Putin, Dame, König am Schwarzen Meer

An der Schach-WM in Sotschi bleiben die meisten Plätze im Publikum leer. Das hat nichts mit mangelndem Interesse am Schach-Sport zu tun, sondern mit Russland als Gastgeber.

Claudia Rey
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Zuschauer und Journalisten müssen an der Schach-WM hinter der Scheibe bleiben, damit sie die Spieler nicht durch Zurufe beeinflussen können. (Bild: FIDE)

Zuschauer und Journalisten müssen an der Schach-WM hinter der Scheibe bleiben, damit sie die Spieler nicht durch Zurufe beeinflussen können. (Bild: FIDE)

Nur ein gutes Dutzend Zuschauer verfolgen die Eröffnungspartie der Schach-WM in Sotschi live und vor Ort – obwohl der Eintritt kostenlos ist. Und einzig die anwesenden Journalisten und Offiziellen nehmen den leer gebliebenen Rängen, die im Medienzentrum der Olympischen Winterspiele vom Februar aufgebaut worden sind, etwas von ihrer Tristesse.

Den kümmerlichen Zuschaueraufmarsch bemerken Viswanathan Anand und Magnus Carlsen jedoch kaum. Das Medienzentrum ist während der Partie abgedunkelt. Einzig das Schachbrett, das auf einem Holztisch zwischen Anand und Carlsen aufgebaut ist, erstrahlt im Kegel des Lichts. Auch hören können die beiden Kontrahenten das Publikum nicht: Die Bühne, auf der sich Anand und Carlsen gegenübersitzen, ist durch eine Glaswand vom Zuschauerraum getrennt.

Fehlendes Interesse an Schach oder der Affiche Carlsen - Anand kann nicht der Grund für den geringen Zuschaueraufmarsch in Sotschi sein: 30 Millionen Zuschauer verfolgten letztes Jahr das WM-Duell Carlsen - Anand im Live-Stream des Schach-Weltverbandes (Fide). In Carlsens Heimat Norwegen werden alle Begegnungen live im Fernsehen übertragen. Die Eröffnungspartie, die in Sotschi kaum jemand sehen wollte, verfolgten in Norwegen 1,7 Millionen Zuschauer am Fernsehen.

Gar als «eine Schande» bezeichnete der mit dem Schachverband auf Kriegsfuss stehende ehemalige Schachweltmeister Garry Kasparow die leeren Plätze in Sotschi. Der Grund für das Ausbleiben des Publikums ist offensichtlich: Der Austragungsort am Schwarzen Meer schreckt angesichts der politischen Situation in Russland Schach-Fans von einer Reise ab.

Eine Frage des Geldes

Auch beim Schachverband dürfte man sich einen attraktiveren Austragungsort wie etwa New York oder Paris gewünscht haben, die Bewerbungen aber blieben aus. Die offizielle Bewerbungsfrist verstrich, ohne dass bei der Fide eine Kandidatur gemeldet wurde. Das Preisgeld für die Schach-WM muss jeweils vom Veranstalter aufgebracht werden. Vergangenes Jahr im indischen Chennai belief es sich auf mehr als drei Millionen Franken. Das schreckt ab.

Betrübt ob der ausbleibenden Bewerbungen, wandte sich der Präsident der Fide, der Russe Kirsan Iljumschinow, an seinen Ziehvater: Wladimir Putin. Der zögerte nicht, als Retter der Schach-WM aufzutreten, und offerierte die Olympiastadt Sotschi als Austragungsort. Die politische Isolation Russlands macht es Putin derzeit schwer, internationale Veranstaltungen nach Sotschi zu holen. Die Schach-WM kam ihm gerade recht.

Während Anand mit der Wahl des Austragungsortes keine Mühe zu haben scheint, meldete Carlsen Bedenken an. Der norwegische Shootingstar befürchtete, sein Image könnte aufgrund des Austragungsortes Schaden nehmen. Vor allem aber liess wohl die Geldfrage den Norweger zögern. Alexander Tkatschow, der Gouverneur der Region Krasnodar, zeigte sich für das Budget von drei Millionen Franken (davon 1,5 Millionen Franken Preisgeld) verantwortlich. Genau gegen diesen Tkatschow wurden jedoch von der Europäischen Union im Zuge der Krim-Krise Sanktionen verhängt. Es war also fraglich, ob Carlsen als europäischer Staatsbürger eine allfällige Gewinnsumme überhaupt annehmen dürfte. Laut Medienberichten hat das Team des Weltmeisters sogar das norwegische Aussenministerium konsultiert, um zu klären, ob eine Einfuhr des Preisgeldes einen Verstoss gegen die EU-Sanktionen bedeuten würde.

Poker um Vertragsunterschrift

Obwohl die Bedenken aus dem Weg geräumt werden konnten, blieb Carlsen skeptisch. Denn das Preisgeld in Sotschi beträgt nur halb so viel wie letztes Jahr in Chennai. Für eine rentable Kampagne ist Carlsen also auf eine zusätzliche Einnahmequelle angewiesen. Eine Option war in Gestalt von TV-Rechten in Norwegen auch vorhanden, doch weil die Fide sich so lange Zeit liess mit der Festlegung des Austragungsortes, war die Zeit für Verhandlungen knapp. Nach Ansicht Carlsens zu knapp.

Die erste Frist zur Vertragsunterschrift liess der Norweger ungenutzt verstreichen. Die Fide räumte ihm jedoch eine zusätzliche Bedenkzeit ein. Und schliesslich liess sich der Norweger nur wenige Stunden vor dem Ende der zweiten Frist doch noch zu einer Teilnahme an der WM überzeugen. Hätte er sich geweigert, in Sotschi anzutreten, hätte er automatisch seinen WM-Titel verloren. Mit Sergei Karjakin stand für diesen Fall bereits ein Ersatzmann fest – ein Russe.

Hier geht es zur offziellen WM-Website der Fide.

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