MIPS-Helm und CoWie funktionieren Rotationssysteme im Fahrradhelm?

Stefan Frey

 · 31.08.2023

MIPS-Helm und Co: Wie funktionieren Rotationssysteme im Fahrradhelm?Foto: daniel geiger action imaging
Stürze gehören zum Biken dazu. Doch können Rotationssysteme wie MIPS das Risiko einer Gehirnerschütterung verringern?
Gelbe Schale, große Wirkung? Das innovative MIPS System im Helm soll die Gefahr einer Gehirnerschütterung bei einem Sturz mindern und kommt inzwischen bei nahezu allen Helmherstellern zum Einsatz. Wir erklären, wie Rotationssysteme funktionieren und wie gut sie wirklich schützen.

Wissenschaftliche Forschungen belegen, dass das Gehirn besonders empfindlich auf Rotation reagiert. So kommt es bei einem schrägen Aufprall, wie es beim Mountainbiken in der Regel der Fall ist, besonders häufig zu sogenannten Dissektionen und zu Verletzungen an den Gefäßen. Die Gefahr eines Schädel-Hirn-Traumas besteht. Durch MIPS (Multi-Directional Impact Protection System) soll die Rotationsenergie bei einem Aufprall verringert werden, indem eine reibungsarme Schicht ein zum Kopf versetztes Gleiten des Helms ermöglicht. So wird Rotations- in Translationsenergie umgewandelt. Wie bei einem Sturz auf Eis soll sich der Kopf so in der ursprünglichen Richtung weiterbewegen. Soviel die Theorie. Doch in der Realität gibt es dazu nur wenig belastbares Material. Wir haben in aufwändigen Tests versucht, der Wirkungsweise und dem Nutzen von MIPS-Helmen auf den Grund zu gehen

Inhalt des Artikels

MIPS - 25 Jahre Forschung

Im Jahr 2007 brachte das schwedische Unternehmen den ersten mit MIPS ausgestatteten Fahrradhelm auf den Markt. Doch insgesamt beruht das Sicherheitssystem auf 25 Jahren Forschung und Entwicklung. Schon 1996 begann der schwedische Neurochirurg Hans van Holst damit, die Konstruktion von Helmen zu untersuchen. Er wollte herausfinden, weshalb so viele Patienten mit Hirnverletzungen ins Krankenhaus eingeliefert wurden, obwohl sie einen Helm getragen hatten. Gemeinsam mit dem Ingenieur Peter Halldin, einem Wissenschaftler an der Schwedischen Königlich-Technischen-Hochschule, erkannte er, dass es bei einem Sturz in den meisten Fällen zu einem schrägen Aufprall am Boden kam. Im Gegensatz zu einem frontalen/geraden Aufprall, auf dem die Konstruktion herkömmlicher Helme beruht, treten bei einem schrägen Aufprall weitaus häufiger Traumata durch Rotationskräfte auf. Auf der Grundlage dieser Erkenntnisse entwickelten die beiden Forscher eine reibungsarme Schale, welche die Rotationskräfte, die beim Sturz auf den Kopf wirken, reduzieren sollte. MIPS war geboren.

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Die ursprünglichste Version des MIPS-Systems besteht aus einer gelben Kunststoffschale. Diese reibungsarme Schicht soll beim Aufprall ein zu Helm versetztes Gleiten von 10 bis 15 mm ermöglichenFoto: MIPSDie ursprünglichste Version des MIPS-Systems besteht aus einer gelben Kunststoffschale. Diese reibungsarme Schicht soll beim Aufprall ein zu Helm versetztes Gleiten von 10 bis 15 mm ermöglichen

Heute ist das Rotationssystem in weit über 800 Helmmodellen weltweit zu finden. Inzwischen gibt es verschiedene Ausführungen des MIPS-Systems, die eine relative Rotation zwischen Helm und Kopf von 10 bis 15 Millimetern zulassen und damit die Gefahr einer Gehirnerschütterung deutlich reduzieren sollen.

