Leben mit Wolfgang

«Nil amatum nisi praecognitum » hat der Erzbischof von Vaduz, Wolfgang Haas, auf die Empfangsseite seiner Webpage geschrieben: «Ohne dass man sich kennt, kann es keine Liebe geben.» Der schöne Satz stammt von Kirchenvater Augustin. Einen Mausklick weiter erblickt man

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Erbprinz Alois von und zu Liechtenstein bekommt von Erzbischof Haas die heilige Kommunion. (Bild: Reuters)

Erbprinz Alois von und zu Liechtenstein bekommt von Erzbischof Haas die heilige Kommunion. (Bild: Reuters)

Von Pascal Hollenstein

«Nil amatum nisi praecognitum » hat der Erzbischof von Vaduz, Wolfgang Haas, auf die Empfangsseite seiner Webpage geschrieben: «Ohne dass man sich kennt, kann es keine Liebe geben.» Der schöne Satz stammt von Kirchenvater Augustin. Einen Mausklick weiter erblickt man eine offene Kirchentür und liest: «Die Tür steht offen, mehr noch das Herz.» Auch das ist ein schöner, ein poetischer Satz.

Die liechtensteinische Realität ist prosaischer. Die Pforte zum bischöflichen Palais bleibt hermetisch verschlossen. Nein, der Erzbischof gebe der Auslandspresse kein Interview, teilt sein Generalvikar Markus Walser knapp mit. Auch Walser selber hat keine Lust auf ein Gespräch.

Dabei gäbe es einiges zu bereden. Vor exakt zehn Jahren hat Papst Johannes Paul II. das Fürstentum Liechtenstein vom Bistum Chur abgetrennt, zum Erzbistum erhoben und Wolfgang Haas als Erzbischof installiert. Die päpstliche Entscheidung war für viele ein Grund zur Freude – in der Schweiz. Im Bistum Chur, wo Haas zuvor als Bischof gewirkt hatte, läuteten teilweise die Kirchglocken. Der erzkonservative Kleriker hatte sich mit reaktionären Ansichten und rücksichtslosen Personalentscheiden gründlich unbeliebt gemacht. Es murrten die Kantone und die Kantonalkirchen, es protestierten die Pfarrer, die Schweizer Bischofskonferenz legte dem Kollegen den Rücktritt nahe, Aussenminister Flavio Cotti liess im Vatikan sondieren. Sie alle zeigten sich erleichtert, als der Pontifex den verhassten Haas wegbefördert hatte.

Laien als Hinterbänkler

Dafür war in Liechtenstein jetzt der Teufel los. Der Fürst habe getobt, als der päpstliche Nuntius ihm die Nachricht von der Gründung des Erzbistums habe überbringen wollen, erinnert sich einer, der zur fraglichen Stunde im Schloss war. Durchlaucht empfing den Boten nicht, der Nuntius lieferte das Schreiben deshalb im Regierungsgebäude ab. Mario Frick war Regierungschef. Ein «extrem unangenehmer Moment» sei das gewesen, als der Beschluss aus Rom eintraf, erinnert er sich: «Mir war sofort klar, dass das die unglücklichste Verquickung gibt, die man sich denken kann: Religion und Politik – das kann nur schiefgehen.»

Liechtenstein stand kopf in jenen Tagen. Der Fürst verglich die Errichtung des Erzbistums mit der Eröffnung einer Filiale von McDonald's. Der Vatikan eine globale Fritten-Bude? Die Untertanen verstanden die Botschaft. Regierung und Parlament weigerten sich, an der Amtseinsetzung von Bischof Wolfgang Haas teilzunehmen. Vor der Kirche demonstrierte das Volk, der Erzbischof nahm den Hintereingang. 8492 Liechtensteiner unterzeichneten eine Petition, die den Verbleib des Landes im Bistum Chur forderte.

Genützt hat alles nichts. Heute Sonntag feiert Wolfgang Haas in der Vaduzer Kirche mit einem Pontifikalamt das zehnjährige Bestehen des Erzbistums. Der Hirte hat die Zeit genutzt. Gleich zu Beginn schaffte Haas das ihm missliebige Dekanat ab, verwies die Laien in der Kirche auf die hinteren Bänke. Liberalere Geistliche verliessen ihren Posten entweder entnervt, oder sie wurden nach ihrer Pensionierung durch Haas-Getreue ersetzt. Über Personalmangel braucht sich der Erzbischof keine Sorgen machen: Rund 50 Priester sind bei ihm inkardiniert und stets bereit, Aufgaben im Dienste ihres Herrn wahrzunehmen. Auch konservative Gläubige zieht's ins Ländle. Liest Bischof Wolfgang eine Messe, dann stehen vor der Kirche reihenweise Reisecars aus der Schweiz und Österreich.

