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Schutzmassnahmen nicht umsetzbarDer Zibelemärit ist abgesagt

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Über 100'000 Leute wären zu viel: Der Zibelemärit findet 2020 nicht statt.
Kein Drängeln und kein Drücken: Corona machte dem Grossanlass den Gar aus.

In diesem Jahr gibt es in der Stadt Bern keinen Zibelemärit. Das teilt der Berner Gemeinderat am Freitagmorgen mit. Als Grund wird angegeben, dass die Einhaltung von Schutzmassnahmen nicht ausreichend möglich sei. Die Stadt zeigt sich betrübt, dass dieser Schritt ergriffen werden musste. Der nächste Zibelemärit findet gemäss heutiger Planung am 22. November 2021 statt.

Normalerweise haben die Schüler der Stadt Bern am Nachmittag des Zibelemärits frei. Wie es aber in diesem Jahr aussieht, ist noch unklar. Die Stadt teilt auf Anfrage mit, dass das Schulamt der Stadt Bern aufgrund der Absage des Zibelemärit mit den Schulleitungen in nächster Zeit prüfen möchte, ob in diesem Jahr allenfalls eine andere Regelung in Bezug auf den schulfreien Nachmittag getroffen werden soll. Sobald diese Frage geklärt sei, würden die Eltern und gegebenenfalls die Medien orientiert.

«Ich weiss, Bern blutet das Herz, aber wir sehen leider keine andere Möglichkeit als die Absage.»

Reto Nause, Sicherheitsdirektor

Der Zibelemärit ist das grösste, in der Stadt Bern stattfindende Fest des Jahres. Er lockt jeweils über den Tag verteilt 40’000 bis 80’000 Personen aus der ganzen Schweiz und sogar dem Ausland nach Bern. Da viele ähnliche, teils kleinere Veranstaltungen oder Märkte in der Schweiz, wie etwa der Aargauer Rüeblimärit oder die Luzerner Herbstmesse bereits abgesagt wurden, wäre nicht auszuschliessen, dass viele Besuchende an den Berner Zibelemärit reisen würden und dadurch die Anzahl Personen sogar steigen könnte, schreibt die Stadt in ihrer Mitteilung.

Nebst den allgemeinen Abstands- und Hygienemassnahmen gelten spezielle Vorgaben beim Schutzkonzept: So müssten zum Beispiel die Personenströme mit Bändern oder Markierungen gesteuert werden, damit der nötige Abstand zwischen den Personen eingehalten werden kann. «Alleine dieses Beispiel zeigt, dass dies auch mit weniger Besuchenden an einem Markt wie dem Zibelemärit nicht umsetzbar ist», so Sicherheitsdirektor Reto Nause. Und er stellt klar: «Ich weiss, Bern blutet das Herz, aber wir sehen leider keine andere Möglichkeit als die Absage.»

9/11 und die Schweinegrippe

Es ist das erste Mal nach 101 Jahren, dass der Zibelemärit nicht stattfindet. Damals machte die grassierende Maul- und Klauenseuche den Markt unmöglich. Es war nicht das einzige Mal, dass das Weltgeschehen den Anlass beeinflusste: Nach den Anschlägen in New York 2001 und aus Angst vor der Schweinegrippe 2009 kamen viel weniger Besucher als üblich. 1963 wiederum stand er «im Zeichen der Trauer». Drei Tage vorher war US-Präsident John F. Kennedy ermordet worden. Der Gemeinderat verbot daraufhin das Konfettiwerfen und kürzte den Rummelbetrieb.

In diesem Artikel werfen wir einen Blick auf die letzten Jahre und fragen bei den Zwiebelproduzenten nach, was diese Absage für sie konkret bedeutet.

Teile dieses Artikels wurden aus der früheren Berichterstattung über den Anlass zusammengestellt.

Das sagen die Zwiebelproduzenten

Zwiebelzöpfe machen die Produzenten trotzdem (Bild von 2018) am Zibelemärit verkaufen dürfen sie diese aber nicht.

Wen die Absage des Marktes besonders hart trifft, sind die Zwiebelproduzenten. Kaum Hagel, viel Sonne: Es war ein gutes Zwiebeljahr. «Wir haben wunderschöne Zwiebeln geerntet», sagt Peter Hediger aus Müntschemier. Der pensionierte Elektriker, dessen Familie seit Generationen Land für den Zwiebelanbau gepachtet hat, fährt nach wie vor jedes Jahr mit seinen Söhnen an den Zibelemärit, um ihre Ware zu verkaufen. 800 Kilogramm Zwiebeln hätten sie jeweils im Gepäck. Dass der Markt abgesagt wird, ist «ein grosses Problem». Denn die Zwiebeln seien alle schon geerntet und im trockenen Lager. Auch die Blumen für die Verzierungen seien bereits gepflückt. Doch ohne Markt bleiben Hedigers nun auf den Kosten für Saat und Ernte sitzen. Doch ganz schwarz malen will Hediger nicht: «Für uns ist das ein Nebenjob, also ist der Ausfall weniger tragisch. Aber es gibt Leute, die unbedingt auf dieses Geld angewiesen sind.»

