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Der Etappenhase Abwarten und T gucken

Das Teamzeitfahren wird geliebt und gehasst. Leiden müssen aber alle, für das Kollektiv hat jeder Fahrer an seine Grenzen zu gehen. Nach den bisherigen Leistungen sind die Aussichten für Jan Ullrich und T-Mobile nicht gut. Der Rückstand auf Titelverteidiger Lance Armstrong dürfte anwachsen.
Von Marcel Wüst

Tours - Heute ab 14.20 Uhr (Liveticker, SPIEGEL ONLINE) steht das zweite Zeitfahren auf dem Programm - und es ist der direkte Vergleich der Teams. Denn im Mannschaftszeitfahren zählt die Klasse des Kollektivs. Die Teams starten in der umgekehrten Reihenfolge der Mannschaftswertung, Abstand jeweils fünf Minuten. Als erstes beginnt Euskaltel-Euskadi , den Abschluss bilden die Armstrong-Equipe Discovery Channel und CSC des derzeitigen Spitzenreiters David Zabriskie. T-Mobile ist als fünftletztes Team dran. Die Aussichten für heute sind nicht allzu rosig. Addiert man die Einzelergebnisse des Einzelzeitfahrens am Samstag, kann das Team mit dem T auf der Brust mit vielen Konkurrenten nicht mithalten. So fuhr der schlechteste Discovery-Profi, Manuel "Triki" Beltran, auf Platz 70 der Tageswertung. Tobias Steinhauser von Ullrichs T-Mobile-Team war noch einmal 15 Sekunden langsamer als der spanische Kletterspezialist - aber Viertbester seiner Mannschaft. Auf einen miserablen 168. Platz kam Matthias Kessler. Zum Glück für Ullrich wurde im vergangenen Jahr das Reglement für das Teamzeitfahren geändert: Nun sind für die Ränge 2 bis 21 in der Tageswertung maximale Rückstände auf die Sieger festgelegt. Das Team auf Rang zwei bekommt maximal 20 Sekunden Rückstand aufgebrummt, das dritte 30 - jedes weitere 10 Sekunden mehr. T-Mobile kann sich folglich einen rabenschwarzen Tag leisten, der Rückstand auf die besten Mannschaften wird moderat ausfallen. Hat sich Ullrich eingefahren? Zudem werden die Fahrer von starkem Rückenwind unterstützt - wenn man dem Wetterbericht Glauben schenken darf. Dieser reduziert dann die Gesamtfahrzeit und damit auch die Zeitrückstände. In der Vergangenheit war Ullrich immer der große Motor in seinem Team, aber nach dem Auftaktzeitfahren musste man das bezweifeln.Jetzt regiert bei T-Mobile die Hoffnung, dass sich der Kapitän auf den Flachetappen etwas eingefahren hat und er mit Alexander Winokurow für Tempo sorgen wird. Denn dass sich die Bergfahrer Giuseppe Guerini oder Oscar Sevilla effektiv an der Führungsarbeit beteiligen können, ist eher fraglich. Oder haben alle bei T-Mobile außer Ullrich, Winokurow und Andreas Klöden zum Auftakt geblufft? Abwarten und T gucken. Ohne Sorgen, aber mit Ambitionen wird dagegen Gerolsteiner in diese Prüfung gehen, schließlich hat das Team am 19. Juni das erstklassig besetzte Mannschaftszeitfahren in Eindhoven gewonnen. Daher wäre es für mich keine Überraschung, wenn die Mannschaft heute auf den 67,5 Kilometern von Tours nach Blois unter den ersten fünf kommen sollte - vor T-Mobile. Die Favoriten auf den Tagessieg sind freilich andere: Discovery Channel, Phonak und CSC. Vor allem der CSC-Teamchef Bjarne Riis mit seinem Leader Ivan Basso und dem Gesamtersten Zabriskie wird seine Leute wieder voll motivieren.Das Prozedere vor einem solchen Zeitfahren ist von Team zu Team unterschiedlich. Bei manchen Mannschaften gibt es eine kurze Besprechung, und nur die Reihenfolge, in der die Rennfahrer hintereinander fahren, wird festgelegt. Bei anderen tritt der Idealfall ein: Die Fahrer sind eine eingeschworene Truppe, und der Teamchef versteht es, die Jungs so zu motivieren, dass jeder mit Freude daran geht, alles für den Leader zu geben. In diesem Fall wird die Gesamtzielsetzung für diese Tour de France noch einmal präzisiert. Klar ist: Jeder muss Schmerzen auf der Strecke erleiden, damit das Kollektiv Großes leisten kann. Wenn das Zeitlimit droht Außerdem werden Verhaltensregeln für mögliche Zwischenfälle wie Sturz oder Defekt besprochen. Denn wenn ein Rennfahrer früh eine Panne hat, kann dieser, wenn die Mannschaft nicht wartet, keine Führungsarbeit mehr leisten, außerdem hätte er alleine auch Schwierigkeiten das Zeitlimit zu schaffen. Dieses Limit liegt bei der Zeit der eigenen Mannschaft plus 25 Prozent. Wer langsamer ist, kommt nicht mehr in die Wertung. Fünf der neun gestarteten Fahrer müssen es übrigens bis ins Ziel schaffen - so schnell wie möglich, denn die Zeit des Fünftplatzierten markiert auch die Gesamtzeit der Mannschaft.Eigentlich scheiden sich am Mannschaftszeitfahren die Geister: Einige lieben es, vor allem die Rennfahrer, die sich dadurch einen Vorteil vor ihren direkten Konkurrenten verschaffen. Außerdem ist es für viele Profis die einzige Möglichkeit, in ihre persönliche Ergebnisliste einmal "Tour-Etappensieger" schreiben zu dürfen. Andere, insbesondere die kleinen Bergfahrer, hassen diese Prüfung wie die Pest: Sie geben alles und erreichen nichts - weder für sich selbst, noch für ihre Teamkapitäne. Bis morgen, Ihr Marcel Wüst P.S.: Auch bei der 92. Tour de France können Sie mir wieder Fragen mailen. Bitte schicken Sie Ihre Anfragen direkt an den Etappenhasen.  Meine Antworten werden an den beiden Ruhetagen der Frankreich-Rundfahrt veröffentlicht. Der erste ist Montag, der 11. Juli, eine Woche später folgt der zweite.