WELTGo!
Journalismus neu erleben und produktiver werden
Ihr Assistent Journalismus neu erleben und produktiver werden
WELTGO! ENTDECKEN
  1. Home
  2. WELT am SONNTAG
  3. Gelungene Vorbereitung für die Zeit nach Jan Ullrich

WELT am SONNTAG

Gelungene Vorbereitung für die Zeit nach Jan Ullrich

Eine neue deutsche Rennfahrergeneration schickt sich an, das Erbe des Toursiegers anzutreten. In dieser Woche machte sie mit Erfolgen auf sich aufmerksam

Sehr elegant fiel die Metapher zwar nicht aus, unterstrich dafür jedoch anschaulich den Ehrgeiz des schmächtigen Burschen im Gelben Trikot. "Wir haben geackert wie die Tiere", faßte Stefan Schumacher, 24, die letzten 184 Kilometer der Sarthe-Rundfahrt in Frankreich zusammen, nach denen er am Freitag endlich als Gesamtsieger feststand. Spätestens mit diesem Überraschungserfolg hat sich der junge Radprofi vom ProTour-Team Gerolsteiner in der neuen deutschen Profigeneration etabliert, die sich unaufgeregt und nachhaltig, aber nicht unbedingt heimlich und leise in Lauerposition gefahren hat.

"Ein Jan Ullrich wird nicht ewig fahren, ein Erik Zabel auch nicht. Es wird ja Zeit, daß die Nachfolger in den Startlöchern stehen", findet der ehemalige Weltklassesprinter Marcel Wüst, 38. Gerolsteiner-Manager Hans-Michael Holczer, 52, sagt: "Was wir zur Zeit im Radsport erleben, ist ein Generationswechsel. Ob bei T-Mobile oder bei uns mit einem ganzen Stall junger Leute - überall drängen starke Nachwuchsfahrer nach."

Immer öfter setzen die deutschen Elitemannschaften neben den arrivierten Fahrern auf ihre vergleichsweise unerfahrenen Angestellten und lassen sie perspektivisch wertvolle Erfahrungen sammeln. Spitzenplazierungen rechtfertigen das Vertrauen. Neben Schumacher ließen etwa zuletzt dessen Teamkollegen Heinrich Haussler, 22, als zweimaliger Etappensieger bei der Murcia-Rundfahrt, und Fabian Wegmann, 25, als Gewinner des Grand Prix Miguel Indurain aufhorchen. Für T-Mobile demonstrierte Patrik Sinkewitz, 25, gestern im Baskenland als Viertplazierter seine Rundfahrerqualitäten, Linus Gerdemann, 23, war bei Paris-Nizza einer der besten Jungprofis im ProTour-Feld. Heute, beim schweren Klassiker Paris-Roubaix, schickt Gerolsteiner allein drei Profis unter 24 Jahren auf die 259 Kilometer lange Kopfsteinpflaster-Odyssee.

Die Entscheidung pro Jugend liegt dabei nicht nur in der ProTour begründet, die den Rennställen deutlich größere Kader aufbürdet. Sie ist auch eine perspektivische Entscheidung für die Zeit nach Jan Ullrich. Stephan Schröder vom Kölner Marktforschungsinstitut Sport + Markt sagt: "Radsport lebt von seinen Protagonisten. Das Interesse für einzelne Teams ist immer nur so groß wie das für den Spitzenfahrer. Wenn Jan Ullrich in absehbarer Zukunft nicht mehr fährt, bekommt der Radsport in Deutschland ein Problem."

Niemand weiß, ob Ullrich, der als 23jähriger mit dem Triumph bei der Tour eine deutschlandweite Radsportbegeisterung ins Rollen brachte, bald seinen Rücktritt verkündet. Gewinnt er mit 32 Jahren im Juli noch einmal die Frankreich-Rundfahrt, gilt das als wahrscheinlich; verpaßt er sie wegen seiner momentanen Knieverletzung, wäre es zumindest keine Überraschung. Ullrichs Vertrag mit T-Mobile endet 2006. Seine potentiellen Nachfolger wittern schon ihre Chance.

Längst "werden die jungen Fahrer mit einer ganz anderen Professionalität herangeführt", sagt Marcel Wüst, der inzwischen für das Professional Continental Team Wiesenhof-Akud arbeitet, bei dem auch der deutsche Überraschungsmeister Gerald Ciolek, 19, fährt. Wüst: "Grundsätzlich kann jeder in die Fußstapfen eines Zabel oder Ullrich steigen. Je früher einem Fahrer Chancen eröffnet werden, desto besser kann er sich jedenfalls entwickeln." Die Sprößlinge der Ullrich-Manie nehmen die Herausforderung selbstbewußt und akribisch an.

Linus Gerdemann etwa, ein eloquenter, angehender Rundfahrt-Spezialist, der mit einem Etappensieg bei der Tour de Suisse 2005 die Teamchefs alarmierte. Sein früherer Chef beim Team CSC, Bjarne Riis, nannte den smarten Münsteraner euphorisch "das größte deutsche Talent seit Jan Ullrich", Gerdemann selbst sagt: "Ich möchte meine Erwartungshaltung bei T-Mobile nicht zurückschrauben. Hier ist alles zu einem großen Teil auf die Tour de France fixiert - was ich für mich persönlich als Chance sehe."

Gerade die Frankreich-Rundfahrt ist das Katapult, um nachhaltig ins öffentliche Bewußtsein der Republik zu gelangen. "In Deutschland ist man sehr fokussiert auf wenige große Events: Die Tour steht im Interesse der Leute absolut an erster Stelle", konstatiert Kommunikationsexperte Schröder. Marcel Wüst drückt es so aus: "Als Deutscher mußt du zunächst bei der Tour Großes leisten. Jens Voigt zum Beispiel ist erst durch seine spektakulären Ausreißversuche dort richtig bekannt geworden."

Weil sich Voigt, 34, zudem als intelligenter und authentischer Haudegen profilierte, sind die Anforderungen an neue Helden aus Marketingsicht klar umrissen: "Sie müssen Kämpfer sein, die Leute wollen Fahrer, die am Berg vorne mitfahren und leiden, sie wollen Emotionen sehen", sagt Stephan Schröder. "Und: alles, was nicht glattgebügelt ist und weg vom Mainstream, ist von Vorteil."

Doch allein Husarenritte wie der von Gerolsteiner-Fahrer Fabian Wegmann 2005, als er auf der Tour-Etappe nach Karlsruhe eine lange Soloflucht initiierte, vermögen die Sehnsucht nach großen deutschen Triumphen kaum zu stillen. T-Mobile-Teammanager Olaf Ludwig, 45, glaubt: "Rennfahrertypen kommen und gehen, ein so großer Rundfahrer wie Jan Ullrich wird vorerst nicht wieder darunter sein." Auch Hans-Michael Holczer hebt mahnend den Finger und warnt: "Man muß abwarten, inwieweit die Erfolge Eintagsfliegen sind." Spätestens im Juli in Frankreich sollte sich zeigen, ob aus den Eintagsfliegen wenigstens ein Schwarm geworden ist.

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant