Interview

Martin Suter über "Alle sind so ernst geworden": Annäherungen in der Badehose

Der Erfolgsautor Martin Suter spricht über sein Buch "Alle sind so ernst geworden" mit Benjamin von Stuckrad-Barre, seinen Schweinsteiger-Roman, Geld und Gelaber.
| Ulrich Lössl
X
Sie haben den Artikel der Merkliste hinzugefügt.
zur Merkliste
Merken
0  Kommentare
lädt ... nicht eingeloggt
Teilen
Wie sie es nur mit einander aushalten? Martin Suter und Benjamin von Stuckrad-Barre sind am Sonntag in München zu erleben.
Wie sie es nur mit einander aushalten? Martin Suter und Benjamin von Stuckrad-Barre sind am Sonntag in München zu erleben. © Holger Martens

München - AZ-Interview mit Martin Suter: Dem 73-jährigen Schweizer gelang nach einer erfolgreichen Karriere in der Werbebranche 1997 mit dem Roman "Small World" der Durchbruch als Schriftsteller. Nach Jahren auf Ibiza und in Guatemala lebt er wieder in Zürich.

Er gehört zu den meistgelesenen Autoren unserer Zeit. Mit 50 Jahren wechselte Martin Suter aus der Werbung endgültig in die Schriftstellerei. Seitdem veröffentlicht er in schöner Regelmäßigkeit alle zwei Jahre einen Roman, darunter "Die dunkle Seite des Mondes", "Der Koch" oder "Der Elefant". Viele seiner Romane wurden verfilmt. Am Sonntag wird er zusammen mit Benjamin von Stuckrad-Barre aus dem Buch "Alle sind so ernst geworden" im Prinzregententheater lesen.

AZ: Wer kam denn auf die Idee, die Gespräche zwischen Ihnen und Benjamin von Stuckrad-Barre aufzuzeichnen und dann in dem Buch "Alle sind so ernst geworden" zu veröffentlichen?
MARTIN SUTER: Das waren zwei Ideen. Wir haben uns im Grand Hotel Heiligendamm an der Ostsee kennengelernt – und zwar genau so, wie Benjamin es beschreibt: in Badehosen. Ich habe ihn gefragt, ob es okay ist, wenn ich aufzeichne, was wir so miteinander quatschen. Und zwar für meine Website. Da habe ich eine Rubrik, die heißt "Small Talk". Zwei dieser Gespräche habe ich dann mal transkribieren lassen. Und wir fanden, dass sich das eigentlich ganz lustig liest. Daraufhin habe ich alle transkribieren lassen und dem Diogenes-Verlag gezeigt. Die fanden das auch gut und haben "Alle sind so ernst geworden" letztes Jahr vor Weihnachten herausgebracht. Und es wurde ein Riesenerfolg.

Was hat Sie gereizt, "Anspielpartner" für Stuckrad-Barre zu sein? Die Textlastigkeit ist ja ziemlich aus der Balance geraten – zugunsten von Stuckrad-Barre.
Ja, das ist so. Der langsame Schweizer und der schlagfertige Deutsche. Das hat mir gut gefallen. Damit hatte ich keine Probleme.

Sie haben diese Gespräche selbst als "konzeptionsloses Gelaber" bezeichnet. Und sagten auch, dass Sie das als sehr angenehm empfunden haben. Andererseits lehnen Sie bequeme Kleidung strikt ab, weil sie träge macht. Aber ist "angenehm" nicht der kleine Bruder von "bequem"?
Ach, Sie sehen mich heute auch ohne Krawatte… Es kommt immer auf die Situation an. Nachts trage ich ja auch keinen Anzug. Aber "angenehm" ist ein Wort, dass ich tatsächlich viel gebrauche. Und auch der Zustand gefällt mir gut.

