„Von der Hölle ins Paradies“

Der Radprofi Max Schachmann erlebt bei Paris-Nizza den bisherigen Höhepunkt seiner Karriere

München – Mit dem Sieg beim Klassiker Paris-Nizza hat Radrennfahrer Max Schachmann, 26, eine spektakuläre Meisterleistung vollbracht. Unsere Zeitung unterhielt sich mit dem Profi des Bora-hansgrohe-Teams über seinen jüngsten Coup, seinen Leistungssprung in den Bergen und vor allem über den Radsport in Zeiten der Coronakrise.

Max Schachmann, nachdem Sie mit einem Kraftakt auf der Schlussetappe der Fernfahrt Paris-Nizza Ihr Gelbes Trikot verteidigt hatten, lagen Sie minutenlang entkräftet auf dem Asphalt. Wie schmerzhaft war der finale Anstieg?

(lacht) Auf den Gang durch die Hölle folgte ja die Ankunft im Paradies. Das hat im Ziel noch drei Minuten weh getan und auf der Heimreise habe ich es im Auto auch noch gemerkt – aber inzwischen geht es mir wieder gut.

Wie schwer ist es Ihnen gefallen, den bisher größten Erfolg Ihrer Karriere auf den letzten Kilometern zu retten?

Das war eine der größten Herausforderungen in meiner Karriere. Auf dem 16 Kilometer langen Schlussanstieg in ein Skiresort war die absolute Weltspitze an Kletterern mitvertreten. Somit war es für mich schon auch ein bisschen eine Fahrt ins Ungewisse. Ich wusste nicht, was mich erwartet. Und ich konnte mich im Vergleich zu den anderen auch nicht richtig einschätzen. Aber am Ende ist alles gut gegangen.

Haben Sie auf dieser Fahrt ins Ungewisse die neue Erfahrung gemacht, dass Sie – obwohl kein ausgewiesener Bergspezialist – nun auch im steilen Gelände mitmischen können?

Ja, so war’s. Zuvor im Trainingslager bin ich Intervalle gefahren, und da habe ich schon gemerkt, dass in diesem Jahr viel geht, dass ich da einen guten Entwicklungssprung gemacht habe. Nur: Training ist das eine, Rennen das andere. Die Trainingsleistungen in gute Ergebnisse umzumünzen, kann eine schwere Aufgabe sein. Aber ich habe schon bei der Algarve-Rundfahrt bei einer Berg-ankunft gemerkt: Wow! Da hat sich was getan, es läuft einfach viel besser. Bei Paris-Nizza habe ich das noch einmal gefestigt und bestätigt.

Bisher galten Sie mehr als ein Spezialist für Eintages-Klassiker. Trauen Sie sich zu, auch ein Mann für die dreiwöchigen Rundfahrten wie die Tour de France werden zu können?

Das ist schon länger ein Ziel für mich. Und ich habe bisher auch darauf hintrainiert. Ich gehe das Stück für Stück an. Und egal, ob und wann ich dieses längerfristig angepeilte Ziel erreiche: Auf dem Weg dorthin verbessere ich mich trotzdem. Und so habe ich eben jetzt mit Paris-Nizza meine erste einwöchige Fernfahrt gewonnen.

Ihr Tour-de-France-Start im vergangenen Jahr endete mit einem schweren Sturz. Sie brachen sich den Mittelhandknochen dreifach, mussten aussetzen. Nun präsentieren Sie sich stärker denn je.

Ich habe nach der Tour nicht lange Pause gemacht. Der Bruch musste zunächst abschwellen, nach drei Tagen konnte ich operiert werden. Nach der OP habe ich sieben Tage ausgesetzt und dann schon wieder mit dem Training angefangen. Ich saß fünf Wochen lang total motiviert und diszipliniert auf der Rolle – obwohl draußen 28 Grad und Sonne waren. Dann habe ich mir leider einen etwas heftigeren Infekt eingefangen und der hat mich zwischenzeitlich richtig aus der Bahn geworfen. Aber ich habe nie aufgehört, möglichst akribisch und immer am Optimum zu arbeiten. Ich freue mich, nun die Lorbeeren ernten zu können.

