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Interview mit Jochen Behle "Mühlegg hätte kein Doping nötig gehabt"

Bei der am Dienstag beginnenden Nordischen Ski-WM in Val di Fiemme starten die deutschen Athleten mit großen Medaillenchancen. Bundestrainer Jochen Behle spricht mit SPIEGEL ONLINE über den plötzlichen Erfolg der Langläufer, mündige Sportler und den wegen Dopings gesperrten Wahl-Spanier Johann Mühlegg.

SPIEGEL ONLINE:

Herr Behle, Sie sind noch immer Deutschlands bekanntester Ski-Langläufer. Wird sich das nach dieser WM endlich ändern?

Jochen Behle: Das will ich doch hoffen. Mittlerweile haben wir ja ein paar Gute, die bei den Weltmeisterschaften etwas bewegen können. Ich bin zwar immer noch da, aber kein Langläufer mehr, sondern Trainer.

SPIEGEL ONLINE: Wem Ihrer Schützlinge trauen Sie am ehesten zu, die Öffentlichkeit für sich zu gewinnen?

Behle: René Sommerfeldt bei den Herren. Evi Sachenbacher ist bei den Damen die Nummer eins.

SPIEGEL ONLINE: Für Ihre Sportart wäre es sehr wichtig, einen Star zu etablieren, um größere Aufmerksamkeit zu erzielen.

Behle: Damit es für unsere Sportart weiter aufwärts geht, brauchen wir Persönlichkeiten, die einen Namen haben. Das sieht man im Skispringen oder im Biathlon. Wenn solche Namen fehlen, ist es schwierig.

SPIEGEL ONLINE: Im Vergleich zu den Skispringern fristen die Langläufer trotz der jüngsten Erfolge ein Mauerblümchendasein. Wie soll sich das ändern?

Behle: Wir haben ein völlig anderes Publikum als die Skispringer. Ich weiß gar nicht, ob unsere Langläufer Lust auf diese, ich sage mal, sehr jungen Fans hätten. Das ist ja wie bei Musikkonzerten. Das liegt natürlich daran, wie RTL das aufbereitet. Uns geht es mehr darum, den Sport dazustellen und nicht das Drumherum.

SPIEGEL ONLINE: Das zum Event hochgejazzte Skispringen findet aber großen Zuspruch bei Sponsoren und Publikum.

Behle: Das stimmt. Der reine Sport ist out. Heutzutage muss jede Sportveranstaltung als Event vermarktet und gestaltet werden. Deshalb hat der Skilanglauf attraktivere Wettkampfformen wie den Massenstart und die Verfolgungsrennen mit Skiwechsel eingeführt, die auch für den Fernsehzuschauer spannend sind. Das war dringend notwendig. Wir mussten von dem Image wegkommen, dass die Langläufer in den Wald hineinlaufen und irgendwann wieder rauskommen. Im Prinzip war das früher so.

SPIEGEL ONLINE: Zu Saisonbeginn fanden Sprintrennen am Rheinufer in Düsseldorf auf Kunstschnee statt. Gibt es weitere solcher Pläne, um den Langlauf attraktiver zu machen?

Behle: Das war schon eine innovative Idee, in die Stadt, zum Publikum, zu gehen. Auch die Biathleten waren zum Wettkampf in der Arena "Auf Schalke". Wir müssen aber immer im Auge behalten, dass der Sport der Sport bleibt.

SPIEGEL ONLINE: Seit Sie im Deutschen Ski-Verband Verantwortung tragen, haben die Erfolge der deutschen Langläufer auffallend zugenommen. Wie ist das möglich?

Behle: Das darf man nicht an einer Person festmachen. Wir haben ein homogenes, gut funktionierendes Team von den Technikern über die Trainer bis zu den Athleten. Wir sind wesentlich mehr Mannschaft als früher. Dann haben wir Talente im Team, die schon Juniorenweltmeister waren. Es ist uns geglückt, deren Potenzial auch im Erwachsenenbereich zu nutzen.

SPIEGEL ONLINE: Als Aktiver standen Sie der Verbandsarbeit sehr kritisch gegenüber. Was haben Sie verändert?

Behle: Als Athlet habe ich vieles für nicht gut befunden. Genau das habe ich versucht umzustellen und zu verändern. Ich glaube, dass das ganz erfolgreich war.

SPIEGEL ONLINE: Können Sie das an einem Beispiel erläutern?

Behle: Es geht etwa darum, die Selbstständigkeit und das Mitdenken des Sportlers zu fördern. Wir benötigen den mündigen Athleten, der in den Trainingsprozess mit eingreift. Der sich hinter das stellt, was man mit ihm machen will. Ich möchte die Meinung meiner Sportler wissen. Es ist doch klar, dass der Athlet die Vorgaben viel besser umsetzt, an denen er selbst beteiligt war.

