist also zu erwägen. Doch ist es auch möglich, dass zwar die
stelle von str. 20 die darreichung eines bechers voraussetzte, dass das
aber in dem gedichte nicht ausdrücklich mitgeteilt wurde (näheres dar-
über unten s. 301 anm. 2).
Aus dem gesagten folgt nicht, dass nicht auch vor str. ö ein teil
desselben gedichtes, zu dem str. 20— '■'>! gehören, angebracht werden
sein kann. Falls tatsächlich eine grössere ähnliehkeit der str. 5 mit
einer bestimmten stelle des gedichtes von der seherin die interpolation
veranlasst hat, so war freilich zu erwarten, dass der interpolator das,
was auf jene stelle folgte, nach str. 5 anbringen würde; was aber vor-
hergieng, musste er entweder vor str. 5 anbringen oder gar nicht auf-
nehmen. Wir sind also dadurch, dass wir in atr. 5 auf eine alte strophe
stossen, durchaus nicht der aufgäbe überheben, zu untersuchen, ob etwa
ein teil der str. 2—1 demselben liede wie 20 -37 angehören (von str. 1
298 boei
ist ans mehreren . imii genannten gründen oichi die rede). Von diesen
drei Strophen spiel! nur str. 2 auf den aufenthalt der walkyre auf
dem berge an; dass die beiden anderen von 2 rollständig zu trennen
sind und m i i 20 37 zusammengehören, lässl sich, wie Ich glaube,
leicht beweisen. Die Strophen können unmöglich da en, was
Müllenhoff aus ihnen herausliest. Eis wäre in vollständigem Widerspruch
mit dein bekannten Charakter der Brynhildr, welche nichts weniger als
gekommen ist um frieden zu bringen, wenn sie ihre irdische laufbahn
anfinge mit der bitte um 'sänftigende, heilende bände für sie. denen
im leben ein so verworrenes, schweres beschick, so furchtbare Zerwürf-
nisse bevorstehen.' Sollte das keine leere phrase sein, so müsste von
der erfüllung der bitte im späteren verlauf der gesehichte irgend eine
spur sich zeigen. Was daran poetisch ist, sehe ich nicht; ich kann
darin nur eine psychologische Unmöglichkeit erblicken, welche dadurch
nicht geringei wird, dass die erwachende, welche sich noch nicht ein-
mal den schlaf aus den äugen gerieben hat, sofort über die Zukunft
zu reden anfängt, anstatt sich wenigstens einigermassen in der gegen-
wart zu orientieren. Nun ist es gewiss kein zufall, dass Müllenhoff
seiner Interpretation von str. 3 — 4 zur liebe der überlieferten reihen-
folge gewalt anzutun genötigt ist. Er versetzt str. 2 nach str. 1 , indem
er davon ausgeht, dass die anrufung von tag und nacht, von göttern
und göttinnen an der spitze wo nicht des gedichtes, doch der reden
der Sigrdrifa stehen muss. Und das kann man ihm zugeben, dass
str. 3 — 4 den eindruck eines einganges machen. Aber nicht das, dass
str. 2 hinter str. 4 am platze ist. Str. 2 steht, wie jeder, der nicht die
möglichkeit der Zugehörigkeit von fornyröislag- und ljöoahättrstropben
zu dem nämlichen gedieh te a priori leugnet, sofort sieht, mit str. 1 in
unmittelbarem zusammenhange; die walkyre fragt, Aver sie erweckt hat;
SigurSr nennt sich; die walkyre gibt sodann aufschluss über Ursache
und dauer des zauberschlafes. "Wer nun absolut str. 2 von 1 trennen
will, wird zugeben, dass str. 2 zwar die ersten worte einer erwachenden
walkyre enthalten kann, dass es aber mindestens sehr auffällig wäre,
wenn die erwachende diese rein persönliche mitteilung auf die feier-
lichen einleitungsstrophen einer Unterhaltung über die zukunft folgen
Hesse. Da str. 20 — 21, welche niemand von str. 3 — 4 trennt, widerum
denselben ton wie diese anschlagen, würde str. 2 an der stelle, wo
Müllenhoff sie hinstellt, einen unverständlichen abfall der Stimmung
bedeuten, welchen gegen die Überlieferung in das gedieht hineinzutragen
überaus bedenklich ist (vgl. noch unten s. 300). An der stelle hin-
gegen, wo sie steht, enthält str. 2 nicht eine nüchterne, zur sache nicht
SIGEDRIFUM L UND HELREIDH 299
gehörige mitteilung wie nach 4, sondern sie deutet in sinniger weise
das allmähliche zurückkehren des bewusstseins an. Wenige änderungen
Müllenhoffs sind so unglücklich wie diese Strophenversetzung.
Betrachten wir jetzt den inhalt von str. 3 — 4. Sie enthalten eine
anrufung und eine bitte. 3,1—2 werden 'der tag und die söhne des
tages' begrüsst. Es wäre nun ein sehr poetischer gedanke, dass die
aus langem schlaf erwachende in feierlichen Worten das tageslicht be-
grüsst, aber was soll dann die unmittelbar darauffolgende anrufung der
nacht und ihrer verwandten?1 Das zeigt, dass der tag nicht im gegen-
satz zu dem im leben der walkyre vorangehenden schlafe, sondern zu
der in der strophe folgenden nacht verstanden sein will. Die gegen-
sätze werden angerufen, d. h. die ganze natur. Weshalb die erwachende
walkyre str. 4 die götter und göttinnen grüsst, ist auch nicht sehr ver-
ständlich, freilich stand sie zu Ööinn in einem besonderen Verhältnis;
aber zugegeben, dass das ein aus einem liebevollen herzen quillender,
sich über die ganze götterweit erstreckender Segenswunsch ist, wozu
wird dann zu gleicher zeit die erde genannt? Das adjectivum deutet
die absieht an; die anrufung ist eine bitte um hilfe; die erde als fjgln^t
wird in die anrufung mit einbegriffen, und zusammen mit äsen und
asynjen bedeutet sie widerum, wie 3,1 — 3, das weitall. Um worte
der Weisheit zu reden, hat die volva das bewusstsein ihrer Solidarität
mit der grossen quelle alles lebens von nöten, und diese muss denn
auch das schenken, um was in der zweiten hälfte jeder der beiden
Strophen gebeten wird. Dieser göttlichen macht gegenüber fasst die
volva sich und ihren Schützling als eine einheit auf und fragt für sie
beide (sitjondom. okr meerom trenn), was jedweder von im en braucht;
specialisiert enthält str. 3 die bitte für den hehlen, str. 4 für die \.il\a.
Man fragt, wozu Sigrdrifa für den sieghaften beiden, der kaum von
dem kämpf mit dem drachen sich erholt und eben die schönste fruchl
seines heldentums gepflückt hat, den sieg zu erflehen braucht; man
würde erwarten, dass Sigrdrifa ihrem erlöser etwas besseres mitzuteilen
hätte. Aber für einen beiden, der sich zu der wissenden um rat wen-
det, weil rqrnm rög of risin sind, ist allerdings das beste, um was ge-
beten werden kann, der sieg. Für sich bittet die volva zunächst um
mal ok mauvit, 'die richtigen worte und Weisheit'; wenn man noch
daran zweifelt, ob str. 20—37 und str. 1 zusammengehören, so gibl
diese bitte die endgiltige antwort. Was seil widerum die erwachte
1) Dass dags synir und nipt (ndttar) männer und frauen sind, wie Finnur
Jönsson behauptet, kann ich nicht glauben; doch ist das für die frage, welche uns
hier beschäftigt, unwesentlich.
walkyre mit diesen gaben anfangen? A.ber die vq\v& braucht Weisheit,
damit sie nicht einen verkehrten rat gebe, und dass sie mal braucht
und empfängt, zeig! ihre ehstrophige rede. Zum chlusa bittet sie um
Iceknishendr, Dicht bloss für diesen einzigen fall, sondern für ihr ganzes
Leben (meftan lifum); es ist das erste bedürfnis einer seherin, welche
ihre Weisheit auf heilsame weise zu benutzen wünscht. A.ucb ihrem
Schützling gegenüber braucht sie diese gäbe, und sie wendet dieselbe
an, wo sie ihm in mehr als einer Strophe einen sanftmütigen rat gibt,
sich an seinen verwandten nicht zu rächen, die Wahrheit zu reden,
keine Iran zu verführen; aber auch für den rat mit toren nicht zu
streiten, wodurch unheil vorgebeugt wird, sind leehnishendr nötig; man
darf ruhig behaupten, dass der ganze i n halt von str. 22 — 37 eine über-
aus interessante illustration der bitte um leeknishendr ist. da die' rat-
schlage eine Lebensbetrachtung predigen, welche von dem heldenidea]
der härte und unbeugsamkeit weit entfernt ist. Die volva tritt hier
durchaus als versöhnende gestalt auf und nimmt dadurch unter den
vqIui- der altn. literatur ihre eigene Stellung ein. Durch die unerbitt-
lichkeit, des geschicks, welches sie repräsentiert (str. 37), führt sie ihren
namen mit recht; der rat, gewalt nicht zur einzigen macht zu erheben,
sondern treue und redlichkeit walten zu lassen, stellt sie auf einen
humanen Standpunkt.
Ich glaube gezeigt zu haben, dass str. 3 — 4 ebensowenig wie
20 — 21 von 22 — 37 sich trennen lassen. Daraus folgt eine neue cr-
wägung, welche die Versetzung von str. 2 verbietet. Denn wenn str. 3 — 4
die anrufung der göttlichen macht enthalten, welche unumgänglich ist.
um str. 21 — 37 auszusprechen, so kann die zusammenhängende feierliche
rede nicht durch eine strophe wie 2 gestört werden. Dasselbe gilt nicht
für str. 20 — 21 und würde ebensowenig für eine etwa mit str. 5 corre-
spondierende strophe gelten. Diese Strophen gehören zu dem ceremo-
niell und erhöhen die bedeutung des Vorganges. Die helfenden mächte
wurden gerufen und sind da; der fragende muss für die aufnähme des
rates vorbereitet werden. [Dazu empfängt er den gesegneten becher?
vgl. oben s. 297, unten s. 301 anm. 2]. Nun werden die göttlichen worte
bald erklingen, aber die vojva muss zuvor in dem entscheidenden augen-
blick sich überzeugen, dass ihre Weisheit tatsächlich verlangt wird.
Erst nachdem sie auf ihre hierauf bezügliche frage eine zustimmende
antwort empfangen hat, hebt sie zu reden an.
Das alles hängt gut zusammen; man sieht nicht — abgesehen von
dem, was über str. 5 bemerkt wurde -- dass auch nur eine verszeile
fehlt. Ich glaube auch nicht, dass das gedieht fragmentarisch über-
SIGRDRIFUMAT. TTND HELREIDH 301
liefert ist; str. 37 bildet den natürlichen abschluss. Aber in dem zu-
sammenhange der Sigrdrifumäl ist in der tat mit diesem gedichte nichts
anzufangen.1 Es ist sogar sehr fraglich, ob es von anfang an in der
Sammlung gestanden hat. Dagegen spricht das wunderliche durch-
einander der prosa. Nach str. 2 setzt sich Sigurör und fragt die wal-
kyre nach ihrem namen. Sie beantwortet die frage nicht, sondern
nimmt einen becher mit meth und gibt dem helden eine minnisveig
zu trinken; dabei spricht sie str. 3 — 4. Dann scheint sie sich der an
sie gerichteten frage zu erinnern, sie erzählt wie sie heisst und gibl
auskunft über ihre früheren erlebnisse; Sigurör bittet sie, ihn Weisheit
zu lehren, falls sie um die ganze weit bescheid wisse (wie kommt er
auf den gedanken?). Sie spricht darauf str. 5, welche, wie der Inhalt
zeigt, die darreichung eines bechers begleitet.
Diese Verwirrung hat schon Bugge wahrgenommen, aber nicht
erklärt. Müllenhoff, der nicht nur str. 2, sondern auch die folgende
prosa hinter 4 setzt, bringt auf diese weise wol eine räumliche annähe-
rung der frage nach dem namen an die darauf bezügliche antwort zu
stände, aber das ganze bleibt nach wie vor unverständlich: natürlich
bekommt der sammler die schuld, und dem leser wird der rat gegeben,
die strophen in Müllenhoffs reihenfolge zu lesen und die prosa einfach
zur seite zu schieben. Ja, wenn uns geboten wird, von dem, was wir
nicht verstehen, keine notiz zu nehmen, so werden wir das übrige zu
verstehen glauben. Der sammler aber kann schwerlich daran schuldig
sein, dass die frage nach dem namen der walkyre von der antwort
durch den satz: hon tök pä hom fiilt mjabar 6k gaf honom minnisveig
getrennt erscheint. Dieser satz ist, abgesehen von der durch ihn ver-
ursachten Störung des Zusammenhangs auch deshalb verdächtig, weil er
str. 5 antecipiert. Aber wie kam er an diese stelle (nach 2) zu stehen?
Als ein zusatz, sei es nun des Sammlers oder eines interpolators, ist
er da, wohin er von Müllenhoff gebannt wird, in keiner weise zu ver-
stehen. Dagegen wird in dem überlieferten zusammenhange seine auf-
nähme verständlich. Der satz ist da, wo er in R steht, eine einleitung
zu str. 3 — 4 und wurde mit diesen zusammen interpoliert. Der inter-
polator fasste also str. 3 — 4 auf als die rede einer frau, welche einen
becher in der band hielt. Diese auffassung kann nach dem oben aus-
geführten richtig gewesen sein.2 Aber wenn str. 3—4 werte der er-
1) Die lückenlose Überlieferung sowie der v/eiohere tun weisen auf ein verhält-
nismässig junges alter; vielleicht das dreizehnte jahrh.
2) Es folgt dann daraus, dass nicht nach str. -l eine Btrophe ähnlichen inhaltes
wie r> verloren ist, sondern dass die Situation von 5 schon bei '■*> 1 vorausgesetzt wird.
302 BOKR
wachenden Sigrdrifa enthalten, so kann sie nicht richtig sein, denn die
verse haben dann eine andere bedeutung, wozu kommt, dass nach
Sigrdrifumäl der becher erst str. 5 dem helden geboten wird. Wenn
man nun den str. 5 antecipierenden satz zusammen mit Btr. 3 — I aus-
scheidet, so folgt die antwort deT Sigrdrifa auf Sigurös frage; die prosa
des Sammlers hängt dann richtig zusammen. Ein einschub zeigt sich
dann wider prosa z. 18: Haim sin rar ok bifor hana kenna sir speki:
ef hon rissi tiftendi 6r oüom heimom; da diese worte nur dazu dienen,
die anerkanntermassen interpolierten str. 6 — 19 (oder möglicherweise
auch str. 22 fgg.) einzuführen, wird wol niemand sich ihrer annehmen.
Auf die gegenseitige mitteilung der namen und die erzählung von Sigr-
drifas Vorgeschichte folgt der empfang des gastes (str. 5).
Ich zähle also zu den ursprünglichen Sigrdrifumäl den grössten
teil der prosa oder die ganze prosa vor 1, ferner str. 1. 2, die prosa
nach 2 und 4 mit ausnähme der beiden ausgeschiedenen sätze, deren
einer zu der gruppe 3 — 4. 20 — 37 gehört, während der andere ent-
weder str. 0—19 oder 20 — 37 einleitet. Die reihenfolge ist vollständig
tadellos.1
Wir kommen zu der frage, ob die Vodsungasaga den ursprüng-
lichen schluss der Sigrdrifumäl in prosaauflösung bewahrt hat. Zunächst
ist zu fragen, ob Sigurös worte: Engi finnx fier vitrari maftr; ok pess
sver ek, cd pik skal ek eiga, ok pü ert vih mitt oz&i und Sigrdrifas
antwort: pik vil ek heht eiga, pött ek kjosa um alla menn eine erfin-
dung des Verfassers der VqIs. s. sind. Es scheint mir, dass Heusler
hier die einzig richtige antwort gegeben hat. Man kann sich in der
tat schwer vorstellen, dass der sagaschreiber sich selbst die Schwierig-
keit bereitet haben würde, dem SigurÖr neben der vorverlobung, welche
er schon mitzuteilen genötigt war, noch eine zweite aufzudrängen. Er
wird also in seiner quelle den inhalt dieser sätze in strophenform oder
Ich glaube nicht, dass der satz von dem interpolator erfunden — etwa ans
str. 3 — 4, welche das auch nicht aussagen — abstrahiert wurde, sondern dass er zu
einer das gedieht von der seherin einleitenden prosaischen tradition gehört. Die
miniiisveig gehört zu dem apparate der weissagenden frauen. Was Sigurör damit
anfangen soll, ist zwar nicht zu verstehen; der held aber, der den rat der seherin
zu hören wünscht, bekommt zuvor den trank zu trinken, damit er das, was ihm mit-
geteilt wird, nicht vergesse, wie Ottarr heimski in den Hyndluljoft zu demselben zwecke
minnisql gegeben wird. Eine andere bedeutung hat die minnisreig in der GQngu-
Hrölfssaga Fas. 3, 309.
1) Wer auf grund der metrischen ungleichartigkeit nicht an die Zusammen-
gehörigkeit von str. 1. 2 glauben kann, muss str. 2 als einzigen rest eines parallelen
liedes auffassen.
SIGRDRIFUMAL UND HFXREIDH 303
in prosa vorgefunden haben. Das schweigen der Skälda erklärt sich
dann daraus, dass der Verfasser mit diesem berichte nichts anzufangen
wusste.
Zu welchem gedichte gehören nun die Strophen, deren inhalt c. 21
der Yojsungasaga am Schlüsse mitteilt? Es mag wunderlich klingen,
doch darf man nicht die möglichkeit leugnen, dass hier der schluss des
gedichtes von der seherin vorliegt. Wenn auch sonst nicht bekannt ist.
dass ein held den guten rat der seherin dadurch lohnt, dass er sie zu
seiner geliebten erwählt, dieses eine beispiel würde das unerhörte zu
etwas erhörtem machen; unsere aprioristische abneigung gegen eine
solche auffassung hängt wol damit zusammen, dass wir eine weissagende
frau uns als alt vorzustellen gewohnt sind. Die einleitenden worte der
aussage SigurÖs weisen auf den rat zurück und legen diese auffassung
nahe. Andererseits kann man sich vorstellen, dass jene wendung nur
dazu dient, zwischen dem von Sigurör ausgesprochenen vorhaben und
den vorhergehenden ratschlagen einen Zusammenhang zu stände zu
bringen. Falls nicht ein mechanisches kriterium sich auffinden lässt,
wird die frage kaum mit Sicherheit zu lösen sein, und das urteil über
die stelle wird nach wie vor von hypothetischen sagenhistorischen er-
wägungen abhängig gemacht werden.
Indessen glaube ich in der Überlieferung ein mechanisches krite-
rium für die Zugehörigkeit der beiden sätze gefunden zu haben.
Die letzten Strophen des gedichtes fehlen in R. Aber in mehreren
papierhss. sind sie enthalten. Mit Bugge und anderen glaube ich, dass
diese Strophen echt sind. Aber was ist der grund, dass die papierhss.
nichts enthalten, was den schlussphrasen des 21. capitels der Vqlsunga-
saga entspricht? Dass diese Strophen an bedeutung jenen nachstehen.
lässt sich nicht behaupten. Man kann annehmen, dass die person,
welche die schlussstrophen aus seinem gedächtnis aufschrieb, diese beiden
Strophen vergessen hatte, aber das ist doch nur eine ausrede. Weshalb
musste diese Strophen überall das unglück treffen, übergangen zu werden;
denn auch die Skälda verleugnet sie? Ich kann mir diese coincidenz
nur so zurechtlegen, dass die beiden Strophen, welche dem berichte zu
gründe liegen sollen, in R als Strophen nicht vorhanden waren. Wenn
nun doch ihr inhalt aus der Sammlung stammt, so bedeutet das. dass
schon in der Sammlung das gedieht mit der kurzen prosaischen be-
merkung, dass Sigurtfr sich mit Sigrdritä verlobte, schloss. Die tonn
der mitteilung kann der hauptsache nach dieselbe gewesen sein wie in
der VQlsungasaga, vgl. die gleichheit der prosa vor str. 1 mit dem an-
fang von Vojs. s. c. 20. Daraus ergib! sieh von selbst, was man von
904 BOKK
der stelle zu denken hat Das lied, welches Btr. 3 anhebt, ist, soweit
wir ersehen können, lückenlos. Falls Strophen verloren sind, was man
nirgends anzunehmen genötigt ist, bo ist doch an keiner Btelle der in-
lialt einer verlorenen Strophe in prosa mitgeteilt. Die Überlieferung der
eigentlichen Sigrdrifumäl isl hingegen sein- fragmentarisch; das meiste
erfuhren wir nur aus der begleitenden prosa. Daraus lüsst sich schlie
dass der schluss von c. 21 der VqIs.s. mittelbar auf Strophen der eigent-
lichen Sigrdrifumäl beruht. Schon der sammler der lieder kannte nur
ihren inhalt; die worte engt jinir. jx'r vitrari mcifor Btammen eher von
dem interpolator des VQlvenliedes, der auch in der prosa nach 2 einen
satz hinzufügte, als von dem Verfasser der Volsungasaga. Dass der
Schreiber der papierhandschrift, der nur den poetischen schluss des ge-
dichtes retten wollte, diese prosasätze, welcher er sich vielleicht nicht
einmal erinnerte, nicht aufnahm, ist leicht zu verstehen1.
Wie sind nun die letzten worte des c. 21 oh [tetla htiudn Juni >■/<)/<>)/
web sSr zu beurteilen? Wenn diese phrase einen poetischen bericht gleichen
inhaltes paraphrasiert, so ist der schluss des gedichtes dieser, dass Sigurfcr
Sigrdrrfa verspricht, sie zu heiraten. Ein poetischer schluss darf das
kaum genannt werden. Man stelle sich Freyr oder Svipdagr vor, vor
Gerör oder MengloÖ ein heiratsversprechen ablegend, um dann die reise
fortzusetzen. Die Situation ist hier anerkanntermassen dieselbe wie dort;
der einzige abschluss, der sich erwarten lässt, ist dieser, at hu im gengr
(ü eiga hana. Es fragt sich, ob die oben angeführten worte ausschliess-
lich als ein von dem dichter bezwecktes heiratsversprechen verstanden
werden können. Das ist nun keineswegs der fall. Ich glaube, dass
die bemerkung aus rede und gegenrede der liebenden abstrahiert worden
ist. In leidenschaftlichen worten schwören Siguror und Sigrdrifa sich
liebe (pess sver eh, at pik shal eh eiga), vgl. FjqIsv. 48 — 50, wo
MengloÖ vom küssen und einem zusammenleben mit dem geliebten
redet; dass das nun ohne aufschub geschieht, versteht jedermann, ob-
gleich es nicht besonders bemerkt wird, und auch in Sigrdrifumäl war
eine solche mitteilung überflüssig. Aus pess sver eh aber folgerte der
sammler (oder der Verfasser der Vols.s.?) einen eid für die ferne zu-
1) Zu einem ähnlichen resultate führt die annähme, dass die sehlussstrophen
der Sigrdrifumäl in den papierhss. nicht aus R, sondern aus einer alten mündlichen
tradition des gedichtes stammen. Das fehlen der dem Schlüsse von c. 21 der VqIs.s.
entsprechenden Strophen beweist dann, dass dieselben nicht zu dem mit str.37 schliessen-
den gedichte gehören und deshalb dem anderen gedichte zuzuweisen sind. Dass str. 37
einen ausgezeichneten schluss des liedes von der Seherin bildet, wurde schon
bemerkt.
sigrdrifumäl und helhkidh 305
kunft, was aufmissverständnis beruhen kann, aber doch seinen hauptgrund
in der Verbindung mit den folgenden liedern zu einer biographie hat.
Wir sind nicht auf mythologischem sondern auf philologisch-
kritischem wege zu dem resultate gelangt, dass in einem verhältnis-
mässig alten, zur zeit der aufzeichnung sehr fragmentarischen gedichte
eine sagenform überliefert ist, nach der SigurÖr eine auf einem berge
schlafende walkyre erweckt und sich mit ihr in liebe vereinigt. Es
erübrigt, von dem gewonnenen Standpunkte aus auf die übrigen ge-
dichte, welche eine dem Sigrdrifumäl ähnliche sagenform repräsentieren,
einen blick zu werfen.
Zunächst auf die igftna mal (Fäfn. 40 — 44). Drei hauptauffassungen
dieses liedfragmentes sind zu erwähnen. Edzardi. der Sigrdrifa von
Brynhildr trennt, glaubt, dass eine Strophe verloren ist, in der von
Brynhildr die rede war, da doch die drei frauen, zu denen SigurÖr in
beziehung tritt, alle genannt werden müssen. Das ist eine Interpre-
tation, welche von einer vorgefassten meinung über die sage ausgeht,
und zu gleicher zeit eine forderung biographischer akribie, welche dem
dichter unterschiebt, was man etwa selbst dichten würde. Ich gehe
darauf nicht näher ein; die Überlieferung bietet für diese anschauung
keinen einzigen anhält. Es bleibt dann, abgesehen von der frage, ob
Sigrdrifa mit Brynhildr identisch ist, die frage als die wichtigste be-
stehen, ob str. 40 von Sigrdrifa oder von Guörün spricht. Müllenhuff
entscheidet sich im ersteren sinne und scheidet str. 41 aus. Sijmons,
der Sigrdrifa für eine appellativische bezeichnung der Brynhildr hält.
glaubt, dass str. 42 — 44 zwar von Brynhildr, str. 40 aber wie 41 von
Guörün redet. Er erkennt in dem gedichte dieselbe sagenform, welche
HelreiÖ zeigt: SigurÖr kommt zuerst zu Gjuki, darauf zusammen mit
(ijükis söhnen zu Brynhildr. Ähnlich urteilt Heusler. Obgleich er Sigr-
drifa von Brynhildr trennt, glaubt er doch, dass der dichter von Fam.
40 — 44 die beiden gestalten zusammengeworfen hat, und auch er hält
das gedieht für einen repräsentanten der sagenform der HelreiÖ1
Ich teile in dieser hinsieht Müllenhoffs auffassung aus folgenden
gründen:
1. Nach Sijmons ansieht (Edda s. 335), der sich darin Ettmüller,
Edzardi u. a. anschliesst, sind die oben als echt erkannten Sigrdrifumäl
dir fortsetzung des nämlichen gedientes, zu dem auch die igbna mal
gehören. In der zusammenhängenden reihenfolge der beiden gedichte
1) Die auffassung Finnur Jönssons, der glaubt, dass die vögel SigurÖr voi
Sigrdrifa warnen, bat Sijmons a.a.O. s. 1-1 zuj
ZKITSCHKUT K. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XXXV
300 HO KR
reitet SigurSr, sobald die vögel ihren gesang beendet haben, nach
Fäfnirs wohnung und. nachdem er dort der schätze des drachens sich
bemächtigt hat, nach Eindarfjall. Dem entspricht in den igXma mal
die reihenfolge 40. 42. Wenn also Fäfh. str. 40—44 und die prosa
vor Sigrdr. reste eines liedes sind, so ist, falls str. 41 ursprünglich ist)
entweder der dichter mit sich selbst in Widerspruch geraten, oder ein
teil der Überlieferung, welcher erzählt«;, wie SigurÖr ZU Gjüki kam und
sich mit GuÖrün vermählte, ist verloren. Man würde erwarten, dass
der Zusammenhang dtv fortschreitenden erzählung darunter gelitten
haben würde; das ist aber nicht der fall; die prosa hängt in jeder hin-
sieht richtig zusammen. Dieses argument ist jedoch nur insofern von
wert, als man die beiden gediente als zusammengehörig betrachtet.
2. Drei Strophen der igftnamäl beschäftigen sich mit der schlafenden
walkyre. Von GuÖrün spricht nur diese eine Strophe deutlich. Wenn
die absieht der vögel ist, die hochzeit mit GuÖrün als lohn für SigurSs
heldentat darzustellen, so ist es überaus auffällig, dass sie den eindruck
durch eine breite poetische Schilderung einer anderen frau zerstören.
Ist aber Sigrdrifa die Jungfrau, auf welche sie Sigurör aufmerksam
machen wollen, so geht es nicht an, dass sie zuvor Gudrun als seine
künftige braut hinstellen. Höchstens wäre eine warnung vor Gjükis
söhnen und ihrer Schwester am platze.
3. Aus dem vorhergehenden hat sich ergeben, dass Sigurör tat-
sächlich nicht bloss zu Sigrdrifa kommt, sondern auf der stelle ihre
liebe geniesst. Ob man nun Sigrdrifumäl und die igftna mal für reste
eines oder zweier gedichte hält, ein enger Zusammenhang ist nicht zu
leugnen. Es liegt auf der hand, dass die worte der vögel, welche von
einer frau reden, welche Sigurör besitzen wird, auf die frau zu deuten
sind, welche er in dem fortlaufenden zusammenhange tatsächlich besitzt,
nicht auf eine andere, von der sonst in den beiden gedichten nirgends
die rede ist.1
4. Der einschub einer auf GuÖrün bezüglichen strophe nach str. 40
lässt sich leicht erklären. Ein näherer Zusammenhang zwischen str. 40
und 41 existiert nicht. Denn wenn die vögel dem Sigurör raten, die
ringe mitzunehmen, so bedeutet das nicht, dass er damit GuÖrün kaufen
kann. Der sinn des rates geht aus z. 3 — 4 (era konuriglikt kvtfta mqrgu)
hervor. Die vögel raten Sigurör, Fäfnirs fluch nicht zu fürchten; die
1) Wer wie Heusler Sigrdrifumäl von den igdna mal stofflich vollständig trennt,
muss wenigstens zugeben, dass der Sammler durch die stelle, an der er Sigrdrifumäl
aufnimmt, über seine auffassung des Verhältnisses der beiden gedichte klaren auf-
schluss gibt.
SIGRDRIFÜMA1. UND HELREIDH 307
daner des lebens ist dem beiden gleichgültig; der wahre lohn für die
heldentat (nicht für das gold) ist eine mcer — mildo fegrst, — da-
selbst gulli gcedd ist, beweist keineswegs, dass das mädchen GuSrun
sein mnss. Die vögel erzählen darauf, wo und wie er die braut finden
wird, und widerhölen 44, 2 (mey und hjalmi) die str. 40 gegebene
andeutung in mehr präcisierter form. Ein interpolator aber konnte
glauben, dass die für Sigurör bestimmte braut doch nur Gudrun ge-
wesen sein kann, und die erwähnung der ringe (str. 40) veranlagte
ihn vielleicht dazu, zu erzählen, dass SigurÖr Gjükis tochter mundi
kaupa würde. Seine bemerkung fram Visa skgp folkWSondmm kann
eine warnung sein, an der str. 42 — 44 genannten dame vorüberzu-
reiten. 1
Durch die ausscheidung der einen strophe 41 wird die beste Har-
monie nicht nur mit den ursprünglichen Sigrdrifümäl sondern bekannt-
lich auch mit dem Sigf'ridsliede, welches den neiden die Jungfrau im
immittelbaren anschluss an den drachenkampf erlösen und erwerben
lässt, erreicht.
Die auffassung der HelreiÖ steht der der beiden besprochenen
gedichte am nächsten; sie weicht hauptsächlich dadurch ab, dass SigurÖr
zwar die schlafende walkyre erweckt, aber nicht um sie zu besitzen,
sondern um sie dem Gunnarr zu übergeben. Dass hier die walkyre
Brynhildr ist, wird nicht angezweifelt und es kann dem auch nicht wider-
sprochen werden. Aber das urteil über die autorität des gedientes ist
sehr verschieden. Auch diejenigen forscher, welche nicht mit Bugge
den wesentlichsten teil des gedichtes ausscheiden und den Sigrdrifümäl
zuweisen wollen, stimmen untereinander in der auffassung der Helreio
keineswegs überein. Was das gedieht zumal verdächtig macht, ist das
auftreten der jungen gestalt des Heirnir. Auf verschiedene weisen ist
man gewohnt, sich mit ihm abzufinden. Ich führe die folgenden an-
sichten an. Müllenhoff streicht str. 11, welche von Brynhilds föstri
( = Heimir) redet. Str. 7 behält er, obgleich Dach der VQlsungasaga,
der Skälda und den ViMnWtir zur Lamlnäina Eeimir in EJymdalir wohnt,
da die namen Hildr (und hjalmi) und Hlymdalir zu der walkyre in
beziehung zu stehen scheinen; er hält es also nicht für ausgemacht,
dass Heimir und die Hlymdalir von anlang an zusammengehören: und
1) ef geta mattir (40,8) vorstelle ich mit Sijmons a.a.O. b. L3 als oine er-
munterung, aicW um Bugge ;il- eine missmutige bemerkung, welche die ganze ig 8na
mal illusorisch machen würde. Die vögel sprechen die spräche des geschioke? wes-
halb sollten sie den beiden antreiben, dass er etwas zu erreichen Buche, was aaoh
ihrer eigenen aussage ihm verweigerl -- o i l wird'
_'o-
308 l'.OKK
principiell lässt sich dagegen nichts einwenden. Nur versetzt er str. 7
vor 6, worin ihm die meisten jüngeren forscher Inigen. - Sijmons, der
das gedieht für den repräsentanten einer alten sagenform hält und mit
Mtillenhofi" auch str. 7 beibehält, kann sich wegen str. 7 nicht <*nt-
schlicssen, str. 11 auszuscheiden und kommt zu dem Schlüsse, dass "in
unserem liede eine sehr alte und ursprüngliche Bagenfassung mit einer
jüngeren Vorstellung verquickt ist'.1 Der von Sijmons anerkannte Wider-
spruch wird von den gegnern der urspriingliehkeit der in dem gedichte
vorliegenden sageni'onn in hohem grade ausgebeutet. Heikler (s. 2b)
glaubt aus str. 11 schliessen zu dürfen, dass die ganze darstelluug der
HelreiÖ eine junge erfindung ist. Von drei Unebenheiten, welche er
in dem gedichte wahrnimmt, knüpfen zwei an str. 11. Die dritte ist
von geringer bedeutung. Nach Heusler passt nämlich das nmtiv, dass
Brynhildr den eid abgelegt hat, sich nur dem durchreiter der lohe zu
ergeben, nicht wol zu der im zauberschlaf liegenden. Denn das echte
sei, 'dass Oöinn selbst die bestimmung ausspricht, nur der furchtlose
solle den zauber brechen1, wie das auch in str. 9 steht. Ich denke,
die Schwierigkeiten des freiwilligen aufenthaltes in der lohe (über welchen
vgl. unten s. 319 fgg.) sind grösser. Es wird nicht klar, weshalb der
dichter es nicht so gemeint haben kann, 'wie es der sammler in der
prosa vor Sigrdrifumäl 5 hinstellt', dass Sigrdrifa dem fluche Oöins
eine einschränkung entgegenstellt; mit str. 9 lässt sich das wol ver-
einigen, wenn man annimmt, dass ÖÖinn in diesem punkte den wünsch
der walkyre erfüllt hat (vgl. jedoch unten s. 315, wo eine andere auf-
fassung des eides mitgeteilt wird). Auf keinen fall geht es in hinblick
auf die prosa vor Sigrdr. 5, welche dasselbe aussagt, was Heusler hier
unmöglich nennt, an, den str. 5 erwähnten eid für den eid einer Jung-
frau zu erklären, welche die lohe freiwillig benutzt, um freierproben
abzuhalten. — An str. 11 knüpfen sich für Heusler die folgenden Uneben-
heiten: 1. die gestalt. des Heimir, welche auch anderen forschem Schwierig-
keiten bereitet, 2. eine stelle, in welche freilich die dimkelheit von Heusler
selbst hineingetragen wird, z. 5 — 6 einn pötti kann par qlluin betri.
Wenn man hier mit Heusler pöttomk für pötti liest, so steht allerdings
da, dass SigurÖr der Brynhildr gefiel, als er zu Heimir kam, und das
ist unmöglich, wenn Brynhildr im zauberschlaf lag. Aber es scheint
1) Auch in str. 6 sucht Sijmons, Ztschr. 18, 111 eine beziehuug auf Heimir.
Da indessen die beziehuug durch conjectur in die Strophe hineingetragen wird, ver-
dient jene auffassung der Strophe nur iusofern erwägung, als es ausgemacht ist. dass
in dem gedichte von Heimir die rede war. Bei der beurteiluug von str. 11 muss
daher str. 6 ausser betracht bleiben.
SIGRDRtFUMAL UND HELREIDH 309
mir methodisch unrichtig, durch emendationen Widersprüche zu schaffen
anstatt sie zu lösen.
Auf jeden fall aber ist das urteil über str. 11 für die beurteilung
des ganzen gedichtes von der grössten bedeutung. Dieses urteil darf
jedoch nicht durch eine vorhergefasste meinung über die ursprünglichste
sagenform bestimmt werden; das gedieht selbst muss die frage, ob str. 11
echt oder ein eindringling ist, entscheiden. Dass str. 7 genügt, um die
echtheit von str. 11 darzutun, glaube ich nicht. Die Vorstellung, dass
Hei mir in Hlymdalir lebt, können die Vols.s. und die übrigen dürf-
tigen quellen aus der Helreiö in der vorliegenden form abstrahiert haben.
Wunderlich ist es auch, dass SigurSr in der strophe vikinyr Dana heisst;
aber das gibt doch keinen grund ab, sie zu entfernen, und wenn man
mit Müllenhoff sie einfach ausscheidet, so entsteht eine lücke, welche
sich durch die annähme sprunghafter darstellung nicht forterklären lässt.
Str. 10 sagt OSinn, dass nur der, welcher Fäfnis gold der Brynhildr
bringen werde, das feuer zu durchreiten im stände sein wird, und un-
mittelbar darauf schlafen Brynhildr und SigurSr str. 12 in einem bette.
Ein bericht über die ankunft des beiden ist unentbehrlich. "Wenn man
str. 11, welche ihn wenigstens durch ein adjeetiv und eine kenning an-
deutet, ausscheidet, so wird SigurSr nicht einmal genannt. Andererseits
lässt sich, abgesehen von den schon angegebenen Schwierigkeiten, gegen
str. 11 anführen, dass auch sie nicht nur die lücke nicht ausfüllt, son-
dern dass sie überdies einen Widerspruch in die Vorstellung des ge-
dichtes hineinträgt. Nicht dass die strophe Brynhilds IVistri erwähnt,
beweist etwas gegen sie — das könnte auf contamination verschiedener
sagenschichten beruhen - aber dass sie ihn an dieser stelle er-
wähnt. Wenn der dichter str. 9 berichtet hat, dass Brynhildr i Skatalundi
liegt, von < »(linn in einen zauberschlaf versenkt, so muss er des Ver-
standes beraubt gewesen sein, um durch die mitteilung, dass SigurtJr
zu Heimir kam, zu dem berichte zu gelangen, dass der held neben
Brynhildr im bette liegt. Denn was soll Heimir in diesem zusammen-
hange? Weiss er, wo seine pflegetochter sieh aufhält? Das wäre schon
nicht wahrscheinlich. Angenommen aber, dass er es wüsste, so ist noch
mit str. 11 nichts gewonnen; das einzige, was Heimir zu tun hätte,
wäre, die freierschar nach Skatalundi' /u verweisen, wie er c. 27 der
Volsungasaga die hehlen nach dem saal der Brynhildr verweist, und
der bericht, dass SigurSr durch die flammen zu Brynhildr ritt, bliebe
nach wie vor unentbehrlich. Ersl dann hat str. 12 einen sinn. Durch
die beibehaltling der str. 1 1 wird also die fühlbare lücke nicht ausge-
füllt. Aber das fällt auf, dass die Strophe anhebt, als ob .dies in der
310 BOEF
Ordnung wäre: reib göhr Grcma, dann aber bieg! de ab und berichtet,
dass SigurÖr zu Eeimir stati dass er durch die waberlohe ritt Ich
glaube, dass str. 11 eine Strophe verdrängt hat, deren anfangszeile der
ersten zeile von str. 1 1 ähnlich war. aber deren Fortsetzung berichtete,
dass SigurÖr durch das teuer zu Brynhildr ritt. Es fragt Bich, < \>
nicht ein glücklicher zufall jene strophe bewahr! hat.
C. 27 der Volsungasaga enthält die erzählung, wie SigurÖr Bryn-
hildr für Gunnarr freit. Man reitet zu BuÖli, dann zu Eeimir, dann zu
Brynhilds saal; von dort zurück zu Eeimir, dann zu BuMi. Für das
mittelstück, die eigentliche Werbung (Bugge 144,14 — 146,15) haben
mehrere forscher (Sijmons, Beitr. 3, 277, Ranisch, Einleitung s. XII.
Heusler a. a. o. s. 55) eine besondere poetische quelle angenommen,
welche Heusler mit dem verlorenen teil des Brot identifiziert. Im zu-
sammenhange dieser erzählung werden zwei strophen mitgeteilt, welche
lauten :
(22.) Eldr na/m at cesask (23.) SigurfSr Grana
en jprb at skjalfa ' sverbi keyrhi,
ok hdr logi eldr sloknahi
rib himni gneeva; fyr eftlingi;
fär treystisk par logi all?' hegbisk
fylkis rekka fyr hfgjornum,
eld at riba bliku reibi
ne yfir stiga. er Beginn dtti.
Z. 3 — 8 der zweiten strophe werden in der unmittelbar vorangehenden
prosa paraphrasiert, aber dadurch wird ein fast alle einzelheiten be-
treffender Widerspruch mit der prosaerzählung, welcher merkwürdiger-
weise bisher keinem forscher aufgefallen ist, nicht aufgehoben. Strophe
22, 5 — 6 sagen aus, dass wenige (d. h. keiner) der männer des fürsten
durch das feuer zu reiten wagten. Die prosa erzählt, dass Gunnarr
den versuch zweimal macht, aber er muss sein vorhaben aufgeben, da
weder sein eigenes noch SigurÖs pferd ihn durch das feuer tragen will.
Hier ist nicht die rede von beiden, welche die tat nicht zu unter-
nehmen wagen. Ferner: wer sind des fürsten recken? Die neiden
sind drei an der zahl; der fürst kann nur Gunnarr sein; Gunnars
recken ist aber eine wunderliche bezeichnung für Gunnars bruder HQgni
und seinen seh wager SigurÖr. Ferner: wenn von zwei recken der eine
durch das feuer reitet, während der andere nebst dem könige selbst
die tat nicht vollbringt, kann man dann ironisch sagen, dass von des
fürsten recken wenige sich an die heldentat wagten? Also wider-
spricht die zeile der darstellung der saga in jeder hinsieht. Man würde
SIGRDRIFTJMAL UND HKLREIDH 311
zu glauben geneigt sein, dass die Strophe zu einem gediente gehörte,
welches Gunnarr mit einem grossen gefolge zu Brvnhildr reiten Hess;
alle neiden versuchten sich an die tat, aber alle schreckten im ent-
scheidenden augenblicke davor zurück. Allein von einer solchen Über-
lieferung ist nichts bekannt, und es ist kaum anzunehmen, dass Gunnarr,
der doch zunächst selbst dazu berufen war, die freierprobe abzulegen,
alle seine männer, einen nach dem anderen dazu aufgefordert hätte.
Str. 23, 1 — 2 erzählen, dass Sigurör das pferd mit dem Schwerte
schlug. In der prosa hat der held das schwert in der hand, aber er
treibt das pferd mit den sporen an.
Str. 23, 3 — 6 berichtet, dass das feuer erlosch, als Sigurör hin-
durchritt. Nach der prosa brennt es weiter; 146, 14 reitet der held
durch dasselbe feuer zu den seinen zurück.
Und was sollen schliesslich str. 22, 1 — 4 im zusammenhange von
c. 27? Was ist der grund, dass das feuer zu lodern und die erde zu
beben anfängt? Die annäherung der freunde? Lodert denn kein feuer
um den saal, wenn keine freunde in der nähe sind, und wird die
maschinerie erst im augenblicke von Brynhildr in bewegung gesetzt?
Oder nimmt die wut des feuers dadurch zu, dass Sigurör hineinreitet?
Dem widerspricht aber die folgende Strophe; sobald Sigurör sich nahte,
slolcnahi eldr und leegbisk loyi.
Diese Widersprüche zeigen zur genüge, dass str. 22. 23 der Vols.
saga nicht zu demselben gedichte gehören, auf dem die prosadarstellung
beruht. Ich glaube nun, dass die richtige stelle dieser beiden Strophen
in der iHelreiÖ nach str. 19 ist. Zunächst betrachte ich str. 22. 1 — 4.
Die zeilen beschreiben den zustand, der durch < »Mus str. 10 mitgeteilten
beschluss entsteht: da begann das feuer zu lodern, die erde zu beben;
nur in diesem zusammenhange hat nam eine bedeutung, aber hier eine
sehr wesentliche. Darauf wird die Wirkung des feuers und des erd-
bebens ausgeführt: niemand wagte hindurch zu reiten; und dieser zu-
stand währte, bis Signier Grani antrieb. Allerdings ist in der zweiten
haltte von str. 22 eine leichte emendation vorzunehmen, welche ver-
mutlich auf geringen Widerspruch stossen wird, da fylkis rekka, wie
oben gezeigt wurde, in keinem Zusammenhang verständlich ist. Das
richtige ist fylkis rekkir. rekkir (zu rekkja), qui animum addit, con-
ßjrmat; fylkis nicht' von fylkw, sondern von /////./, Schlachtordnung,
schar; fyllcis rekkir bedeutet dasselbe wie herrekkir, confirmator militum,
ist also eine bezeichnung eines fürsten oder helden.
Diese emendation empfiehlt sieh auch dadurch, dass sie ome allein-
stehende kaum richtige construetion (fur im sing, mit einem abhängigen
312 BOKR
gen. pl.) durcb eine allgemein bräuchliche (fdr mit einem subst. im sing.
als apposition) ersetzt, Der fehler konnte leicht entstehen, da rekkir
obgleich sehr verständlich doch ein seltenes wort ist es isi wie das
compositum herrekkir einmal belegt - und fylkis konnte natürlich
missverstanden werden. Die Zeilen gehen auf alle helden, welche von
dem augenblicke an, wo Brvnhildr in den zauberschlaf versenkt wind«',
bis /u Sigurfts ankunft sich dem teuer nahten.
Nachdem einmal rekka an die stelle von rekkir getreten war, winde
da fylkis rekkar nur auf Gunnars mannen gedeutet werden konnte, die
strophe in dem zusammenhange der Helrei^ nicht mehr verstanden; sie
wurde nun mit der folgenden strophe in eine darstellung von Gunnars
brautfahrt aufgenommen. Die zweite strophe wurde durch eine andf-ie.
deren anfang ähnlich lautete, ersetzt (Sigurtir Grana srerbi keyrfü:
Reib göftr Grana).
Als SigurÖr herannaht, erlischt das teuer von selbst fyr, nicht
undir eblingi. Es ist also keine heldentat, dass er hindurchreitet,
sondern es gelingt ihm ohne anstrengung, weil die braut für ihn be-
stimmt ist. Die Vorstellung, dass die durchreitung der lohe eine
probe des mutes ist, erweist sich hier als die abgeleitete. Über die
vollständige ähnlichkeit auch in diesem punkte mit den Sigrdrifumäl
vgl. unten s. 318. So ganz und gar erlischt das teuer, dass das einzige,
was noch leuchtet, Regins reitzeug ist.
Die junge SigurÖarkviÖa en meiri. welche von allen seifen motive
entlehnt, entnahm auch unserer strophe ca. iy2 langzeilen, wo sie Bryn-
hildr der Gudrun vorwerfen lässt (c. 28, Bugge s. 149), dass Gunnarr
nicht durch das feuer zu reiten gewagt habe. Das widerspricht jeder
bekannten Überlieferung, auch der darstellung von c. 27: der Vorwurf
wird auch sofort von Gudrun widerlegt; immerhin ist die auffassung
besser als die, dass Gunnars mannen nicht zu reiten wagen, was VqIs.s.
str. 22 an der stelle, wto sie überliefert ist, aussagt. Aus der strophe
in c. 28 geht nicht hervor, dass der dichter str. 22 in dem überlieferten
zusammenhange gekannt hat; eher das umgekehrte; denn wenn niemand
zu reiten wagte, bis SigurÖr — mit den Gjükungen — kam, so liess
sich daraus folgern, dass auch Gunnarr es nicht gewagt hat.
Die verwandte stelle der Oddrimargrätr (17, 5 —8) verstehe ich
wie Heusler. jqrh düsabi ok uphiminn scheint mir ein zu hyperbo-
lischer ausdruck um kriegslärm anzudeuten; die stelle steht auch deut-
lich unter dem einfluss der str. 22 (VqIs.s.). Man darf sie aber nicht
so verstehen, dass das feuer heftiger zu lodern anfing, als Siguror
herannahte. Die strophe sagt aus, dass erde und himmel erdröhnten,
SIGRDRIFUMAL ÜNG HELREIDB 313
als Sigurör die bürg sah, d. h., als der held so nahe gekommen war,
dass er die bürg und das feuer sehen konnte, nahm er auch das dröhnen
der erde, welches natürlicherweise auch früher vor sich gieng, wahr.
Übrigens ist zu bemerken, dass auch wenn eine andere auffassung der
stelle die richtige wäre, das doch für die altertümlichkeit der Vorstellung,
dass die wut des feuers grösser wurde, nichts beweisen würde; es würde
nur zeigen, dass der dichter von Oddrünargrätr die beiden ursprünglich
zur HelreiS gehörenden Strophen schon in ihrer neuen Umgebung gekannt
und sie daher, wie natürlich, missverstanden hatte. Der verwirrten
Vorstellung dieses späten gedientes ist gewiss den besser zusammen-
hängenden älteren quellen gegenüber keine autorität zu gewähren.
Woher str. 11 der Helreio' stammt, Avüsste ich nicht mit Sicher-
heit zu entscheiden. Müllenhoff hat schon richtig gesehen, dass ihr
platz in einem gedichte ist, in dem Heimir eine rolle zufiel. Das
ist nun der fall in c. 27 der Vols.s., welches die beiden Helreiöstrophen
aufgenommen hat. Man könnte daher versucht sein, an einen tausch
zu denken und HelreiÖ 11 der quelle von c. 27 zuzuweisen. Indessen
spricht vielleicht dagegen, dass die strophe der Brynhildr in den mund
gelegt wird (föstri minn), während c. 27 doch wol auf einem erzählen-
den gedichte beruht. Die strophe gehört eher zu einem dem eingange
von c 27 nahestehenden gedichte, in dem Brynhildr auf die Vergangen-
heit zurückblickt, wie sie auch c. 28 fgg. mehrere reden hält.
Für die geschichte der Überlieferung ist dieses ergebnis von be-
deutung, dass die in Helreio vorliegende sagenform, nach der Sigurftr
durch die waberlohe zu Brynhildr ritt, um sie für Gunnarr zu erwerben,
nicht auf einer combination älterer und jüngerer Überlieferung beruht
Dass dieser besuch des beiden bei der walkyre sein erster und einziger
war, hebe ich ausdrücklich hervor. Das geht schon aus str. 12 — 13
hervor, welche keinen sinn haben, wenn Sigurör und Brynhildr sich
früher treue geschworen haben. Da indessen Finnur Jönsson be-
hauptet, dass eine strophe, welche Sigurfts 'ersten' besuch enthielt, ver-
loren ist, falls nicht der dichter eine unrichtige Vorstellung der ereignisse
hatte1, bemerke ich noch, dass die Vorstellung, welche wo! den meisten
forschem als die einzig richtige erscheinen wird, durch die in die
VqIs.s. aufgenommenen stmphen bestätigt wird. Als Sigurör das feuer
durchritt, erlosch es; er kann es also nicht zum /.weiten male durch-
reiten Von einer vorverlobung des Sigurör weiss also das gedieht
nichts.
1) Was die riohtige Vorstellung ist. können wir doch nur aus den quellen er-
fahren.
.'-{I t I I
Ebensowenig weiss die quelle etwas von einer vorverlobung der
walkyre mit Agnarr. Agnarr bat, wenn I» das ursprüngliche hat und
die von den meisten forschen) angenommene erklärung von str. <>, I 2
das richtige trifft, die walkyre zu seinem dienste gezwungen, wie z.b.
Hagen die seeweiber bezwingt; er hat sie nicht für sich bebalten, wie
Viilundr und die märchen neiden, denn der beistand im kämpfe setz!
voraus, dass die walkyre sieh frei bewegt, auch in der Luft, wozu sie
ihres federhemdes bedarf. Es wäre ein aceessorisches motiv, eine Variante
<\c\- Vorstellung der Sigrdrifumäl, dass sie aus mitleid agnarr zu hilfe
eilt. Der unterschied hätte seine bedeutung, weil er eine deutliche ab-
weichung der beiden darstellungen voneinander bezeugen würde; daraus
wäre ein neues argument zu entnehmen gegen die Überführung der auf
Agnarr bezüglichen versc aus einem gedichto in das andere, was noch
Kinnur Jönsson, freilich in umgekehrter richtung als Bugge, unter-
nimmt.
Solange man mit Müllenhoff str. 6 hinter 7 setzt und die lesart
von R für richtig hält, scheint mir diese auffassung der strophe auch
die einzig mögliche zu sein. Doch gestehe ich, dass auch diese Inter-
pretation mir im hohen grade bedenklich vorkommt. Es ist immerhin
misslich, eine unverständliche Überlieferung durch Strophenumstellung
bessern zu wollen, sofern nicht durch die Umstellung ein klarer Zu-
sammenhang zu stände gebracht wird. Im vorliegenden fall erheben
sich gegen die Umstellung die folgenden bedenken. Str. 5 klagt Bryn-
hilclr darüber, dass sie durch die schuld der Gjükungar ihren eid ge-
brochen hat; str. 6 redet von einem eid, den sie geschworen. Es liegt
nahe zwischen dem eide in str. 5 und dem in str. 6 eine beziehung zu
vermuten. Ferner sieht str. 7 wie eine einleitung zu str. 8 aus: 'In
Hlymdalir wurde ich eine walkyre genannt; als solche tötete ich den
Hjalmguunarr'. Auch ist nicht zu übersehen, dass von einem Verhältnis
der Brynhildr zu Agnarr sonst nichts bekannt ist, und das ÖÖins zorn
als weniger begründet erscheint, wenn Brynhilds hilfe im kämpfe durch
Agnarr ihr abgenötigt worden war.
Im folgenden schlage ich eine auffassung der str. 6 vor, welche
den vorzug hat, dass sie die überlieferte strophenfolge bewahrt und den
inhalt der strophe ausschliesslich an aus dem gedichte bekannte ereig-
nisse anknüpft. Alle Schwierigkeiten glaube ich dadurch nicht lösen zu
können, aber doch hoffe ich, dass meine Interpretation sich fähig erweisen
wird eine abschliessende erklärung vorzubereiten. Ich glaube, dass
str. 6 den inhalt der folgenden Strophen (7 — 12) kurz andeutet. Z. 5 — 8
beziehe ich auf Sigurör. Hundert jähre, wie die prinzessin im be-
SIGRDRIFTJHAL UND HELRKIDH 315
zauberten schlösse hat Brynhildr nicht geschlafen. Als sie zwölf jähre
alt war, hat Sigurnr sie aus dem zauberschlafe erweckt, und diesem
jungen forsten seldi (hon) eiha. Das stimmt mit dem alten Schlüsse
der Sigrdrifumäl überein. Aber auch die Situation der HelreiÖ erfordert
einen solchen eid. Als SigurÖr in Gunnars gestalt zu Brynhildr kam.
hat er sie zum weibe begehrt, und sie hat ihm zu gehören eidlich ver-
sprochen. Darauf hat er neben ihr geruht ohne sie zu berühren und
sie nach acht nachten dem Gunnarr überliefert. Das ist der eid, den
Brynhildr str. 5 sich beklagt gebrochen zu haben1. Dass der dichter
dabei nicht etwa an einen früheren besuch des helden gedacht halten
kann, wurde schon betont (s. 313).
Wenn diese erklärung von z. 5 — 8 richtig ist, so können z. 1 — 4
nur von einem mit der ankunft des helden in beziehung stehenden
ereignis handeln. Ich glaube, dass sie Brynhilds Versenkung in den
zauberschlaf andeuten. Die lesart des Nornagests pättr halte ich für
die richtige. Lei mik af harmi hugfullr konungr, Atla systur, undir
eik büa. Unter dem hugfullr konungr verstehe ich ÖÖinn, allerdings
keine gewöhnliche aber doch kaum eine unmögliche bezeichnung des
götterkönigs, namentlich im munde einer walkyre, welche in ÖSins be-
sonderem dienste steht. Doch ist zu erwägen, ob hier vielleicht eine
Verderbnis vorliegt. Also 'ÖÖinn Hess mich af harmi (weil er erzürnt
war) undir eik hau. eik bedeutet 'eiche1 oder allgemein 'bäum'. Ferner
einen aus holz angefertigten gegenständ, 'ein schiff. An dieser stelle
deutet der dichter damit die Schilde an, mit denen der gott die walkyre
zudeckt. Wie ein schild lind heisst, weil er aus lindeuholz gemacht i t.
so nehme ich an, dass ein skalde dazu kommen konnte, ihn durch eik
zu bezeichnen, zumal da an dieser stelle noch ein besonderer anlass
dazu vorhanden war; durch das verbum büa wurde nämlich der gedanke
des dichters auf den bekannten ausdruck büa undir eik gelenkt (vertir
eik at fdga, er undir skal büa). Es wird demzufolge die mit Schilden
zugedeckte walkyre bildlich als unter einem heiligen bäume wohnend
bezeichnet. Der dunkle ausdruck ist ganz im stile des Helreit»- dichters.
Diese beiden ereignisse, die Versenkung in den zauberschlaf und
der dem Siguror geleistete eid, sind für Krynhilds geschiok entscheidend
gewesen. Sie setzt sie daher gleich am anfang ihrer rede als die beiden
I) Der schwur geht also weder dahin, dass sie nur dem grössten beiden ge-
hören wird, der sie erwecken würde, noch i t es ein eid, den sie bei Eteimir ablegt,
dass sie nur Bigurör, der ihr besser als Gunnarr gefallen babe, I irerde (vgl.
oben s. 308). Dem Signier seihst hat sieden eid geschworen, als er m betrügerischer
absieht ihren felsen erstiegen hatte.
.3 IG BOKR
kernpunkte der erzählung hin; darauf berichtel Bie das geschehene der
rcihenfulge nach umständlich.
Ich glaube daher nicht, dass str. 6 nach 7 zu stellen ist
Allerdings müssen wir. wenn der fcexl des Nornagests |»ättr das
lichtige hat, Atta systur mit in den kauf nehmen, und es zeigl sich
dann, dass Eelreii5 die Verbindung der Brynhildr mit Atli schon kennt.
Aber das ist nicht auffällig, denn diese Vorstellung beherrschtauch alle
übrigen lieder, welche um die Werbung für Gunnarr weissen. Von Hei mir
enthüll das gedieht jedoch keine spur. Und der bericht, dass Brynhildr
Atlis schwester ist, hat für den inhalt des liedes keine bedeutiniL:: er
soll nur über die abkunft der heldin orientieren. Dass königstöchter
walkyren waren, ist eine der Edda geläufige Vorstellung.
Wie ist nun das Verhältnis der Sigrdrifumäi zu der HelreiS zu be-
urteilen? Prinzipiell sind nur zwei auffassungen möglich. Wenn Sigrdrifa
und Brynhildr identisch sind, so repräsentieren die beiden gedichte sagen-
varianten. Das ist Sijmons' ansprechende Vermutung. Sind die beiden
gestalten von hause aus verschieden, so muss Helreic. auf einer sagen-
contamination beruhen. Es ist nicht meine absieht, alles zu widerholen,
was für und wider angeführt worden ist. Meine aufgäbe beschränkt
sich darauf, die Schlüsse zu ziehen, zu denen die voranstehenden resul-
tate in bezug auf diese frage führen.
Durch die beobachtung, dass die ursprüngliche HelreiÖ eine wider-
spruchslose geschlossene Überlieferung repräsentiert, gewinnt die ansieht,
dass die dem gedichte zu gründe liegende tradition eine selbständige
sagenvariante ist, in hohem grade an Wahrscheinlichkeit. Es fragt sich
nur, ob die unterschiede der art sind, dass die Vorstellungen der beiden
gedichte sich nicht aus einer anschauung entwickelt haben können-
Heusler hat diese möglichkeit geleugnet: ich hoffe im folgenden meine
abweichende ansieht zu begründen.
Von dem wichtigen unterschiede, dass der held die walkyre in
Sigrdrifumäi für sich, in HelreiS für einen andern erwirbt, sehe ich
vorläufig ab. Es sind dann zunächst ein paar kleinigkeiten in der Vor-
geschichte zu erwähnen. Ton der für Brynhildr eigentümlichen an-
knüpfung an Atli, welche nach meiner oben entwickelten ansieht auch
HelreiÖ kennt, weiss die Überlieferung von Sigrdrifa nichts. Xach der
alten Interpretation der str. 5 ist das Verhältnis der walkyre zu Agnarr
ein verschiedenes. Diese unterschiede, soweit sie tatsächlich vorhanden
sind, lassen jedoch nicht auf verschiedenen Ursprung, sondern auf selb-
ständige entwicklung schliessen und reden, wie schon bemerkt (s. 314),
eher für als wider die ursprüngliche einheit beider gestalten.
SIGRDRIFUMAL UND HELKEIDH 317
Nach Heusler entscheidend sind aber die abweichungen in der
beschreibung des ortes, wo die walkyre liegt. Der name ist verschieden:
Skatalundr ist im stile der übrigen Ortsnamen in HelreiÖ (Müllenhoff
s. 389); das ursprünglichere wird Hindarfjall sein; übrigens kann der
dichter sich Skatalundr auf Hindarfjall vorgestellt haben \ Über die Um-
gebung, in der die beiden walkyren liegen, ist das folgende zu be-
merken. Brynhildr liegt lokin skjqldom (Helr. 9), also in einer skjald-
borg. So auch Sigrdrifa. Ob Brynhilds skjaldborg in einem saale sich
befindet, ist nicht ganz klar; str. 10 lässt ÖÖinn das feuer brennen ion
sal minn; da aber von einem saale sonst nicht die rede ist, liegt es
auf der hand, sal minn als eine bezeichnung der schildburg aufzufassen.
Die Sigrdrifumäl erwähnen keinen saal, dagegen die zu derselben sage
gehörigen igXma mal, welche widerum keine von dem saale unter-
schiedene skjaldborg kennen; also ist auch hier wol der saal auf dem
Hindarfjall mit der skjaldborg auf dem Hindarfjall identisch. Das geht
wenigstens aus der prosa vor Sigrdr. 1 hervor, dass die skjaldborg keines-
wegs eine enge einhegung war, welche bloss den körper der Sigrdrifa
umgab, denn Siguror geht in die skjaldborg, und dann erblickt er die
maid. Aus der skjaldborg erhebt sich eine fahne. Dieselbe kann zwar
an einer im boden feststehenden stange befestigt gewesen sein, sie er-
weckt aber die Vorstellung einer Überdeckung, welche von der fahne
abgeschlossen wird. Es lässt sich auch vermuten, dass Oöinu die
schlafende walkyre nicht wind und wetter preisgegeben haben wird:
wenn er aber eine noch so einfache Überdeckung (gleichfalls aus Schilden)
angebracht hat, so konnte der eingehegte überdeckte räum mit gutem
fuge, namentlich in dichterischer spräche, ein saal genannt werden.
Für die bedeckung wie für die bezeichnung des aufenthaltes der walkyre
als 'saal' spricht aber auch str. 5 (büa undir eik, vgl. oben s. 315).
Wie dem übrigens sei, als aufenthaltsort der beiden walkyren wird je
einmal eine skjaldborg und ein saal genannt. Vollständiger kann die
Übereinstimmung wol nicht sein.
Es bleibt die waberlohe zu untersuchen. Nach Heusler gehört
dieselbe zu Brynhildr, nicht zu Sigrdrifa2. Nach ihm braucht man
1) Möglicherweise sind valland, hlymdalir, skatalundr alle als appellativa zu
verstehen. Die skaldisohe Umschreibung hlymdalir hat dann viele irrtümer zu ver-
antworten.
2) Heuslei trennt die igOna n/dl . in doneu er dieselbe sa:;enaulTassun^ wie in
der Helreiö sieht, von Sigrdrifumäl. Für den Eorscher, der das nichl zugibt, brauoht
es für den flammenwall der Sigrdrifa (oder nach lleusl<>r der ungenannten walkyre,
welche nicht, auch oichl appellativisch, Sigrdrifa biess) keines beweises (sto
:;ik noKR
aus den worton ä fjallinu sä kann Ijns niil.il , srri gern efdr bryrmi, 6k
Ijömabi af til himins, nicht zu Lesen, dass der ort von einem flammen-
wall umgeben war, und beweist das anmittelbar folgende Wn er haim
Jcom dl, l>ii stob par shjaldborg sogar, dass eine solche auffassung aus-
geschlossen ist. Ich kann das nicht zugeben, und auch nicht, dass die
worte des textes 'ein unklarer ausdruck für die lohe' sind. Kann man
deutlicher sagen, dass ein helles teuer hrannte, als dadurch, dass man
den eindruck beschreibt, den das teuer schon aus der ferne macht, auf-
lodernd bis zum himmel? Freilich, es wird nicht berichtet, dass Sigurör
die lohe durchritt, aber wo steht denn geschrieben, dass ein solcher
bericht unentbehrlich oder sogar sagengemäss wäre? Die darstellung
der Sigrdrifumäl ist auch in dieser hinsieht in vollständiger Überein-
stimmung mit der der Helreiö, nur noch naiver, indem nicht einmal
erzählt wird, dass das teuer bei SigurÖs herannahen erlischt. Helreiö
erzählt die begebenheit von Brynhilds Standpunkte, Sigrdrifumäl von
dem von Sigurör eingenommenen. Aus der ferne sieht Sigurör das teuer,
aber er braucht nicht hineinzureiten, ebensowenig wie der märchenprinz
in die dornenhecke zu kriechen braucht; die dornenhecke öffnet sich
von selbst, das teuer erlischt von selbst, und der held steht auf einmal
vor der shjaldborg , er weiss nicht wie1. Das ist die ältere, poesiereiche
mit den verwandten märchen übereinstimmende Vorstellung2, welche in
Sigrdrifumäl und in HelreiÖ vorliegt; erst die jüngere dichtung, auf
welcher die prosadarstellung c. 27 der Vols.s. beruht, lässt Signier
zusammen mit den brüdern bis zu dem flammenwall reiten und
den beiden die schwierige tat vollbringen, nachdem Gunnarr sich
vergebens abgemüht hat. Dass es aber kein heldenstück war, zeigt
auch diese Überlieferung zur genüge, denn wie kann man einen
Vorwurf wider Gunnarr daraus machen, dass Grani ihn nicht durch
Nach Heuslers auffassung steht man vor der grossen unwahrseheinlichkeit , dass zwei
dichter (der igSna mal und der Helreiö) unabhängig voneinander auf den einfall ge-
kommen sind, den zauberschlaf der walkyre mit dem flammenwall der Brynhildr zu
combinieren. — Dass die Verbindung des flammenwalles mit dem schildzauu. weil
eine tautologie, nicht alt sein kann, wird Heusler nicht im ernst aufrecht balten wollen,
vgl. Menglo/ö, welche von einem flammenwall umgeben ist und doch einen Wärter
hat; ähnlich Gerör.
1) Allerdings lässt Helreiö auch die auffassung zu, dass das feuer erst erlosch,
als Sigurör schon ganz nahe war und sich vielleicht schon angeschickt hatte, den
flammenritt zu unternehmen. Das wäre eine geringe, wol jüngere Variante in der
riebtung nach der auffassung der Vols.s. c. 27. Die worte ti/'gurdr Qrana srerefi
keyrdi können aber auch auf den ritt aus der ferne nach Skatalundr gehen.
2) leb glaube nicht, dass man dieDornröschen -sage von dieser gruppe trennen darf.
SIGRuHIFUMAL UND HELREITIH 319
das feuer tragen wollte? Alle jene quellen, welche die waberlohe als
eine maschinerie für die freierprobe darstellen, vergessen, dass die
maschinerie nach ihrer darstellungsweise keineswegs zur freierprobe,
sondern zur pferdeprobe dient. Brynhildr wählt dort den helden, der
das vorzüglichste pferd besitzt. Auch hier zeigen die vorhandenen Wider-
sprüche noch ganz klar, dass das ältere ist, dass Gunnarr die lohe
nicht zu durchreiten vermochte, weil es ihm nicht gegeben war, sie zu
durchreiten. Sein heldenmut nützt ihm nichts.
Heusler erklärt Helreiö für jung. Auf eine genaue datierung des
gedichtes lasse ich mich nicht ein. Aber ich bezweifle doch, ob es jünger
ist als jene quellen, welche den flammenwall als eine maschinerie der
Brynhildr darstellen. In allen spielt im gegensatze zur Helreiö Buöli
oder sogar Heimir eine rolle. Dass die maschinerie bedenklich ist,
findet auch Heusler, aber er glaubt, wir müssen uns nun einmal darin
finden, dass das die älteste auffässung der waberlohe ist, welche sich
im norden nachweisen lässt. Zu dem resultate aber ist er dadurch ge-
langt, dass er die quellen, welche die lohe auf eine natürlichere weise
erklären, als auf combination nicht verwandter sagenmotive beruhend
darzustellen versucht. Aber gerade die grössere natürlichkeit spricht
für die grössere ursprünglichkeit Die Sachlage ist demnach: auf einer
seite eine natürliche und verständliche auffässung der waberlohe ohne
die jungen gestalten Bu'Öli und Heimir, auf der anderen seite eine for-
cierte und unverständliche auffässung der lohe verbunden mit BuMi und
Heimir. Welche schicht von Vorstellungen wird die ursprünglichere sein'/1
1) Das gesagte gilt in demselben grade wie für Helreiö auch für die igSna mal
und für Sigrdrifumal. Ich kann Heusler (a. a. o. s. 29) nicht zugebeu, dass die igSna
mal 'neben die weissagenden stücke des liederbuches zu stellen' sind und als dichtung
'mit so eingehender Zukunftsvoraussage zu der jüngeren schicht der Eddapoesie ge-
hören'. Der gesang der vögel ist keineswegs eiue Weissagung im sinne der Gripisspa
und ähnlicher gedichte. Die Spechtmeisen reden vou einem einzigen unmittelbar be
vorstehenden ereignisse im Zusammenhang mit dingen, welche schon geschehen sind;
und auch dieses ereignis kündigen sie nicht in einem prophetischen tont- an, sie
muntern nur den beiden dazu auf, das glück zu ergreifen. Der abstand zwischen
diesen hochpoetischen von einem grossen oaturgefühl getragenen gedichtfragrnente
und den langweiligen Prophezeiungen ist ein so auffallender, dass es unverständlich
ist, wie man je auf den gedanken kommen konnte, so weil verschiedene gedichte neben-
einander zu stellen. Der titel igöna apd , den Heusler dem gedichte gibt, scheint
mir aus dem gründe weniger richtig. Ich nenne das fragmeut aus praktischen rück-
siehten igöna imil. ohne damit andeuten zu wollen, dass ich dasselbe für ein
ständiges gedieht halte. Im gegenteil glaube ich mit anderen Forschern an die
zusammeiigehürigkeil mit dem folgenden und möglicherweise auch mit dem \m her-
gehenden. Mit mehr recht kann man Helreiö zu den zurückblickenden gedichten zählen,
320 BOER
Die wunderliche maschinerie der Brynhildr lägst sich auch sehr
wo) erklären, wenn man von der grösseren ursprünglichkeit der natür-
licheren auffa in eht Sobald das motiv des zauberschlafei ver-
loren und Brynhildr zu BuÖli in beziehung gesetzt worden war. sobald
die beiden statt bei <ler walkyre selbst bei dem rater der braut um
ihre liand anhielten, inusste die lohe, sollte man sie nicht ganz fallen
lassen, zu einem Spielzeug der spröden herabsinken. P^ zeugt für die
grosse bedeutung, welche der lohe von anfang an in der Überlieferung
zukam, dass man die zweite alternative wählte.
Noch zwei andere züge sind nach Heusler für die spröde Bryn-
hildr der walkyre gegenüber eigentümlich. Bei der walkvre spielt das
ross des helden keine rolle; bei Brynhilds Werbung hält Heusler es für
unentbehrlich. Dass durch die rolle, welche das ross dabei spielt, die
maschinerie der Brynhildr für die freierprobe imgrunde unbrauchbar wird,
wurde schon bemerkt. Aber dass das tier für das Wagestück unentbehrlich
ist, scheint mir doch ein zu starker ausdruck. C. 27 besteigt Gunnarr
Grani, nicht weil er weiss, dass die durchreitung des feuers mit Grani
gelingen wird, sondern weil er eben bemerkt hat, dass es mit Goti
nicht geht. Mit Gunnarr aber wagt auch Grani nicht den weg; erst
nachdem der held selbst sich auf sein ross gesetzt, hat. gelingt der ritt;
also ist es auch hier klar, dass nur der held, nicht das ross unent-
behrlich ist. Das alles führt nur aus, was der schluss der prosa nach
Fäfnismäl weit einfacher mitteilt, dass SigurÖr auf Grani sass, als er
zu der walkyre ritt. In merkwürdiger Übereinstimmung mit der stelle
der Yols.s. wird aber auch hier erzählt: en hestrinn lildi eigi fram
ganga, fyrr en Sigurfir steig d bah hon am. Dass der erfolg des
rittes von dem pferde abhieng, wird auch in den übrigen quellen nirgends
gesagt1.
Schliesslich die freiwilligkeit, mit der Brynhildr sich in den feuer-
wall begibt und ihn widerum verläset. Heusler vergleicht das damit,
dass Gerör innerhalb des vafrlogi sich frei bewegt und dass MengloÖ
aber doch zu deu älteren gedickten dieser schiebt, denn die ivmrabrnung ist originell
und gut ausgearbeitet (vgl. deu schluss vou str. 14), und ein ereignis bildet auch hier
den mittelpunkt des interesses. Man vergleiche einmal die prophezeiung am Schlüsse
der Sig. sk. oder den rückblick in Guör. II. — Übrigens sind mit ausnähme gerade der
igSna mal und der Sigrdrifuuiäl und vielleicht auch des schon zur genüge beleuch-
teten gedieh tes, auf welchem c. 27 der Yolsungasaga beruht, alle gedichte. welche
von der waberlohe berichten, gleichfalls zurückblickende und können also wenigstens
auf grund dieser eigentümlichkeit der Helreiö nicht wider dieses gedieht augeführt
werden.
1 i Auch die stelle der Skälda sagt das nicht aus.
SIGRDRIFUMAL UND HELRKIDH 321
wenigstens nicht schläft. Mir scheint es, dass eben die restrictionen,
welche bei der durchführung der vergleichung sich als notwendig er-
geben, zeigen, dass die gesuchte ähnlichkeit nicht da ist. Allerdings
bewegt Gerör sich frei innerhalb des vafrlogi, aber dass sie ihn auch
zu verlassen im stände ist, scheint mir eine sehr unwahrscheinliche
Vermutung Heuslers, und auch Menglo/Ö ist dazu nicht im stände. Gerör
schläft allerdings nicht; sie zeigt auch mehr den typus der spröden als
der zu erlösenden Jungfrau und kann als beispiel für die Verbindung
der lohe auch mit diesem typus angeführt werden; MengloÖ hingegen,
wenn sie auch vielleicht nicht schläft — was indessen nicht so fest
steht — erwartet tag und nacht den ihr bestimmten erlöser und bräu-
tigam. Sie steht mit der prinzessin im bezauberten schlösse auf einer
linie; der zauberschlaf gehört nur zu einem untertypus. Aber das
harren auf den erlöser ist für den ganzen typus eigentümlich. Der zauber-
schlaf der Brynhildr könnte daher sehr wol ein secundärer zug sein,
wenn er nicht auch sonst belegt wäre. Aber bei dem oben erschlossenen
Verhältnis der Sigrdrifumäl zur HelreiÖ bekommt der lectulus Brunihildae
eine neue bedeutung und verbietet, hier an eine neuschöpfung zu
denken l. Die ungehorsame walkyre hingegen ist wol verhältnismässig
jung, gehört aber zu der ältesten erreichbaren skandinavischen über-
lieferungsform.
Vafrlogi und zauberschlaf gehören also nicht überall und untrenn-
bar, sondern in der Brynhildsage auf skandinavischem boden fest zu-
sammen, und damit schwindet jede möglichkeit, Brynhildr von der
Sigrdrifa zu trennen. Brynhildr wird also von Sigurör erlöst, keines-
wegs bezwungen. Dass die deutsche fassung die sache anders mit-
teilt, ändert daran nichts, um so weniger als auch sie — noch ab-
gesehen vom Brunhildenbett — im Sigfridsliede dieselbe Überlieferung
kennt. Inwiefern die grössere ähnlichkeit, welche die jüngere skandi-
navische tradition in bezug auf diesen punkt mit der in deutschen quellen
im Vordergrund stehenden zeigt, auf jüngeren deutschen einfluss zurück-
zuführen ist, liegt ausserhalb des rahmens dieser Untersuchung. l>a->
der verlust des motives vom zauberschlafe und die anknüpfung an Buttli
dabei wirksame factoren waren, wurde schon betont.
Aber eine frage muss ich noch berühren. Wenn Brynhildr und
Sigrdrifa identisch sind, wie ist es dann möglich, dass in der auffassung
des resultates der Werbung ein so absoluter gegensatz vorhanden ist?
1) Wie Heusler 8.24 anm. sagen kann, dass man aas dem lectulus Brunihildae
den xauberschlaf nicht herauslesen darf, verstehe ioh nicht, Woher nimmt man denn
die berechtigung herauszulesen, dass sie waelit '.
ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. HU. \\\\ 2 1
322 BOK.r<
Wenn die Abweichung daraus zu erklären ist, dass die beiden sagen
malte Varianten sind, welche auseinander giengen, woher dann die ine
einzelne gehende gleichheit in der ersten hälfte der erzählung? Wenn
die Varianten jung sind, wie kennte dann die Vorstellung dei Sigrdrifu-
inal entstehen, als schon die andere die ganze poetische tradition be*
herrschte? Ich kann mir die Sachlage nur so vorstellen, dass die
Varianten zwar alt sind, aber dass man sich ihres Zusammenhanges be-
wusst blieb. Das spricht für das hohe alter des zauberschlafes. Dieser
hielt die Varianten zusammen; zusammen nahmen sie das motiv der
ungehorsamen walkyre auf und winden um so mehr als zusammen-
gehörig empfunden. Erst nachdem in der Brynhildsage das Haupt-
interesse sich den begeben heiten nach der Werbung zugewandt hatte,
lockerte sich das band, welches die sagenvarianten zusammenhielt; in
einer sagenform gieng allmählich der zauberschlaf verloren, in der
anderen das Verständnis für die Identität der walkyre mit der cen-
tralen gestalt der älteren Sigfridsage. Über das Verhältnis der beiden
Varianten ist schon viel geschrieben worden. Ich deute hier nur eine
ansieht an. Dass die kürzere sagenform aus der längeren entstanden
sein sollte, dagegen spricht ausser ihrer ähnlichkeit mit anderen sagen
auch der umstand, dass ihre Überlieferung die einfachere ist. Die fort-
schreitende sagenentwicklung beruht fast immer auf combination und
fortbildung. Die tradition lässt wol mitunter motive fallen, aber selten
entsteht auf diese weise aus einem complizierten gebilde ein so ein-
faches wie die erste hauptform der Sigfridsage. Es lässt sich auch
leichter verstehen, wie durch den zusatz eines elementes die compli-
ziertere form der vorliegenden sage aus der einfacheren entstehen konnte,
als der umgekehrte Vorgang verständlich wäre.
Damit stehen wir an der grenze der mythischen erklärung, auf
welche ich mich nicht einlasse. Doch bemerke ich, dass die jüngere
sagenform, abgesehen von den quellen, welche behufs biographischer
darstellung I mit II combinieren, nirgends zwei flammenritte enthält.
und dass ich deshalb nicht mit Wilmanns, A.f.d.a. 18, 72 annehmen
kann, dass die sage bedeute, dass SigurSr morgens die Jungfrau er-
weckt, des abends aber in Gunnars gestalt sich neben sie legt; der
zweite vafrlogi wäre das abendrot. Die inconsequenz, dass die einmal
erloschene flamme dennoch wider aufloderte, Hesse sich zwar aus dem
— in dem fall — zu gründe liegenden mythus erklären; aber welche
alte quelle erwähnt denn den zweiten flammenritt? Da derselbe an
keiner stelle überliefert ist, ist die einfachere erklärung für die ent-
steh ung von II diese, dass auf I die erzählung folgte, dass der held
SIGRDRIFUMAL UND HELREIDH 323
die von ihm erlöste Jungfrau, nachdem er sich mit ihr vermählt, einem
anderen abtrat. Falls das mittel, wodurch der held in die macht des
fein des geraten war, ein weib war, so lag es nahe, dass die poesie um
die sittliche Unanfechtbarkeit des beiden zu retten, die Vermählung mit
der zweiten trau vor den flammenritt schob, und so entstand das keusche
beilager, das II beherrscht, und erst in viel jüngeren quellen widerum
aus genealogischen rücksichten durch eine Vereinigung des paares ersetzt
wurde.
Mit Heusler glaube ich also, dass die alte poesie eine Verlobung
Sigfrids mit Brynhildr nicht kannte, und dass die quellen, welche eine
solche zum hebel der intrigue machen (Falkenlied, Traumlied, Sig. kv.
meiri), falls das tatsächlich drei verschiedene quellen sind, auf biogra-
phischer contamination von I und II beruhen. Aber auch an eine Ver-
lobung mit einer von Brynhildr verschiedenen walkyre glaube ich nicht
In einer biographie ist eine solche nur um ein geringes weniger an-
stössig als die Verlobung mit Brynhildr; um Guörün heiraten zu können,
muss Siguror so wie so sein gelübde brechen. Ausserhalb des biogra-
phischen rahmens ist ein Verhältnis zu Brynhildr psychologisch gerade
so erklärlich als zu einer anderen frau. Allein das Verhältnis ist dann
nicht eine Verlobung, wozu erst die biographie sie macht, sondern eine
Vereinigung in liebe.
Eine traditionelle Vorstellung von Siguros lebenslauf hatte sich
gebildet, bevor die lieder in einer handschrift miteinander verbunden
wurden. Dass Heimir in Hlymdalir wohnt, hat nicht der Verfasser der
Volsungasaga ersonnen; diese ansieht war schon früher aus der ent-
stellten Helreiö abstrahiert; daher begegnen wir ihr auch in der Skälda
und den Viöboetir den Landnäma. Inwiefern daraus der schluss gezogen
werden kann, dass die entstellung der HelreiS älter als die schriftliche
Überlieferung ist, lasse ich dahingestellt sein. Der Nornagests |>&ttr
bringt wol nicht die entscheid ung, da seine Überlieferung der HelreiÖ
kaum eine von der ursprünglichen liedersammlung unabhängige Über-
lieferung repräsentiert. Hingegen setzt die Grlpisspä, welche aufSigrd.
2. 3. 20 — 37 anspielt, den während der schriftlichen Überlieferung inter-
polierten text der Sammlung voraus, denn dass die prosa der Samm-
lung schon während der mündlichen Überlieferung eine geschlossene
form hatte, wird heutzutage kaum jemand behaupten. Die Schlüsse in
bezug auf das alter des gedientes liegen auf der band,
324 noF.u
Der eigentliche gegenständ unserer Untersuchung war Sigrdrifu-
nial, nur der stoff hat uns auf sagengeschichtliche bahnen geführt Ich
keine zu dem gedieht, wie es überliefert ist, zurück und gehe nun auf
die runenstrophen ein. Mit Müllenhoff nehme ich an, dass die runen-
stropheninterpolation str. 6 beginnt und durch str. 5 hervorgerufen isr.
Für eine Interpolation zweiten grades halt Müllenhoff, vielleicht mit
recht, str. 8.1 Im übrigen kann ieh seiner teilung des abschnittes nicht
beistimmen. Als zusammengehörig betrachtet Müllenhoff str. 6— 13, 6
mit ausnähme von 8; ferner 15 — 19; 14 und wo! auch 13,7 — 10,
welche er von 13,1 — 6 trennt, sieht er für eine notbrücke an 'von
dem ersten zu einem zweiten Verzeichnis . . . das widerum von runen,
aber von ihnen als den geheimnisvollen zeichen der wesentlichen kraft
aller dinge . . . handelt'. Entsprechend urteilen die jüngeren heraus-
geber. Allein sie gehen in der Verteilung des abschnittes noch weiter.
Finnur Jönsson und Sijmons trennen str. 18 von 15 — 17 und 19 widerum
von 18; 19 ist nach Sijmons als abschluss des runenabschnittes und
Überleitung zu 20fgg. gemeint. Ferner betrachten beide 12,4 — 9 als
einen zusatz und glauben, dass eine halbe strophe verloren ist; nach
Finnur Jönsson vor, nach Sijmons nach 12,4 — 9. Von str. 13 erklärt
Finnur Jönsson z. 7 — 10 für jünger, während Sijmons im anschluss an
Bergmann und Vigfusson z. 4 — 10 von 1—3 trennt und als eine selb-
ständige strophe betrachtet, welche er inhaltlich mit str. 14 verbindet.
Dadurch entsteht nach 13, 1 — 3 eine eine halbe strophe umfassende
lücke. Vor der aus 13,4 — 10 gebildeten strophe nimmt Sijmons eine
längere lücke an (den anfang des gedichtes, von dem die beiden fol-
genden Strophen ein bruchstück sind). Über einzelne zeilen vgl. zu den
entsprechenden stellen.
Ich gehe davon aus, dass die reihenfolge des Codex Regius die
richtige ist. Die Vglsungasaga versetzt mehrere Strophen; namentlich
fällt die Stellung der str. 12 nach 10 und mit dieser nach 6 auf. Es
ist im gedichte deutlich eine Steigerung wahrnehmbar. Nach 6 — 11,
welche die runen als einzelne zauberzeichen zu einem bestimmten zwecke
erwähnen, folgen str. 12 — 13, welche eine tiefere auffassung bekunden;
die runen bedeuten hier die Weisheit, zunächst redegewandtheit, darauf
noch tiefsinniger die kraft des gedankens. Bessere runen als diese,
welche alle übrigen in sich schliessen, gibt es nicht (vgl. s. 328 anm. 1),
und damit schliesst das Verzeichnis.
1) Möglicherweise ist doch Sijmons im rechte, der z. 1 — 3 mit str. 7 verbindet,
und 4 — 6, welche nur in der Volsungasaga sich finden, als eine ausfüllung betrachtet
(vgl. unten s. 325 anm. 1).
MCiKDRIFÜMAL UND HELREIDH 325
Wir betrachten nun zunächst str. 13,4 — 6. Das ist wol klar,
dass diese zeilen (peer of re%, peer of reist, peer of hiußi Hroptr) mit
12,4 — 6 (pösr of vindr, peer of vefr, peer of setr ciliar saman) parallel
und wie diese zu beurteilen sind. Also werden beide halbstrophen
oder keine von beiden interpoliert sein. Das spricht wider Finnur
Jönssons herstellung, der 12, 4 — 6 ausscheidet, aber 13, 4 — 6 beibehält.
Ähnlich wird es sich dann mit den beiden nach 12,4 — 6. 13,4 — 6
folgenden halbstrophen verhalten. Nun lassen sich 13,7 — 9 mit 1 — 3
ohne die Vermittlung von 4-6 nicht verbinden; jene zeilen (7 — 9)
sind sogar ohne diese gar nicht zu verstehen (näheres unten s. 326).
Daraus folgt, dass man auch 12,7 — 9 von 12,4 — 6 nicht trennen darf.
Also bleiben die folgenden möglichkeiten: entweder sind 12,3 — 9 und
13,3 — 9(10) beide unecht, oder beide Strophen waren von anfang an
nenn- (resp. zehn-) zeilig, und das ist ein beabsichtigter schmuck, der
den feierlichen schluss des Verzeichnisses markiert. Es wäre nun wenig-
stens auffallend, dass gerade am Schlüsse des Verzeichnisses von zwei
aufeinanderfolgenden Strophen die zweite hälfte verloren wäre, während
sonst in der ganzen aufzählung keine zeile fehlt; höchstens kann davon
die rede sein, ob die zweite hälfte der unechten strophe 8 verloren ist.1
Auch str. 10 hat neun zeilen (sind z. 7 9 ein zusatz?), aber verloren
ist nichts. Das ist wenigstens ein genügender grund, um zu unter-
suchen, ob denn tatsächlich str. 12,3 — 9. 13,3 — 9 im überlieferten zu-
sammenhange absolut unverständlich sind.
Finnur Jönsson, der nach 12,1 — 3 eine lücke annimmt, glaubt,
dass in den verlorenen zeilen von sakar die rede war. Darauf bezieht
sich nach ihm peer in z. 4 6. Denn vefja und vinda "werden nie-
mals von runen gebraucht, um so öfter aber von processen . . . Die
Streitfragen werden mit hilfe der mdlrünar beseitigt.' Der ausdruck
dieser behauptung scheint mir nicht ganz klar. Freilich begegnet trfju
(auch vinda?) an stellen, wo von einem processe die rede ist; es sind
aber nicht die processe, welche gewoben werden, sondern die männer
vefjax isghum, Ivanda (Fritzner [II, 806b). Wie dadurch peer of vefr
erklärt werden kann, verstehe ich nicht, und wie soll man dann setja
saman verstehen? Von sakar wird das nicht gebraucht; zwar von der
klage; dann aber bedeutet es nicht 'beseitigen', sondern 'formulieren'.8
Ich beziehe die drei verba auf die mdlrunar\ sie deuten auf das ge-
1) Die vollständigkeil aller echten Strophen deute! darauf, dass Srjmons' oben
s.324 anm. angeführte auffassung des Verhältnisses von str. 8 zu 7 richtig ist
2) Allerdings Hesse sich saman mit allar verbinden, and dann wäre zu ver-
gleichen srtja mdli (aber stets dativ).
326 BOBB
wandt»' reden und das finden der richtigen worte, durcb welche man
einfluss übt. Es ist dabei zu beachten, dass die mäkrCunar keine zeichen
sind wie etwa die olrünar und die s/gruna/r, welche geritzt werden
und für welche also notwendigerweise andere verba gebraucht werden
als für diese, mdlrünar bedeutet nichts anderes als mal] vefja aber
wird vnii mal gesagt, wenn jemand durch seine rede den gegner irre
macht und im disput ihn besiegt; vgl. Fiat. I, 389, 15 Finnr veffti alt firir
presti svä at kann gat ekki at gert, und mehrere beispiele bei Fritzner
(vgl. da. vcev, vidtloftig snak uden indhold). Wenn die rede das ge-
webe des redenden ist, so ist auch vindr vollständig in der Ordnung;
es ist zu verstehen in der von Fritzner sub 4 angegebenen bedeutung.
setja saman wird öfter von sogur gesagt; es ist nichts im wege, es
auf die rede eines gewandten gegners zu beziehen. Aus den zcilen
geht also hervor, dass die mdlrünar nicht dazu dienen sollen, zu ver-
hindern, dass der gegner an einem voreiligen worte anstoss nehme, und
ebensowenig um den streit beizulegen, sondern dass sie dem, der sie
kennt, zu dem siege im processe verhelfen sollen. Es ist nur die frage,
ob z. 4 — 6 ein Zwischensatz sind, d. h. ist die halbstrophe mit 4 — 6
oder direct mit 1 — 3 zu verbinden? Möglich ist beides. Aber da der
dichter wol nicht hat mitteilen wollen, wo die mdlrünar gewoben und
zusammengesetzt werden, andererseits die bezeichnung des falles, in
dem sie in anwendung kommen, in z. 1 — 3 sehr unvollkommen ist, ist
letztere auffassung die richtige.
Str. 13 redet von den schwersten der runen, den hugrihiar: Öftinn
hat sie selbst erfunden. Dass hier neben rdfta rista vorkommt, wider-
spricht nicht der mitgeteilten auffassung von 12,4 — 6; denn bildlich
können auch die hugrünar als zeichen aufgefasst werden. Das folgende
af peim legi ist dem sinne nach nicht in Zusammenhang mit reist, son-
dern mit reo" und namentlich mit hagfti zu verstehen. Die flüssigkeit.
welche aus HeiÖdraupnis schädel fliesst, ist Weisheit; daraus macht
Hroptr durch denken etwas neues; der kürzende ausdruck ist im stile
der spruchpoesie.
Die Verlängerung durch eine halbe Strophe, welche schon die vor-
letzte strophe des Verzeichnisses kennzeichnet, wird am Schlüsse wider-
holt und durch den zusatz einer weiteren zeile überboten. Das macht
durchaus den eindruck eines bewussten stilmittels. Ich sehe keinen
grund, die zeile für jünger zu erklären. Metrisch steht z. 10 mit z. 9
auf einer stufe; die form ist zwar nicht anstössig (Sievers, Altgerm,
metrik § 57,4), aber doch selten und zeugt für die Zusammengehörig-
keit der beiden zeilen. Inhaltlich bedeutet z. 10 wol eine widerholung
SIGRDR1FUMAL UND HELREIDH 327
von z. 9. Mit Egilsson u. a. verstehe ich Heiftdraupnir und Hoddrofnir
als Mimir, sein hörn ist das Gjallarhorn (Sn. E. I, 68); Mimis schädel
ist ein bild für denselben brunnen, dessen wasser er aus dem hörne
trinkt.
Z. 10 bezeichnet den schluss der aufzählung, also eines abschnittes;
dass ein gedieht damit schliesst, folgt daraus nicht. Man könnte raten,
dass weiter berichtet werden sollte, auf welche weise Hroptr die runen
erfand. Nun schliesst sich str. 14 inhaltlich an den letzten teil von
str. 13 an. Wenn nicht die versteckte erwähnung des Mimir in str. 13
die interpolation von 14 bewirkt hat, so ist anzunehmen, dass die Strophen
zusammengehören, denn auf zufall kann es nicht beruhen, dass auch
str. 14 von Mimir die rede ist. Wir versuchen also, ob nicht ein ur-
sprünglicher Zusammenhang sich ausfindig machen lässt.
Das subjeet zu stoß kann dann nur Hroptr sein. Auf einem
berge steht er, ein schwert in der hand, das haupt mit einem helme
bedeckt; da begann Mimis1 haupt zu reden. Mfmis rede ist Weisheit.
also mit der flüssigkeit, welche aus Heiödraupnirs schcädel quillt, iden-
tisch; die strophe führt, wie man sieht, den inhalt von 13,7 — 10 weiter
aus. Was Mimir mitteilt, ist Wahrheit.2
Str. 15 — 17 sind fornyroislagstrophen. Wer im voraus weiss, dass
niemals in einem gediente Strophen von verschiedenem metrum vorkommen
können, wird schon deshalb diesen abschnitt verwerfen. Demgegenüber
ist doch zu bemerken, dass für den inhalt dieser verse eine andere
form schwerlich anwendbar war. Sie enthalten eine aufzählung von
gegenständen, und dafür ist die freie fornyröislagstrophe dir gegebene
und allgemein bräuchliche form. Jede kurzzeile enthält die bezeichnung
eines gegenständes; die vollzeile des ljöftahättr ist für diesen zweck un-
brauchbar. Selbst wenn der dichter also nicht eine mischform anzu-
wenden beabsichtigte, so ruusste er doch an dieser stelle in <las fornyrfc-
islag übergehen. Inhaltlich aber bilden die verse dir directe fortsetzung
zu str. 14. Das subjeet zu kvat5 ist Mimis haufuü] ristnar aber geht
1) So ist zu lesen statt Minis; damit wird du' Langzeile hergestellt: t'n malti
Mimis haufod (zur ersten hälfte vgl. im vorhergehenden />>> w "/' vindr u. dg] i. Dass
froSligt et fyrsta ord eine vollzeile ist. bai schon Sijmons gesehen; unrichtig streicht
Finnur Jonsson et fyrsta und versetzt mcelti. Auch diese strophe Bohliesst feierlich
mit zwei vollzeilen.
2) sanna staß, was also nioht 'ruoenstäbe' bedeutet, wie KüllenhoS >. L62
annimmt, um dann wider die von niemand geäusserte meiirang zu polemisieren, dass
ristnar (15, li, auf das maso. stafi gehe.
328 BOBB
auf die von Öftinn gefundenen hugrünar, welche alle runen in sich
schliessen.1
Die Situation ist demnach diese: die runen (die Weisheit) sind da,
aber noch nicht im besitze des gottes; OSinn ratschlagt mit Mimis
haupte; des wasserriesen erste mitteilung an ^v\ gott bezieht sich aui
den ort, wo die runen zu finden sind. Die runen finden sich an
mehreren schwer zugänglichen orten geritzt.2 Dass es nicht < i^inn ist,
der diese runen geritzt hat, geht daraus hervor, dass er von Mimir er-
fahren muss, wo sie stehen, öfcinns aufgäbe ist nun die, dass er sich
der runen bemächtigt. Dazu aber braucht ihn Mi mir nicht anzutreiben.
Und auch der dichter braucht seinen hörern nicht mitzuteilen, dass der
gott diese seine aufgäbe erfüllt. Dass ÖÖinn so weise ist, versteht sich
wol von selbst. ÜÖinn geht hin und schabt die runen ab, welche auf
jene mythischen gegenstände geritzt waren. Der dichter aber über-
springt das und führt str. 18 den augenblick vor, wo die abschabung
zu ende gebracht, die runen erlangt und von Ööinn in den heiligen
met geworfen worden sind. Dem gotte bleibt übrig, sie zu verteilen.
Z. 4 darf also nicht gestrichen werden. Einige gelangen zu den äsen,
einige zu den elben, einige zu den vanen; auch die menschen erhalten
ihren teil (z. 8 ist zu behalten; die Verdopplung der beiden vollzeilen
der strophe geschieht wider um absichtlich). Dann fährt str. 19 fort:
'das sind die buchrunen, das sind die bergerunen und alle bierrunen
und die herrlichen kraftrunen'. Ich glaube nicht, dass diese verse, und
auch nicht, dass die folgenden das machwerk eines interpolators sind,
welcher die vorhergehenden Strophen dem zusammenhange des liedes
von der Seherin anpassen wollte. Es wäre auch eine armselige anpassung.
Man müsste dann in den erwähnten zeilen eine beziehung auf str. 6 — 13
sehen. Aber es werden jene runen hier durchaus nicht widerholt; von
jenen finden sich hier nur die bjargrünar und die glrünar, alle die
1) Dagegen lässt sich nicht einwenden, dass str. 13 die hugrünar als eine
Unterabteilung erwähnt, während str. 15 fgg. nach unserer auffassung sie als die von
OSinn gefundenen und also als den inbegriff aller runen darstellen. Denn die leicht
verständliche doppelheit der auffassung, welche ich für das gedieht als ganzes an-
nehme, liegt schon in str. 13, welche gleichfalls ihre erfindung durch Oöinn berichtet.
Dass die hugrünar als die höchsten, alle Unterabteilungen umfassende runen im Ver-
zeichnis die letzte stelle einnehmen, wurde schon bemerkt (s. 326).
2) Auf die frage, ob str. 15 — 17 etwa aus zwei Strophen erweitert sind, gehe
ich nicht ein. Aus dem zusammenhange ergibt sich, dass nur mythische namen hier
am platze sind. Eine kürzung lässt sich ohne gewaltsame mittel nicht zu stände bringen.
Mehrere namen, welche ganz alltäglich aussehen (d bjarnar hrammi; d ulfs kloinn; ä nefe
uglu u. dgl.) haben wol einen tieferen sinn. Vgl. übrigens F. Jonsson zu str. 16, 3. 4. 6.
SIGRDRIFUMÄL UND HKLREIDH 329
übrigen, sogar die wichtigsten fehlen, während die dort nicht erwähnten
bökrünar und megenrünar hinzukommen.
Die aufzähl ung in str. 19 weist also nicht auf das frühere Ver-
zeichnis zurück; sie bezieht sich im gegenteil auf die unmittelbar vor-
hergehende schlusszeile von str. 18, welche aus dem gründe nicht ge-
strichen werden darf. Die runen, welche ÖÖinn den menschen gab,
das sind die buchrunen u. s. w. Der dichter nennt nicht alle erdenk-
lichen Unterabteilungen, sondern er begnügt sich damit, die haupt-
gruppen zu erwähnen. Unter bökrünar verstehe ich nicht wie Gering
(Wörterb. 118) 'auf buchenholz geritzte runen', — denn der Zusammen-
hang scheint eine teilung nach der art der runen, nicht nach den gegen-
ständen, auf welche sie geritzt werden, zu verlangen, — sondern runen
zum schreiben, schriftzeichen, wie sie in büchern zur anwendung
kommen. Demgegenüber sind die bjargrünar hier die rettenden zauber-
runen; z. 3 mit den glrünar wird interpoliert sein; die bjargrünar,
welche auch str. 9 erwähnt wurden, haben die glrünar nach sich ge-
zogen. Unter den rettenden runen sind an dieser stelle glrünar, Jiin-
rünar, brimrünar, sogar sigriinar einbegriffen. Z. 4 ist vielleicht ok
zu streichen: die beiden arten der unter den menschen verbreiteten
runen werden dann zusammen als kräftige charakterisiert1; darauf braucht
der dichter nur noch darüber aufschluss zu geben, für wen die innen
kräftig sind. Das sind sie für den, der sie uiillar ok öspütar (vgl.
Egilss. c. 72) sich zum heile zu benutzen versteht. Z. 9 geht auf 5 — 7:
'und das wird so bleiben bis zu dem jüngsten tage'. Z. 8 ist ein
Zwischensatz, der einen praktischen rat des dichters oder eines vor-
tragenden an die hörer enthält.
Ich glaube gezeigt zu haben, dass str. 6 — 19 ein wichtiges gegen-
stück zu dem mythus von der erfind ung der runen, wie ihn die Häva-
mäl mitteilen, enthalten2. Der mythus erscheint hier wie auch dort mit
dem von der erwerbung des dichtermeth.es combiniert. Wie der dichter
sich dieses ereignis vorstellte. Lässt sich natürlich nicht entscheiden. Die
Verteilung des mit runen gewürzten metes (str. 10) aber hat eine nicht
zu verkennende ähnlichkeit mit dem berichte der Snorra Edda (I, 222),
dass ÖÖinn den äsen und den dichtem von dem Suttunga mJQÖr gab.
1) Bugges conjectur matar rüna/r ok meginrunar (vgl. die Eriedensformel
Isl. s. II, 381) ist deshalb nicht zu acceptieren , weil /.. 7 !• deutlich zeigen, dass
die strophe eine Ijoöahattrstrophe ist.
2) Vgl. Kaul't'niann, Haider s 102 [V. K.|
AMSTERDAM. K. C. BOER,
IIKV.MANN
ÜBEK CAUSALEN AUSDETTCK IN MINNESANGS
FKÜHLLNG.
In meiner abhandlung: „Die causalsätze der deutschen Lyriker im
L 2. Jahrhundert" ] liabe ich die causalsatzconjunctionen der dichter aus
des minnesangs frühzeit untersucht, indem ich von der einzelnen mittein
der Satzverbindung ausgieng und deren Functions- und bedeutungsunter-
schiede systematisch erörterte. Im nachstehenden sollen nun zur er-
gänzung der allgemeinsyntaktischen ausführungen die einzelnen dichter
zum ausgangspunkt genommen und die grundlegenden beobachtungen
von Scherer2, Erich Schmidt3 und Burdach1 über die beziehungen
zwischen inhalt und form in ihren dichtungen, zwischen ihrer indivi-
duellen geistesrichtung und der wähl ihres ausdrucks, für das in frage
kommende gebiet erweitert werden.
In den volkstümlichen namenlosen liedchen, die der späteren
minnedialektik noch durchaus fern stehen, ist auch die causalsatzbildung
nicht entwickelt. Wo ursächliche Verhältnisse vorliegen, zeigt doch die
form der satz Verknüpfung, dass auf die betonung des causalzusammen-
hanges keinerlei wert gelegt wird: partikellose parataxe ist fast durch-
gehend angewendet, einrückweisendes fürwort genügt in der regel, um
auf die beziehungen zum verbundenen satze hinzuweisen. Eigentliche
causalsatzpartikeln fehlen noch so gut wie ganz: nü M. F. 4, 4 zeigt
überwiegend temporale, die beiden daz 4, 15. 5, 7 überwiegend sub-
stantiale bedeutung. Ganz abweichend sind nur die Strophen 5, 16 bis
6, 4. Mögen sie nun dem lraiser Heinrich VI. gehören oder nicht, sie
stehen, wie nach metrum und gedankenrichtung, auch hinsichtlich der
causalformen auf einer anderen stufe als die übrigen anonymen Strophen:
sie neigen zur periodisierung, sie betonen die ursächlichen zusammen-
hänge formal, nur in ihnen tritt ein sit auf mit ausgesprochen causaler
färbung, nur in ihnen erscheinen auch adverbiale bestimmungen des
grün des wie durch ir liebe, dar unibe: 5, 30. 29, 34.
Die unter dem namen des Küren bergers gesammelten Strophen
enthalten inhaltlich und formal wenig causales. Diese frischen, volks-
tümlichen lieder zeigen wie die anonymen hauptsächlich asyndetische
beiordnung. Die Schlüsse sind sämtlich nur aufforderungen, oft un-
vermittelt am strophenende angefügt, um das gesagte zusammenzufassen;
1) Berliner dissertation 1903.
2) Deutsche Studien I und II (Wien 1870. 1874).
3) QF. 4.
4) Eeinmar der alte und Walther von der Vogelweide (Leipzig 1880).
CAUSALER AUSDRUCK IN MS F. 331
die naive art der begründung 9, 17 ist hervorzuheben. Die angewandten
Partikeln haben noch geringe causale färbung, nur einmal erscheint
tvan 9, 31.
Meinloh von Sevelingen dagegen nimmt, wie schon Scherer
beobachtet, einen anlauf zu romanisch -konventioneller manier, er kennt
die serieliche swaere und empfiehlt sie als lebensprinzip, er spricht vom
trüren mit gedanken, legt sich rechenschaft ab über sein handeln und
fühlen. — Indessen, nur wenige seiner motivierungen nehmen die form
eigentlicher causalsätze an: Wendungen wie tuox durch dine tilgende
(11, 20), ich weix vil wol umbe waz (13, 2), mich heizent sine tugende
(14, 32), dur dinen, dur ir ivillen (11, 24. 12, 38), von schulden (11, 10.
13, 27), äne schulde (13, 16) ersetzen bei ihm zumeist die bildung von
grund- und folgesätzen. Diese pflegen dann einfach und parataktisch
verknüpft zu sein, nur einmal (15, 5) findet sich rein causale Unter-
ordnung; die sit 13, 3. 14, 8 wendet er beide noch sichtlich tem-
poral an.
Die früher aufgetauchte ansieht, dass die beiden burggrafeil
von Regensburg und Rietenburg identisch seien, hat ebenfalls schon
Scherer durch eine feinfühlige vergleichung ihrer syntaktischen formen
widerlegt. — Die wenigen überlieferten Strophen verbieten einen zu
stark zergliedernden vergleich, aber deutlich zeigen gerade die causalen
satzverhältnisse den unterschied beider dichter: der Regensburger
hat neben dem mehr vergleichend -modalen ausdruck (17, 5.6) nur einen
ansatz zur causalen satzform (16, 20), wo aber auch das parataktische
des noch in abhängigkeit von wunt bleibt; dagegen wählt der Rietcn-
burger dreimal das hypotaktische stt, in ausgeprägt begründender be-
deutung und als strophencinleitende responsion: 19, 7. 17.27. Wenn die
gedichte des Rietenburgers nach Scherer 1181 — 84, nach Burdach schon
1170, die kaiser Heinrichstrophen nach Scherer 1184 anzusetzen sind,
so dürfte man sagen, dass die obigen drei sit vielleicht die ersten in
causaler bedeutung bei unsren minnesängern sind; auch des erscheint
beim Rietenburger zuerst in einer erweiterten funetion (19, 1). Während
die lieder des burggrafen von Regensburg von adverbialen grund-
bestimmungen nur vor leide (16, 12) und etwa äne not (16, 11) auf-
weisen, häufen sich beim jüngeren dichter ausdrücke wie von torne
jehen (18, 4), laxen durch ir ntden (18, 5), höhe stän von ir güete
(18,10), von rehter schulde (18, 11), den ich von einer frowen hän
(18,21), r'.sV bexxer umbe da* (19,22). Berücksichtigt man diese momente
neben den von Scherer (s. 29) angeführten , so darf man in der tat trote
der wenigen Strophen von einem durchgängigen gegensat wischen den
332 HEYMANN
gedichten der beiden barggrafen grade auf grund des causalen aus-
(I iiicks sprechen.
J)io Spervogelstrophen treten wegen ihres gnomischen Inhalts
ans dem rahmen der ältesten minnelyrik heraus, fallen aber der spräche
nach init ihr zusammen und sind eben dieses inneren gegensatzes wegen
auch für unser thema interessant. Die beiden dichter, der „ Anonymus -
Spervogel" (25, 18 — 30, 33) und der jüngere „Spervogel" (20, 1 — 25,12
ohne 20,17)', zeichnen sich durch höchst einfache dialektik in form
und gedanken aus. Nachforschungen über den ursächlichen Zusammen-
hang der dinge, die sie vortragen, liegen ihnen ganz fern, und so sind
denn auch ihre causalsätze spärlich. Charakteristisch ist die wähl solcher
ausdrucksformen wie dax kom von unheile, daz tet er dur die goteheit
(An.-Sp. 20, 17. 30, 15), dm muox von gotes helfe komen (Sperv. 21,27).
Die volkstümlichen lebensweisheiten, die ausgesprochen werden, pflegen
nicht durch logische gründe, sondern durch gleichnisse, meist unter-
bunden am strophenschluss angehängt, erläutert zu werden: vgl. 25, 19.
26, 17. 26, 23. 28, 4 beim anonymus; 20, 7. 21, 11. 22, 23. 36 beim
jüngeren dichter. Oder umgekehrt, es wird ein gleichnis aufgestellt,
auf eine tatsache angespielt und dann asyndetisch die nutzanwendung
gezogen: 27,1 (nach 26,34). 30, 11 — 22,31. Auch die gegebenen
erfahrungswahrheiten selbst bewegen sich nicht in der form von grund -
und folgesätzen, sondern in verallgemeinernden relativsätzen : wer A
tut, dem widerfährt B; vgl. 29, 20. 29, 27. 28, 34. -- 20, 1. 21, 13.21.
24, 9.17.25.33. Der anonymus ist noch einfacher in der reflexion als
der jüngere dichter: er gibt meist ein blosses beispiel aus dem leben
oder der fahel und überlässt es dem leser, selbst die folgerung daraus
zu ziehn: 27, 13. 20. 27. 28, 6. Der jüngere dichter ist eher einmal
zur causalsatzbildung geneigt, bedient sich öfter eines folgernden des,
benutzt die rein causalen da von, dar umbe, die der ältere nicht ver-
wendet, während dessen halb zeitliches nü bei ihm nirgends auftritt.
Beim jüngeren erscheinen auch die ersten fmalsätze 22, 4 und 22, 8,
wo er es für nötig hält, lehrhaft zu versichern: jo enrede ichz niht dur
minen frumen, wan daz ichz alle lere. Wände findet sich je nur
einmal, sit ist immer nur das zeitliche adverb, die parataxe bleibt im
übergewicht. — Übrigens steht diese anspruchslosigkeit in der dialektik
innerhalb der mhd. spruchdichtung nicht vereinzelt da: uoch bei Reinmar
1) Scherers hypothese bezüglich eines dritten dichters, der MF. 245, 1 bis
246, 48 u. a. gedichtet hätte, hat wenig anklang gefunden; vgl. Beitr. 2, 427.
Germ. 28, 214,
f'AÜSALEH AUSDRÜCK IN MS F. 333
von Zweter beobachtet Roethe1, dass die causalsätze von allen seinen
Satzarten am seltensten sind.
Eine rechte Übergangsgestalt ist Dietmar von Aist, daher auch
die unter seinem namen überlieferten Strophen so vielen streit über die
Verfasserschaft im einzelnen angeregt haben. Die volksmässige Schlicht-
heit berührt sich bei ihm mit der eindringenden minnedialektik, neben
naiver empfindung steht die reflektierende erwägung, auf das lenzfrische
liedchen 33, 15. 23 folgt im gleichen tone das dialektische, gedanken-
volle, so verschieden gedeutete2 lied 33, 31, ohne dass man bisher eine
der drei Strophen dem dichter aberkannt hätte. Vielseitig wie im inhalt
ist Dietmar auch in der form. Neben reichlicher causaler beiordnung
sind doch schon fast alle arten der Unterordnung vertreten, neben dem
zeitlichen ist das begründende s/t durchaus entwickelt, des hat bald die
engere bald die weitere funktion. — ju dient 32, 11 sowie 41, G zur
rechtfertigung einer verwunderten frage, und dass sich diesen beiden
Verwendungen auch die sonst unsrem dichter abgesprochene stelle
37, 16. 17 genau anschliesst, soll wenigstens hervorgehoben werden: es
beweist freilich noch nicht die richtigkeit der in C überlieferten, in
MF. aufgenommenen autorschaft unseres dichters, aber es vermehrt die
allenthalben anerkannte Schwierigkeit, dem Dietmar irgend etwas zu-
oder abzusprechen. Überhaupt neigt Dietmar von Aist zur forschenden
frage, und so kleidet er denn auch öfter seine reflexionen über ursäch-
liche zusammenhänge in die form jener fragen nach dem gründe von
beobachtungen, die man als das widerspiel der causalsätze bezeichnen
kann: 32, 12. 40, 27. 35. (37, 16!).
Als eigentlicher begründer des höfisch -konventionellen minnesanges
gilt Friedrich von Hausen. Wir können auch die ausbilchmg der
reflexionen über ursächliche zusammenhänge im liebesieben und deren
formen bei ihm beobachten. Er will das problem der minne allgemein
fassen, ihr wesen ergründen, er wirft die frage auf (53, 15): Wir. mac ihr.
sin, dax diu werlt heixet minne, unde e.\ mir t/tot sd w$ mller stunde
unde ex mir nimet so vi/ mtner sinne? Die gründe, warum er liehen
und leiden muss, sucht er allenthalben zu vertiefen: dabei gewinnt die
hypotaxe an causaler kraft, sit erhält eine überwiegend begründende
rolle, wände erscheint doppelt so oft als bei allen Vorgängern zusammen-
genommen; beachtenswert sind, ausser den causalsätzen, solche aus-
drücke, in denen Hausen die berechtigung seiner ansichten beton!
1) Die gedichte Reiomars von Zweter (Leipzig ISST) s. '_".h>.
2) Vgl. Scherer. ü. St. IL 43; Paul, Beitr. 2, 169; Bievere, Beitr. 12
meiue diss. s. 50.
334 HKYMAXN
waere ouch reht 17. L9, deia reht 1!), L5, des het ich reht 53,26; ferner
motivierende adverbialbestimmungen ojit von und durch (48,5. 12.36.
49,33. 50,32. 51,21. 42,1. 44,10), ursächliche fragen (neben 53, 15
noch 42,6. 53,7 — 8). Auch die den causalsätzen verwandten final -
und consecutivsätze sind bei Hausen in der fortbildung begriffen; den
willkommensten ausdruck über bieten die concessiven und hypothetischen
formen unsrem dichter für seine ständigen antithesen, seine ueigung,
möglichkeiten auszumalen, i'i'w den Zwiespalt /wischen herze und lip}
der sich durch seine dichtungen dahinzieht.
Von Hausens kunstvollen gedankenzuspitzungen weiss Heinrich
von Veldecke nichts, dagegen zeigt sich bei ihm eine noch stärkere
neigung zu motivieren, eine gewisse breite, behagliche lehrhaftigkeit,
die Hausen im gründe nicht eigen ist; mitunter häuft er gradezu mit
eindringlicher didaktik die causalen anknüpfungen in derselben atrophe
auf: vgl. 62,31 wan, 33 ivan, 35 wan, oder 65, 5 — 6 asyndese, 7 wan,
9 des, 11 wan, oder 57, 34fgg. die responsorischen des. Der natur-
eingang, den Hausen nicht verwendet, ist dem Niederdeutschen unent-
behrlich, aber es ist für Veldecke charakteristisch, dass er selbst hier
causale erörterungen hineinträgt, uns belehren muss, warum der lenz
so erfreut, und was sich für nutzan Wendungen daraus ziehen lassen:
62, 31. 33. 35. — 66, 2. 3. — 57, 10. 14. — 59, 1. 16. 21. wände braucht
er 18 mal, relativ also am häufigsten von allen zeitgenössischen lyrikern;
auch bei ihm sind consecutivsätze häufig, adverbiale begründungen und
formein wie reht ist 63,9. 66,5, min recht ist 65,33, ze unrehte 57,9,
da; waer unreht 68, 7, äne scholt 57, 37, cd von rmner schulde 63, 14.
Einem solchen dichter dürfte man auch, zumal da sonst keine be-
gründeten bedenken dagegen vorliegen, die in MF. 261 ihm abge-
sprochenen, in A. 3. 4 unter seinem namen überlieferten Strophen zu-
trauen, mit ihren charakteristischen häufungen: von schulden — wol
mich des dax — sit — äne alle schulde — von schulden — sage
umhe wa%. Die autorschaft C 51 und 53 — 57 (MF. 262) kann, wenigstens
von unsrem thema aus, nicht ebenso gestützt werden. Über 58, 35
und Bernger v. Horheim s. unten s. 338.
Ulrich von Griitenburg ist der reflexion zwar nicht abgeneigt,
verwendet aber eigentliche causalpartikeln nur selten, um ursächliche
zusammenhänge auszudrücken. Er bevorzugt die formen des substantiv-
satzes, während die am reinsten causalen dar umbe, da von, durch daz
fehlen und ivande relativ seltener als bei seinen Vorgängern auftritt.
Die parataxe ist oft asyndetisch, knapp, gedrängt, macht aber nicht den
eindruck des volkstümlich -schlichten, sondern eher des gekünstelten,
CAUSALER AUSDRUCK IN MSF. 335
zumal da Gutenburgs satzbau vielfach auf das metrische prinzip der
kurzen verszeilen, des schlag- und binnenreimes und anderer reimkünste
zurückzuführen ist.
Interessant ist bei Rudolf von Fenis, dem Schüler der Trou-
badours, für den bisher die meisten entlehnungen aus dem Proven-
zalischen nachgewiesen sind, ein vergleich mit den romanischen Vor-
bildern, soweit unser thema davon berührt wird. Unverkennbar sind
gewisse causale gedankengänge unseres dichters von den romanischen
mustern angeregt worden. Wenn Fenis 81, 30 angibt, warum er seine
minnelieder singt: mit sänge wände ich mine sorge Jcrenken; dar muhe
singe ich, deich si wolte lau, so entspricht dies genau dem gründe,
den Folquet von Marseille in dem vorbildlichen liede (MF. 266; Ray-
nouard 3, 159) für sein singen angibt: per so chan qu'oblides la dolor
el mal d'amor. Und der angefügte gegengrund, warum alles singen
nichts hilft, wann Minne hat mich brächt in solchen ivän dem ich so
lüde niht enmac entwenken findet sich ebenfalls in der quelle: qu'en
la boca nulla res nom ave mos sol merce. — Die causalsatzconstruction
zu eingang des gleichfalls dem Folquet nachgeahmten liedes 81, 35, wo
das begründende sit eine consecutive periode einführt und dann eine
asyndetische folgerung (82, 1) nach sich zieht, ist nach form und inhalt
eine copie der provenzalischen vorläge (Rayn. 3, 159; MF. 266): sit
daz diu Minne mich wolt alsus eren da\ si n/ich hi<\ in deme
herzen tragen — ich waere ein gouch etc. = e pos amors me rol honrar
tan qu' el cor vos ?ne fai portar — per merceus prec etc. Die Über-
einstimmungen gehen hier so weit, dass mau wol von directen und
bewussten nachbildungen Fenis' reden darf. Im übrigen verwehrt die
erwägung, dass die poesie der Troubadours so gut wie unsere minne-
dichtung zunächst mündlich verbreitet wurde, eine weitere vergleichung
der satzverhältnisse in Strophen, wo mau sonst wol entlehnungen fest-
gestellt hat; dürfte man aber annehmen, dass Fenis die romanischen
muster unter beständiger erinnerung an die uns bekannten Vorbilder
umgeformt hat, was sich nicht beweisen lässt, so würde sieh ergeben,
dass die causalbestimmungen der provenzalischen fassungen bei weitem
nicht alle aufgegriffen, dagegen nur wenig neue hinzugefügt sind. Jedes-
falls zeigt schon das ausgeführte, wie der reflectierende zug der pro-
venzalischen poesie auch Formell auf den ausdruck des deutschen
denkens eingewirkt hat. Und die grosse neigung zur motivierung bei
Fenis wird sicherlich, auch in den nicht als entlehnungen nachgewiesenen
liedern durch seine kenntnis der romanischen minnedialektüt mindestens
gefördert worden sein. In der tat zeigt ausser Veldecke kein zweiter
330 HEYMANN
dichter unseres Preises eine solche hinneigung zum causalen aasdruck wie
Fenis: ähnlich wie jener begnügt er sich, wo er über ursächliche zu-
sammenhänge des liebeslebens sinnt, nicht mit einer motivier ung, son-
dern schichtet die causalen anknüpf ungen förmlich aufeinander: vgl.
81, 1!) durch dax, widerholt in v. 21 — 25 (durch si) — 2(127 cxpli-
cative asyndese — 28 dar umbe — 29 wan. Oder Sl, 31 dar umbe —
34 wan — 36 wan (folgt wider stt dax). Oder 82, 28 des — 29 dax
machet — (30 de?' tuot) — 31 des, durch not — 33 da von. Ferner
84, 4 des — 5 da von — durch not — 6 wan. Auch 83, 27 <l<t\ ist
ih'i von dax (man beachte die breite!) — 33 ist du;, min reht wan,
und 85, 24 da von - - 27 mir kumet dax von - 28 denne - - dazu
29 war umbe? Fenis hat auch in seinen 27 Strophen sämtliche causal-
partikeln, die unseren dichtem überhaupt zu geböte standen, verwendet.
Die consecutivsätze sind dabei ebenso vertreten wie die ständigen er-
wägungen von rehte, durch not u. a. 81, 5. 82, 14.25.31. — 83, 33.
84, 5. 18.
Bezüglich Albrechts von Johannsdorf bemerkt Burdach (Reinm.
u. Walth. s. 57): „Und wer aus allem etwas schliessen will, könnte hier-
aus (dass er keine consecutivsätze liebt), sowie aus dem seltenen ge-
brauche der causalsätze einen schluss machen auf seine abneigung gegen
eine rationalistische betrachtungsweise der weit nach dem gesetze von
Ursache und Wirkung, eine abneigung, die seiner stark ausgeprägten
theologischen richtung recht wol entspräche." Dagegen wendet Hornoff
Germ. 23, 428 ein: „Ehe man auf eine abneigung unsres dichters gegen
eine rationalistische betrachtungsweise der weit schliessen darf, muss
man die sätze auch auf die übrigen ursächlichen bestimmungen hin
untersuchen." — In der tat haben wir bereits bei Meinloh eine aus-
gesprochene neigung zur motivierung, die aber andere formen als die
der causalsätze wählt, beobachten können. Auch bei Johannsdorf ändert
sich das bilcl, wenn man nicht nur, wie Burdach, wände im äuge hat.
Mit recht verweist Hornoff auf Johannsdorfs begründende bestimmungen
mit der präposition durch (86, 10. 25. 26. 87,23. 88, 2. 89,21. 95, 1. 15),
von (87, 31. 9), die finalen dax 87, 1. 90, 10, die ursächlichen fragen
(86, 23. 93, 15. 17. 91, 2). Diese belege lassen sich noch vermehren:
Burdach berücksichtigt nicht das folgernde nil 86, 27. 89, 30. 38, die ex-
plicativen asyndesen 88,32. 94,27, das deutlich causale dax 93,27, so
93,23, den causalen relativsatz 91,27 — Verbindungen, die zu den von
Hornoff nachgetragenen durch dax und des noch hinzukommen. Man
wird nach alledem Burdachs schluss nicht mitmachen dürfen, und es
ist auch kaum einzusehen, warum sich die betonung ursächlicher zu-
CAUSALER AUSDRUCK IN MSF. 337
sammenhänge nicht mit Johannsdorfs theologischer richtung vereinen
lassen soll: im gegenteil zeigen obige belege, dass der dichter gerade
in seinen religiösen liedern oft und gern widerholt, warum es gut ist.
das kreuz zu ergreifen, warum er selbst Gott dienen will und was sich
daraus für consequenzen im liebesieben ergeben. Nur dass sein leb-
hafter, inniger ausdruck statt der umständlichen und etwas nüchtern
wirkenden causalsätze öfter und lieber adverbiale und andere, mehr
gelegentliche formen zur mitteilung seiner gedanken wählt.
Ein dichter von grosser einfachheit in denken und ausdruck ist
Heinrich von Rugge. Die Schlichtheit seiner spräche, sein zurück-
greifen auf altertümliche formen, seine anknüpfung an die volkstüm-
liche tradition der natureingänge, seine frische lebensauffassung, daneben
seine neigung zum spruchartigen, didaktischen hat Erich Schmidt ge-
kennzeichnet, und die Strophen, die in MSF. Rugge gegeben sind,
stimmen in allen punkten zu der von ihm gezeichneten Charakteristik.