Sie wollten schon mit 16 Jahren Schriftsteller werden.
Ich habe damals gemerkt, dass das Schreiben angenehm ist. Ich war in einem Kollegium in Fribourg, wo die meisten Lehrer Franziskanermönche waren. Da gab es den deutschen Pater Johannes, der nach dem Zweiten Weltkrieg viele Jahre in Sibirien überlebte. Er hat vor der Klasse immer meine Aufsätze vorgelesen. Das war bei den Mitschülern zwar nicht sehr beliebt, aber mir hat es gefallen. Ich habe auch immer gute Deutschnoten bekommen. Da habe ich gemerkt, dass mich das Schreiben nicht sehr anstrengt und ich es gut kann. Also dachte ich: Schriftsteller – das wäre doch ein guter Beruf.

Leonard Cohen sagte mal über das Schreiben, "die Seiten schwarz machen" sei für ihn besser als seine Songs, als Sex, als Ruhm, als Geld. Können Sie dem zustimmen?
Ja. Mit einer Ausnahme.

Sex!
Ja, Sex.

Bei Ihren Romanen fällt auf, dass Sie sehr detailliert beschreiben können, es aber nicht dabei belassen. Es gibt immer genügend Handlung und überraschende Wendungen. Wie strukturieren Sie Ihre Romane?
Zuerst ist die Idee da, die Geschichte, die ich erzählen will. Nicht die Atmosphäre. Oder die Orte, wo die Geschichte spielt. Dann möchte ich natürlich auch Stimmungen erzeugen. Und ich will, dass der Leser Bilder sieht. Das ist mir schon sehr wichtig. Die Geschichte, die ich erzähle, muss mich auch als Leser unterhalten.

Sie sagen, bei Schicksalsschlägen hätte Ihnen Ihr sanguinisches Temperament geholfen, sich immer wieder aus dem Morast zu ziehen. Man würde Sie eher als Melancholiker einschätzen.
Ich glaube schon, dass ich ein Sanguiniker bin. Aber vielleicht bin ich ein melancholischer Sanguiniker. Melancholisch… das gilt auch für die Musik. Ich mag traurige Lieder viel lieber als fröhliche. Ich habe vor vielen Jahren mal über die schweizerische Volksmusik geschrieben. Das Problem dieser Musik ist, dass sie zu fröhlich, zu lustig ist. Da leidet der Bauernstand unter nichts! Stattdessen kommt immer der Bub mit der Leiter zum Fensterln. Und die Hirten jodeln und jodeln. Dabei gehen in der Schweiz jedes Jahr viele Bauernhöfe ein. Da fehlt es an Geld, an Subventionen. Es gibt Probleme mit Düngemitteln… Eigentlich viele Gründe, um traurig zu sein.

Werden Sie heute noch Ihre 1.000 Wörter schreiben?
Das hoffe ich sehr. Ich bin gerade im Endspurt für das Bastian-Schweinsteiger-Buch mit dem Titel "Einer von euch". Es ist keine Biografie, sondern ein Roman mit Bastian Schweinsteiger als Hauptfigur. Das zu schreiben war eine ziemliche Herausforderung, die ich anfangs unterschätzt habe. In diesem Roman konnte ich ja nicht alles erfinden, sondern musste auch Fakten verarbeiten.

Welche Bücher liegen denn zur Zeit auf Ihrem Nachttisch?
Auf meinem Nachttisch liegen schon lange keine Bücher mehr. Ich kann im Bett nicht mehr lesen. Ich schlafe sofort ein. Und wenn ich an einem Roman arbeite, kann ich eigentlich gar keine Bücher lesen. Ich lese höchstens mal kurze Sachen. Ich lebe ja so schon in genug Welten: in meiner Welt, dann in der Welt von Basti Schweinsteiger. Eine dritte geht da eigentlich nicht.

