Die Landung der Möchtegern-Raumfahrerin war hart. Nun geht die Schweizer «Fastronautin» wieder vor Gericht

Fünf Jahre nach dem definitiven Schuldspruch wegen übler Nachrede gegen einen Journalisten kämpft die Physikerin Barbara Burtscher um Schadenersatz und Genugtuung. Die Astronautinnen-Legende nahm ihren Anfang in einer höflichen Übertreibung, welche Amerikanern bekanntlich leicht von der Zunge gehen.

Alois Feusi
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Im Ehrverletzungsverfahren von 2014 stellten die Anwälte der Klägerin erstaunlicherweise keine Zivilansprüche. (Bild: Annick Ramp / NZZ)

Im Ehrverletzungsverfahren von 2014 stellten die Anwälte der Klägerin erstaunlicherweise keine Zivilansprüche. (Bild: Annick Ramp / NZZ)

Die vor einem Jahrzehnt kurzzeitig als «Schweizer Astronautin» ins Scheinwerferlicht gelangte und dann als Schwindlerin entlarvte Physikerin Barbara Burtscher darf nicht Hochstaplerin genannt werden. So haben es das Bezirksgericht Zürich im Oktober 2012 und das Zürcher Obergericht im November 2013 sowie im April 2014 das Bundesgericht entschieden und einen früheren Journalisten des «Tages-Anzeigers» wegen übler Nachrede zu einer bedingten Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu 90 Franken verurteilt.

Das Bundesgericht hielt in seiner Urteilsbegründung fest, dass die Bezeichnung einer Person als Hochstapler bereits für sich ehrverletzend sei. Der Begriff werde im Kontext des Artikels mit der Überschrift «Die eingebildete Astronautin» auch nicht als Synonym für Begriffe wie Angeberin, Prahlerin, Blenderin oder Wichtigtuerin gebraucht. Diese Bezeichnungen wären, zumindest gemäss dem Urteil des Obergerichts, zulässig gewesen. Das Bundesgericht liess die Beantwortung dieser Frage offen.

Jetzt urteilt das Zivilgericht

Mehr als fünf Jahre nach dem Lausanner Richterspruch findet der Fall Burtscher gegen den «Tages-Anzeiger» nun seine Fortsetzung. Da Burtschers Anwälte im Ehrverletzungsverfahren keine Zivilansprüche stellten, was eher ungewöhnlich war, hatte das Bundesgericht keinen Anlass, Schadenersatz und Genugtuung festzulegen. So trafen sich die Vertreter der beiden Parteien am Montagnachmittag vor dem Zivilrichter am Bezirksgericht Zürich.

Die Physikerin Barbara Burtscher. (Bild: PD)

Die Physikerin Barbara Burtscher. (Bild: PD)

Burtschers Anwalt fordert rund 37 000 Franken Schadenersatz für den Lohnausfall, weil seine Mandantin und die Kantonsschule Wattwil das Arbeitsverhältnis im gegenseitigen Einvernehmen aufgelöst haben. Weiter soll das Medienhaus 5000 Franken Genugtuung für die Verletzung der Persönlichkeit der Klägerin und insbesondere von deren Ehre bezahlen. Und schliesslich soll das Urteil des Bezirksgerichts Zürich jeweils auf einer Viertelseite im «Tages-Anzeiger» und in der «Aargauer Zeitung» publiziert werden. Der Anwalt der TA-Media dagegen beantragt die Abweisung der Klage.

Der Artikel, in welchem der «Tagi»-Journalist von Burtschers «kurzer Karriere als Hochstaplerin» schrieb, war am 17. August 2010 erschienen. Die fotogene junge Frau war in den Monaten zuvor in etlichen Medien als «nächste Schweizer Astronautin» gehandelt worden. Burtscher fühlte sich offenbar sehr geschmeichelt, wenn sie als Mitarbeiterin der Nasa sowie als künftige Raumfahrerin und erste Schweizerin im All bezeichnet wurde.

Fataler Kurs in Huntsville

Die in Astronomen-Kreisen anerkannte und respektierte junge Wissenschafterin bestand zwar nicht auf der Richtigstellung der euphorischen Berichte, erwähnte aber in Gesprächen mit Journalisten immerhin mehrfach, dass sie lediglich auf privater Basis in den USA gewisse Elemente eines Astronautentrainings absolviert habe. In seinem mit dem Zürcher Journalistenpreis 2011 ausgezeichneten Text deckte der später verurteilte Autor dann auf, dass die damals 25-jährige Physiklehrerin gar nie auf dem Weg zu einer Karriere bei der amerikanischen Raumfahrtbehörde Nasa war.

Ihren Ursprung hatte die Astronautinnen-Legende in einem einwöchigen Aufenthalt Burtschers bei einer Nasa-nahen Bildungsinstitution in Huntsville, Alabama. Eine ihrer Schülerinnen hatte in einem nationalen Wettbewerb des Staatssekretariats für Bildung und Forschung einen Platz im Sommerkurs des dortigen U. S. Space and Rocket Center gewonnen, einer Einrichtung, die der Jugend die Raumfahrt näherbringen soll.

