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Kunst und Architektur Konstanzer Konzil

In der Heimat der Wanderhure

Redakteur im Feuilleton
König und Papst trägt sie auf ihren Händen: Die „Imperia“ im Hafen von Konstanz. Der Bildhauer Peter Lenk schuf die Statue in Anspielung an eine Figur von Balzac. Seine Erzählung „Die schöne Imperia“ aus den „Tolldreisten Geschichten“ spielt zur Zeit des Konstanzer Konzils König und Papst trägt sie auf ihren Händen: Die „Imperia“ im Hafen von Konstanz. Der Bildhauer Peter Lenk schuf die Statue in Anspielung an eine Figur von Balzac. Seine Erzählung „Die schöne Imperia“ aus den „Tolldreisten Geschichten“ spielt zur Zeit des Konstanzer Konzils
König und Papst trägt sie auf ihren Händen: Die „Imperia“ im Hafen von Konstanz. Der Bildhauer Peter Lenk schuf die Statue in Anspielung an eine Figur von Balzac. Seine Erzählung „...Die schöne Imperia“ aus den „Tolldreisten Geschichten“ spielt zur Zeit des Konstanzer Konzils
Quelle: Tourismus Information Konstanz
Vom Schisma bis zum Scheiterhaufen für Jan Hus: Vor 600 Jahren tagte das Konstanzer Konzil (1414 bis 1418). Es war das einzige Mal, dass auf deutschem Boden ein Papst gewählt wurde.

Als hätten sich Papst und Gegenpapst abgesprochen: Pünktlich zur Heiligsprechung von Johannes XXIII. eröffnet das Land Baden-Württemberg eine große Landesausstellung, die den Besucher zum ketzerischen Komplizen macht: Heilig im Jahr 2014? Ist ja schön und gut, aber 1414 hatte es der gleichnamige Papst vor allem: eilig. So eilig, dass sogar sein Papamobil verunglückte.

Erst stürzte Johannes XXIII. auf der Fahrt über den Arlbergpass in den Dreck, dann stürzte ihn das Konstanzer Konzil, das er selbst einberufen hatte. Weil Johannes XXIII. sich weigerte, zurückzutreten, wurde er damals abgesetzt, später auch aus allen offiziellen Listen gelöscht. Nur so konnte es von 1958 bis 1963 noch einmal einen gleichnamigen Pontifex geben, eben jenen Angelo Giuseppe Roncalli, der jetzt heiliggesprochen wurde.

Drei Päpste sind zwei zu viel

Der Kirchenkongress, der vor genau 600 Jahren in der Stadt am Bodensee tagte und an den die Schau mit dem Titel „Das Konstanzer Konzil. Weltereignis des Mittelalters 1414-1418“ jetzt erinnert, lenkt den Blick auf eine Epoche, in der die katholische Kirche tief gespalten war. Zunächst zwei und nach 1409 sogar drei Papst-Prätendenten behaupteten, der Stellvertreter Gottes auf Erden zu sein.

Der Aragonese Benedikt XIII., der Venezianer Gregor XII. und der Neapolitaner Johannes XXIII. erhoben allesamt Anspruch auf den Stuhl Petri. Da brauchte es einen weltlichen Vermittler, der sich im römisch-deutschen König Sigismund auch tatsächlich fand. Sein Bestreben, die Christianitas wieder zu einen, war nicht uneigennützig, schließlich hoffte Sigismund auf die Kaiserwürde eines geeinten Europas, das damals in mehrere Obödienzen zerfiel.

Am historischen Schauplatz

Die Entscheidung des Badischen Landesmuseums, die Schau am historischen Ort des Geschehens stattfinden zu lassen, definiert das wichtigste Exponat dieser Ausstellung: das Konstanzer Konzilgebäude: Das wuchtige Lager- und Kaufhaus am Ufer des Bodensees verdeutlicht die Rolle, die Konstanz mit seiner tela di Constanza im europäischen Textilhandel des Mittelalters innehatte.

Hier wurde 1417 das Konklave abgehalten und ein neuer Papst gewählt, das einzige Mal auf deutschem Boden. Der Legende nach stieg dabei kein schwarzer und weißer Rauch auf, sondern ein Vogelschwarm. Schwarze Krähen wurden, als es so weit war, von bunten Singvögeln abgelöst. Mit der Wahl von Martin V. wurde das abendländische Kirchenschisma überwunden – während dem Christentum die eigentlichen Herausforderungen erst bevorstanden. Hussitenkriege, Reformation, Humanismus.

Das einzige Mal Konklave in Deutschland

Die Konstanzer Ausstellung ist als Parcours durch fünf Jahre, vier Päpste und diverse weitere Protagonisten angelegt. Sie lädt dazu ein, den Kirchenkongress des ausgehenden Mittelalters als Schlüsselereignis von europäischer Tragweite nachzuvollziehen. Konklavezellen mit schweren Vorhängen und ein Haufen konfiszierter Handys übersetzen die Idee der Kommunikationsklausur ins dingsymbolisch Triviale.

