Ukraine-Eskalation: Nach Streubomben nun auch Uran-Munition aus den USA

US-Soldat mit einer M829A4-Panzergranate mit abgereichertem Uran. Bild: US-Verteidigungsministerium

Washington will Geschosse mit abgereichertem Uran liefern. Russland droht, mit gleicher Munition zu antworten. Warum DU-Geschosse, Streubomben und Landminen den Krieg weiter verseuchen.

Die US-Regierung unter Präsident Joe Biden wird laut Reuters erstmals die umstrittene panzerbrechende Munition mit abgereichertem Uran (Depleted Uranium, DU) an die Ukraine liefern. Damit folgt Washington Großbritannien. Die britische Regierung hatte schon Ende April mitgeteilt, DU-Munition Anfang des Jahres geschickt zu haben.

Die Uran-Geschosse können von US-amerikanischen Abrams-Panzern abgefeuert werden. Die Panzer sollen in den kommenden Wochen in der Ukraine eintreffen. Die Munition stammt aus überschüssigen US-Beständen, was es dem Präsidenten erlaubt, sie in Notfällen auch ohne Zustimmung des US-Kongresses zu verschicken. Der Wert der Lieferung beläuft sich wahrscheinlich auf 240 bis 375 Millionen US-Dollar.

Die Entscheidung – offiziell soll sie diese Woche mitgeteilt werden – folgt einer früheren der US-Regierung, Streumunition an die Ukraine zu liefern, obwohl Bedenken hinsichtlich der Gefahren bestehen, die diese Waffen für die Zivilbevölkerung darstellen. 20 Staaten haben der Lieferung von Streubomben an die Ukraine daher scharf kritisiert.

Wie Reuters meldet, hat sich die Zahl der durch Streumunition getöteten oder verletzten Menschen im vergangenen Jahr auf mehr als 1.000 verachtfacht. Das ist vor allem auf den Einsatz von Streumunition im Ukraine-Krieg, insbesondere durch Russland, zurückzuführen, so der Bericht der Cluster Munition Coalition, der gestern vorgestellt wurde.

Nächste Woche findet zudem ein Treffen der Convention on Cluster Munitions statt, die von 112 Staaten unterzeichnet bzw. ratifiziert wurde. Das Übereinkommen verbietet die Verwendung von Streumunition und fordert die Räumung von Gebieten, in denen diese Munition verwendet wird.

Wenn die USA neben Streubomben nun auch noch DU-Munition liefern, wird es den Krieg in der Ukraine weiter eskalieren. Für den Fall, dass die USA Geschosse mit abgereichertem Uran in der Ukraine einsetzen, hat der russische Präsident Wladimir Putin bereits gedroht, mit Uranmunition zurückzuschlagen.

Abgereichertes Uran ist ein Nebenprodukt bei der Stromproduktion in Atomkraftwerken. Aufgrund seiner extremen Dichte können die Geschosse leicht Panzerungen durchschlagen.

Der Einsatz von Munition mit abgereichertem Uran ist heftig umstritten. Kritiker und Organisationen wie die International Coalition to Ban Uranium Weapons (ICBUW) argumentieren, dass die Aufnahme oder das Einatmen von abgereichertem Uranstaub gefährliche Gesundheitsrisiken birgt. Die Munition wird mit Geburtsfehlbildungen, Fehlgeburten und Krebs in Verbindung gebracht.

Diverse Studien zeigen auf, dass nach dem Einsatz von Uranmunition in Kriegsgebieten, Erkrankungen und gesundheitliche Schädigungen bei den Menschen in betroffenen Gebieten signifikant anstiegen. Bei den Jugoslawien-Kriegen und im Irak-Krieg erhöhten sich die Krebsraten (Hodenkrebs, Leukämie, Brustkrebs) bei der Bevölkerung um ein Vielfaches. Von den Hunderttausenden US-Soldaten, die im Irak kämpften, entwickelten 15 bis 20 Prozent als Veteranen das sogenannte Golfkriegssyndrom (Muskelschmerzen, Erschöpfung, Lähmungen, Depressionen etc.) und etwa 25.000 verstarben.

