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Aachen

Jan Ullrich wird 40: Wann macht er reinen Tisch?

Um die Hüfte rum ein wenig füllig, das schwarze Trikot zeigt vorne eine verräterische Beule, aber die Beine, die sehen gut aus, definiert, stark. Nicht ganz so wie vor zehn Jahren, aber immerhin. Und er lächelt zufrieden.

Jan Ullrich wird heute 40 Jahre alt. Der einstige Radsport-Weltstar muss aufgrund seiner nicht endgültig aufgeklärten Doping-Vergangenheit mit dem Image des „Schmuddelkinde s“ leben, obwohl er nach wie vor der einzige deutsche Tour-de-France-Sieger ist.
Jan Ullrich wird heute 40 Jahre alt. Der einstige Radsport-Weltstar muss aufgrund seiner nicht endgültig aufgeklärten Doping-Vergangenheit mit dem Image des „Schmuddelkinde s“ leben, obwohl er nach wie vor der einzige deutsche Tour-de-France-Sieger ist. Foto: dpa

Wer Jan Ullrichs Homepage aufruft, wird zwar auf 2014 vertröstet, aber man sieht ihn zumindest fotografisch im Sattel beim Ötztal-Marathon im August 2013. Heute wird der Mann, der als einziger Deutscher die Tour de France gewonnen hat, 40 Jahre alt. Bekanntlich ist ja das die Grenze, bei der sich die Weisheit einstellen soll.

Zwei Stars, vom Doping eingeholt: Während Erik Zabel (l.) reumütig gestand, wartet man bei Ullrich noch auf das klare Wort.
Zwei Stars, vom Doping eingeholt: Während Erik Zabel (l.) reumütig gestand, wartet man bei Ullrich noch auf das klare Wort. Foto: dpa

Die hätte man ihm freilich eher gewünscht, aber vielleicht ist Ullrich ganz froh, ohne großen Trubel mit seiner Frau Sara und den drei Söhnen Max, Benno und Tobi auf der Schweizer Seite des Bodensees feiern zu können. Denn Rummel, den mochte er noch nie. Aber er war irgendwie unausweichlich, bei dem gewaltigen Erfolg, der da am 15. Juli 1997 seinen Anfang hatte.

Es war heiß in den Pyrenäen. Die Tour de France rollte auf die Bergankunft in Andorra-Arcalis zu. Es sollte der Tag werden, an dem ein 23-jähriger Jungstar namens Jan Ullrich endgültig vom großen Talent zum Superstar aufstieg. Eigentlich war Bjarne Riis Chef des Teams Telekom, der Sieger von 1996 trug die Nummer 1, sein Kronprinz die 8 auf dem Trikot.

Ullrich nahm die Helferrolle an, aber Sportchef Walter Godefroot erkennt auf den letzten sechs von 246 Kilometern, dass dem Dänen die Kraft ausgeht. Wild hupend prescht er an der Spitzengruppe vorbei nach vorne, setzt sein Auto neben Jan Ullrich und brüllt: „Der König ist tot. Schauen Sie sich nicht um und geben Sie alles.“

Wenn der Belgier nervös war, neigte er gerne etwas zum Blumigen und verwechselte Du und Sie — aber Ullrich verstand. Unwider-stehlich trat er an, fuhr die Gruppe von der Spitze weg auseinander und streifte sich kurze Zeit später in der Skistation zum ersten Mal in seiner noch jungen Karriere das Gelbe Trikot der Tour über seinen ausgemergelten Oberkörper. Zwölf Tage später fuhr er als einer der Jüngsten und als erster Deutscher im Siegertrikot über die Champs Elysees in Paris — und zu Hause klebten die Menschen vor dem Fernsehen wie sonst nur bei Länderspielen.

„Ulle“ trat eine mediale Lawine los, die der Radsport in Deutschland so noch nie erlebt hat. Die dreiwöchige Siegesfahrt des schweigsamen Rostockers sahen Millionen Menschen im Fernsehen, die ARD zeigte nicht nur alle Etappen, sondern abends nach der Tagesschau auch noch eine 15-minütige Sondersendung. Täglich. Der scheue Mann mit den Sommersprossen wurde anschließend durch alle Talkshows und auf alle Podien gezerrt. Für ihn war das härter als der Mont Ventoux bei 35 Grad, wohl fühlte sich der Radstar vor allem im Sattel oder vor einem gut gefüllten Teller mit einem Glas Rotwein. Oder zwei.

