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Citius – Schweizer Olympia-Waffe auf Kufen

Auch Frauensache: Pilotin Sabine Hafners erste Fahrt mit dem Citius in Cesana im letzten März. Keystone

Die Schweizer Bobfahrer sollen an den Olympischen Winterspielen von Vancouver 2010 Medaillen holen. Spezialisten von ETH und Industrie haben ihnen dafür eine Hightech-Waffe mit Namen Citius konstruiert.

Machen die neuen Schlitten ihrem Namen alle Ehre, dann haben die Schweizer Piloten in Vancouver Edelmetall auf sicher. Denn Citius ist lateinisch und bedeutet schlicht “schneller”.

Wer daraus Überheblichkeit ableitet, liegt falsch. Wurde der Name doch dem olympischen Motto entlehnt, das da lautet “Citius, altius, fortius”, also schneller, höher, stärker.

Ob sich die hochgesteckten Erwartungen im olympischen Eiskanal erfüllen, wird sich im nächsten Februar zeigen.

Grösstes Projekt

Die Chancen, dass bei den Siegerehrungen in den Zweier- und Viererkonkurrenzen die Schweizer Fahne gehisst und der Schweizer Psalm ertönen wird, stehen gut.

Denn die Citius-Boliden sind das Ergebnis der ehrgeizigsten technologischen Entwicklung in der Geschichte des Schweizer Bobsports.

2007, volle drei Jahre vor der nächsten Jagd nach Olympiagold, begannen Spezialisten der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH) mit den ersten Forschungs- und Entwicklungsarbeiten. Mit an Bord: Experten von zehn Schweizer Industriefirmen. Die Schirmherrschaft liegt beim Schweizerischen Bobverband.

Können und Wissen vereint

Die explizite Zusammenarbeit von Forschung und Industrie soll im “Bau der weltschnellsten Bobschlitten” kulminieren, so die ehrgezige Citius-Zielsetzung.

Dabei ist es ein Glücksfall, dass im verzahnten Räderwerk von Forschung und Entwicklung einerseits und Konstruktion, Erprobung sowie Piloten-Coaching andererseits Christian Reich eine Hauptrolle spielt.

Reich gehört zu den Besten des Fachs. Und das sowohl als ehemaliger Pilot, als auch als Konstrukteur. 2002 hatte er in Salt Lake City Olympia-Silber im Zweier gewonnen.

Bei der Reputation als Konstrukteur, die er nach seinem Rücktritt erlangte, lag es auf der Hand, dass die Citius-Geschosse in seiner Schmiede zusammengebaut werden.

“Gegenwärtig läuft die Fertigung von Chassis und der Aerodynamik bei unseren Industriepartnern auf Hochtouren”, sagt Christian Reich gegenüber swissinfo.ch. Nach Abschluss der Entwicklungsarbeiten und ersten Tests sei man im Fahrplan.

“Formel-1-Ära” hält Einzug

Reich persönlich fiel im letzten Februar die Ehre zu, die Jungfernfahrt mit dem Schweizer Bob-Baby zu absolvieren. “Der Citius ist einfacher zu fahren”, lautet sein Fazit.

Mit dieser lakonischen Aussage beschreibt Reich aber die Spitze eines Eisberges aus hochkomplexen Zusammenhängen, die neue Möglichkeiten eröffnen, zumindest den Schweizer Piloten, möglicherweise gar dem Bobsport an sich.

“Der Citius-Bob weist viel mehr Einstellungsmöglichkeiten auf, was dem Athleten eine präzisere Abstimmung ermöglicht”, verrät Reich. Denn im Bobsport – wie in der Formel 1, wie er betont, – sei ein Pilot dann schnell, wenn die Fahreigenschaften des Gefährts mit dem individuellen Fahrstil grösstmöglich harmonierten.

Die Lenkung, neben Aerodynamik, Aufhängung und schnellen Kufen die grosse Herausforderung im Bobbau, bietet der Citius dem Mann oder der Frau an den Steuerseilen zwischen direkt – indirekter und progressiv – degressiver Charakteristik eine Vielzahl von Einstellungs-Möglichkeiten.

