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Geschichte Sexualgeschichte

In Rom war körperliche Liebe überall verfügbar

Für ein paar Kupferstücke kauften sich die Römer ihren Sex. Alles war erlaubt, zumindest für Männer. Der italienische Autor Alberto Angela schreibt eine Sittengeschichte des antiken Alltags.

„Geile Bewegungen nützen den Gattinnen nicht im geringsten. / Sie widersetzen sich nur der Empfängnis und können sie hemmen, / wenn sie wollüstig, mit schwingenden Hüften, den drängenden Gatten / auffangen, ihn zum Erguss noch reizen mit wogenden Brüsten … lassen (sie) den Ausstoß des Samens das Ziel nicht erreichen“: Die Mahnung des römischen Dichters Lukrez ist eindeutig: Meidet die „Missionarsstellung“, übt den ehelichen Beischlaf „a tergo“ von hinten „wie die vierfüßigen Tiere“ aus.

Das Zitat aus Lukrez’ Lehrgedicht „Das Wesen der Dinge“ aus dem 1. Jahrhundert v. Chr. zeigt zweierlei: Die Römer hatten eine lustvolle Einstellung zum Sex. Allerdings hatte der Mann das Sagen und die Frau fungierte als „Gefäß“. Und: Geschlechtsverkehr in der Ehe diente zunächst der Fortpflanzung. Zur weiteren Befriedigung stand dem Mann die Welt offen, der Frau allerdings nicht. Sie hatte nur eine Chance, den „pater familias“ bei Laune zu halten: „Eine willfährige Ehefrau hält den Mann vom Huren ab“, riet Lukrez’ Zeitgenosse Publilius Syrus.

Unsere Vorstellungen von der antiken Erotik sind stark von den einschlägigen Szenen in Sandalenfilmen geprägt. Wie in Tinto Brass’ Film „Caligula“ geht es dabei um exzessive Gewalt, Massenorgien und Perversionen. Dass das keineswegs die Regel war, will der italienische Wissenschaftsjournalist Alberto Angela mit seinem Buch „Liebe und Sex im Alten Rom“ zeigen, das jetzt auf Deutsch erscheint.

Nach „Ein Tag im Alten Rom“ (2007) über den Alltag in der antiken Hauptstadt und „Vom Gladiator zur Hure“ (2010), in dem Angela über drei Jahre den Weg einer Münze durch alle Provinzen des Imperiums begleitete, widmet sich der gelernte Evolutionsforscher zum dritten Mal dem Altertum. Diesmal geht es um Eros, Begierden und Sinnesfreuden. Mehr als zwei Jahre habe er in antiken Schriften recherchiert, sagt er, aber nicht nur dort. Auch archäologische Quellen hat er studiert. Denn das Sexualleben der breiten Massen hat nur bedingt seinen Niederschlag in der Literatur gefunden, deren Texte überwiegend von Angehörigen der schmalen Oberschicht verfasst wurden.

„Ich bin dein für ein Kupferstück“

So gehören die Graffiti, die sich in Pompeji unter dem Schlamm des Vesuvausbruchs von 79 n. Chr. erhalten haben, zu den wichtigen Quellen zur römischen Alltagsgeschichte. „Ich bin dein für ein Kupferstück“, heißt es da etwa. Andere Frauen boten ihre Dienste „für 16 Asse“ (Kupferstücke) an, „Quadrantaria“ (nach ein Viertel-As) würde man heutzutage dagegen als „Fünf-Cent-Huren“ charakterisieren.

Sex war im Römischen Imperium allgegenwärtig. Als eine Art befreiendes Niesen mit dem Unterleib, beschreibt es der amerikanische Althistoriker Kyle Harper. In Ermangelung von Medienunterhaltung war ein Quickie mit der Kneipenwirtin zum Nachtisch oder in einer Türöffnung auf dem Nachhauseweg für Männer ein legitimer Akt der Entspannung. Für Frauen dagegen galt der außereheliche Seitensprung lange als höchst unschicklich und konnte leicht unangenehme Folgen haben.

Dass sich dennoch viele Frauen prostituierten, hing mit der weitgehend romantikfreien Einstellung der Römer zur Sexualität zusammen und – vor allem – mit den lukrativen Erwerbsmöglichkeiten, die käuflicher Sex bot. Historiker haben errechnet, dass acht bis zehn Asse ein guter Tageslohn war, mit dem ein Mann seine Familie über die Runden bringen konnte, vorausgesetzt, er hatte viele Tage im Jahr Arbeit (was aber kaum der Fall war). Eine Wirtin, die ihre Gäste nicht nur mit Speisen und Getränken bediente, konnte also substanziell zum Familieneinkommen beitragen. Und die Familie war weniger eine Gefühls- denn eine Geschäftsbeziehung.

Erfindung schamloser Instrumente

Hinzu kam, dass tödliche Geschlechtskrankheiten in der antiken Welt noch ein Fremdwort waren. Syphilis oder Aids blieben späteren Epochen vorbehalten. „Körperliche Liebe war daher überall verfügbar, sowohl für den Mann als auch für die Frau“, resümiert Angela. Denn mit der Zeit wurde auch der weibliche Sexualkodex gelockert: „Die Erfindung schamloser Instrumente verwertend, den monströsen Zauberstab unfruchtbarer Liebe, soll das Weib beim Weibe schlafen wie ein Mann“, musste ein Zeitgenosse erkennen.

Angelas Erkenntnisse sind freilich nicht neu, aber so locker (manchmal zu locker) aufbereitet gibt es sie selten. Angela zieht Vergleiche zwischen antiken Verhaltensweisen und der heutigen Balz: Da macht er beispielsweise die kleinen Wachstäfelchen der Römer, die „tabulae“, zu SMS anno 115 n. Chr., die Liebende hin und her reichen.

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Die drastischen Darstellungen mit kopulierenden Paaren oder von Göttern, die es mit Tieren treiben, die sich auf zahlreichen Öllampen erhalten haben, können denn auch als frühe Vorläufer des Pornos durchgehen. Sie erhellten die Räume, in denen sich die Römer vergnügten. Solange zumindest, wie die christlichen Moralvorstellungen noch nicht zum Maßstab aller Dinge geworden waren.

Am Ende kommt Angela zu dem Schluss, dass in Sachen Liebe und Sex keine andere Kultur der Moderne ähnlicher gewesen ist als die römische. Nur die Moral ist heute – trotz aller Offenheit – dann doch etwas strenger. Die Clinton/Lewinsky-Affäre jedenfalls wäre in der Antike kaum eine Erwähnung wert gewesen.

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