SPIEGEL ONLINE: War das System früher zu diktatorisch?

Behle: Zu meiner Zeit wurde ein Trainingsprogramm ausgeben, das für alle gleich galt. Das kann schon einmal gar nicht sein: Denn jeder Athlet unterscheidet sich von dem anderen. Ich muss doch auch mit jedem Sportler persönlich reden, um auf seine Interessen eingehen zu können. Diese Erkenntnisse können gemeinsam umgesetzt werden. Dann kann man hinterher viel besser Fehler analysieren und sich daraufhin verbessern.

SPIEGEL ONLINE: Bei der WM in Val di Fiemme sind Ihre Sportler erstmals in einer Favoritenrolle. Sind die schon so weit, dass sie mit dieser Bürde umgehen können?

Behle: Ich traue ihnen das auf jeden Fall zu. Sie sind ja nicht zufällig in diese Rolle gerückt, sondern wissen, dass sie das über Leistung erreicht haben. Wenn man kontinuierlich gute Ergebnisse im Rücken hat, muss man keine Angst haben. Sie wissen, dass sie es drauf haben.

SPIEGEL ONLINE: "Härte zeigen" ist Ihr Anspruch an die Sportler. Wie ist das gemeint?

Behle: Ich meine damit, dass man fleißig sein und an sich arbeiten muss. Und ab und zu muss man über das, von dem man meint, es sei die eigene Grenze, hinausgehen. Nicht ständig, aber manchmal.

SPIEGEL ONLINE: Die überraschenden Medaillen Ihrer Schützlinge bei der WM 2001 in Lahti und den Olympischen Spielen in Salt Lake City wurden von Dopingskandalen aus den Schlagzeilen verdrängt. Hat Sie das geärgert?

Behle: Einerseits ja. Denn es wurde nicht mehr über unsere Erfolge geschrieben. Andererseits ist es positiv zu sehen, dass so viele Kontrollen durchgeführt werden. Die Fis (Internationaler Ski-Verband, d. Red.) hat sehr viel Geld investiert, um den Langlauf sauber zu kriegen und ist im Kampf gegen Doping ein Vorreiter. Dass Dopingsünder erwischt werden, ist ein Erfolg. Wir sind auf dem Weg, eine saubere Sportart zu werden.

SPIEGEL ONLINE: Diejenigen, die plötzlich Erfolg haben, werden besonders schnell verdächtigt. Muss sich die deutsche Mannschaft auch mit Dopinggerüchten auseinander setzen?

Behle: Wenn gute Ergebnisse da sind, werden leider solche Stimmen laut. Ich finde das unfair. Man sollte das akzeptieren, wenn andere besser gearbeitet haben. So plötzlich sind wir ja auch gar nicht nach vorn gekommen. Einige unserer Athleten waren ja vorher schon im Juniorenbereich sehr erfolgreich.

SPIEGEL ONLINE: Gehen Sie davon aus, dass die WM dopingfrei sein wird?

Behle: Ich weiß nicht, ob das überhaupt möglich ist. Aber es wird sehr scharfe Kontrolle geben.

SPIEGEL ONLINE: Haben Sie noch Kontakt zu Ihrem früheren Trainingspartner Mühlegg?

Behle: Überhaupt nicht. Ich weiß nur, dass er trainiert, um nach seiner Sperre zurückzukommen. Er hat sich total rar gemacht.

SPIEGEL ONLINE: Hat er Sie persönlich enttäuscht?

Behle: Jeder ist enttäuscht von dem, der versucht mit illegalen Mitteln nach vorn zu kommen.

SPIEGEL ONLINE: Sie haben Mitte der neunziger Jahre sehr eng mit ihm zusammengearbeitet. Hätten Sie damit gerechnet, dass er dopt?

Behle: Nein. Zumal er es nicht nötig gehabt hätte. Ich bin der Meinung, dass er es von seinen sportlichen Voraussetzungen her auch so hätte schaffen können.

SPIEGEL ONLINE: Nach den enttäuschenden Leistungen der DSV-Starter bei der alpinen Ski-WM - wie viele Langlauf-Medaillen versprechen Sie den deutschen Fans?

Behle: Ich bin eigentlich kein Erbsenzähler. Aber wenn wir das nötige Glück haben, gehe ich davon aus, dass wir in den beiden Staffelrennen aufs Podest laufen können. In den Einzelrennen rechne ich bei den Männern und Frauen insgesamt mit je einer Medaille. Zusammen wären das dann vier.

Das Interview führte Till Schwertfeger