Mit diesem bilde steht auch sein besonderes Verhältnis zum causalen
ausdruck im einklang: er ist bei Rugges didaktischer richtung nicht
eben selten; der dichter gibt uns in seinem geistlichen leich nicht nur
gern wisen rat, sondern betont auch, welche gründe ihn dazu bewegen
(96,3. 97,29), warum es gut ist, ihm zu folgen (96,23. 5. 99,11) und
mahnt dazu in conclusiver form (97, 26. 9. 99, 10). Auch in seinen
minneliedern teilt er uns die beweggründe zu liebesleid und -lust mit:
101, 5. 20. 103, 34. 105, 20. 107, 3. 109, 35. 110, 1. Die formen
jedoch, in denen sich seine geistlichen und weltlichen reflexionen be-
wegen, erinnern oft an die ausdrucksweise der ältesten lvrik; neben der
asyndetischen parataxe, die ihm im leich nach E. Schmidts treffendem
ausdruck fast zur manier wird, spielt nü die hauptrolle, das relativ so
häufig bei keinem anderen dichter zur folgerung verwendet wird. Wo
er hypotaxe wählt, kommt wände, dessen ausbildung mit dev ent-
wicklung des minnesangs wir schritt für schritt verfolgen konnten, fasl
ausschliesslich in betracht, während bei Rugges sti niemals der zeit-
liche sinn zu gunsten des ursächlichen zurückgedrängt wird. Die ad-
verbialbestimmungen des grundes (17 fälle) bilden einen verhältnis-
mässig grossen procentsatz seiner rnotivationsformen.
Bernger von Horheim wählt für Beine reflexionen mit grosse]
Vorliebe den concessiven ausdruck, in dem sich der beständig« Zwiespalt
seiner empfindungen am besten ausspricht; an concessivsätze schliesst
er dann mitunter causalsätze an; er stellt einen Widerspruch auf und
lost ihn durch eine erklärung oder ziehl eine Folgerung aus einem gegen-
sat/.e: vgl. 112,19 swer im 24 doch singe ich — lösung 26: //•
ZKllsi iii.iii i DEUTSCHE PHILOLOOIK BD. XXXV, 22
338 HKYM.WN
die schulde in) reu diu: du gaelie, mir au si den rät. — 11.",. 1 \mU
vcrre ez ist, wil ich, sost mi/r% nähe bi — begründung 5: starc unde
snel . . . ist mir der muot: dwr du: laufe ich sd baide. — 114,10 swie
ur /■•. mir tuot, doch — auflösung 18: ich hoffe des. — 114,35 nu
uiuo: ich varn und doch bi ir beltben — erläuterung :'<7: si sol mir
sin vor allen andern wiben ime herxen. - 112,14 daz Ivlt mir mtne
vröude hin — 15 doch flize ich mich — folgerung 17: //// wtse mich
got etc. — 113,83 mir ist — 34 Mexe ichz dar iimbe — schluss .">";:
durch daz. In höchst bezeichnender weise kommt diese stilmanier im
ersten seiner liedor, 112,1, zum ausdruck, das dem Chrestien von Troies
(MSF. 278) metrisch und inhaltlich nachgebildet ist; einmal ist es über-
haupt charakteristisch, dass Bernger gerade ein französisches paradoxem
aufgreift, welches dem gedanken räum gibt, wie man ohne Tristans
zaubertrank die geliebte noch herzlicher als er Isolden lieben könne;
und dann ist die formale Verschärfung des gedankengegensatzes durch
Berngers verwundertes nu doch zu beachten — eine Schattierung des
ausdrucks, die man nach dem oben gesagten wol als eine directe Um-
bildung unsres dichters ansehen möchte. — Wenn Veldecke 58,35 fgg.
sich auf Chrestiens strophe bezieht (der ton ist nicht nachgeahmt, der
inhalt aber noch weiter berücksichtigt als bei Bernger: die wendung
des sol mir diu guote danc wizzen ist Übersetzung von bien en doit
estre mieus li gres), so stimmt seine breitere darstellung ganz zu
seiner art: er erklärt umständlich, dass Tristan eigentlich wider willen
der königin treu sein musste, wände in poisün dar zuo twanc; der
gegensatz zwischen dichter und helden, mit dem der Franzose einsetzt
und den Bernger so glücklich zuspitzt, verliert darnach (59,4 — 6) be-
reits an unmittelbarer Wirkung. Ganz so verfährt Yeldecke bisweilen
in seiner Eneit mit dem Koman d'Eneas.1
Die wenigen Strophen, welche von Hartwig von Rute, Bligger
von Steinach und dem von Kolmas (der nicht mehr der frühzeit
angehört)2 überliefert sind, bieten unserer beobachtung nicht viel. Bei
1) Vgl. Alexandre Pey, L'Eneide de H. de Veldecke et le Eomau d'Eneas,
Jakxb. f. rom. u. engl. Phil. 1860 s. 42: „Si Veldecke abrege le plus souvent son
modele, il l'amplifie aussi de tenips en temps. II n'introduit pas d'idees nouvelles,
mais il emploie plus de mots pour exprimer les memes idees. H n'imagine point de
faits, iL n'invente pas d'incidents. mais il developpe, il explique et commente." Ähn-
lich Behaghel, einl. z. Eneit s. CXLVIII.
2) In den vier Strophen findet sich neben wan 120, 6 je ein strophenvermit-
telndes nü und des (120,11.21); die beiden dar umbe (4.9) haben den wert adver-
bialer bestimmungen. Durch das kunstmittel der responsion entstehen in dem liede
120, 11 eine ganze reihe paralleler begründungen ohne causalconjunctinnen (ivol im
CAÜSALER AUSDRUCK IN MSF. 339
Hartwig sind neben den causalen bestirnmungen (wan 117, 9, des
116,24, asyndese 116,25, durch 116,5, von 117,23) die consecutiv-
sätze (117,7. 11. 20. 23. 28) hervorzuheben. — Bligger von Steinach
legt in den ersten beiden tönen auf das ursäeh liehe einen gewissen wert,
er hebt den causalnexus dreimal (118, 2. 16. 21) durch wände hervor,
erklärt auch umständlich ich iveiz ivol durch waz sie mir tuot so ice:
dax mich etc. 118,3. Im dritten tone 119,13 dagegen kleidet er seine
reflexionen wie die volkstümliche gnomik in spruchartige beispiele ohne
anwendung von causalverbindungen.
Die parallelstellen, welche F. Michel (QF. 38) für das Verhältnis
Heinrichs von Morungen zu den troubadours herangezogen hat, be-
ziehen sich mehr auf die Übereinstimmung - - nicht stets entlehnung!
— gewisser bilder, ausdrücke und Wendungen als auf die nachbildum:
ganzer Strophen in der weise, dass die syntaktischen formen verglichen
weiden könnten. Dass eine so eigenartige motivierung wie 134, 32
wan ich wart durch si und durch anders niht geborn eingegeben
sein mag durch ähnliche gedanken bei Pons de Capduelh (qu'ieu son
faitx per lei servir Mich. 258) und Guillem de Cabestaing (qu'ad
obs de lei me fai deus e per sa valhor Mich. 253), das soll nicht
geleugnet werden. Aber solche überall anzutreffenden gedanken wie
die, dass in den Vorzügen der geliebten die Ursache zu des dichters
liebe liege, können hier nicht herangezogen werden, zumal da die form
des ausdrucks keine parallelen bietet und gerade bei Morungen so viel
persönlicher gehalt, so viel unmittelbare herzenswärme durchbricht, dass
seine dichtungen ganz den eindruck des selbsterlebten machen. Morungen
hat gerade im gegensatz zu den übrigen deutschen schillern der Proven-
zalen wenig von der Conventionellen minnedialektik. Und so sind auch
die themata seiner causalsätze nirgends allgemeine betrachtungen über
das wesen der minne überhaupt, wie sie uns bei den nachahmern dei
Romanen sonst entgegentreten, sondern allem anscheine nach der retlex
persönlicher erfahrungen und zustände. Dabei ist der causale satzbau
stets durchsichtig und doch zugleich feiner und differenzierter als bei
allen seinen Vorgängern: bei ihm erscheint zum ersten male dd (125, 1)
der im wirbet etc.) — da iriri im gegeben — da ist ganxüt würme — da ist
rehtiit vröude -• dd niinrnt - dd kau darauf die Folgerung: da suln wir
hin. Ohne partikeln sind auch die causalsätze 1lM,!>. sowie 1-1, 11 L2 an-
einandergefügt Wir halien in den wenigen Sätzen dieses diohters wieder ein beispiel
dafür, dass eine ausgeprägt religiöse gedankenrichtung causalen gedanJcengäogen
durchaus nicht widerstrebt; vgl. auch die consecutive Verbindung 121, L 5, die Ginale
120, 22.
340 IIKYMANN
in stärker causalem gebrauche, bei ihm findet sich der einzige fall, wo
nü als hypotaktische conjunction rein causa! auftritt (127, 15, nach
Lemcke)1, und auch her wmbe 129,9 verwendet unter den zeitgenössi-
schen lyrikern nur Morungen: jener individuelle zug, der uns aus dem
inhalte seiner diehtungen so erfreulich entgegentritt, ist also auch in
seinen formen zu spüren.
In den vier kurzen Strophen Engelharts von Adelnburg er-
hält des 148, 18 erst causalsatzfunktion, wenn man die vorangehende
zeile als parenthese auffasst und die partikel auf die aussage der voran-
gehenden strophe zurückbezieht; 148,12 ist partikellose begründung des
Imperativs z. 10, aber auch ärcb /.oivov nachsatz zu z. 11; dazu kommt
etwa die wendung durch iuch eren elliu ivip und deheine schulde me
wan daz 13. 23; das stt z. 4 erhält durch den zeitgegensatz wart ich
ie /.. 1 temporalen nachdruck: also nirgends ausgeprägte causalverhin-
dungen; doch sollen aus dem spärlichen text keine Schlüsse gezogen
werden.
Um so reichlicher fliesst das material bei Reinmar dem Alten,
der wie kein zweiter unter den lyrikern aus des minnesangs frühzeit
die liebesdialektik auf die spitze treibt und die feinsten, flüchtigsten
regungen des innen lebens festzuhalten trachtet. Es ist nur natürlich,
wenn bei ihm auch die erörterung über Ursache und Wirkung im liebes-
ieben ihren vollen ausdruck findet, und zwar noch mehr in jener gruppe
von gedichten, die man als des dichters zweite periode zusammenfasst,
als in den älteren liedern, wo auch der satzbau einfacher, die asyndese
häufiger, die conjunctionen seltener sind. Neben den causalsätzen , den
stehenden formein von schulden, von rehte, äne schulde etc. (18) und
den adverbialen grundbestimmungen (25) kommen vor allem jene fragen
nach der Ursache von erscheinungen in betracht, die Dietmar, wie wir
sahen, in den minnesang einführte, und die für Reinmar, besonders in
seinen späteren liedern, geradezu typisch wurden: er forscht in ihnen
entweder nach den gründen der Widersprüche in seinem eigenen ich
(163, 32. 164, 24. 174, 33. 179, 23. 197, 26. 201, 19) oder sucht die motive
zu dem rätselhaften verhalten der geliebten auf (189; 15. 162,16. 190,3.
32), legt auch anderen personen, die sein Seelenleben nicht verstehen,
solche verwunderte fragen in den mund (150,22. 183,10. 188,12. 20);
ja, der dichter unterbricht sich selbst, mitten im gedankengange, weil
er sich plötzlich erstaunt des Widerstreites der empfindungen bewusst
1) Textkritisehe Untersuchungen zu den liedern Heinrichs von Morungen (Jena
und Leipzig 1897) s. 35; vgl. meine diss. s. 39.
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341
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.'512 HEYMANN, CAU8ALBH AU8DBDCE IN MBF.
wird, mit solchen fragen (193,17. 195,25. 199,9). Auch in seinen
eigentlichen causalsätzen ist das thema mitunter eine rechenschaft über
das erstaunen, das bei ihm und anderen über sein liebesverhalten her-
vorgerufen wird: Hiß, 18 — 20. 180,28. 201,21. Gern motivier! er,
ausser seinen hoffnungen und klagen, seine resignation, und dazu ver-
wendet er, neben wände, mit wachsender häufigkeit sit (— quoniam).
Bei alledem hat Reinmar doch nicht die Vorliebe für den causalsatz,
die wir bei Veldecke und Fenis angetroffen haben: in dem masse, wie
das als tatsächlich dargestellte bei ihm zurückgedrängt wird von dem
gedanken an das blos hypothetisch gesetzte, treten die causalsät/.e zu-
rück hinter den conditionalen, die, wie allgemein anerkannt, das vor-
züglichste stilmittel Reinmars bilden.
Manche anklänge an Reinmar hat Burdach (s. 54. 120. 104 anm.)
in den liedern Hartmanns von Aue nachgewiesen. Vielleicht liegt
auch in den ursächlichen fragen 213,9.21. 218,28 Reinmars einfluss
vor. Aber die ganze geistesrichtung, die selbstquälerische manier und
gefühlszerfaserung Reinmars ist doch dem dichter der mäxe fremd, der
sich zu der devise bekennt: swax mir geschiht xe leide, so gedenke ich
iemer so: nü lä varn, ex, solte dir geschehen; schiere kumet, dax dir
gefrumet. In der form solcher Sentenzen, wie sie aus seinen epen wol-
bekannt sind, liebt es Hartmann überhaupt, seine reflexionen auszu-
sprechen (vgl. 206,19 — 21. 211,27 — 28. 35 — 36. 212,20. 214,9—11.
12fgg. 216,12 u. ö.). Er pflegt dann solche allgemeinen sätze auch zur
motivierung zu verwenden und sich dann der conjunetion sit (205, 15.
212, 15. 217, 35) zu bedienen, die auch sonst bei ihm relativ am
häufigsten auftritt, Seiner etwas lehrhaften natur sind neben den
causalsätzen auch die adverbialen grundbestimmungen (14 fälle) will-
kommen.
Zur Unterstützung dieser beobachtungen diene die vorstehende
statistische Zusammenstellung der als causal aufgefassten Satzverbin-
dungen. Die Ziffern über die häufigkeit der einzelnen satzpartikeln sind
für die tabelle über para- und hypotaxe nicht bestimmend, da viele
causalsätze mehrfache einleitungen haben (z. b. 216,17 sit erx ivol ge-
dienet hat, da von so danket mich sin btten alxe lanc). Da die ver-
schiedenen anknüpfungen durchaus nicht alle und nicht an jeder stelle
von der gleichen causalen kraft sind, so werden die blossen zahlen
überall erst durch den vergleich mit den vorstehenden ausführungen
über die einzelnen dichter gewertet.
BERLIN. JAMKS HEYMANN.
BERNHAIIDT, BE1TKÄGK ZUR MHD. SYNTAX 3-43
BEITRÄGE ZUR MITTELHOCHDEUTSCHEN SYNTAX.
II. Vom unpersönlichen zeitwort.
Meine Untersuchung über das fehlen des subjectpronomens im mhd.1
führte mich auf die frage, wie es mit dem ex, der unpersönlichen Zeit-
wörter stehe, und somit auf diese Zeitwörter überhaupt. Die ergebnisse,
zu denen ich kam, weichen von den angaben der grammatiken vielfach
ab, und dies bestimmte mich den an sich unscheinbaren gegenständ zu
besprechen. Meine beobachtungen erstreckten sich auf folgende dich-
tungen: das Nibelungenlied, das ich nach der ausgäbe von Bartsch
(Leipzig 1875, 4. aufläge) citiere; den Parzival, Iwein, Walther von der
Vogel weide (diese sind nach Lach mann citiert); dazu kamen Bertholds
predigten herausgegeben von Pfeiffer (Wien 1862) und von Strobl (Wien
1880). Auf das nhd. sind vergleichende blicke geworfen. Trotz dem
verhältnismässig geringen umfang dieser quellen glaube ich von dem
mhd. Sprachgebrauch der guten zeit ein zutreffendes bild gegeben zu
haben. Es sind im folgenden alle unpersönlichen verba und ausdrücke
besprochen, die in den erwähnten schriften vorkommen, ferner das un-
persönliche passivum, und diejenigen Zeitwörter, die scheinbar subject-
los stehen, indem ein nebensatz das logische subject bildet. Die citate
sind in der Schreibweise der mir vorliegenden ausgaben gegeben.
Grimm gibt im 4. bände der Grammatik von s. 227 an ein reich-
haltiges Verzeichnis der impersonal ia. Über die Setzung und weglassung
des ex heisst es s. 252: „Durch vorschiebung des persönlichen pro-
nomens wird jedesmal das unbestimmte neutralpronomen (ex) unnötig:
mir mangelt = es mangelt mir, mich dünkt = es dünkt mich, obgleich
die widerholung nach dem verbo zulässig (nicht erforderlich) ist: mir
mangelt es, mich dünkt es. Impersonalia, die kein persönliches pro-
nomen begleitet, müssen das es schon seit dem ahd. immer behalten:
es tagt, es scheint." Abgesehen von der letzten bemerkung. die nicht
ohne einschränkung richtig ist, bezieht sich Grimms regel mehr auf die
jetzige, als auf die ältere spräche; jedesfalls triff! sie für diese, wie wit-
schen werden, nicht zu.
Erdmann gibt über den mhd. gebrauch in den (inindzügen der deut-
schen syntax §6 folgende regeln: ,,a)Bei allein stehendem verbum immer
schon ex. b) Vor abhängigem nebensatz kann c: noch fehlen, e) Neben
obliquem casus fehlt e% gewöhnlich. — Doch findet sieh auch sehen > &."
Paul sagt in der Mlid. grainniatik £ 107: „l>as c. fehlt wie im
nhd. dann, wenn irgend eine bestimmung dein verbum vorangestellt
J) Zeitsckr. 3ä, L45.
344 BERNHARDT
wird, /.. I). mich hungert } aber < -. hungert mich; aber auch nach und
ist es entbehrlich." In der vorausgehenden anmerkung heisst es: „Keine
ausnähme von der rege!" (dass nur in wenigen lullen die weglassung
des subjectpronomens gestattet ist) „ist es, wenn das subject statt des
nomens durch einen satz gebildet wird."
Ich glaube auf grund meiner beobachtungeu (U-n mhd. gebrauch
genauer bestimmen zu können: es gibt eine anzahl von verben und aus-
drücken, die des ex nicht entbehren können, gleichviel ob ein casus
obliquus oder ein anderer zusatz dabei steht oder nicht. Sie haben einen
gewissen begriff gemeinsam. Die übrigen regelmässig oder gelegentlich
unpersönlich gebrauchten verba und ausdrücke haben dies ex nicht;
auch sie haben meistenteils in der bedeutung etwas gemeinsames. Aller-
dings gestattet sich der Sprachgebrauch hier und da eine abweichung.
Von dem jener ersten gattung der Impersonalia anhaftenden ex
sind aber vier andere arten des ex zu unterscheiden, denen sich unsere
Untersuchung zuerst zuwenden muss; ich bezeichne sie der kürze wegen
mit ex 1 , ex 2 , ex 3 , ex 4 1.
1. Ex \ vertritt einen bestimmten vorher erwähnten begriff, Sub-
stantiv oder verbum, z. b. Pz. 540, 14 sit ex (das ross) xe rtten im ge-
schach, wo ex nominativ ist; Nib. 1511 Hagene riet die reise, ex (das
raten) gerou in sit.
2. Ex 2. Nach einem bekannten mhd. und nhd. Sprachgebrauch,
dessen anfange im ahd. vorliegen (s. Erdmann, S}Tntax Otfrids II § 107),
wird ex als unbestimmtes object manchen verben beigefügt, wul meist
im sinne des sogenannten inneren objects, z. b. ex guot tuon, ex rümen,
ex scheiden, vgl. Grimm IV, 333, Paul § 220, Müller-Zaracke, Mhd.
Wörterbuch I, 436 b, und für das nhd. Grimms Wörterbuch unter es
sp. 1117. Wandeln sich nun solche ausdrücke ins passiv, so ergibt
sich ein nominativisches ex, das mit dem ex beim unpersönlichen passiv
ähnlichkeit hat, aber davon zu unterscheiden ist und deshalb hier in
betracht kommt. Übrigens ist dies ein seltner gebrauch, für den ich
wenige belege anzuführen weiss. Neben dem häufigen ex guot tuon
steht Pz. 70, 7 ex wart da guot getan von manegem küenen armman,
ebenso 379, 2. 388, 6, vgl. 384, 20. Zu dem activen ex versuochen
1) Mit diesen fünf arten meine ich keineswegs die anwendungen dieses füiworts
erschöpft zu haben; es handelt sich hier nur um nominativisches ex, soweit es mit
dem der impersonalia verwechselt werden kann und verwechselt worden ist. Manche
andere gebrauchsweisen verdienen vielleicht, auch nach Grimms ausführlicher be-
handlung im Wörterbuch, eingehende Untersuchung: es ist mein brucler; schon um
die linde war es roll; es Jdopfl ; hinter den ofen gebannt, schwillt es wie ein
elephant.
BEITRÄGE ZUR MHD. SYNTAX 345
(MZ. II, 2, IIb) stellt sich Pz. 504, 29 ex ivurde doch versuochet an si,
zu ex scheiden 744, 21 ex ist noch ungescheiden, zu Berth. I. 138, 35.
II, 104, 1 ir sali ex also schaffen, 482, 30 so ist ex geschaffet wmbe
den stric des tiuvels; zu ex wägen (Lexer) II, 273,6 so ist ex gewäget
umbe dich.
3. Ex 3 ist für unsere Untersuchung von grösserer Wichtigkeit und
von dem ex der Impersonalia nicht immer leicht zu scheiden. So be-
zeichne ich dasjenige ex, das dem den satz beginnenden verbum vor-
geschoben wird, während das subject nachfolgt: ex tvuohs in Bürgenden
ein vil edel magedin. Hiervon handeln Grimm IV, 223. 274 und Erd-
mann, Grundzüge § 94. 211. In der erklärung dieser erscheinung
gehen sie aus einander: Erdmann möchte in diesem ex einen accusativ
sehen. Wie es sich damit auch verhalte, jedesfalls dient dies ex dem
satz die gestalt einfacher aussage zu geben, da sonst die voranstellung
des Zeitworts frage oder bedingung anzeigen würde; es ist ein rein
formales, an sich bedeutungsloses hilfsmittel des satzbaus. Erdmann
macht in § 211 auf die eigentümliche tatsache aufmerksam, dass dies
im ahd. nicht sicher nachweisbare ex im mhd. nicht entbehrt werden
kann, aber im nhd. fehlen darf; vgl. auch aus dem Faust Sind herr-
liche löiventhaler drein; kommt der Puck und dreht sich quer usw.
Es besteht zwischen mhd. und nhd. noch ein anderer unterschied:
reflexive Zeitwörter, mit vorangehendem sich, beginnen im mhd. ohne
ex den satz: Nib. 130 sich vlixxen kurxwile die künege, 2084. 2122;
Pz. 117, 7 sich xöch diu frouwe jämers bull m ir lande in einen walt,
525,6. 529,2. 798,29; Iw. 3869 sich bot der leivc an sinen vuox,
7235; Wa. 96, 9 sich ivcenet maneger ivol hegen; Berth. II, 102. II
sich erbarmet dax kiut über den vater niht; 246, 14 sieh nämen du
heideu au.
4. Ex 4. Es ist eine eigenheit der mhd., zum teil auch der nhd.
spräche, dass nebensätzen, namentlich solchen mit tbr. . ein an sich
inhaltloses ex, dax, es, des, dem vorausgeht. Das Sprachgefühl begehrt
sogleich grammatische Vollständigkeit des satxr>: zunächst treten als
subject oder objeet jene fürwörter ein, denen der nebensatz. Dach art
einer apposition angefügt, inhalt gibt1. Die abhängigkeit des neben-
I) Damit ist ein anderer Sprachgebrauch zu vergleichen; auch das substan-
tivische subject oder objeet kann zunächst durch ein fürwort ausgedrückt werden,
dem in apposition die genaue bezeichnung folgt: Wh 60,2 mliin und krisolte driif
rentieret, als $i wolte, Gyburc diu wtse; 170, 28 In sin gebot, mins bruoder;
Pz. 806,20 der »/">/ im te tohter jach, von l>'iil Jemtse; 253, 20 ob in sin tonn
/"". rl , ihn eil friu-njcH man usw.
346 BEBMUAUÜT
satzes ist <>ft nur eine logische und sprachlich nicht bezeichnet, z. b.
I\\. 2485 ex schind noch — sin redt was nach wine; Nil). 1044 ml
dickt i '. noch geschiht : swä man den mortmeilen bi dem töten siht,
so bluoten im die wunden; Iw. 6997 ouch si in da% für war geseit:
, i /ryv/ r//// gewonheit einen lagehaften man, da: er getar unde kan
Im: vehten danne ein küener degen. In diesem falle ist e\ uder dax
nicht wul entbehrlich, während sonst der zusatz dieser fürwörtei keines-
wegs notwendig ist. Hartman im Iwein und Berthold sind freigebiger
damit als Wolfram, das Nibelungenlied und Walther; am seltensten
fehlt des. Zwischen ex und daz ist der unterschied geringer als im
nhd.; im nominativ überwiegt ex, im aecnsativ dax. Steht ex zu anfang
des satzes, so ist es von ex 3 nicht leicht zu unterscheiden, vgl Iwein
6998 ex ISret diu gewonheit einen xagehaften man, dax —; 2101 ex
dunket mich guot und gan iu wol, dax —; 8062 e i wolte unser herre
Krist, dax er so gähes runden wart; doch ist mir an diesen stellen
ex 4 wahrscheinlicher als ex 3.
Ich gebe einige beispiele, aus denen hervorgeht, dass zwischen
ex und dax kaum ein unterschied ist, und dass in gleichen oder ähn-
lichen fügungen das fürwort bald steht, bald fehlt.
F.: und dax im nominativ. Iw. 2139 dax ex im lange wumt,
ob er — ; 561 waz vrumt ob ich iu mere sage; Pz. 29, 11 ex müet
si, deix niht beleip; Iw. 2831 mich müet dax — ; Pz. 737, 18 den
künec dax müete, dax — „• Nib. 1202 ob ex sine möge dühte guot
getan dax — ; 1207 ob die herren beide dühte guot getan dax — ;
Berth. I, 383, 10 und also geschiht ex dax — ,• Im. 3494 ob dax ge-
schiht dax — ; Berth. 31, 35 geschiht aber dax ex xe priesters handen
niht körnen mac. Hier möge des häufigen conditionalen ist (si, irrere)
dax -- 'wenn es geschieht, der fall ist, dass' gedacht werden, z. b.
Pz. 721, 1 si dax er ir minne ger; Iw. 6674 und ist dax si betrouc
ir wan; Wa. 91, 35 ist aber dax dir ivol gelinget. Der satz mit dax
bildet das subjeet; nur bei Berthold wird ihm nicht selten ex 4 oder
dax vorgeschoben: I, 27,35 ist ex halt, dax — ; ebenso 123,23. 104,3.
165, 31 usw. Seltener ist dax: I, 39, 2 ist dax, dax — , vgl. 413, 3
obe dax ivcere, dax — . Statt des ex oder dax kann dinc eintreten:
I, 162, 36 ivcere aber ein dinc, dax — ; 554, 37 und ist aber ein dinc,
dax — . Ebenso 276,14. 342, 31. 351, 36. 445, 6. 570, 35. Doch steht
auch bei Berthold gewöhnlich einfaches ist dax — .
Ex und dax im aecusativ. Iw. 4095 und weix ex ouch als minen
tot, weste ir ietiveder mine not, er Jweme und vcehte für mich; 4877
ich weix ivol dax — ; Berth. I, 60,4 man liset ex niht, dax — ; 480,36
beiIrage zur mhd. sy.htax 347
ivir lesen niht dax ander gemeinen Sünden, dax — . Nicht selten geht
dax dem dax des nebensatzes unmittelbar voraus, wie Iw. 5235 ich rät
iu dax, dax — ,• Wa. 99, 10 da von sol man uixxen dax, dax — .
Des hängt von einem Substantiv ab, z. b. Berth. I, 100, 20 dar
umbe haben ivir des reht, dax — , oder von einem adjectiv, wie Iw. 2167
si sint des vil uro, dax — , oder von einem zeitwort, wie Iw. 996 dax
in des dühte, dax — „• 3850 doch vorht er des, dax — . Doch stehen
dünken und fürhten häufiger ohne des; in andern fügungen fehlt es
nicht leicht, doch vgl. Iw. 3844 dax er den lewen des betwanc, da%
er — schre, und 5586 in betivunge diu not dax — . Es ist seltener
als des: Iw. 6910 ob es niht rät ivcere, ir einer wurde erslagen; 2344
es wundert mine sinne, teer iu geriete diseu wän; Berth. I, 454, 22
ich wil es gesivigen, dax — .
Deme habe ich nur in Verbindung mit gelich gefunden: Iw. 6620
sone bin ich niender deme gelich, dax ich ir mähte xenicu; Berth. I.
542, 38 ex tuont manege Hute deme gelich, dax — ,• vgl. Wh. 73, 2. 192. 7.
Wa. 120, 30.
Die jetzige spräche verbindet mit dem den nebensat/. vorbereiten-
den das stärkere demonstrative kraft als das mhd.: das sage ich dir,
dass — . Des (dessen) kommt noch vor: ich freue, getröste »/ich dessen,
dass — . Es (genitiv) erscheint noch in spuren, wird aber kaum als
genitiv gefühlt: ich bin mirs bewusst, dass — ; dank dirs dir fcufcl,
dass — ; ich erinnere michs, dass — . Dagegen hat es, nominativ und
aecusativ, sich weiter ausgedehnt und wird weniger leicht entbehrt:
doch ist es jedem eingeboren, dass sein gefühl hinauf und vorwärts
dringt; es scheint, dass ihr uns nicht kennt; ich halt es öfters rühmen
hören, ein komödiant köun' einen pfarrer lehren; ich fühl es wohl,
dass mich der herr nur scliont.
Dem mhd. fremd ist eine heutzutage sehr verbreitete fügung: einem
infinitiv mit zu, der das logische subjeet bildet, pflegt, wenn er den
satz schliesst, es voranzugehen, z. b. es ist gar hübsch von einem
grossen herrn, so menscJilieh mit dem teufel seihst •.// sprechen; ist
es erlaubt, uns auch \u euch :n setzen. Geht der infinitiv voran. BO
steht kein es: mit euch, herr doctor, tu spazieren ist ehrenvoll and
ist gewinn. Beiläufig sei bemerkt, dass der infinitiv (gerundium) mit
\r im mhd. als subjeet des satzes /.war nicht unerhört, aber selten ist:
Wh. 35, 28 dem :e ringen tobte, 7gl. M X. 1 1 1 , 5 I b : [w. 330 du uns
xe scheidenne geschach; Nib. 2107 im treme niht te dagene; L558
liep dir si \e lebene.
348 nKRNIIARDT
1. Unpersönliche vcrba und ausdrücke mit ex.
Die bisherige erörterung war notwendig, um den umfang des-
jenigen ex zu bestimmen und zu begrenzen, das, von jenen vier ver-
schieden, einer anzahl unpersönlicher verba und ausdrücke anhaftet.
anabhängig von der Wortstellung und gleichviel, ob irgend welche Zu-
sätze, wie casus obliquus, vorhanden sind. Sie bezeichnen natur-
erschciniinv.cn, stand und verlauf der zeit, begebcnhciten und zustande.
vielfach unter dem bilde einer bewegung oder einer ruhe (stau), immer
ein geschehen oder sein, das an den menschen von aussen herantritt,
oder ihn umgibt; ihr subjeet ez deutet eine macht an, von der dies
ausgeht, und die nicht benannt werden kann oder doeh nicht benannt
ist. Nicht selten tritt in gleicher fügung das wort dinc (Schicksal, läge)
an die stelle des ez.
Naturerscheinungen bezeichnet entweder ein einfaches verbum
oder ein zusammengesetzter ausdruck, immer mit ex verbunden. In den
von mir durchgesehenen Schriften finden sich folgende verba: tagen,
ertagen, kuolen, regenen; Pz. 588, 8 dö begundez liuhten vorne tage;
Berth. I, 244, 35 ex witer übel oder guot. Von zusammengesetzten aus-
drücken führe ich an Nib. 1849 ez ist vil schiere tac; Pz. 704, 30 dö
was ez höhe ilf den tac; 679, 29 ez ivas ivol mitter morgen; 702. 28
dö was ez naht und släfes zit; Nib. 1622 e ex iverde tac; Iw. 273 dö
ez an den r'/bent gienc; Pz. 702, 11 dö begundex nähen der naht. Von
der Jahreszeit: Berth. I, 271, 26 ex si winter oder sumer; vom werter:
ebenda ex si guot weter oder bozsex; 244, 36 ex si hagel oder niht;
244, 35 ex si hisezze (miswachs) oder niht; Pz. 120, 5 ez weere ceber
oder sne; 161, 11 ez weere kalt oder heiz; 249, 13 ex ivas dannoch
von touwe naz. Auch der schall kann als naturerscheinung gelten:
Iw. 301 da sluoc er an, daz ez erhal und dax ex in die burc erschal;
vgl. im Faust höre, ivie's durch die wälder kracht.
Mit dem ex bei verben der naturerscheinung ist nahe verwandt
das ex bei ausdrücken vom stand und verlauf der zeit, wohin man ja
manches eben angeführte beispiel, wie ex ivas wol mitter morgen, rechnen
kann. Ich beschränke mich auf wenige belege: Pz. 57, 29 nü ivas ex
über des järes zil; Wa. 16, 18 so ez ist an dein testen tage; Iw. 3057
unz ez ein ander jär gevienc und vaste in den ouwest gienc; Nib. 631
ja was ez noch unnähen, daz si wurde stn wip; Pz. 660, 3 ex ist
laue, dax mir fi'eude enpfiel; 763, 26 unlange' x dar nach gestet, unx — ;
555, 17 dennoch ivas ex harte fruo; Berth. I, 271, 26 ex si heilic (fest-
tag) oder niht; Pz. 448, 7. 470,1 e\ ist Mute der karfrUac. An einigen
dieser stellen kann man auch an ez4: denken.
BEITRÄGE ZUR MHD. SYNTAX 349
Nicht ganz selten fehlt bei diesen ausdrücken der zeit das ez, so
nach unde Iw. 5812 do man ir ze gemache tete swax man guotes
mohte — und nach ezzenne tvart; Wa. 60, 3 du ivilt sere galten, and
ist vil unnähen duz — ; ferner wenn des dabei steht: Wa. 23, 11 des
ist manec jär; Pz. 584, 6 ob iuch des dühte niht ze fruo, 743, 24;
733,22 von de?' ich schiet, des ist ze lanc. Doch auch sonst zuweilen:
Iw. 303 dar nach ivart vil unlanc unz — ,• Pz. 708, 17 mirst morgen
atze fruo, sei ich
Das Substantiv ztt in Verbindung; mit ivesen, werden, dünken wird
nieist so construiert, dass ztt, mit einem genitiv verbunden, subjeet ist,
z. b. Pz. 509, 26 iwers ritens ivcere von mir zit. Doch kann ztt auch
prädicat, ez subjeet sein: Pz. 281, 14 ez enwas niht sneives ztt; 702, 28
nü was ez naht und släfes ztt; 784, 23 nü ivas e% auch ztt, daz — ;
821, 14 nü was ez ouch Urlaubes zit (nur cod. D hat ez); Berth. I, 569, 21
sivenne ez in nü zit dunket.
Verba der bewegung, die bildlich ein geschehen ausdrücken,
pflegen schon im ahd. des iz nicht zu entbehren, s. Erdmann, Syntax
Otfrids II s. 65.
Oän: Nib. 1606 do gie e% an ein striten; Nib. 904 so ex an die
herte gät; Pz. 79, 20 dö gienc ez ü\ der lande spil; 263, 8 ex ge :<
schade?/ oder ze frumen. Mit dem dativ der betroffenen person ver-
bindet es sich in Wendungen wie Nib. 423 ez gät in allen an ä\ m Itp.
Neben an den lip findet sich an sin lebe?/, an min herze, an stn ere,
an die triuive. Berthold setzt gern dinc an die stelle des ez: I, 68,29
unde get im sin dinc als rehte unde als wol; ebenso 230, IS. 24.
385,29. 544,39. 559, 3. Nur scheinbar steht ohne ex 355, 12 //// ge
als ez müge, da das ez im nebensatz auch für ge gilt.
Wie gän hat u??ibe gän das ez bei sich: Nib. 1930 ir sehet wol
ivie ez ivil umbe gän 'welche wendung die sache nimmt'; ebenso 2140.
Ergän verbindet sich oft mit einem bestimmten subjeet, wie Nib.
1535 wie iu disiu hovereise ergät. Subjeet ist dinc Pz. 12, 2 swie hall
mir min dinc ergät, ebenso Wh. 39,28. An die stelle eines erwähnten
begriffs kann ex 1 oder daz treten: Nib. 1592 nü grifet balde :/t<>, ob
(lelpfnit and Else hinte hie beste unser ingesinde, da \ e\ (dieser kämpf)
in schedelich erg§; IV.. 390, 18 da: (Meljanz' gefangennähme) was im
liehe ergangen. Einen nebensatz bereitet e: 1 vor: Nil>. 1527 < i ergit
den Nibelungen w gröxen sorgen, wie si kaemen übere. Daneben steht
die häufige unpersönliche anwendung mit dem dativ und ex. Nib. 1 181
ez mac ir leide ergän; Pz. 407, 30 gencedecUchex Uhte ergit; 521,23
/rie ergienge\ dir. Beginnt der satz mit unde, so kann e\ leiden, wie
350 BKRNHARriT
Iw. 6814 und wäre iu ivol ergangen, dax ich iu so willec bin. Im
[wein findet sich zweimal ergä/n mit umbe: 3145 ex wcere muh vuch
ergangen 'es wäre um euch geschehen gewesen'; 8297 nach unde
ohne ex.
Bei missegän schwankt, auffallenderweise der gebrauch. Berthold
hat das wort mit ez: I, G, 2!» sö künde ez in niemer missegän an Itbe
noch an sele, ebenso 164, 23. Im Iw. 4126 liest Lachmann daz ez ir
sö missegangen ist, doch fehlt ex in den meisten Handschriften. Lexer
führt im Mhd. wörterbuche noch mehrere andere stellen mit ex an.
Gewöhnlich aber steht es ohne ez: Nib. 17 sone kan mir niemer
missegän; Iw. 1130. 4056. 4059. 5071; Wa, 55, 25 mir missegie, do
ichs eine bat. Ward vielleicht das Substantiv misse (Pz. 465, 24) als
subject empfunden, oder bewirkte die analogie von misselingen das
fehlen des ez?
Wie gän, ergein steht auch rarn mit ex, doch, soviel ich sehe
nicht mit dativ: Iw. 919 ex sol anders varn, vgl. 6556 ez vert allez
wol noch; Wa. 49, 7 siviex umb alle frowen rar.
Im sinne von 'evenire', 'aeeidere' hat auch hörnen meistens ex
bei sich: Pz. 798, 28 nu ist ez anders umb inch hörnen; Wa. 122, 7
ivie humet ez umbe dich; Pz. 390, 15 er wägte iciez da wcere körnen;
355, 25 ez weer niht homen an disiu xil. Auch kann ein dativ dabei
stehn: Nib. 2222 ez ist uns übele homen; Pz. 504, 1 loiex Gäiväne
homen si ; 194, 28 ez ist mir homen üf disiu zu. Neben der unpersön-
lichen anwendung findet sich die mit bestimmtem subject, wie Pz. 326, 5
Artüss her was homen freude unde hlage. Ein nebensatz ist logisches
subject: Pz. 584, 1 icie hom daz sich da verbarc so gröx wtp in sö
kleine stat; Wa. 120, 34 wie humt daz — . Einem solchen nebensatze
kann ez 4 oder daz vorangehen: Nib. 1120 nu ist ez Sivride leider
übele homen, daz — ; Berth. I, 400, 2 dax humt eteivenne, daz — .
Unpersönliches ncehen hat Wolfram nicht selten; er braucht es
von bevorstehenden teilen seiner erzählung, wie Pz. 503, 1 ez nceht nu
wilden meeren, aber auch von künftigen ereignissen: Pz. 788, 4 so nceht
ex iwerm volle. Einige anderweitige belege gibt Lexer1.
Sich zogen scheint nur bei Wolfram unpersönlich gebraucht zu
werden: Pz. 362, 11 sit ex sich hat an mich gezogt, ich bin vor flust
nu iuiver vogt; ebenso 529, 9. 734, 29. Dinc steht als subject Wh.
177, 26 sich hat min dinc an iueh gezogei.
1) Hier mag auch eine bildung Wolframs erwähnt werden : Pz. 249, 4 alrerst
nu urentiurt e% sich; einige belege aus späteren bei Lexer.
BEITRÄGE ZUR MHD. SYNTAX 351
Das unpersönliche geziehen hat zwei bedeutimgen : mir gexiuhet
ex, so, heisst „die sache nimmt für mich solche richtung, gestaltet sich
so": I\v. 5446 vrou Lünete was vil wo, wand ex gexoch ir also; ebenso
4450. Pz. 415, 1. Mit reflexivem accusativ steht es Pz. 645, 14 so
Lamberltch ex sich gexoch nie umb all sin ere. Die zweite bedeutung
'es ist passend, geziemt sich' findet sich z. b. Pz. 7. 25 rätt als ex ge-
xiehe nuo; ebenso das einfache xiehen 776, 14.
Hier schli essen sich zwei verba an, in denen der begriff der be-
wegung zurücktritt, oder doch eine besondere gestalt annimmt, sich
(ge) fliegen und gedihen.
Sich (ge) füegen : Nib. 1883 nune hindex sich gefüegen vwäre
niemer mere bax; Pz. 655, 4 eins morgens fnogt ex sich also. Mit
dativ, aber ohne sich: Iw. 7650 ich iuch bescheide, dax iuch des ivol
geniieget und ex ouch mir wol vüeget. Auch vor folgendem neben-
satze pflegt ex (4?) nicht zu fehlen, z. b. Iw. 7354 sit ex sich wol ge-
vuocte, dax — . Es kann aber auch ein bestimmter begriff subject sein,
wie Pz. 450, 17 sich fliegt min scheiden von in bax, und ebenso ein
nebensatz ohne ex: 525, 6 sich flieget bax ob weint ein kint danne
ein bartohter man.
Gedihen: Pz. 345, 7 eins tages gedech ex an die stat, dax si der
junge künec bat nach sime dienste minne; ähnlich 667, 16. Das ein-
fache dihen wird im älteren mhd. ebenso gebraucht, s. MZ. 1,329.
Wie die soeben besprochenen verba der bewegung bildlich ein
geschehen, so bezeichnet stän und sinnverwandte verba einen zustand.
Stein ist dann mit ex verbunden, oft auch mit dativ der person. An-
statt des ex steht nicht selten dinc, wie bei gän, ergän, sich zogen:
Nib. 746 der dinc vil höchltche stät, ebenso 1446; Pz. 797, 20 Anfor-
tases dinc stuont also; Berth. I, 330, 10 der dinc st<:/ Itkte fürwert
anders; Pz. 446, 3 ivie im sin dinc gestuont\ Stän mit ex und ad-
verb: Pz. 556, 30 ich freische iviex da stet; Berth. I, 137, 32 c\ stet
übel; 230, 29 also stet ex noch Mute usw. Sehr häufig steht, wie noch
jetzt, umbe mit acc. dabei, z. b. Nib. 64 iric\ muhe Kriemhilde stät;
Pz. 471, 29 ivie stet ex umben gräl. Den dativ verbinden wir heut-
zutage nicht mehr damit, wie im mhd. üblich ist: Xib. 1546 vil müeliche
ex iu stät, ivelt ir durch sine marke; Pz. 442, 4 wie stit e% dir;
440, 30 wie sUtx in umben gräl. Unpersönlich ist stän wol auch in
der bei Berthold gebräuchlichen, aber auch sonst belegten wendung
1) (iestdn mit inchoativem ge bedeutel 'sich gestalten', vgl. noch Nil'. 1469
/rrr irci\ icir\ da gestftt; IV.. 225, 1.
352 HKKNHARDT
ex stet an einem (= stat per aliquem) 'es liegt in jemandes band':
1,296,37 nu slH r,\ t/iuiruu au in selben, oh ; 344, 11 e% stü <ui
im; doch kann an erster stelle g*4, an der Letzten < : 1 vorliegen.
Iw. 00:i2 sd iril si si scheiden von ir erbeteile, <\u sti dun an vr heile,
dax si >/(// leempfen bringe <l<ir 'wenn ihr heil (glück) nicht bo viel
vermag'; auch hier ist schwer zu sagen, ob nicht < >. 1 anzunehmen ist.
Wie stän kann ligen allgemein einen zustand bezeichnen; (loch
ist diese im nhd. häutige bedeutung selten: Berth. I, 573, 18 als
(= also) lit c\ muhe die vorhte der buoxe; vgl. Lexer unter ligen sp. L916.
Häufiger ist ex ist gewant, z. b. Ew. 3854 wan also ist ex gewant, als
ex ouck andern Unten stat. Ein dativ kann dazu treten: Iw. 4730 ex
ist mir so umb in geioant; vgl. 1548 ex ist der wunde also gewant.
Einmal fehlt ex nach nnde: 6602 und ist iedoch also gewant.
Auch wesen und iverden mit ex können wie stän, gestän all-
gemein einen obwaltenden oder eintretenden zustand bezeichnen, z. b.
Nib. 2114 ex enmac an disen xiten nu niht bexxer gesin; Pz. 638, 24
ex ivas den freuden da gelich; ex = 'der zustand, die Stimmung der
gesellschaft', vgl. im Faust hier ist's so lustig wie im Prater; mit
werden Wa. 23, 11 es troumte dem künege, ex wurde bosser in dem
rtche. Ganz wie stän verbindet sich auch wesen mit umbe: Wa. 99, 20
uriex da)- umbe si; Berth. I, 15, 28 also ist ex oueh umbe diu au/t;
205, 24 xe glicher wise ist ex umbe die sünde; ebenso 127,23. 568,4.
2. Subjectlose verba und ausdrücke.
Im gegensatze zu den bisher besprochenen verben und ausdrücken,
die des ex nicht oder doch nur in ausnahmefällen entbehren, stehen
die nun folgenden, die dieses ex nicht haben und -kurz als subject-
lose bezeichnet werden können. Steht ein ex dabei, so ist es ex 3
oder et 4, ein formales hilfsmittel des satzbaus und syntaktisch von dem
ex der ersten art verschieden. Nicht das unpersönliche verbum er-
fordert ex, sondern die Stellung des Zeitworts am anfange des satzes,
oder es bereitet einen folgenden nebensatz vor. Wendungen z. b. wie
mir ist ivol haben kein ex; wenn Berth. I, 383, 26 steht ex ist aber
eime tüsentstunt bax danne dem andern, so liegt unzweifelhaft ex 3
vor, ebenso zweifellos ex 4, wenn, neben dem gewöhnlichen conditionalen
ist dax, bei Berthold ist ex, dax — (ist dax , dax — ) erscheint, oder
wenn es Berth. I, 199, 22 heisst dtner güete gexceme oucti gar wol dax — ,
aber Pz. 133, 27 fürstinne ex übel xceme, dax si da minne nceme.
BEITRÄGE ZUR MHD. SYNTAX 353
Die subjectlosen verba und ausdrücke haben mit ausnähme des
unpersönlichen passivs, von dem unten die rede sein wird, einen clativ
oder accusativ der person bei sich und bezeichnen eine leibliche oder
seelische einpfindung oder subjective erfahrung. Wir sahen oben, dass
nach den ansichten der grammatiker ex und casus obliquus sich in der
regel ausschliessen sollen, dass dies aber bei gän, ergän, komen, ge-
ziehen, sich fliegen, stän, ex, ist geiücvnt keineswegs der fall ist; bei
den subjectlosen verben und ausdrücken trifft die regel zu1.
Ich beginne mit den subjectlosen ausdrücken, die mit ivesen und
werden gebildet sind; von diesen handelt Grimm, Gr. IV, 241 fgg. Für
die syntaktische beurteilung liegt hier eine besondere Schwierigkeit vor,
indem nicht immer zu entscheiden ist, ob das mit wesen und werden
verbundene wort als Substantiv oder adjectiv, als adjectiv oder adverb
zu gelten hat. Im Iwein 702 steht ime was an mich xorn; ist xorn
Substantiv, so ist es subject; ist es adjectiv, so ist der satz subjectlos.
Solche worte zweifelhafter geltung sind xorn, ger, not, ernst, leit'1. Ich
will auf diese frage hier nicht eingehen; nur so viel sei bemerkt, dass
das dasein von comparativformen, wie zorner, hceter, ernster nicht not-
wendig auf einen adjectivischen positiv hinweist, vgl. griechische bildungen
wie /.EQdlojv, dlyliov, "/.uvregog, -/.vöioiog, qiyiov, und Grimm IV, 244.
ernst führen die Wörterbücher nur als Substantiv auf; wie ist es aber
mit Berth. I, 184, 13 so gar ernst tvas in got, und II, 60, 4 der (dat.
fem.) ivas vil ernster x,uo dem dienste? Bei leit ist ja das adjectiv
unzweifelhaft; in fällen wie Nib. 620 umbe dine swester ist mir leit
kann leit ebensowol Substantiv wie adjectiv sein; doch scheint mir für
letztere auffassung der häufige zusatz von adverbien, wie harte, herzen-
liehe, xe zu sprechen, ganz abgesehen von dem comparativ leider, z. b.
Nib. 1958.
Unzweifelhaft ist adjektivische geltung und subjectlose fügung
Nib. 1031 iu ist niht rehte Laut; L729 sage mir wie dir si gewixxen
umbe der hüneginne muot; Berth. I, 570, 1 im ist danne iwirnt als
1) Zuweilen stehen sich unpersönliche verba mit ex and subjectlose mit < •.
in der bedeutung nahe, vgl. was unten über ergän und geschehen gesagt ist. Eier
erwähne ich regenen und triefen; ersteres hat, wenn nicht ein bestimmtes subjeol
(got, wölken) vorhanden ist, ex bei sich; bei triefen steht Pz. 201, 4 {den burgarn
in die holen trouf, vgl. 184, 18) der dativ der betroffenen person ohne ex.
2) Auch sünde und schade führt Lexer als Substantiv und adjectiv auf; Berthold
hat 11,11*9,10 den comparativ Sünder; von seh, nie komm! der comparativ scheder,
der Superlativ schedist vor, und Berth. [1,268 31 sagt dm sefteme />/■<'•! ist schade
dem äugenden kinde. Diese zwei worte kommen indes hier nicht in betracht, da sie
nicht mit dein dativ verbunden werden.
ZEITSCHRIFT !•'. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. \.\\\. 23
3")4 BERNHARDT
swcere dar xuo; 127, 1 wie den si den tüsentstunt wirser ist; ebenso
mit wirser 203, 24. 354, 2. Nicht anders bei leiblicher empfindung:
Pz. 581, 2 im was warm; Berth. I, 376, 7 sä im ve /,"// ist oder xe
heix; Trist. 12818 so heiz ir von der sannen wart.
Folgt ein nebensatz, so ist dieser als subjeet, das adjeetiv als
prädicai anzusehen, z. b. Pz. 29, 21 mir ist Zeit dax — ,- Nib. 1001 //•//
/r^/v ril nnmare unt wirt ez ir bekant. Zusatz von ex 4 (oder 3?)
ist selten: Nib. 577 ex mähte ir wesen leit, der ir varive niht lühte
gegen der wät; Pz. 422, 4 ex ist mir von in beiden swcere, da* — ;
053, 7 e\ u.-a-rr mime herren leit, breech ich minen eit. I\v. 7033 ex
ist minne unde hazze zeuge in einem vazze liegt ez 3 vor.
Ungemein häufig ist im mhd. die Verbindung von wesen und
werden mit einem adverb, die noch heute gebräuchlich ist, wie in mir
ist wol. Ich gebe einige beispiele: Nib. 1042 weer ir dar umbe leide:
Pz. 203, 11 ir was wol und niht ze ive; Nib. 1453 so war ir in der
iverlde mit deheinen frenden baz; Berth. I,.439, 39 den ist we nach
guote; Wa. 48, 5 ist mir anders danne also. Mit werden: Pz. 282, 19
an ir hohem finge wart ir we; 366, 10 so suoxe in minen ougen wart
nie von angesihte, wo man in tilgen möchte. Bemerkenswert ist die
wendung mir wirt (ist) eines dinges über, wie Iw. 6878 daz in der
tage zuo ir vart enweder gebrast noch über wart; vgl. Berth. I, 3, 11.
418, 15. 492, 34. Beiläufig bemerke ich, dass Mensing im 2. teile der
Erdmannschen Grundzüge §264 irrtümlich behauptet, die wendung vmir
ist zu mute' sei modern, also der alten spräche fremd; vgl. Nib. 1428
mir weere wol xe muote; Pz. 61, 1. 149, 10; mit iverden; Wa. 109, 1
ganzer fröiden wart mir nie so wol ze muote: Berth. I, 175, 12. Da-
neben findet sich mir wirt eines dinges ze muote: Iw. 6060 wes in
nü si ze muote; Berth. I, 275, 10 als iu einer sünde ze muote wirt;
343, 81. Eine eigentümliche anwendung des aecusativs finde ich bei
MZ. III, 732 b und Lexer erwähnt, aber nicht in den grammatiken:
neben Berth. I, 23, 11 wol dir ivart daz dich din muoter ie getruoc
steht 67, 13 derselbe satz mit dich; ebenso 58, 22. 391,9. 428,2.
431, 13. Auch im Wh. 135, 21 wol mich ivart daz — , vgl. auch das
elliptische wol mich daz Wa. 41, 19. 100, 7; 110, 13 wol mich der
stunde, und Nib. 2153 6 we mich gotes armen, wo Bartsch mir liest.
Adjeetiv und adverb stehen in diesen ausdrücken ohne merkbaren
unterschied, vgl. Nib. 620 umbe dine sivester ist mir leit, und 1042
weer ir dar umbe leide; Berth. I, 354, 2 da dir ivirser wäre geivesen,
1) Vgl. Berth. I, 7, 20 swenne dir guoter dinge xe ivillen wirt.
BEITRÄGE ZUR MHD. SYNTAX 355
und 125, 39 den ist we, den andern, den ist wirs, den dritten aller
wirste. So kann man zweifeln, ob in dem überaus häufigen mir ist
gäch adjectiv oder adverb vorliegt. Neben gcehe erscheint doch auch
gäch als adjectiv, z. b. Pz. 67, 7 ern Mrt sich niht an gähez schehen
und des galten tödes bei Lexer. Adjectiv scheint gäch Iw. 4186 zu sein:
mir was ze sinen hulden alxe liep und alxe gäch, adverb aber 4873
ein gäch geteiltez spil.
Sehr selten schiebt sich solchen mit ivesen, werden und adverb
gebildeten ausdrücken ein satzeinleitendes ez3 vor, wie Berth. I, 383,26
ex ist aber eime tüsentstunt baz denne dem andern.
Die bisher besprochenen , mit ivesen, einem dativ und adverb ge-
bildeten ausdrücke bezeichnen eine subjective leibliche oder seelische
empfindung, oder doch (kunt, geivizzen) einen geistigen zustand; aber
diese Wendungen, wie schon das erwähnte 'mir ist eines dinges über'
erstrecken sich über das gebiet der empfindung hinaus und können
objectiv läge und zustand ausdrücken; mir ist so kann bedeuten 'mir
ist so zu mute', aber auch 'so steht es mit mir'; der dativ wird dann
verwendet ganz wie umbe in der früher besprochenen anwendung: also
ist ez umbe dtn amt und dgl. Als adverbia stehen so, also, alsns,
ivie, swie. Wie nahe sich beide bedeutungen liegen, zeigt z.b. Wa. 122, 16
nü ist sümelichen so, daz si mir wol gelouben swaz ich sage, wo man
ebenso gut auslegen kann 'es ist manchen so zu mute', wie 'es steht
so mit manchen'. Besonders liebt Berthold diese Wendungen; der dativ
kann eine person bezeichnen, wie I, 518, 33 also ist dem ketzer 'so steht
es mit dem ketzer', oder eine sache, wie 552, 23 also ist ihr erxente;
265, 12 ivie dem unde dem (neutrum) si; 552, 16 wie wcere vm danne
in der werlt 'wie stünde es in der weit'. Aber auch den dichtem ist
solche fügung nicht fremd: Nib. 2230 der rede enist niht s6; l'z. 577,3
ob iwern wunden si alsus; Iw. 3420 ist der saht alsns, dm si von dein
hirne gät. Noch heute sagen wir 'dem ist nicht so', 'dem sei wie ihm
wolle'. Vgl. Grimm, Gr. IV, 705 und Wörterbuch unter der sp. 966.
Von verben leiblicher empfindung kommen in den von mir
angezogenen quellen hungern, dursten, wiesen oft vor. Wir sagen
jetzt mich hungert, es hungert wir//, auch wol mich hungert es1; im
mhd. gilt, soviel ich sehe, nur mich hungert. Aus Berth. II, 215, 36
verzeichne ich wullen: da wullet dem all mehlige» gute gar griulich abe,
und swindeln: II, 262, 9 da von swindelt etelichen (dat. plur.).
1) Im Faust fehll nicht leicht es: es fasst »/><■// hall beim schöpfe, mich
Überläuft's, es liegt mir bleischwer in dm fassen, mir ekelt's: doch ohne es: mir
ekelt lang vor allen/ wissen.
23
356 BKRNUARDT
Die nun folgenden verba seelischer empfindung haben bis-
weilen einen nebensatz mit dax, dem oft des, ei vorangeht, oder eine
indirecte frage bei sich. Der satz mil dm ist jedoch hier nicht als
subject anzusehen, sondern dm hal mehr causale bedeutung, wie sie
auch sonsi dieser vieldeutigen conjunction inne wohnt, z. b. Wlllehalm
207, 1 von dem maneger slahtt wuofi und dm ich heidnisch wol
verstuont, da von wart mir kuont wer si wären; L18, 18 niht nun
vrägens er genas , und ihr. der unverxagete sich nante; vgl. auch 136,23.
Wenn also Pz. 104, 17 steht muh Jamal immer dm ich vant an der
werlde freude alsölh gewant, so ist zu erklären 'ich empfinde immer
schmerz darüber, dass' oder 'weil'. Ich gebe im folgenden immer nur
wenige beispiele.
Jämem Pz. 102, 22 swie mich jämer siner vart; Iw. :!216 nach
eime dinge jämert in.
Wundern Nib. 1922 yd wundert mich der meere; Iw. 5816 den
wirt Hundert umb ir vart. Selten ist ich wundere, ich /runden mich.
s. MZ. HI, 8166.
Verdrießen Pz. 27, 21 des lebens in verdrdx; Iw. 5990 dax in
min niht verdrieße.
Griulen Wa. 30, 12 mir griulet, so midi lache nt an die lechelcere;
Pfeiffer liest graset.
(Oe)lusten Pz. 154, 3 ir deheinen strites Inste; 20, 24 diu
Oahmureten huste, des in doch ivenc gelüste.
Belangen Berth. I, 496, 1 den (dat. plur.) mohte wol belangen;
Wa. 28, 12 dax uns muox nach iu belangen. Über andere fügungen
des stets subjectlosen verbs s. MZ. I, 933. Erlangen Pz. 218, 30 in
(acc. sing.) tnac hie stens erlangen; 821, 26 in dorf't da niht erlangen.
In anderem sinne ist erlangen persönliches verbum, s. MZ. 1,933. Ver-
langen Berth. I, 495,39 sie (acc. plur.) verlangete siner künfie wol sere.
Zogen Nib. 738 in (dat. plur.) xogete ivol der verte 'sie hatten es
eilig mit der fahrt'; 767 den boten xogete sere xe lande. Über sich
zogen s. oben.
Beträgen Pz. 171, 18 onch sol iueh niht betragen bedähter gegen -
rede; Wa. 103, 8 swen des wil betragen; Berth. I, 102, 7 so betraget
sninelichen xer kirchen xe genne.
Beviln Pz. 214, 24 sins hers mich bevilte; 567, 29 des galmes
het in so bevilt. Selten mit persönlichem subject, wie Pz. 415, 28 ir
hetet iueh gähs gein mir bevilt 'mir zu viel getan'; im passiv 174,16
deis von in allen wart bevilt 'dass es allen viel däuchte'.
BEITRÄGE ZUR MHD. SYXTAX 357
Benüegen Berth. I, 5, 3 dar an benüeget den tiuvel niht; doch
255, 31 die mügent lihte gebeten, daz ez got benüeget, wo e% be-
stimmten inhalt hat (ez 1). Häufiger genilegen: Pz. 201, 22 des na
niht ivü genilegen manegiu ivip; Berth. I, 414, 22 iuch gen Heget der
kdchverte niht. Berthold hat öfter an oder mit als den genitiv, z. b.
I, 245, 2 daz den tiuvel an sinnt Sünden niht genüeget; I, 360,28 in
genuocte mit einem züne niht. Auch findet sich der dativ statt des
accusativs I, 381, 14 den riuivcn da gote mit genüeget.
Nur bei Berthold habe ich betriegen, wegen, erbarmen in
subjectloser fügung gefunden: 1,251,27 und ist ez da: iuch dar an
betriuget 'dass ihr euch darin irrt'; T, 508, 20 swie in (acc.) doch umbe
den lip niht hohe wiget; II, 158, 20 da-, iuch als wenec erbarmet über
arme Hute. Gewöhnlich heisst es d/'i erbarmest mich, oder ich erbarme
mich über dich. Einige belege der subjectlosen fügung gibt Wacker-
nagel im Wörterbuch zum lesebuch.
Troumen wird selten subjectlos construiert, wie Iw. 3530 wan
dax ich ir doch pflac, so mir na troumte, unmanegen fac, vgl. auch
MZ. III, 118. Meist ist ein bestimmtes subjeet vorhanden, wie Wa.
124, 2 ist mir min leben getroumet; Iw. 3517 mir hat getroumet michel
tugent; Wa. 94, 21 da getroumte mir ein troum, oder ein nebensatz
ist subjeet: mir troumte daz — , mir troumte nie — . Wa. 23, 11 ez
troumte dem künege, ez wurde beeser in dem riebe und Xib. 13 (nach
Lachmann) ex troumte Kriemhilde wie - liegt ezS (oder 4?) vor.
Dunken (bedunken) gehört insofern hierher, als es mit einem
nebensatz und vorausgehendem des, also subjectlos construiert werden
kann, wie Iw. 990 daz in des dühte, dax — . Ebenso 3808. 7244;
Pz. 400, 13. 430, 7. 584, 6. 657,22; Berth. 1. 469,24. [sl kein des
vorhanden, wie Pz. 148, 12 mich dunJcet, er welle striten, so ist der
nebensatz subjeet. Über die construetion mit bestimmtem subjeet und
prädicat, wie Nib. 753 dö dühten disiu meere die scheenen Kriemhilde
guot, bemerke ich nur, dass in relativsätzen das subjeet {e% 1 ) bisweilen
fehlt: Nib. 1862 ich solz in gerne büezen, swie si danket guot; Iw. 1715
daz er vilere, swar in dühte guot.
(Qe)zemen bedeutet erstens 'angemessen, geziemend sein, ge-
fallen9 und hat dann ein bestimmtes subjeet und den dath bei sich,
wie Nib. 1202 der rät enxceme niemen wan eime degne. In neben-
sätzen mit als fehlt nicht selten e\ 1. das das subjeet vertreten würde:
Nib. 348 dö ivas ir gesinde gexieret als im gezam, ebenso 705. 11m>.
Pz. 736, 30. 744, 18; dagegen Pz. 571, 16 er tet als e-, der wer gexam
(das tun); 807,29. Nib. 1833. Einem nehensat/.e mit da% gehl in der
358 BBRKHAKIVr
regcl ezA voraus, wie Pz. 133,27 fürstinne <■-. übel tarne, <l<r. <i da
mi ii im nceme; Nib. 2020 ez xceme vil wol volkes trdst, da* dit Mrren
vcehten te aller vorderdst; oder Liegl e% 3 hier vor? Über den dativ
trdst vgl. "Weinhold, Mhd. gramm. §448. Zweitens bedeutet (ge)xemen
'angemessen finden, gefallen finden an etwas'; dann drückt es eine
seelische empfindung aus, verbindet sich mit dem acc. der person und
gen. der sache und ist immer subjectlos, z. b. Pz. 710, 16 siven ir
humbers nu gexem. Ein folgender nebensatz hat meist des vor sich,
wie Pz. 545, 10 sone darf iueh niemer des gexemen, daz — l.
In gleicher weise, wie die soeben aufgeführten verba werden ge-
bresten, gebrechen, xerinnen gebraucht, bei denen der begriff der
empfindung zurücktritt; vgl. oben das entgegengesetzte mir wirt eines
dinges über. Alle drei verba können auch ein bestimmtes subjeet
haben.
Gebresten Iw. 3564 daz im des sinnes gebrast; Wa. 88, 3 im
gebreste muotes. Mit an Pz. 57, 13 swenhe ir an hüls, -ließe gebrast.
Ebenso wird das seltenere gebrechen construiert: Pz. 412, 10 ob im
ellens niht gebreeche; 806, 19; Wa. 83, 22 swä den gebrichet an der
kunst.
Zerinnen Nib. 1600. 2087 in was des tages zerunnen; 165 mim
xerinne miner friwende; ßerth. I, 316, 10 was dir aller frouwen so
gar xerunnen; vom teufel 56, 31 und sonst oft ime xerinne danne
alles des fiures.
Geschehen und gelingen haben wie gän, ergän , komen, sich
zogen, geziehen den grundbegriff der bewegung und bezeichnen, so
scheint es zunächst, etwas von aussen an den menschen herantretendes;
aber im fehlen des ex schliessen sie sich an die soeben besprochenen
verba an.
Geschehen verbindet sich mit einem bestimmten subjeet, wie
Nib. 2086 der gröxe mort geschach, das, wenn erwähnt, durch exl oder
daz ersetzt werden kann. Das subjeet kann ein nebensatz sein, wie
Pz. 354, 28 öwe daz Beärosche ie geschach daz ir porten suln ver-
müret sin; Wa. 75, 1 mirst von ir geschehen daz — . Dem nebensatze
kann ezk oder daz vorausgehen, z. b. Berth. I, 213, 17 und also ge-
1) Eine eigentümliche fügung findet sich Pz. 744, 14: Got des niht lenger
mochte, da% Parxiväl (acc.) dax re nemn in smer hende solde xemn 'Gott wollte
nicht länger, dass P. gefallen daran fände, die dem toten (Ither) abgenommene beute,
das Schwert, in die band zu nehmen'. Der infinitiv dax re nemn vertritt also den
genitiv; einige gleichartige stellen sind bei MZ. III, 889 a zeile 33 angeführt.
BEITRAGE ZUR MHD. SYNTAX 359
schiht ex, dax — ; Pz. 227, 26 harte schiere dax geschach, dax — ;
Iw. 259 ex geschach mir, dax ich reit (oder ex 3?).
Beiläufig sei die eigentümliche Verbindung von geschehen mit einem
bestimmten subject und dem gerundium erwähnt: Pz. 496, 23 dinen
vater, der mir xe sehen aldä geschach; 557, 26 dem xe liden geschiht
disiu äventiure. Ebenso 562, 29. 529, 30. 540, 14. 561, 28, und im
Iwein 3366 hl der tantsträxe, diu in xe ritenne geschach; 4872. 7855.
Einmal habe ich ergän in gleicher fügung gefunden: Pz. 176, 6 dax
(relat.) iu xenpfähen sit ergienc; auch Nib. 1838 lässt sich vergleichen:
uns ximet disiu sorge ensamtnt xe trage) ine, und Berth. II, 10, 33 die
sünden beträgent dich xe bilden.
Überaus häufig steht geschehen subjectlos mit dativ und adverb,
wie Iw. 2783 sit iu nü wol geschehen si. Solche adverbien sind wol,
bax, ive, übele, leide, rehte, unrehte, samfte, liebe, ivie, sivie, so usw.
Gewöhnlich beginnt der satz mit dem dativ oder einer conjunction;
steht das verbum an der spitze, so hat es ex 3 vor sich: Nib. 1568 ex
ist ouch niemen leide von minen schulden hie gescheit)); 2322 ex ge-
schach nie manne leider mer; Iw. 1312 exh dorfte nie wibe leid* r
gescheht/.
Geschehen steht in seiner bedeutung dem oben besprochenen ergän
sehr nahe. Man vergleiche folgende sätze: ich vürht ex mir nild wol
erge — Iw. 2678 dax (conjunction) ir wol ivas geschehn; ex mac ir
leide ergän — Pz. 31, 4 im geschähe nie sÖ leide; so weere ex iu niht
als übel ergangen — Berth. 1, 213, 35 da\ im übel geschiht an /ihr
oder an sele; wie sol ex mir ergän - Berth. I, 4, 23 ivie geschiht nü
dem; sivie ex mir erge — Nib. 1471 swie halt in geschiht. Warum
hat ergän immer ex bei sich und geschehe)/ nicht? Warum heisst es
ex ergät mir wol, aber mir ivirt wol, mir geschiht wol? Ein den
menschen betreffendes ereignis kann entweder objeetiv als etwas von
aussen herantretendes oder subjeetiv als empfunden und erfahren be-
zeichnet werden, im mhd. durch ein unpersönliches verbum mit ex, oder
durch ein subjectloses. Wenn bei geschehen kein ex steht, so liegt es
nahe zu vermuten, dass dies wort nicht den einfachen begriff von 'fieri',
'yiyveoSai' enthalten habe, sondern daneben den einer einwirkung auf
die empfindung des betroffenen. Nach Grimms Wörterbuch unter ge-
schehen sp. 3839 hatte geschehen ursprünglich die bedeutung 'sich plötz-
lich wenden', vgl. das einfache schehen; daher in übertragenem sinne
'plötzlich, überraschend über einen kommen'; daraus mag sieh die ab-
geschwächte des einfachen 'fieri' entwickelt haben. Ha>s der Sprach-
gebrauch nach willkürlicher Laune zwei sinnverwandten Zeitwörtern wie
360 BKHNHAKDT
ergän und geschehen verschiedene construetion zugewiesen habe, mag
ich nicht glauben.
Im nlul. ist die Verbindung von geschehen mit dativ und adverb,
'mir geschieht wol', selten geworden; vgl. Grimm, Gr. IV. 932 und
Wörterbuch sp. .'5842.
Wie mit geschehen mag es sich mit gelingen verhalten: es Bchlies I
die empfindung des glücklichen erfolgsein: Nib. 048 wie ist iu hint
gelungen; Iw. 6619 ja gelinget eime dicke an vwei/n; Pz. 1!)8, 12 so
ist dir wol gelungen usw. Die in Grimms Wörterbuch sp. 3031 aus-
gesprochene Vermutung, das fehlen des ex erkläre sich daraus, dass das
weggelassene subjeet (der sper, wurf, schuss trifft sein ziel) dabei
dacht blieb, will mir nicht einleuchten. Wie gelingen wird misse-
lingen gebraucht: lw. 2154 dem misselinget späte; Berth. 1, 7, 6 so
enkan dir niemer misselingen; Wa. 11,3 c/// pfründen und an hirchen
mik)e in misselingen. Das seltene einfache lingen braucht Grotfrid im
Trist. 5076 wie gelingen: alles des er began, da lang im aller dikkest
an. Der ursprüngliche begriff der bewegung zeigt sich Berth. I, 555, 12
sivie lütxel im (der Schnecke) linget 'wie wenig es auch mit ihr vor-
wärts geht'. Bei MZ. I, 1001a und Lexer finden sich einige beispiele
von lingen mit bestimmtem subjeet: er Hex die lere im lingen; rät der
zno guote linget.
Anhangsweise zähle ich noch einige verba auf, die gewöhnlich
ein bestimmtes subjeet haben (worüber ich auf die Wörterbücher ver-
weise), bisweilen aber scheinbar subjectlos stehen, indem ein folgender
nebensatz das logische subjeet bildet. Dem nebensatz kann ex 4 oder
dax vorangehen.
Riuwen Nib. 2005 mich riuivet dax — ; Iw. 413 und rou mich
dax — .
Versmähen Nib. 1625 in ween versmähet' ob ich bi iu weere.
Mit ex: "Wa. 35, 31 wilx iu niht versmähen, so ivil ichx iueh leren.
Fröiiuen Wa. 110, 5 mich fröit iemer dax — .
Ahten Nib. 1965 Ilagenen ahte ringe, gevideW er immer mer.
Werten Pz. 291, 28 frou Minne, iu solle iverren dax — ; 647, 10
wax ivirret ob du dich dritigest1.
Müejen Iw. 2831 mich müet dax — ; Wa. 14, 13 mich müet,
sol min tröst xergän. Dax geht dem nebensatz voraus: Pz. 703, 18
den künec dax müete, dax — ,• ex 4: 29, 11 ex müete si, deix niht
beleip.
1) "Wa. 52, 7, iu einem gedieht, dessen echtkeit bezweifelt wird, ist ex zu-
gesetzt: dax mich an fröiden irret, dax ist imver lip. an iu einer ex mir wirret.
BEITRÄGE ZUR MHD. SYNTAX 361
Tugen Nib. 868 icax touc ob — . Mit ex 4: I\v. 2087 wan ex
entohte deheime xacjen, der minen Herren hat erslagen. Im relativsatze
mit als fehlt das subject Iw. 7296 du tele si als ir tollte; vgl. dieselbe
auslassung bei dünken, gexemen.
Helfen Nib. 2367 ivaz mähte si gehelfen dax si schre; 1297 niht
half dax si gebäten.
Vrumen Iw. 561 wax vrumt ob ich dir mere sage. Mit ex 4
2139 dax ex im lange vrumt, ob — .
Zu den subjectlosen ausdrücken gehört endlich noch das unpersön-
liche passivum, das Wolfram besonders gern gebraucht1. Es ist auch
der jetzigen spräche geläufig: dem manne kam/ geholfen werden. Soll
das verbum den satz beginnen, so muss es vorgesetzt werden: es wird
gekämpft. Gerade so im mhcl., nur ist hier die voranstellung mit ex
sehr selten; gewöhnlich fängt der satz mit einem anderen worte an:
des wirt noch gelachet innecliche, da wart ml gestochen, cid wart niht
me gesexxen, des töten ist vcrgcxxen , wie uns mit silexen dingen ist
vergeben, mir was gelückes da rcrxigcn. Nur im Nibelungenliede habe
ich einige stellen gefunden, wo das mit der negation en verbundene
verbum den satz beginnt und ex 3 vor sich hat. So 689 ex enwart
nie geste mere bax gepfleg en; 318. 964. 997. 1460. 2183 2. Ein neben-
satz kann logisches subject dos passivs sein, wie Nib. 71 1 Sivride und
Kriemhüde wart beiden dö geseit dax, — ; Pz. 750, 28 mir ist xe wixxen
getan dax — . Selten tritt dann ex 4 oder dax hinzu: Pz. 575, 25 ver-
höhne ex wart beschouwet, dax mit bluote was beton uet der estrtch;
550, 16 ex ist si gar verdagt, dax si mit her reu cexe; Berth. I, 530,22
ex ist ouch verboten von gehorsam, dax — ; Nib. 877 dax wart kauf
getan, im weere ividerseit.
Zum Schlüsse mögen die ergebnisse dieser Untersuchung kurz zu-
sammengefaßt werden. Von dem gewissen unpersönlichen verben und
ausdrücken anhaftenden ex sind vier andere an Wendungen dieses für-
worts zu sondern. Zwei arten unpersönlicher verba und ausdrücke sind
zu unterscheiden: die erste, dio mit ex verbunden zu sein pflegt, be-
zeichnet ereignisso, die von aussen an den menschen herantreten, zu-
stände, die ihn umgeben; mehrere davon haben neben dem e\ einen
casus obliquus bei sich. Die zweite art umfasst die subjectlosen verba
und ausdrücke, die zum grossen teil leibliehe oder seelische empfin-
1) Dor ausdruck r-, ist gewarnt hat immei ea , s. oben.
2) Von diesem ex. 3 ist das oben besprochene r\ 2 Byntaktisch zu soheiden;
letzteres ist daran kenntlich, dass c im oecusativ den entsprechenden aotiven aus-
druck begleitet.
362 PR1KBSCH
düngen bezeichnen. Ein etwa dabei tehendes e% (3 oder 4) ist von
dem ex der ersten art syntaktisch verschieden. Schwanken des sprach-
gebrauchs ist nicht häufig. Der im ganzen klare und feste unterschied
zwischen den unpersönlichen verben und ausdrücken mit ex und den
siihjeetloson ist im nhd. durch überhandnehmen des zugesetzten es ver-
wischt.
ERFÜRT. B. BERNHARDT.
AUS DEUTSCHEN HANDSCHKIFTEN DEK KÖNIGLICHEN
BIBLIOTHEK ZU BRÜSSEL.
Im herbst des jahrcs 1893 gewährte mir ein längerer aufenthält
in Brüssel gelegenhcit auf der Igt. bibliothek xu arbeiten. Dabei richtete
sich mein augenmerk vorzüglich auf deutsche hss., über deren zahl und
Inhalt ich mir einen überblick zunächst an der hand des catalogs und
dann durch autopsie zu verschaffen sachte. .Hochgespannte erwartungen
befriedigte das resultat freilich nicht; immerhin lief manches finter,
das einer Veröffentlichung nicht univert schien. Damals blieben aber
meine notixen über anderer beschäftigung mir erarbeitet liegen. Meines
Wissens hat seitdem nur C. Borchling auf s. 265 — 74 seiner schrift 'Mittel-
niederdeutsche hss.', teil I, einige — fast ausschliesslich nd. — hss. dieser
bibliothek kurz angezogen, wie das dem ziveck seiner publication ent-
spricht. Was ich an ausführlicheren notizen über die interessanteren
unter diesen sowie über andere, hochdeutsche Codices in meinem pulte
vorfinde, tvird darum vielleicht nicht unwillkommen sein, ivorigstcns
dem nicht, der sich mit mhd. litteratur der nachklassischen zeit be-
schäftigt: scheint es doch als ob auf diesem fehl allein noch ein paar
vergessene ähren zu finde7i und zu schroten seien. Schon längst be-
kanntes und verwertetes führe ich nicht wider an: eleiher fallen fort
die nr. 3809 — 12, 14689 und 18394 (Schwabenspiegel = Rockinger
nr. 50—52), 8860—7 (Hirsch und hinde = M8D3 nr.VI), 10615
bis 10 729 (Sprichwörter = MSD* nr. XXVII), 11083- 84 (Bertholds
Predigten = Strobl II, 277), 14697 (Tristan R) und schliesslich die
sechs, ahd. glossen enthaltenden Codices, worüber Steinmeyer, Ahd,
glossen IV, 396 — 98 zu vergleichen ist.
Aus der Zweiteilung des Hss.- catalogs ] (serie I: nr. 1 — 15 000
Burgundische Sammlung und alle vor 1836 angekauften Codices,
1) Von dem neuen, wissenschaftlichen catalog van den Gheyns liegen erst
xtvei bände vor. Soweit darin die unten beschriebenen hss. aufgeführt sind, ist dies
durch beifügung der neuen nummern in [ ] kennt/ich gemacht.
ACS DEUTSCHEN HANDSCHRIFTEN IN BRÜSSEL 363
nr. 15 001 — 18 000 Hulthemsche Sammlung 1836 angekauft, nr. 18 001
bis 22487 alle nach 1836 und vor 1870 erworbenen hss.; serie II;
er • Werbungen seit 1870, darunter besonders die Serruresche Sammlung
nnd die Codices Phillipicae) ei'gibt sich das anordnungsprineip des im
folgenden gebotenen leicht. Einzelne der s. %. genommenen abschriften
habe ich vor kurzem, während eines vorübergehenden aufcnlhaltes in
Brüssel, nachkollationieren können: zu einer völlig erschöpfenden ver-
gleichung gebrach es jedoch an zeit.
I.
1. Nr. 4300, dickes papier, XIV. jh. (1380), unpaginiert, in
quarto. Bote initialen, rotdurchstrichene grosse buchstaben, roter titcl
und colophon. Durchaus von einer hand geschrieben. Neun lagen %u
xwölf und eine zu zehn blättern (von denen aber nur die zwei ersten
beschrieben sind) bezeichnet durch Prim', S9, 3 Sext'nus, 4 S" etc. am
schluss. Wasserzeichen: Kreis mit quirl. — Schweinslederband.
Des Rudolf Wiutnawer deutsche Übersetzung der Legenda
miliar von der hl. Hedwig. Der nenne des Übersetzers, sowie das
dal um der arbeit und deren Veranlassung erhellt aus dem colophon:
Anno Dnl M°CCCmoLXXXmo translatum est hoc opus cü vita et miraclis
bte Had[wig] ad honore omptis vifgisq3 gloriose ac bte Had[wig] ad
instarn serenissimi pn'cipis ac domi Albrti fd. i. Mlirccltt III. 1349 — 9'>J
ducis Austriae Stiriae Karinthiae p Rudolphum dofl Wiutnawer anno ut
s in vigl Penthecostae deo gratias ad finem vsq3 completum.
Titel: Hie hebt sich an sand Hadwigen lebn vnd von iren zaichen
vnd gnaden di hat der almachtig gerucht v'lcihen. Darauf vorrede
(worin es heisst, dass Wintnawer auch das berücksichtigt habe, was
bruder Engelbrecht, S. Bernharts orden, von dir hl. Hedwig in
seiner Sammlung der 'guttaten der heyliginn' mitgeteilt hätte) und
Inhaltsangabe. Beginn der legende auf Id. 2a; Sand hädwig nü sälig
vnd heylig in den hinieln | auf cid geborii von geslachtlichen chunne |
Si [was edl ( nach dem vrspr&nch der leiblichen gebürd | in edelhait
der sitten si chlaret vnd leuchtet | doch was si ven edler an dem müt |
in zier der erberchait vnd in d' sei. - Schluss: Bitt auch vrab vns
dich bittend 0 salige sand Had[wig] da/ gol vns' hr' der dich derhebt
hat ze der ewigen er vnd glori vns nach der durlVtieliait des gegfibur-
tign lebns vns für zc der gesellschaft der engl Der lebl \nd reicht von
wcld ze weld. daz ist ewichlich.
(rot.) Sctfi had|wig| ora J> me tibi tuisq^ laudib; hm- lih-4 com-
pletü.
364 PBIKB8CH
.1/. w. die älteste deutsche Übersetzung der Hedwigslegende, denn
die Schleusinger Übersetzung, abgedruckt van B. Obermann, Da? lebin
sent Hedewigis, Schleusinger programm 1880, stammt aus dem jähre
1424, eint iweite ebenda s. 3 erwähnte, aus dem jähre 1451, auf ver-
anlassung des Breslauer patriciers Anton Hornig durch Peter
TPreytag aus Urin) verfertigt, und dazu kommt noch de1) seltene Bres-
lauer druck des Conrad Baumgarten vom jähre 150 1 [exemplar auf
dm/ British museumj. Keine der jüngeren Übersetzungen, dii selbst
wider vo>/ einander gänzlich unabhängig sind, zeigt sich von der
unseren beeinflußt.
2. Nr. 8879 — 80, pap.} X V.jh. (1451, mit nachtragen von 1453),
246 bll. und vordercustode mit dem eintrag': Dono R. Dni Groenen
1778, kl.quarto, [14,1 x 9,8]. Buh initialen, rote titel und colophon,
rotdurchstrichene (/rosse buchstaben. Durrhaus von einer hand ge-
schrieben. Lagt u i u S bll, he \ eichnet durch a 1, all — aV, bl, bll —
bV — zl, zll ■. V und aal. . . . ßV - hhl . . . hhV.
Geschrieben wurde der codex laut eintrügen auf bll. lla und .vT''
von Liebhart Egkenuelder, notar der stadt Pressburg, der, tvie wir
sehen werden, in colophonen und nachtragen (23b — 24b) einzelnes
über sich selbst, mehr noch über die politischen Verhältnisse Ungarns
in den jähren 1451 — 53 notiert. Den hauptinhalt seiner arbeit aber
bilden folgende stücke:
I. Bl. la — lla. Rote Überschrift: Hie hernach volget ein schone
historien von den vier swestern die Barmherczichait der frid die war-
hait vnd die Gerechtichait vnd von erst die vorred vnd die historie
haldet inn wie got mensch ist wordenn vnd ein guete gleichnnß mit
aine peyspil das vns got chund hat getan vns' sei selichait. nu Rieft"
wir got treulich an.
Diese historie ist nichts anderes als eine, ihren Ursprung durch
stehen gebliebene reime leicht verratende prosaauflösung des Thürin-
gischen gedicktes 'Sich hüb vor gotes fröne', das Bartsch p. IX — XX
der einlcitnng x,ur 'Erlösung' abgedruckt hat. Eine abschrift dieses
in der zweiten hälfte des XIII. jh. entstandenen gedicktes oder bereits
seine prosaauflösung wird, so dürfen wir auf grund der regen be-
xiekungen xivischen beiden hindern in jener zeit schliessen, entweder
für sich oder als bestandteil eines sammelcodex1 aus Thüringen nach
1) Ist es mehr als xufall, dass das gedieht auch im Kolocxaer codex (nr. 120)
steht"? Freilich könnte derselbe, falls er für <li< sc nwnmer Egkenuelder als vorläge
gedient hätte, dann xtvar aus der bibliothek des königs Matthias Huni/adi stammen,
aber nicht in dessen auftrage hergestellt ivorden sein.
AUS DKDTSCHKN HANDSCHRIFTEN IN BRÜSSEL 365
Ungarn, vielleicht nach Pressburg gewandert sein, wo unser notar sie
fand und für seinen zweck nutzte. Ich teile nun vorrede, anfang
und schluss der prosabearbeitung zum vergleich mit:
Vorrede (= Bartsch a.a.O. v.l — 18). Sich hueb vor gutes trone
ain gesprech. von dem menschen der verlorn was lange zeit, vnd do
vnss herre got sach. die gross Jamerchait die der mensch leid in der
werlt do er was geuallen in den ewigen tod. darüb das er gotes gepot
nicht behaltfi hat. vnd wie in got den menschen herwid1 pracht Ist
die red ettbas wunderlich ze hörn. Darumb hört wie gotes sun das
an cham. das er an sich nam die mensch ait. vnd vns her wider pracht
vnser sei selichait. Darumb höret ein peyspil. vnd sollet das eben
inerkenn, das ir die historie vernembt dest! pas. wie vns got der herr
erledigt hat. von dem ewigen tod | vnd ist also.
Anfang (== Bartsch v. 19 — 72). Ez was ein chunig lobleich |
dem macht nyemant gleich wesen ) der het vier tochter [ Auch het der
chunig eine ainigen sun. Nu hört vnd merke welich nam der tochter
was. die erst hies parmhertzichait. die auder hies die warhait | die dritt
hies gerechtichait die vierd hies der frid | vnd des chuniges sun hies
die wishait. Auch het der selb chunig aine chnecht den het er be-
schaffen nach sein pildnuss. Nu merkt wo ich die red hin eher | der
chnecht der was Adam j der gotes gepat vber trat | das er den Aphel
nam | dadurch wir vieln in den ewigen tod | darumb wir noch all die
angeporn sund niuessen tragen an vnser wat1 | darumb er dann vmb
sein vngehorsam v'stossen ward aus dem paradeis | darnach vber manigk
tausent iar Sach die parmherzichait den menschfi leiden liie in dem
eilend grossen jamer. quäl vnd laid. des wannt si ir henndt vnd liess
sich des ser erpannen | Si stuend auf vnv'drossennleichfi vnd gieng für
gotes trone und hueb ain red an vnd sprach j himelischer vat' moin |
Ich pins dein erste tochter | vnd haiss die parmhertzichait | der name
ist mir gegeben durch dein guet ; das ich mues sein parmhertzig | Ich
pitt dich her' got vnd vatter mein | das du dich erpannen wellest vber
dein arme creatur den menschn. her' val meins namens muest ich mich
ser schämen So ich uit parmhertzig wer viul uerluer auch meine
Damen, darumb wil ich enpern nicht, du mussl mich her' gol himelischer
vater gewern.
// Demnach sind die f. n -ir, tu lesen:
dar limine wir aooh alle
die angeborne missetäl
rnuzen tragen an unser wät.
366 PRIEBSCH
HL W" Sckluss ( Bartseh v. t52—85). Seht do chom ein
chlar gewolken vnd nam in von im augfi also da do nicht mer
sahen. Doch so warn si des in zweiuel | vrafi si noch nicht warn er-
fiilt mit den genaden des heyligen geistes1 sy stunde all vnd sahen in
das himelreich [ wan all ir begier lag an irm schepher. Die weil si
sahen in die hali | do werdenn si gewar j das bey in stuenden /wen
man mit weissen claiden | Die sprachS zu in Ir mannen von Galilea |
wes stet ir vnd schaut hoch in das himelreich wissel furbar Ihüc der
eucli benomen ist | der ist zu himl gefarn | vnd ist sitzen zu der rechten
hanndt seines vaters | vnd wirt euch her wider chömen. Recht solicher
getaner weis als er dann auf gefarn ist | des hell' vns der Junkfraun
Maria sun das wir sein angesicht an dem Jungieten tag muessen sicher-
leichen sehn wir sollen lob iehen | dem vater das er vns gab zu trosl
seine aingeporn sun der vns erlost hat mit seinem rasen uarben pluet
wir sollen ym dem sun er geben | das er sein pluet durch vnsfl willen
v'gossen hat. da (lla) mit er vns macht los von des teufeis pannden.
Auch sey der heylig geist vnser trost. vnd vns' gnad zu aller zeitt
amen amen.
(Bot.) Geendet ist die historien von den vier erüreichen swestern
des heils vnser sei durch liebhartn egkenuelder geschriben vnd ver-
pracht an sand Jacobs abnt in anno dorn :c L p'mo des selbii jars was
ein erbirdig' geistlicher prueder chomen gein wien des ordens sand
f'ranciscen de obseruantia vnd ein mitbrued' des heyligü vater sand
Bernhardin vnd was mit namen gehaissen Johannes2 gar eins geist-
lichen lebens vnd hat zu wien vil nemlicher predig getan die vor nit
vil erhört seiu Auch vil vnd vil wunderzaichen sein von im geschehen
in dem namen Jhesus vnd durch das verdien des lieben sand Bern-
hardin vnd mit seinem heyligtum damit er dy leut berurt hat vnd sein
gesundt worden jc
II. Bll. llb — 23a. Bote Überschrift: Darnach volget ein schone
historie wie got den menschen beschaffen hat wie lang Adam gelebt
hat mit seine sun vnd tochtern Auch wie noe gelebt hat vnd wie ei-
sern arch hat gemacht vnd also furbas von den geschlechte huius auf
die gepurt cristi.
Anfang: Es ist ze merken lieben prueder wie got am anefang
himl vnd erd beschaffen hat. — Schluss 23 a: Aber die päsen werden t
1) Der satx von Doch so — geistes erscheint gegenüber dem abdrucke Bartsch' s
als erklärender xusatx Egkenuelders, ebenso w. u. der ist zu himl — vaters.
2) D. /'.Johannes Gapistran; rgl.Palacky, Geschichte von Böhmen IV. s.281fgg.:
v. Krones, Handbuch der geschickte Österreichs II, 370 fgg.
AUS DEUTSCHEN HANDSCHRIFTEN* IN BRÜSSEL 367
chomen mit den teufein in die hell | vnd darinn beleiben ewichlich |
Da vns vor geruch zu erledigen | der da lebt ynier vnd ewichleich
amen.
Finis hui9 tractatuli de cursu mundi1 vitaq3 patrü et extremo
iudicio feria Sabbati affre mtis anno Lpö. (rot) desselben Iars raist ich
mit hern Bartobne Scharrach jn der stat gescheit vnd notturft gein
Tumespurg vnd mit vns Virich kursn vnd warn aus vier wochfi vnd
ain tag vnd raistn aus am freytag vor Geory vnd chome am pfintztag
vor vrbain dy ^eit chriegt d' Gub'nator Johannes von hwnyad mit de
Tispot2 vnd sein sun lag vor vilegeswär :e.
III. Bit. 25a — 46a: Hie hebt sich an die chunst vnd die eer
von dem hailsamen sterben wie sich der mensch in chrankait beraitten
sol etc. reicht bis 46a der da mit dem vater — lebt vnd herscht ain
warer got. ewichleichen amen.
Dann rot: Finis hui9 Sabbö an festü michael anno 1451 eodem
anno dfis iohs de hwnyad Gubernator regni hungarie in exercitu cam-
pestri uersus Johanne Giskra in suis getib3 corä fortalicio quodam
Nonstrakirel (?) 3 est ^stratns 7 magnis thesauris p'uatg et spoliatus p
sevissimas et tyrrannosas (!) infideles Boemos quos dns Johannes Giskra
introduxit >c.
IV. Bll. 46b — 85 b: Hernach ist aber ze merken ettbas gar guets
von dem hailsamen sterbn endet 85 b da wir denn von allem übel frey
vnd ledig werden sein ewichlichen amen das geschech.
Darunter rot: Finis huius totius opusculi feria qinta festi vndecim
milia uirginü anno dnl ?c Lp'mo. Eodem anno maleficus vir Wannko
de Rathmanow residens ^tüc in fortalicio Corompa ' compulit dnos meos
in posomo ad dandum sibi quadraginta duo vasa vini ut decias et
vindemiä mitte't in pace. Eod anno dnl mei arendauer't decimas vini
a dnö Jone de Go^than pV° flor' auri :c acta süt hec g mang lieb-
hardi Egkenueld' .ptüc notarey Ciuitatis posomens :c 1451°.
V. Bll. 89a — 245b. Hie hebt sich an ein guet puchlein Maist
Heinrichs von Hessen"' vnd ist genant das puchlein von der bechannt-
1) Über eine nd., viel umfangreichere Übersetzung des Mundi cursus vgl.
Priebsch, Deutsche hss. in England I. s. 109.
2) (ieorg von Serbien; vgl. C. L. C hassin, La Eongrie . . . (1856), s. 357 fg.
3) Gemeint kann wol nur sein die niederlagt cm- Loschom (7. sept. 1451),
Palachij Lc. IV, 511. Chassin /». 372; M. Bekeims gedieht ((,>. u. /•'. .. vaterländ.
yeschichte 1849, s. dGfyg.J.
4) Also Korompa bei Tgrnau?
ö) S. 0. Hortung, Henricus de Langenstein diettts de Hassia 1857, worin
diese schrift 8.45 als dir cin--.ii/e aufgefülirt wird, die IL ursprünglich d*itt.<cii
368 PRIEBSCH
quss der sunden darinn man \ in<l vil gut' lere. Schluss 245b: Gal
sey gedannkl in ewichaif der verbringunge diser puchlein. amen 1 löl
(rot) Jinis huius in an.no L pö.
Wir tri uilin uns nun \n den die bll. 23b—24h füllenden histo
rischen notixen Eglcenuelders über die jähre 1452 53.
:.'.'/". In anno dorn! Millmö quadmo quiquagesimo 2° Machte dy
osterreich' ein grosse sambnung \\id chaiser fridreichen als er cham
von Rom von wegfi tunig lasla den zehabfi als ein lanntsfurstfi ?nd
waren haubtleut der von Cili Graf vlreich vnd vlreich Eyzing'1 vnd
legtii sich mit macht für ort. vnd gewannen des an dem pernhart
Mitterndorfei der dos kunig purgraf was. vnd prantn das gancz aus
Ks ist dauor mitsambt in gelegn der von Rosnberg i darnach als am
.Montag nach vns' frawntag assüptionis Marie huebn si sich mit starkem
her für den ehayser. für dy neunstat. vfi habfl darein tan drey schiiss
aus puxen. da ergab sich d' chaiser in tayding. vnd antburt den kunig
lasla aus der Nennstat In das her | den si prachtfi an Mitichn vor
natiuitatis marie gein wienn mit gross' zierhait. fcessn enkegn gen mit
lieyligtumb. Studentn Junkfrawn fraun chindern. Jungn und altn. das
ainem furstn soliche zirheit in langn Jarn nie ist erstanden, als kunig
lasla vnd (24b) da zu wienn in grossii Gloria gehaltn. Es habn auch
mein herrn von prespurg seine genadn geschannkt vir v'dachkte pfert
in d! wochn exaltacionis s. cruc. anno dnl ?c ut s (=supra).
24. Eodem anno ist der herr Gubernator. vnd der Giskra mit
einander geaint wordfi auf der (?) nach ainer bewertn verschreibüg -
und die zeit was ich mit meine herrn in deren geschert zu ofn.
Eodem anno LIIdo im Aduent ward ein grosse säbnung aller
lantherrn vö vngern her gein prespurg kunig lasla ze bringii in sein
reich vnd zugen zu im gein wiefl darnach in anno LIII" | hat kunig
lasla d' Gub'nator geadelt vnd aus im gemacht ein i'reyn Grafn vnd in
begabt mit neue wappen | ein rotn lebn in ain! plabn veldüg vnd in
der lenkn tatzn ein guldenne chron3 vnd sunst mit gross' herschaft |
vnd sund' hat er im gebn Tumespurg sein lebtag.
In anno dnl Milleino quadm0 L tertio. am freytag vor Conüsionis
pauli zum abnt chom chunig lasla in die Stat prespurg mit vil her-
abgefasst %u haben scheint und xtvar für herzog Albreclds söhn, ihn nochmaligen
könig Albrecht IL
1) Vgl. %u dieser darstellung Palacky l. c. IV, 302pjy.
2) Chassin p. 374.
3) Vgl. dazu J. <J. Sehwandtneri Scriptores rerum Bunga/riearum tum. I.
p. 266 etc. [in Joh. dp Thwroex Chronica Hungarorum] .
AUS DEUTSCHEN HANDSCHRIFTEN IN BRÜSSEL 369
schuft vnd fuer aufm wass' herab vö wi[enn] man ging gegn mit der
^cessie vnd allem heiligtums vn er ging vndm himel hui9 in die chirchü
am Montag nach (darüber vor) pu'ificacönis vnd am erchtag hielt er
ain hof mit stechn Ritt1 vnd chnecht :c am Suntag nach pu'ificacönis
vordert er das heyligtüb vn br' vö mein h'ren das ward im geantburt |
am Mitichn nach dorothee eod' anno zoch er wid' gein wienn vnd fuert
vö dann alle chlainat :c.
Den schluss dieser eintrüge bildet auf LI. 24h ein
Carmen p ingressu Regis Ladi. wienne compositum
Lob x sey dem herrn Jhü crist
Zu all' frist, seind das nu ist
mit frid so mynichleichn
Kunig lasla her zu vns gesannt
In seine lanndt. frid sey bechannt
dem arme vn de reichn.
Das in vor vbel got behuet
vnd sein gemuet behalt in guet,
dadurch er genad erwerbe,
das er christnleichen glauben mer
nach weiser 1er, valschait vercher,
das nit sein landt verderbe:
Erwerb Maria, Junkfraw Rain,
vns allen gemain, Gross vn chlain,
durch deinen werden namen.
Chunig lasla hie also Regier,
das er vü wir mm' von dir
geschaiden werdn. amen2.
1) Nur die Strophen erscheinen in dir hs. abgesetzt.
2) Vgl. Schlager, Wiener skixxen II. 351fg. Bei dieser gelegenheit möchte ich
eine auf die geburt und taufe des Ladislaus bezügliche noti% anfuhren, die sich auf
hl. 78b der Additionalhs, 24071 des British museums findet, eingetragen von der-
selben hand, die im jähre 1438 den ganzen codex schrieb, nämlich r<>n Oeorius
Prunner dr Tnferiori Ruspach Presbyter Paiauiensis Dyöc. Er schreibt:
Auiio dnl 1440 in dnica qua canit' in eccla dei Remisce1 quasi ho'a t'tia noctis peperit
serenissima domla Elyzabeth liliu que misit batis'e ei inposuerül sibi aome Ladislaus
pereatü a serenissimu wgu A liierte P.oliemie ei llun^arie rege duce austrie ?c et Marchione
Morauie 21 die mensis februarij in bac silba ( sillaba) tunc '.». kt Marcii. Conipres t'u'nt
Comes Bartholomeus deSegnio 'Ins doctor Mgr. Franciscus | 9patrix Margaretha magistra
curie ipius döe regine. Et fuit baptisatus p Rev'endissimü dum archiepüi Dyonisiü
Strigonien in koniaren i magna stuba fer'a seda in kathedra Sancti Petri an FestiJ
Sancti Mathie apti ig (<=■ montag den 22. febrtiar).
ZEITSCHRIFT l. DEUTSCHE! PHILOLOGIE. BD. \\\\ '21
370
PRIKBSCH, ATIS 1)KUTSCHFN 11 ANliSCHRJI'TKN IN HRUSSFX
3. Nr. 10758 [877], pap., XVI jh. (1530), U. quarto (13,5x
9,5), 138 hin Her. (Hsl. alte blattxahlung von I — Cund 1 — 29, dann
ungezählt). Farbige initialen und Illustrationen , rot durchstrichene
grosse buchstaben, roh Überschriften. Laut eintrag auf bl. 1 gehörte
die hs. in das Collegiuni Societatis Jesu Luxemburgi und ward
geschrieben von TPrater Ernestus Dkeekerchen (hl. 95), Gebetbuch der
Irminn Letzhem; vgl. dazu ' '. Borchling I. 267 fg., wo einzelnes
daraus abgedruckt ist. Ich habe nur ein strophisches Mariengebet
hinzuzufügen, das auf bl. 5b sich findet:
1. 0 maria, maget fyn, der sonnen- 2. Du erluehtes manches sunders
hertz,
Entfeng vns der genaden kertz,
wät en were der sunder neit,
So en were dir neit das heyl
gesell i et
Das-got geboren wart vä dyr:
Des bistu schuldich zu heißen mir.
glantz, des mandes sehyn
Ynnd aller sundereyne troesteryn,
Du bioende roiß van Jesse,
Gebei'ett hais du sonder we
Das kynt de heniel vnd erde ist
vnderdayn.
() maria. eyn liehter sterne clair.
3. Sulche genade vß dir floiß,
Die quam vß des hillige geistes schoiß.
Du droiehs den schätz in dir verborgen,
Der vns erloist van der helleschen sorgen:
Neit silber noch golt noch erdesche goedt,
Dan das reyne kusche Junferliche bloit
Daz vß christus syten floiß,
Doe er den doit dorch vnß erkoiß.
4. Vol ruwen weres du zu der stont
Als dyn kynt am cruez wart
durchwont
Des bistu nu jn freuden ergatzt'
Vnnd zu der rechter hant ge-
satzt.
In dem obersten hemelschen
throen
Sytz du moder vnd maget schoen.
5. Darvmb wyr billich pryßen dych.
Des laiß du doch geneysse mich.
Wanne ich van hynnen sali
seh ey den
Wils mich zu dynem kynde ge-
leiden
Das ich hyn in ewicheit moege
loben ane ende.
Got vns van allen sunden wende.
(Fortsetzung folgt.)
LONDON.
Amen.
R. PRIEBSCH.
NEBERT, MHD. ÜBERSETZUNG DES LEBENS DER VÄTER 371
EINE MHD. ÜBEKSETZUNG DES LEBENS DER VÄTER
Von den drei teilen, welche die handschrift XI, 284 der stifts-
bibliothek zu St. Florian1 enthält, steht an erster stelle eine rahd. Über-
setzung des in lateinischer spräche geschriebenen Lebens der väter. Auf
das lateinische original, welches in vielen handschriften und fast allen
älteren ausgaben 'Vitas patram' betitelt wird, weist Hermann Palm am
Schlüsse seiner ausgäbe [Der veter buoch' Stuttgart 1868 (Litterarischer
verein 72) hin und nennt als die bedeutendste und sorgfältigste aus-
gäbe desselben die des Jesuiten Heribert Kossweyde, die zuerst zu
Antwerpen im jähre 1615 erschien. Unser text hat nicht denselben
umfang wie der Palms: während dieser aus 203 paragraphen oder ab-
schnitten besteht, enthält jener nur 108. Von diesen finden aber nur
45 eine parallele bei Palm, und 63 werden also hier zum ersten male
mitgeteilt. Der anfang ist verloren gegangen, und die Übersetzung be-
ginnt mitten in einem satze. Jeder abschnitt bildet ein ganzes für sich
und ist schon äusserlich dadurch gekennzeichnet, dass sein anfangs-
buchstabe rot geschrieben ist. Der text ist der handschriftlichen Über-
lieferung gemäss abgedruckt, es sind also auch offenbare fehler des ab-
schreibers nicht geändert worden. Hinter denjenigen abschnitten, die
eine entsprechung bei Palm haben, habe ich auf die seifen- und para-
graphenzahl Palms, hinter denjenigen, die neu sind, auf den zu gründe
liegenden text der lateinischen ausgäbe von Rossweyde hingewiesen.
Allerdings ist es mir in einigen wenigen fällen nicht gelungen, den
entsprechenden lateinischen text ausfindig zu machen.
Der dialekt des überlieferten textes ist alemannisch; das ergibt
sich aus folgenden beispielen:
1. Erhaltung der alten ahd. vocale in den endungen: luitwiui 5a,
kilchun 27 a, gehorsami 9", menigi 20a, sechzigosten 28a, Dannan 5a.
26b, hinnan 15a, dero 16b. 20a, gebi 4a. L5a enphimgi 5», wurdist
10a, wunderote 32a, erxitterote 221' usw.
2. ie für e im d. pl. dien 2a. 4a. 7a L3a L6b. 20a 22b 23a
25 b usw.
3. ä > c ((/j in xe verstenne 36b.
4. Umlaut ou > Si, 6 in iSigte 3a. 27b, xMgent 22a /'/<>,/,' 3b.
7a. 10b. 12b, fröivet 30 b.
5. Aus!, ii für /// in kein 5a. 5b. L0b. L2b. I4:l. I5b usw.. naktän
6a, bön 23b, heinlich 32a
6. r>l in Ulche 9b laichen I:'". 34b, kilchun 27a.
1) Vgl. Zeitschr. 34, 14.
24 *
372 NKBF.HT
7. Die formen Ich machen 5a. 20a, ZeA loben I3b, kriegen ich
\\):\ betten ich 20a, jcä getrüwen 27a rail bewahrung des alten //.
8. Die formen &r -so/// 21b, .so// (3. pl. ind. praes.) '>'. /'//// //• 5a
mit assimilation des Inlautenden /.
!>. Wir sien (ind. praes. sigen) 29b. 34b.
Die tonnen dien und /./■ verstenne machen es wahrscheinlich, dass
unser text dem südalemannischen angehört (vgl. Zeitschr. 33,468. L72
und 34, 14).
Auch d;is original der Übersetzung scheint in Alemannien oder
wenigstens in Oberdeutschland entstanden zu sein. Darauf weisen die
wörtcr füret 4b, fürer fr', stungen I2a, pfistri 23% p fister 26*, .;/• wer-
schatxe 26b hin. 'Den angaben der Wörterbücher füge ich einen sicheren
beleg für die Zugehörigkeit von xe uerschatxe zum alemannischen sprach-
gut hinzu. Er findet sich in einer Urkunde des graten Hermann von
Homberg, welche am 10. november 1295 zu Basel ausgefertigt wurde:
und dm weder der herscheft husgesi/nde von Homberg noch die
burger von Liestal, die drinne gesessen sint, niemer dekeinen ver-
schal:, gebin (Heinrich Boos, Urkundenbuch der landschaft Basel I,
133, nr. 183).
Dem Schreiber des Palmschen textes, Nikolaus Herbord von Öls,
waren als Sehlesier diese oberdeutschen ausdrücke unverständlich, und
er hat deshalb dafür solche Wörter geschrieben, die entweder überhaupt
sonst nicht vorkommen, oder keinen sinn geben.
Den beispielen, die Palm s. 88. 89 anführt: fuier für furer 55, 17,
priester für p fister 17, 20, füge ich noch folgende hinzu: für stungen
12 a setzt der schlesische Schreiber das keinen sinn gebende steigen 47, 5,
welches Palm in stechen verbessert hat — %e uerschatxe 26 b (= fähr-
geld, schiffslohn) ändert der Sehlesier in %v vertschefte 80, 35, welches
in den Wörterbüchern nicht belegt ist. Palm hat hieran keinen anstoss
genommen.
Über das Verhältnis unseres textes zu dem Palms soll hier nur
so viel gesagt werden, dass beide nicht auf dieselbe vorläge zurück-
gehen können, weil nicht nur die anzähl der abschnitte, sondern auch
ihre reihenfolge in beiden durchaus verschieden ist.
Da die ganze St. Florianer handschrift von einer hand in einem
dialekte geschrieben ist, so gilt für die entstehung unseres handschrift-
lichen textes dieselbe zeit, die für die predigten des Nikolaus von
Strassburg (Zeitschr. 34, 14fg.) und für eine alemannische fronleichnams-
predigt (Zeitschr. 34, 55) festgesetzt ist, nämlich die jähre 1325 — 1350.
MHD. ÜBERSETZUNG DES LEBENS DER VÄTER 373
Wann das original der Übersetzung entstanden ist und wer sein
Verfasser war, ist unbekannt.
(la) iar alleine ob einem backe de si nie dur enkein kurxwil in das wasser
gesah (Palm 44, 18 = § 131). — Tperieius speh. von uastenne ein tum lip <h hebt
dir selr uf vs <P vinsternisse vn derret bös gelüste (Palm 40, 11 — § 137). — Siluanus
d' abt vn uieharias sin iung* käme sament 7 ein klosV. vn do sü däne wolten
scheide do bette sü die brüd' essen e das sü vö inen schiedin. Des uolgeten sü
inen vn gienge~ do iren >ee<j. vn uf <h Strasse do uant uicharias wasser vn wolle
des trinken. Do speh ds alte, sun vnser uaste ist htittt . Der iung' speh. vatt1 wir
habe doch gessen. Do sßch der alte. Das essen was der mim . sun wir sule halte
vnser uasten (Palm 40, 13 = §138). — Theophilus d' erxbischof in alexandria latte
eins males etwie mangen abt in sinen hof vn wolte mit inen bette de du takle d'
abgölten terbrechin. Dise altuett' axen mit dem bischofe kelbrin fleisch vn spräche
mit. Do nam der bischof einen braten vö siner schüssel vn gap in eime abte d'
bi wie sas vn sjich. sih dis ist gut fleisch isse es. Do spräche dit münche. wir
wände vn% nu wir exin krüter ist es ab' fleisch so essen wir sin nit mer. also
Hessen sü do das fleisch von in trage de sü uor vnbedahtklieh hatte gessen (lb) vn
darnach ax ir kein' me (fehlt bei Palm. Rossweyde V. 1,63 =572a). — Ein bräd'
fronte einen alte vn sprach, was sol ich hin. min gedenke sini alle \it an m-
küsekkeit geneiget vn ich mag ein stunde nit geräwe dar umb truret min sele. Der
in
alt speh. Seiet ds tüuel in diu h'xe vnhüsch gedenke so rede mit dinem gemüte
dar vö nit wä es ist des tieuels werk d' versuchet also dii lüte. Doch mag er
nieman betwingen. es ist an dir ob du es wellest enphahe od1 nit. Madianite
Messen eine)- sehiaht lüte die werte ir toht'en vn sasten sü an die Strasse da die
israhelschen hine ritten, die frbwen twunge nieman de er t,i inen legi doch uieien
die etliche mit inen in sünde vnbenötet vn wurden erschlagen. Die and'n u'smaheten
sü ab1 vn räche die sünde. also ist es bch vb die vnküschen ged nh . D' braei
speh. Ich bin blöde vn übhoindei mich min bekorunge. !><> speh d' alte. So dir
kome in din h>xe de% tieuels anuechtunge so antteürte irem rate nit. ile an dm
gebet vn spche. Wre ih'u xpe gottes sun erbarme dich üb' mich. Der worte kraft
r't rittet den tüuel vö dir (Palm 47. 2h j? 141). — Ein bräd' was heiliges lebens
den maite d' tieael gar sere mit anuechtüge d' vnküschkeit darwnb gieng
eime alte vn seit im sine gedenke. D' alt sp'-h. Swer sogtan (2a) gedenke enphahet
der ist vnwirdig münchlichs ordens vn wirt uerlorn. Dauö wart d' brud' v'xwiflende
an gottes erbermde vn schied uö sin' edle vn wolt wid' gangS sin in die weit. Nu
fügte vnser h're de im vfd' uerte begegete ein abt d' hies Apollo der sah in trurek-
tiehen ijan rn fragete in narnmbe er betrübt w'e. Do schämte sich '/' brnd". vn
nach lang' /rage seit er im nie er vö vnküschen gedenken :>i dem alte was körnen
vnd wie er uö de: worten x,wiuelhaft was norden vn um er wid' wöli gan in die
Welt Do dis Apollo erlna-lr snn sj'ich er fnrhle dir nit. liab , nlainc \ieiml. Ich
wird in disem altur uö vnküschen gedenJci aar vil vn dik angeuohte, tmre nit in
dinen arbeite die ane got nieman überwinden mag. vn gäg bat durch min bette
Wid' in din reite. Das /et er. Do [ar d' ab/ uö im ,h dis alten cellc </' in da
\iriaelhafl halle gemachet, rn nsser halb d' Celle bat er insem h'ren weinende also
H're got du tust allü gütü dßg verk'e des iungen brüd's anuehtüge an disen alti
d, er an sinetn aller l'ne dien iungS glöben dii so gron mart' uö bekorüge lident.
ni mich deine ijebetle sah er einen mon stau uor des alten cellc rn durch in
374 NEBEST
sckiessS ma/mg (2b) schox. Dauö wart der alte reht ah ein? d' trunki ist hin vH
her Idfende vn für it/mbe ah ei/n töbiger man. in </<> er nit >/"■ liden mohtt do
gieng er vs d' Celle. vn null ihn selbi weg in du weit singega/ngi den öeh d' iungt
brud' was gegangen. Nu uerstünt Appollo >i abt wol vir, es umb <li m alten geuarn
was rn begegente im Sek vf derne weg vn spch. war will du. was ist dir dauö 'In
so trurig bist. Do wiste d' alte Seh wol </< Appollo d' abt sin sacke wol erkandt
vn s/ecig uor schäme. Do spch d' abt. Gang wider in din celle m erkSm fürbat
din kranhheit. vnd habe dich selbi da für dax dich in ml nil erkennet od* dich
v'smaket darumbe de du nitwirdig bist sin* anuehtu/nge als ander heilig UUe. wa
sa nun anuehtüge du mohtest dock einen tag nit wider striten. Dis ist dir dauö
wid'uarn de 'In eer:/ei/litnge moehelest mi ihm in/nje brlhV din iln sollest Imn
getröstet, vn uergesse des gebottes vnsers h'ren gottes de er sprich^. Löse die lüte
die mit füret : ii dem tbde. Nienm mag des tüuels läge vnd der wallenden natur
hitxe erliden nun <h ihn gottes erb'mde nil behalten. Nu suis wir beide samet
got bitte de er dir abe neme die geislen die (3°) er uf dich Imt gesendet, toä er gif
we rn nid er slahet rn heilet, er nid't m höhet, er tötet vn mucket lebend, vn nah
d lere spräche sü ir gebet, vn du nur/ d' all erlöset rn sin' arbeit. Do sprach
ihr abt Appollo \n di nie alten. Bitte got de er dir gebe wisheit xe sprechenne
sind wort so es ;ii ist (Palm 51, 30 = § 149). — Eij< brüd' hatte leid vö dem geistc
d' vnküschkeit. D* gieng xü einem gar heilige abte vn sprach, vil seliger im//'
bitte über mich ivd mich richtet der tüuel swarlichen an mit vnküschkeit. Do bat
d' alte tag vn naht gar flixeklich got üb' in. vn er kam aber \n dem alte vn bat
in alles de er got für in bete. Do begonde d' alte truren de got sin gebet üb' den
brüd' not /rolle erhören, vn in d' selbe nacht xöigte im ins' h're in dem geistc
den selbe brüd' wie er sas vn d' tieuel uor im spilete in dem bilde maniger hand
wiplich' forme vn wie d' münch mit glüsten des /cor nam. Er sah och einen
enget da stan mit trurig' geberde wids den brüd' de er sin gedenke so lieplick hielt
rn si'i mit gehette vn mit venierme nil v'treib. Do erkunde d' heilig man de er
mm des münches schulden eh' in niht erhöret nur/ vn sprach. Brüd' du Lisi
schuldig, du teilt in bösen gedenken diu wollüst hohe. (3b) es ist nit möglich du:
ieman disen tüuel uö dir r'tribe mit sime gehette m mit andre arbeite du /teilest
den och mit ime arbeit höbe bettende vnd uastende vn wackende m weinende gottes
hilf suchen de du dine gedenke mögest wid'stan. S/rele sieche nit essen vn muten
wil de in sin arxad heisset d' mag uö des arxades wis' kunsf nit genesen, also
ist es och umb d* sele sicchtüm. D' heilige gebet hilfet nieman d' im seihe nit
helfe ivil. vn also uö dez heilige abtes lere wart d' brüd1 cricecket xe gute dinge
vil kestiget sinen !ij> mit uastene vn mit wachene vn mit bettene r/r. dos vns's
h'ren erb'mde i/uc alle sin arbeit ab nam. vn wart ein heilig' man vn uerdinete
die ewige fröde (Palm 54, 11 = § 151). — Theodorus d' abt hatte dr/'t hoch d' gieg
für machariü den abt vn spch. ich hau dr/i hoch da lisc ich an d/tr besserüge vn
lise od' lihe sü och den brüdern die hesserent sich och dar ab. Sih we sol icli da
mitte tun. Do speli machariü. es sint gar gütü werk, doch w'e besser xemal m/t
habe. Dax horte Theodor 9 vn v'kofte du buch vnd gap die Pfenninge dürftigen
(fehlt bei Palm, Rossweyde V, 6, 6 = 582 a). — Pambo hiex ein abt d* rersmahete
gold vn silb' nach gottes gebotte wa~ er was an alle (4a) tagende uolkomen. zfi deme
kam ein edelü maget uö Rome du hiex Melalia vil brahte im drü hundert pfunt
silb's vn bat in de er etwas ir gutes nemi. Nu machet er in siner celle körbe vn
grüxte si vn bat ir got Ionen mit kurzen worte. Do hiex er sine iung* de silb'
MHD, ÖBBB8ETZ0NG DES LEBENS DER VÄTEB 375
alles glich (eile vnd' dir brüd' die da im reu in Lybia vn vf den inseien wä du
klSst' waren arm. vn uerbot im de er dien brüd'n i Egypto icht gebi wan dm,
laut hatte uil spise. Nu stünt du frdw vn wartet sins segens od' sins lobes umb
die gäbe. Do sweig er. vn si sjteh. k're weist du den Silbers sint drü hund't pfüt.
Do speh er. 'locht* dem du dis silb{ hast gegebe d' In darf nit de du im kündest
>cic uil sin ist. er hat alle berge gewege. so mag er bas wissen dins silb's gewege.
Ilettist du mir es gebe so möchtist du wol sage wie uil sin ist. Nu gehe du es
gotte r/! v'smahet enkein gut. dar umb sw ige vn rüwe (fehlt bei Palm, Rossweyde
946b). — Sincletiea du heilig fröw sprach, es ist gar gut der niht hat. Des libes
arbeit ist d* sei rüwe. so man swarxes gewant vnd* den fasse triftet vn keret es wirt
tri: vn schön, also gesehihet och d' sei uö des libes arbeiten (fehlt bei Palm. Ross-
weyde V, 6, 13 = 583a). — Sinclecius hics einre d' widerseit d' weite vn gap sin
gut armen lüte vntx an ein teil den behielt er im selb'. : ü dem speh Basilius.
(4b) Du hast uerloren od' v'laxe die senatorie vn bist doch mit ein münch (fehlt
bei Palm, Rossweyde V, 6, 10 = 583 a). — Ein brüd' fragte einen alten wa mit er
behalten möeht w'den. Do xoh cV alte sin gewant ab vn leite einen gurtel muh
sich vnd strachte sine hende uö im vn speh. also ngekent sol ein münch sin vö
weltlicher maVie. vn sol sich selbe krüxigen de er weltlicher bekorunge müg ange-
sigen (fehlt bei Palm, Rossweyde V, 6, 16 = 583 b). — Ein heilig' dbt was l egypto
der cjieng vss' sin* celle. do kam im ein gedank das er die stat durch got lie\e.
dar umb enkam er nüt wider in die celle. D' selb alte hate all' d' weit gutes nüt
nie dene ein nudlun da mit er bleW spielt vn /lacht alle tag an ieklichem drü
seil da mit hafte er sin spise (fehlt bei Palm, Rossweyde?). — Ein briuV hatte
alles gutes nüt mc den ein buch dar au stünde du ewangelia. da* v'kfiflt er vnd
gap die Pfenninge arme lüte vn speh do. Ich han de tcort v'köffet vn armi tüten
gegebe de mir alle %it seile. v'kSfe allu die ding die du hast vn gib su den armen
(fehlt bei Palm, Rossweyde V, 6, 5 = 582a). — Ein man bat einen alti de er sins
gutes nemi. Do enwolte er sin nit wan er speh er w'e sin nit notdürftig, vn speh.
Das w'k min' handen füret mich. Nu bat er in de er es dur arm' lüte not wölti
neme. Do sprach d1 alte, hie uö gewwie ich twen schade, einen das ich nemi
des ich nüt bedurfte. (5a) den and'n de ich vppig ere enphieng'i uö dl gäbe frömdes
almüsens (fehlt bei Palm, Rossweyd*' V. 6, IT 583b). Von kriechen kamen ein1
\it lüte vn brachten ir almüsen in ein stat vn baten die priest't das su inen
xeigtin an wem es wol w'e bekert. die priest' fürte sü tu einem vxsetxige. dem
butte sü das almüsen. der wolt sin nit nemi vn speh. Ich machen vs palmen
matten da mit gewinne ich brat ze essen. Dannan form sü te einre leitwun celle
vnd stiexen an die tür. da kam d' witwen toht' nackent gegange, d' butte su ein
gewant vn pfennige. des wolte si nit vn speh. min müt' seit mir. ich Imb got
gesendet ein werk da mit wir vns' notdurf gewinne, in der rate kam du müt' di>
bäte sü öch de si ir almüsen nemi. do speh si. vnser herre got ist min bei
icent ir mir den hüt nemen. vn enwolte ir almüsens nit. dann wurde sü gel
vnd Iahten ejat (fehlt bei Palm, Rossweyde V. 6, 18 583b). ■ Ein alt einsidel
was vxsetxig 'lern bot ein guter man sin gut vn speh. habe di< pfennige tu diner
terunge. du bist alt vn siech. Do speh <l alte, kämest du nach sechzig iareu d,
du mir minen fürer hemmest, die lange tii bin ich siech gewesen vn gap mir got
min spise de mir nie gebrast, also trug d' man sin gut wider hein (Palm 55, I l
§ 153). — Ein brüd' konde garten (5b) buioen. </' arbeite gar eil vn gap armi
Ititen swas er nie sin no/durft yc/ea. Dem riet d' tüuel de er also ydahte in im
376 NKBKRT
selbe. Stimm- dir :elln itnii VÜ />/'< n imjen dt dir nn diner.i alter od' ob <//>
w'dest nit gebreste. also fulte er ein Idgelli mit pfSnmgS. Darnach wart er siech
ni wart im ein fir. swellSde vn uerxarte alle sine pfewnXge mit arxaden de im
nie enkeine gehelfen mochte, xe mngest Itü ein wiser arxad vn spch. wir m
disen fi'r. abschlahen od' aller diu li/p fulet. des uolgte im d' brüd'. vn in dem
irillc für d' arxad kein nach sime gesekirre. vfi d' selbe nacht gedahte d münch
an die künftige arbeit vn wevnete vfi ermante got mit disl wortS. h'r gedenk an
mim} erste nirl: irie ich mit minni min Hin unm Inten half. Der worte antwitrte
imv gottes cimc/. also, wa sint nu die pfennTge die du ha t gesamnet. wa ist nu
diu .iiiesihi. Do uerstünt d' brüd' wol was er meinde vn spch. Ich habt gesundet
de vergibe mir h're got ich tun es nit me. Do berürte im d' enget sini füx vn
imichte in gesunt. Des morgens frii giSg er arbeite an ■■-■inen aclcer. Der arxad
kam als er hatte gedinget mit sin' bereitschaß vn wolt im den fi'r. hon abge-
schlagen. Do wart (6a) im gesell de er an dem acker was. des wund' et in sert vfi
gieng selb xü im ni null in wol gesunde, vn sü loptö beide vns'n h're got d im
die groxen gnade getan halte (fehlt bei Palm, Rossweyde V, 6,21 = 584
Bistamonem den abt fragte ein brüd' vnd spch. Ob ich and's mag han des ich
bedarf dunkel dich gut de ich nit arbeite v/nb min notdurft. Do sprach d' alte,
swie uil du habest dar umb sinne dich nit mit arbeitene. In doch swas du ie mer
fdrhringc mdgest (fehlt bei Palm, Rossweyde V, 6,11 =583aJ. — Agathon d' abt
rih/e alles sin ding mii besehe/ denheit. sin gewant /ras also de es niemä für gut
■noch für bös mohtc angesehen. D" selb spch \n sine iügern. Eins münches kleide r
s/'dlent sin de sü frost vn naktiin muge v'tribe. vn son ane die ua/rwe sin uö d
de h'xe in hofart od'' in boxheit muge genauen (fehlt bei Palm, Rossweyde IV, 75 =
5l2b). — Agathon den abt bat ein brüd' de er in bi im liexd hüben, den enphieng
er. vn sah in in d' hand ein glas trage. Xu fragte er in w' im es hete gegeben.
