Der entscheidenden Frage, ob Köppel nochmals antritt, wichen sowohl der Präsident als auch der Kandidat aus. (Bild: Walter Bieri / Keystone)

Der entscheidenden Frage, ob Köppel nochmals antritt, wichen sowohl der Präsident als auch der Kandidat aus. (Bild: Walter Bieri / Keystone)

Endrunde im Zürcher Ständeratswahlkampf: Die Grünen preschen vor, jetzt richten sich alle Augen auf Roger Köppel

Wer zieht seine Ständeratskandidatin zurück? Nach stundenlangen Verhandlungen setzen sich die Zürcher Grünen gegen die Grünliberalen durch. Derweil laviert die SVP.

Reto Flury, Michael von Ledebur, Fabian Baumgartner
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Die Grüne Marionna Schlatter oder die Grünliberale Tiana Moser – eine der Zürcher Ständeratskandidatinnen zieht sich zurück, so viel schien am Sonntagabend klar. Sollte die eine Frauenkandidatur im zweiten Wahlgang reelle Chancen haben, darf die andere nicht weitergeführt werden. Doch welche würde es sein?

Diese Frage stand am Montagvormittag im Rathaus im Zentrum. Unter den Protagonistinnen herrschte sichtlich Nervosität, wie sich am Rand der Kantonsratssitzung zeigte. Immer wieder steckten Schlatter und Corina Gredig, Co-Präsidentin der Grünliberalen, die Köpfe zusammen und gingen wieder auseinander. Dann wischte Schlatter im Saal eifrig auf ihrem Smartphone herum, derweil sich Gredig zwischen zwei Telefonanrufen hastig mit Parteikollegen austauschte.

Eine rasche Einigung zeichnete sich nicht ab, im Gegenteil. Vertreter der einen Partei warfen der jeweils anderen vor, sie beanspruche zu Unrecht den zweiten Sitz. Die Grünliberalen warfen in die Waagschale, dass sich Moser in der Mitte positioniere und das grössere Potenzial ausschöpfen könne. Die Grünen verwiesen auf Schlatters gutes Abschneiden und darauf, dass man von Moser angesichts ihres Bekanntheitsgrads ein besseres Ergebnis erwartet habe.

Hinein in die Endrunde

Mitte Nachmittag lenkten die Grünliberalen schliesslich ein. In einem knappen Communiqué kündigten die Grünen daraufhin an, dass ihre Kandidatin in die Endrunde ziehe. Schlatter habe genau das Profil, das es jetzt nach dieser Klima- und Frauenwahl brauche, sagte die Fraktionschefin Esther Guyer im Namen der Parteileitung. Überdies halte sich die Überschneidung mit Daniel Jositsch in Grenzen.

Eine Wahl Schlatters würde dazu führen, dass ausgerechnet der Wirtschaftskanton Zürich mit zwei linken Politikern im Ständerat vertreten wäre. Guyer sieht darin allerdings kein Argument gegen Schlatter. Jahrzehntelang hätten die Bürgerlichen betont, wie wichtig eine ungeteilte Standesstimme sei. Und jetzt, da sich eine auf der anderen Seite abzeichne, herrsche plötzlich Aufregung. «Das ist völlig übertrieben.»

Die Grüne Marionna Schlatter fordert den freisinnigen Ständerat Ruedi Noser heraus. (Bild: Ennio Leanza / Keystone)

Die Grüne Marionna Schlatter fordert den freisinnigen Ständerat Ruedi Noser heraus. (Bild: Ennio Leanza / Keystone)

Die Grünen können für den zweiten Wahlgang mit der offiziellen Unterstützung der Zürcher SP-Spitze rechnen, wie Co-Parteipräsident Andreas Daurù am Montag sagte. Die grüne Welle sei da. «Ein links-grünes Ständeratsduo für Zürich wäre daher passend.» Ob auch die Grünliberalen Schlatter empfehlen werden, ist laut Co-Präsidentin Gredig noch offen. Auf den 31. Oktober ist eine Vorstandssitzung angesetzt, an der über Unterstützung oder Stimmenthaltung entschieden werde.

Die Grünliberalen halten laut Medienmitteilung zwar an ihrer Überzeugung fest, dass Mosers Wahlchancen grösser gewesen wären als diejenigen Schlatters. Die Panaschierstatistik der Nationalratswahl habe gezeigt, dass Moser bei allen Parteien ein grosses Potenzial habe. Doch wenn es wie im ersten Wahlgang ein grosses Kandidatenfeld und eine Blockbildung gegeben hätte, wären ihre Chancen klein gewesen, sagt Gredig. Es ergebe keinen Sinn, dass zwei Frauen mit einem ökologischen Profil sich Stimmen streitig machten.

Nicht nur grüne Politiker beratschlagten sich im Rathaus eifrig. Kurz nach Mittag tauchte auch die SVP-Spitze mit Präsident Patrick Walder, Ständeratskandidat Roger Köppel und Christoph Mörgeli auf und verschwand für eine Stunde in einem Sitzungszimmer. Wie Walder später im Treppenhaus betonte, hat die kleine Runde bloss eine Unterredung und keine formelle Sitzung abgehalten. Der entscheidenden Frage, ob Köppel nochmals antritt, wichen sowohl der Präsident als auch der Kandidat aus. Walder verwies auf die Vorstandssitzung von Donnerstag. Köppel wiederholte seine Aussage vom Sonntag, ein solcher Entscheid müsse sorgfältig mit der Partei besprochen sein.

