Am Anfang war ich skeptisch, ob sich ein Bilderbuch gewinnbringend verfilmen ließe. Zumal eines, das mit so vielen Leerstellen arbeitet wie Maurice Sendaks "Wo die wilden Kerle wohnen". Aber dieser Film ist ein Meisterwerk.
Die Leerstellen wurden derart kreativ und mit so viel Gespür für stimmige Symbolik und Psychologie gefüllt, dass ich es teilweise nur als genial bezeichnen kann.
Max, der von zu Hause abhaut, sich in seiner Fantasie seiner wilden, von der Mutter verurteilten Seite hingibt, der zum König der wilden Kerle wird, und als ihr König so weit heranreift, dass er erstmals auch einen anderen Blick auf diese wilde Seite werfen kann: den seiner Mutter. Um dann - in der für mich eindrücklichsten Szene des ganzen Films - nach einer Art zweiten Geburt aus dem Mund der Kerlin K.W. nach Hause zurückzukehren.
Subtil und leise schafft es der Regisseur, sowohl die charakterlichen Eigenschaften von Max als auch die seiner Familienmitglieder auf die einzelnen wilden Kerle zu verteilen. Bilder und Atmosphäre sind eindringlich und dicht. Die riesige Festung, die gegen alle Feinde schützen soll, die aber aus dünnen Stöcken kunstvoll zusammengebaut wird und mit einem einzigen Prankenschlag der wilden Kerle selbst zerstört werden kann, rührt an und enttarnt die Verschanzung hinter großen Gebärden als Schutzlosigkeit. Die beiden neuen Freunde von K.W., derentwegen sie überlegt, ihre Familie zu verlassen, entpuppen sich als zwei nicht sehr helle wirkende Eulen, die nicht mal richtig sprechen können. Das ist eine verblüffende und daher einprägsame Wendung, die es auf (ich wiederhole mich) geniale Art und Weise schafft, die ganze Pubertät in ein schlichtes Symbol zu verpacken: Das Kind, das einem entgleitet, das sich mit Leuten zusammenschließt, die man nicht versteht.
Auch ohne das geringste Blutvergießen verstört an vielen Stellen die Brutalität, mit der die Figuren einander behandeln. Es wird unter den wilden Kerlen keine große Sache daraus gemacht, und vielleicht ist gerade das das Beklemmende daran. Ich würde mich daher wohler fühlen, hätte man den Film nicht ab 6, sondern ab 12 freigegeben.
Der Hauptdarsteller Max Records ist ein Glücksfall: Er überzeugt in jeder Sekunde. Und wer, wie ich, mit den wilden Kerlen groß geworden ist, braucht auch keine Angst davor zu haben, von den Puppen enttäuscht zu werden, man erkennt sie alle wieder, sie sind es.
Das Bilderbuch hat Hunderttausende von Kindern dazu aufgerufen, die Geschichte von Max und den wilden Kerlen in ihrer Fantasie auszuspinnen. Spike Jonze ist einer, der seine Version teilen konnte. Und ich freue mich sehr darüber, dass er es getan hat.