Wie Martin Suter uns Literaturkritiker das Fürchten lehrt

Er zählt zu den erfolgreichsten Schriftstellern der Gegenwart. Die Kunst der Unterhaltung beherrscht er wie nur wenige. Nun wird Martin Suter siebzig – und stellt uns noch immer vor viele Rätsel.

Roman Bucheli
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Seit 1997 veröffentlicht Martin Suter regelmässig Buch um Buch. Ebenso regelmässig steht er ganz oben auf der Bestsellerliste. (Bild: Annick Ramp / NZZ)

Seit 1997 veröffentlicht Martin Suter regelmässig Buch um Buch. Ebenso regelmässig steht er ganz oben auf der Bestsellerliste. (Bild: Annick Ramp / NZZ)

Gäbe es ein Jüngstes Gericht für Literaturkritiker: Ich und meinesgleichen hätten das Schlimmste zu fürchten. Wenn ich mir nur schon alle meine Verbalinjurien gegen den Schriftsteller Martin Suter in Erinnerung rufe, beginne ich vor Angst zu schlottern. «Die literarische Antithese» nannte ich ihn, das war noch vornehm. Einmal schrieb ich von einem «Tuttifrutti-Thriller», und bei anderer Gelegenheit verhängte ich über ein Buch die Höchststrafe: «nebenwirkungsfrei».

Allein, Beschimpfungen fallen gelegentlich auch auf jenen zurück, der sie ausspricht. Martin Suter sei bei der Wahl der Adjektive «so unzimperlich wie einfallslos», schnödete ich einmal (und wieherte wohl vor innerer Freude, als ich es schrieb). Aber war ich und sind manche unter uns Literaturkritikern nicht geradeso unzimperlich und einfallslos, wenn es um Martin Suter geht? Der Mann provoziert uns mit seiner nonchalanten Leichtigkeit, sein Erfolg macht uns nervös (und ratlos), und Unterhaltungsliteratur scheint uns ohnehin irgendwie anstössig. Wir halten uns schadlos, indem wir ihm Kunst- und Stillosigkeit vorwerfen.

Der Kritikerschreck

Dabei macht er einfach seine Sache verdammt gut. Oder genauer: Was immer der Mann macht, er macht es gut: Sei es Werbung (da war er noch sehr jung), seien es Drehbücher (etwa zu Daniel Schmids Film «Jenatsch»), seien es Songtexte (für Stephan Eicher) oder eben, seit den neunziger Jahren und also im reifen Alter, Romane: Immer verbindet er sein Naturtalent mit einer Prise Unbekümmertheit – so viel Lust an der Sache muss sein – und harter Arbeit.

Wir Kritiker glauben immer, nur das Komplexe oder die stilistische Subtilität gebe zu tun. Zugleich lassen wir uns auch vom ganz Einfachen betören und stellen dann regelmässig mit Kennermiene und etwas gönnerhaft fest: schweisstreibende Schwerarbeit. Aber kommt einmal einer mit Unterhaltung, zumal guter und unter Berücksichtigung der genretypischen Regeln gut gemachter Unterhaltung, hört der Spass gleich auf. Wir rühren die Bücher nur noch mit spitzen Fingern an.

Der Schweizer Schriftsteller Martin Suter wurde am 29. Februar 1948 in Zürich geboren, der Schalttag war zugleich ein Sonntag. «Ich bin ein Glückskind», sagt er darum von sich selbst. (Bild: Samuel Truempy / Keystone)
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Martin Suter wuchs in Zürich, Fribourg und Basel auf. Nach dem Gymnasium und einem kurzen Versuch an der Universität machte er eine Ausbildung als Werbetexter und wurde mit 26 Jahren Creative Director einer Basler Werbeagentur. Parallel dazu begann er, Drehbücher und Reportagen für diverse Zeitungen und Magazine zu schreiben. (Bild: Gaëtan Bally / Keystone)
1997 veröffentlichte Martin Suter mit «Small World» seinen Debütroman. Inzwischen ist Suter einer der erfolgreichsten Schweizer Schriftsteller. An der Leipziger Buchmesse wird er 2017 von seinen Fans umringt. (Bild: Jens Schlueter / Getty Images)
Parallel zu seinem literarischen Werk entstanden auch mehrere Drehbücher, etwa zu Daniel Schmids Film «Jenatsch». Das vermutlich erfolgreichste Drehbuch schrieb Martin Suter für den Film «Giulias Verschwinden», der unter anderem den Publikumspreis in Locarno erhielt. (Bild: PD)
Martin Suter ist ein Berufsautor mit hohem Arbeitsethos, er arbeitet nach festem Stundenplan wie die meisten anderen Erwerbstätigen. Dabei lümmelt er nicht etwa im Trainer herum, sondern trägt stets Anzug und Krawatte, wie auch in dieser Aufnahme aus dem Jahr 2012. (Bild: Samuel Truempy / Keystone)
Noch vor seinen Bestsellern wurde Martin Suter bekannt mit seinen Kolumnen «Business Class» und «Richtig leben mit Geri Weibel», die er für die «Weltwoche» bzw. für «NZZ Folio» geschrieben hatte. (Bild: Olivier Maire / Keystone)
Martin Suters Romane sind wie gemacht, um verfilmt zu werden: So wurde auch sein Zweitling «Die dunkle Seite des Mondes» auf die Leinwand gebracht. Der Roman erzählt die Geschichte eines Staranwalts, der mit halluzinogenen Pilzen zu experimentieren beginnt. Hier zeigt sich Martin Suter mit der Filmschauspielerin Doris Schretzmayer bei der Premiere des Films in Berlin. (Bild: PD)
Am 8. März 2005 wurde am Theater Neumarkt in Zürich Martin Suters Stück «Über den Dingen» gezeigt. Adrian Furrer (links) in der Rolle des Reto, zusammen mit Meret Hottinger (rechts) in der Rolle des Ding. (Bild: Eddy Risch / KEYSTONE)
Seit über zehn Jahren verbindet den Sänger und Gitarristen Stephan Eicher und Martin Suter eine Künstlerfreundschaft. Mit dem Text «Weiss nid was es isch» von Eichers «Eldorado»-Album von 2007 gelang ihnen ein erster grosser Erfolg. Im Diogenes-Verlag ist eben ihr gemeinsames «Song Book» erschienen. (Bild: PD)
Im Januar 2017 hat Martin Suter mit dem Roman «Elefant» sein bisher letztes Buch veröffentlicht. Zum Fototermin erschien er, wie stets perfekt gekleidet, im Büro seines Verlegers Philipp Keel. (Bild: Annick Ramp / NZZ) Zum Artikel

