Überfluss an schlauen Leuten

OBERSTDORF, 21. Februar. Seit viereinhalb Monaten ist Peter Rohwein (42) Bundestrainer der deutschen Skispringer. In dieser Zeit scheint er um viereinhalb Jahre gealtert zu sein, um drei allein am Sonntagabend beim Team-Wettbewerb von der Normalschanze, wie er dem Athleten Michael Uhrmann später anvertraute. Uhrmann hatte im ersten Durchgang "einige Schwierigkeiten", wie er zugab, trug aber dann doch seinen Teil bei zum Gewinn der Silbermedaille bei der Nordischen Ski-WM in Oberstdorf. "Die war richtig wichtig", fand Uhrmann, "die nimmt viel Druck von uns."Nicht von Rohwein, der saß noch am späteren Abend so bedrückt in seinem Stuhl, als wäre er dem Zusammenbruch nahe. "Es ist viel auf meinen Schultern abgeladen worden", sagte er, "wir haben ständig in der Kritik gestanden. Das ist mir in den letzten Wochen an die Nieren gegangen." Der Allgäuer fühlte sich "ähnlich wie beim Fußball - es gibt sehr viele schlaue Leute, die reinreden", und wie bei den Kickern üblich, ist auch schon über seinen Rauswurf spekuliert worden. Schließlich hatte er es bis zum Sonntag nicht geschafft, die gestrandeten Adler des Deutschen Skiverbandes (DSV) zu alten Höhenflügen zu katapultieren. Dass Rohwein ein schweres Erbe von dem geschassten Wolfgang Steiert übernommen und den kriselnden Martin Schmitt wieder in Form gebracht hatte, wurde kaum registriert. Und so bilanzierte Rohwein nach 135 Tagen im Amt: "Es ist nicht ganz einfach, in Deutschland Skisprung-Trainer zu sein."Es ist gerade auch nicht leicht, Langlauf-Trainer zu sein. Jochen Behle (44) war zur WM angereist als Erfolgscoach, weil er die DSV-Langläufer flott gemacht hatte. Seit 2002 sammelte seine Abteilung Olympia- und WM-Medaillen wie zuvor in Jahrzehnten nicht. Aber nun laufen sie hinterher in Oberstdorf, und weil Behle dieses Phänomen auf die Schnelle auch nicht erklären kann, las er über sich und seine Leute in der Zeitung schon: "Ihr seid ja Oberstdoof."Die WM ist das größte Sportereignis Deutschlands in diesem Jahr, da müssen die DSV-Trainer an vielen Fronten kämpfen, Behle zum Beispiel auch noch im "Trainer-Krieg". Den hat eine Boulevard-Zeitung ausgerufen zwischen ihm und Wolfgang Pichler, dem Heimtrainer der formschwachen Evi Sachenbacher. Behle bewahrte aber Haltung. Pichler auch. "Wir sind gestandene Männer, wir sagen uns die Meinung", sagte der Oberbayer, aber er könne nicht erkennen, dass es Streitigkeiten gebe.Was die Trainer am meisten nervt, sind die so genannten Fernseh-Fachleute. "Bloß weil einer mal 'ne Medaille gewonnen hat, heißt das noch nicht, dass er Trainings-Experte ist", wies Pichler etwa die Kritik an seinem Übungspensum für Sachenbacher zurück, die der Olympia-Zweite Peter Schlickenrieder geübt hatte. "Wenn ich auf jedes Wort höre", seufzte Pichler, "werde ich wahnsinnig". Dem Kollegen Rohwein trieb das Gehörte noch am Sonntag fast die Tränen in die Augen. Er nannte zwar keine Namen, als er von den "vielen schlauen Leuten" sprach, aber es war klar, dass er für einen davon seinen Vor-Vorgänger Reinhard Heß hält, quasi der Günter Netzer des Skisprung-Besserwissens.Ob er es nun bereue, dass er von den Kombinierern zu den Spezialspringern gewechselt sei, ist Rohwein gefragt worden, nachdem die Kombinierer am Freitag die ersten beiden Medaillen für den DSV gewonnen hatten. "Das hätte ich mir früher überlegen müssen", antwortete er. Sein einstiger Chef Hermann Weinbuch ist derzeit der einzige DSV-Cheftrainer, der die WM genießen kann. Aber selbst er wird nicht immer verschont, wie er nach dem Doppelsieg von Ronny Ackermann und Björn Kircheisen erzählte: "Man hat uns immer gesagt, dass wir nicht von der Kleinschanze springen können. Jetzt haben wir da zum zweiten Mal den Weltmeister." Der 44-Jährige sah vergnügt aus und bei weitem nicht so alt wie Rohwein. Erfolg hält jung, vor allem im Trainergeschäft.