Deutschland unterstützt UN-Resolution zu Uran-Munition nicht

Der Arzt, medizinische Sachverständige und Friedensaktivist Klaus-Dieter Kolenda hat auf Telepolis in einer Artikelreihe ausführlich über den Forschungsstand zu Uranmunition und ihren Folgen berichtet.

Bisher gibt es zwar keine Klarheit über die konkreten Zusammenhänge, viele Fragen sind weiter offen bzw. strittig – was auch daran liegt, dass die Staaten, die Uranmunition verwenden, also insbesondere Großbritannien und die USA, Informationen zurückhalten und Forschungen dazu nicht fördern. Aber die gesundheitlichen Befunde beim Einsatz von DU-Geschossen sollten gemäß dem Vorsorgeprinzip äußerste Vorsicht gebieten.

Die deutsche Sektion der "Internationalen Ärztinnen und Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges/ Ärzte in sozialer Verantwortung" (IPPNW) und der "Internationalen Koalition zur Ächtung von Uranwaffen" (ICBUW) fordern daher die Ächtung von Uranwaffen und eine bessere Erforschung des Sachverhalts. Friedensgruppen setzen sich zudem seit Langem für ein Verbot von DU-Munition ein.

Im vergangenen September billigte die Generalversammlung der Vereinten Nationen einen indonesischen Resolutionsentwurf, der auf weitere Untersuchungen der "Gesundheitsrisiken und Umweltauswirkungen" von DU-Waffen drängt und einen "vorsichtigen Ansatz" für deren Einsatz fordert. Die Resolution wurde von 147 Staaten angenommen.

Seit 15 Jahren wird regelmäßig über das Thema Uranmunition in der UN abgestimmt. Jedes Mal entschied sich eine Mehrheit der Staaten im Plenum für die Annahme der Resolution. Nur eine kleine Minderheit votiert mit Nein.

Dieses Jahr stimmten die USA, das Vereinigte Königreich, Frankreich und Israel gegen den Vorschlag. Deutschland enthielt sich der Stimme, was es seit 2014 tut.

Die Bundesregierung wies zudem die Vorwürfe von russischer Seite in "aller Deutlichkeit" zurück, dass die Munition mit abgereichertem Uran, wie sie von Großbritannien Anfang des Jahres an die Ukraine geliefert wurde, eine "nukleare Komponente" besitze. Es sei keine signifikante Strahlenexposition der Bevölkerung zu erwarten, so die Antwort der Regierung auf eine kleine Anfrage der AfD-Fraktion im Bundestag.

Die ICBUW vermutet hinter dem Positionswechsel Deutschlands Rücksichtnahme auf die Interessen mächtiger Bündnispartner. Auch würden die meisten Nato-Staaten entweder gegen die Resolution stimmen oder sich enthalten. Das wäre in der Vergangenheit einmal anders gewesen.

Streubomben, Minenfelder, Uranmunition: Wer wird dafür sorgen, dass die Ukrainer:innen vor diesen schädlichen Hinterlassenschaften des Kämpfens geschützt werden? Wer heute in den Irak oder auch nach Indochina (Vietnam, Kambodscha, Laos) blickt, kann wissen, dass das Engagement bei den beteiligten Staaten größer ist, die für die Zivilbevölkerung gefährlichen Geschosse und Waffen zu liefern bzw. einzusetzen, als das toxische Erbe zu beseitigen und Zivilisten zu schützen.

Daher sind Kampagnen gegen Streubomben, Landminen und Uranmunition derart entscheidend, um die Regierungen an ihre Verpflichtung zum Aufräumen zu erinnern bzw. sie am besten davon abzuhalten, diese Waffen überhaupt zu verwenden. Leider sieht man aber auch in den Medien die Tendenz, das Thema an den Rand zu schieben oder die Gefährlichkeit der Munition trotz aller Problematisierungen herunterzuspielen.