BRAUCHTUM: Schmutzli: Vom Teufel zur Mahnfigur

Wild und eindrücklich oder nutzlos und provozierend – die Meinungen über den Schmutzli gehen auseinander. Während die einen den grimmigen Gehilfen des Samichlaus hochleben lassen, ist er bei anderen aus der Adventszeit verschwunden.

Stephan Santschi
Drucken
Ein Schmutzli beim Samichlaus-Auszug aus der Hofkirche in Luzern. (Bild: Corinne Glanzmann (1. Dezember 2013))

Ein Schmutzli beim Samichlaus-Auszug aus der Hofkirche in Luzern. (Bild: Corinne Glanzmann (1. Dezember 2013))

Stephan Santschi

stephan.santschi@luzernerzeitung.ch

Der Samichlaus zieht wieder durch die Luzerner Strassen und Gassen. Der Sack ist gefüllt mit Erdnüssen, Mandarinen, Lebkuchen und Äpfeln, das Buch mit Lob und Tadel für den Nachwuchs. Zum traditionellen Bild der Hausbesuche zählt der Schmutzli mit schwarz geschminktem Gesicht, rasselnden Schellen, Sack und Rute. Doch längst nicht mehr überall begleitet er seinen Meister mit dem weissen Bart, mancherorts ist er nicht mehr erwünscht (siehe Kasten):

Keinen Schmutzli mehr in seinen Reihen hat die St. Niklausgesellschaft Littau. Und das aus ganz weltlichen Gründen: «Der Stoff für die Gewänder ist derart teuer, dass wir nicht auch noch Geld für die Reinigung wegen der schwarzen Schminke aufbringen wollen. Bei uns läuft alles ohne Schminke ab», sagt Präsident Daniel Küng. Der Samichlaus werde aber von Knecht Ruprecht begleitet, dem deutschen Pendant zum Schweizer Samichlaus. «Er trägt eine braune Kutte wie ein Mönch, hat kein geschwärztes Gesicht und geht auch nicht auf die Delinquenten los.» Kurz: «Er ist ein anständiger Mensch.» Die Kinder hätten eher Angst vor dem Samichlaus, dieser imposanten Erscheinung mit Bart, als vor Knecht Ruprecht.

Küng weiss, dass Kinder früher fürchteten, wegen ihrer Missetaten im Sack des Schmutzlis zu landen. Auch heute frage ein Kind ab und zu, ob es mitgenommen werde. «Dann schimpfen wir mit dem Grossvater, der ihnen solche Sachen erzählt.» Für Daniel Küng ist klar: «Wir wollen die Leute auf Weihnachten einstimmen, wir sind keine Polizisten, die in den Stuben für Ordnung sorgen.»

Liebevoller Klaps für Passanten und ein Brämi für das Modi

Die Handhabe, vom Schmutzli im Sack in den Wald mitgenommen zu werden, hat Edy Jauch von der Krienser Galli- Zunft von früher noch selber vor Augen: «Das würde heute an Entführung grenzen.» Den Schmutzli hat man aber nicht abgeschafft. «Vielmehr fördern wir die Tradition dieses Brauches, unsere Zunft steht für Brauchtum und Tradition ein.» Doch der Schmutzli sei kein böser, bulliger Bodyguard. Vielmehr sei er ein Gehilfe, der im Hintergrund stehe und auf Verlangen des Samichlaus nach vorne trete. Respekt dürfe er einflössen, doch «der Schmutzli soll keine Angst vermitteln. Er begegnet dem Kind auf Augenhöhe», sagt Jauch. Wünsche die Familie hingegen, dass der Schmutzli vor der Tür bleibe, dann warte er draussen. «Das ist aber nur sehr selten der Fall.»

Hat sich dabei die Art und Weise, wie Kinder auf den Schmutzli reagieren, mit den Jahren verändert? «In der Familie nicht», antwortet Jauch. «Aber am Samichlausumzug vom 8. Dezember hat es schon mal Jugendliche, die den Brauchtum nicht verstehen und dem Schmutzli aggressiv entgegentreten. Sie wollen ihm die Rute wegnehmen, um ihn selber zu fitzen.» Die Schmutzli werden instruiert, in solchen Situationen nicht provokativ zu reagieren. «Es gibt mal einen liebevollen Klaps mit der Rute für einen Passanten oder ein Brämi für ein Modi», erzählt Jauch und schmunzelt. Letzteres ist der Versuch des Schmutzlis, einer Frau etwas von der eigenen Schminke auf die Backe zu streichen. «Es kann durchaus vorkommen, dass ein Schmutzli am Ende praktisch abgeschminkt ist.»