Die Physiklehrerin mit Bachelor-Abschluss, die einst einen Preis von «Schweizer Jugend forscht» gewonnen hatte, durfte die Gymnasiastin nach Alabama begleiten. Denn im Space-Camp werden auch Lehrpersonen Anregungen gegeben, wie sie den Physikunterricht möglichst attraktiv gestalten und die Jugend für Astronomie und Raumfahrt begeistern können. Barbara Burtscher muss sich dabei gut geschlagen haben.

«Excellent, Commander Burtscher!»

Die Instruktoren hätten sie für ihre Geschicklichkeit gelobt und ihr eine Stelle angeboten, berichtete Barbara Burtscher später Journalisten. Sie sollen ihr geraten haben, sich «bei der Nasa» zu bewerben, vielleicht werde sie es mit ihrem Talent dereinst sogar bis zur Astronautin bringen. Man habe sie nach einem simulierten Spaceshuttle-Flug gelobt, dass noch nie ein Neuling eine Mission derart perfekt gemeistert habe, diktierte sie einem Reporter der «Schweizer Illustrierten» in die Feder. «Excellent, Commander Burtscher!»

Der Rat, sich als Astronautin zu bewerben, war wohl eine jener höflichen Übertreibungen, die den Menschen jenseits des Atlantiks leichter von der Zunge gehen als einem nüchternen Schweizer. Denn die Angestellten einer solchen Bildungseinrichtung sollten wissen, dass die amerikanische Staatsangehörigkeit eine zentrale Voraussetzung für die Bewerbung für das Astronauten-Korps der Nasa ist. Und mit der «Stelle» war keine feste Anstellung gemeint, sondern ein unbezahlter Freiwilligeneinsatz beim Unterricht in einem Space-Camp, das im folgenden Jahr unabhängig von der Nasa durchgeführt wurde.

Die Geschichte entwickelte eine Eigendynamik und nahm schnell an Fahrt auf. Burtscher betonte wiederholt, dass sie von einer Karriere als Raumfahrerin träume und dass sie sich bei der nächsten Rekrutierungskampagne der Europäischen Raumfahrtagentur ESA bewerben wolle. Sie veröffentlichte die wohlwollenden Medienbeiträge jeweils umgehend auf ihrer Website, versandte regelmässig Mails über den Fortgang ihrer «Karriere» an eine grosse Zahl von Journalisten und stellte keine der publizierten Übertreibungen richtig.

TV-Prominenz

Barbara Burtscher war «Gast-Promi» in der Sendung «Samschtig-Jass» des damaligen Fernsehens DRS und wurde dort laut einem zweiten Artikel des später verurteilten «Tagi»-Journalisten als «Nasa-Mitarbeiterin» angekündigt, die von der Raumfahrtbehörde dazu ermuntert worden sei, «sich als Astronautin für Mondflüge zu bewerben». Und der Talkmaster Kurt Aeschbacher erzählte in seiner Plaudersendung, dass nach Burtschers Landung im Spaceshuttle-Simulator «die ganze Nasa» aufgejubelt habe.

Der «Blick» nannte sie «unsere Frau bei der Nasa». Auch der «Tages-Anzeiger» betitelte sie im Februar 2010 noch als «Die Ausserirdische» und schrieb: «Ein Spektakel war auch Burtschers Auftritt am International Space Camp 2009 im Nasa Education Center in Huntsville.» Sie nahm – allerdings nur drei Wochen lang – am Projekt Mars Desert Research Station in der Wüste in Utah teil und war auch Protagonistin in Richard Dindos Dokumentarfilm «The Marsdreamers».

Die redegewandte Physikerin schaffte es von der Medienbühne auch ins richtige Theater. Im «Heuschrecken»-Projekt des Schweizer Regisseurs und Mitglieds des Regiekollektivs Rimini-Protokoll, Stefan Kaegi, im Zürcher Schiffbau hatte sie im September 2009 einen Auftritt im Raumanzug und dozierte über die Wasservorkommen unter der Marsoberfläche.

Harte Landung und noch kein Ende

Die Bilder der adretten jungen Frau im Raumanzug machten sich gut in den Spalten von Zeitungen und Zeitschriften. Und im Herbst 2010, nach der Publikation des entlarvenden Artikels im «Tages-Anzeiger», wurden sie gerne aus den Archiven geholt. Statt «Unsere Frau bei der Nasa» oder «Die erste Schweizerin auf dem Mars» lauteten die Bildunterschriften nun allerdings «Die Fastronautin» oder «Das Mondkalb».

Die Landung der Möchtegern-Raumfahrerin war hart. Seit jenem Herbst 2010 ist Barbara Burtscher aus der Öffentlichkeit verschwunden. Ob und wie viel Schadenersatz und Genugtuung sie fast ein Jahrzehnt später erhalten wird, ist nach der Hauptverhandlung vom Montagnachmittag weiterhin offen. Die Anwälte hielten lediglich ihre Vorträge und verzichteten auf die vom Richter angebotenen Vergleichsgespräche und auch auf mündliche Schlussvorträge. Jetzt muss das Gericht entscheiden, ob es nach dem Behauptungsverfahren ein Beweisverfahren einleiten will, in welchem die Klägerin zum Beispiel die von ihrem Anwalt behaupteten Lohneinbussen wird nachweisen müssen: Die Geschichte der Astronautin, die keine war, wird also noch etwas länger dauern.