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Die Radprofis des Team Milram, Christian Knees (l-r), Paul Voß, Fabian Wegmann, Norbert Förster.
Die Radprofis des Team Milram, Christian Knees (l-r), Paul Voß, Fabian Wegmann, Norbert Förster. © dpa

Der letzte deutsche Radrennstall der höchsten Kategorie ist gestorben. Dem Milram-Team fehlt der Hauptsponsor - ein neuer Geldgeber ist bisher nicht in Sicht.

Von Christian Schwager

Der Frühstücksraum eines Motels, die Stuhlreihen sind auf einen Tisch ausgerichtet. Zwei Mikrofone stehen darauf, das ZDF ist schon da. Mattes Licht fällt durch die Fenster, in der Nacht hat es angefangen zu regnen. Die Tür ist geöffnet und heißt die Landstraße willkommen, über die LKW nach Tarbes keuchen. Zone Industrielle Bastillac – an diesem Ort im Niemandsland geht eine Ära zu Ende.

Der Raum füllt sich. Irgendwann erscheint Gerry van Gerwen. Er trägt das weiße Hemd mit dem Logo des Teams Milram, seine Dienstkleidung bei der Tour de France. Van Gerwen setzt sich, dann hält er die Abschiedsrede. Der entscheidende Satz lautet: „Jetzt und heute liegt kein Vertrag zur Unterschrift vor.“ Der letzte deutsche Radrennstall der höchsten Kategorie ist damit gestorben.

Es war ein langwieriger Todeskampf, und wer van Gerwen gestern im Motel zugehört hat, der ahnt, dass für ihn persönlich die Agonie noch weitergeht. „Es gibt noch einen möglichen Sponsor, der wird sich Ende September entscheiden. Das ist spät, hoffentlich nicht zu spät.“

Der niederländische Teameigner will am 15. August fristgerecht die Lizenz für eine Mannschaft beantragen, auch wenn er seine derzeitige dann gerade verliert. Er will im September die Anzahlung von rund 200000 Euro leisten, auch wenn er dann nicht wissen dürfte, wie er den Rest aufbringt. Er will am 1. Oktober ein Budget vorlegen. „Wenn nicht“, sagt van Gerwen, „werden wir die nächste Saison nach einem Geldgeber weitersuchen.“ Den Fuhrpark mit Bussen, Transporter, Begleitfahrzeugen möchte van Gerwen am Teamsitz in Dortmund einmotten.

Es gibt keinen Weg zurück, zu viel Eigenkapital hat die Familie van Gerwen schon in die Mannschaft gesteckt. Deshalb redet van Gerwen unverdrossen von Lizenzen und davon, dass es in der kommenden Saison keine ProTour mehr gibt, sondern eine erste und eine zweite Liga. Dass die besten 17 Teams zur ersten gehören, die anderen vom Radsportweltverband UCI bestimmt werden. Er sagt, dass Deutschland ein großer Markt sei, und glaubt offenbar, deshalb mit einem deutschen Team bevorzugt zu werden. Graue Theorie.

Die Praxis sieht so aus: Die Mannschaft Milram fällt bei dieser Tour nicht weiter auf. Es sieht beinahe so aus, als hätten sich die Fahrer gedanklich bereits verabschiedet. Zur Praxis zählt auch, dass van Gerwen den Mechanikern und Pflegern Verträge anbietet für den Fall, dass es doch weitergeht. Jene, die sich nicht darauf einlassen, „werden wir an andere Teams vermitteln“.

Linus Gerdemann muss van Gerwen nicht vermitteln. Er erscheint in Trainingskluft: „Über meine berufliche Zukunft mache ich mir keine Sorgen. Es gibt mehrere Gespräche.“ Gerdemann lächelt entspannt. Ein paar Meter weiter lehnt Johannes Fröhlinger an einer Salatbar. Es riecht nach Essig. Auch Fröhlinger lächelt, aber eher säuerlich. Sofort würde er sich für ein anderes Team entscheiden, sagt er. „Bis jetzt hat sich aber nichts ergeben.“

Christian Henn kommt vorbei. Er hört eine Weile zu. Der Boom im Radsport, der Mitte des vergangenen Jahrzehnts begann, der auch ihn erfasste ? in Henns Erinnerung ist er verblasst. Dann zählt Milrams sportlicher Leiter vor: „T-Mobile, Gerolsteiner und wir.“ In dieser Reihenfolge sind die deutschen Mannschaften groß geworden und wieder verschwunden.

Henn hat das erlebt, was den heutigen Profis bevorsteht. „Mit 24 habe ich in Italien angefangen“, sagt er. „War hart, aber ging auch.“ Als sportlicher Leiter wird er jetzt in einen Arbeitsmarkt entlassen, auf den Jahr für Jahr ehemalige Radprofis drängen. Die Stellen sind knapp. Henn wäre nicht der erste deutsche Sportchef, der von der großen Bühne verschwände.

Gerry van Gerwen ist inzwischen beim nächsten Interview angelangt. Er wirkt wie der Kapitän eines sinkenden Schiffes. Die Mannschaft stürmt die Beiboote, er aber errechnet einen neuen Kurs. „Über das letzte Team, das eine Lizenz bekommt, entscheidet die UCI am 12. Dezember“, sagt er, als sei das von Belang.

Am 12. Dezember denkt Fabian Wegmann längst an andere Dinge. Seiner entspannten Haltung nach steht auch er auf dem Sprung in ein neues Team. „So ist das eben in Deutschland“, sagt er. „Wenn der Erfolg ausbleibt, dann gucken die Leute nicht mehr hin.“ Der 30-Jährige ist vor die Tür des Motels gekommen. Es regnet nicht mehr. Hinter ihm steht ein Schild: „Wenn Sie gehen, bitte die Schlüssel abgeben.“

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