Die unterschiedlichen MIPS-Systeme

Die klassische gelbe Gleitschicht (LFL - Low Friction Layer) ist noch immer in vielen aktuellen Helmmodellen verbaut. Doch inzwischen haben die Schweden diverse Weiterentwicklungen des MIPS-Systems auf den Markt gebracht. Teilweise sind die Systeme so diskret in den Helm integriert, dass man sie beim ersten Hinsehen gar nicht erkennt. Hier ein kurzer Überblick über die MIPS-Varianten.

MIPS Essential Core

Das klassische MIPS mit gelber Schale, dem sogenannten LFL (Low Friction Layer), kommt besonders bei Volumenmodellen (Massenprodukte) oder günstigen Helmen zum Einsatz. Es wird durch kleine Elastomere im Helm gehalten. Im Test haben wir BrIC-Werte (Brain Injury Criterion) zwischen 6 und 26 Prozent gemessen.

Der Klassiker: der gelbe LFL-Layer kommt vor allem bei preiswerten Helmen zum EinsatzFoto: MIPSDer Klassiker: der gelbe LFL-Layer kommt vor allem bei preiswerten Helmen zum Einsatz

MIPS Evolve Core

MIPS Evolve Core sitzt wie Essential Core zwischen Helmschale und Polster. Eine exakte auf den jeweiligen Helm abgestimmte Passform des LFL soll die Belüftung verbessern und das Gewicht reduzieren. Scott, Julbo oder Troy Lee etwa setzen auf das System, erzielen damit aber nur mäßig gute Werte.

MIPS Evolve Core ist etwas aufwändiger in der Konstruktion und besser an das Helmdesign angepasst.Foto: MIPSMIPS Evolve Core ist etwas aufwändiger in der Konstruktion und besser an das Helmdesign angepasst.

MIPS Air/Air Node

Hier ist der Rotationsschutz nahezu unsichtbar in die Helmpolsterung integriert. Das spart Gewicht und beeinträchtigt die Belüftung nicht durch eine zusätzliche Schicht. Die Gleitschicht sitzt hier an der Innenseite der Polster. IXS und Specialized erzielen damit gute Werte im Test.

MIPS Air ist nahezu unsichtbar in die Helmpolsterung integriert.Foto: Georg GrieshaberMIPS Air ist nahezu unsichtbar in die Helmpolsterung integriert.

MIPS Spherical/Integra Split

Bell und Giro setzen auf eine aufwändige Konstruktion, die bei anderen Herstellern Integra Split heißt. Die Helme bestehen aus zwei separaten Schalen, die gegeneinander verdrehbar sind. Die Konstruktion ist aufwändig und teuer. Beide schützen im Test auf gutem Niveau.

Das besonders aufwändige Spherical oder Integra Split kommt nur in Highend-Helmen zum EinsatzFoto: MIPSDas besonders aufwändige Spherical oder Integra Split kommt nur in Highend-Helmen zum Einsatz

MIPS Integra Fuse

MIPS Integra Fuse verschmilzt das ehemals Poc-eigene SPIN-System mit MIPS. Hier befindet sich in den Polstern eine Art Silicon, das sich in alle Richtungen bewegen kann. Ähnlich wie bei MIPS Air sollen die Vorteile geringes Gewicht und gute Belüftung sein. Der Rotationsschutz jedenfalls ist sehr gut.

Poc integriert die Gleitschicht als Silikon-Gel in den PolsternFoto: MIPSPoc integriert die Gleitschicht als Silikon-Gel in den Polstern

Auch andere Hersteller haben in der Zwischenzeit eigene Rotationssysteme entwickelt. 100% nennt sein System Smartshock, Leatt verbaut seine sogenannten 360° Turbine Technology in den Helmen und Kali setzt auf den Low Density Layer. Auch Bontrager hat ein eigenes Schutzystem im Programm – WaveCel. Die Systeme sollen die Gefahr einer Gehirnerschütterung laut Herstellern um bis zu 40 Prozent reduzieren.

Rotationssysteme anderer Hersteller

Smartshock/100% Zwischen Helmschale und Polster sind kleine, bewegliche Elastomere integriert. Die Smartshock-Puffer sollen Stöße absorbieren und die bei einem schrägen Aufprall auftretende Rotationsenergie ableiten. Auf dem Prüfstand zeigt Smartshock keine überzeugende Wirkung.

