In der zweiten Runde der Zürcher Ständeratswahl könnte es zu einer ähnlichen Konstellation kommen wie 2015. Bürgerliche warnen, die SVP könnte zur Steigbügelhalterin einer grünen Frau werden, wenn sie an Roger Köppel festhält.
Der Kontrast könnte nicht grösser sein: Während seine Partei bei den Nationalratswahlen eine kapitale Niederlage einfährt, überflügelt beim Ständeratsrennen Daniel Jositsch die gesamte Konkurrenz. Wie vor vier Jahren erreicht der Sozialdemokrat schon im ersten Wahlgang das absolute Mehr, doch dieses Mal noch viel deutlicher. Zudem durchbricht er die Marke von 200 000 Stimmen, was in den letzten zwei Jahrzehnten keinem Kandidaten im ersten Wahlgang gelang.
Jositsch erklärte sich sein gutes Abschneiden mit seiner pragmatischen Politik. Er versuche einen Kurs zu verfolgen, der über die Parteigrenzen hinaus kompromissfähig sei, sagte er im Medienzentrum. Jositsch, ein Vertreter des rechten Parteiflügels und Mitgründer der sozialliberalen Plattform, hatte immer wieder mit Positionen von sich reden gemacht, die von der strikt linken Parteilinie abwichen. Entsprechend sah er sich in seiner Haltung bestätigt und sagte, es brauche eine «Öffnung der Partei in den sozialliberalen Bereich». Für die Stärkung des Flügels werde er sich weiter einsetzen.
Mit Blick auf den zweiten Wahlgang lautet die grosse Frage aus bürgerlicher Sicht, was die SVP macht. Wird sie den Nationalrat und «Weltwoche»-Chef Roger Köppel noch einmal ins Rennen schicken und dem bisherigen FDP-Ständerat Ruedi Noser Stimmen abspenstig machen? Die offizielle Antwort: Es kommt darauf an. Zuerst wolle man die Ausgangslage analysieren, sagt der SVP-Parteipräsident Patrick Walder. Die entscheidende Sitzung findet am kommenden Donnerstag statt. Walders persönliche Meinung ist, dass Köppel noch einmal antreten sollte. Die grösste Partei habe Anspruch auf den zweiten Sitz.
Der Parteipräsident der FDP Hans-Jakob Boesch geht davon aus, dass Köppel noch einmal kommt – und zwar, um den Freisinnigen zu schaden, wie er sagt. «Die SVP geht aber das Risiko ein, zur Steigbügelhalterin einer grünen Kandidatin zu werden.» Mit Nosers Abschneiden ist Boesch zufrieden. Er habe in harter Konkurrenz zu Köppel gestanden, der ihm Stimmen auf der rechten Seite habe abspenstig machen wollen. «Das ist der SVP nicht wie erhofft gelungen.»
Noch deutlichere Worte an die Adresse der SVP richtete Nicole Barandun, die Präsidentin der Zürcher CVP und des städtischen Gewerbeverbands. Sie hoffe, dass die SVP ihre Hausaufgaben mache und Köppel zurückziehe. Sie erwarte, dass der Wahlkampf so geführt werde, dass der zweite Ständeratssitz in bürgerlicher Hand bleibe. Dieses Potenzial habe nur Noser.
Der freisinnige Ständerat selber räumte ein: «Es könnte eng werden.» Die Wählerinnen und Wähler müssten sich jetzt fragen, ob wirklich zwei linke Ständeräte den Kanton Zürich vertreten sollten. Nach Jositschs Erfolg sei nun die Wahl eines Kandidaten angezeigt, der auch die andere Seite des Kantons kenne. Dazu sei er als Unternehmer und Mann der Wirtschaft geeignet.
Viel spricht dafür, dass aus dem linken Lager die Grüne Marionna Schlatter wieder antritt, die überraschend stark abgeschnitten hat. Obwohl zu Beginn des Wahlkampfs nahezu unbekannt, hat sie die ungleich profiliertere GLP-Nationalrätin Tiana Moser deutlich geschlagen, wobei die Unterstützung durch die SP-Basis wohl stark geholfen hat. Esther Guyer, die Fraktionschefin der Grünen im Kantonsrat, sagte denn auch selbstbewusst: «Wir sind in der Pole-Position.»
Moser kündigte an, sich mit den Grünen abzusprechen. «Es hat keinen Sinn, dass zwei Frauen aus dem ökologischen Lager antreten», sagte sie. Für ihre Kandidatur spreche, dass sie weiter in der Mitte angesiedelt sei und ein breiteres Feld abholen könnte. Aber dies allein ziehe nicht, räumte sie ein.
Wen die SP empfehlen wird, ist noch nicht festgelegt. Der Co-Parteipräsident Andreas Daurù sagte jedoch, es sehe nicht so aus, als ob die Partei ihre Strategie ändern müsse. Für den ersten Wahlgang hatte sie neben Jositsch die Grüne Schlatter unterstützt. Das Ziel «Köppel verhindern» sieht Daurù ohnehin in trockenen Tüchern.
Noser, Köppel, Schlatter – sollte dies tatsächlich die Konstellation des zweiten Wahlgangs sein, würde sie sehr ähnlich aussehen wie 2015. Damals musste Noser im Finale gegen den SVP-Kandidaten Hans-Ueli Vogt und den Grünen Bastien Girod antreten. Der Freisinnige konnte dabei leicht zulegen und seine Konkurrenten deutlich auf Distanz halten.
In einer Umfrage des «Tages-Anzeigers» wurde dieses Szenario schon einmal durchgespielt. 48 Prozent der Befragten gaben dort an, sie würden bei dieser Ausgangslage Nosers Namen auf den Wahlzettel schreiben. Köppel kam auf 27, Schlatter auf 22 Prozent. Allerdings holte Schlatter am Sonntag rund 15 000 Stimmen mehr als Girod damals. Entscheidend dürfte aber sein, wie gross innerhalb der SP-Basis der Anti-Köppel-Reflex sein wird, der Noser zusätzlichen Schub verleiht, und ob die SVP-Wählerschaft tatsächlich das Risiko eines links-grünen Ständerat-Duos eingehen will.
Während das Schlussresultat der Ständeratswahl grosso modo erwartet wurde, kamen einige Details eher unerwartet: