Vor ein paar Tagen war die Welt der Sandra Kiriasis noch in Ordnung. Arm in Arm zog sie mit den Bobfahrerinnen Jazmine Fenlator und Carrie Russell in das Olympiastadion von Pyeongchang ein. Sie schwenkten schwarz-gelb-grüne Jamaika-Fähnchen, tanzten gemeinsam für die Zuschauer und waren voller Vorfreude, die Hollywood-Geschichte dieser Winterspiele zu schreiben.
30 Jahre nach „Cool Runnings“, dem legendären Viererbob von der Karibikinsel, hatten sie wieder einen jamaikanischen Schlitten zu Olympia gebracht, was für ein Märchen. Eine Woche später ist daraus ein „Höllenkrieg“ geworden. So beschreibt die 43 Jahre alte Trainerin Kiriasis die Ereignisse, die seit Dienstag die Schlagzeilen in Pyeongchang bestimmen.
Da überwarf sich die Dresdnerin so heftig mit der jamaikanischen Bobföderation JBSF, dass seither kein Tag ohne persönliche und inzwischen sogar juristische Attacken vergeht. Ob Team Jamaika am Dienstag überhaupt bei seinem Wettkampf starten kann, ist völlig unklar. Der genaue Auslöser ist nebulös, es steht Aussage gegen Aussage.
Es beginnt mit Kiriasis Degradierung
Trainer Dudley Stokes, der 1988 selbst in dem Schlitten saß, der später Vorlage für den Kinohit war, degradierte die Deutsche kurz vor dem wichtigsten Rennen der Saison. Sie sei eine Belastung für das Team, hieß es.
Stokes untersagte ihr, während des Wettkampfs mit den beiden Fahrerinnen zu sprechen. Für eine Bahntrainerin ist das jedoch ein Kernbereich ihrer Arbeit. Nach Kiriasis’ Darstellung entbehrt die Ausbootung ohnehin jeder Grundlage.
Die Sportlerinnen hätten ihr versichert, gern mit ihr zusammenzuarbeiten: „Wir haben alles zusammen gemacht, sie waren privat bei mir daheim. Sie nannten mich sogar Auntie (Tante; d. Red).“ Verärgert und verletzt quittierte sie ihren Dienst bei der JBSF, die ihr daraufhin die Akkreditierung für die Winterspiele abnahm.
Böse Demütigung für Kiriasis
In einer Olympiastadt mit unzähligen Sicherheitsschleusen kommt das einer Abschiebung gleich. Es ist quasi unmöglich, sich ohne gültige Akkreditierung frei durch Pyeongchang zu bewegen, vom Zutritt zu den Wettkampfstätten wie etwa der Bobbahn ganz zu schweigen. Kiriasis wurde der Zutritt verwehrt, südkoreanische Sicherheitsmänner führten sie aus der sensiblen Zone – was für eine Demütigung.
„Ich war wie eine Obdachlose“, sagte die Olympiasiegerin von 2006, die nach einigen mehr oder weniger durchwachten Nächten schließlich eine Unterkunft nahe der Snowboardstrecke fand. An ihr Gepäck kommt sie seit Tagen nicht, berichtete WELT, sie hat nur bei sich, was sie am Leib trägt. In ihrer Verzweiflung bat sie sogar das Internationale Olympische Komitee um Hilfe. Das IOC verwies lediglich auf die Zuständigkeit des Verbandes.
Doch da existiert keine Gesprächsgrundlage mehr. „Sie behandeln mich wie eine Vollidiotin“, schimpft Kiriasis: „Aber da haben sie sich die Falsche ausgesucht, mit der sie das machen können.“
Der Streit geht auch um Geld
Zu den persönlichen Zerwürfnissen ist inzwischen auch ein Streit um 20.000 Euro Aufwandsentschädigung gekommen, die Kiriasis für Trainingszeiten und Fahrten zu den Weltcups veranschlagt. Außerdem wird erbittert um den weiß lackierten Schlitten gerungen, mit dem die Jamaikanerinnen am Mittwoch fahren wollen.
Dieser wurde im vergangenen Jahr aus dem Bestand des BSC Winterberg zur Verfügung gestellt. Während Verbandspräsident Leo Campbell behauptet, das mehrere Zehntausend Euro teure Sportgerät gehöre dank eines Investments einer Brauerei aus Kingston inzwischen der JBSF, beharrt Kiriasis auf ihrer Version. Nach der hat sie den Schlitten organisiert und für ihre jamaikanischen Schützlinge ausgeliehen.
WELT AM SONNTAG liegt exklusiv der Mietvertrag mit der BSC Winterberg Marketing GmbH vor, aus dem hervorgeht, dass Kiriasis zwischen dem 4. Dezember 2017 und dem 28. Februar 2018 das alleinige Nutzungsrecht an dem Schlitten hält. Leihgebühr: 5000 Euro.
Kiriasis ist in der Haftung für den Bob
Demnach haftet Kiriasis dafür, dass der Schlitten unversehrt bleibt und mögliche Veränderungen zurückgebaut werden. Selbst wenn Campbell recht hat und sein Verband den Bob gekauft hat, entscheidet Kiriasis darüber, wer ihn bis Ende Februar benutzen darf. Und davon hat sie angesichts des Streits mit der JBSF klare Vorstellungen: Ihr Anwalt hat ein Startverbot für das Rennen am Mittwoch ausgesprochen und die Jamaikaner per Mail darüber informiert.
Eine Antwort hat er nicht erhalten. Beim ersten Training am Samstag sind Fenlator und Russell mit dem Sportgerät aus Winterberg gefahren. Dabei nutzten sie auch eine Diamantschleifmaschine und Kufen aus Kiriasis’ Privatbesitz.
Der Mann, der die Verwirrung auflösen kann, ist seit Tagen für keinen Beteiligten zu erreichen. Jens Morgenstern, der Vorsitzende des BSC Winterberg, bat Kiriasis unter der Woche um eine Kopie des Leihvertrages. Seither hat sie nichts mehr von ihm gehört.
Auch Olympiasiegerin Humphries betroffen
Die Schlammschlacht betrifft neben den Exoten aus Jamaika auch die Goldfavoritin Kaillie Humphries. Die zweimalige Olympiasiegerin aus Kanada wird ebenfalls von Kiriasis betreut und hat nun darunter zu leiden, dass ihre Trainerin nicht an die Strecke kommen darf.
„Ich brauche Sandra“, sagt Kaillie Humphries im Gespräch mit WELT AM SONNTAG wütend: „Aber ich muss so tun, als wäre all das nicht passiert, denn ich muss meine Rennen fahren und meine Konzentration finden. Ich hasse es, und es killt mich innerlich, wenn Politik im Sport die Schlüsselrolle übernimmt und Leute es besser zu wissen glauben, die nichts mit dem Sport zu tun haben.“
„Höllenkrieg“ und kein Ende
Bis zur Entscheidung am Mittwoch sind zwei weitere Trainingsfahrten für die Zweierbob-Teams der Frauen angesetzt. Von einem Hollywood-Märchen spricht inzwischen niemand mehr. Dafür scheint die Fortsetzung des „Höllenkriegs“ gewiss.