• 12.12.2017
  • Praxis
Schmerz-Assessment mit Bildern

"Wie fühlt sich Ihr Schmerz an?"

Die Schwester Der Pfleger

Ausgabe 12/2017

Seite 42

Brennend, schmerzend, pochend? Welche Qualität ein Schmerz hat, ist nicht einfach zu beschreiben. Oft fehlen den Patienten auch die Worte. Mittels Bildkarten können sie ihre Schmerzen in die Bildsprache „übersetzen“ und so in den Dialog darüber treten. Am Klinikum Dortmund sind die ersten Erfahrungen mit dieser Methode sehr positiv.

Um Schmerzen zu erfassen, stehen weltweit keine objektiven Messinstrumente zur Verfügung. Es gibt weder Sonden noch Manschetten, die angelegt werden können, um die Schmerzen bei einem Menschen zu messen. So bleiben nur zwei Auswege: Man fragt die Patienten nach ihrem Schmerz oder – wenn sie nicht antworten können – man beobachtet sie zielgerichtet hinsichtlich ihres Schmerzes. Die Methode der Wahl ist dabei die Befragung, die sogenannte Selbsteinschätzung. Die Beobachtung, die sogenannte Fremdeinschätzung mit spezifischen Beobachtungsinstrumenten für das Phänomen Schmerz, ist nur dann anzuwenden, wenn die Patienten nicht selbst Auskunft zu ihrer Schmerzsituation geben können.

Zur Befragung hinsichtlich der Intensität des Schmerzes existieren zahlreiche Instrumente (Skalen). Diese helfen den Patienten, systematisch eine Auskunft zu ihrer Schmerzsituation zu geben. Eine sehr populäre Skala ist die Numerische Rangskala (NRS). Auf einer Spanne von 0 bis 10 schätzen die Patienten selbst ein, wie stark sie ihren Schmerz empfinden. Für viele Patienten ist diese Skala sehr gut geeignet, und sie wird dementsprechend häufig genutzt.

Neben der Schmerzintensität ist die Beschreibung der Schmerzqualität eine entscheidende Kenngröße, um eine zielgerichtete Schmerztherapie durchzuführen. Hierzu greifen die Patienten oftmals auf Beschreibungen wie brennend, stechend, pochend zurück. Für viele Patienten, insbesondere für diejenigen mit chronischen Schmerzen, ist es jedoch mit dieser Beschreibung nicht getan. Manchen Menschen fehlen auch die Worte, um genauer und detaillierter zu beschreiben, wie sie den Schmerz empfinden.

Dolografie – mit Bildern Schmerzen beschreiben

Eine neue Methode, um Schmerzen zu beschreiben, ist die Dolografie (2017). Sie bietet die Chance, über die Schmerzen mit dem behandelnden Team intensiv und narrativ ins Gespräch zu kommen. Die Dolografie ist die „visuelle Kommunikationshilfe für die Schmerztherapie“ (Affolter 2017, S. 29). Zwei Kommunikationsdesignerinnen, Sabine Affolter und Katja Rüfenacht, haben dazu ein „Kommunikationstool“ entwickelt, das aus 34 Bildkarten besteht. Gemeinsam mit dem Leiter der Psychosomatischen Medizin am Inselspital Bern, Dr. Niklaus Egloff, sind die Karten erprobt worden. Die Bilder auf den Karten stellen keine konkreten Gegenstände dar und entziehen sich einer eindeutigen Deutung. Es gibt kein „besser“ oder „schlechter“.

Die Patienten wählen aus den 34 Bildkarten die Bilder aus, die ihre Schmerzsituation am deutlichsten beschreiben. Über die Motive der Karten gelangt man so in ein Gespräch über die Schmerzen, das ohne diese Bilder für viele Patienten nicht möglich gewesen wäre.