360˚ Turbine/Leatt

Kleine, um 360 Grad bewegliche Scheiben aus flexiblem Kunststoff an der Innenseite der Helmschale sollen lineare Stöße um bis zu 30 Prozent dämpfen und Rotationsbeschleunigung um bis zu 40 Prozent verringern. Im Vergleich zu Helmen mit MIPS liegt das Risiko einer Gehirnerschütterung deutlich höher.

Die kleinen Discs im Inneren der Leatt-Helme bestehen aus einem Energie-absorbierenden Polymer.Foto: LeattDie kleinen Discs im Inneren der Leatt-Helme bestehen aus einem Energie-absorbierenden Polymer.

WaveCel/Bontrager

WaveCel ist eine komprimierbare Zellstruktur an der Innenseite der Helmschale. Bei einem Aufprall verbiegen sich die Zellen, werden dann komprimiert wie ein Stoßfänger und sollen sich schließlich verschieben, um die Energie vom Kopf wegzuführen. Das System liegt unter dem Durchschnitt der MIPS-Werte.

Bontrager erzielt mit seiner wellenförmigen Zellstruktur sehr gute Werte im Crash-Test.Foto: Trek BicycleBontrager erzielt mit seiner wellenförmigen Zellstruktur sehr gute Werte im Crash-Test.

LDL (Low Density Layer)/Kali

Ähnlich wie Leatt verbaut Kali an der Innenseite des Helms visco-elastische Einsätze. Sie sollen Hotspots beim Aufprall reduzieren. Die angepriesenen bis zu 25 Prozent geringeren Rotationskräfte und bis zu 30 Prozent verringerten g-Kräfte bei linearen Stößen kann das System nicht einhalten. Im Vergleich zu MIPS eher geringe Wirkung.

LDL soll gleichermaßen lineare wie auch Rotations-Kräfte verringern. Im Test konnten wir die Wirkung nicht bestätigen.Foto: KaliLDL soll gleichermaßen lineare wie auch Rotations-Kräfte verringern. Im Test konnten wir die Wirkung nicht bestätigen.

Wenig unabhängige Studien zu Wirkung von MIPS-Systemen im Helm

Einen Beweis für die Wirkung bleiben die Hersteller in der Regel schuldig. Und auch die Wirkung von MIPS lässt sich kaum durch unabhängige Studien belegen. Selbst der TÜV kann hier nicht weiterhelfen. Die aktuell geltende Prüfnorm für Helme EN 1078 beinhaltet keine Prüfung der Rotationskräfte. Während im Motorradbereich 2022 mit der ECE 22.06 auch eine Rotationsprüfung eingeführt wurde, wird im Fahrradbereich noch immer über eine Anpassung der Norm diskutiert – Ausgang ungewiss. Forscher und Entwickler, die in den unabhängigen Gremien neue Prüfnormen diskutieren, gehen aber davon aus, dass in drei bis vier Jahren auch in der europäischen Prüfnorm für Helme eine Rotationsprüfung verankert wird. So lange wollten wir allerdings nicht warten.

BIKE entwickelt eigenen Helmprüfstand

Um die aktuelle Helmgeneration realitätsnah zu prüfen, haben wir 2020 in Eigenregie einen Helmprüfstand entwickelt und uns dabei an den in der Wissenschaft und von forschenden Herstellern eingesetzten Methoden orientiert. Für den Test wird der Helm auf einen 4,9 Kilogramm schweren Prüfkopf aus Aluminium angepasst. Helm und Kopf werden beim simulierten Sturz auf einem Schlitten geführt und treffen mit 21 km/h auf eine im Winkel von 45 Grad geneigte Stahlfläche auf. Schleifpapier in 40er-Körnung imitiert die Rauheit des Untergrunds.