Paris-Nizza wurde ja überschattet von der Coronakrise. Wie haben Sie dieses Rennen erlebt, was ist in Ihnen dabei vorgegangen?

Natürlich haben wir in dieser Rennwoche mitgekriegt, dass viel passiert ist in ganz Europa. Aber ich befand mich da in einem Tunnel. Das lag auch daran, dass ich vom ersten Tag an in Gelb fuhr und es somit extrem stressig für mich war. Schon im Rennen ist man besonders gefordert, im Ziel gibt es die ersten Interviews, danach ist man auf dem Podium zur Siegerehrung, dann geht’s zur Dopingkontrolle. Vom Etappenziel bis ins Teamhotel fährt man manchmal 200 Kilometer. Man kommt als letzter Fahrer ins Hotel, hat noch Abendessen, Massage. Um 23 Uhr fällt man völlig kaputt ins Bett. Von den ganzen Entwicklungen der Coronakrise bekommt man im Detail nicht so viel mit.

Kann man sich wirklich ganz frei von den aktuellen Geschehnissen machen?

Wir haben unter den Rennenfahrern schon darüber diskutiert, inwieweit wir in der Verantwortung stehen. Wir haben uns aber gesagt: Das ist Sache des Veranstalters und der Behörden, die richtigen, verantwortungsvollen Entscheidungen zu treffen.

Wie sehen Sie nun im Nachhinein dieses Rennen vor dem Hintergrund der Coronakrise?

Das war für uns Rennfahrer eine besondere Situation. Wir hatten mit der Ausbreitung des Coronavirus plötzlich ein viel ernsteres Problem, als man das vor drei Wochen noch angenommen hatte. Es war schon sehr seltsam, dass wir durch Frankreich radeln, während in den USA die NBA abgesagt wird, in Europa die Champions League, in Deutschland die Bundesliga. Und in Australien wurde die Formel 1 gestoppt. Im Grunde haben alle auf der Welt aufgehört Sport zu machen – nur wir nicht. Das fühlte sich schon sehr komisch an. Zumal ich der vollen Überzeugung bin, dass der Solidaritätsgedanke im Vordergrund stehen sollte.

Wie war das, ohne Zuschauer in der Nähe des Zielraums?

Schade natürlich. Wenn man eine tolle Form hat und das Rennen gewinnt, macht das mit vielen Zuschauern immer mehr Spaß. Aber es war auch gut, dass die Fans das Rennen am Fernseher verfolgt haben und nicht in großen Gruppen am Straßenrand standen.

Auch im Radsport ist es unabsehbar, wann es mit dem Sport weitergeht. Sie müssen nun – obwohl in Topform – auf die Klassikerrennen verzichten. Wie geht es Ihnen dabei?

Natürlich wäre ich gerne gefahren. Aber wir müssen diese aktuelle Situation, die sich mit Sicherheit keiner gewünscht hat, so nehmen wie sie ist. Jetzt stehen wichtigere Dinge im Vordergrund. Von daher akzeptiere ich das natürlich, als normaler Bürger meinen Teil beizutragen, dass das schnell wieder in Ordnung kommt.

Der Radsport erfordert besonders harte Trainingsarbeit, die eine große Motivation erfordert. Wie hält man sich nun in Form, ohne zu wissen, wie und wann es weitergeht?

Das ist tatsächlich eine besondere Herausforderung. Das gab es in der Vergangenheit nicht. Da muss man aber einfach Profi genug sein und sich irgendwo Motivation herholen. Ich bin motiviert. Es wird irgendwann wieder weitergehen. Und wenn es dann weitergeht, will ich nicht den Anschluss verpasst haben – sondern wieder vorne dabei sein.

Interview: Armin Gibis

Samstag, 18. Mai 2024
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