Nicht einfach so zu ersetzen

Hanni Iseli von Iseli Früchte und Gemüse in Täuffelen spricht von «einem grossen Verlust.» «Es tut uns wahnsinnig weh, dass der Zibelemärit nicht stattfindet.» Der Verkauf der Knollen sei eines der Hauptstandbeine des Betriebs. An zwei Ständen verkaufen Iselis jedes Jahr rund zwei Tonnen Zwiebeln. Und das seit Jahren. Sogar Stammkunden aus Deutschland und Italien hätten regelmässig bei ihnen eingekauft.

Was jetzt mit dem Gemüse passiert, kann Iseli noch nicht sagen. «Vielleicht können wir etwas an die Grossverteiler abgeben oder die Ware an anderen Märkten verkaufen», hofft der Familienbetrieb. Doch es ist klar: «Der Ausfall des Zibelemärits ist nicht einfach so zu ersetzen.» Auch Iselis haben schon alle Zwiebeln und die Trockenblumen für die Dekoration geerntet. Eigens dafür wurde sogar zusätzliches Personal angestellt. Nun ist gut möglich, dass sich diese «enorme Arbeit» gar nicht auszahlt.

Ersatzkonzept kommt

Der Gemeinderat der Stadt Bern ist überzeugt, dass die Markthändlerinnen und Markthändler heute schon eine gewisse Planungssicherheit brauchen, da viele bereits dieser Tage mit den Vorbereitungen für den Zibelemärit beginnen. So müssten die 50 Tonnen Zwiebeln gezogen und zu Zöpfen verarbeitet werden. Auch aus diesem Grund war es dem Gemeinderat wichtig, bereits jetzt einen Entscheid zu fällen. Denn ein Zuwarten und Beobachten, wie sich die Lage entwickelt, birgt das Risiko, dass sich die Situation bis im November verschärft und eine kurzfristige Absage erfolgen müsste. Dies hätte einen deutlich grösseren Schaden für die Markthändler zur Folge.

Trotz der Absage: Die Zwiebelverkäufer sollen dennoch ihre Ware feil bieten können. Der Gemeinderat hat das Polizeiinspektorat beauftragt gemeinsam mit den Marktfahrerinnen ein Konzept zu erarbeiten, mit dem der Zwiebelverkauf an den Wochenmärkten möglich sein soll.

Walter Stettler, Präsident des Vereins Berner Märit, sagte am Freitagmorgen, er sei enttäuscht über die Absage des Zibelemärits. Offensichtlich fehle heute vielen Leuten den Mut.

Der Verein habe der Berner Orts- und Gewerbepolizei vorgeschlagen, den Zibelemärit in diesem Jahr so durchzuführen, wie derzeit die Berner Wochenmärkte stattfinden: Also mit gut hundert Marktständen, welche – um Abstand zu schaffen – über die Innenstadt verteilt sind.

So schön war der Zibelemärit im letzten Jahr

Die Rekordmarke wurde nicht geknackt. Über 50 Tonnen Zwiebeln wurden 2019 am Zibelemärit zum Verkauf angeboten, knapp 10 Tonnen weniger als im Rekordjahr 2014. Viel weniger beliebt war heuer anderes Gemüse. Während letztes Jahr noch 260 Kilo Lauch, 440 Kilo Rüebli und 120 Kilo Schwarzwurzeln angeboten wurden, waren es dieses Jahr nur noch 48 Kilo Lauch, 10 Kilo Rüebli – und keine einzige Schwarzwurzel. Am Märit säumten insgesamt 590 Marktstände die Berner Gassen, 145 davon verkauften Zwiebeln. Wegen Platzmangel hätten 90 Bewerberinnen und Bewerber für einen Standplatz abgewiesen werden müssen, teilte die Stadt gestern mit. Marktfahrer mit Zwiebeln im Angebot hätten jedoch alle einen Platz erhalten.

Die Kantonspolizei sprach in einer Mitteilung von einem ruhigen Zibelemärit.

