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Bahn baut nur 13 Kilometer neue Stromleitungen – und setzt stattdessen auf Pflanzenfett

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Nur 13 Kilometer Bahnstrecke wurden im vergangenen Jahr neu elektrifiziert. Die Deutsche Bahn hat die Ziele der Bundesregierung offenbar aufgegeben.

Rechnerisch müssten jährlich rund 550 Kilometer des deutschen Schienennetzes neu elektrifiziert werden. Schließlich will die Bundesregierung, glaubt man ihrem Koalitionsvertrag, bis 2030 drei Viertel des Schienennetzes in Deutschland mit Fahrdraht ausgestattet haben – derzeit sind jedoch nur 61 Prozent der Gleise elektrifiziert. Die Deutsche Bahn (DB), der rund 33.000 Schienenkilometer gehören, baute im Jahr 2023 aber auf gerade einmal 13 Kilometern neue Stromleitungen.

Im Jahr 2024 wird dieser Wert wohl noch einmal unterboten werden: Es droht eine Nettonull der Elektrifizierung. Laut Max Linier, Senior Referent für „Alternative Antriebe, Grundsätze und Erprobungen“ im „TecLab“ der DB, soll in diesem Jahr kein einziger Kilometer Strecke elektrifiziert werden. Das sagte er bei einem von der Fachzeitschrift Railway Gazette organisierten Gespräch im November.

Ein Güterzug auf der Angertalbahn in Nordrhein-Westfalen: Auch hier kommt die Elektrifizierung nicht voran.
Ein Güterzug auf der Angertalbahn in Nordrhein-Westfalen: Auch hier kommt die Elektrifizierung nicht voran. © Ulrich Bangert/Imago

Dieser Umstand stellt nicht nur die Dekarbonisierungsziele bei der Eisenbahn infrage, sondern wirkt sich in vielerlei Hinsicht negativ auf den Betrieb aus. Dieselzüge beschleunigen wesentlich langsamer als ihre elektrischen Pendants, und für den ICE sind nicht-elektrifizierte Strecken unbefahrbar. Daher fallen diese Streckenabschnitte bei gesperrten oder überlasteten Teilstücken auch als Umfahrungen aus, was die Resilienz des sowieso schon überlasteten deutschen Eisenbahnsystems weiter schwächt.

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Auch Güterzüge benötigen das Oberleitungsnetz

„Das größte Problem für den Güterverkehr sind die Elektrifizierungslücken“, sagt Peter Westenberger, Geschäftsführer des Lobbyverbands Die Güterbahnen. Er vertritt über 100 Unternehmen, die zusammen einen Großteil der knapp 60 Prozent des Gütertransports auf der Schiene bedienen, die nicht vom DB-Konzern erbracht werden. Als Beispiel nennt er die knapp 30 Kilometer Strecke zwischen Öhringen und Schwäbisch Hall in Baden-Württemberg. „Die Strecke verläuft parallel zur A6, die besonders unter Schwerverkehr ächzt.“ Aufgrund der Stromlücke an den Schienen könne die Autobahn nicht entlastet werden. Im deutschen Schienennetz gebe es eine ganze Reihe solcher neuralgischen Punkte.

Im leichteren Personen-Regionalverkehr hingegen sind auf kürzeren Strecken batterieelektrische Triebzüge mit 120 Kilometern Akku-Reichweite eine praktikable Lösung. Gegebenenfalls können elektrifizierte Abschnitte zum Nachladen eingerichtet werden. In Brandenburg etwa sollen so ab Ende 2024 viele Dieselregionalzüge auf dem Abstellgleis landen. Bei schweren Güterzügen seien Akku-Loks derzeit aber nur für Anschlussgleise zu einzelnen Industriestandorten und den Rangierbetrieb praktikabel, sagt Westenberger.