------------------------------Schmitts Dank // Abgefeiert: Skisprung-Bundestrainer Peter Rohwein gab seinem silbernen Quartett am Montagvormittag frei. Vermutlich wären Martin Schmitt, Georg Späth, Michael Uhrmann und Michael Neumayer zu normalem Training auch gar nicht fähig gewesen, denn den zweiten Platz im Teamwettbewerb feierten sie recht ausgiebig. Bei der offiziellen Party im Mannschaftshotel richtete Martin Schmitt persönliche Dankesworte an den Coach: "Ich hatte drei Jahre eine ganz schwierige Zeit und bin unglaublich froh, dass sie vorbei ist. Danke an Peter Rohwein, dass er immer an mich geglaubt und ein richtiges Konzept ausgearbeitet hat", sagte der viermalige Weltmeister. Nun wollen er und seine Kollegen auch auf der Großchance nach Medaillen greifen: Freitag im Einzelspringen und Sonnabend im Teamwettbewerb. Ausgekämpft: Im Kampf um den vakanten vierten Platz der Nordischen Kombinierer für die Team-Entscheidung am Mittwoch kommt es zu einer internen Ausscheidung zwischen Sebastian Haseney und Tino Edelmann. Die beiden Vereinskollegen aus Zella- Mehlis werden am Dienstag auf der Großschanze den vierten Mann für die Staffel ausspringen. Edelmann müsste etwa 17 Meter weiter als der laufbessere Haseney springen. Gesetzt sind Einzel-Weltmeister Ronny Ackermann, der WM-Zweite Björn Kircheisen und Georg Hettich. Abgesagt: Der berühmteste Skifan, König Harald von Norwegen, kommt entgegen seinen Plänen nicht nach Oberstdorf. Das norwegische Fernsehen berichtete, die guten TV-Übertragungen seien der Grund für Haralds Reisemüdigkeit. Erwartet werden nun als einziges Monarchenpaar der schwedische König Carl Gustav und seine Frau Silvia für drei Tage. Abkassiert: Die Polizei in Oberstdorf geht mit Spezialkräften gegen den Schwarzhandel mit Eintrittskarten vor. Bisher wurden bereits elf illegale Verkäufer erwischt. Nach Absprache mit der Staatsanwaltschaft Kempten und dem Landratsamt Oberallgäu seien in zehn Fällen Bußgelder von zusammen 2 800 Euro verhängt und sofort kassiert worden, teilte die Polizei mit. Angesetzt: Am Dienstag stehen zwei Entscheidungen auf dem Programm: die Langlauf-Sprints der Frauen und Männer über 1,2 Kilometer im klassischen Stil. Die Qualifikation im k.o.-System beginnt um 10.30 Uhr, die Finals sind für 12.30 Uhr angesetzt. Titelverteidiger WM 2003: Marit Björgen (Norwegen) und Thobias Fredriksson (Schweden)Olympiasieger 2002: Julia Tschepalowa (Russland) und Tor Arne Hetland (Norwegen).Deutsche Läuferinnen: Manuela Henkel (Oberhof), Nicole Fessel (Oberstdorf), dazu eventuell Claudia Künzel und Viola Bauer (bd. Oberwiesenthal).Deutsche Läufer: Andreas Schlütter (Oberhof), Franz Göring (Zella-Mehlis).------------------------------"Es ist viel auf meinen Schultern abgeladen worden. Wir haben ständig in der Kritik gestanden." Skisprung-Trainer Peter Rohwein------------------------------Foto: Unter Druck: Skisprung-Trainer Peter Rohwein kann sich auch nach dem WM-Silber für sein Team nicht entspannen.