Das Parlament spielt bei der Kohäsionsmilliarde auf Zeit

Die grosse Kammer will die 1,3 Milliarden Franken nur bezahlen, wenn die EU die Schweiz nicht diskriminiert. Dank einer Differenz zum Ständerat gewinnt das Parlament Zeit – und kann so die Diskussionen zum Rahmenabkommen abwarten.

Christof Forster, Fabian Schäfer, Bern
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Bundesrat Ignazio Cassis, rechts, spricht neben Bundesrätin Karin Keller-Sutter im Nationalrat. (Bild: Peter Schneider / Keystone)

Bundesrat Ignazio Cassis, rechts, spricht neben Bundesrätin Karin Keller-Sutter im Nationalrat. (Bild: Peter Schneider / Keystone)

Nur die SVP bekämpfte am Montag die Kohäsionsmilliarde für die wirtschaftlich schwächeren Staaten der EU. Genaugenommen geht es um 1,3 Milliarden Franken, verteilt über 10 Jahre. Die Schweiz solle nicht Geld in Länder wie Polen schicken, die punkto Wachstumsraten und Schuldenquote sehr gut dastünden, sagte Peter Keller (svp., Nidwalden).

Er verwies auf Schweizer Firmen wie ABB, Stadler Rail, UBS und Credit Suisse, die in Polen investierten. Parteikollege Andreas Aebi (Bern) wunderte sich darüber, dass nur die Schweiz Eintrittsgeld für den EU-Markt zahlen muss und umgekehrt nicht auch die Union der Schweiz. Nach der Logik der Kohäsionsmilliarde kämen solche Gelder wohl strukturschwachen Regionen wie dem Jura zugute.

Dass die Volkspartei nicht gegen die 2016 vom Parlament beschlossene gesetzliche Grundlage für den Erweiterungs-Beitrag das Referendum ergriffen hatte, wurde den SVP-Votanten wiederholt unter die Nase gerieben. Diese Gelegenheit sei der SVP damals durch die Lappen gegangen, sagte Keller.

Der Nationalrat lehnte Anträge auf Nichteintreten oder Rückweisung der Vorlage an den Bundesrat mit 125 zu 67 beziehungsweise 119 zu 73 Stimmen ab.

Wechselnde Mehrheiten

Bei den Befürwortern der Kohäsionsmilliarde gab es zwei Gruppen. SP, Grüne und GLP wollten die Beiträge an keinerlei Bedingungen knüpfen. Nach dem Willen von CVP und FDP sollte der Bundesrat die Gelder erst freigeben, wenn die EU der Schweiz die Börsenäquivalenz unbefristet gewährt, sie uneingeschränkt am EU-Forschungsprogramm Horizon und an Erasmus Plus (Förderung der Berufsbildung) teilnehmen lässt sowie auf weitere diskriminierende Massnahmen verzichtet.

Damit wäre der Nationalrat deutlich weiter gegangen als der Ständerat. Dieser hat Ende 2018 ein erstes Mal über den Kohäsionsbeitrag diskutiert und dabei ebenfalls eine Hürde aufgestellt: Der Bundesrat darf keine Beiträge zahlen, «wenn und solange die EU diskriminierende Massnahmen gegen die Schweiz erlässt». Im Zentrum der Debatte stand damals die Börse.

Der Nationalrat hat sich am Montag nun überraschend dem Ständerat angeschlossen. Der Entscheid kam infolge wechselnder Mehrheiten zustande, weil die SVP noch schärfere Bedingungen verlangte und für die Linke, die BDP und die GLP schon der von CVP und FDP unterstützte Vorschlag der Aussenpolitischen Kommission zu weit ging. Somit gibt es in diesem Punkt keine Differenz mehr. Nun wird es am Bundesrat liegen, zu entscheiden, was «diskriminierende Massnahmen» sind und wann sie enden.

Viel Taktik

Mitte-links argumentierte, das Parlament würde mit allzu spezifischen Auflagen den diplomatischen Spielraum des Bundesrats in den Gesprächen mit der EU zu stark einschränken. In diesem Sinne äusserte sich auch Aussenminister Ignazio Cassis. Er warnte zudem davor, die Hebelwirkung des Kohäsionsbeitrags in den Verhandlungen mit Brüssel zu überschätzen. Er versicherte indes, dass der Bundesrat bei seinem Entscheid die Grosswetterlage im Verhältnis zur EU berücksichtigen werde.

Cassis bezeichnete den Beitrag als «kleines Zeichen», als «Investition in die guten Beziehungen» mit den Nachbarn. Dazu passte der Hinweis von Kathy Riklin (cvp., Zürich), dass man den Schweizer Beitrag nicht überbewerten sollte. Er mache nur 0,35 Prozent der gesamten Kohäsionsgelder der EU aus. Aus diesem Grund warnte Martin Naef (sp., Zürich) davor, den Beitrag zum Faustpfand in den Verhandlungen machen zu wollen. Er sprach von einer «wirkungslosen Provokation zur Unzeit».

Bei CVP und FDP, welche für strengere Auflagen als der Ständerat stimmten, war auch viel Taktik im Spiel. Indem der Nationalrat andere Entscheide fällt als der Ständerat, kann er die notwendigen Differenzen schaffen, die es dem Parlament erlauben, die Beratung des Geschäfts noch um einige Monate hinauszuzögern. Damit muss es nicht definitiv über die Milliarde entscheiden, bevor klar ist, wie es mit dem Rahmenabkommen oder der Börse weitergeht.

Eine Differenz hat die grosse Kammer denn auch geschaffen: bei der Verteilung der Gelder. Neben dem eigentlichen Kohäsionsbeitrag von rund 1 Milliarde Franken will der Bundesrat 190 Millionen an Länder wie Italien oder Griechenland bezahlen, die bei der Migration unter Druck stehen. Der Nationalrat hat nun die Migrations-Beiträge verdoppelt und die Kohäsionszahlung entsprechend gekürzt.

Schliesslich lehnte der Rat einen Antrag der SVP ab, die Vorlage dem freiwilligen Referendum zu unterstellen. Damit gibt es keine Volksabstimmung.

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