Profil der Flandern-Rundfahrt 2024

Es ist das ganz große Highlight des belgischen Radsport-Frühjahrs. Ein Festtag in Flandern, ein unglaubliches Radsport-Event. Die Ronde van Vlaanderen ist ein nationales Heiligtum, eines der fünf Monumente und ein legendärer Kopfsteinpflaster-Klassiker mit mehr als 100 Jahren Tradition.

Die Flandern-Rundfahrt hat enormes Prestige, ist aber auch ein brutal hartes Rennen. Satte 270 Kilometer lang, über 17 Anstiege und 7 flache Kopfsteinpflaster-Passagen. Im Vergleich zu 2023 sind es zwei Anstiege weniger – viel leichter wird es dennoch nicht. Der Parcours ist etwas anders als im vergangenen Jahr, denn der Startort wechselte wieder von Brügge nach Antwerpen.

Die Klassikerspezialisten und natürlich auch die Fans fiebern seit Wochen „Vlaanderens Mooiste“ entgegen. Etwas getrübt ist die Stimmung vor allem bei den belgischen Fans – denn Wout van Aert, Kapitän des Teams Visma | Lease a Bike, stürzte bei Dwars Door Vlaanderen schwer und muss nun auf seine Frühjahrs-Höhepunkte verzichten. Weder bei der Flandern-Rundfahrt, noch bei Paris-Roubaix wird Van Aert starten können. Ebenso ist sein belgischer Landsmann Jasper Stuyven vom Team Lidl-Trek nicht dabei, nachdem er auch in diesen Highspeed-Sturz verwickelt war.


In unserem Vorschau-Podcast haben wir über die Auswirkungen dieser Ausfälle auf die Flandern-Rundfahrt gesprochen.

Die Strecke der Ronde van Vlaanderen 2024

Gestartet wird das Rennen in Antwerpen. Nach einer längeren Neutralisation erfolgt dann am Stadtrand der scharfe Start. Die ersten Kilometer sind wenig anspruchsvoll, aber es kann dennoch heftig losgehen. Denn einige Teams haben ein Interesse daran, Fahrer in einer Fluchtgruppe zu platzieren. Andere Teams wollen aber diese Gruppe nicht eher klein halten und setzen nach, wenn ihnen die Konstellation nicht passt. So kann es dazu kommen, dass munter attackiert, aber auch entsprechend intensiv nachgesetzt wird. Bei einem dadurch bedingt schnellen Rennstart kann es einige Kilometer dauern, ehe die Gruppe des Tages steht.

Nach 104 Kilometern ist mit der Lippenhovestraat das erste Pflasterstück erreicht. Rund 10 Kilometer später geht es durch den Zielort Oudenaarde. Danach dann in die Flämischen Ardennen mit den unzähligen Anstiegen – „Hellingen“.

Die Schleifen der Flandern-Rundfahrt 2024

Wie in den vergangenen Jahren wird der Oude Kwaremont insgesamt drei Mal erklommen. Er ist bei dieser Austragung der erste Anstieg. Nach der ersten Passage des Oude Kwaremont geht es zunächst auf eine große Schleife (Bild oben = gelb), dann auf eine kleinere (Bild oben = Orange) und zum Abschluss über das Kwaremont-Paterberg-Doppel (Bild oben = rot), ehe es zum Ziel in Oudenaarde geht.

In der großen Schleife zu Beginn des Auf & Ab geht es nach dem Kwaremont über den Kapellberg und den Pflaster-Abschnitt Holleweg zum Wolvenberg und anschließend über Kerkgate und Jagerij zum Molenberg – oft eine wichtige Schlüsselstelle rund 100 Kilometer vor dem Ende.

In der Anfahrt zum schmalen Molenberg wird hart um die Positionen gekämpft, das Feld zerfällt bergan meist in Stücke. Wer früh die Konkurrenz unter Druck setzten will, kann hier in die Offensive gehen.

Anschließend geht es dann über Marlboroughstraat zum Berendries und weiter über Valkenberg, Berg Ten Houte und Hotond zurück zum Oude Kwaremont. Diesen geht es dann etwa 55 Kilometer vor dem Ziel wieder hinauf und die zweite Schleife beginnt.

Auf dieser Schleife wird es dann direkt heftig! Nach dem Kwaremont geht es direkt den supersteilen Paterberg hinauf und dann zum gefürchteten Koppenberg.

Über Steenbeekdries geht es zum Taaienberg – auch einer der gefürchteten Anstiege. Anschließend geht es dann über den Oude Kruisberg hinauf zum Hotond. Oft war dies in der Vergangenheit eine Stelle, wo man sehr gut sehen konnte, wie die Kräfteverhältnisse der verbliebenen Favoriten sind.

