Kläri kehrt heim, Güllen freut sich

In Kurt Josef Schildknechts Inszenierung erweist sich Friedrich Dürrenmatts «Der Besuch der alten Dame» am Theater St. Gallen als ein Stück voller Kraft und Saft – und als ein Schauspiel mit vielen Zwischentönen.

Rolf App
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Claire Zachanassian (Heidi Maria Glössner) nennt ihre Bedingung, nicht nur Alfred Ill (Wolfgang Krassnitzer, links) ist entsetzt. (Bild: Tine Edel)

Claire Zachanassian (Heidi Maria Glössner) nennt ihre Bedingung, nicht nur Alfred Ill (Wolfgang Krassnitzer, links) ist entsetzt. (Bild: Tine Edel)

Früher, da hiess sie Kläri Wäscher und war eine rothaarige Schönheit. Heute, da ist sie Claire Zachanassian und steinreich. Güllen freut sich auf sie, denn Güllen ist mausarm. So fängt Friedrich Dürrenmatts Stück «Der Besuch der alten Dame» an, das er selber eine tragische Komödie genannt hat. Und das am Freitagabend im Theater St. Gallen seine Premiere erlebt hat, von Kurt Josef Schildknecht farbig und sehr lebhaft mit gegen fünfzig Mitwirkenden in Szene gesetzt und vom Publikum stark applaudiert.

Da ist eine dunkle Geschichte

Schon die erste Szene setzt starke Zeichen. Ganz nah am Publikum, das auf diese Weise in Güllen eingemeindet wird, stehen Bürgermeister (Thomas Hölzl), Lehrer (Bruno Riedl) und Pfarrer (Marcus Schäfer); sie warten auf Claire Zachanassians Zug und machen sich Hoffnung auf ihre Millionen. Sie umgarnen Alfred Ill (Wolfgang Krassnitzer), denn der war Kläri Wäschers Liebhaber. Er will sich einsetzen, tut so, als wäre das keine grosse Sache für ihn – und verrät mit seiner Gestik, dass da noch eine dunkle Geschichte ruht. Dann kommt Claire, steigt aus der Tiefe empor wie aus der Unterwelt. Und macht am Ende des ersten Aktes beim Festessen klar, dass ihr Geld einen Preis hat. Ill hat sie verraten, damals, jetzt will sie seinen Kopf.

Hinter den Weisen lauert der Tod

Heidi Maria Glössner spielt mit beeindruckender Präsenz eine Claire Zachanassian, die keine Rachegöttin ist, sondern eine alt gewordene Frau, die um die Liebe ihres Lebens trauert und die selber am Rand des Todes steht. Das Mausoleum auf Capri ist nicht für Ill allein gedacht. Ill aber macht in Krassnitzers souveräner, auf sparsame Gesten setzender Interpretation sehr glaubhaft eine Entwicklung durch. Stück um Stück verabschiedet er sich von der Vorstellung, er könne die Schuld von damals ungeschehen machen und Claire mit ein paar Floskeln abspeisen.

Auch die Güllener bewegen sich aufs Unvermeidliche zu, kaufen sich neue gelbe Schuhe, die Damen Pelzmäntel (Kostüme: Marion Steiner). Der Lehrer, der Pfarrer, der Bürgermeister verabschieden sich von ihren Idealen, während Claires Entourage mit Butler (Hans Rudolf Spühler), zwei Ex-Gangstern (Thomas Nessi, Tobias Fend), zwei Blinden (Luzian Hirzel, Sven Sorring) und den Ehemännern VII bis XI (allesamt umwerfend komisch gespielt von Christian Hettkamp) von der oberen Etage der kahl-düsteren Bühne von Rudolf Rischer auf sie herabschaut. Lieder werden gesungen, mit und ohne Gitarre, doch hinter den Weisen lauert der Tod.

Wie Schildknecht aber das Tragische mit dem Komischen austariert, das ist beeindruckend. Und überzeugend auch in den vielen Details, die kleinen Nebenrollen ein Gesicht geben.