Im Klinikum Dortmund werden die Patienten mit akuten und chronischen Schmerzen von pflegerischen Schmerzexperten betreut. Die Bildkarten werden seit Juni 2017 bei ausgewählten Patienten mit chronischen Schmerzen in allen Fachbereichen des Klinikums und den Patienten der multimodalen Schmerzklinik angewendet.

Zu Beginn ergab sich zunächst eine kleine, unerwartete Hürde. Denn die Dolografiekarten entsprachen nicht dem Hygienestandard des Klinikums. Alle (Papp)Karten mussten deshalb zunächst laminiert werden, damit eine Desinfektion der Karten nach jeder Anwendung gesichert ist.

Als die Bildkarten das erste Mal den Mitarbeitern vorgestellt wurden, tauchten zahlreiche Fragen auf: „Welcher Nutzen steckt darin?“, „Kann ich daraus eine Therapie ableiten?“, „Gibt es zu jeder Kartennummer eine hinterlegte Diagnose?“; „Wie viele Karten dürfen wir den Patienten vorlegen?“, „Wann ist die Kontroll­visite?“. Fragen über Fragen – aber gleichzeitig war ein großes Interesse zu spüren, die Dolografie im Klinikalltag auszuprobieren.

Bildkarten erleichtern den Dialog mit Schmerzpatienten

Zunächst folgte ein kleiner Praxistest mit zehn bis 15 Patienten. Dabei einigten sich die Beteiligten darauf, die Patienten mindestens drei Karten und maximal sechs Karten aus dem 34er-Kartensatz auswählen zu lassen. Bei Patienten, die aufgrund eines Konsils in der Betreuung der pflegerischen Schmerzexperten waren, wurde nach drei bis fünf Tagen eine Kontrollvisite durchgeführt und bei den Patienten in der multimodalen stationären Schmerzklinik nach sieben Tagen.

Nach Erklärung der Methode und Einholen des Einverständnisses für die Anwendung bekamen die Patienten zirka fünf bis zehn Minuten Zeit, um sich aus dem gesamten Set der 34 Bildkarten drei bis sechs Karten ihrer Wahl herauszusuchen. Dabei sollten sie Bilder auswählen, die ihr momentanes Schmerzempfinden am ehesten aufzeigen und in denen sich ihr Schmerzempfinden widerspiegelt. Anschließend beschrieben die Patienten zu jedem Bild ihr Schmerzempfinden und die von ihnen empfundenen Auswirkungen. Anhand der Zahlen, die auf der Rückseite einer jeden Bildkarte abgedruckt ist, erfolgte die Dokumentation in der Patientenakte.

Eine wiederholte Einschätzung des „Schmerzempfindens“ bei Therapieänderungen erfolgte bei allen Patienten nach drei bis sieben Tagen. Sehr häufig wurden dann Bildkarten ausgesucht, die für den Patienten eine Verbesserung der Schmerzerfassung darstellte.

Die Bildkarten sind eine große Hilfe im Dialog mit dem betroffenen Patient. Viele Patienten hatten zum ersten Mal das Gefühl, ihr Schmerzempfinden transparent ihrem Gegenüber erläutern zu können. Die Beschreibungen waren anhand der Bilder viel ausführlicher und detaillierter als ohne Karten. Auch für die pflegerischen Schmerzexperten sind die Bilder ein guter Einstieg in einen Kommunikationsaustausch. Durch sie ist das Schmerzempfinden besser nachvollziehbar. Eine Schlussfolgerung für eine systematische Therapiemöglichkeit ist allerdings nicht möglich und ist auch nicht das Ziel dieser Methode.

In den Visiten mit dem behandelnden Team lässt sich so konkreter über den betroffenen Patienten sprechen. Die Beschreibungen der Patienten stellen die Schmerzsituation viel deutlicher dar, als sie es zuvor – ohne die Dolografie – kommunizierten.

