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Opinion
Radsport

Die 6 Risiken der Tour 2014

Andreas Schulz

Publiziert 28/05/2015 um 16:04 GMT+2 Uhr

Nach dem großen Jubiläum voller Highlights soll die 101. Tour 2014 mit der Brechstange spannend gemacht werden. Das könnte auch in die Hose gehen.

Eurosport

Fotocredit: Eurosport

Risiko 1: Zu steinig
Schon klar – damit mache ich mich jetzt nicht beliebt. Ich kenne die Argumente der Pavé-Liebhaber. Aber die Tour ist kein Eintagesrennen wie Paris-Roubaix. Die Spannung, die durch Sturz- und Defektrisiko entsteht, kitzelt den Fan – aber sie ist unfair. Klassiker-Spezialisten haben im Frühjahr immer neue Chancen, die Tour-Favoriten aber sehen sich vielleicht schon am 5. Tag um alle Chancen für ein dreiwöchiges Rennen gebracht und nicht nur um einen Tagessieg.
Ich habe nicht vergessen, wie Frank Schleck 2010 schreiend im Straßengraben lag oder sich Lance Armstrong nach Reifenschaden plötzlich einsam durch die Staubwolken kämpfte. Die Tour bringt sich auf den Pavés unnötig um Favoriten, die sie später für einen packenden Kampf ums Podium brauchen könnte, das galt 2004 wie 2010.
Wenn Fahrer "mit allen Bedingungen klarkommen müssen", warum haben wir dann die 3km-Regel bei Flachetappen eingeführt? Warum wässern wir dann nicht mal eine Abfahrt, mit Regen muss man schließlich wohl fertig werden können? Warum wurde dann 2010 just am Tag vor der Pavé-Etappe das Teilstück nach Spa nach den vielen Stürzen neutralisiert?
Einerseits wird jedes Schlagloch auf dem Rest der Tourstrecke säuberlich versiegelt – und dann jagt man über historisches Pflaster? Für mich passt das nicht. Dass man Zahl, Länge und Nähe der Pavé-Stücke im Vergleich zu 2010 noch erhöht hat ist für mich einer Sensationslust geschuldet, die die Tour nicht nötig hat.
Und dass Bernhard Hinault launig erzählen kann, zu seiner Zeit sei man sogar über 50km Pavés gefahren: Na prima, aber die Fahrer wollen ja auch nicht mehr in Turnhallen übernachten.
Risiko 2: Zu flach
Das mag bei der Zahl der Bergankünfte erst einmal komisch klingen (zu denen kommen wir noch), aber neun reine Sprinteretappen sind zu viel. Das tut mir leid für Kittel, Greipel und Co., aber da stimmt die Balance nicht. Denn, im Unterschied zu früheren Jahren ist auch 2014 damit zu rechnen, dass so viele Sprinterteams im Rennen sind, dass diese auch drei Wochen lang Kraft genug haben, Ausreißergruppen zu stellen. Bei Argos und Omega sind Ambitionen aufs Gesamtklassement klar hinter den Zielen der Sprinter angestellt, auch Lotto und FDJ sowie teilweise Cannondale dürften regelmäßig mit Tempoarbeit übernehmen.
Das verspricht arg stereotype Tage, an denen vielen Fans wohl ein Video des Schlusskilometers einer dreistündigen Übertragung vorziehen. Warum nicht öfter mal eine Welle oder Rampe im Finale, wie bei anderen Rennen, um den Kreis der Tagessieger zu vergrößern und auch Gesamt-Favoriten die Chance auf einen Überraschungs-Coup zu geben?
So wie der Gesamtparcours grob gesagt gegen Froome als bestem Zeitfahrer der Favoriten angelegt ist, scheint mir im Kampf um Grün Sagan das Ziel zu sein: Mehr Chancen und damit Punkte für die reinrassigen Sprinter, damit das Duell ums "maillot vert" auch möglichst lange offen bleibt. Ein Plan, der auch nach hinten losgehen kann.
Risiko 3: Zu wenig Zeitfahren
