Zehnmal "dahin will ich wieder mal!"
Selten kommt es vor, dass keine konkreten Reisepläne für die nächste Zeit anstehen. Einerseits haben derzeit andere Dinge erste Priorität, andererseits wartet man in der Ostschweiz derzeit auf das Bekanntwerden des FCSG-Gegners im Europacup, weshalb erst dann wieder Pläne geschmiedet werden.
Zeit, um etwas in Erinnerungen zu schwelgen. Und Zeit, nach einer Diskussion mit einem guten Freund auf einer Zugfahrt von Brussel-Noord nach Gent St-Pieters, mal eine persönliche Top 10 der Städte zu erstellen. Dies ganz ohne Reihenfolge, da hunderte besuchte Städte nicht einfach in eine Rangliste zu fassen sind...
New York. Wie langweilig. Da erwartet man von einem eher-weniger-0815-Touristen eine spezielle Destination zuoberst auf der Liste und dann kommt als erstes New York. Eine Stadt, die für Konsum steht wie kaum eine andere, abgesehen von Las Vegas und London. Eine Stadt, in der man weder eine exotische Sprache sprechen noch eine rätselhafte Speisekarte entziffern muss. Eine Stadt, die so viele Besucher hat wie wohl kaum eine andere auf der Welt. Aber vielleicht hat New York gerade deshalb so viele Besucher, weil es eine Magie ausstrahlt, die anderen Städten abgeht. In New York lässt sich vieles erleben, man kann Dutzende Sehenswürdigkeiten abklappern und mit einem leeren Koffer anreisen, da das Shopping-Angebot gleichwohl vielfältig wie preisgünstig ist. Alles Argumente, die für einen Besuch in New York sprechen. Aber noch mehr sprechen zwei Dinge dafür: Auf der einen Seite gibt es wohl keine fotogenere Stadt als NY. Und auf der anderen Seite, kann man hier stundenlang durch die Häuserschluchten spazieren, ohne dass einem langweilig wird. Die Vielfalt, die die Stadt im Nordosten der USA auf kleinstem Raum vereint, macht es zu einem hervorragenden Reiseziel für Besucher, die gerne einfach mal durch die Strassen schlendern und eine Stadt auf diese Art geniessen.
Kuala Lumpur. Vielleicht ist es bezeichnend, dass ich lange brauchte, um ein passendes Bild von der malaysischen Hauptstadt zu finden. Kuala Lumpur ist nicht wirklich schön, hektisch und bisweilen auch dreckig. Gleichzeitig ist es aber auch eine Stadt, die Tradition und Moderne miteinander vereint. In Kuala Lumpur existiert ein Nebeneinander; da steht auf der einen Strassenseite ein chinesisches Hawker-Center und auf der anderen Seite ein moderner Business-Palast. Der Eindruck des friedlichen Nebeneinanders täuscht aber. Und zwar darüber hinweg, dass Kuala Lumpur den Fortschritt rücksichtslos vorantreibt und die traditionellen Wohnformen fast schon wie in China aus dem Stadtzentrum herausgetrieben werden. Dieses ist aber ohnehin nicht das Sehenswerte an Kuala Lumpur. Abgesehen von den zweifelsohne beeindruckenden Petronas Twin Towers und den damit verbundenen Malls gibt es dort nicht wirklich viel zu sehen. Das Lebenswerte in KL spielt sich in anderen Quartieren ab; etwa bei der Station Pasar Seni, wo die Chinatown um die Jalan Petaling pulsiert, in Chow Kit oder in Bangsar. Dazu kommt: Kaum eine Stadt hat ein so interessantes öV-System, an dem man Freude entwickeln kann, indem man damit einmal durch die Vorstädte wie Petaling Jaya, Sentul Timur und Kelana Jaya fährt.
Wien. Bekanntlich ist Rapid nicht gerade die Mannschaft, die zuoberst auf meiner Beliebtheitsskala steht. Da Fussball vieles, aber nicht alles ist, ist dies vernachlässigbar. Wien ist eine der Städte, wo ich mir vorstellen könnte, für längere Zeit wohnhaft zu sein. Wien wird gerne als Wasserkopf Österreichs bezeichnet oder beleidigt. In der Hauptstadt sind Handgelenk mal Pi ein Fünftel der österreichischen Bevölkerung und dementsprechend wächst man mit dieser Stadt auf, wenn man als Jugendlicher jeden Tag ö3 hört und neben der ständigen Geisterfahrermeldungen aus der Steiermark auch sämtliche Nachrichten über Wien mitbekommt. Ausschlaggebender als das österreichische Hitradio war aber unsere entfernte Verwandtschaft in Wien, die wir öfters besuchten. Wien ist neben Bergamo die Stadt, die ich am häufigsten besucht habe; Dutzende Male ging es mit Zug, Auto oder Flugzeug nach Wien, um einige Tage dort zu verbringen. Es war nicht nur unsere Verwandtschaft, die uns dort empfing, sondern vielmehr eine lebendige Stadt mit einer Bevölkerung, die einen grantligen Sarkasmus lebt, den man erstmal verstehen muss. Eine Stadt, die mit ihrer Vielzahl an Bezirken, Restaurants, Bierstuben und Kaffeehäusern immer wieder Freude bereitet.