Patienten fühlen sich in ihrem Schmerz verstanden

Ein Großteil der Patienten ist sehr dankbar für die Karten. Sie fühlen sich verstanden. Es gab Patienten, die geweint haben, weil sie selbst zum ersten Mal „ihren Schmerz“ sehen. Ein sehr interessanter Aspekt ist, dass Patienten dieselben Karten sehr unterschiedlich bewerten und interpretieren.

Eine ganz besondere Sicht auf die visuelle Schmerzempfindung gab es bei den Patienten in der multimodalen Schmerzklinik. Bis auf wenige Ausnahmen haben alle Patienten auch eine Bildkarte gezeigt, die ihre psychosomatischen Empfindungen ausdrücken. Auffällig ist bei Patienten der Wirbelsäulenchirurgie zudem eine hohe Übereinstimmung von bestimmten Bildkarten. Ältere Patienten (Durchschnittsalter 75 Jahre) suchen sich oft eine Bildkarte aus, die ihren „Lebensschmerz“ aufzeigt. Bildkarte Nr. 8 ist die Karte, die am häufigsten von den betroffenen Patienten ausgewählt wurde (Abb. 1). Es gibt aus dem Set der 34 Bildkarten durchaus Karten, die bislang noch gar nicht ausgesucht wurden, da Patienten darin eine Hoffnungslosigkeit, Ausweglosigkeit oder den Tod sehen.

Bis auf wenige Ausnahmen gaben die Patienten durch die eingeleiteten Therapien nach Tagen eine Veränderung ihres Schmerzempfindens an. Sie wählten danach andere Karten aus als bei der ersten Einschätzung.

Bei der Kontrolle der Schmerzerfassung nach sieben Tagen in der multimodalen Schmerzklinik zogen zwei Patientinnen eine „Zielkarte“ (Beschreibung der Patienten). Dieses visuelle Bild spiegelte ihr Ziel des Schmerzempfindens wider. Diese Aussage und Idee fanden wir so gut, dass wir beschlossen haben, bei allen Patienten in der Multimodalen Schmerzklinik nach einer „Zielkarte für ihr Schmerzempfinden“ zu fragen. Alle Patienten haben dieselbe Karte gezogen: Bildkarte Nr. 22 (Abb. 2). Diese Karte vermittelt den Schmerzpatienten Ausgeglichenheit, Urlaub, Teilhabe am Leben, Spaß.

Unser Fazit zur Methode Dolografie: Die Bildkarten bieten eine wichtige Hilfestellung bei der Schmerzanamnese. Sie fördern die Kommunikation zwischen Patient, pflegerischem Schmerzexperten sowie behandelndem Team. Patienten können zum einen ihr Schmerzempfinden „sehen“ und wahrnehmen. Die Karten sind aber auch ein gutes Hilfsmittel für die Mitarbeiter, um das „Schmerzempfinden“ eines Schmerzpatienten besser verstehen zu können.

Die Methode der Dolografie könnte unter anderem auch bei fremdsprachigen Patienten eingesetzt werden. Aus unserer Sicht ist sie aber für diese Klientel eher nicht geeignet, da die Karten einen Kommunikationsaustausch fördern sollen. Das ist aber nur schwer möglich, wenn nicht ausreichend Sprachkenntnisse vorliegen. Auch mit Hilfe von übersetzenden Angehörigen konnten wir das subjektive Schmerzempfinden nicht nachvollziehen. Es wurde nicht deutlich, ob diese Beschreibungen die Schmerzempfindungen vom Patienten waren oder eher eine Interpretation der Angehörigen.

Trotz dieser Einschränkungen werden wir als pflegerische Schmerzexperten diese Bildkarten im Klinikum im Rahmen der „konsiliarischen“ Patienten und der chronisch betroffenen Schmerzpatienten zukünftig als Kommunikationsmittel weiter nutzen.

Affolter, S.: Mit Bildern den Schmerz fassbar machen. Dolografie – Die visuelle Kommunikationshilfe für die Schmerztherapie. In: Schmerz und Schmerzmanagement, Verlag Hogrefe, 2017, 29–31

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