Do seit im d' brüd' de er es vf d' straxe hetti fanden. Der alt spch. Leitest du
es dar. Do spch d' brüd'. nein. Der alt sj'ich. wie will du 'leite bi mir Mibe, wir
habe uor vns'en öge gottes gebot also. Heger noch cnstil nieman sins dinges nit.
stv' frömdes gut stilet d' ivirt ein tüuel. vn er spch. Slang vn lege es wid' da du
es (6b) och neme. vn blibe danne bi mir (fehlt bei Palm, Rossweyde V, 4, 8 = 568%
1002a). — Ein brüd' fragte Arsenium vn spch. u-as sol ich tun. min gedenke
sprechet %ü mir. tvas lones tvirt dir du mahl mit nisten noch arbeite; noch siechen
pflege. Do sah d' alte de es des tieuels sainc was vn spch. (lang vn isse ende
trinke vn schlafe vn bis echt du in diu' cclle vnd gang nit rs. wä stetikeit in d'
celle bringet manche in rchten ordert. Also sas d' manch drie tag in der eelle vn
begonde in v'driezen müxig xe sitxenne vn begondc vs palmen matten flechten, so
in begonde hung'en so schalle er vs and'en palme de er ax. vn so er gessen hatte
so spch er xü im selbe. Ich sol etwie vil sahnen spreche so isse ich deine sicher-
liehe, also besserte er sieh mit gottes helfe ie me vil ie me vnx de er in rchten
orde kä. vn ivart so endelich de er bös gedenke üb'wand (Palm 57, 10 = § 158). —
Anthonius d' heilig abt saz in siner celle. Do uiel sin gönnte in rrdr/n vnd in
schedlich gedenke. Do spch er. h'r got ich tvolte behalte w'den so enlaxent mich
mine gedenke, /ras sol ich in disen arbeite tun. wie sol ich behalten w'den. Nu
gieg er für die eelle do sah er einen enget in sin selbes glichnüst sitze vfi w/irke.
D' stünt vf ab dem werke vfi gieng an sin gebet, vn (7a) darnach sas er ab* ab'
sin mattun. Dar ab gieng er ab' an sin gebet. Dis was gottes enget vil lerte
anthoniü reht lebe vn spch. also tu so wirst du behalte. Dauo gcivd anthoni9 groz
MHD. ÜBERSETZUNG DES LEBENS DER VÄTER 377
fröde vn. tet nach des Sgels lere vn erwarb de himelrich (Palm 57, 23 = § 159). —
Paulus d' gar heilig abt was in ein' wilden einSdi. da lebte er nit wä d' palmen
fruchte vn eins kleinen garten, vn moht and's Werkes nit getribe des er sich he-
gienge wä es was wol sibe tagweide vö dien lüte. vn de er nit müxig sessi so nam
er palmc hielt' vn machete dar vs matten iekliehs tages sin gesastes werk als ob er
sich dar im sSlti began. vn so er denne sin celle werlces hatte erfüllet vn im es
niemä ab hi/fle so v%brand er es alles sannt vn machete de~ne ab' and's. Dis treib
er allü iar die wile er lepte. vn bewarte da mit de < in münch an enkein' stat
geh'ten mag ane wsk noch mag an fügenden niem' uolkome wsden (Palm 58,1 =
§ 160). — Ein einsidel sas in einem walde dar Linnen arm lüte wid' abeni nach
dem almiisen. nid ein' naht schliefen sü da. do hatte ir einr da nit nie ihn einen
mantel den leit er halbe üb' sich, m halbe vnd' sich wä du /ras gar half, r
a/tc gierig es rn horte den selbe arme sich klage im dcni [raste, (7b) doch gap er
im selbe /rast vn spch. Hrc got du sist gelobt, nie nmnig riche man nit Hl in
geuanknüst vn ist in isen a<l in höh gebunden vn enmag dar tkein sins libes not
vf gestern, so bin ab' ich als ein heiser ich strecke a/in arme m min faxt vn gan
s/rar ich teil. Das horte d' alte vnd seit es sinen brüd'n durch lere dir unirden
daran sere gebessert (Palm 58, 12 = § 161). — Ein alter /ras in cinre gar wilden
irüsti d' halc gar gm: arbeit mit uastene ra mit andren geistlichen dinge, zu dem
käme brüd' vn spräche, ratter wie macht du erliden dise türren vnsuuem stat.
Do spch d> alte, allü min arbeit die ich hau gelallt alles dir. :if so ich hie bin
grinsen du enmag sieh nit glichen ein' stunde in /h ewige mar/', wir mi'r.cn in
dem kleine xite dix /ebenes vnsers libes glüste derren de wir w'de windende
künftigen weite die da niem'- xergat iemer w'ende einer (fehU bei Palm, Rossweyde
V, 7i 25 = 588 h). — Ein briid' viel in bekorunge vn begonde dann ab br.cn sin
gebette vn and' tagende die er aar halte geübt vnd im sin rege/ gebot. Nu hette
er dike gern ivid' an geuaugi. 80 gedachte er dt nr. In nam. wenne SOÜ dir irUlc
als dir r uns rn b/ri/i also in rinn- \iriuel. doch gieng er xil 'S") einem alte m
Hegte ime sineu kamb'. Do seit im der alte dis mere also, ein mä hatte ack'e die
wurde uersumet mit buwe nr. da: die dorne vn brame vnd and' vnkrut dar vffe
Üb' wuchs. Darnach gn/al/tr rr sü irid' :c buir,ne e,i s/ich :n sinir snne. Gang
vn r/ile die ack'e de sü wid' schöne w'den. I> sun gieg vf das uelt vn sah de es
so vol dorne m vnkrutes /ras. De erxegte in /ins er spch. wene möhte ich dis
nisnncr aeld rein gemachen, m leit sich nid' schlafen, also tet er mengen tag.
Darnach kam sin vat' vn wolle besehe was er hetti geschaffet, vn do er es vngertitet
rn wüstes mint do spch rr. sun war nmb hast du do: nrld nit gerinne!. Do
d' sun. vatt' so ich an sah die nunige ds dorne vn de* hohes) ,/, erxegte mich vn
begonde schlafen. Do spch d' Witt', sau snide od' rii/e iekliehs tages als vile vn
als wite abe als du ligende vf d' erde die breiti mäht bedecken also gat diu werk
wol für sich vn vsxage nit. Dax tet der iungling vn wart da: ucld in kurxer \it
irol gebuire. Pas mere behielt r/1 brich rn begm/e wid' aurahr guh'i tr'k rn Iril ie
hos rn ir bas :a rn: de rr mit gottes helfe wider au die rrrun n/osse kam (Palm
64,6 -§172). — (8b) Ein aller woneti in einem hohe ds hatte einen beu
in/ig1 bi ime den lerte er noch gewonheii alle nähte ihr. sinn- sele ntita /ras. m
nah ih lere spräche sh ir gebet, darnach hie: er in denne schlafen, rn eins males
kann gut ire/t/ieh lütt :u dem utile nmb ir seh heil, die Irrte er des Sit fragten rn
lir: sa iiaru. Darnach sa : er ab' :e lerne üb' sineu hing' nnl entschlief </' alte
in d* rede wä er aas müde. D' laug* gedachte uor im er wölt liht Seh schlafen
378 NKISKRT
gan. vn wid'stünt dem gedanke sibenstunt wä in d' alte nüi hatte gekeixS Blaß
gem. Nach mitternachi erwachet d' alte vn fragte den brüd1 warumb er Seh mit
hetti geschlafen. Do spch er. vatt' du hiexe mich es nit ah din gewöheit was.
Do sungen sü inetti sament. Nach der metti wart <l altt v wket vn sah in dem
geiste riii herlich stat vfl einen minneklichen stül vn vf dem stüle siben krönen.
Do fraget d alte /res das w'e. Do seit im ein enget vn spch. Qot hat die stat
mit deme stüle di/nem iimg'e vmb sin gut lebt gegebe. Die sibl krönen hat er !
dirre naht v'dienet. Der alte kam wid' vü im selbS. vn fragte den iung '../ in der
naht hette getan. vnd er seit im noch lang* fragt (9*) dt er durch gehorsame einen
gedenkt sibenstunt wider stünt vn sich deme schlafe erwerte. Do v'stünt dl alte dt
im vi> ieklichem male ein kröne /ras bereife/, vn lopte got de er vmb so kleinen
dienest so groxen Ion wil gehen (Palm 65, 3 = § 174). — Ein priest uertreib eini
brüd' vs einem kloster vmb sünde die er hatte getan. Do gieng Besario d' abt mit
im vs vn spch. Ich bin bch ein sinnt (Palm (57, 10 = § 178). — Ysaac hie* ein
heiliger abt <!' leam in ein samnunge da uant er einen brüd' in sünden vn urtailte
üb' in. Dar nach kam er wid' in die wüsti vn rant nur sinrr eelle eini' enget
stände d' spch. Got sante mich her dt ich dich frage, nur heissest du mich den
brüd' scmlt den du hast uerteilet. D' alte viel nid' vn spch. Ich habe gesundet.
;chant do er i/tr. gesprach do sprach //' enget. Qot v'gibt dir dis vn urteil niemä
nie e danc <lc in got hat) /-'teilet (Palm 67,13 =§ 179). — Ein alt' sprach. Sihest
da ieman in sünde so schuldige in nit et <lic sünde tiit. schuldige den d' in an-
iieehte ru spche. we mir dirre ist üb' sine /rille Üb'iounde. also macht Ik-Ii mir
beschehen. Pas /reine m suche /jottes helfe vn sinen trost. wä wir muge alle be-
trogen iv'dcn (Palm G7, 20 — § ISO). — Ein cdeler romer ivas (9b) gar gewaltig vn
riej/c. d' für vö rome in Schytiä in ein stat da dex landes kilche was vn wart ein
mu/nch. Nu sah d' priester de er siech /ras. vn erkande och de er wirtschaften
gewonet hatte, vn sante im etwas de er vö d' kilche habe mohte. Also was er da
mit einte kne/tte der gieng im vor fünf vnd xwenxig iar. vn wart gar heiliges
lebens also de er in dem geiste sack de and'en Inte v'borge ivas. xü dem selbe kam
ein münelt vö Egypto wä er sich v'sah de er herte lebe' von irrte solle lernen. Den
ephieg er gütlich, vn mich ir gebette saxen sü samet. Nu sah d' fromde brüder
von Egypten de dirre von Rome gütü kleider hatte vn ein bette de was geflochten
uö kleinen widelin vn sin kürsenne dar ob vn ein klein küssi vnder sinem köpte.
Do sah er och de sine füsse reine waren vn de er schuhe dar an hatte. Dis alles
misseuiel im sere vn tvart gebös'et dar vö. wä du gewonheit was do de man da
gar h'tes lebe hatte. Nu leiste d' Born' des münches gedenke wol vn sprach xü
dem knehte. Bereit ins einen guten imbis d/ir disen alte vö Egypto. Do maehete
er krut als er do hatte vn axen do des xil was. Do hatte der icirt ein Meinen
/eines (10 a) durch sin krankheit den trunken s/i och. an dem abendc spräche s/i
xtcelf psalmen vn schliefen do. vn in d' nacht spräche s/i ab1 xtvelf psalme. vn
des morgens spch d' Egypto kü dem Rom'. Bitte für mich, rn gieng vs uö im
/■//gebessert. Nu /rolle in d' Rom' heile// vn sante nach im rf den /reg. Do kam
er wid' in sin celle. vn tvart wol enphägen. Do fragte in d' Rom' also, vö toelem
lande bist du. D' alt spch. Ich bin vö egypto er fragte ab', vö tveler stat. D'
brüd' sprach. Ich tvas in enlcein' stat gesessen. D' rom> fragte aber, ivas /ras
din antwerk e du ein m/inch ni/rdist. Do spch er. Ich was ein banwart ic// hüte
dck'e. D' Rom' fragte wie sin spise sin trank sin bette vn sin bad ic'e do er des
ueldes hüte. Do seile er im also. Min spise was dürres brot vn sab., ob ich in
MHD. OBERSETZUNG DES LEBENS DER VÄTER 379
vant so was min trank ein bach dar ine ich och badete so ich wolt. min bette was
du blox erde dar vffe rüivete ich. Do spch ds Romer de was grox arbeit, vii seit
inte och durch besserunge wie er hatte gelebt vn spch. Ich armer mau wc in d'
groxen stat xe Rome. vn hatte in d1 pfallenxc die hShsten stat bi deine heiser, die
stat liex ich vn kam in dis icüsti. Ich hate (10b) groxü hüscr vn vil gutes de Hex
ich vn kam in dise arme celle. Ich hat bette vö golde vn mit gar edele gewate da
für hat mir got dis bettelin gegeben. Minü Meid' /rare groxes gutes wert da für
trage ich dis gcioant. xe mime essenne ivart vil goldes v'xeret dar umb git mir
got dis krut vn dis kleine winli. Für gar vil lüden die mir dienten hat got disem
knehte gebotten de er mir vor gut. für edelü bad höh ich wasser an min fasse vnd
trage schuhe v<> min' krankheif. für selten spil vn gro* fröde lise ich abendes
xwelfe psahnen vn nahtes bch xwelue. vn bitte dich vatt' de du dich nit bSsrest vö
min' krankheif. Do sprach dl münch. Ach ich armer man bin vö t/s ivclte groxe
arbeiten kome -in geistlich leben xe gut* rüwe vn ha maniges des ich e nit hatte.
so bist du vö groxer rüwe in arbeit willelclich käme ru uö wirtschefte in armuf.
Also wart der brüd' vil gebessert vn für wider hein (Palm 69, 4 = § 184). — Ein
abt sah ob einem tische vil brüd' samet essen, vn er sah geistlich de etlich vnd'
inen honig axen. die andern brot. die driften mist. Des nam in wund' vfi bat
insern h'ren de er im es beschiedi. Do spch ein stimme. Die das honig ei
dax sint (11*) die die mit uorhten essen/ ir not dürft mit dem müde vn mit dem
h'xen vns'n h'ren lobent vn ime dank sagen/ siner gnaden vnd sin* gabin. Die
das brot csscut de sint die die da einualteklich essent durch go( de man inen git
vn es für gut nement. Die den mist csscut de sint die die da murniclent vn sich
alle xit neigen/ nach besser spise. cn de sii so vndanknem sint. vn dar vf nit
achtent de <k holt, lerer l'auh spchet. So ir essent od' trinkent od' s/ras ir tun!
de sol alles nach gotlcs eren geschehe so w'dent ir selig (fehlt bei Palm, Ross-
weyde?). — Theodosius hiex ein keiser bi des •.Heu was ein münch gesessen m
Consta u/ini>pnli bi d' stat. vn eins lages gierig <k leimig dar kurxwile vs d' stat
grije des bruders celle vn lie% sin lüte oder sin gesinde hind' im vn gieng allein
in die celle. Ds brüd' enphieng in gütliche vn bat in sitxen. Nu halle d1 keiser
sin kröne hine geleif de er sin nüt erkunde. Nach ir gebette spc/i <k keiser. vatt'
gibe ins xe essen. Do leite er für her brot vn sah vnd wasser in eime köpf, vn
axen mit einander. Do spch d* keisK icas tünt die heilige iiätt' l egypto. I>
brüd' spch. sü bittent alle tag got vmbe vnser heil, weist du spch d' keiser wer
ich bin. D' (ll1') brmk spch. nein. Do sprach d' kling. Ich bin Th odosiv d'
keiser. Do uiel d' bruder für in nid' vf die erden. Do spch d' kdser Ir brüd'
sint selig de ir weltlicher sorgen nit hau/ vn nuten arbeitest vn sorgen/ wie ir tu
dem himelriclie konicnt. Ich bin vö dem riebe geborn vn bin nit des riches) h're
vn genam min spise nie ane sorge Nu gedahte d' einsidel de die senatores die
h'rS uö d* stat vnd Seh and' lüte bild nemin bi de keis' vn in iourdin süchsde vn
ereude für eine}) hei/ige man. ru uorhte de er sich iu simc herzen wurde über-
hebende, vn ds selbe nach/ /loh er dum iu EgyptÜ da dieii/e er rns'm h're ru\ an
sin ende (fehlt bei Palm, Rossweyde 111, 19 = 498*, V, L5,66 627 - Ein alte
ivas r're in der irüsti. .\u dem kam ein brüd' d' irusch im sin antlüte vn machete
int xe eweiic des er dar hatte brahf. Da» sah d' alle ru sjich. Brüder ich hüte
getv'lich v'gcsscn du: man Vö spisen trost mag Imn. Nu gab im Seh d' brüd' uin.
Do ueiiide d' alte vfi spch. Ich v'sah mich ru hate gedacht </. ich nur miiiem
töde nit /eines sölti trinke (fehlt bei Palm, Rossweyde?), — Ein einsidel sas I
380 IfBBHET
Eggpto d* was gar heiliges lebens. Nu fügte der tiiuel dt ein bd < wip tri minnern
lopte si iiiili <i( guten man m siinde veruellen. Also gieng si eins nachte.-: für sin
celle vnd rufte im als ob si v'ierret (12*) w're. Do na/m er si in den ho] vn be-
sehlox er sich l die celle. in d' nacht rufte si vn spch si uorhti de si wolj od'
andrü tier da null in essen. Do Hex er si vu im in du celle. wa/n er uorhte es
w'e gottes räche vn spch. H're got swie din xorn vf mich Jeumet. Nu begonde d1
tieuel des alten h-.e stungi vf i/r min/ne. Des wart er gewa/r vn spch. Des tüuel,
icege sint vinst'nüsse ab' gottes Linden schind da% Uecht. vn er enx/imte ei/n Hecht.
Also wart er ab' nie, enxündet uö d' vnküsche begirde vn er spch :>< im seih'. Sw'
die sünde tut d' müx hie mich vorn in die wixi/ne v'süch ob du das ewig für
mugesi erliden. vn bräde sine ving'e mit demt füre mit un den tag de er sin wenig
od' mit enphant vö starJc' hitxe d' vnküschkeit. Dan sah das arnu wip rn starp
uö i/r sünde. Des morgens käme die iunglinge '■>< dem münch vn spräche, kam
ein wip nacht abendes her. D" alte spch. ja. si schlafe/. Do sä fanden de si tot
/ras do spräche sa. ralT si ist toi. Do bot er sin lionh vf rn spch. Also hat si
min' lande ving'e v'lorn. vn seit ine wie es geuarn was vn spch. Also heisset od'
(lehntet da schrift. Nut gibe übel vmb übel, vn er bat vns'n h're de si lebende
wid' r/'s/ant. Du l/ckcrte sich vn bleib kusch rn: an ir tot (Palm 16, 25 = § 140). —
(12b) Win altuatt' was i ein' wüsti dem dienet einheitlich man <!'■ was aar heilig.
Do ds nach sin' gewonheit nach brate soltc gan in ein stai da sah er da einen
riehen man, töten trage mit groxe eren vn wirdikeit. mit kerxen vn mit and're
Schönheit gar vil. Da /ras d' hischnf vn vil Inte. Daune gieng d' kneht nid hein
:n d' celle vn vant sinen abt den hatten tier gessen vn terzert. Do weinet di kneht
vnd gehab sich gar übel vnd viel nid' rf die erden vn spch. H'r got ich teil iem'
nie hie lige bis de du mir kunt tust warumbe d1 äbcl man sa /ml tot si vn mit
so groxen ere bestatnen. vn dirre gut brüder so übel hat verendet. Do spch ein
sttme :a in/e. Dirre riciie /'bei man hatte etwas gutes getan des ist im hie mitte
gelonet d' gewinnet niemer fröde tue. Do hatte dirre gute man etwas Übels getan
darumb ist er hie mitte gcschlage de er niemer leid nie sol gewinne wä mit disem
biWen töde ist im ab genome allü die pine die er solt hau in d' künftigen weite.
De d nchte den kneht gar gut vn lobte got siner gnaden (fehlt bei Palm, Rossweyde?). —
Ein altuatt1 sas l ein" wüsti du /ras 7 eggp vö dem sas mit v're ein priest' d'
was uö vnglöbigem uolke die hize manichei. (13 a) Dir selb priest' iroltc uarn :u
eil/ei// d' /ras sin geno\ in d' selbe geselle schaft vn benachtet in dem wähle bi des
alte celle. Nu gedachte er. Dirre einsidel ist ein heilig man vn erkennet de ich
sins glöbc nit enhab darumb enphahet er mich vil liht nit in sin celle. In dem
xwiuel wart er angsthaft vn klopf etc doch an die celle. D' alte enphieng in im
gap im essen vn trinke gütlieh rn leit in schlafen als ob er sin brftd' tv'e. In der
naht gedaht d' mauiclieus also, irerlich dirre alter ist gottes kneht. wä er gesah
mich nie übellich an vn hat mirs irol gebotte. Dar uml/c viel er im des morgens
:.c fassen vn spch. vatter ich wi/rde hiit kristen vn kum uö dir nit. Also enphieng
er in vn bleip bi ime vnx an sinen tot (fehlt bei Palm, Rossweyde V, 13, 11 =
615b). — Ziren brud' wäre z ein' celle die iraren gar gedultig vn demutig. xü dien
kam ein brud' das er ir lebe erfüre, vn do sü ir gebet sament hatte gesprochen.
do gieng d' gast in ir garten da st mit kr/tt ine das schlug er inen alles nid.' mit
einem stabe. Dar iiiitbe wurde die brud' nie vngedultig irä antlute wurde och nie
deste vnfrulich' gestall. vn do sü uesper gesprache do nieten die \/rcn brud' für
den alten vfi spräche. H'r ist es din wille de wir des krutes sieden de da Vit in
MHD. ÜBERSETZUNG DES LEBENS DER VÄTER 381
dem garten. (13 b) wä es ist essennes tu. Do neigte sich d' alte für sü nid'
vn spch. Ich lohen vnsern k'ren ih'm xpm de ich sihe den heilige geist bi vch
räwen. Ich bitte vch lieben bräd' behaltent die tugent üw'r demütigen gedult du
höhd vch uor got in sinem riche (fehlt bei Palüi, Rossweyde III. 23 = 500a). —
Äppollonius hiex ein abt tu des celle wart < in mesch braht d' was beheftet, vn
bäte in die Inte de er den tüuel von im tribe. Do spch er. Ich han mit vs-
ilienet vmb got de ich den tieueln gebieten muge. vn nach lang' bette do sprach
er \u dem tüuel. cur vs vnrein' geist vö ds geschepkde vns's h re ih'u xpi ich gebütt
dir es z sinem name. Der tüuel spch. Dur hristus gebot uar ich vs. Nu sag
mir. spch di tüuel was meinet du geschrift so si spch:.. Got stellet du sehet f zu
d' xeswun vn du kitx-ü vä d' linggen od' xu d' vinstrin. Do spei, der abt. Bi
den geissen sint bexeichent die sünd'e der ich leid' ein" bin. irs ab' du schuf sien
de weh got. Do rufte d' tüuel vn spch. Diu grox/u demüt vertribet in ich (fehlt
bei Palm, Rossweyde V, 15, Gö = G27b; III, 25 = 501a). — Paulus d' abt hatte eini
iuntf ds uns gar demütig vn gehorsam also de er nüt nid' rette swas in sin abt
hie:, vn eiue.s males bedorfte sin abt rinder mistes zu einem Innre, vn santi
iung'en bräd' in die nehsten stat daz er (14 a) den mist brehti. Do spch der iung'.
vatt' man seit das vnd' uege ein löicin si. Do spch d' abt. ivil si vf dich so hob
si vn bringe si her mit dir. De spch d' abt 7 spotlieh' od' schimpheud /eise. Joh'es
gierig vn braht mist. vfi do er wid' he in wolle gan do kam du löicin gegen ime.
vn do si in ansah do erschrak si vn gesinnt. D brüder gieng gegi ir. Do be-
gonde si fliehe vn ersprang. Der bräd' spch. Du soll Mibe, ml abt gebot mir de
ich dich hei brechti. Do vieng er die lineinen vn forte si gegen der celle. v
in d' alte sah do erschrak er sere rn gedulde an dm vnrehte gebot vn uorhte Seh
de sich d' bräd' der gnade überhübe. Dur vmb spch er. Du bist ane sinne dar
umb uolget dir dis vnsinnig Her. enbind es vn laxe es varn an sin stat. Das tet d'
briid' vn lopte got (fehlt bei Palm. Rossweyde V, 14. -1 = 617b). Ein altuatter was
in d' uiist i :n dem haut ein iungling in fragete in vn spch. ratter ich teil bi
bräd'n wone wie sol ich bi inen wonen da% ich behalti w'de. Do sprach d' alte.
Lieb' situ vrteil niemä de du nit geurteilt w'dest. v'smake niemä de du mit uer-
smnhet w'dest uor den öge gottes. Setxe hüte dinem munde d' du vö niemans ge-
bresten redest wä da du in gebess'en mugest. J.ieb' sun du solt allu ding <
vn -.' /// besten keren. hab friden mit alli (14b) mensche, kere diu h':> vö allen
dinge, vfi tu als ob niemä lebe denne du vn got albim (fehl! bei Palm, I«'"-
— Ein einsidel was behielt mit eitui suche d' gieng in ein iiusli da suchte er dric
tage ob er iemänen da in gottes diätste funde. Nu gieng er vf einen stein dar
vnd' kam ein nackend' gegangi vfi a% grün krui d da staut. D' einsidel schleich
heimliehen dar vn vieng in. Do wart dem allen umist vö dem einsidelen imdwand
sich u<i sinen henden wä er mochtt des smackes uö sinem gewädt nüt erlide. vfi
floh rn im. D' einsidel Inf int nach, m spch. mtler In it min ich iaje dielt durch
got. Nu warf er sin gewani ab ime vfi Inf nach ime nackent. Do stunt < r stille
en spch. Du hast (/' weite materie vö dir geworfen dar umb bette ich diu. Do
bat in d1 einsidel d er ime gottes wort sprecht. Do spch d' alte. flüJie die lute m
steige also macht du Inhalten w'den (fehlt bei Palm, Rossweyde Vi. 3, i'1 653b). —
Agathon </' abt machet langt tit mit sinen lungern ein celle. th> du wart bt
vft si' dar iutic /ran. in d' erste// wochen sah d' abt ein ding da da: uns im n
vnnütxe vnd misseviel im. m spch :n sinen iung'n. wir sülent hinnen uarn. Dan
betrübte du bräd' vn sprachS. will (15u) du hinnan uam. warübe hast du denne
382 NEBERT
so lange xdt so gro% arbeit an die Celle geleit. l>>< lüte u dent da uö geböser f. vfl
8preehent wir enkunnim. an enkem' »tat bliben. I><> spch </ alte. Sü w'deni dattö
gebessert vn spreehent. I>ir seligen bind- ua/rent uö ir gute d/u/reh got. Swer welle
,/• Jcome ich wil uarn. Do uielen sü für in nid' m balS in d, er sü mit im li< .
mu H (fehlt !>*_■! Palm, Rossweyde V, 6, 4 582'). — Ein h're kam l Scythi uö
andren landen v're d' brachte vil goldes dar. vn l><it des landes priester d. er ■
vnd' die bräd' teilti. D<> spch d' priest', ins' brüd' bedürfen sin nit. Nu bat et
den priest' vil do wolt er im nit uolgen. Do leit er selb da% gold \ einen korb vn
saxte es für ds Micken tor m bat die brüd' do su in gierigen dt sü </< gold uö im
in in in, Do sähe sä es knme an vn name sin nit. I>,> spch ein älter xdÄ dem h'ren.
Got hat din opher enphange gang vn gib es armen lüten. Dauö wart er gebt
ni tet als er was gelere/ uon deme alten (fehlt bei Palm, Rossweyde V. fj. L9
584 "). — Johannes Persa hiez ein einualtiger abt d' was bi Egypten /am/r / arabia.
d' heilig man entlehente einen Schilling pfermlge uö einem brüd1 vn köfte flachs de
er </ur vs wolte etwas würlcen. Do kam ein /und vn bat in d, er im flahs gebi te
einem (15b) gewomde. dem (jap er sins gekliften flahses fröliche das kalb teil. Nu
bat in ein und', brüd' Seh vmbe flahs %<■ eime teklachen. dem wart das ander teil.
Po kam d' brüd' der im die Pfenninge hate v'lihen vn hiesch den Schilling. Do spch
d' abt. Ich yibe dir in gerne. Nu hatte er der phenninge nit vn wolte gan bitte
einen abt der hiez jacob vn was d' brüd' schafner de er im lihe ein Schilling
Pfenninge, vn do er vf dem wege gieng do turnt er an d' Strasse ligende t in Schilling
Pfenninge den berürte er nie wä er spch sin gebet, vnd gieng wid' in sine Celle.
Do kam ab' d' brüder vn mrnde vmb sin pfeninge. Do spch d' alte, ich gute dir.
Do gieng er ab' den erren /reg vn vant ab* den Schilling, dar ob spch er aber sin
gebet vn gieng aber wid' kein. D' brüd' kam ab* dar nach sime Schillinge.
Do spch d' alte. Bette mir noch einest, ich gibe dir dinen Schilling. X/i gieng er
ab' hine vn vant aber den Schilling den nam er do vf nach dem gebette vnd brachte in
jacob dem abte zu dem spch er. Do ich \a dir wolte gan do vant ich disen
sehilling an dem wege dato begang die niine vn frage drie tage an der bredie ob
in ieman habe uerlorn. Dax tet d' abt vn enuant ni, man des er (lGa) w'e. Do spch
johänes zä de abt jacob. Sit in nieman hat v'lorn so gibe ich in dem brüd' ich
sol im eine Schilling darumbe kam ich her de du mir in xe gelte ne heltist uerlihen
vn uant disen Schilling. Do wund't den abt de er den Schilling so lang hatte ge-
spart uor dem bräd1 durch gottes uorhte vnd lopte rnsern h'ren. So den selbe
johänes etwene die brüd' baten de er inen lihe des er in siner celle hatte so spch
er. Nement da selb als vil ir bedürfet, wolt im Seh iemä gelten so spch er. Leg
es teid' da da es nemest. Galt man im nit so sweig er vnd hiesch nut (Palm
55, 20 = § 154). — Phylarigius hiez ein heilig' man vö Jerusalem vn gewä mit
arbeitenne sin brat, d' wolt an ein' straxe u'köfen daz er gewärkef hatte, da /rare
eime tuseng Schillinge Pfenningen in eime sähe enphallen. Die pfennTge vant d'
bräd' vn spch. Sir' dis hat v'lorn d' kumt wid' an dise stat. in d' xüuersiht
stänt er da stille. Do kam ein1 weinende d' hat sü uerlorn. dem gap der brüd'
sin Pfenninge ivid' vn irolt durch sin bette nie nut davö genemen. Do rufte d' die
Pfenninge hatte v'lorn in d' stat vnd seit allen Inten /ras ime d' gät man hatte
getan, vn d' bräd' lüf vs d' stat (16 b) de man im dar unibe ze vil eren nilit butti
(fehlt bei Palm, Rossweyde V, 6, 15 = 583 b). — Daniel d' abt seite vö dem heiligen
Arsenio d' machet körbe vs palmen bletP vil leite du bleW in einen zuber vnd liez
sü iveichen. de wasser wart smeckende. do hiez er and's dar vf ' giessen. Nu baten
MHD. ÜBERSETZUNG DES LEBENS DER VÄTER 383
in die brüd'e de er es es liezi schütten vn wol smeekendes wasser mini. Do spch
d* alte. Ich wil disen smak liden für muschgat vn and" manig' hand würze d'o
.sst:_
süze gesmak ich dicke in d' weit nach minem /eilte han genome dar umbe dan
mich got vö d* bitt'en helle smak erlöse, vn de ich mit dem riehen man
der alle tage also schon lepte in wirtschaften niht werde uerdampnet (Palm
58, 23 = § 162). — Milion hie*, ein abt d' aas mit twein s/neu iung'n in
eime wilden walde da dienten su vnserm hsren. Nu füre '-ins keisers siaie
nach ire gewonheit vs iage rit nah xugen des seihen waldes vierzig ach
mit ir netze vmb da?., de sä ersehlügin s/ms vnd' dien nezze wu/rdi fand'.
Also füren sü in den wald. vn funde den alten vn sine lungern inrenthalb den
netze d' was aller gehöre vn hate ein egsper antlüte. Do fragt'- in des keisers süm
ob er ein mesch w'e oder ein geist. Do spch er. /'■// (IT") bin ein mesch. vn bin
her käme min sundc xe weinende, ich globe. och an got vn bette in an. sü spchen
abs xü im. Es ist ekein and' got wä du sunne vn wasser vn für die betU an vn
oph* inen. Do spch er. Di-, sint gottes kreature. ir v'irten bekerent ich vnd be-
kennent got d' mit disen dinge ell/l ding geschaf. Du begonde sü spotten vn
spräche. Du seist de ein verdampnet' vn ein gekrüzigeter got si. Du spch er. ia
er hat die sünde gekrüzget vn den töd ertötet, den heissen wir einen wäre gut. er
geschaf himel vn erde vn mer. vn allü du ding die in im sint. vmb die rede
nanten die heiden den alten rn sine iung'n vn täte inen <jro\ marV an vmb dt su
nit iren abgölten wollen oph'en. vn nach lang' marter schlügen su den -.nein ira
köpter abe. vn \a dem alten schussen sü als te einem \il ein' gege dem hszen der
and' gege dem rugt/eu. Do spch d' alte. Ir gehellet sonnt de ir heilig blnt v'giessent.
darumb morne an dirre selben, stundi ist üw' müt' ane sime. ir werden! üw
blüt giezende mit üw'en schösse. D' rede spotteten sü. vn des morgens füren su
vs lagen. Do brach sich ein kirze vö ir netzen 'lerne iagten sü nach mit di rossen,
vn schasse nah (17h) im nn ietwed' den and'n dar sin h'ze schoz. vn stürben als
inen der alte cur halte gesell (Palm 60, 9 — § ltiöj. — Per ich ins d' abt sprach :a
einem brüd'. Geistlich lob si alle tit i dinem munde, vn stete gedenke nach gölte
sülent dine bekorunge vfhebe. Tu alse d' wegman des gesang machet de er d' burdi
vn des weges v'gisset also de er vf die arbeite nihh -. nit achtet (fehlt bei Palm,
Elossweyde?). — Ein priest' gieng gewonlich ;u einem einsidelen vn segnet im vnsers
h'ren liehame de er sieh bewarete. Nu wart dem einsidelen geseit de </' priest mit
vnküschkeit vmb giengi darumb wolt er sin messe nit me hören. Do kam ein stime
./i dem einsiilel ru speh. Die liile //out Uli i/erihte genome. Do uarl d' alte </t-
zucket 7 dem, geiste. vn sah einen sod der was guldin vn eini guldin < imer dar
ohe an einem guldin seile. D' söd halte gar gut wasser. vn sah de ein vsset&iger
duz wasser schuf. Xu heti d' all g'ne getrunkt wä de im dos wasser vö dem ux-
setzigen wid'stünt. Do speh du stimme, warübe trinkest du des guten wassers nit.
au schepfet es nana d' uzsetzig vn güsset es in ein schönes ras mag es dauon
curi-iu w'den. Do kam der (18a) einsidel wid' \u im selbe vn betrachtet die 6e-
tütunge od' meinüge siner gesihte. ra saute nach deine priest', d' sang im vnd
bewaret in ab' alse er 8ch vnto dar hatte getan (Palm 68, 21 - § 183). Man liset
ro eime alte d' a\ in vierzig iure nit brotes vn trank lütxel wassers darumb de er
bekorunge au im selbe wolte toten ru spch offen/ ieheu. ich hau erlöschen au mir
fleischlichen gelust rnkuschkeü gitikeit ru vppige ere od' höfart. />■ vernam Abra-
ham ein abt (/' kam :u im vn Spch. Hast du a/s> gesproelu . ja speh der alte.
384 NEBKRT
Abraham fragte in. ku/mst du in dm celle vfi windest ei/n irij> vf din' mattun
macht du dene nit gedenleen dis ist ein wip. Der alt speh. Ich üb'wind min ge-
denke '/' ich si ii ilti angrife. Do spch d' abt. also hast du vnküschikeit nit er-
tötet ir bekorunge ist ab' gebunden, vn fragte in ab'me vn spch. Gast du vf einem
wege m sihest steine vn scherben vfi gold satnent ligi mäht du in di/nem gedankt
vf di gold vfi vf die steine glich ahte habe. D' alt spch. Kein, ab' ich wid
minen gedeken a\ ich sin niht ni/me. Do spch abraha/m. Qitikeit bekorüge lebet
noch t dir ab* si ist gebunde. vn fragte in ab* also. Hörest du von vwein brüd'n
(/, dir eine hold ist tu wol von dir iish) redet, d' and' hasset dich vfi redet übel
vö dir. koment ab' die sament \u dir enphahest du sü gütlich" Er spch. Nein
ab' ich betwinge min gemfite de ich inen beidi mu% wol tu/n. Do spch abrahä.
also lebent iemer au vns bekoru/nge ul>s sü werdent gebunde vö heiligS lüte (fehH
beiPalm, Rossweyde HI, 117 517a; V. LO, 15 597to). Pastorein den abt fragte
ein brüd* vn sprach. Ich habe ein sünde getan die wil ich dru iar büze. Do
spch pastor. De ist gar vil. D1 brüd' fragte ab' vfi spch. heissest du ei/n iar. D'
alt spch. es ist gar vil. Do spräche die and'n brüd'. heissest il-t in vierzig tag
büzen. D' alt spch. Es ist gar vil. Ich glühe daz. vfi rüwent einen menschen
sine sünde vö allem h'zen vn hat uesten ru ganzen wille nit me te sündene got
enphahe uö ime drie tage büsse (fehlt bei Palm, Rossweyde V, 10, 40 = 600b). —
Ein einsidel was heiliges lebenes tu deme gieng ein ander heiige münch vn Inirtf
vor siner celle de er turnde. nu wände er de d' einsidel mit rinn and'n brüd'
hetti gezürnet vn wolt es han versünet. also kam er in die celle vn fragte in mit
nein er hetti gezürnet wä er niemä bi inte sah. Do spch d' alte. Ich zürne mit
minen gedenken, ich han vierzehn buch vznan gelernet, ru horte ein böses wort
vsserent <ls celle nu kam ich (19a) her wid1 in vn wolle gottes dienst tun. do vergas
ich d' vierzehe buche gar vfi gedahte an dis wort in minem ampte. darumbe kriegt
ich mit mir selbe (fehlt bei Palm, Rossweyde?). — Ein brud' sas mit gutem leben
vn mit nitre in sin' celle den wolten tieuel uerleite in engeis glichnüst. sü brdhten
ime dike Hehl vfi wachten in vf de er gienge zu ds brüd' eolleete od1 samnüge. Das
seit er eins tages einem alte d' spch. Sttn es sint tüuele. wecken sü dielt nie so
sprich, ich stau, wol vf so ich wil dar ich kum ich nüt vf. D1 brud' gieng ><ids
hein. vfi antwürte den tieueln als er geleret uns. Do spche sti. Di übel alte ist
ein välsch' er hat dich v'keret. ein brüder bat in dax er im pfenzg Uhr dem 18g
er vfi seite im de er nit hetti. da bi erkenne de er ein välscher vfi ein lugn' ist.
Der brud* seile des morgens fru dem alt< nie die t/inel vö im hatte geseit. Do
speh er. Ich hole pfenntge vnd löggente im des wä hete ich im gelihen de wsre
sin* sei schade gewesen. Dar umb gedahte ich ein gebot brechen w'e besser dene
Zehen gebot, t/ti ic'en gebroche ob ich im Pfenninge hetti v'lihen. Nu hüte din es
sint tieuele vfi toolte dich v'k'en. also ivart d' brud' geuestnet an sinem mute ru
gieng wids hein % sin celle (fehlt bei Palm, Rossweyde V, 10,93 = 606"). — (19b)
Zenon hiez ein abt in Scythi ds gieng eins inales nahtes vs siner celle rn gie drie
tage vn drie naht ierre. nu viel er nid1 uor müdi vn lag für tot. Do brahte im
ein kint wasser vn spch. Stant vf vn isse. D* alt uorhte es uere ein böser geist
rn begonde bette. De kint spch. Du tust gar trol de du bettest nu isse Seh. Ds
alte bettet ab* vn bat got sins gnaden. Dar zu spch de kint. Arne. Do stünt er
vf vnd az. Do spch es ab'. Du bist gar v're uö din* celle honten, volge mir nach,
vn brachte in xehant für sin celle. Do spch ds alte. Herre gang mit mir vnd tu
din gebet in miner celle. vn als er uor im gieng do verswand es liind* ime (fehlt
MHD. ÜBERSETZUNG DES LEBENS DER VÄTER 385
bei Palm, Eossweyde III, 210 = 531a; V, 187 = 637 a). — Anthonius spch. Arbeit
demüt vn gebet ane vnderlax die drü ding gewinent got. mit disen drin dinge sint
alle keilige behalten vö angenge d' weite vntx an daz ende. Da wid' rüwe vn eige
wille vn eige reht ucrtilceit ierrent die sele. mit disen drin dinge sint die v'lornen
sele genauen (fehlt bei Palm, Rossweyde'?). — Ein übt kiex, Lucius zu dem kamen
manche die kiexen Enchite de sprichz, in tatschen bett'e. Die fragte d1 alt aas ir
werk tvse. Do sprachen sä. wir tun enkein and1 werk wä als sunt Paulus spritz
wir bette ane vnderlax. D1 alt spch. Essent ir ntit? (20a) Do spräche sä. wir
essen öch. er spch ab'. wl bettet für vch so ir exxent. vn fragte ab', schlafen ir
iht. Sä spräche wir schlafen lieh. Do sprach er. wer bettet für vch so ir slafent.
Da wid* enkonde sä mit gereden. Do spch er. Lieben brüd1 ir tünt niht als ir
sagent. ich zeige od' bewise vch de ich wärkede mit minen hande ane vndHaz betten.
Ich sitze von dem morge vnz xe uesper xit vn mache vö palme einen korb vn spche.
Mis'ere mei deus x c'.x Got erbarme dich üb' mich nach diner groze erbende,
vn nach d' menigi din' erbarmungen v'dilge min bozheit. ist das ein gebet, sii
spräche, ia. Do spch er. also betten ich alle tag mit h'zen od' mit munde vfi
gewJne mit minen hande sehs pfenning d'o leg ich zwene zu d' türe vn isse ich
vö dien and'en. vn sw' die zwene von dien anderen nimet der bettet für mich so
ich isse od' schlafe, also uö gottes gnaden erfülle ich die geschrift die da sprichet.
wir siilen ane vnderlaz betten (fehlt bei Palm, Rossweyde III, 212 = 531b; V, 11.9
= 613b). — Ein brüd' fragte eine alte also, min swest' ist arm gib ich ir min
almüsen ist es nit als gilt als vmb and' arm lüte. Do spch er. Nein wä din blüt
zähet nie an din swester dene gege andre tüten (fehlt bei Palm, Rossweyde V, 10, 101
= 607 a). — Ein manch hatte eine armen brild' deine gab er vö sime gute daz (20 b)
er mit arbeite hatte gewunne. vn so er ie dicke vn ie me gap so er ie armer was.
Das klegte der milnch einem alten. Der spch. Gib dineni br tider nit me. spch.
Brüder, arbeite selb vn gib bch mir ich gab dir do ich hatte, vn nirn uö im
swas er dir gebe vn gib es arme lüten de sä iib' in bitte. Der manch rette
mit sinem brüd' do er zu im kam als er tvas geheissen. tu li< ■: in trurigi vö im
scheiden. Doch begonde er arbeiten vn brachte sinem brüd' dem mwnche an dein
ersten krut vs sime garte, daz nam er vfi gab es armen brud'n de s/t für in betin.
darnach braht er im krut vn drü brot. de gap er als dauor arme lütS eu gap im
sinen segen. Do gieng er wider hein vil brahte ab' do vil spise vn uin vnd tische,
da mit spiste er ab' arm litte, vn do fragte in der müneh ob er iht brotes bedSrße.
Do spch er. H're nein, swas dins gutes in min Uns kam do verswand min gut
ii ls ein für. sit ab' du mir nät me gebe so w&hs min gut. vn hab na von gottes
gnade gar vil. Das seit t/' manch dem alten. Do spch er. Münche gut ist als
für swar es kumet so v'swendet es swas bi im ist. vn sw' armen Ititc von sinen
arbeiten (21a) hilfet dem hilfet got uon armüte (Palm 71, 23 = § 189). — Pastori
dem abte seile ein brüd' also. Gibe ich ein almüsen de enfveinet </' tntiel da mit
es ist dem glich de es durch d' lüte glimph etnie vil geschehe, Ih> spch </' alte.
ztven butnan saze in ein' stat. d' ein säte ein wenig <la\ selb wühs vn wart gar
vusttber doch sneid er' es vn gekielt es in sinem kostet/. !>' am/' säte nüt. /'.<
käme hung' iar. wedre vnd' disen x/wein ///"//t /ms genesen nor hung'e. /'' brüd'
Sprach. D' da säte vn gekielt der genas /ms. I >o sprach d' alte, also su/e tvir
doch geben vnserm brüd' sin notdurft. ist es nit gar l/tt' tvir vindi es doch so tvir
1) Rot unterstrichen.
ZEITSCHRIFT F. DKUTSOHE PHILOLOGIE. HD. XXXV. '_'.">
386 NKBRRT
nit me seien muge (fehlt bei Palm, Rossweyde V, 13. 6 —- 615»). — Ztvene heilige
altudtt' giengr savirt in ein wästi bi Scythi. da horten sä ein sinne vs der erde
murmelen. vn giengen d1 stimme nach i ein hol da fanden sä ein all maget siech
ligende. xü dl spräche sä. wem kerne du her. od' tver dienet dir hie. Do spch si.
Ich bi in disem hole allein gelegen achtxehen iar. vn ax nüt nun hrtft' vnd wwr-
xelen in vnsera h're name ih'u xpi. sit gesah ich beh nie mesche. wä got hat ich
her gesant de ir minen lichamen (21b) sälent begrabe. Also spch si vn v'schied.
Do begrübe die alte ir heiligen lichamen vn gienge wider hein lobende vnsern h'rB
siner gnaden (Palm 82, 18 = § 201). — Ein alt' einsidel wolte in ein' stat r'lcbfen
de er hate gemachet, vnd dax hatte er da ueile vor eins riche mannes hus d'
lag siech. De sah d' alte vil ritt'e' vf swarxen rossen kome die wäre beh selb
swarx vn gräwlich an xe seltene, vn, lüften balde in dax hus. D1 siech sah
sü kome vn begonde sere schrien also. H' hilfe mir. Do sprachen sü. Nu
gedenkest du an got so dir die sunne erlöschen ist. irarumb suchtest dv in
nit e vnx an disen tag do dir ds tag denoch luhte. du solt dich an diser stunde
enkeins trostes uersehen (fehlt bei Palm, Rossweyde VT, 3, 14 = § 656 a). — Johannes
hiex ein abt den baten brüd' an sime töde de er inen etwas kurxklich seiti dtir
besser unge de wbltin sü von im erben. Do spch er. Ich getet nie minen willen,
ich lerte Seh niemän dex ich selb nit enkonde noch selb nüt getan hatte (fehlt bei
Palm, Rossweyde IV, 1 , 10 = § 562 b). — Chamo hiex ein abt der spch an sime
tbde xü sinen iung'n. Ir sont nit wonen bi ketxern. hant beh d' richVe od* d'
riehen nit kündi. vws son nüt offen sin etswas xe samnene ir söt sü sireke xe
gebene (fehlt bei Palm, Rossweyde IV, 1, 18 = 563 a). — (22*) Ein alte lag an sinem
tbde uor dem stünde brüd'e vn weinden. Do lachet ds sieche xe drin malen. Die
brüd* fragten in warumb er heti gelachet do sä weinden. Do spch er. ir fürhtent
den tbt des lachet ich. ir sint gege dem tbde vnbereit des lachete ich ab'. Do
lachete ich xem dritten male de ich von disen arbeite in rüive sol uarn vn frbde
ane end hä (fehlt bei Palm, Rossweyde V, 11,52= § 612b). — Agathon d' abt lag
drie tage uor sime ende mit gesehenden bge ane reden. Darnach spräche die brüd'
xü im. vatt' iva bist du. rs^J Do antwürt er rn spch. Ich st an uor gottes gerillte, sä
fragten ab', fürhtest du dir beh uatt'. Er spch. Ich behielt vusers herre gebot nach
miner kraft als vil ich mohte. nu bin ich ein mesch vn enweix nüt ob minü w'k
gotte geuielen. sä spchen ab'. Olbbest du nit dax dinü werk nach gottes /rillen
sien geschehe. Do spch d' alte. Ich weix sin nit e den de ich für gottes gerillte
kume. Gottes geriht vfi d' mensche gerihte sint nit glich, vn spch ab' do. Liebe
brüd'e xöigent die mlne vn redent nit me mit mir. ich bin vnmüssig. Dar nach
v'schied er mit f roden (fehlt bei Palm, Rossweyde V, 11, 2 = 608 b). — Besarion d'
abt spch. Manche lebe sol sin nah den engein brinnende vn swendende die sände
(fehlt bei Palm, Rossweyde V, 11, 36 = 61 lb). — (22 b) Macharium baten die alten
de er in etwas ivölti sage dauö die brüd' gebessert wurdin. Do spch er. Ich bin
noch nit ein manch'2. Ich sas % min' Celle in Scythi vn gedachte ich sblte gan in
die wüsti besehen ob ich da iht fundi3 vnd gedachte do xe blibene. wä ich uorhte
es w'e des tieuels rat. In den gedenke bleib ich fünf iar. vfi, gie do in ein tvüsti.
1) Am rand daneben steht: od' (rot) rit'e.
2) Hinter manch steht ein roter senkrechter strich, der wol auf den rand
weisen soll; daselbst steht ich habe wol manche gesehe.
3) Hinter fundi steht ein roter senkrechter strich und am rande dauö ich
gebessert wurde.
MHD. ÜBERSETZUNG DKS LEBENS DER VATER 38?
da vant ich ein grox wasser % dem lag ein insele. xü deme wasser gienge maniger
hand Her trinken. vnd' dien tieren sah ich xwen man die ivaren nackent. davö
erbibente od1 erxitt'ote alle min lib. De sahen sü an mir vn spche. fürchte dir
nit. wir sin Seh mesehen. Do fragte ich. wärie sü to'en dar kamen. Sü seile,
wir käme her von eime klost' vn sin vierzig iar hie gewesen, vn ist eine uö Egypto
geborn ds and' uö eime lande de heisset Lybia. Do fragten sü mich Seh also.
Wie stat es vmb die gegnine. r^J hont die lender noch ir genuht. ^ gant du wasss
nach ir xit. Ich sprach, ia. vn fragte sü wie ich ein münch möht w'den. Do
spräche sü. Swer nit v'lSggent alles des de du weit hat d1 ist niht ein münch.
Darxü spch ich. Ich bin krank vn enmag nüt lebe als ir. Do spche (23 a) sü. so
sitxe in diu' celle vn klage dine sünde. vn seite mir ab1 nach frage, de ine got des
ivinters frost vn dex snmers hitxe hatte abgenome durch sin erb'mde. Dar umb hä
ich gesproche. Ich bin noch nit ein münch ich habe wol münche gesehen (fehlt bei
Palm, Rossweyde?). — Ein weltliche man hatte drie süne die Hex er vn für xe
einem kloster da wart er enphangen. vn nach drin iaren begonde in iam'en nach
dien kinden vnd wart trurig. Das sah ds abt vn fragte in tvas im were. Do spch
er. Ich Hex drie sün * ein' stat die sehi ich g'ne. Do hiex in d1 abt de er sü
brehti. Also für er nach den kinden. vn uant de xtvei tSt wäre. Dax dritte fürte
er in das Most' vn fragte nach dem abte. ds wart im gexeiget in der pfistri. do
nam er den sun vn gieng xü im. Do grüxte in d' abt vn vmbeuieng dax kint mit
küssene vn sprach xü dem uatt'. ist dir dis kint liep. Do spch er. ja. Do seit
ab' d' abt. Ist es dir gar liep. Do spch er. ia. Do spch d' abt. so nim es [vn
wirfe es in den brinneden ouen. Do nam es d' brüder vn warf es in den glüien-
den otien. Do wart d' ouen xehant küle als ein tSw. vil vmbüieng sin kä wol
gesunt wid'. vn vnser h're tröste in als Abrahamen den patriarchen dem er (23 b)
glich was an gehorsam! (Palm 73, 3 = § 192). — Agathon d> abt wart gefraget wed1
besser w'e arbeit des libes oder hfde des inren mensche. Do spch er. D' mesch
ist gelieh einem bSme. so ist du liplich arbeit sam du bleW. ab' du hüte des inren
menschen ist sam du fruht. Da uö als geschribe. ein ieklich hon d' nit fruht
hat den sol man nid' höwen vn uerbrennen. Da vö milxe wir sorge habe vmb rns'
fruht de ist des mütes hüte, wir habe doch dax. werk vn die fruht vn die gexierde
der bett'e de sint die lipliche arbeite (fehlt bei Palm, Rossweyde ?). — Der selbe abt
Agathon was ivise xe merkene vn nit trege xe arbeitene vfi karg an essenne vn an
trinkene vn an gewande (fehlt bei Palm, Rossweyde V, 10, 11 = 597*). — Ein bräd'
fragte den ab Pastorem vnd spch. wie rnün d' münch. in d' celle sin. M> sjfich d1 alte.
[Do spch d' alt.] De ist offebar de er in d' celle teürke mit den henden vn xe einen/
male an dem tage esse vn sivige vn heimlich hei ruhte wu d1 getv'inet nutx in (/'
celle. d' sich strafet vb sin eige sünde. vfi sin xit nit uersumet. vn sin heimlichi
behütet, vn so er von dem werke gut de er xü dem gebette ilet vn das v'endet ane
trurikeit. ab' dax beste ist de du gut gesel/esehu/t haltest In dir vn die bösen fliehest
(fehlt bei Palm, Rossweyde V, 10, ü4 = G02k). — Brüd' kamen xe einen (24») tuen
xü dem abte Pambone den fragte ein' vnder inen vfi speli. votier sage mirwarumb
mir die geiste werren de ich minem nähsten iht gut tüie. Do spch </' alte. Bede
also nüt. ivä so sprechest du de got rnwarliaft w'e. l>u soli spreche Ich wit nit
erbarmherxikeit tun od' würken. wä got hat gesprochen, loh hob üch gewali geliehen
de ir vf die schlangt u nid vf die 80horpt n tntleut rn rf alle die kraft des ticuels.
waruinh dmekest du dene nit den enreimn t/t /st (fehlt bei Palm, R088W6yde
Ihr abt Pallad9 sprach. Du glbbig seh- müx einiwed' lernen <ln: si nüt kau "</'
388 NBBKBT
leren offenlich dax si l.an od* beidü ob si mag. wil si des nit so hat si der vnsvn
begriffen, wä sivcn v'drüsset xe lernSne de ist ein anvang uö gotte :<■ scheidSne.
wan du scle die yot liep hat du begert sin alle zit (fehlt bei Palm, Rossweyde
V, 10, 67 — 603"). — Ein übt hiez ypericius d' speh. Der ist werlich wisi d mit
w'ken od' mit lebene and1 lüte leret nit mit den worten (fehlt hei Palm, Rossweyde
V, 10, 75 = 603b). — Der abt Amon kam :>/ dem abte Pastor vn speh. Ist de ich
xü einem gan oder er zu mir so schämen wir ins xe redenne de ins icht vnnütxes
in die rede kome. Do speh d' alte. Du t/ist wol wä den iügen ist hüte not. Do
speh d' alte. Du tust wol wä den iügen ist hüte not. Do speh d' abt Amon. was
taten die alten. D' alt speh. Sü wurden gebessert vn geuestent dax (24b) sä nüt
frömdes hettin da uö sü rettin. Do speh Arno, ist mir not mit eime xe redeiu sol
ich mit im rede uö d' geschrift od' uon d' alte rede. Do speh Pastor. Macht du
swige das ist gut. ab' du sott e rede vö den worte d' alte dene von d' geschrift int
es ist nüt ein klein Verlust dar an (fehlt bei Palm, Rossweyde V, 11, 20 = 610a). —
Der abt Petrus speh zu dem abte Loth. Swenne ich in d' Celle bin so ist min
sele in friden. swenne aber ein brud' xü mir kämet vn seit mir d' wort du vss'-
lialb sint so irirt min sei betrübt. Do speh Loth. Diu Schlüssel entschlüzet min
schlox. Do speh d' abt Petr9- was ist das. Do antwürt im d1 abt Loth vn sprach.
Kumet ein' xü dir vn fragest du in. wie mäht du. uö wanne kumest du. wc tust
du dines brüd's tür vf vn hörest denne de du nit g'n wilt höre. Do speh d1 abt
Petrus. Es ist also, was sol ab' ein' tun so ein brüd' xü im kumet. Do speh
Loth. weinüge ist ein gütü lere, siva nit weinüge ist da ist vnmüglich de d' müt
behüt iv'de. Do speh Petrus. Swenne ich in d' celle bin so ist weinüge bi mir.
sivene ab' iemä xü mir kumet od' ich vs d' celle gan so uinde ich nit weinüge.
Do speh Loth. Si ist da nit vnd'tenig. tvan ist de d' mesch vmb ein d%g arbeitet
nah sin' kraft xe wel' xit ers suchet so videt ers xe nuxxe (fehlt bei Palm, Boss-
weyde V, 11, 26 = 610 b). — (25 a) Ein brüd' speh xü einem alten also. Min ge-
denke sagent mir de ich wol lebe. Do speh ds alte. Swer sine sünde nit ansitiet
d' wenet de er reht lebe. D* ab' sin sünde ansihet d' mag sin herze nit getrosten
de er gerehte si. Es ist gar notdürftig de d' mesch sieh selben erkenne, wä du
v'sumunge vns'r gewisseni vnd verlaxenheit du blendent insers herxen bgen (Palm
18, 11 = § 56). — Serapion hiex ein brüd' uö dem seilen die heiligen altuätter de
er sinen iung' hiex daz er in v'köfti eime heide vmb xwenxig Schillinge. Dieselben
pfenmge gehielt er bi im. Also tvart er v'kbffet in ein' stat. vn dienete da als
lange vnx das er sinen kbfh'ren bekerte also de er vn sin icip vnd ir gesinde uö
ir abgötten sich schiede vn sich kerten xü vnserm h're ih'u xpo. vn d' selig Sera-
pion ax nutvä wasser vn brot vn las steteklich die heilige geschrift. vn do sin kbf-
h're vn sin wip vn alles ir gesinde getbfet wurden vn reines ktisches lebe an sich
genome hatten do wäre sü dem gottes dien' als hold de beidü d' h're vil bch du
frbwe xü im, spräche also. Brüd' tvir gebe dich frilich vf du solt fri sin. wem du
hast ins erlöset vö des tieuels eigenschaft. Do speh S'apion. Lr bedürfet (25 b)
min nit me. got hat sin w'k an ich erfüllet. Ich sag ich nu min heilich sacke
die ich da her barg. Ich kam her vmb üw're sele heil die ich sah l grozem irretihn
v'ioierret. Ich was ein münch fries gesehlehtes uö Egypto. vn uerkbfte mich selbe
de ich üch uö sünden möhte fri gemache. Nu hat got uolleklich sin gnade an ich
getan, des bin ich fro. Dis golt gabent ir vmb mich de nement wid'. wä ich wil
ander lüte suchen dien ich ab' gehelfen müge vö sünde. Sü bäte in de er bi inen
blibe sü wöltin in behalten als iren h'ren vn vre lieben uatt'. Des enwolte er nüt
MHD. ÜBERSETZUNG DES LEBENS DER VÄTER 389
tun. su hiexen in öch de gold durch got gebe wä sie ir sele heil da mitte hatten
geköfet. Dax, beualh er in selbe xe tünne vnd für dannen. vn eins tages kam er
in ein stat vn hung'te in gar sere wan er hatte vier tage geuastet gar ane alle
spise. Nu was enmitten in der stat ein bühel. dar phlagen die beste in d> stat
dik xe komene dur kurxwile. vf den bühel stützt d1 heilig man vn rufte vmb sich
nach helfe. Bar käme alte vn iunge vn fragte was im geschehen were. Do spch
er. Ich bin ein münch uö Egypto vn bin vö kindes iugent vf eigenlich gewesen i
drier h're (26*) bände, uö ds drier xwein hob ich mich erlöset, der dritte haltet
mich noch vn hat nu vier tage sin gelt an mich xornlieh geuord'et. des liab ich
im nit xe gebene darumb wil er mich v'derbe. Die bürg' fragten wa die dri h're
toHn ods wie sü hiessin. Do nante er sü also. Ire heisset ein' gitikeit. Der and'
vnküschkeit. ds dritte fraxheit. vö ds gitikeit vn uö d' vnküschkeit hä ich mich er-
löset mit stregem lebe de sü ir gelt nit me an mich uord'ent. Ab' d' fraxheit hob
ich ir gelt vier tage uorgehebl mit vastene vn wil hung's sterbe. Nu wände etlich
hiiehmeist' de er die rede dur list hetti xe sämne geleit vn gäbe im einen Schilling
Pfennige damit wolte sü in versuche, den gap er eime pfist' vn nam uö im nit
me denne ein brot da mitte er den hung' v'treip vn für vö d' stat. vn da bi er-
kande sü de er ein heilig mä was. Nu kam er in ein stat da was ein gar hohe
bürg' d' was in ein' schlaht kcxx' lebe die Messen Manichei. dem selbe gap er sich
xe köfenne vn bekerte den in xwein iare de er vn och alles sin gesinde glbbig wurden
an ünsern h're ih'm xpm. Dien gap er och ir gut ivid' da mit sti in geköfet hatten
vn sahied lieplich vö inen. (26 b) Dannan gieng er in ein schif mit vil andre lüte
vn wolt uarn gege Home, in dem schiffe wc er fünf tage ane spise de er mit ax.
Nu wände die schif h'ren er hete liht ehveme spise vn gold beuolhen. vn fragten in
warumb er mit andren lüte sin spise nit exi. Do spch er. Ich enhab nit spise.
sü fragten in was er inen wölti gebe xe uerschatxe. Do spch er. ich habe ich
nit xe gebene. Do schulte sü in sere. Dax leid er gar gedulteklicli. vn hä mit
irem gemeine almüse xe rome. Da fragte er wa d1 aller beivartest münch in Home
teere gesessen, vn also vant er Domicionem einen gar heilige man. bi des bette
ivurde siechen gesunt nach sime töde. den sah er vn wart von ime gebess'et an
uolkomne leben, wä d'selbe heilig man hatte grox vn hohe kunst uö d' geschrift.
D' xeigte im nach frage ein maget du hatte sich beschlossen in ein celle manigen
tag de si nie mensche gesah. xü d' kam er vn bat iT mrgrfc dien' in de si d< kltts-
n'inen vö ime seiti er wölti si gern gesehen, vn si spch. Si gesah in mcmigS iare
nie mensche. Do spch er. Gag hine vn sprich got habe in ich \n ir gesant. Also
sax er drie tag uor d' celle (27 a) vn ivart kume enphangen. de si mit im wÖlte
reden. Do hüb er die rede gege ir an vn spch also, wes sitzest du hie. Si dticürt
im vn spch. Ich gan. Er spch war. Si sprach. \u gotte. Er spch. I. ehest du
in
od1 bist du tot. Si spch. Ich getrüwS got de ich </' weite tut si. wan swer mit
dem, fleische lebet d' mag xü gotte nit gä. Do spch er. wiU du mir beweri de du
tot sist so tu de ich tun. gang her es a/se ich. Si sprach. Ich kam in fünf vn
uierxig iare nie für die celle. vil heizest du mich nu hin es gan. Er spch. ia.
Du spreche du w'est dirre weite tot. du lebest d> weite nooh r» du weit lein
dir. Bist aber du tot nah diu' sage sit den ein töte nutes heuindcf so ist dir her
es gan als da inne blibe ein vn ein. dar u/> gang her es. Si gieng es iu>n der
celle in ein leilchun. dar gieng er ir nah vn spch. teilt du mir teol heieeren de
du tot siest vn nit lebist so in als ich tun da bt erkenne ich de du </' irelt tot bist,
xühe din gewant ab dir vil lege es vf diu aohsele vnd gang mir nach durch die
390 I I'.KBT
stat nackent. Si spch. I'u mit betrübe ich alle die die -mich also boxlich scheut
(jitn vfl sprechet ich si vnsinnig od' mit (27b) dem t/iucl besessen. Do spch er.
tvas schadet dir was man uö dir seif du bis! doch, d' weite tot. ein töte achtet
nit ob man sin spottet ald' nit. schelten vn lobS ist im glich wa er enphindei
nichteznit. Do spch du mögt. Gebute mir and's swas du wellest, ich bin noch so
uolkotue nit de ich so gar anc schäme si. J>" untinirt er ir vh spch. Stoßest' dar
umbe hüte dich de du dich selbe in dmem h'xen niht >v.e hohe achtest od' wegest als
ob du heilig' sist denne alle lute vn als du :<■ gründe tot siest. Ich bin et /ras mc
d' weite tot den du. ich löge mit de w'Jcen deich mit dem müde sag. ich gan vnd
die tute vh betrübent mich ire wort noch int tr'fc nit an keinen sache. ich bin ir
scheitern vn ir lobes anc fr öde vn ane leid reht als ein töte, also bist du noch nit.
ru mit dise Worten brahte d' heilig man die maget ab geistlicher hiiffart in ein
uorhte de si demütig wart vnd sich selb' erkunde de si an geistlichem lebene minre
was den si wände sin. also ril hatte er si gebessert vn schied vö ir. Andersua
tet er bch vil grozer vh loblich' wüneklich' dinge da mitte er gewerlichen zuigte de
er d' weite tot tvas. von dirre wette (28 a) schied er in dem sechzigoste iare vn für
zu vnserm h'ren. vö dem er nu gekrönet ist vn mit deme er fröde hat ane ende
(Palm 79, 15 = § 200). — Eulogius hiez ein büchmeister der liez sin gut vn sin
eigen uöllekliche umb den ewigen Ion. Nu konde er sich sin' arbeite niht began
vn hatte bresten an sime libe da vö er in samnilge noch an d' einödi nit mohte
sin. vn darumb behielt er im selb etlich teil sines gutes dauö er sin notdurft
mochte habe in sime huse. Der uant einen uxsetzigcn an d' straze ligede d* hiez
Elephanciosus vn d' hatte weder nasen noch hende noch ffts.se du hatte im die
uzsetzikeit abgefület. er hatte an sinem libe nütez getvalt wem d' zunge da mitte
bat er das almüsen. Disen dürftigen bat Eulogius de er bi im wölt sin vii not-
durft wÖlte uö im neme. Des wart d> siech fro. Danne fürte er in in sin hus
vn phlag sin mit spise vn mit bed'n. er hüb vn leit in mit flize gedulteklich fünf-
zehe iar vn alse gütlich de er den siechen nie betrübte noch vö im nie besweret
tvart. Darnach wart d' siech als vngedultig vn begonde tiö im wid' strebe, darxu
schalt er in vnd spch. Du abtrünniger du hast din hus fressen (28 b) vn hast
uerstoln fremdes gut daz mort wiltu mit mir decken. Eulogi9 spch. Lieb' h're
min rede also nüt. han ich dir icht leides getan de sag ich besser dir es. D' siech
sprach zornlich. Ich bedarf dins glichsens nit noch din' gittete. wirfe mich toid'
an die straze. Eulogius sjjch. Lieb' uatt' zürne also nit toie hab ich dich be-
sweret. Do sprach er gnmeklich. Ich mag dines vngetrüwen Spottes nit erliden.
din kargü dürrü spise ist mir nit ein schimph. ich wil fleisches sat tc'dcn. D'
gedultig Eulogi9 gap im fleisches genüg. Do rufte er lute vh sprach, du enkanst
mir niem' getün de ich müg für gut von dir geneme. ich mag bi dir nit blibe.
ich tvil die lüte sehe vn bi in sin. Eulogi9 spch. Ich bringe dir uil brüder her.
Do sprach er. ich sihe doch dich alleine vngern will du mir dene din1 glichen mc
bringen ir sint nuivan brot esser. vh begond sich selb schlahen vh spch. Wirfe
mich vs. ich blibe nit bi dir. wä d' tüuel hatte in also uerk'et de er sich selbe
wolt han erhenket ob er hende vh füsse hetti gehebt. Nu sah d' gut Eulogius de a"
dürftig nit erwinden trotte, darüb gieng er zu dien guten einsidelen die nahen bi
(29 a) im sazen vh suchte rat üb' sin arbeit. Die rieten im de er den sieche furti
für den groze Antlioniü vh nach sime rate dem siechen teti. Do gieng er wid'
kein vh üb'wand den sieche mit guter rede de er g'ne mit im wolt. Eulogiv nam
sinen sieche vh trüg in % ein schif vh kä für Anthoniü da sine iügern in ein'
MHD. ÜBERSETZUNG DES LEBENS DER VÄTER 391
cclle warent. vii an dein and'n tage xe uesper do kam d' grox Anthonius des geweint
was uö hüten gemachet, vnd nach siner gewonheit fraget er Machariü ob br/id' dar
werin kome. Der seit im de brüd' uö ierusalem da w'in vn Öch uö eggpto. Bi
dien uö ierusale wäre im betütet de geistlich brüder w'in kome. Bi dien vö Eggpto
wäre im bexeichet and' verlaxe vii vngeistliche brüd'e die sin' lere nid wirdig waren.
Die nacht sax Anthonv) vn hiex einen brüd' nach dem and'n für sich kome. Niemä
konde gesage wer vnd' ine Eulogius hiexi. vn Anthoni9 rufte selb dristunt mit
name vn spch. Eulogi. Doch sweig d' Schulmeister vn gedahte de etwer and'e
Eulogius hiexi. Do sprach Anthoni9. Ich rufe dir Eulogi uö Alexandria.
Eulogi9 spch. vatt' was ist din gebot. Anthoni9 fragte in warumb er dar u'e
kome. Do spch er. Swer dir mine name seit d' hat dir öch (29 b) min sache ge-
seit. Do spch Anthoni9. Din dig weix ich wol. sag es disen brüdern. Nach sime
gebotte seit Eidogi9 dien brüd'n vn spch also. Ich vant disen Elephanciosum an
dem weg ligende uerworfen ane helfe den fürte ich hein vn lobte got vii ime de ich
sin wollte pflegen vnx an sinen oder minen tot. de wir samet dax himelricJi mSehtin
erwerbe. Nu sien wir sament gewesen mit friden lieplich funfxehe iar. Nach
disen iaren allen ist er mir gehax ane schulde vn schiltet mich vn wil bi mir nit
blibe. vn ist also sio'e worde de ich in ivolte wid' vs lege. Heilig' uatt' dar üb'
gibe dinen rat. vn bitte got de er mir helfe. Do wart Anthoni9 xornig vn spch
grzmeklich. Eulogi wir fest du in uö dir got uerivirfet sin nit d' in geschuf,
wirfest du in vs er rindet einen bexx'n den du. got er wellet im einen d$ den tier-
weiseten cnphahet. vö der h'ten rede erstummete Eulogi9 vn erschrak. Do kerte sich
Anthonius gegen dem. dürftigen vnd spch xornlich Xu im. Elephanciose du bist
uö horwe vn uö vnsuberkeite egschlich. du bist vnivirdig himels vn d' erde, vn uilt
du nüt ertvinden an übcler rede wider got. iveist du mit der dir (30a) dienet de ist
xpc. wie getarst du wid' xpm also gereden. Dirre hat sich i dinen dienest ergebe
dur xpm. Der siech erschrak och vö sine worte vn siveig. Anihom9 kerte sich \u
dien brüd'n vn antwurte ieklichem sin' frage als sü dar kome wäre. Dar nah
kerte er wid' an Eulogiü vn an den vxsetxige vn spch milteklich xü inen beulen.
Lieben kint kerent von einand' nit. gan mit friden in üw' celle da ir gote langt
gedienet hant. Legent uö ich alle trurikeit. got sendet schier nah ich. Disü be-
korunge ist ich beschehe wan ir sint beide kome xu dcui ende üwers lebens. ir
w'dent gekrönet tünt nit and's de üch d' cngcl nit rinde an d' stat da ir w'dent
beröbet üw' krönen. Also füre sü beide mit ganxer liehi und' in ir cclle. tm inrent
uierxehen tage na/m ins1 hsre Eulogiü uö dien arbeiten dirre weite, vnd nach drin
tage starb bch Elcphanciosus. Eronius sah vn horte dis vn schreib es (Palm 21,3
= § 68). — Serapion der abt seit uö im selbe de er a% mit sime abte in sin' iugeni
vn uon des tieuels rate nam er d' spise ein teil in sinen büsen de es sin abt nit
sah. Dax brahte er in ein geironheit de er sin darnach nit moht erb'n. Nu strafte
in sin h'xe (30b) .Je- xit vmb die sünde. doch ..hamete3 er sich ir uls<> ser... ,c* er
si dem abte nie getorste gebihten. Nu fügte dK erbarmh'xig gut de and* brud' katnd
für Theonä sinen abt dur ir sei heil vn fragten in rates rmb ir gedenke. Po spch
er. Enkciu ding ist einem münehc als gar schade so da\ er sins h'zen gedenke
1) Raud auf 30a beschnitten.
2) "Wügeu des abgeschnittenen raudes nur so viel EU lesen, es muflS natürlich
alle stehen.
3) "Wol schamete zu losen.
4) Zu lesen de.
392 NKBERT
uerswiget uor ainem bicht'e. wü des fröwet sich d* tüuel so sere. vn bred/igte inen uö
küsckikeit. Do geddht Serapion de in die lere cmhorti vn warf vs sinem büsen de
er halle uerstoln vn viel nid* für Theonä sinen abt vn bat in gnaden vmb die swnde
die er hate getan vn gebettes üb' die kunftig't swnde. Do spch d' alte. Sun din
bihte hal iliih erlöset vö dirre geuanknüst. Du hast mit dirre bihte den tüuel
erschlagen ds din gewaltig uns die wile du die swnde v'swige. er kwnt x/& dir niem'
me wü er ist offelich vs dinem h'xe ueriagt. vn nah disen Worten für d' tüuel us
Serapions busem als ein fwrin flamme vn erfülle da% hus mit groxem smacke als
ob vil swcbels da brunne. Du spch d' abt. <s'/// lieh' swn vnser h're seit dir mit
disem ■.eichet/ dm du nach minen icorte bist erlöset (Palm 43, 16 = § 128). — W/n
bräd' hatte ha% tu einem and'n. dax vernam (31*) er vn Hex in nit in sin' celle.
Nu seit d1 brüder einem alte ir sacke. ds spch. Du solt di/nen bräd' nit schuldig
gebe vn dich rehtnerlig machen in dime h'xen. wü dar umb Hex er dich nit in d'
celle. ergibc dich ime1 schuldig rn gib in für rtlschuldig so git im got gnade de
er dir rf Int rn din frnnl irirt". (lot /eil de d* mensche sich selbe schuldig geh
rn nüt and' lütc. vö disen wortc erkunde sich d' brüd' vn sachte gnade an sinen
bräd' dem er hax trüg vn wart uö im liejtlich epliugen rii blibe % gäzem fridc
(Palm 45, 3 = § 135). — Sincletica du selige iungfrbwe spch. Eiter giftig wurme
werdent vHribe uö dem mesche m . . s scharph' arxenie. Also mi . . .4 d' mesch sine
vnreinen gedenke uö im v'triben mit uastenne vn mit gebette (Palm 46, 7 = § 136). —
Ein alt' ivas gar siech dem dienten brüd'e gar flixeklich. vn do d' alte sah ds
bräd' arbeit do sprach er. Ich ivil uarn in egyptü de ich dise brml'e nit beswere.
Do spch Moyses d' abt. var da hin nit ald' du tcallest 1 vnküschikeit. Des wart
er trurig vn spch. Min lip ist tot vn redest du also mit mir. Also gieng er in
egyptum. Dax v'name die lüte vn brahte im swes er bedorfte. Dar kam öch ein
magt vn diente im dar got. Nu begonde er genesen sines siechtagen vn gelag b%
d1 (31b) . . ngfröwe6 du wart bi . . . i5 swanger eins kindes vn seit es allen ir nach-
geburen. die glöbten ir nüt. vn fragten den alten der veriah. vn bat sii edle dax
leint behüten so es geborn wurde. Du frötv gebar, rn do dax kint entwenet wart
do trag es d' ds alte vf im xe ein1 hochgexit für alle sine brüd%e in Scythi vn spch.
Sehent dis kint de ist miner vngehorsami kint. Dis weinden die brüd' alle sament.
Do spch d' alte. Lieben brüd' hütent ich. dis hob ich an minem alter getan.
darümb bittent üb' mich. Also gieng er in sin celle (Palm 48, 25 = § 143). — Ein
manch was in d' wüsti lange, xü de kam ein magt vn seit im de er ir mag w'e
vö gebürle vfi bleib bi ime. Darnah wart er ir so heimlich de er bi ir gelag. Nu
was % dem selbe walde ein ander einsidel d' wolt eins tages essen do viel im sin
koph mit wasser umbe. er hüb in vf do viel er ab' vmbe. swie dik er in vf häb
so uiel er als dike ivid' nider. Des erschrak d' brüd' vnd gieng vs de er es dem
alte wolte sage. Des nachtes kam er vf d' straxe in ein wüstes tepel * ein bethus
vfi wolte schlafen. Do kamen vil tieuele da xesäme die horte er sprechen wie sü
d' selbe naht den alten in vnküschkeit kettin ge (32 a) worfen. Do er dis erhörte des
wund'ote in. Do aber d' tag vf gieng do gieng er hin xü dem alten den vant er in
grox' trurkeit. Do spch d' frömde brüd'. was sol ich tun. nn koph uallct mir alle
1) Rot durchgestrichen.
2) Am rand steht eim'e.
3) Wegen abgeschnittenen randes, wol mit zu lesen.
4) Wegen abgeschnittenen randes, wol müx.
5) Rand verschnitten.
MHD. ÜBERSETZUNG DES LEBENS DER VÄTER 393
•. U mibe. Do spch d' alte, was sol ich tfin. ich lag in dirre naht bi einem wibe.
Do seite im di brüd' wie ime dar die tienel hettin geseit vf dem wege. Datum
erschrak d' alt vn spch. Ich wil tvid' vs uam in die weit. Do spch d1 gast. Brü-
der bis gedultig rn blibe an dirre stat vn vHribe das wip wid' kein. di tiencl ge-
sehiif die stünde. Nu kestige din h'xe vil dinen lip. rn such gotes erb'mde unx an
dinen tbt so erbarmet sich got iibs dich (Palm 49, 10 = § 144). — Ein altuaW seit
alsus. Es was eins males eins heidenschen priest's sitn. des uaW gieng dicke %
ein bethus oph'en sinen abgötten. Nu schleich im einer xit das kint nach gar hein-
lich durch sine kintheit. Do sah es einen alten tüuel sitxen in dem bethitse mit
einer groxen schare sin' genoxen. Nie kam sin1 timel ein' vn st/int für in. %ü
dem sprach er. wannan kumest du. Er spch. Ich kum uo dem lade da //an ich
geschaffet vrlüge vn manschiaht gar vil. vn kum de ich dir es sage. Do fragte in
ds tüuel vn spch. In wie langer xit (32 b) ist dis geschehen. Do spch er. in drixig
tage. Den hiex d' tüuel sehiahen dax er in so teil tage mit nie hatte gesehaffet.
Do kam aber ein and' tüuel vn spch er hetti in xwanxig tage vf dem mer eil
schiffen mit lüte ertrenket. den hiex ds alte tieuel och schlahen de er in so mengem
tage nüt nie hatte geschaffet. Do kam der dritte tüuel. vn seite de er T, xelie tage
in einer stat bi eime brutlbfe manschiaht hetti geschaffet de da d' brütgome vn du
brut vn vil and'r lüte w'e erschlage, des duckte ab' den alten tüuel xe lutxel. vö
so lag' xit vn hiex in öch schlahe. Der ttierde kam. für in rn spch. Ich hau in d'
wüsti einen münch angeuochten uierxig iar der lag hinacht bi einem icibe. Do
staut d' alte tüuel gegen im vf vn saxte ime sin kröne vf sin hbpt vn spch. Du
hast ein grox ding in hurxen xiten geschaffet. Dis rede horte das kint. rn gedahle
de niemä achtber ist in himel noch in helle noch vf d' erde wart der d' gotte lebt
m d' weit nüt. vnd dauö für er vö sinem vat' in die kristenheit vnd wart ein
münch (Palm 49, 30 = § 145). — Pafnucius der abt trank selten win. Der kam eins
lages in d' wüsti in ein geselleschaft od' samnüge da, waren (33a) mord'e die trun-
ken win. Nu erkunde ir hbptman Pafnuciü rn /eiste de er selten win trank. D'
fulte im einen hoph mit /eine den bot er im mit, d1 eine hand ica er sali das er
müde was vn hüb in d% andren hand ein bloxes swert vn spch. Trinkest da nit
ich schlahe dich. D' alte trank, tvä er sah de d' mor/t' gottes gebot hatte erfüllet
mit sinem wine vn wolt in gotte tvid' gewinnen mit dem tränke. Do spch </'
mord'. vatt' uergibe mir dax ich dich hab trarig gemachet. D' alte sprach. Ich
globe de got vmb dise win sich erbarme ii/>" die// in dirre /reite vnd in </' künftige
weit. Do spch d' diebe meist'. Ich, glühe de mem' menschen leid uö mir nie be-
schulet. An d'stat bekerte in der alte rn, sine geselle \ii ünserm h're. Dation sol
man etwene übele lüte irs wille tiolge dur got ob es xe gut komi mag (Palm 76. S
= §196). — Pymenius d' abt spch. wasser ist im natur weich m steine si/ni herte.
Vit ab' ein stein da wasser allüxit vf in flüxet ml' trophet er machet in //"/■ Also
ist gottes wort weich vil unser h'xe ist herte rn doch s/eer gerne höret da: wort
gottes vn dicke dar au gedenket d' machet gottes worte / sinem h'%B ein stat (Palm
28, 6 — § 87). — Ein all' spch. Seit dir U ttian aaii </' geselirift od' ao andren
sache so krieg mit im nit. spricliet er ii-arlieit so gehille ime. seit er vnreht so
sprich, du solt /risse wie da redest (Palm 28, 21 §90). — Sanetum Antluaiia
fraget ein büchmeister rn spch wie er aue buche trost mähte sin. Po sprach Au-
thoni9. Die wisheit miner buche ist du nature d' dinge du got geschaffen hat du
ist bi mir so ich gottes wort lese wil (fehlt Ihm Palm, Ro88weyde VI i. 16 659b). —
J'.in brüd' kam eins males \a Saucto Machario rn si/cl/tc teasser \e trinkt ne. lean
394 NEBKKT
er von hitxe turstiy was. Do spch d' abt. Laxe dich begnügen mit dem schatte
des bedürfte mattig' /ml rf dem nasser rn hat sin nit (fehlt bei Palm, Rossweyde
VI 4, 17 = 659 b). — Ein riht'e vieg eins tnales einen diep vor dem, lache du Pastor
d' abt inne gesessen /ras. durumb bäte die litte den abt de er in wöltc vö dem riht'
iji ii innen. Do spch d' alte. Gebent mir drie tag frist so kum ich de~ne. Die drie
tage bat d' abt v'ns'n h're de er im die gnade niht liexi geschehen, wan er norhte
de in die Inte an d' stat niem' me Hessin gernnen. Darnah kam er vn bat er den
rililer. vn d' riht' spch. vatter bittest du vmb einen diep. Do fröwte sich der abt
de in d> riht' nit wolt geiv'en vn gie tvid' % sine celle (fehlt bei Palm, Rossweyde
VI 4, 32 = 661a). — (34a) Man uindet in dem buche geschribc uö eime abte d' hiex
Paulus vn was in Egypten bi einer stat da hiex Thebe de er eit'giftig schlangen
vn aller schlaht übel' wurme die in dem selbe lande wäre mit sinen handen angreif in
su xerxarte de im niht geschah, vnd d' wart gefraget uö sine brüd'n wa mit er
die genade uö1 got lietti v' dienet. Do spch er. Liebe brüder. sirer luter ist deme
müssen allü ding vndertenig sin als adarne in dem paradys e das er gottes gebot
üb'gienge (Palm 7, 16 = §25). — Ein keiser uö Rome hiex Julianus der teas ab-
trünnig toorden uö d' krislenheit wider in die heidenschaft. Nu hate er einen
xöb'er vnder im d> sante einen tüuel in das land da du sunne vnd' gat de er im
mere dannen brechte. vfi d' bleip xehen tage vn naht an ein1 stat da was ein ein-
sidel uor dex gebette moht er nie furo kome. vn er für und' für den keiser vfi
klagte im de in d> münch hetti geirret mit sinem gebette xehe tag vn naht ane vndi
lax de er nie stunde mohte für in komen. vn dis was deme keiser xorn. vfi er
swür des so er wid' he in kernt de er in wölti mart'en. do wart er an d' selben
(34 b) uerte uö eime heide erslagen (Palm 7, 24 = § 26). — Ein brüder was ein ein-
sidel bi dem Jordan. d> gieng dur schatten ab ds hitxe in ein hol. da uand er
inne einen loiven d1 begonde grisgrämen vfi vngeberdig sin. Dax sah d' alte vnd spch.
ivie ist dir so angst, wir sien wol beide hie Ine. od' gang du hin vs. Do mohte
in d1 lowe nit erliden vfi gieg uö im vs (Palm 8,3 = § 27). — Ein weltlicher man
was beheft vnd kam in ein Most', vn die brüd' täte alle ir gebet üb' in vfi mohten
den bösen geist uö im nit v'triben. Nu spräche sü xü ein and'. Niemä mag in
vertribe ivä d' abt Besarion. seit man im ab' de er hie ist so kumet er nit in dax
münst'. darumb heissen ivir den tüuelsüchtige sitxen od'ligc in die kilchen so dene
d> abt kumet so bitte wir in de er in heisse vf stan. Dis geschah, vnd do in d>
abt in d' kilchen uant do spche die brüd'e xü im. vatt' teecke den vf er schlafet.
Do spch d' alte. Stand vf vn gang vs. vö dem gebotte für d' tieuel vs dem men-
schen vfi Hex in gesunt (fehlt bei Palm, Rossweyde VI, 2, 4 = 649 b; VII 14, 2 =
671a; III121 = 518a). — Moysen den abt fragte ein brüd' vfi spch. Ein man
schieltet sinen kneht vmb sin missetat. was sol d' kneht sprechen. D' alte spch.
Ist er ein gut' kneht so sprichx er Ich hob (35a) gesundet erbarme dich üb' mich.
D' brüd' fragete ab' vfi spch. Sol er vt me spreche. Do spch d' alt. Nein. So
er sich schuldig git de er gesundet hob xehant so erbarmet sich sin h're üb'in.
Darnach gat dax niemä sins ebeinensche getat berihten sol. Do vnsers h'ren hand
alle die ersten geburt schlug t dem lande Egypto do was enkein hux da mit töten
inne iv'e. Do spch d' brüder. was betütet das ivort.^D' alt spch. Sehe wir an
lins' silnde so achtetin wir vf ünsers ebemensche sünde nit. Es ist nit ein witxe
ob iemä sinen töten in sinem huse lat lige vn us uö im gat de er helfe klage
1) Am Rand steht vmb.
MHD. ÜBERSETZUNG DES LEBENS DER VÄTER 395
andren lüten ir töten. Stirb allen Inte, de ist als teil gesprochen. Trag allein dine
sünde. gedenk vf niemä ivie übel er si. oder wie gut dirre si. Tu wiemü/n übel,
v'smahe niemäne umb de er übel tut. Gelimphe niemä ds übel tut. Hind'red nie-
män. sprich, got erkenet ieklichen wol. hilf ds hind'red nit tun vn höre es nit
gerne, wä got sprichet. Bihtent nit so w'dent ir nit gerihtet. hab tcid> niemän
uientschaft in dime h'zen. v'smahe niemän ob er vientschaft hat so geunnest du
friden. Tröste dich selben also de du gedenkest de (35b) du liplich od' zitlich ar-
beit vnlang teert vn darnah gat eivikliche rtnve vn fröde (fehlt bei Palm. Rossweyde
VI, 4, 7 — 658a). — Der abt Agathon spch. Bist du bi dine brüd'n so bis als ein
steint sul. du zürnet nit ob mä si schehet. vn d1 si er et des üb'hebt si sich nit
(fehlt bei Palm, Rossweyde VII 42, 2 = 683a). — Pastor d1 abt sprach. Swer zwen
rocke habe d' v'köffe einen vnd köffe ein sicert. Bi dien rocken ist bezeichet, der
rüw hat d' sol si geben vmb arbeit, da mitte ist bezeichent duz sivert da mit man
müz dem tüuel angesigen (fehlt bei Palm, Rossweyde VI, 4, 14 = 659b). — Johan-
nern den abt fragte ein brüd' also. Warumbe schämet sich du sei mit de si uö ir
ebenmensche übel redet vn si selb wund ist. Do spch ds alte. Ein armer man
hatte ein wip zu ds nam er ein and1 dur ir schönt'. Nu waren sü beide nackent
uö ir armüt. vn eins rnales wart ein groz markt in dem lande, vnd du wib baten
den armen man de er sü dar färti. Do nam er einen zub' vnd sazte Sit beide dar
in vn fürte sü vf den markt, vnd umb den mitte tag begonden die lüte rfuvc von
d' hitze. Do gieng d' frötven einte vs dem zub' du vant nahe bi ir ein alt ver-
worfen tüch da mit bedakte si ir schäme vn gieng do frölich' den uor. Dar \"
spch du in dem zuber. Nu sehent du schände ist nackent (3Ga) vn schämet sich
nit. Dauö erschrak d' man vn spch mit sere. 0 wunder, du hat ir schaute ct/vc
uü bedecket so bist du zemale gar bloz. vn schämest dich nit de du si beschiltcst
du etwas an ir hat. Also ist ein ieklich' Kinder reder d' sihet an sin sünde nit
vn berihtet frömde sünde (fehlt bei Palm, Rossweyde VI, 4, 10 = 65Sb). —
Dric brud' gienge sament vn dingeten eins riehen mänes kom vf sime ack'
ab ze snidene vmb Ion. d'o wart ein' siech vn gieng und* kein in sin celle.
Do spräche die zwene. wir süle dis w'k uolbrtge rnsers brüd's gebet hilfet vns
an sin' stat. vh griffen die arbeit an. vn vns' h're sah an ir andaht vn half
ine de sü daz kom hatten ab gesnitten uor <le>n tage als sü es hatten 'Irin bru-
dern vf geleit. vn do sü de Ion enphiengen do santen sti nach dem dritten
bruil' vn butte im sinen teil, dez enwolte er nit. vn sprach er lictti sin nit
v'dienet. vn wurde darumb kriegede. vn nach lang' rede kamen s/t für einen
heilige abt vn leite ime ire krieg für. I><> gebot d' abt dem siechen brüd' d, er
sinen teil des lones müste neme (Palm 12, 26 = § 42). — Ein brüd' sas in der
wüsti mit dem waren tüuel stetekliche vn er wände vn gedachte de sii enget iv'in.
zu deme gieng sin uatter de er in gesehi vti trüg ein biet (36b) de er hol\ mit int
wid' kein wolle bringe. Do li'tf ein tüuel KU im vH spch. Sihc d' tüuel humt in
dins uat' glichnüst vn treit ein biet t/u mit er dich mordi teil, t/u sott in c nid'
schlahen. D' brttd' glöbte das vnd schlug sinen uatter mit sinrm l>icl \> töde. Do
gieg d' tüuel dur nt erwürgte och den brutto- (Palm 12, IS = §41). — Ein altttatt'
sprach VU einem und'n also. Ich bin tbd t/irre weite. Do spch d' a/tc. (letriite
tlir selber nit die teile du lebest. Du teiltest tot sin so lcl>et ab' </' ttiuel noch </'
hat list ane zal (Palm (i, 17 =§22). — Ein alt' sprach. Als vnmuglich das ist de
leiiiu sin antlt'tt in trübem ivasscr mtttj gesehen, also mag du sele nit undcclitklich
bette e de si sich reiniget im gedenken (fehlt bei Palm, Rossweyde V. L2, 13 - Ü14'). —
396 ma< hi i.i
Hin alt' spi-ii. v'smaht iiimii brud' ii iL du iuris/ ob d' heilig geist hi dir ist oder
Li iuir (fehlt bei Palm, Roa weyde, Sententiae83 I005b). — Ein brüd1 fragte den
ulit Pymenionem im spch. was sol ich lim. ich habe wnuehtüge vö vnküschikeit >u
irin/ och dik zornig. Do spch 'h alt. Dauid d' toissag seit de er (iui ii hure er-
srh/iu/e ru riii, hcru erirunjlr. l)nx ist also %,e v'stenne. Er sneit den xorn uQ
siiiriu hrr:c. ru r'druk/r die rukusrliheil mit a rhcite>tue (Palm 51,24 = § 14K), —
Sysoi9 spch. Ein mesch küt suis müdes vn mache sin sei lebende (Palm 42,10
= § 120).
NAUMBURG (SAALE). KKI'.Hoi.d NEBEBT.
MISCELLE.
Hartmanns kreuzlieder und MF 206,10 — 19.
Der tod seines herrn hat Hartmann bis auf den grund der seele erschüttert.
Der beste teil seiner lebensfreude war mit ihm verknüpft und ist mit ihm zu grabe
getragen. Der gedanke an den eigenen tod hat sich seiner bemächtigt und drängt ihn,
für sein Seelenheil zu sorgen. Hartmann hat erkannt, dass die freuden der weit
trügerisch sind; er betrachtet es als die torheit seines lebens, dass er ihnen nach-
gegangen ist. Wie freundlich ihn aber auch die weit locken mag, er trägt nach ihr
kein verlangen mehr. Nach dem tode seines herrn lässt sie ihn kalt. Gott möge
ihm bei dieser abkehr von der weit helfen, dass er nicht wider in die gewalt des
teufeis gerate.
Eine zweite gedankenreihe, die mit der ersten verschlungen ist, schliesst sich
an die kreuznahme des dichters: das kreuzeszeichen ist ihm ein Schutzmittel gegen
die immer widerkehrenden lockungen der weit. Es soll ihm helfen, das ewige leben
zu erwerben, das ziel zu erreichen, das er sien nach dem tode des herrn gesetzt
hat. Aber auch seinem geliebten herrn soll die kreuzfahrt zugute kommen. Damit
er mit ihm im himmel wider vereint werde, widmet er ihm die hälfte von ihr. Schon
sieht er voll entzücken das ziel vor sich. Die kreuzeszeichen
kündent eine sntnerzit
diu also gar in süexer ougenweide IM.
Alle irdische sorge ist aus seinem herzen verscheucht, ein neues leben voll inneren
glucks hat für ihn begonnen. Sein herz ist daher von dankbarkeit gegen gott erfüllt,
der ihn in den stand versetzt hat, an dieser seligmachenden fahrt teilzunehmen.
Diese gedanken betreffen Hartmann persönlich. Von ihnen erfüllt, fordert er
die deutsche ritterschaft auf, das kreuz zu nehmen. An die hochgesinnten wendet
er sich besonders. Das, worauf sie ihren sinn gerichtet haben, den rühm der weit,
können sie auch auf der kreuzfahrt erwerben, dazu aber noch ein weit herrlicheres
gut, die ewige Seligkeit. "Wem aber dies zu teil werden soll, der muss ein keusches
herz und einen reinen sinn zur fahrt mitbringen. Für den zügellosen, der sich nicht
beherrschen und von sünde frei halten kann, ist das kreuz nur eine fessel und bringt
ihm keinen gewinn. Aber nicht allein den männern, die in den heiligen kämpf ziehen,
bringt die kreuzfahrt gewinn, sondern ihr segen wird auch der frau zu teil, welche
ihren mann im rechten geiste auf die fahrt sendet. Auch sie muss, wie der mann,
herz und sinn rein halten. Sie bete für sich und ihren gatten. So frommt die kreuz-
fahrt des mannes auch ihr.
HABTMANNS KREUZLIEDER 397
Acht von den neun kreuzliedern Hartmanns sind es. welche wir im vor-
stehenden analysiert haben. Sie umfassen nur 79 verse, aber welcher reichtum von
gedanken ist in ihnen enthalten! Sie strömen aus der tiefe eines leiderfüllten herzens,
das mit den freuden der weit gebrochen, aber gerade dadurch in sich ruhe gefunden
hat. Sie steigen auf zu dem höchsten und reinsten ideal eines kreuzritters , der der
sache gottes mit leier und Schwert dient. Nicht in vollen Strophen tönt sein lied; es
bewegt sich in den knappsten Worten und formen, alles lyrische bei werk verschmähend,
nur den kern bietend.1 Aus dem engen rahmen aber tritt uns eine scharf ausgeprägte,
fest in sich geschlossene persönlichkeit entgegen, die nur ein erhabenes ziel vor äugen
hat und diesem mit aller inbrunst zustrebt. Bei ihr wollen sich nicht herze und llp
scheiden, wie bei Friedrich von Husen (MF 47,9); in ihr toben auch nicht die ge-
danken, dass sie wider an die alten mcere und wider fröide pflegen wollen, wie in
Keinmar (MF 181,13 — 32).
Dasselbe bild bietet uns nun das neunte lied: Ich rar mit iuwern kulden,
Herren unde mage, trotzdem es auf einen ganz andern ton gestimmt ist. Dort mahnt
der dichter mit Worten, die gerade durch ihre ruhe wirken, zur kreuzfahl t; hier
schlägt er in leidenschaftlichem feuer dem falschen ideal seiner zeit mit der faust ins
gesiebt. Er, der doch selbst dereinst die süssigkeit des liebeswahns besungen hatte
(MF 208, 20fgg.), ruft nun den minnesängern zu:
Ir minnesinger1 iu niuox ofte »lisselingen:
dax iu den scltaden tuet, dax ist der wdn
und
ir ringent umbe liep dax iuwer niht enwil.
Der höhn dieser verse wird nicht durch das bedauern gemildert, iu das der dichter
sein lied ausklingen lässt:
wan müget ir armen minnen solhe minne als ich''
Und doch ist es nicht zelotischer hass, der ihm diese worte eingibt; sie sind ein
werberuf an die minnesänger, seiner heiligen sache beizutreten, wie er oben um die
ritter und frauen geworben hat:
doch scehe ich gerne dax si ir eteslichen beete,
dax er ir diente als ich ir dienen sol.
"Wir sehen: diese neun gedichte stehen im engsten seelischen und geistigen
zusammenhange. Einer Stimmung, einem geiste entsprungen, bilden sie ein ganzes.
In inhalt und form gleich hochstehend, sind sie das beste und eigenartigste, was
Hartmann geschaffen hat, und sie sollten nicht hinter seine weltliche dichtung gestellt
werden. Eines von ihnen unecht erklären'- heisst einen edelstem aus Hartmanns
ehrenkranz brechen.
Dieser selbe mann soll nun zur selben zeit das gedieht M F 20(3, 10 — 19 :1 ver-
fasst haben:
1) Schreyer, Untersuchungen über das leben und die dichtungen Bartmanns
von Aue. Progr. Fforta 1874, s. 18: „Wir finden grossen reichtum, dabei Bchnellen
fortschritt der gedanken, eine kräftige, selbstbowusste knappe Sprache, dazu die voll-
endetste reim- und verskunst."
2) Das letzte gedieht ist von Greve, Lungen, Schreyer, der Spruch: Stcelch
frouwe von Kauffmann für unecht erklärt worden, Vgl. Piper in [Kürschners D. nat-
lit, Hart. v. A., s. 27.
3) Gegen Burdachs versuch, die strophe mit (hm vorhergehenden ra vereinen,
spricht sich Sarau, Hartmann von Aue ;ils lyrikei B. I Egg. aus.
398 mach in. b
l Ich hdn des reht da% min lip trüric 8t,
wart mich tninget ein vil sendiu not.
swax fröiden mir von kinde wonte bi,
die sint verxinset als es got gebot.
u mich hat besirtrret mines her reu tot;
dar xuo so trüebet mich ein rarende leit:
mir hat ein wip genäde ividerseit,
der ich gedienet hau mit steetekeit
9 sit der stunde dax ich üf mime stabe reit.
Kann man sich denn einen schärferen gegensatz in inhalt und form denken als den
zwischen den obigen, von herber Weltverachtung, erhabenem idealismus und männ-
licher begeisterung erfüllten gedienten und diesem jammerliede? Aber nicht nur der
allgemeine eindruck, sondern auch einzelne erwägungen sprechen für seine um 'ohtheit.
Schon "VVilmanns hat auf den auffälligen umstand hingewiesen, dass ITartmann
in den kreuzliedern eine geliebte nicht erwähnt. „Von der geliebten ist in keiner
dieser Strophen die rede, und doch wäre ihre erwähnuug nicht nur natürlich, sondern
beinahe notwendig bei einem schritte, der eine jahrelange trennung, vielleicht eine
trennung auf immer zur folge hatte. Friedr. v. Hausen (MF 47, 11. 48,3), Reinmar
der Alte (181, 13), Albrecht von Johansdorf (86, 25. 87, 14, 33. 89, 21) stellen den
abschied von der geliebten gerade als das hin , was ihnen die kreuzfahrt schwer macht,
und der letztgenannte dichter will seiner dame den halben lohn abtreten: nur Hart-
mann sollte die seine ganz vergessen? Er sollte sogar so weit gehen zu sagen, die
kreuzfahrt werde ihm leicht, weil die weit ihn so gewöhnt habe, dass er nicht eben
sehr an ihr hange (211, 18)?" "Wilmanns schliesst mit recht daraus, dass Hartmann
zur zeit seiner kreuznahme nicht in einem liebesverhältnis stand.
An Friedrich von Husen sehen wir, dass ihm der minnedienst nach der kreuz-
nahme gewissensbedenken erregte. Leib und herz befinden sich miteinander in streit
(MF 47, 9fgg. und MF 46, 19 fgg.). So unsanft dieser streit auch für ihn ist (MF
46, 9fgg.), er kann sich von dem aller besten wip nicht losmachen; er muss ihr
dienen und ihrer gedenken, wohin er auch fährt. Gott möge es ihm vergeben:
dax ruoch oueh er vergeben mir:
wan ob ich des sünde siile hdn,
xwiu schuof er si so rehte wol getan?
Bei dieser frage hätte sich Hartmann wol kaum beruhigt; jedesfalls aber wäre auch
in ihm der kämpf zwischen sele und lip entbrannt und hätte seinen ausdruck in den
kreuzliedern gefunden.2
Aus diesen geht nun aber gerade mit gewissheit hervor, dass der kämpf schon
entschieden, dass der lip überwunden war und die sele den sieg davongetragen hatte.
Es ist ganz undenkbar, dass Hartmann nach der kreuznahme noch den minnedienst
und die minnedichtung gepflegt habe. Sie sind völlig unvereinbar mit der weltver-
achtung, die sich in den kreuzliedern spiegelt. Dann hätte Hartmann auch nimmer-
mehr sein trutzlied gegen die minnesänger schleudern können. Man hätte ihn höhnend
auf seinen eigenen liebesjammer verwiesen. Sein eigenes schwert hätte ihn nicht nur
geschlagen (MF 206,9), sondern erschlagen. Aber auch in die zeit, die zwischen
1) Wilmanns, Zu H. v. A. liedern und büchlein, Zschr. f. d. a. 14, s. 147 fg.
2) Auch auf Reinmar MF 181, 12 fgg. ist hier zu verweisen.
HARTMANNS KREUZLIEDF.R 399
dem tode des herrn und der kreuznahme vielleicht angenommen werden könnte, kann
unsere strophe nicht verlegt werden, denn es ist ja gerade das erstere ereignis. durch
das Hartmann, um einen ausdruck Reinmars zu gebrauchen, der gerade mnot xer
tverlte ganz genommen wird. Nach diesem Unglück hört er auf zu werben
umb allex dax ein man
xe wereltlichen fröiden tetner haben sol.
(Reinmar; MF 159, 1 fg.)
Auch in sich betrachtet, erweckt die strophe die grössten bedenken gegen ihre
echtheit. Von ibr kann ebenfalls kurz und bündig gesagt werden, dass sie nichts von
Hartmanns art hat. Als grund für seine traurigkeit gibt der dichter in erster reihe
liebeskummer an, v. 2, aber erst fünf zeilen weiter sagt er uns, welcher art dieser
liebeskummer ist und knüpft ihn nun als ein sekuudäres moment {dar xuo) an den
tod des herrn. Dieses Unglück, das Hartmann zu so ergreifenden worten bewegt,
wird hier mit den trivialen Wendungen : Ich hän des reht dax min lip trüric si und
mich hat besivceret mines herren tot abgetan, während auf der anderen seite das
kurze, nur neun zeilen umfassende gedieht an einer Übertreibung des ausdrucks
ieidet, wie sie den werken Hartmanns und ganz besonders den kreuzliedern durchaus
fremd ist.1
swax fröiden mir von kinde wonte bi,
die sint verxinset als es got gebot.
Man stelle demgegenüber die einfachen und doch so innigen worte
der fröide min den besten teil
hat er dahin.
In der strophe MF 209, 15 — 24 klagt Hartmanu, dass ihn die siccere, die er von der
geliebten erdulde, mehr bedrücke, als es die reichsacht tun würde; ihr könnte er
entweichen, aber
dix leit wont mir alles bi
und nimt von minen fröiden xins als ich si)/ eigen st.
Auch in diesen worten nichts von der Überspanntheit der obigen. Noch krasser klingt,
dass er die frau
sit der stunde dax ich üf mime stabe reit3
geliebt habe. In dem schönen liede, in dem Hartmann über sein wirkliches oder nur
vorgegebenes liebesglück jubelt, sagt er nur (MF 215, 29):
si was von kinde und muox me sin >/iin kröne,
aber diesen einfachen ausdruck ron kinde hatte der Verfasser unserer strophe schon
in der dritten zeile gebraucht, und so verstieg er sich, augenscheinlich durch reim-
1) Ein anderes urteil über die spräche dieser strophe fällt Naumann, '/.■>. I. d a.
22, 47.
2) Vgl. Nithart (48,8fgg.):
Nie/man sol tun vrouwen sieh vergdhen.
des uitrt ich wol mne: mirsi diu mtne gram.
der getrat ich leider also nähen
du: ich ii\ ir hende ein ;/hsi/i grüffel nam.
dax uns ir gekoufet, in der krdme stuont >\ veile,
dax wart mir reruiweii sit mich grÖxem iiiiheih.
do si reif mit binden üf dem seile.
400 MA'HIJI.K
not veranlasst, zu dem vorliegenden. Die Übertreibung tritt noch stärker hervor,
wenn man daran denkt, dass „der begriff, den man mitkint verband, eine viel läi
Lebenszeit ümfasste als der, den wir jetzt damit verbinden". Vgl. Mhd. W. I. 817".
Wir tun gut „von kinde" nicht mir. „von kindheil auf", Bondern mit „von Jugend auf
zu übersetzen. Dass llartniann das wort und die Wendung in diesem inne gebraucht,
dafür sei nur auf eirj besonders bezeichnendes beispiel hingewiesen. Iw. 6330 er»
zählt eine der Jungfrauen :
des selben landen hcrre
gewan den muot dax er reit
niuwan durch sine kintheit
suochen aventiure.
Selbst Iweiu wird v. 52G0 von dem truchsess ein kint genannt, gerade so als wenn
heute jemand höhnisch als „junger mann" bezeichnet wird. Die Wendung von feinde
ist häufig genug; lleinzel' hat die beispiele aus MF zusammengestellt. Nur Heinrich
von Morungeu geht einmal über den gewöhnliehen ausdruck hinaus, indem er sich
rühmt, dass er von kindheit auf einen stäten sinn gehabt habe (MF 136, 9 fgg.j.
Unter den ueun zeilen der strophe wird der inhalt der zweiten von der achten,
das von kinde der dritten von der letzten widerholt. Widerholungen sind ja bei
Hartmann nicht selten. So finden wir den vers eines kreuzliedes: got hat vil wol
%e mir getan, MF 211, 11, fast wörtlich in dem klagelied der frau über den verlust
des geliebten mannes: got hat vil lool xuo xir getan, MF 217,34. Ebenso ist es an
sich ohne belaug, dass das trüren des dichters als von einer vil sendiu not her-
rührend bezeichnet wird, in unserer kurzen Strophe ist aber nicht bloss eine oder
die andere wendung den minneliedern Hartmanns entnommen, sondern eine bei der
kürze des gedichts auffällige anzahl. Man vergleiche:
v. 2 ein vil sendiu not: MF 217,31 in müexe Helen sende not
214, 16 des herxe ist vri von sender not.
v. 3 von kinde: 215, 19, s. o.
wonte bi : 209, 24 dix leit wont mir allex bi
v. 7 mir hat ein wvp genäde wider seit : 208, 4 f gg. die sivceren tage sint alxe lane
die ich st gnaden bite
und si mir doch verseif.
v. 4 die (fröiden) sint verxinset lehnt sich sprachlich an das kreuzlied : Nu zinseilt,
ritter, iuwer leben und ouch den muot an und inhaltlich an die ebenfalls schon an-
geführte stelle: dix leit ivont mir alles bi und nimt von minem fröiden xins als
ich sin eigen si. Der kompilatorische charakter der strophe ist also wol unver-
kennbar.
"Was bedeutet nun zuletzt der ausdruck: ein varende leit? Haupt hat es in
der anmerkung zu MF als „ein zu gange gebrachtes" gedeutet, Naumann als „ein
nicht nachlassendes, den dichter immer begleitendes", Bech3 II, s. 30 als „ein leid,
das im gange ist, nicht weichen, nicht ruhen will". "Wären diese deutungen richtig,
so müssten sie auch auf den ausdruck varende fröide zutreffen. Dass dies aber
nicht der fall ist, ergibt sich aus den klaren und unzweideutigen worten Eeimars
MF 174, 3 fg.:
Ich hän varender vröuden vil
und der rehten eine nilit diu lange wer.
1) Heinzel, Über die lieder Hart. v. A., Zs. f. d. a. 15, 140.
HÄRTMANNS KREUZLIEDER 401
varende fröuden sind also in Übereinstimmung mit dem eigentlichen sinne des Wortes
„vergängliche, vorübergehende freuden". In demselben sinne ist das wort Walther
13, 23 (Wilmanns s. 130) gebraucht:
Aller arebeite heten wir vergexzen,
dö uns der kurze sumer sin gesinde wesen bat.
Der brähte uns varnde bluomen tmde blat:
du trouc uns der kurze vogelsane.
wol im der ie nach stceten fröiden rane!
Hier stehen die stceten fröiden im gegensatz zu den carnden fröiden des sommers.
Im sinne von unstcete ist das wort bei Walther von Metze gebraucht, eine stelle,
auf die Wilmanns verwiesen hat. Die ganze Strophe lautet MSH 309 b (VII, 1):
Ick habe ein herxe, dax mir sol
noch gröxen schaden oder vrumen machen;
ein vurnden Ion erwürbe ich wol,
da von ich einen sumer möhte lachen :
Als ich denne den erwürbe ■,
der tccer unstcete, sam der kle,
mit den bluomen er verdürbe,
so müest' ich werben aber, als e.
nach heile muexe ex mir ergdn: [wärt.
inger eines varnden lönes niht, mich vröut noch bax ein lieber
Aus diesen stellen1 geht hervor, dass auch rarndex leit nichts anders bedeuten kanu
als „vorübergehendes, vergängliches leid". Den gegensatz bildet stcetex leit, ivem-
dex leit.'
Nun hat Haupt für unsere stelle eine stelle aus Rubin herangezogen, aber
dabei selbst bemerkt, dass die handschriften auseinandergehen. BC haben varnd>
leit, A werndex leit.2 Die richtigkeit des letzteren ergibt sich aus dem zusammen-
1) Es sei noch verwiesen auf Reiumar von Zweter, MSH II, 186 a (50), Bartsch4
Golther, Deutsche liederdichter, s. 221:
Kiu lip, xwö sele, ein munt, ein muot,
ein triuwe vor missewende und oueh vor varnder schäm behuot, usw.
2) Für diesen ausdruck sei verwiesen auf Walther 89,26 (Wilni. s. 329):
Trist. 1530:
Trist. UÜ78:
f rinnt, dest oueh min klage
und mir ein wemde nßt.
„seht, herre", sprach si, „deist diu not.
du: ist iliu wernde herxeklage,
in der ich alle mme tage
mit lebendem übe sterben muox.
ex was diu wernde sweere,
diu endelöse herxenot,
ro// der si heidi- lägen tot.
Uliich von Singenberg:
na sende, erbarmherxer got, mir des so sUste riutoe
dax ich der weite widersage
und ich mit diner siiexen munter volleist noch den
iemer werndi n lön h<juii< .
Pf äff, Der minnesang I. s. L26 (Kürschners IV uat. lit).
ZEITSCHRIFT F. DBDTSOKH l'NU.ui.uulK. im. XXXV. 26
402 KAIJKKMANN
hang, und es ist daher mit recht von von der Hagen eingesetzt worden. MS II 1,316'
(XVII):
Dt r vogele süexex schallen
hat mich hügende hnihf.
dax min werndex leit ein teil geringet ist;
dax muox mir wol gevalh u,
dax si's habcnt gedäht:
so wol dir, Hoher sumer, dax du komen bist!
Die vorliegende stelle erweist also die möglichkeit, dass in dem varnde leil unserer,
nur von C überlieferten strophe ein fehler der handschrift vorliegt. Diese möglichkeit
erhöht sich zur Wahrscheinlichkeit, da einem minnesänger doch kaum zuzutrauen ist,
dass er eine vil sendiu not als ein varndex, ein vorübergehendes leid bezeichnet.
Wenn wir aber auch diese textänderuug mit v. d. Hagen vornehmen, die oben dar-
gelegten bedenken gegen die echtheit der strophe werden dadurch nicht vermindert.
RATIBOR. P. MA< HÜLS.
L1TTEBATUK.
Axel Olrik, Om Ragnarok. Kobenhavn 1902. 135 s. (Ssertryk of Aarb. for nord.
oldkynd. og bist. 1902).
Wie es TU 1, 137 fgg. mit dem Baidermythus versucht wurde, unternimmt es
Olrik, aus dem Fenrirmythus gewisse wandermotive erzählender dichtung uuellen-
mässig zu belegen. Bei der fesselung des Fenrir heisst es bekanntlich: man habe
bei seinem gomsparri dem wolf ein schwert zwischen ober- und Unterkiefer ein-
gesetzt (SnE p. 34 fg.); mit offenem maul kommt er zum götterkampf, sein Unter-
kiefer schleift am erdboden, der Oberkiefer steht am himmel — gapa mundi kann
•meira ef rüm vceri til — Viparr stapft mit dem einen fuss, an dem er den zauber-
schuh trägt, in den Unterkiefer, mit der faust fasst er dem untier in den Oberkiefer
und reisst ihm so den rächen entzwei (SnE p. 63 fg.). Dass wir es hier mit mär che n-
motiven, die namentlich in Osteuropa verbreitet sind, zu tun haben, hat Olrik
(s. 90 fgg.) in überzeugender darlegung erwiesen (vgl. die parallelen im Archiv f. slav.
phil. 5, 12. Radioff, Proben der volkslit. der türk. stamme 1, 38 fgg. 70fgg. 351 fgg.,
namentlich 301. Kallas, Märchen der Ljutziner Esten nr. 5): „saledes kan dette
motiv — uhyret med gab lige til himlen . . . — folges over hele den tyrkisk - finsk -
slaviske folkeverden; og fra dens nordostlige til dens sydvestlige udkant kan vi folge
det sserlige trsek, der svarer til vor Fenresulv, at kseberne nagles eller spaerres
fra hinanden ..." (s. 95).
Nun kehren diese märchenmotive aber auch in bildlicher darstellung auf dem
Gosforth - kreuz wider (Aarb. 1884, 12fgg. u.a.) und Olrik handelt s. 5fgg. über diese
darstellungen. Ich hätte zu bemerken, dass auf diesen bildern das schwert fehlt und
der held dem untier mit einer lanze in der band entgegentritt (ungefähr wie in der
s. 94 besprochenen Variante!), dass wir nach Olriks eigenen nachweisen mit einer
märchenscene rechnen müssen1 und daher kaum befugt sind, mehr aus diesen
bildlichen darstellungen zu entnehmen, als dass sie die Verbreitung des märchens in
Nordwesteuropa belegen (s. 10 fg.). Mit den wollen: „billedet ma i begge tilfa^lde
1) Vgl. Leskien -Brugmann, Litauische Volkslieder und märchen s. 407. 559.
ÜBER OLRIK, RAGXAEOK 403
fremstille Vidar" (s. 7) geht Oirik zu weit; vgl. die bemerkung s. 8 fg. und die den
Sachverhalt deckende erklärung: det er som vidnesbyrd om de enkelte fortaellingers
tilvaerelse, disse mindesmserker skal benyttes (s. 10). Mit andern worten: es kann
auch Bugge recht haben, der die vou anderen als Vidar gedeutete figur als Christus
anspricht (Home of the eddic poems s. LXV), denn mit Sicherheit ist eben nur das
märchenmotiv constatiert, über den uamen des (märchen)helden vermögen wir nichts
auszumachen. Es wäre wol richtiger gewesen, die litterarischen und die monumen-
talen Zeugnisse für die Fenrirscene im Zusammenhang zu behandeln und die steine
nicht höher einzuschätzen als die sagen und märchen. Denn das ergebnis der Unter-
suchung ist an sich lehrreich genug und wertvoll.
Nun geht aber Olrik uoch weiter und führt die ganze figur des gefesselten
Fenrir auf osteuropäische quellen zurück: auf nordischem boden sei die Vorstellung
des gefesselten raubtiers mit dem gömsparri - motiv zusammengewachsen (s. 95). Er
handelt unter dem titel „Det bundne uhyre" ausführlich über diesen punkt (s. 78fgg.)
und betont, die rolle des Fenrir gehe in raguarok auf, sei aber hierbei eine der ailer-
wichtigsteu (alle myter drejer sig om hau skal vsere bunden eller los . . han er alene
til for Verdens - odelaeggelsens skyld s. 80). Die Vorstellung eines raubtiers, das von
heldenhafter band gefesselt aber beim Weltuntergang loskommen wird, belegt Olrik
in der Apokalypse, im Avesta, in der heldensage der Tartaren, im märchen der Esten
und schliesst: den samme myte om Verdens uudergaug ma altsä have eksisteret hos
vidt adskilte grene af den finsk-tyrkiske folkeset i Asien og Osteuropa (s. 86). Wie
nun „ der gefesselte Loki " sein vorbild habe in dem gefesselten Satan des christlichen
mittelalters und daher keine altnordische Vorstellung sein könne, vielmehr in einzel-
zügen fremden einfluss sicher erkennen lasse und durchgehends sich als mit dem
christlichen Lucifer identisch erweise (s. 87), so entspreche der Feuriswolf in den
grundzügen dem finnisch- tartarischen mythus: ligesom den ragnaroksbundne mennes-
keskikkelse tilhurer et vist omräde (det kristne Europa samt Norden med dens
Lokeskikkelse) , slutter vort bundne rovdyr sig i begreb og i omräcfe til de forestillioger,
som vi kau folge gennem Osteuropa og ind pari Asiens stepper (s. 9U), vgl. s. 97:
medens den bundne Loke bygger pä kristne forestilliuger, horer Feniesuhen sam-
men med en gruppe af ostlige lands forestilliuger.
Von solchen wandermotiven und mythologischen wanderfigureu (Loki, Fenrir)
unterscheidet Olrik die im norden heimischen Weltuntergangsvorstellungen. 7on
den Färöern, von Island, namentlich aber von Jütland bringt er aus dem folklore
belege dafür bei, dass eine grosse schlänge einmal kommen uud die weit zerstören
werde (s. 97fgg. 102); bemerkenswert ist das beispiel von Brande kirke (s. 98): to
tyrekalve kaemper med lindormen og faelder den, nun er seh sä ilde medhandlede,
at de kun gär syv og ni skridt för de synker livlose til jorden en mserkelig
lighed med Voluspä, hvor Thor ogsa gar ni skridl fra den drsebte orm, för hau
r (s. 53). Olrik weist die schlänge auch in Tirol und Salzburg nach, erinnert
an die persischen und indischen parallelen (s. L03fg.), lehn! jedoch, wegen der ört-
lichen gebundenheit nordischer sagen, die annähe wandermotivs ab, betont
vielmehr die stetigkeil epischer gedanken, die noch unter dem neuen dichterischen
bild der midgardschlange durchbrechen (s. L04
Nach ähnlichem verfahren bemühi sieh Olrih die Vorstellung vom fimbulvetr
(s. Lltgg.), vom versinken der erde ins meer i L9fgg.) vom versohwinden der sonne
(s. 33fgg.) — Ursache des fimbulvetr (s. 39)? als im norden altheimisch sicher-
zustellen. Ortliche gebundenheit bedeute rüohl so viel als örtlichen Ursprung (8. L5),
26
404 B \l 1 I MANN
aber für die Vorstellung vom versinken der erde ins tneer, die allerorten an den
keltischen und nordischen küsten des Atlantischen occans begegnet, will es ihm evident
erscheinen „at nur s;i.dan en natur er ei Btadigt vilkär for denne tros bevarelse, mä
den i endnu langt höjere grad vaere en betingelse for dens fodsel (s. 23). Trotzdem
entscheidet er sich in diesem lall zu gunsten der keltischen küstenstiiche: del l t
lidet tsenkeligt, at disse nabofoLk med naer sammenhaengende kultur uafhaengig af
hinanden er komne til denne opfattelse; det ene mä have länt fra det andet . . . det
er i höjeste grad sandsynligt, at lseren om en Verdens andergang er mit fra
Kelterne til Norden, ikke omvendt (s. 30fg.)-
Als beweismaterial dafür, dass die ragnaroklehre, die weit Untergang
keltischen Ursprungs nach dem germanischen norden verpflanzt worden sei, dienen
nicht die meteorologischen anzeichen, die im folklore bis in die gegenwart herein
sich erhalten haben, sondern die mythischen geschehnisse der götterkämpfe , die
s. 47fgg. behandelt werden. Scharfsinnig hat Olrik erkannt, dass der weltbrand für
die ragnarok nicht entfernt die bedeutung besitzt, die man ihm beizumessen gewohnt
ist: Surtar logi sucht die Wohnungen der götter heim, den gsengse tro kender
ingen brand af jorden, men vel en Surts lue i gudeverden . . . derimod optraeder
verdensbranden hos en msengde andre af jordklodeus folkeslag (Kelter, Hinduer,
Perser, Joderne etc.) s. 40. Auch in der VQluspä ist von einem weltbrand sowenig
die rede als iu den VafbrübnesmöJ, die lieder berichten nur von einem brand Asgards;
die erde sinkt ins meer1: odelseggelsen ved ild er pä nordisk grund bleven
indskra3nket til gudesagnene (s. 42), die geschehnisse fassen sich denn auch in
dem begriff ragnarok zusammen und was dieses wort bedeutet, erfahren wir aus der
synonymen formel: päs regln deyja; „dette er det störe ragnaroks - problem: en
verdensafslutning derförstog fremmest er gudernes undergang; en stejl modssetning
til den kristne la3re..som besang dommedagen som guds störe sejr over djaevel ogtrolde".
Grade eins ist sicher: dass wer da versuchte, die nordischen ragnarok auf christliche
Vorstellungen zurückzuführen, die unterscheidenden grundformen unterschätzte (s. 47).
Das central -problem der ragnarok ist das „sterben der götter" (s. 134 vgl.
TU 1, 297 u. ö.). Darin bin ich mit Olrik durchaus einverstanden. Das ist aber seiner
art nach nicht so sehr ein mythologisches, als ein religiöses problem und leider ist
Olrik auf die religiöse seite der frage gar nicht eingegangen. Er behandelt die ein-
zelnen motive als folklorist (cfr. folkemindeforskeren s. 128), nicht als religions-
historiker. Das ist insofern verwunderlich als er mit mir die ansieht vertritt, es
handle sich um probleme religiöser art (til dels af stör religiös raekkevidde s. 129);
wenn ich jedoch seine Schlussbemerkungen richtig deute, beabsichtigt er auf die
religionsgeschichtlichen fragen in einer spätem arbeit zurückzukommen (s. 134 fg.).
Vorerst deutet Olrik nur an (s. 106 fgg.), dass er sich der auffassung G. Storms an-
schliesse und den glauben an Seelenwanderung voraussetze, während ich auf dem
Standpunkt stehe, dass es damit nicht getan ist, dass das sterben der götter seinen
eigenen religiösen gehalt hat und dass auch hier für das mythologische sterben sein
1) Mir ist nicht gegenwärtig, worauf sich die behauptung Olriks stützt: for
den fuldstaendige Verdens brand mä da Voluspä b?ere ansvaret . . . denne opfattelse
hviler alene pä Voluspäs autoritet (s. 40), denn str. 57 enthält kein wort davon, dass
die ins meer versunkene erde vom feuer überflutet worden sei, den hergaug wird
man sich nach Vafhiübnesm. 50 vorzustellen haben. Von den durch das ahd. Muspilli
suggerierten Vorstellungen müssen wir loskommen; für die annähme eines erdbrandes
leistet nicht einmal das wort muspilli („feuer") etwas.