«Liechtenstein ist zu einem konservativen Refugium geworden», klagt Christel Kaufmann, eine Katechetin aus Balzers, die alte Volkskirche gebe es kaum mehr. Dafür werde von Tod und Verdammnis gepredigt, von Sünde, Fegefeuer und Hölle. Im Religionsunterricht etwa erzähle man den Kindern, wenn eine Frau sich die Lippen schminke, dann sei das eine Sünde. «Es gibt Kinder, die deswegen schlaflose Nächte haben», sagt Kaufmann.

Nun sind die Liechtensteiner zwar durch und durch katholisch, aber auch der Mikrostaat mit seinen 35 000 Einwohnern ist «im 21. Jahrhundert angekommen», wie sich Ex-Regierungschef Frick ausdrückt. Das Liechtensteiner Stimmvolk hat eine Initiative für ein umfassendes Verbot des Schwangerschaftsabbruchs, die von Haas massgeblich unterstützt wurde, bachab geschickt. Und das Parlament hat sich erst vor kurzem für die Einführung einer registrierten Partnerschaft für Homosexuelle ausgesprochen – obwohl Haas in der Zeitung «Vaterland» gedonnert hatte, Homosexualität sei «objektiv eine schwere Sünde».

Auch in Glaubensfragen ist Haas' Autorität eher gering. Gegen tausend Katholiken haben sich im «Verein für eine offene Kirche» zusammengeschlossen. Der Verein organisiert Gottesdienste mit ausländischen Pfarrern liberaler Gesinnung, Firmungen ohne Wolfgang Haas im Kloster Einsiedeln und neuerdings auch die Erstkommunion im Kloster St. Elisabeth, das zwar in Liechtenstein steht, aber nicht dem Erzbischof untersteht.

Präsidiert wird der Verein vom Anwalt Wolfgang Seeger, der von Einheimischen auch schon einmal «Bischof Wolfgang» genannt wurde. Betreibt er Kirchenspaltung? Seeger weist das weit von sich. «Wir sind katholisch und möchten es gerne bleiben. Trotz Wolfgang Haas und diesem Erzbistum, das das Land in die pastorale Isolation geführt hat.» Der Theologe Christoph Klein, der Geschäftsführer des Vereins, sagt, die «Offene Kirche» leiste mit ihren Angeboten einen Beitrag zur Sicherung des Religionsfriedens: «Ohne unsere Angebote würden viele Leute der Kirche ganz den Rücken kehren.»

Nicht in alle Ewigkeit

Im Gegensatz zur Schweiz bringt in Liechtenstein der Austritt aus der Kirche keine Steuerersparnis. Die katholische Kirche ist per Verfassung Landeskirche, ihre finanziellen Bedürfnisse werden aus den normalen Budgets von Gemeinden und Land befriedigt. Seit es das Erzbistum gibt, steigt der Druck, diesen Zustand zu beenden.

Regierungschef Otmar Hasler hat nun ein Projekt für eine Entflechtung von Kirche und Staat vorgelegt. Die evangelisch-reformierte und die lutherische Kirche sollen der katholischen gleichgestellt werden. Auch andere Religionsgemeinschaften könnten anerkannt werden. Die Steuerzahler könnten dann entscheiden, welcher Kirche sie ihren Anteil zukommen lassen wollen. Können sie sich für keine entscheiden, fliesst das Geld in den allgemeinen Staatshaushalt.

Und warum reduziert man nicht einfach die Steuer für jene, die keiner Kirche angehören? Was er vorschlage, sei bestimmt «eine kirchenfreundliche Lösung», räumt Hasler ein, der Staat könne aber «kein Interesse an Kirchenaustritten aus finanziellen Gründen haben». Liechtenstein dürfe «kein laizistischer Staat werden».

Dass der Vatikan das Erzbistum wieder auflöst, daran glaubt eigentlich kaum mehr einer. Aber auch ein Erzbischof bleibt nicht ewig im Amt. Haas ist 59 Jahre alt. Beim Mittagessen in einem traditionsreichen Vaduzer Lokal schiebt sich ein einflussreicher Landesbürger ein Stück Waadtländer Saucisson auf die Gabel. «Ach, der Wolfgang!», sagt er und greift zum Wein glas: «Vielleicht platzt er eines Tages ja einfach.»