Unser Helm-Prüfstand im BIKE-Labor orientiert sich am aktuellsten Stand der Wissenschaft und misst dank 6-Achsen-Sensor auch RotationsbeschleunigungenFoto: Georg GrieshaberUnser Helm-Prüfstand im BIKE-Labor orientiert sich am aktuellsten Stand der Wissenschaft und misst dank 6-Achsen-Sensor auch Rotationsbeschleunigungen

Damit gehen wir analog zu den Prüfeinrichtungen Virginia Tech, Folksam und anderen Forschungseinrichtungen vor. Der Schlitten saust an der Auflagefläche vorbei und gibt den Helm frei, der nach dem Aufprall wegspringt. Ein Sechs-Komponenten Sensor im Prüfkopf zeichnet Beschleunigung und Drehraten um die drei Achsen im Raum beim Aufprall und in der sich anschließenden Flugphase auf. Im ersten Anlauf trifft der Helm frontal auf, im zweiten auf der Seite. Die Beschleunigung werten wir nach dem größten resultierenden Wert aus – je niedriger desto besser. Angegeben wird der Mittelwert aus vier Messungen.

Risiko einer Gehirnerschütterung im Schnitt bei 16 Prozent

Die Kopfrotation rechnen wir um zu einem BrIC-Wert (Brain Injury Criterion), der aussagt, wie schädlich die Bewegung für das Gehirn ist. Diese Methode ist in der Wissenschaft verbreitet und ermöglicht über den sogenannten AIS-Code Aussagen zur Wahrscheinlichkeit einer Gehirnerschütterung.

Können MIPS und Co das Risiko einer Gehirnerschütterung bei einem Sturz mindern? Unser Test liefert eine klare Antwort.Foto: BIKE RedaktionKönnen MIPS und Co das Risiko einer Gehirnerschütterung bei einem Sturz mindern? Unser Test liefert eine klare Antwort.

In unserem aktuellen Test (BIKE 10/2023) lag die Wahrscheinlichkeit, mit einem mit MIPS ausgestatteten Helm eine Gehirnerschütterung zu erleiden (nach AIS-Code) im Schnitt bei ca. 16 Prozent. Die Wirksamkeit der einzelnen Systeme hängt stark von der Integration in den Helm ab. Generell lässt sich nicht sagen, dass eine bestimmte Ausführung besser schützt als andere. Im Test haben wir bei den unterschiedlichen MIPS-Systemen Risken für eine Gehirnerschütterung zwischen 6 und 26 Prozent gemessen.

MIPS senkt das Risiko einer Gehirnerschütterung deutlich

Im Vergleich beträgt das Risiko bei Modellen ohne MIPS im aktuellen Test 35,5 Prozent. MIPS senkt das Risiko eine Gehirnerschütterung zu erleiden deutlich, allerdings abhängig vom verbauten System. Nur Bontragers WaveCel-Technologie liefert mit einer Wahrscheinlichkeit von 7 Prozent vergleichbar gute Werte. Auch im letzten Helmtest konnte das System mit einer Wahrscheinlichkeit von 15 Prozent, jedoch an einem anderen Modell, bereits überzeugen.

Nur Bontragers WaveCel-Technologie erzielt ähnlich gute Werte wie die besten Helme mit MIPS | Grafik: Stefan FreyNur Bontragers WaveCel-Technologie erzielt ähnlich gute Werte wie die besten Helme mit MIPS | Grafik: Stefan Frey

Rotationssysteme anderer Hersteller mit geringer Wirkung

Eine positive Wirkung anderer Rotationssysteme konnten wir im Test übrigens nicht bestätigen. Während das Risiko für eine mittlere Gehirnerschütterung bei Smartshock im Test bei 35 Prozent liegt (2020 erzielte das System lediglich einen Wert von 50 Prozent, ebenfalls in einem anderen Helmmodell), kann auch 360° Turbine von Leatt nicht überzeugen. Hier liegt der Wert bei doch sehr hohen 44 Prozent. Kali war in unserem Test 2023 nicht vertreten. Der Wert aus dem Jahr 2020 lässt mit 33 Prozent aber ebenfalls auf eine deutlich geringere Wirkung als MIPS schließen.

