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Velomobil: In der Carbonröhre zum Weltrekord

Foto: Opel

Weltrekordversuch Schafft sie 1219 Kilometer in 24 Stunden?

Sie wollte schon immer die Beste sein. So kam Nicola Walde über das Rennrad zu ihrem Liegerad, eine Woche später stellte sie damit eine Bestmarke auf. Jetzt geht sie erneut auf Weltrekordfahrt.

SPIEGEL ONLINE: Frau Walde, Sie wollen in 24 Stunden mehr als 1219 Kilometer mit ihrem Liegerad fahren. Das hat bisher noch kein Mensch geschafft. Woher kommt das Durchhaltevermögen?

Nicola Walde: Dafür muss man ein bisschen bekloppt sein. Das ist die Strecke von Flensburg nach Italien, allerdings fahre ich auf einem Testgelände für Autos, immer im Kreis, ohne jede Abwechslung. Das Durchhaltevermögen hat man - oder eben nicht. Ich habe meines mit 16 Jahren entdeckt. In der Schule hatte ein Junge beim Laufen zu mir gesagt, ich solle mal "schneller rollen". Danach bin ich regelmäßig um die Häuser gelaufen, nach drei Wochen hab ich ihn dann grinsend im Rennen überholt. Wettbewerbe liegen mir einfach, im Sport und in der Musik.

Zur Person

Nicola Walde, Jahrgang 1973, ist Fagottistin. Die frühere Triathletin hält jedoch auch den 12-Stunden-Weltrekord der Frauen für Velomobile. 2015 fuhr sie auf dem Lausitzring 585 Kilometer weit. Ihre nicht offiziell gewertete Bestleistung in 24 Stunden liegt bei 1.111 Kilometern.

SPIEGEL ONLINE: Von außen erinnert ihr Rekordrad eher an eine Seifenkiste. Wie unterscheidet sich so ein Velomobil vom normalen Liegerad?

Walde: Durch die aerodynamische Hülle, sie ist ein Sandwich aus Carbon und Nylon. Dadurch splittert sie bei Unfällen nicht. Sie ist sicher, aber trotzdem elastisch. Darunter ist es eigentlich ein Liegerad mit zwei Rädern vorne und einem hinten. Es gibt zehn Gänge, gelenkt wird über eine senkrechte Metallstange, ähnlich wie in einem Flugzeug. Das klingt wahnsinnig kompliziert, man gewöhnt sich aber schnell daran. Vor allem ist es sehr bequem, da könnte man sogar ein Nickerchen machen. Einen Nachteil hat die Karosserie aber: Drinnen wird es ziemlich schnell heiß, es gibt aber immerhin eine Lüftung.

SPIEGEL ONLINE: So ein Velomobil ist ja nicht ganz alltäglich. Wie kommt man auf die Idee, sich ein solches Gerät anzuschaffen?

Walde: Ich war eigentlich Triathletin und meinen Arbeitsweg bin ich oft gemeinsam mit einem Kollegen auf dem Rennrad gefahren. Dem bin ich gerade so hinterhergekommen, irgendwann hat er sich dann ein Velomobil gekauft - von da an war ich chancenlos und wollte auch eins haben.

SPIEGEL ONLINE: Wie kamen Sie dann an Ihr Velomobil?

Walde: Das war Zufall. Ein Hersteller, Daniel Fenn, hat in einem Velomobilforum einen Beitrag mit dem Titel "Suche Frau für 24 Stunden" gepostet und nach einer Frau für einen 24-Stunden-Weltrekord gesucht. Auf den wurde ich aufmerksam gemacht - mit dem Hinweis, dass Fenn ein recht schwieriger Charakter sei. Aber es hat zwischen uns von Anfang an gepasst und wir sind seitdem sportlich und privat ein Paar. Inzwischen nennt man uns sogar das Dreamteam der Szene. Denn eine Woche nachdem ich das Velomobil von ihm bekommen habe, bin ich den Weltrekord über zwölf Stunden gefahren, das war 2015.

SPIEGEL ONLINE: War die Umstellung vom Rennrad auf das Velomobil sehr groß?

Walde: Ja, durch die andere Sitzposition ist unter anderem die Tretleistung geringer. Ich hatte damals auf dem Rennrad eine Stundenleistung von rund 180 Watt, im Velo liegt die bei rund 160 Watt.

SPIEGEL ONLINE: Aber das Velomobil ist trotzdem schneller?

Walde: Deutlich, das liegt vor allem an der besseren Aerodynamik, auf flacher Strecke kann man 60 km/h fahren. So ein Ding wiegt aber auch rund 20 Kilogramm, die muss man erstmal in Schwung bringen, viele Ampeln sind nicht gut fürs Tempo. Auf den knapp 60 Kilometern von Landsberg nach München, die ich täglich zur Arbeit pendele, kann man trotzdem einen Schnitt von 50 km/h schaffen. Das wäre auf dem Rennrad auch für gute Zeitfahrer wie Tony Martin eine Herausforderung.

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SPIEGEL ONLINE: Wie geht man so eine 24-Stunden-Fahrt denn an? Sind Pausen zum Essen oder Schlafen eingeplant?

Walde: Schlafen werde ich auf keinen Fall. Ich will so lange wie möglich durchfahren, geplant sind zehn bis zwölf Stunden, wenn ich keinen Platten habe. Essen und Trinken habe ich an Bord, das ist kein Problem. Und dann höre ich auf meinen Körper, wenn es gut läuft, fahre ich so lange wie möglich weiter. Wenn irgendwann in der Nacht die Müdigkeit groß wird, mache ich mal eine Pause, um ein bisschen auszusteigen und noch mal zu essen. Aber das Velomobil in Schwung zu kriegen ist viel zu anstrengend, um öfter stehenzubleiben.

SPIEGEL ONLINE: Haben Sie speziell trainiert?

Walde: Nicht wirklich, denn eigentlich hatten wir für den Rekordversuch gar keine Bahn, dürfen aber jetzt das Testgelände von Opel nutzen. Das ist eine tolle Gelegenheit, dadurch bin ich allerdings erst vor wenigen Wochen ins Langstreckentraining eingestiegen. Aber ich bin so entspannt wie noch nie und fühle mich auf den Punkt topfit.

SPIEGEL ONLINE: Ist das Velomobil im Alltag eine echte Alternative zum Auto?

Walde: Definitiv. Ich wohne auf dem Land, hier kann man auch nicht zu Fuß zur S-Bahn gehen. Ich habe zwar ein Auto, damit ich mein Fagott im Winter transportieren kann, aber eigentlich steht das nur rum. Viele Velomobilfahrer verzichten sogar ganz aufs Auto und erledigen alles damit, auch im Winter. Und es gibt ja auch Velomobile mit Pedelec-Antrieb, das ist im Alltag für viele vielleicht eine noch bessere Lösung. Tolle Serienexemplare kriegt man für rund 8000 Euro. Wer sich dafür interessiert, sollte es einfach einmal ausprobieren.

SPIEGEL ONLINE: Wie klappt das Zusammenleben mit Autofahrern im Straßenverkehr?

Walde: Erstaunlich gut, viel besser als auf dem Rennrad. Da bin ich bei jeder Fahrt fast überfahren worden, vor allem in München. Die Leute sehen einen nicht oder passen nicht auf, das ist im Velomobil kein Thema. Man muss natürlich auch vorausschauend fahren und für die Leute ein bisschen mitdenken, aber ich hatte im Velomobil noch nie eine beängstigende Situation.

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