Sie sind erst mit 50 Jahren ganz auf die Schriftstellerei umgesattelt.
Ich habe viele Jahre kommerzielle Texte geschrieben, um mein Leben zu finanzieren. Ich war nie so konsequent zu sagen: "So, jetzt bin ich Schriftsteller". Denn dann wäre ich wahrscheinlich auf Unterstützung aus dem privaten Umfeld angewiesen gewesen oder am Tropf der Kulturförderung gehangen. Das wollte ich nicht. Ich brauchte immer genügend Geld, um gut leben und kreativ sein zu können. Wenn aus meinem ersten Roman "Small World" kein Erfolg geworden wäre, hätte ich sicher mit dem Romanschreiben aufgehört und wieder Kommerzielles geschrieben.

Somerset Maugham war der Überzeugung, dass Geld der sechste Sinn ist, der die anderen fünf Sinne erst so richtig zum Aufblühen bringt.
Ja, wenn man Geld dazu einsetzt, die Sinne zum Strahlen zu bringen. Geld bedeutet für mich auch immer Freiheit. Ich genieße es sehr, dass ich nicht fremdbestimmt bin, sondern das machen kann, was ich will. Zur Entfaltung der fünf Sinne braucht man natürlich nicht immer viel Geld. Aber viele Dinge muss man sich erst einmal leisten können.

Ihre Lebensphilosophie?
"Man kann nichts verpassen im Leben." Das trifft zwar nicht in jeder Beziehung zu, aber ich finde, der Satz hat trotzdem seine Gültigkeit. Warum das so ist? Es gibt so viele Milliarden Dinge, die alle gleichzeitig passieren und man kann nur eines davon genießen oder an einem teilhaben. Und da man eigentlich alles verpasst im Leben, sollte man sich doch auf das Eine, das man hat, konzentrieren und es ganz und gar erleben. Und das nicht auch noch verpassen. Das funktioniert eigentlich immer gut. Und das ist auch eheberaterisch ein nützlicher Ratschlag.

Können wir unser Schicksal selbst bestimmen?
Nein. Man kann nur versuchen, das zu akzeptieren, was das Schicksal mit einem macht. Bei vielen meiner Entscheidungen, für die mich andere fast bewundern – zum Beispiel, dass ich aus der Werbung ausgestiegen bin, um als Schriftsteller zu leben –, spielten Dinge eine Rolle, die ich nicht beeinflussen konnte. Die Werbeagentur, aus der ich ausgestiegen bin, ist ja in Konkurs gegangen. Für mich ist wichtig, die Entscheidungen, die ich einmal getroffen habe, auch zu akzeptieren und das Beste daraus zu machen. Vielleicht gehört dazu auch ein gewisses Talent.

Von wem wird das Schicksal bewegt? Sind Sie religiös?
Ich bin ein Möchtegern-Gläubiger. Ich schaffe es nie, richtig zu glauben. Aber es wäre wunderbar, wenn ich es könnte. Was soll ich sagen? Irgend so ein Klischee wie "Ich glaube schon, dass es etwas Höheres gibt".

Da sind Sie in der Schweiz mit den hohen Bergen ja gut dabei.
Das stimmt. Aber deshalb kann man auch nicht so weit sehen. 


Martin Suter & Benjamin von Stuckrad-Barre: "Alle sind so ernst geworden" (Diogenes, 272 S., 22 Euro) Lesung am Sonntag, 19 Uhr, im Prinzregententheater, Karten u. a. über MünchenTicket 089 54 81 81 81

 

Lädt
Anmelden oder registrieren

Zum Login
Zu meinen Themen hinzufügen

Hinzufügen
Sie haben bereits von 15 Themen gewählt

Bearbeiten
Sie verfolgen dieses Thema bereits

Entfernen
Um "Meine AZ" nutzen zu können, müssen Sie der Datenspeicherung zustimmen.

Zustimmen
0 Kommentare
Bitte beachten Sie, dass die Kommentarfunktion unserer Artikel nur 72 Stunden nach Veröffentlichung zur Verfügung steht.
Noch keine Kommentare vorhanden.