Kein Prolog, kein Teamzeitfahren, nur ein flacher Kampf gegen die Uhr zum Abschluss. Aus lauter Angst vor Langeweile macht man das Rennen eventuell zusätzlich langweilig ( siehe Punkt 4). Das beginnt schon mit dem Auftakt: Erneut eine Flachetappe am ersten Tag -das freut mich für die Sprinter. Aber es ist nicht die feine Art gegenüber den Zeitfahrspezialisten, da fände ich einen jährlichen Wechsel zwischen Prolog und Flachetappe fairer.
Gut möglich, dass sich die Tour so um ein paar Stars bringt. Denn wie Cancellara schon 2013 könnten sich auch Tony Martin oder Bradley Wiggins von vornherein die Reise sparen, wenn es nur eine Chance auf einen Etappensieg und keine auf Gelb gibt. Eleganter wäre es gewesen, in Leeds einen Prolog zu fahren und das letzte Zeitfahren dann eben von 54 auf 45 Kilometer zu kürzen.
Und ganz allgemein: Wenn Fahrer bei der Tour alles können müssen (s. Pavés), dann sollte dazu auch Zeitfahren zählen. Eine schöne Lösung wäre für mich ein Bergzeitfahren gewesen: Nach zehn Jahren Pause ist das sowieso Zeit für ein Comeback der Spezialdisziplin und das wäre ein perfekter Kompromiss zwischen den Qualitäten der Favoriten gewesen.
Sorge um zu große Abstände hätte man dabei nicht unbedingt haben müssen. Die sind auf flachem Kurs wohl berechtigter, wie 2013 zeigte: Quintana verlor auf flachen 33km über drei Minuten auf Froome, auf den welligen 32km in den Alpen aber nur 1:11 Minute - und Contador, Rodriguez und Valverde sogar noch deutlich weniger. Insbesondere auch weniger als bei den meisten Bergankünften...Also: Lieber BZF und dafür, um die Balance zu wahren, die vorletzte Etappe entsprechend kürzen.
Risiko 4: Zu bergig
Fünf Bergankünfte sind für meinen Geschmack etwas zu viel – auch hier wäre ein Bergzeitfahren anstelle einer der Ankünfte am Gipfel aus meiner Sicht die bessere Wahl und Kombination gewesen. Warum? Klar, Bergankunft sorgen für Klartext, weil sich niemand verstecken kann.
Aber viel zu oft führen sie inzwischen dazu, dass die Favoriten sich bis zum Schlussanstieg belauern. Wie oft wagt wirklich ein Ass eine Attacke, riskiert ein Team einen taktischen Coup? Es ist doch Standard, dass nach fünf Stunden durch die Berge meist nur die letzten fünf Kilometer wirklich spannend sind – fast vergleichbar mit den Sprintetappen.
Da finde ich es spannender, wenn das Ziel öfter auch mal im Tal und nach einem kleinen Flachstück liegt – da kann man auch als nicht so starker Kletterer mit einer mutigen Offensive Bewegung ins Rennen bringen. Die 9. Etappe nach Gerardmer mit dem "Markstein" als letzter Schwierigkeit oder die 12. nach Saint-Etienne sind Beispiel für einen solchen Kurs: Man muss kein Podiumskandidat sein, um da zu siegen - und die Favoriten können sich da dennoch austoben.
Als "Ausgleich" für die vielen Bergankünfte wurde die Gesamtzahl der schweren Anstiege formal von 28 auf 25 reduziert, aber das sind reine Rechenspiele. Den Col d'Ares auf der 16. Etappe etwa hat man eigentlich immer als Bergwertung der 2. Kategorie geführt – diesmal aber geflissentlich niedriger eingestuft. Auf der 9., 13. und 14. Etappe finden sich weitere Anstiege, die locker in die gleiche Kategorie fallen.
Schließlich: Fünf Bergankünfte schön und gut: Aber dieser Tour fehlen etwas die wirklich mythischen Cols. Ja, Izoard und Tourmalet werden überquert – das war’s dann aber. Ich freue mich über Newcomer in der Tour wie diesmal Risoul (seit seinem Doppelsieg dort bei der Tour de l’Avenir wohl Quintanas Lieblingsberg) – aber ein wirklich packender Anstieg ist das nicht.
