Hohe Kosten und ein Mangel an Sponsoren: Der Tour de Suisse Women droht das Aus

Erst 2021 lancierten die Veranstalter der Schweizer Landesrundfahrt ein Frauenrennen. Nun steht die Zukunft des Projekts bereits wieder infrage.

Sebastian Bräuer 4 min
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Stürzte am Sonntag an der Flandernrundfahrt der Frauen schwer: Marlen Reusser, die letztjährige Gewinnerin der Tour de Suisse Women.

Stürzte am Sonntag an der Flandernrundfahrt der Frauen schwer: Marlen Reusser, die letztjährige Gewinnerin der Tour de Suisse Women.

Gian Ehrenzeller / AP

Im März trafen sich die Veranstalter der Tour de Suisse zu einer Krisensitzung, deren Inhalt bis dahin vertraulich geblieben war. Auf der Tagesordnung stand die Frage, welche Zukunft das Frauenrennen hat, das den Organisatoren seit der ersten Austragung vor drei Jahren konstant Verluste beschert. Zur Debatte stand sogar eine kurzfristige Absage der nächsten Austragung, die vom 15. bis zum 18. Juni in der Westschweiz von Villars-sur-Ollon nach Champagne führen soll.

Obwohl auch 2024 ein deutliches Minus zu erwarten ist, sprach sich eine Mehrheit der Anteilseigner an der Sitzung dafür aus, zumindest dieses Jahr am Rennen festzuhalten. Doch nicht einmal die Art und Weise, wie die Protagonisten auf Anfrage über den unmittelbaren Entscheid sprechen, ist deckungsgleich.

Joko Vogel, der gemeinsam mit Olivier Senn den zuständigen Event-Veranstalter Cycling Unlimited leitet, legt sich fest: «Dieses Jahr findet die Tour de Suisse Women definitiv statt.»

Thomas Peter, der Geschäftsführer des Verbands Swiss Cycling, formuliert deutlich defensiver: «Wir haben einen Mehrheitsentscheid getroffen, das Rennen dieses Jahr wie geplant zu veranstalten, wenn es irgendwie möglich ist. Bis Juni kann allerdings noch viel passieren, beispielsweise könnten letzte Sponsoringverträge nicht zum Abschluss kommen, oder es könnten wegen veränderter Auflagen die Sicherheitskosten steigen. Dann müssten wir erneut abwägen.»

Die Gemengelage ist komplex. Cycling Unlimited hat fünf Aktionäre mit Anteilen von jeweils 20 Prozent. Neben Senn und Vogel sind das Swiss Cycling, der Sportvermarkter Infront sowie der belgische Kooperationspartner Flanders Classics. Zwar gibt es in einem solchen Konstrukt mehrere Möglichkeiten, einen finanziellen Mehrbedarf zu decken. Denkbar sind zum Beispiel Kapitalerhöhungen, an denen sich die Aktionäre in unterschiedlichem Umfang beteiligen. Prinzipiell gilt aber, dass jeder Entscheid von einer Aktionärsmehrheit zu tragen ist.

Zusammengefasst heisst das: Unterschiedliche Akteure mit möglicherweise divergierenden Interessen müssen bei Cycling Unlimited immer wieder aufs Neue einen Konsens finden.

Die Anschubfinanzierung ist aufgebraucht

Swiss Cycling befindet sich in einer besonders unerfreulichen Position. Der Radsportverband hatte einen wesentlichen Anteil daran, dass die Tour de Suisse Women 2021 überhaupt lanciert werden konnte, indem er sich vorab bereit erklärte, allfällige Verluste zu übernehmen. Möglich war das, weil man öffentliche Gelder als Anschubfinanzierung erhalten hatte.

Mittlerweile gibt es vom Bund keine vergleichbare finanzielle Unterstützung mehr. Daher könnte sich Swiss Cycling nun allenfalls früher als andere Aktionäre gezwungen sehen, auf die Bremse zu treten. Der Verband kann kein Geld ausgeben, das er nicht hat.

