Die letzte Diva ist zurück

Carolina Kostner ist eine ungewöhnliche Dopingsünderin: Sie wurde Anfang 2015 gesperrt, weil sie für ihren damaligen Freund log. Jetzt überrascht sie mit einem Comeback. Die Fans sind begeistert.

Ruth Spitzenpfeil
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Carolina Kostner. (Bild: Imago)

Carolina Kostner. (Bild: Imago)

Eiskunstlauf am Mittelmeer: Im Palais Omnisport von Marseille findet seit gestern der erste Saisonhöhepunkt statt, der Final der Grand-Prix-Serie, die «kleine Weltmeisterschaft». Zumindest bei den Frauen scheint es in diesem Jahr aber fast so, als habe man die russischen Meisterschaften nach Südfrankreich verlegt; vier der sechs Finalistinnen sind aus Moskau oder St. Petersburg. So richtig spannend ist für die internationale Fan-Gemeinde aber nicht, ob nun eine Medwedewa, eine Radionowa oder eine Pogorilaja gewinnt. Vielmehr elektrisiert ein Ereignis, das zeitgleich 800 Kilometer weiter östlich in Zagreb stattfindet: Hier betritt die letzte grosse Diva des Eiskunstlaufs wieder die Wettkampfarena.

Wegen Mithilfe zum Doping wurde auch Kostner bestraft – mit einer Härte, die weitherum empörte.

Carolina Kostner will es noch einmal wissen. Die Comeback-Ankündigung der Südtirolerin hat viele überrascht. Denn ihre lange Karriere mit zahlreichen EM-Titeln, dem Gewinn der Weltmeisterschaft und einer Bronzemedaille an den Olympischen Spielen von Sotschi war vor zwei Jahren mit einem Paukenschlag vorbei gewesen. Es war ein hässliches und zugleich bizarres Ende. Kostner wurde wegen Dopings gesperrt – und das, obwohl sie selbst keine verbotenen Substanzen eingenommen hatte. Sie bewies im falschen Moment die Treue zu ihrem damaligen Verlobten.

Als im Sommer 2012 vor ihrer Tür die Dopingfahnder standen, tat sie das, worum sie ihr Freund Alex Schwazer zuvor gebeten hatte: Sie leugnete seine Anwesenheit. Kurz darauf stellten Tester beim Leichtathleten EPO fest. Wegen Mithilfe zum Doping wurde auch Kostner bestraft – mit einer Härte, die weitherum empörte. Für ein Jahr und vier Monate durfte sie nicht an Wettkämpfen teilnehmen.

Für ihn hat Kostner gelogen: Leichtathlet Alex Schwazer. (Bild: Imago)

Für ihn hat Kostner gelogen: Leichtathlet Alex Schwazer. (Bild: Imago)

War dies das endgültige Ende einer Sportlerlaufbahn, die ohnehin den Zenit überschritten hatte? Mit ihrem Abschied vom Wettkampf und dem Hinübergleiten in das Leben als Show-Star hatte man schon nach dem WM-Titel 2012 gerechnet. Doch die stets so sanftmütige Kostner zeigte Eigensinn. Sie wollte sich weiterhin messen auf dem Eis. Die Konkurrenz, gegen die sie nun antreten muss, ist meist russisch, technisch brillant und blutjung.

Die Namen muss man sich nicht unbedingt merken; jedes Mal scheint ein anderer Springfloh aufs Podest zu hüpfen. Charakter und Tiefe haben deren Küren kaum je. Sie sammeln Punkte. Die uralte Sehnsucht des Publikums nach einer Künstlerin, die ihr Herz aufs Eis legt, wird nicht erfüllt. Dies ist der Grund, warum heute so viele Fans hoffnungsvoll nach Zagreb blicken.

Warum tut sie sich das an?

Der Wettbewerb «Golden Spin of Zagreb», wo sich die Kostner nun unter die Anfänger einreiht, gehört zur Challenge-Serie. Hier sollen junge Talente auf sich aufmerksam machen. Kostner ist 29 Jahre alt, fast die gesamte Weltspitze ist mindestens 10 Jahre jünger als sie. Manch einen Fan stimmt es wehmütig, sie in dieser Startliste wiederzufinden, so ist es in den Eislauf-Foren nachzulesen. Warum tut sie sich das an?

«Ich komme nicht zurück aus Rache. Es ist die reine Freude am Eislaufen», sagte Kostner kürzlich gegenüber dem «Corriere della Sera». Italien hat auch nach dem Doping-Urteil immer regen Anteil an ihrem Schicksal genommen. Sie ist enorm populär, wohl gerade auch wegen ihrer Geschichte von Liebe, Verrat und Sühne. Ende Oktober füllte sie begleitet von der samtigen Stimme Andrea Bocellis die unter Eis gesetzte Arena von Verona. Mit dabei: der langjährige Vertraute Stéphane Lambiel aus der Schweiz – und Jewgeni Pluschenko. Dies führt auf die Spur des eigentlichen Coups, den Kostner plant. Sie will die russische Konkurrenz mit deren eigenen Waffen schlagen.

Sie wird nun von keinem Geringeren als dem russischen Trainer-Guru Alexei Mischin betreut, der Pluschenko und andere zu Olympia-Gold geführt hat. Bereits seit dem Frühjahr übt sie verbissen unter seiner Ägide. «Sie ist sehr glücklich mit ihm», verriet die Mutter daheim in Gröden. Das erstaunt. Denn Mischin gilt als gnadenloser Einpeitscher und Stratege. Die sensible Kostner brauchte früher die emotionale Sicherheit, die sie im vertrauten Trainingszentrum in Oberstdorf in Bayern genoss. Doch jetzt arbeitet sie für ein höheres Ziel. Sie will noch einmal glänzen, zeigen, dass grosser Eiskunstlauf Sport und Drama gleichzeitig sein muss. «Meine Geschichte soll ein Strahl der Hoffnung sein für jene, die im Leben alles verloren haben», sagte sie mit dem ihr eigenen Sendungsbewusstsein.

Nun braucht es aber erst einmal die kleinen Schritte, bevor sie zum grossen Sprung ausholen kann. Mit der Kür am Samstag in Zagreb muss sie beweisen, ob sie bezüglich der technischen Schwierigkeiten den Jungen noch das Wasser reichen kann. Die Kombination aus Dreifach-Flip und Dreifach-Toeloop aus ihren besten Tagen wird dabei das Minimum sein. An den nationalen Titelkämpfen nächste Woche in Neumarkt in Südtirol geht es um die Qualifikation für die Europa- und Weltmeisterschaften. Und auch das Fernziel Olympia will Kostner nicht ausschliessen.