ÜBER OLKIK. BAGNAEOK 405
religiöser wert, das opfer, eingesetzt werden muss. Aber wie gesagt, um die religiösen
anschauungen und ceremonien hat sich Olrik vorerst noch nicht bemüht. Er wollte
die mythen aufarbeiten. Für die um das sterben der götter und um die neuen götter-
ordnungeu spielenden mythen bringt er dieselbe forschungsmethode in anwendung,
die im vorstehenden bereits erwähnt wurde. Er construiert nicht etwa eine uridg.
mythologie und leitet aus einem uridg. mythus die nordischen mythen ab, sondern
lässt einzelne mythen, die verschiedenen Völkern gemeinsam sind, von volk zu volk
wandern: ligheden mellem Nordboerues myter . . pä den ene side og de persiske og
keltiske pä den anden side lader sig dog ikke forklare ud af den faelles baggrund . .
de mä vsere vandrede eller efterlignede fra land til land (s. 109 vgl. s. 117). So auch
der götterkampf in der Obinn-Viharr-Fenrirscene, in der IJ6rr-Mibgarzormscene und
in der Freyr(?)-Surtrscene (s. 48fgg.). Von diesen glaubt Olrik nachweisen zu können,
dass sie aus der keltischen mythologie entlehnt sind — die eine und andere com-
bination ist uns bereits aus den Schriften von Sophus Bugge geläufig, ich glaube aber
kaum, dass Olriks ausführungen überzeugender wirken werden (s. 03 fgg.), zumal der
verf. selbst schwerwiegende bedenken äussert (s. 65). muspell ist er geneigt für
christlich auszugeben: imod en rent hedensk oprindelse taler den begrebsnuessige
klarhed hvormed det fremtraeder i oldtysk. Det er da en slagskygge af de kristne
dommedags-forestillinger, der vaudrer sammen med og forud for kristendommens forste
indtnengen. Det synes rimeligt, at ordet er vandret fra det ene folk til audet i digt
(s. 68). Naglfar dagegen hat seine Voraussetzung im heimischen Volksglauben, sofern
hier abergläubische gebrauche mit abgeschnittenen nageln ' einschlagen (s. 69 fgg.).
Surtr wird aus der Verbindung mit Miispelhsynir gelöst, als „verdensdybets jaette"
gedeutet (s. 71 fgg.) und mit einem altkeltischen unterweltsgott identificiert (s. 77).
Hierzu ebnet sich Olrik die bahn, indem er mit den hss. gegen alle neueren textkritiker -
Vol. 51 liest: Kjoll ferr austan koma muno Muspellz
um Iqg lypir enn Loki styrir.
Ein zweiter halbvers Koma muno muspelh ist sonst in Vqluspä etnerhört und Snorri
hat jedenfalls unsere strophe mit dem emendierten Wortlaut gekannt (Loka fylgja allir
heljarsinnar SnE p. 63) und um seine fassung zu beseitigen, reichen die gegen-
bemerkungen Olriks (s. 66 anm.) nicht aus. Wo er über ahd. muspilli, and. mudspeUi
handelt, wäre eine auseinandersetzung mit Zeitschr. 33, 5 zu erwarten gewesen, dann
wären wol die ungenauigkeiten und Unklarheiten vermieden worden, auf die wir jetzt
s. 07 fgg. stosseu. Schon seine stilkenutnis musste ihn davor bewahren, dir worte
mvdspelles megin obar man ferid (llel. 2591) aus dem Zusammenhang mit endi
thesaro weroldes zu reissen und so eine rein äusserliche ähnlichkeit mit einer für
Lokas. 42 mit Grundtvig erschlossenen lesart Muspelh megtr riäa myrkvid yfirs zu
erzielen. Ich fürchte sein versuch unisprll aus dem alt heimischen sprachgut des
nordens zu streichen (s. 73), wird nicht bloss an der Übereinstimmung scheitern, die
im geographischen zwischen Vol. f>l , Lokas. 42 und Sn K besteht.
Auf lebhaften Widerspruch worden auch die im sohlusskapitel über die ragnarok-
schildorung und die quellen der Voluspfi (s. Lllfgg.) vorgetragenen ansiohten st<>sscti.
1) Ein interessanter beleg hierzu findet sich hei Fr. Kreutzwald, Ehstnisohe
märchen s. 143 fg. 360.
2) Heinzel-Detter bilden nur eine scheinbare ausnähme, denn ihre edition i>t
keine textkritische.
3) Ich halte diesen vers metrisch für bedenklioh, vgl. Zeitsohr 34, 177.
40ß KAUYFMANW
Er unterscheidet in diesem gedieht drei stoffliche kategor ien: entweder werden seine
angaben durch andere quellen bestätigt oder bleiben von ihnen unberührt oder -'
mit ihnen im Widerspruch. Er betont die malerischen und ästhetischen qualitäten
der Voluspä um sie als kunstschöpfung ers» ien zu lassen — ich vermisse bei der
Charakteristik des werkes nur, dass Olrik nicht auch Veranlassung genommen hat,
prophetische tendenz hervorzuheben; im iibrij ich fast mit denselben worten
die compositioDsform des werkes geschilderl (mii s. IM vgl. TU 1,304). In -1er be-
urteilung der einzelneu stellen, die nach meiner ansieht echl und zuverlässig sind.
weiche ich allerdings wesentlich von Olrik ab. Er bemüht sich mytho Zeug-
nisse aufzuspüren, die den angaben anderer quellen widersprechen und daraus dem
Voluspä- dichter einen strick zu drehen. Aber er li.it nur einen einzigen fall
gebracht, um ihn selbst wider fallen zu lassen: v. 40 stehe im Widerspruch mit
Grimnesm. 39 (s. 115). Es handelt sieh um die sog. sonnen wölfe, vo einer
der sonne voraus, der andere der sonne nach rennt'. Weshalb von diesen um
nicht gesagt worden sein solle, sie seien im Isarnvibr gross gezogen, ist nicht ein-
zusehen. Olrik gibt denn auch selbst zu, es sei möglich, den Widerspruch zu be-
seitigen. Dass wir an zahlreichen andern stellen des gedichts angaben vorfinden , die
>onst nirgends widerkehren, begrüssen wir dankbar; ihnen nur subjektiven wert bei-
zumessen, ist ein literarhistorisch nur sehr schwer zu verteidigendes verfahren (..alt
Jet er digterudmaling " s. 117), dabei sich auf anieihen aus dem ausländ zu beziehen —
Heimdallr wird z. h. auf den die posaune blasenden erzeuge! Michael zurückgeführt
(s. 118fgg.) — ist ein ausweg, den wir doch erst zu beschreiten raten, wenn nicht
einzelheiten, sondern ganze zusammenhängende reihen von figuren und motiven sich
versorgen lassen. Aber der Voluspä- dichter, nach Olrik beheimatet „pä en ö eller
Strand indenfor golfströmmens milde klima" (s. 23), soll sich sprungweise bald in
heidnischen bald in christlichen motiven bewegen, soll von nordischen mythen auch
nicht viel mehr als wir gewusst haben (s. 127 fg. 129), soll aber trotzdem in beträcht-
lichem umfang religiös wirken (s. 129), soll die widerkunft Christi aufgenommen
haben (s. 126 fg.), obwol was wir bei ihm davon hören völlig von den christlichen
quellen abweicht (s. 132). Wir werden daher gewarnt, dieses im ganzen heidnische
gedieht — die vollendetste darstellung der heidnischen gedaukenwelt (s. 130) — nach
seinen christlichen elementen zu überschätzen. Es steht also im gründe nicht anders
als bei den thesen Bugges, wenn Olrik sagt: „de optrin i ragnarok, som kun kendes
i VQluspä, svarer alle til kristne motiver i verdeus undergang og de er indkomne i
nordisk ved län fra kristendommen. Mellemledet ved denne overf0relse synes i
enkelte tilfaelde at have vseret den folkelig - irske digtning af gude- og helteaeventvi ■■•
(s. 133).
In tabellenform hat 0. schliesslich die ragnarokmotive in drei gruppeu geteilt
(s. 133 fg.): 1) hedensk (solen sluges af solulv; fimbulvinter; jorden synker i hav;
Fenresulven; ormen i dybet; gudekampen; Surts lue; den nye gudesla?gt; den over-
vintrede menneskeslsegt). 2) af kristen oprindelse, men almindelig kendte
i vikingetiden (Loke kommer los; Muspels folk [?J ; Balders komme [??]). 3) af
kristeu oprindelse, saerlige for Voluspä (menneskehedens fordaervelse [?];
1) Worauf die worte „störe antal af dybtgäende modsigelser" beruhen, ist mir
nicht bekannt.
2) Warum ist zu s. 34 fg. nicht auf Hervararsaga (ed. Bugge) s. 246 verwiesen
worden?
DBEB GOTTHELF, DAS DEUTSCHE ALTERTUM 407
gjallarhornet indvarsler ragnarok; solen sortner og stjaerner styrter1; verdensbranden ;
salighedsboligen; den maegtiges komme).
1) ffier weicht Olrik von seiner sonst geübten praxis ab, was durch den heutigen
Volksglauben als volkstümlich belegt ist, für heimisches gut auszugeben.
SIEL. FRIEDRICH KAUFIMANN.
Gotthelf, Friedrich: Das deutsche altertum in den anschauungen des
sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderts. Berlin 1900. VIII, G8
(= Forschungen zur neueren litteraturgeschichte hrg. von Fr. Muncker XIII). 1,50 m.
In einem flüchtigen überblick, ausgehend von den „historischen" romauen des
17. Jahrhunderts, erzählt der Verfasser von dem dialog Huttens an, was Aventin,
Seb. Franck (s. 16), die ersten humanistischen geschichtsschreiber — es fehlen Irenicus,
Beatus Khenanus u.a. — und deutsche autoren des 16. jahrh. (Burkard Waldis s. 23;
Jakob Schopper s. 29; Michael Beuther s. 34; Rollenhagen s. 36; Th. Hock s. 37 fg.)
ihrem publikum an urgeschichtlichen notizen zu bieten hatten. Der bericht über das
17. jh. setzt mit Clüver (s. 39) ein und gipfelt in den leistungen eines Moscherosch
(s. 44), Buchholz (s. 48), Grimmeishausen (s. 54), Anton Ulrich von Braunschweig
(s. 55). Lohenstein (s. 60). Die selbst im bibliographischen versagende kleine schrift
(vgl. z. b. s, 2 anm. s. 53 anm. s. 60 anm.) genügt nicht einmal den bescheidensten an-
sprüchen, die man etwa an eine doctordissertation stellen könnte.
KIKL. FRIEHRIi'H KAUFMANN.
Heinrich May, Die behandlungen der sage von Eginhard und Emma. Berlin,
Alexander Dunker 1900. (Forschungen zur neueren litteraturgeschichte, hsg.
von Fr. Munker XVI.) 3,30 m.
Ob es gerade ein sehr glücklicher gedanke war. die bekannton Zusammen-
stellungen von Varnhagen über neuere behandlungen der sage von Einhanl und Emma
in einer besonderen schrift breit auszuführen, mag dahingestellt bleiben. Jedesfalls
aber musste, wer die arbeit einmal aufnahm, sie doch wol sorgfältiger und gründ-
licher durchführen, als in dem vorliegenden buche geschehen ist.
Der Verfasser behandelt im ersten abschnitte die entstehung der sage und ihre
verschiedenen fassungen mit bequemer Oberflächlichkeit, die nirgends über die Vor-
gänger hinauskommt, ja diese nicht einmal, wie sich's gebührte, benutzt hat. "Was
nicht Varnhagen schon angezogen hat, ist May meistens unbekannt geblieben. Er
scheint gar nicht zu wissen, dass der held seiner darstollung die historikei gerade
in den letzten jähren lebhafter beschäftigt hat; er hat sich auch sichtlich nicht die
mühe genommen, die quellen selbst einzusehen, um ein eigenes urteil in seiner Sache
zu gewinnen. Es sei uns darum erlaubt, zur entstehung der sage hier ein wort
zu sagen.
Man weiss, dass dieselbe plötzlich im 12. Jahrhundert auftaucht, in dem bald
nach 1167 geschriebenen Chronicon Laureshamense (oder wie May b.2 sagt: „in den
Urkunden, die ein mönch des Klosters Lorsch anlasslich einer von Eginhard gemachten
Schenkung in das chronicum Laurcshanien.se schrieb*!!). Es erhebt sich also sofort
die frage, die unserem Verfasser freilich keinerlei Kopfschmerzen gemacht hat, woher
denn der autor der chionik, der sicher mönch in Lorsoh war, seine er/.ählung ge-
nommen habe.
408 PANZER
Ihre grundzügo sind bekannt. Einhard, erzkaplan uud geheimschreibet des
kaisera Karl, wai ohronik, der tochti errn, Emma, so leidenschaftlich
tan wie sie ihm. Eini kommt er in ihr gemach und genicsst ihre Li< be.
Wie er am morgen sich Eortschleichen will, ist starker schnee gefallen. Ihr bei-
samm< bt durch seine fusstapfen zu verraten, trägt ihn die geliebte aal
rücken über den hof. Unglücklicherwi lauscht Karl den Vorgang, aber
zunächst. Einhard, vom bösen gewi plagt, bitte! darauf den kaiser am Beine
entlassung, da seine dienst«' nicht nach gebühr belohnt würden. Karl versi
antwort. Er versammelt seine paladinc, erzählt ihnen, was er gesellen und verlangt
ihr urteil über den Verbrecher. Die meinungen sind geteilt. Der kaiser seilst er-
klärt, die betrübende tat lieber durch milde verdecken als dm e noch schimpf-
licher machen zu wollen, vermählt die liebenden und stattet den Schwiegersohn mit
land und kleinodien reichlich aus.
Die anknüpfungspunkte dieser erzählung in der wirklieben geschieht« Karl
grossen liegen klar vor unseren äugen. Alle Voraussetzungen, auf deneu die sage
sich aufbaut, finden dort sich vor. Von dem anstössigen leben der töchter Karls
erzählt Einbards Vita Caroli M. in dem viel citierten cap. XIX ebenso wie von der
neigung Karls, diese Verhältnisse ohne strafe zu dulden. Dass Karl den nächtlichen
schlaf durch aufstehen zu unterbrechen pflegte, meldet ebenso Einhard cap. XXIV.
aber auch der Monachus Sangallensis II. 3; bei diesem findet sich I. 30 zudem die
nachriebt, Karl habe den palast in Aachen so anlegen lassen, id ipse per cnncellos
solarii sui euneta posset widere, quaecumqtie ab inlrantibus vel exeuntibus quasi
latenter fierent. Dass ferner Einhard zu den nächsten vertrauten Karls gehört-
bekannt, auch hiess seine gattin wirklich Imma, uud wie zärtlich er sie geliebt hat,
sehen wir noch aus dem rührenden briefc an Lupus, späteren abt von Ferneres, in
dem er ihren tod beklagt. Dass Imma zwar vornehmer abkunft, aber keine tochter
Karls war, ist vollkommen sicher. Man hat hier immer schon auf Angilbert hinge-
wiesen und sein Verhältnis zu Bertba, um die Verschiebung in der sage zu erklären.
In der tat war nichts leichter, als Angilbert und Einhard zu verwechseln. Waren
doch beide aus vornehmem fränkischem gescblecht, beide am bofe Karls erzogen,
später vertraute des königs und in höchsten ehrenstellen ihm zur seite , beide sehüler
Alkuins, beide dichter, beide äbte, die ihre klöster mit reliquien und glänzenden bauten
auszustatten bedacht waren1. Kam zu diesen drei elementen: Verhältnisse an Karls
hof, Einhard und Emma, Angilbert und Bertha, als viertes das schneemotiv, so war
unsere sage fertig. Es ist bekannt, dass dies letztere motiv in selbständiger existenz
vor der Lorseber chronik in den Gesta regum Anglorum des Wilhelm von Malmesbury
begegnet, dort von einer Schwester Heinrichs III. und einem kleriker erzählt. Die
frage ist nur: wann kam die Vereinigung dieser elemente zu stände und wie, durch
lebendige volkssage oder etwa auf litterarischem wege, durch gelehrte combination
und erfindung?
"Wattenbach neigte wol ersterer ansieht zu , da er (Geschichtscpaellen 6 2, 403) die
Vermutung ausspricht, der Verfasser der Lorscher chronik möchte seine erzählung münd-
licher tradition entnommen haben. Ob diese auffassung aber richtig ist?
Mit der Versicherung des autors (MG. SS XXI. 357) er erzähle, proid a maio-
ribus nostris memoriae traditum est, ist so und so wenig anzufangen; es ist das
1) Die naebweisungen im einzelnen geben die biographien der beiden mäuner
von Althof und Kurze.
ÜBEE MAY, EGINHAHD UND EMMA 409
die übliche phrase, durch die sich im mittelalter auch erfindungen den rücken zu
decken pflegen. Man darf aber doch darauf hinweisen, dass die geschichte Angilberts,
nach der unsere sage sicher sich gebildet hat oder vielleicht gebildet wurde, gerade
in der ersten hälfte des 12. Jahrhunderts im gedächtnis der nachweit, und zwar spe-
ciell geistlicher kreise, neu aufgefrischt ward. Damals betrieb man von S. Riquier
aus die kanonisation Angilberts. Seit 1110 geschahen dort an seinem grabe uner-
hörte wunder, die abt Anscher in drei büchern beschrieb, um sie dem erzbischof von
Rheims zu unterbreiten. Ja er verfasste auch eine eingehende Vita Angilberts, die
einer mit maiestas angeredeten person zugeeignet wird, unter der man wol den papst
zu verstehen hat. Hier ist auch ausführlicher von Angilberts Verhältnis zu Bertha
die rede. Zu bequemer vergleichung mag die stelle nach MabilloD, Acta Sanctorum
ord. Bened. IV. 1. 118 hier eingerückt sein.
Rex memoratus, heisst es von Karl d. gr., de regina Hildigarda tres dudum
filias genuerat, quarum sunt nomi/na Ruodthrudis , Berta atque Gisla: ex l/is una,
ruh licet Berta, avidissimo amore in clarissimum rinn» Angilbertum oeulos in-
jrrit: et quem in paterno amore super omnes mortales convaluisse noterat eutndem
sibi in sponsi titulum et (/»iuris remedium totis affeetibus provenire praeoptabat.
Sed quia genitoris sensibus lu/cr per se int i 'murr puellaris animus trepidabat, egit
tandem opportune importtene, ut hure sitae »/cutis passio patri Carolo reniret in
notitiam: qui quidem moleste tulit Im ins modi ml»»/ in ckara prole exortum:
sed reritus ne res in pejus procederet, eonsiderans etiam domni Angilberti inge-
nuam a proavis nobilitatem, detulit filiae suam voluntatem et inito consilio cum
primoribus die statuto filiam aceurate ac regdliter exornatam domno Angilberto
eonjugem sociavit eunetis faventibus qui m/esse poterant. Sic domnus Angilbertus
a sacerdotii sanetimonio desciscens , regis gener effectus est et er tot» sociatus
copulae nuptiali duos fölios Nithardum et Hartnidum proereavit. Data est etiam
Uli maritimae Franciae magna pars in ducatum, ut scilicet regis gener honoris
fastigio nun eareret.
Diese Vita konnte ja wol in der zweiten hälfte des 1*2. Jahrhunderts, jener zeit
intensivsten geistigen austausches mit Frankreich, in einem kloster des westlichen
Deutschland bekannt sein, und es ist doch auffällig, wie sehr genau die erzählung
des Lorscher Chronisten am Schlüsse mit ihr zusammentrifft in der Überlegung Karls,
wie er die unbequeme sache behandeln solle, iu der berat ung mit den primores, in
der anerkennung des Verhältnisses durch Verheiratung der liebenden, endlich der
reichen ausstattung des Schwiegersohns. Nur der eingang weicht in der Lorscher
sage ab, weil dort das schneemotiv eingeschoben ist und zwar genau in der gestalt,
wie wir es bei Wilhelm von Malmesbury finden, so dass, wer die erzählungen Wil-
helms und Anschers vereinigt und die namen Einhard und Emma für das Liebespaar
einsetzt, ohne weiteres genau die erzählung der Lorscher chronik bekommt. Aller-
dings hat Steindnrf. Heinrich III., bd. 1, s. 517 fg. sich dagegen ausgesprochen, dass
man Wilhelm von Malmesbury für die quelle der Lorscher sage halte. Es sprächen
dagegen „namentlich die abweichuugen in bezug auf die personen: die verliebte Prin-
zessin, in dem einen falle die Schwester, in dem andern die tochter eines Kaisers; ferner
die verschiedonartigkeit des ausgangs: in dem einen falle dauernde trennung der
liebenden, in dem andern eine förmliche hochzeit". Diese einwände erledigen sieh
sehr einfach dadurch, dass in der Lorscher ohronik ci.cn mit der erzählung Wilhelms
die geschichte Angilberts verbunden ist, wie Ansoher sie erzählt. Plausibler möchte
vielleicht ein weiterer einwand Steindorfs soheinen, wenn er fortfährt: .. Auch ist doch
410 i'ANZF.n
nirhi zu unterschätzen, dass die Lorsoher erzählung dei bi daubigten geschiente zienv-
Liofa nahe steht, während Wilhelms entsprechende, aber auf Heinrich III, bezogene
erzählung einer solchen grundlage entbehrt11. Diese bemerkung beruht aber doch,
wenn sio schon auf don eisten blich bestechen mag, auf einer kleinen logisohen Ver-
wirrung. Was die Lorscher erzählung mit Wilhelm von Malmesbury wirklich gemein
hat, das ist der beglaubigten gesohichte Karls genau so fremd wie der geschichte
Heinrichs III.; denn identisch ist in beiden beriohten eben nur das schneemotiv. Was
dagegen in der Lorscher sage der authentischen geschichte Carls und si
entspricht, das fohlt bei Wilhelm. Es kommt positiv dazu, dass der Wortlaut im
Chron. Lauresham. mit Wilhelm doch an einigen stellen recht auffallend zusammen-
trifft. Es wird ja wol durch den identischen stoff gegeben sein, dass der Lorscher
autor (MG. SS XXI. 358) sagt: ne per restigia pedum virilium agnitus proderetur,
foras exire timuit wie Wilhelm (MG. SS X. 467) tum clericus, gut st deprekenden-
dum per restigia in nive timeret; merkwürdiger schon, dass hier wie dort für die
iiblo läge des liebhabers der ausdruck angustiae verwandt wird. Sehr genau stimmt
zusammen, wie die Überlegungen des kaisers nach der entdeckung beiderseits ge-
schildert werden, da Wilhelm sagt: Et forte tum Imperator minetum surrexerat et
per fenestram coenaculi despioiens vidit clericum equitantem; primo quidem /ix?/
hebetatus, sed re diligentius explorata pudore et mdignatione öbmutuit und recht
ähnlich, nur mit ausführlich keit und ernst, die Lorscher chronik: Eam noctem Im-
perator divino ut ereditur nutu insomnem duxit diluctdoque consurgens eminus-
que de aula prospieiens intuitus est fdiam suam sub prefato onere nutanti gressu
rix incedere. Quibus midto intuitu perspectis Imperator partim admiratione, par-
tim dolore permotus non tarnen dbsqve divina dispositione id fteri reputans, sese
continuit et visa interim silentio subpressit. Und für nicht mehr zufällig kann ich
es halten, wenn bei Schilderung der Vereinigung der liebenden, wo gewiss eine fülle
verschiedener ausdrücke zu geböte standen, eine so auffallende Übereinstimmung be-
gegnet wie cum . . . cupitis fruerentur amplexibus bei Wilhelm und datis amplexi-
bus cupito satisfecit atnori in unserer chronik. Ich neige daher zu der auffassung,
dass die sage von Eiuhard und Emma, wie die Lorscher chronik sie erzählt, litte-
rarische erfindung ist, entstanden durch ineinanderschieben der erzählung Anschers
von Angilbert und Bertha und Wilhelms von Malmesbury von der Schwester Hein-
richs III. und Übertragung der so entstandenen erzählung auf die woltäter von Lorsch,
Einbard und Emma. Es bestärkt mich hierin noch folgende Überlegung. Dass der mann
das weib, der liebende die geliebte trägt, ist natürlich und poetisch, vom künstler
in wort und bildwerk auch oft genug dargestellt, und sehr wol kann eine dichtung
sich geradezu auf diesem motive aufbauen wie etwa der herrliche Lai des deux
amants der Marie de France. Der Vorstellung aber, dass das weib den mann trägt,
bleibt etwas untilgbar komisches anhaften selbst dort, wo die handlung auf einem
sittlichen gründe ruht wie etwa in der Weinsberger weibertreu oder in unserer sage.
Soll dies motiv einer ernsthaften poetischen behandlung zugänglich werden, so muss
es mit sehr zartem finger angefasst und die sittliche idee so wie in de Vignys ge-
dichte La neige, wol der schönsten behandlung der sage von Einhard und Emma,
derart in den Vordergrund gerückt werden, dass wir darüber das lächerliche der
körperlichen Situation, also die sinnliche ansebauung gänzlich vergessen1. Wo dies
1) Daher es an sich unmöglich ist, unsere sage dramatisch ernsthaft zu be-
handeln. Vgl. die scenischen anweisungen E. T. A. Hoffmanns zu Fouques drama
(May s. 104): „Das tragen Eginbards macht eine unangenehme Schwierigkeit, da der
i BEB MAY, EGINHABD UND EMMA
411
motiv in einer erfundenen erzählung angewandt wird, da kann von hause aus nur
eine komische Wirkung beabsichtigt sein. In der anekdote bei Wilhelm von Malines-
bury ist dieser possenhafte Charakter durchaus festgehalten1 und sie erweist sich
eben dadurch ursprünglicher als die Lorscher sage, wo das motiv ins ernsthafte de-
placiert ist.
"Was aber wol den Lorsch er mönch bestimmt haben kann, gerade dies ge-
schichtchen von Heinrichs III. Schwester aufzunehmen V Vielleicht tat er es, weil
ihn, was Wilhelm eingangs von dem Verhältnis der gesehwister erzählt (sororem
sanctimonialem unice diligebat, ut suo eam lateri deesse non pateretur, sed semper
t r Icli ii i um eius suo coniungeret) an das erinnerte, was Einhard von Karls Verhältnis
zu seinen töchtern berichtet, Vita Caroli c. XIX: fUiorum ae filiarum tanteun in
educando curam habuit, ut numquam domi positus sine ipsis caenaret, numquam
Her sine Ulis faceret. Denn aus Einhard stammt doch auch wol die angäbe des
Chronisten, Emma sei regt Oraecorum desponsata gewesen, was Einhard von Hruod-
thrud erzählt. Die Übertragung stimmt recht wol zu dem leichtsiun und der Will-
kür, womit unser autor auch sonst die Urkunden und geschichtswerke entstellt hat,
die er benutzte; vgl. darüber die einleitung von Pertz zu seiner ausgäbe a. a. o.
s. 337 fgg.2
May betrachtet in einem zweiten capitel die „bearbeitungen der vereinfachten
sagengestalt". Er lehnt mit recht die meinung derer ab, die in der sage von Arnikas
und Amelius und der erzählung von Nureddiu Ali und Maria der gürtelmacherin
Einhard und Emma widerfinden wollten. Aber ebenso sicher haben die von May
ausführlich besprochenen „Nachtigalldichtungen" mit dem stoffe nicht das mindeste
zu tun und das gleiche wird schliesslich wol auch von den spanischen und portugiesi-
schen Gerineldoromanzen gelten. May behandelt es zwar als eine ausgemachte sache,
dass diese romanzen auf der Lorscher gestalt der sage fussten uud das schueemutiv,
das keine von ihnen kennt, nur aufgegeben hätten. In der tat aber ist dafür nie ein
beweis versucht worden oder wenigstens ist der. soviel ich sehe, einzige anlauf dazu
kaum geglückt. G. Paris, Hist. poet. de Chartern. 215, anm. 7 will in den worten der
prinzessin in einer dieser romanzen (Primavera nr. 161 a): No te asustes, Gcrincldo,
<iue siempre esta/re contigo: mdrehate pur los ja/rdines que luego <>l punto te sigo
„un confus souvenir de la conduite matinalo faite ä Eginhard par la princesse" er-
kennen; aber mit unrecht. Denn das gehen durch die gürten wird dem geliebten
lose vornohme pöbel leicht über so was das maul verzieht. Die prinzessin mag den
Hebung huckepack getragen haben, auf dem theatei geht es nicht wol. Am besten
ist, es wol, sie umschlingt ihn mit einem arme und beb! ihn vorwärts, SO dass sieh
dio gruppe ungefähr mach! wie die bekannte antike: Amor und Psyche" usw.
1) Der kaiser ist mmetum aufgestanden, sieht clericum equitantem, ermahnt
ihn später heimlich, als or ihn zum bischof macht, ne ulterius inequites mulierem
und die Schwester, die er als äbtissin einsetzt: nee nitro patiaris clericum equi-
tantem, wobei etwa auch an Aristoteles gedachl sein mag, wie er von Phyllis
ritten wird.
2) Dass die erzählung sehen von einem Vorgänger des Verfassers der Lorscher
chronik erfunden und von diesem übernommen sei, wäre an sich möglich, wird aber
jeden, der das oben vorgetragene plausibel findet, aus mehreren -runden unwahr-
scheinlich dünken. Kaum glaubhafter erscheint mir, dass, wie sich auch denken Hesse,
volkstümliche auffassung etwa langer sehen Eänhards gattin zur tochter Karls gemach!
hätte. Einhard ist überhaupt keine Bgur, die die volkssage beschäftigen kennte.
bevor dio erfindungen des Loraoher ehrenisten ihr eine so anziehende anek
dichtet hatten.
412 I.. w.l.'i i RB. ZI M IWhIN3
bder doch deutlich nur deshalb anbefohlen, damil er nachher dorn könig, als er dem
Lauernden begegnet, auf die frage, woher er komme, mit einem anmutigen bilde wahr«
heitsgemäss antworten könne: Pasaba estos jardines para ver si han floreetdo, yvi
que Htm fresea rosa el calur ha drslitcidu. Im übrigen enthalten diese romanzen
ausser dorn verbreiteten grundmotiv — liebe des pagen und der Lcönigstochter vom
vator entdeckt — nichts von den charakteristischen eigentümlichkeiten dei I.
version; Otto, La tradition d'Eginhard et Emma dans la poesie romancesca de La
peninsule hispanique b. IHfgg. hat bei Beiner confrontierung der beiden über!
eigentlich nur feststellen können, dass sie im einzelnen punkt für punkt abweichen.
Auch die namen stimmen nicht. Der könig bleibt in den romanzen stets unbenannt,
von einer erinnerung an Karl keine spur; die königstochter heisst, wo sie überhaupt
benannt wird, Enilda, der liebhabor in einer einzigen portugiesischen Variante Eginaldo,
einmal Beginaldo und sonst stets Qerineldo o. ä. ; ob diese form aber so zuversicht-
lich1 auf Eginaldo als das ursprüngliche zurückgeführt' werden kann, weiss ich nicht.
In den folgenden abschnitten, dem hauptteile seines buches, behandelt May
die neueren litterarischen bearbeitungen des Stoffes. Seine ausführungen sind hier
sorgfältiger und gründlicher; freilich vermisst man auch hier noch manches. Unter
der grossen zahl von Einharddichtungen, die er aus woltätiger Vergessenheit un-
barmherzig ans licht zieht, befinden sich äusserst wenige, die einen ästhetischen
wort behaupten. Soll einer derartigen Sammlung litterarischer abfülle einige beleh-
rung abgewonnen werden, so kann dies wol nicht durch blosse Inhaltsangaben und
einige bemerkungen über die jeweilige Charakterisierung der personen geschehen,
worauf May sich eingeschränkt hat. Da von einer künstlerischen individualität der
bearbeiter meist keine rede ist, müsste gezeigt werden, wie der stoff sich von Jahr-
hundert zu Jahrhundert nach den jeweils herrschenden zeitströmungen von selbst in
form und tendenz umgestaltet. Dass in Mays Zusammenstellungen auch die tugend
der Vollständigkeit nicht ganz erreicht ist, ist schon von anderen recensenten ange-
merkt. Zu ihren nachtragen sei noch verwiesen auf G. G. Bredow, der seinem buch
über Karl den grossen, Altona 1814 auch eine „dramatische dichtung zur feier des
28. Januars 1814" eingefügt hat. Sie besteht im wesentlichen darin, dass die per-
sonen an Karls Sterbelager wechselweise versificierte capitel aus Einhard und dem
Mönch von St. Gallen aufsagen, doch ist auch die sage von Einhard und Emma hinein
verflochten.
1) Otto a. a. o. s. 21 a. 60 'D'Eginardo on fit Reginardo, d'oü par metathese
Gerinardo '.
FREIBURG I. BR. FRIEDRICH PANZER.
0. F. Benecke, Wörterbuch zu Hartmanns Iwein. Dritte ausgäbe besorgt von
C. Borchling. Leipzig, Dieterichsche Verlagsbuchhandlung, Theodor Weicher.
1901. IX, 313 s. 10 m.
Das schöne mass, die ruhige klarheit seines stils haben Hartmann von Aue
zum klassiker der schule gemacht.. Insonderheit hat sein Iwein nun schon gene-
rationen von germanisten als turnapparat für die ersten Übungen im mittelhochdeutschen
gedient. Nicht zum wenigsten haben hiezu die trefflichen hilfsmittel beigetragen, die
gerade für sein Studium zur Verfügung stehen, die Lachmann - Beneckesche ausgäbe
mit ihren an belehrung unerschöpflichen anmerkungen und Beneckes Wörterbuch.
BERGER öbeb tiiiei.k, lüthebs sprichwöbtehsammlung 413
Dies erscheint hier in einer dritten ausgäbe, die dank den bemühungen ihres heraus-
gebers eine wesentlich verbesserte zu nennen ist.
Gründlicher als in der zweiten von Vulken besorgten aufläge geschehen war,
sind hier die verweise auf die zweite recension von Lacbmanns text eingestellt, die
von der ersten, an die das Wörterbuch ursprünglich anknüpfte, nicht unwesentlich
sich unterscheidet. Vor allem aber hat Borchling den benützern des buches dadurch
den grössten dienst erwiesen, dass er die entsetzlich unbequeme citiermethode nach
Seitenzahlen beseitigt und für jeden beleg die versziffer gegeben hat. Auch die in
letzter zeit wider so lebhaft in fluss gekommene Hartmannforschung ist sorgfältig
ausgenützt und an den entsprechenden stellen überall auf die einschlägigen arbeiten
von Kraus, Vos, Zwierzina usw. verwiesen worden. Vielleicht hätte hier noch etwa-
mehr geschehen können. Der anfänger, für den das buch doch auch bestimmt ist,
hat nicht zeit und oft nicht gelegenheit, die citierten abhandlungen einzusehen; ihm
wäre mehr gedient, wenn statt des blossen Verweises mit zwei worten gesagt würde,
was denn an dem betreffenden orte festgestellt ist.
Wichtiger noch wäre freilich ein anderes gewesen. Beneckes allgemeinere be-
merkungen sind in vielen punkten überholt, die gegebene bedeutungsentwicklung lässt
bei zahlreichen artikeln zu wünschen übrig. Für den altmeister ist das kein Vorwurf;
es wäre ein trauriges zeugnis für unsere Wissenschaft, wenn sie an einem solchen
buche nach siebzig jähren nichts zu berichtigen fände. Hier hätte die tätigkeit des
herausgebers wol etwas kräftiger einsetzen dürfen. Die halbe seite z. b., auf der über
die partikel ge- gehandelt wird, ist für den wissenden unbrauchbar, für den anfänger
aber direct schädlich, weil sie ihm vorenthält, dass neuere forschung die bedeutuug
der partikel längst genauer und richtiger erkannt hat und so an vielen orten. Auch
manches überholte in der terminologie, mhie abgestumpftes hiar* u.dgl. dinge hätten
verschwinden dürfen, ebenso wie die unpraktische zerteilung der Wörter mit an-
lautendem k- unter c und k besser beseitigt wäre.
Vielleicht bietet eine künftige aufläge gelegenheit, hier eine durchgreifende
revision eintreten zu lassen. Für die vorliegende aber wollen wir dem herausgeber
für seine sehr mühevolle arbeit aufrichtig dankbar sein.
FREIBURG I. BR. FRIEDRICH PANZER.
Luthers sprich würtersaminlung. Nach seiner handschrift zum ersten male
herausgegeben und mit anmerkungen versehen von Enisl Thiele, predige] in
Magdeburg. Weimar, Herrn. Böhlaus nachf. 1900. XXII, 448 s. 10 m.
Als die frucht eines neunjährigen tleisses liegt liier ein buch vor, das fortan
in der Lutherlittoratur einen bevorzugten platz einnehmen and die sprach- wie die
kulturgeschichtliche erforschung des 16. Jahrhunderts vielfaltig befruchten dürfte. Die
kenntnis der wertvollen Sprichwörterhandschrift Luthers, ehemals als kostbares erb-
stück in der familie Lingke behütet, dann 1862 in den handel übergegangen und ver-
schollen, verdanken wir dem verblichenen altmeister der Latherforschung Julius kustlin.
dessen unermüdlichen bemühungen es 1889 endlich gelungen war, ihren verbleib zu
ermitteln, sie war in den besitz der Bodleiana übergegangen, die eine Photographie
der hs. der kgl. bibliothek zu Berlin überliess. Da diese sich ebenso anzulänglich
erwies wie eine ältere, dem ohemiker Jacobsoi absohrift, s.> war eine
genaue vergleiohung des Originals geboten, die 1891 in Oxford von Eduard Sievers
vorgenommen wurde. Aul' grund der Sieversschen abschrift konnte aunmehr dei text
414 BEB
authentisoh hergestellt werden, and Köstlin betraute mit der bearbeitung dos wichtigen
ineditums einen jüngeren fachgenossen, dernichi cur durch Beine ausgäbe dei Luther-
schen fabelhandscbrift und durch Beine mitwirkung an der Weimarer Lutherau
sondern auch als landsmann Luthers und ehemaliger zögling der Wittenberger Volks-
schule für solche leistung ausgezeichnet vorbereitet war. D ästigen arl
bedingungen Indien wir nun ein buch von vorbildlichem wer! zu danken, au
germanisten, historikez und theologen reiche Belehrung Bchöpfen werden.
Der sorgfältige abdruck der bs. gib! die Urschrift treu wider bis auf drei punkte:
das lange /" hat Thiele durch s widergegeben, zwischen den beiden r-typen hat er
nicht geschieden, und die durchzählung der Sprichwörter bat er selbständig
Nach einsieht der Sieversschen abschritt und der gleichfalls in Berlin befindlichen
photographischen nachbildung (Cod siinul. 3) habe ich nur geringfügiges zu erinnern
gefunden, was ich hier anmerken will. S. 6, z. !) lies Grosse; zu 9,14 ist in den
lesarten nachzutragen: nach redlin angefangenes th dun heu; 9,24 fehlt der
{«-haken über maul, dergleichen 1T>, 18. 30 über bauch und zürnet; s. 18 gehört
randschrift patiatur nicht, zu z. 5, sondern zu z. 6; 18, 18 lies geht st. gehet; s. 19
gehurt die randschrift nicht zu z. 18/19, sondern zu 16/17; 21,21 lies rechter st.
rechten; 22, 1 lies ivil st. will; 22, 18 lies Oedult st. Geduld; 23, 1 fehlt aber dem
a in muhe das diakritische zeichen; 23,25 lies fpiu web st. spinnweb; 24,14 lies
noch st. nach; 24,22 lies Dcy (Deus) st. dey. — In dein citat s. 12, z. 3 v. u. ist statt
11, 1 zu lesen 13, 1; zu 14, 17 in den lesarten ist die falsche auflösung darf zu
streichen; ebenda z. 3 v.u. ist statt Seite 18 und 19 zu lesen Seite 17 und 18. An
druckfehlern, die auch s. 423fgg. nicht berichtigt sind, sind mir noch folgende be-
gegnet: 8. XIII, z. 1 lies Melanthons st. Melanchthons ; s. XX, z. G Schleusner st.
Schleusener, z. 7 Ketxseker st. Ketscher (ebenso s. 74); s. 78, z. 5 v.u. lies %ucy st.
ywey; s. 123, z. 8 v.u. lies Scherer st. Sehreber; s. 227, z. 1 v. u. lies Hauspost. st.
Huspost.; s. 250, z. 8 lies 15 st. 14; s. 256, z. 7 v. u. lies gehen st. geben; s. 257, z. 5
lies Hildebrand st. Hildebrandt; s. 308, z. 6 v. u. lies gerne st. gerne.
Luthers Sammlung ist, wie die Verschiedenheit der schriftzüge lehrt, nicht nur
iu getrennten Zeiträumen entstanden, sondern von ihm auch mehrfach überlesen und
mit nachtragen, eiuschüben und raudglossen versehen. Der erste absatz umfasst s. 1 — 4
mitte (nach Thieles Zählung nr. 1 — 39), darin sind später nachgetragen: nr. 5, die
randschrift zu nr. 6 — 8, nr. 7, 8b, die randschrift zu nr. 19 und das /cjy (= scilicet)
zu nr. 31. Der zweite absatz besteht aus dem rest von s. 4 (Thiele nr. 40 — 45), darin
ist später ergänzt die lateinische glosse zu nr. 43, das wort körn in nr. 45 und die
randschriften zu nr. 41— 44. Der dritte absatz reicht von s. 5 — 8 mitte (Thiele
nr. 46 — 92), darin sind später zugefügt die randschriften zu nr. 73—75 und die
lateinische glosse zu nr. 92. Der vierte absatz beginnt s. 8 mitte und erstreckt sich
bis s. 10 (Thiele nr. 93 — 128); darin sind nachträglich eingeschoben nr. 111. 120 und
die randschrift zu nr. 125. Der fünfte absatz umfasst s. 11 — 13 (Thiele nr. 129 — 169),
hier ist später eingefügt nr. 134 und die correctur zu nr. 156. Der sechste absatz
reicht von s. 14 — 16 (Thiele nr. 170 — 211), darin sind spätere zusätze nr. 177a und
nr. 180. Der siebente absatz umfasst s. 17. 18 (Thiele nr. 212 — 240), der achte
s. 19 — 23 mitte (Thiele nr. 241 — 312), darin ist später nachgetragen der schluss von
s. 20 (Thiele nr. 267— 274). Der neunte absatz reicht von s. 23 mitte bis s. 26 (Thiele
nr. 313 — 380), der zehnte umfasst s. 27 — 29 (Thiele nr. 381—431), der elfte s. 30 — 34
(Thiele nr. 432 — 489). Dass mancherlei sprichwörtliche redensarten von Luther doppelt
verzeichnet sind, beweist gleichfalls eine über grössere Zeiträume sich erstreckende
ÜBER THIELE, LUTHERS SPRKHWÜRTERSAMMLTJNG 415
fortfiihruDg der Sammlung: nr. 33 = nr. 243 ; nr. 86. 87 = nr. 469. 470; nr. 276 =
nr. 477; nr. 301 = nr. 475. An drei stellen hat Luther solche widerholungen selbst
bemerkt und berichtigt: nr. 26 und 29 sind nach nr. 203 nochmals gebucht und dann
wider getilgt; nr. 80 ebenso nach nr. 396; nr. 432 war schon als nr. 428 ähnlich da
und wurde dort wider gestrichen.
Über die entstehungszeit der hs. hat Thiele in der einleitung s. XIV f gg. sehr
überzeugende erwägungen angestellt, die Edw. Schroeder (A. f. d. a. 27, 102 fg.) durch
wichtige hinweise auf das Verhältnis der Lutherschen Sammlung zu der seines lands-
niannes Agricola ergänzen konnte. Demnach ist es wol zweifellos, dass Luthers
Sammlung nicht vor 1530 begonnen wurde und mindestens 1535 ihn noch beschäftigte,
was aus dem (von Thiele wol mit unrecht bei seite geschobenen) brief an "Wenzel Linck
vom 20. märz d. j. geschlossen werden darf. Wie von Thiele die vorrede Luthers zu
seinen fabeln mit der entstehung der Sprichwörtersammlung in beziehung gebracht
wird, das darf gewiss auf allgemeine Zustimmung rechneu. Seine weitere annähme
aber, Luther habe diese Sammlung lediglich angelegt, um sie bei der fortsetzuug
seiner fabelbearbeitungen zu verwerten, ist zu schwach begründet, um sich halten zu
lassen. Vielmehr hat Luther allem anschein nach den versuch gemacht, die Sammlung
Agricolas zunächst für seine person aus eigener kenntnis des sprichwörterschatzes zu
mehren. Dass er sich trotzdem mehrfach mit jener berührte, erklärt sich leicht aus
undeutlicher erinnerung an das dort gelesene. Im gegensatz zu Agricolaschen deutungeu
befindet er sich unverkennbar bei nr. 41, wahrscheinlich auch bei nr. 74; aber auch
sonst ist er bemüht, landläufigen deutungen eine edlere wendung zu geben, so bei
in. 12 — 44. 73. 75. 80. 125, wie er anderseits auch sein besonderes wolgefallen an
dem weisheitsgehalt einzelner Sprüche zu erkennen gibt, z. b. bei nr. 215. 311. 325.
Daneben war sein augenmerk besonders auf solche redewendungen gerichtet, die ihm
teils durch ihre neuheit, teils durch ihre dunkelheit oder mehrdeutigkeit vor andern
beachtenswert oder erklärungsbedürftig schienen, denn nur aus diesem gesichtspuukt
wird sich die zunächst befremdende tatsache verstehen lassen, dass eine fülle sprich-
wörtlicher ausdrucksweisen, mit denen Luther in seinen schritten zu arbeiten liebte,
in diese Sammlung nicht aufgenommen sind. Luthers hs. war also von anfang an
nicht auf eine Inventarisierung seines sprichwörtervorrats angelegt, sondern auf eine
auswahl nach bestimmten zwecken, in der allzu geläufiges wol nur dann eingang fand,
wenn es zur abrundung einer gruppe dienen sollte, d. h. als ein erhellender beleg
unter verschiedenen weniger klaren ausdrucksformen eines und desselben gedankens.
Denn dieses bestreben ist für Luthers Sammlung namentlich — wenn auch nicht ihrer
ganzen ausdehuung nach gleichmässig — kennzeichnend: erklärung seltener oder dunkler
Sprichwörter durch Zusammenstellung mit bekannten und durchsichtigen. Aul diese
weise ist seine Sammlung zugleich ein kommentar geworden ohne die äusseren merk-
male eines solchen: in der gruppierung nach der sinnesverwandtsohaff ist der kom-
mentar bereits enthalten, und die ergibigkeit der Volkssprache in der ausprägung
synonymer Wendungen konute so gleichzeitig lehrreich zu tage treten. Auch aus
diesem buche lässt sich also wider lernen, dass Luthers philologische begabung nicht
gering geachtet werden darf. Wiefern diese hier im einzelnen sichtbar wird, wäre
wol einer eingehenderen darstelluug wert, wie denn überhaupt zu erhoffen ist, dass
durch Thieles schöne gabo mancherlei Untersuchungen fördernden an>tesS empfangen
weiden.
Zu selchen hat der Verfasser selbst, vielfach gestützt auf den rat eines der
bewährtesten Lutherkeuner, des leiteis der Weimarer ausgäbe Paul Pietsoh, den
416 BF.no kk
trefflichsten grund gelogt. Auf rund 400 seiton hat er das füUhorn seiner belesen-
heit ausgeschüttei und vor allem aus den Schriften Luthers, bisweilen auch aus
sonstiger litteratur des 16. Jahrhunderts, parallelen und analogieen zusammengeta
um don ursprünglichen sinn der einzelnen Sprichwörter, den anschauungskreis, in den
sie hinein gehören, und die Varianten, in denen sie Dachweisbar sind, deutlich zu
machen, allerdings wird man den wünsch nicht unterdrücken können, die gesamte
sprichwörterlitteratur der zeit möchte systematisch ausgenutzt und für jede nummer
verglichen und auch die zeitgenössischen Bchriftsteller möchten in weit grösserem
um Hinge ausgebeutet worden sein; aber das wird jetzt auch von andern hesorgt
werden können, und wer durch eigene Studien in der läge ist, abzuschätzen, was es
kostet, schon in der masse der Luthersehen Schriften so zu hause zu sein wie Thiele,
der wird gegenüber der gewaltigen summe des hier geleisteten zu viel hochachtung
empfinden, um an den Verfasser noch darüber hinaus ansprüche zu stellen, die für
die kraft eines einzelnen kaum ganz erfüllbar sind. Denn dass selbst, innerhalb
von Thiele gezogenen grenzen für nachlesen noch reichlich räum bleibt, das leinen
die berichtigungen und ergiinzungen von Bossert (Theol. litteraturzeitung 1901, nr. 8),
Strauch (Deutsche litteraturztg. 1901, nr. 19), Kolde (Gott. gel. anz. 1901, 8G4 t
Reuschel (Euphorion 8, 161 fgg.), Köhler (Theol. stud. und kritiken 1902, s. 158fgg.).
Einiges, das mir gerade zur band liegt, will auch ich nicht zurückhalten.
Zu s. 30 (nr. 3) vgl. Albert Richter, Deutsche redensarten - (1893), s. 9 fgg. und
Murners Badenfahrt. — Zu s. 33 (nr. 7) vgl. Hildebrand im Deutschen wb. anter
'gelehrt' und Beiträge zum deutschen Unterricht (1897), s. 320. — Zu s. 50: nr. 29
steht auch Weim. ausg. 19, 653, 10. — Zu s. 78 (nr. 52) findet sich in Seb. Francks
Sammlung die Variante Hans ist mich boese. — Zu s. 91 (nr. 71) vgl. eine stelle in
Walchs Lutherausg. IX, 2635 'sie haben nicht den schnupfen, sie wissen wol, wo
es koth will regnen'. — Zu s. 105 fg. (nr. 86. 87): der sinn beider redewendungen ist
nicht der gleiche; 'kein blatt fürs maul nehmen' bedeutet: ohne scheu seine meinung
sagen, 'kein spinnweb für dem maul wachsen lassen' bedeutet: unaufhörlich schwatzen.
Ich verweise weiterhin auf Erl. 12, 170: 'kein blatt vor das maul nehmen und keine decke
davor ziehen lassen'. — Zu s. 99 (nr. 79): von der schwärze des teufeis redet auch
Weim. ausg. 19, 355, 18. — Zu s. 113 (nr. 95) vgl. Erl. 14, 136: 'denn sie stinket nach
Adams fass'. — Zu s. 130 fg. (nr. 117, vgl. nr. 128. 364) hätte sich eine Zusammen-
stellung geben lassen von den mannigfachen Umschreibungen für überflüssige oder
unmögliche dinge, die bei Luther begegnen, z. b. Erl. 4, 318: 'das heisst die hühner
lehren eier legen und die kühe lehren kalben und unsern herrn gott lehren predigen
und reden' oder Erl. 13, 188 (vgl. 20,66): 'Was ist es anders gesagt denn wenn ich
stroh und feuer zusammen lege und verbiete, es soll nicht brennen?'; ferner Erl. 7, 108:
'als wenn ich das wasser bereden wollte, es sollte brennen'; Opp. varii arg. VII, 118:
'simili enim opera littus araris et arenae semiua mandaris aiit dolium pertusum aqua
repleveris' (dazu Erl. 31, 383: 'Als wenn ich wollt ins wasser pflügen uud körn säen
oder in der luft fische fahen oder wenn ein weib von einem stein und ein mann von
einem bäum wollt kinder zeugen'); Weim. ausg. II, 648: 'ignem extinguere ubi nullus
ardet'; Opp. varii arg. 7, 311 : 'aridis stipulis adversus flammas pugnare'; Erl. 29, 285:
'das hiesse wahrlich lieben und nicht gemessen, das hiesse vom geruch satt werden
und vom sehen ins glas trunken werden'; Erl. 30,258: 'über tische von eisern vögeln
sagen, so über den see fliegen, oder von schwarzem schuee, der im sommer fällt';
eine ganze reihe solcher Wendungen wird gehäuft Erl. 7,336: 'auf sand bauen, einen
rock aus Spinnewebe machen, sand für mehl nehmen zum brodbacken, wind säen
ÜBER THIELE, LUTHERS SPRICHWÖRTERSAMMLUNG 417
und wirbel sammeln, luft mit löffeln ausmessen, licht mit molden in den keller tragen,
flammen auf einer wagen wiegen'; Luthers wendung 'ad calendas Graecas' (Opp. varii
arg. 7, 195) gibt Justus Jonas wider: 'wenn auf dem eise rosen wachsen' (Walch
18, 2189). — Zu s. 134 (nr. 123) vgl. Weim. ausg. 19, 416, 13. 580, 24. — Zu s. 154%.
(nr. 139) vgl. Weim. ausg. 6, 316, 10. — Zu s. 140 (nr. 131) vgl. Ch. Schweitzer in den
Hans Sachs -forschungen (Nürnberg 1894) s. 372, der aber den sinn wol zu eng fasst:
die eheliche treue brechen. — Zu s. 167 (nr. 157) vgl. Weim. ausg. 25,30, 11. — Zu
s. 169 (nr. 158. 159) vgl. Weim. ausg. 6,583: 'dasz du in der heyligen schrifft eben
szoviel kanst als der esel au ff der lyren' und Opp. exeg. lat. 20,86: 'Altius incipis
Carmen asinorum more, ergo male desiuis'. — Zu s. 185: 'Hie ist niemand daheime'
(Erl. 30, 159) vgl. Weim. ausg. 25, 63, 34 fg.: 'nemo domi est'. — S. 188 (nr. 185) handelt
es sich in dem wort ramen nicht um langes, sondern um kurzes «; über die bedeutung
belehrt Mhd. wb. II , 551; Lexerll, 335 fg. — S. 202 (nr. 201) ist das fragezeichen
hinter brieffe zu tilgen, es soll heissen: das ist wolverbrieft. — Zu s. 210 (nr. 206)
vgl. Erl. 16, 114: 'aber das ist eine taufe, da der teufel den hintern dran wischet'. —
Zu s. 223 (nr. 220) vgl. Weim. ausg. 15, 296, 21: 'Thu wie ander leute, so narrestu
nicht'. — Zu s. 255 (nr. 223. 224) vgl. Erl. 5, 168: 'vor freuden auf dem köpf gehen";
Erl. 10, 273: 'das hiesse eben auf den ohren gangen, die füsse schieiern und den
köpf stiefeln und alle dinge verkehren'. — Zu s. 232 (nr. 236) vgl. AVeim. ausg.
16, 616, 8. — Zu s. 239 (nr. 250) vgl. Weim. ausg. 15, 418, 29. — Zu s. 246 am schluss
von nr. 259 ist anzufügen: Weim. ausg. 19, 546,20. — Zu s. 265 (nr. 283) vgl. Erl.
12, 346: 'Das wird aber dem papst sauer in die nase gehen'. — Zu s. 287 fg. (nr. 313):
in der redunsart 'ein püocklin dafür stecken' sind verschiedene anscbauungen zu-
sammengeflossen: der pflock an der armbrust, der riegel an der tür, der pflock im
zäum und der grenz- oder zielpflock, wie aus folgenden stellen hervorgeht. Erl.
50,406: 'dadurch wir unsern sünden ein gebiss ins maul legen' (hierdurch wird die
redensart 'ein ptlocklin für die zunge stecken' de Wette V, 54; Erl. 14,29 deutlich
und die von Thiele angeführten stellen Erl. 25, 92. 32,29); ferner Erl. 13, 290: 'aber
es ist hier ein pflöcklein vorgesteckt und der weg verlegt', Erl. 8, 501: 'es ist hier-
mit allen denen ein ziel gestellet und das pflöcklcm gestekket, wie fern sie in
denselben gehen sollen, dass sie das maass nicht überschreiten', Weim. ausg.
19, 278, 29: 'Aber ich stackt im ein plock darlür'. — Zu s. 297 (nr. 324) vgl. Weim.
ausg. 15, 736, 33. — Zu s. 303 oben vgl. Weim. ausg. 25, 59, 21. - Zu 3. 321 (nr. 352)
vgl. Erl. 12, 274: 'So setzen sie die hörner auf, bieten ihnen trotz dazu und werden
härter denn ein ambos und diamant. — Zu s. 328 (nr. 357) vgl. Weim. ausg. 25, 3 1. 28. —
Zu s. 351 (nr. 386) vgl. Nikolaus Paulus, Juli. Tetzel (Main/. 1899), s. 16. 166. — Zu
s. 359 'ein strohern hart flechten' vgl. Weim. ausg. L6, '>:; . 9
Das buch, dessen wissenschaftliche ausnutznng durch ein 19 Seiten starkes,
zuverlässig gearbeitetes Wörterverzeichnis sehr erleichtert ist, ist mit einer so n<>i-
nehmen gowandung und solcher gediegen lieii amaoke ausgestattet, wie wir
es bei wissenschaftlichen Veröffentlichungen bisher nicht gewohnt waren. Es wäre
höchst erfreulich, wenn die herren Verleger durch ihr verdienstliob.es beispiel bei
vielen ihrer kollegcn /■inen ähnlichen ch:-.'i/. zu erwecken vermöchten, In diesem
falle geschieht freilich mit der prachi des druokes dem willkürlich zu ohten
Lutherdeutsch der braven Erlanger ausgäbe zu viel ein,-, aber wenn der verf. auch
neben ihr den authentischen te\t der Weimarer ausgal Her hätte u worl kommen
lassen sollen, ganz wäre dieser mangel heute doch QOOb nicht zu vermeiden gewesen,
denn die grössere haltte der Weimarer ausgäbe sieht noch aus. Bis sie vollendet
ZKITSCURIt'T F. DKUTSCHE PHILOLOOI10. BD. \\\\. 27
418 BEBGEB ÖBEH NEUBAUES LTJTHEBfi SCHRITT]
vorliegt, isi es hoffentlich dem verf. vergönnt, uns das umfassendere werk zu Bchenken,
zu dem er der berufenste ist: eine erschöpfende kritische bearbeitung mten
Sprichwörterschatzes, der in Luthers Schriften , briefen, predigten und tischreden noch
verborgen liegt.
HALLE A. s. A. B. Bl i ■■■
Denkmäler der älteren deutschen litteratur für den litteratnrgeschichtli
Unterricht au höheren lehranstalten herausgeg. von G.Bötticherund K. KinzeL III. '■'..
Martin Luther 2. Vermischte Schriften weltlichen Inhalts usw., ausgewählt.
bearbeitet und erläutert von Richard Neubauer. Zweite vielfach verb
aufläge. Malle a. S., Imchhandluug des Waisenhauses 1900. XIV, 283 s. 2.15 m.
Der erste teil dieser vortrefflichen auswahl aus Luthers Schriften war Bchon
1897 in 2. aufläge erschienen (vgl. Zschr. 25, 137 f gg.). Der jetzt vorliegende zweite
teil hat die bewährte anordnung des Stoffes beibehalten, ist aber in den anmerkungen
und erläuterungen durchweg einer sorgfältigen aachprüfung unterzogen worden. Die
neuen bändo der Weimarer gesamtausgabe und besprechungen der ersten aufläge sind
gewissenhaft benutzt, eine beharrlich fortgesetzte liebevolle beschäftigung mit dem
schwieligen stoff ist namentlich den sachlichen und sprachlichen erklärungeu sehr zu
gute gekommen, so dass diese zweite bearbeitnng noch erheblich wertvoller als die
erste genannt werden darf Hinsichtlich der textbehandlung, über die s. 281fg. rechen-
schaft gegeben ist, wird man mit dem verf. nicht allenthalben einer meinuug sein
können, er selbst hat sein verfahren als ein 'eklektisches' bezeichnet. "Warum z. b.
9,4.6. 25, 2 u. ö. gegen den originaldruck für gesetzt wurde, wahrend 8,1. 10,9.10.
14, 25. 15, 2. 3. 13 u. ö. für beibehalten ist, warum 10, 10 furcht ohne umlauts-
bezeichnung belassen ist, während 25, G etwa grundlich in (/rundlich geändert wurde,
solche und ähnliche kleine inconsequenzen wären bei einer neuen aufläge wol besser
zu beseitigen. Dass auslassungen und kürzungen als solche gekennzeichnet werden
könnten (etwa durch punkte), ist ein wünsch, der guten kennern des Luthertextes
allerdings nahe liegt, wenn ihn auch andere vielleicht nicht teilen werden. Sehr
schwierig ist die interpunktionsfrage zu entseheiden. Natürlich musste der verf. hier
dem gegenwartsbedürfnis zu genügen suchen, aber ich fürchte, er hat darin des guten
zuviel getan: der grosszügige, oft ungefüge und schwer durchsichtige satzbau Luthers,
der immer mit den freiheiten der gesprochenen rede rechnet, kommt bei der iuter-
punktionsweise des verf.s nicht ganz zu seinem rechte, er wird vielfach in zu kleine
teile zerlegt, bekommt so gleichsam einen zu kurzen atem und wird auch in seiner
syntaktischen gliederung nicht immer zutreffend dargestellt. Aber die rücksicht auf
germanistisch wenig geschulte leser musste wol auch hierin den ausschlag geben. Im
gauzen ist es hoch zu rühmen, wie der verf. die pädagogischen zwecke mit den
wissenschaftlichen im engeren sinne zu vereinigen gewusst hat. Es gibt keine aus-
wahl von Luthers schriften, die diesen beiden aufgaben zugleich besser dienen könnte,
keine vor allem, die in der meisterlichen beherrsehung des gewaltigen Stoffs mit der
vorliegenden den vergleich aushielte. Es wäre zu wünschen, dass diese ausgezeichnete
arbeit Neubauers über den schulbereich hinaus, namentlich beiden theologeu und den
studierenden der deutschen philologie, die verdiente Würdigung fände. Für angehende
germanisten und lehrer des deutschen gibt es jedesfalls keine bequemere und zu-
verlässigere einführung in das Studium der Luthersprache, wobei sich der beigegebene
ebenso knappe wie gehaltvolle 'Grammatische anhang' besonders nützlich erweisen wird.
HALLE A. S. A. E. BERGER.
ROSENHAGEN ÜBER GORGES, MHD. DICHTUNGEN 419
Mittelhochdeutsche dichtungen. Nebsteinleitung und erläuterungen bearbeitet
von dr. M. Gorges. Schöninghs ausgaben deutscher klassiker mit ausführlichen
erläuterungen. 27. band. Paderborn, Ferd. Schöningh 1901. (VI), 224 s. geb. 2 m.
Aufgabe und einrichtung dieses büchleins sind dem Verfasser durch die Ver-
lagsbuchhandlung vorgeschrieben gewesen ; auch sind diese von schulpraktischen rück-
sichten auf diu amtlichen Vorschriften bestimmt. Wir haben uns hier nur zu fragen:
ist diese bearbeitung geeignet, interesse und Verständnis für die deutsche litteratur
des mittelalte rs zu wecken, und ist das, was hier gegeben ist, zuverlässig? Die
auswahl ist mit geschmack getroffen. Es sind nur poetisch wertvolle stücke, die
gegeben werden. Das gilt besonders für die auswahl aus Walthers gedichten. Das
ist aber das einzige, was anzuerkennen ist. Als hilfsmittel für das Verständnis der
nihd. dichtung ist es entweder nichts wert oder ganz unselbständig. Schon die maasse
der auswahl geben ein falsches bild. Das Nibelungenlied nimmt 122 seiten text,
25 s. Walther, 38 bleiben für proben aus der Gudrun, den höfischen epen, und der
lyrik vor Walther: dem Nibelungenliede, das doch in ungezählten haus- und Schul-
ausgaben zu haben ist, hätte sehr gut etwas abgenommen werden können, am andere
charakteristische proben zu geben. Denn dass diese Sammlung nicht bloss als er-
freuliche blüteniese genuss bieten will, sondern auch belehrung, zeigt die einleitung.
Dafür hätten die erläuterungen ganz wegfallen können. Diese sind, wie der Ver-
fasser auch andeutet, ein zusammengepresster auszug aus den fuss- und kopfnoten
der Pfeiffer -Bartsch'schen ausgaben. Da diese das Verständnis vermitteln sollen,
sind sie hier überflüssig, weil zu den mhd. texten immer die Übersetzung gegeben
wird; zu einer genauen erklärung des sprachlichen ausdrucks reichen diese ab-
gerissenen notizen nicht aus. Offenbar ist dem herausgeber der platz sehr eng zu-
gemessen worden. Dann hätten aber die allgemeinen bemerkungen über Walthers
lieder wegfallen können. So macht es sich einfach komisch, wenn es zu „Under
der linden* einfach heisst: „ein reizendes, durch wunderbaren wolklang ausgezeich-
netes lied, das der sänger seiner geliebten in den in und legt (vgl. Pfeiffers ausg.
s. 23)^. Das schlimmste ist aber die einleitung. Diese fängt mit dem arischen sprach-
stamm an, gibt eine geschichte der deutschen spräche, einen überblick über die
deutsche holdensage und bemerkungen über die mhd. litteratur auf weniger als
28 seiten. Das ist ja, als ob P.opp und Grimm ihre entdeckungen gestern gemacht
hätten! Alles das gehört nicht hier her, weder die Ariel- noch das gotische Vater-
unser, noch die Merseburger Zaubersprüche, mich die ausführliche Inhaltsangabe der
Wölsungensage. Auch diese nicht, denn unser Nibelungenlied ist für sich allein
verständlich, und es schadet ihm nur, dass man es als sagenquelle und nicht als
dichtung seiner eigenen zeit liest. Dafür hätte über die litteratur, \mi der das
buch proben bringt, mehr und deutlicher gehandelt werden können, und vielleicht
auch über die spräche, wenngleich das in aller kürze nicht leicht ist. Was aber
gegeben wird, ist fast in jeder /eile anfechtbar, wei] alles, was in den letzten dreissig
jähren darin geforscht ist, vom verfasse! oichl beachtet wird, oder es ist unklar.
weil es eine fremde meinung verkürzt bietet oder mehrere vereinigen will.
Gleich der /.weife satz lautet: „Yerbreitel über die ganze weh (i) umfassl dieser
(der arische sprachstamm) in Asien zwei hauptzweige, den indischen und iranischen,
in Europa fünf, den gräco-italo- keltischen und den letto-slavo- germanischen."
und soforl gehl es weiter: „Vor Jahrtausenden verliess das im mittelasiatischen
hochlande (wo liegt das?) wohnende voli der Arier, von denen die Germanen ab-
stammen, aus unbekannten "runden eine heimat"; dies märchen darf man beutzu-
420 E08ENH LG . MHD. DICH! DTTI
tage doch nichi mehr o unschuldig erzählen, Wenn es auch wahr wäre, was geht
das jemand an. dei Walther von der Vogelweide Lesen will. Man sollte überhaupt
die frage dei urheimai noch mehr als etwa gleichgültiges behandeln: wichtig ist es
aber, dass die Germanen Jahrtausende in Nordeui | en haben, denn das bal
ihren volkscharakte] gebildet. Lbnlicb altmodisch and zugleich irreführend sind die
sprachgeschichtlichen bemerkungen, besonders über die LautverscbJ id das
mitteldeutsche („vielfach mit niederdeutschen elementen durchsetzt"!). Es komm!
nicht, auf die einzelnen tatsachen an, wenn man sich an ein laienpublikum wendet,
nicht resultate hai man mitzuteilen, ondem das allerwertvollste, was die Wissen-
schaft sich in lnühsainci' arbeit erwirbt, das isi die erweiterung und vor allem die
Verfeinerung der beobachtung. Sogenannte resultate lassen sich weite]' schwäl
sie veralten nur Leider mehr oder weniger schnell, wie auch dies büchlein zeigt, aber
den aussenstehenden anbeispielen zeigen, wie man die äugen anders einstellen kann,
das fördert und bewahrt auch der Wissenschaft den legitimen respect vor ihrer en
arbeit. Darum trifft auch den Verfasser der vorwarf, dass er in dieser ''der jener
einzelheit rückständig ist, nicht so sehr als der, dass er diesen condensierten , trans-
portablen extract überhaupt hat liefern wollen. Auch dem litterargeschichüichen
teile ist vorzuhalten, dass er den vorliegenden zweck zu wenig fördert. Die Unter-
scheidung von volksepos und kunstepos kommt auf eine Wortdefinition hinaus. Es
fehlt dagegen eine berücksichtigung der geschichtlichen und gesellschaftlichen Ver-
hältnisse, welche die Voraussetzung bilden. Die höfische weit wird kaum erwähnt.
und doch ist es das entscheidende, dass der grösste teil der mhd. litteratur für sie
gemacht ist: die einteilungen ergeben sich ans der geringeren oder grösseren ab-
hängigkeit von ihr, von ihr muss die darstellung ausgehen, sie ist die Voraussetzung
auch des Nibelungenliedes, das, so wie es nun mal da ist, genair genommen kein
volksepos ist. Es ist ebenso wenig und ebenso sehr „entsprungen aus der ein-
bildungskraft des deutschen volkes" wie Goethes Faust.
Weiter fehlt eine genaue Charakteristik des Spruches, besonders im gegen-
satz zum eigentlichen minnegesang, und doch ist "Walther der bevorzugte dichter
der Sammlung. An einzelheiten nur folgendes : Ortnit, Eugdietrich und Wolfdietrich
gehören nicht zum „langobardischen Sagenkreise" (s. 16, anm. 2), Siegfried und Brunhild
sind nach der auffassung des deutschen dichters nicht mit einander bekannt: er
kennt sie, aber sie ihn nicht (s. 213, vgl. NN. 393. 394). Den vergleich des liedes
mit der Hias könnte man in der hier angeführten weise von unterseeundanern aus-
führen lassen, aber vorsieht: lieber den unterschied! (s. 19, anm. 1).
Neben Raupach musste Wilbrands Kriemhild genannt werden; aber warum
nicht die wichtigsten erneue rungen allein, Hebbel, Wagner und meinetwegen auch
Geibel und Jordan (s. 20, anm. 1). „Die spanische" sage vom hl. gral: das kommt
mir doch etwas spanisch vor. Vom Twein und Erek ist es wesentlich zu sagen, dass
sie Übersetzungen sind: „der Artussage angehörig " sagt nichts (s. 24). Ebenso ist
Wolfram nicht ein „gründlicher kenner einheimischer und fremder sagen", sondern
litteratur (s. 24). Über den minnedienst als sitte wird nichts gesagt, aber sanskr.
»w», griech. ftsfirrjad-ai, lat. meminisse notiert (s. 25). Provenzalen und Franzosen
sind im ma. etwas sehr verschieden (vgl. s. 25). Wenn man Minnesangs frühling als
die der eigentlichen blute voraufgehende zeit definiert (s. 26), darf man Reinmar
nicht dazu rechnen, wenn auch seine gedichte in dem so bezeichneten buche stehn
(s. 27). Dass Walther prinzenerzieher gewesen sei, daran zu zweifeln hat man selbst
schon anlass. wenn man den betreffenden Spruch nur in Pfeiffers ausgäbe liest (s. 28).
ERDMANN ÜBEB -MARTIN V. LIKMIAKT, WÖKTERBÜCfl DER ELSÄSSISCHEN MÜNDARIEN 421
Für den dilettantischen Charakter der arbeit sind die vielen etymologien von
naruen bezeichnend, die bald richtig, bald falsch notiert sind. Sie -ind überflüssig,
wenn man nicht daran die altgermanische namengebung schildern will, oder etwa auf
die bedeutsame tatsache hinweisen, dass der Hunnenherrscher in der Weltgeschichte
mit dem beinamen lebt, den ihm seine gotischen Untertanen gegeben haben.
Diese bearbeitung ist also weder geeignet in der hand des schälers noch in
der des lehrers die lectüre mhd. dichtungen zu fördern. Weil dies urteil negativ ist,
glaubte der referent so ausführlich sein zu müssen. Vielleicht hat die sache auch
ein allgemeineres interesse. Grade im letzten Jahrzehnt ist besonders viel geleistet.
um weiteren kreisen die durch die germanistischen forschungen gewonnenen kennt-
nisse nahe zu bringen, und zwar durchaus nicht allein im interesse der schule. Es
ist ein offenbares bedürfnis, das von beiden seiten gefühlt wird. Aber man muss
nicht vergessen, dass diese Wissenschaft eine historische ist, und wenn auch die
geistige Vorgeschichte unseres eigenen volkes ihr gegenständ ist, so hat doch nun
einmal unser volk die tiefe Unterbrechung in seiner entwicklung durchgemacht, an
der wir nichts ändern können. Nicht alles, was einmal wichtig gewesen ist, ist noch
heute wirksam, oder wirkungsfähig. Um dies wirksame oder wirkungsfähige zu
finden, muss man die gegenwart unbefangen fühlen und über das wesentliche in
unsern erkenntnissen und beobachtungen (dies besonders!) der Vergangenheit sich klar
sein. Das ist aber nicht leicht: als allererste grundlage erfordert es ein ganz be-
sonders tüchtiges wissen von dem. was die Wissenschaft treibt.
HAMBUBG. '■■ ROSENHAGEN.
"Wörterbuch der elsässischen mundarten, bearbeitet von E. Martin und
H. Lienhart, im auftrage der landesverwaltung von Elsass- Lothringen. Erster band:
A. E. I. 0. ü. F. V. G. H. J. K. L. M. N. Strassburg, Trübner 1899. (VI), 799 s. 20 m.
Sauber ausgearbeitet und reichlich ausgestattet liegt seit längerem der erste
band des Martin -Lienhartschen idiotikons vor. Gar mancher forscher wird seit dem
erscheinen der einzelnen lieferungen den reichen iuhalt dieser 798 ökonomisch ge-
druckten seiten nachschlagend und vergleichend verwertet haben, zur belehrung in
philologischen und besonders wol in folkloristischen fragen. Da jetzt vornehmlich
infolge anderer aufgaben, die professor Martin obliegen , in der ausgäbe der lieferungen eine
pause eingetreten ist (das werk hat sich erst unter den banden der bearbeiter zu
einem zweibändigen ausgewachsen), ist es wol auch für diese Zeitschrift (im anschluss
an XXX, 412) die rechte zeit, das geleistete zu überblicken und zu werten.
Bei der besonderen neigung Martins, allem volkstümlichen mit wolwollendem
interesse nachzugehen, und der trefflichen Vorarbeit, die in dieser hinsieht seit dem
kriege von zahlreichen freunden des elsässischen deutschtnms geleistet ist i nieder-
gelegt vor allem in den jetzt 18 jahrgangen des Vogesen - Jahrbuchs), ist es leicht zu
verstehen, dass in dem vorliegenden bände gerade diese seite der lexikographischen
forschung aufs reichlichste vertreten ist. In die fand- und goldgrube des heutigen
dialekts ist mau wahrlich, tief hineingestiegen. Kinderspiele und abzählreime, soherz-
sprüohe und Spottnamen, Sprichwörter und derbe abfertige ngen die fülle! Kein ein-
ziges gedrucktes deutsches idiotikon. auch das vielgerühmte Schmellersohe Dicht, wird
in dieser hinsieht inhaltlich au das elsässische heranreichen. Ein paar Stichproben
mögen das illustrieren.
Allgemein bekannt und in allen deutschen gauen üblich ist die sitte, aus ruf-
namen appellativa zu machen, nach art von Lii<jr,ilt<tn$, Hemdmmatx, dumme
422 ] \nn
Trine. Für dio entstehung solcher drastischen ausdrücke ist das wort Schvnderhannes
belehrend. Der berüchtigte raube r hiess wirklich Johannes, Dämlich Johann Bückler.
Infolge seiner brutalen mordtaten erhielt er den böseo Übernamen. Solange man
sagte „der Schinderhannes", meinte man das Individuum, welches im jähre 1803 hin-
gerichtet wurde. Wenn aber die Volkssprache fortschreitet zu der Wendung: das
ist) ein richtiger seh., so ist das appellativum (= gewalttätiger rauher) fertig. Der
nächste schritt ist dann, aus dem Substantiv ein verbum zu bilden wie hänseln.
Nun sehe man, wie zahlreiche personennamen in der el bd Volkssprache der-
artig verwendet werden. M ä nnli c h : Ignatius, abgekürzt Naz, Nazi ; daher Krappena i i
Spottname für einen zerlumpten menschen (von hra/pp eigentlich kolkrabe, dann ge-
spenst), Käsnaxel junge, der käse isst und sich dabei beschmiert, Brillenazi brillen-
tiäger; oder allgemein du Naxi, du dummer, du liisch e ta/uwer Naxi. — Philippus,
abgekürzt Lips, Lippel; daher Deisendips (von /leisem Sauerteig) ungeschickter bäcker-
lehrling, Schmierlips unreinlicher mensch. — Laurentius, abgekürzt Lorenz, Lenz;
daher Bübbelenx ein unbeholfener, Trappten* ein schwerfälliger; das verbum len en
lungern, uflenxen, erumlenxen aufhalten, hinhalten; die entstehung des schriftdeut-
schen fauleuzer zeigt die stelle aus Geiler von Kaysersberg: o du fauler lentx. gehe
zu der omeisx und lehre von ir. — Jakob: die Verkleinerungsform Jockei bezeichnet
einen gutmütigen , unbeholfenen, hinkenden; e dummer soupier dalwatsehiger Jochle,
— Leodegar, abgekürzt Ludi, Ludel, erhält (wol unter ein Wirkung von lueder) die
bedeutung eines trägen, unverschämten, moralisch anrüchigen, also Lappeludel, Fress-
lud i, Saüludi; loss dini Topc us m esse, du Ludi.' — Hilarius, abgekürzt Lari:
Lärle bedeutet einen tölpel. — Martin ist elsässisch Marti oder Marte; daher Stier-
marte dummer, Langmarti schlanker, Brillemarti bebrillter, Grässmärtel finsterer,
mürrischer. Im schriftdeutschen dürfte Matz entsprechen: hemdenmatz, hosenmatx,
das gewöhnlich von Matthias abgeleitet wird. — Ulrich, abgekürzt Utz, Uz oder
Üöli; daher Gebirg utxel Gebirgsbewohner, Dorfüäli Dörfler; das zeitwort uzen auf-
ziehen, sich über jemand lustig machen, ist allbekannt (der Weigandschen ableitung
aus dem hebräischen kann man entraten); em Ua/i rüefe vomere wie im Simplicissi-
mus. — Urban ist ein grobian, Hansdünncl (Johannes Daniel) ein eigensinniger,
hochmütiger, Zittermoritz ein geizhals, der um sein geld besorgt ist. Man sagt im
Elsass von Kunz xu Benz schicken (Konrad und Benno), wie sonst von Pontius zu
Pilatus, und s isch Hans wie Heiri (Heinrich) einer wie der andere. — Weiblich:
Apollonia, abgekürzt Appel oder Ploni; daher Schelappel schielende person, Pritschappel
waschweib (pritschen sind die in der 111 und anderen gewässern schwimmenden
flösse, die den Wäscherinnen als werkräume dienen); du plauderseh alles us nie
alle alte Abble. — Ursula, abgekürzt Ursi; daher Kuttclursi unreinliches mädchen.
— Mechtild, abgekürzt Metz; so ist schon bei Geiler eine Hadermetz wie Hedrrliss
ein zänkisches weib; der gebrauch des wortes für ein verächtliches frauenzimmer, im
Elsässischen allgemein, ist ins schriftdeutsche übergegangen. — Odilia, französisch
Odile, deutsch abgekürzt Udel, ist im Elsass ein häufiger vorname, wegen des alt-
bemhmten klosters auf dem Odilienberge bei Oberehnheim (woher auch die Ottilie in
Goethes "Wahlverwandtschaften ihren namen erhalten hat); aber nun verächtlich
Dreckucdel, oder des isch e rechti Udel unordentliches mädchen. — Maria: die kose-
form Meile, Meyel wird mitunter für ein ungeschicktes, unordentliches ding gebraucht;
Zusammensetzungen Bampelmei, Buremeiel, Türkemeiel. — Christina: das deminutiv
Krischengele bedeutet (wol mit anlehnung an krischen) ein wunderliches, zaghaftes
weib. — Agnes, abgekürzt Nesi, Neks, Nes dient zur bezeichnung von beständig
ÜBER MARTIN U. LIEKHAET, WÖRTERBUCH DER ELSÄSSISCHEN MUNDARTEN 423
klagenden und nörgelnden personen; die Angenes in der leimegrueb ist eine jammer-
base; ja es existiert sogar ein zeitwort nesen jämmerlich bitten. — Eva: lubakevi,
Meiev (— Maria Eva) einfältiges weib, Gageirre zerstreutes rnädchen. Der Elsässer
sagt du dummi Lenor und Motschekäthel für eine unordentlich angezogene Weibs-
person. — Mitunter haben die katholischen heiligennamen mit den zugehörigen legen-
den auf die spräche eingewirkt. Der heilige Andreas beschützt gegen Zauberei, daher
der alte hausspruch: Sunt Andreas, mache weichen Und Sunt Helena mit dem
krcuzxeichen Treib all Hexerei ran diesem hausgesmd Und lass es fromm leben
ohn sündf So versteht man, dass andreslen bedeutet (am Andreastage = 30. no-
vember) abergläubische gebrauche vornehmen. Im Weilertal sagt man: wer dann
ausgeht, wird geandreselt. — Sanct Veits krankheit, der veitsstanz, ist bekannt; die
grotte des h. Vitus liegt im Zorntal bei Zabern. — Samt Töniges fetter (h. Antonius)
ist die gesiehtsrose, die schnell Kathrin der durchfall. — Sanct Christoph orus hat
über alle schätze gewalt und kann auch die verstorbenen zwingen, die in der erde
verborgenen kostbarkeiten anzugeben; daher ist ehristoflen schatzgräberei treiben.
Leicht könnte man hier jene humoristischen familiennamen anknüpfen,
die entweder einen verbalstamm mit objekt enthalten (bildung Dankegott. Fürchte-
bntx, Habenichts, das kätzchen Fangemaus bei Hey, der knapp'' Kostewein bei Willi.
Müller) oder einen ganzen satz (Bildung Rührmichnichtan, Vergissmeinnicht: Laeh-
michan, Gehmirnach). Sie sind im Elsass überraschend häufig, aber im Eis. wb.
nicht sonderlich berücksichtigt. Zum teil werden sie aus dem vierzehnten Jahrhundert
herstammen, aus der zeit, als sich in Strassburg und anderswo die stark und reich
gewordenen zünfte vom adel und der geistlichkeit auteil am stadtregiment erkämpften.
Damals hat sich bei handwerkern und ackerbürgern der familienname festgesetzt, der
mitunter einem launigen über- und Spitznamen seine entstehung verdankt. Hin Bramar-
bas, der iu der zunftstube sich gerühmt hatte: komme ich einmal vors thor, schlage
ich einen ganzen häufen (kriegsknechte) tot, hiess nun Hans Sladenhaufen oder
Hchlaejdenhauffen. Ein wirt, der durch sein inkorrektes verhalten den gasten uuehre
gebracht, hiess nun Jürg Schentingast oder Schendegast. [ch stelle hier einige Vaters-
namen zusammen, die sich im Elsass entweder in früheren Jahrhunderten oder in der
gegenwart vorfinden. Wendenschimpf (gebildet wie Störenfried, Suchentrunk Luther
zu Sir. 40, 30) ein mann, der die fröhlichkeit hindert, ein grämlicher. Trennen-
schimpf ähnlich einer, der die fröhlichkeit, das gute einvernehmen zu stören sucht.
Sengenwald ein krieger, der den wald (der feinde) anzündet. Zuckschwert, Zuck-
mantel, Haumesser, Haunschild gehen ebenfalls auf kriegerische taten. Schüttenüt
und Streisguth gehen auf verschwendet-, Sparschuh und Schürdiegeiss auf das gegen-
teil; donn wer sogar die Ziegenhaare verwertet, muss ein sparsamer hausvater sein.
Redslob findet sich und Kiese/ref/er, Irmmmj und Hasdendeufel, Umbundumb und
Baudendistel. Ein Junker Johann von Marlei, genannt Schrendeleffese (= mit ge-
spaltener lippe) erscheint 1295, ein Hans Kumnochhinnaht , Schuhmacher in Strass-
burg, 1427. Letzteres war gewiss eine Lieblingsredensari des biederen mannes oder
eines vorfahren, vgl. den bayrischen forsten Heinrich Jasomirgott. Aus Sebastian
Brants Narrenschiff wäre zu vergleichen: die fresser kein ich rumdenhag, lärskärli
(= leere das kleine geschirrt, schmierwanst , fülldenmag.
Eine andere Stichprobe seilen die Wörter mit schwankendem anlaul ab-
geben. Nicht selten nämlich ist in der elsassischen volksrede der (deutsche oder
französische) artikel mit dem Substantiv verwachsen, oder man hat umgekehrt den an-
laut fortgelassen, weil man ihn für den artikel gehalten hat. Beispiele für den ersten
424 EBDM
Vorgang bieten Wörter mü >/ me numhcmg, Da man de-n- Umhang oder e-n-um-
bang ohne abzusetzen Bpricbt (wie etwa im Bchriftdeutschen hut des mannee klingt
wie hutesmannes) so ist mis bräuchlich das n mil Li bsen,
so dass man sagen kann: de numhä/ngle sin awer uii schön geböjeli • für
ast, wie mir denn neulieb ein kinderliedchen auffiel: Ems, .>>■>. drei. Vier, fünf,
sechs, Siewe, acht, n/in. Geh ins gässeh nin! Im gässele ische garte; Im garte
isch e iiiiiiiii, Am bau/m isdi e nascht, Im nascht isch i nescht, Im nescht
isch en ei, Im ei isch e dotter, Im dotter isch e haas, Der springt dir grad
Uf diu/' lang nas. So nochme für atem, nägel splint (von agele, äglin granne,
splitter), nadalie georgine. Mit französischem artikel (wie in mini, liinde, lunde ■
tatet allgemein: maisch du, wer hit im magister dene laids- Schneeballe uf de decket
gschanxt het, dass cm s ladädel geloddelt het? — ebenso labbe, larträt. Recht
auffällig lästere; das ist aber nur individuell, wie -.'Ihr gärtner als saut. Eier eben
wir die spräche im werden: was bei tatet allgemein üblich, hat jener gärtner, dei
fein sprechen wollte mit astern versucht. — So ist auch das kuriose wort leschieres
zu erklären (hat isch c ganzer I. soldate durich) mit den nebenformen eseh
neschires, reschieres; es ist das neuhobräisebe 'aschirutb reichtum, dem an
des hebräischen gutturals 'ajin der deutsebe bestimmte oder unbestimmte oder der
französisebe artikel vorgesetzt ist. — Umgekehrt aphäresis bei äcke nacken (de-n-
näcke), ac/ie uaclien, ädliiuj abgerissenes stück faden, wozu man och für noch schmale
rinne fügen kann (fehlt im Eis. Wb.). Im feminin esle brennessel (uns en-ne£
ererenx, wol aus dem dativ der-reverenz; akerstei erklärt sich daraus, dass das wort
ins neutrum umgeschlagen: des - sacristei. Ameriske tamariske erklärt sich so, dass
das fremde wort als mit dem apostrophierten artikel zusammengesetzt galt. Den voll-
ständigen hat man im Strassburger diakonissenhaus vermutet, so dass dieses am
Kochersberg und im Zorntal als akenesehus erscheint (wol mit anlehnung an A .
eine Agnes medica erscheint auffallender weise im 14. jh. in Strassburg). Hument
augenblick ist durch falsche abteilung von im-moment entstanden. Aus falsche]' ab-
trennung möchte ich auch das auffällige, in Strassburg auftauchende Zeitwort guet
afelen essen erklären, das schwerlich von judendeutsch acheln kommt, wol eher von
Schriftdeutsch gut tafeln. Sah ich doch neulich in einem gut elsässischen tageblatt
tvieti Khir gedruckt für das wütige heer: trotz der im Elsass populären Vorstellung
hatte der Schreiber oder der setzer den ausdruck nicht mehr verstanden.
Ohne frage lassen sich die deutschen mundarten als Schatzkammern ansehen,
aus denen die Schriftsprache gut und gerne anlehen machen darf, um das abgegriffene
sprachgut wider aufzubessern. Nach elsässischer anschauung würde man an die stau-
weiher denken, die hoch oben in den Vogesen augelegt werden, um im hochsommer
der wasserarmut der täler abzuhelfen. Geschehen ist das ja immer und allerorten,
wo originelle Schriftsteller und besonders volksredner gewirkt haben. Geiler wie Luther,
Ulrich Megerle wie Fischart, Fritz Reuter wie Peter Eosegger bereichern die Schrift-
sprache aus diesem quickborn. Die geniale kraftsprache in Schillers Jugenddramen
schwäbelt mitunter, während bei Goethe hier und da das Sachsenhäuser deutsch
durchschlägt.
Freilich muss man berücksichtigen, wie viel der dialekt in seinem jeweiligen
zustand leisten kann. Die derbe spräche der mit der natur, will heissen mit zugvieh
und mistacker in steter berührung lebenden dörfler bietet überall eine ausnehmende
menge von kraftausdrücken mit unverfälschtem erdgeruch. Wie sollte es im „lande
ÜBER MARTIN U. LIENHAKT , WÖRTERBUCH DER ELSÄSSISCHEH MUNDARTEN 425
der fünf grossen W1 anders sein? Mit vollem rechte betonen die Verfasser des idiotikons
(vorr. p. XV) die pflicht des lexikographen , auch so etwas zu sammeln2. Das Elsass
ist ja die heimat der deutschen satire, und sicher ist es „kein zufall, dass die derb
volkstümliche litteratur des 16. und 17. jh. gerade hier ihre blute erlebt hat." Un-
leugbar sind jene kraftwörter und -Sprüche auch in der heutigen litteratur für derbe
komik und drastische darstellung, in volksschauspicl und volksroman, wol zu brauchen.
AVollen also moderne heimatskünstler den kämpf gegen grossstädtische überfeinerung
und überspannte geistigkeit führen, so dürfen sie gerne die elsässische Volkssprache
als „Sparbüchse" im sinne von Friedrich Ludwig Jahn ansehen.
Aber das elsässische land hat doch nicht nur für ein derb volkstümliches
Schrifttum die spräche hergegeben, sondern auf seinem boden dichtkunst wie prosa
zu hoher Vollendung gedeihen sehen, jene zu höfischer feinheit, diese zu schwer
arbeitender, wuchtiger gedankenfülle. Hiermit komme ich auf den zweiten teil meiner
besprechung: darf doch ein gewissenhafter recensent bei aller Anerkennung des ge-
leisteten die frage nicht vorsäumen: was fehlt in dem vorliegenden buche noch, und
in welcher richtung ist weiter zu arbeiten?
Keineswegs um zu tadeln, sondern überhaupt nur angemerkt soll werden,
dass das Martin -Lieuhart'sche idiotikon die jetzige Volkssprache des reichslandes
nicht vollständig enthält. Sammlung und ausarbeitung sind auf das Elsass be-
schränkt, „da die spräche und volksüberlieferung Deutsch - Lothringens wegen
der grossen Verschiedenheit von der elsässischen sowie wegou des mangels an älterer
litteratur und selbst an wissenschaftlichen vorarbeiten eine eigene behandlung ver-
langt". Dort ist also noch eine arbeit zu leisten. Neuerdings ist sie in angriff ge-
nommen. Wie die Luxemburger regierung auf grund der arbeiten des Zahnarztes
AVeber ein Luxemburger idiotikon vorbereitet, will die regierung in Metz für den
verwandten deutsch -lothringischen dialekt dasselbe tun. Unter dem vorsitz des bezirks-
präsidenten trat im jähre 1900 ein ausschuss von sechs mitgliedern zusammen; die
herausgäbe ist professor Ferdinand Follmann (von der Metzer oberrealschule) über-
tragen.
Für ältere zeiten hat das Eis. wb. neuerdings ein merkwürdiges Supplement
erhalten durch die posthume herausgäbe der lexikalischen Sammlungen von prof.
Charles Schmidt (1812 — 1895). Dem Wörterbuch der Strassburger mundart,
das wir schon erwähnten (XXX, 414) ist jetzt gefolgt ein Historisches Wörterbuch
der elsässischen mundart, mit besonderer berücksichtigung der frühnhd. periode
(Strassburg, Heitz und Mündel 1901). Wenn man sich mit diesem buche beschäftigt,
kann man das bedauern nicht los werden, dass es nicht möglich war, diesen kost-
baren handschriftlichen nachlass mit dem Martin- Lienhart'sehen apparat von 100000
zetteln zu vereinigen. Gerade was die herausgober des Eis. wb. „der Zukunft über-
lassen zu müssen" glaubten (vorw. p. III), die darstellung der vergangenen sprach-
verhältnisse, hat Schmidt teilweise geleistet, freilich unmethodisch und lückenhaft.
[hm schwebte gerade die aufgäbe vor, die Martin aussohlieest, die jetzige Volkssprache
(er kannte nur die Strassburger, daher der falsche Singular im titel) auf sein urbild,
das reine hochdeutsch des ma. zurückzuführen. So Bammelte der gelehrte thei
der vorf. der besten Melanchthon-biographie (damals hiess er noch Karl Schmidt ),
mit bienonileiss aus Strassburger handschriften und seltenen drucken, von denen er
1) "Wasser, weido, wald, weizen, wein.
2) Etwas zu weit ist Martin in der aufnähme gemeiner und obsoöner redens-
arten doch wol gegangen (trotz DWb. 1, XXXII).
426 KKIiMAN.V
eine kostbare privatsammlung besä alle aaffallendeo ausdrücke, alle ihm wichtig
erscheinenden belegstollen Gottfrid bai er wo! auch berü I I wai
nicht sein gebiet: er kehrte immer wider zu den gottesmäni und
dor reformationszeit zurück. In Beinern oachlass fand man !. ein glossarium i
rianuiii, 2. ein glossarium Brantiannm et Murnerianuro , '■'.. ein glossarium alsaticnm
tnedii aevi, 4. ein glossarium alsaticum zur zeitperiode 1500 D alung
aus Geiler ist schon 1869 begonnen und schein! am reichhaltigsten zu
Geilers unerschöpften reichtum hatte ja der altmeister Jacob Grimm schon 1854 mit
bestimmtheit liingcwiescn (DWh. I, XXXV), Dass Charles Schmidi fast auf jeder
seite den gründlich veralteten Scherz anführt, dagegen die deutschen philologen des
19. jh., einschliesslich Glimm, meist nur mit polemischen bemerkungen abtut, erklärt
sich aus seiner (lokalpatriotischen) Abneigung gegen seine altdcutsclien kollegeu, die
sich bei dem alternden gelehrten zu bedauerlichem eigensinn verhärtete. Seine erben
wollten den vorgefundenen schätz nicht unverwertet lassen. Ein söhn und ein enkel,
beide in Paris wohnend, haben die vier glossare nach alphabetischer reihenfolge (nicht
nach dem Schmellerschen System) zusammengearbeitet. So wt das Historische Wörter'
buch entstanden; die unfertigkeit des Werkes, das der verf. in dieser gestalt niclit
veröffentlicht haben würde, haben sie selbst bereitwillig zugestanden.
Auch das Eis. wb. ignoriert die älteren perioden keineswegs, aber die an-
führungen sind, nach den selbstgezogenen grenzender herausgeber, gelegentlich, und
es ist mehr dem zufall überlassen, ob wir für eine wichtige vokabel schon die nötigen
historischen belege abgedruckt finden. Wie inhaltreich würde der artikel ahnend ager
publicus werden, wenn man nur die gedruckten teile des Strassburger urkundenhuebs
daraufhin ausheuten wollte! Lexer citiert als ältesten beleg eine Urkunde von 112."».
Im manifest des bischofs Walther an die bürger Strassburgs (1261) heisst es (TJrk. B.
I, 356): wir clagent och, sit die almeinden gemeine suln sin arm unde riehen,
so hant doch die gewaltiser von Straxburc der almeinden vil imder siel' gezogen
unde geteilet beide in der stat unde davor . . . Die form ahnend schon 1310 in könig
Heinrichs Vll landfrieden (TJrk. B. II, 233). — Oder wie instruktiv wäre es, wenn der
leser zu dem artikel olmann (Eis. wb. p. 685) über die alten zünfte aufgeklärt würde;
steht doch schon 1263 in der Vertragsurkunde zwischen bischof und stadt (Urk. B.
I, 395) eine aufzählung der „antwerk": rintsuter unde hurdewener, ximberlute,
kueffer, oleylute, swertfeger, mulner, sn/ide, schilter unde satteler.
Was ich direkt vermisse, ist die angäbe der mhd. form der einzelnen Stamm-
wörter, unter welcher man dieselbe bei Lexer findet. Mitunter ist sie beigedruckt,
aber lange nicht oft genug; z. b. bei:
ägerste elster (p. 21) siehe mhd. agelster.
aggrest art saurer brühe (p. 24) s. mhd. agraz.
ulwer plump (p. 35) s. mhd. al-waere.
amet nachheu (p. 35) s. mhd. ämät.
anken Butter (p. 55) s. mhd. anke, swm.
Miseren hausflur (p. 61) s. mhd. ern.
ürten zeche (p. 70) s. mhd. ürte, irte.
eisen blutgeschwür (p. 75) s. mhd. eiz, stm.
euer feldgrenze (p. 82) s. mhd. cter.
ßfalter, flicgfalter Schmetterling (p. 115) s. mhd. vivalter, zweifalter.
kommen, kamntlen abästen (p. 335) s. mhd. hemelen.
heischen begehren (p. 386) s. mhd. eischen.
ÜBER .MARTIN U. LIEMIAKT, WÖRTERBUCH DER ELSÄSSISCHEN MUNÜAKTEN 427
mutzen schmücken (p. 745) s. mhd. mutzen.
hinecht, hint heute nacht (p. 757) s. mhd. hinaht — usw.
Heisst dies rückwärts blicken, so würde eine weitere aufgäbe des lexikographen
darin liegen, die Wirkung der elsässischen Volkssprache in hochdeutschen Schriftwerken
neuerer und neuester zeit nachzuweisen. Der Kolmarer Pfeffel wäre daraufhin durch-
zusehen, wol auch der Rappoltsweiler Spener. Einen niederschlag bei Goethe
wird man von vornherein vermuten: weilte er doch zwei jähre seiner empfänglichsten
periode im Elsass. Nun vergleiche man folgende stellen: Gesch. Gottfr. v. B. act III:
unterst zu oberst stürzt ihn mein herr vom pferde, dass der federbusch im kot
stack. Zunderst zöwerst im sinne von alles durcheinander, verkehrt, drunter und
drüber ist eine der gewöhnlichsten elsässischen wrendungen, s. Eis. wb. p. 8; ein
spiel dieses namens Jahrb. des Vogesenklubs VIII, 79. — Jeder kennt im ersten teile
des Faust die stelle, wo Mephistopheles dem liebespaare nachruft: Mut will' ge sommer-
vögel (v. 2847). Das bedeutet Schmetterlinge, so im Elsass allgemein. — (v. 3075)
Misshör mich nicht, du holdes eingesteht! Das verbum dürfte manchem aufgefallen
sein; misshören für falsch verstehn Eis. wb. p. 369. — (v. 2799) Das Sprichwort
sagt: ein eigner herd Ein braves weih sind gold und perlen teert. In der form
en eijener herd isch goldes wert Eis. wb. p. 371. — (v. 3105) Mephistopheles ist so
unhöflich, nach Gretchens abgang zu rufen: Der grasaff! ist er weg? — ein wort,
das Goethe ungalanter weise widerholt, wie er seine frühere braut in Strassburg als
junge nnitter widersieht. Die spöttischen Zusammensetzungen mit aß' sind im Elsass
sehr volkstümlich. Wir finden (Eis. Wb. p. lli) brüllaff, galaff, geigaff, /""ff, schlur-
aff, teigaff u. a. Grasaff sollte hier nicht fehlen; ich kann es als noch heute ge-
bräuchlich bezeugen.
Ich schliesse die besprechung des trefflichen werkes mit einigen kleinen nach-
tragen.
Zu s. 44 eim eins buche. Man sagt in Strassburg auch: dem liaw i cini
gschteckt mit erniel und handmanscheetc.
s. 44 in dem kindervers wie soll s heissen? alti mudelgeissen ist das letzte
wort nicht erklärt. Es sollte s. 653 stehen: mudel, f. eine art ziege ohne hörner.
s. 45 ohneins: bei Zahlenangaben (wie lat. uudeviginti) schon im mittelalter:
uiube an eine xwenxig mark- luters linde lötiges silbers Straxpurgcr gewiges. Urk.
B. 111,87.
s. 40 iiberenxig: hier sollte die stelle aus dem Pfingstmontag nicht fehlen : was
diss e daigaff isch, so hvwerenxi du mm!
s. 50 under enander: ilass uf dem bekannte plätzel wirklieh c so en unter-
nands isch. Str. ztg. 28. XL 1900.
s. 55 ungkät biete ist doch wol frz. ennuete.
s. 66 arg: das alte Substantiv dazu heisst ergr (diese Substantivbildung, nach
dicke, fülle, echt alemannisch; vgl. eile, vile, heitere, füchte, vinstere). erge be-
deutet kargheit, geiz: erge des silbers im sinne von geringer geholt der münze.
Urk.B. 11,259.
s. 79 üsseren: sich eussem steht im sinne von „die stadt verlassen, verreisen"
in den Leges gymnasii, abgedruckt Festschi. des prot. gymn. I, 1 I-'.
s. 89 fabrizieren: bym e wirth, der schönt füsser fabrixirt. Hut/.. Qed. s. 101 ;
auch = anrichten : du hesch ebs nets fawrixiert.
s. 128 ver-: dazu verrewlen perire (von rebstöoken) L. Sohneegans, Orthogr.
anarchio p. 52.
428 ERDMANN ÜBER MARTIN CT. I.IhNIIAKT . WÖRTERBUCH DBB I Ml HDABTEN
s. 132 ßhrblose waren ausgebohrte meterlange holunderstäbe zum feaeranblasen.
Teutscb, Strassb. bilder p. 51. Siehe jetzi Charles Bohmidi i i blase,
s. 136 fuehr spass, scherz: e schont fuehr gab düs emol. Hirtz, Ged. .-.. 168.
Das davon abgeleitet«; adj. fuerig, fueriekt sollte wegen seiner häufigkeit mehr belegt
sein. Man sagt in Btrassburg a isch e füerichti gsehicht, <■ füerichter kerl; im
adverb: der hei füeri gebabbelt, füerichti Situation Stosakopf, !I"m Ifaire 11. 13.
c füerichter mode ebenda III, 7.
s. 16G fiug : vlugengel ist der erzengel Micbael (1261) Urk. B. I, 360.
s. 204 guguch: dazu das deminutiv giiksel. .Man sagt: vüm giücsel, et
(jiiksri. So vuem gucksei, meinscht, i bin so dumm? Hirt/., Ged. s. 168.
s. 214 gige druckiehler für gilge. Das wort ist nicbt so veraltet; ein Neu?-
dorfer apotheker konnte noch neuerdings seine apotheke zur Oilgcn nennen; es wird
aber (nach dem zeugnis von Ch. Schmidt) stets Jilje gesprochen.
s. 223 gäng: der ausdruck gäng und gab wird schon im ma. flectiert gebraucht:
vier und xu-enxig phunt genger und geber Straxburgere Urk. B. 11,222. umbe
W mark silbers genges und gebcs (1290) Urk. B. III, 79, s. einleitung s. XXX VI II.
s. 240 geist: der heilig geist für poetische begcisterung: wo saue, dat
dichter sinn, dass sie der lieili geiseht thut tritoe. Schneegans, Orth. an. s. 45.
s. 277 grind köpf, schon 1332: und slug Wilhelm von Stille in grint mit
eitlen/ messer (Urk. B. V, 15).
s. 278 grindig ist krätzig, was im dialect nicht gebraucht wird. E grindichi
Jcatx. — Sinn sie nit grüendi, d krotte? Hirtz, Ged. s. 168.
s. 288 fehlt gspass. dis isch e dummer g. — e gspass in ehre soll nieme
wehre. Hirtz, Ged. s. 161. — Adj.: gspässi(g). Doch d' gspässi nas die g 'fallt
mir nit. Hirtz, Ged. s. 165.
s. 297 hebet: hebelendivien ist ein scherzausdruck für prügel. Der het e portion
hewelandiß grieit. Str.
s. 362 kugelhopf hat seinen namen doch wol daher, weil das backwerk aus der
gugel, d. h. aus der haubenartigen kuchenform herausspringt.
s. 371 hard, in Ortsnamen häufig, sollte klarer abgeleitet sein. Im Eis. wb.
steht als erste bedeutung wald, meist mit hartem höh, buchen, eichen (gegensntx
grüner tvald, Rheinwald). Von der härte des waldholzes hommt der ausdruck sicher
nicht. Nach dem mhd. (s. Lexer) ist hart zunächst „fester Sandboden" im gegensatz
zu der gepflügten ackererde. So Tristan 17342: über velse und über herte. Dann weide-
trift, endlich wald. Überall ist der gegensatz zu dem urbar gemachten felde ersichtlich.
s. 406 Jäck branntwein , das abgekürzte cognac.
s. 432 kalb Mosis: do müesst einer schun c geduldigs kalb Moses (so!j sin.
Stosskopf, Herr Maire. Es ist aber jedesfalls genetiv.
s. 512 fehlt kräbcle altersschwacher greis. En aldes kräicucle kummt jetx.
Hitz, Ged. s. 166.
s. 680 memm. mimmele heisst in Ursprung bei Reichenweier auch ein
kleines kalb.
s. 692 mund (os) ist nicht elsässisch, dafür und. Nun wäre es interessant,
die andere bedeutung tutela aus dem ma. nachzuweisen. Im Urk. B. II, 247 steht:
von Herrn Reinboltes Süsxen unsers burgers und sinre kinde und ir muntbar wegen
(1312). Muntbar ist der vormund.
s. 694 munkendrüssel : hier fehlt der beleg aus dem Pfingstmontag I, 1: i toill
e schmixxel xerst von unser m mimggedrissel.
NACHTRÄGE UNO BERICHTIG l*N' JEN 429
s. 702 mohre (scrofa): Hierzu die drastische redensart s isch scheen ankumme,
wie e moor im e juddehüs. Stosskopf, Herr Maire 1,8. — Ebenso: grad ivie e söu
ins juddehuus. Hirtz, Ged. s. 165.
s. 772 genams. Die herleitung von nemmm = nennen ist nicht plausibel. Viel-
mehr von genamen = genehm erklären. So Urk. B. I, 364 in dem b riefe bischof
Walthers: unde uissent, dax wir den tac mit tcolten genamen...
STRASSBURG I. E. M. EEDMAKN.
NACHTKÄGE UND BERICHTIGUNGEN.
Zeitschr. 35. 6 änm. z. 4 lies und st. oder; ebenda z. 7 lies: der vogel der: s. 13
z. 27 lies: ivintra gebidenra st. gebidenra d<H; ebenda anm. 1 z. 4 fg. lies: durch die
gewaltsame Verbindung... wird nicht nur 75 unverständlich, sondern auch
73. 74 bleiben unklar wie zuvor.
Zu dem aufsatze H. Schachners über das Dorotheaspiel (Ztschr. 35, 157 fgg.)
war, wie uns J. Holte freundlichst mitteilt, auf die in seinem Danziger theater (1895)
s. 78 — 81 verzeichneten dramen und aufführungen des 16. — 18. jhs. hinzuweisen.
Ferner verweist er auf Wolter, Zeitschr. des Berg, geschichtsvereins 31, 98. 100
(aufführungen in Köln 1628 und 1648), Martin, Strassburger stud. 1,97 (auffuhrung
in Strassburg 1698); F. A. A. Meyer, Olla Potrida (1791) 1, 87; endlich (zu Massiugers
englischem Schauspiel) auf Koeppel, Quellenstudien zu den dramen Chapmans
(1897) s. 82.
In meiner abhandlung über den ljoÖahättr im 34. bände der Zeitschrift
hat, was ich leider erst jetzt bemerke, der setzer in dem versregister (s. 490 fgg.) die
Verweisungen auf den Grögaldr übersprungen. Es ist also s. 492 hinter Gautr
einzuschieben:
Gg V:öi,4r. 115a. 2. V : 130. I8 : 58 a. 1. 91 a. 1. I4 : 149. 21 : 55 a.2. 82c. 25:
130. 28:16a.l. 82f. 24 : 150. 3 ' : 43. 114.4. 32:158a. 38:48. 78. 34:155.
4' :55. 102a.7. 42:131. 43 : 58. 82\ 44:142". 5 ' : 57 a.3. 78 a. 1.2. 52:130.
5:!:59. 82d. 54:157a.l. 61 : 64, 5. 102 a.5. 6*: 158. 68: 36. 92 a.3. 6': 126
a.2. 71: 64,5. 81. 7*: 130. 78:57,2. 82d. 74:135. 81: 64 a.4. 93. 88:156.
8 :i: 55. 82 a. 9. 84:135. 91 :64 a. 4. 93. 9': 156. 98:2. 78. 94:141. 101:
64 a. 4. 110 a.2. 10- : 150. 10' : 55. 84 a. 1. 104 : 139. 10r> : 130. 181.
II1 :64 a. 4. 109. 1P : 156. 118:55.98. 11' : 170 a.3. 12' : 64 a. 4. 81.
12- : 120. 12:,:2. 84°. 12*: 141. 13 l : 64 a.4. 81. 138: 155. 138:37. 91.
134:155. 14' : 64 a.4. 92 a. 1. 142:130. 14:,:8. 75,3. 14 ' : 182. t51:3.88b.
15-':142b. 153: 64, 4. 114, 5. 15*:145a. 16':55. 93. 10- : 141. 16:,:47. 94.
16* :145 a.
Ausserdem sind folgeude falsche citate zu berichtigen: Fj 6*: 121. s ' : 10.
82°. 18 3: 2. 75 a. 6. Gnu 33' :66a. 2. 518:3. 75,3. Hgsv 139': 61. 82 a.4.
HHt18*:143. Hov 6fi : 65, 3. 81, 1. 55 :l : 15 a.4. 78. 691 : 37 a.l. 81 a. 1. 130":
64, 4. 75, 1. Ls 12'-' : 142b. Skin 41- : 162 a. Vm l4 : 151 a.2.
Im texte der abhandlung ist noch folgendes zu ändern:
§ 3 (s. 168 fg.) ist unter « das citat H<je 110' zu streichen und unter & einzureiben
(mal'a at I>ylja).
§ 3 aum., z. 2 lies: § 75 st. § 74.
430 NOTE KRSrilF.INUNOEN
§ 5 atnn. 1 , /.. 3 Lies: Shm 41 '.
§ 15 aum. 4, ■/..:>, lie E$v 55" (statt 155").
§ 62 anm., /.. 1 Inge nach |>;<t ein: 7'} 10 '.
§ 79« (s. 205 z.6) lies: liggja.
§ 82 f z. 2 lies: bäs st. es.
§ 129 z. 3 lies: drjugt.
§ 136 anm., z. .'i Lies: ban st. ban.
§ 141 z. 7 lies: aldir st. aldar.
§ 1-11 anm., z. 5 lies: at bjarga st. ok bj.
tj 156 z. 12 lies: skamniar st. skammer.
§ 157 z. 4 lies: fengumk st. fckkumk.
§ 161 fussnote (s. 479 z. 3 v. u.) lies: roynt .st. reyt.
§ 1G3 aum. 1 : die stelle Alv IG2 ist in den § 160 zu setzen.
§ 170 anm. 3. z. 3 lies: Grundtvig st. Sijmons.
s. 486 z. 16 lies: buinn st. buina.
s. 487 z. 20 füge nach Skm 2()2. 24 - hinzu: (aber cod. A hat an beiden stellen den
ganz correcten vers: at manns enskis munum).
s. 489 z. 2 füge nach (BG1) hinzu: (so schon Grundtv.2 s. 208).
NEUE ERSCHEINUNGEN.
Andreen, Gust. Alb., Studies in the idyl in German literature. [Augustana Library
publications nr. 3.] Rock Island, 111. 1902. 96 s.
Cook, Albert S., Biblical quotations in old english prose writers. Second series,
edited with the latin Originals, index of biblical passages and index of piincipal
words. New York, Charles Scribner's son (London, Edw. Arnold) 1903. XII,
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Dieterich, Albreclit, Über wesen und ziele der Volkskunde; Usener, Herinaiin,
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Döring, E. , Beiträge zur kenntnis der Sondershäuser mundart. Sondershausen 1903.
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von H. Gering. [A. u. d. t. : Germanist, handbibliothek, begründet von Jul.
Zacher. VII, 4. 5.J Halle, Waisenhaus 1903. XIII s. u. 1404 sp. 24 m.
Eddica minora. Dichtungen eddischer art aus den Fornaldarsögur und anderen prosa-
werken zusammengestellt und eingeleitet von Andreas Heusler und Wilhelm
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born, Schöningh 1903. XVI, 44G s. 5 m.
NACHRICHTEN.
Am 31. januar 1903 verschied zu Oxford der professor der angelsächsischen
spräche John Earle; am 6. februar zu Dresden der Goetheforscher Woldemar
freiherr von Biedermann (geb. 5. märz 1817 zu Marienberg).
Befördert wurden: der ausserordentl. professor dr. Ernst Elster in Marburg
zum Ordinarius, die privatdocenten dr. J. Co Hin und dr. J. Strack in Giessen zu
ausserordentl. professoren.
Professor dr. Gustav Roethe in Berlin ist zum ord. mitgliede der kgl. akademie
der Wissenschaften ernannt worden.
An der Universität Göttingen habilitierte sich dr. C. Borchling für germanische
Philologie, an der Universität Zürich dr. A. Ehrenfeld für deutsche litteraturgeschichte.
Buchdruckerei des Waisenhauses in Halle a. S.
BEITRÄGE ZUE QUELLENKRITIK DER GOTISCHEN
BIBELÜBERSETZUNG.
6. Die Corintherb riefe.1
Keiner der von uns für die gotischen evangelien angezogenen
griechischen bibelcodices enthält die paulinischen briefe.
Es erhebt sich also die frage, an welche quellen man sich für die
episteln zu wenden habe.
Zur Untersuchung erscheint zunächst der zweite Corintherbrief
besonders geeignet, weil er vollständig in dem cod. Ambros. B und zum
teil auch in cod. Ambros. A überliefert ist. Mit den Varianten und
marginalien dieser handschriften stellen neue hilfsmittel der quellen-
kritik sich ein.
1.
Dass auch für die briefe von der griechischen bibel des Chrysostomus
ausgegangen werden muss, ersehen wir schon aus folgenden belegstellen,
für die ich mich auf die Zusammenstellung von S. K. Gifford (Pauli
epistolas qua forma legerit Joannes Chrysostomus Halis Sax. 1902 =
Dissertationes philologicae Halenses XVI, 1) stütze:
Rom. 9,32 us waurstwam witodis : ov% euie ££ tQyiov alfc cog e§ tQycov
VÖ/.10V Chr (mit KLP gegen BFG).
11,21 ibai aufto ni puk freidjai : ovx eitiev, ovds aod (fslosiai, dlld
fxrjntog ovds aov (psioExai Chr (mit FGL gegen BP).
12,2 ni \t4 Chr (cfr. Gifford p.Sl).
13, 12 sarwam : ovasti sqya dlld OTtla Chr.
13, 14 fraujin uusaramma : töv kijqiov fyitov Chr (cfr. Gifford p. 81).
14,10 Xristaus : XqiotoC Chr (mit LP gegen BFG).
14.18 in paim : sv tovzoig Chr (mit L gegen BFGP).
l.Cor. 9, 22 l^aiwa sumans : e\jie rtavttug civag Chr.
10,16 piupiqissais : svloylav titav eijuo Chr (gegen F(').
10. 19 patei po galiugaguda Ira sijaina aippau patei galiugam saljada
lya sijai : bxi elöioXöv ci eotiv )] üu udo)X6dv%6v n eovtv
Chr (mit KL).
1) Vgl. Zeitschr. 32, 305.
ZKITSCIIRIFT F. DKUTSCHK PHILOLOGIE. BD. XXXV. 28
434
l.Cor.14,2] anparaim : sreQoig Chr (gegen B).
15,48 lWleiks : olog (sine Kai) Chr.
2. Cor. 1,10 us swaleikaim dau|>um: ex vijXmotiTutv (toooijtiüv) 9-avd
tiov . . . in'/. £i7Ctv .-■/. motu' Kor /.in)i'>an' Ohr (di\ Gifford
p. 83). ^
1,15 anst:yÜQir ivraß&a Xeyei Chr.
2,12 in aiwaggeljon : etc; cd evayyOuov zovrtou diu ioF
evayyeliov Chr (gegen FG).
5,3 gawasidai : evÖvoAfjLevoi Chr (mit KLP gegen FG).
13, 3 unte : eitel Clir.
Eph. 2,8 jah |>ata ni us izwis : *Eq>eoLoig yqu.(\t<>y Heye . . . nal toüto
ovy. s£, bfi&v Chr (gegen FG).
3,8 in piudom wailamerjan po unfairlaistidon gabein : ev lolg,
l'd-veaiv evayyekiGaatiai tov uveir/ylaoiov 7c'Lovvov Chr
(mit KL).
4, 6 in allaim uns : iv näaiv fjfxlv Chr.
l.Thess.2, 15 swesaim praufetum : xovq idlovg TtQocprjrag Chr (mit KL).
Philip. 1,18 merjada : /.arayyeXetai, ovy. e\ne YMxayyeXtGÜio Chr.
Col. 4,8 ei kunnjau:iVa yvio Chr (mit KL; cfr. Eph. 6,22 ei kunneip
Iva yvCoxe Chr).
2. Tim. 4,1 bi qum is : xaxä ttjv IrcKfäveiav avrod Chr (mit KLP
gegen FG).
Gifford hat auch bereits (p. 75 fg.) in weiteren nachweisen con-
statiert, dass die codd. KLMP der griech. episteln vor allen andern zu
Chrysostomus sich stellen. Wo dieser versagt, wird man also in erster
linie auf diese byzantinischen Codices und nicht mit Bernhardt auf
FG sich beziehen müssen.
2.
Nun liegen aber einwandfreie indicien vor, dass die got. Übersetzung
der griechischen Corintherbriefe verschiedene Stadien durchlaufen hat
und nicht in der ursprünglichen fassung erhalten ist. Es genügt auf
die in den gotischen handschriften erhaltenen marginalien zu ver-
weisen, um jüngere zusätze zu belegen. Auf diese erscheinung werde
ich im verlauf zurückkommen.
Vollkommen klar treten kritische zusätze auch in den sub-
scriptionen der beiden briefe heraus. Die Unterschrift von 1. Cor. ist
nur in A überliefert: du Kaurinpium .a. ustauh. du Kaurinpium fru-
mei melida ist us Filippai, swe qepun sumai, ip mais pagkeip bi
silbins apaustaulaus insahtai melida ivisan ns Asiat.
BEITRÄGE ZUR QUELLENKRITIK DER GOT. BIBELÜBERSETZUNG 435
Dieser Wortlaut ist ganz singulär und weder in einer griechischen
noch in einer lateinischen bibel zu belegen. Er enthält den selbstän-
digen vermerk eines textkritikers, der nichts mit der bibel zu schaffen
hat. Der kritiker charakterisierte die abweichenden Überlieferungen
dahin, dass die eine nicht massgebend und einseitig sei (swe qepun
sumai), die andere dagegen zuverlässiger und vom apostel selbst bezeugt
sei (mais pugkeip bi silbins apaus tau laus insahtai cfr. 1. Cor. 15, 32.
16, 5. 8). Die angefochtene notiz du Kaurinpium frumei melida ist us
Filippai findet sich als subscriptio in den codd. KL: rvqbg -/.OQivd-iovg
TCQiotrj syQacptj ärcb Oilutjctov; die anerkannte herkunftbezeichnung hat
ihre unterläge in der subscriptio von P: lyqäyit] mib ^Ecptoov (+ zfjg
Aaiag cod. 116. Eiithal.). In einer kritischen edition wurden also die
abweichenden quellenangaben mitgeteilt und nach ihrem historischen wert
beurteilt: man wird hinter solchem verfahren die hand der gotischen
bibelkritiker Sunja und Fripila (Zeitschr. 32, 317) vermuten dürfen. Aber
ausserdem bietet die gotische Unterschrift das sätzchen du kaurinpium
.a. ustauh. Dies hat sein correlat an der Überschrift des unmittelbar
folgenden 2. Corintherbriefs: du Kaurinpaium anpara dustodeip. Für
die verba ustauh und dustodeip versagen unsere griechischen Codices
KLP. Sie finden ihre deckung an den lateinischen formein explirit
und incipit. Man hat sich also im laufe der zeit nicht darauf be-
schränkt, die Unterschrift des griechischen briefes zu verzeichnen, son-
dern hat als doublette auch die lateinische subscriptio aufgenommen.
Dass hier eine jüngere band eingegriffen hat, lehrt die subscriptio
des zweiten Corintherbriefs. Sie lautet in genauer entsprechung zur
Überschrift in B: du Kaurinpium anpara ustauh. Diese worte ent-
sprechen nicht der griechischen sondern der lateinischen Schlussformel
(ad Corinthios II explicit cfr. Gabelentz-Loebe I, XXIII). Die griechische
schlussformel ist in A neben der lateinischen erhalten: du Kaurin-
pium anpara ustauh. du Kaurinpium .b. melip ist us Filippai
Makidonais = rcqbg KoQivd-lovQ .ß. i-ygacpt] mcb Q)ikiit7Uov KLP -| Jrtjfg
lVla/.edoviag K.
Die ursprüngliche form erhalten wir, wenn wir die aus lateinischer
quelle stammende interpolation du — ustauh streichen. B hat sieh auf die
wunderliche mischung zweier verschiedener Schlussformeln nichl ein-
gelassen. Vermutlich war also in der ?orlagevon AB du Kaurinpium
anpara ustauh als varia leetio ein getragen, die von dem Schreiber
von B an stelle ^v im context überlieferten fassung eingesetzt wurde,
während der schreiber von A mechanisch beide lesarten uach einander
28*
436 KAUKF.MAN'N
widerholte. In einer kritischen ausgäbe der bibelübersetzung darf dies
nicht geschehen.
Wir werden uns aber zunächst begnügen müssen, wenn BS uns
golingt die vorläge von AB zu reoonstruieren d.h. den gotischen bibel-
text in der form herzustellen, wie er in jener rorausliegenden kritischen;
mit randnoten versehenen edition — die ich auf Sunja und Frijiila
zurückführe — sich darstellte.
3.
Vollständig ist uns der gotische text des zweiten Corinther-
briefes in cod. Ambr. B und beinahe vollständig ist uns der griechische
text des briefes in einem commentar des Johannes Chrysostomus
erhalten (Tov iv äyioig 7cacQÖg i)(.uov 'hodvvov uqyitJcio/.ÖTCov Kivvocar-
Tivov7t6leü)g tov Xqvoogi6(.wv v7tö\xvr\\.KCi elg xhv 7cgög KoQivtiiovg dev-
ttQav htioxoliiv MSG 61, 381 fgg.).
Gelegentlich hat schon E. Bernhardt constatiert, dass in einzelnen
lesarten der gotische text zu dem griechischen des Chrysostomus stimme
(vgl. seine anm. zu 2. Cor. 1, 10. 9,5 u. a.). Das von seiner seite geübte
eklektische verfahren hat ihn jedoch an der consequenten ausnützung
dieser beobachtung behindert1.
Wenn es sich jetzt darum handelt, einen neuen griechischen text
zu beschaffen, der einen historischen d. h. quellenmässigen wert reprä-
sentiert, so überlassen wir uns vorerst der führung einiger marginalien
und Varianten unserer gotischen handschriften. Indem ich sie mit
dem text des Chrysostomus vergleiche, bemerke ich, dass ich unter der
sigle Chrys. gleichzeitig die übereinstimmende lesart sämtlicher oder ein-
zelner (besonders namhaft gemachter) griechischer bibelcodices verstehe.
1, 8 afsivaggividai weseima A : skamaidedeima uns B. Die lesart von
B war auch A bekannt, so fern sie hier am rand verzeichnet
wurde.
Ein analoger fall ist 12, 15 belegt, wo wir lapaleiko A, gabaur-
jaba B lesen, dieses jedoch in A gleichfalls am rand steht.
Bei Chrysostomus finden wir an der 1,8 entsprechenden stelle:
ii;a7TOQr]d-fjvai fjfxäc xal tov Lfjv, rovreovi, /itijdi 7TQOodo/.fjGai
Ioitcov fj(.i&g tf\v (p. 394). Wenn nun 2. Cor. 4, 8 griech. drco-
1) Im allgemeinen folgte er bei Herstellung seines griechischen textes der gruppe
DEFGKL, aber diese gruppe existiert nur auf dem papier. In Wahrheit setzt sie
sich aus zwei selbständigen Überlieferungszweigen DE-|-FG und KL — wozu AIP
gehören — zusammen. Bernhardt hat jedoch bald die lesart von KL (vgl. 4, 6. 10.
5,19. 6,9. 7,7 etc.), bald die lesart von DEFG bezw. FG oder gar von B (9, 10.
12, 1) aufgenommen und dadurch seinen griechischen paralleltext entwertet.
