Die Imperia als Konstanzer Empfangsdame unerwünscht

Was für New York die Freiheitsstatue ist, ist in der Bodenseestadt Konstanz neuerdings die Imperia. Ausser ihrer Positionierung an der Hafeneinfahrt haben die beiden Frauenfiguren allerdings wenig gemeinsam.

Von Francesco Welti, NZZ vom 24.09.1993
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Seit 1993 wacht Imperia mit Papst und Kaiser auf den Händen über die Konstanzer Hafeneinfahrt. (Bild: Imago)

Seit 1993 wacht Imperia mit Papst und Kaiser auf den Händen über die Konstanzer Hafeneinfahrt. (Bild: Imago)

Was für New York die Freiheitsstatue ist, ist in der Bodenseestadt Konstanz neuerdings die Imperia. Ausser ihrer Positionierung an der Hafeneinfahrt haben die beiden Frauenfiguren allerdings wenig gemeinsam. Vermittelt die eine in ihrem hochgeschlossenen Kleid und mit der Fackel in der Hand einen züchtigen Eindruck, so zeigt die andere, was sie hat: Sie lässt ihre prallen Brüste und die langen Beine mehr als nur erahnen, statt einer Fackel trägt sie in jeder Hand einen kleinen, unbeholfenen Wicht: den Papst und den Kaiser.

Protest des erzbischöflichen Ordinariats

So eine Skandalfigur als Empfangsdame war den Stadtvätern und -müttern der Konzilstadt Konstanz zuviel: Am 1. April dieses Jahres sprach sich der Gemeinderat dagegen aus, dass dieses «Hurendenkmal» auch nur probeweise aufgestellt werden dürfe. Allerdings hatte damals noch niemand die Imperia gesehen. Aber der Künstler Peter Lenk, der in Konstanz vor einigen Jahren mit einem Brunnen schon für einen Skandal sorgte, hatte vom Fremdenverkehrsverein für die Statue den Auftrag erhalten. Bald reagierte auch das erzbischöfliche Ordinariat Freiburg. Es verdammte in einem Brief an den Konstanzer Oberbürgermeister die unbekannte und ungesehene Figur. In der Konzilstadt Konstanz ein solches Schandmal aufzustellen sei «in hohem Masse geschmacklos und geeignet, den religiösen Frieden zu beeinträchtigen», hiess es in der vorläufigen Stellungnahme.

Doch alles Protestieren und Entscheiden nutzte nichts, weil weder der Gemeinderat noch der Erzbischof in Sachen Hafenfigur etwas zu bestimmen haben. Der Pegelturm, auf den die Imperia zu stehen kommen sollte, gehört der Deutschen Bundesbahn. Und die war von Anfang an mit dem Statuenprojekt des Fremdenverkehrsvereins einverstanden. Deshalb wurde die drehbare Imperia eines Nachts und ohne gemeinderätlichen und erzbischöflichen Segen aufgestellt. Nach der Enthüllung der Statue begann die Anti-Imperia-Front im Konstanzer Gemeinderat abzubröckeln. Ein Antrag, die Imperia sofort zu entfernen, fand Ende Mai im Rat keine Mehrheit. Statt dessen einigten sich die Räte darauf, dass die Figur bis Anfang Oktober stehenbleiben dürfe. Und vor zwei Wochen sprach sich die überwältigende Mehrheit des Gemeinderates sogar dafür aus, dass der Figur wenn schon nicht an so prominenter Stelle wie der Hafeneinfahrt, so doch sechzig Meter weiter an der städtischen Hafenmole auf Dauer ein Plätzchen überlassen werden könnte. Denn ihr Standort an der Hafeneinfahrt ist nur provisorisch.

Mehrheit der Bürger für die Statue

Was führte zu diesem Meinungsumschwung, zu dieser Kehrtwendung? War es das Flehen des Oberbürgermeisters: «Bitte, keine weitere Imperia-Debatte mehr!»? Oder war es der intensive Meinungsbildungsprozess im Lokalblatt? Darin hatte schon früh eine greise Baronin und Enkelin des Grafen Zeppelin offenmütig gestanden: «Ich bin ein Fan!» Eine Professorin für Kunstgeschichte bescheinigte der Imperia, dass sie «den voyeuristischen Blick entlarvt und die Spekulation mit der Nacktheit thematisiert». Ein auswärtiger Fachhochschul-Professor analysierte die Geschehnisse in Konstanz und fand, dass es sich um eine typische Lokalposse von hohem Unterhaltungswert mit den Akteuren «Platzhirsch» und «bürokratische Finsterlinge» und angereichert mit ästhetischer Freibeuterei handle. Der städtische Theaterintendant und ein Literaturwissenschafter setzten sich für die Figur ein. Die Christlichdemokraten waren anfangs, die Frauenbeauftragte der Stadt und die Republikaner sind bis heute dagegen.

Während Prominente und Experten in der Imperia-Frage also uneins sind, ist das Volk so gut wie einer Meinung: 95 Prozent sagten in einer Umfrage des Fremdenverkehrsvereins Ja zur Imperia, immerhin 73,8 Prozent waren es bei der Umfrage des Lokalblatts. - Apropos Imperia. Sie lebte um das Jahr 1500. Über ihr Leben wird widersprüchliches überliefert, gesichert scheint immerhin, dass sie eine Kurtisane und von ausserordentlicher Schönheit war. Nach einem laster- und orgienreichen Leben soll sie entweder keusch geworden und vom Papst mit einem Edelmann getraut worden sein oder, laut anderen Quellen, sich aus Liebe zu einem Edelmann umgebracht haben. Nach den letzten Informationen jedenfalls bleibt ihr Denkmal in Konstanz vorläufig stehen.