Auch das machte ihn so populär, Ullrich hatte Probleme mit dem Halten seines Gewichts wie Millionen andere auch. Als er im Dezember 1997 zum Sportler des Jahres gewählt wurde, stand er da etwas verhuscht auf der Bühne und bekam minutenlang stehenden Applaus, was es so bei dieser alljährlichen Gala auch noch nicht gegeben hatte. Damals ahnte noch niemand, dass auch er nach den kriminellen Regeln seines Sports lebte.

Buch seit 2009 angekündigt

Jan Ullrich hat zwar bisher nur das gestanden, was durch die Faktenlage nicht mehr abzustreiten ist. Er hatte Kontakt zu Blutpanscher Fuentes, er hat ein Gerichtsverfahren gegen sich durch die Zahlung einer Geldsumme verhindert, und er hat eingeräumt, „Fehler gemacht“ zu haben. Auf eine umfassende konkrete Beichte wartet man freilich heute noch. Seit 2009 kündigt er ein Buch an, das aber auch aktuell noch nicht in Sicht ist.

Aber braucht es noch das große Geständnis? Es gibt keine Zweifel, dass er seinen Toursieg, das Olympiagold von Sydney, die beiden WM-Titel im Zeitfahren und die fünf zweiten Plätz bei der Tour de France zwischen 1996 und 2003 nach den Regeln des Jobs erreicht hat, natürlich eingerahmt von Mitsündern, was seinen Dauerspruch „Ich habe niemanden betrogen“ erklärt, aber nicht besser macht.

Dass er nicht umfassend reinen Tisch gemacht hat, lag aber auch an seinem Umfeld. Zunächst verordnete ihm sein langjähriger Manager Wolfgang Strohband, ein Autohändler aus Hamburg, einen Maulkorb. Wohl auch aus Furcht vor Regressforderungen der Sponsoren. Auch nach dem Wechsel zu Falk Nier, der im Sommer die Agentur von Charly Steeb in die Insolvenz getrieben haben soll, wurde es nicht besser. Jetzt berät ihn Ole Ternes, der auch schon sagt, dass Jan „lieber nach vorne blicken will“. Das könnte er sicher besser tun, wenn er einmal offen und ehrlich zurückgeblickt hätte.

So bleibt er das Schmuddelkind, obwohl Ullrich nach wie vor der einzige deutsche Toursieger ist. Allerdings einer, der seinen Erfolg nach menschlichem Ermessen mit Doping befördert haben muss, freilich in einem vergleichbaren Umfeld. Daneben war der Mann mit den Jahrhundertbeinen aber auch Opfer. Was kaum einer weiß: Ullrich war die Tour ein Graus, weil er das Land, die Sprache und den Rummel nicht mochte. Der Giro wäre ihm lieber gewesen, aber auch Sponsor Telekom ließ ihn in eine Rolle drücken, die er nicht spielen wollte. Nach 1997 hat man ihn trotzdem sportlich auf die Tour reduziert, mit Geld und Ansprüchen zugeschmissen. Selbst die ARD überwies jährlich 195.000 Euro Gebührengelder an Ullrich, damit der nach den Etappen ein paar dürre Worte in die Mikros keuchte. Heute tun sie so, als wäre er tot.

An dieser Fixierung auf die Tour, ist er auch ein Stück weit zerbrochen. Und am rasanten Abstieg 2006 vom gehätschelten Helden zum bösen Buben. Alkohol, Burnout, Depressionen — eine Zeit lang konnte er nicht mal mehr hobbymäßig Rad fahren. Nach einem Klinikaufenthalt hat er sich wieder gefangen. Heute radelt er mit gut trainierten Freizeitradlern durch die Alpen. Und wenn es bergauf geht, könnte er auch noch mit 40 selbst engagierte Amateure in die Kreislauf-Hölle schicken. Wenn er denn wollte.

Vielleicht kommt mit 40 ja doch noch die Einsicht, umfassend aufzuklären. Dann könnte er den Platz in der deutschen Sportgeschichte einnehmen, den er zumindest ein bisschen verdient hat.