Der Zibelemärit in Zahlen

18 Tonnen Abfall fielen in den letzten Jahren durchschnittlich an – der Anteil Konfetti ist gros.

2017 nahm diese Zeitung den Zibelemärit genauer unter die Lupe. Dabei erfuhr man unter anderem, wie lange der Markt schon auf der «Liste lebendiger Traditionen der Schweiz» steht und viele Cars und Extrazüge jedes Jahr mit Märitvolk nach Bern fahren.

  • 662 Marktstände säumten 2016 die Berner Strassen, 178 davon verkauften Zwiebeln. 88 Bewerbende mussten wegen Platzmangel abgelehnt werden. Die Marktfahrenden müssen ihre Stände jeweils selber mitbringen.
  • 57 Tonnen Zwiebeln wurden im Vorjahr am Zibelemärit verkauft. Rund 80 000 Zwiebelkuchen liessen sich damit backen. Andere Gemüsesorten sind deutlich weniger begehrt als Zwiebeln: 35 Kilo Lauch, 73 Kilo Sellerie, 130 Kilo Rüebli und 38 Kilo Schwarzwurzeln gingen 2016 über die Märittische.
  • 9 Jahre (Stand 2020) steht der Zibelemärit nun auf der «Liste lebendiger Traditionen der Schweiz». Hingegen blieb das Unesco-Welterbe-Label dem Markt bis anhin verwehrt.
  • 3 Apéros finden statt. Dort prostet sich die Lokalprominenz zu, schüttelt Hände und tauscht den neuesten Tratsch aus: Im Hotel Bellevue verkehren auf Einladung des Hotels und der Mobiliar-Versicherung rund 800 Persönlichkeiten aus Sport, Kultur, Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Im Hotel Schweizerhof Bern wird der «Bäredräck»-Preis verliehen. Im Rathaus und im Kursaal zeichnen die Stadtschützen den «Oberzibelegring» aus.
  • 4 Montag im November: An diesem Tag findet der Zibelemärit jeweils statt. Das Brauchtum wird von manchen auf das 19. Jahrhundert zurückgeführt: Damals verkauften Seeländer und Freiburger Bäuerinnen ab dem Martinstag am 11. November zwei Wochen lang ihr Gemüse in Bern. Andere vermuten die Anfänge des Zibelemärit im 15. Jahrhundert: Der Markt sei zum Dank an die Freiburger ausgerichtet worden, welche den Bernern während eines Stadtbrandes zu Hilfe geeilt seien. Wieder andere behaupten, der Märit sei ein Dankesgeschenk für die Waffenhilfe der Freiburger während der Burgunderkriege.
  • 100–120 Cars reisen an und parkieren im Wankdorf auf dem Gelände von Bernexpo.
  • 18 Tonnen Abfall fielen in den letzten Jahren durchschnittlich an – der Anteil Konfetti ist gross, aber nicht im Detail zu beziffern. 53 Personen von der Strassenreinigung versuchen, der Abfallberge Herr zu werden.
  • 2 Preise werden am Zibelemärit verliehen: Der Bärentrust verleiht «einer Persönlichkeit oder einer Gruppierung mit aussergewöhnlichen Leistungen aus dem kulturellen und gesellschaftlichen Leben» den «Bäredräck». Weiter laden die Stadtschützen zum «Zibelegring» und küren eine «Persönlichkeit, die Vorbildliches für das Gemeinwohl leistete und oder leistet» zum «Oberzibelegring».
  • 4 weitere Zwiebelmärkte finden in der Schweiz statt: Biel, Aarberg und Huttwil kennen Zwiebelmärkte, die Ausgabe im solothurnischen Oensingen nennt sich «Zibelimäret».
  • 4 Extrazüge setzen die SBB ein, je zwei für die Hinund zwei für die Rückfahrt nach Zürich und Basel. Regelzüge werden mit zusätzlichen Wagen verstärkt.

So viel Zibele steckt in Bern

Was isch für Zibele? Fast niemand braucht die Wendung noch, doch fast jeder weiss, dass es dabei um die Zeit geht.

Vor sieben Jahren stellte sich diese Zeitung die Frage: Wie viel Zwiebel steckt eigentlich das ganze Jahr hindurch in Bern? Die Redaktion hat schliesslich diese Zwiebeln ausgegraben. Es folgen einige Ausschnitte davon.