Hinab geht es zum Fuße des Kwaremont wo die letzte kleine Schleife über Oude Kwaremont und Paterberg das Berg-Finale des Rennens bildet. Rund 13 Kilometer sind es nach dem Paterberg bis ins Ziel nach Oudenaarde.

Die Favoriten der Flandern-Rundfahrt 2024

In Abwesenheit von Titelverteidiger Tadej Pogacar waren Mathieu van der Poel und Wout van Aert als die beiden Top-Favoriten gehandelt. Van Aert hatte sich gezielt vorbereitet, wollte endlich seinen Sieg bei der Ronde einfahren. Doch dann stürzte er am Mittwoch und fällt nun aus. Damit hat Van der Poel nun die Rolle des alleinigen Top-Favoriten. Die Konkurrenz wird ihm die Last des Rennens übertragen und versuchen, jede Chance zu nutzen, Van der Poel in Bedrängnis zu bringen. Der Weltmeister ist aktuell eine Klasse für sich, doch sein Team scheint nicht allzu stark zu sein. Das könnte die Konkurrenz versuchen zu nutzen, Van der Poel früh in die Defensive zu zwingen. Das Lidl-Trek-Team hat das bei Gent-Wevelgem erfolgreich praktiziert und den Sieg mit Mads Pedersen eingefahren.

Das Lidl-Trek Team war in der Breite in den vergangenen Wochen extrem stark. Jonathan Milan, Jasper Stuyven und Mads Pedersen agierten sehr stark. Dazu zeigte sich auch Toms Skujins in sehr guter Form! Beim E3-Prijs und auch bei Gent-Wevelgem waren sie die stärkste Equipe. Holten einen Sieg und ein Podium. Doch auch sie traf der Highspeed-Crash bei Dwars Door Vlaanderen hart. Stuyven fällt für den Rest des Frühjahrs aus, Pedersen kam auch zu Fall, erwischte es aber nicht ganz so schlimm. Auch Helfer Alex Kirsch verletzte sich. Somit hat sich die Breite des Kaders mit einem Schlag stark reduziert. Im direkten Duell „Mann gegen Mann“ wird man Van der Poel wohl nicht schlagen können, braucht taktisch einen Ansatz, sich einen Vorteil vor dem Finale zu sichern.

Das Team UAE könnte die stärkste Mannschaft im Rennen sein. Nils Politt, Tim Wellens, Mikkel Bjerg, Marc Hirschi – das Team hat mehrere Optionen. Um sich gegen Van der Poel in eine gute Position zu bringen, wird man früh in die Offensive gehen müssen. Idealerweise gelingt es, eine Überzahl-Situation zu kreieren, um dann abwechselnd angreifen zu können und Van der Poel in die Defensive zu zwingen. Bjerg und Politt wären gemeinsam mit Hirschi Fahrer für eine frühe Attacke in den flämischen Ardennen, während Wellens vielleicht zunächst noch Körner spart und dann im echten Finale in Erscheinung tritt.

Bei Visma Lease a Bike war die Leaderrolle klar – bis zum tragischen Rennunfall am Mittwoch. Wout van Aert war der Kapitän und das ganze Team sollte den Belgier unterstützen. Daraus wird nun nichts. Mit Matteo Jorgenson und Tiesj Benoot hat man starke Fahrer am Start, doch das Team ist insgesamt arg gebeutelt. Van Aert fehlt komplett, Jan Tratnik musste nach dem Sturz ebenfalls absagen. Man darf gespannt sein, mit welchem taktischen Ansatz man ins Rennen geht. Ohne Van Aert kann man nun frei und offensiv agieren, hat wenig zu verlieren.

Beim Team Bahrain-Victorious dürfte Matej Mohoric der Kapitän sein. Der Slowene ist ein sehr schlauer Fahrer, dazu ein extrem guter Bikehandler. Bei der Flandern-Rundfahrt konnte der Sanremo-Sieger von 2022 noch kein Top-Ergebnis einfahren, zeigte aber dennoch starke Leistungen. Er profitiert von einem offensiven Rennen, hat ein gutes Gespür für die richtige Attacke und kann auch ein längeres Solo hinlegen. Mit Fred Wright hat das Team eine weitere Option. Mohoric ist sicher einer der Fahrer, die versuchen, früh eine Favoritengruppe zu initiieren. Er könnte eine der Überraschungen des Tages sein.