Granada. Eher zufällig stand 2004 Granada auf dem Programm, wo in den letzten Frühlingsferien vor der Matura ein zweiwöchiger Sprachaufenthalt anstand, um das Spanisch vor der mündlichen Abschlussprüfung doch auch einmal aktiv zu gebrauchen. Nebst der Tatsache, dass mir in der Escuela Montalban erstmals der Subjuntivo nachvollziehbar erklärt wurde, blieben mir andere Sachen in Erinnerung. In Granada trifft man sich zum Botellon an der Plaza Nueva oder beim Mirador de San Nicolas. In Granada bekommt man zu jeder Caña (Stange) Tapas, sodass man nach acht Bier auch gegessen hat. In Granada geniesst man in der Teteria Pervane einen Batido de Chocolate im Schneidersitz auf dem Boden. Und man wandert durch den weissen, ehemals arabischen Stadtteil Albayzin, betrachtet dabei das lokale Strassenkunstschaffen; man geniesst die herrlichen Gärten und Gebäude der Albhambra oder gibt sich in der Neustadt dem Shoppingangebot hin. Und wenn man Glück hat, lernt man sympathische, junge Menschen kennen, die einen in ihre Höhle im Sacromonte einladen. Für einen jungen Maturanden war dies so beeindrucken, dass ich danach zweimal dorthin zurückkehrte und weitere grosse Dinge erlebte. Insbesondere das Amparanoia-Konzert mit Maja in der Planta Baja wird auf ewig in meinen Erinnerungen bleiben. In Erinnerung bleiben wird aber auch die Tatsache, dass schon 2006 deutlich weniger Leben in der Stadt war; die Botellons auf der Plaza Nueva wurden verboten, die Calle Elvira gesäubert und die Stadt damit um einen wesentlichen Teil ihres Geistes beraubt.
Bangkok. Wie New York ist auch Bangkok eine Stadt, die zahlreiche Besucher anzieht. Diese kommen mit verschiedenen Absichten in die thailändische Hauptstadt: Einige wollen kulturelle Güter bestaunen, andere geniessen das hektische, spannende Leben in der Stadt, weitere kommen des Ausgangs ohne oder mit all seinen sexuellen Ausschweifungen wegen nach Bangkok und andere verbinden dies miteinander. Tatsache ist: Kaum eine Stadt macht so viel Spass wie Bangkok. Für jedes Budget bietet Bangkok Unterhaltung erster Güte. Hat man kein Geld, so steigt man für vier Franken pro Nacht in einem Schlafsaal in der Khaosan Road ab und geht in der Umgebung für wenig Geld trinken. Die Mittelklasse bevorzugt den weniger hektischen, aber nicht weniger unterhaltsamen Stadtteil Sukhumvit, wo sich ein Hotelpalast an den nächsten reiht, während sich dazwischen kleine Bars und Restaurants einnisten. Muss man auf das Geld gar nicht schauen, so ist man in den Nobelhotels im Silom bestens aufgehoben. Kultur gibt es auch in Bangkok. Aber ganz ehrlich: So spektakulär ist das nicht. Dafür sind andere Orte, wie etwa das zwei Stunden von der Hauptstadt entfernte Ayutthaya, besser geeignet. Bangkok heisst durch den Tag Shopping und am Abend Ausgang. Das ist alles. Und angesichts der Vielfalt, der Preise und dem Unterhaltungsfaktor ist das auch gut so.
