Turbulenzen im Eiskanal: Im Schweizer Bobverband hat viel Personal gewechselt

Eine Woche später als geplant startet am Samstag in Lake Placid der Bob-Weltcup. Das grosse Talent Michael Vogt, der einzige Schweizer Fahrer im Teilnehmerfeld, muss sich wieder an einen neuen Trainer gewöhnen.

Marco Ackermann
Drucken
Das Viererbob-Team von Michael Vogt auf dem Weg zum starken 5. WM-Rang im März 2019.

Das Viererbob-Team von Michael Vogt auf dem Weg zum starken 5. WM-Rang im März 2019.

Rich Lam, Keystone /EPA

Der Bobsport erlebt schwierige Zeiten. In Calgary ist die Olympiabahn von 1988 wegen Renovationsarbeiten vorübergehend geschlossen. Die kanadischen Olympiasieger mussten sich nach anderen Trainingsstrecken umsehen. Wegen finanzieller Unsicherheiten ist unklar, wie der Eiskanal künftig betrieben wird.

In Park City, auf der Olympiabahn von 2002, hätte am vergangenen Wochenende die Weltcup-Saison lanciert werden sollen. Doch die amerikanischen Organisatoren hatten technische Probleme mit dem Kühlsystem der Bahn. Es war ihnen nicht möglich, für die geplanten Renntermine eine gute Eisqualität zu garantieren. Darum gaben sie das Austragungsrecht zurück – der Weltcup gastiert nun zum Auftakt gleich an zwei Wochenenden in Lake Placid.

Ohne den Technik-Guru

Monate mit Turbulenzen hat auch der Schweizer Bobsport hinter sich. 2019 war eigentlich kein Wahljahr für Swiss Sliding, doch im Verband ist vieles anders geworden. Nach der vergangenen Saison musste der Leistungssport-Chef Lukas Fischer gehen, der Nationaltrainer Wolfgang Stampfer ging von sich aus. Grosse Verbandssponsoren verlängerten ihre Verträge nicht. Die Geschäftsstelle musste umziehen. Und an der Delegiertenversammlung kündigten der Präsident Jürg Möckli und das Vorstandsmitglied Ekkehard Fasser, Olympiasieger von 1988, den vorzeitigen Rücktritt an. Bis in den Sommer hinein gab es Fragezeichen um das künftige Personal und Budget. Kurzfristig waren Sparübungen notwendig.

Möckli versprach, so lange im Amt zu bleiben, bis er einen Hauptsponsor gefunden habe – im September konnte er schliesslich die Partnerschaft mit der Privatbank Julius Bär präsentieren. Danach setzte der Verband an einer ausserordentlichen DV die drei neuen Vorstandsmitglieder ein. Das Präsidium übernahm Sepp Kubli, davor Vizepräsident im einflussreichen Bobklub Zürichsee.

Einige der Mutationen werden Michael Vogt, den einzigen Schweizer Fahrer in Lake Placid, nicht tangieren, wenn er am Samstag in den Weltcup startet. Und doch gibt es eine grosse Unbekannte: In seiner dritten Saison als Boblenker muss sich Vogt schon auf den dritten Trainer einstellen. Swiss Sliding verpflichtete für diesen Winter den Tschechen Petr Ramseidl. Dieser arbeitete bereits früher für den Schweizer Verband, aber nie in solch hoher Position. Zuletzt war er für den britischen Verband tätig, von dort bringt er seinen Assistenten und Athletikcoach mit.

Ihr Engagement im Elite-Nationalteam ist vorerst auf eine Saison befristet, danach soll zumindest Ramseidl in den Nachwuchs wechseln. Im Gegenzug soll der Nachwuchs-Chef Christoph Langen, einst an den Lenkseilen für Deutschland mehrfacher Olympiasieger und Weltmeister, auch die Betreuung der Weltcup-Teams übernehmen. Das würde für Vogt wieder einen Trainerwechsel bedeuten. Wenigstens kennt er Langen aus gemeinsamen Zeiten im Europacup.

Mit dem nach Österreich zurückgekehrten Stampfer verband Michael Vogt ein gutes Verhältnis. Der Freiräume gewährende Trainer und das nach Instinkt fahrende Talent passten gut zusammen. Im März, im Alter von erst 21 Jahren, verblüffte Vogt mit einem 5. WM-Rang. Unerschrocken und unbeschwert liess der Schwyzer seinen Vierer-Schlitten auf der komplizierten Bahn in Whistler so gut laufen, dass er während des Rennens gar die Rekordgeschwindigkeit von 156,92 km/h erreichte. Um das Tempo zu veranschaulichen, sagt ein Experte: «Das ist wie Tempo 450 auf der Autobahn.»

Mit Stampfers Abgang ist für Vogt nun aber einiges an Know-how im Materialbereich verloren gegangen. Der Tiroler gilt in der Szene als Technik-Guru, mehrere Schlitten aus dem Bestand von Swiss Sliding sind von ihm gebaut worden. Doch obwohl Stampfer heute im Sold der Konkurrenz steht, soll es zwischen ihm und Vogt eine Art Gentlemen’s Agreement geben, wonach der Fahrer seinen früheren Coach kontaktieren dürfte, sollten grundlegende Fragen auftauchen.

Britische Verstärkung

Die Schweizer Perspektiven lassen sich nur schwer abschätzen. Zum einen ist es ein beunruhigendes Signal, wenn eine Trainer-Kapazität wie Stampfer zu einem Verband wie dem österreichischen abspringt, der sich vor nicht allzu langer Zeit arg in Schieflage befand. Zum anderen ist es Swiss Sliding in jüngster Vergangenheit gelungen, die Anzahl potenzieller Weltcup-Athleten wieder zu erhöhen.

Das ändert aber nichts daran, dass nur wenige Athleten jetzt schon mit der Weltspitze mithalten können. Der Europacup-Fahrer Timo Rohner etwa sieht sich gezwungen, auf einen ausländischen Anschieber zurückzugreifen. Der Brite Joel Fearon, 2014 Olympiamedaillengewinner, könnte für das Team Rohner sogar an Weltmeisterschaften teilnehmen.

In der Summe scheinen die Aussichten immerhin so gut, dass Stefan Riniker seinen sicheren Job in einem Bildungsdepartement gegen jenen des Leistungssport-Chefs von Swiss Sliding getauscht hat. An Kampfeswillen mangelt es dem früheren Anschieber nicht. Er sagt: «Der Schweizer Bobsport ist nicht da, wo er hingehört.» Gut für ihn, dass die nächsten Winterspiele erst 2022 stattfinden. So bleibt genug Zeit, Baustellen zu schliessen.