Schon seit vielen Jahrzehnten gibt es derweil den Schmutzli beim Horwer Samichlaus nicht mehr. «Weshalb er verschwand, kann ich nicht sagen, das ist zu lange her», sagt Oberchlaus Marcel Britschgi. Was er aber weiss: «Niemand fragt nach ihm, niemand vermisst ihn.» Ein Comeback des schwarzen Mannes wird nicht diskutiert. «Wir möchten den Kindern keine Angst machen. Grundsätzlich soll der Samichlaus Freude bringen», sagt Britschgi und erwähnt noch eine besondere Anekdote: «Früher konnten die Eltern bei uns Ruten bestellen. Damit haben wir aufgehört, weil wir nicht wussten, ob sie für die Schmückung des Wohnzimmers oder zur Bestrafung der Kinder benützt werden.»

Wenn der Schmutzli mit Eisenbahnsteinen attackiert wird

Platz für den Gehilfen des Samichlaus hat es in den Emmenbrücker Pfarreien Gerliswil und Riffig seit den 90er- Jahren nicht mehr. Viele Menschen, auch mit Migrationshintergrund, hätten den Brauchtum nicht verstanden, weshalb es teilweise zu aggressiven Zusammenstössen mit der weihnächtlichen Delegation gekommen sei. «Sogar mit Eisenbahnsteinen wurden sie einmal attackiert», erzählt Marcel Schumacher von der Gesellschaft St. Niklaus Gerliswil/Riffig. «Wenn für einen Firmenanlass oder eine Hochzeit unsere Mietgewänder genutzt werden, kann aber auch ein Schmutzli dazugemietet werden.»

Für Unruhe sorgte der Schmutzli auch an der Seite des Maihof-Sami­chlaus in der Stadtluzerner Pfarrei St. Josef. «Wir haben ihn seit Jahrzehnten nicht mehr, wir haben schlechte Erfahrungen gemacht. Der Nutzen war nicht da», berichtet Präsident Marco Affentranger. Bei den gelegentlich durchgeführten Befragungen zu den Familienbesuchen seien der Schmutzli und seine Wiedereinführung nie ein Thema.

Ebenfalls verschwunden ist der Schmutzli im Stadtteil Würzenbach, weil es vor etwa 30 Jahren in einer Nachbargemeinde beim Rennen mit einem Schmutzli zu einem tödlichen Unfall gekommen war. «Diesen Schritt kann ich unter diesen Umständen nachvollziehen, aber es ist auch etwas schade», sagt Herbert Gut, Gemeindeleiter der Pfarrei St. Johannes. Er findet, dass der gute Samichlaus, auf den sich alle freuen, und der Schmutzli, vor dem die Kinder eher Angst haben, auf eine archaische Weise zusammengehören. «Wir leben in einer Welt, in der das Gute nicht zu haben ist ohne das Böse. Das Licht gibt es nicht ohne die Dunkelheit.» In diesem volkstümlichen Brauch stecke mehr tiefenpsychologische Weisheit, als man denke. Wenn der Schmutzli aber moralisierend für Erziehungszwecke herhalten muss, endet bei ihm das Verständnis: «Der Schmutzli soll nicht als pädagogisches Drohmittel eingesetzt werden. Das ist in keinster Weise hilfreich.»

Kein Verständnis für Diskussionen über Rassismus

Hoch im Kurs ist der Schmutzli bei der Samichlausen-Gesellschaft Ebikon. «25 stramme Burschen mit guter Kondition faszinieren am Samichlaus-Auszug Kinder und Erwachsene mit ihrem Temperament», erzählt Chlausenvater Freddy Duss. «Der Schmutzli ist eine wilde, eindrückliche Figur, die für Leben sorgt. Allerdings sehen wir ihn nicht als die Darstellung des Bösen.» Seine Farbe habe dabei nichts mit Rassismus oder einer Referenz an die Sklavenzeit zu tun, wie es etwa in Holland diskutiert worden war. «Der Schmutzli ist eine Mahnfigur, dass man nichts Böses machen soll. Er ist aber nicht bösartig.» Für Freddy Duss steht fest: «Samichlaus und Schmutzli gehören zusammen!»

Ob er nun noch Platz hat im Adventsbrauchtum oder nicht, offensichtlich ist: Der böse Schmutzli als Gesandter der Hölle hat längst ausgedient. Oder wie es Edy Jauch von der Galli-Zunft Kriens formuliert: «Der gesunde Menschenverstand sollte ausschlaggebend sein.»