Datenanalyse

Die Schweiz erlebt einen Boom bei US-Touristen. In Andermatt ist er besonders ausgeprägt

Amerikaner haben das Skifahren in der Schweiz für sich entdeckt.

Andri Nay, Eike Hoppmann 5 min
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Seit der Corona-Pandemie wird in vielen Schweizer Skiorten englisch gesprochen.

Seit der Corona-Pandemie wird in vielen Schweizer Skiorten englisch gesprochen.

Illustration Charlotte Eckstein, Andrin Engel / NZZ

Die Botschaft der jungen Frau verbreitet sich in den sozialen Netzwerken millionenfach: «Es ist viel günstiger, in der Schweiz Ski zu fahren anstatt in Colorado.» In einem 90-Sekunden-Video erklärt Camille Larmoyeux, Reise-Influencerin aus New York, warum sich ein Skitrip in die Schweiz mehr lohnt als einer in die Rocky Mountains.

Sie sagt, dass es in den USA ebenfalls einen mehrstündigen Flug brauche, um von New York die Berge zu erreichen. In die Schweiz zu reisen, sei ähnlich teuer wie nach Colorado. Nach der Ankunft in Zürich sei die Fahrt in die Berge kürzer als in den USA vom Flughafen ins Skigebiet; die Miete der Ausrüstung, das Hotel, die Bergbahn-Tickets sogar günstiger. Als weiteres Plus für Schweizer Skiferien nennt sie: «Rösti, Fondue und die beste heisse Schokolade der Welt.»

Fakt ist: Die Amis kommen. Das zeigt ein Blick auf die Übernachtungszahlen. In gewissen Skiorten sind die Zahlen explodiert.

Besonders beliebt bei den Amerikanern seien klingende Namen wie Zermatt, St. Moritz, Grindelwald oder Verbier, sagt Claudio Zemp, Director Americas bei Schweiz Tourismus. Er versichert, dass die Gratiswerbung der Influencerin nichts mit der staatlichen Marketingorganisation zu tun habe.

Internationale Skipässe sorgen für Boom

Am stärksten zugelegt bei den Gästen aus den USA hat jedoch Andermatt: Jede fünfte Winter-Übernachtung von ausländischen Touristen kam 2023 von Amerikanern. Vor der Pandemie war es jede zwanzigste.

Der Boom im Urserntal lässt sich anhand eines Deals erklären: Im Frühjahr 2022 hat Vail Resorts, der grösste Betreiber von Skigebieten weltweit, angekündigt, das Skigebiet Andermatt-Sedrun zu kaufen. Bereits in der darauffolgenden Wintersaison gehörte es den Amerikanern.

Mit den amerikanischen Investoren kamen die Gäste aus Übersee nach Andermatt. Hauptsächlich wegen des Epic Pass. Das Saison-Abo von Vail Resorts gilt unbeschränkt in allen 41 Skigebieten in Nordamerika, Australien, Japan und Europa. Weil Andermatt-Sedrun das erste Skigebiet von Vail Resorts in Europa ist, löste das einen Hype aus.

Ähnlich beliebt bei amerikanischen Gästen ist Zermatt. In absoluten Übernachtungszahlen ist Zermatt sogar die amerikanische Hochburg unter den Schweizer Skiorten. Im Dezember und Januar haben Amerikaner dort für 47 000 Übernachtungen gesorgt. Das sind mehr als doppelt so viele wie 2019/20. Auf Platz zwei folgt St. Moritz mit 15 500 Übernachtungen.

Auch in Zermatt fällt der Anstieg mit einem Anschluss an einen internationalen Skipass zusammen. Seit der Saison 2019/20 sind die Bergbahnen dem Ikon Pass der Alterra Mountain Company angeschlossen. Alterra ist der grösste Konkurrent von Vail Resorts. Der Ikon Pass gibt Zugang zu über 50 Skigebieten, darunter 5 in Europa.

Die Medienstelle der Bergbahnen Zermatt erklärt das Wachstum damit, dass Skifahren in Zermatt im Vergleich zu den USA günstiger sei. Zudem habe der Ikon Pass vermehrt Gäste ins Wallis gebracht.

So viele amerikanische Gäste wie seit 1985 nicht mehr

Der Skitourismus passt ins Bild: Seit vierzig Jahren haben Gäste aus den USA nicht mehr für so viele Logiernächte in der Schweiz gesorgt wie im vergangenen Jahr. Es herrscht ein regelrechter Schweiz-Hype.

Verglichen mit den Sommermonaten hängt der Tourismus in den Monaten November bis einschliesslich April noch deutlich zurück. Die Entwicklung zeigt aber nach oben: In den Wintermonaten 2023 sorgten amerikanische Gäste für fast eine Million Übernachtungen in der Schweiz.

