Olympia

Die Olympischen Winterspiele in Sotschi Menschlich, unmenschlich, übermenschlich

Kombinierer Fabian Rießle musste sich im Mannschaftswettbewerb im Schlusssprint seinem norwegischen Rivalen geschlagen geben.

Kombinierer Fabian Rießle musste sich im Mannschaftswettbewerb im Schlusssprint seinem norwegischen Rivalen geschlagen geben.

(Foto: imago/Bild13)

30 Medaillen in Sotschi, so lautete die Vorgabe ans deutsche Team. Geworden sind es nicht einmal 20 - weil Medaillengaranten enttäuschen und nur wenige Athleten über sich hinauswachsen. In sportlicher Erinnerung bleibt aber mehr.

Was wurde nicht alles vor den Olympischen Winterspielen in Sotschi geschrieben. Es gab Kritik an der Vergabe durch das Internationale Olympische Komitee (IOC), weil Winterspiele nicht in ein subtropisches Klima passen. Es gab Terrorwarnungen, Negativschlagzeilen rund um Russlands

Präsident Wladimir Putin, Debatten um die staatliche Diskriminierung von Homosexuellen im Gastgeberland. Und selbst kurz vor der Eröffnung gab es hitzig geführte Debatten um den Auftritt von Opernstar Anna Netrebko. Macht sie sich gemein mit der Kreml-Führung?

Mit Beginn der Wettkämpfe trat die politische Dimension in den Hintergrund, zur Olympia-Halbzeit war die Kritik an Putins Sotschi-Inszenierung zunächst verstummt. Wie vom IOC gewünscht, übernahm der Sport das Zepter. Thomas Bach, der Herr der Ringe, ließen nahezu jede Gelegenheit verstreichen, berechtigte Kritik am Olympiagastgeber zu äußern, er lobte lieber. Die Leistung der Athleten rückte in den Vordergrund. Auch unfertige Hotels in Sotschi, zunächst noch der große Aufreger, wurden zur Nebensache.

Sportlich gab es in Sotschi jede Menge Überraschendes, Hervorragendes, aber auch Enttäuschendes - für den Gastgeber genauso wie für das deutsche Team. 153 Sportler kämpften in Sotschi um Medaillen und olympische Ehren. Am Ende wurde es 19 Mal Edelmetall - deutlich weniger als in Vancouver 2010. Die 30 Medaillen von damals waren auch die Maßgabe für Sotschi, die Hürde wurde klar gerissen.

Das lag einerseits daran, dass Deutschland in den Trendsportarten und neuen Disziplinen weiter zu den Entwicklungsländern gehört. Die beiden Snowboard-Medaillen am vorletzten Tag für Anke Karstens (Silber) und Amelie Kober (Bronze) im Parallel-Slalom der Snowboarder sind Mutmacher. Es waren aber auch die einzigen Medaillen im Bereich Ski-Freestyle und Snowboard. Hinzu kamen insgesamt neun vierte Plätze.

Zum anderen, und das wog in der Bilanz weitaus schwerer, enttäuschten die früheren deutschen Medaillengaranten, sei es Biathlon, Eisschnelllauf oder Bob.

Eiskalt

Im Eisschnelllauf versuchte die 42-jährige Claudia Pechstein bei ihren fünften Olympischen Spielen vergeblich, ihre zehnte Medaille zu gewinnen. Rang vier und fünf lautete am Ende die Ausbeute der erfolgreichsten deutschen Winter-Olympionikin. Die Konkurrenz war zu stark, das Eis zu speziell, so das Fazit des deutschen Eisschnelllaufteams. Erstmals seit mehr als 50 Jahren kehrt es ohne olympische Medaille heim.

Erik Lesser hatte vor dem letzten Schießen "einen kleinen Stift in der Hose". Er traf dennoch alles - und holte Silber im Einzelrennen.

Erik Lesser hatte vor dem letzten Schießen "einen kleinen Stift in der Hose". Er traf dennoch alles - und holte Silber im Einzelrennen.