«Swiss Cycling hat mehr in die Tour de Suisse Women investiert als andere Anteilseigner», sagt der Geschäftsführer Peter. «Wir haben das mit grosser Überzeugung gemacht, um den Frauenradsport zu fördern. Es wäre sehr schade, jetzt sagen zu müssen, dass wir das Rennen verkürzen oder schon wieder streichen.»

Andere Grossanlässe erhalten Geld von Kantonen oder Gemeinden. Bei der Tour de Suisse ist das nicht der Fall, weil sie jedes Jahr an anderen Orten stattfindet. Die Veranstalter müssen sogar mehrere hunderttausend Franken in die Streckensicherung investieren. «Allein die Erlassung dieser Kosten würde die Situation entschärfen», sagt Peter. Doch ein solches Entgegenkommen ist derzeit nicht in Sicht.

An der Tour de Suisse der Männer können die hohen Kosten mittlerweile gerade so gedeckt werden. Doch das Frauenrennen ist defizitär, und aus Sicht von Swiss Cycling ist seine Zukunft nun völlig offen. «Es wäre vermessen, irgendwelche Garantien für 2025 oder darüber hinaus abzugeben», sagt Peter. «Wir sind nicht an dem Punkt, langfristig planen zu können.»

Hoffen auf Stars wie im Tennis oder im Skisport

Auch der Unternehmer Joko Vogel klingt ernüchtert, doch er lässt durchblicken, dem Projekt gerne noch Zeit geben zu wollen. «Das erhoffte Sponsoreninteresse fehlt», gibt er zu. «Es ist bisher nicht durchgedrungen, dass hier toller Sport zu sehen ist. Es wäre wichtig, ein grosses Unternehmen zu finden, das sich die Unterstützung des Frauenradsports auf die Fahnen schreiben möchte.»

Veranstaltungen im Frauensport zu finanzieren, sei generell herausfordernd, sagt Vogel, «abgesehen nur von Traditionssportarten wie Tennis oder Ski». Er hofft darauf, dass sich im Velobereich in den nächsten Jahren Athletinnen hervortun, die in der Öffentlichkeit ähnlich bekannt sein werden wie Belinda Bencic oder Lara Gut-Behrami. «Problematisch ist, dass wir bis jetzt kaum Stars haben», sagt Vogel. «Marlen Reussers Popularität hilft, aber es müssten weitere bekannte Figuren hinzukommen.»

Reusser, die am Sonntag an der Flandernrundfahrt schwer stürzte und sich neben dem rechten Kieferknochen auch beide Gehörgänge sowie acht Zähne brach, hat die Tour de Suisse Women 2023 und etliche weitere Rennen gewonnen. Um Talente zu finden, die ihr einst nacheifern könnten, betreibt Swiss Cycling das Programm Fast & Female. Doch derartige Bemühungen zahlen sich frühestens in einigen Jahren aus.

Marlen Reusser triumphiert an der Tour de Suisse Women 2023.

Youtube

Vom Aufgeben möchte Vogel nicht sprechen. Aber auch er stellt eine Redimensionierung der Tour de Suisse Women in den Raum. «Wenn sich nichts bewegt, müssen wir das Rennen günstiger machen, also zum Beispiel die Zahl der Renntage reduzieren», sagt der Unternehmer.

Eine Verkürzung hätte mutmasslich zur Folge, dass das Frauenrennen seinen World-Tour-Status wieder verliert. Erst seit 2023 gehört die Tour de Suisse Women zur international höchsten Rennkategorie.

Hoffnung können die Protagonisten aus dem Umstand schöpfen, dass sich der Frauenradsport international im Aufschwung befindet. Dank zahlungskräftigen Sponsoren sind die Budgets der grossen Teams markant gestiegen, entsprechend verdienen auch die besten Fahrerinnen immer mehr. Gemäss unbestätigten Berichten hat die Mannschaft UAE der in der Schweiz lebenden Tour-de-France-Siegerin Demi Vollering gerade ein Jahresgehalt von 1 Million Euro angeboten.

Jetzt muss sich der Boom nur noch auf die Rennen übertragen.