ISKITK.UIK ZOT QTJELLENKKITIK DEB GOT. BIBELTJBERSETZ1 NG 437
qoi'uevoi ahl? od/. e^ajcoQovuEvoi mit got. praihanai akei ni
gaaggividai übersetzt ist, scheint sich keine möglichkeit zu
bieten, die lesart von B auf griech. E%anoqri^f(vaL zu beziehen,
wie sie denn auch von Bernhardt mit der begründung abgelehnt
worden ist, dass skaman sik sonst stets = aloy/vEO&ai sei (vgl.
auch s. LXII seiner ausg.).
1, 14 Jesuis A : Jesuis Xristaus B ^Irjoov Xqiotov Chrys. + DEFGMP
[1,17 ei sijai A : ei ni sijai B
= iva fi Chrys., für B fehlt überhaupt jeder urkund-
liche beleg, wir werden daher mit einer irrung des Schreibers
zu rechnen haben1]
1,19 merjada A : ivailamerjada B
= wrjQvx&slg Chrys.
2. 10 fragaf A : fragiba B2
= 'AEyaQioiicu Chrys.
2.11 gafaihondau A marg. : gaaiginondau AB
= 7iXeov£Y„Tt]d-a>uev Chrys. ; vgl. bifaihodedum
ErcXEovE/arjoaLiEv 2. Cor. 7, 2; bifaihoda hi)*EOvt/.Ti]oa 2. Cor.
12, 17. 18; bifaihon 7il£ove£ictv 2. Cor. 9,5; der Sachverhalt ist
von Bernhardt (Vulfila p. XLVII) richtig beurteilt.
2, 14 J)airh uns in allaim stadim A : in allaim stadim pairh aus B
= dl TjuCov tv Ttavxl xötko Chrvs.
. 2, 15 dauns A : Xristaus dauns B = Xqiotov eviodta Chrys.
fralusnandam A marg : fraqistnandam AB
(= 2. Cor. 4, 3. 1. Cor. 1, 18) ä/colliutvoig
Chrys.
2. 16 sumaim dauns as daupau du daupau A : su/maim auk dauns
daupaus du daupau B = oig piv öoiirj i)-avaiov elg d-arazov
Chrys. + DEFGKL.
2.17 swe sumai A : sumai B [swe ausgefallen)1
= üotteq oi \oi7toL Chrys.
3,3 sivikunpai A : sivikunp B (entstellt)1
= yavEQoviiEvot Chrys.
3,9 andbahtja A : andbahti B = /} dia/.ovia Chrys. + BDEKLP
in wulpau A : us ivulpau B3
= ev dö$r] Chrys.
1) Auf schreibversehen ähnlicher art gehe ich im folgenden nicht mehr ein.
2) Vgl. Bernhardts note.
3) Willkürliche änderung des Schreibers (Reinhardt, Vullila p. LXI) wie .">. 16V
ebenso 5, 12. G, 3. 8,10. 13,5; vgl. (i, SA. 13, 7 A.
438
3,14 gablmdnodedun A marg : afdaubnodedun AI;
= E7icoQCüd"q Chrys. vgi gablindida
2. Cor. 4, 4
4, 1 ni wairpam usgrudjans A(— 4, 16): ni wairpaima usgrudjans B
= oi/. ;'■/:/.< c/.oiui.v Chrys.
4,4 gudis A : gudis uugasaihanins B (aus Col. 1.15)
= xo$ d-eotö Chrys.
5,3 gawasidai A : jah gawasidai B = vmi ivdvadfxevoi Chrys.
5,12 (aftra uns silbans) unafilhaima A luarg : uskannjaima AI»
= avrioiävoutv Chrys.;
vgl. aftra uns silbans anafllhan {ovvtruüvuv) 2. Cor. 3,1,
in hairtin A : hairtin B = /.ctodiu Chrys. -+- CDEKLP
5, 16 kunnuni A : kunnuni ina B
= yivibo~/.o/.iev Chrys.
5, 20 bidjandans A : bidjam B = deoiueüa Chrys. (die entsprechende
Variante zu gagawairpnan ist verloren)
6, 3 ni ainhun A : ni ainhun pannu B
= f.i7jÖ€f.iiav Chrys.
6, 8 jah pairh A : pairh B = did Chrys.
7,3 mipgaswiltan A : gaswiltan B (miß ausgefallen?)
= ovvcncoSavüv Chrys.
7, 8 in bokom A1 : in paim bokom B = ev vfi ImoioLTj Chrys.
7, 9 waihtai A1 : in waihtai B = ev ^rjöevi Chrys.
7, 10 bi gup saurga A1 : so bi gup saurga B = /; vmxu Ü-wv Ir/c^ Chrys.
8, 10 taujan ak jah iviljan A : wiljan ah jah taujan B
= cb TCOifjOctL dXXä y.ai cd $Lki.iv Chrys.
8,16 faur izwis A : fehlt B (ausgefallen?)
= v7ieo v/jibv Chrys.
8, 22 füu usdaudozan A : filaus mais usdaudozan B
= nokv G7TOvdai6cEQov Chrys.
9, 2 usivagida paus managistans A : gawagida pans managistans ixe B
= rjQtd-ioe zovg rcXelovag Chrys.
12, 20 pwairheins, aljan, jiukos, bihaita, birodeinos, haifsteis, faiha,
ufswalleinos , drobnans A : pwairheins , aljan, jiukos, bihaita,
birodeinos, haifsteis, drobnans B (mit auslassungen). Hierzu
wäre zunächst zu bemerken, dass haifsteis (£'(>etg), aljan (ÜfiXog),
jiukos, birodeinos Gal. 5, 20 widerkehren, dass aber an dieser
stelle birodeinos interpoliert zu sein scheint. In unserem vers
dürfte also bihaita als doublette von birodeinos (= v,aTaha)uai)
1) Hier liegen zweifellos auslassungen vor.
BEITRÄGE ZUR QUELLENKRITIK DEB GOT. BIBELÜBERSETZUNG 439
auszuschalten sein; haifsteis entspricht sodann agi&eia/ (wie
Philipp. 1,17. 2,3), ufswalleinos muss der etymologischen Wort-
bedeutung nach = (fvaiioaeig sein; man wird also zu lesen haben:
pwairheins, aljau, jitikos, birodeinos, haifsteis, faiha, ufswal-
leinos, drobuans und diese liste hat ihre entsprechung an griech.
loeig (DEFGKLP), fäfkog (DFG), $uiwi, v.aiu/.ahai , sgid-eiai,
ifJi&vQiafj.oi } cpuoiwoeig, a/axuaiaGiai (fehlt FG-). Alle diese
termini stehen bei Tisch endorf im text, Chrysostomus ist un-
vollständig.
13.4 appan jabai jah A : appan jabai B (jah ausgefallen, desgl. im
folgenden weis?)
= /.cd yag ei Chrys. + EL
13.5 kituuup ixivis A : kunnup B (ixivis ausgefallen, wie zu ein-
ging des verses?)
= e/ciyivwo/.eie tcazotg Chrys.
13, 7 ip weis sice A : ei weis B (vgl. die Verwirrung v. 6)
= fjfiüg de tag Chrys.
13, 13 fraujins A : fraujins unsaris B = xov xvqiov fawv Chrys.
4.
Ich veranschauliche nunmehr die fortlaufende Übereinstimmung des
gotischen episteltextes mit dem des Chrysostomus, indem ich zur probe
für cap. 1 — 5 des zweiten Corintherbriefes die aus seinem commentai
ausgezogenen einzelverse denen des gotischen b rief es gegenüberstelle
und abweichungen auf dieser seite durch Sperrdruck markiere. Heben
sich diese abweichungen dadurch auf, dass sämtliche bibel Codices den
gotischen Wortlaut überliefern, so ist zu der Variante kein weiterer ver-
merk gemacht.
Cap. 1.
1. TLavXog chcöacolog^lrjoov Xqi- Paulus apaustaulus Jesuis Xri-
ocov did d-eh]f.iavog Öeov /.cd Tl- staus pairh wiljan gudis jah Teimau-
uöüeog ö ädelgtög, //} exxlijalq iov paius bropar aikklesjon gudis pizai
Ö-eov zfj ovar] l.v KoQivttej guv roig wisandein in Kaurinpon mip allaim
ayioig riaoi colg ovoiv sv vl>t ijt paim weiham paim wisandam in
*u4ycdu allai Akaijai.
2. yctqig buiv /.cd eIq/jvij ct/cö ansts i/wis jah gawairpi t'tam
S-eov 7cazQog /.cd kvqiov 3Itjoor guda attin ansaramma jah fraujin
Xqiotoü Jesu Kristau
3. evXoyrjrdg u tteög </cd ;ccaio piupips guj) jah atta fraujins
tov /.cqiov t^uov ^ItjOuc Xoioiuv, unsaris Jesuis Xiistaus atta blöi-
140
K \l H MANN
6 7tazi]Q i<T)t> oIwviqu&v /jci fredg ßeino jah gup ailaizo gafriaihte
7cdotjg jiaqa/.h'jOEiog
4. (S 7caqa/.ukG)v ijfiäg tv Ttdojj aei ga{>raf'stida uns ana allai
(//^) frXlipei fjfi&v elg io dvvuaOai aglon unsarai ei mageima weis
foiäs jcaqu/.aküv zovg iv 7cäor) ga]>rat'stjan |>ans in allaini aglom
d-Xlipei, diu zfjg 7zaQa%Xtfoeco£, fjg ßairh po gaplaiht Jrizaiei gaprafetidai
7iaQaAalovfit0a ariol heu tur 9-eotö. sijtun silbans t'iani guda
5. bei xcc&wg jceqiooevei zä 71a- ante swaswe ufarassus ist | »u -
dtjfiaza zoC XqiozoV elg fjftäg, oVcco laine Xristaus in uns, swa jah1
dm toP Ä~£mroß 7ceqiooevei Aal t) Jmirh Xristu ut'ar filu ist jah ga-
7iaqaAlrjOig i)fitov [»latsteins unsara
6. size ös i)hß6fi£&a, V7tiq zfjg a|ij»an ja]>|>c breihanda, in izwarai-
bfuov 7caQa/,lrjoeiüg xal otoirjoiag, zos gablaihtais jah naseinais bizos
zfjg ivEQyovf,iivrjg ev bfiofiovfi xCbv waurstweigons in stiwitja ]>izo >a-
avztov 7ca&tj/.i(xzo)v, fov Aal r)f.ieig mono bulaine bozei jah weis win-
7t6.oyfti.ifiv Aal i) ilrclg rjfiwv ßsßala nam jah wens unsara gatulgida faur
vtzsq vftiov. eize 7taQa/.aXovf.i£^a izwis; jabbe gabrafstjanda, in iz-
V7ZEQ zfjg V/.UOV 7caQaAli]G£wg Aal waraizos gablaihtais jah naseinais
aiozujQiag
7. zidozeg ozi Ü07ieq -aoivcovoi witandans ]>atei swaswe gadailans
iozs zCov 7cad-rjfAdia)v, ovzto ytai zfjg bulaine sijub2, jah3 gablaihtais
7caqaA.XrjOf.ijog wairbib
8. ov yaQ dilofisv htäg dyvoeiv, unte ni wileima izwis unweisans,
döslopol, txeqI zfjg d-liifieiog fjfitov brobrjus, bi aglon unsara bo waur-
zfjg yEvof-itviqg ijfilv Iv zfj ^oia, ozi banon uns in Asiai, unte ufarassau
xa#' v7tEQßolijv ißaofj&ijfiEv V7TEQ kauridai wesum ufar mäht swaswe
dvvafiiv üovs ££a7tOQi]$f]vai fjfiäg afswaggwidai weseima jah liban.
ytal zoV tfjv
9. all' avzol iv eavzolg zö cctio- akei silbans in uns silbani an-
~A.Qif.ia zoü S-avdzov ioyjjA.af.iEv, iva dahaft daubaus habaidedum ei ni
(xrj 7tE7Zoid-6zEg ibfiev iqj'' savzolg, sijaima trauandans du uns silbam
all' ItzI zu -d-Eüj zqj iyEiQOvn zovg ak du guda banmia urraisjandin
vsAQovg daubans
10. dg ex zrjliAOvztov Savdztov izei us swaleikaim daubum uns
iQQvoazo rjftäg Aal qvoEzai (al. qvEzai) galausida jah galauseib . . wenideduni
. . r[kTCVAaf.i£v ozi y.al Qvoszai ei galauseib
1) övTtog zki'DEFG ita e^Lat., aus der erhaltung des folgenden jah gaprafsteins
wird ersichtlich, dass es sich hier um eine ursprünglich am rand notierte Variante handelt,
die irriger weise vom ahschreiher in den text aufgenommen worden ist.
2) nad-rifiaTWv tön DEFG.
3) xut FG et Lat.
BEITRAG K ZUR QUELLENKRITIK HER BOT. BIBELÜBERSETZUNG
441
11. GvvvTiovQyovvMjüv /al tifiaiv
faceq fj/LuDv xfj derjoSL' 'Iva ev 7coXh7)
7TQ0Otü7C(i> xb elg ijfiag yäqiGf.ia diä
txoXKCov eiyaoiöcrftfi vTieo f){iiov.
12. fj yäo YMvyrjOig ij/luüv avii]
loci, xb /liccqtvqiov xfjg oweidrjoewg
fjjuibv, ort ev a7cl6vtjvi mal el?u-
/Qivela, ov/ ev aocpia oaq/i/ft, dXV
ev ydqixi d-eov dveoiqdrprjf.iev ev xo>
wo f.io) 7ceqioooxeqiog de nqbg bf.iäg
13. ov ydq aXka yoa.rpof.iev v/.uv,
äXl? tj a dvayivcoo/eve rj /.al eTti-
yivtoo/exe, ekniCo) de ort yml ewq
xelovg htiyvtoGeo&e
14. /a&wg /al hceyvioxe fyidg
&7cb (.teqovg, ort /avyjqua lutov
eo/.tev, "/.aSaTTeo /al vf-ielg fjuiov,
ev xfj fyieqa xov xvqiov fjfxwv '/^(ToD
Xqioxov
15. "/al xavxrj xfj nenoi^oei
eßovlö/.njv jxqoxeqov Ttqbg vixag eX-
&elv
16. /al di,' vpaov dieX&elv elg Ma-
/edovlav ymI 7cdXiv ärtö Ma/.eöoviag
eX&elv Tiobg v/.iäg /.al &jp' vuwr
7CQ07Tef.up&fjvai elg xrjv *Iovdaiav
17. xovxo O'bv ßovX6f.ievog, (.iiq xi
äqa xfj eXaqpqicx eyqrjod(.i7jv ; ?y a
ßovlevo/nai, /.axä odq/a ßovXevof.iai,
iva fj 7taq' ef.iol xb val val "/al xb
at hilpandam jah izwis bi uns
bidai, ei in managamma andwairbja
so in uns giba bairh inanagans
awiliudodau faur uns.
unte h/oftuli unsara so ist, weit-
wodei raibwisseins unsaraizos {Datei
in ainf albein jah hlatrein gudis1,
ni in handugein leikeinai, ak in
anstai gudis usmetum in bamma
fairb/au, i{) ufarassau at izwis.
unte ni alja meljam izwis, alja
boei anakunnaib aipbau jah uf-
kunnaib; abban wenja ei und2
andi ufkunnaib,
swaswe gakunnaidedub uns bi
suniata, unte b/oftuli izwara sijum,
swaswe jah jus unsara in daga
fraujins3 Jesuis Xristaus
jah bizai trauainai wilda faurbis
qiman at izwis4 . . .
jah bairh izwis galeipan in Ma-
kaidonja jah aftra af Makaidonjai
qiman at izwis jah frani izwis
gasandjan mik in Judaia
{miuh pan nu mitonds5 ibai
aufto leihtis bruhta ? aibbau batei
rnito bi leika bagkjau ei sijai at
niis f>ata ja ja jah {»ata ne ne?
18. 7tLOxbg de 6 &eög, oxi ö Xoyog
fjf.uov 6 7Cobg v/.tdg ov/ lyevezo val
/al ov.
abban triggws gub ei bata waurd
unsar bata du izwis nist,; ja jah ne
1) roß &eov DEM dei Lat.
2) ort ioig DEFG qitod itsqtie Lat.
3) xvqiov DEKL.
4) ik&elv nnög vfiüi DEFG KL.
5) ßov).ivdp6vo$ DEK.
6) ovx iojiv DFGP.
442
KAM
19. (> yuo Kir Dior vlög ö h unte gudis Bonus Jeans Xristus
bfitv dV fjfjUbv M]Qv%d-eig, oV efioß saei in i/.wis |>airb uns merjada,
%al ~ilouavov ymI Tifj.o&eov, tu'/. J>airh mik jah Siibann jah Teimau-
eyivevo vai /ja ov, äXXä val h> ]>ai u ni war]) ja jah ne ak ja in
aöcii) yiyove. imma war|»
20. &'ffc« /«(» srcayyeXiai !Hod, hraiwa raanaga gahaita gudis in
fcy «;!m~ /ö vat itat ^v aöio> /o imma bata ja <l n {• |>«- jah |>;ü rh ina-
«,///r, rcjJ d'&p tcqöq dög~av oV jjfi&v amen guda du wulbau bairh ans
21. o (Je ßeßaißv fjfx&g, ahv -ö/uv a]>]>an sa gabwastjands ans mi{.
€tg Xqiaxöv wxi yoiaaq fjfxäg, 0-eoq izwis in Xristau jah Balbonds uns
gup
22. xai aq>qayiad(isvog fjfiäg1 /.al jah sfgljanda uns jah gibands
(Jo^g toj' dqqaßiova zod 7cve6fxaiog wadi ah man3 in hairtona unsara
Iv TöZg -/aqdlaig jj/Liwv
23. */w d» /ndqzuqa xbv Ü-eov a]>ban ik weitwod gub anahaita
S7civ.aloTif.iai hcl zrjv i/urjv ipvyrjv, ana mejnai saiwalai, ei freidjands
ozi q>eido/Li£vog vf.uov, ov/Jzi tfld-ov izwara panaseibs ni qam in Kau-
slg Koqiv&ov. rinbon
24. ovy oci xvQievofiev v/liöjv ztjg ni patei fraujinoma izwarai ga-
Ttiazecag, dlld ouvEqyol iofiev zfjg laubeinai, ak gawaurstwans sijum
%aqäg vf.iüv} zfj ydq jc'iocei Eozrj- anstais1 izwaraizos; unte galau-
"Accve. bemai gasto]mb.
C a p. 2.
1. E/qiva ös t/tiavxv) zö juiy Apjmn gastauida bata silbo at
mis, ei aftra in saurgai ni qimau
at izwis.
unte jabai ik gaurja izwis jah
b/as ist saei gailjai mik, nibai sa
7iaktv tv hüjviß eX&Eiv 7tqög bf.iäg
2. el ydq iyio Xtvcw vpag "/al
xlg ioxtv 6 Euyqaivwv /lie, ei /.u)
6 XvTtOVfXEVOg Et, E/.WV.
3. /.al ydq tyqaxpa v(.iiv avzb
gaurida us mis?
jah J)ata silbo5 gamelida izwis.
xovzo, iva /.u) elSiov Xvmqv oyCo ei qimands saurga ni habau fram
d(p' tuv eSel /he yaiqsiv nETtoi&ujg paimei sknlda faginon gatrauands
E7ti Ttdvzag vpag, ort i) lt.u) yaqd in allaim izwis jpatei meina faheps
7cdvztov bf.uov ioziv. allaize izwara ist.
1) &io xal dV tcviov FGP.
2) Gifford p. 33.
3) Cfr. 5, 5.
4) Vgl. die parallelstelle 2. Cor. 1, 15 nebst den worten des Chrysostomus :
yÜQiv d* ivraü&a ttjv yciQuv Xiysb MSG 61, 408.
5) tovto ciUTÖ DEFGKLP.
BEITRAGE ZUR QUELLENKRITIK DER GOT. BIBELÜBERSETZUNG
443
4. sä ydq 7ioXXfjg d-XiipEcog /.ai
avvo%fJg vMQÖlac, eyqaipa vulv dia
7CoXXCov da/.ovwv ovy 'iva Xv7XTq$f[X£,
dXXd xrp> ayarcrp 'iva yvioxs Tjv l'yto
7C£QtaooreQiüg eig üfAag.
5. ei dl Tig ?<,elv7it]~/.Ev, ovx, tus
lslv7crj/.e, dXXd drcb fxigovg, 'iva
[irj tTtißaqCo rxdvxag v/.tag
6. r/.avbv zw xoiovxw fj etxixl-
f.iia avTTj ^ vtco zCov 7cXeiqvlov
7. üoze zovvavzlov /.taXXov vuag
yaQioaod-at /.ai 7Caoa/.aXeoai , (.nfj-
TllOg zfj 7CEQlOO0XtQU XvTXTj '/.CCCCC-
7co9-fj 6 zotovxog.
8. öiö naqa/aXG) i'(.iag, kvqcoocci
eig avxbv dyd7xrjv
9. etg xovxo ydq tyoaipa vulv,
'iva yvG) zrjv do/Uf.trjv v/liüv, si eig
7idvxa vTxrjXooi laxe
10. v> de xt yaoiLEods, ~/.dyto x.ai
yaQ iyco ei ri /.sydoiouai [o /.syd-
QiGfiatl1, (3V v/nag sv /xqoow7Xw
Xqioxov
11. 'iva /.lij 7xX£0VEAXiqd-wi.i£v V7tb
xov oaxavd' ov ydq avxov xd voti
uaxa dyvoovuEv.
12. 'EX&iijv de eig xrjv Tgcodda
Eig tö EvayyiXiov xov XQiaxod /.ai
d"6qag /lioi dvE(i)y/.iiv7jg Iv KVQiqj
13. ov'A Eöyrjvia ävsotv zw 7Xvev-
uaxi uov, xu> f,irj evqeIv fie Tizov
zbv ddsXcpov /tiov . . d/toxa^duevog
avxolg e^fjX&ov Eig Ma/.EÖoviav.
14. T($ ös d-£(J> ydqtg zv> 7cdvvoxE
fjudg ÜQiaußEvovri Iv (ko) Xom k>i.
aJ)J)an us rnanagai aglon jah
aggwidai hairtins gamelida izwis
|>airh managa tagra, ni beei saur-
gaifj ak ei friabwa kunneib bo-ei
haba ufarassau du izwis
abban jabai b/as gaurida, ni mik
gaurida, ak bi sumata, ei ni ana-
kaurjau allans izwis
ganab bamma swaleikamrna an-
dabeit bata fram managizain
swaei bata andaneibo izwis mais2
fragiban jah gablaihan, ibai aufto
managizein saurgai gasiggqai sa
swaleiks
inub bis bidja izwis tulgjan in
imina friabwa
dubbe gamelida3, ei ufkunnaii
kustu izwarana, sijaidu in allamma
ufhnusjandans
abban bammei Iva fragibib, jah
ik; jah ban ik jabai Ira fragaf fragaf
in izwara in andwairbja Xristaus
ei ni gafaihondau fram satanin
unte ni sijum unwitandans mu-
nins is.
abban qimands in Trauadai in
aiwaggeljon Xristaus jah at hanrdai
mis uslukanai in fraujin
ni habaida gab/eilain ahmin mci-
namma in bammei4 ni bigat Tei-
taun brobar meinana . . twisstan-r
dands im galaip in Biakaidonja
abban gada awiliub |>amma sin-
teino ustaikojandin hrobeigans ans5
1) Gifford p. 34.
2) vuäg uülXov DEFG ms magis Lat.
3) iyQct\pa DEKLP (om. vftiv).
4) iv tg5 DE.
5) 9-Qtafj.ßeiJovTt »)u«s codd.
111
K \ I ■ I I
y,al i i]r öa/xrjv i /}_• yvuHjecüs ocdvot
(pavEQovvti öl' fj(i&v iv nawl n>/io>
15. 'üii Xoicikw evcodia i-o/.tiv
zip &ei7> iv tol^ ato^ofiivoig Kai iv
volg drcoXXvfievoig
1(>. volg fxev oofiij ttavdxov elg
Vdvacov, xolg di ooiu) twfjg slg
Uor'jV. -Aal TCQÖg xavxa tlg lyavog;
17. od yaQ iofxev, üajceq ol Xoi-
7Col -/.aTciqXEvovceg xbv loyov rot}
$eov, dW ibg £!; elXi/.Qiveiag, dXV
(hg ex &eo%, xaxEvwciov xod $eov
iv Xqloxuj XaXoüf.iev.
Cap.
1. ^Qyjof.ied-a 7tdl.iv eavxovg
avvioxdvEiv; ei (Ar) xgrJLof.iEv, dig
xivsg, ovoxaii'/itov htiozo'kCjv Tiqbg
v/.iäg, }j i§ v(.uüv ouoxaxr/Mv;
2. t) yaQ 87tiOToXr] fj^iCov viiElg
iöXE, iyyeyQafAi-itvrj Iv xalg YModiaig
fjfiüiv yivwoy.of.itv7] /mI dvayivwöAO-
fXEVtj V7V0 TxdvTLOV dvS-QlÜTXCOV
3. (faVEQ0Vf.lEV0L, OXi ioxi 87TL-
Gto"ki) Xqloxov diax.ovr]&£loa dq>'
fjtiüJv ayyeyQcc[A[,t6V7] ov {.tilavi dlld
7XVEVf.lCCXl S-eov LlöVXOg' OV'A iv 7tXa^l
Xi&ivaig, aAA' iv Tika^l /.ctodlag
occQyJvaig
4. 7tE7toid"t]Oiv di xoiavxiqv t%o-
}xev öid xov Xgioxod Ttqbg xbv
$e6v
in KriBtau jah dann kun|>i.-. Beinis
gabairhtjandin J>airh uns in allaim
stadim . .
unte Xristans dauns Bijam wo\>\
guda in f»aim ganisandam jah in
|.;niii fraijistnanclam
sumaim auk dauna dau|>au8 da
'l;iuji;iii siiinaiinuji ]ian ilaiins lihui-
naisx du libainai. jah du £>amma
h/as wairj)s?
unte ni siura swe sumai2 maid-
jandans waurd gudis ak us:: hlutri-
Jmi, ak swaswe us guda in and-
wairbja gudis in Xristau rodjara.
3.
Duginnam aftra uns silbans ana-
filban? ai|>Jpau ibai fmurbuin swe
sumai anafilbis boko du izwis aij)-
|)au us izwis anafilhis?
aipistaule unsara jus siu|), ga-
melida in hairtam unsaraim kunf>a
jah anakunnaida fram allaim man-
nam
swikunj>ai batei siu|> aipistaule
Xristaus andbahtida fram uns inna
gamelida ni swartizla ak ahmin
gudis libandins, ni in spildom
staineinaim ak in spildom hairtane
leikeinaim
aJ)J»an trauain swaleika habam
bairh Xristu du guda
1) So ist jedesfalls herzustellen, denn es kann nur zufall sein, dass zwar zu
us daußau die Variante daupaus, nicht aber die entsprechende Variante zu vs libainai
überliefert ist.
2) ol noXXoi K.
3) äir l| FG sed ex Lat.
BEITRAGE ZUR QUELLENKRITIK DER GOT. BIBELÜBERSETZUNG
445
5. ovx oti i/.avoi ia/iiev dqj^
eavTcov tl loyioaa&ai , <bg t£ eav-
xG)v, i) ydo r/MvoxTqg ijfiwv Ix tov
&eov
6. dg ymI i/mvioöev fjfiäg öiax.6-
vovg v.aivrjg öiad-rjy.rig, ov yqdfifia-
ni batei wairbai sijairna bagkjan
Iva af uns silbara1 swaswe af uns
silbam ak so wairj)ida unsara us
guda ist
izei jah wairpans brahta uns
andbahtans niujaizos triggwos ni
zog ällä 7iv£V(.iaTog, tö yaQ ygaf-iua bokos ak ahmins, unte boka us-
drtoy.xEivu , xö de nvEVfia Cioojioiel. qirnij», ip ahma gaqiujip.
7. el de i) diav.ovia tov davdxov abban jabai andbahti daubaus in
iv yodfifiaoiv ivTExvTtcuuevrj iv li- gameleinim gafrisahtib in stainam
&oig, iysvrj&rj evdo£r] äoxEfir) dvva- warb wulbag swaei ni mahtedeina
o&ai äxEvioca xovg vlovg'looarjl Eig sunjus Israelis fairweitjan du wlita
tö 7io6oL07tov Mcovoetog, did tt)v Mosezis in wulbaus wlitis is J)is
do^av tov 7iQOOco7tov avxov tt)v gataurnandins
VMTaQyOL'flEVIjV
8. Ttcog ovyl fiällov rj dia/.ovia
tov nvEVf.ia.Tog eoTat iv döSt];
9. eI ydo fj diav.ovia Tfjg v.aia-
•/.oiOEiog do£a, rcollco fiällov fj
diav.ovia zfjg dr/.aioovvijg tveqlggevel
iv do^r]
10. /.ai yäo ov dsdö^aorai to
ÖEÖO^aGflkVOV EV XOVXIO TOD fltQEl,
cvey-ev xfjg v7iEQßallovG7jg d6$t]g
11. sl de tö Y.aTaoyovfiEvov, did
do^yg, Tiollco fiällov to fievov, iv
döBr].
12. eyovxeg ovv xoiavxrjv ifailda,
7Collfj 7caqqrjGia yoiouE&a.
13. viai ov /.a&aTiEQ Mojvofjg
ixi&Ei ytdlvfifia irtl to tiqooiüjzov
eavxov, üove fu) dxEvioai (al. Eig
to fir) dxEvloai)3 xovg vlovg y£aQat)l
eig to xelog xo'C "/.axaqyovfievov
14. dlV i7X(OQiod-r] xd vo/jfiaxa
avxwv. ayoi ydo xfjg o/jfiEQOv to
avtö '/.dlvfifia ev xfj dvayvwoEi Tfjg
h/aiwa ni mais andbahti ahmins
wairbai in wulpau?
jabai auk andbahti wargipos wul-
Jus, und filu mais ufarist andbahti2
garaihteins in wulbau
unte ni was wulbag [»ata wul-
bago in pizai halbai in ufarassaus
wulfjaus
jabai auk bata gataurnando bairh
wulbu und filu mais bata wisando
in wulbau.
habandans nu swaleika wen
managaizos balbeins brukjaima
jah ni swaswe Moses lagida
hulistr ana andawleizn dupe ei ni
fairweitidedeina sunjus Israelis in
andi bis gataurnandins.
ak gablindnodedun frapja ize;
unte und liina dag bata samo hu-
listr in anakunnainai £>izos fairnjons
1) Xoyiona&ui tl «</>' (uvtG>v DEFGP.
2) 7if()ioaevti >) diuxovia codd.
3) Gifford p. 34.
446
K \ I II
7Cakaidg dta'h^/.i^ ii/ri.i u>t arte
"A.a"kv7Cc6(XtVOV, Uli ;')■ \umini MXTCtQ-
yeiiai.
15. dir l'iog (f/jUioo)', fjvi'Aa äva-
yivwu/.i i Ki }ltovfffjg, yj'üjuiuc l,ii
zfjv yiagd/av avcaiv kbltcu.
16. fjvlyia ö, av 87tLOrqe\pri rcgög
/.i'qiov, ycEQiaiQelcai xb y.dXv/u^a
17. o de va'Qiog xb 7CVEdf.id eovi,
ov de xb 7tveü(xa y.vqiov, enet ekev-
ÜEQia
18. fjf.ieiQ de 7cdvieg ävaxExakv(.i-
f.ievo) 7Cqoow7C(i) xrjv 86%av yjqiov
%aT07CxqiC.6f.iEvoi , xqv avxrjv eIkovcc
(.iSTccfj.OQcpovf.ied'a a7cb dofyg sig
dok~av /.a&d/CEQ a7cb vivqiov ttvev-
/.laxog.
Cap.
1. 3'E%oviEg ovv zrjp diaxovtav
cctvnqv, xadcog jjXeyd-Tjfiev, ov/. e/.-
"ACCXOdf-lEV
2. dXV d7t£i7td/,iE$a xd '/.qvTTxd
xfjg alayvvrjg, /ni) TtEQiTtaxovviEg ev
7cavovqyia /.irjde dolovvxeg xov Xöyov
xov Ssov dXXd xfj ujccveowoei xfjg
dX^Ssiag ovvioxiüvxsg eavxovg 7tobg
7täoav GvvEidrjOiv dvd-QioTZiüv
3. sl de xal eoxi */.E/,aXvf.i/.ievov
xb evayyeXiov fyiwv, ev xölg aTtoX-
Xvf.ievotg eoxi y.ey.aXvf.if.ievov
4. ev oig 6 9eog xov aliovog
xovxov exvajXtoGE xd vorjfxaxa xtov
a7tioxiov, elg xb [ity avydoai avxolg
xov ajcüztOfibv xov EvayysXwv xfjg
dö^g xov Xqigxov, og eoxiv eIklov
xov S-eov
fcriggwos \\isi|. unandhulij) ante in
Kristau gatairada
akei und hina dag mippanei
siggwada Moses hulistr I i i_r i j ► ana
hairtin ize1
abpan iiiififianoi gawandei]) du
fraujin, afuimada bata hulistr.
ab]»an trau ja ahma ist, apßan
barei ahma fraujins, paruh frei-
hals ist
abban weis allai andbulidamma
andwairßja wulpu fraujins ßairh-
saih^andans bo samon frisaht ingalei-
konda af wulbau in wuljui swaswe
af fraujins ahmin.
Dubpe habandans bata andbahti
swaswe gaarmidai waurjmm ni
wairbam usgrudjans
ak afstobum baim analaugnjam
aiwiskjis ni gaggandans in warein
nih galiug taujandans waurd gudis
ak bairhtein sunjos ustaiknjandans
uns silbans du allaim mipwisseim
manne . . .
apban jabai ist gabulida aiwag-
geljo unsara, in baim fralusnandam
ist gabulida
in fcainiei gub bis aiwis gablin-
dida frapja bize ungalaubjandane, ei
ni liuhtjai im liuhadeins aiwag-
geljons wulpaus Xristaus saei ist
frisabts gudis
1) y.tiTitt inl ir\v xaQ$iuv avxutv DEFG.
BEITRÄGE ZUR QUELLENKRITIK DER GOT. BIBELÜBERSETZr\< ,
447
5. ov ydo savtovg ■/.riovoao/.i€v)
dl?.d Xqioiov ^Irjoovv '/.iviov, eav-
vovg de dovlovg vf.aov did 'IrjGovv.
6. otl 6 d-eög 6 eIttojv ex o~a6-
xovg gjcog Xdf.nj.iaL, ela/ml'Ev ev zeug
Aagdiaig v/.wjv, rtqbg (pwTio/uöv Tfjg
yvwoecog Tfjg do<giqg xov &eov ev
TtQOOCOTZO) XoLOZOV
7. tyjOfABv de tov d-rjoovgöv tov-
tov ev öoTQa/avoig gaeveolv, Iva r)
vjVEoßolr} tfjg dvvd/.iEiog ij tov &sov,
'Aal /.it) e£ rjfxiov
8. ev 7iavxi d-lifioiievoi, all'
OL) OTEVOXüJQOUf.lEVOl' d7T0Q0Vf.lEV0l,
d!!? ova e^a/cooovf.ievot
9. öiü>x6/.iEvoi, dXX' ova ey/Mra-
Ai/.i7tav6(.iEvoi. '/Mvaßakkö^iEvoi , dlX'
OV'A d7tolXv/,lEVOl
10. TtaVTOTE TTjV veAQCOGlV TOV
y.vQiov ^Iiqoov ev toj oiu/.iaTi tteqi-
(peoovTEg, iva 'Aal r) Ccorj ro£>
^Irjöov qjavEQcod-fj ev Tip oih^iaxi
fjf.lWV
11. y,al ydo fjfXElg ol LioviEg eIq
Üdvazov fcagadido/LiExta did ^Itjoovv,
Iva Aal i) Ciorj Tod 'Irjoov (pavEQio$fj
ev fjfxiv'1 ev Tfj d-vtjTfj oao'Al i)(iiov
12. &ote 6 ddvaTog evEQyElxat
ev r)f.uv, r) de Liot) ev v/.uv
13. e%ovTEg de cd avTO -jcvEvua
cfjg 7ciöTE(.og, AaTa cd yEyoa(.t[.ievov
al)j>an ni uns silbans merjam,
ak Jesu Xristu1 fraujan, ib uds
skalkans izwarans in Jesuis
unte gub saei qab ur riqiza liuhab
skeinan, saei2 jah3 liuhtida in
hairtam unsaraim du liuhadein
kun|)jis wulj>aus gudis in and-
wairbja Jesuis Xristaus1
abban habandans ])ata huzd in
airpeinaim kasam, ei ufarassus sijai
mahtais gudis jah ni us unsis
in allamma braihanai akei ni
gaaggwidai, andbitanai akei ni
afslaubidai
wrikanai akei ni bilibanai, ga-
drausidai akei ni fraqistidai
sinteino daubein fraujins Jesuis
. . . ana leika unsaramma uskunba
sijai"'
sinteino6 weis libandans indau-
bu atgibanda in Jesuis ei jah libains
Jesuis swikunba \\aii[>ai in riur-
jamma leika unsaramma
swaei nu8 daupus in uns waur-
keib9, ib libains in izwis
habandans nu bana saman ah-
man galaubeinais bi bamma game-
1) 'Irjoow Xqiotöv DE Jesu/m Christiuit Lat.
2) 8g KLP.
3) om. codd.
4) h]ac>i) Xqmjtoü KLP.
5) (fid'tQOilhij ail /ine/t/ versus codd.
(j) &et DEKLP.
7) om. codd.
8) (iiv KL.
'.)) Iv ijiiif i'rnr/.'-i hci Codd.
448
hiiaxevoa, öio iXdXriaa' /.ai fifielg
/cioievofxeVy diu /ai XaXovuev
11. biL 6 eyeiQag xdv •/.vqiov
'Iqooffv, '/.ai ltf.idg <hd 'lyood eyeqel
■/.ai 7caQaöir'io~Ei ovv 6fJ.lV
15. xd ydg Ttdvxa dt' ifjdg, iva
t) ydqig 7cXeovdaaaa, diu xwv 7tXei-
ovwv itjv euyaqiaiiav 7ceqiooeöotj
elg vijv öu^av xoü &eov
16. diö '/.ai* ov/. e//a'/ov(.iev
dXX' ei /.ai ö l'g*io tj/ntov av&qwcog
diacpüeiqexai , dXV ö eoio dva/ai-
vovxat fyteqa "/.ai tyieqct
17. xö ydq Ttaqavxi/a eXacpqbv
xfjg &XL\peiog fj(.iOjv, elg v7ceqßoXr^vi
'/.a&' v7teqßoXrjv aiwviov ßdqog döfyg
/.axeqyaLexai
18. /.irj a/.07tovvTH)v fjfxCöv xd ßXe-
7x6/Liera, dXXd xd /.ifj ßXe7t6/neva. xd
ydq ßXeTto/Lieva 7cq6o/aiqa, xd de
(.li] ßXe7c6(.ieva aiiovia.
Lidio : galaubida in |>i/.ei jah1 rodida
jah weis galaubjam in |»i/.<-i jah
rodjam
witandans- ]>atei su urraisjands
t'iau Jan .Jesu jah unsis |iairh Jesu
urraiseij» jah fenragasatjif) mijj
i/.wis
batuh Jiau allata in izwara. ei
ansts managnandei bairh mana-
gizans awiliud ufarassjai da wul-
pau guda
inuh bis ni wairfiam. usgnidjans
ak Jiauhjabai sa utana unsar manna
frawardjada aibbau sa innuma
ananiujada daga jah daga
unte- ]>ata andwairbo . . leiht
aglons unsaraizos bi ufarassau ai-
weinis wulbaus kaurei waurkjada
unsis
ni fairweitjandam bize gasai lva-
nane ak bize ungasaib/anane; unte
|)0 gasaih^anona riurja sind, ib J)0
ungasaih/anona aiweina.
Cap.
1. Öidafxev ydq bxi lav fj eni-
yeiog f^iCov olxla xov oxrjvovg '/.axa-
Xvd-fj, oxl ol'/odof-irjv ex &eov 1'yof.iev,
oi'/(e)iav dyeiqo7Toirjxov aicoviov ev
xölg ovqavöig
2. /.ai ydq ev xovxqj oxerdLo/.tev,
xö ol/.iqiriQLOv fjfiaiv xd ei; ovqavov
eTievdvoao&ai e7Zi7TO&ovvxeg
3. etTteq ytai evdvod/.tevoi, ov
yv[.ivoi evqed^iqo6(.ied-a
1) xa( FG.
2) (?&6t€s codd.
3) om. codd.
4) om. K.
Witurn auk batei jabai sa air-
beina unsar gards {)izos hleibros
gatairada, ei gatimron us guda
habam, gard unhanduwaurhtana
aiweinana in himinam
unte jah in bamma swogatjam,
bauainai unsarai ])izai us himina
ufarbamon gairnjandans
jabai swebauh jah gawasidai ni
naqadai bigitaindau
BEITRAGE ZUR QUELLENKRITIK DER GOT. BIBELÜBERSETZUNG
449
4. vuxl ydg ol bvveg iv rw ffyvrjvet
xovxvt, oxerdlouev . . . iq?' vi ov ÜeXo-
uev i/.dvoaa&ai, dl?J Inevdvoao-
Öai.
5. 6 de -/.axegyaoduevog fjfiäg
elg avxö xovxo, &e6g, 6 v.ai dovg
xov dggaßwva xov nvevfxaxog
6. Saggovvxeg otiv ndvxoxe ymI . .
ivdrjuovvxeg iv xo> oiüLiaxi, d/to-
drjf.iovf.iev anb xov Y.vglov
7. diä 7cioxeiog ydg rceqiTcazov-
fiev, ov did el'öovg
8. &aggovuev de v>ai evdo/.ov-
uev . . drcodr^ifjoai Iv. xov ocouaxog
v.ai irdrjfifjoat rxgbg xov v.vgiov
9. öiö v.ai (fiXotifiovfied-a, el'xe
kid^uovrceg, el'xe Iv.drjfwvrceg
10. xovg ydg icdvxag fjuäg cpavegco-
■9-fjvai dei l'fi7tQ0(J&ev xov ßrjuaxog
xov Xgiozov, %va r/.aoxog v.oul-
arjcai xd ötd xov ocbfiaxog, ngbg
a t7ioaSev, elxe dyaO'öv, el'xe v.av.ov.
11. eidoxeg ovv xov cpößov xov
v.vgiov dv&QtüTCOvg riei&ofiev, &eo)
de 7ce(faveodjfied-ci' ilrciLco de ymc
Iv xalg ovveidt'jOeoiv vfxwv 7xeopave-
gCood-ai.
12. ov rcdXiv eavxovg ovviovdvo-
uev, dXV d(poQfit]i' didövxeg ruh1
xav%r}[xaxog v/ctg fjfxwv Iva vmxi
v.avydaSai i ?cgbg xovg Iv tcqoöimcü)
-/.aiyiofitvovg /.al ov vagdi'a
13. eixe ydg e^eaTijfiev, d-eor el'xe
ococpgovovfiev, Ifih1.
14. /} ydg dyd/cy xov tteov Gwiyfii
r)fidg
jah auk wisandans in |>izai hlei-
brai swogatjam kauridai ana
bamniei ni wileima afhamon ak
anahamon . . .
abban saei jah1 gamanwida uns
du banirna gu|) saei jah gaf unsis
wadi ahman
gatrauandans nu sinteino jah . .
wisandans in bamma leika afhaim-
jai sijum fram fraujin
unte bairh galaubein gaggam ni
bairh siun
aj)ban gatrauam jah waljani . .
usleiban us bamma leika jah ana-
haimjaim wisan at fraujin
inuh bis usdaudjam jabbe ana-
haimjai jajtpe afhaimjai . . .
unte allai weis ataugjan skuldai
sijum faura stauastola Xristaus ei
ganimai hrarjizuh ho swesona
leikis afar baimei gatawida jabbe
biub japbe unbiuj)
witandans nu agis fraujins man-
nans fullaweisjam, ib guda swi-
kunbai sijum: abban wenja jah in
mibwisseim izwaraim swikunbans
wisan uns2
ni ei3 aftra uns silbans ana-
filhaima i/. wis ak lew gibandans
izwis b/oftuljos fram unsis, eihabaib
wibra bans in andwairbja lropan-
dans jah ni hairtin
unte jabpe usgeisnodedum, guda,
jaf)be fttUafrabjam, izwis
unte friabwa Xristans dis-
habaib uns
1) om. codd.
2) om. codd. nos l.at.
3) = ytin? DE KL.
4) om. codd.
ZEITSCHRIFT F. DBUT80HE PHILOLOGIE. Hl>. \\\\
29
KAI! I
15. /.Qivmcag roVzo, Bvi eV elg domjandane (»ata |>atej ains faur
hteq Ttaviojv d/i/lhcrt.r, 8(>a o\ aüans «raswalt j.annii allai gaswul-
7CÜVTEC, äftid-avov . . . Iva 01 -'•nii- tun . . . ei |>ai libandans ni panaseips
(X77Y.&1 eavvöig tfioiv, äXlä %$ fcsi(> sis silbam Libaina ak pamma faur
(tt'nhr dm)9av6vTi /.«( iyeQxHvn sik gaswiltandin jah arreisandiii
16. üoie fjpuüq cc7cu xoC vdv Bwaei weis t'iam pamma nu ni
ovdiva oYdctfiev vuna <uxq/.cl, u dt ainnohuu kunnum bi leika. ipjabai
y.al2 eyviinuxpev ymvcc oaQY.cc Xqi- ufkunpedum bi leika Xristu akei
gtöv, alla vDv ov/.txi yirwa/.ouer. nu ni f>anaseii>8 ni kunnum
17. äaze ei vtg ev KQiavtp ymhi] swaei jabai Iv^o in Xri-t.-m niuja
yucloig, xd dgya~ta mxQfjld-w, Idol gaskafts, bo alpjona uslipun. Bai
yeyovE /.and xd iidvxct waurjmn niuja alla
18. xd de 7cdvva h xov foov appan alla us guda parnnia ga-
xov Yaxalld&vxog fyißg eavxiji diu fri&ondin uns sis pairh Xristu jah
xoü Xqiovov y.al öüviog fjfiiv xt)v gibandin unsis andbahti gafri-
öiay.oviav xfjg /.axallayfjg f>onais
19. tog on $eög fy ev Xqioxw unte swebauh gub was in Xristau
yog(.iov YMialldöotov eavTqi f^r) manasep gafriponds sis ni rahn-
loyiLÖf-uvog avcdig xd naqanxöi- jands im missadedins ize jah lag-
/xaxa avxtov %ai ^ifxevog ev falv jands in uns waurd gafriponais
xöv loyov xfjg Y.axallayfjg
20. hcsQ Xqloxov oiv 7XQ£oßevo- faur Xristu nu airinom swe at
(.iev, u>g xov 3-eov naqav.alovvxog guda gaplaihandin pairh uns, bidjam
SC fyuüv. JEÖi-iEd-a V7X8Q Xgtaxov, faur Xristu gagawairpnan guda
YaralldyrjxE xm Seu)
21. xöv ydq (.d] yvövxa ä/j.aQxlav, unte pana izei ni kunba fra-
V/.IEQ fj/Aiov äpaQxlav htoii]OE, iva waurht faur uns gatawida frawaurht
■fjfielg yEvtbu£&a ör/.aioovvy dsov ei weis waurpeiina garaihtei gudis
ev avxu). in imma.
5.
Aus so genauer Übereinstimmung des Goten mit Chrjsostomus
ergibt sich, was von der behauptung Bernhardts „die handschrift Wul-
fila's stand, wie es scheint, der italischen klasse zunächst" (Vulfila
p. XXXIX; vgl. Gabelentz-Loebe I, XXX) zu halten ist. Von Über-
einstimmungen mit (D)FG (1,5.7.13. 2, 17. 4, 13) ist trotz Bernhardts
behauptung (a.a.O. nr. 15) nichts nennenswertes beizubringen. Die be-
deutung der betreffenden lesarten wird schon durch die mit der gruppe
1) om. codd.
2) om. K.
BEITRAGE ZUR QUELLENKRITIK DER GOT. BIBELÜBERSETZUNG 451
KLMP bestehenden gleichungen erheblich reduciert (1, 12. 14. 17. 20.
2,9. 3,1. 4,6.11.17. 5,16). Für P wäre etwa auf 9,10 zu verweisen.
Gegen die gruppe (DE)FG entscheiden lesarten wie:
2. 3 saurga --= Xvztrjv K L P gegen hm rjv Inl Xvrtfjv D E F G
2, 12 cd haurdai mis uslukanai = d-voag fioi dvEdjyfxivr^g KLP gegen
d~vqa fioi f(v iotyfievi] FG
3.5 sivaswe af uns sübam = wg eavzcov KLP gegen et; ccvzajv FG
3.7 in gameleinim = iv ygauuctoiv KLP gegen iv ygaiiuan FG
3.9 ivulpus = öo^a KLP gegen dö^a ioxiv DEFG
4.4 ei ni liuhtjai im = elg xb firj avyaaai avxolg KLP gegen elg
xb firj avyaoca FG
4.6 gudis = xov S-eoV KLP gegen avxov FG
4.10 fraujins Jesuis = yvqiov ^Iijgov KL gegen XqioxoC FG
4. 11 sinteino = dei KLP gegen et FG
Jesuis =3ItjO0ü KLP gegen ^Iijoov Xqioto% FG
4. 14 pairh Jesu = öid 'Iijoov KL gegen ovv ^Iijoov DEFG
5,1 unhandnivaurhtana = dyEiQOTCoiiivov KLP gegen ovx d%Eiqo-
no'uqxov FG
5,3 gaivasidai = svdvodusvoi KLP gegen indvaauevoi FG
5.5 saei jah gaf = 6 Aal öovg KL gegen 6 öovg FG
5.6 fraujin = kvqlov KLP gegen #£ot> FG
5, 12 hairtin = xccodia KLP gegen ev xagöia FG
5.15 gasivalt = ani^avE KLP gegen drts&ave Xqioxdg FG
5. 16 kunnnm = yivtoay.ouev KL P gegen yivcoo/.Ofi£v nuxrct aaQ/.a DEFG
5.17 niuja alla — v*aiva rä rcdvxa KLP gegen wxwct FG
5, 19 ivaurd = töv Ao/ov KLP gegen (roß) eöayyeliov xöv Ao/orDEFG
6,9 talzidai = 7tccidev6u£voi KLP gegen 7ttiQa£6fievoi FG
6,14 ungalaubjandam = dnioxoig KLP gegen juera drttoxwv FG
7.8 in paim bokom = iv xfi i7iLOioXfi KLP gegen eV tt; bcioxohj
uov DEFG
7,14 allata = ndvxa KLP gegen 7tdvzoxe FG
8,3 w/a-r mäht = VTtiq övvafuv KLP gegen xara dtW/u*>' DEFG
(vgl. 12, 13)
8,19 mipgasinpa uns = GvvtY.dijf.wg fjfiüv KLP gegen ovvtx.di]fiog
ijfuov iytvExo DE
9.3 fauragasandida = uxEfixpa KLP gegen i.7tifuf'afiEv DE
so /"mm ixivis = xb vfttQ bfißv KLP gegen FG, wo die worte
fehlen.
9.4 in pamma stomin. pixos Juoftidjos *= iv xfi imoardaet fcvtj rijfg
"/«t'x^fffiwt; KLP gegen ^r //; i;ionu'um ratfagj FG
■_"j •
452 k \ i i
9,5 pana =■ tafayv KLP om. FG
_y>/// m swaswe aal fiij tbg KLP gegen /", <:',- FG
9,9 </«* aiwa = Eig zuv auova LP gegen elg töv alßva toC aUovog
FG K
10.5 yV///, friihinjxiudaiis = xat (dyjitdo)ii'Covieg KLP gegen al%ftaXw-
zitovzsg FG
10, 7 Xristaus wisan = Xqiozoü elvai KLP gegen XqiotoG dotiXog
elvai DEFG
10,8 frauja = -MQiog KLP gegen ^eoc; DEFG
10,13 bopcmt = y-aw/rjauf-ieO-a KLP gegen vMvyiofxevoi FG
w?m's gup = fyäv 6 &eog KLP gegen <5 #«Gg FG und //m'
ö KÖQiog DL
11,4 Jesu = yIt]OoCv KLP gegen Xoiazov FG (vgl. 12,1)
aiivaggeljon anpara = Euayytliov Vzeqov KLP -f- laußdvEzai FG
11.6 gabairhtidai in allaim = (pavEow&Evzeg iv 7C&aiv KLP gegen
(favEQiooavieg FG
12, 6 gahaitseip ha = azot'« rt KLP gegen axotW DEFG
12.7 ei m ufarhafnau = iVa ^r) v7TEQaiQtof.iai KLP gegen d*o iVa
|Ujy V7CEQaiqiof.iaL FG
e* m ufarhugjau = iva f.irj v7TEQaiqo)f.iai KLP om. DEFG
12, 11 hopands --= xavyiof-iEvog LP om. DEFGK
12,19 aftra = tcccXlv KLP gegen 7takai FG
13, 2 ?m melja = vüv ygaepto KLP gegen w FG
13,4 m imma = £v aw$ KLP gegen ffuv aürw FG
13,7 bidja = t'vyof.iat KL gegen evyö^e^a FG
13, 13 amen = a^y KL om. FG1
Ausschlaggebend für die gruppe KLMP d. h. für die byzantinische
recension ist 12, 7 ei ni ufarhugjau, denn dieser satz findet nur in
iva (.irj v7TEQatQioj.iat KLPChr, nicht in DEFG seine entsprechung.
Ebenso ist 12, 11 hopands nur in Aavy(x)(.tEvog LP Cur belegt.
Ich mache fernerhin auf folgende liste aufmerksam:
6, 14 aippau ho (: zig de Chr) = rt zig LP
6,15 Bailiam (: BshctQ Chr) = Bsfaav K2
1) Zweifelhaft könnten sein stellen wie is 8, 9 = ccvtou DEFG gegen ixtivov
KLP; aiviliud 9, 15 = y/tQig FG gegen xitQl± $i KLP', 12, 13 skafiis = äStxiav KLP
oder = dfiagriav FG? 12, 15 mins = jjttov KLP oder = ekuaaov FG? 12, 16
haurida = xKTtßäprjOu KLP oder = xaTtvdqxtiOa FG? Aber sie sind nicht von
belang.
2) Zu -vi : -n beachte Bernhardt, Vuifila p. LIX. — Über Moses 3, 7 usw.
habe ich Zeitschr. 30, 163 gehandelt.
BEITRAGE ZUR QUELLENKRITIK DEB GOT. BIBELÜBERSETZUNG 4.13
6.16 wairpa ize guj) (: l'aofjai avzolg elg 9eöv Chr) = t'aoiiai avziöv
»sog KL
6. 17 afskaidip ixwis qipip frauja (: dcpogiod-yre .... X&yei xvqiog Chr)
= ärpoQiod-rjTE ?Jyei vivQLOg LP
7, 11 izivis2 (: tv vfj.lv Chr) = vfj.lv KL
7. 13 unsarai (: vfiüv Chr) = rjfiiov P
7.14 allata izivis (: Ttdvrove . . . t//n> Chr) == 7cdvia tfj.lv (KL)P
c?m Titaun (: gVr* T/iou Chr) = /rpög Tivov P
8.7 ?/s i;wm w ims (: gif üjuwj' Chr) = gif vfiiov iv fjfilv KLP
8,9 in izwara (: (V ^<«g Chr) = öi' ifiag LP
8, 19 du fraujins wulpau (: icqoq ti)v aviov iov v.roior do^av Chr) =
Ttqbg rov y.vqiov öö^av L
8,21 garedjandans (: tzqovoovuev Chr) = nQorooufievoi KL
9, 11 wi allamma (: tVa gV navil Chr) = gV rcavzi KLP
10.8 atgaf frauja unsis (: Itfttnce ftoi 6 xtioiog Chr) — söwaev u xvqiog
fjfilv KL
10,13 gamat (: efnoiasv Chr) = sfxaTQTjOBv M
11,1 Zet'fr7 fva (: fjiyioov Chr) = fuv.oov vi M
11.3 riurja ivairpaina (;. ovno cpfraof] Chr) = cp&ctQfj P
11.9 izwis mik silbern (: efiawöv Chr) = ru/r Hiacior L
12, 1 Jvopan binah (: v.avyßattai ö/j Chr) = "/.avyao&ai öel LP
ato" m batizo ist (: ou avfKpiqei fioi Chr) = ou avfjqpsQet
fiiv P
12,6 wiljau (: /mI d-eh'joiu Chr) = d-ehfjGo) KL
13.4 m ^^s (om. Chr) = etg ß/wag KLP
13,11 gaivairpeis jah friapwos (: r^g dya/vr^g v.ai rfjg elo/rt^ Chr)
= r^g eloijvTjQ /.cd xfjg dydjir^g L.
6.
Der gotische text ist uns nun aber nicht in primärer gestalt über-
liefert (s.o. s. 434ff.). Es ist die tätigkeit einer kritischen hand erkennbar
geworden und deren quelle hat auch die altlateinische bibel gebildet
In welchem umfang diese quelle eingewirkt hat — auf diese frage geben
uns die zum ursprünglichen text vorliegenden Varianten bescheid:
1.8 skamaidedeima uns A marg. V< taederet nos; die Griechen
kennen nur die lesart l^aTTOQijd-^vai ■= afswaggwidai weseima \
2, 1 1 gaaiginondau A 1! [gafaihondau A marg.) possideamur
2,16 ms daüpau A...tts libainai AU eoü mortc . . . er vita illila-
rius, Epiphanius)
3.9 andbahtja A= ministerio
454 KAUF]
3,11 afdaubnodedun A 1' [gablindnodedun \ marg.) ■ abtust sunt
(cfr. excaecavit 1,1)
4.1 ni wairpaima usgrudjcms B non defidarnua (infirmemur).
5,3 gawasidai A = vestiti (induti)
5, 1 1 in havrtin A = in conti
5,20 bidjandans A = obsecrantes (orantes) wie <>. 1 bidgandans =
exhortantes, wo die Störung der construction den eindringling
verrät (siehe Bernhardts anm.), und 8, 24 ustaiknjandans =
ostendcutes?
In erster linie beweiskräftig und evident sind die stellen 2,11.
3,14. 4,1. Dazukommen nun aber noch weitere bemerkenswerte Über-
einstimmungen des gotischen textes mit dem lateinischen1:
4, 17 pata andwairpo hcüahairb ja// leiht; Chrys. und die hand-
schriftengruppe KLP lassen für hcüahairb jah im stich, dem
aber könnte griech. 7cg6a/.aiQov (wie Marc. 4, 17) oder eher
momentaneum der lat. bibel entsprechen
5. 10 po swesona leikis = propria corporis Lat., wie schon Gabelentz-
Loebe (I, XVII) und Bernhardt bemerkten
6,14 garaihtein mip ungaraihtein = iustitiae cum iniquitate
8.2 pata diupo unledi = profunda paupertas (gegen t) /Mid ßd&ovg
7C'UO%£.la) 2
8, 5 paproh pan = deinde
8,8 swaswe fraujinonds = quasi imperans (gegen zar' ertiray^v)2
8. 1 1 fauraist muns = prompta est voluntas
9, 4 ei ?ii qipau = ne dicam
10,5 jah in ufhausein Xristaus tiuhandans = et in obsequintn
(obedientiam) Christi perducentes
10,9 ei ni pugkjaima swe plahsjandans ixwis = ut non existimenntr
tanquam terrentes vos
11, 3 fihideisein seinai = astutia sua
af ainf alpein jah swiknein — a simplicitate et castitate
11,16 unfrodana = insipientem
11,23 sivaswe unwita = velut insipiens
in karkarom ufarassau, in slahim ufarassau = in carceribus
abundantius, in pktgis supra modum
11,25 in diwpipai was mareins = in profundo maris fui
12,7 leika meinamma = carni meae
1) Unkritisch und daher unbrauchbar sind die Sammlungen von W. Bangert.
Der einfluss lateinischer quellen auf die gotische bibelübersetzung des Ulfila s. 21fgg.
2) Vgl. Bernhardt, Vulfila p. XXXVIII.
BEITRÄGE ZUR QUELLENKRITIK DER GOT. BIBELÜBERSETZUNG 455
12, 9 mahts = virtus (?)
12, 12 taiknim = signis (?)
12, 17 <3V avrov fehlt Got. Lat.
12. 18 mipinsandida imma = mini cum Mo
12. 19 ei sunjoma uns ivipra ixwis = quod excusemus nos apud vos
12,21 gup (/.wo fehlt) = deus
13,2 aftra = Herum (gegen elg rb 7cahv).
Dass die gotischen textkritiker nun aber nicht etwa nach der lat.
Vulgata gearbeitet haben, lassen die ab weichungen vom text des
Hieronymus als ausgemacht erscheinen (vgl. 1,6.10. 11. 17. 20. 23. 2, 1.
14. 4,17. 6,14. 8,4. 9,2.5.7.11. 11,3.21.32. 12,1.7.11.19. 13,2.7),
während vollkommen deutliche spuren der Itala — zumal wenn wir die
gotischen marginalien in betracht ziehen — auftreten (vgl. z. b. 2,11.
4,1. 10,5). Daher ist bei dem Verzeichnis der latinismen nur auf die
vorhieronymianische bibelübersetzung bezug genommen. Die einzelbelege
sind mit hilfe von Sabatier leicht zu identificieren1.
Es ist jedoch wie schon ein einzelfall zur genüge dartut (z. b.
10,7. 11,5) an eine fortlaufende, streng systematische berücksichtigung
und collation des altlateinischen textes nicht zu denken. Vielmehr hat
sich auf seite der Goten ein freieres verfahren durchgesetzt. In folge
dessen ist der Wortlaut der ursprünglichen Übersetzung an manchen
stellen nicht mehr erhalten, sondern durch neuerungen lateinischer her-
kunft verdrängt.
Ursprüngliche randglossen der vorläge von AB sind in
den context der codd. AB aufgenommen worden (Zschr. 31, 313);
es sind die aus dem cod. brix. wolbekannten wutpres der gotischen
kleriker Sunja und Fripila.
Diese randglossen waren doppelter art: sprachliche und textliche
Varianten.
Die sprachlichen Varianten kamen daher, dass am rand eines
gotischen epistelcodex synonyma verzeichnet worden waren, dir uns
(zum teil?) noch erhalten sind; vgl:
2, 15 fraqistnandam : in A die glosse fm/usnttttdani
5,12 uskminjaima : in A die glosse anafilhaima
12,7 hnupo : in A-die glosse gairu.
Dieser ältere zustand der Überlieferung ist jedoch in unsern Hand-
schriften bereits mehrfach verlassen.
Wir glauben zu erkennen, dass zuweilen in A die beiden lesarten
der vorläge bewahrt, in B dagegen das urteil zu gunsten der einen von
1) Vgl. auuh Bernhardt, Vulüla p. L.
456 k \u i ma-.'.
beiden lesarten gefall! worden ist. Denn 12, 15 steht in A lapaleiko
im text, dazu die randglosse gabav/rjaba, welches I» in den teil gesetzt
hat. Genau so 1, 8: im texl von A steht afswaggwidai wesevma, am
rand als glosse sharnaidedei/nia uns and diese Lesart hat der Schreiber
von B recipiert.
Damit sind wir jedoch bereite beiden sinn Varianten angelangt,
für die 3,14 afdaubnodedun mit der randglosse gablindnodedun in A
ein schönes beispiel liefert.
Wie regelmässig der Schreiber von B, so hat nicht selten auch
der Schreiber von A auf die getreue widergabe seiner mit randglossen
versehenen vorläge verzichtet und sich zu gunsten der einen oder andern
lesart entschieden. Wol vermögen wir aus der varia Icctio die existenz
zahlreicherer marginalien zu erschliessen, aber nicht mehr darüber ins
reine zu kommen, was in der vorläge im text und was am rand ge-
standen habe, vgl. z. b. 2,6 fragiba A : fragafB; 4, 1 wairpam A : wair-
paima B; 5,20 bidjandans A : bidjam B; 13,1 gastandip A : gastan-
dai B; noch weniger bei synonymen ausdrücken wie 1,19 merjada A :
wailamerjada B; 7,8 unte gasailva A : gasaiha auk B; 9,2 us wagiäa
A : gawagida B; 13,5 fraisip A : fragip B(P)1. Wollte man zusätze
auf ein Wirkung der marginalien zurückführen, dann müsste A bald die
marginalien übergangen, B sie in den context aufgenommen haben
(1, 14 Jesuis A : Jesuis Jtristaus B; 1, 19 merjada A : wailamerjada B;
5,16 ni kunnum A : ni kunnum ina B; 7, 8 in bokorn A : in paim
bokom B; 8,22 filu usdaudozan A : filaus mais usdaudoxan B: 13,13
fraujins A : fraujins unsaris B), bald müssten die Schreiber umgekehrt
verfahren sein (5, 12 in hairtin A : hairtin B; 6, 8 jah pairh A : pairh B;
7, 3 mipgaswütan A : gaswiltan B; 13, 7 ungakusanai A : gakusanai B).
Dass Störungen des ursprünglichen Sachverhalts auch in A vor-
liegen2, haben wir aus den quellenmässigen belegen für seine lesarten
ersehen. Ein gleiches ergibt sich mit hinlänglicher evidenz aus 2, 11,
wo auch A jüngeres gaaiginondau in den text aufgenommen und
älteres gafaihondau auf den rand verwiesen hat; ferner aus 2, 16, wo
die sowol dem griechischen text als der lesart von B entsprechende
Variante libainais fehlt. Sowol A als B haben ein fremdartiges glossem,
Avie Bernhardt erkannte, an der merkwürdigen stelle: in allaixos mana-
gons aglos unsaraixos 7,4 in den text gesetzt.
1) Auf schreibversehen, auch in möglichen fällen wie 13. 5, gehe ich nicht ein.
2) Ein sehr interessantes beispiel liefert Eph. 3, 21, wo B = KLPChrvs die
ursprüngliche fassung erhalten hat, in A dagegen eine der lateinischen bibel ent-
sprechende Variante steht. Umgekehrt liegt die sache Col. 1, 24.
BEITRÄGE ZUR QUELLENKRITIK DEB GOT. BIBELÜBERSETZUNG 457
Es ist also mit der tatsache zu rechnen, dass A und B aus einer
und derselben mit randglossen versehenen handschrift X herstammen1.
Diese handschrift lässt sich mit der textkritischen arbeit von Sunja und
Fripila in Zusammenhang bringen, wenn wir annehmen, dass in X (d.i.
in der vorläge von AB) die siglen gr und la nicht mehr copiert waren.
Im übrigen dürfte sich aus A und B ein wenn auch verblasstes bild
von dem werk der beiden gotischen kleriker — das wir mit dem des
Wulfila nicht identificieren — gewinnen lassen.
Die ausschliessliche autorität der griechischen bibel wurde von
Sunja und Fripila mit entschiedenheit vertreten, der Übersetzung des
Hieronymus haben sie keinen beifall gespendet. Daher denn auch der
zweite Corintherbrief der Goten als fast rein griechisch und als von der
Vulgata nicht beeinflusst sich uns darstellte; ich erinnere an den von
Marold versuchten nachweis eines Zusammenhangs der in (A)B ange-
deuteten lectionen mit dem griechischen ritual (Stichometrie und lese-
abschnitte s. 16fgg.). Aber bei der Wortwahl (Zeitschr. 31,315) kam
das lateinische zur geltung, indem die gotischen kritiker randglossen
mit la signierten, bei denen der lateinische bibeltext für die Wortwahl
den ausschlag gegeben hatte. Damals ist eine wenn auch nicht gerade
systematische vergleichung des gotischen bibeltextes mit dem griechischen
grundtext und mit der altlateinischen version vorgenommen worden.
Das bedeutete den anfang einer allmählich sich einstellenden
latinisierung der gotischen bibel, für welche die epistelcodices AB
weit ergiebigeres material bieten als der cod. argenteus der gotischen
evangelien (vgl. Zeitschr. 30, 182) 2.
Nehmen wir die einzelnen glossen (adnotationes, wulpres) unter
diesem gesichtspunkt durch, so zerfallen sie in zwei classen: die eine
wird durch diejenigen lesarten gebildet, welche in der ausgäbe von
Sunja und Fripila die sigle gr geführt haben könnten, z. b.
2, 11 gafaihondau A marg =■= 7cXeoveyarj^c7)i.it}'
3, 14 gdblindnodedun A marg = vcwowVri,
die zweite classe befasst diejenigen glossen, welche zur Kennzeichnung
ihrer lateinischen „etymologie" mit der sigle la versehen worden
waren, z. b.
1,8 skamaidedeima uns A marg = taederet nos.
1) Bernhardt, Vulfila p. LXfg.
2) Über (uiktj<> vgl. Marold, Stichometrie und Leseabschnitte s. 15. Nebenbei sei
bemerkt, dass bei erörterung der xsipdXata und &vuyv<öotis in zukunfl von Euthaliaft,
der wie wir jetzt wissen erst in der zweiten hälfte des 7. jhs. gelebl hat, abstai
nommon werden inuss (v. Süden, Die selirifteu des aeuon testaments 1 [1902], f>:>7 f^r.).
458 KAUFMANN
Im laute eines Jahrhunderte haben Versetzungen vom rand in den
text und dadurch Störungen der ursprünglichen textgestalt stattgefunden
(Bernhardt, Vulfila p. XLVI).
Dadurch ist eine verhältnismässig schwache Zumischung latei-
nischer lesarten in den griechischen grundstock der Übersetzung zu
stände gekommen. Das Lehrreichste beispie] ist weil 2.1b' olg fiev oout]
Üaväiov eig 9-dvcuov, oig c)>! ör;^ SoF^ >u '~t»t,v, das der Gtote ursprüng-
lich genau widergab sumavm auk da uns daupaus du daupau, su/mai-
mup pan dauns libainais du libainai. In dem trilinguen codex der
kloriker Sunja und Frinila (SF), dem die altlateinische Übersetzung bei-
gegeben war, stellten sich zu daupaus und libainais die randglossen
us daupau und us libainai ein und wurden mit der sigle la versehen.
In X, der vorläge unserer epistelcodices AB, war bereits us libainai
(an stelle von libainais) in den text gedrungen, aber daupaus war noch
mit der glosse us daupau versehen geblieben, durch deren aufnähme
aus X erst in dem text von A die Symmetrie hergestellt wurde; B hat
uns mit der erhaltung der ursprünglichen lesart daupaus einen erheb-
lichen dienst geleistet.
Zwischen SF und unserer Überlieferung AB bedarf es nur der
einen Zwischenstufe X, um zum Verständnis der textgeschichte des
gotischen zweiten Corintherbriefes zu gelangen.
7.
Den ersten Corintherbrief, der nur in bruchstücken auf uns
gekommen ist, mit gleicher ausführlichkeit zu behandeln, liegt keine
veranlass ung vor.
Yon derselben beschaffenheit wie die subscriptio (s.o. s. 434 f.) ist,
wie man längst erkannt hat, die stelle
7,23 ivairpa galaubamma (vgl. Rom. 9,21) usbauhtai sijup; sie ist
aus zt[.ifjg ^yoQaad-rjTE entstanden durch aufnähme des der latei-
nischen bibel, die pretio (= wairpa) empti estis bietet, zu-
nächst als randnote entlehnten wortes ivairpa. Denn Synonyma
pflegten in X am rand notiert zu werden (vgl. 9, 20. 22); ge-
legentlich aber ist die adnotatio in den text gedrungen; so
lesen wir 15, 10 arbaidida jah usaiwida für griech. Ixoniaoa.
Ähnliche freie interpolationen aus dem lateinischen liegen noch
l.Cor. 15, 23. 16,12. 19 vor (+ paiei, + bandwja izwis patei = signi-
fico vobis quia; + at paimei jah salja = apud quos et hospitor). Leider
fehlt uns hier cod. Ambr. A. Es ist die Vermutung nicht ungerecht-
fertigt, dass die Überlieferung dann vielleicht läge wie 13, 3 A, wo wir
BEITRÄGE ZUR QUELLENKRITIK DER GOT. BIBELÜBERSETZUNG 459
mit KL und Chrysostomus im texte ei gabrannjaidau , am rand mit
den Lateinern1 ei foopau lesen.
In der mehrzahl der fälle ist jedoch die adnotatio von den Schrei-
bern in den context aufgenommen und dadurch die ursprüngliche, der
griechischen bibel entsprechende lesart beseitigt worden. Ich sehe von
weniger beweiskräftigen stellen, an denen es sich um flüchtige aus-
lassungen2 handeln könnte, ab (1, 16. 18. 22. 4,5. 5,10. 7,7. 26. 8,12.
13. 10,28. 12,16. 13,12. 14,23.25. 15,5. 16,11. 15). Denn hier sind
formwörter, partikeln, copula und ähnl. im spiele, bei denen auch die
griech. Codices vielfach schwanken zeigen.
Ernsthafter und entschiedener auf lateinische vorläge zurückweisend
sind die folgenden stellen:
7,13 ni afletai pana aban (: fxi] dcptha» aviöv KLPChr) = non
dimittat virum. Möglicherweise hängt aber die abweichung von
der griechischen vorläge mit der änderung 7, 12 ni aftetai po
qen zusammen, denn an dieser stelle fehlt sowol bei den Griechen
als bei den Lateinern eine mit der gotischen formulierung sich
deckende ausdrucksweise. Diese tatsache führt auf die Ver-
mutung, dass vielleicht doch in dem von dem Übersetzer zu
grund gelegten exemplar der griechischen recension die gotische
Variante vorlag. Denn an eine rückwirkung von 7,13 auf 7, 12
würde man nur denken können, wenn die worte aban und qen
als correspondierende marginalien aufnähme gefunden hätten.
Die fälle wären dann wie 7, 23 (s. o. s. 458) zu beurteilen. Ein
ähnlicher fall liegt übrigens 10, 16 vor: niu gamaindups hlo]>is
fraujins ist . . . ?iiu gamaindups leikis fraujins ist. Die
griech. codd. lesen beidemal tov Xqiotov, die Lateiner wechseln
zwischen Christi und dornini (mit ausnähme des Ambrosiaster,
der dornini — dornini hat). Die gotische lesart scheint auf eine
randnote fraujins zurückgeführt werden zu müssen, die zwei-
mal auf *X.ristaus statt nur einmal auf das zweite bezogen wurde.
7, 17 swaswe galapoda gups (: thg vJ^hf/.Ev 6 /aqio^ KLChr) = sicut
voeavit deus.
1) loh stütze miob auf die notiz dos Hicronymus zu dieser stelle (bei Sabatiei
und Tisohendorf) apud nostros error inolevit. Doch kaun es sich auch um eine rein
graphische Variante griech. codd. handeln, wie bei der randnote L3, 5 {aJjjanoß = C'i^oi,
vgl. 13, 4).
2) Vgl. z. b. den durch den eiugang von v. lii veranlassten ausfafj 15, L5;
ferner 16, 20.
3) Voraus geht s/caswe gadailida guß = tbg fxefxsQutev 6 fre6s KLChr.
4G0 KAUF]
7,28 appan jabai nimis qm, ui fnitvanrh1.es, ja/t /aha/' liugada
maioi, ui frawaurhta; ij> aglon leikis ga&taldand po swaleika,
ip ik i-.itis freid/ja (: eäv ö*i xai yauJjajjs \ytfnys KI, 'in . o$%
Yiittan^ /ja &ctv yi'jl-ij] fj ycäo'hro^, m'y 'iitaon.v !)/.ii'ii t)f- t /~
OU07.I V^ovoiv ot foioCtol, eyto de bu&v tpeidouai) tti autem
{(//. et si, si et) acceperia uxorem, non peccasti et si nup, erii
virgo, non peccavit, tribulationem tarnen carnis habebunt...
9,8 aippan jah ivitop (: )) or/t mxI ö rofiog KLPChr) = an et lex
9,26 ni du univissamitta (: tog ocy. ud/fAiog) -= i/o// in incertum
Lat.(??)
10,17 ainis hlaihis jah ainis stiklis bruJojam (: ex xov evdg Sorot
(.iscixo/iiev) = de uno pane et de uno calice percipimus Ital.
10,29 pairh ungalaubjandins puhtu (: vuö li'kXr^g oweidrjoeojg) =
ab infideli conscientia Ital.
15,1.2 appan kannja ixtois, broprjus, patei aiwaggeli, patei merida
ixwis, patuh jah andnemup, in pammei jah standip, pairh
patei jah ganisip, in ho saupo wailamerida ixwis skulup
gamunan, niba sware galaubidedup : yvioqiuo dt if.üv, ädeXcpoi,
c6 evayyiktov o svTjyyeXtodptjv v/niv, o ymI jcagthäßeie, tv cä /.at
hjc/j/mte, öS ofi yuxl oioLeod-e, tivi Xoyto evrjyyeAiauur^v bfuv
ei /.arexere, e/.zög ei f.trj el/.fj tri iotev acut. Dagegen bei den
Altlateinern (-f Ambrosiaster): notum autem vobis facio, fratres,
quia evangelium, quod praedicavi vobis, quod et accepistis, in
quo et statis, per quod et salvi efftciathii , qua ratione evangeli-
xavi vobis, debetis sustinere nisi sine causa credidistis.
15, 5 paim ainlibim : rolg öcoöe/m der griech. codd. Die Lateiner —
und DFG — haben Ulis undecim. Diese lesart kann der goti-
schen Übersetzung nicht wol zu gründe gelegen haben, weil der
artikel paim unerklärt bliebe1. Die stelle ist also nur so er-
klärlich, dass ursprüngliches *paim twalibim mit der randglosse
la. ainlibim versehen und dieses wort von den abschreibern in
den text gesetzt worden ist.
15, 10 halka (: '/.Evrj) = pauper, egena (cfr. Gal. 4, 9)
15, 14 galaubeins unsara (: ^ Ttiorig v\.uov) = fides nostra bei einzelnen
Lateinern (cfr. Sabatier); dass eine nachträgliche änderung des
gotischen textes vorliegt, scheint durch galaubeins ixwara
15, 17 ersichtlich zu werden; denn auch hier lesen wir in
mehreren (griech.) codd. fjf.iwv.
1) Augustin (bei Sabatier uüd Tischeudorf z. st.) bemerkt: cum articulo enim
hoc gracci Codices habent.
BEITRAGE ZUR QUELLENKRITIK DER GOT. BIBELÜBERSETZrNG 461
Sind diese stellen beweiskräftig, dann können auch tilgungen ein-
zelner Wörter auf entsprechenden vermerken der editoren beruhen, die
eine vergleichung mit der altlateinischen bibel vorgenommen, ja sogar
deren text in besonderer spalte neben dem gotischen und griechischen
aufgenommen hatten. Dies wäre jedesfalls der einfachste modus, unter
dem die lateinische bibel ihren einfluss geltend gemacht haben könnte.
Man vergleiche:
1,16 ei ainnohun : ei %tva allov gegen si quem Lat.
1, 18 ganisandam : ocoLof.th'otg fftäv gegen qui salvi fiunt Lat. (-f- id
est nobis Vulg.)
1, 22 unte : hceiörj y.al gegen quoniam Lat.
4, 5 stojaip : xi /.Qivere gegen judicare Lat.
5, 10 ni : /.al ov ndvicog gegen non iitique Lat.
7, 7 swe : thg /.al gegen sicut Lat.
8. 12 slahandans : /.al zv/irovieg gegen 'percutientes Lat.
8. 13 bropar : ddelcpov f.tov gegen fratrem Lat.
9, 8 aippau jah : rj olji /ml gegen an et Lat.
10,28 has : zig öfuv gegen quis Lat.
12, 16 jabai : /.al sdv gegen si Lat.
14, 23 jabai : idv ovv gegen si Lat.
16,11 ni hashun : fttf Tig o%v gegen ne quis Lat.
Ganz vereinzelt scheinen auf demselben weg zusätze eingedrungen
zu sein: die hauptstelle ist at paimei jah salja 16, 19 (vgl. oben s. 458),
ferner 15,5 jah afar pata : eha gegen et postea Lat. Hierfür könnte
ferner 15,20 ip nu pande sprechen; denn die Griechen haben wvl de,
die Altlateiner si autem : pande dürfte also mit rücksicht auf lat. si als
adnotatio an den rand gesetzt und irrtümlicherweise in den text ge-
raten sein, wie übrigens schon Bernhardt erkannte; vgl. 14,23 (jah
unweisai : et idiotae Ambrosiaster). 15,23.25. Wenn sich Bernhardt
sonst mit Vorliebe auf die griech. codd. FG bezogen und deren lesarten
sogar in seinen griechischen text aufgenommen hat, so war dies ein
nicht zu billigendes verfahren1. Denn diese codd. zeigen an andern
stellen, wie schon bei II Cor. belegt wurde (s. 451), so abweichende
1) Bernhardt eutschied sich für FG: 1, lü. 18. 22. 1. -'. 6. 5, 3. 10. 13. G, 1.
7, 11. 13. 15. 18. 26. 27. 28. 8, 11. 12. 13. 9, 7. 9. 10, 16. 17. 20. 28. 29. 1 L, 21. 22. 23.
28. 12,11. 12. 13. 13,9. 12. 14,23.25. 15,2.5.6. 10.12. 14.25.50.52.54. 16, 11. 12.
15. 18; gegen FG: 1,21. 25. 4,6. 9. 5,3. 5. 7. 9. 12. 7, f.. 7. L3. I 1- IT. L8. 22. 24.
8, 10. 13. 9, 1. 2. 5. 7. 8. 9. 20. 22. 23. 10, 2. l1.'. 20. 23. 24. 27. 28. 31. 32. 33. 11,2. 3.
23. 24. 27. 12, 12. 13. l(i. 21. 13, 8. l I. 20. 21. 23. 15, 15. 17. 23. 2.".. 26. 27. 31 34 17
48. 50. 51. '>:>. 16,6. L5. Hi. L9. 23. 24.
162 KA|-H\!\
lesarten, dass diese (abendländische) recension der ^riech. bibel dem
Goten anmöglich bekannt gewesen -'-in kann (vgL i<7>v äawer&v 1,19.
iftavrdv 4,6. ocötöv 5,5. 7tOQveiag 5,8. diddoMo 7,7. & rg ffcrgxt 7,28.
ywotx«s 9,5. aviTj^ 9,7. ei%aqiaxlag LO, 16. foofl 11,2.'» etc.).
Eine vergleichung des gotischen textes mit dem eon ChrysostomtiB
(MS(i 61,llfgg.) gebotenen griechischen Wortlaut belehrt uns darüber,
dass auch für den ersten Corintherbrief die byzantinische recension dem
Übersetzer vorgelegen hat. Ich verzichte darauf, die materialien in
extenso vorzulegen, da die Sachlage hinlänglich geklärt ist. Wo der
Gote von Chrysostomus abweicht, treten entweder die bibelcodices
überhaupt, oder, was wichtiger ist, die byzantinischen codd. KLP mit
genauen entsprechungen ein1. Ich hebe folgende stellen aus:
1,15 daupidedjau (: h[ia7ccia^xe Chr) = tßÖ7Xxiaa LP
1,25 (fehlt Chr) = LP
5. 10 jah (: ? Chr) = xai P
7.11 ahin seinamma (: ccvöql Chr) = Idlo) dvöqi P
7, 13 soei (: ei xig Chr) = fjxig KL
7. 22 samaleiko (: öf.iouog y,al Chr) = öfxouog P
8,13 meinana (: om. Chr) = /.wv KLP
9, 7 akran pize (: e/. xov '/.aqnov avxov Chr) = xov y.aqnbv avxov P
9.23 ßatup (: rtdvta Chr) = xovxo KL
10.19 patei po galiugaguda ha sijaina aippau patei galiugam saljada
ha sijai = ort d'dcoXöv xt ioxlv rj bxi eidtolo&vxov xt tovlv
KL (oben s. 433)
10, 23 all (: Ttdvxa. fxoi Chr) = /rdvxa P
11,2 broprjus (om. Chr) = ädeXyol KL vgl. 15,31 (KP)
11,22 ha qipau izwis (om. Chr) : xi vulv einoi KL
13, 10 pata (: xove xo Chr) = xo P
15,7 ataugida sik (om. Chr) = oicpö-tj KLP
15, 14 jas (om. Chr) = wxi KP
15.20 icaurpans (om. Chr) : eyevevo KL
15,29 ins ( : vexotov Chr) = avxcov KP
15,31 fraujin unsaramma (om. Chr) = xw ytvolqi t)/xwv KLP
15,50 ni magun (om. Chr) = ov öivavxai KL
16, 19 aikklesjons (: ix/.ht]Oiai naoai Chr) = eu e/./.XqoiaL KL
Priska (: IIqioyuIIcc Chr) = Ilgia/ia. P.
Vergebens suchen wir nach genauen entsprechungen bei der Ver-
wendung von formwörtern wie nu, jah, ik, pan, ip, ist und ähnlichen
1) Beachtenswert ist z. b. 7,5. 8,11.
BEITRÄGE ZUR QUELLENTCRITIK DER GOT. BIBELÜBERSETZUNG 463
(vgl. 1,16. 22. 23. 4,5. 7. 5,8. 12. 7,5. 8. 11. 9,5. 9. 10,1. 17. 11,6.25.
12, 12. 19. 13, 6. 10. 12. 14, 22. 15, 3. 15. 16. 17. 28. 29. 55. 16, 15. 16);
sie können für den nachweis quellenraässiger beziehungen nicht wol in
betracht kommen, so lange uns gerade die handschrift der byzantinischen
recension fehlt, die dem Übersetzer vorgelegen hat. Unter denselben
gesichtspunkten sind geringere (13,10) oder grössere (7,14. 15,14)
differenzen der Wortstellung zu beurteilen. In andern fällen ist mit
schreibversehen (z. b. auslassung 16, 20; 15, 54 = cod. M) zu rechnen
oder vielleicht der gotische text leise zu emendieren (vgl. 13,3; maujo
statt manjos 7, 25? praufetjan statt praufetjans 13,2? qipa statt qipam
10, 19?), für den griech. cod. eine Variante der Schreibung zu berück-
sichtigen (7, 27 Xvoiv = Ivoeiv) und selbstverständlich schon für die
griechische vorläge die einwirkung von parallelstellen als möglichkeit
vorauszusetzen (9, 20 cfr. Rom. 6, 14. 15, 31 cfr. Rom. 8, 36). Unklar
bleibt der zweimalige zusatz von leika 12, 15. 16; und die formel in
Ivo saupo 15, 2; kaum eine andere absieht, als die stelle dogmatisch
klarzustellen, dürfte zu dem merkwürdigen zusatz von gvp (gott vater)
15,25 anlass gegeben haben1: auch hier wird man mit der Überlieferung
fertig, wenn man gup als jüngere randglosse betrachtet (vgl. Ps. 109, 1.
Matth. 22, 44. 45. Mc. 12, 36. Luc. 20, 42) und aus dem ursprünglichen
text der got. bibelübersetzung ausschaltet. Eine ähnliche forderung
wurde oben s. 435 f. für die herstellung der schlussformel des ersten
Corintherbriefes erhoben.
1) Damit hängt möglicherweise der einschub von is hinter fijands zusammen,
für den man allerdings auch die Altlateiuer verantwortlich machen könnte.
KIEL. FRIEDRICH KAllTMANN.
4M BOOT
ÜBER DIE QUELLEN VON C. 26—29
DEE VQLSUNCxA SAGA.
Wenn im folgenden ein versuch gemachl wird, den inhalt der
den capp. 26 — 29 der Volsunga Baga zu gründe liegenden lieder zu
bestimmen, so glaube ich um so eher auf eine kritische Sichtung älterer
ansiohten verzichten zu dürfen, als eine Bolche vor kurzem von Heusler
(Lieder der lücke s. 49 fgg.) vorgenommen worden ist. II<ii>]*i> auf'satz
entliält manches fördernde (namentlich der gedanke, dass der >aga-
schreiber hier wie an anderer stelle mehrere lieder nicht nacheinander
sondern nebeneinander benutzt haben kann, erweist sich als fruchtbar);
doch scheint er mir einen für die beurteilung der frage bedeutungs-
vollen punkt, dessen betrachtung schliesslich zu einem in der Haupt-
sache von dem seinigen abweichenden resultate führt, übersehen zu
haben. Bei einer frage wie der vorliegenden, wo es sich um die tren-
nung mehrerer quellen eines als einer fortlaufenden erzählung über-
lieferten textes handelt, ist die grosse gefahr in dem subjeetiven de-
mente der kritik gelegen. Es kommt darauf in erster linie an, dieses
element auf ein minimum zu beschränken. Deshalb ist es von so grossem
gewicht, dass wenigstens ein imbestreitbares factum den ausgangspunkt
der Untersuchung bildet. Wo eine deutliche naht vorhanden ist, da
liegen die quellen nebeneinander und bietet sich die gelegenheit zu
ihrer Charakterisierung. Durch eine solche stelle ist ein kriterium auch
für die stellen gegeben, wo die Untersuchung sich ins subtile zu ver-
lieren droht.
Hier kann ich nun zunächst einer beobachtung Heuslers mich
anschliessen. Eine solche naht liegt nämlich unzweifelhaft c. 28, 16
(Bugge 147, 21) vor. Ich nehme das nicht nur mit Heusler auf grund
des Unterschiedes im stile sondern auch auf grund des inhaltes der
beiden teile des capitels au. Im ersten teile1 haben Brynhildr und
GuÖrün sich gezankt; in der fortsetzung fragt GuÖrün Sigurör, was
Brynhildr fehle, und aus seiner antwort geht hervor, dass er das besser
weiss als sie. Am folgenden tage spricht in B GuÖrün mit Brynhildr;
diese macht ihrer Schwägerin heftige vorwürfe, aber auf die Unter-
redung im anfange des capitels findet sich nicht die geringste anspie-
lung. In A wird darüber gestritten, wer den vortrefflichsten neiden
zum gemahl habe, beide parteien loben ihren eigenen gatten; in B
1) Das gedieht, welches diesem abschnitt zu gründe liegt, nenne ich A, den
hier in betracht kommenden abschnitt AI; in gleicher weise gilt für die fortsetzuug
des capitels die bezeichnung B resp. Bl.
£UR VQLSUXGA SAGA 465
beklagt sich Biynhildr darüber, dass Guörün ihr den gatten, der von
rechtswegen ihr zukomme, genommen habe; hier lobt Biynhildr SigurÖr,
Guörün aber lobt ihren bruder. Damit hängt zusammen, dass B von
einer früheren Verlobung der Biynhildr mit SigurÖr weiss, während
eine solche mit der Vorstellung von A, dass Biynhildr ihren mann
über SigurÖr erhebt, sich nicht verträgt.
Aus dem gesagten folgt, dass der schlusssatz von c. 29 Ok par
af stöft miläll üfagnafor, er pcer gengu d äna ok hon kendi hringinn
ok par af vartS peira vihrcvfta ein zusatz des sagaschreibers ist, der A
mit B verband. Denn eine dem inhalte nach mit A übereinstimmende
erzählung kann in ß nicht vorangegangen sein. Der überlieferte teil
von B zeigt klar, dass Biynhildr ohne GuÖrüns beteiligung vernommen
hat, wie sie bei der brautwerbung betrogen wurde.
Eine zweite und zwar um vieles deutlichere naht, welche wunder-
iicherweise auch Heusler nicht aufgefallen ist, zeigt sich in c. 29.
Nach dem gespräche mit Guörün legt Biynhildr sich zu bette c. 29, 1
(Bugge 149, 27). Gunnarr geht zu ihr und fragt, was ihr fehle (er
weiss also von der scene am flusse nichts, was dazu stimmt, dass das
stück noch zu B gehört); sie aber gibt keine antwort und liegt wie
tot da. Als nun Gunnarr in sie dringt, fährt sie ihn hart an; es ent-
steht ein heftiger Wortwechsel, sogar kommt es dahin, dass H<>gni sie
bindet, da sie Gunnarr zu töten versucht. Als Gunnarr darauf ihre
fesseln löst, zerschlägt sie ihr gewebe, und der heidenspektakel, den
sie macht, wird um allan bceinn gehört. Darauf fragt Guörün ihre
dienerinnen, weshalb sie so betrübt sind und sich wie sinnlos geberden;
ein mädchen erklärt, das ganze haus sei Jammers voll. Guerün befiehl!
dann einer dienerin aufzustehen; sie meint, es sei zeit, Biynhildr zu
wecken. Dazu aber ist die dienerin keineswegs zu bewegen; sie be-
hauptet, schon viele tage lang habe Biynhildr weder gegessen noch
getrunken; der zorn der götter sei über sie gekommen. Guörün sendet
nun Gunnarr zu BrynhiJdr, aber vergebens; er bekomm! von ihr keine
antwort, und ebenso ergeht es ÜQgni. Am folgenden tage gelingt es
SigurÖr, sie zum reden zu bringen. Kr findet ihren saal offen; er
glaubt, dass sie schläft und zieht die bettteppiche von ihr; er redet ihr
zu wie einer schlafenden : Vahi />// , Bryrihildr! söl sktnn am allan
besinn oh er cril sofbt.
Wie ist das möglich, dass von einer, deren gesehrei durch das
ganze haus gehört wird, nicht nur wie von einer schlafenden geredei
wird, sondern dnss sie sogar schweigend zu bette liegend gefunden
wird? Das ist kaum einer von den vielen widersprächen, welche die
ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. HU \\\V. 30
466 p.ov.n
gegner der philologischen krit.ik ans auffordern werden, ohne einsprach
hinzunehmen, da ja die besten dichter sich inconsequenzen zur schuld
kommen lassen; es wird erlaubt sein, diese unmöglichkeil für die Kritik
der Überlieferung zu benutzen. Es dürfte dann einleuchten, dass die
erzählung von Brynhilds toben in dem Zusammenhang von c. 29 oicht
am platze und daselbsi als ein einschub zu betrachten ist Die versuche
Brynhildr zu wecken bilden die fortsetzung zu dem, was Bchon am
anfang des capitels erzählt wurde, dass sie wie tot dalag. K> kann
nur darüber ungewissheil bestehen, ob die frage der Guönin an die
mädchen nach dem -runde ihres wunderlichen betragens und die ant-
wort, das ganze haus sei füll af harmi, zu derselben quelle oder zu
dem eingeschobenen stücke gehören; im ersteren falle hat Brynhilds
langes schlafen die dienerinnen erschreckt und ihre unruhe hat durch
das anhalten dieses unnatürlichen zustandes sich gesteigert; im anderen
fall ist der lärm im hause der grund ihres Schreckens. Dafür dürfte
sprechen, dass Gudrun die frage zwar an die versammelten mädchen richtet
und dass eine von ihnen namens Svafrlofi darauf antwort gibt, das;, aber
die sich anschliessende aufforderung aufzustehen weder an die mädchen
zusammen noch an SvafrlcyÖ sondern an Guörüns vinkona: deren namen
man nicht vernimmt, gerichtet wird. Ich glaube daher, dass die naht in
diesem teile des capitels z. 48 (Bugge 151, 17) anzusetzen ist; im anfange
des capitels findet sie sich z. 4 (Bugge 150, 2). Das stück z. 4 — 48 gehört
also nicht zu B, es liegt nahe darin die fortsetzung von AI zu suchen.
Dass es tatsächlich zu A gehört, beweist sofort der erste satz, der auf
die scene am flusse zurückweist. Hvat gerbt r pü af hring peim, er
ek selda per? das ist das einzige, was Brynhildr nach dem ihr in AI
von GuÖrün gemachten vorwürfe zu Gimnarr sagen konnte. Allerdings
biegt sie dann schnell von ihrem eigentlichen thema ab und sie hält
eine längere rede über einzelheiten, welche sich nicht auf den ring
beziehen. Aber soweit ich sehe, liegt kein grund vur, hier neben A
und B an eine dritte quelle zu denken. Denn erstens müsste man
dann annehmen, dass der sagaschreiber an dieser stelle einen einzigen
kurzen satz aus A entlehnt hätte und dann unmittelbar auf jene dritte
quelle übergegangen wäre, zweitens fehlt zwar die strenge logik, aber
ein so absoluter Widerspruch wie zwischen A2 und B ist nicht vor-
handen; höchstens liesse sich die frage aufwerten, ob etwa ein teil der
Strophen, auf denen A2 beruht, in A interpoliert sind; die erledigung
dieser frage muss einer anderen stelle vorbehalten bleiben.
Es bietet sich hier die gelegenheit zu einer bemerkung über die
composition der saga. Die Situation am Schlüsse von AI und von Bl
ZUR VQLSUNGA SAGA 467
ist ungefähr dieselbe. In AI heisst es: Brynhildr ser nü Jtenna hring
ok kennir; pä fqlnar hon, sem hon datift vceri. Brynhildr för heim
ok mcelti ekki orft um kveldit. Das bat eine gewisse äbnlicbkeit damit,
dass Brynhildr in Bl sich zu bette legt, auf keine zurede antwortet
und wie tot daliegt. Diese ähnlichkeit hat der sagaschreiber für seine
zwecke zu benutzen verstanden. Er teilte zunächst den inhalt von A
bis zu der mit B correspondierenden stelle mit und Hess dann B bis
zu der entsprechenden stelle folgen. Daraus entstand für ihn der vor-
teil, dass er A2 an Bl anschliessen konnte, ohne dass der sprung
sofort bemerkbar wurde. Er folgte nun widerum A (A2) bis zu einer
stelle, wo eine gewisse äussere ähnlichkeit nicht mit einer später son-
dern mit der unmittelbar in B folgenden stelle vorhanden war; an
beiden stellen redet GuÖrün mit einer dienerin. Der anlass sowie der
inhalt der Unterredung war aber himmelweit verschieden, und die folge
war, dass durch dieses rein mechanische Verbindungsmittel auch der
schein eines logischen Zusammenhanges nicht erreicht wurde. Dieses
verfahren des sagaschreibers ist auch aus anderen teilen seines werkes,
— man denke an die behandlung der Atlilieder — bekannt.
Es lassen sich zwischen A und B nicht unerhebliche unterschiede
in der auffassung der ereignisse constatieren. A kennt: Sigurös auf-
enthalt bei Hjalprekr (28, 7), den eid, den Brynhildr zu hause bei ihrem
vater ablegt, nur dem berühmtesten der helden zu gehören (29, 23),
die Werbung durch die Gjükungar mit kriegsbedrohung (29, 7 fgg.)1.
Das versprechen der Brynhildr an BuÖli, den helden zu besitzen, der
auf Grani sässe und die von ihr angewiesenen männer töten würde
(29, 16 fgg.). Den flammenritt (28,6.12; 29,20). SiguriSr hat mit
Brynhildr einen ring gewechselt (28, 13). Brynhildr hat geglaubt, der
held, der das feuer durchritten hatte, sei Gunnarr (das geht aus der
scene am flusse hervor). Brynhildr hat ihren eid gebrochen (29, 25);
daran schliesst sich unmittelbar eine Verwünschung der Grimhildr,
welche also als die anstifterin des planes zur Werbung zu denken ist.
Brynhildr lebt zufrieden, bis sie von GuÖrün den wahren Sachverhalt
vernimmt. Jetzt wirft sie dem Gunnarr vor, er sei nicht der beste
der hehlen. Sie versucht ihn zu töten. Sie will nicht länger mit ihm
Zusammensein. Von einem früheren verhältniss zwischen Siguror und
Brynhildr weiss A nichts. B weiss von einer Verlobung d fjallinu
(29,123). Gudrun hat der Brynhildr ihren geliebten genommen, ob-
gleich sie wusste, mit wem der held verlobt war (28, tOfgg.). Mehrere
1) Ist in 15 Sigurös bemerkung, Gjukes söhne haben den Dänenkönig und des
Buöli bruder erschlagen, eine reminiscenz daran 1
30*
468 BOBR
ani pielungen aui den flammenritt bei dem zweiten besuch des beiden,
darunter str. 24. SigurÖr erinnerl sich Biynhilds namen nicht (er ha1
also den zaubertrank genossen) (29, L24). Audi Brynhildr bal den
rechten Zusammenhang nicht, verstanden fyri/r l»iri huldu er ä In
hu inii hamingju, aber sie hat doch Sigurör an Beinen äugen zu erkenn« d
geglaubt, als er in Ounnars gestall durch den flammenwal] zu ihr ritt
(also hatte auch sie wo] den namen des geliebten vergessen; oder war
derselbe ihr von anfang an unbekannt geblieben?) Nachher versteht
sie den richtigen Zusammenhang der begebenheiten (durch eine ahnung
oder durch eine erleuchtong ihres gedächtnisses, wie auch SigurSr
später sich des geschehenen erinnert?). Sic ist jetzl mil ihrem mann
unzufrieden; sie beneidet Guorün. Diese ergreift die partei ihres bru-
ders; dass nicht er das feuer durchritt, ist niclit seine schuld; Grani
wollte ihn nicht tragen. Wenn Brynhildr nach einem heftigen Wort-
wechsel mit Guorün erklärt, sie liebe nur Gunnarr (28, 76), so ist das
wol so zu verstehen, dass sie nicht mehr als einen mann zu gleicher
zeit liehen will (vgl. 29, 120 fg.); SigurÖs liebe schlagt sie in der darauf
folgenden Unterredung mit ihm aus.
Es fragt sich nun, ob es möglich ist, auf grund dieser unter-
schiede auch für c. 26. 27 eine trennung zwischen dem was A und
was B angehört vorzunehmen. Ich betrachte zunächst c. 27. Die
Gjükungar reiten im anfang des capitels zu Buöli. Es liegt nahe, den
bericht mit A2 (29, 6) in Verbindung zu setzen. Dann reiten sie zu
Heimir. Dieser wird weder in A noch in B, soweit die beiden quellen
bisher bekannt sind, erwähnt. Man ist gewohnt, in der erwähnung
des Heimir eine willkürlichkeit des sagaschreibers zu sehen, der Aslaug
unterzubringen wünschte. Da aber B die vorverlobung — sei es auch
nach der darstellung der saga d fjallinu — kennt, so ist es nicht
unmöglich, dass der dichter sich den Schauplatz derselben in der nähe
Heimis vorgestellt hat. Seine darstellung hielte in dem fall zwischen
Sigrdrifumäl und c. 24 der saga die mitte, wenn nicht d fjallinu
vom Verfasser der saga herrührt (vgl. darüber unten). Die möglichkeit,
dass Heimir an dieser stelle aus B stammt, würde zur Wahrscheinlich-
keit erhoben werden, wenn in dem capitel auch andere spuren von B
sich nachweisen Hessen.
Es folgt der flammenritt. An und für sich könnte derselbe auf
beide quellen zurückgehen. Aber die scene mit Grani, der Gunnarr
nicht tragen will, zeigt, dass wir es mit B zu tun haben (vgl. Bl
c. 28, 58fgg.). Das feuer erlischt (z. 23). Das ist eine paraphrasierung
von str. 23, welche ursprünglich weder zu A noch zu B gehört (vgl.
ZTJB VOLsrxf. \ SAGA 469
Zeitschrift 35, 310 fgg.); die echte darstellung von B folgt z. 66, wo
SigurÖr durch dasselbe feuer zurückreitet. Man könnte daher versucht
sein, die beiden Strophen A zuzuteilen. Allein dagegen spricht erstens,
dass wenn die Strophen von mir a. a. o. richtig interpretiert worden sind,
sie eine Situation beschreiben, welche auch nicht die von A sein kann,
denn in A war an dieser stelle nicht davon die rede, wie Brynhildr
in den zauberschlaf versenkt wurde. Zweitens spricht str. 24 dafür,
dass str. 22. 23, bevor sie in die saga aufgenommen wurden, in B
standen. Wenigstens kannte der dichter von B str. 22. 23, denn er
plagiiert sie (vgl. verf. a. a. o. s. 312); wenn nicht er selbst sie auf-
genommen hat, so wird die ähnlichkeit mit str. 24 später einen grund
zu der aufnähme abgegeben haben.
Z. 41 fg. (145, 16) findet Sigurör Brynhildr i eilt fagri herbergi.
Das kann aus B stammen. Zwar stimmt es nicht ganz zu der be-
zeichnung ihres aufenthaltsortes als d fjallinu gelegen (29, 123), aber
29, 82 ( = B) redet Brynhildr von dem mann, er kom l minn sal.
Wenn Sigurör nach B Brynhildr an zwei verschiedenen orten besucht
hat, so steht also für den zweiten besuch, von dem hier die rede ist,
der saal fest, und das fagrt herbergi kann auf B beruhen. Wenn der
ort beide male derselbe war, so steht wenigstens ein zeugnis dem
andern gegenüber, und d fjallinu, über welches unten s. 473 zu
vergleichen ist, wird verdächtig. Wenn aber der dichter sich Brynhilds
aufenthalt auch beim ersten besuche als einen Schemen saal vorstellte,
so bestätigt das die oben ausgesprochene Vermutung, dass er auch
Hoimir kannte. Daran knüpft sich weiter die frage, welche uns unten
beschäftigen wird, wie c. 23. 24 sich zu B verhalten. Vorläufig ist zu
constatieren, dass fagrt herbergi aus B stammen kann. Dass das
nun auch tatsächlich der fall ist, wird dadurch bestätigt, dass nicht
nur das vorhergehende sondern auch, wie sich zeigen wird, die beilager-
scene auf B beruht. Andererseits muss bemerkt werden, dass die Ver-
stellung, welche A von Brynhilds Aufenthaltsorte hatte, nicht bekannt
ist, so dass principiell nichts im wege stehen würde, die bemerkung
A zuzuweisen, um so weniger, als das anmittelbar folgende aus A
stammt.
Es folgt die Unterredung des beiden mit der Imidin. Brynhilds
zaudern Hesse sich oberflächlich sowol aus l'> wie aus A erklären; nach
A wäre ihr betragen durch eine anbestimmte ahnung, nach 1! durch
das bewusstsein, dass sie sclmn einem anderen gehöre, bestimml
werden. Aber was B später über SigurtJs empfang durch Brynhildr
mitteilt, stimmt nicht zu dieser erzählung. Sie sagl c. 29, s-"> fg.:
170 BOKB
pöttumx ek Jcerma yhur augu, ok fekk ek pö eigi visi skifit fyrvr'peiri
hnhlu <r ii hi mi um hamingju. Das dient, lim zu erklären, weshalb
Brynhildr damals sich nicht bestimmt geweigert hat, ihm zu folgen.
siü hat, obgleich er sich Gunnarr aannte und obgleich seiD aus
ein anderes war, dennocli geglaubt, ihr früherer geliebter sei zu ihr
zurückgekehrt c. 27 aber erzähl! etwas ganz anderes. Brynhildr be-
grüsst Sigurftr wie einen ihr vollständig unbekannten mann, und sie
sagt ihm, dass er gewisse bedingungen erfüllen muss, am sie zu be-
sitzen. Die bedingungen sind die aus A.2 bekannten. Er muss hverjv/m
mannt fremri sein (vgl. c. 29, 23 fg. [= A2| <tl ek mundo, peion evnum
unna, er dgcetastr vceri alinri). Er muss die männer töten, welche
um sie angehalten haben (= c. 29, 18: okdrcepipä menn er ek kväÖ d).
Ferner ist sie im panzer und bewaffnet mit heim und schwert; sie
erzählt von ihren früheren heldentaten und behauptet, sie wünsche
widerum zu kämpfen (vgl. c. 29, 10 fg.: en ek bubumz tilai verja landit
ok vera hqfhiiigi yfir prifijungi lifts). SigurÖr erinnert sie an ihr ver-
sprechen, dem mann zu gehören, der das feuer durchreiten werde; sie
weiss dem nichts zu entgegnen (vgl. c. 29, 17 fg.: ek hetumx peim er
rifti hestinum Granu meh Fdfnis urß ok ri&i minn vafrloga). Ein
solches versprechen wäre in B, wo Brynhildr schon im voraus verlobt
ist, geradezu unmöglich.
Es folgt das beilager, dessen beurteilung von dem Andvaranautr
abhängt. SigurÖr nimmt der Brynhildr den ring, den er ihr früher
gegeben, und gibt ihr dafür einen anderen ring. Dasselbe er-
zählt AI in der scene am flusse. Daraus würde folgen, dass das bei-
lager aus A stammt, wenn es ausgemacht wäre, dass der sagaschreiber
nirgends geändert hat. Mit dieser rnöglichkeit muss man namentlich
da rechnen, wo dieselbe begebenheit nach verschiedenen quellen mit-
geteilt wird; der Verfasser kann da eine stelle geändert haben, um sie
mit der anderen in einklang zu bringen. Nun verträgt sich die Vor-
stellung, dass Brynhildr damals, als SigurÖr für Gunnarr um sie freite,
den Andvaranautr besass, keineswegs mit A, welches gedieht von einem
früheren besuche nichts weiss; als SigurÖr zu Brynhildr kam, war er
im besitze des Andvaranautr; er konnte ihr also zwar den ring geben,
aber er konnte ihn ihr nicht nehmen. Die Vorstellung der saga stammt
also aus B1, und der Verfasser hat c. 28 in anschluss an c. 27 dahin
1) Für B hat natürlich clor ring keine weitere bedeutung; er ist als ein un-
verstandener rest einer älteren sagenform zu betrachten. Denn da für die scene am
fluss oder einen ähnlichen auftritt kein platz ist, konnte auch Guömu den riug nicht
in prahlerischer weise vorzeigen.
ZT'R VOT.SFNTrA SAGA 471
geändert, dass der ring, den GuÖrün vorzeigt, der Andvaranautr ist.
Damit ist in Übereinstimmung, dass der ring nach A2 nicht der And-
varanautr sondern ein geschenk BuÖlis ist. Das wird ferner durch die
Skälda bestätigt, deren darstellung gleichfalls auf A beruht1.
Sigurör reitet darauf durch das feuer zurück (B) und dann mit
den Gjükungen zu Heimir (B). Dorthin kommt auch Brvnhildr (wes-
halb reist sie allein?) und stattet über ihre begegnung mit Sigurör
einen bericht ab, der zu dem vorhergehenden nicht stimmt. Sie be-
hauptet, sie habe dem helden, der sich Gunnarr nannte, gesagt, dass
nur Sigurör, ihr frumverr, dem sie auf dem berge eide geschworen,
das feuer zu durchreiten im stände sein werde. So etwas hat Brynhildr
gar nicht gesagt, aber dass sie etwas ähnliches sagen würde, Hesse sich
nach B erwarten (vgl. die s. 469fg. citierte stelle c. 29, 83). Es liegt also
in dem berichte an Heimir die darstellung vor, welche B von der
begegnung gibt. Heimir meint, sie solle sich in das unvermeidliche
ergeben. Die kurze bemerkung: Brynhildr moelti: dottur okkar Sig-
urtSar, Aslaugu, skal her tipp fcefta »teft per gehört kaum B an, ich
halte sie mit anderen für einen einschub, wahrscheinlich vom saga-
schreiber. Aber nur den einen satz. — Man reitet heim und Giimhildr
dankt Sigurör für seine hilfe, Brvnhildr fahrt zu BuMi, die hochzeit
wird bei Gunnarr gefeiert. Das alles ist A. Sigurör erinnert sich nach
dem feste an seinen eid (B).
Der sagaschreiber hat also aus A und B eine erzählung von der
Werbung componiert. Auf A beruht ein teil des mittelstückes und die
äussere an knüpf ung (z. 1—4. 42 [40?] -60. 7 6-- 80. [82?]), auf B die
einkleidung (Heimir und der flammenritt z. 4— 42 [40?]. 66 — 74) und
die beilagerscene z. 60 — 66, also der wichtigste teil des capitels; natür-
lich musste die bemerkung z. 80 — 81, dass Sigurör sich des geschehenen
erinnert, nach dem feste folgen. Das wahrscheinliche eigentum des
sagaschreibers ist nur eine kurze bemerkung (z. 75— 76).
Die beurteilung von c. 26 bereitet Dach dem vorhergehenden keine
ausserordentlichen Schwierigkeiten. Der hauptinhalt setzt Sigurös frü-
heren besuch bei Brynhildr voraus. Das capitel erzählt, wie Sigurör
zu Grjtiki kam und den zaubertrank zu trinken bekam, und wie darauf
der plan gefasst wurde, für Gunnarr um Brynhildr zu freien. Als.»
1) Ich stimme also mitSijmons, Beiträge 3,280 darin überein, dass die Skälda
c. 28 der VqIs. s. gegenüber das richtige hat, ohne grund behauptet Beu
die Skälda könne hier nichts beweisen, abei der sagaschreiber hat nicht willkür-
lich geändert, sondern um- «las capitel mit einer früher von ihm benutzten quelle in
cinklaug gebracht. Näheres über den ring im exours am Bohlusse dieses auisatzes.
1 , 2
liegt I» der darstellung zu gründe. Bin paar iinebenheiten deuten jedoch
darauf, dass mehr als 6ine quelle benutzt wurden. Z. 30 biete! Grtm-
hildr Sigurör den vergessenheitstrank. Der bekannte zweck ist, ihn
Brynhildr vergessen zu Lassen und ihn der Gnörtin zu vermählen.
Aber das folgt uichl unmittelbar darauf. Grfmhildr stell! Sigurfo vor.
dass er und ihre söhne einander eide schwören weiden: ihresgleichen
werde dann nirgends gefunden werden (■/.. 33). Sie behaupte! auch,
Gjüki und sie werden Sigurös vater und mutter sein, also eine ziemlich
deutliche anbietung der tochter. Sigmar trinkt und vergissi Brynhildr.
Dann vergeht einige zeit. Einmal alter geschah es, dass Grimhildr zu
GjtiM gieng und ihm vorschlug, er möge dem SigurBr seine tochter
zur frau anbieten. Das sieht aus wie ein vollständig neuer plan. Es
geschieht, und nun erst schwören sich Sigurftr und die brüder eide.
wozu sie schon damals, als SigurÖr den trank bekam, aufgefordert
wurden. Weshalb ist das damals nicht geschehen? Darauf wird die
hochzeit mit GuÖriin gefeiert.
Ich vermute, dass hier die darstellung von A hinter der von B
aufgenommen ist. Der trank stammt aus B. Daran schloss sich un-
mittelbar der eidschwur und in aller kürze die Vermählung. In A aber
wurde erzählt, dass auf Grimhilds rat GttÖrun dem SigurÖr angeboten
wurde, und in diesem Zusammenhang wurde gleichfalls der eidschwur
mitgeteilt. Durch die Verbindung von A mit B wurde der zaubertrank
von der hochzeit, die aufforderung zum eidschwur von der ausführung
dieses Vorhabens getrennt.
Ich glaube nicht, dass A sich weiter zurückverfolgen lässt. Ich
nehme an, dass A damit anhob, dass Gjüki dem SigurÖr seine tochter
anbot; darauf folgte die Werbung um Brynhildr. Also eine darstellung,
welche der der Sgkv. skamma vollständig parallel geht.
Die frage, ob sich die spur von B weiter als c. 26 zurück verfolgen
lässt, ist nicht so leicht zu entscheiden. Dass B mit Sigurös ankunt't
bei Gjüki angehoben habe, ist zwar im voraus nicht sehr wahrschein-
lich, aber man kann fragen, ob nicht etwa B die vorverlobung voraus-
setzte, ohne sie ausführlich mitzuteilen. Eine directe andeutung, dass
B weiter zurückreicht, sehe ich in den worten, mit denen c. 26 anhebt:
Sigurftr ribr nü i brott meft pat mikla gull; skiljax peir nü vinir.
Das setzt voraus, dass sehr kurz vorher von dem golde die rede war.
In der saga ist das nicht der fall (c. 25 handelt von GuÖrüns besuch
bei Brynhildr und der traumdeutung), also stammen die worte aus der
quelle der saga, und in B wurde das gold kurz vorher erwähnt. Auf
c. 24 in der vorliegenden form können die worte auch nicht bezogen
ZUR VQLS1 m
473
werden; in c. 23, welches stofflich mit 24 zusammengehört, findet sich
bei gelegenheit von SigurÖs ankimft bei Heimir die bemerkung (z. 13
Bu. 136, 6): fjörvr menn höfu gulUt af hestinum, wenigstens eine an-
deutimg der grossen masse des goldes. Aber die bemerkung wird
wenig pointiert. Die worte skiljct/x pcir nu vinir können auf Heimir
und AlsvrSr, zu gleicher zeit auch auf Brynhildr gehen, auf welche
auch die saga sie bezieht. Weiter zurück als c. 23. 21 findet sich in
der saga kein anhaltspunkt für den satz; c. 22 stammt aus der piüreks
saga und mit c. 20. 21 sind wir schon bei Sigrdrifumäl angelangt, deren
darstellung von den Voraussetzungen von B in dem grade abweicht,
dass von diesem gedichte nicht die rede sein kann; übrigens wird auch
c. 20. 21 das gold nicht erwähnt. Erst am Schlüsse von c. 19 stossen
wir von neuem auf das gold, aber für skilja% peir nu vinir bietet c. 19
keinen anhält, und wenn c. 2(5 an c. 19 schlösse, so fehlte ja die Ver-
lobung, welche gerade für B charakteristisch ist. Also ist die einzige
anknüpfung, welche die saga für c. 26 bietet, in c. 23. 2 f zu suchen.
Wir haben zwischen zwei möglichkeiten zu wählen. Entweder para-
phrasieren c. 23. 24 den anfang von B. Dawider scheint zu reden, dass
in B nach der saga die erste begegnung ä fjalUnu statt fand. Man
muss also in diesem falle annehmen, dass die worte d fjallinu c. 27,73.
29, 123 vom sagaschrciber, der an c. 20. 21 dachte, herrühren (vgl. oben
s. 469). Dazu ist zu bemerken, dass wenigstens die zweite stelle (c. 29,
123. Bu. 154, 4) zu einer erzählenden bemerkung gehört, welche den
übrigens den ganzen auftritt beherrschenden dialog unterbricht; sie
steht also schon deshalb unter starkem verdacht; es lässt sich auch
leicht verstehen, dass dem sagaschrciber die begegnung auf dem felsen
als die bedeutendste erschien, und da er vorher zwei Verlobungen er-
zählt hatte, musste ihm daran gelegen sein, die wichtigste zu betonen.
Gegen die Zugehörigkeit von c. 23. 21 zu B lässt sich nicht einwenden,
dass c. 24 keinen flammenritt erwähnt. Denn es findet sieh in 1! keine
einzige anspielung darauf, dass Sigurftr bei seinem eisten besuch einen
flammenwall durchritt. Die möglichkeii ist sogar nicht ausgeschlossen,
dass der dichter von B hier selbständig den flammenritt fortgelassen
hat, um eine widerholung iW* motivs zu vermeiden. Für diese auf-
fassung spricht ferner, <l;iss Brynhildr nach B auch hei SigurÖs zweitem
besuche nicht auf einem leisen ruht, sondern in einem saale sitzt wie
in c. 24 (vgl. oben s. 169) und d;iss 1! Heimir als Brynhilds pflegevater
kennt1.
1) unter Verweisung auf 8.469 bemerke ich aooh, dass wenn der Schauplatz
der beiden besuche derselbe war, dadurch schon Für den ersten besuch ilas local in
I , I BOKR
Will man nicht annehmen, da-- c. 23. 24 aufB beruhen, bo bleibt
nur die möglichkeit übrig, dass der sagaschreiber den anfang von 1!
nicht benutzt hat, da er schon zwei Verlobungen des Sigurfcr mit Bryn-
hildr berichtel hatte Er hat dann seine paraphrase von B mitten im
gedichte mit einem neuen capitel begonnen, und zwar sehr ungeschickt
mit einer Verweisung nach einer früheren stelle des gedientes, welche
er nicht mitteilt. Die wortc <t fjallinu können dann zu I» gehören,
dessen darstellung in dem falle einigermassen zwischen Sigrdrifani&l
und c. 24 die mitte hielte. Alles wol erwogen erscheint mir die erste
alternative als die richtige.
Ich klimme zum Schlussstück von e. 29, z. 142 -151, I)ii. 154,23
bis 155, 5. Die beurteilung dieses abschnitte's ist mit vielen Schwierig-
keiten verbunden; ein sicheres resultat wird sich kaum erreichen lassen.
Neben i\i'r möglichkeit, dass es zu A oder zu B gehört, besteht eine
dritte, dass es auf einem anderen, in dem früheren teil der saga nicht
benutzten liede beruht. Ferner ist das Verhältnis (\^> abschnittes zu
Brot ins äuge zu fassen.
Da c. 23 — 29 vorwiegend auf B beruhen, erhebt sich auch hier
zuerst die frage, ob das stück zu B gehören kann. Leugnen lässt sich
die möglichkeit nicht. In B haben Gunnarr und Brynhildr nach der
katastrophe noch nicht miteinander gesprochen; man muss annehmen,
dass der dichter von B, der eine breite darstellung und Vielheit der
auftritte liebt, sich die gelegenheit nicht habe entgehen lassen, auch
ein gespräch zwischen den ehegatten zur darstellung zu bringen; eine
solche Unterredung war ferner für die weitere entwicklung der band hing
unentbehrlich. Dass Brynhildr den Gunnarr autstacheln würde, Siguror
zu töten, war auch nach dem, was in B vorangegangen, zu erwarten,
und die Verleumdung, welche sie zu dem zwecke anwendet, lag ja ganz
nahe. Stilistisch ist auch wider die Verbindung des Stückes mit B
nichts einzuwenden; es enthält ausser einer einleitung, welche wol vom
sagaschreiber einigermassen in die länge gezogen ist, nur eine kurze
rede der Brynhildr ganz im stile der reden und gegenreden in dem
unmittelbar vorhergehenden gespräche mit SigurÖr. Es lässt sich wenig-
stens nicht sagen, dass der stil dort kürzer als hier ist. Direct auf B
weist sogar z. 149: nü vil ek eigi tvd menn eiga seit» i eimü lioU,
die nähe Heimis gelegt wird, also die Situation von c. 23. 24 gegeben ist. War aber
der Schauplatz ein anderer, so folgt daraus, dass beim ersten besuch die waberlohe
eine Unmöglichkeit ist, denn Brynhildr wird dieselbe doch nicht vorgefunden oder
mit sich geführt haben, wo sie nur hinkam. Also entsteht auch so eine wichtige
ähnlichkeit mit c. 23. 24.
ZUR VOLSTJNGA t75
vgl. z. 120 — 1. Wenn der abschnitt nicht zu B gehört, so hat der
sagaschreiber an dieser stelle wol B plagiiert. Andererseits kann der
schluss der rede kaum aus B stammen, denn den Vorwurf der Guörün
an Brynhildr, SigurÖr habe ihren meydomr genommen, kennt B nicht.
Falls also das stück zu B gehört, so hat der sagaschreiber die worte
pviat kann hefir pat alt sagt Gttforünu cn hon brigxlar mer hinzu-
gefügt, um einen besseren anschluss an die darstellung in A zu er-
reichen. Vorläufig müssen beide möglichkeiten offengelassen werden.
Die eben angeführten Schlussworte von Brynhilds rede legen
andererseits den gedanken an einen Zusammenhang mit A nahe. Einen
solchen vermutet auch Heusler. Er verbindet den schluss von c. 29
mit AI und glaubt, dass diese beiden stücke den anfang des liedes
paraphrasieren, dessen fortsetzung unmittelbar nach der lücke im Codex
Regius steht, also des Brot. Die frage wird aber durch die nunmehr
gewonnene erkennfnis, dass A2 die unmittelbare fortsetzung zu AI
bildet, um vieles complicierter, als sie Heusler erscheinen musste. Ich
werde im folgenden versuchen, die beziehungen zwischen den einzelnen
fragmenten (AI. A2. X [= c. 29, 142—151] und Brot) genau zu con-
statieren und zu würdigen.
Dass der schluss von c. 29 und Brot zusammengehören, glaube
auch ich. Durch die anklage reizt Brynhildr Gunnarr zum morde; das
gegenstück bildet die mitteilung, dass die anklage fälsch war. wodurch
sie ihn davon überzeugt, dass nicht Sigur&r sondern er selbst seinen
eid gebrochen hat1. Die frage, ob der schluss von Brot verloren ist,
ist auf verschiedene weise beantwortet worden. Heusler schliesst sich
denen an, welche sie bejahen. Er ist der ansieht, dass ein dichter, der
einen teil der sage poetisch behandeln wollte, zwar an jedem beliebigen
punkte anfangen konnte, aber dass er genötigt war, die geschiente von
da an bis zum ende zu erzählen. Ich kann dieser ansieht, welche mehr
das postulat einer ästhetischen theorie als das resultat einer historischen
Untersuchung ist. nur teilweise beipflichten. Bin gewisses gefühl für
Symmetrie darf man allerdings einem wahren dichter auch des altertums
zutrauen. Man wird also mit recht erwarten, - obgleich auch das auf
die probe ankommt, -- dass ein guter dichter nicht bei der behandlung
1) Daraus folgt wol, dass die möglichkeit, welche oben aooh angenommen
wurde, dass X zu B gehöre, verworfen werden muss. Denn das 1<>I> der höchsten
treue, welches Brynhildr in Und dem Sigurör spendet, kommt ihm wenigstens ans
ihrem munde in einem gediente, dessen bauptinhalt seine antreue ihr gegenüber bildet,
nicht zu. Brynhilds benehmen in Brot setzt voraus, dass n i< h t eine vorverlobung
stattgefunden hat.
176 BOEB
eines eine fortlaufende erzählung bildenden Stoffes an einem belieb
punkte eingesetzt und widerura an einem anderen beliebigen punkte
aufgehörl haben wird. Was er anfieng, wird er zu ende geführl haben.