DB setzt auf hydrierte Pflanzenfette

„Volkswirtschaftlich gerechnet“, sagt Westenberger, „müsste etwa ein Zug pro Stunde und Richtung unterwegs sein“, damit sich die Elektrifizierung lohne. Er sieht einen Zusammenhang zwischen der schleppenden Elektrifizierung und ihren Kosten. Der Güterbahn-Lobbyist vermutet, dass der Bau einer Oberleitung „DB Netz kaum einen Vorteil bringt“, da die Bahntochter keine direkten Mehreinnahmen generieren würde.

Laut Aussagen aus der Bauindustrie gebe es noch freie Kapazitäten für die Elektrifizierung. Ein Bahnsprecher sagte jedoch zu Table.Media, dass bis 2030 nur rund 760 Kilometer des DB-Netzes elektrifiziert werden sollen. Der Rest bleibt also vorerst ohne Oberleitung.

Ein Sprecher des Bundesverkehrsministeriums äußerte hierzu, dass „durch weitere, bereits laufende Maßnahmen“ die Elektrifizierungsquote zumindest nach 2030 weiter steigen würde. Ohnehin liege der Fokus des Ministeriums „nicht nur einseitig auf einer Oberleitungselektrifizierung“. Mit anderen Worten: Das Ziel im Koalitionsvertrag, 75 Prozent der deutschen Schienenwege mit Stromleitungen zu versorgen, ist aufgegeben worden. Vielmehr, so der Sprecher, solle der Bahnverkehr nun mittels eines „Mix aus Streckenelektrifizierung auf stark befahrenen Strecken und alternativen Antrieben auf allen anderen Strecken“ zu „100 Prozent klimafreundlich“ werden.

Dementsprechend setzt die DB auf die Dekarbonisierung ihrer Verbrenner. Linier vom TecLab der DB verweist in diesem Kontext auf „Hydrotreated Vegetable Oils“ (HVO) als schnelle Lösung, um die Treibhausgas-Emissionen um 90 Prozent zu senken. HVO sind hydrierte biologische Fette, die mittels Wasserstoffs zu Kohlenwasserstoffen umgebaut werden. Bundesweit 14 Schienentankstellen der DB führen bereits HVO. Pro Liter kostet es 15 bis 30 Cent mehr als Diesel.

Ökologisch nachhaltige Energieträger schwer zu beschaffen

„Bei HVO ist die Frage, welchen Rohstoff man dafür nutzt“, sagt Peter Kasten. Der Ingenieur ist stellvertretender Leiter des Bereichs Ressourcen und Mobilität an der Beratungseinrichtung Öko-Institut. Werde für HVO gezielt Biomasse angebaut, sei das nicht besonders nachhaltig. Abfallprodukte wie etwa Frittierfette seien mengenmäßig hingegen stark begrenzt.

„Die Nachfrage im Straßenverkehr ist bereits hoch“ und würde voraussichtlich noch zunehmen, erläutert Kasten. HVO kann gegenwärtig Dieselkraftstoff für den Straßenverkehr zugemischt werden, künftig soll er auch in Reinform erhältlich sein. Es stehe daher infrage, was für den Eisenbahnsektor übrigbleibt.

Ein anderer alternativer Treibstoff wäre Ammoniak. 2022 gab die DB bekannt, mit Partnerunternehmen an der Entwicklung einer mit Ammoniak angetriebenen Lok zu arbeiten; 2027 soll ein Prototyp fertiggestellt sein. „Grünes Ammoniak wird wahrscheinlich als erster der auf Wasserstoff basierenden Energieträger einen Markt finden. Der Herstellungsprozess ist recht effizient und der Treibstoff damit vergleichsweise günstig“, sagt Kasten.

Allerdings gebe es auch hier eine große Konkurrenz um die Nutzung, zum Beispiel auch für die Düngemittelproduktion. Der Treibstoff hat weitere Nachteile. Ammoniak ist explosiv und sehr giftig, es geht also auch um die Frage, wie man das Risiko im Schienenverkehr einschätzt. An einer beschleunigten Elektrifizierung dürfte daher kein Weg vorbeiführen. Das ist schon einmal gelungen. 1968 rüstete die damalige Deutsche Bundesbahn 825 Kilometer Strecke mit Oberleitungen aus.Von Nicolas Šustr.

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