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  4. Künstlerin Ingeborg Lüscher zeigt poetische Werke in Bochum

Nordrhein-Westfalen Installationskunst

Hinter dem Sichtbaren

Redakteurin Kultur
Ingeborg Lüscher ©Zsigmond Toth Ingeborg Lüscher ©Zsigmond Toth
Ingeborg Lüscher in ihrem Atelier
Quelle: Zsigmond Toth
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Lange fand Ingeborg Lüscher in der Kunstszene und der Öffentlichkeit zu Unrecht weniger Beachtung. Jetzt zeigt das Museum unter Tage in Bochum, welch poetische Kraft ihre Werke haben. Die Ausstellung der 85-Jährigen hat den passenden Titel „Spuren von Dasein“.

Ingeborg Lüscher ist ein bisschen aus dem Häuschen. Die Künstlerin steht im Museum unter Tage (MUT) vor ihrem riesigen, sonnengelben Werk „Die Hängenden Gärten der Semiramis“ und kann ihr Glück kaum fassen. Mit weiten Gesten und heller Stimme führt sie in ihrer Ausstellung von Raum zu Raum, von Werk zu Werk und versucht, ihren eigenen Arbeiten dabei erzählerisch gerecht zu werden. Sie berichtet, wie sie die Materialien für ihre Schwefelobjekte bearbeitet hat, wie sie Steine am Strand für ihre Herz-Arbeit gesammelt hat, wie sie ihre eigene Haut mit einer Kamera aufgenommen, die Flusen aus dem Wäschetrockner für ihre Textilobjekte geholt, Seife für ihr „Bernsteinzimmer“ in einer Drogerie gekauft hat. Bei einem derart umfangreichen Werk aus mehr als 50 Jahren ist es selbst für eine erfahrene Künstlerin wie Ingeborg Lüscher nicht einfach, die eigene Lebens- und Schaffensgeschichte zu überblicken. Der Untertitel der Bochumer Schau scheint jedenfalls treffend gewählt: „Spuren von Dasein“.

Dass Ingeborg Lüscher in Bochum eine Einzelausstellung eingerichtet wurde, hat mehrere Gründe. Zum einen gehört die 85-Jährige zu der Künstlerinnen-Generation, die in der Kunstszene und der Öffentlichkeit zu Unrecht weniger Beachtung fand als ihre männlichen Kollegen wie Günther Uecker, Daniel Spoerri oder Gerhard Richter. Zum anderen haben die Kunstsammlungen der Ruhr-Universität Bochum und die Stiftung Situation Kunst rund 100 Werke von Lüscher übernommen. Darunter befinden sich bedeutende Arbeiten wie „Das Bernsteinzimmer“ und die „Die Hängenden Gärten der Semiramis“. Damit wird das Werk der Künstlerin für die Nachwelt bewahrt.

"Die Schwangere", 1981, von der Künstlerin Ingeborg Lüscher
"Die Schwangere", 1981, von der Künstlerin Ingeborg Lüscher
Quelle: Ingeborg Löscher

Dass Ingeborg Lüscher sich für Bochum als Heimathafen ihres Werkes entschieden hat, liege an der besonderen Zusammenarbeit der Kunstsammlungen der Universität, dem Lehrstuhl für Kunstgeschichte und dem MUT, erklärt die Künstlerin. So wurde im vergangenen Jahr an der Universität eine Professur für „Museale Praxis“ mit dem Schwerpunkt internationale Gegenwartskunst geschaffen. Aus dieser Kooperation resultiert nun die intensive Beschäftigung von Studentinnen und Studenten mit dem Werk Ingeborg Lüschers sowie auch die Vorbereitung und Durchführung der Ausstellung.

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Dem Leben mehr Autonomie geben

Biografische Berührungspunkte mit dem Ruhrgebiet hat die Künstlerin kaum. Denn schon seit 1967 lebt und arbeitet die gebürtige Sächsin in der Schweiz, in Tegna am Monte Verità. Der „Berg der Wahrheit“ galt bis in die 60er-Jahre als Sehnsuchtsort für Intellektuelle, Lebensreformer und Künstlerinnen. Auch für Lüscher. Sie war Anfang 30, als sie ihrem Leben als Filmschauspielerin den Rücken kehrte und ins Tessin zog: „Um meinem Leben mehr Autonomie und Gewicht zu geben“, sagt sie. Über dieses persönliche Wendejahr 1967 spricht sie gerne. Kurz davor war sie drei Monate in Prag für Dreharbeiten zu „Till Eulenspiegel“. Dort lernte sie die Kämpfer des Prager Frühlings kennen, Männer und Frauen rund um Václav Havel, die sich ein Jahr später öffentlich für eine Demokratisierung der Diktatur in der Tschechoslowakei einsetzten. Diese Menschen seien mutig gewesen und kannten ihr Ziel. „Und ich? – Was mache ich mit meinem Leben?“, fragte sich die junge Frau. Die Antwort war schnell gefunden. Lüscher trennte sich von ihrem Ehemann, dem Farbpsychologen Max Lüscher, und beschloss, bildende Künstlerin zu werden. Dabei hatte sie, laut eigener Aussage, keine Ahnung von zeitgenössischer Kunst, konnte nur ein bisschen „schön zeichnen“. Das war nicht gerade viel für gute Karriereaussichten.