Alter keineswegs darf man verlangen, dass ein jeder dichter det alter-
tnms. wo er auch angefangen haben mag, gerade die geschiente bi
dem punkte weitergeführt habe, den es uns gefällt als den schluss der
erzählung zu bezeichnen. Aus dem gründe scheinl es mir eine sehr
aprioristische forderung, dass der dichter von Brol auch den tod der
Brynhildr mitgeteili halten müsse. Man kann gerade so gut verlangen,
dass er auch den Untergang der Nibelungen, weshalb nicht auch die
geschichte von Sorli und Hamfcir mitgeteilt halte. Das einzige, was
man zwar nicht verlangen sondern erwarten darf, ist ein gewisses Ver-
hältnis zwischen dem hauptinhalt eines gedichtes einer- und dem anfang
und schluss andererseits. Es fragt sich also, was der inhalt des gedichtes
war, von dem Brot ein fragment ist. Wollte der dichter Brynhilds
leben oder die geschichte ihrer ehe mitteilen-, so ist allerdings das wahr-
scheinlichste, dass er das lied auch bis zur auflösung dieser ehe. also bis
zu Brynhilds tode werde fortgesetzt haben. "Wenn aber der gegenständ,
der ihn beschäftigte, die weise war, wie Brynhildr Grunnarr dazu brachte,
SigurÖr zu töten, so war seine aufgäbe damit erfüllt, dass er erzählte,
wie seine heldin diesen ihren zweck erreichte. Hier wäre ein bericht
über Brynhilds tod etwas dem stoffe des gedichtes durchaus fernliegendes.
Da nun aus den erhaltenen Strophen nicht hervorgeht, welches das
eigentliche thema des gedichtes ist, so müssen die übrigen data die
entscheidung bringen. Und da fällt die tatsache, dass das gedieht mit
str. 18 schliesst, ohne dass eine lücke vorhanden ist, schwer ins gewicht.
Solange für das fehlen der schlussstrophen keine genügende erklärung
gegeben ist1, so lange ist jedenfalls die natürlichste auffassung der Über-
lieferung die, dass nach str. 18 nichts verloren ist. (Allerdings ist die
möglichkeit in betracht zu ziehen, dass schon zur zeit der aufzeichnung
der schluss verloren war.)
Daraus würde also folgen, dass nicht Brynhilds leben oder ihre
ehe, sondern ihre anklage wider Siguror den stoff des gedichtes bildet.
Und das würde zu neuen Schlüssen in bezug auf den anfang des ge-
dichtes führen. Die Werbung fällt ausserhalb des rahmens eines solchen
1) Dass der Sammler den schluss fortliess, weil der inhalt der betreffenden
Strophen auch in anderen gedachten mitgeteilt wurde, ist keine erklärung sondern
eine behauptung, für welche keine einzige analogie existiert; die weise, wie der
Sammler sonst die parallelen gedichte behandelt, macht im gegeuteil ein solches ver-
fahren seinerseits höchst unwahrscheinlich.
ZUR VQLSXJNGA SaGA
477
gedichtes. Das beisst: wenn das gedieht, wovon Brot ein teil ist, mit
den Strophen anfieng, welche am schluss von c. 29 paraphrasiert sind,
so ist es ganz in der Ordnung, dass auf Brot str. 18 nichts mehr folgt;
str. 18 bildet dann den schönsten schluss, der sich denken Lässt Wenn
aber auch der anfang von c. 28 auf demselben liede beruht, so fällt es
allerdings auf, dass das lied mit Brynhilds mitteilung an Gunnarr, dass
Sigurör sie nicht berührt hat, schliesst. Die frage nach dem Schlüsse
von Brot hängt auf diese weise mit der nach der Zusammengehörigkeit
von A mit X eng zusammen.
Für die einheit AX könnte der umstand reden, dass X den Inhalt
von AI voraussetzt. Der Vorwurf der GuÖrün, über welchen Brynhildr
sich beklagt, ist derselbe, von dem die scene am flusse berichtet. Aber
X kann AI oder die tiadition, auf welcher AI beruht, gekannt haben.
Stilistisch ist zu bemerken, dass die kürze, welche X auszeichnet,
auch für AI charakteristisch ist. Das beweist aber wenig, denn einmal
ist AI, welches nur aus zwei repliken besteht, zu kurz, um auf die
kürze des stiles eine entscheidung zu gründen, und ferner hat sich oben
gezeigt, dass X stilistisch sich auch mit B2, wozu es doch nicht gehört,
wol verbinden Hesse.
Ein drittes argument, welches etwa so lauten würde, dass der
schluss von A2 kaum das ende des ganzen gedichtes bezeichnen kann,
ist nicht acceptabel, da wir nicht wissen, ob A etwa fragmentarisch
war, und da der sagaschreiber das gedieht nicht bis zum Schlüsse be-
nutzt zu haben braucht. Auch von B weiss man nach c. 29, 141 nichts
mehr, und doch ist str. 25 der Vols. s. sicher nicht der schluss von B.
Wider die Zusammengehörigkeit von X mit A spricht A2. Dass dieses
stück mit teilen von c. 27 in unzweideutigem Zusammenhang steht,
wurde oben ausführlich nachgewiesen, und mit einem teile von c. 26
winde ein Zusammenhang wenigstens wahrscheinlich gemacht. Ferner
bildet der satz, mit dem A2 anhebt, die unmittelbare fortsetzung zu
AI; wir erkannten also eine einheitliche, richtig zusammenhängende
quelle für die nicht aus B stammenden teile von c. 26 — 29, 141. A.2
lässt sich also von A 1 in keiner weise trennen. Aber \ lässl sich
zwar an AI, nicht aber an A2 anschliessen. Es macht einen wunder-
lichen eindruck, nachdem Brynhildr dem Gunnarr in Leidenschaftlichen
weiten seine minderwertigkeit vorgeworfen und sich in ziemlich red-
seliger weise darüber beklagt, dass sie Signier nicht zum manne hat
(29, 39fg.), nachdem sie sogar versucht hat, Gunnarr zu töten, sie nun
plötzlich an sein ehrgefühl appellieren zu sehen. Auch ist nach der
in A2 vorangegangenen scene Gunnars traue in \ (c. 2!», L45), was ihr
478 bobb
fehle, Dichte weniger als verständlich. Aus B stammt die frage Dicht,
denn schon die vorhergeheode mitteilung, Brynhildr sei jetzt im tande
zu reden, welche SigurtSr dem Ghinnarr macht, i-t nur ein bindeglied
zwischen B2 und X. und vom sagaschreiber wird sie auch nicht her-
rühren, denn er musste doch wissen, dass der grund von Brynhilds
/.luii dem Gunnarr schon bekannl war. Die frage setzt, wie schon
betont wurde, voraus, dass die gatten nach der eotdeckung des Geheim-
nisses noch nicht miteinander gesprochen haben; die quelle, welche von
dieser Voraussetzung ausgieng, kann also nichts gewesen sein, wenig-
stens wenn A ein einheitliches gedieht war.
Wenn ich aus diesen gründen nicht /.andre, X von A zu trennen,
so iniiss hier doch bemerkt werden, dass auch A2 Dich! einwandfrei
ist. Der kurze stil, der A 1 und X auszeichnet und der Heusler be-
stimmte, diese beiden stücke mit Brot zu einem ganzen zu verbinden,
fehlt wenigstens bei einem teil von A2. Hier hält Brynhildr gleich
am anfang eine lange rede, welche zu den repliken in AI in keiner
Proportion steht. Diese rede ist auch inhaltlich nicht ganz unanstössig.
Es würde schon oben s. 466 bemerkt, dass Brynhildr. nachdem sie
nach dem ringe gefragt, sofort vom thema abbiegt, um der einzelheiten
der brautwerbung zu gedenken. Auch lässt sich wenigstens an einer
stelle ein gewisser Widerspruch nicht verkennen. Nach dem zu A ge-
hörigen teil von c. 27 hat Gunnarr die erlaubnis, Brynhildr zu besitzen,
wenn er das feuer durchreiten werde, von ihrem vater (z. 43; oh fostra
fügt hier der sagaschreiber nach B hinzu) bekommen. Aus z. 51 geht
ferner hervor, dass Brynhildr nicht wusste, dass die Gjükungar bei
ihrem vater gewesen seien; nur die allgemeine bedingung war ihr bekannt.
Dazu stimmt, dass Brynhildr in A2 (z. 23) sagt: das versprach ich
daheim bei meinem vater, dass ich nur dem besten der beiden gehören
würde, und das ist Sigurör (heima cd feftr mins correspondiert mit meü
jäyrfti feftr phis).
Aber in A2 begeht Brynhildr eine tautologie, und zwar gibt sie
beide male nicht ganz dieselbe Vorstellung von der sache. Sie hat mit
BuMi eine Verabredung für einen bestimmten vorliegenden fall gemacht,
nachdem nämlich die Gjükungen ihren vater mit krieg bedroht haben.
Das steht mit der Vorstellung, dass sie von der ankunft der freier nicht
unterrichtet war, in Widerspruch. Es ist derselbe Widerspruch, den die
Skv. sk. zeigt, und der die meisten Herausgeber veranlasst bat, aus diesem
liede str. 36 — 38 zu streichen.
Also passt ein teil der rede der Brynhildr in A2 doch nicht richtig
in den Zusammenhang von A. leb bemerke im vorübergehen, dass
ZUR YQLSUX&A SAGA
479
durch die ausscheidung dieses teiles, etwa z. 7 — 22 (Bu. 150, 5 — 20),
doch für X kein auschluss gewonnen würde; — aus den unvollkoru-
menheiten von A2 lässt sich also zu gunsten der Verbindung AX nichts
schliessen; — der stil von A2 aber würde dadurch mit AI mehr in
einklang geraten. Aber wo soll man mit diesem stücke hin? Zu B
gehört es auf keinen fall; das verbietet schon der unmittelbare auschluss
von B2 an Bl; ausserdem kennt B nicht BuÖii sondern Heirnir als
Brynhilds pfleger. Für die lözeilen eine unabhängige quelle anzunehmen
geht auch nicht an, um so weniger, als derselbe Widerspruch, den A2
aufweist, auch aus der Skv. sk. bekannt ist. Mir scheint, es bleibt nur
die annähme übrig, dass die Strophen, auf denen dieser teil von Bryn-
hilds rede beruht, zwar in A standen, als die saga geschrieben wurde,
aber daselbst aus einem verlorenen liede interpoliert waren1.
Beachtung verdient ein gewisses Verhältnis von A zu Skv. skamma.
Wenn oben c. 26 richtig beurteilt wurde, so stimmt der anfang von A
mit dem anfang dieses liedes überein. Ferner wurde in A eine wahr-
scheinliche interpolation erkannt, deren Inhalt mit dem einer scheinbaren
interpolation in der Skv. skamma fast identisch ist. Das scheint darauf zu
deuten, dass eines der beiden gediente das andere stark benutzt hat.
wo nicht nach dessen Vorbild gedichtet worden ist. ich zweifle nicht
daran, dass A das ältere ist. Wenn das richtig ist, so wurde die Skv. skamma
gedichtet, nachdem jene interpolierten Strophen schon in A aufgenommen
waren2. Diese beobachtung dürfte ein letztes moment für die beur-
teilung des Verhältnisses zwischen A und X + Brot abgeben. Denn
zsvischen Brot und der Skv. skamma lässt sich ein ähnliches Verhältnis
constatieren wie zwischen A und diesem liede. Auch hier ist Brol das
ältere gedieht, die Skv. skamma der entlehnende teil. In Brot sind str.8 — 9
ein zusatz, und eine nahe Variante dieses Zusatzes kohrt in der Skv. skamma
(str. 18) wider. Das ist allerdings das wichtigst»1 argument für die
einheit von A und X -f- Brot. Doch scheint es, dass die schwierig-
1) Der oben s. 470 betonte Zusammenhang dieser zeüen mit einer stelle in dem \
zugewiesenen teile von c.27 (z. 54— 56, Bu. 146, L— i> bleibl zwar bestehen, doch sehe
icli keinen grund, zugleich mit jener auch diese stelle für auf einer interpolation be-
ruhend anzusehen. Dort ist die rede von direoten kriegerischen zurüstungen wider
die Gjükungen, bier von Brynhilds kriegerischer natur im allgemeinen und ihren frü-
heren heldentaten. Die stelle, wo ihre walkyrennatur sich im unzweideutigsten lichte
zeigt, kann aber für die aufnähme jener Strophen in A von bedeutung gewesen sein.
2) Die betreffenden Strophen in der Skv. skamma waren dann oichl eigentlich als
interpoliert zu betrachten; ihr widersprach inil ihrer Umgebung würde sioh daraus er-
klären, dass ihre quelle fremde zusätze enthielt.
nohk
keiten, welche sich einer solchen auffa ;ung entgegenstellen, diese sonst
auf der band Liegende folgerung verbieten.
Ich komme zu dem chlusse, da c. (23. 24) 26 29 der Vojsunga
saga auf zwei liedem beruhen, welche der aj ischreiber abwechselnd
benutzl hat Auf dem kürzeren liede (A) beruhen: ein kleiner teil von
c. 26 (etwa z.36 52, Bu. s. L43, 7 23), aus c. 27 /.. I l. t2 | 10] 60.
70— so [82?] (Bu. s. I II. 6 9. 145, 17 [16?] 1 16, 7. 1 16, 23—147, 2
|l 5?]). Von c. 28 /. 1—10 (Bu. s. N7.0 21). Von c. 29 z. I 18
(Bu. s. 150, 2 151, 17); darin /.. 7—22 ein zusatz. Möglichere
hören noch hierher (■.•_".), 149- 1 r> 1 (Bu. s. 154,27 155,5) und Brot
In diesem fall ist der Zusammenhang verderbt. Wahrscheinlicher hebl
mit c. 20, 149 (.'ine neue quelle (X Brot) an. Der schluss von A
blieb dann wie der sehluss von B vom sagaschreiber unbenutzt.
Aul B beruhen die übrigen teile von c. 20—29 und wahrscheinlich
c. 23 — 24. Wenn die bezeichnung Sigurfcarkvröa en mein für eines der
verlorenen lieder richtig ist, so kann dieselbe nur auf B anwendung finden.
Fragt man, wie die beiden gediente sich den in dieser Zeitschrift
35, 289 fgg. besproehenen fragen gegenüber verhalten, so gesellt sich A
zu der gruppe, welche die zweite hauptform (Sigurfcr gewinnt die braut
für einen anderen) repräsentiert (Brot, Skv. sk., namentlich Helreio).
Den vufrlogi stellt das gedieht wie die übrigen älteren lieder, welche
sagengestalt sie auch repräsentieren, als einen wall dar, der die braut
von dem contacte mit der aussenwelt abschliesst; nur eine inter-
polierte stelle fasst ihn als eine maschinerie auf, über weiche sie frei
verfügt.
B ist der hauptrepräsentant der weniger umfangreichen jüngeren
schiebt, welche die beiden hauptformen der sage biographisch con fa-
muliert und dabei die erste hauptforni zu einer Verlobung umgestaltet.
Aus dieser lässt B den flammenritt weg, in der zweiten form bewahrt
es denselben. Die auffassung ist die folgende. Aus c. 27, 7 — 9: kvax
(Heimir) pal hyggja, at pann ehui mundi hon eiga vilja} er ribi eld
brennanda Lässt sich wol schliessen, dass Brynhildr die bedingung,
dass der flammenwall durchschritten werde, selbst gestellt hatte; nach
z. 9 — 10 befindet sie sich jedoch schon vor der ankunft der beiden inner-
halb des vafrlogi, und auch aus z. 72 geht hervor, dass sie wenigstens
den Gjükungen und Sigurör die aufgäbe nicht persönlich gestellt hat.
Die auffassung des flammenwalls bildet also hier die brücke von der
älteren auffassung in A zu der jüngeren in der interpolation in A2;
zusammen bestätigen die beiden lieder die a. a. o. zur geltung gebrachte
auffassung der entwickluug der poetischen motive.
ZUR VÖLSUNGA SAGA 4SI
Excurs.
Der Andvaianautr.
Es wurde oben bemerkt und ausgeführt, dass die Vorstellung-,
nach welcher SigurÖr der Brynhildr in der verhängnisvollen nacht den
ring Andvaianautr nahm, auf B beruht. Das ist so zu verstehen, dass
der sagaschreiber eine abweichende Vorstellung von A unter dem ein-
fluss von B dahin geändert hat, dass er den ring, der in A nicht so
hiess, Andvaranautr nannte. Damit soll aber keineswegs gesagt sein,
dass der ring in B Andvaranautr hiess. Die stellen, welche für die
autt'assung des ringes in beiden gedichten in betracht kommen, sind
die folgenden:
Für A. 1. Skäldskaparmäl (Sn. E. I, 362). Gudrun zeigt der Bryn-
hildr einen ring, den SigurÖr ihr genommen, und zeigt auf den And-
varanautr an Brynhilds arm.
2. Vols. s. c. 28. GuÖrün prahlt mit dem Andvaranautr, den SigurÖr
der Brynhildr genommen hat.
3. Vols. s. c. 29. Der ring, den SigurÖr der Brynhildr nahm,
stammt von BuÖli.
Zieht man in betracht, dass A keine vorverlobung kannte, so ge-
nügen diese drei stellen zum nachweise, dass die darstellung der Snorra
Edda die richtige ist, dass nämlich SigurÖr nach A der Brynhildr den
Andvaranautr gab und ihr einen anderen ring nahm.
Für B. Nur eine darstellung, in der jedoch an zwei stellen von
einem ringe die rede ist, und zwar:
1. Vols. s. c. 24. Sigurör gibt Brynhildr einen goldenen ring.
Der name des ringes wird nicht genannt.
2. Vo,ls. s. c. 27. SigurÖr nimmt der Brynhildr den Andvaranautr
und gibt ihr an dessen stelle einen anderen ring <i[ TFdfnis arfi.
Solange man annimmt, dass die quelle von c. 21 nicht die quelle
von c. 27 ist, ist die einfachste erklärung dieser berichte diese, da>s
das gedieht, auf dem c. 24 beruht, den namen des ringes nicht nannte,
dass aber die quölle von c. 27 davon ausging, dass Sigurör früher der
Brynhildr den Andvaranautr gegeben hatte. Nach dem vorhergehenden
kommt mir diese erklärung verwerflich vor. Wir müssen davon aus-
gehen, dass beide stellen auf demselben gediente beruhen. Unter solches
umständen ist es aber sehr auffällig, dass zwar c. 27 aber nicht c 'I
den Andvaranautr nennt. "Wenn der dichter von 1! der ansieht war,
Sigurör habe hei seinem ersten besuche seiner geliebten den Andvara-
ZEITSCHWFT F. DEUTSCHS PHILOLOGIE. BD. w\v ".I
182 boi i-. zi i
nautr gegeben, ihn ihr aber beim zweiten besuche widerum genommen,
so würde man erwarten, dass er den namen des ringes mitgeteill hätte,
als er ilm zuerst in die erzäblung einführte. Wenn er aber an den
Andvaranautr nicht gedacht hat, bo gibt die stelle c. 27 den inhall der
entsprechenden stelle des gedichtes nichl richtig wider, und die ab-
weichung erheisch! eine erklärung. Diese erklärung bietel nun c. 28.
Die stelle in c. 27 steht in der saga anmittelbar vor der aui A
beruhenden scene am Busse. A aber kannte den Andvaranautr. Au
diesem umstände in Verbindung mit dem schweigen von c. 24 schliesse
ich, dass der harne des ringes vom sagaschreiber aus A in B übertragen
werden ist. Die tätigkeit <]<■< sagaschreibers war demnach die folgende.
Als er c. 24 schrieb, fiel A noch nicht in seinen gesichtskreis. Seine
quelle (B) erwähnte hier einen ungenannten ring; der sagaverfassei
übernahm die nachricht, ohne darüber nachzudenken. Als er c. 27
schrieb, hatte er schon A neben B benutzt, und er hatte die absieht,
das auch feiner zu tun. Sogar musste auf. diese scene anmittelbar ein
auftritt aus A folgen. A aber kannte in diesem zusammenhange den
Andvaranautr. Also führte der sagaschreiber c. 27 den namen des ri>
ein. Aber nach c. 24 konnte der Andvaranautr nur der ring sein, den
Siguror früher der Brynhildr gegeben hatte, und das teilte er nun c. 27
mit. Zu gleicher zeit nahm er c. 28 auch bei A die entsprechende
änderung vor.
Die ursprüngliche Sachlage ist demnach die, dass nur eine quelle
(A) den Andvaranautr kennt als den ring, den SigurÖr bei seinem
ersten und einzigen besuche, als er für Gunnarr um sie freite, der
Brynhildr gab. Von anderen quellen weiss B zwar von einem ring,
aber dieses gedieht nennt keinen namen; eine dritte quelle, die para-
phrase der Sigrdrifumäl (V\>ls. s. c. 22) erwähnt gar keinen ring; ein
solcher hätte auch für diese sagenform gar keine bedeutung.
Ich glaube, dass B, obgleich das gedieht sonst das produet sehr
junger combinationen ist, hierin auf einem ursprünglicheren Standpunkte
als A steht. Nach der Verbindung der Nibelungensage mit der sage
von der befreiung der götter aus der haft der zwerge durch das gold
des Andvari entstand eine stets zunehmende tendenz, diesen schätz und
speciell den mit dem fluche behafteten ring als für den beiden ver-
hängnisvoll anzusehen. Es ist demnach nicht richtig zu verstehen, wie
der ring, nachdem ihm einmal eine solche rolle zuerteilt worden war,
widerum aus der Überlieferung hätte verschwinden können. Da wir
nun nicht den verhängnisvollen Andvaranautr, sondern den namenlosen
KAUFFMANN, ZUR FRAGE NACH DEN QUELLEN DES OPUS IMPERFECTTM. t83
ring als erkennungszeichen auch aus der deutschen Überlieferung kennen,
fallt es gar nicht auf, dass dieser ring auch in der skandinavischen
Überlieferung auftritt. Jüngere sagenbildung hat diesen ring mit dem
Andvaranautr identificiert.
Dass der zweite ring, den Sigurör der Brynhildr an stelle des
Andvaranautr gibt, gleichfalls aus Fäfnirs nachlassenschaft stammte, wird
eine hypothese des sagaschreibers sein.
SOESTDIJK. R. C. BOER.
ZUR FRAGE NACH DEN QUELLEN DES OPUS
IMPERFECTUM.
In A. Hilgenfelds Zeitschrift für wissenschaftliche theologie jahrg. 46
(Leipz. 1903) veröffentlicht soeben H. Boehmer-Romundt eine umfang-
reiche Untersuchung „Über den literarischen nachlass des Wulfila und
seiner schule". Es wird sich wol noch gelegenheit bieten, auf die
einzelnheiten dieser bemerkenswerten publikation einzugehen. Für den
augenblick liegt mir daran, eine das Opus imperfectum betreffende be-
hauptung zu beleuchten. Boehmer-Romundt hat sich bemüht, über
die hauptsächlichsten quellenschriften ins klare zu kommen, die dem
Verfasser des Op. imp. vorgelegen haben. Er ist zu dem ergebnis ge-
langt (s. 376): „nur eine seiner vorlagen können wir noch mit Sicher-
heit nachweisen, den commentar des Hieronymus aus dem jähr 3981."
Verhielte es sich so, dass im Op. imp. der Matthaeus- commentar des
Hieronymus benutzt wurde, dann wäre auch die fernere these stich-
haltig: „Dieser commentar ist nachweislich im märz-april 398 geschrieben.
Mithin ist unser werk frühestens um die wende des 4. und 5. jahrb.
entstanden'1 (s. 390).
Auch ich habe mich mit der frage nach den quellen des Op. imp.
beschäftigt und bin mit den stellen vertraut, die B. -R. zu seinen gunsten
ins feld führt. Das matorial hat mich aber nicht zu denselben schluss-
folgerungen genötigt, scheint mir überhaupt nicht geeignet zu sein, um
eine quellenmässige abhängigkeit dos Op. imp. von dem Matthaeus -com-
mentar des Hieronymus sicher zu stellen.
Man hat sich zuerst darüber zu vergewissern, wie der verl. des
Op. imp. mit seinen quellen verfährt. Zu dem /.weck greife ich zwei
einwandfreie stellen heraus.
1) Zur datierung vgl, Grützmaoher, Bieronymua L, 67.
;i
IM
K \ I PI
< >|>. i in j). |». <)•_'<;.
(Tarnen cum multa ge i ei impie
hie Manasses), adduxil super eum
deus prineipes \ irtutis regi A iir
ei comprehenderu.nl Manassen in
vineulis ei ligaveru.nl eum in com-
pedibus et perduxerunl eum in Ba-
byloniam et erat ligatus et catena-
tus in domo carceris et dabatur
i'i hordeaceus panis ad mensuram
modicus et aqua cum aceto modica
ad mensuram, ut vivoret tantum
et erat constrictus et in doloribus
valde. et ideo cum vehementer
affligeretur, quaesivit faciem domini
dei sui et oravit deum [quae oratio
extat] ei exaudivit dominus vocem
eius et misertus est ei. et facta
est circa eum flamma iguis et li-
quefaeta sunt omnia vineula eius
et liberavit dominus Manassen ex
omni tribulatione eius et reversus
est in Jerusalem in regnum suiini
et cognovit dominum Manasses di-
cens: ipse est solus deus. et servivit
soli domino deo in toto corde suo
et in tota anima sua omnibus die-
bus vitae suae et reputatus est
iustus.
Op. imp. p. 632.
Pqstquam autem rediit a peregre
post tot menses et invenit eam
gravidam manifeste, forsitan et cor-
poraliter comminatus est quasi
• lonstitutionesapostolorum [1.22.
mal '///<<]! /i'oi,,j :'.i (/i'in, im-
cir/nriuj //, dwduetÜQ i>,i ßüOi
/.t>>: ' faao'ÖQ, mal xaxeXdßovxo i">
Mavaaaffv ■ i deofioig Aal edyoai
avxbv ev rceöaig yakmaig /m ,
yov avxbv elg BaßvX&va' mal iti i
uevog mal maxaaeaidrjgtofzi voq '<<:
\n7jn gfvÄamfjg mal edtdoxo avxt
iiii'uioy t'ujuu BV niidhin] luir/i ^
/m VdtOQ i'ii i,:;i oklyOV tum lii
avxbv, mal fy> oweyj&ui vog mal ödi
viof-ievog <><j 6doa. mal d/gßiaiatg e&Xi
ßy, eCforiae xo TtoöowTtov mvolov tot
,'ltor KL/ oi" . . . mal 7tooorr6^axo ngög
mÖQiov tbv S-eov - mal ■-.//
y.uroi tfjg gxüvfjg avxo€ mtfoiog xal
cpmTeiorjOsv avxöv. mal eyevexo setoi
avibv cfXbB, sevoog, xal exdmnaav
itdvxa xä jieol avxbv oiör^a- mal
idaaxo mvoiog xbv M.avaoofp> ex
xfjg ÜXLipELog aviov mal ETikaxoe-
ipev avibv elg *Ieqovüu/.iu enl nv
ßaaikeiav aviov. mal eyvto Ma-
vaao-fjg on mvqiog aviog ton -3-ebg
(.idvog mal ekdxqsvoe tubr<;> y.roi<;>
xcö &£co tv oh] maodla aviov mal
ev olfl xfj il'oyfj aviov jcdoag tag
tj/LiEQag xfjg Ccofjg aviov mal eko-
yioSiq ölmaiog.1
Protevangelium Jacobi c. 13fg.
i'l'hr 'Iwcrjq) mcb xtöv oly.odof.ion1
avxofv.. mal eöqev avxrp wymo)[ie-
vrtv... mal emdXeae n)v Maoiäj.1
mal eucev avirj M£U£?^LiEvri xqS
1) Cotelier bei Migne SG 1, 645 fgg. Sabatier zu 4 Eeg. 20, 1. Vgl. Didas-
kalia ed. Bunsen, Analecta Anti-Nicaena 2, 253. E. Nestle, Septuagintastudien in
(zum gebet Manasses) Stuttg. 1899. Boehmer - Romundt s. 375 anm. Die altlateiuiscbe
Übersetzung kommt anscheinend nicht in betracht; vgl. Haiders ausgäbe p. 34, 6 — 15.
ZUR FKAGE NACH DEN QUELLEN DES OPUS IMl'KIM
485
sponsus et de iudicio terruit eam
quasi vir timoratus. illa autem
cum videret se innocenter in sus-
picionem criminis decidisse nee
posse se iam excusare, testirnoniu
ventris convietam, cum lacrimis
et suspirio clamans iuravit di-
cens: vivit dominus, nescio unde
sit hoc. quo audito, timuit valde
Joseph et ex parte credidit, in ea
aliquid esse divinum.
Liegt bei der entlehnung aus den Apostolischen Constitutionen eine
genaue Übersetzung vor, so hat der verf. des Op. imperf. aus dem Prot-
evangelium Jacobi zum teil wörtlich übersetzt, zum teil seine vorläge
gekürzt.
Vergleichen wir nun die parallelstellen aus dem Op. imp. und dem
Matthaeus-commehtar des Hieronymus, so dreht sich das Verhältnis um:
Op. imp. hat die ausführlichere und Hieronymus die kürzere Fassung.
Wörtliche Übereinstimmungen sind nicht oder nur spärlich wahrzuneh-
men. Ich gebe einige beispiele:
&€(p zi ToiTo sjtoirjuag mal Itce-
?M&OV Y.VQIOV TOV $£OV OOV\ . . . l]
ds t/'/.aiae 7tiy.qwg Xiyovaa oxi /.a-
S-aQcc eiiu iya v.ai avdga or yi-
vwo/A'). v.<d ei7tev 'Ltoorjcp UoS-ev
oiv iorl rö ev Tft yaotoi aov\ /
de eirtev: l"/~ /.i'otog ö &e6g fiov,
OV yiVWGYAO 7l6d-tV lözl TOllO . . .
ytal Icpoßiförj 'Icoorjtp arpödga . . .
cpoßovfxai f.i)'j Ttojg ayyü.i/.öv [Icyiov
var.) sgti tu h> avTfj. '
Op. imp.
p. 635 Quidam ex hoc verbo
putant, quocl Joseph donec peperit
quidem non illam habuit in coneu-
piscontia, postca autem cognovit
eam et filios peperit unde et Chri-
stum primogeuitum dicit, quia ille
dicitur primogenitus, quem alii
Eratres sequuntur.
p. 645 omnes prineipes consen-
serunt Eerodi, ut requireret pue-
rum ei oeeideret.
p. 646 dum dicit: per prophetas
nun prophetam, manifestal quöd
nun certam auetoritatem prophe-
ti.it- protulitj sed sensum prophe-
tarum colligens dixit.
Hieron v m u 3,
p. 25 ex hoc loco quidam per-
uersissime suspicantur et alios
filios habuisse Mariam dicentes pri-
mogenitum non dici nisi qui habeat
et fratres.
p. 28 imn soium Eerodes sed ei
sacerdotes ei scribas necem domini
Euisse meditatos.
p. 28 pluraliter prophetas voraus
ostendil se nun verba de scripturis
sumpsisse seil sensum.
1) Evangelia apoerypha sd. Tisohendorf p. 24 26. Prolegg.p. \W'I. Boehmer-
rnrundt s. 374.
186
KAUF]
j). 658 modo Interim sine: os-
fcendil quia postea Christus bapti-
/;ivi( Joannem, quamvis in secre-
tioribus libris manifeste I scriptum
sit. et Joannes quidem baptizavii
illum in aqua, ille autem Joannem
in spiritu.
p. 659 non rupta est ei ipsa
creatura caelorum, scrl per baptis-
nium oculi sensus eius aperti sunt.
p. 665 in sequontc domino non
infirmitas sed patientia est, in du-
centc autem diabolo non virtus sed
superbia, quia volentem Christum
non intelligens quasi invitum
ducebat.
p. 666 non do Christo dictum
est tantum, sed de omni nomine
iuxto quorum personam Christus
suseepit.
p. 671 propter honorem potes-
tatis.
p. 689 qui ergo doctor est . . .
si vel levia haec peceaverit, ni-
hil Uli prodest sacerdotalis dignitas
eins, sed proiectus a primo eccle-
siastico choro fit inter eos qui nee
in poena sunt . . .
p. 694 sed ne forte homines
humanae naturae mysterium igno-
rantes . . . aestiment Christum quasi
itnpossibilia ista mandantein.
p. 712 omnes qui sunt super
terram, solius dei facient uolun-
tatem, sicut angeli omnes in caelo.
p. 722 non dixit: nemo potest
habere deum et divitias, sed: nemo
potest dei esse servus et divitiarum.
aliud est enim habere divitias, aliud
I». 30 sine modo, a\ o t< oderel
i liii -tum in aqua, Joannem a
Christo in spiritu baptizandum.
p. :;i aperiuntur caen' nun rese-
ratione elementorum, sed Bpirituali-
bus oculi-.
p.31 non ex imbecillitate domini
venit, sed de inimici superbia, qui
\oluiilatein salvatoris necessitatem
putat.
p. 32 non de Christo, sed de
viro saneto prophetia est.
p. 33 ut victoris dignitas com-
probetur.
p. 36 (possumus autem et aliter
intelligere) quod magistri eruditio
etiamsi paruo peccato obnoxius sit
deducat eum de gradu maximo.
p. 41 multi . . putant esse impossi-
bilia quae praeeepta sunt.
p. 43 quomodo angeli tibi in-
culpate seruiunt in caelis, ita in
terra seruiant homines.
p. 45 non dixit: qui habet divi-
tias, sed qui servit divitiis. qui
enim divitiarum servus est, divitias
custodit ut servus, qui autem servi-
ZUIJ FKA.GE NACH DEN' QUELLEN1 DES OPUS [MPEBJ
487
tutis excussit iugum, distribuit eas
ut dominus.
autem servire divitiis. si habes
divitias et divitiae illae non te
faciunt süperb um aut violentum,
sed secundum quod potes, das im-
potentibus, dominus es divitiarum
tuarum non servus, quia non
te divitiae tuae tenent, sed tu
divitias tuas. si autem divitiae
tuae süperb um te faciunt aut vio-
lentum et constrictus avaritia nemini
aliquid praestas, tunc servus es
divitiarum tuarum, non dominus,
quia divitiae tuae te tenent, non
tu divitias tuas.
p. 743 non dixit illis: discedite
a me qui operati estis iniquitatem,
sed: qui operamini; quia iniqui nee
post mortem desinunt esse iniqui,
quia etsi peccare non possunt,
tarnen peccandi proposituni tenent.
p. 751 humilitatem, quia nee in
domo sua Christum suseipere dig-
nura se esse existimavit. fidem,
quia credidit eum posse quod petiit.
sapientiam; quia divinum thensau-
rum absconditum in agro terreno . . .
nullo demonstrante prospexir.
Diese reihe von parallelstellen dürfte genügen. Es isl evident,
diiss diese darlcgungcn des ()p. imp. nicht direkt aus dem werke des
Hieronymus herstammen können. Ist dies ausgeschlossen, so müssen
beide aus derselben älteren quelle geschöpft hahen.
Nun ist bekannt, wie Hieronymus bei herstellung seiner commen-
tare verfahren ist: his commentaries are mostly compilations Crom others
(Diction. of Christ. , biography 3,49. Bardenhewer, Patrologie s. 133).
Speziell den commentar zum Bfatthaeus hat er in II tagen in höchsl
flüchtiger fassung diktiert (cfr. Epist. 7."», 10). Wer wollte in diesem
weik nach selbständigen combinationen fahnden?
Quellenmässige abhängigkeil des Op. imp von dem elaboral des
flieronymus wäre nur bei wörtlicher Übereinstimmung umfang-
p. 49 non dixit: qui operati estis
iniquitatem, oe videretur tollere
poenitentiam , sed: qui operamini;
hoc est qui usque in praesentem
horam cum iudicii tempus advenerit
licet non habeatis facultatem pec-
candi, tarnen adhuc habetis affectum.
p. 51 fidem in eo, quod credidit
ex gentibus paralyticum a saluatore
posse sanari. humilitatem, quod
se iudieavit indignum, cuius tec-
tum dominus intraret prudentiam,
quod intra corporis tegmen divini-
tatem latentem uideret.
ISN KM II
reicher partien zu erweisen. Wenn Boehmer-Romundl 376 be-
hauptet, uns dem Matthaeuscommentar des Hieronymui habe dei rerf.
des Op. imp. stillschweigend gros e abschnitte meisl ganz wörtlich
;d>gosohriohon, so fohlen hierfür die belege. Boehmer-Romundl hal nur
die eine partie p. 7!)() beigebracht. Damii hal es aber eine besondere
bewandtnis.
Ks handelt sich am die parabel Matth. KU, 43 ff. (cum immundu
spiritus exierit ab nomine). Im Op. imp. wird folgendes au geführt:
der anreine geisl verlüssl don nionsehon, wenn or auf den Damen
Christi getauft wird. Der unreine seist treibt sich anter denen um-
her, die noch nicht taufe und bekenntnisforme] empfangen haben (aut
gentiles aut catechumeni) ; er wütel aber am schlimmsten in den b
Christen, die don heiligen geist nicht in sich haben: rerum experwnmta
nos docent, <//i<>»todo Christianus si malus evaserit peior sit quam si
fuisset gentilis. Aul' diese werte folgt unmittelbar die verblüffende be-
merkung: haec jiarabola melius intelligitur de Judaeis et gentüibus.
Mit andern worten: jene ausführungen seien nicht haltbar. AJso nicht
der verf., sondern ein interpolator hat hier das wort und dieser, nichl
jener hat die von Boehmer-Romundt angezogene stelle aus Hieronymus
abgeschrieben. 1
P. 791 wird fortgefahren, als wäre das interpolierte Zwischenstück
nicht vorhanden, und als gälte es, den eigentlichen typus des bösen
Christen, den ketzer, zu brandmarken. Auch diese stelle findet bei
Hieronymus ihre entsprechung, aber die unmittelbar aufeinanderfolgen-
den partien, die jüngere interpolation und die ausführungen dos alten
autors ergeben merkwürdige contraste, wenn wir sie mit den parallel-
stellen des Hieronymus vergleichen.
Op. imp. Hieronymus.
p. 790 interpoliert: (haec parabola
melius intelligitur de Judaeis et gentüibus)
ex eo enim imod finita vel parabola vel p. 83 ex eo ciiim quod finita vel para-
exemplo sequitur dicens: sie erit genera- bola vel exemplo sequitur: sie erit et
tioni buic pessimae compellitur ad popu- geuerationi liuie pessimae, compellinror
lum Judaeorum referre parabolam, ut (non ad haereticos et quoslibet homincs
intellectus loci non vagus aut instabilis sed) ad Judaeorum populum referre para-
iu diverso flexu atque contradictionibus bolam ut contextus loci non passivus et
aliquorum turbetur, sed firmus et stabilis vagus in diversum tluctuet atque insipien-
vcl ad priora vel ad posteriora respon- tium more turbetur sed haerens sibi vel
1) Ebenso verhält es sich vielleicht mit der glossc: mammonae com syriaca
lingua divitiae appellantur p. 722 = memmona scni/one syriaco divitiae nuneupantur
Hieronymus p. 44.
ZTJB Fl.'.v.i: KACH DEN "i FELLEN DES OPUS ttTPERFECTUM
489
deat. vere enim immundus Spiritus a
Judaeis exivit, quando facta est portio
domini populus ipsius Jacob funiculus
hereditatis Israel (Deut. 32, 9) vel quando
acceperunt legem, expulsus autem a
Judaeis ambulavit per aridas gentes, sed
requiem sibi non potuit invenire in eis...
non inveniens autem requiem in gentibus
dixit: reuertar in domum meam unde
exivi. habebo Judaeos quos ante dimi-
seram.
Et veniens invenit vaenam quoniam
iam dominus non erat in eis sed nee
Spiritus seeundum quod dictum fuerat de
eis: ecee relinquetur vobis domus vestra
deserta (Luc. 13, 35). videns 1 autem eos
diabolus mundatos verbis scientiae dei ab
ignorantia quasi quibusdam spiritualibus
scopis, ornatos autem observationibus legis
propterea assumens seewn septem Spiri-
tus nequiorcs sc, seeundum quod supra
tradidimus, habitavit in eis. et facta sunt
posteriora populi illus peiora prioribus
Dieser stelle ganz analog ist
p Sil Templum autem dei speluncam
facit latronum, qui lucra terrena et illi-
eita, non etiam spiritualia in animarum
salutem seetatur. eultusque religionis eo
modo non tarn eultus dei est quam iniquae
i otiationis occasio. nain quotidie in-
greditur Jesus in templum suum (id est
in sanetam ecolesiam) ei eiicil omnes ven-
dentes gratiam dei de ecclesia episcopos
presbyteros diaconos omnesque ecolesiasti-
eos nociion et laicos, quia unius criminis
habentur pariter dei dona vendentes et
ementes, quia scriptum est gratis ac-
cepistis, gratis date.
Cathedras quoque columbas vendentium
evertit, ut lionor quoque sacerdotalis
auferri ab eis doceret, qui pro terrona
mercede opus dei Eaciendum oxistimant.
quod igitur de ecclesiasticis diximus, hoc
ad priora vel ad posteriora respondeat.
immundus Spiritus exivit a Judaeis quando
acceperunt legem et ambulavit per Loca
arida quaerens sibi requiem. expulsus
videlicet a Judaeis ambulavit per gentium
solitudines quae quum postea domino ere-
didissent ille non inveuto loco in natio-
nibus dixit: revertar in domum meam unde
exivi. boc est abibo ad Judaeos quos ante
dimiseram.
Et null äs invenit vaeantem, scopis
mundatam et ornatam. tune vadit et
assumit septem alios spi/ritus secum
nequiores sc et intrantes habitant ibi...
vacabat enim templum Judaeorum et
Christum hospitem non habebat dicen-
tem ... dimittetv/r vobis domus vestra
deserta. quia igitur et dei et angelorum
praesidia oon habebant et ornati erant
superfluis observationibus legis et tradi-
tionibus Pharisaeorum revertitur diabolus
ad sedem suam pristinam ei septenario
sibi aumero daemonum addito babital
pristinam domum et fiunt illius populi
novissima peiora prioribus.
eine zweite:
Templum dei in latronum coavertil
speemn, qui lucra 'I" religio! statur
eultusque eius non tarn eultus dei quam
negotiatimiis occasio est...
quotidie Jesus ingroditur templum pa-
tris et eiieit omnes tarn episcopos ei
presbyteros ei diaconos quam laicos ei
universam turbam de ecclesia sua ei unius
criminis babel vendentes pariter ei
tes. scriptum est enim: gratis aeeepistis,
gratis datt . . .
cathedrasque vendentium coli i
i , qui vendunl gratiam spiritus
saneti ... in cathediis magistroruin dignitas
Lndicatur, quae ad nibilum redigitur, quum
mixta fuerit luciis. quod d iclesiis
1) Vgl. hierzu im folgenden unter p. 791.
490
KAUFl
ilr mihi . nun quisque de e inti
dicit enim apostolu i U mpltvm
ili i i I !>,, ihi ,,,,< tU hul/llnl in
non : it in domo pectoris no
tiatio, nun ementium rondentiumque com-
mercia, nun donorum cupiditas, ne
diatai Jesus iratus h • qod aliter
mundet templum Buum mi flagello ad-
bibito nt de Bpelunca latronum et de
domo negotiationis domum Munis.
unusquisque de e intelligat dich1 enim
apostolu vo ' ■■/'■ templum </ri vi/vi et
apiritus sa/nctus hdbitai m vobis.
nun :-it igitur in domo peotoiis tili
negotiatio illicita. niln'l boni quod faoimus
vel faoere poi ornus adjuvante domino
appetita jactantiae faciamus nun b
lui'ii « ■ • ■ 1 1 < - 1 1 1 • i 'uiitia, .nun malarum cupi-
ditate rerum, ne ingredi&tur Jesus iratus
;idus et nun aliter omundct templum
suum nisi flagello adbibito (id est correc-
tione gravissima) de spelunca latronum
(id est de habitaculo daemonum per usum
iniquae cupiditatis) et de domo negotia-
tionis (id est de corde teiTcni lucri in-
hiante) suae faciat domum habitatioDis.
Es ist nun gewiss kein zufall, dass gerade diese aus dem Matthaeus-
commentar des Hieronymus abgeschriebenen interpolationen in den alten
handschriften des Op. imp. noch nicht stehen. Besonders bemerkens-
wert ist es, dass p. 840 fg. die alten Codices mit anführung von Matth.
XXI, 13 unmittelbar v. 14 verbinden und 840, 41 — 841, 36 nicht über-
liefern.
Bei p. 790 verhält es sich mit der Überlieferung so, dass für diesen
teil des werkes überhaupt keine alten textzeugen bekannt sind, die
aiitonticität also von vornherein strittig ist. Die abhängigkeit von Hiero-
nymus entscheidet vollends für die unechtheit, was um so eher ein-
leuchtet als in der folgenden, vermutlich echten stelle von solcher ab-
hängigkeit nicht die rede sein kann.
Op. imp. Hieron v mus.
p. 791 [Accedentes autem possu- p. 84. Quidani istum locum de
haereticis dictum putant, quod im-
mundus spiritus qui in eis antea
habitaverat quando gentiles erant
ad confessionem verae fidei eiieiatur:
postea vero cum se ad haeresim
transtulerint et simulatis virtutibus
ornaverint domum suam, tunc aliis
septem nequam spiritibus adjunetis
revertatur ad eos diabolus et habitet
in illis fiantque novissima eorum
peiora prioribus. multo quippepeiori
conditione sunt haeretici quam gen-
mus aedificationis gratia] etiam ad
haereticos transferre sermonem. im-
mundus enim spiritus, qui in eis
ante habitaverat, quando gentiles
erant, eiectus est quando facti sunt
Christian!; qui perambulans gen-
tiles caeteros et non inveniens apud
eos requiem, credentibus videlicet
seeundum tempora et ipsis in Christo,
reversus est in eos quos possederat
ante, inveniens autem eos vaeuos
a spiritu saneto, vaeuos a timore
ZUK FRAGE NACH HEX QUELLEN DES OPUS IMPERFE' TUM 493
dei et operibus bonis . . . inveniens tiles quia in Ulis spes fidei est et
eos mundatos scopis . . et ornatos in istis pugna discordiae.
institutionibus apostolicis: assumsit
secum alios Septem spiritus nequi-
ores et inhabitavit in eis et facta
sunt nouissima haereticorum peiora
prioribus. haereticos gentibus esse
peiores dubitat nemo, prinium quia
gentiles per ignorantiam Christum
blasphemabant, haeretici autem
scientes Christi laniant veritatem.
deinde quia in illis vel spes fidei
est, in istis autem incessabilis pugna
et discordia.
Für diese zweite stelle wäre denkbar, dass Hieronymus aus dem
Op. imp. geschöpft habe. Ich mache darauf aufmerksam, dass er den
ganzen passus mit quidam — putant einleitet.1 Ganz unmöglich aber ist
es, den Wortlaut von Op. imp. aus Hieronvmus abzuleiten, denn, von
allem andern abgesehen, dieser gelehrte hat den zweiten abschnitt vor
dem ersten und hat seiner darlegung noch ein geleitwort beigegeben,
das allem andern nur nicht einer empfehlung gleichsieht. Er schliessl
nämlich das citat ab mit der bemerkung: quura haec intelligentia
plausum quemdam et colorem doctrinae praeferat, nescio an
habeat veritatem. Für den vcrf. des Op. imp. bildet aber, was in
den äugen des Hieronymus beinahe eine ketzerei war, die eigentliche
Substanz seiner parabeldeutung.
Meine behauptung, der verf. des Op. imp. habe nicht den Matthaeus-
commentar des Hieronvmus benützt, sondern ein älteres werk, das auch
dem Hieronymus vorgelegen hatte, dürfte hiermit erwiesen .sein.
1) Ähnlich an anderm Ort; z. b. p. 728: tale sunt etievm Ghristiani </ni . . .
revertuntur ad vomitivm stwm .sie/// canes etc. cum quidam eanes eos intelligi
uolunt, qui post fidem Christi reuertivntur u<l vomitum peccatorum sicir.u// etc.
Hieronymus p. 47.
KIEL. - FRIEDRICH KM FEM \w
492
ZU DEN QUELLEN HEINEICH MJFRINGE]
Der erst in unseren tagen ans Lichl gezogene mittelalterliche dichtei
Heinrich Kaufringer biete! dem foi eher in mancher hinsichl rätsei,
am meisten aber in bezug auf seine quellen. Obwol ei eine anzahl von
schwanken verarbeitete, die lange vor ihm oder zu seiner zeit circu-
lierten, so liat sich doch keine einz i vorlagen mit Bicherheil
nachweisen lassen. A.ber freilich grosse anstrengungen eine quellen
aufzufinden, sind noch nichl gemacht worden. Der einzige, der sich
eigens damit befassi hat, Karl Euling, hat es mit seiner aufgäbe ei
leicht genommen. Zwölf jähre nach seiner ausgäbe von 17 gedienten
Eaufringers (1*8N) veröffentlichte er eine schon damals angekündigte
monographie über den dichter (Vogt, Germ. abhandL, XVIII. lieft, Breslau
1900), worin 52 seiten allein den quellen seiner bekannten dichtungen
(27 an der zahl) gewidmet sind, aber, mit ausnähme der gedichte nicht-
erxahlenden inhalts, hat er betreffs der quellen so gut wie nichts er-
mittelt. Zu den 19 schwanken Kauf'ringers hat er eine bald grössere,
bald kleinere anzahl von näheren oder entfernteren parallelen zusammen-
getragen, Wobei er die bekannten arbeiten von Dunlop-Liebrccht. Benfey,
Oesterley, Reinhold Köhler, Bolte, Bedier und andere in ausgiebiger
weise benützte, aber gleichwol ist es ihm nicht geglückt, von einem
schwank die quelle wirklich festzustellen. Seine Zusammenstellungen
sind zwar nicht ohne wert für die geschichte einzelner stoffe1 und auch
die von ihm beobachtete methode, für die wol ein teil der oben ge-
nannten gelehrten vorbildlich war, ist nicht zu verwerfen, aber Euling
hat in zwei dingen gefehlt: er hätte, über seine hilfswerke hinaus-
strebend, selbsttätig in der mittelalterlichen dichtung nach den quellen
suchen und öfters seine hilfswerke fleissiger und sorgfältiger benutzen
müssen. Ich führe für letzteres sofort ein beispiel an. S. 93 sagt Euling
bei dem schwank (18) 'Das üble weib', bei dem seine nachweise ganz
besonders ärmlich ausgefallen sind: „Eine ältere entsprechende quelle
Kaufringers ist nicht bekannt. Nahe steht ihr eine kurze anekdoten-
hafte lateinische fassung bei Stiefel (Hans Sachsforschungen) s. 130 . der
ohne beweis orientalischen Ursprung annimmt." Es ist wirklich
belustigend, wie Euling gerade in dem augenblick einem anderen eine
Zurechtweisung zu teil werden lässt, wo er selbst eine probe ungenügen-
der Sachkenntnis liefert. Ich hatte es gewiss nicht mehr nötig, den
1) Reichhaltige nachweise späterer bearbeitungen der einzelnen stoffe gibt Arthur
L. Jellinek in seiner besprechung der Eulingschen monographie Euphorion IX. s. 15S
bis 168.
DEN QUELLEN HEINRICH KAUFRINGERS 493
orientalischen Ursprung des schwankes zu beweisen, nachdem der so
stark von Euling benutzte Benfey es erschöpfend Pantschatantra I.
s. 519 — 534 getan hatte. Der ungemein verbreitete schwank rindet sieh
schon in der Qucasaptati (45. und 46. nacht)1. Die von Euling an-
gezogene lateinische version ist von Abstemius, wie ich 1. c. angegeben
habe (cf. Benfey s. 526), kommt bei Kaufringer also nicht in betracht.
Über anderweitige Verbreitung der erzählung und über die litteratur
vgl. Benfey s. 534. Ich würde mich mehrfach ergänzend zu Benfey
und zugleich über das Verhältnis älterer Versionen zu Kaufringer hier
äussern, wenn ich nicht wüsste, dass von anderer seite eine ausführ-
liche arbeit über den stoff in angriff genommen worden ist. — Ich lasse
gleich noch ein paar beispiele von der flüchtigkeit und ungenauigkeit
Eulings folgen. S. 91 sagt er bei dem schwank nr. 15 'Weiberlist':
„In die übrige europäische litteratur aber gelangte die altindische novelle
auf dem gewöhnlichen wege über Spanien.1' Dass Spanien „der
gewöhnliche weg" ist, auf dem die altindischen erzählungsschätze
nach Europa gelangten, ist nicht erweislich. Dieses land war durch
seine arabische bevölkerung wol einer der vermittelungswege, aber sicher-
lich nicht der gewöhnliche. Unstreitig wurden dem abendlande durch
die kreuzzüge weitaus mehr stoffe vermittelt, und seit dem Mongolen-
einfall ist mindestens ebenso viel wie von Spanien von Osteuropa her
zugeflossen. — Bei der ersten erzählung Kaufringers 'Der einsiedler und
der engel", bei der 8. 'Das glückliche ehepaar' und bei der II. fDie
unschuldige mörderin' nimm! Euling einen Zusammenhang mit den
Gesta Romanorum an. Ich halte einen solchen für vollständig aus-
geschlossen. Für nr. 14 sagt Euling selbst, dass sie „sich in einer eng-
lischen version erhalten" habe. Ich bemerke dazu, dass. genau aus-
gedrückt, die erzählung nur in einer englischen handschrifl (Brit.
Museum Add. 9066 sub nr. 77) und sonst in keiner englischen, latei-
nischen und deutschen Gesta- handschrifl zu finden ist. Ich brauche
keinem kenner zu sagen, dass jene englische handschrift viele fremde,
zu dem eigentlichen Gesta- bestände nicht gehörende stücke enthält.
Dazu ist auch die vorliegende erzählung zu rechnen sowie die unmittel-
bar darauffolgende (nr. 78), welche die bekannte erzählung vom hunde
des Aubrj (Dog of Montargis) enthält. Heide aummern und noch einige
andere haben sich in der handschrifl nicht sowol „erhalten" als viel-
mehr hinein verirrt und ihr einmaliges auftreten berechtigl nicht dazu,
1) Im „Textus sünplicior", in der Übersetzung von Richard Schinidl (Ziel 1894)
3.66 — 68. Im Textus ornatior sind es die 55. und 56. erzählung, in der übersei ong
von R. Schmidt (Stuttgarl L899) s. L32 L35
494 RTIEFKL
sie zum erzählungsschatze der Gesta Romanorum zu rechnen. Was die
beiden anderen erzäblungen anbelangt, so isl gewiss nichl daran zu
(lenken, dass der bayrisch -schwäbische volkssänger aus den lateinischen
<;. K schöpfte, denn nirgends zeigt er eine spur von kenntnis der spräche
Roms. Da aber die in betracht kommenden capitel 56 und 80 des
vulgärtextes nicht in einer einzigen handschrifl der deutschen G
Romanorum vorkommen, so muss dieses mittelalterliche fabelbuch als
quelle Kaufringers ausscheiden.
Bei solcher flüchtigkeil in seinen quellenforschungen kann läuling
nicht erwarten, dass man den darauf gebauten Schlüssen immer bei-
pflichte. So bestreitet er z. 1). moine in den Hans Sachsforschungen
s. 91 aufgestellte behauptung, dass Kaufringer in seinen schwanken
ältere dichtungen zur vorläge hatte. Die sache geht ihm so nahe,
dass er sich zweimal, s. 41 und s. 59 dagegen wendet. Wie widerleg!
er sie aber? S. 59 begnügt er sich zu sagen „es haben sich anhalts-
punkte dafür nicht ergeben; im gegonteil deutet die arbeitsweise des
dichters, wo sie zu verfolgen ist, auf prosaische schriftliche oder
mündliche quollen hin.'1 Die arbeitsweise des dichters deute auf
bestimmte quellen hin! Aus der arbeitsweise sei zu ersehen, dass er
keine dichtungen, sondern prosaische und sogar dass er jetzt schriftliche,
dann mündliche quellen gehabt habe? Alles das aus der arbeitsweise?
Ich gestehe, dass ich der dunklen rede sinn nicht erfasse. Oder meint
Euling etwa, dass soweit er bis jetzt Kaufringer quellen nachzuweisen
vermochte, es immer nur prosaische gewesen seien? Prosaische schrift-
liche wol. Aber wie will er denn mündliche quellen nachweisen? Und
damit will er mich widerlegt haben? Hält Euling überhaupt seine
quellenuntersuchungen für endgiltig in dem sinne, dass damit meine
ansieht haltlos wird? Er fasst s. 98 seine quellenforschungen in folgen-
der weise zusammen: „Kaufringers quellen sind die predigt, die reich
entwickelte mystische litteratur, das ihn umgebende leben, Zeitgeschichte
und gleichzeitige kulturzustände (?) und vor allem wandernde novellen-
und legend enstoffe, die teils durch Gestasammlungen, teils durch münd-
liche Überlieferung wahrscheinlich aus dem romanischen Süden nach
Bayern gekommen waren." Nachdem ich nur für die schwanke
ältere dichtungen als quellen annehme, ist hier alles bis auf die wan-
1) Auf der gleichen seite sagt Euling in einer fussnote: „S. 103 (der Hans
Sachsforschungen) wird er (Kauf ringer) ' Kaufering ' genannt." — Ich bemerke hierzu:
der uaine des dichters kommt in meiner arbeit sechsmal richtig und einmal durch ein
druckversehen zu 'Kaufering' entstellt vor, letzteres s. 103, nachdem er drei zeüeu
vorher richtig gedruckt steht. Was will also Euling mit der bemerkung?
ZU DEN QUELLFA* HKINBICH KAITTtlXGERS 495
dornden novellen- und legendenstoffe usw. zu streichen. Denn deutsche
predigten, mystische deutsche litteratur usw. bildeten die quellen der
nichterzählenden gedichte Kaufringers. Dass er bei diesen etwa dich-
tun gen zur vorläge hatte, kam mir nicht einen augenblick in den sinn,
behaupten zu wollen. Leider sind aber, wie ich oben sagte, mit den
([Hellen der nichterzählenden gedichte Kaufringers Eulings quellen-
ermittlungen so ziemlich zu ende. Dass die Gcsta bei dem bayrisch -
schwäbischen dichter wegfallen müssen, habe ich schon oben gezeigt.
Dass dieser gerade vom romanischen süden d. h. von Italien seine Stoffe
empfing (cf. Euling s. 72fgg.) ist nicht erweisbar. Trotz der verschiedenen
von Euling mit fleiss zusammengetragenen belegstellen über beziehungen
zwischen Italien und Bayern -Tyrol, die aber doch nur die möglichkeit
eines litterarischen einflusses vom süden her darlegen, weist eben die
ganze art der Kaufringerschen Schwankdichtung mehr nach Frankreich
als nach Italien. Natürlich ist an eine direkte einwirkung französischer
dichtungen auf Kaufringer, der in keinem seiner gedichte auch nur die
geringste bekanntschaft mit dem französischen idiom verrät, nicht zu
denken. Seine vorlagen waren meines erachtens meist deutsche be-
arbeitungen französischer fableaux, wie sie lange vor ihm in deutschen
gauen, sei es handschriftlich, sei es durch spielleute, verbreite! wurden.
Über diese fableaux und ihre nachbildungen möchte icli nur ganz kurz
auf folgende punkte hinweisen, die teils als allgemein bekannt, teils als
leicht nachweisbar gelten dürfen: Die zahl der fableaux war eine un-
gemein grosse und es ist nur ein kleiner teil davon erhalten. Eine anzahl
von fableaux existiert nur noch in jüngeren französischen prosaischen
nacherzählungen oder in älteren deutschen, italienischen oder englischen
nachbildungen. Auch von den deutschen bearbeitungen französischer
schwanke ist nur noch ein geringer teil vorhanden. Von vielen fableaux
circulierten verschiedene mehr oder weniger von einander abweichende
Versionen. Wie bei fast allen von Gallien nach Deutschland gewanderten
dichtungen, seien es grössere oder kleinere, sind auch bei den fableaux
vornehmlich litterarische quellen anzunehmen. Der prosaschwank tritt
im mittelalter gegenüber dem gereimten ganz bedeutend zurück. Seine
hauptverbreitung findet er in den predigten, in den Qesta Romanorwn
und anderen lateinischen moralischen unterhaltungsschriften , wie I>/s-
ri/dt'na ckricalis, Tntctaliis de d/'rersis historiis Romanorum (1326) usw.
Hierzu kommt noch die Historia Septem sapientum, die aber gleich
der Diseiplina clericalis in der spräche Frankreichs bald das gewand
des verses annimmt. In der rulgärsprache hat die prosaerzählung an-
fänglich wenig boden. Die Contes moralises des Nicole Bozod \\ t. Jh.),
496 STlF.n i
die dazu meisl fabeln und nur wenige chwänke enthalten, ind selbst
für die späte zeit eine ziemlich vereinzelte erscheinung. S\n »ehr I
sani entwickelte sich die prosanovelle aus der auflösung poetischer
originale, so /.. I». die novelle des L3. jahrhunderl Du rot constanl
l'empereour, die prosa Ami et Amile und dgl. mehr. Doch handeil e
sich in diesen wie ein paar anderen fällen, so bei der Contesst dt Port-
litten, heim Iloi Flore et In belle Jeanne nicht um schwanke, sondern,
streng genommen, um kleine ernste romane.
Ziehen wir die consequenzen aus diesen kurzen andeutungen für
Kaufringer, so darf wo] behauptel werden, dass seine quellen vor-
nehmlich in der von Gallion zugeströmten roichen deutschen schwank-
litteratur zu suchen sind, von der sich indes nur ein kleine]' teil er-
halten hat. Manche seiner vorlagen werden sich uns daher sicherlich
immer entziehen, während ich bei anderen die hofihung noch nicht auf-
gegeben habe, dass eifrige nachforschung von erfolg gekrönl sein wird,
wenigstens insofern als sie das einstige Vorhandensein einer solchen quelle
mit einiger Sicherheit nachweisen wird.
Was den eintluss italienischer schwanke auf deutsche erzähler an-
belangt, so ist er vor dem auftreten der grossen italienischen novellisten
um die mitte und am ende des 14. Jahrhunderts meiner ansieht mich
ausgeschlossen. Er dürfte sich in der hauptsache erst zu beginn des
15. Jahrhunderts einigermassen geltend gemacht haben. Mit Sicherheit
lässt sich daher für keine erzählung Kaufringers „der romanische Süden"
als heimat bezeichnen; es liegt auch keine zwingende notwendigkeit
dazu vor. Gleich wol will ich die möglichkeit zugeben, dass der eine
oder andere schwank, so vielleicht nr. 18 (Das üble weib) von Italien
kommend, sich in Deutschland verbreitet und Kaufringer bekannt ge-
worden sei. Eine direkte entlehnung aus der italienischen litteratur
seitens Kaufringers bleibt natürlich auch ausser betracht.
Nach Frankreich aber als ihrer eigentlichen heimatstätte weisen
meines erachtens die schwanke 2 (Der bekehrte Jude), 4 (Der bürger-
meister von Erfurt usw.), 5 (Der zurückgegebene minnelohn), 7 (Der
beichtvater als postillon d'amour), 9 (Chorherr und schusterin), 10 (Die
zurückgelassene bruch), 11 (Die drei betrogenen ehemänner), 12 (Der
zehnte von der minne), 13 (Die Vergeltung) und 14 (Die unschuldige
mörderin). Aber eines darf man dabei nicht vergessen: als Kaufringer
an die bearbeitung dieser schwanke ging, waren sie schon 1 — 2 Jahr-
hunderte in Deutschland in circulation, und dass sie sich während dieser
langen Wanderung nicht immer in ihrer ursprünglichen gestalt erhielten,
ZU DEN QUELLEN HEINRICH KAUFRINOERS 497
liegt auf der band. Wenn wir daher nicht völlig entsprechende vorlagen
für Kaufringer finden, so darf das uns nicht beirren, an der gallischen
herkunft seiner schwanke festzuhalten. Ist doch selbst für die frühere
zeit so z. b. bei den schwanken nr. 25, 26, 27, 30, 35, 41, 43, 55, 61,
62, 67 usw. des Gesammtabenteurs , deren französische abstammung
ausser zweifei steht, fast ein ebenso freies Verhältnis zwischen original
und nachbildung zu constatieren, wie bei Kaufringer.
Den schwanken von entschieden französischer abkunft kann ich —
und das ist es, was mir eigentlich heute die feder in die band drückt —
einen unter den dichtungen Kaufringers anreihen und zugleich an einem
beispiele die richtigkeit meiner oben ausgesprochenen Vermutung zeigen.
Es handelt sich um die VI. erzählung Kautringers, welche Euling 'Das
schädlein' benannt hat. Euling verweist bei diesem schwank auf
Benfey, Pantschatantra I, 331 und Landau, Qu. d. D. 86, 303 und be-
merkt dazu: „Benfey spricht den grundgedanken aller dieser erzählungen
ungefähr so aus: ,Ein geizhals liefert seine frau selbst ihrem liebhaber
aus, jedoch in der Überzeugung, dass sie aus irgend welchem gründe
- der sich nach dem geschmack und bildungsgrad von volk, zeit und
erzähler ändert — nicht genossen werden könne oder werde.' Mittel-
glieder zwischen unserer novelle und anderen bearbeitungen dieses Stoffes
stehen mir nicht zu geböte." Soweit Euling. Ich habe dagegen zu
erinnern, dass die von ihm gemeinten novellen alle von Kaufringer weit
abstehen, dass es aber eine erzählung gibt, die dem 'Schädlein' Daher
kommt als irgend eine fremde version einem Kaufringerschen schwank.
Und diese erzählung findet sich nicht in einer unbekannten handschrift
oder in einem seltenen buche, sondern in einer novellensammlung, die
Euling oft citiert, aber wie es scheint nur aus compendien kennt, in
den Cent nouvelles nouvelles. Gleichzeitig gibt es zwei italienische
novellen, die denselben stoff behandeln. Beide sind in der 1 L83
zum ersten male gedruckten novellensammlung Porretane des Sabba-
dino degli Arienti enthalten.
Es ist uns also hier gelegenheit geboten wenigstens in einem falle
festzustellen, ob Kaufringer sich mehr der französischen oder der italieni-
schen sehwankütteratur nähert, ob seine Stoffe aus dem romanischen
süden oder aus dem romanischen westen kommen, ob er mündliche oder
schriftliche quellen hatte.
Kaufringers gedieht hat folgenden inhalt: Zu Strassburg wohnte
ein reicher mann der „das aller schönste weib" hafte. „Darzu bat! die
frawe zart zueht und grosser tugett vil.u Ein ritter verliebte sieh in
ZKITSOHKLTT P. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD \\\\. 32
198 in.
die Iran und stellte ihr auf schritt und tritt nach. Die tugendhafte
bürgersfrau dadurch belästigt, klagte ihr leid ihrem manne. Die er ver-
anlasste sie, den ritter zu einem Stelldichein ins haus einzuladen,
er ilm su zu empfangen gedenke, dass er die frau ewiglich in ruhe
La 'ii werde. Kurz darauf trifft die frau den aufdringlichen wider unj,
des befehls ihres mannes eingedenk, bestellt sie ihn abends in ihr haus.
Entzücken des ritters, der Bich pünktlich einfindet und von der Iran
empfangen und in ihre kammer geführt wird. Bewaffnet mit hämisch
und schwort sass hinter einem grossen fass der bürger, des augenblicks
wartend, wo er sollte „Dein ritter fügen grosses lait". Dieser trug nur
einen „tegen an der seitten", gab aber der frau, die um ihren mann
zu ermutigen, über seine schlechte bewaffnung schalt, eine solch furcht*
bare probe seines degens und seines armes — er durchstach eine sechs-
fache eiserne platte — dass der lauschende ehemann, von furcht erfasst,
sich nicht hervorzutreten und den schrecklichen anzugreifen getraut.
Der ritter vollbringt mit der armen frau,. die sich vergebens sträubt
und vergebens das einschreiten ihres mannes erwartet, seinen willen
und entfernt sich. Nach seinem weggang fällt die frau mit heftigen
vorwürfen über ihren feigling von mann her, der sie mit der erwägung
zu beschwichtigen sucht: „Ain schädlin ist doch besser zwar dann ain
schad." Denn hätte ihn der ritter erstochen, so wäre das übel noch
viel grösser gewesen.
Diese erzählung deckt sich, von einigen nebenumständen abgesehen,
vollständig mit der vierten novelle in den Cent nouvelles nouvelles,
betitelt Le Cocu arme. Die table (des matieres) deutet den inhalt
folgendermassen an :
„La quatriesme nouuelle d'ung archier Escossois qui fut amoureux
d'vne belle et gente damoiselle, femme d'vn eschoppier, laquelle par le
commandement de son mary, assigna iour audit Escossois et, de fait,
garny de sa grante espee y comparut et besoigna tant qu'il voulut,
present ledit eschoppier qui de paour s'estoit caiche en la ruelle de son
lit, et tout povoit veoir et ouyr plainement; et la complainte que fist
apres la femme ä son mary".
Schon diese kurze inhaltsandeutung lässt die Übereinstimmung
zwischen der deutschen und französischen erzählung erkennen. Des
besseren Vergleichs halber wird es indes nötig sein, den inhalt etwas
ausführlicher anzugeben :
Ein „archier" der schottischen garde könig Karls VII. zu Tours
verliebte sich in eine bürgersfrau von grosser Schönheit und stellte ihr
ZU DEN QUELLEN HEIMUCH KAUFRINGEHS 499
eifrig nach. Belästigt durch den aufdringlichen, drohte sie es ihrem
manne, einem krämer (eschoppier) zu sagen und führte ihre drohung
auch aus. Der gatte „pour bien se vengier de luy a son aise", be-
fiehlt ihr, dem galan zum schein eine Zusammenkunft im hause zu
bewilligen, wo er ihn dann gebührend empfangen wolle. Der verliebte
Schotte auf den folgenden abend eingeladen, ist ausser sich vor freude.
Der krämer bewaffnet sich mit hämisch, heim, handschuhen und einer
Streitaxt und „va se mettre derriere ung tapis en la ruelle de son
lit et si tres bien se caicha qu'il ne pourroit eftre apperceu." Der
archier erschien, vergass aber nicht „sa grande bonne et forte espee
ä deux mains." Er fragte die frau, ob ihr mann zu hause sei, und
als sie verneinte, rief er: „Or le laissez venir . . . s'il vient je luy fen-
drai la teste jusques aux dens! Yoire . . . s'ilz estoient trois, je ne les
crains! Et apres ces .. parolles vous tire hors sa grande et bonne espee
et si la fait brandir trois ou quatre fois." Hierauf verübte er seinen
willen und der mann, eingeschüchtert durch die drohungen dos Wüst-
lings, sieht voll verächtlicher feigheit die entehruug seiner frau mit an1.
Als der „archier" seines weges gegangen, macht der verworfene seiner
frau vorwürfe. Der Schotte, der den Wortwechsel hört, kehrt unver-
züglich um, der mann verkriecht sich voll angst unter das bett, „la
dame tut reprinse et de rechief enferrce ä son beau loisir etc." Dann
geht der schreckliche endlich fort. Neue vorwürfe des unwürdigen
gatten. Die bedauernswerte frau verteidigt sich, indem sie ihm ent-
gegenhält, dass er sie ja veranlasst habe, den Schotten einzuladen. Sie
werde zeitlebens herzeleid über das ihr widerfahrene tragen, das ihr
feiger mann geduldet habe.
Sieht man von dem, was ohnehin bei der beurteilung des Stoffes
ganz belanglos ist, von der verschiedenen localisieruug bei dem Deut-
schen und dem Franzosen ab, so haben wir es in beiden Versionen
offenbar mit einer und derselben erzählung zu tun. Die französische
1) Noch weiter geht die feigheit eines ehemanns in einem schwank Eeinrich
Bebeis (Facetiae IL 17), den ich hier anführe, weil er, wenn auch von einer anderen
ide« ausgegangen, duch eine gewisse ähnlichkeii mit unserer erzählung hat.
De quodam pulcherrimo vindietae genere.
Erat qui adeo dileetam habebat vxorem, vti diceret le viuuin non poüe videre,
vt ab altern traetaretur. posl paueo tempore cum Eacerel Lter Lila per fyluani.
coactus eft ab equite quodam \t traderei >i vxorem oognolöendam, ipfeque equum
cum vestibus custodiret. Mulier ab equite rediens, inorepuil virum quod videre
potuerit lo ab alio amari. Taee inquit, n;im et ego clam tunioam eins in partes
difeidi. Haue ille vindiotam oum vxoris pudicitia compenfauii
500 STIEFEL
darstellung zeig! gegenüber der deutschen eine kleine erweiterung i i » —
sofern., als der Wüstling nochmals zurückkommt und der ehemann sich
unter das betl flüchtet, und ein paar kleine abweichungen insofern, als
bei Kaufringer die (Vau den galan zur kundgäbe seiner I raft
durch ihre frage nach seiner schlechten bewaffhung reizt, während bei
dem Franzosen der Schotte durch seine frage nach ihrem manne dazu
kommt; dann insofern als in den Cent nouvelles nouvelles der mann
zuerst seiner frau vorwürfe macht, während in dem deutschen schwank
umgekehrt die frau mit vorwürfen anhebt. Die begütigenden worte des
ehemannes und die moralische (?) lehre Kaufringers fehlen in der fran-
zösischen novelle. Im übrigen zeigen, wie gesagt, beide erzählungen
die auffallendste Übereinstimmung.
Es liegt natürlich auf der hand, dass der Verfasser der Cent nou-
velles nouvelles die schwanke Kaufringeis nicht kannte und es ist chrono-
logisch unmöglich, dass Kaufringer die Cent nouvelles nouvelles benutzte,
die beiden dichter können also nur aus einer gemeinsamen quelle ge-
schöpft haben. Wo haben wir diese zu suchen, in Frankreich oder
Italien ?
Ich will hier nicht die frage aufrollen und entscheiden, ob Antoine
de la Säle wirklich, wie vielfach behauptet wird, der Verfasser der Gent
nouvelles nouvelles ist oder nicht, und ebenso wenig, ob diese novellen-
sammlung, wer auch ihr Verfasser sei, tatsächlich aus Sacchetti und
Foggio wie man angibt, stoff'e entlehnte und ob nicht vielmehr die
Übereinstimmung zwischen den Cent nouvelles nouvelles und den beiden
Italienern auf die gemeinschaftliche benutzung älterer französischer vor-
lagen zurückgehe: ich will aber einen augenblick annehmen, dass die
Cent nouvelles nouvelles, bekanntlich 1462 beendigt, wirklich ausser
dem Decamerone noch andere Italiener zu Vorbildern und quellen hatte.
Es kann sich dann doch nur um die bekannten älteren novellisten,
also um die Cento novelle antiche, um Sacchetti, Ser Giovanni
Fiorentino, Ser Cambi, Giovan Acquettino und Poggio handeln.
Aber alle diese müssen hier ausser betracht bleiben, da sich die uns
beschäftigende erzählung nicht bei ihnen findet. Sie taucht zum ersten
male, wie oben erwähnt, in den Porretane auf, die zwischen 1475 bis
1483 geschrieben, also jünger als die Cent nouvelles nouvelles sind,
obwol letztere erst drei jähre nach ihnen zum drucke kamen.
In dieser bisher noch nicht genügend bekannten novellensammlung
finden sich zwei erzählungen, die wir hier zu betrachten haben. Die
eine, die XXXVI. des buches, hat nachstehende Überschrift:
ZU DEN QUELLEN HEINRICH KAUFRINGERS 501
„Liparello da Garnaglioni s'afconde in una caffa, ordena con la
moglie dia la pofta a don Petruzzo per bastonarlo; il quäle uiene
et sopra la caffa con la moglie fe da piacere."
Ich will den inhalt dieser novelle hier ganz kurz andeuten. Ein
priester, Don Petruzzo mit namen. stellt der frau eines gewissen Liparello
di Ranzo in Garnaglione nach. Liparello, der es bemerkt, lässt ihm
einige male sagen, er möge seine frau in ruhe lassen. Da diese er-
mahnungen nichts fruchten, so befiehlt der ärgerliche ehemann seiner
frau, den geistlichen einzuladen und ihm zu verstehen zu geben, ihr
mann sei nicht zu hause. Sobald er dann gekommen sei, wolle er ihm
eine tüchtige tracht prügel zu teil werden lassen und damit die last zu
weiteren Unternehmungen vertreiben. Die frau sträubt sich gegen diese
einladung, aber nicht aus züchtigkeit, sondern weil sie den jungen
geistlichen wirklich gerne sieht und ihn nicht misshandelt wissen will.
Aber Liparello besteht auf seinem willen. Der geistliche, entzückt, das
ziel seiner wünsche zu erreichen, erscheint unmittelbar nach der ein-
ladung und so schnell, dass Liparello nicht zeit findet sich zu ver-
bergen. Er kriecht daher, um nicht gesehen zu werden, in eine grosse
truhe hinein ,,a cui la donna diffauedutamente uolfe la chiaue". Der
priester wird trotz des widerstrebens der frau alsbald handgreiflich.
Diese „uedendo ch'el marito non la foccorreua ne fapendo che lui non
poteua, per effer chiauato, ufcire de la caffa", liess sich besiegen „ouero
che non poffele fare altrimente per effere gia gittata fopra la caffa doue
era chiufo il marito". Sie ruft: „0 marito mio, te uenga la rabbia, che
cofi uuole cofi habbia!" und ergibt sich in ihr Schicksal. Darüber
wütend, schreit Liparello laut auf, der priester entflieht voller angst
und Liparello macht seiner frau heftige vorwürfe dass sie ihn ein-
geschlossen habe. Diese entschuldigt sich so gut sie konnte und der
Verfasser schliesst: „non so quelle ne feguiffe poi." —
Diese darstellung weicht nicht unwesentlich von den beiden bis-
her betrachteten ab. Statt eines k riegers oder ritters, ist von dem
pfaffenfei nd liehen Verfasser ein wollüstiger priester /um beiden des aben-
touers gemacht wurden. Der eliarakter der frau hat unter seinen bänden
arg gelitten. Nicht mehr eine durch die naehstellungen belästigte tugend-
hafte bürgersfrau, sondern ein kokettes nach der sünde lüsternes weih
haben wir vor uns. tis fällt ihr gar nicht ein, bei dem gatten über
die Verfolgungen des platten klage zu führen. Der manu wird selber
die aufdringlichkeiten gewahr und schnaubl nach räche. Der ehemann
ist nicht als feigling gedacht. Wenn er. seine räche verfehlt nnd die
gleiche schmacb wie sein deutscher und französischer Vorgänger erfährt,
502
so ist die gedankenlosigkeit Beines weibes daran schuld. Die rolle, die
dabei die (ruhe spielt, erinnert an die XX \ 1 1 . erzählung der < 'ent nouvt lies
nouvelles, wo "-in buhlerisches weib ich eine Zusammenkunft mit ihrem
„seruiteur" sichert, indem sieden gatten in eine truhe einsperren I
Durch alle diese willkürlichen and zum teil gar Dicht motivierten
änderungen kennzeichnet sich Sabbadinos novelle als eine blosse aach-
ahmung. Er kannte gewiss die Cent nouvelles nouvelles und verbarg
seine entlehnung, wie in so vielen anderen fallen, indem er die er-
zählung bedeutend abänderte.
Dass er wirklich diese französische Sammlung kannte, zeigt auch
die zweite hierher gehörende erzählung, die 52. seiner Porretane, welche
in der Hauptsache mit Cent nouvelles nouvelles nr. 1!» identisch ist1.
Die ähnlichkeit mit der 4. der französischen Sammlung ist dagegen hier
gering. Es genügt um das Verhältnis zu erläutern, die Überschrift an-
zuführen :
„Gallante per giungere la moglie in adulterio fe afconde fotto il letro,
fente uno delli fignori di Verona darfe piacere con lei e non ardisse
moftrarfe, la quäle cofa moftra poi per ueftire la moglie de strane
ueste, doue il fignor fe leua da limprefa e dona una uesta de broc-
cato d'oro alla donna e Gallante resta contento."
Die ähnlichkeit mit Cent nouvelles nouvelles nr. IV läuft darauf
hinaus, dass der ehemann einem ehebrecher gegenüber, der eine mäeh-
1) Eine ähnliche erzählung findet sich auch im Pecorone (giornata VII, 1) und
es ist hehauptet worden, dass die Cent nouvelles nouvelles selbst aus diesem schöpften.
Ohwol eine Situation (die fragen des galans an die ehebrecherin über die einzelnen
teile ihres körpers, die sie alle ihm zuspricht „salvo che le parti di drieto, disse,
ch'erano del marito etc.") auffallende ähnlichkeit bei beiden autoren aufweist, so kann
doch keine rede davon sein, dass die Cent nouvelles nouvelles aus dem Pecovone
schöpften, denn jene bringen die einfache ursprüngliche fassung des schwankes, während
letzterer daraus eine tragische erzählung grässlichster bestrafung des ehebruchs an
den schiüdigen uud ihren verwandten machte, wobei jene Situation ganz episodisch
erscheint und weggelassen werden kann, ohne dass die handlung leidet. Pecorone
und Cent nouvelles nouvelles können also nui aus einer gemeinsamen älteren vorläge,
aus einem fablel geschöpft haben ; die erzählung trägt ganz den Charakter eines solchen.
Dass Sabbadino die Cent nouvelles nouvelles und nicht das Pecorone zur- vor-
läge hatte, geht daraus hervor, dass bei ihm wie bei jenen die fragliche Situation die
hauptsache ist. Sabbadino hat in abgeschmackter weise fragen und antworten des
paares von 10 — 11 zeilen (bei Cent nouvelles nouvelles und Pecorone) auf 48 zeilen
erweitert. Die erzählung. wenn auch nicht so einfach wie bei dem Franzosen, hat
doch nichts von den entstellungen des Pecorone und bietet auch sonst noch ein
paar Übereinstimmungen mit den Cent nouvelles nouvelles, die ich der kürze halber
übergehe.
ZU DEN QUELLEN HF.IVRI' !t KAUFKENGEBS
503
tige persönlichkeit ist^ nicht offen einzuschreiten wagt und unter dem
bette versteckt seine schände mit ansieht, bezw. anhört.
Ich glaube nicht, dass es nötig ist bei diesen beiden italienischen
novellen länger zu verweilen. Weit entfernt für die italienische her-
kunft der fabel zeugnis abzulegen, weisen sie selber entschieden nach
Frankreich. Und dieses land ist offenbar die heimatstätte des schwankes.
Wie bei den meisten erzählungen der Cent nouvelles nouveUes haben
wir auch bei nr. IV ein altfranzösisches Fablel als vorläge anzusehen,
das der erzähler mit einigen änderungen nachahmte. Und dieses Fablel
gelangte auch auf irgend einem weg nach Deutschland, um dort in
deutschem gewande schliesslich in die hände Kaufringers zu fallen.
Dass ich damit mehr als eine blosse Vermutung ausspreche, dafür
spricht noch ein umstand: ausser der grossen sachlichen ähnlichkeit
zwischen der französischen und deutschen version, finden sich noch in
beiden ein paar stellen, die einander wörtlich nahe kommen, so dass man
unwillkürlich auf den gedanken gerät, dass darin die altfranzösische
vorläge durchschimmert. Man vergleiche:
Kaufringer s. 79. Cent n. n. nr. 4.
Wan er der frawen wart gewar. Et quant il sceuft trouuer temps
Do gieng er ir pald ze plick et lieu le moins mal qu'il sceuft
Zuo ir redtt er auch oun schrick
Und darzuo in rechtem schimpf...
Manig wort in schalkhait
Das was der rainen frawen lait . . .
Das traib er mit so stätter pflicht
Das sie des nimer liden macht . . .
Den man sie das ze wissen det.
Und clagt im grossen überlast.
S. 80.
Wan er mit dir redet mer
So haiss in pald komen her...
Ich sol im Ionen seiner min
Das er fiirbas ewiclich
Mit guotem frid muoss lassen dich.
ibid.
Da kom die fraw -
Im engegen — —
Er gruost sie zuo derselben frist
Gar lieplich.
compta son gracieux et piteux cas
ne laiffa pas ä faire sa poursuite,
mais de plus en plus aigrement
pourchassa tant que la damoiselle
le voulut enchassier ... et luv dist
qu'elle advertiroit son mary du
pourchas deshonneste . . . ce qu'elle
fist tout au long.
ibid.
que, s'il retournoitplusäsaquefte
qu'elle luv baillast et assignast iour
et ... Ic blasme qu'il pourchassoit
luy seroit chiei vendu.
. . il vit en place noltre mer-
ciere qui tut par luy liumblemenl
saluee.
504 -.niiii
S. 81.
Erhattein panzer stari und rein le mercier je feil armer d'ung
angelegt — — . inl lourt ef rieil harnois.
Unter Bolchen umständen ist doch eine mündliche quelle für Kaul-
ringer ausgeschlossen.
Und hiermit könnte ich meine betrachtung schliessen. Endes, ich
will die gelegentheit benützen und noch ein paar stoffgeschichtliche
bemerkungen anfügen.
Sab(b)adino degli Arienti blieb nicht der einzige in Italien, der
die gescbichte bearbeitete. Kurz nach ihm griff ein Zeitgenosse von
ihm, Antonio Cornazano aus Piacenza, <\an stoff auf. Wahrschein-
lich erzählte er die geschichte schon in seinem 1502/150:; zu Mailand
gedruckten lateinischen werke De proverbiorum oriyine, das mir Leider
nicht erreichbar gewesen ist. In seinem 1523 und sehr häufig später
gedruckten italienischen schwankbuch Proverbü in facetie1 erscheint sie
als die zweite, um den angeblichen Ursprung des Sprichworts „chi cosi
uuole cofi habbia1' zu erklären. Ich gebe Cornazanos erzählung mit
einigen kürzungen hier wider:
„Vn giovane . . . haueua una donna prudentiffima e bella: lui debile
era ma fuperbo molto & hauea alquanto del millantatore. s'accorfe costui
la donna fua effer da un bei giouane uagheggiata, delquale ben che
lei gia in mille chiari inditij accorta fuffe, non perö mai come fauia
e cauta ne haueua relatione fatta al marito, per non fondare principio
a qualche fcandalo, ma ftauafi in fuoi termini poco moftrando accogerfi
di lui. II marita delibero di sfaftidirfe & chiamata un di la moglie
fola diffe . . . io fo che Bindone te uagheggia; che coli era il nome del
giovane, delibero del tutto amazzarlo . . . fagli bon uolto 6= donagli la
posta, in altro modo io a te torro la uita. La donna ben conofcendo
la poca profperita del suo marito, e la robustita del atto giovane . . .
mal uolontieri accettaua di farlo, ma pur per iTpurgare ogni fofpetto
appreffo quello con cui fempre hauea a uiuere, feffi obfequente all'
imperio del marito . . . non molti di poi li die la posta, il marito auifatone
da lei s'ascofe con la fpada fotto il letto, il giouane.. uenne . .. con la
spada . . . a canto . . gionto in la camera con la donna . . . caua la fpada
& fa una leuata, fulminando qua e la de tich tach e dimandando fempre,
oue fon quefti poltroni, fe foffero dieci io gli uoglio affrontare ... II
1) Ich benutzte ausser dem dürftigen neudruck in der Scelta di Curiositä Lett.
ined. o rare Disp. 62, Bologna 1865, eine ausgäbe von Ven. 1535 (Hof- und staatsbibl.)
und 1538 Yen. (Universitätsbibl. hier), jene von Zoppino. diese von Bindoni-Patiui.
ZU DEN QUELLEN HEINRICH KAUFRLNGERS 505
marito cio udendo incomincio tremare fin fotto il letto. II giouane . . .
piglio la donna . . . & cominciato gia caricar lorza, uedendo lei chel
raarito non ufciua per tema fi stette patienti a quei malanni sempre ful
fatto dicendo: Chi cofi uuole cofi babbia etc."
Dass diese erzählung Cornazanos von Sab(b)adino angeregt worden
ist, beweist der umstand, dass schon letzterer, wie wir oben sahen, die
frau das Sprichwort „Chi coli vuole cofi habbia" bei der gleichen läge
anwenden lässt. Alles andere bei dem jüngeren erzähler weist auf die
Cent nouvelles nouvelles hin. So z. b., dass' der ehemann statt in die
truhe unter das bett kriecht, dass er sich als feigling erweist, dass der
galan kein geistlicher, sondern ein laie ist, dass er mit dem degen aus-
gerüstet erscheint, nach dem ehemanne der frau fragt, sich seiner stärke
rühmend, es mit mehreren aufzunehmen erklärt, mit dem degen herum-
fuchtelt usw. Cornazano, der in Frankreich gewesen, kannte offenbar
die französische novellensammlung. Der lüsterne Italiener, nach dessen
geschmack diese obscöne geschiente sichtlich war, hat sie übrigens von
allen am besten erzählt und insbesondere die Handlungsweise der per-
sonell besser motiviert. Mit Kaufringer bietet er keine berührungspunkte.
Er steht ihm ferner als den Cent nouvelles nouvelles.
Von Cornazano gieng die erzählung in das berüchtigte 1526 er-
schienene buch des Cynthiio degli Fabritii, IAbro della origine
delli volgari proverbi1, über, das bekanntlich in der idee eine nach-
ahmung des Cornazano ist und auch stofflich mehrfach auf ihm beruht.
Unser schwank dient in der seltsamen, höchst zügellosen und zum grossen
teil recht albernen dichtung Cynthios zur motivierung des gleichen Sprich-
worts wie bei Cornazano. Es ist das 28. bei Cynthio und steht fol.
CXXIVb — CXXVIIP. Der Venetianer verwendet auf jedes Sprichwort
drei gesänge in terza rima von je ein paar hundert versen, in unserem
brauchte er zusammen 734. Er erzählt die geschiente in Langweiliger
breite, wobei er sachlich Cornazano nicht durchweg treu bleibt Aus
dem 'giovane' seines Vorgängers wurde bei ihm wider, wie bei Sab(b)a-
dino ein geistlicher, ein 'träte', den er als ausbund aller verworfenheil
charakterisiert. Auf seine Schilderung und auf die darstellung seines
Verhältnisses zu der von ihm verfolgten trau verwendet er den weitaus
grössten teil der 'drei gesänge. Ersl die letzten 88 verse bringen die
eigentliche handlung. I)<t frate handelt genau wie sein weltliches Vor-
bild bei Cornazano und es nimmt sieh recht seltsam aus, den mönch
I) Über dieses buch vgl. die von mir in der Zeitsohr; 32, 17.". f ■ angegebene
litteratur.
506 STIEFEL, ZV DEN QUELLER BEDIBXOH KArnviNOEHR
bewaffne! mit schild and schwer! auftreten und mit der blanken
die lüfte hauen zu Beben, während er der Erau zuschreit: „oue ee quel
liecc, (lf'| tu«» IpofO."
Es würde mich zu weil führen, wollte ich das fortleben der novelle
in späterer zeit hier verfolgen. [ch begnüge mich, darauf hinzuweisen,
da s sowol in Italien als auch in Frankreich der stoff ron zeit zu zeit
wider auftaucht. So findet sich z. I>. ''ine version bei Malaspini, Ducento
Hineile (Ven. 1609) prima parte sub nr. 1"> unter der aufschrift „Ama
vno Scozefe la moglie di vn merciaio, e corae per ftrano modo godeffe
dell'amor fuo"; allein diese erzählung ist nur eine wörtliche Übersetzung
aus den Cent nouvelles nouvelles, ein buch das Malaspini in schamloser
weise geplündert hat. In Frankreich kommt die geschiente u. a. in dem
Herreil des Plräsantes & facitieufes nouuelles (Lyon, Barricat 1555) Bub
nr. VIII vor, und, wie ich Paul Lacroix' (Jacob Bibliophiles) ausgäbe der
Cent nouvelles nouvelles entnehme, in den Ioyeuses adventures et
nouuelles recreations etc. (Lyon, Rigaud 1582) vor, in jenem sicher,
in diesem wahrscheinlich im anschluss an die Cent nouvelles nouvelles.
Also selbst in diesen speäten nachbildungen des alten schwankes
werden wir immer wider auf die Cent nouvelles nouvelles und damit
mittelbar auf die gemeinsame vorläge dieser Schwanksammlung und
Kaufringers, auf das alte fablel zurückgeführt.
MÖNCHEN. ARTHUR LUDWIG STIEFEL.
KOPP, BERLINER LIEDERHANDSCHRIFT TON 1568 507
DIE LIEDEEHANDSCHEIFT VOM JAHKE 1568.
Berlin, Mgf 752.
Unter den liederhandsckriften aus dem 16. Jahrhundert kommen
ausser der schon von Görres ausgibig benutzten Heidelberger Pal. 343
vor allen andern drei Berliner in betracht, eine v. j. 1568, eine v. j.
1574, eine v. j. 1575. Diese Jahreszahlen finden sich auf den deckein
eingepresst, sie geben wol den Zeitpunkt der anläge, nicht jenen des
abschlusses, die anfangs- nicht die endgrenze für die niederschrift an,
da man meist ein gebundenes, leeres heft gekauft haben wird, um darin
lieder zusammenzuschreiben oder schreiben zu lassen, nur ausnahmsweise
dagegen, wenn überhaupt, es vorgekommen sein mag, dass man auf lose
blätterlagen geschriebene lieder nachträglich erst binden Hess. Anders
verhält es sich dagegen mit sammelbänden von gedruckten büchern
und heften; wenn dabei der decket eine Jahreszahl trägt, so kann diese
nur den endpunkt bezeichnen, über welchen die zeit der drucklegung
nicht hinausreicht. Bei drucken ist immer der iuhalt früher als der
einband, geht ihm voraus, bei schriftlichen Sammlungen später, folgt
ihm nach. Bisweilen können die Zeiten der Sammlung in druck oder
schritt und der einfassung in einen festen deckel weit auseinanderliegen,
das ist aber bei den Berliner handschriften aus den jähren 1568, 1574
und 1575 ebenso wenig der fall, wie bei mehreren sammelbänden, die
gleichfalls auf dem einband eine Jahreszahl bieten, z. b. Yd 7821 v. j.
1539, Tel 7829 v. j. 1554, Yd 7831 v. j. 1566 u. a. m.
Hier soll nun von den Berliner drei wichtigsten liederhandschriften
des 16. Jahrhunderts diejenige vom j. 1568, die früheste, behandelt werden.
Auf der vordem seite des einbandes sieht man eingepresst oben die
buchstaben MGZMVß, in der mitte eine göttin, die in der rechten
band eine lanze, in der linken ein brennendes herz hält (wol Diana,
nicht Yenus), rechts daneben Cupido, als Unterschrift zu dieser gruppe
den viel angewandten spruch Amor vincit omnia, schliesslich am untern
ran de die zahl 1568. Die rückseito des einbandes zeigt ausser den
buchstaben HMll M noch in der mitte Fortuna, welche mit den bänden
ein geblähtes segel hält und auf einem delphin stehend über die wellen
dahingleitet, worunter der spruch steht Audaces fortuna iuvat.
Die handschrift enthält auf 78 blättern, die bis zum 71. schon in
der ursprünglichen anläge durchgezählt sind, 126 vollständige Lieder
und zuletzt ein am schluss des blattes abgebrochenes lied, wonach an-
zunehmen ist, dass mindestens ein beschriebenes blati später ausgerissen
wurde. Als doppelt aufgezeichnet ist nur 26 und 87 zu rechnen; zwei
508 kopp
fassungen desselben Liedes stellen sich dar in L8 and 20; bei gleichem
anfang sind ganz verschieden von einander die aummern 2 and 23;
in. :;!) und 93 finden sich bei P. v. d. Ae]-t ,ii teile derselben einheit
Seine der grösseren Liederhandschriften aus jener zei! schwank! bo nach
dem Eolländischen hinüber wie diese vom jähre L568, and in keiner
andern finde! sich ein so grosser bruchteil ursprünglich holländischer
gedichte. Sic enthält nur wirkliche Lieder, nichts meister- oder minne-
singerisches, dazwischen zahlreiche Sprüche (spr.). AJle bestandteile jedoch
von dieser handschrift sind in höchst verwahrloster form überliefert
und erscheinen meist in so fragwürdiger gestalt, dass es nur selten
verlohnt, sieh um den genauen wortlaui zu kümmern, dass man schwer-
lich für ein lied diesen text zur grundlage eines neudrticks wählen darf,
sondern bei der durcharbeitung der handschrift die hauptaufgabe darin
sehen wird, für die lieder andre Eundstellen nachzuweisen, woneben
dann die fassung dieser handschrift gelegentlich aushilfsweise in betracht
kommen mag.
Angesichts des traurigen zustandes der Überlieferung würde man
versucht sein, gar keine gedruckten quellen für diese liedersammlung
anzunehmen und alles darin auf niederschrift aus fehlerhaftem gedächtnis
eines dichterisch und sprachlich ungebildeten Schreibers zurückzuführen,
wenn nicht merkwürdige beziehungen zu manchen gedruckten lieder-
heftchen vorhanden wären. Der Nürnberger druck von 68 liedern z. b.
ist auffällig oft zu der handschrift in beziehung zu setzen, und nr. 11
bis 13 dieser 68 lieder entsprechen den nummern 75 bis 77, 33 und
34 den nummern 80 und 81 der handschrift. Von dem Sonderdruck
Yd 9126 finden sich sämtliche fünf lieder in der handschrift, siehe
nr. 23, 34, 49, 73, 96; ebenso von dem Sonderdruck Ye 16 alle drei
lieder, siehe nr. 70, 73, 92 usw.
Ausser den 78 beschriebenen enthält die handschrift noch eine
anzahl von leeren blättern. Diese wie auch die beschriebenen sind
stark vermodert und das ganze lieft trägt überall die spuren des alters
und starker benutzung. Die schrift ist sehr verblasst und obschon sorgsam
und bedächtig im zuge der band, so doch zu fehlerhaft und vielfach
undeutlich, um sicher und bequem gelesen zu werden. Ein register
zu der handschrift existiert bisher nicht. Beigelegt ist ihr ein Ver-
zeichnis nach der reihenfolge nebst quellennachweisungen von der band
Meusebachs, doch wird man dadureh nicht viel gefördert, sondern ist
ganz auf sich selber gestellt und muss in allem von vorn anfangen.
Nach der seit Görres vielbenutzten Heidelberger liederhandschrift
sowie der Berliner v. j. 1575, wovon die letztere demnächst anderswo
BERLINER LIEDERHANDSCHRIFT VON 1568
509
veröffentlicht werden wird, behauptet immerhin die Berliner handschrift
v.j. 1568 in bezug auf reichhaltigkeit und umfang die dritte stelle; sie
verdient wo nicht einen vollständigen abdruck, so doch eine behandlung
im zusammenhange, zweifellos eher als die sonst veröffentlichten lieder-
handschriften, diejenige der Ottilia Fenchler, die Jaufener u. a. m.
Berl. hdschr. 1574 or. 63 [ch schweigh
und muos gedenken ... 4 achtz. str. ; 1 u.
2 = 1568 lu. III. Hdschr. 157.1 nr. 103
in 3 Strophen entspr. I, III, V vorstehen-
1. Ein new liedtt.
Zu wem sali ich gedenken
herz allerliebste mein,
gros ellendt thutt mich krenken
das ich nitt bei ir mag sein;
ich hab mich understanden
mitt frembdem wunder scherz,
so hastu mir umbfangen
mein gemutt und auch mein herz.
Feins lieb du darfs nitt denken,
das ich will abbe lann,
ich will vonn deinent wegen
mein vatter und mutter verlan;
des las mich feins lieb genesen
das ich dir so traw will sein,
thun mir dein herz aufschliesen,
schleus mich feins lieb darein.
Eß ist und wirt mir nymmer kein
so lieb als du mir bist,
kein falsche kleffer mich daran irrett,
die lieb g[e]waltig ist,
mitt dir zu thun und zu lassen
all was zu denn erhn gehoirtt,
ich bin und pleib dein aigen
dein aigen ganz vnuerkertt.
Kin blomlein an der beiden
mit nhamen vergis nitt mein
Ins dir das blomlein wachsen
woll inn dem herzen dein,
kehr dich an keinen kleffer nitt,
so pleiben mir alle weg stellen,
las dir das blomlein wachsen,
so offt dein herz begert.
Ich wünsch dir heimliche leiden
si) fill als ich es hab,
so raagstu mich nitt meiden
im jar nitt einen tag,
du must dich selber erbarmen
und oil't gedenken an mich,
schleus mich in deinen armen,
erfrewe dich und mich.
der fassung, anfang entspr. 1574.
2. Ein annder.
Ker weder gluck mitt freuden
und jag ungefell vonn mir,
gros ungluck muß ich leiden,
ach gott das clag ich dir,
wann ich bedenk mein anfaugk,
mein gluck das hatt ein krebsganck,
ker wieder gluck und mags nitt lanck.
Mein herz ist sehr bedrubet,
mein gemutt das krenket sich sehr,
wiewoll ichs nitt hab verschuldet,
mein seckell ist mir worden leher,
vur wein und beer geh ich mein gelt,
darmitt mein gelt kompt in die weit,
der lieb gott weis wer das jair das gluck
Hoheit.
Der dar will holen und brassen.
der füll sein butteil mitt gelt,
die bolschaft renmei eim die taschen,
sie macht wie irs woll gefeit,
spricht mein bole far darhin,
der nai' der hatt des geltes viell.
er gibt mir was ich haben will.
Halt dich zu deines geliehen,
so geschiott dir eben recht,
und nympstu eine reiche,
30 iiiustu sein ir kneeht.
sie spricht „du aar verzeresi das mein,
stehe auf, lall jn, divilV anli die sehwein.
und was du hast , das ist mein."
Das leedtlein ist gesungen,
ieder man es nitt gefeit,
vonn der bulschafft ist ehr rerdrun
das macht ehr hatt kein gelt,
510
sein hout zerbauweD, sein mantel nittguott,
sein wambis ist jme zerrissen gar,
das ehr zu dem broos megdlein Dicht
komen darf.
Btr.2, ■/.. '■'• I. oiohti hab ich sonst ver-
schuldet, /. I I. lehr leer, z. 7 zu
chen: der lieb oder: dasjair— 1. wer's;
str.:;. /..:; l.reumi dir, z. l zu streichen :woll;
str. 4, z. 1 1. gleiche(n), 5 I. verzerst, <i 1.
steh, 7 I. und alles was du hast ist mein.
Ausser den anfangsworten und ent-
sprechendem strophenbau bat vorstehen-
des lied nichts gemeinsames mit einem
ebenso beginnenden liede, das in zahl-
reichen gedruckten und handschriftlichen
liedersammlungen vorliegt und wovon
unsre bandschiift ebenfalls eine' fa
(s. unten nr. 23) überliefert hat.
3. Ein ander.
Freuudtlicher art
du hast mich hart
mit deiner lieb besessen,
darumb hab ich dich
erwelet vor mich
und kan deiner nitt vergessen,
tag und nacht
hab ich kein raw,
deine hulde zu erwerben,
in erhn dein
will ich eigen sein
und sali ich darumb sterben.
Ist das dein will,
in aller still
salstu es mich lassen wissen,
so sali mein herz
obn allen scherz
altzeitt dir sein geflissen,
glaub mir furwar
ohn alles gefar
(aus unverseb'nen sacben)
auß deinem mundt
muß werden khuntt
salst du frolieb machen.
Sulches vurbedaebt
iß woll betlrracht
stundtl mir woll zu bedenken,
li'-tt nur BulcheS einer vorhin gl
ich liett geacht
vuj cherz und auch vor Bchwenken
ist gutt. dein will
den ball gai -tili
und will den ..»nn mir nitt wenden,
in diesem lall
las un- einmal!
sulches werden folenden.
I'. v. d. Aeist, De arte amandi 1602,
s. II."!: Freundlicher art, du hast mich
hart, mit deiner lieb
fassung bei 1*. v. d. Aelst ebenso schlecht
w ie in vorliegender handschrift.
4. Ein annders. Ein fnmdtlieh augerm
winekenn, brengti tust meins h> \
beger ...'.', neuuz. str. 1582 A94 u. 156,
B23 u. 30. Berl. hs. 1574, nr. 21; 1575,
nr. 71 u. 124; Hs. f. Ottilia Fenchler 1592:
Alemannia I, s. 54; Heidelb. hs. Tal.
343 fol., nr. 121. P. v. d. Aelst, Blunim
u. Aussb. 1602, s. 143, nr. 152.
5. Ein anders. Nach willenn dein, ich
mich, dir allein, in trewenn Um > ,:■ i-
genn ... 8 zwölfz. str. 1582 A 3, B 55;
Öglin 1512, nr. 20; Forster I, 43 — in je
3 str. Fassung von 8 Strophen in einzu-
drucken und bei P. v. d. Aelst, Blumm u.
Aussb. 1602, s. 165, nr. 171. Gassenh. u.
Reutterl., nr. 16, heftchen v. 56 liedern
(o. t. o. u. j.) nr. 47 (bis 51) nur d. erste str.
Berl. bs. der herren v. Helmstorff 1569/75.
nr. 29 in 8, 1574, nr. 22, 1575, nr. 37 in je
3 str. Heidelb. Pal. 343, nr. 81 in 3 str. —
Erk- Böhme, Liederbort III, s. 471, nr.
1667.
(spr.) Dar ich gerne wTer vnnd nitt en moitt,
dar wer mir ein getrewer botte guitt.
6. Ein annder. Im thon Wach auff mein
Hertz. In druck vnnd schmertx,, mein
junges hertx, wirtt nhu ohn schuldtt ge-
quelltt ... 7 ueunz. str.
2 heb. männl. a c d z. 1, 4, 7
2 heb. männl. a c d z. 2, 5, 8
3 heb. weibl. b b b z. 3, 6, 9
7. Ein annders. Reich Gott ivie sali
ich clagenn, wie sali ich clagenn mein
BERLINER LIEDERHAND SCHRITT VON 1568
511
nott ... 4 achtz. str. Hs. 1574, nr. 43 in
3 str., ohne die letzte vorliegender hs.
8. Ein anders. Ich weis mir ein blom-
genn, es statt ahn groner heidenn . . .
3 ungleiche Strophen. 2. Wo mag sei
sein die allerliebste mein ... 3. Prince-
liche princesse nach euch statt all mein
verlangenn . . .
(spr.) Dem ich mein lebenn hab gebenn,
Der lest mich in traurenn leben,
Wo kumpt das ehr mich tothen mag,
Der mir das leben nitt engab.
9. Ein annders.
Mein syn hab ich an ir gelechtt,
sie ist ganz woll gebildet,
in thugtenn ist ihr herz gewrachtt,
wie all ihr wesen vermeldet,
wie ein Robin
in golde fyn
muchtt ihr mundtlein rurenn,
so wehr mein junges herz
durch all leiden und schmerz
in irer liebden wolt ich sterben.
Ich mach ir herz
eim dyamant wol geligen,
auf erden ist kein man,
der das boxbluitt magh enthwigen;
mocht ich sunder den thott
meins herzen bloitt
gnade ahn ihr erlangen,
so wer mein junges herz
sunder all druck leiden und schmerz
nach ihr so dragh ich verlangen.
Van naturen thragtt sie ein siegelstein
vonn suiden, westen und norden,
der hat sei in erben in
sei will mich werlich morden,
helf gluck und rath
meiner nitt verlatt,
viel suchten will mich verderben,
so wehr mein junges horz
durch all leiden und sahmerz
in irer liebden nicht magh sterben.
Zu str. 2, z. 1 — 4 vgl. stellen wie herrn
Benj. Neukirchs gedichte, 1744, s. 26:
„Wie lange willst du grausam sejm"
str. 3: Den Stal muß endlich Feur und
Glut, | Den Marmel Regen schwächen, |
Und warmes Bock- und Ziegenblut | Soll
Diamanten brechen . . .
(spr.) Kein lieber ich beger
Vnnd wehr ich all weltt der weltt ein her.
Dieselben zeilen hinter nr. 46 u. 95.
10. Ein annders. Hertzlich tluiitt mich
erfrewenn, die frundtliclie sommer xeitt
... 7 achtz. str. = 1582 A 20, B 72;
Bicinia, Vitebergae 1545 I, 91; Kaspar
Scheidt, Lobrede des Meyen 1551 Bl. Jija;
P. v.d.Aelst, Blummu. Aussb. 1602, s. 146,
nr. 155; Goedeke, Grundr. II2, s. 40. 43.
56. 57 u. ö. Niederd. liederb. nr. 17. Fl.
bl. Berlin, Basel, Zürich; Heidelb. hs.
Pal. 343 fol., nr. 40. — Wunderhorn I,
s. 239; Görres s. 35; Wackernagel s. 848;
Unland nr. 57; C. F. Becker, Lieder und
weisen vergangener Jahrhunderte, 2. aufl.
1853, ILI, s. 11; Döring, Sächsische berg-
reyhen II, s.193; Hoffmann, Gesellsehaftsl.,
nr. 160 (vgl. 62); Goedeke -Tittmaun, Lie-
derb., s. 159; R. frh. v. Liliencron, Deut-
sches leben im volksl. um 1530 (National-
litt. 13), s. 275, nr. 95; Böhme, Altd.
liederb., nr. 142 ; Liederh. II, s. 191 , nr. 379.
11. Ein annders. Cleglich so hab ich
mich, gantx, außerweltt , dir mirs gefeltt,
bouenn allenn junffrawewn schone . . .
6 zehnz. str.
Z. 1 — 4, 0 — 9: aabb ddee 2 heb. männl.
Z. 5 u. l<i: c c 3 heb. weibl.
(spr.) Was batt hoffenii sonder trost
Dem der seldenn wirft verlost
II'. Kin annders. .1// mein gedenck,
leer ich vnnd uendt, mich einer tarti is
Steuerlich . . . I sieben/., str.
Z. 1 u.2, l — 7: aa bb co 2 heb. männl.
Z.3: x ! heh. männl.
Heidelb. hs. Tal. 343 fol., nr. 84 ebf. I
str. Görres, b. 52.
(spr.) Verlangenn hat t vinl'tan-enn mich
Drumb so bin iah Beldenn Erolioh.
512
13. Ein annders. Hertzlicher troat auff
erden, verlangen du thust mir wee ■ ■ .
3 neunz. str. Fassung sein- verdorben.
\ 86, B 124. Niederd. H>. 11. Fl. bl.
Berliner hs. 1575, nr. 69; Heidelb. Pal.
343 or. 96; Öörres s. 128.
(spr.) Sunder arcb ia mein Bpill
Mallicb klaff uns ehr will.
1-1. Kin annders. Zartt schone [nur.
gedenck vnnd schare ... .'! sechszehnz.
str. = 1582 \ 2, B 54; Gassenh. u. Reut-
fcerl., nr. 26; P.v.d. Ä.eli I . Blumm u. a.ussb.
1602, s. 27, nr. 1 1 ; De arte amandi 1602,
s. 112. Niederd. liederb., nr. 74 — u. ö. Fl.
hl. Berlin, Hasel, Weimar, London USW.
Berliner as. 1575, nr. 19; Mgq Tis. 1,1.
27b; Weim.hs. 1537: Weim.jahrb. [(1854),
s. lo:., nr. 26; Eeidelb. Pal.343, nr. 63u.
203. — Wackernagel, Kirchenlied L841, s.
854; C. I'". Becker, Lieder u. weisen ver-
gangener Jahrhunderte, 2. aufl. 1853, I,
s. 7; Erk- Böhme, Liederh. III, s. 483,
nr. 1681.
(spr.) Wolstu sein sähelich
So mustu sein geduldigh
Vnnd vertrauwen allein auff Gott
Vnnd haltenn sein gebott
Ehr gedenckt sunder verges
Vnnd kumptt zu seiner zeitt gewiß.
15. Ein anders. Nun hab ich all mein
tagh gehortt, wie scheiden/n sei ein so
schwere pin ... 3 zehnz. str. = 1582
A45; Goedeke, Grundr. II2, s. 27: Mainz.
P. Schöffer 1513, nr. 50; s. 31 : Gassenh.
1535, nr. 27; Gassenh. u. Keutterl. (o. j.),
nr. 27; u. ö. Fl. bl. Yd 7801 (v. Nagler)
st. 63; Yd 7821 (einband v. j. 1539) st. 17
„Drey scböne lieder, Das | erst, So hab
icb all mein tag gehört" ... (o. o. u. j.)
Zusammen mit folgender nr. 16: Yd 7821
st. 29 „Drey hübsche Lieder", Nürnberg,
K. Hergofin o. j. Dieselben drei lieder
auch in Yd 9385 : Drey hubscher Lieder, |
Das Erste, Yetzt scheyden bringt mir ]
schwer. Das ander, Ich bin schabab, |
macht mich nit graw. Das dritte, So |
hab ich all mein tag gehört (Bildchen.
\ m sc) druck! zu Nürnberg durch |
Valentin N< aber. (4 bl. 8° o. j.
etzten blattet leer). BerL
I, , Mgf 488, nr. 145, Mgq 718 bl
■ • .
f.d. ph. 22, s. 104. Val. Bolls ha. bL I30b:
Nun hab ich all mein ' t, wie
schaid» i! 3 ain Bchwere pein . . . .'! zehnz.
Btr. (unterz. 1525). Wa 1841,
s. 860; • '. F. Becker, Lieder n. weisen I,
s. 1 ; Böhme, Utd. liederb., nr. 265.
16. Hin anders. Och scheidenn >/"
brenges mir schwer vnnd mach* mich
ijiinl: traurentlich ...'.', achtz. str. =
1582 A 12, B 64; 75 hubscher
Coln. Amt v. \irli io. j.) nr. l': 68 lieder,
Nürmberg, Bergu. Neuber (o. j.) nr. 22;
Gassenh. u. Reutterl. (o. j.) nr. 29; Bicinia
1553, 'nr. 8; 115 liedlein 1544, nr. 74
(vgl. Goed. II 2, s. 28. 38. 40. 41). Niederd.
Ib., nr. 80; u. ö. Fl. bl. Berlin, Basel,
London usw. Berliner hs. 1575, nr. 8;
Heidelb. Pal. 343, nr. 137. —Wackernagel
1841 , s. 855.
(spr.) Die zeitt is beidens werdtt
Der krichtt was ehr begertt.
17. Ein annders. Singe ich nitt troll.
das ist mir leidtf von hertxen thette ichs
gerne ... 3 achtz. str. 2. Nochtans will
ich einen guetten modtt han ... 3. Och
sorgeun thuitt meinem heuffte wee . . .
Zur zweiten Strophe vgl. 1582 A '_;'i.
B 78, hs. 1575, nr. 98: So will ich doch
einen guten mut haben.
18. Ein annders. Frisch vnuerxagtt,
hab ichs genagtt, in rechter lieb vnnd
treivenn ... 3 zwölf z. str.
1582 A 14, B 66; Forster I, 16. Nie-
derd. Ib. 1. Fl. bl. Berlin, Basel, Frank-
furt a. M., London usw. Hs. 1575, nr. 40;
v.Helmstorffsche 1569/75, nr. 19. — Böhme,
Altd. liederb., nr.203, Liederh. H, s. 318,
nr. 496. Dasselbe lied noch einmal nr. 20.
19. Ein annder. Im thon, Hertz einigs
lieb mich nitt bethrubtt. Mann singtt
vonn scheidens hartenn tcehe, das dag
BERLIXFR LIEDKRHANDSCHRIFT VON 1568
513
ich armer gesell vill mehe ... 4 ungleich-
massige Strophen ; Akrostichon Ma-ri-aB.
20. Ein annders. Ich habs gewagtt,
frisch vnuerxagtt, in rechter liebdenn
wind Iran wenn ... 3 zwölfz. str. = nr. 18.
(spr.) Och was mos ehr leidenn
Der ein lieb hatt vnnd mus sei meiden.
21. Ein annder. Ich schall mein hnrnn,
in jamers thon, mein frendtt iß gantx
verschwondenn ... 3 zehnz. str. 1582
A 8, B 17 u. G0; 75 lieder, Cöln, Amt
v. Aich (o. j.) 44; Forster in, 9, IV, 12;
68 lieder, Nürnberg (o. j.) 19 u. 67 ; 115
liedlein, Nürnberg 1544, nr. 57; Goedeke,
Grundr. II2, s. 27. 29. 36. 37. 38. 40; u. ö.
Niederd. liederb., nr. 10. Fl. bl. Berlin,
Basel usw. Hs. 1575, nr. 94. — Wun-
dern. I, s. 162; Uhland, Yolksl.. nr. 179;
Goedeke -Tittmann, Liederbuch, s. 272;
Böhme, Altd. liederb., nr. 443, Liederh. II,
s. 51, nr. 258; 1\. v. Liliencron, Yolksl. um
1530 (Nat,- litt. 13), s. 379, nr. 131; C F.
Becker, Lieder u. weisen II, s. 20.
22. Ein annders. Vbnn edler artt, ein
frewlein ;artt, bistu ein krön ... 3 elfz.
str. = 1582 A 15, B 67; Gassenh. und
Reutterl. 21; 68 lieder 14; 121 lieder.
Nürnberg 1534. nr. 28; Bicinia, Viteb.
1545 II, 86 nur die mel.; Forster I, 35
(vgl. V, 20 u. 21); Goed.II2, s. 27. 29. 30.
31. 37. 40. 41 ; u. ö. Niederd. liederb., nr. 71
(65). Fl. bl. Berl. hs. 1575, nr. 26; Hei-
(1.4h. Pal. 313, nr. 187. — Wackorn.. s. 851;
Goedeke-Tittm., s. 20; Böhme, Altd. Ib.,
nr. 130, Liederh. III, s. 479, nr. L677;
R. frh. v. Liliencron, Deutsches leben im
Volkslied um L530 (Deutsche national -litt.
13), s. 288, nr. 100.
(spr.) Hern gunst vnnd aprils wotter,
Junckfrawen loff vnnd rosen Idetter
Kartenn vnnd wurpell spill
Verlauffenn sich dick vnnd vill.
Vgl.KünstiikeWerltsprökel562,bl.E2":
Heren hülde vnd aprillen weder,
Frouwen leue vnd rosen bieder.
Der wöipel vnd dat karten spyl,
Verwandeln siok vaken, wo! dal weten wil;
ZEITsriH-ii ) i DB1 rSCHR rmi.ol.oolK. HD.
Schone Künstl. Werldtspröke. Ham-
borch 1601, bl. 20 a:
Heren hüld vnd aprillen weder,
Fruwen leeue vnd rosenbieder.
Karten. wSrpeln vnd seyden spil,
Yorkern sick offt, wolt mereken wil.
Vgl. ferner Werltspr. 1562. bl. F2b; Alt-
preuss. monatsschr. n. f. 9 (1872), s. 533;
Jahrbuch d. v. f. niederd. sprachf. 2 (1876),
s. 31. Schreiber. Nachscbösslinge 1664,
s. 99: Es ist der Jungfern gunst | Gleich
wie aprillen -wetter, | Gleich wie des
glückes dunst | Und falsche rosen -
blätter . . . Sperontes III, 17 (1745)
Der Jungfern gunst und rosenblät-
ter, | Der merzschnee, das aprillenwetter, |
Sind, dünkt mich, immer einerley . . .
Lobe, Altdeutsche Sinnsprüche in reimen
1883, s. 136: Herrengunst, aprilenwetter ...
(stamrabuchinsehrift 1618). In der von-
Helmstorffechen hs.1569 75 heisst es hinter
nr. 39 am rande von bl. 34b: „Junckh-
frawen lieb vnd rosen platter | verkheren
sich wies apprilen wetter." In der lieder-
hdschr. des Clodius: Hymni studios. Lips.
1669 (Berl. Mgo 231), 3.58: Kein g]
narr ist weit und breit in dieser weit zu
finden . . . lautet von 5 achtz. Strophen im
ganzen die vierte: Sehr lieblieh schalt der
lauten klang, | schön ist aprillen wetter,
gantz rein der nachtigall gesang, | süß
rächen rosen blätter, | noch höher sehet/
ich trauen gnadt, | ach aber gahr zu
großer schadt, | es pfleget mit den stun-
den | dieß alles zu verschwinden.
Des Knahen wundeihorn IV, hrsg. von
Erk 1854, s. 52 nach „Newe Deutsche
Liedlein u 1581 von Knöfel:
Berrengunst, aprilenwetter.
Jungfrauen -lieb und rosenblätter,
Würfel- und kartenspiel
Verkehr! sieh oft, wers glauben will.
Der Ursprung dieses weil verbreiteten
Spruches geht wo) auf den Ronner des
Eugo von Trimberg zurück: Bamberg
1833, s. I 14, /.. 12 171 bis 77.
23. Ein annder. Ker widder gluck mitt
freudenn, vnnd i<t<i ull vnfaU tonn
xwv 33
.,1 1
mir.. . 3 Biebenz.str. L582 A 35, B88;
Forster III, LT), Ga enh. u. Reutterl. 76;
Goedeke, Grundr. II ", 6. 27 (P. Schöffera
liederb., Mainz 1513, ar.51 1, , 31 (Reutter-
liedlin 1535, nr. 27) a.ö. Fl. bl. Y<l 7821
sl. lt. „Drey hübsche Lieder" Nürnberg.
K. Bergotin (o.j.) 3 in 3str. Ye 22 „Dre3
Sein', in' Licdt.er" Nu ml ii tl';. V. NcuIut
(o. ).) :; in :'. Btr.; Yd 9126 Ein hübsch
lied, Mein | eynigs A. | Ein anders, So
wünsch | ich jr riii gutte nacht. | Hin
anders lied, [ch hab | verschüi mein haber-
rnuß, des muß. | Noch ein liedlein, Lieb- |
l i * r 1 1 hat sich gesellet, mein. | [tem noch
ein anders | liedlein, Kit wider glück mit
freüden. (Am schluss :) Gedrückl zu Nüren-
berg | durch .lobst Gutknecht. (4 bl. 8°
o. j., rückseite des ersten und des letzten
blattes leer.) „Ker wider" in 3 nach
Wortlaut u. reihenf. entspr. str. Die lieder
dieses einzeldrucks kommen sämtlich in
der handschrift vor, s. unten nr. 90. 49.
34. 73. ßerl. hs. 1575, nr. 19, ebf. in 3 str.
Heidelb. Pal. 343, nr. 162 längere fassung
von 8, nr. 163 kürzere von 3 str. — Erk-
Böhme, Liederh. III, s. 467, nr. 1662. —
Vgl. noch oben nr. 2 längere, sehr ab-
weichende fassung.
(spr.) Lieb babenn ist ein fein sytt,
Geltt ausgebenn hab die reitt,
Das junckfrawlein ist nitt ehrn werdtt,
Die geltt vorm irhem holen begertt.
24. Ein annder. Ich weiß mir ein fein
bruns megdelein, hatt mir mein hertx
besessenn ... 3 neunz. str. = 1582 A 33,
B 85; Gassenh. u. Reutterl. 12. Niederd.
liederb. 20. Fl. bl. Heidelb. hs. Pal. 343
fol. nr. 150. — Böhme, Altd. liederbuch,
nr. 197, Liederh. II, s. 264, nr. 446.
25. Ein annder. Hett ich siebenn wun-
schenn in meiner getcaldtt ... 7 vierz. str.
Vgl. Niederd. liederb., nr. 114 (99), in 9 str.
P.v.d. Aelst, Blumm u. Aussb. 1602, s. 26,
nr. 39, in 7 str. Berl. hs. 1575, nr. 10,
in 7 str. Kopenh. hs. des P. Fabricius
(1603/7), nr. 135, in 9 str. Altpreuss.
monatsschrift, u. f. 9 (1872), s. 546. —
Dhland, VolksL, nr. :.; Böhme, Altd. II...
nr. 276, Lh. III. . 30, nr. L081.
'_'<;. Ein annder. Min kwnmer schwer,
hallt mich !/"///-. ihr, gros vnglück
vmbgebenn ... :: elfz. >tr. A 87, B 126.
lh. 1575, in. 101. Eoffmann, <;•• eil
schaftsl., nr. 334 nur die ei te tr. Dies
lied s. noch einmal onten nr. 87.
27. Ein annder. 0 falsches hertx, <>
rotter mtmdtt, wie hastu mich bedro-
gewn ... 4 vierz. str. Vgl. Niederd. Ib.,
nr. '.tl (80), in 7 Strophen, wovon 1 — 3
= 1 - 111 d. hs. Fl. 1,1. Ye 133„Veei '
(o. o. u. j.) .'] in 7 str. Hochdeutsch im
Venusgärtlein , 1659, s. 54 (1656: neudr.
86/9, s. 39) ebf. 7 str.
(spr.) Grossenn hernn vnnd schonen frawen
Sali man woll dienenn vnd wienig ver-
trawen.
Vgl. Us. 1574, bl. 130a: Euphorion 9,
625; Werltspr. 1562, bl. A iiijtt usw. Lobe,
s. 148: „Grossen herren und schönen
trauen | Soll man dienen und wenig
trauen."
28. Ein annder. Rosina war was dein
gestaltt, bei koningh Paris lebenn . . .
3 zehnz. str. = 1582 A 174, B 123; 75
lieder, Cöln, Arnt von Aich (o. j.), nr. 34;
115 liedlein, Nürnberg, Ott 1544, nr. 75
und noch einmal unter d. 6 stimmigen nr.
10; Gassenh. u. Reutterl. (o. j.), nr. 50;
P.v.d. Aelst, Blumm u. Aussb. 1602, s. 29,
nr. 44, De arte arnandi 1602, s. 114 — u. ö.