Ebenfalls nicht sichtbar sind die Neuerungen an der Aufhängung, der Verbindung von Aerodynamik (“Karosserie”) und Chassis. “Diese ermöglichen ein ruhigeres Fahrverhalten, das macht den Citius einfacher zum Lenken”, sagt Reich.

Mensch wichtiger als Maschine

Dennoch: Der Pilot ist und bleibt wichtigster Faktor im System Bob. “Je mehr Einstellungs-Möglichkeiten das Gerät bietet, desto mehr ist der Pilot gefordert, für sich die richtige Abstimmung zu finden”, so Reich.

Dazu sei das Fahrgefühl eines Piloten entscheidend. “Jeder muss sein individuelles Set-up finden, um schnell zu sein. Und das in möglichst kurzer Zeit.” Wie in der Formel 1.

Vor der wettkampfmässigen Citius-Feuertaufe im nächsten Winter steigt die Spannung. Bei Christian Reich und den Schweizer Bobfahrern ist sie jetzt schon gross. Aber sicher auch bei der Konkurrenz.

“Wenn die Piloten das Vertrauen in die neuen Schlitten gewinnen, wie wir vom Trainerstab uns das vorstellen, sind wir zu hundert Prozent überzeugt, dass es gute Resultate geben wird.”

Bei der Tradition an grossen Schweizer Erfolgen im Bobrun kann Reich nur Medaillen meinen.

Renat Künzi, swissinfo.ch

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Für das Projekt zu Entwicklung und Bau der neuen Schweizer Zweier- und Viererbobs für Vancouver 2010 hat die ETH Zürich Foundation 870’000 Franken gesprochen.

Seitens der ETH sind 12 Professuren mit über 20 Mitarbeitern beteiligt.

Inklusive Benützung der ETH-Labors und Werkstätten beträgt dieser Aufwand über 500’000 Franken.

Das Projektteam präsentiert im November 2008 am Swiss Innovation Forum den ersten Prototyp der Öffentlichkeit.

Anfang Februar 2009 absolviert Chefentwickler und Testpilot Christian Reich in Igls/Oe die Citius-Jungfernfahrt: Er ist auf Anhieb schneller als mit dem herkömmlichen Schlitten. Zeiten hält das Citius-Team aber unter Verschluss.

Im März 2009, ein knappes Jahr vor den Olympischen Spielen von Vancouver, machen sich die Schweizer Bobfahrer und –fahrerinnen auf der Bahn von Cesana in Italien erstmals mit ihrer neuen Waffe vertraut.

Der Bob hat sich in den letzten 100 Jahren vom kruden Holzschlitten zum Hightech-Gerät entwickelt.

Zur Limitierung der Kosten schreibt der Internationale Bobverband Einheitskufen vor.

Punkto Aerodynamik, Aufhängung und Lenkung haben die Entwickler aber einen Spielraum, den es auszureizen gilt.

Mit dem Citius-Projekt steht die Schweiz keineswegs alleine da, was die Optimierung des Materials betrifft.

In Italien baut Ferrari den Bob, mit dem die italienischen Piloten in Kanada Olympiamedaillen holen sollen.

In Grossbritannien wird das Unternehmen Olympia-Medaillen vom Sportwagenhersteller Lotus vorangetrieben.

Die Deutschen beklagen wenige Monate vor Olympia Materialprobleme: Im Zweier vertrauen sie nach wie vor auf die Schlitten der Berliner Forschungs- und Entwicklungsstelle für Sportgeräte (FES). Im Vierer dagegen steigen sie auf ein Gerät eines anderen Herstellers um.

An den Olympischen Spielen 1980 in Lake Placid wollten die Deutschen die Konkurrenz mit einem Opel-Bob schlagen. Die Konstruktion mit Plexiglashaube erwies sich jedoch als Flop.

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