Vergleich mit MIPS / ohne MIPS

Spannend ist natürlich auch die Frage, wie gut das MIPS-System im direkten Vergleich schützt. Nach wie vor sind einige Helmmodelle am Markt sowohl mit als auch ohne zusätzlichen MIPS-Layer erhältlich. Im direkten Vergleich lässt sich die Wirkung des schwedischen Sicherheitssystems daher am besten verdeutlichen. Zur Veranschaulichung haben wir im Test in BIKE 2020 neben dem Lazer Impala MIPS auch das identische Modell ohne MIPS getestet. Unser Experiment mit den beiden Impala-Modellen beweist eindeutig eine Verbesserung der Crash-Testwerte zugunsten des MIPS-Helms. Auch der Vergleich des IXS Trigger AM mit und ohne MIPS bestätigt diese These. Lagen im Test 2020 die Rotationswerte noch bei 44 Prozent, reduziert der Einsatz von MIPS im Test 2023 das Risiko einer Gehirnerschütterung auf gerade mal 10 Prozent. Ein hoch signifikanter Wert.

Natürlich hat MIPS nicht nur Vorteile: Im Schnitt kostet ein Helm mit MIPS etwa 25 Euro mehr. Je nach eingesetzter Version steigt auch das Gewicht um einige Gramm.

Lazer Impala vs. Lazer Impala MIPS

Beim Impala ohne MIPS besteht ein deutliches Risiko einer Gehirnerschütterung im Fall eines Sturzes.Foto: Georg GrieshaberBeim Impala ohne MIPS besteht ein deutliches Risiko einer Gehirnerschütterung im Fall eines Sturzes.

Mit 130 Euro kostet der Impala ohne MIPS 20 Euro weniger und spart zudem 30 Gramm Gewicht ein. Ansonsten sind die beiden Helme identisch aufgebaut. Die Wahrscheinlichkeit, bei einem Sturz eine mittlere Gehirnerschütterung zu erleiden liegt hier bei 39 Prozent, die Beschleunigungskraft beim Aufprall beträgt 109,8 g.

Gleicher Helm, besserer Schutz. Mit MIPS erzielt der Impala bessere Werte auf dem PrüfstandFoto: Georg GrieshaberGleicher Helm, besserer Schutz. Mit MIPS erzielt der Impala bessere Werte auf dem Prüfstand

Beim Lazer Impala MIPS liegt die Wahrscheinlichkeit, eine mittlere Gehirnerschütterung zu erleiden, bei nur noch 26 Prozent. Auch die Beschleunigungskräfte verringern sich leicht auf 98,5 g. Die dünne, gleitende Schale im Inneren des Helms hat unserer Meinung nach keinen negativen Einfluss auf den Tragekomfort.

IXS Trigger AM vs. IXS Trigger AM MIPS

Noch deutlicher zeigt sich der Unterschied beim IXS Trigger. Während der Helm ohne MIPS bei einer Wahrscheinlichkeit, eine mittlere Gehirnerschütterung zu erleiden, von 44 Prozent liegt, erzielt der Trigger AM mit MIPS deutlich bessere Werte. Eine Reduktion auf gerade mal 10 Prozent sind enorm. Die Beschleunigungswerte ändern sich nur geringfügig. Während der Preis mit 189 Euro beim Trigger AM MIPS stark erhöht wurde, konnte das Gewicht um gut 40 Gramm reduziert werden.

2020 noch MIPS im Test, schützt die aktuelle Version mit MIPS Air messbar besser vor Rotations-ImpactsFoto: Hersteller2020 noch MIPS im Test, schützt die aktuelle Version mit MIPS Air messbar besser vor Rotations-Impacts

Wie funktioniert MIPS im Helm?

Mit einer Grafik unseres Helmprüfstands lässt sich die Wirkung von MIPS auch bildhaft darstellen. Die Grafik zeigt die Messergebnisse des Cube Heron (TOUR 6/2023) nach einem Crashtest. Die sechs Kurven bilden ab, was die sechs Sensoren im Helm beim schrägen Aufprall gemessen haben: jeweils drei Beschleunigungs- und drei Rotationswerte. Die Grafik zeigt, dass das MIPS-System hier die Rotation des Kopfes auf 400 °/s dämpft. Ohne MIPS haben wir im Test Werte bis 1.500 °/s gemessen.

Sieht kompliziert aus, ist es auch! Die gestrichelte Linie zeigt, wie ein Impact ohne MIPS aussehen könnte. Die Kurve mit MIPS-System erzeugt deutlich geringere Rotationswerte.Foto: Robert KühnenSieht kompliziert aus, ist es auch! Die gestrichelte Linie zeigt, wie ein Impact ohne MIPS aussehen könnte. Die Kurve mit MIPS-System erzeugt deutlich geringere Rotationswerte.

