Bereits in den Viertelfinals halten die diesjährigen Eishockey-Playoffs viel Spektakel bereit. Während gestern Abend Freiburg und Lugano den Halbfinal-Einzug erst im siebten Spiel unter sich ausmachen konnten – mit dem besseren Ende für Fribourg – muss morgen in den Partien zwischen Lausanne und Davos sowie zwischen Zug und Bern eine Finalissima entscheiden.
Das ist ein Novum in der Schweizer Eishockeygeschichte. Dass genau drei der vier Paarungen ins siebte Spiel gehen, ist seit der Einführung der Best-of-7-Serie in der Saison 1997/98 noch nie vorgekommen. Zweimal, 1997/98 und 2012/13, wurden sogar sämtliche Duelle erst im siebten Spiel entschieden.
Bevor es am Samstag erneut um die Wurst geht, erinnern wir uns an sieben Finalissima-Geschichten, wie sie nur die Playoffs schreiben können.
Wir befinden uns kurz nach der Jahrtausendwende, mitten in der Blütezeit des Tessiner Eishockeys. 1999, zwei Jahre zuvor, hatte der HC Lugano im Final gegen den Kantonsrivalen Ambri-Piotta zum ersten Mal nach neun Jahren wieder den Meistertitel errungen. 2001 schaffen es die Südtessiner erneut bis in den Playoff-Final – und stehen mit einer komfortablen 3:1-Führung in der Serie gegen den ZSC kurz vor der gelungenen Revanche, denn bereits ein Jahr zuvor standen sich die beiden Teams im Final gegenüber.
Auf der anderen Seite die Lions, neben Lugano die teuerste Mannschaft der Nationalliga A, wie die National League damals noch hiess. Die Zürcher streben etwas an, das im Schweizer Eishockey Seltenheitswert hat: Sie wollen den Meistertitel aus dem Vorjahr bestätigen. Angesichts des 1:3-Rückstands brauchen die Zürcher für die Mission Titelverteidigung aber ein wahrliches Schlussfurioso.
Und tatsächlich: Die Zürcher drehen nach drei klaren Niederlagen (0:3, 1:4, 0:4) mächtig auf, fegen Lugano mit 6:3 und 5:1 vom Eis und erzwingen so eine Belle. Das alles entscheidende siebte Spiel in der Resega ist hart umkämpft, nach 60 Minuten steht es 1:1. Overtime.
In der 70. Minute ist es der Schwede Morgan Samuelsson, der nach einem Konter die Zürcher Titelverteidigung perfekt macht – ausgerechnet der Spieler, der den Verein aufgrund seiner geringen Eiszeit mitten in den Playoffs verlassen wollte.
Feiern können die Lions den Titel auf fremden Eis aber nicht wirklich. Die wütenden Lugano-Fans verwandeln die Resega in kurzer Zeit in ein Schlachtfeld – Gegenstände fliegen aufs Eis, die SRF-Moderatorin flieht vor laufender Kamera in den Kabineneingang und die frischgebackenen Meisterhelden müssen sich für die Pokalübergabe in die Katakomben zurückziehen.
Ein Moment, der sich als eine der schmerzhaftesten Episoden der Ambri-Geschichte in das kollektive Fan-Gedächtnis eingebrannt hat: Die Leventiner führen in der Playoff-Serie gegen Lugano, ihren erbitterten Erzfeind, mit 3:0. Im vierten Spiel steht es vier Sekunden vor Schluss 3:3. Ambri-Topskorer Hnat Domenichelli, neben Jeff Toms und Jean-Guy Trudel Teil des legendären Kanadier-Trios, das Ambri in den Nullerjahren oftmals in Extremis noch in die Playoffs hievte, verfehlt das leere Lugano-Tor.
Hätte Domenichelli damals getroffen, hätte er einen von Ambris schönsten Siege der Vereinsgeschichte besiegelt und sein Trikot es womöglich neben diejenigen von Dale McCourt, Peter Jaks und Co. unter das Gebälk der alten Valascia geschafft. Aber es kam bekanntlich anders.
Als hätte er schon eine düstere Vorahnung von dem, was folgt, erklärt Ambri-Torhüter Thomas Bäumle nach der 3:0-Führung: «Wir müssen bescheiden bleiben. Lugano bleibt Favorit».
