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Sport: Ewiges Eis

Keine Annäherung im Fall Ingo Steuer: Aljona Sawtschenko und Robin Szolkowy streiten weiter mit dem Verband für ihren stasibelasteten Paarlauf-Trainer

Berlin - Aljona Sawtschenko steht wieder auf dem Eis, sogar Sprünge übt sie schon. Vor ein paar Tagen hatte sie noch eine Schiene am rechten Bein, wegen ihrer Knöchelverletzung. Ein Trainingsunfall in der Chemnitzer Eishalle. Aber Anfang November steht der Eiskunstlauf-Grand-Prix in China an, und Aljona Sawtschenko will dort unbedingt mit ihrem Paarlauf-Partner Robin Szolkowy starten. Dieser Auftritt soll auch ein Symbol sein. Denn an der Bande soll Ingo Steuer stehen, ihr umstrittener Trainer.

Doch Steuer darf nicht einfach so an der Bande stehen, ein Gericht muss ihm diesen Platz einräumen. Und Sawtschenko/Szolkowy haben einen entsprechenden Antrag schon anfertigen lassen, ihre Berliner Anwältin Karla Vogt-Röller hat das gemacht. „Wir werden uns vor jedem Wettkampf neu einklagen“, sagt sie. Der Fall Ingo Steuer geht also weiter. Steuer, der frühere Stasi-Mitarbeiter, gibt nicht auf, seine Athleten halten weiter zu ihm.

Dabei wäre das Problem leicht zu lösen. Die Athleten müssten sich von Steuer lösen, denn der stasibelastete Trainer darf die beiden offiziell nicht mehr trainieren. Das hat die Deutsche Eislauf-Union (DEU) beschlossen. Seine Vorgeschichte mache Steuer als Trainer von DEU-geförderten Athleten untragbar. Wenn Steuer Trainer bleibt, würden die Athleten nicht mehr für Wettbewerbe nominiert. So lautet die Drohung der DEU. Doch Steuer hatte schon vor den Olympischen Spielen vor Gericht durchgesetzt, dass er in Turin an der Bande stehen darf.

Das Trio will sich nicht trennen lassen. „Das ist mehr als eine sportliche Verbindung, die tägliche Arbeit schweißt sie zusammen“, sagt Klaus Steffan, der Vorsitzende des Chemnitzer EV, des Vereins des Trios. Steuer hatte die gebürtige Ukrainerin Sawtschenko in Chemnitz aufgenommen, er hatte sie und Szolkowy zum Spitzenpaar geformt. Durch Steuer wurden sie 2006 Vize-Europameister. „Die beiden sagen, er sei ihr bester Trainer. Er ist zugleich ihr Manager, ihr Choreograf, er knüpft Kontakte für sie“, sagt Karla Vogt-Röller. „Die wollen keinen anderen.“ Die Sportler und Steuer sagen gar nichts, sie sind nicht zu erreichen. „Aber es belastet sie, keine Frage“, sagt Steffan. Er sieht die drei fast täglich. Von Steuer hat er auch erfahren, dass Sawtschenko wieder auf dem Eis steht. Sawtschenko und Szolkowy haben vor knapp zwei Wochen vor Gericht schon durchgesetzt, dass Steuer zum Saisonauftakt, bei der Nebelhorn-Trophy in Oberstdorf, an die Bande darf. Kurz darauf verletzte sich Sawtschenko, der gemeinsame Auftritt fiel aus.