Die Erleuchtung kam mit der Post. In einem Kunstmagazin sah sie Joseph Beuys’ Aktion „Wie man einem toten Hasen Bilder erklärt“. Wie der Künstler mit seinem mit Goldstaub bedeckten Gesicht auf einem Stuhl saß und den toten Hasen im Arm hielt, das habe sie wie ein Blitz getroffen. Von da an wusste sie, dass Avantgarde-Kunst mehr war als „schön zu malen“. Schnell entstanden erste bahnbrechende Werke – etwa aus Zigarettenstummeln. Sie beklebte Objekte, einen Stuhl, ein Fahrrad, mehrere Fenster mit zigtausend Kippen, die Kneipenwirte und Freunde fleißig für sie sammelten.

Zauber der Zigarettenstummel

Mit solchen Materialien war sie am Puls der Zeit. Auch andere Künstler nahmen den Alltag mit in die Kunst: Günther Uecker arbeitete mit Nägeln, Daniel Spoerri mit Speisen, Otto Piene mit Feuer und Dieter Roth mit Schokolade. Während die Werke der meisten Zeitgenossen unter der Kategorie Gesellschaftskritik gelistet werden, geht es Ingeborg Lüscher vor allem um die Geheimnisse des Lebens – und um Magie. Das Rauchen einer Zigarette etwa sei für sie „ein Zeichen für Lebenszeit“. Und vielleicht gerade weil aus heutiger Sicht Rauchen unter der Kategorie Todsünde geführt wird, entfalten diese Objekte und ihre Beschreibungen eine überraschend poetische Wirkung.

„Verstummelung“ – ein Werk, bei dem Tausende Zigarettenstummel aus einem Fenster-Objekt wuchern
„Verstummelung“ – ein Werk, bei dem Tausende Zigarettenstummel aus einem Fenster-Objekt wuchern
Quelle: Ingeborg Löscher

Größere Bekanntheit erlangte Lüscher bereits 1972 mit einer künstlerischen Dokumentation von Werken des Schweizer Outsider-Künstlers Armand Schulthess. In über zwanzig Jahren hatte Schulthess eine „Bibliothek des Wissens“ eingerichtet. Er hatte Tausende kleine Blechtafeln mit Texten aus allen Wissensbereichen beschrieben und in seinem Haus und im angrenzenden Wald aufgehängt. Lüschers Auseinandersetzung mit Schulthess’ künstlerischer Enzyklopädie wurde in jenem Jahr auf der Documenta 5 in Kassel gezeigt und viel beachtet.

Doch die Kunstszene sei missgünstig gewesen, habe ihr den Erfolg nicht gegönnt, erinnert sich Lüscher. „Hinter vorgehaltener Hand wurde gesagt, dass meine Karriere von Harry protegiert wurde.“ „Harry“, das ist der berühmte, 2005 verstorbene Ausstellungsmacher Harald Szeemann, Lüschers Ehemann. Die Ehe mit dem international einflussreichen Kurator war der Kunstszene ganz und gar nicht geheuer. Und natürlich ist der klugen Künstlerin klar, dass ihr an Szeemanns Seite mehr Aufmerksamkeit von Sammlern und Museumsleuten zuteilwurde. Doch Lüschers Werk, das zeigt die Bochumer Schau eindrücklich, muss einen Vergleich mit dem bedeutender Künstler ihrer Zeit nicht scheuen. Aber „Harry“, das ergänzt sie dann doch noch, habe auch von ihr profitiert. Vor allem von ihrer esoterischen Seite, die neugierig spirituelle Erkenntnisse austestet – mithilfe von Reinkarnationstherapie, Kartenlegen und Hypnose.

„Die Suche nach den Dingen hinter dem Sichtbaren“, wie Lüscher ihre andere Seite nennt, ist auch in ihr Werk eingegangen. Dazu zählt die Fotoserie „Augen“, die aus elf Augenpaaren besteht – einem geschlossenen Auge als Fenster in die menschliche Seele und einem geöffneten als Fenster in die Außen-Welt. Auch ihre pseudo-wissenschaftlichen Untersuchungen über „Das Herz auf dem Weg zur Werdung“ gehört in diese Kategorie. Für diese Arbeit hat sie 22 Vitrinen akribisch genau mit Steinen bestückt, die mal rechteckig, mal rund, mal dreieckig sind und in ihrer jeweiligen Form einen schwächer oder stärker entwickelten Zustand von Mit-Menschlichkeit und Empathie symbolisieren. Ingeborg Lüschers Lust, den ein oder anderen Blick in die menschliche Seele werfen zu wollen, ist auch in ihrer aktuellen Versuchsanordnung präsent. Hierbei stellt sie Freunden und Bekannten die Frage: „Was würden Sie in den letzten Momenten Ihres Lebens tun?“ Über 50 Menschen haben bereits auf ihre Frage geantwortet. Und bislang, sagt die Künstlerin, gebe es keine vergleichbaren Antworten. So wie auch jedes menschliche Leben singulär sei.

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Und was würde Ingeborg Lüscher in den letzten Momenten ihres Lebens tun? Das bleibe ihr Geheimnis.

Bis 22. April; „Ingeborg Lüscher. Spuren vom Dasein. Werke seit 1968“; Museum unter Tage (MUT) Bochum.

Vom 3.12. bis 13.3. ist Ingeborg Lüschers Werk „Das Bernsteinzimmer“ im Kunstmuseum Bochum im Rahmen der Ausstellung „Warum ist nicht schon alles verschwunden?“ zu sehen

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