Und Bäumle sollte Recht behalten. Der Favorit aus Lugano schmeisst Trainer Larry Huras kurzerhand raus und stemmt sich mit Harold Kreis, dem neuen Mann an der Bande, mit allen Mitteln gegen das frühe Ausscheiden, reiht drei Siege aneinander und gleicht die Serie aus. Im siebten Spiel scheinen Ambris Batterien leer – die Leventiner haben dem übermächtigen Lugano nichts mehr entgegenzusetzen, gehen mit einem 1:5 unter und werden zum ersten (aber nicht letzten) Team in der Nationalliga, das eine 3:0-Führung noch verspielt.
Beflügelt von der spektakulären Wende spielt sich Lugano bis in den Final und sichert sich dort gegen Davos den Meistertitel – es sollte bis heute der letzte bleiben.
Hnat Domenichelli, der unglückliche Ambri-Held, wechselte 2008 zu den Bianconeri. Heute amtet er in Lugano als Sportdirektor.
Nur ein Jahr nachdem Ambri zum ersten Mal in der Playoff-Geschichte eine 3:0-Führung aus der Hand gegeben hatte, widerfährt den Rapperswil-Jona Lakers dasselbe. Die Wende in der Viertelfinal-Serie gelingt dem EV Zug in Spiel vier, das die Zentralschweizer im Penalty-Schiessen für sich entscheiden können. In den folgenden drei Spielen fallen die St.Galler regelrecht auseinander und gehen mit 3:6, 1:5 und 2:6 deutlich als Verlierer vom Eis.
Auch in dieser Geschichte spielt das Tessin eine Rolle. Der ehemalige Junior des HC Ambri-Piotta und heutige Sportchef der Leventiner Paolo Duca kommt im vierten Spiel von einer Sperre zurück und legt mit zwei Toren während des Spiels und einem Penaltytreffer für die Zuger den Grundstein für die spektakuläre Wende.
Und damit das Glück den Zugern hold sein möge, denkt sich Präsident Roland Stärkle etwas Besonderes aus. Zu einem Team-Essen bringt er vier Holzscheite mit, die er dann unter die Bank des Headcoaches Sean Simpson legt. Im Halbfinal hat Zug aber bereits sein ganzes Glück aufgebraucht – und geht gegen Bern 1:4 unter.
Der Final zwischen Kloten und Davos schafft es insbesondere deshalb in diese Aufzählung, weil Davos nicht nur im Final über sieben Spiele ran musste, sondern in allen (!) Playoff-Serien. Bis heute ist es das einzige Mal in der Geschichte des modernen Schweizer Eishockeys, dass ein Team das Spielmaximum braucht, um die Meisterschale in die Luft zu stemmen.
Im Viertelfinal hatte Davos gegen Lugano beinahe einen 3:1-Vorsprung verspielt, im Halbfinal gegen Fribourg mussten die Bündner denselben Rückstand drehen. Auf der anderen Seite der Skala steht der Finalgegner Kloten – die Zürcher hatten die Serien gegen Servette und Zug diskussionslos mit 4:0 für sich entschieden.
Als die beiden Teams schliesslich im Final aufeinandertreffen, hat Davos 14 Spiele in den Beinen, Kloten nur deren acht. Trotz dieses Mankos kann Davos gleich die ersten beiden Partien der Finalserie für sich entscheiden. Und auch als es ins siebte Spiel geht, haben die Bündner den längeren Atem. Das Game-Winning-Goal erzielt Reto von Arx, der insgesamt 20 Jahre für den HC Davos auf dem Eis stand.
Pikantes Detail: Der Davoser Dino Wieser, der in der entscheidenden Partie das 1:0 erzielt hatte, wurde nach dem Final positiv auf Cannabis getestet und musste fünf Monate aussetzen.
Spiel sieben im Playoff-Final zwischen dem SC Bern und den ZSC Lions. Alle Zeichen stehen auf Verlängerung – nachdem Thibaut Monnet die Lions kurz vor Ablauf der ersten Halbzeit in Führung geschossen und Bern bereits kurz nach der Pause durch Ivo Rüthemann ausgeglichen hatte, waren keine Tore mehr gefallen.
