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  4. Trailer & Kritik zum Lance-Armstrong-Film von Stephen Frears

Film Lance-Armstrong-Film

Nie wurde ein Filmheld derart vernichtet

Filmredakteur
„The Program“ - Aufstieg und Fall von Lance Armstrong

Die Affäre um Lance Armstrong hat den gesamten Leistungssport erschüttert. Der Film stützt sich auf Enthüllungen eines Journalisten, der den mehrfachen Tour-de-France-Sieger beobachtete - bis er ihm auf die Schliche kam.

Quelle: STUDIOCANAL GmbH Filmverleih

Autoplay
„The Program“, der Film von Stephen Frears über den Radbetrüger Lance Armstrong, geht mit seiner Hauptfigur gnadenlos um. Der Hauptdarsteller Ben Foster ist großartig. Allerdings hat auch er gedopt.

Nach einem seiner sportlichen Triumphe wird Lance Armstrong in „The Program – Um jeden Preis“ gefragt, was er davon halte, dass Matt Damon im Gespräch sei, ihn in einer Filmbiografie zu spielen. Es ist ein selbstreferenzieller, fast spöttischer Gag, denn der Schauspieler, der ihn hier spielt, heißt Ben Foster, nicht Matt Damon. Die Frage kommt an einem Punkt in Stephen Frears’ Film, als jeder Gedanke, die Rolle hätte mit Damon besetzt werden können, bereits absurd erscheint. Dieses Monster, verkörpert von dem sympathischen, ehrlichen Matt – undenkbar.

„The Program“ erlaubt sich etwas extrem Seltenes für einen Mainstreamfilm: Er vernichtet seine Hauptfigur, gnadenlos, rettungslos. Selbst für den korrupten Selbstjustiz-Staatsanwalt in dem Thriller „Sicario“ (gerade im Kino) können wir noch ein gewisses Verständnis aufbringen. Und selbst „Steve Jobs“ (bald im Kino) arbeitet hart daran, dem megalomanischen Tyrannen menschliche Züge abzugewinnen. Nicht so „The Program“.

Stephen Frears lässt keinerlei Entschuldigungen zu

Dabei hätte es jene mildernden Umstände gegeben, die das Kino gern benutzt, um eine schwierige Figur zu vermenscheln. Armstrongs Hodenkrebs zum Beispiel, den er überwindet. Oder seine Affäre mit der Countrysängerin Sheryl Crow. Oder seine Hochzeit. Und was stellt Frears damit an? Die Krankheit benutzt er vor allem dazu, Armstrongs erstes großes Verschleierungsmanöver zu erzählen. Ms. Crow taucht gar nicht auf. Und Mrs. Armstrong taucht zwar in der Hochzeitsszene auf, hat aber damit schon ausgedient.

Nein, dies ist kein Film über einen gefallenen Helden, rosa eingefärbt von der Sehnsucht, könne man doch seine Verfehlungen ungeschehen machen und ihn weiter anhimmeln. Stephen Frears und sein Drehbuchautor John Hodge – der gerade die „Trainspotting“-Fortsetzung schreibt – rollen einen Kriminalfall auf, ganz faktisch, gänzlich unpsychologisierend. Und beantworten dabei die interessanteste Frage, die von dem Skandal übrig geblieben ist: Wie konnten Armstrong, Landis & Co. ein Jahrzehnt lang alle Kontrollen unentdeckt überstehen?

Abendbeschäftigung Blutdopen: Floyd Landis (Jesse Plemons, l.) und Lance Armstrong (Ben Foster)
Abendbeschäftigung Blutdopen: Floyd Landis (Jesse Plemons, l.) und Lance Armstrong (Ben Foster)
Quelle: studiocanal.de

Dies führt zu beinahe slapstickartigen Szenen. Da klopft ein Doping-Inspektor während der Tour de France an die Tür des Wohnwagens, in dem Armstrong gerade am Epo-Tropf hängt, der Tester wird mit Ausreden („Mr. Armstrong steht gerade unter der Dusche“) hingehalten, der Blutbeutel mit einer Salzlösung vertauscht – und sobald das Blut genügend verdünnt ist, darf der Besuch eintreten. Mr. Armstrong hat beliebt, fertig zu duschen.

