Kommentar

EU-Ostmilliarde: Der Entscheid des Nationalrats ist ein taktisch geschickter Zug

Der Nationalrat spielt beim Kohäsionsbeitrag auf Zeit. Bis zum definitiven Entscheid sollte feststehen, wie es mit der Börse und dem Rahmenabkommen mit Brüssel weitergeht.

Tobias Gafafer
Drucken
Die FDP-Bundesräte Karin Keller-Sutter (l.) und Ignazio Cassis (r.) vertreten im Nationalrat die beiden Vorlagen für den zweiten Kohäsionsbeitrag der Schweiz an EU-Staaten. (Bild: Peter Schneider / Keystone)

Die FDP-Bundesräte Karin Keller-Sutter (l.) und Ignazio Cassis (r.) vertreten im Nationalrat die beiden Vorlagen für den zweiten Kohäsionsbeitrag der Schweiz an EU-Staaten. (Bild: Peter Schneider / Keystone)

Die Schweiz soll ärmere EU-Oststaaten in den nächsten zehn Jahren weiter mit rund einer Milliarde Franken unterstützen. Dafür hat sich im Grundsatz auch die grosse Kammer ausgesprochen. Die gesetzliche Grundlage hatte das Parlament bereits 2016 geschaffen. Umstritten war am Montag noch primär, ob das Geld an Bedingungen geknüpft werden soll und, wenn ja, an welche.

Der Nationalrat schloss sich überraschend dem Ständerat an. Im Gegensatz zu seiner Aussenpolitischen Kommission (APK) verlangt er lediglich, dass die EU keine diskriminierenden Massnahmen gegen die Schweiz ergreift. Zudem will er den Kredit für den Migrationsbereich aufstocken. Die APK hatte den Kohäsionsbeitrag dagegen mit detaillierten Forderungen verbunden, namentlich mit der vollen Teilnahme der Schweiz am nächsten Forschungsprogramm der EU.

Die aussenpolitische Bedeutung des Solidaritätsbeitrags wird überschätzt. Dieser ist kein Hebel, sondern der Preis für den Zugang zum lukrativen EU-Binnenmarkt. Die 130 Millionen Franken pro Jahr sind in Relation zum Handelsvolumen zu setzen, das sich 2018 auf über 250 Milliarden belief. Die Schweiz kommt besser weg als EWR-Staaten wie Norwegen. Zudem gingen rund 10 Prozent der ersten Ostmilliarde an Schweizer Firmen oder Universitäten.

Dennoch wäre es innenpolitisch kaum zu rechtfertigen, den Rahmenkredit zum gegenwärtigen Zeitpunkt vorbehaltlos zu genehmigen. Die EU hat die Bescheinigung, dass die hiesige Börsenregulierung gleichwertig ist, nur befristet bis im Juni gewährt, obwohl alle Anforderungen erfüllt sind. Sie macht eine Verlängerung vom Schicksal des Rahmenabkommens abhängig. Ohne dieses will die Kommission zudem bestehende Marktzugangsabkommen nicht mehr aufdatieren.

In dieser Lage ist es naheliegend, dass der Nationalrat im Migrationsbereich eine Differenz zum Ständerat geschaffen hat. Damit dürfte das Parlament mehrere Sessionen benötigen, um das Geschäft zu bereinigen. Bis zum definitiven Entscheid sollte auch feststehen, wie es im institutionellen Poker mit der EU und bei der Börse weitergeht. Der Nationalrat hat einen Vorteil des Zweikammersystems genutzt, ohne mit der Ostmilliarde unrealistische Erwartungen zu wecken. Letztgenanntes ist in der Schweizer Europapolitik keine Selbstverständlichkeit, wie die laufende Konsultation zum Rahmenvertrag zeigt.

Weitere Themen