Wenige Sekunden vor Schluss tummeln sich so einige Zürcher und Berner vor dem Gehäuse des SCB-Goalies Marco Bührer. In der unübersichtlichen Situation stochert der Zürcher Defensiv-Verteidiger Steve McCarthy den Puck über die Linie. 2,5 Sekunden vor Schluss sichert sich der ZSC den Titel – oder doch nicht?
Die Schiedsrichter ziehen sich zurück, um die Szene noch einmal zu überprüfen. War das Tor verschoben worden? Die Hoffnungen der über 16'000 Heimfans werden schliesslich unter dem frenetischen Jubel der ZSC-Spieler begraben. Der Treffer zählt, die Lions werden Schweizer Meister.
Anders als die Luganesi im Jahr 2001 nahmen die Bern-Fans die Niederlage sportlich. Seger sagt nach dem Spiel über die Reaktion der Berner: «Obwohl es eine sehr strittige Szene war, verhielten sich die Fans absolut sportlich und sehr fair. Viele Zuschauer blieben nach Spielschluss für die Pokalübergabe noch im Stadion. Das war eine sehr schöne Geste.»
Mathias Seger war es auch, der mit einem Overtime-Treffer in Spiel 5 in Bern die Wende eingeleitet hatte – den Lions gelingt es schliesslich, einen 1:3-Rückstand in der Serie gegen Bern in den siebten Meistertitel der Klubgeschichte zu verwandeln.
Noch schmerzhafter als im Falle von Ambri und Rapperswil dürfte die verspielte 3:0-Führung im ZSC-Gedächtnis nachhallen, passierte den Zürchern das Missgeschick doch ausgerechnet im Final gegen den EV Zug.
Während die Lions die ersten drei Spiele immer mit einem Tor Differenz für sich entscheiden konnten, hatte Zug in den Partien vier, fünf und sechs zuweilen deutlich die Nase vorn und retteten sich ins siebte Spiel.
Der Start in die Finalissima gelingt den Zürchern nach Mass, bereits nach 62 Sekunden stellt Justin Azevedo mit dem 1:0-Treffer vermeintlich die Weichen auf Sieg. Doch das Horrorszenario – aus Sicht der Lions – wird Realität: Die Zuger drehen die Partie und schnappen den Zürchern die nach drei Spielen bereits sichergeglaubte Trophäe auf den letzten Metern vor der Nase weg.
Mit dem Gewinn des Meistertitels gelingt den Zugern das, was die Lions zur Jahrtausendwende bewerkstelligten: die Verteidigung des Meistertitels.
Die Geschehnisse auf und neben dem Eis rund um das siebte Spiel des letztjährigen Playoff-Finals zwischen Genf und Biel reichen zwar nicht unbedingt aus, um es mit dem Prädikat «aussergewöhnlich» auszustatten. Der Titel der Genfer hat aber eine starke Symbolwirkung – zum ersten Mal seit Einführung der Playoffs geht der Titel in die Westschweiz und zum ersten Mal seit Luganos Titel im Jahr 2006 sprechen die Meisterhelden nicht Deutsch.
Seit Lausanne 2013 in die höchste Spielklasse aufgestiegen ist, sind die Westschweiz mit drei und das Tessin mit zwei Vereinen in der National League zwar gut vertreten, zu einem Titel reicht es den sprachlichen Aussenseitern – abgesehen von Lugano – dennoch nie.
Servette, das bereits die Qualifikation dominiert hatte, beendet mit dem Meistertitel also gewissermassen eine Durststrecke der Randregionen. Biel ergibt sich jedoch nicht kampflos – nachdem die Seeländer im fünften Spiel von den Genfern regelrecht an die Wand gespielt wurden und mit 1:7 untergingen, bäumten sie sich noch einmal auf und erzwangen einen Showdown.
Baumeister des Genfer Siegs im siebten Spiel sind neben dem Kanadier Daniel Winnik, der zum zwischenzeitlichen 3:0 trifft, die finnischen Söldner Sami Vatanen und Teemu Hartikainen, die im Vorjahr mit ihrem Heimatland Olympia-Gold und den WM-Titel geholt hatten. Vatanen trifft zwei Mal, Hartikainen netzt zum entscheidenden 4:1 ein.
Chris McSorley, der als Sportdirektor und Mitbesitzer seit 2001 daran gearbeitet hatte, die Genfer zu einem Meisterkandidaten zu formen, kann den Titel nur noch aus der Ferne mitverfolgen.