(Foto: picture alliance / dpa)

Nur wenig besser erging es den erfolgsverwöhnten Biathleten. Nachdem in Vancouver noch Magdalena Neuner mit Medaillen geglänzt hatte, brachten die Skijägerinnen um Altstar Andrea Henkel aus Sotschi nicht einmal Staffel-Edelmetall mit nach Hause. Bei den Männern, die in Vancouver komplett leer ausgegangen waren, standen am Ende immerhin zwei Medaillen auf der Habenseite, dem Thüringer Erik Lesser mit Einzelsilber und wiederum der Staffel mit Silber sei Dank. Dennoch bleiben es enttäuschende Spiele, von denen im Biathlon vor allem der Dopingfall um Evi Sachenbacher-Stehle in Erinnerung bleiben wird.

Im deutschen Eisschnelllauf steht nun ein Generationswechsel bevor: Mit Pechstein und der Sprinterin Jenny Wolf hängen zwei Alt-Stars ihre olympischen Klapp-Schlittschuhe an den Nagel. Nachwuchs ist sowohl im Sprint- wie auch im Ausdauerbereich nicht in Sicht, was die Frauen betrifft. Bei den Männern zeigte immerhin Patrick Beckert mit Platz acht über 10.000 Meter, dass der Weg in die Weltspitze zwar ein harter, aber gangbarer ist.

Bei den Biathleten ist der Generationswechsel bereits vollzogen. Die Thüringerin Henkel bestritt in Sotschi ihre letzten olympischen Rennen, bei den Männern reiste der Älteste, Andreas Birnbacher, bereits vorzeitig ab. Ob er noch bis zu den nächsten Olympischen Winterspielen im südkoreanischen Pyeongchang weitermacht, bleibt abzuwarten. Ein Shootingstar, der die eventuelle Lücke schnell füllen kann, steht bei den Männern nicht bereit.

Übermenschlich

Ole Einar Björndales olympische Bilanz: 8x Gold, 4x Silber, 1x Bronze.

Ole Einar Björndales olympische Bilanz: 8x Gold, 4x Silber, 1x Bronze.

(Foto: picture alliance / dpa)

Bei den Norwegern ist das anders - in doppelter Hinsicht: Ole-Einar Björndalen verewigte sich mit seinen Goldmedaillen im Sprint und im Mixed gleich zweifach in der olympischen Historie. Der Mixed-Wettbewerb fand erstmals bei Olympischen Winterspielen statt - und mit seinen errungenen Medaillen kürte sich der Oldie Björndalen, der erst im Januar seinen 40. Geburtstag feierte, zum erfolgreichsten Winter-Olympioniken aller Zeiten. Seine fast schon übermenschlich anmutenden Leistungen waren nach eigenen Bekunden auch der starken heimischen Konkurrenz zu verdanken. Ein klarer Unterschied zu den deutschen Männern, die sich mangels Wettbewerb fast immer von selbst aufstellten.

Noriaki Kasai krönt seine Laufbahn noch einmal mit Olympia-Medaillen.

Noriaki Kasai krönt seine Laufbahn noch einmal mit Olympia-Medaillen.

(Foto: picture alliance / dpa)

Aber Björndalen war nicht der einzige Oldie, der in Sotschi glänzte. Gewissermaßen waren die Olympischen Winterspiele auch die der in die Jahre gekommenen Athleten. Da wäre etwa der japanische Skispringer Noriaki Kasai, der mit seinen 41 Jahren zwei Medaillen gewann. Da wären aber auch die beiden Rennrodler Albert Demtschenko aus Russland und Armin Zöggeler aus Italien, die dieses Kunststück mit 42 und 40 Jahren schafften.

So sehen Sieger aus: Die "Trainingsgruppe Sonnenschein" feiert Team-Gold in Sotschi.

So sehen Sieger aus: Die "Trainingsgruppe Sonnenschein" feiert Team-Gold in Sotschi.