Wir sehen das ganze „Programm“, von den abendlichen Bluttransfusionen über die gebrauchten Spritzen, die in leeren Sprudeldosen entsorgt wurden, bis zu dem Architekten des Betrugs, dem italienischen Doktor Michele Ferrari, gespielt mit amoralischer Abgehobenheit von dem Franzosen Guillaume Canet.

Jeder konnte es wissen, keiner wollte es sehen

Wir sehen aber auch, wie niemand das weithin Sichtbare sehen wollte; „Everybody Knows“ kommentiert Leonard Cohen im Abspann. Der Gegenpol zu Lance Armstrong ist der irische Sportjournalist David Walsh (Chris O’Dowd), den Kollegen bei der Tour wegen seiner kritischen Fragen ausgrenzen, der in seiner Zeitung auf Unglauben stößt und von Armstrong mit Schadenersatzforderungen überzogen wird – was noch harmlos ist, verglichen mit den Drohungen, mit denen Armstrong andere Fahrer, mitten im Rennen, von Rad zu Rad, zum Schweigen erpresst.

Armstrong ist der klassische amerikanische Held, in seinem unbedingten Willen zum Erfolg. „The Program“ stößt jedoch in die selten erforschte dunkle Region dieses Heldentums vor, zu der Unfähigkeit, ausbleibenden Erfolg zu akzeptieren. Dieses drohende „Versagen“ wird nicht nur mit Chemie bekämpft, es wird auch verschleiert.

Lance Armstrong in der Tradition von Tony Blair

Ben Foster liefert die präzise Studie eines Menschen, in dem es brodelt, und der permanent damit zu kämpfen hat, dies nicht nach draußen dringen zu lassen. Er lächelt alligatorisch, die Gesichtsmuskeln geraten für Sekundenbruchteile außer Kontrolle, seine Augen wölben sich bei Kritik nach außen.

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Er ist das Bild eines Menschen, der nicht nur die Welt zu täuschen weiß, sondern auch sich selbst. Vor zehn Jahren hat Stephen Frears schon einmal einen Film über einen solchen Menschen gemacht, und der Film hieß „Doppelspitze“ und der Mann Tony Blair.

David Walsh (Chris O’Dowd) trifft sich mit dem Bridge-Champion Bob Hamman (Dustin Hoffmann in einer Nebenrolle)
David Walsh (Chris O’Dowd) trifft sich mit dem Bridge-Champion Bob Hamman (Dustin Hoffmann in einer Nebenrolle)
Quelle: studiocanal.de

Die Radikalität, mit der „The Program“ seinem Objekt begegnet, hat vor allem dramaturgische Gründe, doch: Vielleicht haben Hodge und Frears auch gespürt, wie der moralische Boden unter ihren Füßen in Bewegung gerät, die Haltung zum Dopen sich schleichend ändert. Was tut ein Manager anderes, wenn er sich mit Kokain für seine 80-Stunden-Woche aufputscht? Was tut ein Hobbyläufer anderes, der seine morschen Knochen mit Acetylsalicylsäure fit für den Marathon macht? Was tun Schüler anderes, wenn sie Ritalin schlucken, um ihre Noten zu steigern?

Es ist nicht unwahrscheinlich, dass Doping im Rahmen der uns allen auferlegten Selbstoptimierung gesellschaftlich akzeptabel werden wird. Vielleicht muss sich Lance Armstrong nur noch zehn, zwanzig Jahre unauffällig verhalten, bevor man ihn wieder herumreichen wird, als Pionier eines neuen, titanischen Menschenbildes.

P.S.: Ben Foster hat vor Kurzem gestanden, für seine Rolle über mehrere Monate ähnliche Drogen wie Armstrong genommen zu haben, also Kortison, Testosteron und Epo.

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