Groupama-FDJ hat mit Stefan Küng einen Fahrer aus dem erweiterten Favoritenkreis. Der Schweizer ist extrem stark, verfügt über viel Power. Im direkten Duell gegen Mathieu van der Poel hat es Küng schwer, vor allem bergauf. Aber seine Kräfte gut eingesetzt, kann Küng in jedem Fall um einen Platz auf dem Podest kämpfen. Gelingt es, Van der Poel anzuhängen, ist für Küng sogar noch mehr drin.

EF Education – EasyPost hat Ex-Rondesieger Alberto Bettiol als Kapitän dabei. Inzwischen sind fünf Jahre seit Bettiols Sieg in Oudenaarde vergangen. Viel zu selten zeigte er in den zurückliegenden Jahren seine Klasse. Durch gesundheitlich Probleme ausgebremst gelangen zu wenige Erfolge. Doch der 30-Jährige präsentierte sich zuletzt wieder in sehr guter Verfassung und sollte nicht unterschätzt werden. Im Gegenteil – nach dem Ausfall von Van Aert zählt Bettiol zum Kreis der Favoriten auf einen Podestplatz. Mit Fahrern wie Jonas Rutsch, Stefan Bisseger und Michael Valgren an seiner Seite ist ihm viel zuzutrauen.

Movistar hat ebenfalls ein starkes Team am Start. Mit Oir Lazkano und Iva Cortina zwei gute Optionen, dazu noch Johan Jakobs. Vor allem Lazkano ist für seine offensive Fahrweise bekannt. So dürfte er die Option für eine frühe Attacke sein, während der durchaus endschnelle Cortina vielleicht eher defensiv agiert.

Bora-hansgrohe zählt nicht zu den Favoriten-Teams. Die Mannschaft um Nico Denz und Marco Haller wird versuchen, das Rennen offensiv zu gestalten. Vielleicht darf wieder Nachwuchshoffnung Emil Herzog in die Gruppe des Tages.

Bei Intermarché-Wanty ist es ähnlich wie bei Lidl-Trek oder Visma | Lease a Bike – beim Sturz bei Dwars door Vlaanderen erwischte es ihre größte Hoffnung für die Ronde. Bini Girmay stürzte ebenfalls schwer und so darf man von ihm für die Ronde wohl nicht all zu viel erwarten. Bitter, denn der Ex-Wevelgemsieger zeigte sich zuletzt in sehr guter Form. Nun liegen die Hoffnungen auf Mike Teunissen, Hugo Page und Laurenz Rex. Auch Georg Zimmermann wird dabei sein und sein Ronde-Debüt geben. Das Team wird vermutlich offensiv agieren wollen.

Soudal-QuickStep war über Jahre die dominierende Klassikermannschaft. Doch vom Glanz vergangener Tage ist wenig übrig. Mit Kasper Asgreen hat man zwar einen Ex-Ronde-Champion in den eigenen Reihen, doch der Däne fuhr zuletzt nur hinterher. Auch Yves Lampaert wirkt nicht so stark, wie vor Jahren. Das gilt auch für Julian Alaphilippe. So wird das Team vermutlich ebenfalls eine offensive Herangehensweise suchen, um einen ihrer Fahrer vor den Favoriten zu platzieren, wenn dort die Post abgeht. Vielleicht schickt man sogar Gianni Moscon in die frühe Gruppe des Tages. Mal abwarten, was sich die erfahrenen Sportlichen Leiter ausdenken. Zu den Favoriten auf den Sieg zählen sie nicht.

Jayco-AlUla, Ineos Grenadiers, dsm-firmenich PostNL, Decathlon AG2R La Mondiale, Lotto-Dstny haben durchaus starke Mannschaften, stellen aber keinen der Top-Favoriten auf den Sieg. Jayco-AlUla hat beispielsweise mit Michael Matthews einen Fahrer, der bereits in den Top10 war. Bei Ineos sollte man Turner, Tarling und Sheffield in Gruppen nicht unterschätzen und De Bondt, Naesen und Boasson-Hagen bei Decathlon sind ebenfalls als erfahrene Klassikerspezialisten bekannt. Auch diese Teams darf man in Gruppen erwarten.


Q36.5 schickt Jannik Steimle ins Rennen und er wird versuchen, in der Fluchtgruppe zu sein. Bei Tudor hat man mit Matteo Trentin eine echte Chance auf ein Top10-Resultat. Uno-X Mobility hat eine Reihe starker Fahrer dabei und Routinier Kristoff als Leader. Auch sie werden offensiv agieren. Ähnliches gilt für Israel – Premier Tech, die mit Dylan Teuns, Krists Neilands und dem endschnellen Corbin Strong durchaus gut aufgestellt sind.

Wie kann das Rennen laufen?