(Foto: picture alliance / dpa)

Apropos Rodler: Im Eiskanal von Sotschi gab es kein erfolgreicheres Team als das deutsche. Gold bei den Männern durch Felix Loch. Gold und Silber bei den Frauen durch Natalie Geisenberger und Tatjana Hüfner sowie Gold im Doppelsitzer der Männer durch Tobias Wendl und Tobias Arlt - und schließlich auch noch Olympia-Gold im Team durch die vier eben genannten Sportler. Die "Trainingsgruppe Sonnenschein", wie sich die Sportler selbst betiteln, sorgte in Sotschi für den totalen deutschen Rodel-Triumph. Dass es auch Missstimmung gab, fiel dabei fast unter den Teppich: Die Thüringerin Hüfner beschwerte sich über die Bevorteilung der Berchtesgadener Trainingsgruppe. Wenn der Bundestrainer Norbert Loch heißt und der Vater des Olympiasiegers ist, erscheint das nachvollziehbar.

Menschlich

Im Zweier war nichts holen für die deutschen Teams.

Im Zweier war nichts holen für die deutschen Teams.

(Foto: picture alliance / dpa)

Die größte Missstimmung gab es allerdings im deutschen Bobteam. Aus dem einstigen Medaillentiger ist ein Bettvorleger geworden. Die Zweier-Bobs bei den Männern und Frauen, mit jeweils drei Teams am Start, fuhren mit den Plätzen 8 (Weltmeister Franceso Friedrich), 11 (Thomas Florschütz) und 15 (Maximilian Arndt) sowie 4 (Sandra Kiriasis), 7 (Cathleen Martini) und 10 (Anja Schneiderheinze) gnadenlos der Konkurrenz hinterher. Ein Absturz, insbesondere bei den Männern, die zuvor dreimal in Folge Gold im Zweier geholt hatten. Die Viererbobs standen dem in fast nichts nach. Platz sechs für Weltmeister Maximilian Arndt, mehr war nicht drin im Sanki Sliding Center. Der Grund für die historische Nullnummer sei schlechtes Material, polterte danach Bob-Bundestrainer Christoph Langen. Aber auch an seiner Person wurde Kritik laut - verständlich bei null Medaillen der sonstigen Edelmetallbank. Langen will aber im Amt bleiben.

Der Sprinterin Denise Herrmann fehlte gleich mehrfach das Stehvermögen - um eine Medaille zu gewinnen.

Der Sprinterin Denise Herrmann fehlte gleich mehrfach das Stehvermögen - um eine Medaille zu gewinnen.

(Foto: picture alliance / dpa)

Biathlon-Bundestrainer Uwe Müßiggang hört dagegen auf, ebenso wie die Ruhpoldinger Biathlon-Legende Fritz Fischer. Langlauftrainer Frank Ullrich, ehemaliger Weggefährte Müßiggangs, könnte nun wieder zurückkehren in den Biathlonsport. In Sotschi sorgte er dafür, dass die deutschen Langläufer immerhin eine Bronzemedaille einfuhren. Mehr wäre drin gewesen, aber Sprinterin Denise Hermann lieferte ihr bestes Rennen leider zu früh ab, im Viertelfinale. Im Halbfinale war dann für die Weltcup-Führende im Sprint bereits Endstation. In der Staffel musste sie in sprichwörtlich letzter Sekunde den Schwedinnen und Finninnen den Vortritt lassen. Bronze - und auch da war mehr drin - holte sie dann überraschend im Team-Sprint mit Stefanie Böhler.

Überflieger

Carina Vogt kann ihr goldenes Olympia-Glück noch gar nicht fassen.

Carina Vogt kann ihr goldenes Olympia-Glück noch gar nicht fassen.