Aber auch an kunstgeschichtlichen Kostbarkeiten fehlt es nicht. Die Ikonen aus Nowgorod tragen die gleichen Broschen wie die Madonnen aus dem Westen, und Christus als Pantokrator gebärdet sich vor kyrillischer Buchstabenkulisse nicht anders als vor lateinischen Inschriften.

Gerade weil sich von den eigentlichen Ereignissen und Beschlüssen des Konzils kaum direkte Zeugnisse erhalten haben, versucht die Ausstellung, die transkulturelle Dimension der Christianitas mit entsprechenden, weit gereisten Exponaten deutlich zu machen. Eine Pietà aus Olmütz in Tschechien macht den weichen Stil der Volksfrömmigkeit um 1400 ebenso anschaulich wie eine burgundische Skulptur, die Christus beim letzten Atemzug zeigt.

Der Comic zum Konzil

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Ideengeschichtlich wird man zum Zeuge eines Treffens, das weiß Gott nicht nur Kirchenfunktionäre anzog, sondern auch jede Menge weltliche Landesherren und Herrschaften. Gelehrte Vertreter aller wichtigen europäischen Universitäten waren ebenfalls zugegen, wie der Minnesänger Oswald von Wolkenstein. Und: Auf dem Konzil zu Konstanz fanden Reichstage statt. König Sigismund belehnte die Hohenzollern mit der Mark Brandenburg, das begründete den Aufstieg der Dynastie im späteren Preußen.

Mit Ulrich von Richental hatte das Ereignis von 1414 bis 1418 sogar seinen eigenen „Reporter“, wie ihn die Ausstellungsmacher modernistisch titulieren. Die diversen Varianten seiner (im Original nicht mehr erhaltenen) Chronik stellen den Höhepunkt der Ausstellung dar: Verschiedene illustrierte Abschriften aus dem 15. Jahrhundert zeigen das fünfjährige Kirchenkrisengipfeltreffen pointiert und lebensnah wie eine Graphic Novel – nicht zuletzt in seinen leiblichen Belangen, vom Fischmarkt bis zur Prostitution.

Ein Heimspiel für die Wanderhure

Fraglos war das Konstanzer Konzil auch die hohe Zeit der Wanderhuren, bis zu 700 sollen es bei 20.000 Konzilteilnehmern gewesen sein – ob man nun an die trivialliterarische Historienroman-Version von Iny Lorentz denkt oder an „Die schöne Imperia“, die ein Honoré de Balzac in seinen „Tolldreisten Geschichten“ beschrieb.

In Form einer Statue von Peter Lenk ist Letztere, neun Meter hoch und auf einem drehbaren Sockel an der Hafenmole montiert, längst zum Wahrzeichen der Stadt Konstanz geworden: Lasziv enthüllte Beine trägt das kolossale Weibsbild ebenso zur Schau wie die beiden kleinen Männchen mit den Insignien von Papst (Mitra) und Kaiser (Krone) auf den hochgereckten Händen.

Am Ende verkörpert das Kurtisanenwesen jenen Aspekt des Konzils, auf den sich Kirchenkritiker wie Kunsthistoriker gleichermaßen einigen können. Letztere behaupten sogar, mit der Straßburger „Münsterschwalbe“ in der Ausstellung die subtilere Hübschlerinnen-Statue aufzubieten als Peter Lenk draußen vor der Tür.

Jan Hus kam auf den Scheiterhaufen

Die Tschechen hingegen, die bis heute zahlreich nach Konstanz kommen, suchen vor allem ihren Jan Hus. Der von den Lehren des englischen Theologen John Wiclef beeinflusste Prediger aus Prag wurde auf dem Konzil – trotz ursprünglich zugesicherten freien Geleits – 1415 als Ketzer zum Tode verurteilt. Noch auf dem Scheiterhaufen soll er in Anspielung auf die tschechische Bedeutung seines Namens – Hus heißt Gans – gerufen haben:

„Heute bratet ihr eine Gans, aber aus der Asche wird ein Schwan auferstehen.“ Seit Martin Luther sich hundert Jahre später darauf berief, schmückt der Schwan (anstelle eines Wetterhahns) deutschlandweit viele Kirchturmspitzen evangelisch-lutherischer Gemeinden. Egon Erwin Kisch, der rasende Reporter aus Prag, hat die wenig ruhmreiche Hus-Verbrennung in seine Sammlung von nacherzählten Verbrechen aufgenommen („Prager Pitaval“).

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Das Schicksal von Jan Hus steht exemplarisch für jenes Momentum des ausgehenden Mittelalters, das die wirkliche „Wende“ zur Neuzeit (Stephen Greenblatt) noch vor sich hatte und doch schon in sich trug, sichtbar bis in erste Keimzellen der Architektur: Das 1424 errichtete Konstanzer Zunfthaus zur Katz strahlt mit seiner Steinquaderfassade schon ganz den Stil der Florentiner Palazzi aus. Nicht erst mit den Fuggern in Augsburg, sondern mit dem Konstanzer Konzil schwappte die Renaissance über die Alpen.

Die Ausstellung im Konzilgebäude Konstanz läuft bis 21.9. Der Katalog (29,90 Euro) ist im Theiss-Verlag erschienen.

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