Fl. bl. Berlin, Basel, Zürich usw. Antw.
liederb. 1544, nr. 137. Berl. hs. 1574,
nr. 34; v. Helmstorffsche 1569/75, nr. 30;
Kopenh. hs. des P. Fabricius 1603/7, nr.90;
Heidelb. Pal. 343, nr. 82. — Wunderb. IV,
s. 167; AVackernagel , Kirchenlied 1841.
s. 842; Hoffmann, Gesellschaftsl., nr. 159;
Goedeke -Tittm., s. 26; Erk-Böhme, Lie-
derh. HI, s.472, nr. 1669.
29. Ein annder. Ein weiblich biltt
mein hertx, bexwungen hatt, in rechter
lieb bis in den thott ... 3 fünfz. str. =
1582 A 198 I — IH, von 11 Strophen im
BERLINER LIED ERHANDSCHRIFT VON 1568
515
ganzen; Melchior Franck, Musikalische
bergkreyhen 1602, nr.8, in 4 str. Fl. bl.
Yd 7801 st. 12, in 11 str. Yd 7804 st. 15
Ein hubscher Perg Rayen. Ein weyblich
bild mein hertz bezwungen hat ... 11 str.
Gedruckt zu Augspurg Von Mathaeus
Elchinger an sant Vrslen closter. Yd 9658,
zwei lieder enthaltend, Nürnberg, F. Out-
knecht (o. j.) 2 in 11 str. Ye 508 „Drey
Schöne Lieder" Magdeburgk Durch Joachim
Waiden (o. j.) 2 in 11 str. Heidelb. hs.
Pal. Germ. 343 fol., nr. 117, in 7 str.
(spr.) Das ich bin wildtt
Schaffett ein wiblichs bildtt.
30. Ein annder. Vngnadt beger ich nitt
vonn ir ... 4 vierzehnz. str. 1582 A 1,
B 53 in je 3 str.; 115 liedlein, Nürnberg,
Ott 1544, nr. 19, in 3 str.; Gassenh. u.
Reutterl. (o. j.), nr. 41 nur die erste str.
Niederd. liederb., nr. 24, in 4 str. Fl. bl.
Berlin, Basel, London. Berl. hs. 1575,
nr. 9, in 4 str.; Weim. hs. 1537: Weim.
Jahrbuch I, s. 104, nr. 25, in 4 str.; Hei-
delb. Pal. 343, nr. 65, in 3 str.; München,
univ.-bibl. Ms. 328, bl. 39, in 3 str. -
Wackern., s.849; Erk- Böhme, Liederh. 111,
s.475, nr. 1673.
(spr.) Kleffer bedenck das endtt
Das dich der duuel schendtt
31. Ein annder. Ich bin verwundt in
jamers nott, tven ich gedenck au schei-
dens pein ... 3 str. Hs. 1575, nr. 105,
Pal. 343, nr. 48, in je 3 str.
32. Ein annder. In stettiger boger, ein
freudein fein hob ich mir außerlesenn...
3 zehnz. str. Us. 1575, nr. 128, in :;
entspr. str.; Hs. 1537: Weim. Jahrbuch 1,
s. 104, nr. 16, ebf. 3 entspr. str. lls. 157 I,
nr. 12 hat mit 2 Strophen dieses liodes als
dritte und letzto dm anl'angsstropho des
liedes „Umb liebe noch umb leid" (vgl.
Niederd. liederb., nr. 50, Pal. 343, nr. 80,
Görres, s. 54) zusammengeworfen.
(spr.) Ich will mioh leidenn wind meidenn
Vnnd bezwingenn zu allen zeitten
Dann ich bins alleine nicht
Der seinenn willen n nitt enkrichtt.
Zuz. 3.4 vgl. Hs. 1574. bl. llla: Eupho-
rion 9, 303.
33. Ein annder. Hertx einigs lieb,
dich nitt enthrtib, so vns ietx iciedder-
strebt . . . 3 neunz. str. Akrost. „He-le-
na" = 1582 A 36, B 89; Gassenh. u.
Reutterl. 61 nur die erste str. Niederd.
liederb., nr. 7. Fl. bl. Weim. sammelb. st. 17
„Drey hübscher Lieder, Das erst, Hertz
eynigs lieb, bis nit betrübt u . . . Nürn-
berg, K. Hergotin (o. j.). Berl. hs. 157."».
nr. 90; Heidelb. Pal. 343, nr. 133; Münch.
univ.-bibl. Ms. 328, bl. 3; Nürnb. germ.
national - mus. Val. Holls hs. , bl. 161a
(j. 1526): Hertz ainigs lieb, bili nit be-
trieptt . . . 3 str. „He-le-na".
(spr.) Vntrew hett für fill parteienn
Das trew nitt kan bedeienn
Vntrew ist gemein
Darumb pleib ich allein.
34. Ein annder. Versturtt Im)) ich mein
habermuß, des ums ich offt entgellenn . . .
4 zehnz. str. == 1582 A 170, B 94; 56
lieder (o. j.), nr. 11. Fl. bl. Yd 9126 (be-
schreibung s. oben nr. 23), 5 lieder eut-
haltend: 3. „Ich bab verschüt mein liaber-
muß" 4 str. Heidelb. hs. Pal. 343, nr. 75
u. 142. — Görres, s. 61.
(spr.) Gott geh ihr ehr vnnd guitt
Die mich so offt suchten thuitt.
35. Ein annder. Wo mach ein man
sein leben Insten, ihr In ff/ nrluroui
sein stite lieff . . . 4 vier/., str. Vgl. Antw.
Ib. 1511, nr. 121, in (i strophen, wovon
die drei ersten der handschrift entsprechen,
während in den sohlussstropl die beiden
fassungen auseinandergehn.
(spr.i Der ein boß weil' liatt ZU der ehe,
Der bedarff nitt \ aglücks raehe.
A0. Ein annder.
Nun wellen wir t'riseli und froliofa sein.
ii -I i weiß mir ein feins brunß tnegdlein
well heuer zu diesem Bommer,
»IG
ich weiß mir ein fcudenten i t hübsch und
fein,
olt ich Bein dienerin sein
n heimlich und verborgen.
Nemb ich ahu eins baurmans knaben
i sie des morgens wie die raben,
Sinn de all umb fressen,
so gib! man in ein habern brei,
daß wasser krach stritt aach darbei,
ein Eeins megdlein will ich pleiben.
I ml ohe n ichdan ein handtwerksman,
wehr Unit in da gel» rnel hau
bei jungen leuthen schlaffen,
ehr ai'beitl den tag biß an die nacht,
das ehr die lieb nitt furhenn o
ein Eeins megdelein will ich pleiben.
Und aheme ich ahu ein reuthers knaben,
so rui -Kt ehr den sattell auf und ab,
daß muß ehr ewig threiben,
ehr unkt den satte! auf und ab,
das ehr die lieb nitt füren mag,
ein Eeins megdlein will ich pleiben.
Nim hatt mein liedtlein schier ein endt,
die Schreiber die haben die wiesse bendt,
darzu die harte federn,
sei singen in Chor das bor ich gern,
das iß mein trost, mein morgen steru,
zu dem will ich mich schmucken.
Vgl. 1582 B 186, in 11 str. Fl. hl.
Zürich, stadtbibl. sammelb. Gal. KK 1552
st. 19, Basel, J. Schröter, 1605, in 8 str.
Berl. hs. 1574, nr. 26, in 5 str. Hoffmann,
Bonner burschenlieder, s. 256, Gesell-
schaft sl. IL-, s.63, nr. 292.
Simrock, Volkslieder (Volksbücher 8,
1851), s. 433 Sollt ich nicht frisch uud
fröhlich sein, | Sprach eines kaufmauns
töchterlein ... 7 str. „Die beckenjungen
man loben soll." (Aus Bäckerhandwerks-
gewohnheiten.)
(spr.) Kein lieber dan dich
Daß weiß Gott und ich.
Dieselben zeilen s. hinter nr. 46 u. 95.
37. Ein annder. Nii nach nymmer so
rauweti mein geimrfh, ich ikob rund
wuidtt, bei dir zu sein ... 3 neunz. str.
= 75 lieder, Cölu, Amt von Aich (o. j.)
nr. 3; 56 lieder (o.o.u.j i. nr. 36; Gassenb.
ii. Reutterl., ni
i Mach hoffenn vnnd rorlangenn ein
n iß beidenn kein pein.
::s. Hin annder. Ach Ooti wem sali
ich clagenn, das ich im ellendtt bin...
:: aohtz. str. PaL 343, nr. 101 ; Manch.
310, jetzl \Iu M 3232, 8°, bl. 125;
MLone, Anzeiger 7, Bp. 240; Böhme, aitd.
liederb., nr. 208, Liederh. II. 300, nr.
478 e.
i |iim Ich hab mich also bedacht!
Dar man meiner nitt en
Dar will ich wiedei frembtt Bein
\'nd Bolti ich darnmb leiden grosse pein.
:;'.). Km annder. Mocht ich vergessenn
lerhenn, das mehr woll an dir leitt...
3 neun/., str. Vgl. unten nr. 93 \\ ■
ich mich erneron ... .'! neunz. str. 1'. v.
d. Aelst, De arte am. 1602, B. 182 W<
ich mich ernehren .. . 8 neunz. str. ö. Möcht
ich vergessen lehren, das dunckt mich
mehr dann zeit . . .
(spr.) Allein au ff Gott vertraw
Auff menschen zusagen nicht en haw
Gott is allein dein trow heltt.
Sunst ist kein trow in der weltt.
40. Ein ander. QvM lieb laß dich ge-
dencken, das ich nitt bei dir wag sein . . .
3 achtz. str. 2. Och eddel trost meins
hertzen lost, was krenckestn das hertze
mein ... 3. Ich muß hin keien vuud
wendenn mein hertzenn ieidtt...
(spr.) 0 wie woll im ist
Der treue weiß gewiß,
Ein gentzlich ja ein gentzlich nein
Der laß mich hertzlieb werdenn ein.
41. Ein annder. Der verloren n dienst
vnnd der seindt fUl, der ich »/ich pnder-
wundenn ha/n ... 3 neunz. str. = 1582
A 101, B 42; Forster HI, 73; 68 lieder,
Nürnberg, Joh. v. Berg u. V. Neuber (o. j.),
nr. 58 nur die erste str. Fl. bl. Hs. 1575,
nr. 1 ; v.Helmstorff 1569/75 , nr. 21 ; Ottilia
BERLINER LIEDERHAXIiS'TlHIH VON 1568
517
Feuchter 1592: Alem. 1, s. 50; Pal. 343,
nr. 22; Görres, s. 86.
(spr.) Och woltt sei als ich
So wehr mein hertz freuden rieh.
42. Ein ander. Erkenn werdt, auff
erdt, von tugentt schon, ein krön wi ib-
licher artt ... 5 zehnz. str. = 1582 A 108,
B 75; Forster I, 107. Fl. bl. Yd 9299
„ Drey hübsche lieder * Nürnberg, K. Her-
gotin o. j. (nr. 5 u. 28 d. hs. auch darin)
3. Ehrn werd, auff erd ... 5 entspr. str.
Ye 514 „Vier schöne Lieder" "Wullffen-
büttell, Cunradt Hörn o. j. (nr. 81 d. hs.
auch darin), 4. Ehren werdt, auff Erdt . . .
5 entspr. str. Yd 7801 (v. Nagler) st. 15,
offenes blatt, 2 lieder enth. 1. Ern werdt
auff erd ... 5 entspr. str. Berl. hs. von
Helmstorff 1569/75, nr. 31; Pal. 343, nr.
120, in je 5 str.
(spr.) Ein blintt man iß ein arm man.
Noch iß das ein armer man,
Der sein weib nitt bezwingen kau.
43. Ein annder. Oupido triumpkantt,
anhoirtt mein Lamentieren , Mein liebste
lieff plasantt, wiltt my abemdonierenn ...
10 siebeuz. str.
(spr.) Der alltzeitt myrekenn khundt
Ob ehr auff fastern grundt stundt,
Wo ehr seinenn ancker sinckenn laitt
Das wer der beste schiffmann nitl
Härmst, hs. 1213, bl. I3b, Dr. 5: Ach
Gott der wissen koudt . . . Das wer der
ärgste seh. nit.
II. Km annder. Mag ick vngefall er-
toerenn auch nitt vu dieser fr ist . . .
!) ungleichm. str.
(spr.) Ach wo lang wo fem wo gern ich
mochl bei ir Bein,
Das krenckt mir hertz mutt vnnd syn.
Vgl. Werltspr. 1562, bl. G 8b; 1601,
bl. 29».
45. Kin annder. Stettig du /"'■</ tli,
höchste krön, die ich in meinem hertxenn
Irin/ ...'.', acht/., str.
(spr.) Beider will
Schafft vill.
Der liebster will
Das ist mein zill,
Darauff ich tracht
Bei tagh vnnd nachtt,
Biß das ich hab
Das mein hertz lab.
So stundtt ich fast,
Mein hertz hett rast,
Des sei gemachtt
Zu guetter nachtt,
Mein trewerdi indtschaffi
Sei euch zuge
In ewernn hertz gegossenn,
Wie ein kern in ein apffell verschli
Vgl. P. v. d. Aelst, De arte amandi I
s. 1 1.1 Der beider wil, Schaff« I gar viel . . .
18 z. Schluss: Mein tre wen dienst, Befehl
jhr mit fleiß, Ins hertz gegossen, Wie
ein kern n, In ein bier
birne] gut. Biß in diu todt.
46. Ein annder. Mein synnekens
>i/ji versteurett, druck leidenn moß ich
altxeitt horenn . . . 1 vierzehnz. str.
(spr.) Kim lieber dan dich,
Das weis * i < » t t vnnd ich,
Kein ander ich be
i ih ich schon wer der welö ein her.
'/.. 1 u. 2 s. oben hinter nr. 36; z. 3 u. I
hinter nr. '.); alle I Zeilen unten :
nr. 95. Z. 1 n. 2 auch in der nieder-
rheinischen hs. v. j. L57 1 , bl. 95*: Eupho-
lion 9, 294.
17. Km annders. Meins synnekens
sei iitt mir durehiogenn, von eint
schöner ju/nckfraw fein . . . ."> aohl
Vgl. \niw , Ib. 1544, nr. 114, in 5 Strophen,
wovon die drei ersten den handschrift-
lichen entsprechen.
18. Bin annder. Frolich so lrillenn
mir singen, schla drin weib, vmb denn
fcop, niitt kluppelenn Balstu sei schme-
renn, sei di iiiekenn ihr mantell vnnd rock,
vnnd treitl sei mit t den fossenn, vnnd
su ii sei bei dem har, thuitt ihr da
518
.im, ich huir <'iii stim
x. 1 1 r i< J gib jr einenn schlagh. 5 neunz. str.
M 1,1. Berlin V<l 9552 Km new lied,
von einem | alten man, wie er ein weyb
oam. | Wer ''in lied von einem | lieder-
lichen man vml seinem weyb. | Auch ein
tagweyß, wie | man die bftseri weyber
schlahen sol. | Ein ander lied, In dem
thon, [ch het mir fürgenummen. (4bL8°
o. o. u. j., rücks. des letzten blattes leer.)
3. Frölieh so wil ich singen, schlach dein
weyb vmb den kopiT . . . 5 str. — London,
Brit. museum 11, 522 df 26 Ein kurtz-
weylig Lied, | von eynem liederlichen
mau | vnd seynem weyb, In dem | Thon,
Maria zart. | Ein Tagweyß, wio man die |
bösenweyber schlahen sol. | (Bildchen. Am
schluss:) Gedruckt zu Nürnberg | durch
Valentin Newber. (4 bl. 8° o. j., rücks. des
letzten blattes leer.) 1. Meyn fraw Hild-
gart, gar offt meyn wart ... 5 achtzehnz.
str. — 2. Frölieh so will jeh singen, schlag
dein weib vmb den kopff... 5 neunz. str. —
Berl. hs. Mgq 718, bl. 66a: Mit lust so will
ich singen, vnd schlag dein weyb zum
kopff, mit knutlen soltu sy pören, ver-
setz ir mantel vnd rock, vnd tritt sy mit
den fuessen vnd nym sy bey dem har,
liatt sy darab verdriessen, ain stym die
lautt so suesse, so gib ir manchen stoß.
5 str.
(spr.) Katzenn, binden vnnd beeren
Diese drei gedirte kan man woll lernen,
Man fiudt abers keinen so weisen man,
Der ein boß weib bezwingenn kann.
Vgl. Werltspr. 1562, bl. F2b:
Louwen, baren vnd swyne,
Dat synt dre wilde deerte tho themen.
Ick sach nü so wyß einen Mau,
De ein quädt wyff themen kan . . .
Werldtspr. 1601 , bl. 24a.
19. Ein aunder. So ionische ich ir
ein gutte nacktt, xu hundertt thausentt
stunden ... 3 zehnz. str. = 1582 A 10,
B 62; Forster I, 130, Blumm u. Aussb.,
3. 87, nr. 94; Bicinia 1545 II, 92, Gassenh.
u. Reutterl. 25 — beide male nur die
erste tr. Fl. bl. Es. 1574, nr. 16, 1575,
or.39, Pal.343, nr. 183, Val. Hol! 1526,
iL I55b. — Boffmann, Gesellschaft^.,
nr. 135; Goedeke-Tittm., .-. 65.
(spr.) Leidenn vnd meiden is mein
cleidt,
F.in mantell von druck is mir bereitt,
Vnnd is gefodertt mitt verdreitt,
Noch woll ich lieber inn ellendt leben
Dan meinenn bolen vbergebenn.
50. Dweill vmbstmst ist alU kurut,
um IiujIh ii in// frei gegebenn ... 3 zwölf/.,
str. = 65 lioder, Strassburg. Schöffer u.
Apiarius (o. j.), nr. 45; Förster 1, 120;
Joh. Eccardus, Newe deutzsche lieder 1 578,
nr 4 (nur d. erste str.;; Dedekind, Dode-
katonon 1588. nr. 30; vgl.Goedeke, Grundr.
IL-, s. 32. 34. 57 u. ö.; Wolkans liederb.:
Euphorion 6 (1899J, s. 655, nr. 55.
(spr.) Wehr kein weiblich bildt auff erden,
So woll ich ein waldt bruder werden n.
51. Ein annder. Ich sag ade. mir
xwei mir müssen scheiden ... 4 un-
gleichm. str. Forster n, 27 (Goedeke,
Grundr. IL', s. 34); Antw. liederb. 1544,
nr. 100; Hs. 1537: Weim. jahrb. 1 , s. 104,
nr. 15; ursprünglich holländisch, akro-
stichon auf den namen „Jacob'". <>. Niege
v. Allendorf: Berl. Mgq 864, V: Zuchtige
Liedlein von der Liebe ... bl. 37 a (alte
Zählung 30a) Ich sag ade vff begeren
corrigieret. | Ich sag ade | Wir zwey wir
müssen scheiden ... 3 siebenz. str. (bl. 6"
mel.). Willems, Oude Ylaemsche Liederen
1848, s. 366; Snellaert, Oude en nieuwe
Liedjes 1852, s. 19, 1864, s. 50.
(spr.) Mein augenn mögen dich woll ver-
ließen
Mein hertz sali nymmer ein ander kesenn.
Vgl. Hs. 1574, bl. 45" (auch 31") : Eupho-
rion 9, s. 26 (auch 8,526).
52. Mein Syn sein// mir enthogenn,
mein hertx iß mir durehwondtt ... 3
neunz. str. Vgl. hs. v. j. 1537: Weim. Jahr-
buch 1, s. 103, nr. 12 „Miju sinnekens
sijn my onf bogen" 5 str. Vgl. oben
nr. 47.
BERLINER LlEDERHANDSOH.il] V
519
(spr.) Serpentin zongen iß boß veniii
Noch findtt man die erger sein.
53. Ein annder. Ich reitt mich ein-
mall auff euenture, für einen ivaltt was
vngehuire ... 3 siebenz. str. Hs. 1537 :
Weim. jahrb. 1, s. 106, nr. 43 „Ic reet
my uit op avonturen u 3 str. Heidell).
Pal. Germ. 343, nr. 144 Ich ritt mir
aus nach abentheur, 3 str. Hone, An-
zeiger 7 (1838), sp. 378. - Görres, s. 90;
Uhland, nr. 146; Böhme, Altd. Ib., nr. 188,
Liedern. III, s. 183, nr. 1295. — Vgl. noch
bei Hoffmann, Horae ßelg. 2, s. 84 lied-
anfang aus d. 15. Jahrhundert: Ic reist
mar mit om aventure al in een wout.
(spr.) Ehr vnnd zuchtt
Freie ich in aller sochtt,
Wer mir das beschertt
So hette ich meins hertzen beger.
54. Ein annder. Ein Libser man, der
stertxen kan, da dreibt man mitt den
spott vnnd hon ... 3 siebenz. str. =
Schöffer u. Apiarius, 65 heder (Strassb.
o. j.), nr. 28, in 3 entspr. str. — Böhme,
Altd. Ib., nr. 357; Liederh. III, s. 553,
nr. 1767.
(spr.) Wer ich ein böser artt
Dier beste (1. bößte) der ehe geborn wartt
Vnnd wer mein mutter ein huer
Vnnd mein vatter ein dieff,
Hett ich geldtt so wehr ich lycb.
55. Ein annder. Das flog ein blaw
fließ, auß wilder artt, der hatt mir »/ei-
nen falckenn entfortt, ich kons nitt
wiedder finden. 5 str.
(spr.) "Wer als guitt Schlitten farenn on
sehne
Als bolenn aus der ehe,
So dorfftenn die, baurenn keiner karren
mehr.
56. Bin annder.
Ach Gott, was sali ich Bingens,
kurtzweill ist mir wurden theur,
vor Zeiten ginck ieh springen,
(las bos ich alles huett |/. heur];
mit grossen suchten schwer
verzehr ich mangen tag,
ungefell ist widder gefer,
wiewoll ich des ohemantz eu clagh.
Lieb haben und zu meiden
ist mir eine schwere boiß,
das macht des kleffers zunge,
daß ich dich meiden inus.
das ich dich bah verlassen
so ganz und überall,
so bin ich lieb dein eigen,
glaub mir zu diesem malb.
Du hast mir [ganz] umbfangen
das junge herze mein.
nach dir hab ich verlangen,
du zartte junckfrewlein fein;
dein mundtlein rott mir zu meiden
ist mir ein schwere buiß,
deß trauivn ich wiuter und sommer,
das ich dich meiden moß.
Ich sali und moß [mich] scheiden,
eß kan nitt anders sein,
das brengt mir grosses leiden,
ist mir ein schwere pein :
ach scheiden immer scheiden,
[und] wehr hatt dich erdacht,
du hast mein junges herz[e]
auß freuden in trauivn bracht
Vgl. hs. d. Ainalia von Cleve: Zeit-
schrift 22, s. Hü Leb got, wat -<all ich
syngen, | kuitzwyle ist myr woyrden
duyro . . . 11 achtzeilige Strophen, wovon
1.2. 5.6 vorstehender Fassung entsprechen.
Eeidelb. Pal. 343, or. L3 ■■ was
sol ich singen, freudt ist mir worden
deur ... 5 achtz. str. ; 71.
(spr.) ( »eh Illuehtt tob WllllM lien dttS ioh
woltt,
in der hellen all kleffer liehen soltt,
So moohtl ich zu willen sein
Der aller liebster mein.
X. 3 .. aller" hinler „ zu - in der hs.
durchstrichen ; .liehen" „leben" wie
sehr ult in der hs.
.">7. Ein annder. Ooh Oott trie ist mein
boll 80 irilll, daß man innnui an drin
//,,/, jindt ... ."> ungleiohm. Btr. V
Lntw. Ib. 154 I, in. 138, in ii Btrophen,
520
wovon die i hlu trophe >\>-\ band ch] ifl
fehlt, die andern 'I i enl prechen in
dei folge l ::. 5. I. Vgl. Böhme, Ütd.
liedei buch . nr. 423.
(spr.) Liebde mag Leidtl Leidenn,
niercl ich zu allen zeitten,
wer mit liebdenn iß vmbfangen,
der Bteitt seldenn sonder verlangen.
58. Ein annder. Ach lieb mitt leidt
wie hastu dein beschritt cleglich in kurfa
gespiltt auff mich ... '■'> zwölfz. str.
L582 A ii. B58; Forster [,97; Öglin 1512,
„r. i; (vgl. Goed. II '. s.26 a.27 ; Gassenh.
n. Reutterl., nr. 19; Bicinia 1545, II . 94;
Blumm ii. Aussl.., s. 180 (nr. 183). Fl. 14.
Berl. hs. 1575, nr. 38, Beidelb. Pal. 343,
nr. Md. Münch. Cgm 1137, bl. 365. -
Wackern. L841, s.860; Erk-Böhme, Lie-
derh. III. s. 455, nr. 1644 (verdruckt 1444).
i spr.) Mar tlii- Lieff denn heffl gewaltt,
Dar seintl die gedanckenn mennichfaltt.
59. Ein annder.
Mein herz ist alles traurens voll.
darzu bin ich bedrofft,
Ereudtt und niutli ist gar darhin,
für einen narren werden ich geeufft,
oeh richer gott das elag ich dir,
das ich die liebste moiß meiden.
brengt mir ein schwäre pein.
Trauren und leiden moß mein eigen sein,
darzu hin ich bedrufft,
die schönste, der ich so lang gedienet han,
hart mich darzu gebracht,
daß ist des falschen kleffer schuldtt,
her gott mocht ich daß ahn im wreghen,
sunsl wirti sie mir nymmer holdtt.
Ich hah den tagh woll ehr geliebt,
daß ich was freuden reich,
kein freier holt auf erden lieht,
daß ließ ich gethuncken mich,
nhu hin ich verschmadett vonn aller weltt,
daß liehtt mein herz in den thoitt gequeltt,
biß daß eß mir besser gefeit.
Daß ich nhu so traurich bin,
•i 3 ist meiner traurigheit schuldtt,
und wan sie sich bedenken woltt,
sie must mir wesen holtt,
och mochi i B under den thott ges< liehen,
mein herz woltt ich aufeobliet
und Lassens vonn binnen besehen.
Beidelb. Pal. 343, nr. 68, in
Weim. b i. 1537: Wenn, jahrb. 1 . 8. i< l.
nr. 20, in 5 str. Wolkans Liederbuch:
Euphorion 6, . 659, nr. 96, in
Str. II . /.. 2 trawren mos ich t;e
nacht. IV fehlt in der Berliner he. DU
drei letzten /.eilen bilden eine mehrfacl)
angewandte Bchlussformel ; vgl. Berl. h&
L574, wo die letzte Strophe des Liedes
„Ich schweigh and mues gedenken * (i
beginn! : Lch mogl es sunder den toi
schi hen , | Berzallerliebster mein, I Mein
her/. wol|t| ich dir uf schneiden , | 1 fad
ns von binnen bsehn . . .
(spr.) Och wie schwaer 'las ehr di
her diepe suchtet und uitt en claget;
Ich wer well fro wan ich
Und hette waß ich haben wolthe.
60. Ein annder.
Lustlich so hah ich mich außerweltt
meines herzen ein ewigen krön,
die mir in meinem herzen gefeltt
bouen andern junckfrawen schon,
mitt thugden ist sei sehr gezierel
das hübsche junckfrewleiu fein,
des ist stetz zu ir gekert
das frum junge herze mein.
Ich sagens nhu zu dieser zeit
all auß meins herzen grün dt,
mein herz steitt mitt ganzen fleiß
nach irhem roter mundt,
so sali sie stetz die liebste sein
und sein mein außerkoren,
sie gefeltt mir in dem herzen mein,
meinen dienst will ich nicht sparen.
Sie lest eß mich geniesen
meines herzen einiges trost,
wan sie das krichtt zu wissen.
das ich uhu sein verlost
von mugh und auch vonn sorgen
mein syn auf jr gestaltt,
daß redt ich vnuerborgen,
sie mir allein gefeltt.
BERLINER UEDERHAMDSCHE1FT V"
521
Ihr eigen will ich sterben,
das redde ich ir furwar,
ir traw will ich erwerben,
die liebde sali werden ciaer,
die ich zu ihr hab getragen
so manniche stuadtt und tagh,
nhun will ich öffentlich sagen,
das machet Venus macht.
(spr.) Ich woltt gern wissen wie ehr heisth,
Der sich votm hübschen junckfrewlein nitt
narren leiß,
Nemo is ehr genhant,
Nusquam is sein vatter landt.
Vgl. Künstlike Werltspröke 1562, hl.
B2a: Ick wolt gern weten, wo de hete, |
De sick van frouwen nicht narren lethe...
Werldtspr.1601, M. 9*.
Von einem in fliegenden drucken (Yd
7821, st. 12 u. 14, Ye 2942 u. 43) mehr-
fach anzutreffenden liede des Jörg Graff
lauten anfang und schluss:
Nun hört jr herren all geleych, wie
yetzt bey Wien in Österreich, vier mort
sein geschehen, von einer hübschen
vischerin, das wil jeh euch veriehen . . .
Ich west so gerne wie der hieß, der
sich nit weiber narren ließ, nun last vns
all bedencken, wie wir bewaren vnser
seel, das wirs dort nit versencken.
Jahrbuch d. Vereins I. niederd. Sprach-
forschung (3. jahrg.) 1877, s. Ol: Ick
wolde gerne weten .. . s. (i:'> noch einmal:
Ich wims nicht, wei der beist . . . I zeilen,
dahinter „anno 1510". Vgl. noch s. 66.
61. Kin annder. Ach wmter kalti wie
mannigfaltt krengstu herfa mutt wind
sinnen . . . 6 neunz. str. = 1582 A 25,
B 77. Niederd. liederb. 82. Kl. 1.1. lls. L574,
nr.47; 1575, ur. 14; Es. des P. Fabriciu .
nr. 152; Goedeke - Tittm., s. 161; Brk-
Böhme, Liederhort 111, s. 456, nr. 1645.
(spr.) Der mir theitt »las ehr mii
leb wils im lohnen ob ich kau,
Kli sei [gut] oder bofi ioh wils gedenken
Und will im von dem Stilisten Bohenkon.
62. Ein annder.
Ich kam darher gegangen.
die zeitt wai'tt mir nitt lan^k,
und mir wartt dar gegeben
ein freundtlich ummefangk.
Und mir wartt dar gegeben
all von der allerliebster mein,
mich dochtt es kam mir eben,
och mocht ich bei jr sein.
Sy (?) fortt mich allein (?)
als hier und anders wha.
des wünschen ich zu gutte
vill thausent guetter jair.
Das ist mir ein schwere noitt.
das ich mich mus meiden ir mnndlein rott,
wee mir hude and immer mehr.
wan ich sie so seiden sehen.
(spr. i < Ich wie schwur bie drachtt,
Der schwigtt vnnd aemantl clagtt.
63. Ein annder.
Woltt mich der wechter wenken
nach meines herzen Inst.
das ich midi nitt verschli
an meines lieben brüst,
ich holt ein hor[n]Iein schallen
junckfrewlein weckt ewern gesellen,
das ehr sich mit \ erscblap.
Wie gern woltl ich inn wecken
den allerliebsten mein,
ich fruchtl ehr soltl ken
sein hei/, and auch das mein,
ihm musten wir zwei scheiden,
so traurten wir alle beiden,
(las thuet des tages schein.
(ich wechter wollestu sohweigen
und folgen meiner lehr.
hei der liebsten woltl ich pleiben,
verlassen guitl und ehr,
och weohter trauwer geselle,
wer mein lieb in der hellen,
hei JIM so W Olti lob sein.
Ehr nani sie bei den benden,
hei irer sohneweisser handtt,
ehr leidtt sei also hahle,
dar ehi das bettelein fantt.
522
dar likrun die zwei verborgen
bis an den lichten morgen
das sich der tag auf brach.
(spr.) Ich woltt das all zongen weren
gesplisson,
Die mehr klaffen dan s<ü wisson.
64. Ein annder. Wor ich m/itt dem
leib nitt kkommen mag, dar ist all tagk,
du in hrrtx vnnd gcnndt ... 3 sieben/., str.
Vgl. Forste 111,57. Fl. bl. Yd 7821, st. 5
Drey schöner lieder, das | erst, Mein fleyß
vnd müe. Das | ander, Mein hertz bat
sich | mit lieb verpflicht. Das | dritt, Wo
ich mit leib | nit kummen mag, | da ist
alitag. (Bildchen. 4 bl. 8° o. o. u.j., rücks.
des ersten u. letztes bl. leer.) 3 in 3 str.
Hs. M. Ebonreutters 1530/50: Berl.Mgf488,
bl. 323% in 3 str.
(spr.) Frundt vonn trawenn
Trost vonn hubschenn junckfrawenn
Vnnd geltz gnoch darboi
Der daz erlangenn kan, Der ist aller sor-
gen n frei.
65. Ein annder. Du mein schatx, dein
suesser schwätz, dein weiblich schon,
vnnd hohe xuchtt, ist mir kuntt . . .
3 zwölfz. str. Pal. 343, nr. 24 u. 47, in
je 3 str. Gassenh. u. Eeutterl., nr. 81 : E
du mein schätz , dein süsser schwatz , dein
weiblich schön vnd höchste zucht, ist mir
so kundt ... 12 z. (nur d. erste str.)
(spr.) Frawenn list
Bedrugtt als was da ist,
Wer Gott ein gauch,
Sei bedrugh in auch.
66. Ein annder. Wiewoll ich arm vnd
ellendt bin, So hob ich doch einenn stät-
tigenn syn ... 5 fünfz. str. Vgl. 1582
A 27 u. 227, B 79 u. 174; Forster V, 49.
Niederd. liederb., nr. 52; Blumm u. Aussb.,
s. 160 (nr. 167). Fl. bl. Hs. 1574, nr. 61,
1575, nr.45; Hs. f. Ottilia Feuehler 1592:
Alemannia 1, s.49 ; Pal. 343, nr. 38. — Görres,
s. 87; Uhland, nr. 72; Hoffmauu, Gesell-
schaftsl., nr. 101 ; Böhme, Altd. Ib., nr. 431 ;
£h.n, s..552#,>r. 747; E. ;v._Liliencron,
Volksl. um L530 (Nat-litt IS
n r. 126; O.F. Becker, Liedei a. weisen I.
s. 17.
(spr.) Ann einfeltig vnnd fi
Jst mein Bchatz vnnd reichtomb.
67. Ein annder.
Jtz wurtt mir kundt verlangen
in meines herzen grundt.
suchten, trauren, bangen,
dick und zu manger stundt,
moß ich im herzen dragen,
das ist ein leiden groß,
ich weiß es nemantz zu clagen,
des stehen ich freuden bloß.
Ich mocht es deme clagen.
ja lieber wer ime mein leidtt,
drnmb muß ichs alleine dragen,
das ist gar schwär arbeitt,
jedoch so will ich hoffen,
wehr weiß wie es gefeldtt,
es mocht noch werden offen,
ich wurdt zu ir geseltt.
Mich will verlangen thotten,
und es mich hart erbrantt,
ich leigen in grossen nothen,
doch stett zu ir gewantt
mein herz ohn widder keren
biß auf mein hinnefartt,
in freuden kan sie mich erneren,
wan sie nitt wesen woltt zu hartt.
(spr.) Der mir mein hertz beschwertt
Vnnd meiner in rechter trewen nitt be-
gertt,
Der loß mich pleibenn der ich bin
Das beger ich vnnd eigh (?) nitt mein.
68. Ein annder.
Ade ich mos mich scheiden,
ade ich mos daraann,
ich bitt nhu dragtt kein leiden,
das ich mos vonn dir scheiden,
gedenk herzlieb darann.
Gib nemantz baldtt glauben,
vertraw nitt Jedermann,
schlag alles aus dem synnen,
das dir kein schmerz en breugen,
gedenk herzlieb darann.
BERLINER LIEDERHAXDSCHRIFT VON 1568
523
Negst Gott bistu mir die liebste,
schwer ich auf meinen aidt,
das herz in meinem leibe
ist dein und sali dir pleiben,
wehr ich schonn über thausentt meilen
[weit].
Ade du außerweite,
ade ich moes daruann,
Gott moes dir in gesontheit sparen,
und dich vor leidt bewaren,
bis das ich wieder kom.
Hs. 1574, nr. 07, in 4 entspr. str. Akro-
stichon „Anna"?
(spr.) Ich bin der ich bin,
Wiltt ist mein Syn,
Hogh ist mein mutt,
Kleiu ist mein guitt,
Dar ich nitt fill von han,
Der muß mich woll mitt freden lan.
Zu z. 1—4 vgl. Werltspr. 1562, bl. G lb;
1601, bl. 26b; Jahrb. f. niederd. Sprach-
forschung (3) 1877, s. 62: Ick byn de yck
byn ... 6 entspr. z.
69. Ein annder. Saligh ist der tagh
der mir das gluck verlehenett liatt . . .
8 vierz. str. Vgl. 1582 A 95, B 40; Franck,
Musikal. bergkreyhen 1602, nr. 16. Fl. bl.
Hs. 1575, nr. 3; Pal. 343, nr. 97 u. 185.
(spr.) Männer list iß bchendtt,
Frauwenn list hatt kein endtt,
Weiß ist der mann,
Der sich für frawen list hüten kan.
70. Ein annder. Ich mm von hm,
danwib ich bin, hertzliebste mein, in
schwerer pein ... 3 siebzehnz. str. 1582
A 166, B 49, in je 4 Strophen, wovon
1 — 3 den handschriftlichen entsprechen.
Fl. bl. Ye 16 Drey hübsche Lieder, das |
erst, Lieblich hat sich gesellet, mein | hertz
in kurtzer frist. | Das ander, Dein lieb
durch | dringt mein jungos hertz | Das
dritte, Ich muß von | hin, darum b ioh
bin. (Bildchen. Am sohluss:) Gedruokl
zu Nürnberg | durch Valentin | Neuber.
(4 1.1. 8° o. j., rücks. des letzten Id. lei -
3 in 1 str. 1 u. 2 s. unten nr. 73 und 9 '
Hs. v. Helmstorff 1569/75, nr. 17, in I str.
Pal. 343, nr. 161, in 4 str.
(spr.) Ich bin from frolich vnnd frey
Vnnd obrechtt darbei,
Wer iß der gene dann,
Der von mir bois sagen kan.
71. Ein annder. Ich lag der schwende,
so ich gedenck, das in eint jair. ver-
gessenn gar, iß worden mt in ... 3 neunz.
str. Hs. v. Helmstorff 1569 75, nr. 12, in
3 str- (spr.) Nach druck
Kertt gluck.
72. Nach luist hob ich mir außerweltt,
Die fraw meins hertxerm ein trosterin ...
3 neunz. str. = 1582 A4, B 173; 75 Lie-
der, Cöln, A. v. Aich (o. j.), nr. 26: 56
lieder (o. j.), nr. 16; Forster III. 55. Nie-
derd. liederb., nr. 51. M. Ebenreutters hs.
1530: Berl. Mgf 488, bl. 330». Vgl. Bibl.
d. litt. v. 30. s. 1472; Wackern., Kirchen-
lied 1841, s. 855; C.F.Becker. Liedern.
weisen vergangener Jahrhunderte, 2. aufl.
1853, III, s. 3.
(spr.) Schon wortt vnnd da gelogenn
Habenn manchenn gesellen bedrogenn.
73. Ein annder. Lieblich hatt sich ge-
sellett, mein hert» in kurtxer frist. x/u
emer die mir gesellett (l.gef.J...
benz. str. = 1582 A. 19, B 71; Bergr.
1531, nr. ls. L536 u.ö., m. 27; Förster II.
1540x1.0., nr. ll; Gassenh. u. Reutterl.
(o. j), nr. 6 nur d. erste Btr.; 68 lieder,
Nürnberg, J. v. Her- u. V. Neuber (o. j.),
nr. 29, in 4 str. Niederd. liederb., nr. in.
Fl. bl. Berlin, Basel, Zürich. Berl. hs.
1574, nr. 17, 1575, nr. 92; Beidelb. Pal.
343, nr. 164. Nicolai, Üm.2, s. ■'>. ur.2;
Waokern., s.856; BofEmann,G( sellso
nr. 41 ; Goedeke - Tittm., s. 25; Böhme,
Alul. liederb., nr. 131, Liedern. 11.
nr. 456; R. v. Lilienoron , Volkal. um 1530
i Vit. -litt. 13), B.294, nr 103.
ispr.) Allein mein
Oder laß es auß sein.
Vgl. Joh. Petras de ICerael . 1
.hau (o. o.) 1656, 3 133; 1660,
s. 102 (ii. b\): .. Lieb mioh allein. | < klei
laß es gar seyn " Einzeldruck des Bril
524
imiv 1 L522 'II 53 „Zwey Hübschen Lie-
der" An; purg . « Ihristofi Gaste! (o. j.).
Bchluss: .. ML in Mein, l »der i laß gar
Bein." Klone, A.nz. f. kuude d. teui
vorzeit 7 (1838), Bp. 501 : „Gar mein
oder laß aber niobts sein." Eintragung
der jungen baronesse von Crailsheim aus
dem jabre 1771 in die von ihrem vater
zu seiner Studentenzeit angelegte liedor-
handschrift (Borl. Mgq 722): „Liebe mich
allein oder laß gar sein.u Kopp, Deut-
scbes vulks- u. studentenlied, s. 10, Ein
sträusschen liebesblüten, s. 14.
74. Ein annder. Schon/n vnnd tartt,
vonn edler artt, erxeigtt hast dich genn
mir [rr it inli lirh . . . 3 achtz. str. - 115
liedlein, Nürnberg, J.Ott 1544, nr. 38:
E schön vnd zart von edler art, erzeigt
hast dich gen mir freundlich ... 3 achtz.
str. Stellt man die 2. Strophe mit der
diitten um, so hat man das akrostichon
„E-li-se". 68 lieder, Nürnberg (o. j.),
n r. 8, wovon der anfang fehlt: meinen
gir all lieb vnd trew teil ich mit dir.
2. Sech ich das sich, gelück für sich,
keil auff mein fart ... 3. Lieb hat kein
maß . . .
(spr.) Verlorenn iß wolthatt vnnd das
guitt
Daß man einem vudanckbarenn thuitt.
Ein böses hertz gar seltenu
Daß guitt mitt guttem thuitt vergeltenn,
l«;h will daß sei all erstickett werhenn
Die anders sein dan sie geberenn.
75. Ein annder. Ich armer boß bin
gantx verirtt, ach Jupiter sendt mir dein
hilff . . 3 zehnz. str. 1582 A 18, B 70;
Förster III, 75. Niederd. liederb., nr. 55:
in je 6 strophen, wovon die drei ersten
den handschriftlichen entsprechen. 68 lie-
der, Nürnberg, J. vom Berg u. V. Neuher
(o. j.), nr. 11 u. 17, in je 3 str. Fl. bl.
Berlin, Basel. Heidelb. hs. Pal. 343, nr.
157. — Erk- Böhme, Liederh. III, s. 464,
nr. 1657.
(spr.) Wor ich mich hin wendt
Vngefell iß altzeitt mein gesell.
76. Ein anndei l< ■/> hm , in jegi
uertxagttf blaß auf) mein fiorttn hott
in h> n ,-.-iii/i> . . I achtz. ed in
era sinne; Namenl. „J
Nürnberger druck von 68 Liedern (o. j.j.
nr. 12; vgl ' toedt ke, ' rrundr. II '. b. H);
Böhme, Altd. liederb., nr. 1 17.
(spr.) Deifl zu suchtenn vnnd vorn zu senden
Vhell zu empfangenn i I groß eilende.
77. Ein anndei. Wit hastu mich
krefftiglich mitt dein* r lieb vmbfangenn ..
rzehnz. str. = 68 lieder, nr. 13.
i pi.) Li<'ü aldeti \ and macht! greiß bar.
Sunst aldett mannieber Bunder jair.
78. Ich clag denn tagh vnnd alle stundt,
daß mein außbundt, nitt hott sein ge-
sundt ... 3 fünfz. str. = 1582 A 189,
B 146;. 121 lieder L534, tu. 27; L 15 lied-
lein 1544 unter den sechsst, nr. 4; För-
ster I, 33; Gassenh. u. Reutterl. (o. j.i.
nr. 59, nur d. erste str.; 68 lieder, Nürn-
berg (o. j.), nr. 16, in 3 str. Fl. bl. Yd
7821 (einband v. j. 1530) st. 33:
schöne newe Lieder | Das erst, Ich klag
den tag vnd alle stund. | Das ander, Schön
bin jeh nit. Das | dritt, Sie acht meyn
nit auß vbermüt. (Bildchen. Am schluss:)
Getruckt zu Nürnberg durch | Kunegund
Eergotin. (4 bl. 8° o. j., rücks. des ersten
und des letzten bl. leer.) 1 iu 3 entspr.
str. (Das zweite lied s. unten nr. 108.)
Yd 9261 bruchstück, letztes blatt eines
liederheftchens, rücks. leer, Vorderseite:
Ein anders Lied. Ich klag den tag vnnd
alle stund ... 3 entspr. str. Gedruckt zu
Augspurg, bey der Agatha Geglerin. (1 bl.
8° o. j.) Yd 9681 Drey Schone Lieder, |
Das erst, Ich armer Tob je. Das | ander
Ißbruck ich muß dich | lassen. Das drit,
Ich | klag den tag vnd | alle stund. (Bild-
chen. Am schluss:) Gedrückt zu Nürn-
berg | durch Friderich , | Gutknecht. (4M.
8° o. j., rücks. des ersten und des letzten
bl. leer.) 3 in 3 entspr. str. (Das erste
lied s. oben nr. 75). Heidelb. hs. Pal.
343. nr. 85. — Erk- Böhme, Liederh. III,
s. 464, nr. 1658.
BERLINER LIK.nF.RHAM>SnTRIFT VON 1568
525
(spr.) Einer der woll verbiedenn,
Daß ich dich nitt soll liebenn
Vnnd einen rappenn weiß woltt badenn
Der thuitt vnnutz arbeitt auf! sich latheu.
79. Ein aunder. Eß iagtt ein ieger
wollgemutt, ehr iagtt auff (1. anß) fri-
schem freiem m/uth ... 4 fünfz. str. =
L582 A 113; C8 lieder, Nürnberg (o. j.),
nr. 26, ebf. 4 str.; Eorster III, 72, in 7
Str. — Wundern. I, s. 113; Uhland, nr. 101;
Simrock, s. 188; Goedeke-Tittm., s. 110;
Böhme, Altd. liederb., nr. 441, Liederh.
III, s. 303, nr. 1442.
(spr.) Schweig vnnd leitt,
Mirck vnnd mydtt,
Weß fromb mitt ernenn,
Des kann nemantz verkerenn.
80. Ein annder. Ich irr iß mir ein
megdlein hubseh vnnd fein, hntt du
dich . . . '.', vierz. str. 08 lieder, Nürn-
berg (o. j.), nr. 33, in 3 str.; Bergr. 1574
II, 13, in 5 str. Fl. bl. Yd'<)!)94 Drey
Hübsche Lieder, | Das erste, Wach auff
meins hertzen | ein schöne, zart aller
liebste mein. | Das Ander, Mein M. [ch
hab | dich auß erweit. | Das dritt, [ch
weiß mir ein meyd- | hin hübsch vud
fein, ?c. (Bildchen. Am schluss:) Gedruckt
zu Nürnberg, durch | Valentin Neober.
(4 bl. 8° o. j., rücks. des ersten u. Letzten
bl. leer.) 3 in 5 str. (Das erste lied s.
unten in. 100). — Nicolai, Almaiiach 1,
s. 113, nr. 19; Wunderhon) I, s, 207;
Hoffmann, Gesellschaftsl., nr. 50; Ooedoke-
Tittm., s. 42; Böhme, Altd. liederb., nr.
200, Liederh. II, s. 263, nr.445; I.'. frh.
v. Lilieucron, Volksl. um 1530 (Nat.-Iiit.
13), s. 280, nr. 97.
81. Ein annder. Erst hebt sie// nutz
vnnd yamer mi, ich sich das ichs nitt
wenden kern, ßo eß mus gescheidenn
sein ... 3 sieben/., str. 1T.S2 A 195,
B152; vgl.P. Schöffer L513 bei Öoedeke,
Grundr. 11'', s. 26 u.a.; OS Lieder, Nürn-
berg (o. j.), nr. 34, in 3 str. Niederd.
liederh., nr. I. Kl. bl. Ils. v. Belmstorff
1569/75, nr. ls. Pal. 343, nr. li;>.
(spr.) Wer ein vngluck nitt meiden kan,
Der gehe nhur frisch mitt fremden dran.
Das leidtt das man mitt freuden annympt
zu leichter wan eß einem anknmptt
82. Ein annder. Für alle freudtt rmff
diesscr erdtt, hab ich mir ein
ausericeltt ... 3 zehnz. str. OS lieder,
nr. 40, ebf. in 3 str. Fl. bl. Yd 7801
(v. Nagler), st. 24. ebf. 3 str. Weim.
sammelb., st. 55 Drey hübsche Lieder,
Das Erst, Für alle freud auff diser
erden :c. | Das ander, Ich scheid dahiu,
doch | bleybt meyn sin. Das dritt. j
Wie schön plüet vns | der Maye. (Bild-
chen. Am schluss:) Getruckt zu Nürnberg
durch | Kunegund Hergotin. (4 bl. 8° o. j.,
rücks. des ersten und des letzten I
leer). Für alle fiewd auff diser erden,
hab jeh mir eyn schätz außerweit . . .
.". str. Das dritte lied des einzeldrucks
unten nr. 118. Heidelb. hs. Pal 343, nr.
132, ebf. 3 str. ursprünglich akrostichon
FELifXr
83. Ein annder. Kein freudtt ohn leidtt
n/(ii/ mir wiederfaren, dweill ich plech
der liebenn tuchtt . . . ."> zehnz. str. =
1582 A ::;», B91. Niederd. Liederb. 109(94).
Fl. bl. Hs. 1574, nr. 18; 1575, nr. Iv Kik-
Böhme, Liederh. III, s. 168, nr. 1663
(spr.) Eß liatt die ridtt,
Wie ichs anfangli so schickt siehs nitt.
84. Ein annder. Nye grosser leb mir
\/i handenn kam, vonn wunderlichem
schertxenn ....'! zehnz. str. 1582 \ 191 ;
Forstei I, 109; Goedeke-Tittmann, b. 24,
(spr.) Nemantt aufferdenn so woll ihoitl
Das eß iederman dunckti -''in
85. Kin ander. Betrachlt vnnd achtt,
was scheiden« machtt, kein l>ittc>s krault
ii/i/} enlenn. Mag nesein
(spr.) leb pleib du- holdtt,
Eß kosi waß aß well.
Daß weiß GoW vnnd ich,
Der weh be \ ur leidtl behuitl dich ^ und
mich.
526
HO. Kin annder. Entwundtt mein ge-
muitt, ist nahe ir guitt, für scha/m ich
ir niit sagenn kau, mein hertxlich
gir ...'.'> zwi'il IV.. str.
(spr.) So lang das gluck einem bei teitt,
Kin ieder freundtlich zu jra geitt,
Kiun|it er aber jn vngefell,
So heist['s:] kein geltt kein gesell.
ST. Kin annder. Mitt kommer schwer,
in iit kommer schwer, hott mich ganU
sein (1. seer), groß vngluck vmbgebenn...
3 elf/., str. Vgl. oben in. 26 noch einmal
dasselbe lied.
(spr.) Wer schweizer vnnd orhen bleser
Die pflumen Streicher vund fedder leser
Bei sich im hauß wonenn lest,
Der hatt furwar auch gerne gest.
88. Ein auiider. Holtseheligs toeib, dei-
ner reiner stoltxer leib, hatt mich be-
hafft, mitt schwerer leib ... 3 str. Fl. bl.
rd 7821 (einband v. j. 1539), st. 19, drei
lieder enthaltend, Nürnberg, K. Hergotin
o. j. 2. „Holdtseligs weyb" 3 str. (Nr. 49
auch in diesem einzeldruck).
(spr.) Vergangenes sali man dencklich
achten,
Das zukunfftig sali man für betrachten,
Das gegenwurtig ordinerenn,
So mag man ein rechtt lieben füren.
89. Ein annders. An dich kau ich nitt
frewenn mich, seilt du mich hast ge-
fangenn ... 3 zwölfz. str. = 1582 A 34,
B 86; 75 lieder, A. v. Aich (o. j.), nr. 5,
in 3 entspr. str.; Gassenh. u. Reutterl.,
nr. 31. Hs. d. Amalia v. Cleve: Zeitschrift
22, s. 402, in 3 str. Fl. bl. Yd 9911
Zwey Schöne | Lieder, Das erste Sag | an
hertz lieb was scheyden | thut. | Das ander,
On dich kan ich | nicht freyen mich. |
(Bildchen. Am schluss:) Gedruckt zu
Nürn- | berg durch Valen- | tin Neuber
(4 bl. 8° o. j., rücks. des ersten und des
letzten blattes leer). 2 in 3 entspr. str.
(spr.) Seich an mich vnnd gedenck an dich,
Bistu vnstrafflich so straff mich.
90. Ein anders. Es uundertt rechtt
mich kranchen knechtt, daß ich ver-
schmaheti (1. verschmechf) n,n n .«<>ltt
si in . . . '.', achtz
(spr.) [ob bin ellendicb vund rill. -in
tob enweiß aemantt der micb mitt trau-
ten meinet
91. Kin annder. Ach vnfall schwer
iiiml sehentlich pein, verlangenn nun//
mein leiden ...'.'> zwölf/., str. Akrostichon
„An[n]a"?
(spr.) Sei krencktl mir syn nmd moitt
Dy Cm mir des gefallene thuitt,
Vur sei stell ich Ir-il, mnd guitt.
92. Ein annder. Dein lieb durchdringtt
mein eilendes hertx, furwar <.n schertx,
hin ich verwundt . . . 3 elfz. str. 1582
A 205, B 165. Kl. bl. Ye 15 „Drey hübsche
Lieder-' Nürnberg, V. Neuber o. j. (nr. 70
auch darin). 5Te 16 „Drey hübsche Lieder1
Nürnberg, V. Neuher o. j. (nr. 70 u. 73
auch darin). Alem. 1,51.
(spr.) Noch gewin
Steitt mein synn.
93. Ein annder. Weß sali ich mich
ernerenn, ich werdtt gehaltenn so kortt...
3 neunz. str. Vgl. oben nr. 39 Mocht ich
vergessen lehren ... 3 neunz. str. P. v. d.
Aelst, De arte am. 1602, s. 182 Wes soll
ich mich ernehren. ich bin gehalten so
hart ... 8 neunz. str. 5. Möcht ich ver-
gessen lehren . . .
(spr.) Kundtt ich mitt blauwen lackenn
Ein loß hertz stehett machenn,
Hett ich bürg vnnd landtt
Ich geb sei all vmb blaw gewanndt.
94. Ein annder. Wha sali ich hin, wa
sali ich her, ivha sali ich mich hin
kerenn ... 4 zwölfz. str. = 1582 A 82,
B 155. Fl. bl. Hs. d. Amalia v. Cleve: Zeit-
schrift 22, s. 405, nr. 28, in 10 str. Hs.
1575, nr. 68, Pal. 343, nr. 11 , in je 4 str.
(spr.) Och Gott ker vnnd wendt
Mein sach zum gutten endt.
95. Ein annder. Eß taghtt vor dem
tvalde, stelle an ff sehonn boill . . . 3 str.
Fassung sehr verdorben.
BF.RLIVF.R LIFJiEKHANIlSCHRIFT VON 1568
527
(spr.) Kein lieber dan dich,
Das weiß Gott vnud ich,
Kein lieber ich beger,
Vund wehr ich schonn der weit ein her.
Dieselben vier Zeilen s. oben hinter nr.
46; z. 1 und 2 für sich besonders hinter
nr. 30; z. 3 und 4 hinter nr. 9.
96. Ein annder. Mein einigs A mein
höchster schätz, mein trost miff dieser
erden/n ... 3 zwölf z. Strophen, deren letzte
nicht vollständig ist. Vgl. Pal. 343, nr.
171, ebf. 3 str. Fl. bl. Yd 9126 (beschr.
s. oben nr. 23) in 3 str. Yd 9918 Zwey
hübsche Lieder, | Das erst, Es ritt ein
Reutter | wolgemut. | Das ander, Mein
eyuigs A. | mein höchster schätz. (Bild-
chen. Am schluss:) Gedruckt zu Nürnberg
durch | Valentin Neuber. (4 bl. 8° o. j.,
rücks. des ersten und des letzten blattes
leer). „Mein einigs A." 3 str.
(spr.) Ich hab dir hertz lieb mein liebenu
geben n.
Du kanst mich thottenn oder lassenn lieben,
Noch sali mir uemantz lieber sein
Dan allein das junge hertze dein.
97. Ein annder. Ellendtt brengtt fein,
dem hertzenn mein, so ich dich li<l> mus
meidenn . . . 3 zwölfz. str. Akrostichon
ELS? = Forster I, 92, III, 79; 115 lied-
lein 1544, nr. 76, in 2 str.; 65 lieder,
Strassburg, Schöffer u. Apiarius (o. j.),
nr. 43, in 3 str.; Gassenh. n. Reutterl.,
nr. 51, nur d. erste str. Vgl. Goedeke,
Grundr. II2, s. 32. 34. 36. 38 u. ö. Fl. bl.
Berl. hs. 1575, ur.32; Heidelb. Pal. 343 fol.,
nr. 67.
(spr.) Noch guitt vnnd gluck
Stell ich mein hoffnung duck.
98. Ein ander. Ade ich mus mich
scheidenn, uns traurentlichem mutt . . .
4 neunz. str. 1582 A 169, B 87, in je
7 strophen, wovon die I ersten den hand-
schriftlichen entsprechen. Kl. hl. Yd 9081
Schoner lieder zwey. | Das Erst, Lide
iniiU ich mich Bchey- | den, ans trawrigk-
lichem mfit. | Das Ander, Freundlicher
helt, ich hab | erweit, mevn heit/, bej
dir | zu bleyben. \ M.D.XXVj. (4 bl. 8°
o. o., rücks. des ersten und des letzten
blattes leer). 1 in 7 str. — Yd 7S21 , st. 22
Schöner Lieder zwey, | Das erst. Aide
jeh mich scheyden, | auß traurigk-
lichem mfit. | Das ander, Freundlicher
held, jeh hab | erweit, meyn hertz bey
dir | zu bleyben. (Bildchen. Am schluss:»
Gedruckt zu Nürmberg durch | Kunegund
Hergotin. (4 bl. 8° o. j., rücks. des ersten
und des letzten blattes leer). 1 in 7 str. —
London, Brit. mus. 11, 522 df 18 Schöner
Lie- | der zwey Das erste, Aide ich | muß
mich scheiden, aus trawrig- | klichem
mut. | Das ander, Freundtlicher Heldt,
ich | hab erweit, mein hertz bey | dir zu
bleiben, | (Bildchen. Am schluss:) Ge-
druckht, zu Straubing, | durch Hansen
Burger. | Amor vineif oiimia. (4 bl. ^u
o. j., rücks. des ersten und des letzten
blattes leer). 1 in 7 str. — 11,522
Zwey Hübschen Lieder, das | Erst, Aide
ich mfiß mich scheyden, auß | trawrigk-
lichem Mnt. | Das ander, Freündtlichei
Held, ich hab erwölt, mein Hertz | bey
dir zubleiben je. | (Bildchen) | Getrucki
zu Augspnrg, Durch | Christoff Oastel.
(3 bezw. -1 bl. 8° o. j., viertes Hart fehlt,
rücks. des ersten leer). \m schluss:
„AlleinMein, Oder | laß gar sein." 1 in 7 str.
— C.F.Becker, Liedern. weisen I. 3. 15.
99. Ein annder.
Schons lieb ich bin dir treu und holtl
aulJ ganzem meinem herzen,
woltt gott das mirs geboren soltt
initt dir frundtlich zu Bcherzen,
nicht liebers auf erdt
mein junges her/ begertl
dan dein Freundtschafft su erwerben,
desto Erolicher woltt ich Bterben.
Du soltt mein gemueti aichl verachten,
du soh s megdlein rein,
und mein gunsl [solt] du betrachten,
dweil ich dich für all gemein
hab außerkoren
nitt laß sein verloren,
Itl lieb mitt trewen,
daß boII dioh um gerauwen,
i28
Sprich zu mir «'in Ereundtliohe redde,
das mein herz troal befinde,
ii ml mein schmerz sich verker zu freudt,
dir will ich mich eweglicfa verbynden,
der diener dein,
zuiü liebste mein,
vor meines lebens ende
will ich \<in dir tritt wenden.
(s|ir.) Suchten \ und clagen
Machen mich altt in meinen jungen jairen
(1. tagen).
100. Ein annders. Wach auff meine
hertxn eine schon wvrtt aller liebste
du in ... 8 siebenz. str. Vgl. Niedenl.
liederb., nr. 144(130). Fl. bl. Hs. d.frh.v.
Reiffenberg, Nouv. Souvenirs d'Allem. I,
s. 224; Mgq 718, bl. 1 lft. — Nicolai, Alma-
uach II, s. 9, nr. 3; Wackernagel, s.839;
Goedeke -Tittm., s. 7:",; Böhme, Alt-I. Ib.,
ar. 118, Lh.II, s. 603, nr.804.
101. Ein annder. Mein hertxigs lieb,
ich mich stetx ich, noch dir in allenn
irlm... (i zwölfz. str. Wechselgespräch:
jüngling str. 1.3.5; Jungfrau 2.4.6.
102. Ein annder. Ade mitt /cid//, ich
von dir scheidtt . . . 3 achtz. str. = 1582
A 177, B 130 (nur 2. 3 = III. II); Lieder-
buch, Augsburg, Öglin 1512, nr. 18, ebf.
in 3 str. (Goed. II2, s. 26); 121 lieder,
Nürnberg, Ott 1534, nr. 3, nur aniangs-
strophe. Berl. hs. Mgo 237, bl. 4a, in 3 str.
Hs. d. Amalia v. Cleve: Zeitschrift 22,
h. 401, nr. 7, in 3 str. IIs. f. Ottilia Fench-
ler: Alemannia 1, s. 28, in 3 Strophen,
eingerahmt von den beiden Sprüchen :
„Lieb ist leydes anfang, | es geste kurz
oder lang" und „lieb haben vnd nicht
genießen, | das möcht den tüffel ver-
drießen". Pal. 343, nr. 64, in 3 str. Ketz-
manns hs. 1552, bl. 281b, in 3 str. — Hoff-
mann, Gesellschaftsl., nr. 154.
(spr.) War ich mich ker vnnd wendtt
(1. wend' und kehr',)
Ist mir nichtz lieber dan mein ehr.
103. Ein annder. In kerter clagh, für
ich meinxeitt, vnnd hin mitt schmertxevm
beladenn ... 3 achtz. str.
(spr.) Die ich mir in erhn bab außerweltt
Darfur nein ich kein guitt aoob geltt.
104. Ein annder. 0 weiblich bildtt,
nie ri ich iinid milll , dein Inli , r/n //> i,h
allenn das a/uff erden/n ist ...'.'> zwölfz.
h Goi deke gl ondr. 1 1 '. höflfer
1513, nr. 19. Pal. 343, u iplich
bildt, und noch einmal ar. 72 Ein züch-
tiges bilt, in je 3 str.
(spr.) Wer kans geramen,
Dar ein jeder spricM amen.
105. Ein annder. Hett ich vill geltt,
so wehr ich werft gehalten/n . . . '■'> zebnz.
str. = A. v. Aich (o. j.), nr. 19, in 3 Btr.
(Goed. II-, s. 27); Pal. 343, nr. L35, in
ebf. 3 str.
(8pr.) Haltt dich woll daz ist mein ratli.
Hab lieb der dich lieb hatt.
100. Ein annder. Ich stell leidtt ah,
von/n sulcher hob, der ich nein weiß tu
geneissenn ... .'! zwölfz. str. A. v. Aich,
nr. 51 (Goed. II2, s. 28); Ernster I. 18
(II2, 35); Gassenh. u. Eeutterl. 70 (nur d.
erste str.); Eccardus 1578, nr. 10 (ebf.
nur d. erste str.); Hs. 1575, nr. 79.
107. Ein annder. Aus guethem wohn,
ich Litrtx besann, %u. geben» mich, in
dienst vnnd pflichtt ... 3 zehnz. str.
108. Ein annder. Schonn hin ich nitt
mein höchster hortt, laß mich des nitt
entgeltenn . . . 3 zehnz. str. 1582 A 181,
B137; Pinck 1536, nr. 30, ebf. in 3 str.
(Goedeke II2, s. 33). Fl. bl. Hs. 1575. nr.
20. — Wundern. III, s. 77; Hoffmann, Ge-
sellschaftsl., nr. 14; Goedeke - Tittm.. s. 13.
(spr.) Ewig ist lanck,
Aber lanck ist nitt ewigh,
Darumb verhör —
109. Ein annder. Brennende lieb d/i
heische flam , ic/'c hastu midi vmb-
gebenn ... 7 zehnz. str. Akrost. „ Bar-
bara." = 1582 A 110, B134. Fl. bl. Hs.
1574, nr. 55; 1575, nr. 110; Hs. f. Ottilia
Fenchler 1592: Alemannia I, s. 8.
BERLINER LIEDERHAND SCHRIFT VON 1568
529
110. Ein annder. Mein hertx (Ins fnnckett
ftammenn, auß rechter liebdenn gloett . . .
4 neunz. str.
(spr.) Inn leidenn still
"Wer weiß wie es gott fugen will.
111. Ein annder. Traurenn mus ich
tag vnnd nacht, vn/nd trauen groß ver-
langenn. . . 4 siebenz. str. Berl. lis. 1574,
nr. 23, ebf. 4 str. Akrost. „ Anna." Antw.
Ib. 1544, nr. 147, in G str.
112. Ein annder. Eß tagett cur dem
ostcn, der tag schein vberall ... 10 vierz.
str. 1582 A 41, B 93; Niedere!, liederb.
118 (103) — in je 10 Strophen, wovon
die 6 ersten denjenigen der handsebrift
entsprechen. Fl. bl. Ye 429 „Vyff lede"
(o.o. u. j.) l.Tdt daget vor dem osten...
10 str. Antw. liederb. 1544, nr. 75, in
9 str. Heidelberger Pal. 343, nr. 126, in
7 str. Mona, Anzeiger 7 (1838), sp. 211. —
Böhme, Altd. liederb., nr. 104, Liederh. I,
s. 33G , nr. 94 a bis d und II, s. 600 , nr. 800.
113. Ein annder. Ich reift ein mall
spatzerenn durch einem) grimenn icnlll ...
8 fünfz. str. 1582 A 147, B 11 in je
13 str. Hs. 1575, nr.27, in 5 str. — Uhland,
Volksl., nr.24; Böhme, Altd. Ib., nr. 138
und 139, Lb. II, s. 260, nr. 440.
Von einem andern, ähnlich beginnen-
den liede die anfangsstr. bieten die 68 Li<
Nürnberg o. j., nr. 18: Ich rit ein mal spa-
cieren, spacieren durch den wald . . . 7 z.
(spr.) Auffrechtig in allenn sachenn
Kan ir lieb vnnd freundtschafft machen.
111. Ein annder. "Die luethe die ma-
ckenn sieh spitxich, auff mich gnr rn-
uersehuldtt ... 4 achtz. str. Es. 1575,
nr. 125, in 3 str. Fl. 1,1. Wolfenbütte]
Scheller, Bücherkunde der sassisch-nie-
derd. spr., s. 478.
(spr.) Ehr vnnd ein getrew hertz woll
besteitt
AIht [;ils( -licit t vnnd vntrew zu nicht . ver-
115. Kin annder. Der heger <lns iß
ein sparwer vogell, er spotl allenn an
ZEITSCHRIFT V. DKÜTSOHK PHILOLOGIE, llü.
dernn vogelein an der heidenn ... 12 fünfz.
str. FI. bl. Ye 1141 „Veer schöne Leder"
(o. o. 1611) 1. De heger ys ein speger
vagel ... 9 str. Heidelb. hs. Pal. 343 fol..
nr. 110, in 11 str. — Görres, s.142: Böhme,
Altd. liederb., nr. 171; Wolkansliederbuch:
Euphorion 6, s. 651.
(spr.) Ich bin ein vogell der gern be-
druchtt.
Darann mein mundtt nichtes luchtt,
Wer gernn will frembde gutter erbenn
Der mus offt quades thottes sterbenn.
Vgl. Werltspr. L562, bl. F4a; Werldtspr.
1601, bl.25a.
116. Ein annder. Wienig träte ist auff
erdenn, darzu wienig erbarkeitt ... 4
achtz. str. Hs. 1575. nr. 106, in ü str. Hs.
d. Frdr. v. Reiffenberg 1588: Noov
venirs d' Allem. I, s. 236, in 4 str. Mone,
Anzeiger 7 (1838), sp. 84, in 1 str.
117. Ein annder. Ich hott mich auß-
erkorn 'in [ein- lieb wolgethann . . .
7 achtz. str. Hs. Reiffenb. 158S: Nouv.
Souvenirs 1. s. L'5 1 . in 5 hs. f.
Ottilia Fenchler L592: Alein. 1, s. 23. —
F. W. frh.v. Ditfurth, Frank. Volkslieder II.
s. 238; Erk-Böhme, Li lerh. II. 8. Ins.
nr. 584b.
1 L8. Ein annder. Wii schonn blut t
vnß >le,- meije ....'< siebenz. str. L5S2
A 30, B 32 n. 82, in je I Btr.; Forstei
III, 20, in 6 str. 68 lieder, Nürnberg
o. j., nr. 36, in 3 Btr.; Niederd. Liedorb.,
nr.68(63), in 5 str. Fl.bl. Berlin, Weimar,
Ziiiich usw. Berl. bs. 157 1 . nr. 37;
nr. 47; Beidelb. Pal. 343, nr. 17 u. L93.
Wunderh.I,s. 378; Göro -. 100; Unland,
nr. 58; Boffmann , Gesellschaftsl., ni
Goedeke-Tittrn., s. 163; Böhme, Altd. Ib.,
in. 264; l.h. 11. s. 201 , nr. 390; Et frh.
v. Lilienoron, Volksl. um 1530 (Nat-litt
L3), s. 277, nr.96.
119. Km annder. Ein muls n/s ich
spatxiren ginok, durch wunder weide
merekett seltxatn ditiek, Ooh liebes lieh
im laß erbarmen dich . . . w priiuh,
txxv. 34
530
Zeilen abgesetzt, nichl -m k.n nl>;u ■ • strophen-
abteilung.
120. All mein gepeus thuitt mir so
wee, win soll ich klagenn mein vei-
dreiß . . . 5 achtz. str. Vgl. Antw. liederb
1544, ii r. 3, in 7 atrophen, von denen
1.2.4.6.7 den handschriftlichen entspre-
chen. Tricinia Wittembergae 1542, nr. 62,
nur 'Ii'' erste str. u. mel.
(spr.) Beldenn sehenn ich hassen dich
Das du so dick bedrouest mich
Seldenn sehenn thutt wer
Lannge scheidenn noch vill mehe.
121. Ein annder. Juuckfraw. Ach Unit
wie lang, stehe ich vm schwang, ich
tiiviidt du icolst nitt konicnn ... I ZWÖlf-
zeilige str.
Gassenh. u. Reutterl., nr. 3 Ach Gott
wie lang hab icli gewart, ich meynt du
wolsi oil kommen . . . nur die erste str.
56 lieder nr. 54 0 lieb wie lang steh
ich im zwang, ich meynt du wölst nit
kommen . . . ebf. nur die erste str. Hs.
Pal. 343, nr. 179 0 wie lang hab ich ge-
wart, ich meint du solst nit sein kom-
men ... 3 str.
(spr.) Durch dich leidtt ich,
Wann du wiltt so trost mich,
Mit freudenn alzeitt,
Dem kleffer zu speitt.
122. Ein annder. Kein besser freudtt
auff erden nitt ist, Dan [der] bei sei-
nem bolenn ist ... 7 sechsz. str. Vgl.
1582 A 42, B 176. Niederd. liederbuch,
nr. 31. — Wunderhom IV, s. 9; Unland,
nr. 60; Goedeke-Tittm., s.12; Erk-Böhme,
Liederh. II, s. 213, nr. 401 (s.214, nr.402).
(spr.) Hab ich lieb so leidtt ich nott,
Laß ich ab so bin ich thott,
Ehe ich lieh durch leidü woltt lau,
Ehe woltt ich all mein tag in tri
,in.
L23. Ein annder. Ein boler mos
leidenn fill, des bin ich innenn wor-
iiriiu . , . 7 zehn/, tr. Liederhs. d. Amaua
.. CLeve: Zeitschrift 22, b. 125: Ayn
bueler mo; ß ich lyden \\ II . . . 7 achtz.
str. — Erk - Böhme, Liedern. II, B. 292,
Ml. 171.
L24. Ein annder. Verltmgenn verlan-
gen/n '/// thitett meinem hertxermjnne...
t; siebenz. str. Antw. liederb. 1544, nr.
157. ebf! in 6 str.
125. Ein annder. Mochtt ich hertz
lieb bei dir gesein, nitt mehr tcoltt ich
begerenn ... 3 zehnz. str. 1582 A 67 u.
154, B20 u. 135, in je 4 str. Beil. hs.
1575, nr. 12 u. 61, ebf. in je 1 Btr. Fl.
hl. Val. Holls hs. 1526, bl. 123'': Feins
lieb möcht ich bey dir gesein, nit mer
wolt ich begeren ... 5 zehnz. str.
126. Ein annders. In fear iß liit , . brent
mir mein hertz, Mein :<yu ennd mein
gedanckenn ... 3 achtz. str. Kehrreim
„Noch frew ich mich der wiederfartt. "
L27. Ein annder. Traurenn du bist
mein eigen all geblebenn Trostloß bin
ich voll pfantaseien ... 2 achtz. Strophen,
von der dritten der an fang: Dedentt die
neiders die idtt mochtenu merekenn, Ich
Sprech mein lieb war ich sie sege, Ich
soltt ir gan sagen allett von Fraw | Hier
wird abgebrochen, wahrscheinlich ist das
blatt dahinter ausgerissen.
Vgl. Antw. Ib. 1544, nr. 146, in 10 Str.,
wovon 1 u. 2 = Hs. I, 5 u. 6 = H, 3 =
in anfang.
BERLINER LIEIiERHANDSCHRJFT VO
531
Verzeichnis der
Hs. Y. j.
Ach Gott was soll ich singen ... 56
Ach Gott wem soll ich clagen . . 38
Ach Gott wie ist mein boll so wiltt 57
Ach Gott wie lang stehe ich im schwang 1 21
Ach lieh mit leidt wie hastu dein
bescheit 58
Ach Unfall schwer und sehentlich {»ein 91
Ach winter kalt 61
Ade ich mus mich scheiden, ade ich
mus darvan 68
Ade ich mus mich scheiden aus trau-
rentlichem mutt 98
Ade mit leidt ich von dir scheidt . 1 < >ii
All mein gedenck ker ich und wendt 12
All mein gepeus thuitt mir so wee . L20
An dich kan ich nitt frewen mich . 89
Aus gutem wahn ich kurz besau . 1 1>7
Betracht und acht, was scheiden macht 85
Brennende lieb du heische flam . .109
Cleglich s. Kl . .
Cupido triumphant
i:i
Das flog ein blaufuß 55
Dein lieb durchdringt m. e. hertz . 92
Der heger das ist e. sparwer vogel 115
Der verloren dienst u. der seind vill 41
Die leute die machen sich spitzich
auf mich 114
Du mein schätz, dein suesser schwatz 65
Dweil umbsunst ist alle kernst . . 50
Ein boler mos sich leiden (ill . . . L23
Ein freundtlich äugen wincken . . 4
Kin lihserman der stcrzeii kan . . 54
Hin weiblich bill m. hertz bezw. hat 29
Einmals als ich spatzieren ginefe . .119
Ellendt brengl pein d. liertzen mein !i7
Entzundt mein gemuitt ist nahe ir
guitt 86
Erben werdt, auf erdt 42
Erst hebt sich nott und yamer an . 81
Eß iagi ein ieger woügemutt . . . 79
Eß taget vor dem osten 112
liederanfänge.
1568.
Eli taget vor dem walde .... 95
Eß wundert recht mich krancken
knecht 90
Freundlicher art du hast mich hart 3
Frisch unverzagt hab ichs gewagt . 18
Frolich so willen mir singen, schla d.w. 4>
Für alle freudtt auf diesser erdtt
• Hirt lieh laß dich gedencken . . . 40
Hertz einigs lieb, dich nitt entrüb . 33
Hertzlicb thuit mich erfrewen d. fr. s. 10
Hertzlicher trost auf erden .... 13
Hett ich sieben wünschen in m. gewali
Hett ich vill gelt, so wehr ich wert geh. L05
eligs weiß 88
rmer boß hin gantz verirtt . 75
tch '"in ein jeger unverzagt . . . 76
Ich bin verwandt in jamers nott . 31
[ch babs gewagt frisch unverzagt . 20
Ich hatt mich außerkorn e. f. 1. wolg. 117
Ich kam darher gegangen ...
Ich klag den tag und alle stund . . 7s
Ich lach der schwenci 71
Ich mus von hin
[ch reit einmal spatzeren . . . .11:;
[ch reit mich einmal auf euenture . '>'.'.
Ich sag ade mir zwei m. müssen seh. 51
[ch schall mein hörn in jamers thon '_'l
1 dl leidtt (1. leicht) ah . . . 1"-;
Ich weis nur e. blomgen, es stat an
groner heiden B
ich weis mir e. f. braus megdelein . 24
[ch weis mir e. megdlein hübsch u. feh
In druck und Bohmertz 6
In feuriß hitz brent mir m. hertz 126
lu heu, r .1,1 h f ii i ich mein eeil . 1"."<
In stettiger beger 32
It/. uuitt mir kumlt verlangen . . 67
kein besser Ereudt auf erden n it ist 122
Kein fieiidt uhn leidt ma- mir widert B :
Km wider gluok mit Freuden . , 2u. 23
h su bah ich mich gantz außerw. 1 1
532
KOPP,
Lieblich hat Bioh ' . ... 73
l.u thcii bo hab ioh mich außerweU 60
Mag ich in fall erweren auch mtt 1 1
Man sinvt % . ,ii soheidena hartem wehe 19
M i • 1 1 1 einigs a mein höchster icbatz 96
Mein hertz das Eunokel lammen . .11"
Mein hertz ist alles traurens voll . 59
Mein hertzigs lieb ich mich stetz ieb l'ii
Mein syn hab ioh an ir gelecht . . i»
Mein s> n seint mir enthogen . . . 52
Mein synnekens seinl mir durchtogen 11
Mein svnnekens sunt mir versturet 46
Mit kummer schwer 26 a. S7
töooht ich hertzlieb bei dir gesein . 125
Mocht ich vergessen lernen ... 39
Nach lusi hab ich mir außerweit . 72
Nach willen dein 5
Nun hab ich all mein tagh gehört . 15
Nun wollen wir frisch u. frolich sein 36
Ny noch nymmer so rauwet m. gemuth 37
Ny grosser leb mir zu banden kam 84
0 falsches hertz o rotter mundt . . 27
0 weiblich bildt, wie reich vnd milt 104
Och vgl. Ach
Och scheiden du brenges mir schwer 16
Ohn dich — s. An dich
Eeicb Gott wie sali ich clagen . . 7
Rosina war was dein gestalt ... 28
Salig ist der tag, der mir d. gluck
verleimet hat 69
Schon bin ich oh* mein höchster boi I
Schon and zarl . von edler arl . . 7-1
Schona lieb ich bin dir treu and hol! 99
ich oitt w>il . da i ■' mii L< idl I i
So wünsche ioh ir e. gute aachl zu
hunderl thau enl stunden . . . l't
Stettig du bist die höchste krön , . LS
Trauren du d all gebl. 127
Trauren mus ich tag and Dacht ■ .111
Mit beger ich aitl von ir
30
Verlangen, verlangen gy thuet mei-
nem hertzen pine 124
Versturt hab ich mein habermuß 3 1
Von oller art ein Erewlein zart . . 22
Wie IT auf meins hertze ein schone
Wenig trauw ist auf erden
Weß sali ich mich erneren
Wha s. Wo
Wie hastu mich so krefftiglich
Wie schon bluet vnß der meye
Wiewoll ich arm und ellendt bin
Wo mach ein man s. leben lusten
Wo soll ich hin, wo soll ich her
Wolt mich der wechter wencken
Wor ich mitt dem leib nitt kbommen
mag
L00
nt;
93
77
118
66
35
94
63
64
Zart schone fraw, gedenck und schaw 14
Zu wem soll ich gedencken hertz aller-
liebste mein 1
l'KIEDENAU BEI BERLIN.
ARTHUB KOPP.
BRÜCKNER, ZUR l'ITTF.NETNTKIl.r 533
MISCELLEN.
Zur fltteneinteilung des Heliand.
Mit der ausarbeitung einer kleinen abhandlung beschäftigt, die unter dem titel
'Der Helianddichter, ein laie' als programm dos Basler gymnasiums 1904 erscheinen
Soll, musste ich auch die einteilung des Heliand mit derjenigen Tatians verglei
Dabei hat sich mir herausgestellt, dass diu ausführungen Behaghels über die capitel-
einteilung im Cottonianus (Germania 31, 377 fg.) der ergänzung und berichtigung
dürftig sind. Behaghel hat darauf aufmerksam gemacht, dass die einteilung an manchen
stellen fehlerhaft überliefert ist, und dass meistens durch eine Verschiebung der zahl
um wenige werte ein befriedigender einschnitt hergestellt wird. Die meisten fehler
in C sind genauer dahin zu präcisieren, dass der Schreiber, wenn ein fittenschluss
mit der cäsur einer langzeile zusammenfällt, den einschnitt regelmässig nicht in das
versinnere setzt, sondern ihn vor dem ersten halbvers bezw. nach dem zweiten halb-
vers der durch den einschnitt betroffenen langzeile markiert. So iindet es sich bei
den eapitelzahlen 9 (v. 693), 15 (v. 1211), 18. 22. 27. 34. 36. 38. 39. 55. 58 61
(v. 5108) und 69. Eine einzige ausnähme bildet 40 (v. 3223), wo nach den angaben
von Sievers der einschnitt richtig im versinnern bezeichnet ist. Ich meine nun
die Ursache dieser fehler sei offenbar in der beschaffenheit der vorläge von C zu
suchen und auch unschwer zu finden. Dieselbe scheint in abgesetzten verszeüen ge-
schrieben gewesen zu sein; der fittenschluss war im versinnern Dicht markiert, da-
gegen war die capitelzahl am raude angemerkt. Durch Unachtsamkeit und Gedanken-
losigkeit des Schreibers, der sich ja eine menge kleiner versehen zu schuldes kommen
liess, ist dann die capitelzahl bei der abschrift gerade da, wo sie stand, in den
in dem ja nun die verse nicht abgesetzt sind, eingerückl wurden, so dass allemal
entweder der letzte halbvers oder der erste einer solchen, uichl mit einer vollen lang-
zeile endenden, bezw. beginnenden litte unrichtig abgetrennt wurde. Bei dieser be-
schaffenheit der vorläge begreift, sich auch, dass in M die fittenzählung wegfallen
konnte; geblieben ist ja hier die eine randnotiz I 1 152, die in C ebenfalls
als Überschrift in den text aufgenommen erscheint. Gelegentlich isl beider abschrift
in C die am rande stehende capitelzahl um eine oder auch am zwei /.eilen zu früh
oder zu spät eingerückt worden: so die zahlen 7 vers 535 statt 537 (s. Behaghel
a.a.O.), wenn man hier ändern will, 26 v. 2166 statt 2167, 29 nach 2361 statt zu
70 v. 5865 statt zu 5867. Mit berücksichtigung dieser durch das Ungeschick des ab-
schreibers verursachten kleinen fehler lässl sich die einteilung, wie sie C I
durchaus verteidigen. Die in den ausgaben aus verkennung dieser umstände allge-
mein vorgenommenen grösseren Snderungen bei litt'' 7. 9. 15. 29 und 61 Boheinen
mir durchaus annötig und anrichtig. Bei 7. L5. 29 und 61 ist die (< ein-
teilung der aandschrif! derjenigen der ausgaben entschieden vorzuziehen. Dass in der
vorläge von C die verszeüen, allerdin die sonst herrschende Übung, abj
waren, ergibt sich' m. e. mit Sicherheit daraus, dass die vom rande in den text ge-
ratene litien/.ahl nie im versinnern, sondern Btets am Bohluss, bezw. am anfang einer
langzeile steht.
\\ ii ii i.i „m m;r< km i;.
, ; | K'.'.i BEI
Zu FiBcharte bllderrelmen.
Unter den bei Bernhard Jobin erschienenen blättern von Tobia die
A. Androgen im dritten ba Deutschen Peintre-Gra t, befinden
sich mehrere mit bisher unveröffentlichl gebliebenen bilderreünen , die mögliche] ■
von Fischail berrühren. Es sind die die folgenden bolzschnitthogen:
1. Matthias Flaccius (1571). Amli-., s. 18, nr. 5. M it einem drei paltigen gedieht:
GLeichwie die Weldi die Warheit bas t... Dann 1 1 nur frid vnd Ereüd,
2. Rudolph Gwalther (1571). Andr., s.21, nr.9. Mit einem drei palt
diohl von 1 1 zeilen :
[Ndem würt noch Gott's Lieb gespüri ... Dazu vns Gotl w6l Gnad I
3. Carl Mieg (1572). Andr., s.24, nr. 16. Mit einem zweispaltigen gedieht. S.u.
4. Jacob Sturm. Andr., 8.30, nr. 25. Mit einem drei paltigen gedieht. S.u.
Dazu komm! noch ein bolzschnitt, der nach Androgen Vermutung wahr-
scheinlich nicht von Tobias, sondern von Haus Christoph Stimmer herrührt:
5. Anton Frankenpoint, Kiese aus Gellern (1583). tadr., s. 211, nr. 3. Mit
zweispaltigen versen:
GLeichwie man gzwoiffelt hat vorzeiten ... Damit sich spiegel dran die Welt.
Von nr. 3 und 4 befinden sich exemplare im biesigen kupferstichkabinet. Die
unter den bildnissen stehenden, meiner ansieht nach wahrscheinlich von Fischari ver-
Eassten lobgedichte, von denen Andresen nur die erste, bezw. die erste und letzte
/eile anführt, teile ich unten mit. Ausserdem bringe ich noch ein längeres bilder-
gedicht zum ahdruck, welches sich auf einer von Passavant in seinem Peintre - Graveur,
band 3, s. 3.32 unter nr. 6 beschriebenen darstellung des Strasshurger Münsters von
Daniel Specklin ' befindet und das vielleicht gleichfalls Fischart zum Verfasser hat.
Die Orthographie und Interpunktion der originalgedichte gebe ich unverändert
wieder. Die verszahlen und Spaltenbezeichnungen rühren von mir her.
1. Bildnis des Jacob Sturm.2
Ohen: Bildnuss des weiland Edlen vnnd Ehmvesten Herrn Jacob Sturn
Stätmeisters zn Strasburg, Welcher nach befürderung der Ehre Gottes, an Kirchen
vnd Schulen bewisenen | rühmlichen diensten, am 30. Tage Octobris, im 1553. vnd
seines alters im 63. Jare seliglich ist verschieden.
In einer tafel im unteren teile des rahmens: Zu Strasburg, durch Bernhard
Jobin. | Mit Rom. Kay. May. Freiheit.
Unter dem bilde die folgenden verse in drei spalten:
rAs soll ein Adel, wann er nicht
Kund ist durch Adelich geschieht,
Das jhn nicht allein Statt vnd Herrn,
Für seine gutthat dauckbar ehrn
5 Bey leben , sonder auch darnoch
Inn aller History rhümen hoch.
[Sp. 2.] Gleieh wie dann solchs ist widerfahren,
Dem Herrn 8 Jacob Sturm vor Jaren,
1) Vgl. über ihn ADB, bd. 35, s.82fg.
2) Vgl. über ihn ADB, bd. 37, s. 5fgg.
3) Hier ist wohl „Herren", v. 12 wol „Elsäss'schen" zu lesen.
w:
ZU FISCHABTS BILDERREIMEN 535
Der vmb sein weisen guten rath,
10 Den er beredt anbringen that,
Nicht allein bleibt ein wäre zier
Des Elsässischen Adels für vnd für.
[Sp. 3.] Sonder seim gantzen Vatterland,
Welchs er hat gziert durch sein verstand,
15 Als er pflantzt die Religion,
Stifft Schulen, vnd ward jhr Patron.
Darumb allweil Strasburg besteht,
Ja die "Welt, nicht sein Lob zergeht.
2. Bildnis des Carl Mieg1.
Oben: Abcontrafeytung, weylandt des Ehrnvesten, Fürsichtigen, | "Wolver-
dienten Herrn, Carl Mieg, alten Ammeisters zu Strassburg: | So den 14. tag Martij.
Anno. 72. seines Alters im 50. Jar, seliglich | in Christo Tods verschieden.
Unten in zwei spalten das folgende Akrostich:
Konten die Romer jhren Leuten,
Als sie im Frieden oder Streiten
Redlich sich hielten, hoch verehren
Lobzeichseulen mit Schild vnd Wehren.
5 Mit was Rhat wolt man nicht den brauch
In solchen hohen Männern auch
Erhalten? wie dem einer hie
Gewiss war Ehr Herr Karle Mieg,
[Sp. 2.] Am dienst seins Vatterlands bewärt
10 Mit hilff vnd Rhat, gantz vnbeschwärd,
Eyfrig glehrt in Glaubssachen gar:
Ia der Frombkeit ein Vorbild zwar?
Solt man nicht einem solchen Herrn
Thnn ein danekbar Denckmal verehrn?
15 Ernstlich jhn fürmaln jederman
Rhümen darbey on vnderlan?
Darunter: Getruckt zu Strassburg, durch Bernhard Jobin. — Mit Rft. K
May. Freyheit.
Hinter dem anfangsbuchstaben des 1. und 8. verses steht aus versehen ein pnnkt
Da Fischart zu verschiedenen anderen bei .lobin erschienenen holzsohnitten
von Tobias Stiminer erklärende verse verfassl hat. so ist es nichl unwahrscheinlich,
dass auch die gedichto auf den beiden obigen blättern, von denen das erste vermutlich
aus dem anfang der siebziger Jahre, das zweite aus dem jähre L572 stammt, von
ihm herrühren. Audi stil und versbehandlung bieten eher anhaltepunkte für als gegen
diese annähme. 'Die verse zeigen verhältnismassig glatten rhythmus, wie er den
reimpaaren Fischarts aus der früheren Zeil seines Schaffens eigen ist. (Vgl. meine
Schrift »Die rhythmii Fischarts ", München 1903, s. 7fgg.) Das einsetzen mit einer
rhetorischen frage, wie es sich in den beiden gedienten findet, isl i"-t Fisoharl häufig
anzutreffen. So beginnt die „Vorrede zum üohlein" Kim/. .:. L22 Wi* kandü
1) Ammeister in Strassburg im j. L558, 64 u. 70. Vgl. Kindler von Knoblooh,
Das goldene buch von Strassburg (Wien 1885/86) s. 206
JAbi Christenhaii etc., der „Kehrab" E(auffen) 1. 17:: 861 man dan atmen
schweigen, etc.. „Eikones" nr. 1 II L, 38' Was hüffts , o Teutschland
Vgl. ferner T. fcl Wein« K 3, 209ffgg. nr.24. 79, .Ehezuchtbüchleii
or. 4. 7. 34. 50, „Reimvorrede zum Brotkorb" K 3, 319, prolog zu D
K 2, 331 *. Ganz fischartisch isl die annomination im ersten reimpaar von nr. 1. .
arl des Wortspiels begegnel bei Fischarl ange in häufig, bo z.b. im „Lob der la
II I. 355ffgg., v. 67fg., U7fg., 54 I Vgl.
auch Galle, Der poetische stil Fischarta (Ro tocker diss. 1893) b. 55fg. La
auf Carl Wieg erinnert die an antike vei anknüpfende parallele im eh
an ähnliche hinweise bei Fischart, z. b. am anfauge des „Glückhaften Behufes"
der „Vorbereitung in den Amadis".
In sprachlicher hinsichl enthalten beide gedichte keine auffallenderen Wendungen
und formen, die icht zu belegen wären. ])!>■ bei mai I Hern
jener zeit begegnende hervorhebunj rsonennamens durch voranstellung
entsprechenden persönlichen fürworts wie in Ehr Herr Karle Mieg nr.2, \.
Fischart, wie ich bereits in der Alemannia bd. 19, s. 123 anm. 2 entgegen einer be-
hauptung Bessons, nachgewiesen habe, durchaus nicht fremd. Zu den dort angeführten
belegen füge ich noch weitere hinzu: „Lazius" Alemania, bd. 1, 132, z. 22 u. 29,
133 z. (i v. u., 135, z. 16, 139, z. 9; „Flöhhaz1" "Hall. Neudr. nr, 5, s. 67,
gantua" Hall. Neudr. nr. 65ffgg., s. 7, z. 12; „Trostbüchlein" H 3, 13, z i
z. 1; „Ehezuchtbüchlein" 11 3,151, z. 20, 153, z. 2, 303, z. 3-1. - VoranstelluDg des
genitivs wie in nr. 2, v. 12 Ia der Fronibheit ein \'or/>i/</ vwar findet sich bei Fischart
z. b. im „Lob der lauten" H 1,364, v. 338 Der Lauten, aller */>>''/ ein krön, in
der „Vorbereitung zum Amadis" K 3, 31, v. 100 Die aller weissheit ist ein gspunst,
im „Jesuiterhütlein" H 1, 233, v. 139 des Heißs eyn Ihm, im „Bündnis" H 1. 22J.
v. 182 Der Statt im Sckweitxerland ein kern. Auch in der prosa, z. b. ,.'!
büchlein" H 3, 59, z. 11 jres anmuts ain Exempel, 112, z. 11 jrs aignen vbels ain
vrsaeh. — Die Verwendung des iufinitivs „thun" als füllwovt wie in nr. 2. v. 14
kommt gleichfalls bei Fisehart vor, freilich sehr selten. Vgl. "Widmung zu St. Domi-
nici Leben" K 1,130, v. 289 fg. Darin dein Mfmchisßh Monstra nun Magst \u eim
theil besehen thun, ., Wunderzeitung von ainer Schwangeren Jüdin" K 3,70, v. 9 ff gg.
Wie Christus... Das verplent Judisch Talmutg schlecht .. . Zur lefa uill xu spott
pringen thun.
3. Ansicht des Strassburger Münsters.
In der oberen ecke rechts befindet sich in einer holzschuitteinfassung das fol-
gende zweispaltige gedieht:
VOn Strasburg, der Vralten Stat,
Die man Argentorat gnant hat,
Find man erst im Strabone gschriben,
"Wie 30 tausent Teutschen pliben
5 Nah vm die Stat Strasburg hibei
Vms jar treihuntert sechzig trei
1) Auch wirkliche fragen stehen mehrmals am anfaug, so im Uhrwerk K 3,383,
in dem gedieht auf den Freiherrn von Schwendi K 3, 296, im prol. zum Stauffenberg
H 1,265, in der Armada nr.2 K 3,354.
I BABTS BILDERKEIMEN
Erschlagen von Kaiser Julian,
Dem damals d Stat war vntertan:
Dan Römer herschten biss an Rein,
10 Drum hetteus dise Stat auch ein.
Da aber das Teutsch Volk die Franken
On der Roiner willen vnd danken
In Galliam hnein zog vnd trang,
Dassel lug gwaltig auch bezwang,
i:> Ynds nauten jrena Namen gleich,
Wie es dan noch heut haisst Frankreich.
Da ward auch Strasburg vutertan
Den Fränkisch Könign, da es dan
Sehr an Volk vnd gebäu zunam,
20 Biss das König Dagobert kam :
Dem gföl wol glegenhait der Stat,
Das er den Thurn, so angfangen hat
Der Konig Ludwig seiu Vorfar
Im vir huntert neun vnd nein
25 (Der dan erstlich ain Christ war worden
Mit allen die jm zugehorten,
Vnd den Haidnischen Tempel hie
Eailigt vnd weitert nicht on muh)
Zu ainem Christelichen Tempel
30 Nach seins gdachten Vrans Exempel
Ganz herlich schon hat ausgefürt,
Vnd mit Bischöflich Ward bezirt
Vms jar sechshuntert virzig trei
Vnd freihait geben auch dabei,
35 Sazt den ersten Bischof Arbogast,
Dan er kaiu Bapst kant damals I
Also nam die Stat in der Khu
An "Würden vnd gebäuen /.u.
Anno tausent siben er verpran,
40 Dan jn der Tonner zündet au.
Welchs damals1 leicht geschehen kunt
Weils mehrtail von holz gbauet stund:
Nachmals noch soelis pranst glitten hat.
Die zwar nicht wenig nan geschad,
16 Dan in ainer prunsi gingen vnter
Bäuser 55 \ ir hunterl :
Doch den vnt'all onangesehen
Ward mi jar tausenl fünfzehen,
[Sp. 2.] Vnter Bischof Wernher von Bapspu
.'in Dom vir vnd \ irzigsten von B
angefangen gelegi zuwerden,
Da tif Fundament in der Erden,
l) Im original: dams
LEBT
YipI man legi dran ganz zeheo Jai
Bi es der Erden gl< ich ward
■ Wiwol dran etlioh bunter! Man,
()n VnterlaB gearbaii ban.
Erwin von Steinbach Bauherr war
Der hat gstelt < i i r ■ visirung gar:
Doch bierzwischen kam aine pranst,
60 Da solch müh ward zum thai] ve
Drum im jai da man bat geschribi
Tausenl zwaihuntei*t sibenzig siben,
Den fünf vnd zwanzigsten Maij zwar,
Auf Vrbans tag, da Kaiser war
65 Rudolf von Eapspurg, ward angfangen
Vinl erbaut was dran war vergangen:
Die Kirch, vnd <l<-s Timms ain klain stück
Ganz ausgef&ri mit gutem glück,
In acht vnd zwaiuzig jarn dahin,
TD In dem starb der Bauherr Krwin:
Darnach kam als bald an sein stat
Da man 1305 gzalt hat
Johan Hilz ain Maister von Coln,
Der that jn biss an beim aufstelln.
75 Welcher kaum ward gar ausgestelt
Schid diser Maister von der Welt,
Also plib vngbauen ain weil,
Am Thurn des heims sein obertail:
Biss das man ain aus Schwaben pracht,
80 Der es, Got lob, hat ausgemacht:
Ward also vollend dises Wunter
Als man zalet virzehen huntert
Vnd neun vud virzig jar dazu,
In seiner höh hat er Werkschuh
85 Fünfhuntert sibenzig vnd vir,]
Ist durchsichtig nach aller zir,
Ist sammen gsazt von stain, metall,
Wie solches mögen schauen all,
Drum hat der gierte Man Solin
90 Nicht on sonder bdenken vnd sinn
Vnter die wunterwerk der Welt
Auch disen schonen Thurn gestelt.
Den hat dem Vaterland zu ehren,
Vnd zu nuz den, die in begeren
95 Aus lib vnd dinsten verursacht
Bernhard Jobin in truck gepracht.
Die erste ausgäbe des holzschnittes, dem die vorstehenden reime beigegeben
sind, ist, wie Passavant a. a. 0. angibt, im jähre 1566 mit der adresse „Gestellt auffs
einfältigst durch Daniel Speckle und Bernhard Jobinn Formsehueider zu Strassburg
MDLXVI" erschienen. Dieser erste druck enthält die erklärenden verse noch nicht.
I, TS BILDERREIMF.N 539
Die strenge durchführung der Schreibung ai für rnhd. ei sowie anderer eigentümlich-
keiten der Orthographie Fischarts ' in dem obigen gediente Lässt mit Sicherheit schliessen,
dass der uns vorliegende abdruck des holzschnittes aus den jähren 1Ö74 — 1577 stammt,
in denen sich Fischarts tätigkeit als korrekter in der offizin seines Schwagers auch in der
Schreibung der Jobinsche drucke geltend macht. Zu der annähme jedoch, dass Fischart
der Verfasser der versc sei, berechtigt die Orthographie derselben nicht, da nach einer
feststeil uug Viltnars- nichl nur Fischarts eigene werke, sondern auch andere aus
Jobins druckerei hervorgegangene Schriften mein- oder minder konsequent zu jener
zeit die Fischartische Schreibung aufweisen. Was eigentlich an die möglichkeit der
autorschaft Fischarts denken liisst. ist der umstand, dass der dichter zu verschiedenen
bei Jobin erschienenen holzschnittbogen, darunter auch zu Tob. Stimmers abbildung der
künstlichen münsteruhr und den vielleicht ebenfalls von dem genannten künstler3 her-
rührenden abbildung der figuren am Strassbu rger münster erklärende verse schrieb. Innere
gründe lassen sich für die annähme nicht geltend machen. Weder in sprachlicher noch in
metrischer hinsieht zeigen die in ziemlich trockenem toue gehaltenen reime irgend-
welche von jenen charakteristischen oigentümlichkeiten, an denen Fischarts sämtliche
reimwerke mit ausnähme der frühesten so reich sind.4 Jedenfalls müsste bei einem
gedichte von dem umfange des obigen ihr mang« I an irgend einem kennzeichen des
Fischartischen stilcs als entschiedener I- a Fischarts autorschafi gelten, wenn
es sicher wäre, dass die verse aus den jähren 1574—1577 stammen. Da jedoch an-
zunehmen ist, dass das Specklinsche blatl zumal im Elsass und ganz besonders in
Strassburg grossen absatz fand'', so ist es nicht unwahrscheinlich , dass schon vordem
1) Vgl. Baeseke, «1. Fischart, Das glückhafte schiff von Zürich, Hall, ueudr.
nr. 182, s. Xfgg. und Vilmar, Zur Literatur Fischarts, 2. aufl. (Frankfurt ISO".) s. 501
2) A. a. o., s. 26.
3) Andresen hält es für wahrscheinlicher, dass das Matt von B. Ch. Stimmer
herrührt. Vgl. s. 213, nr. 7 a. a. o.
4) Ganz fischartisch klingt wol der volltönende reim Hapspu] bürg
(v. 40fg.), der an die ähnlichen im Gl. Schiff Türacburg: Stratburj .) und
im bündnis Strassburg: Trostburg (2, v.231fg.) and Trautburg: Strassburg
5, v. 211 fg.) erinnert; (vgl. A. Englert, !>!.■ rhythmik Fischarts, s. 91fg.). Ülein es ist
sehr fraglich, oh jener reim wirklich als schwebender zu betrachten ist. und ob
nicht vielmehr die verse t9fg. zu lesen sind „TJnt[e]r Bischof Wernhervon Bapspürg,
Dem vir vnd virz[i]gsten von Strasburg."
5) Im jähre 1587 erschien eine von M. Greuter gestochene, verkleinerte oach-
bildung des Specklinschen blattes, die dann ich in 0. Schadäus' „Summum
Argentoratensium Templum" (Strassb. 1617) aufgenommen wurde. Vgl. Passavanl a. a. ■ >.
s. 351, nr. 1. Ein weiterer beweis für die beliebtheit, deren sieh (las Man erfreute,
ist es, dass noch in späterer zeit nachbildungen davon erschienen. Im In
kupferstichkabinel befinden sich zwei nachdrucke dm- grösseren ausgäbe im gleichen
format. Die eine, mit der äufschrifl „Strassburg, Gedruckl bej Fnderich Wilhelm
Schmuck, Königlichen Buchtrucker" gib! die oben abgedruckten verse mit verschiedenen
änderungen, Zusätzen und weglassungen wieder. Knie unter dem gedichte stehende
bemerkung weist auf die eroberung Strassburgs durch die Franzosen im j. 1681 (auf
dem Blatt: 1682) und den darauffolgenden einzug Ludwigs Xl\. hei Dei uolzschniü
rührt wol wie die in der gleichen offizin kopie der 1574 bei Jobin erschienenen
abbildung des astronomischen uhrwerks im Strassburger münster (vgl Ld. Hauffeo,
Euphorion, bd. 3, s. 7l<n ans dem ende des 17. Jahrhunderts her. D hier
befindliche nachdruck mit der adresse „Stra bnrg zufiuden bey Johan Tsoherrung Auf
S.Temas Plan11, bring! erklärenden texl in lateinisoher prosa im an^ehluss an die
fassung des gedichtes auf dem Schmucl in unter beifügung eines hinv.
auf die daselbsl nichl erwähnte Zerstörung der turmspitzo duroh den blitt im j. 1654
und den Wiederaufbau derselben. Dieses Matt mag aus dem anfang des 18. jahrhui
stammen.
iip ii der i er noch nicht wieder
mit abdruck veröffentlicht worden war, dem vielleicht die erkläret
ben waren. Liesse i ich oachwi zu der z
in die Fischaro er b eil füllt, also um 1570, 'lärm würd
fehlen Fischartischer eigentümliehkeiten in pracl rod« u
beweis gegen seil Brschaft bilden, da sii igenart in seinen früh
Lehen /.um teil midi sehr spärlioh hervortritt, allerdings könnte dann dii
bältnismässig ni zahl von accentverletzungen Fischarts autorechafl nm so
lieinen lassen, als gerade de en erste dichtungen ziemlich
rbythmus zeigen. Indes darf eicht übersehen werden, das rnach-
ung ilm- metrischen glätte in den obigen versen recht >'."1 durch 'Ii'' gebunden-
licit in der darsteUung, welche dem dichter durch die rücksicht auf den beschränkten
räum auferlegt wurde, veranlasst Bein mag, wie denn auch die trockenheit und farb-
losigkeil der stilistischen einkleidui arückzuführen sein dürfl
1) "Wie trocken und bölzern sind /.. b. auch eini childernde stellen im
„Uhrwerk", wie v. r 251fgg. (s. Kur/. 3,384 bst den ergänzi
im Euphorion .'!. 7<<
MÜNCHEN. • I.ERT.
Zu Gottfried August Bürger.
1. Gottfried August Bürger und J. A. Leisewitz.
Das stammbuchblatt Bürgers an Leisewitz ist bereits von Adolf Strodtmann in
der morgenausgabe der Nationalzeitung vom 28. november 1874 mitgeteilt worden;
wenn ich es hier wider abdrucke, so tue ich das deshalb, weil diese vier zeilen
die allererste fassung der ersten strophe des bekannten Bürgerschen gedichtes
darstellen, worauf bis jetzt meines wissens noch nicht aufmerksam gemacht wurde.
Bisher galt die in Bürgers erster gedichtausgahe (Göttingen 1778. s. 122 fg.)
verzeichnete fassung „Das vergnügte leben 17 73" als erste fassimg des gedichts;
die erste strophe desselben heisst dort:
Der geist mus denken. Ohne denken gleicht
Der mensch dem oechs- und eselein im stalle.
Sein herz mus lieben. Ohne liebe schleicht
Sein leben mat und lahm, nach Adams falle.
Nachdem aber in der Gegenwart vom 4. februar 1899 che wirklich erste
vollständige fassung des gedichts, die dort „Das glückliche leben. Nach dem
Grecourt" überschrieben ist, bekannt gemacht worden ist, wovon die erste strophe
so lautet: Der mensch muss denken; ohne denken gleicht
Der mensch dem oechs- und eselein im stalle.
Das herz muss lieben; ohne liebe deucht
Er sich nur ein traurig ding nach seinem falle,
durfte man — da das gedieht dem briefe Bürgers an Gleim vom 29. sept. 1771 beilag,
als entstehungszeit des liedes den herbst 1771 annehmen.
Aus dem nun zum schluss mitzuteilenden stammbuchblatt Bürgers vom 2. märz
1771 ergibt sich nun, dass das gedieht bereits aufang 1771 entstanden ist:
ZU G. A. BÜKGER 541
Der geist muss denken; ohne denken gleicht
Der mensch dem oechs- und eselein im stalle.
Das herz muss lieben; ohne liebe deucht
Er nur ein traurig ding nach Adams falle.
Erinnere Dich zuweilen
an Deinen aufrichtigen und zärtlichen freund
Göttingen, den 2. märtz 1771. Gottfr. Aug. Bürger.
2. Gottfried August Bürger und Carl Friedrich Gramer.
Seit Adolf Strodtmann die briefe „von und an Bürger- (Berlin 1^74. 4
herausgab, sind jetzt nahezu 30 jähre verflossen; in diesem menschenalter sind etwa
200 briefe Bürgers ans licht gezogen, die z. t. gänzlich unbekannt, z. t. nur fragmen-
tarisch gedruckt waren; manche davon sind in antiquariatscatalogen aufgetaucht und
wider verschwunden. AVie unendlich schwer ist es, diese neu entdeckten und in ver-
schiedenen Zeitschriften zerstreut gedruckten Bürger -briefe zu übersehen! Daher
kounte wol August Sauer, der die Bürgerschon briefe an Göckingk aufgefunden
hat, vor kurzem mit recht betonen: „Hoffentlich erhalten wir bald eine zweite ver-
vollständigte aufläge der Strodtmannschen sammln i
Da dieser wünsch indes für die nächste zeit noch ein frommer : beint,
so sollte man wenigstens bemüht sein, die in entlegenen und seltenen Zeitschriften
enthaltenen briefe Bürgers ans licht zu ziehen! Aus diesem gründe halte ich es
nicht für ungerechtfertigt, einen hrief Bürgers an den bündler Carl Friedrich Cramer
hier wider abzudrucken1, der Strodtmann seiner zeit entgangen ist und der seit. lcm
offenbar unbekannt geblieben ist, trotzdem Go o Grundriss auf denselben
hingewiesen hat.
Ehe ich den brief Bürgers selbst zum ahdruck bringe, mag bier
passus Cramers erwähming finden, der zugleich den Bürgerschen brieJ einleitet und
erklärt (s. 401. 1. c):
10 [dec. 1791] Sonnabend.
Der C o n d o r.
(ad vocem: Adler'-, episodisch.)
1.
Man erlaube mir, hier meine Vorlesungen zu unterbrechen, damit ich mich
noch näher, als ich schon gegen Jacob gethan, üb ^entliehe vim et significa-
tionem verbi: Adler, erkläre. Wie wenig darunter irgend etwas arges bey mir ob-
walte, erhellt zur genüge aus dem reuevollen bekenntnisse, welches ich hiermit ablege,
dass, als weiland die unhämh hande von harden-, freyheits-, bailaden-,
minne- Sängern, und Homerverdeutschern, die zumal aus den Individuen: Hahn.
Hölty, Miller, den Stolbergen, Voss, und meiner Wenigkeit, bestand, theils
studierens, theils (zu grossem ärger des dortigen effendi's) Bingens halber, um die
jähre 1772 — 74, sich in der alma Georgia- Lugusta, [ 102] der Fürstin, befand,
adlerbenennungy so wir nachher mit der unanmaassendern ,Der sii ver-
1) „Menschliches leben, siebentes stuck. Gerechtigkeit and gleichheit! von
C. F. Cramer." — Dieses werk (20 bände, Altena 1791 1797) fasst gewissennassen
Cramers bestrebungen zusammen. Der aebentitel dieses siebenten stüoks b
„Reseggab oder geschichte meiner reisen nach den caraibischen inseln von C F. Cramer.
Viertes stück. Altena und Leipzig in der K;i\ enschen buchhandlung 1791
2) S.öfgg. 1. c
5 T_' ri r.
tauscht, ihr Belbst, von sich selbei beygelegt and asurpiert worden ist Wir
nahmen aber diese, von Stolberg vor gar nicht langer zeit durch einen kupfei
I iehe seine jaml e bild, im spirituellen, nicht im politischen
und waren nebenbey bescheiden genug, dem alter and rahme derjenigen diel
von denen wir gelernt, keinen stein in die wege zu legen. Sie wurden von
mit dem Damen der sonnenadler apotheosirt; indess wii
begnügten, ganz gewöhnliche, oder gar weiche von der kleinst« . die man
Steinadler nennt, zu seyn. Nur Bürgern, den Bchon eil äff, über ans,
an bürgerlichen würden, erhob, schwindelte, als ihn di de] mu en mit
ihrer Lenore belehnt, /.war nicht von politischem hochmuth, aber von poeti-
schem Btolze der köpf; so dass ihm dieser täte] nicht einmal mehr gut genugwar,
and ich von seiner klaue bey dieser gelegenheit folgendes Sendschreiben s. 103
hielt; — das in der litteratur unsere] poesie für and für merkwürdig bleiben wird.
2.
Exegi inoiniiiontum aere perennin
Gottfried August Bürger an Carl Friedrich Cramer.
i h Uiehfausen] , den I2ten aug. 177:;.
Monsieur
Denn ein mehreres, als ein monsieur, ist Ec nicht gegen mich. Ich aber bin
ein Herr. Also, monsieur, man fügt Ihme hiermit zu wissen, dass Unsere unsterb-
liche Lenore fertig ist; und dass Wir sie binnen 8 tagen nach Göttingen bringen und
an der heiligsten eiche des hayns zur schau ausstellen werden. Eher und einzeln
bekommt sie kein sterblicher zu sehen. Zugleich lassen wir Ihinc hiemit anverhalten
seyn, dass Wir den titul eines adlers abgelegt, selbigen Ihme und seines gleichen
überlassen, statt dessen aber Uns den titul eines condors beygelegt haben; welcher
uns denn um so [s. 404] mehr anstehen und ziemen will, als Wir durch die gnade
Gottes in der Lenore ein werk hervorgebracht haben, dergleichen noch nie g<
auch wohl nie wieder werden dürfte. Es wird also hinführo in Unsern ausfertigungen
heissen: Wir, von Gottes gnaden, condor des hayns etc. etc.
An Unsere untergebene, dergleichen Er ist, werden Wir Uns der anrede bedienen:
Unsere freundliche willfahrung zuvor!
Achtbarer guter adler3.
Uebrigens werden Wir Ihn mit einem Er beehren. Er aber hat Uns also an-
zureden: Allererhabenster grossmächtigster condor,
Allergnädigster condor und herr.
Uebringens hat Er Uns ew. condorschaft zu betituln. Wornach Er sich zu
achten. Gegeben in Unserer residenz Gelliehausen , der geburt Christ im 1773 sten,
Unsere condorthums im ersten jähr.
(L. S. N. C.4)
G. A. Bürger, condor.
1) Er war amtmann in Gelliehausen. [Cramer].
2) Wenigstens wird es dauernder seyn, als die mäkelnde recension, vom er-
habenen ästhetischen throne herab , die ich von seinen gedichten in der [Allgemeinen]
Litteraturzeitung las. [Cramer]. — Gemeint ist natürlich Schillers recension über
„Bürgers gedichte" vom 15. und 17. Januar 1791.
3) Die gewöhnliche titulatur eines amtmanns im Abyssinischen. [Cramer.]
4) Diese abbreviatur heisst wahrscheinlich:
LOCO. SIGILLI. NOSTRI. CONDORIANI. [Cramer.]
ZU G. A- BÜRGER 543
P. S.
Achtbarer, guter adler!
Als Wir misfälligst vernehmen müssen, wie Er neulich der adlerschaft, durch
einen bizarr -nachlässigen anzug1 eine maculain angehänget, und solchergestalt selbige
vor den äugen der Strasse verunehret, da doch ein recht gesunder adler keinesweges
mit strupfigen federn, sondern mit solchen augethan seyn tnuss, worin sich das bild
der sonne [s. 406] spiegeln kann, so wird Ihme solches von wegen Unserer eondor-
schaft ernstlich verwiesen, und Ihme gerathen, sich lieber eine andere adler -narrheit,
welche der Strassen nicht so in die äugen füllt, zu erkiesen. Daran geschiehet Unser
rath und wille. Gegeben, wie oben.
Nochmals: Achtbarer, guter adler.
Wir begehren, dass Er die TJnsrer hausfrawen 2 versprochene musicalia forder-
samst schicken, oder selbst bringen wolle.
ut supra.
(Die auf schrift des rescriptes war:
A Monsieur
Monsieur Cr am er.
Aigle tres renomme
a
Göttingue.)
Auf diesen so charakteristischen und launigen briof Bürgers antwortet Cramer
am 18. august 1773 (Strodtmann 1, 135); au demselben tage antwortet der hain
(Strodtmann I, 13(ifg.) und Bürger erwidert am 19. august (Strodtmann I, 137fg.).
Cramers antwort an Bürger kann erst klar werden, wenn man den eben mit-
geteilten brief Bürgers kennt. Die vier eben citierten briefe gehören eng zusammen;
ich kann mich W. v. Wurzbachs urteil Dicht anschliessen , welch „Kurz es
gab eine ganze scherzhafte fehde, bei welcher es uns nur wundert, wie leute von
25 jähren und darüber noch so kindliche gemüter besitzen konnten. •
Bürgers Übermut in dem stolzen bewusstseiu der vollendeten Lenore i>t für
uns etwas so natürliches, dass man sich kaum darüber zu verwundern braucht
3. G. A. Bürger und Christian Jacob Wagenseil i 1 756 - 183
Vor kurzem hat L.Werner in Augsburg (im „Sammler11 vom 25. u. 27. Sep-
tember 1902) über Wagenseils Lebensgang ausfuhrlich berichtet
Uns interessieren daraus nur sein Göttinger aufenthalt und seine beziehui
zu Bürger, um so mehr als man hei Strodtmann usw. kein wort über Wagenseil
findet.
Mit empfehlungsbriefen Millers langte Wagensei] am 17. octooer l . 7.'. in Göt-
tingen an, wo der „harn" eben aufgelösl war. - Es fand gerade die jährliche Stiftungs-
feier der Universität statt, bei der Wagenseil den professor Chr. <;. Heyne die festrede
halten hörte und auch der promotion Blumenbachs beiwohnte. Proreotor war damals
1) Ich hatte nämlich das unglück gehabt, in der Zerstreuung einmal ohne hui
über die Strasse zu gehen, woraus ein schreckliches, die ganze Stadt acht tags lang
beschäftigendes gerüchl und gerioht über mich entstanden und ergangen, das
auch zu des condors Wissenschaft durchgedrungen war. I ;
2) Gemeint ist die hofrätin Liste; bei Listet in QeÜiehausen hat Bürger fast
zwei jähre (Juni 1772 bis mär/. 1771) gewohnt
3) G.A.Bürger. Sem leben und seine werke (l
5 11
ter, der im fest aders auffiel, weil ihm zwei pedelle in roten mänteln
and wi derten perücken vorangier
Als juris! borte Wagenseil bei Meister, Belchow, Pütter, Böhmer und Schlözer —
and er war sehr Qeissig bei ihnen; in nähere beziehungen trat er zu bwä-
ii landsmann I.. v. Spittler, dem er auch seine poetischen ■•
durfte; nebenbei borte W.. enseil theo! ollegia oad
sammelte bereits als Student materialien zu seinen späteren historischen arbi
Fruchtreich wurde für Wagensei] der verkehr mit dem Bänger der Lenoi
den Wagenßeil eine Sendung von Goethe zu bringen hatte. Bürger, der damals i
in Wöllmarshausen wohnte, forderte zn eifrigem b il kam oft,
ein herzlicher nt nii ht ,
poetischen versuche Bürger vorzulegen, obwol er seine compositionen dein Bü
sehen Musenalmanach anbot, wo auch einige erschienen sind.
Durch Vossens Vermittlung wurde Wagt zum goldenen zirkel"
aufgenommen, der u.a. auch Bürger angehörte.
Auch die freundin des Göttinger hains, Charlotte von Einen er kennen.
Sie Fand gefallen an Wagenseils poetischen und musikalischen neigungen, and
blieben noch in fortwährendem briefwechsel, als Charlotte bereits verheiratet war.
Im herbst 1778 schied er von Göttingen, wo er sieh drei volle jähre als akade-
mischer bürger aufgehalten hat, und kehrte in seine heimat zurück, um sich einem
praktischen lebensberufe zu widmen.
4. Gottfried August Bürger und J. Tb. L. Wehrs.
Ein bisher unbekanntes stammhuchhlatt Gottfried August Bürgers be-
findet sich seit kurzem in der städtischen altertomsammlung in Göttingen, in der sich
auch noch andere andenken an ihn finden; (alle Bürger darstellenden porträts, teils
im original, teils in photographischer nachbildung, ferner photographische aufnahmen
von Bürgers verschiedenen Wohnungen, bilder seiner angehörigen usw.j.
Was nun das stammbuchblatt anlangt, das hier zum ersten male zum abdruck
gelangt, so sei dazu bemerkt, dass Job. Thomas Ludwig Wehrs (geb. zu Gott,
den 18. jxüi 1751, f 26. Januar 1811), dem dasselbe gewidmet ist, auch zu den Jüng-
lingen gehörte, die am 12. September 1772 in dem dorfe Weende bei Göttingen unter
einer eiche den „hain" gründeten. Wehrs hat indes als dichter keine hervorragende
rolle gespielt. So konnte Voss von ihm sagen: „Wehrs hat geschmack, aber nicht
feuer genug, den flug des gesanges zu wagen", und Bürger sagte einmal von ihm
(5. december 1776): „Saul mischt sich seit einiger zeit auch wieder unter die pro-
pheten". Hier also die Klopstockschen verse, die beweisen, dass Bürgerauch zu
dieser zeit noch unter dem einfluss des „Messias" stand:
Sich nicht rächen, auch da nicht, wenn räche gerechtigkeit wäre,
Das ist edel! Erhaben ist's den beleidiger heben!
Ihn mit geheimen Wohltun im elend erquicken ist himmlisch!
Klopstock.
Hiermit, mein liebster Wehrs, empfiehlt sich Barem freundschaftlichen herzen
G. A. Bürger.
Gottingen, den 26. September 1777.
Bürger wird dieses blatt, als er in Göttingen auf besuch war, geschrieben
haben; denn zu der zeit wohnte er als amtmann in Wöllmarshausen bei Göttingen.
ZU G. A. BÜRGER 545
5. Eine anzeige Bürgers aus dem jähre 1778.
Carl Schüddekopf hat gelegentlich der Besprechung der 5. aufläge der Grise-
baclischen Bürgerausgabe [Ztschr. f. d. a. 42 (1898) s. 318fg.] mit vollem recht darauf
hingewiesen, dass nur eine anzeige Bürgers bei Grisebach , wie auch in allen früheren
ausgaben der Bürgerschen werke fehle. Schüddekopf fand die betreffende anzeige im
Teutschen merkur von 1778, juli, s. 95.
Wie ich nun aus der in meinem besitz befindlichen Bürger - ausgäbe von 1 77S
(Göttingen) ersehe, ist die anzeige hier zum ersten mal von Bürger veröffentlicht
worden, und zwar auf dem letzten blatf der betreffenden ausgäbe. Mein exemplar
hat J. v. Döring bereits „den 10. juni 1778 vom Verfasser i Bürger) geschenkt erhalten".
Erst danach wird die anzeige im Teutschen merkur und wol auch in anderen
Zeitschriften abgedruckt worden sein.
Die anzeige, die beginnt: „Ich biu bewogen worden..." ist übrigens trotz der
Schüddekopf sehen bemerkung auch nicht in die Bürger -ausgäbe von \Y. v. Wurzbach
(1902) aufgenommen worden, die sonst an Vollständigkeit nicht viel zu wünschen
übrig lässt.
6. Gottfried August Bürger und K. E. Schubert.
„Das Mädel, das ich meine", welches Bürger zum 24. august L776, zum acht-
zehnten geburtstage „Gustchens" (Mollys) gedichtet hatte, erschien zuerst im Göttinger
musenalmanach für 1777; im Göttinger musenalmanach auf 1779 las man das gedieht
parodiert als „hexe, die ich meine". Nach dem briefe Bürgers vom 22. october 177s
hat dazu G. C. Lichtenberg „bloss die idee und grundlage hergegeben. Die
ausfuhrung bis auf ungefähr zwei Strophen gehört mir". — In demselben jähre er-
schien nun noch eiue parodie, unter dem titel „Ausforderung an Büi
findet sich in der Berliner litteratur- und theaterzeitung (11. September
1779, nr. XXXVII, s. 580fg.) und ist bis jetzt der beaohtung entgangen. Unterzeichnet
ist sie mit K. E. S.; es wird niemand anders sein als k E. Schuber! ilTIl
[vgl. Goedekes Grundriss2 V, 255), der manchen beitrag zu der Berliner litteratur -
und theaterzeitung geliefert hat. Die „Ausforderang an Bürger" lautet so:
1. 3.
Schöner Bürger! reim ich ein, Lieblich ist auch ihr gesicht,
Süsser mag Dein liedohen seyn: I ad aus stirn and wange Bprioht
Schöner? süsser? — mag es doch! Eugelseelc Eromm and rem,
War es zehnmal schöner noch: Ruhig hell, wie inondessohein:
Lieber, holder, als das Deine, Seieheu unsohuldglanz hat keine
Ist das mädel, das ich meine. Wie das mädel, das lob meine.
• 2. 4.
Jenes äuge sey so blau, I od der das an ihr getan,
Wie die hyaciuth im tau; \ ihm sich meines hei/.ens an.
0 in solcher liebesprachl Haucht ihm süsse« hofnung ein,
Hat es Dir doch nie gelacht: Noch von ihr geliebt . u Beyn:
Solchen himmelsbliei hat keine, l'ass ich nicht mehr trostlos weine
Als das mädel, das ich meine. um das mädel, das ich meine.
ZEITSCHRIFT F. DEUTSOHB ritlLOUiOUC. HU. KXXV.