(Foto: picture alliance / dpa)

Aus deutscher Sicht die größte Überraschung war die Skispringerin Carina Vogt. Im Weltcup hinter der überragenden Japanerin Sara Taka nashi Zweite, schaffte sie mit zwei Sprüngen von der Normalschanze den großen Coup - und wurde mit 247,4 Punkten und nur 1,2 Zählern Vorsprung vor der Österreicherin Daniela Irschko-Stolz Olympiasiegerin, die erste im Frauen-Skispringen überhaupt. Da verblasst sogar das Gold im Teamspringen der Männer. Den anschließenden Medienrummel um ihre Person empfand Vogt dann dennoch als unangebracht.

Maria Höfl-Riesch ist den schon gewohnt. Seit Jahren ist sie mit Viktoria Rebensburg das weibliche Aushängeschild des deutschen Alpin-Skisports. Und nach Sotschi ist die deutsche Fahnenträgerin bei der Eröffnungsfeier auch die erfolgreichste deutsche Alpin-Skifahrerin aller Zeiten. Dreimal Mal Gold und einmal Mal Silber nennt sie nach Sotschi ihr Eigen. Ob es noch einmal vier Jahre weitergeht, ließ sie offen. Zumindest bei der WM 2015 will Höfl-Riesch noch einmal antreten.

Unmenschlich

Bei den Russen hatten sich das gleich zwei Ausnahmekönner gedacht: Eiskunstläufer Jewgeni Pluschenko und Bobfahrer Alexander Subkow. Beide wurden für die "Heim-Winterspiele" reaktiviert - mit unterschiedlichem Erfolg. Während Pluschenko den Russen im neu geschaffenen Team-Wettbewerb Gold sicherte, danach aber im Einzel verletzungsbedingt aufgeben und sein Karriereende bekannt geben musste (und dafür heftige Kritik erntete), schaffte Subkow den großen Wurf: Gold im Zweier, Gold im Viererbob. Das Tragen der russischen Fahne bei der Eröffnungsfeier schien dem sonst als introvertiert geltenden Bobfahrer den letzten Motivationskick gegeben zu haben.

Bei der Abschlussfeier sollte dann möglichst ein Eishockeystar die Fahne des Gastgeberlandes tragen, schließlich waren die Goldmedaille und der Olympiasieg im Eishockey fest eingeplant, sie schienen ein Muss zu sein. Aber im Viertelfinale war gegen Finnland bereits Schluss, der olympische Siegertraum der NHL-Superstars Pawel Datsjuk, Ilja Kowaltschuk und Andrej Owetschkin bereits ausgeträumt.

"Unerhört, unverständlich, unfassbar"

Aber der Gastgeber kann sich trösten: Die Olympischen Winterspiele in Sotschi waren wider alle Erwartungen friedlich, sportlich und fair, von der extrem umstrittenen Eiskunstlauf-Entscheidung zugunsten der Russen Adelina Sotnikowa abgesehen. Das Publikum bejubelte auch die Sieger aus anderen Ländern, die Zuschauerränge waren häufig gut gefüllt, die Stimmung ausgelassen.

Nur das Wetter und das IOC selbst sorgten für Missstimmung: Als der Bruder der norwegischen Langläuferin Astrid Jacobsen plötzlich verstarb und die Frauen im Skiathlon-Rennen deshalb mit Trauerflor liefen, rief das die Funktionäre des IOC auf den Plan. Und wie sollte es anders sein: Trauer ist bei Olympischen Spielen nicht willkommen. Es gab eine Rüge. Nur. Denn auch die Aberkennung der Medaillen - Gold, Silber und Bronze - wäre laut Statuten möglich gewesen. "Unerhört, unverständlich, unfassbar, umnachtet", dachten auch große Teile der Sportwelt.

In Erinnerung bleibt auch das Wetter in Sotschi und Umgebung, es schlug so manche Kapriolen: Nebel, Sonne, Schnee, Regen - alles kam mal vor. Langläuferinnen, die in Tops trainierten, Reporter in kurzen Hosen: Die Olympischen Spiele von Sotschi waren am Ende die sommerlichsten Winterspiele aller Zeiten. Ein nachdenklich machendes Superlativ, das auch die deutschen Athleten - erfolgreich oder nicht - so schnell nicht vergessen werden.

Quelle: ntv.de

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