Austin. Nichts ist ungeeignet, um sich von der Masterarbeit abzulenken. Auch nicht, sich durch die auf iTunes verfügbaren Radiosender zu klicken, um dort neue Dinge zu entdecken. Dazu gehört 101X. Schnell weckte mich beinahe jeden Tag - der Tagesrhythmus geriet während der Masterarbeit ohnehin aus den Fugen - das dämliche Gequatsche von Jason und Debs Morgenshow. Und ich fand es lustig, ja gar kitschig-klischeehaft, dass die erste Werbung ein texanisches Steakhouse bewarb. Schlussendlich begleitete mich 101X durch die Masterarbeit, sodass ich nach deren Beendigung kurzerhand entschied, der texanischen Hauptstadt einen Besuch abzustatten. Rasch war eine Reiseroute geplant und es konnte losgehen - ich musste ja ohnehin auf die Ergebnisse waren und konnte in der Zwischenzeit in der Schweiz wenig unternehmen. In Austin lernte ich eine Stadt kennen, wie man sie in Texas nicht erwartet. Kein Cowboy-Kult, keine republikanische Propaganda. Austin ist vielmehr eine lebendige Studentenstadt, die mehrere Zentren hat, Downtown, Guadalupe, South Lamar. Es ist zwar bisweilen, primär aufgrund der Temperaturen, etwas schwierig, sich in Austin zu Fuss fortzubewegen, im Gegensatz zu verschiedenen anderen amerikanischen Städten geht es aber überhaupt. Insbesondere am Abend, wenn die Lokale an der 6th Street ihre Pforten öffnen und hunderte feiernde Amerikaner empfangen. Sie kommen dort nicht nur in den Genuss von billigem Bier namens Shiner Longneck, sondern auch von Live-Musik. "Keep Austin Weird" ist das Motto dieser Stadt, die eine grandiose Musikszene hat, die in den USA Ihresgleichen sucht und sogar einen Musikbanausen wie mich höchst erfreut.
Sarajevo. Cevapcici essen, Kaffee, Tee und Bier trinken, durch die Strassen schlendern, mit netten Menschen plaudern, die beiden Altstädte geniessen, Fussball schauen: Das ist Sarajevo. Eine Stadt, die sich noch immer im Umbruch befindet, nachdem sie zwischen 1992 und 1996 belagert und stark zerstört wurde. Dies ist noch gut sichtbar, vielerorts sind zerschossene Hausfassaden zu erblicken. Ausser in der Bascarsija, der osmanischen Altstadt Sarajevos. Diese befindet sich ganz hinten im Talkessel und beherbergt immer mehr Besucher. Direkt daneben befindet sich die Ferhadija, wo es von einem Meter auf den nächsten total anders aussieht: Hier wird nicht mehr türkischer Kaffee getrunken, sondern bosnisches Bier. Hier werden nicht mehr Teppiche verkauft, sondern die neuesten Sportschuhe. Und hier sieht es auch nicht mehr aus wie in der Türkei, sondern wie in Österreich. Bascarsija und Ferhadija sind aber nicht alles, das man in Sarajevo erlebt haben muss. Zwei weitere Dinge dürfen auf keinen Fall fehlen, wenn man die Hauptstadt von Bosnien-Herzegowina besucht. Zum einen eine Tramfahrt entlang der Sniper Alley von der Bascarsija nach Ilidza und zurück. Die Fahrt in alten Wiener Trams über holprige Geleise gibt einem einen Eindruck, was hier früher ablief. Die Sniper Alley hat ihren Namen aus gutem Grund; dort befanden sich während des Bürgerkrieges serbische Scharfschützen, die den Verkehr auf der Hauptachse durch Sarajevo nachhaltig beeinträchtigten. Auch nicht verpassen sollte man den Besuch eines Fussballspiels, wenn möglich das Derby zwischen Zeljeznicar und FK Sarajevo - man bekommt hier ein Tribünenspektakel zu sehen, das zum Allerbesten gehört.
Hong Kong. Hong Kong ist fast wie New York, nur auf asiatisch. Eine touristische Finanzmetropole, die einiges an Sehenswürdigkeiten, Unterhaltung und Gaumenfreuden bietet, gleichzeitig aber auch brutal ist. Setzt man seine Ellbogen hier nicht ein, findet man sich schnell in einem Arbeiterschliessfach wieder, das so klein ist wie kaum anderswo auf der Welt. Hong Kong ist Business, Wachstum und Glitzern. Sitzt man am Abend auf der Promenade in Kowloon vor dem Peninsula Hotel, so kann man eine farbige Lasershow bestaunen, die von den Glaspalästen auf der anderen Meerseite gezeigt wird, womit aus der beinahe ständigen Bewölkung des Himmels das Beste herausgeholt wird. Ist einmal schöneres Wetter, kann man mit einer Standseilbahn auf den Victoria Peak fahren, von wo aus man die Häuserschluchten in einer anderen Dimension noch eindrücklicher sehen kann. Ansonsten bietet Hong Kong auch einiges: Zweistöckige Trams, Nachtmärkte wie in Mong Kok, englische Pubs, die Ales und Stouts ab Zapfhahn servieren, Shoppingzentren überall, hektische Chinesen und Inder, die einem jeden möglichen Krempel andrehen wollen, sowie die Möglichkeit, mal einen kurzen Ausflug ins Spielparadies Macau zu unternehmen. Eine herrliche Stadt.