Der Schweizer Schriftsteller Martin Suter wurde am 29. Februar 1948 in Zürich geboren, der Schalttag war zugleich ein Sonntag. «Ich bin ein Glückskind», sagt er darum von sich selbst. (Bild: Samuel Truempy / Keystone)

Martin Suter aber lehrt uns Kritiker das Fürchten und verhagelt uns mit seiner Kunst der Unterhaltung das Geschäft. Wir fallen zwar mit unseren Instrumenten über seine Bücher her, lassen die Fetzen fliegen und stellen am Ende triumphierend fest: Da bleibt fast nichts mehr. Aber spricht das nun gegen die Bücher? Oder nicht vielmehr gegen unsere Instrumente? Ja, sollen wir etwa, so höre ich nun meine Kollegen entsetzt rufen, unterschiedliche Massstäbe anlegen, gar, Gott bewahre, Nachsicht üben?

Gemach, Freunde, behaltet eure Massstäbe und die gespitzten Bleistifte. Denkt nur an Goethe (oh, ich sehe schon, gleich beginnt ihr vor Wut zu schäumen, aber bleibt nur ruhig): Wie fragte doch der gute alte Goethe? «Was hat sich der Autor vorgesetzt? Ist dieser Vorsatz vernünftig und verständig? Und inwiefern ist es gelungen, ihn auszuführen?» Wenn nun einer Romane schreibt, zu deren Kunst es unbestritten gehört, dass ein Schuft aussieht wie ein Schuft und auch flucht und riecht wie einer: Soll man sich darüber mokieren, dass die Schurken bei Martin Suter immer aussehen wie Schurken, seien sie reich oder arm, durchtrieben oder tölpelhaft?

Und wozu überhaupt das Gerede von den einfallslosen Adjektiven? Das ist ja gerade der springende Punkt! Die meisten Menschen gehen doch als Klischees ihrer selbst durchs Leben und durch die Welt. Nun wendet ein Neunmalkluger ein: Aber man darf das Klischee nicht klischiert darstellen. Ja, wie denn sonst? Man schaue einem Komiker zu: Er übertreibt ins Grosse und Groteske, was ohnehin jeder sieht. Martin Suter macht nichts anderes: Er ist ein gewiefter Übertreibungskünstler. Der zudem seinen Plot mit genau dosiertem Witz, Kitsch und Suspense versetzt.

Was kommt noch?

Das alles ist ihm wahrscheinlich nicht an der Wiege gesungen worden – oder vielleicht doch. Denn er sei, er sagt es selbst, ein Glückskind. Geboren an einem Sonntag, überdies an einem Schalttag. Nur alle vier Jahre feiert er am 29. Februar Geburtstag. Diesen Hüpfer in der Zeit muss erst einmal einer finden – und dann auch noch punktgenau treffen. Durch die Hintertür kam er ins Leben. Auf ähnlich verschlungenen Wegen wurde er Werber, dann Drehbuchautor (mit grossem Erfolg: «Giulias Verschwinden»), schliesslich Schriftsteller. 1997 debütierte Suter mit «Small World», einem glänzenden Roman über Altersdemenz (2010 verfilmt mit Gérard Depardieu in der Hauptrolle), und 2008 hat er in dem Roman «Der letzte Weynfeldt» das Handwerk der literarischen Unterhaltung perfektioniert.

Seither wundert man sich: Was hat er noch alles auf Lager? Malt er demnächst? Oder spielt er Kontrabass? Jedenfalls steht er derzeit zusammen mit dem Freund und Musiker Stephan Eicher auf der Bühne und spielt Mundharmonika. Wird er also bald auch die Musik- und Kunstkritiker das Fürchten lehren? Zuzutrauen wäre es ihm. Man wünschte es ihm – und uns erst recht. Einstweilen aber gratulieren wir zum Siebzigsten.