  • In der Sprache: «Was isch für Zibele?» oder «Was hets zibelet?»: Nur selten hört man diese Fragen noch in Berns Gassen. Und doch wissen die meisten, nach was hier gefragt wird – nach der Zeit natürlich. Woher der Ausdruck kommt, ist für Fachleute klar: «Als Zibele bezeichnete man die früher gängigen dicken, klobigen Sackuhren», erklärt Niklaus Bigler, Redaktor beim Schweizerischen Wörterbuch «Idiotikon». Gebräuchlich sei die Frage vor allem in Bern, aber auch im Freiburgischen, in der Innerschweiz und im Wallis gewesen, sagt Bigler.
  • Im Feinkostregal: In der Hitparade der edelsten Nahrungsmittel steht die Zwiebel nicht sehr weit oben. Gegen Trüffel, Kaviar und Co. kann sie nicht anstinken. Was eigentlich unverdient ist, hat doch die Autorin einmal bei einem Spitzenkoch eine Zwiebel gegessen… Aber das ist eine andere Geschichte. In Feinkostabteilungen findet man durchaus mehr als die klassische Schweizer Zwiebel. Wir haben bei Globus-Delicatessa und Loeb-Lebensmittel gestöbert. Die grösste Zwiebelauswahl trafen wir bei Loeb an: klassische Zwiebeln, rote und weisse Zwiebeln, Saucenzwiebeln, Echalotte (Bretagne) und noch nie zuvor gesehen – Oignon rosé.
  • An der Bernerin/am Berner: Das «Zwiebelprinzip» ist eine Technik des Sich-Ankleidens. Nach dem Vorbild der Zwiebel zieht man mehrere Lagen übereinander an. Corinne Jenni, die Fachfrau des Berner Sportfachgeschäfts Vaucher, erklärt, wie man sich für den Zibelemärit perfekt nach dem Zwiebelprinzip anzieht: Die erste Schicht, die direkt auf der Haut zu liegen kommt, sollte Feuchtigkeit nicht aufsaugen, sondern abtransportieren. Die zweite (Zwiebel)schicht ist der Wärmespeicher, ein Fleece-Pulli oder ein Jäckli. Als dritte Lage empfiehlt die Fachfrau einen Wetterschutz gegen Regen, Schnee und Wind. So ist man perfekt eingekleidet für drinnen und draussen. Nicht gelöst ist damit das Konfettiproblem. Die findet man dann einfach in allen Schichten.
  • Bei den Grossverteilern: Normale Zwiebeln werden bei der Migros Aare während des Zibelemärits nur minim mehr verkauft. Geflochtene Zöpfe, die speziell ins Sortiment aufgenommen werden, bietet die Migros ausschliesslich in den Stadtfilialen Bahnhof, Christoffel und Marktgasse an. Hier werden rund 1 Tonne Zwiebeln zusätzlich verkauft. Konkret sind dies etwas mehr als 800 Zöpfe. Die geflochtenen Zöpfe sind etwa eine Woche im Verkauf, also nicht nur am Montag.
  • In den Gassen: Über die Ursprünge des Zibelemärits ranken sich viele Legenden. 1421 erwähnt der Berner Chronist Conrad Justinger einen Wochenmarkt. In der Marktordnung ein paar Jahre später werden zwar zahlreiche Gemüsesorten aufgezählt, nur die Zwiebel nicht. Aber: Es gab im 15. Jahrhundert eine Gasse, in der jeweils am Dienstag Zwiebeln verkauft wurden. Ihr Name erinnert heute noch daran: Zibelegässli. Um 1500 wurde dieser Zibelemärit aber an die alte Ringmauer verlegt. Einer anderen Theorie zufolge ist der Zibelemärit ein Geschenk an die Freiburger, die nach der Feuersbrunst 1405 in Bern Hilfe geleistet haben. Und neueren Forschungen zufolge ist er erst im 18. Jahrhundert entstanden. Sicher ist jedenfalls, dass 1919 kein Zibelemärit durchgeführt wurde. Grund dafür war die grassierende Maul- und Klauenseuche.
  • Im Telefonbuch: Er sei der Einzige in der Schweiz, der so heisse. Das sagt Herr Zwiebel aus Thun. In Zürich habe es früher einen Professor Zwiebel gegeben. In den USA komme der Name häufiger vor. Und in Deutschland lebe einer, der sogar den gleichen Vornamen trage wie er, nämlich Frederik. Der Thuner Frederik Zwiebel (49) arbeitet in der Berner Innenstadt, er mag Zwiebeln – kulinarisch gesehen –, besucht den Zibelemärit aber nicht. In der Schule sei er wegen seines Namens ab und zu gehänselt worden. Heute nicht mehr. «Es gibt ja viel exotischere Namen», sagt er. Sein Vater habe sich einst auf die Suche nach den Ursprüngen des Namens gemacht, sei bei den Habsburger Kriegen gelandet, aber nicht wirklich fündig geworden. PS: In Bern gibts eine Zibele Holding AG, die aber nichts mit Zwiebeln, sondern mit dem Verwalten von Beteiligungen zu tun hat.

ber/pd/sda