Risiko 5: Zu lang
Der nördlichste Tour-Start aller Zeiten, der Fokus auf Bergankünfte und die wenigen Zeitfahren haben Folgen: Die Gesamtbelastung der Fahrer ist höher als sonst, auch wenn das zuerst nicht so auffällt.
Durch den Auftakt in England kommt früh im Rennen ein zusätzlicher langer Transfer hinzu und auch auf den Teilstücken muss Strecke gemacht werden:
Zehn der 21 Etappen sind über 180km lang – dabei ist das laut UCI-Reglement der maximal zulässig Gesamtschnitt und nicht die Untergrenze. Durch den Wegfall von Prolog und/oder zweiten Einzelzeitfahren fehlt für 90% der Fahrer ein zusätzlicher "Ruhetag". Außerdem bedeuten Bergankünfte im Umkehrschluss oft zeitraubende Transfers auf schmalen Straßen – Helikopter fliegen nur die Stars. Das summiert sich über drei Wochen an unnötiger Zusatzbelastung.
Eine Bergetappe in der 3. Tour-Woche wie die 16. Etappe nach Bagnères-de-Luchon muss heutzutage einfach nicht mehr fast 240km lang sein – da hätte man ohne jede Mühe auch 50km näher an den Pyrenäen starten können, zumal nach einem Ruhetag. Das mag uns vor dem TV-Schirm wenig jucken – die Fahrer hingegen durchaus. Und um die geht’s ja irgendwie auch.
Risiko 6: Zu schmutzig
Nette Idee, die Tour-Präsentation auf den Geburtstag von Chris Horner zu legen – von dem wurde zwar offiziell in Paris nicht gesprochen, aber der Parcours wäre für ihn hervorragend geeignet...
Doping droht der Tour 2014 ganz unabhängig von ihrem Parcours. Und bei aller Kritik zuvor sehe ich im Kurs keine Exzesse, die Betrug irgendwie rechtfertigen könnten. Es geht vielmehr für die ASO global darum, als wohl wichtigster Akteur im Radsport wirklich Verantwortung zu übernehmen und Druck in die richtige Richtung zu machen.
Es hat sich seit der Tour-Präsentation vor einem Jahr so viel bewegt wie man es lange niegedacht hätte: Armstrong hat gestanden, McQuaid ist abgewählt, die Proben von 1998 veröffentlicht, die Teamvereinigung MPCC von einer Splittergruppe zur Massenbewegung geworden.
Aber davon darf man sich nicht täuschen lassen. Dass die UCI einen neuen Kurs einschlägt ist zu erwarten, aber noch ist kein Urteil möglich. Wenn sie Verbündeter statt Gegner der Dopingjäger wird, kann sich viel bewegen. Die Tour muss das ihre tun, etwa bei der Vergabe von Wildcards. Wenn etwa ein Team wie Astana, Katusha oder Europcar aus dem MPCC fliegt (was durchaus passieren könnte), darf die ASO nicht das falsche Signal senden und es dennoch starten lassen. Dann sind nicht nur warme Worte in Sonntagsreden gefragt, sondern Konsequenzen.
Dass es weiter Dopingfälle und -skandale geben wird, ist klar. Aber der Umgang mit ihnen und dem Generalverdacht wird darüber entscheiden, ob es aus der Talsohle für den Radsport wieder nach oben gehen kann.
Sky etwa hat wenige Tage vor der Tour-Präsentation fast unbemerkt angekündigt, alle internen Daten an die britische Antidopingagentur zu übergeben. Blutwerte, Leistungsdaten, interne Tests – und das für alle Profis des Teams und soweit zurück, wie sie vorliegen. Bleibt abzuwarten, ob es dazu kommt und was UK-Antidoping damit macht.
Gleiches gilt für die Blutwerte, die Horner veröffentlicht hat: Inzwischen hat der erste echte Experte Zweifel an ihnen geäußert und aus den USA kommen belastende Aussagen gegen den Oldie auf. Da dürfte sich bis Tour-Start noch viel tun...
Andreas Schulz (@euroschulle)
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