Catania. Italien ist das Land, das ich mit grossem Abstand am meisten bereist habe. Es mag einige überraschen, dass die davon ausgewählte Stadt nicht Bergamo, sondern Catania ist. Nur: Abgesehen von fussballerischen Sentimentalitäten hat Catania einiges mehr zu bieten als Bergamo. Objektiv gesehen vielleicht weniger als Rom, Florenz oder Bologna, subjektiv gesehen aber schon. Da ist zuerst einmal die Faszination Siziliens, einer Insel, wo die Küche hervorragend ist, man bestens rumreisen kann, sofern es die Verbindungen dann zulassen und man so viele Bauruinen zu sehen bekommt wie nirgends sonst in Italien. Dann Catania, eine Stadt, wo man vieles unternehmen kann, sich aber primär einmal die Nacht um die Ohren schlagen kann wie kaum anderswo in unserem südlichen Nachbarland. Bucht man ein Hotel an der Piazza Bellini oder in einer der Strassen, die zum Theaterplatz führen, so darf man schlicht keine Nachtruhe erwarten. In Catania reihen sich die Bars aneinander, da können Ausgangsmetropolen wie Düsseldorf oder Hamburg nur neidisch werden. Dies zieht hunderte Menschen an, die hier ihre Nacht verbringen; in einer begeisternden, charmanten und heruntergekommenen Altstadt, die am darauf folgenden Morgen schrecklich abweisend aussieht, wenn alle dicken Metallläden heruntergezogen sind und man die Spuren der vergangenen Stunden noch deutlich sehen kann. Den Morgen verbringt man aber nicht dort, sondern auf der lebendigen Via Etnea, der Hauptachse Catanias. Ansonsten lässt man sich mit einem uralten, langsamen Zug rund um den Ätna chauffieren, um die atemberaubende Landschaft zu geniessen. Ist man dann zurück, so bleibt noch genug Zeit, sich mit Arancini, Schwertfisch und Cannoli einen Boden für den nächsten Ausgang anzuessen. Den braucht man nämlich in Catania.
Hamburg. Nun, die norddeutsche Stadt an der Elbe hat sich hier gegen zahlreiche Städte durchgesetzt, die für den zehnten Platz auf dieser Liste ebenfalls in Frage gekommen wären: Buenos Aires aufgrund des Fussballs, Tokyo aufgrund der stoischen Hektik, Rom aufgrund seiner Geschichte, London aufgrund seiner Vielfalt, Napoli aufgrund seiner Küche, Ushuaia weil es Ushuaia ist, Glasgow in seiner Heruntergekommenheit, Skopje aufgrund der wunderschönen Altstadt und und und... es war aber weniger eine Wahl gegen diese Städte, sondern vielmehr für Hamburg. Hamburg bietet so viel wie kaum eine andere Stadt in Deutschland. OK, Berlin ist vielseitiger und die alten Berliner sind sympathisch, aber es hat sich so stark gentrifiziert, dass man sich an jeder Ecke unwohl fühlt. OK, in Düsseldorf kann man gut ausgehen, aber in Hamburg noch besser. OK, Stuttgart liegt wunderschön im Talkessel und der Schlossplatz lädt zum chillen. Aber: Hamburg ist so vielseitig wie keine andere deutsche Stadt. Und die Hamburger sind ein authentisch freundliches Völkchen, das seine Gäste in ihrer Stadt wohlfühlen lässt. In Hamburg gibt es die Reeperbahn, die Neustadt, die Alster, das Schanzenviertel, Altona, Blankenese, St. Georg, und jedes Viertel hat seine eigene Identität bewahrt. Wackelkandidat ist hier einzig das Schanzenviertel, vor dem die Gentrifizierung in deutschen Städten auch nicht Halt gemacht hat. Ein Mettbrötchen zum Frühstück bei Schweinske lässt einen dies aber rasch vernachlässigen.
Nun, genug geschwelgt. Bald gehts wieder auf Reise. Und diesmal steht die Entscheidung, wohin es denn gehen sollte, nicht in meiner Macht...