Der Sommer liegt vorne, aber auch Winterferien in der Schweiz werden bei US-Touristen immer beliebter

Anzahl der Winter-Logiernächte von amerikanischen Gästen in der Schweiz, nach Jahr (in Tausend)

Gutverdienende Millennials suchen Alpenromantik

Schweiz Tourismus fokussiert sich auf amerikanische Haushalte, die mehr als 150 000 Dollar im Jahr verdienen. Das ist doppelt so viel wie das Median-Einkommen in den USA. Amerikaner übernachten in 4- oder 5-Sterne-Hotels. Gemäss einer Gästebefragung von Schweiz Tourismus aus dem Jahr 2017 geben sie 280 Franken pro Tag aus – mehr als doppelt so viel wie deutsche Gäste.

Besonders auffällig ist, wie schnell sich der amerikanische Tourismus nach der Corona-Pandemie im Vergleich zu anderen Ländern erholt und sogar zugelegt hat. Die Übernachtungen von deutschen Touristen liegen unter dem Niveau von vor der Pandemie. Auch chinesische Gäste finden nur zögerlich den Weg in die Schweiz.

Zemp von Schweiz Tourismus sagt, dass Millennials (30- bis 45-Jährige) stärker auf die Work-Life-Balance achteten als ihre Vorgängergenerationen in den USA. Der Siegeszug des Home-Office und die gute Wirtschaftslage ermöglichten es ihnen, Ferien und Arbeit besser miteinander zu verbinden.

Früher hätten Amerikaner gewartet, bis sie über 50 Jahre alt waren, um nach Europa zu reisen. Die Millennials wollen nach zwei Pandemiejahren nicht warten: Sie nutzen die flexible Arbeitswelt für Skiferien in Europa.

An der Schweiz schätzen sie die authentischen Skiorte. In den USA seien die Schneebedingungen zwar sehr gut, sagt Zemp, aber den amerikanischen Skiorten fehle oft der Charme von Schweizer Bergdörfern. Zemp sagt über die amerikanischen Retortenstädte: «Breckenridge ist nicht Zermatt.»

Der Director Americas sieht Anzeichen, dass der Boom anhalten wird: Per 28. März bietet die Swiss eine zusätzliche Flugverbindung von Washington D. C. nach Zürich an, im Juni nimmt Delta nach zehn Jahren Pause wieder eine Direktverbindung Atlanta–Zürich auf. Das wird noch mehr amerikanische Gäste in die Schweiz bringen.

Beim Skifahren ist die Schweiz tatsächlich günstiger

In den USA bezahlen Skifahrer in Orten wie Breckenridge oder Beaver Creek fürs kommende Wochenende über 250 Dollar für die Tageskarte. Auch Skimiete, Transport oder Hotels sind teurer. In den USA ist der Skisport längst zum Luxus geworden.

Grund dafür ist ein anderes Geschäftsmodell. In den USA gehört einer Gesellschaft das Skigebiet samt Restaurants, Hotels, Vermietung, Transport und Bergbahnen. Diese kann die Preise setzen. Der Branchenprimus Vail Resorts verkauft den im Vergleich zum Tagesticket mit 1000 Dollar relativ günstigen Epic Pass ausschliesslich in der Vorsaison. Der Vorteil fürs Unternehmen: Bevor der erste Schnee fällt, sind die Kassen gefüllt.

Was Amerikaner allerdings von Skiferien in der Schweiz abschrecken könnte, ist der lange und teure Flug. Ein Aufenthalt in Zermatt, Engelberg oder Andermatt lohnt sich für Amerikaner finanziell nur, wenn sie länger bleiben oder früh buchen. Genau das würden sie allerdings tun, sagt Zemp. Gäste aus den USA buchten oftmals ein halbes Jahr vor Abreise und verbänden die Skiferien mit einem Städtetrip nach Luzern, Zürich oder Bern.

Skifahren in der Schweiz kann sich für Amerikaner also tatsächlich rechnen. Die Influencerin Larmoyeux hat zumindest teilweise recht, wenn sie sagt, Skifahren in der Schweiz sei günstiger als Skifahren in den Rocky Mountains.

Epic Pass wird auf Crans-Montana ausgeweitet

nay. Ab nächster Saison dürfte auch Crans-Montana einen Boom bei den Gästen aus den USA erleben. Der amerikanische Skigebietsbetreiber Vail Resorts hat angekündigt, die Bergbahnen samt Gastrobetrieben, Skivermietung und einer Skischule zu kaufen. Der Epic Pass soll in Crans-Montana bereits ab kommender Saison gelten.

Vail Resorts will in der Schweiz und in Europa weiterwachsen. Erst bei mehreren Skigebieten funktioniert ihr Erfolgsmodell mit teuren Tages- und relativ günstigen Saisonkarten. Gerüchteweise ist Vail Resorts an den Bergbahnen in Verbier interessiert. Dort formiert sich Widerstand: Chalet-Besitzer fürchten amerikanische Preise.

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