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Konjunkturerwartung für 2024 DIHK warnt vor größter Wirtschaftskrise seit mehr als zwei Jahrzehnten

Die Bundesregierung rechnet für dieses Jahr noch mit einem Miniwachstum – die Industrie- und Handelskammer mit einem erneuten Rückgang. Ein Trend bei befragten Unternehmen ist besonders alarmierend.
Leerer Verladekai im Rostocker Seehafen

Leerer Verladekai im Rostocker Seehafen

Foto: Jens Büttner / dpa

Erst ein einziges Mal in der Nachkriegsgeschichte ist die deutsche Wirtschaft in zwei aufeinanderfolgenden Jahren geschrumpft – 2002 und 2003. Nun droht dies zum zweiten Mal, warnt die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK). Sie rechnet in diesem Jahr mit einem erneuten Rückgang der Wirtschaftsleistung. Nach der Befragung von mehr als 27.000 Unternehmen aus allen Branchen und Regionen erwartet der Verband ein Minus von 0,5 Prozent. 2023 ging das Bruttoinlandsprodukt bereits um 0,3 Prozent zurück.

»Die schlechte Stimmung der Unternehmen verfestigt sich«, teilte der Wirtschaftsverband mit. Zwar gab es in der Vergangenheit wegen der globalen Finanzkrise und in der Coronapandemie deutlich stärkere Einbrüche, diese hätten aber jeweils nur in einem Kalenderjahr zu einem Schrumpfen geführt. Bei den Geschäftserwartungen für die kommenden zwölf Monate rechnen nun aber

  • 35 Prozent der Firmen mit einer Verschlechterung

  • und nur 14 Prozent mit einer Verbesserung.

Ein Trend aus den Befragungsdaten ist besonders besorgniserregend, weil er langfristige Auswirkungen haben könnte:

  • 33 Prozent der Betriebe gaben an, ihre Investitionen in Deutschland verringern zu wollen.

  • Nur 24 Prozent planen eine Ausweitung.

Damit setze sich nach einer kurzen Erholung im Sommer 2023 der Negativtrend fort, so die DIHK.

In der lang anhaltenden Krise von 2002 und 2003 reagierte die rot-grüne Regierung unter Kanzler Gerhard Schröder mit den weitreichenden Arbeitsmarkt- und Sozialstaatsreformen der Agenda 2010. Nun fordert die DIHK erneut ein entschiedenes Handeln: »Die Krise ist da«, sagte Hauptgeschäftsführer Martin Wansleben. »Die Regierung wird sich dem stellen müssen.« Es gebe keine bessere Alternative für die Ampelparteien SPD, Grüne und FDP, als jetzt voll loszulegen. Denn die starken Zinserhöhungen zur Bekämpfung der hohen Inflation wirkten und bremsten die Konjunktur, so Wansleben.

Das internationale Geschäft laufe dabei weniger schlecht als befürchtet. Teilweise seien sogar zarte Lichtblicke zu beobachten. Das Problem liege in Deutschland. Fast drei von fünf Unternehmen sähen mittlerweile in den wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen ein Geschäftsrisiko. »Das ist ein besorgniserregender Höchstwert in unseren Befragungen«, so Wansleben. 57 Prozent seien dieser Meinung. Im Frühsommer 2023 waren es erst 43 Prozent.

In der DIHK-Umfrage verwiesen besonders viele Betriebe auf die allgegenwärtige Bürokratie. Wansleben sagte, der von der Ampel angekündigte Bürokratieabbau sei in Unternehmen noch nicht zu merken. Als Geschäftsrisiken wurden zudem die hohen Energiepreise, der Fachkräftemangel, die schwache Inlandsnachfrage sowie die hohen Arbeitskosten genannt. Dies geht immer öfter zulasten von Investitionen.

Es müsse alles getan werden, was zu einem größeren Angebot von Unternehmen führe, ohne gleichzeitig die Inflation anzuheizen, sagte Wansleben. Zum Beispiel könne viel deutlicher Bürokratie abgebaut werden. So fordert die DIHK sogar, das deutsche Lieferkettengesetz auszusetzen, das größere Betriebe für Missstände in ihren Lieferketten in die Pflicht nimmt.

Die Bundesregierung will laut Finanzminister Christian Lindner (FDP) bis zum Frühjahr ein Konzept zur Stärkung des heimischen Wirtschaftsstandorts vorlegen. Bislang gehen die Vorstellungen jedoch noch weit auseinander. Die Grünen plädieren für ein über Schulden finanziertes Sondervermögen für Investitionen, während die FDP auf Steuererleichterungen und Bürokratieabbau setzt. Sowohl Lindner als auch Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hatten Deutschland zuletzt als nicht mehr wettbewerbsfähig bezeichnet, Kanzler Olaf Scholz (SPD) hat sich dagegen deutlich optimistischer geäußert.

Die Bundesregierung will kommende Woche offiziell ihre Wachstumsprognose für 2024 von 1,3 auf nur noch 0,2 Prozent senken. »Ich finde das nachgerade peinlich und in sozialer Hinsicht gefährlich«, sagte Lindner am Mittwochabend in Potsdam. Deutschland werde damit wieder in der Schlussgruppe der Industriestaaten landen. 2023 gab es keine westliche Demokratie, die schlechter abgeschnitten hat. »Wenn wir nichts tun, wird unser Land zurückfallen. Dann wird Deutschland ärmer«, sagte Lindner.

fdi/Reuters