Es geht auch längst nicht mehr bloß um Sport, es geht ums Geld, um sichere Einnahmequellen, die wegbrechen. Szolkowy hat Ende August seinen Platz bei der Sportförderkompanie der Bundeswehr verloren. Denn die DEU konnte für ihn keinen Trainer benennen. Steuer kam nicht infrage, einen anderen wollte Szolkowy nicht. „Jetzt ist er arbeitslos“, sagt Steffan. Auch Sawtschenko träumte mal von der Bundeswehr, sie hat seit Jahresbeginn den deutschen Pass, sie wollte in die Sportförderkompanie. Aber dann sagten sie ihr bei der Bundeswehr, dass sie vielleicht nach Afghanistan müsse, wenn sie verletzt sei und ihren Sportplatz verliere. Da schüttelte Sawtschenko entsetzt den Kopf. Vogt-Röller hatte das gesehen. Die Anwältin hatte die 22-Jährige zu diesem Termin begleitet. Jetzt arbeitet Sawtschenko in einem Chemnitzer Autohaus. „Auf 400-Euro-Basis“, sagt Steffan. Im Sommer hätten Szolkowy/Sawtschenko in Italien Schaulaufen absolviert, sagt der Klubchef. Dort hätten sie ein paar Euro verdient. Zum Leben reicht das kaum.

Steffan hat ihr zumindest den Vereinsbeitrag erlassen, auch Trainingszeiten muss sie nicht bezahlen. Steuer ist auch beitragsbefreit, er dürfte es gebrauchen können. „Er hat praktisch kein Einkommen, er lebt von den Reserven“, sagt Karla Vogt-Röller. Im Sommer gab Steuer mal ein paar Trainerstunden in Kanada, aber jetzt? Steffan hat mal versucht, Sponsoren für das Trio zu finden. Vergeblich.

Und wenn er Sponsoren finden würde? Dann nützte das gar nichts. Die DEU möchte auch nicht, dass Steuer privat finanziert wird. Er soll sich von den Athleten trennen, nur das akzeptiert der Verband. Hinter der Entscheidung der DEU steht das Bundesinnenministerium (BMI) mit seinen Fördergeldern, und es will keine stasibelasteten Trainer, die mit Kaderathleten arbeiten. 200 000 Euro Fördergelder hat das BMI zurückgehalten, bis sich die DEU im September offiziell von Steuer distanzierte und den Sportlern Alternativen empfahl. Jetzt fließt das Geld wieder, das jüngste Gerichtsurteil wird daran nichts ändern, teilt ein Sprecher des Innenministeriums mit. Ohne das Geld wäre die DEU insolvent. Andererseits sind Sawtschenko/Szolkowy ebenso wichtig für den Verband. Dieses Paar garantiert TV-Sendezeiten, es bietet enorme sportliche Perspektiven, es ist ein wichtiges Argument bei Gesprächen mit Sponsoren.

Die DEU hatte dem Paar verzweifelt personelle Alternativen zu Steuer angeboten. Es waren alles kostspielige Lösungen, Hauptsache das Paar bleibt der DEU erhalten. Der russische Startrainer Oleg Wasiliew hätte beide in Chicago trainiert, seine renommierte Kollegin Tamara Moskwina wäre sogar nach Chemnitz gekommen. Szolkowy/Sawtschenko lehnten ab. Und Sawtschenko werde nicht nachgeben, das lässt Karla Vogt-Röller durchblicken. Nur, was hat die 22-Jährige für Alternativen? Sie könnte den nationalen Verband wechseln, dann wäre sie zwei Jahre gesperrt. Sie könnte mit Szolkowy Profi werden und bei Shows Geld verdienen.

Es gibt viele unbeteiligte Opfer dieses Streits. Eiskunstläufer wie den Berliner Peter Liebers zum Beispiel. Er startete Ende August beim Junioren-Grand-Prix in Budapest. Aber weil das BMI das Fördergeld sperrte, konnte die DEU Liebers nicht, wie geplant, die Reisekosten bezahlen. Die sollte Liebers nun selber aufbringen. 50 Prozent der Kosten übernahm die Berliner Sporthilfe, den Rest bezahlte der Athlet selber. „Ein Unding“, sagt Reinhard Ketterer, der Leitende Landestrainer in Berlin. Er ist vor allem sauer auf Steuer. „Prozesshansel“ nennt er ihn. „Es war doch klar, dass der nur einen Pyrrhussieg landen würde.“

Und zumindest Ketterer hat Zweifel, ob die Solidarität von Szolkowy zu Steuer noch lange anhält. „Aus Sportlerkreisen“, sagt er, „habe ich erfahren, dass Szolkowy sich allmählich fragt, ob das alles noch Sinn macht.“

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