Schon am Wahlabend hatte Köppel seine Worte mit auffällig viel Bedacht gewählt. Er habe einen Themenwahlkampf geführt. Der Wahlkampf für einen zweiten Wahlgang werde anderer Natur sein.

Man kann dies dahingehend interpretieren, dass ein Rückzug Köppels die wahrscheinlichere Variante ist. Nahrung für diese These lieferte Christoph Blocher in seiner Sendung «Tele Blocher» vom Sonntagabend. Zwar hielt sich Blocher mit konkreten Ratschlägen an Köppel zurück, «das muss sich die Partei gut überlegen und er selber auch». Doch Blocher lobte ihn über den grünen Klee für seine Tour durch die 162 Zürcher Gemeinden. Dadurch sei es der Partei gelungen, die Verluste zu minimieren. Aber eigentlich sei Roger Köppel kein Ständeratstyp. Es brauche im Ständerat ja eher Mittelmässigkeiten und «nichts Geniales». Auf Anfrage wollte sich Blocher am Montag nicht weiter zum Thema äussern.

Tatsächlich dürfte für Köppel folgende Überlegung eine Rolle spielen: Mit dem Rückzug zum jetzigen Zeitpunkt könnte er seinen Einsatz als Erfolg verbrämen, dem mittelmässigen Abschneiden im Ständeratswahlgang zum Trotz. Köppel wäre nach dieser Lesart der Retter der Partei, der obendrein ein hervorragendes Resultat als Nationalrat gemacht hat. Sollte er in einem zweiten Wahlgang scheitern, liesse sich dies kaum mehr beschönigen. Die Niederlage hinterliesse womöglich Kratzer am Image.

«Wir müssen zusammenstehen»

Eine dezidierte Meinung zum Thema hat Nicole Barandun, die für die CVP als Ständeratskandidatin angetreten war und sich am Montag wie EVP-Kandidat Nik Gugger zurückgezogen hat. Sie sagt: «Wenn wir sicherstellen wollen, dass der Kanton Zürich wenigstens einen wirtschaftsfreundlichen Standesvertreter hat, müssen wir zusammenstehen.» In einem ersten Wahlgang sei es legitim, dass ein Kandidat als Wahlkampflokomotive fungiere. Nun aber sei die Zeit der sauberen strategischen Planung gekommen. Eine Ständeratskandidatin Schlatter habe dank Unterstützung der SP-Wählerschaft durchaus Chancen. Sollte Köppel antreten und Schlatter obsiegen, wäre dies der SVP anzulasten. «Ich erwarte von der Partei, dass sie ihre Verantwortung wahrnimmt.»

SVP-intern sind verschiedene Stimmen zu vernehmen – solche, die wie Parteipräsident Walder Köppels Einsatz in einem zweiten Wahlgang befürworten, und solche, die die Übung abbrechen wollen. Zu Letzteren gehört der aus dem Nationalrat abgewählte Claudio Zanetti. Er legt seinen Standpunkt mit gewohnt markigen Worten dar. «Wir müssen jetzt nicht auf Kamikaze machen. Es bringt nichts, nochmals viel Geld zu verbrennen, nur um zu zeigen, dass wir noch da sind.» Roger Köppels Resultat im ersten Wahlgang sei nun einmal nicht gut genug gewesen, als dass Erfolgsaussichten in einem zweiten bestünden. Köppel habe einen enormen Effort geleistet, und es sei ein wenig traurig, dass dies von der Wählerschaft nicht stärker honoriert worden sei. Aber damit gelte es sich abzufinden. Wenn man dann als SVP vor der Frage stehe, ob Noser oder Schlatter die bessere Wahl sei, sei dies ein «No-Brainer», so Zanetti. Ein Freisinniger sei besser als eine Linke, «trotz allem».

Der Druck auf Köppel, sich zurückzuziehen, wird nicht nur parteiintern und innerhalb des bürgerlichen Lagers aufgebaut. Auch Wirtschaftsverbände äussern sich entsprechend. Der kantonale KMU- und Gewerbeverband hat vor Wochen eine klare Empfehlung ausschliesslich für Ruedi Noser abgegeben. Nach dem ersten Wahlgang appelliert nun die Zürcher Wirtschaftskammer, der zahlreiche Grössen der Zürcher Wirtschaft angehören, ausdrücklich an Roger Köppel, sich zurückzuziehen. Andernfalls bestehe das Risiko, dass angesichts der vorherrschenden Klimadebatte Themen untergingen, die ebenfalls wichtig seien, sagt Präsidentin Karin Lenzlinger. Die Zürcher Wirtschaft sei mehr denn je auf eine Stimme in Bern angewiesen, die ihre Interessen vertrete.

Eine erste Auswertung der Resultate der Ständeratswahlen zeigt, dass ein grosser Teil der SVP-Wählerschaft der Empfehlung ihrer Parteileitung gefolgt ist. Viele schrieben lediglich den Namen von Roger Köppel auf den Wahlzettel und liessen die zweite Linie leer. Umgekehrt gaben laut Peter Moser, Analysechef beim Statistischen Amt, wahrscheinlich sogar mehr FDP-Anhänger dem SP-Mann Daniel Jositsch ihre Stimme als dem SVP-Kandidaten. Dies erklärt sich auch damit, dass Köppel im Wahlkampf immer wieder gegen die Freisinnigen und Noser austeilte. Die grünliberale Kandidatin Moser wiederum wurde lediglich von ihrer eigenen Partei sowie der Mitte und einigen Grünen unterstützt, während Marionna Schlatter (gp.) auf den Support des linken Lagers zählen konnte.

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