Das ist heute der Schulthek-Platzhirsch auf dem Pausenhof
Hintergrund

Das ist heute der Schulthek-Platzhirsch auf dem Pausenhof

Martin Rupf
8.6.2022

Es werden bereits wieder wie wild Schultheken für kommende Erstklässer:innen gekauft. Viele Eltern greifen dabei auf eine Marke zurück. Welches heute der Hightech-Platzhirsch auf dem Pausenhof ist, wo doch vor knapp 40 Jahren noch der Kuhfell-Schuelzgi das Mass aller Dinge war.

Ein warmer Frühlingstag im Jahr 1985: Nervös sitze ich in der Aula und warte darauf, mein Begrüssungsgeschenk als Erstklässler zu erhalten. Vor mir steht mein Schulthek aus Leder und Kuhfell. Die beiden reflektierenden Schnallen leuchten im Sonnenlicht. Ich bin stolz. Stolz auf mich, der jetzt endlich in die Schule darf, stolz auf meinen Schuelzgi. Daran ändert auch nichts, dass fast alle Klassenkameraden den fast identischen Schulthek zwischen ihren Füssen halten.

Interessant: Obwohl besagter Schulrucksack später durch modernere Exemplare abgelöst wurde, ist er im Handel immer noch zu haben. Auch in unserem Onlineshop findest Du einen Kuhfell-Schuelzgi.

Spätestens in der dritten Klasse verflog der Stolz auf das Kuhfell-Modell und plötzlich war es doch nicht mehr so cool. Es musste ein neuer Schulrucksack her – und zwar ein Modell von Invicta.

War der Kuhfell-Rucksack immerhin während dreier Jahre angesagt, wurde der Schulthek jetzt in immer kürzeren Abständen ausgetauscht. So folgte auf Invicta ein Rucksack der Marke Salomon.

Doch wie es so ist, war auch Salomon irgendwann nicht mehr so en vogue, weshalb schleunigst ein Eastpak-Rucksack her musste.

Und dann, etwa so mit 15 Jahren, passierte es: Weil meine Mutter Dänin ist und wir regelmässig in ihr Heimatland in die Ferien fuhren, kaufte ich mir 1993 zum ersten Mal einen Fjällräven-Rucksack – lange bevor die Dinger zur hippen Massenware wurden. Noch weit in die Gymi-Zeit waren die Wikinger-Rucksäcke meine Begleiter, auch wenn sich nicht einmal ein Ordner in diesen verstauen liess.

Ein Rucksack, der jeden Everest-Besteiger vor 50 Jahren vor Neid hätte erblassen lassen

In gut zwei Monaten werden Zehntausende von Kindern mit dem gleichen aufgeregten Gefühl wie ich vor knapp 40 Jahren ihre Schulkarriere starten. Nur werden dann keine Kuhfell-Rucksäcke mehr zu sehen sein – und wenn, dann nur sehr, sehr vereinzelt. Vielmehr dominieren heute Hightech-Rucksäcke in allen möglichen Farben. Die meisten Eltern, deren Kinder in den letzten Jahren eingeschult wurden, können wohl ein Lied davon singen, wie überrascht sie waren, als sie sich auf die Schulthek-Suche machten. Erstens zeigt sich nämlich, dass man an gewissen Marken fast nicht vorbei kommt. Und surprise, surprise sind zweitens genau diese Monopolmarken leider alles andere als kostengünstig.

Ich will hier gar nicht lange um den heissen Brei herum reden. Es geht um Ergobag. Nicht nur meine beiden Kinder haben ein solches Teil erhalten. Gefühlt 99 Prozent ihrer Klassengspänli besitzen ebenfalls einen Rucksack dieser Marke. Die Dinger gibts natürlich auch in unserem Onlineshop. Leider war ich noch nicht bei Galaxus angestellt, als meine Kinder eingeschult wurden, sonst wäre ich immerhin in den Genuss eines kleinen Mitarbeiterrabatts gekommen. Ein Rucksack kommt dich schnell einmal um die 300 Franken zu stehen. Doch halt, was heisst hier Rucksack: Nehmen wir als Beispiel das Modell «KoBärnikus».

Das fünfteilige Set besteht aus einem Schulthek, einer Sporttasche, einem Set von Klett-Stickern sowie zwei Etuis. Doch damit nicht genug: Ein stabiler Alu-Rahmen, eine flexible Rückenlängen-Anpassung, ein verstellbarer Brustgurt und ein atmungsaktives Rückenpolster hätten wohl jeden Everest-Besteiger vor 50 Jahren vor Neid erblassen lassen. Das Beste: Der Schulthek wächst dank verstellbarer Rückenriemen quasi mit dem Kind mit. Und gemäss Produktbeschreibung «ist der Innenraum übersichtlich, wodurch auch kleine Chaoten hier den Überblick behalten.» Sorry, da muss ich vehement widersprechen. Kein noch so ausgeklügelter Schulthek schafft es, dass mein Sohn «den Überblick behält».