Interview mit Prof. Dr. med. Stefan Lorenzl

Prof. Dr. med. Lorenzl ist Experte für Erkrankungen wie Parkinson und Multiple Sklerose.Foto: PrivatProf. Dr. med. Lorenzl ist Experte für Erkrankungen wie Parkinson und Multiple Sklerose.

BIKE: Die Norm legt den Grenzwert bei Beschleunigungswerten für den Kopf auf 250 g fest. Welche Folgen hätte so ein Impact?

Stefan Lorenzl: 250 Mal die Erdbeschleunigung – das hört sich erst mal wahnsinnig viel an. Das kann aber schon bei einem Sturz aus etwa anderthalb Metern frontal auf den Kopf zusammenkommen. Ohne Helm kann das tödlich sein. Da bricht ganz banal gesagt der Schädelknochen.

Die besten Helme im Test liegen bei etwa 80 g. Wie sieht es hier mit den Verletzungen aus?

Das ist wirklich schon ein annehmbarer Wert. Seit immer mehr Fahrradfahrer Helm tragen, gibt es deutlich weniger schwere und tödliche Verletzungen, gerade auch bei den Mountainbikern.

Wäre es nicht sinnvoll, den Grenzwert in der Norm nach unten anzupassen?

Das würde ich auf jeden Fall empfehlen. Wir sehen ja auch, dass es selbst mit den aktuellen Helmen noch zu teilweise schweren Verletzungen kommen kann. Besonders im Straßenverkehr wirken hier oft noch ganz andere Kräfte. Zumal die Helme ja auch nicht für die verschiedenen Aufprallformen, sondern nur für den linearen Impact getestet werden.

In der Praxis trifft der Biker aber meist schräg auf die Oberfläche auf.

Hier kommt es wesentlich häufiger zu sogenannten Dissektionen und zu Verletzungen an den Gefäßen, die durch Rotationskräfte hervorgerufen werden. Da reicht schon eine schnelle Bewegung nach hinten. Als schwerwiegendste Folge können dadurch auch Schlaganfälle auftreten.

Wie ist die Wirkungsweise von MIPS aus medizinischer Sicht zu sehen?

Diese Technologie wird nach wie vor kontrovers diskutiert. Bisher gibt es nur wenig gute wissenschaftliche Studien dazu, oft fehlt die Objektivität.

Laut unseren Testergebnissen verringert MIPS die Wahrscheinlichkeit einer mittleren Gehirnerschütterung im Schnitt um 50 Prozent.

Unter diesen Testbedingungen sind die Ergebnisse schon wirklich interessant, das System scheint tatsächlich Sinn zu machen. Die Werte sind ja hoch signifikant. In Forschung und Entwicklung würden Risikoreduktionen um 10 bis 20 Prozent schon aufhorchen lassen. Die im Test gemessene Spanne ist auf jeden Fall erheblich. Für mich scheint die Wirksamkeit plausibel zu sein.

Fazit – MIPS mit messbarer Schutzwirkung

Unsere Messungen aus den vergangenen beiden Tests zeigen klar, dass MIPS die schädlichen Rotationskräfte auf den Kopf deutlich reduzieren kann. Die Wirkung von MIPS hängt allerdings stark mit dem jeweils verbauten System zusammen und vor allem, wie gut MIPS in das jeweilige Helmmodell integriert wurde. Als einziges Rotationssystem eines anderen Herstellers kann WaveCel von Bontrager mit sehr guten Werten beim Rotationsschutz mit dem Branchen-Primus MIPS mithalten. Die übrigen Systeme wie Smartshock, 360° Turbine oder LDL reduzieren die gefährlichen Kräfte laut unseren Messungen entweder gar nicht oder nur in sehr geringem Maße.

Auch wenn Helme mit MIPS besser Schützen als Modelle ohne das Rotationssystem, kann kein Helm einen hundertprozentigen Schutz vor Gehirnerschütterungen garantieren. In unseren Augen ist der Gewinn an Sicherheit einen Aufpreis von etwa 10 bis 15 Euro für einen mit MIPS bestückten Helm aber allemal wert.

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