5.
Bleib Dir schon im bardeoki
Unentwaii'lt der Liederpreis;
\\ ag ich in der liebe whier
Einen wettekampf mit Dil :
Sü geliebet wurde keine
Wie das mädel, 'las ich meine.
Was übrigens die Berliner litteratnr- und theaterzeitung betref noch
weiter anlangt, so sei hier noch bemerkt, dass Minor in der Dummer vom 21. oo-
tober 1780 (nr. XI. III. s. 673 680) den ersten Behr interessanten druck der von B i
übersetzten bexengesänge aus Macbeth gefunden bat1, und dass iob in eben I
Zeitschrift vom 24. februar 1781 (nr. VIII. s. 113- 115) die älteste vollständige fassuug
von IlmiM t> „prolog, gehalten bei einer privatvorstellung der Kulalia zu Göttii
entdeckt habe (wiederabgedruckt in der „Gegenwart1' vom 19. october 1901, s. 246
bis 247).
7. Gottfried August Bürger und .loh. Christ. Friedr. Scherf.
Am 17.- Juni 1785 waren zu Bissendorf (bezirk Eannover) „herr Gottfried
August Bürger, dichter und lehrer des teutschen stils zu Göttingen" und „Demoiselle
ista Maria Wilhelmme Eva Leonhart" (Mollyj getraut. Kurz darauf reiste der
dichtei- zur kräftigung seiner stark angegriffenen gesundheit nach Meinberg „einem
heilbade in der grafschaft Lippe -Detmold'1.
Wie mir die fürstliche rentkammer in Detmold gütigst mitteilt, steht „in der
Meinberger badeliste von 1785 unter nr. 109 amtmann Bürger aus Göttingen ein-
getragen, der am 25. juni im damaligen Trampeischen kurhause abgestiegen ist"1;
dieses datum war bisher nicht bekannt; wir wissen jedoch, dass Bürger am
24. juli Meinberg wieder verliess3, und constatieren also jetzt, dass Bürger nach
gerade vierwöchentlichem aufenthalte seine kur in Meinberg abbrach; wie er selbst
schreibt, hat er in Meinberg — und Pyrmont, das er als nachkur aufgesucht zu haben
scheint, — „brunnen und bad gebraucht" (Strodtmann III 160fg.), „ohne jedoch etwas,
das sonderliches aufhebens wert wäre, an gesundheit zu ertrinken und zu erbaden"
(Strodtmann III, 154); ebenso unmutig lässt sich Bürger in seinem briefe an Dieterich
(Bissendorf, den 4. September 1785; Euphorion 3. erg.-heft s. 119) über sein „höchst-
elendes befinden'' aus; er spricht von „köpf-, zahn-, haisweh, Schwindel und quälen
der hypochondrie4*. „Ich kam fast kränker von Meinberg und Pyrmont zurück, als ich
hinreiste und hätte diesen kostbaren versuch, gesund zu werden, füglich sparen können.
Erst seit etwa acht tagen scheint es mir durch den ernsthaftesten gebrauch
anderer und wirksamerer mittel auf einen besseren fuss zu kommen und ich
darf hoffen, bald wenigstens in leidlicher gesundheit wieder zurückzukehren". . . .
Anfang october 1785 ist Bürger nach Göttingen zurückgekehrt; von hier
konnte er am 4. november an Bertuch, mit dem er in Pyrmont zusammen getroffen
1) Vgl. Jahrbuch der Deutscheu Shakespeare - gesellschaf t. 36. Jahrgang (1900)
s. 122 — 128.
2) Nicht am 27. juni, wie W. v. Wurzbach in seiner Bürger - biographie (s. 223)
irrtümlich angiebt.
3) Vgl. Bürgers epigramm: ..An die nymphe zu Meinberg" ; handschrift auf der
Berliner bibliothek.
ZTJ ß. A. liÜRGER 547
war, schreiben1: „ich befinde mich besser, als ich mich seit verschiedenen jähren be-
funden habe. Daran hat aber weder Meinberg, noch Pyrmont samt allem hocus
pocus und Schattenspiel an der wand, was da den armen kranken vorgezaubert wird.
Sondern allein der medicinische adlerblick und die weit kräftigere
hülfe des ehrlichen Scherf anteil. Ich reiste von M. nach P. noch elender weg,
als ich hingekommen war. Ganz anders aber schwang ich mich empor, als
ich anfing zu thun, wie mir Scherf geboten hatte.
Kurz ich bin jetzt au leib und seele in einer art von Wiedergeburt
begriffen . . ."
Ausser Scherf füngierte damals als badearzt in Meinberg der landphysikus hof-
rat Trampel2, dem Meinberg viel zu danken hat; ob er auch Bürger behandelt bar,
mag dahingestellt bleiben; jedenfalls hat es Scherf verstanden, Bürgers zerrüttete
gesundheit durch den gebrauch „anderer und wirksamerer mittel" — als die erfolglos
genommene bäder- und brunnenkur es vermochten — zu heben. Scherf wird eine
medicamentöse behandlung eingeleitet haben, die als nachkur zu den genommenen
bädern und brunnen ihre günstigen Wirkungen gehabt haben mag; denn am 21
cember 1785 schreibt Bürger (Strodtmann III 161): „Wenn mein fast ganz hinwett
leben nunmehr allmählich wieder aufzugrünen und zu blühen an! habe
ich es wol nicht bloss brunnen, bädern und apothekeu zu verdanken, sondern
hauptsächlich ihr (Molly), ohne deren erfolg ich lieber mein daseyn gar nicht haben
möchte.14
Aus Scherfs briefen über das gesundheitswasser zu Meinberg, erstes heft 1 1.
1794) s. 216 geht hervor, wie seine Stellung als arzt in Meinberg war; es
dort: „Ich bin jede woche zwey tage in Meinberg, insgemein den mittwochen und Sonn-
tag, und wenn es verlangt wird, so reise ich auch noch öfter dahin. Sie wissen es
schon, dass mir die ärztlichen geschäfte in Meinberg mit übertragen sind, und ich
bin verpflichtet, jeden Kurgast, der sich auch meines ärztlichen rates bedienen will,
mit den kenntnissen beyzustehen, die ich durch Studium und erfahrong in unserer
kunst nur immer besitzen mag; Sie kennen mich und wissen . köpf und herz, 30
gut mir gott beydes gegeben hat, widme ich tätig den kranken, die mir Ihr zutrauen
schenken".
„"Was übrigens das knrhaus anlangt, in dem Bürger abstieg, SO sei bemerkt,
dass Trampel ein „ schönes logirhaus, das zugleich mit badestuben versehen- war.
im jähre 1769 aufführen Hess, weil sich der besuch fremder hoher onrgäste sein
vermehrte. Dieses haus ist jetzt herrschaftlich, unter dem nainen des stern
bekannt"3.
Das fürstliche kuxhaus, der „stern", sieht heute nooh; es wäre wol
an dem hause für den sänger der Lenore eine gedenktafel anzubringen! Hat er dooh
„an die aymphe zu Meinberg" einige verse geriohtet, anter die er die worte schrieb:
„Zur erinnerung au freude und leid in Meint)
1) Der brief ist zum 24. April 1889 in druck -.-eben und Klaus Groth als
festgruss übersandt von Berthold Litzmann.
2) Job. Erhard Trampel (1737 L818), promovierte 1760 in Göttingen, war
mehrere jähre am Lippischen hofe angestellt, wurde Lippischer hofral und Bpftter
geheimrat, Hess sieh I7'.t:> in Pyrmonl nieder, wo er badearzt und inspectoi dei
mineralquellen war. (Elwert 1. 614; Biogr. med. VII, 360. Diot bist. IV. 27H
:i) Rudolph Brandes, Die mineralquellen und Bchwefelschlammbadei
berg usw. (Lemgo L832) s. -~:> u. s. '_':_".».
548
8. G. A. Bürget and Christ. Fried r. Dan. Bobabart.
Aus Bürgers briefwechsel erfahren wir, dass er i icht"
plante (brief vom l r». apri] 1770); ein balbes jähr später (am 17. october) betont
Bürger nachdrücklich: „Es muss und muss gehn mit einem grö ern roll i
licht.' Diese beiden äusserungen sowie die folgende dritte sind Bämtlicfa an Boie.
gerichtet: „Ich bin nunmehr auch mit der wähl eil zueinem ignen
ohi fertig and bearbeite tag und naohi in meinem köpfe den plan, dei sich mir
schon sein- weil entwickelt hat.... Noch sage ich dir nichts, weder vondi
stände, noch der behandlung. Beide würdesl dt mit mir nicht zusammenreimen."
(Brief vum 25. october L779 I
Bürgers sämtliche bailaden sollten zu diesem „national -gedieht" nur Vorberei-
tungen sein; daher sei es gestattet, da das geplante gedieht offenbar nicht zu stände
gekommen ist, kurz darauf einzugehen, an wen es gerichtet werden Bollte.
Wir sind in der glücklichen läge, dass uns Chr. Friedr. Dan. Schubart in
seinen Gesammelten Schriften (Land VI, Stuttgart 1839, s. 138) eine kleine ootiz auf-
bewahrt hat, die uns verrät, dass das Bürgersche gedieht Friedrich d in ge-
widmet sein seilte: „Bürger arbeitel an einem volksgedieht auf Friedrieh
den grossen; hat er dies vollendet, so wird er hoch stehen auf der
poetischen himmelsleiter. Seinen bisherigen poetischen Charakter glaub' ii
ziemlich in der scala enthüllt zu haben."
Bürger
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In eben diesem aufsatze (a. a. o. s. 132- — 138) über die „kritische scala der vor-
züglichsten deutschen dichter" heisst es (s. 133): „Popularität oder volkssinnigkeit
halte ich mit Bürgern für eine der vorzüglichsten eigensehaften eines diehters. Wen
nur wenige verstehen, der kann unmöglich jene göttliche einfalt haben, die für jeden
menschen von sehlichtem verstände verständlich und einschneidend ist. Je stärker
und dauernder die eindrücke eines diehters bei der nation sind, je grösser ist er."...
Diese gesichtspunkte mögen wol auch Bürger geleitet haben, als er sich Friedrich
den grossen zu seinem beiden erwählte; ausserdem war Bürger „voll höchster be-
wunderung für den grossen, und liebevollster Verehrung für den guten könig", den
vortrefflichsten der menschen (Strodtmann III, 80 fg.), wie er ihn in demselben
briefe nennt.
Wir wissen nun aber, dass auch Schubart einen hymnus auf Friedrich den
grossen gemacht bat, der im frühjahr 1786 entstanden ist (Strauss II, 180) und dessen
erscheinen mit Friedrichs tode (am 17. august 1786) zusammenfiel; aber bereits im
december 1783 schreibt Schubart seinem söhne: „Ich arbeite wirklich (gegenwärtig)
an einem gedichte auf Friedrich den grossen! den einzigen!! .... ein produkt, das
seit Jahren in seiner seele immer reifer geworden war und das er in wenigen stunden
aufs papier niederwarf". Man vergleiche dazu die oben citierte stelle aus dem briefe
Bürgers an Boie aus dem october 1779. Dem Schubartschen hymnus hat mehr die
person, an die er gerichtet war, als sein poetischer gehalt bedeutung gegeben, sagte
einmal ein kritiker, und es ist viel wahres an dem urteil; der beste erfolg für Schubart
ZU G. A. BÜRGER 549
war freilich der, dass er vorzüglich durch dieses gedieht seine freiheit erlangte. (Vgl.
G. Hauff, Chr. Fr. Dan. Schubart usw. [Stuttgart 1885] s. 224 u. s. 304 — 306.)
Besteht nun irgend ein Zusammenhang zwischen dem Schubartschen hymnus
und dem von Bürger geplanten gedichte? Die Sache wäre leicht zu entscheiden, wenn
man wüsste, wann und woher Schubart die notiz über Bürgers absieht genommen
hat. Ich glaube indes, vermuten zu dürfen, dass Schubart — wenn auch nicht von
Bürger selbst — so doch von dem Göttingischen kreise, vielleicht durch Boie, dem
etwas darüber auszuplaudern zwar ausdrücklich verboten war, künde von Bürgers
plan erhalten hat.
Schubart hält bereits in seiner chronik aus dem jähre 1770 (s. 118) Bürger
für einen ganz originellen, heiteren, allgemein verständlichen Volks- und vater-
landsdicbter; vielleicht wusste damals Schubart schon etwa- von Bürgers plane,
der 1779 der ausführung nahe gewesen zu sein scheint und doch niemals ausgeführt
worden ist.
Aber wie dem auch sei, ich glaube, dass vielleicht Schubart durch Bürger
die anregung zu dem hymnus auf Friedrich den grossen erhalten hat.
9. Gottfried August Bürger und E. L. M. Rathlef.
1788 erschien zu Lemgo in der Meyerschen buchhandlung: „Serklaide. Eine
von der belagerung Magdeburgs ausgehende und mit der entscheidenden Schlacht
Breitenfeld sich endigende handlung" (8°; 302 Seiten). Der Verfasser dieses epos
ist Ernst Lorenz Michael Rathlef, der am 2. Januar 1743 zu Langenhagen in
Hannover geboren wurde1; er studierte in Göttingen und ward später amtssebj
zu Aerzen bei Hameln; seit 1787 zu Nordholz im herzogtum Bremen, starb er am
14. januar 1791.
Trotzdem bei Goedeke (Grundiv' IV, 65; V, 378) eine nicht geringe zahl von
Eathlefs werken verzeichnet steht, ist die „Serklaide" dort nicht angegeben.
Dieser umstand veranlasst mich, auf das vergessene werk hinzuweisen, das
auch besonders in litterarischer hinsieht aufmerksamkeil verdient, die es noch nicht
gefunden hat.
Mir war es vor allem interessant, dass Rathlef die vorrede (s. 7 — 68) zu seinem
werke „An herrn Bürger" gerichtet hat.
Rathlef begründet die widmung so: „Erlauben Sie. dass ich mich an Sie v.
indem ich im begriffe bin, dem ehrwürdigen publicum, dem ich noch wenig bekannt
bin, ein werk vorzulegen, an Sie, den freund desselben, dessen schätzbare hekannt-
SChaft, nun da Sie dieses gedichl bereits seit einigen jähren in banden
haben, mir einiges recht dazu giebt. Es war immer mein I0O88, kritische freunde
zu suchen, und nicht /.u linden, [ch fand endlich sie. tob hatte die schmeichelhafte
fs. 8] hofnung, Ihre erinnerungen nutzen zu kennen; aber Ihre eigenen litterarisohen
und bürgerlichen Verwickelungen, and mehr als diese, haben körperliohe Rohwachheiten
Sie darin verhindert [bre eigenen sohriftliohen und mündliohen Äusse-
rungen haben mir wenigstens so viel ormuntening gegeben, dass ich ein werk.
welches seit manchen jähren die fruchl meiner be[s. 9Jsten und freyesten stunden
war, nicht ganz auf die seite gelegt habe."
1) Goedeke (6rundr.s IV, 65) gibt an, dass l>. LI 12 :u Nienburg geboren wurde.
Die berichtigung verdanke ich herrn pastor Nutzhorn In Bissendorf.
EBSTEIN
Wir sehen also, dasi Bürget Bathlefa „Serklaide" bei einigen jähren
in den bänden gehabl und sich schriftlich und mündlich mit dem autor äbei
epos auseinandergesetzt hat; weiter erfahren wir, dass Bürger „verschiedene"
„poetischen kinder" in seinen Göttinger musenalmanacb aufgenommen hat.
Rathlef betont weiter, dass er seine eigenen gedanken aber dieses gedieh!
rade ihm, als „dem vertrautesten freunde Homers"' mitzuteilen sich erlaube,
wenn sie gleich nichi mit den seinigen übereinstimmen Bollten.
Rathlef meint hiermit das für sein epos gewählte metrum: er hat sich endlich
für die sechsfüssigen ungereimten Jamben entschieden; erst dachte er an den Ale-
xandriner (s. 29), den er indes „aus mehr als einer Ursache bedenklich" faud; als
probe giebt Rathlef den ersten gesang der Eenriade (s. 30 — 46) in dieser versart über-
sotzt, wider; dann machte Rathlef den versuch in gereimten Jamben, worin Pope auch
den Homer iibersetzl hat - als probe giebt Rathlef den anfang des achten buches
der llias (s. 46 — 57) -- er kommt aber dabei zu folgendem Schlüsse: „Wie viel
gehet hier verloren des altpathetischen, dieser eigenen Homerhcit, und wie viel muss
hier, so gut es kann in seine stelle gerückt werden, um sinn und vers zu ergänzen!
So viel fesseln hat dieses sylbenmaas und der reim. Jenes altpathetische verlieret
vielmehr seine Wirkung und grenzet hier oft an das lächerliche."
„Aber bey dem allen", fahrt Rathlef fort, „habe ich mich nicht zum hexa-
meter entschliessen können, und halte ihn eben so wenig passend für moderne sub-
jeete. Ob er überhaupt der teutschen spräche mit ihren vielen consonanten angemessen
sey, will ich (s. 58) hier nicht untersuchen. Aber desto glücklicher haben Sie [Bürger]
ihn zu Ihrer Übersetzung der Iliade gewählt, auch stolpern bey Ihnen, cui dedit ore
rotundo Musa loqui, die hexameter nicht so über consonanten hin. Dieser vers, wenn
er also besonders geschickt ist, einen alten dichter zu übersetzen, indem er sich am
meisten der poetischen prosa nähert, auch eben desfalls gewählt zu werden verdienet,
um ein subjeet aus der alten zeit, und besonders ein solches, das aus der heiligen
schrift gezogen worden , zu besingen, wenn er am geschicktesten ist, das pathetische
der alten anzunehmen , dieser vers muss eben desfalls ein jedes andere gedieht in das
komische fallen lassen, und selbst dadurch alle pathetische Wirkung vernichten. Ich
habe daher denen nicht beypflichten können , welche den hexameter ohne unterschied
für den besten vers der epopee halten.
Ich blieb also bei den Jamben." —
Wir wissen, dass Bürgers „erste jugendidee" die Verdeutschung Homers in
jambischem rhythmus war; aber da er „eine dolmetschung, an geist, körper und
bekleidung dem original so nah als möglich" erstrebte, und die zuerst gewählte jam-
bische versart diesem grundsatz noch widersprach, so liess er (im jähre 1783) den
jambus fallen, nun „veränderte er die waffen" und rückte mit einem hexametri-
schen versuch ins feld, bei dem er sich mit höherem recht des bemühens rühmen
durfte, „unverwandt und bis zum schmerze" die äugen auf einen punkt gerichtet zu
haben, „dem Homer an geist und leib auch das kleinste nicht zu geben oder zu
nehmen2."
1) Vgl. Otto Lücke, Bürgers Homerübersetzung, Norden 1891 (programm)
und Bruno Kaiser, Bürgers erste aufsätze über die Verdeutschung Homers [Eupho-
rion VIII, 649 — 659].
2) Citiert nach W. v. Wurzbachs Bürger - ausgäbe, bd. IV, s. 60 u. R. Haym,
Die romantische schule (Berlin 1870) s. 157. — Die ersten im hexameter ver-
ZU G. A. BÜRGER 55 !
Über Rathlefs übrige werke findet man genaueres in Meusels Lexicon der von
1750—1800 verstorbenen teutschen Schriftsteller, bd. XI, s. 53 fg.
Was zum schluss noch die gedichte Rathlefs anlangt, die Bürger für wert ge-
halten hat, in seinen musenalinanach aufzunehmen, so sind es wahrscheinlich die mit
Rf. bezeichneten lieder in den Göttinger musenalmanachen von 1779 — 17841. Zwei
davon „Cynthiens Hand" (G. M. alm. 1779, s. 67) und „Liebeslied eines poeten an
sich selbst" (ebenda s. 109 fg.) sind, nach Bürgers brief vom 22. october 1778, fast
ganz von Bürger; besonders an dem gedichte „Cynthiens Hand" hatte Bürger „vor-
züglichen Wohlgefallen": die beide Rathlefschen gedichte hat deshalb August Sauer
in seine Bürger -ausgäbe (s. 478 fgg.) unter die „Umarbeitungen fremder gedichte"
aufgenommen.
10. Ein brief Elise Bürgers.
Vor kurzem habe ich in dem „Jahrbuch für das gesamte bühnenwesen , Deutsche
Thalia" I. Wien und Leipzig, s. 42 — 64, acht ungedruckte brief'- Elise Bürgers aus
den jahren 1803 — 1809 veröffentlicht.
Im anschluss daran sei hier ein brief Elisens mitgeteilt, der im jähre 1901
von der Göttinger Universitäts-bibliothek erworben wurde; vgl. Chronik der Georg
August -Universität für das rechnungsjahr 1901 (Göttingen 1902) s. 34 fg.
Im wilden mann am mittwoch
ahend, 6 uhr.
So eben, meine werthe freundin! bin ich hier angelangt und würde Sie diesen
abend persönlich statt dieser zeilen überrascht haben, wäre ich nicht vom üble]
und wetter erschöpft. Wie unendlich freue ich mich auf Ihr wiedersehen nach so
langer zeit!! Bestimmen Sie die stunde wo Sie morgen mich bei sich sehen wollen!
Indessen sende ich Ihnen die beiden kleinen gedruckten büchlein zum willkommen
als ein geschenk der freundschaft — und — meiner Stammbücher fortsetzung seit
wir uns nicht mehr sahen — damit Sie voraus wissen wie weit ich die weit indess
von süd und nord beschaut habe!
Die frau Elise umarmt Sie herzlichst, empfiehlt sich dem gemahl und wünscht
wohl zu schlafen [Elise Bürger]2.
Unter den „beiden kleinen gedruckten büchlein", die Elise ihrer freundin
übersandte, ist vermutlich „Mein taschenbuch, den freundlichen meines gesohlechts
geweiht von Elisa Bürger, geb. Hahn", zwi bändchen (in 8°) Pirna 1804—1805,
zu verstehen; daher ist dieser brief wol in dem jähre 1SI1"' geschrieben; die Stamm-
bücher Elise Bürgers scheinen leider verloren gegangen zu sein.
11. Die Bürgerbüste Chr. Friedr. Tiecks auf der Walhalla
bei Regensbur^.
Im anschluss au meinen auisatz ober Bürger -bilder (Zeitschrift für büoher-
fieuudo, 5. jahrg. [juni 1901], 8.89- 107) und die notiz in der „Beilage eui Ällg.
deutschten stücke aus Eomer liess Bürger im I band (Jahrgang 1784) von Goeckingks
„Journal von und für Deutschland" erscheinen; seit diesem jähre Bcheini Bürger
nicht mehr mit dem Eomer beschäftig! zu haben,
1) Vgl. 0. Chr. Redlich, Versuch eines chiffernlexioons usw. (Hamburg 1875)
s. 23. 36 u. 48.
2) Auf seite -1 steht: „Von Elise Bürger, geb. Halm, einst berühmt als deola-
matrice."
552
zeitang vom 6. i L902 (nr. 204) b. L61fgg., wo ich ein offenbai versöhn
profilbild Bürger ans der band Joh. Christ, Reinharts in dem „Journal von und für
Deutschland" (Jahrgang L785) alf kupferstich erhalten nachweisen konnte, nabeich
mich bemüht, in der Gegenwart (vom 20. September 1902 [nr. 38], 183 1 S7j von den
denkmalern kunde zu geben, mit denen man den Bänger der Lenore im laufe der
zeit geehrt hat.
Ich habe daselbst ausführlich deT Ti< Äschen Bürgerbi' te an dem jähre
1817 — die auf der Walhalla steht, gedacht; mit aller Wahrscheinlichkeit glaubte ich
damals annehmen zu müssen, dass Tieck „seiner arbeit den anonymen kupfei
TS zu gründe gelegt hat, der nach einer Zeichnung des Göttinger tunsthistorikers
Fiorülo gemacht ist und vorder im jähre L796 erschienenen Prachtausgabe der Bf
sehen gedichte stellt"; ich hatte meine ansichi möglichst zu Eestigen gesucht, bemerkte
aber, dass ein endgiltiger nachweis darüber, nach welchem porträt Tieck gearl
hat, sich wol aus den damaligen akten ermitteln lassen müsse.
Zu meiner freude teilte mir lierr pastor Nutzhorn in Bissendorf gütigst mit.
dass meine Vermutung vollkommen richtig sei. Denn A. "W. Schlegel schreibt an seinen
freund, den bildhauer Friedr. Tieck auf dessen brief vom 1. februar am 24. februar
1817 aus Paris1: „Wegen des bildnisses oder der bildnisse von Bürger wird es das
beste seyn, dass Du dich an professor Fiorillo wendest. Er war Bürgers guten- freund,
und ist ausserdem der einzige, der in Göttingen etwas von der kunsi versteht. Ich
glaube nicht, dass ein gutes gemählde vorhanden ist: ich kenne' nichts, als den mittel-
mässigen kupferstich vor seinen gedichten. Sein arzt war ein gewisser Althof, der
seitdem als leibarzt nach Dresden berufen worden; wo er jetzt ist, weiss ich nicht.14
12. G. A. Bürger und Heinrich Heine.
Wir wissen, dass Heinrich Heine als Göttinger student mit grosser Verehrung
von Bürger sprach, dessen volkstümliche art ihm' ungemein zusagte (vgl. Adolf
Strodtmann, Dichterprofile [Berlin 1883] s. 250.)
Erinnern wir uns noch folgenderstelle in „Über Deutschland" (band VI, Ham-
burg 1867), wo Heine die Schlegelsche kritik der Bürgerschen gedichte2 beleuchtet.
So verwundert sich Heine (a. a. o. s. 116) „über die innere leerheit der sogenannten
Schlegelschen kritik: z. b. wenn er den dichter Bürger herabsetzen will, so vergleicht
er dessen balladen mit den altenglischen balladen, die Percy gesammelt, .... die alt-
englischen gedichte, die Percy gesammelt, geben den geist ihrer zeit, und Bürgers
gedichte geben den geist der unsrigen. Diesen geist begriff herr Schlegel nicht; sonst
würde er in dem ungestüm, womit dieser geist zuweilen aus den Bürgerschen ge-
dichten hervorbricht, keineswegs den rohen schrei eines ungebildeten magisters gehört
haben, sondern vielmehr die gewaltigen schmerzlaute eines titanen, welchen eine
aristokratie von hannövrischen Junkern und schulpedanten zu tode quälten. Dies war
nämlich die läge des Verfassers der T Lenore", und die läge so mancher anderen
genialen menschen, die als arme docenten in Göttingen darbten, verkümmerten und
in elend starben. Wie konnte der vornehme, von vornehmen gönnern beschützte,
1) In K. v. Holteis 300 briefen, III. teil, s. 92ffgg. (Hannover, Rümpler 1872).
2) Erschien zuerst in A. W. v. F. Schlegels „ Charakteristiken und kritiken "
(1800), band II, dann im zweiten teile der kritischen schritten von A. W. v. Schlegel
(1828), dann u. a. bei A. W. Bohtz, Bürgers sämtliche werke (1835) s. 503 — 524.
HAUFFEN t;BER SCHWARZENBERG. VOM ZUTRINKEN ED. SCHEEL 553
renovierte, baronisierte , bebänderte ritter August Wilhelm von Schlegel jene verse
begreifen, worin Bürger laut ausruft, dass ein ehrenmann, ehe er die gnade der
grossen erbettle, sich lieber aus der weit heraushungern solle!"
Heine spielt auf die Bürgerschen verse an, die „Mannstrotz" überschrieben und
zuerst im Göttinger rausenalmanach von 1788 erschienen sind (s. 74):
Solang' ein edler biedermann
Mit einem glied sein brot verdienen kann,
So lange schäm' er sich nach gnadenbrot zu lungern!
Doch thut ihm endlich keins mehr gut:
So hab' er stolz genug und mut,
Sich aus der weit hinaus zu hungern.
13. Gottfried August Bürger und Ludwig Philipp Hahn.
Anonym erschien 1781 in Frankfurt und Leipzig „Zill und Margreth" eine
ballade aus den werken des Westlicher bänkelsängers (49 Seiten, 8°). Wir wissen,
dass Ludwig Philipp Hahn (1746 — 1814) der Verfasser dieser schmutzigen mord-
geschichte ist, über welchen wir eine ausführliche abhandlung aus der feder EL M.
Werners besitzen (Strassburg 1877). Hier sei nur gesagt, dass dieser bänkelsang zu
dem krankhaftesten gehört, was in der geniezeit der stürm- und drangperiode geleistet
wurde. Besonders interessant erscheint es mir nun, das dieses heftchen „dem
stolzen dichter Bürger zu Willmarshausen" gewidmet ist. Wodurch Hahn sieh zu
dieser widmung veranlasst fühlte, und in welchem Verhältnis er zu Bürger gestanden
hat, darüber vermochte ich indes nichts zu ermitteln.
HEIDELBEEG. ERICH EBSTEIN.
LITTEEATUE.
Johann von Schwarzenberg, Das büchlein vom zutrinken. Herausgegeben
von Willy Scheel. (Neudruck deutscher litteraturwerke des XVI. und XVII.
Jahrhunderts herausg. von W. Braune nr. 170). Halle a. S., M. Niemeyer 1000.
XIII, 44 s. 0,60 m.
Johann Fischart, Das glückhafte schiff von Zürich. (1577). Berausgegeben
von Georg Baesecke. (Ebenda nr. 182). L901. XXV. 60s. 0,60m.
1. Scheel liefert einen sorgfältigen abdruck des „Zutrinkens" von Johann von
Schwarzenberg und zwar nicht aach der Originalausgabe <> (1512 — |, sondern
nach dem posthumen abdruck A im Teutschen Cicero 1534, weil er mit reohl die
zusätze (kurze in den prosatexl eingeschobe ereimte sprüohe) und die stilistischen
äuderungen des textes Schwarzenberg selbsl zuschreibt In den anmerkongen unter
dem text sind die Varianten von 0, sowie von späteren drucken (1535 und 1540) ver-
zeichnet.
Die oinloitung bringt nur das wesentlichste, weil sich Scheel die weiteren
sprach- und litteraturgesohiohtliohen ansführnngen für eine geplante monographie aber
Johann von Schwarzenberg vorbehält. Scheel hat ja auch inzwisohen auf derSti
burger philologenversammlung einen Vortrag über 'Sohwa in Beiner bedeutnng
55 I
Für reobl and sprach benden L6.jahrbuad.erts (au zog in Zeitschr. 3
dten.
'Das bücblein vom zutrinken' steht mitten drin in einem reichen litteratur-
zweige, der deutschen trinklitteratur des 16. Jahrhunderts, [ob habe darüber auch
mit kurzer Charakterisierung des büchleins von Bchwarzenberg gehandeil in der Viertel-
jahrsschrift f. litteraturgeschichte 2, 8.481 513 1 iehemi ine nachtrage ebenda 6, I74i
Man vergleiche auch darüber: M. Osborn, Die teufellitteratur des 16. jhs. (Acta
germanica III, 3, s.79fgg. u.a.). Manchen beitrag zu diesem ade bringt auch
jetzt A. Bömer in seiner ausgäbe von F. Dedekindus, Grobianus (Latein. litteratur-
denkmäler des XV. und XVI. Jahrhunderts, nr. 16).
2. Baesecke Iässt seinem überaus getreuen abdruck des Glückhaften Behufes (A.)
von Kiscliart eine einleitung vorausgehen, die nicht n r n l;i n ■_■ I i« li ist, aber manche neue
ergebnisse zur Wirksamkeit Fischarts beibringt. Unter anderem machl es Baesecke
sehr wahrscheinbeh , dass die sicherlich bei Jobin gedruckte fassung A nicht 1576
erschienen ist, wie man bisher allgemein angei imen bat, sondern erst in der fa ten-
messe l.r>77 und dass ihr im jähre l,ri7(i eine (verloren gegangene) sonderausga ho ohne
die anhänge: Schmachspruch und Kehrab vorausgegangen ist.
Gelegentlich dieser beweisführung bat B. die Schriften Fischarts bis 1577 be-
züglich der Orthographie durchgesehen und ist, in diesem punkte die dankenswerten
ausführungen Vilmars (Zur litteratur Fischarts2, s. 51) ergänzend, zu dem ergebnis
gekommen, dass in den Schriften von 1570—74 mhd. ei l > ei oder ey, hingegen
von 1575 — 77 mhd. ei > ai, t~> ei wird. Beide seh reihweisen sind mit strenger
rogelmässigkeit durchgeführt. Einzelne werke von 1574 auf 75 zeigen den Übergang.
Das Ehozuchtbüchlein 1578 gehört noch zu der zweiten gruppe, in den letzten zehn
bogen und der vorrede aber zeigt sich schon die Schreibung ei > ey, i > ei der
späteren schritten, die aber auch nicht lange streng festgehalten wird. Wenn B.
diesen ausführungen hinzufügt: „In den achtziger jähren kehrt Fischart auch noch
einmal zur ersten Schreibung zurück: Brotkorb, Armada, Gegenbadstüblein " so muss
ich dazu bemerken: nicht Fischart, sondern seine setzer. Die annähme Vilmars, dass
Fischart, in den schritten von 1575 — 1578 seine eigene rechtschreibung durchgesetzt,
vorher und später aber die Schreibung mehr oder weniger den setzern überlassen
habe, ist zweifellos richtig. Fischart war in dem genannten Zeitraum corrector bei
Jobin. Er hat ausserdem in seinen zumeist aus seiner letzten lebensperiode stammen-
den handschriften (vgl. Crecelius in der Alemannia 1, 113—145 und Hauffen in der
Zeitschrift für bücherfreunde 2, 21 — 32) strenge an der Schreibung der Schriften von
1575 — 1577/78 also mhd. ei = ai und i = ei festgehalten.
Über die quellen zum Glückhafft schiff hat Bächtold schon abschliessend ge-
handelt. Inwieweit sich Fischart über die pritschmeisterlichen dichtungen der zeit
erhebt, habe ich (Fischarts werke, auswahl 1, s. XXII fg.) dargelegt. Baesecke
untersucht nun auf grund eingehender sorgfältiger vergleichung der einschlägigen
dichtungen die noch erkennbaren pritschmeisterlichen züge im Glückhafften schiff.
Sie nehmen keinen grossen räum ein, ergeben sich durch die behandlung desgleichen
Stoffes zum teil von selbst, treten nicht deutlich hervor und sind rein äusserlich.
B. betont besonders als kennzeichen der gattung, dass die einleitung deutlich abgesetzt
ist und eine geschichtliche betrachtung enthält, wie so häufig bei Lienhart Flexel —
doch fehlt die den pritschmeistergedichten übliche einkleidung — , ferner geschicht-
liche und etymologische Spielereien, — die Fischart allerdings auch in anderen dich-
ÜBER FISCHART, GLÜCKHAFT SCHIFF ED. BAESECKE 555
tuDgen sehr gerne anbringt, das preisen freundnachbarlicher gemeinsamkeit und treuer
pflege ererbter rügenden, — das bei Fischart bei dem weitereu ausblick eine viel
tiefere bedeutung gewinnt — endlich (bei Unterbrechung der historischen erzählung)
die Vorführung des ausschreibens und des „bestes", pritschmcisteriiche fügungen in
geschichte und lob der beiden städtc, eingeschobene datumüberschriften und nach
dem schlusswunsche das ängstlich vollständige Verzeichnis der teilnehme!'.
In einer anmerkung zu s. Xfg. nimmt Baesecke die Übersetzung des sechsten
buches des Amadis ganz für Fischart in anspruch und fühlt einige seiner stileigen-
heiten als belege hierfür an. Ich möchte auf diesen gegenständ etwas näher ein-
gehen. Bekanntlich sind die meinungen über den anteil Fischarts am sechsten buch
des Amadis bisher geteilt gewesen. Goedeke (Grundriss2 2, s. 474) meint, dass nur
das einleitende gedieht (neugedruckt bei Kurz 3, s. 29 — 32) und nicht die Übersetzung
des ganzes buches von Fischart herrühre. Bobertag (Geschichte des romans 1, 360)
und Besson (Fischart 166) lassen die frage offen. Scherer (Anfänge des deutschen
prosa- romans, Quellen und forschungen 21, s. 70) sagt ganz richtig, die autorschaft
Fischarts müsse „ durch philologische Untersuchung doch zu ermitteln sein ".
Gehen wir dieser frage auf den grund, so ergibt es sich meiner ansieht nach
mit Sicherheit, dass Fischart selbst das sechste buch des Amadis aus dem
französischen verdeutscht habe. Zuvörderst besagt der titel ausdrücklich: „auß
frantzösischer sprach newiieh in teutsche durch .1. F. M. G. gebracht L'. Ferner heisst
es am schluss der deutschen ausgäbe (s. 762): „Endet sich das sechste buch von dem
Amadis auß Frankreich. Alors comme alors". Also wider der von Fischart so oft
und besonders gerne am Schlüsse seiner Schriften angewendete französische Wahl-
spruch. Dass Fischart mit dem inhalt des sechsten buches des Amadis sehr vertraut
war, ergibt sich daraus, dass er öfters und auch noch viele jahro später darauf anspielt
So in der Geschichtklitterung 1575 (Alsleben s. 158) wo die fee Urganda als wichtige
gestalt bezeichnet, in einem zusatze der ausgäbe 1582 (s. 427) wo ihr affeasobiff
(siehe 6. buch, 44. capitel) und in einem zusatze von 1590 (s. 395) wo ihre Zauber-
kunst „sibentzigen järig siben Schläfer zu machen" (siehe 6. buch, 21. capitel) er-
wähnt wird1. Diese beiden motive werden auch noch im Stauffenberg 1588 v. 61 — 66
herangezogen. Die anderen bücher des Amadis hingegen scheint Fisohari nicht ge-
kannt zu haben. Er erwähnt nirgends deren inhalt3 und er versetz! in der Praktik ;|
den stoff des in Fischarts zeit sehr verbreiteten Volksbuchs vom kaiser Oktavian
(Goedeke, Grundriss2 2, s. 21 fg.) fälschlich in den Amadis.
Baesecke bringt einige beispiele zum stile der Verdeutschung bei: zwei- and
dreigliedrige formein, Häufungen, Wortspiele, die für Fisohari bezeichnend, aber oooh
nicht allein beweisend sind, weil sich ähnliches auch bei einigen anderen Schriftstellern
der zeit findet. Ich habe schon vor einigen jähren die ganze Verdeutschung des
1) Ebenda 1582 (s. 453) nenn! Fisohari auob 'Ich „Threao] des Lmadys*,
das ist ein gleichzeitig erschienener französischer auszug aller Äjnadisbüoher: 'Fi-
des tous les livres d'Amadis de Gaule 2 bde. Lyon 1582.
2) Dor hinweis in der Gesohichtklitterung gehl memer meinung nicht über
das sechste buch hinaus, sondern hier verbindet Fisohari das Lmadis-motiv willkür-
lich mit der Artussage. Auch die gereimte einführung Fisoharts sum Amadis erwähnt
nichts von den übrigen büohern.
3) Praktik 1572: „ Amadisläser, die vber dem keyser Ootaviano (1574 vber
dem verlohi'enen kind keysers Oetavianus) weinen.
556 buch
iech i' n buchea mil dem französi chen Amadis und au ierdem Bpraohe, worl chatz,
stil der verdeui n bung mil i pracbe, wortb od stil dei iil lu iffa □ I- i
verglich BD und daraus die Überzeugung gewonnen, dass Fiscl
deul ohung !"■ orgl hat. Mir fehl! es hier leider an räum die belege, die ich mir in
Langen listen zusammenge teilt habe, v< zufuhren. Ich vei pare e mir für
andere gelegenheit. Erwähnen möchte ich hier nur, da l ganz
genau aus dem französischen übertragen ha! Ohne er en und zu
er sie sonsi liebt, Das ist auffällig, erklär! sich aber wol durch den auftraj
Verlegers, der seinen lesern eine getreue Übertragung bieten trollte, und durch das
vorbild der übrigen verdeutschten &.madisbücher.
Fischarts Übersetzung des Amadis 1572 war eine gute Vorarbeit für
(ieseliichtllitferun^ lTiTfi. lTnfl Fischart hätte i ich wol kaum an die auf-
gäbe der Gargantua -Übersetzung herangewagt, wenn er sich nicht vorher durch den
An, ;ulis eine gewisse fertigkeit erworben hätte. Dfese erwägung ! noch die
ohcn ;nis;',c:,],nichi'n<! aniwhine. Als aiilTin^cr zeigt, sieb ja Fischart im \ uiadis durch
ungelenke stellen in der Verdeutschung, und wenn Frantzen (Kritische bemerkt
zu Fischarts Gargantua) in der Geschichtklitterung die seltsamsten Übersetzungsfehler
aufgedeckt hat, so fehlt es daran natürlich auch im Amadis nicht. Ich verweise nur
auf einen komischen Verstoss. Für: „j'avois la. connoissance de la tette de ma
nourisse" sagt Fischart s. 284 „so hab ich allbereyt schon meiner saugammen kopff
vnd angesicht erkennet". AVobci er la tette (brüst) mit la tete (köpf) verwechselt
und so den sinn des ganzen satzes missdeutet.
FRAG. ADOLF IIAUFFEX.
Die deutsche grammatik des Albert Ölinger, herausgegeben von Willy Scheel.
Ältere deutsche grammatiken in ueudrucken. Band 4. Halle a. S. , M. Niemeyer
1897. LXII, 129 s. 8. 5 m.
Schon bei der besprechung von Müllers ausgäbe der grammatik des Laurentius
Albertus (Zeitschr. 30, 394) habe ich kurz auf den vorliegenden neudruck hingewiesen
und die Stellung Scheels in der Streitfrage Albertus -Ölinger gekennzeichnet. Jetzt
muss die eigentliche anzeige unlieb verspätet nachhinken.
Zunächst seien zum Verständnis der angedeuteten Streitfragen einige tatsachen
widerholt. Die grammatik des Ölinger hat einige partien mit der des Laurentius
Albertus gemein, und bei der frage nach der priorität des einen oder andern steht
der umstand im wege, dass die drucke beider autoren die gleiche Jahreszahl (1573)
tragen. Allerdings weist die widmuug bei Laurentius ein früheres datum auf (Septem-
ber 1572) als bei Ölinger (september 1573) und aus einigen begleitgedichten des buches
von Ölinger glaubte man herauslesen zu müssen, dass sie auf einen plagiator zielen,
der das manuscript Ölingers geplündert habe und diesem dann mit dem druck zuvor-
gekommen sei. Dies die ansieht Raumers, der den plagiator in Laurentius Albertus
suchte, während Reifferscheid umgekehrt den Ölinger für den plagiator des Lau-
rentius erklärte, worauf Müller-Fraureuth gar zu der Vermutung kam, beide
personen zu identifizieren1.
1) Müller hat diese ansieht seitdem wider aufgegeben auf grund neuer von
ihm aufgedeckter tatsachen, s. u.
VBEK ÖL1NGER, DEUTSCHE GRAMM. ED. SCHEEL 557
Ein widerstreit der meinungen, bei dem das überlieferte niaterial nicht aus-
reichte, um eine sichere beurteil ung zu ermöglichen. Scheel gieng daher auf eine
neue fährte aus, wo ihn einige neue veröffentlich ungen begünstigten. Einmal hat
J.Meier (vgl. Beiträge 20, 566 fgg.) eine zweite schrift Ölingers, die Duodecim dialogi
von 1587 aufgefunden, eine für den Unterricht bestimmte deutsche Übersetzung
der Dialogues de Jean Loys Vives, traduits de Latin en Francois pour l'exereice des
deux langues (Antwerpen 1584). Damit war für die keniitnis der Persönlichkeit
Ölingers eine neue quelle erschlossen, die namentlich auch das problem des Verhält-
nisses zur französischen Schulgrammatik nahe brachte. Und in dieser richtung kam
andererseits E. Stengels ein unologisches Verzeichnis französischer grammatiken (Oppeln
1890) sehr gelegen.
So hat der herausgeber den hauptteil seiner einleitung auf einer eingehenden
prüfung der vorlagen Ölingers aufgebaut, die einleuchtende ergebnisse erzielte. Zur
bestätigung dieser ergebnisse mag schon der umstand dienen, dass gleichzeitig oder
vielleicht noch vor Scheel auch C. Müller, der herausgeber des Laurentius Albertus,
eine gleichartige Untersuchung mit ähnlichen Schlussfolgerungen anstellte, die nur zu-
fällig etwas später im druck erschien K
Als wichtigste unter diesen ergebnissen erscheint mir einerseits die sorgfältige
kennzeichnung der arbeitsweise Ölingers, die sich Scheel besonders angelegen sein
Hess; andererseits die hervorhebung derjenigen züge, in denen Ölinger sich von
Laurentius unterscheidet. Hier hätte der herausgeber ein übersichtlicheres bild
weifen dürfen. Man konnte ja früher schon den gegensatz der beiden gleichzeitigen
grammatiken dahin kennzeichnen, dass die von Ölinger einen rein praktischen zweck
im äuge hatte und an ausländer als leser gerichtet war, während Laurentius Albertus
seinen eigenen landsleuten dienen wollte, sofern diese ein mehr wissenschaftliches
interesse an ihrer muttersprache nahmen. Dazu kommt nun als neuer bezeichni
zug die grundverschiedenheit in der anlehnung au fremde vorlagen und muster.
Laurentius ist durchaus von der lateinischen schulgrammatik beeinflusst8, Öl
wenig, er ist weit mehr von der französischen urammatik abhängig. Die ausführlichen
phonetischen bemerkungen in dem capitel „Potestas et pronunciatio literarum"
(s. 11 — 21), die bei Laurentius ganz fehlen, die zahl der casus (5 bei ölinger, der
mit recht einen deutschen ablath ablehnt), die aufstellung von -j oonjugationsklai
mit denen ölinger erstmals den versuch macht die wirre mannigfaltigkeit der deut
verbalformen in ein System zu bringen, die verständige abtrennung der bilfsverba
von dem verbum als solchem, endlich anter vielen einzelheiten noch die eingehende
gliederung der pronomina — all das hat ölinger, wie Scheel überzeugend dartut, der
französischen grammatik abgelernt. Von der lateinischen schulgrammatik ist die dar-
1) C. Müller, Albert Ölingers deutsche grammatik und ihre quellen. Jahres-
bericht des Wettiner gymnasiums zu Dresden 1 1897 1. Müller bringt hier seinerseits neue
belege für die schriftstellerische tätigkeil und Persönlichkeit des Laurentius all
bei, den er aus der Wittenberger matrikel von 1551 als Laurentius Albrecht aus
Neustadt in Franken nachweisen kann, bis diesem gründe nimmt Müllei auch Beine
frühere identificierung des Laurentius und des ölinger zurück. In manchen einzel-
heiten stimme ich hier mehr mit Müller als mit Scheel überein, wählend ich diesem
in der erklärung der gewonnenen tatsachen den ehe.
2) Müller will auoh bei Laurentius abhängigkeit von der französischen gram
matik annehmen, die aber kerne sicheren Linien gibt Ebenso scheint mir bei ölinger
der lateinische einiluss zu tail betont.
WUNDKKLK.H, ÜBKB ÖLINGKtt, i»i.i i-'in '.Hamm. BD. SCHEEL
Stellung des oomparativs und Superlativs, die motion dei substantiva, einiges in den
regeln and endlich der abschnitt übei die syntax äbernommen1. Auf diese an-
lehnung an die lateinische grammatik gehen nun die mei ten berührungspunkte mit
Laurentius Albertus zurück, so dass es nur wenige einzelheiten sind, 'Jh.- für eine
anmittelbare benutzong <J<-s Albertos durch ölingei prechen: die beispiele innerhalb
der genusregeln, eine stelle in der einleitung und der gedankengang im chlussoapitel
von der prosodie, dessen Bchlusssatz wörtlich mit Albertus (vgl. s. 39) übereinstimmt
Ob auch andere deutsche grammatiken von der excerpierenden arbeitsweise ölin
gestreift wurdi'ii, wie Scheel nachweisen möchte, lässt sich doch nicht mit sicherheil
feststellen.
Dagegen fügen sich die einzelheiten, mit denen Ölinger anscheinend allein
steht, zu einem bilde zusammen, das mit allem andern, was wir von ölinger wi
gut übereinstimmt. Die zahlreichen bemerkungen über mundartlichen Sprachgebrauch
verraten den geschärften blick eines an der Sprachgrenze geborenen (Ölinger stammt
aus Strassburg) und entsprechen der erfahrung eines mannes, der in Baden, der Pfalz
und Lothringen weilte oder beziehungen unterhielt. Aus langjährigen beobachtungen
beim Unterricht und bei sonstigem austausch deutschen und französischen sprachgutes
stammen die Sammlungen, in denen (Jünger namentlich die formenfülle des deutschen
verbums zu beschreiben und zu meistern suchte (vgl. z. b. seine Zusammenstellung
der verba anomala). Er ist hier tiefer in das weseu der sache eingedrungen, wie
namentlich die bemerkung beweist, mit der er die traditionell übernommene aufstellung:
„Tempora sex sunt" selbständig wider einschränkt: proprie vero Germani duo tantum
habent tempora, nempe, praesens et praeteritum ünperfectum: reliqua circumloquuntur
(s. 66). Mit sicherem blick unterscheidet Ölinger bei ausnahmeerscheinungen zwischen
mundartlichen gewohnheiten und schriftgemässen neigungen, vgl. z. b. in den Obser-
vationes verborum (s. 98): Helvetij et quidarn alii plaeruuque iufinitivo, vel partieipio
praeteriti temporis utuntur, pro tertia persona pluralis praesentis temporis: veluti,
Ihr haben das gesagt pro habet. Verba, wollen, sollen, dörffen, können, mögen
et similia in praeteritis cum sequente infinitivo, plaerunque loco partieipii praeteriti
temporis ponuntur in infinitivo: veluti, Sie haben gelin Paris wollen reisen, pro
gewölt.
Überall betätigt Ölinger einen ausgesprochenen sinn für Ordnung, gefällige ab-
rundung und zweckmässige gliederung, am deutlichsten zeigt sich dies in dem capitel
über die Zahlwörter, das er aus zerstreuten angaben seiner Vorgänger zusammen-
gestellt hat.
So lässt sich bei Ölinger trotz durchgängiger anlehnung an fremde muster und
trotz eingehender ausnützung seiner Vorgänger von einer gewissen Selbständigkeit der
arbeit sprechen, und er hat von seinem Standpunkt aus auch das recht, sich gegen
etwaige ausbeutung durch andere zu wehren.
Scheel hat auch für die viel umstrittenen begleitgedichte fremde muster — und
zwar antike — nachgewiesen. Er hat ihrer beweiskraft damit abbrach getan, nur war
es unnötig, sie widerum auf Laurentius Albertus zu beziehen. Dafür hegt kein
zwingender grund vor.
Den quelleunachweisen lässt Scheel eine hübsche Zusammenstellung der sprach-
lichen eigentümlichkeiten folgen, wie sie in dem deutschen sprachmateriai zu tage
1) Hier hat Müller richtig hervorgehoben, dass Ölinger der lateinischen gram-
matik mehr in der theorie, der französischen mehr in der praxis folgt.
PARISER ÜBER ANGEL. SILESIUS, HEIL. SEELENLUST ED. ELLINGER 559
treten, das Ölinger als beispiele verwertet. Obwol gerade dieses aus allen möglichen
quellen und denkmälern zusammengetragen ist, zeigt es doch das bestreben ebner ein-
heitlichen regelung, das aucb über die allgemeinen linien der Strassburger druck-
sprache hinausgeht.
HEIDELBERG. H. WUNDERLICH.
Angelus Silesius, Heilige seelenlust oder geistliche hirtenlieder der in
ihren Jesum verliebten Psyche. 1657. (1668). Herausgegeben von Georg
Ellinger. Halle a. S., Max Niemeyer 1901. XXXVII, 312 s. 3 m.
Der herausgeber, dem wir schon die vortreffliche ausgäbe des „Cherubinischen
wandersmaun's" in der gleichen Sammlung verdanken, bat seinem neudruck der
„Heiligen seelenlust" die erste ausgäbe des Werkes von 1657 (A) zu gründe gelegt
und das fünfte buch nach der zweiten von 1668 (ß) hinzugefügt. Ausserdem gibt
er in der einleitung die — verhältnismässig geringfügigen — abweichungen der drucke
von 1697 und 1702, die sich beide im übrigen genau an B als vorläge halten. Weitere
ausgaben, die zum teil „erbaulich" verändert sind, hat Ellinger mit recht für seinen
neudruck unberücksichtigt gelassen. Doch sei hier der hinweis gestattet, dass mehrere
auflagen der „Heiligen seelenlust" aus dem 19. Jahrhundert ihr fortleben als andachts-
buch in der katholischen kirche bezeugen. So ist z. b. die Stuttgarter ausgäbe von
1847 ausdrücklich bezeichnet als „in und ausser der kirche statt eines gebetbuches
zu gebrauchen" und mit einem Verzeichnis der Zeiten versehen, für welche die ein-
zelnen lieder sich vornehmlich eignen. Ähnliche zwecke verfolgt die 1862 in Etegens-
burg bei Mauz erschienene. Den titel des Werkes hat Christ. Aug. Gebauer |17'.»2 bis
1852) wider aufgenommen und untei ihm geistliche lieder vtm Spee, Seheffler und
Novalis herausgegeben. — In der einleitung legt Ellinger die grundgedankeu klar, die
den dichter bei dem vorliegenden werk geleitet haben und stellt die litterarischen
eiuflüsse fest, unter denen die Heilige seelenlust entstanden ist. Die gleiehm
beherrschung der mystischen litteratur, wie der profanen und geistlichen diobtung,
welche auf Seheffler eingewirkt hat und der er seihst wider ein lange zeit giltiges
vorbild geworden ist, ermöglicht es dem herausgeber ein in solcher vollständigkeil
noch nicht gebotenes material zur vergleichung beizubringen. Er war deshalb in
der läge bei der behandlung des so schwierigen themas von einem verfahren abzu-
sehen, das sich mit audeutungen und hypothesen genug tat oder, wie es z. b. in der
Lemckischen darstellung der fall ist, das hauptgewichl aul eine ästhetische betrachtung
der äusseren form zu verlegen. — Au seiner „Zuschrift an Jesus Christus1' geht
hervor, dass Seheffler, wie einst Otfried den laicorum cantum obscenum, die „be-
schreibuug der thörichten welt-liebo" durch geistliche dichtung in bemüht
war. Zur erreichung seines Zweckes greift er auf die modische sohäfer] sii .
gesellscliaftslied und die lyrik seiner bedeutendsten Zeitgenossen, wie die Opitianische,
zurück, insofern er ihr metrisches gefüge, mitunter auob einzelne strophenteili
volkstümlich geworden waren, in entsprechender Veränderung herübernahm. Ins-
besondere weist Ellinger auf Johann Hermann Seliein hin, dessen lieder in der
„Heiligen seelenlust" metrisoh nachgebildet sind. Weil umfangreicher, als man bisher
annahm, sind auch die anlehnungen an die pastoralen abschiedsUeder, wie sie indem
von Waldberg nach dem druck von 1656 herausgegebenen Liederbuch „Venus - gärtlein"
vorliegen. Schefflers eigene angäbe bestätig! . dass er auob ans dei lateinischen hymnen*
500
dichtung geschöpft hat. Eben o lieferte ihm das deutsche katholische Irirchenlied an-
en und d;iss der evangelisch aufgewachsene dichtei die schätze d<
kirchenliedes sich! anbeachtet Liess, versteh! sich eigentlich von selbst. Zumal Johann
Franoi kommt in dieser binsicbl wie bereits Kahler! nachgewiesen hat, — in be-
tracht. Eine beemflussung der „Heiligen eelenlnst" duroh Bpees Tratznachtigall ball
Ellinger nicht für ausgeschlossen, Bie Bei aber keine falls von tiefgreifende] bedeutung
gewesen. Da beide werke einer verwandten richtung angehören and beiden aatoren
die gleichen quellen zu geböte standen, sind einzelne Übereinstimmungen Leichl erklär-
lich, die wol auch auf kosten des Zeitgeschmacks zu setzen sind. Die mannigfachen
anlehnungen, die zu verzeichnen waren, sind ohne einfluss auf das durchs
artige gepräge der dichtung. Bie bleibt, ßchon insofern von kulturhi i be-
deutung, als die barocken eleniente, die sie neben seelenvollen, echt poetischen st .
enthält, sich noch in den kantatentexten widerspiegeln, die J. S. Bach componierl
liat. Ellinger kennzeichnet sie treffend als ein mittelglied zwischen jener mystischen
richtung, die eine scliwännerisch gesteigerte kirrhlichkeit /.tun ausdrack bringt, und den
dichterischen ergüssen des pietismus. Im gegensatz zu dem „Cherubinischen wanders-
mann", dessen pantheistische bestaudteilo sich — trotz aller bemühungen Seltn
und der seiuo anschauungen übernehmenden kritik — nicht wegleugnen lassen, steht
der dichter in der „Heiligen seelenlust" auf kirchlich - dogmatischem boden. Ihre
entstehuug wird man demnach erst nach Schefflers übertritt ansetzen dürfen. Über
ihr fortleben in der deutschen litteratur — sie hat besonders auf die dichter des
pietismus Arnold , Zinzendorf und Tersteegen gewirkt — verspricht der herausgeber
eine eigene Untersuchung. Nach den wertvollen ergebnissen der vorliegenden darf
man von ihr eine weitere förderung unserer keuntnisse von der geistlichen dichtung
des 17. und 18. Jahrhunderts erwarten.
MÜNCHEN. LUDWIG PARISER.
Heinrich Ton Kleist : Michael Kohlhaas. Kritische ausgäbe mit erläuterungeu von
prof. dr. Eugen Wolff in Kiel (= Meisterwerke von Heinrich von Kleist mit er-
läuterungen von Eugen Wolff. III.) Minden i. W., J. C. C. Brans vorlag 1902.
150 s. 1,20 m.
Dem „Zerbrochenen krug" und dem „Prinzen von Homburg" hat E. Wolff
nunmehr als drittes bändchen seiner einzelausgaben von Kleists hauptwerken den
„Michael Kohlhaas" folgen lassen. Die gestaltung des textes, um die sich Wolff in
den beiden früheren fällen so dankenswerte Verdienste erworben hat, bot diesmal
keine Schwierigkeiten, da der herausgeber einzig auf den vollständigen druck der
novelle im ersten bände von Kleists „Erzählungen" (1810) angewiesen war. Die
interessanten abweichungen , die für das erste viertel der Phoebus - druck von 1808
bietet, finden sich als nr. 3 der angehängten erläuterungen widergegeben; zu bedauern
ist nur, dass weder der text eine Zeilenzählung aufweist noch auch der fortlaufende
apparat die Seitenzahlen fett druckt, wodurch die benutzung der lesarten sehr er-
schwert wird. Im übrigen bringen Wolffs erläuterungen zunächst (1.) eine lebens-
und werdegeschichte des dichters, die allzu knapp ausgefallen ist; wenigstens über
den novellisten Kleist hätte der leser hier doch einigermassen unterrichtet werden
sollen. Daran schliessen sich (2.) erörterungen über den Stoff und den geschichtlichen
Hans Kohlhase; nach dem lehrreichen aufsatze Pniowers über Kleists werk (Branden-
ÜBER KLEIST, MICH. KOHLHAAS ED. WOLFF 561
burgia, dezember 1901) hätte die vollständige chronik des Peter Hafftiz (nicht
Haft, wie Wolff nach Burkhardt schreibt), die in Kleists tagen nur handschriftlich
vorlag, wol etwas vorsichtiger als quelle genannt und auf die aus Leutinger stammen-
den besonderheiten stärkeres gewicht gelegt werden können. Dass der seiner zeit
von E. Kuh noch mit in rücksiebt gezogene Mentz übergangen wird, kann man da-
gegen verschmerzen, da ihm Kleist in der tat kaum etwas entnommen zu haben
scheint. Von den beilagen zu diesem abschnitt dürfen namentlich die ersten drei, ein
schreiben Johann Friedrichs von Sachsen in Sachen der Kohlhasischen händel und
zwei Originalbriefe des berühmten „fehders" selbst, wol anspruch auf interesse er-
heben; schade, dass das erste und dritte dieser stücke modernisiert sind. Alles, was
Wolff sonst noch zum ,, Kohlhaas" beizubringen hat, fasst er in seinen fortlaufenden
anmerkungen (4) zusammen, die wol manches ansprechende bieten, aber stilistisches,
sachliches, auf die komposition und den inneren gehalt bezügliches so bunt durch-
einander bringen, dass der leser gar nicht zur gestaltung eines klaren bildes kommt.
Ich zweifle vor allem, ob der schule, an die Wolff doch wol in erster linie denkt,
mit dieser anordnung und der unverhältnismässig starken betonung des sprachlich -
stilistischen gedient ist. Hätte Wolff sich entschlossen, dasjenige, was seine erläu-
terungen im wesentlichen bieten, in einer ausführlichen klaren einleitung niederzulegen,
die ihm gestattet hätte, den stoff wirklich zu ordnen und typisch widerkehrendes
straff zusammenzufassen, so würde er nach meinem gefühl zum Verständnis des werkes
mehr haben beitragen uud den schüler stärker zum selbst-sehen und -denken haben
anleiten können. So legt man die ausgäbe mit geteilten empfindungeu aus der band.
Da hier einmal vom „Kohlhaas" die rede ist, sei es mir gestattet, auf eine
andre neuausgabe des werkes zu verweisen, die mir freilich nicht zur besprechuug
vorliegt und die ich auch hoffentlich nie zu gesicht bekommen werde. Es herrscht
namentlich in den kreisen der forscher die fable convenue, dass Kleist sich längst der
ihm gebührenden hochachtung erfreue; demgegenüber möchte ich denn doch auf den
Weihnachtskatalog 1902 der G. Groteschen Verlagsbuchhandlung in Berlin aufmerksam
machen, der auf s. 33 als neuigkeit anzeigt: „Heinrich von Kleist, Michael Kohlhaas.
In freier und zeitgemässer bearbeitung (!) herausgegeben von Chr. Hamann.
Mit Illustrationen von Carl Böhling und Paul Thümann". In der beigedruckten
empfehlung heisst es: „Mit der vorliegenden neuen bearbeituug, die sich nicht darauf
beschränkt, den an stilistischen mangeln leidenden, vielfach zerhackten Batzbau
Originals durch einen einfacheren, dem modernen Sprachgefühl mehr angepa&Sten zu
ersetzen (!), sondern es sich auch angelegen sein liess, namentlich die Boenen, die
das familienleben des helden schildern, mit volleren färben auszumalen (1), um so
einen mildernden gegensatz zu den vielen düsteren und ergreifenden bilden) zu ge-
winnen (1), erscheint dieses nie veraltende schöne werk in einer reiob und vortrefflich
illustrierten, dabei überaus billigen Volksausgabe". Das isl denn dooh ein starkes Brück,
und nicht genug kann es beklagt werden, dass ein hooh angesehener vorlag es auf
sich genommen hat, ein so ungeheuerliches attentat aui ein meisterweri unserer
klassischen dichtung mit seiner flagge zu decken; die rüoksohlüsse, die man daraus
auf die Stellung des breiteren publikums zu Kleist ziehen muss, sind wahrhaft er-
schreckend. Auch die illustrationen begehre ioh nach der beigegebenen probe nimmer
und nimmer zu schauen — aber in dieser hinsiohl Bind wir ja in Deutschland Ober-
haupt nicht verwöhnt. Wer übrigens naoh weiteren bi - dem theraa „Kleist
und die gegenwart" verlangt. Bei auf den x. band der „Jahresberichte für neuere
deutsche littcraturgeschichte" (Tv",4,62 — 64) verwiesen, wo A. von Weilen in dankens-
ZKITSCHKIFT F. DEUTSCHE PRTLOLOOIE. BD. XXXV.
562 TB. A. MKYr.K
• ... : e übe] die laue aufnähme des „Prinzen von Homburg" bei publikum and
kiitik in Wien 1899 berichtet Den vogel hat allerdinge erst Max Burckhard ab-
geschossen, der zwei jähre später, wie bekannt sein dürfte, den priozen ein „wider-
liches, nach caesarismus stinkendes kommisknopfstüok" genannt hat — getreu dem
Sprache: „Ehrt eure deutschen ineister!"
.IKNA. BUDOLI SCHI.ü
Hubert Roetteken, Poetik. I. teil. München, C. H. Beck 1902. XIV, 315 8. 7 m.
Schon längere zeit führt Roetteken einen verdienstvollen kämpf für eine psycho-
logisch-ästhetische Vertiefung der literarhistorischen forscbung gegen die Oberfläch-
lichkeit einer betrachtung, wie sie sich so leicht bei rein philologischer Schulung ein-
stellt. Immer wieder verlangt er als unentbehrliches rüstzeng für den beruf des
litterarhistorikers eine gründliche theoretische Vorbildung in psychologie und ästhetik.
So ist es denn nicht nur das directe theoretische interesse an den ästhetischen Pro-
blemen, das Roetteken zur abfassung seiner poetik veranlasst hat, sondern vor allem
das praktische bedürfnis, der eigenen und fremden litterargeschichtlichen arbeit einen
festeren Untergrund zu geben. Mit diesem zweck ist auch schon die methode aus-
gesprochen, der R. folgt: Unter ablehnung jeglicher deduction aus metaphysischen
ideen geht er den weg der modernen psychologisch -empirischen ästhetik, deren ver-
fahren er an dem gesamten material der poetik zur durchführung bringen möchte.
Ein solches unternehmen ist um so freudiger zu begrüssen, als die poetik, wie sie
gegenwärtig vorgetragen zu werden pflegt, noch viele Sätze mit sich führt, die ihren
Ursprung aus einer mit fremden Voraussetzungen an die poesie herantretenden deductiv-
metaphysischen ästhetik deutlich an der stirne tragen. Von dem auf drei bände be-
rechneten gesamtwerk liegt der erste band vor, der die grundlage für die ganze poetik
legt durch eine allgemeine analyse der psychischen Vorgänge beim genuss einer dichtung,
während die zwei weiteren noch ausstehenden teile der behandlung des dichterischen
Schaffens und der verschiedenen dichtungsarten , sowie der darstellungsmittel, des
stils und des Ursprungs der poesie gewidmet sein sollen.
Nach einer gehaltvollen einleitung, in der er sich mit Lamprechts bekannten
methodologischen ansichten auseinandersetzt, beginnt der Verfasser sein eigentliches
thema mit der frage, ob es objective merkmale gibt, an denen wir ein sprachliches
werk als dichtung zu erkennen vermögen und er glaubt, diese frage verneinen zu
müssen. Insbesondere kann er im gegensatz gegen die übliche theorie, die die „innere
anschauung" als das kennzeichen der poesie in ihrem unterschied von der prosa be-
trachtet, als solche merkmale nicht die inneren bilder betrachten, die in der form
von optischen und akustischen reproductionen oder in der gestalt von organempfin-
dungen durch die poesie gelegentlich in uns hervorgerufen werden. Nach den feinen
Selbstbeobachtungen, die uns R. über seine eigenen erlebnisse an der poesie mitteilt
erweist er sich als eine persönlichkeit von einer höchst lebhaften optischen und
akustischen phanta&ie und von grosser mimischer erregbarkeit. Unter solchen umstanden
ist die entschiedenheit besonders erfreulieh, mit der er ausspricht, dass die poesie
auch ohne solche innern bilder genossen werden kann (s. 48), ja dass der genuss des
weniger zu ihrer hervorbringung disponierten lesers, wenn auch anders gefärbt, doch
ebenso intensiv, vielleicht sogar intensiver sein kann, als der eines andern, der zu
dieser hervorbringung mehr disponiert ist, weil sie leicht die psychische kraft zu
sehr auf sich resorbieren und damit andern facto reu entziehen kann, die zum vollen
ÜBER ROETTEKEN, POETIK 563
Verständnis ebenfalls wirksam werden sollten (s. 173/4). Diese tatsache führt zu weit-
gehenden folgerungen hinsichtlich der bestimmung des Unterschieds der poesie von
den bildenden künsten und der wähl des Stoffgebiets in der poesie, die freilich von
R. in diesem band noch nicht gezogen sind.
So gewiss ich nun aber auch mit R. einverstanden bin, wenn er das unter-
scheidende merkmal der poesie nicht in der innern anschauung zu finden vermag, so
wenig kann ich seine ablehnung jeglichen objectiven merkmals gutheissen. Er möchte
die entscheidung ganz ins subject und dessen betrachtungsweise verlegen. ,, Jedes
sprachliche werk", meint er, „ist für den geniessenden eine dichtung, sobald und
solange er sich ihm gegenüber im zustand der ästhetischen anschauung befindet" (s. 81).
Ästhetische anschauung aber ist, so lehrt das zweite capitel, in dem im anschluss
an diesen begriff auch noch der eindruck der lebenswahrheit und die poetische illusion
behandelt werden , ein zustand der aufmerksamkeit und des hingegebenseins, der durch
keine fremden zwecke und fremden beziehungen, sondern durch die freude an den
allein für sich betrachteten angaben des sprachlichen werks hervorgerufen ist. Nun
mag man immerhin zugeben, dass man bei einzelnen sprachlichen angaben, und wenn
auch seltener, bei ganzen sprachlichen zusammenhängen im zweifei sein kann, was
der Verfasser damit beabsichtigt hat, eine dichtung oder nicht; aber darauf kommt
es auch nicht an, ob etwas vom Verfasser als dichtung gemeint ist, sondern vielmehr
darauf, ob es seinem wesen nach eine dichtung ist; oder anders gesagt, ob es die
möglichkeit gewährt, an ihm in den zustand der ästhetischen anschauung zu treten
oder ob es diesen zustand erschwert und gar unmöglich macht. Dass das jeweils von
der beschaffenheit des sprachlichen werks abhängt, ist eine unbestreitbare tatsache,
die natürlich auch R. nicht leugnet. An dieser beschaffenheit. die sich unschwer
bestimmen lässt, hat die poesie ihr objectives merkmal. Poetisch sind alle sprach-
lichen angaben, in denen leben als solches unmittelbar ausgesprochen und zur er-
scheinung gebracht ist, und ästhetisch fasst man solche angaben auf, wo man ihnen
das leben, das in ihnen erscheint und sich äussert, nachempfindend entnimmt zu
keinem andern zweck, als um es in seiner kraft und lebensfülle zu gemessen. Es
ist m. e. ein mangel an Roettekens buch, der sich des öfteren spürbar macht, dass
in ihm das object der anschauung, die poesie, ein Undefiniertes x bleibt.
Im folgenden, dem dritten capitel, behandelt Roetteken ausgehend von der
Unterscheidung eines directen und eines associativen factors zuerst di« • associativen
psychischen funktionen, die zum Verständnis des poetischen und überhaupt jedes
sprachlichen textes führen und sodann die allgemeinen gefühlsanlässe, die uns in der
poesie entgegentreten mitsamt den hedingungen, die ihre Wirksamkeit gewährleisten
oder erhöhen. Dieser abschnitt bietet eine reiche fülle klarer Scheidungen und feiner
beobachtungen , die eingehendste beachtung verdienen. Ich möchte namentlich den
passus über die einschmelzungen — so möchte Roetteken genannt wissen, was man
sonst wol auch als Verschmelzung oder Verwachsung bezeichnet — als eine
wertvolle leistung erwähnen. Immerhin wäre es den ansführungen Rs ,-.u gute
kommen, wenn er die alte einteilnng in tonn- und inhaltsgefuhle nicht zu gunsten
der neuen Unterscheidung eines directen und assueiativen faotorS verlassen hätte.
Diese Unterscheidung, die nach Pechners Vorgang von Külpe in den Vordergrund ge-
stellt worden ist, ist nicht an der po innen und in sie von aussen ohne innere
berechtigung hineingetragen. Külpe und Roetteken können sie in der poesie nur damit
aufrecht erhalten, dass sie ein element, das nach ihrem eigenen geständnis vielfach
nur associativ vorhanden ist. sämlich den klang und die betonung der worte, für den
.",»11 III. \. Ml.', i l; i i:i B BOKTTEJEEN, J'OhllK
directen factor der pi eben, ein widersprach, mit dem diese ganze einteilung
gerichtet i t. Eätte R. Btati ihrer den unterschied von form- und inhaltsgefühlen
durchgeführt and zugleich erkannt, dass formelle lusl überall da ensteht, wo die auf-
fassenden organe, in der poesie al o oi bliche vorstellungstätigkeit and die
phantasie, in eine ihrem wesen entsprechende energisch« and dabei doch mühelose
i werden, bo wäre in die fülle dei einzelnen gefühl
aufzählt,, mehr Übersichtlichkeit and Zusammenhang gekommen, ihre ableitung wäre
einheitlicher und sicherer geworden and der ganze abschnitt hat! inea all-
gemein psychologischen einen mehr ästhetisch p chen Charakter bekommen.
Zudem wäi'e seine analyse vollständiger geworden. .Man kann d< r poi sie nach ihrer
materiellen and formellen seite nur dann voll gerecht werden, wenn man die poetik auf-
baut auf eine theorie des Verständnisses d. h. auf eine analyse unserer an der rede
geübten vorstellungstätigkeit als desjenigen Organs, mit dem wir das in der poesie ge-
gebene erfassen, R. hat diese arbeit nur zur hälfte geleistet: er hat> nur (ungetan, wie
wir zur vergegenwärtigung des inhalts des einzelnen satzes gelangen, dagegen hat i
unterlassen, seine analyse auf den psychischen prozess auszudehnen, in dem wir eine
anzahl zusammenhängender Sätze zur einheit des redeganzen verbinden und zu zi
welche rolle dabei die poetischen handlungs-, stimm ungs- und Charakterbilder spielen,
in denen wir die einzelheiten der rede zu kraftvollem und bequemem überblick zu-
sammenfassen und durch welche weiteren momente der Vollzug der einheit gefordert
und darum lustvoll wird. Die Spannung mit ihrem antrieb zum vorwärtsschreiten
and die causale Verknüpfung mit ihrer starken nötigung zum rückblick wären hierbei
in erste linie zu stellen gewesen. Auch hätte sich aus unserer auffassung vom form-
schönen ergeben, welche bedeutung gerade derjenige inhalt, der nach unserer Über-
zeugung im gegensatz gegen Roettekens ansieht das unterscheidende merkmal der
poetischen rede ausmacht, die darstellung und darbietung von leben, für die form-
schönheit der rede hat. Poetischer inhalt der rede setzt unsere vorstellende tätigkeit
ganz von selber in eine beflügelung höchst lustvoller art; er schafft vorstellungsreiz
und dieser vorstellungsreiz, der durch den poetischen inhalt neben der inhaltlichen
lust erzeugt wird, darf bei einer aufzählung der gefühlsanlässe der poetischen
nicht unbeachtet bleiben.
Mit dem wert der poesie, dem ästhetischen und ausserästhetischen befassl sich
das letzte (4.) capitel des buchs. Es ist namentlich für- den litterarhistoriker beachtens-
wert und enthält treffliche winke über die ausscheidung des bleibenden absoluten vom
individuellen, nationalen und zeitgeschichtlichen wert einer dichtung. Auch die ein-
rechnung einer etwaigen kathartischen Wirkung der poesie unter die ausserästhetischen
werte der poesie halte ich für überzeugend. Aber was R. über den ästhetischen wert
der poesie selbst sagt, ist merkwürdig dünn und ungenügend. Für ihren ästhetischen
wert nimmt er den überschuss sämtlicher im zustand der ästhetischen anschauung
erlebten lustgefühle über die darin erlebten unlustgefühle in ansprach. Wenn nun
aber der ästhetische wert ausschliesslich in der höhe der lust besteht, in die das ge-
niessende subjeet versetzt wird, so wird er damit ganz ins subjeetive und unbestimmte
gerückt; wie will man's vom boden dieser anschauung aus einem wehren, seine lust
im ästhetisch minderwertigen zu suchen, zumal nach Roettekens ansieht anerkannt
werden muss, dass auch „wo sich allmählich ein feineres ästhetisches Unterscheidungs-
vermögen herausbildet, dieses kaum den erfolg haben wird, dass der betreffende nun
bei der leetüre der werke, die seinem jetzigen auffassungsvermögen entsprechen,
intensivere lustgefühle erlebt als er sie früher bei der leetüre der ihm damals zu-
R. M. MEYEB ÜBEB NEBBUCH, JEAN PAULS BBIEFWECHSEL
sagenden dichtungen erlebte" (s. 311 — 12)? Koetteken weiss auf diese frage, die er
sich selber stellt, nur eine aasserästhetische auskunft: er meint, es „liege im intei
des gegenseitigen Verständnisses unter den Volksgenossen, dass ein möglichst grosser
kreis wenigstens an einer anzahl von dichtungen mit den höchstgebildeten dieselbe
rückhaltlose freude teile." Hier rächt sich wider, dass R. kein objectives merkmal
für die poesie zu finden vermocht hat. Hat man erst einmal das wesen der poesie
in der darstellung und darbietung von leben erkannt, dann wird man ihren weit
nicht in der lust des subjects, sondern im object selbst, in der tiefe, der kraft, der
anmut, der inneren Wahrheit der lebensdarstellung suchen und dann darf man dem,
der sich am oberflächlichen, nichtigen und geschminkten erlustigt, die mahnung zu-
rufen , er solle es lernen , seine lust im tiefen . walnen und echten zu finden.
Diese mängel in der grundauffassung des schönen, so störend sie an einzelueu
punkten sich geltend machen mögen, sind gleiehwol nur wenig im stände, dem wert
des trefflichen werkes abbrach zu tun. Seine bedeutung liegt in der einzelanalyse.
Mit dem vollen überblick über die entwicklung der modernen psychologie verbindet
R. eine sichere besonnene meisterschaft in der Selbstbeobachtung, die die gruudlage
jeder wirksamen analyse iu den geisteswissenschaften ist. Sein buch stellt daher
ebenso eine Zusammenfassung der von der empirisch psychologischen ästhetik seither
erarbeiteten erkenntnisse dar, wie es andererseits in zahlreichen punkten eine wert-
volle bereicherung derselben bietet. Glückt es Koetteken, sein werk iu der begonnenen
weise zu vollenden, so werden wir für die poesie eine einzeldarstellung von einer
schärfe des eiudringens und einer so umfassenden behandlungsweise haben, wie wir
eine solche meines wissens zur zeit für keine andere kunst besitzen.
SCHÖNTBÄL I. W. 111. A. MEYEB,
Jean Pauls briefwechsel mit seiner frau und Christian Otto. Heraus-
gegeben von Paul Nerrlich. Berlin, Weidmannsche buchhandluDg L902. XVI.
350 s. 7 m.
Die neue Veröffentlichung von Jean Pauls wichtigsten briefwechseln bedarf kaum
der rechtfertigung, die der herausgeber im vorwort gibt. Kr stützt sieh insbesondere
darauf, dass von den zweihundertundacht mitgeteilten briefen bish< r neunundse
ungedruckt waren (s. VII) und dass die bekannte Veröffentlichung von Ernst I
nicht nur grosse ungenauigkeiten sundein auch ganz erstaunliche abänderungen auf-
weist. Nerrlich gibt davon höchsl ergötzliche proben: Förster schreibt etwa ..■
lität", wo Jean Paul ,,mortalität" schrieb, und lässt einm braumeister, den der
dichter nach „hefe" gehen liess, nach „hofe" gehen. Wo Jean Paul schrieb: „Ich
habe in Gotha auf Weimar Losgezogen", setzt der frühere herausgeber: „Ich hatte in
Gotha schöne tage". Jean Pauls „pack" macht er zur „gesellschaft" und aus dem
., langweiligen" Nicolai den „gelehrten" Nieuhu. unter diesen umständen ist
neue ausgäbe gewiss berechtigt, und sie ist es doppelt, wenn es sich um ein so
volles denkmal handelt, wie die briefe Jean Pauls an seinen freund und seine gattin,
die schon durch eine blosse titelauflage aufs neue dem allgemeinen iuteresse empfohlen
zu werden verdii
Freilich bringl das bueb zum weitaus grössten teile nur die briofo des di<
a]oei immerhin auch eini i haraktoristiseho vou der
274. 284). Caroline, die ihn i nein geliebi
genug die erfahrung zu machen, da und sterbliche sieh
566 B.M. MKYJ-.K m;kk t> EBBLICH, ikan PAULS bbutwichsbl
binden, und die Bohmerzliohen anklagen, die sie gegen eine Tändeleien mit jungen
mädchen oder fremden trauen erhebt, werden durch Jean Pauls Verteidigung (b. 276)
und s(;in(! an Ibsens ,, Komödie der liebe w gemahnenden ausführungen übe] d
der ehelichen liebe (8. 304) Dicht geheili worden sein. Daneben erscheid ansei dichter
Ereilioh auoh als der zärtliche gatte und besondere vater, als den wir ihn zuni
au finden erwarten, und gelegentlich tritt auch in sonderbaren mischungen jenei
sentimentale cynismus auf, dei etwa auch Lichtenberg aur verfugung stand und den
Jachariaa Werner bis zur Eratze trieb. Dahin gehören .seine arithropogonischcu zu-
rüstungen (s. 187), oder ''in höchst charakteristische] briei aber die gebort der lochte]
(s. 190). Wenn N. (s. V1J1) behauptet: „Kein einziger der hier folgenden briefe ist
ein ausiluss der Eesperusstimmung", sn wird dies doch durch manche ausrufe (..wie
glühte die weit so rosenfarben 1 " s. 127, „eine göttliche taubin'' s. 187) widerlegt; mehr
qoeh durch die oft genug allzu „rosenfarbenen" urteile über personen und orte. Nicht
nur wird dem erst bartgescholtenen Kanne (s. 323) am Schlüsse mindestens ,,eine
herrliche, edle physiognomie" nachgesagt und nicht nur der sonderbare Radlof (s. 268)
„ein tiefsinniger, köstlicher deutscher sprachgelehrter1' genannt, sondern sogar der
kutscher ist „der beste und mildeste" (s. 316).
An derartige idiotismen muss man sieh nun wol gewöhnen wie an jenen kultus
Jean l'auls, über den er selbst (s. 252) scherzt. Hat er doch überall „liebeüber-
fliessende herzen" (s. 249) zum echo seiner eigenen empfindungen! Aber eben auch
dies macht das buch kulturhistorisch so wichtig, so wol durch seine Schilderungen des
hoflebons, als durch mitteilungen, wie die von einem Schauspieler, der heute noch auf
der bühne auftritt, während er morgen ins Zuchthaus muss (s. 184). Welch ein charak-
teristisches genrebild: die mutter der heiligen allianz, frau von Krüdener, magnetisiert
(s. 256)! Oder jenes chiffrespiel, das uns aus Goethes tagebüchern geläufig ist, wie
erscheint es uns hier fast bis zur blasphemie gesteigert, wenn die verwittwete herzogin
als heiliger geist, der herzog als osterlamm bezeichnet werden sollen (s. 90)! Auch
das ist etwas, was an jenen sentimentalen cynismus erinnert, daneben aber freilich
auch an Jean Pauls leidenschaft, seine an sich doch reichen und tiefen gedanken mit
allerlei äusserlichem prunk des witzes auszustaffieren. Klagt er doch selbst darüber,
wie der „Tristram" seinen stil verdorben habe (s. 115).
Überhaupt fehlt es nicht an wichtigen bemerkungen zur technik und inneren
form seiner romane. Als die bedeutsamsten erscheinen mir die bemerkungen über
das ende des romans, als dem eigentlichen alles zusammenfassenden fokalpunkt (s. 193);
über Schmelzte (s. 205) sowie besonders über Hesperus und Titan (s. 109) gibt er
geistreiche mitteilungen, wie es ihm denn auch sonst nicht an Selbsterkenntnis fehlt
(s. 127); während er gegen die empfindsame briefschreiberei (s. 166) eifert, ist ihm
selbst doch der gedankenaustausch mit herzlich ergebenen genossen seiner empfindungen
umsomehr ein bedürfnis, als ihn das durcheinandergehen der litterarischen urteile
(s. 1 Gl anm., s. 178) vielleicht sogar über die grossen eigenen erfolge (s. 155. 173)
unsicher macht. Er steht Herder bei aller persönlichen Verehrung doch leidlich ob-
jeetiv gegenüber (s. 134. 192), während er Friedrich Schlegel stark auf sein poetisches
System einwirken lässt (s. 196). Jenes, „ineinanderschieben der geschienten " (s. 1 10),
das er zum herrschenden prinzip seiner technik gemacht hatte, ist ja mit der roman-
tischen ironie und mit dem prinzip, dass der dichter hoch über seinem Stoffe stehen
müsse, so eng verwandt, dass Jean Paul lange genug als ein eigentlicher roman-
tiker gelten konnte. Bei den flauen freilich wird ihm die romantik leicht zu heftig,
und mit Karoline von Feuchtersieben so gut wie mit Charlotte von Kalb gelingt kein
OOLTHER ÜBEB BUHDACH. WALTHEB V. IL VOGELWEIDE 567
dauerndes Verhältnis. Vor allem aber ist der dichter auch für seine eigene gattin zu
romantisch — und sie für ihn. Sie stellte anf orderungen , die gerade diese nach un-
aufhörlicher Vertiefung in jede schöne seele bedürftige natur nicht erfüllen konute.
und die zum teil recht heftigen conflicte, die daraus erwuchsen, geheu gerade aus
den bisher noch nicht veröffentlichten briefen Carolinens wie auch aus mitteilungen
aus briefen ihres vaters deutlicher, als sie bisher zu kennen waren, hervor.
Charakteristisch ist auch das misstrauen gegen die Verleger, das sich wie eine
schleichende krankheit von Müllner und Schopenhauer bis zu Hebbel fortgepflanzt hat.
Viebig ist ihm ein „zögernder diebu (s. 229), Cotta ein „geizhals" (s. 288). — Seine
politischen urteile zeigen dagegen eine viel grössere Sicherheit, vor allem in der ent-
schiedenen Zusammenstellung der englischen und der französischen revolution (s. 194,
vgl. 188, Bonaparte s. 145). Daneben wird dann wider ein süffiges bier entdeckt
(s. 227) oder wir erhalten höchst ausführliche nachrichten über den Speisezettel der
theeabende in München.
Zum Verständnis des wichtigen Werkes hat der herausgeber erstens (s. 329)
einen ausführlichen apparat und zweitens (s. 333) einen commentar beigesteuert, und
ausserdem durch ein register (s. 345) die nutzbarkeit dieser fast verschütteten quelle
zur kultur- und litteraturgeschichte des letzten fin de siecle beigesteuert.
BERLIN. HIC'HABD M. MEYER.
Konrad Burdaeh, "Walther von der Vogel weide. Philologische und historische
forschungen. Erster teil. Leipzig, Duncker und Humblot 1900. XXXIII. 320s.
7,20 m. (Vgl. jetzt noch Burdach in der Deutschen rundschau 1902, 29, heft L/2).
Im vorwort berichtet Burdach von den Schicksalen seines buches, das unter er-
schwerenden äusseren umständen auf der reise vollendet wurde. Das lebensbild (s. 1—122)
wurde für die Allgemeine deutsche biographie (band 41, 189b) geschrieben und ist be-
reits bekannt und gewürdigt. Im neudruck ist diese arbeit sehr übersichtlich und
eingehend gegliedert worden, so dass sie iu der neuen fassung noch viel besser wirkt.
Die Untersuchungen und anmerkungen enthalten den wichtigsten wissenschaftlichen
teil. Hier eröffnet Burdach ganz neue ausblicke und bereichert die Waltherforschung
mit wertvollen, wolbegründeten ergebnissen. Vor allem besitzt das buch hohon
methodischen wert, weil darin selbständige historische und philologische Forschung
fruchtbar zusammenwirken. Burdach begnüg! sich nicht damit, dass '•: von den
besten zusammenfassenden darstellungen der historiker kenntnis nimmt und ihre •■!-
gebnisse zugrunde legt, vielmehr steigt er selber ZU den quellen hinab. Im gegebenen
fall, wo die politische parteistimmung zu bestimmtem Zeitpunkt ergründet werden soll,
wird der philolog den quellen mancherlei entnehmen, was der historikei als anwesent-
lich bei seite liisst.
Die Untersuchung geht aus von der zeitlichen bestimmung des reiohst s
(Lachmann 8,28), den Lachmann und andere vor den '.). juni 1198, ins Frühjahr und
in die österreichischen Verhältnisse Walthera gesetzl hatten, und Fuhrt /.um end-
ergebnis, dass der Spruch vielmehr in Worms in den letzten tagen des juni gedichtet
und vor reichshofboamten und reiohsdienstrnannen vorgetragen wurde. Walther vertritt
völlig den politischen Standpunkt der S tauf er, oft in bo wörtlicher Übereinstimmung
mit den amtlichen kundgebungen dei königlichen kanilei, dass nahe persönliobi be-
ziehungen zwischen dem dichter und den staulisehen reiohshofbeamten anzunehmen
568 ■ i.'H/.t-A.v ii
Bind. nnt Burdaoh für die 'armen i."/i/</r eine ganz neue erklärung. Nicht
bloss auf Otto, Bernhard tob Sachsen and Berthold von Zähringen zielt dieser aus-
druck. Die beiden letzteren Bind überhaupt rar nicht gemeint, vielmehr die 'reguli
provineiales' im sinne des Btaufisohen weltimperinms, die könige von England, Prank-
reich, Sioilien und Dänemark. l!>-i dieser auslegung treten die geechichtliohi
petzungen des Spruchs in scharfe und helle beleuchtung AJlee wird anschaulich^
wort ist jetzt gewichtig. Die kuust des dichtere erscheint uns jetzt erst auf
ibrer vollen liöho, wenn jeder ausdruck auf ganz bestimmte Vorstellungen und an-
Bchauungen zurückgeführt werden kann und keine allgemeine blasse redensart mehr
übrig bleibt. Burdachs beweisfuhrung, die mit allei vorsieht und umsieht langsam
schritt für schritt vorschreitet, ist zwingend und wird schwerlich Widerspruch er-
fahren. Für die richtigkeit zeugt auch noch der umstand, dass Koethe (Z. f. d. a. 11.
116 und 196) zur selben zeit unabhängig Walther 9, 14 genau ebenso erklärte.
Den ersten Spruch des reichstons (8,4) setzt Burdach kurz nach dem 6. juni
1198 als ältesten versuch Walthers in der politischen Spruchdichtung grossen
„Die anfange seiner grossen politischen dichtung schweben nicht mehr räum- und zeitlos
im Ungewissen. Wir kennen nun den Schauplatz und die gelegenheit der ersten sehritte
auf seiner laugen Laufbahn als poetischer publicist. Wir kennen den bezirk
ältesten publikums. Wir kennen die politische atmosphäre, in der seine Spruchdichtung
zu wachsen anfieng. Und vor allem: wir sehen in unerwarteter weise bestätigt, wie
seine ganze dichtung den bedürfnissen und empfindungen des augenblicks ent-
springt. Hinter jedem satz, oft hinter jedem einzelnen wort steht das leben, das volle,
leuchtende und leidenschaftliche leben eines bestimmten kreises ringender menschen. u
Als Walther anfangs juni am staufischen hof zu Worms eischien, da vollzog sich in
kuust und leben die bedeutungsvolle wendung, der dichter ward reichsherold, Sprecher
für den gedanken des staufischen weltkaisertums im geiste Friedrichs I. und Heinrich- VI.
Burdachs buch enthält neben dem erschöpfend ausgeführten grundgedanken
noch zahlreiche wichtige bemerkungen über allerlei einzelheiten. S. '297 fgg. wendet
er sich entrüstet gegen die auslegung, die Wallner in der Z. f. d. a. 40, 338 fgg.
der stelle Walthers 32, 11 über einen kunstgenossen namens Stolle angedeihen Hess.
S. 306 fgg. macht Burdach wahrscheinlich, indem er die politischen Verhältnisse ein-
gehend darlegt, dass Walther zwischen 1199 und 1202, vor der dänischen herrschaft,
die von 1202 — 25 dauerte, bis zur Trave, vermutlich wol nach Lübeck, kam. S. 295 fg.
findet Burdach eine bisher verborgene anspielung auf Walthers Tegernseer spruch in
Wolframs Willehalm 136, 10. Mir ist überhaupt die s. 76 angenommene beziehung
auf den wein, insbesondere den von Bozen etwas bedenklich. Den wein haben Pfeiffer
und Simrock in den spruch hinein erklärt. S. 291 fgg. sind aus dem formelbuch des
Buoncompagno einige fürs mittelalterliche spielmaunsleben lehrreiche stellen ausgehoben,
die bisher unbeachtet blieben. (Vgl. jetzt auch Schönbach, Wiener Sitzungsberichte
145, 80 fgg.).
ROSTOCK. W. &OLTHEE.
Schlesische volkstümliche Überlieferungen. Sammlungen und Studien dei
schlesischen gesellschaft für Volkskunde hrg. von Friedrich Vogt. Bd. I: Weih-
nachtsspiele. A. u.d.f.: Die Schlesischen weihnachtsspiele. Von Friedrich Vogt.
Mit buchsehmuck von M. Wislicenus sowie vier gruppenbildern der Betzdorfer
weihnachtsspiele. Leipzig, Teubner 1901. XVI, 500 s. 8°. 5,20 m.
ÜBEB VOGT. SCHLESISCHE WEIHNACHTSSPIELE -""»69
Das reichhaltige roaterial von weihnachtsspielen , auf dem dies werk sich aufbaut,
wurde teils vou Vogt selbst, teils von freunden der volkstümlichen Überlieferungen in
verschiedenen gegenden Schlesiens aufgezeichnet und ist im archiv der von Vogt ge-
leiteten Schlesischen gesellschaft für Volkskunde vereinigt. Vogts publication behandelt
die verschiedenen arten des dramas, die sich aus den festspielen der Weihnachtszeit
entwickelten: Adventspiele, Christigeburtspielc, Herodesspiele und Sternsingerspiele.
Überall ist die herausgäbe der texte mit eindringenden litteratur- und culturgeschicht-
lichen Untersuchungen verbunden. Viele neue und merkwürdige tatsachen gewann
Vogt dadurch, dass er für die darstellung der entwicklung dieser spiele mit grosser
belesenheit und umsieht die bei Schriftstellern des 16. und 17. Jahrhunderts zerstreuten
gelegentlichen äusserungen verwertete, die freilich sehr oft gegen diese spiele als
gegen einen verwerflichen alten missbrauch gerichtet sind. Von besonderem int.
ist es zusehen, wie die verschiedenen phasen der entwicklung der gelehrten litteratur
ihre spuren im volkstümlichen drama zurückliessen: die geistlichen spiele des mittcl-
alters, die knittel Versdramen des reformationszeitalters, dann wider feierliche Alexan-
driner; in den hirtenscenen lässt sich die nachwirkung der bukolischen renaissaneepoesie
feststellen und in ein Breslauer weihnachtsspiel hat sich Harlekin als luftiger diener
des Herodes eingeschlichen; hier finden wir auch in die scene des bethlehemitischen
kindermords den spass in widerwärtiger weise eingemischt, ähnlich wie dies schon
in mehreren mittelalterlichen weihnachtsdramen der fall war. Im Adventspiel zeigt
Vogt den Zusammenhang mit den alten klösterlichen spielen vom hei ' olaus,
doch nimmt er mit recht an, dass hier im gegensatz zu anderen geistlichen spielen
anch altheiduische Vorstellungen und gebrauche einwirkten, dass der glaube an das
umgehen mythischer wesen zur zeit der Wintersonnenwende in deu weihnachtsumgäi
nachgewirkt hat. Hinsichtlich der eigentlichen weihnachtsspiele wird darauf 1
wiesen, dass wir schon aus dem spätem mittelalter im hessischen weihnachtsspiel ein
charakteristisches beispiel dafür besitzen , wie die ursprünglich lateinischen , liturgisch-
dramatischen darstellungen der Weihnachtszeit nach dem Übergang zu aufführungen
in der Volkssprache allmählich den Charakter annahmen, der aoch jetzt in den weih-
nachtsspielen vorherrscht. Die prophetenspiele, in denen die bedeutung des weihnachts-
festes im grossen Zusammenhang der kirchlichen Weltanschauung zur darstellung
kommen soll, haben mehr auf die umfangreichen cyklischen spiele eingewirkt, die
in der schönen Jahreszeit unter freiem himmel aufgeführt wurden; dagegen bat sich
für die spiele, die sich auf die ereignisse in Bethlehem . ein volkstümlicher
stil von eigentümlich deutschem gepräge entwickelt. Besonders zeig! sich dies in der
figur des alten Joseph. Wenn Joseph den brei für das kind besorgt, die windeln be-
schafft und das kindlein wiegt, so sind das. wie Vogt bemerkt, motive, von denen
das lateinische weihnachtsspiel noch nichts weiss, die aber im hessischen schon breit
.im geführt erscheinen. Indessen glaube ich, dass bei diesen und ähnlichen im weih-
nachtsspiel immer mehr hervortretenden zutaten die internationale predigt- und contem-
plationslitteratur in einem höheren grade mitgewirkt hat, als dies in der darstellung
Vogts hervortritt, wenn er auch für die spätere entwioklung den einfluss der erbauuogs-
schriften des pater Cochem auf das volkstümliche drama hervorhebt ' ikannt
wie sein- ilie männlichen und besonders die weibliohon asketischen sohriftsteller sich
in ihren Visionen mit den ein/.elheiten der geburl Jesu besohäfl b, die
revelationen der Margarete Ebnerin (ed. Strauch s. l<"i über die windeln Jesu, Auf
diese litteratur sind wol auch manche Übereinstimmungen dei deutschen und dei
ländischen weihnachtsspiele zurückzuführen. Abei wie dem auch sei. die weihnachts-
570 K. M. MEYEB ÜBEB PATZ AK, HEBBELS EI'IÜKAMÜK
spiele zeigen uns. wie das voll alle diese verschiedenartigen demente in seiner art
auffasste and zu der schönsten und anmutigsten Wirkung vereinigte. Vogt hat
wol daran getan, dass er nicht nur eine reihe von überlieferten texten mit philolo-
gischer genauigkeit herausgab, sondern ausserdem auob am ende der betreffenden ab-
Bchnitte das Bchlesische Adventspiel, das Christigebortspie] und das Eerodesspiel in
einer sehr liebevoll und dabei mit sehr viel tact und geschiek neu herg< richteten form
mitteilt, wie sie bei einem teste diu- schlesischen gesellschaft für Volkskunde in Breslau
1899 zur darstellung kamen; ein berioht dei 8ohlesischen zeitung über dieses fest
(1899 ur. 112. 115) Iässt uns erkennen, wie erbaulich und zugleich herzerfreuend
diose im volk fortlebende poesie auf die grossstädtische Zuhörerschaft wirkte; Vogt
konnte mit recht in seinem einleitenden vertrag sagen, diese spiele seien noch lobens-
wert und darum auch am leben zu erhalten.
MiAKAU. W. CBEIZENAGH.
Friedrich Hebbels epigramme von dr. Bernhard Patzak (Forschungen zur
neueren litteraturgescliichte, herausgegeben von dr. Franz Muncker). Berlin,
verlag von Alexander Duncker 1902. VII, 110 s. 2 m.
Das fleissige buch gehört doch zu jenen nicht allzu erfreulichen leistungen, die
eine schöne aufgäbe nur halb erledigen. Zwar wenn man in der inhaltsangabe sieht,
dass erst über die entsteh ungsgeschichte (s. 1) und dann über die eigenart (s. 58) der
Hebbelschen epigramme gehandelt wird, so sollte man meinen, man würde eine er-
schöpfende darstellung dieser merkwürdigen dichterischen producte erhalten. Aber
nur der eiste teil bietet wirklich, was man erwarten konnte. Mit grosser Sorg-
falt wird den keimen der epigramme, die ja so oft nur versifizierte tagebuchnotizen
sind, nachgespürt; natürlich nicht, ohne dass gelegentlich zweifelhafte resultate mit
zu grosser Sicherheit ausgesprochen würden, wie denn z. b. dasselbe epigramm zwei
mal (s. 13 und s. 21) auf verschiedene gedankliche wurzeln zurückgeführt wird. Ebenso
erscheint mir z. b. die entstehung des epigramms auf Klein (s. 56) durch die notiz
vom 3. mai 1861 noch nicht völlig gegeben, da ja der gegensatz in jener notiz und
in diesem epigramm wesentlich verschieden ist. Aber man hat doch für die meisten
epigramme das material hier gut bei einander, nur dass leider die Übersichtlichkeit
ganz fehlt, die durch eiu register in der reihenfolge einer Hebbel -ausgäbe so leicht
hätte hergestellt werden können. — Besonders bemerkenswert erscheint mir ührigens
die tatsache, auf die P. (s. 19), ohne sie zu betonen, hinweist, dass Dämlich Hebbel
öfters auch epigramme wider in prosa auflöst, während er zumeist allerdings gern
die einmal gefundene form festhält und sich auf sie bezieht, oft in ganz unbestimmten
Worten wie: dies legte ich einmal in einem epigramm dar und dergl. mehr.
Sehr viel schwächer ist der zweite teil. Die eigenart der Hebbelschen epigramme
wäre vor allem von der psychologischen Seite her aufzufassen gewesen. Man hätte
untersuchen müssen, weshalb es eigentlich der dichter für nötig hielt, gedanken, die
er doch bereits geborgen hatte, noch einmal in versform zubringen; man hätte unter-
suchen müssen, ob die epigramm -reihen als solche für ihn ein höheres ganze dar-
stellen oder eben nur eine zufällige anhäufung sind; man hätte prüfen sollen, welche
gedanken er dieser formung für würdig hält und welche nicht und dergl. mehr.
Hiervon findet sich bei P. nichts, nur versucht er und zwar in widerholten anlaufen
(s. 89 fg. , s. 100 fg.) ihren inhalt systematisch zu ordnen und bringt es dabei doch
NEUE ERSCHEINUNGEN 571
nicht über ein aufzählen hinaus, das oft genug zu einer blossen widerholung in matter
prosa wird. (Überhaupt ist das deutsch des Verfassers ein allzu wenig gepflegtes und
namentlich missklänge wie s. 53, wo ein satz mit „gerichtet", der andere mit „be-
richtet" schliesst, oder s. 56 der störende reim „ferner bringt Werner" hätten wol
vermieden werden können). Mit mehr glück geht P. auf die ästhetische und poetische
bedeutung der epigramme ein und wagt (s. 70, vgl. s. 93 anm.) mit anerkennenswertem
mut von dem heutzutage vorgeschriebenen Hebbel -kultus abzuweichen. „Von Hebbels
zahlreichen epigrammen im elegischen versmasse scheinen mir verhältnismässig nur
wenige poetisch hoch zu stehen. Die meisten derselben sind, wie ich bereits nach-
zuweisen versuchte, lediglich in verse gebrachte denkergebnisse aus oft jahrelang
weiter gesponnenen gedankenreihen". Doch fehltauch hier die grundlage einer festen
einteilung der epigramme überhaupt (trotz s. 71). So könnte es denn gerade von dem-
jenigen epigramme, das der Verfasser am eingehendsten und nicht ohne glückliche
einfalle bespricht, von dem epigramm auf die Villa Reale in Neapel (s. 81) zweifel-
haft sein, ob dies gedieht wirklich noch in diese gattung gehört.
Die wichtigste beurteilung der epigramme wäre wol vom litterarhistorischen
Standpunkt zu gewinnen gewesen. Aber auch hier beschränkt sich der Verfasser
darauf, gelegentlich Hebbel an Platen (s. 81) oder an Goethe zu messen und ersetzt
fast durchweg eine objeetive Charakteristik durch eine rein persönliche kritik (vgl. z. b.
über Geibel s. 107 oder über die ästhetik des hässlichen s. 75).
Und wie vieles fehlt noch! Durfte der Verfasser sich darauf beschränken, zu
sagen: „Bei den epigrammen vergleiche man nur die vielen von einander abweichen-
den fassungen derselben in den verschiedenen ausgaben." War nicht gerade hier eine
wirkliche Würdigung dieser arbeit absolut unentbehrlich, um zu zeigen, woMumi weg
der dichter von dem ersten gedanken bis zu der für ihn letzten fassung beschritt?
Kurz, wir müssen es widerholon: für die entstehungsgeschiehte der epigramme,
freilich den leichteren teil der arbeit, hat F. wichtiges materiai beigebracht Für die
Würdigung ihrer eigenart vom psychologischen, ästhetischen oder litterarischen Stand-
punkt hat er kaum die ersten anfange geboten.
BERLIN. BIOHASD M. MXYXB.
NEUE ERSCHEINUNGEN.
Beowulf mit ausführlichem glossar herausgegeben von Mein/. Eeyne. 7. aufl. be-
sorgt von Ad. Socin. Paderborn, Bchöningb L903. VIII, 298 B. 5 m.
Böttieher, Gotthold und Einzel, Karl, Altdeutsches lesebuoh. Balle, Waisenhaus
1903. VI, 192 s. geb. 2 m.
Bvlnnd, Hans, Der Wortschatz des Zürcher Uten testaments von l.">'_\r> and 1531
verglichen mit dem Wortschatz Luthers. Eine sprachliche Untersuchung. Berlin,
Schwetschke 1903. VI, 84 s. 5,50 m.
Dclilinger, Theodor, Deutsche scherflein zum Sprachschätze. Stuttgart, Max Kiel-
mann 1903. (IV), 246 s. -I m.
Festgabe für die 13. bauptversammlung des Allgemeinen deutsohen Bpraohvereina in
Breslau. Don vereinsmitgliedern und gasten gewidmet von dem eweigverein
Breslau. Breslau, W. G. Kon, 1903 B2 s.
Inhalt: II. Jantzen, Sohlesi ohe diohter. NN'. Pielitz, Das sie] dei band
hing in Goethes Tasso. — A. Gombert, Über 'las altei einigei Bohlagwörtor.
572 i osi in r i
Frenssen, Gast. Kinzel, Carl, Gust. Freu en, dei dichl förn Dhl
| \. u. d. f.: Deutsche dichtei des 19. Jahrhundert von 0. L od. VI.
Leipzig, Teubner 1903. 0 m.
Ilciitsch , Alice A., La litterature didactique du moyen lg< r.\ Bpeciali
au\ femmes. Cahors, Coueslant L903. XIV, 23i
Meyer, Elard Hngo, Mythologie der Germanen, darge telll
bürg, Trübner 1903. XII. 526 s. 8,50 m.
Modern philology. A quarterly Journal devoted to research in modern languages
and literatures. I. l (June 1903). Chicago, The an pr< •
[Leipzig, <». Barrassowitz.] L'Hi s. Subscriptionspreia für den Jahrgang 3,50 sh.
Darin u.a.: E. Flügel, Rei to the Eoglish langnage in the German
litterature of the first half of the 16 Century. S. X. Eagen, The origin and
meaning of tho nanu- IggdrasilL — 15. Matthews, The mediaeval drama. —
G. Hcmpl, Hickes's additions to the Runic poem. — J. Goebel, The a
ticity of Goethes Besenheim .-
Neidhard. — Pfeiffer, C, Die dichterische persönlichkeil Neidharts von ReuentaL
Paderborn, Schöningh 1903. IV, 98 s. L,50 m.
Olrik, Axel, Danmarks heltedigtning. En oldtidsstudie. l,te del: Rolf krake og den
aeldre Skjoldungraskke. Kobonh., Gad 1903. VIII, 352 s.
Panzer, Priedr., Das altdeutsche volksepos. Ein Vortrag. Halle, Niemeyer 1903.
34 s. 1 m.
Riehl, AVilh. Heinr. — Matthias, Th., W. II. Riehl, Fluch der Schönheit; Quell
der genesung; Gerechtigkeit gottes. [A. u. d.i.: Deutsche dichter des 19. jahrh....
hrg. von O. Lyon. V.] Leipzig, Teubner 1903. 46 s. 0,50 m.
Schmidt, P. Expeditus, Die bühnenveihältnisse des deutscheu schuldramas und seiner
volkstümlichen ableger im IG. jahrh. Gekrönte preisschrift. [Forschimgen zur
neueren lit.-gesch. vou Frz. Muuclcer. XXIV.] Berlin. AI. Duncker 1903.
X, 193 s. 5 m.
Studies and notes in philology and literature. Vol. VIII. Boston. Ginn & Co. 1903.
VI, 275 s.
Inhalt: Arthur C. L. Brown, Iwain, a study in the origins of Arthurian
romance. — G. L. Kittredee, Arthur and Gorlagon.
1. SACHREGISTER
573
I. SACHREGISTER.
aberglaube: Worterklärung s. 91, wesen des
aberglaubens s. 91, Zusammenhang mit
dem germanischen heidentum selten
nachgewiesen s. 91 fgg., motiv des aber-
glaubens die Sympathie s. 92, alter der
abergläubischen sitten s. 93. bedeutung
der erde im aberglauben s. 93 fg.
Andvaranautr s. 481 fgg.
Arigo: stand s. 107, heimat s. 109, Arigo
nicht identisch mit Heinrich Leubing
s. 111 fgg., leserkreis s. 112.
Angelus Silesius: Heilige seelenlust s.
•Vi 9 fg.
Ayrenhoff s. 272 fg.
Baumgartenberger gedieht auf Johannes
baptista : heikuuft s. 88 fg.
Bodmer s. 73 fgg.
Bürger: B. als nachahmer der minnesinger
s. 80, s. 213, stamm buchblatt an Leise-
witz s. 540 fg., brief an Cramer s. 541 fgg.,
Wagenseils beziehungen zu Bürger
s. 543 fg., stammbuchblatt an Wehrs
s. 544 fg., anzeige seiner werke s. 545,
Schuberts parodie zu „Das Mädel, das
ich meine" s. 545 fg., badereise nach
Meinberg s. 546, Bürgers und Schubarts
plan eines hymnus auf Friedrich den
grossen s. 548 fgg., Bürgers beziehungen
zu Bathlef s. 549 fg., Elise Bürger s. 551,
eine Bürgerbüste des bildhauers Tieek
s. 551 fg., Heinrich Heines Stellung zu
B. s. 552 fg., L. Ph. Hahns ,.Zill und
Margreth" Bürger gewidmet s. 553.
Camnierlander vgl. schwankbuch.
Carmina Burana s. 86 fg.
Cramer vgl. Bürger.
deminutiva s. 14») fg.
Dietrich von Stade s. 73.
Dorotheaspiel: bearbeitungeu der D.-
legende s. 157 fg., dramatische behand-
luug s. 158 fgg., Ludus de saneta Doro-
thea aus Kremsmünster s. L62
beschreibiuig der hs. s. 162 fgg., alter
der hs. s. M » 1 fg., lautstand s. L65
verbalformen s. 170 fg., 171.
heimat des Stückes s. 171, metrik s.
171 fgg., quelle s. 173 fgg., inhalt and
bau des Stückes b. L75fgg., s, 183
personen s. I7'.i fgg., text s. 1m> fgg., ein
lateinisches Porotheenspiel aus Krems-
münster s. 193 fgg.
Eginhard: sage von K. and Emma s.
407 fgg., quellen der sage s. 408, ähn-
liche sagen s. 41 1 fg.
Egkenuolder s. 364 fgg.
elsässische mundart: bildungen aus eigen-
iiameu 8. 1-1 fgg., läniilienuameu
schwankender anlaut infolge übergezo-
genen artikels s. 423 fg.
englisch: skandinavische lehnwörter im
mittelenglischen s. 96 fgg., das wort
•basken' nicht aus dem nord. herzu-
leiten s. 100, etymologie von verben auf
sä, sk und x s. 100 fg.
fechter: berufsfechter im deutschen alter-
tum s. 125 fg., tierkämpfe s. 125 fg.
Fenrir mythus s. 402 fg.
Fischart : verse zu holzschnitten s. 534 fgg.,
Das glückhafte schiff s. 554 fgg., n
Schreibung Fischarts s. 554. quellen des
Glückh. schiffes s. 554 fg., Übersetzung
des sechsten buches des Amadis s.5"
Friedrich der grosse: seine stelluDg zur
deutschen litteratur s. 259 fgg., gegen-
schriften gegen Friedricl
litt, allem. s.270fgg., Jerusalem s.27
Ayrenhoff s. 272 fg., Wezel 8.273
Herder s. 275 fg., (ioethe s. 275 anin..
Moser s. 276 fgg.
Gleim s. 80, s. 212, s. 214 fg.,
glossen, ahd. s. 230 fgg.
e: s. 91 '. i isse über •
dichtungen s. 127 fgg., über Friedrich
den gr. s. 275 anm.
gotisch: gebrauch des dativs und akku-
sativs s. 121 fg., genitiv s. 123 fg.
gotische bibelübersetzung: die Corinther-
briefe der Wulfilabibel nach der grie-
chischen bibel des Chrysostomus über-
setzt s. i zum
got. texl . sj., gegenüberstelluDg
des Pos und
des Chrysostomus! . der
Wulfilatext im Verhältnis zu den itali-
schen hilieln 8. 150 ffi
benutzung
der Itala bei der iiberarbeitui
texti fgg., eindringen der rand-
3sen in den ursprünglichen ti
g., 1. Corintherbrief ■ -
( röttinger dichterbund s. 21
Gudrui g., s. _ 15 fgg., die saj
der neueren litteratur 8. 2 17
Halm. Elise vgl, BÜJ
Bahn, Ludw. Phil, vgl, Bi
nann von Aue: das lied M I
10- 19 nicht \"n Bartmann
Hedwiglegende
Heidelberger liederhandsohrifl : erklürung
der bilder s. 114 fg., t> pen in der bild-
liohen darstellung s. 115 fgg., anlehnung
an kalenderbilder -. l ls '
Heine, lleinr. Vgl. Bül
Heinrichslied -
Heiland : atteneinteilung s.
574
I. SAfllKh.Gl.Vrhk
BelreiÖ: s. 30"! fgg., vgl. auch Sigrdrifumäl.
Berder s. 275 fg.
Boffmannswaldau b. 72 fg.
humanismus: spräche des deutschen früh-
liumanisnius s. 107 fg.
Hürnen Seyfrid : einheitlicbkeil des liedes
s.47 fgg., b.211, metrik b. 50 fgg., ent-
stehungszeit s. 58, aus den reimen ist
nii'ht ohne weiteres die mundart and
heimat des dichteis zu ersohliessi
204 Fg., beziehong des dichters zu Haus
Sachs s. 206, reimtechnik des gediebtes
8. 207 fgg.
Jean Paul s. 565.
Jerusalem, Job. Fr. Willi., s. 271 fg.
Kaufringer, Heinrich: quellen seiner dich-
tungen s. 492 fgg.. quoll*' seiner erzäh-
lung „Das Schädlein" s. 497 fgg.
Kleist: Michael Kohlhaas 8. 560 fgg.
Klopstock, s. 80, s. 212.
Lange, Sam. Gotth. s. 78 fg.
Laurin: s. 248 fgg., textkritik s. 249 fgg.,
eutstehungszeit. s. 251, Ursprung der
motive des Rosengartens s. 251 fgg.
Leben der väter, mhd. Übersetzung aus
St. Florian s. 371 fgg., Florianer text und
original alemannisch s. 371 fg., entste-
hungszeit der Florianer hs. s. 372, text
der hs. s. 373 fgg.
Leisewitz vgl. Bürger.
lehnwörter, skandinavische 1. im mittel-
englischen vgl. englisch.
Lessing: aufsätze in der Vossischen zei-
tung s. 255 fgg., der aufsatz im Wahr-
sager über Freygeister usw. s. 257 fg.
liederhandschrift: Heidelberger 1. s. 114fg. ;
1. vom jähre 1568 Berlin Mgf 752: Be-
schreibung der hs. s. 507 fg , texte und
parallelen s. 509 fgg., Verzeichnis der
liederanfängo s. 531 fg.; vgl. auch mhd.
ljoöahattr s. 429.
Luther: sprichwörtersammlung s. 413 fgg.
Macpherson vgl. Ossian.
Mariengebet s. 370.
Maurer, Konrad: lebensbeschreibung s.
59 fg., wissenschaftliche tätigkeit s. 60 fgg.,
Schriftenverzeichnis s. 68 fgg.
metrik vgl. Hürnen Seyfrid, vgl. Sigr-
drifumäl.
mhd. liederstrophe s. 87 fg.
minnesang: liederstrophe s. 87 fg. ; bilder
der Heidelberger hs. s. 114 fgg.; die
causale Verknüpfung in der syntax von
Minnesangs Frühling s. 330 fgg. ; nach-
ahmung des altd. minnesangs in der
neueren deutschen litteratur s. 71 fgg.,
s. 212 fgg., Moscherosch s. 72, Hofmanns-
waldau s. 72 fg., Dietrich von Stade s. 73,
Bodmer s. 73 fgg., Gottsched s. 77 fg.,
Samuel Gotthold Lange s. 78 fg., Kaspar
Friedrich Benner b. 71». Bürger
B.213, El 30, 212, .
tinger s. 213 fg., Gleim b. 80,
21 i fg., Gleims kreie b. 220 fgg., Karl
Emil Schubert b. 222
mittelenglisch vgl. englisch.
Mu er, Justus, vgl. Fi iedrieb I
Mo cheroseb b. ~>.
Diederdeutscb vgl. SachsenspiegeL
l lldecop, Johann, s. 80.
ölinger: Verhältnis zu Albertos s. 556fgg.
Opus imperfeetnm: quelle Dicht der
Matthaeuscommentar des Hieronymus
s. 483 fgg., interpolationen im i
8. 488 fgg.
Ossian s. 285 fg.
poetik: wesen der poesie s. 563. ästheti-
scher wert der poesie 3. 564 fg.
ragnarok s. 403 fg.
Rathlef, E. L. M.: seine „Serklaide" 549.
— vgl. Bürger.
Kenner, Kasp. Fr., s. 79.
Rosengartcu vgl. Laurin.
Sachs, -Hans: lautstand der reime s. 204.
vgl. auch Hürnen Seyfrid.
Sachsenspiegel: erste reimvorrede nicht
von Eike s. 102 fg., anteil des verfasse!
dieser vorrede am Sachsenspiegel s. 103,
verstechnik s. 103, nebeneinandergehen
hd. und nd. spräche s. 103 fg., publikum,
für welches das buch bestimmt ist, s. 104.
anteil der hd. spräche an der nd. litte-
ratur s. 104fg. , ursprüngliche spräche
des Sachsenspiegels s. 105 fg.
Scheffer vgl. Ängelus Silesius.
Schottelius: Friedens sieg s. 141 fg.
Schuhart vgi. Bürger.
Schubert, Karl Emil, vgl. Bürger; vgl.
minnesang.
schwankbuch des 16.jhs.: s.81fgg., quellen
s. 82 fgg., moralische tendenz s. 84 fgg.. der
Sammler Polychorius mit dem Mainzer
buchbändler Cammerlander identisch
s.85.
Seh warzenberg: Das büchleiu vom zu-
trinken s. 533 fg.
Schweiz: etymologie v. Ortsnamen s. 142 fg.,
Sprachgrenze s. 143 fg.
Seefahrer vgl. Wanderer.
Siegfriedsage vgl. Hürnen Seyfrid.
Sigrdrifumäl: echtheit der Strophen 22 — 37
s. 289 fg. , Interpretation der Strophe 21
s. 290, schluss der Sigrdr. s. 290 fg.,
302 fgg., Verteilung der echten Strophen
s. 291 fg., mischung verschied. Strophen-
formen s. 291 fg., die eigentlichen Sigrdri-
fumal s. 292 fg., Zusammenhang zwischen
Strophe 20 — 21 und 22 — 37 s. 294 fgg.,
Zusammenhang dieses Stückes mit den
Strophen 3 und 4 s. 297 fgg. , composition
n. VERZEICHNIS DER BESPROCHENEN STELLEN
575
der ursprünglichen Sigrdr. s. 301 fg., Ver-
hältnis der Sigrdr. zu den übrigen über-
lieferungeu der sage s.305fgg., Brynhildr
und Sigrdrifa eine gestalt s. 321 , die
runenstrophe der Sigrdr. s. 324 fgg.
skandinavische lehnwörter im mittelengl.
8. 9ö fgg.
spielleute im deutschen altertum s. 126 fg.
syntax: fehlen des Subjektpronomens beim
persönlichen zeitwort s. 145 fgg., gänz-
liches fehlen s. 146 fg., s. 156, ergän-
zung aus der Umgebung s. 147 fgg. ;
gebrauch des neutralpronomens ex
s. 344fgg., unpersönliche Zeitwörter, die
mit ex verbunden sind, s. 348 fgg., solche,
bei denen ex nicht steht, s. 352 fgg.;
Zeitfolge im conjunctivischem neben-
satz s. 224 fgg., gesetz der mechanischen
regelung der Zeitfolge gilt auch im mittel-
niederdeutschen s. 226 fg. , Zeitfolge im
nhd. s. 227 fgg., gründe für die auflösung
der mechanischen Zeitfolge s. 229, Zeit-
folge in den vergleichungssätzen mit
sam, als usw. s. 229, im mittelnieder-
ländischen s. 229 anm.;
causalsätze bei den minnesängern
s. 330fgg.
Volkskunde: Schlesien s. 568 fgg.
Volsunga-saga: quellen des abschnittes
capp. 26 — 29 s. 464 fgg.
Wagenseil vgl. Bürger.
Walther von der Vogelweide s. 567 fg.
Wanderer: wiedergäbe des inhalts s. lfgg..
jüngere Zusätze s. 4 fgg., analyse der
interpolation z. 58 — 87 s. 11 fgg., ur-
sprüngliche und spätere teile des „See-
fahrers" s. 14fg. , beziehungen zwischen
Wanderer und Seefahrer s 15 fgg. , be-
arbeiter des Wanderers und compilator
des Seefahrers diegleicheperson s. 17fgg.,
der dialog im Seefahrer s. 20. Überein-
stimmung der klage im Seefahrer mit
dem Wanderer s. 20 fgg. , die drei alten
dichtungen im Wanderer und Seefahrer
s. 26.
Wehrs vgl. Bürger.
Wezel, Job. Karl, s. 273 fgg.
AViutnawer s. 363 fg.
AVolfram: Parzival s. 237 fgg. . Am berger
Parzivalfragmente s. 244 fg. , eingangdes
Parzival erklärt s. 130fgg. , entstehungs-
zeit des Titurel s. 196 fgg. , schluss des
Willehalm s. 197 fgg. , Titurel in der
arbeitspause zwischen dem 8. and 9. buch
des Willehalm rerfassl s. 200 fgg, gründe
für den abbruch der Willehalmarbeit
s. 201. aufhören der arbeit am Titurel
s. 203, Chronologie der werke Wolframs
s. 203.
Wulfila: quellen der bibelübersetzung
s. 433 fgg.
IL VERZEICHNIS DER BESI'IK »< II KNKN STKLLKX.
Fäfnismäl:
( rudrun:
Gudrun:
32 - 39 s. 291 fg.
323,2 b.34.
Bl 1,3 b.41.
40 — 44 s. 305 fg.
331,4 s.35
961,4 b.41.
Gudrun:
339, 4 s. 35.
3,4 s. 42.
1,4 s. 28.
341,3 s. 35.
1006 - i ■'
10,1 s.28fg.
342, 1 s.35 fgg.
L104, 1 e
48, 3 s. 29.
354 1
1109,3
57, 4 s. 29.
365,4 3. 37.
1 125 fgg. s.44.
85 s. 30.
381,2 s.37.
1195,4 s. 44.
116, 2 s. 30.
398, 1 s. 37.
L247, 2 i
118,4 s. 30.
449,2 S.37 fg.
1372. ! B. 15.
L93, 1 s. 30.
481, I s.38.
L385 - i •
246,4 B.30fg.
508, .; 8.38.
1412,1 e 15.
249,4 s.31.
i; 1 1,3 s. 38.
1428, i
280,4 s.31.
649,4 s. 38fg
i 163 - 16
288 s.32fgg.
667,2 8.39
1523,3 46.
301 s. 34.
681, I b.
6 2 b. 46.
302, 4 s. 3 1 .
685, i s. 39
Beinrichslied:
303, 4 s. 32.
720, l. 2 s. 391
V. .
314,2.3 s.31.
.::.. I a.40.
I ..Lii i i ii :
316 s. 34.
805, i s. K)fg
\ n. BIO
321.4 s. 34.
838,2 B.41.
8,249
I II')
576
Jll. WOHTKKGl ii.i.
Laurin :
a 60 250.
A 259 262 8.251,
D lo'.tl 8.251.
K I 1777 8.250
Minnesangt 1' i iihling:
206, L0 L9
Oddrunargrätr:
17,5 8 B.3l2fg.
Parzival :
einganj •■! e s. KJOfg^.
Reuter, Fritz:
s. . i !
Vglsungasaga:
V^luspä :
51 b W5
in. \voktkk<;istkr.
Althochdeutsch:
bouz s. 233.
elsunt s. 234.
Mittelhochdeutsch.
kint s. 400.
zwivel s. 130.
Mitteleiiprlisfh :
basken s. lOOfg.
pasken s. 111.
rusken s. 111.
Neuenglisch:
brash s. 111. box s. l
clash s. 1 1 1 . crash s. 1
dosh s. 1 1 1 . i.i I
iisk b. Hl. ßash b. 1
ilisk s. 111, flosb s. 1
frisk s. 111 , goasb s. 1
bash s. 11 1 , lnsk s. 1
husli s. 111. husk s. 1
lash 8. 111, ]ius!l s. 1
'quash s. 111. rash s. 1
smash s. 111, swash B. 1
whisk s. 111, yux s. 1
Neuhochdeutsch:
aberglaube s. 91.
Buchdruckerei des Waisenhauses in Halle a. S.
0
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PF Zeitschrift für deutsche
3003 Philologie
Z35
Bd. 35
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