Dummerweise ändert sich nicht nur die Körpergrösse, sondern auch der Geschmack

Jetzt könnte man argumentieren, dass 300 Franken für einen Rucksack, der bestenfalls bis zur Oberstufe mitwächst, gar nicht mal so teuer sind. Dies umso mehr, als man gleich noch einen Beitrag zur Umwelt leistet, sind die Ergobag-Rucksäcke doch mit Textilien aus 100 Prozent recycelten PET-Flaschen fabriziert. Dumm nur, dass wohl die wenigsten Kinder auch mit zwölf Jahren noch immer die gleichen Sujets und Muster cool finden, die beim Schuleintritt hoch im Kurs standen. Immerhin muss man Ergobag zugute halten, dass sie es mit den Gender-Klischees nicht arg übertreiben. Natürlich gibt es die in Rot oder Rosatönen gehaltenen Theken und solche in Grün oder Blau. Aber die meisten Rucksäcke kommen ziemlich universal daher.

Wem die Ergobag-Modelle zu teuer sind, für den gibt es auch etwas preisgünstigere Varianten wie etwa Step by Step oder Funki. Meiner Meinung nach stehen sie den Ergobags optisch in nichts nach.

Marketingexpertin: «Alle Menschen haben das Bedürfnis, ihre Individualität zum Ausdruck bringen.»

Stellt sich die Frage, wie es Ergobag geschafft hat, eine quasi Monopolstellung einzunehmen. Die Marketing- und Kommunikationsexpertin Tamara Alù (35) sieht hier vier wesentliche Kriterien: «Einerseits sollte die Marke mit dem Produkt möglichst ein oder mehrere Alleinstellungsmerkmale aufweisen, andererseits wird eine gute Marke von einem guten Image getragen, die Käuferinnen und Käufer vertrauen dem Unternehmen.» Drittens muss eine emotionale Beziehung zwischen der Marke und dem Nutzer und der Nutzerin entstehen. Und viertens muss die Marke glaubwürdig und authentisch sein. «In der immer digitaleren und somit globaleren Welt werden das Storytelling und das Erstellen von Inhalten, die eine Beziehung herstellen, immer wichtiger», ist Alù überzeugt. Auch die sozialen Medien und mit ihnen die Influencerinnen und Influencer spielten eine immer wichtigere Rolle. Was «in» oder eben «out» ist, habe früher für einen eher überschaubaren, lokalen Bereich gegolten. «Mit der Digitalisierung werden Trends viel schneller in die weite Welt hinausgetragen.»

Marketingexpertin Tamara Alù: Eine gute Marke ist glaubwürdig und authentisch.
Marketingexpertin Tamara Alù: Eine gute Marke ist glaubwürdig und authentisch.

Doch selbst, wenn diese Kriterien erfüllt sind, bedeutet das ja noch lange nicht, dass die Marke auch wirklich ankommt. Wovon hängt es letztlich ab? Tamara Alù: «Auch wenn es abgedroschen klingen mag: Am Ende geht es um Emotionen und Erlebbarkeit. Und fast alle Menschen haben das Bedürfnis, ihre Individualität zum Ausdruck bringen zu können. Wenn dies einer Marke gelingt, dann ist sie angesagt.» Aber wie kann es passieren, dass eine bis vor Kurzem angesagte Marke wieder von der Bildfläche verschwindet und als uncool gilt? «Die Lebensdauer eines Produkts ist ungleich kürzer als noch vor 20, 30 Jahren. Innovationen und neue Kreationen erscheinen in immer kürzeren Zeitabständen auf dem Markt», so die Erklärung der Marketingexpertin.

Wenn der Rucksack grösser ist als dein Kind

Ich erinnere mich noch genau, wie meine Kinder zum ersten Mal mit ihren – für ihre Proportionen – überdimensionalen Schultheks Richtung Schulhaus zottelten. Unweigerlich taten sie mir leid und ich dachte, es würde nicht lange dauern, bis meine Kinder unter dem Gewicht ihres eigenen Rucksacks zusammenkrachen werden. Heute, zwei, drei Jahre später, kann ich insofern Entwarnung geben, als dass die Digitalisierung auch schon in der Primarschule Einzug gehalten hat. Sprich, die Anzahl Schulhefte und -bücher hat im Vergleich zu vor 30 Jahren wohl eher abgenommen, zumal Hausaufgaben oft auf Einzelblättern zu erledigen sind. Und ich bin gespannt, wie lange sie Freude an ihren Ergobags haben und durch welche hippen Modelle ihre ersten Schulrucksäcke dannzumal abgelöst werden. Vielleicht durch eine Modell von Fila? Ich mache mich schon mal auf alles gefasst.

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Zweifachpapi, nein drittes Kind in der Familie, Pilzsammler und Fischer, Hardcore-Public-Viewer und Halb-Däne. Was mich interessiert: Das Leben - und zwar das reale, nicht das "Heile-Welt"-Hochglanz-Leben.


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