Durch das Fehlen von Pogacar und Van Aert könnten viele Mannschaften die Chance sehen, dass eine frühe Gruppe sehr weit kommen kann, weil Alpecin-Deceuninck die Last des Rennens allein tragen muss. Das könnte dazu führen, dass es einen schnellen Beginn gibt – einen harten Kampf um die Gruppe. Ist dann Oudenaarde passiert, geht es in den Oude Kwaremont – der erste Helling. Dort kommt der Wind voraussichtlich schräg von vorn, auf der breiten Straße im Anschluss dürfte Gegenwind sein. Für einen Angriff nicht ideal.

Eine Schlüsselstelle war in der Vergangenheit oft der Molenberg, das könnte auch in diesem Jahr so sein. Vielleicht bekommt auch der Berendries eine besondere Bedeutung, denn direkt nach dem Anstieg bläst der Wind von der Seite. Reißt es bergauf oder über die Kuppe, könnten dort anschließend richtig Lücken aufgehen. Rund 91 Kilometer vor dem Ende eine gute Gelegenheit, eine Gruppe mit starken Fahrern in die Offensive zu schicken, um vor dem echten Finale einen Vorsprung auf Van der Poel herauszufahren.

Zurück am Kwaremont beginnt dann wohl 55 Kilometer vor Ziel am Helling-Triple Oude Kwaremont, Paterberg & Koppenberg das echte Finale der Flandern-Rundfahrt 2024. Sich hier aus dem Feld absetzen zu wollen, um einen komfortablen Vorsprung auf Van der Poel herauszufahren, dürfte vielleicht zu spät im Rennen sein. Gut möglich, dass Van der Poel selbst bereits dort das Tempo anzieht und die Favoritengruppe endgültig sprengt. Gelingt es Alpecin-Deceuninck im Vorfeld sogar, einen Fahrer davor zu platzieren, wird dieses Szenario noch wahrscheinlicher.

Über Ronse und Hotond geht es zurück zum Kwaremont-Paterberg-Doppel als Finale. Hier wird auf die Straße gehauen, was noch im Tank ist. Hat Van der Poel noch Begleiter, wird er versuchen sie abzuschütteln.

Der Weltmeister bestimmt maßgeblich den Verlauf, beeinflußt die Taktik der Konkurrenz. Denn gemeinsam mit Van der Poel auf die letzte Kwaremont-Paterberg-Schleife zu gehen, dürfte für die allermeisten im Feld mit einer Niederlage enden. Sollte Mathieu van der Poel aus irgendeinem Grund früh im Rennen ausscheiden, kann es eines der offensten Rennen in der jüngeren Geschichte der Flandern-Rundfahrt werden.

***** Mathieu van der Poel
**** Matteo Jorgenson, Alberto Bettiol
*** Mohoric, Van Baarle, Pedersen, Küng
** Skujins, Wellens, Lazkano, Politt, Girmay
* Wright, Madouas, Trentin, Benoot, Milan, Sheffield, Alaphilippe, Asgreen

Start: 10 Uhr
Ziel: ~ 17 Uhr

Startliste der Flandern-Rundfahrt 2024:

Data powered by FirstCycling.com


Das Rennen der Frauen startet und endet in Oudenaarde. Es führt über 163 Kilometer. Satte 12 Hellinge und 7 Pflasterabschnitte machen den Parcours zu einer echten Herausforderung.

Die Rolle der Top-Favoritin dürfte bei Lotte Kopekcy liegen. Sie fährt extrem stark und der Parcours liegt ihr. Aber auch Marianne Vos und Elisa Longo Borghini sollte man auf dem Zettel haben. Gepannt darf man auf die beiden Crosserinnen Shirin van Anrooij und Puck Pieterse sein. Vor allem Van Anrooij zeigt bislang eine gute Straßen-Saison. Pieterse ist mit ihrer offensiven Fahrweise oft ein Faktor in den Rennen, wie gut sie mit der langen Distanz zurecht kommt, bleibt abzuwarten.

Bei Demi Vollering gibt es gerade viel Unruhe, wegen ihres wohl bevorstehenden Teamwechsels. Vielleicht setzt das Extra-Motivation frei. Es gibt einige andere Fahrerinnen, die man durchaus auf dem Zettel haben sollte. Beispielsweise Pfeiffer Georgi, Katarzyna Niewiadoma, Silvia Persico, Marlen Reusser, Kristen Faulkner, Thalita de Jong, Fem van Empel, Letizia Paternoster oder auch Mischa Bredewold.

Start: 13:25 Uhr
Ziel: ~18 Uhr

Startliste bei PCS