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Leute Unheilig-Sänger

Warum "Der Graf" bei Konzerten Ohrstöpsel verteilt

Redakteurin Nachrichten & Gesellschaft
Songs für Friedhof und Kreißsaal: Der Graf macht mit "Unheilig" Musik für alle Lebenslagen. Hier verrät der Sänger, was ihn antreibt, wie er die EM findet, und warum Ohrstöpsel nicht uncool sind.

Er nennt sich "Der Graf", mit seinem Musikprojekt Unheilig ist der Aachener, der seinen bürgerlichen Namen ebenso wie sein Alter verschweigt, derzeit einer der erfolgreichsten Musiker Deutschlands. Am kommenden Samstag startet er in Meppen seine Konzerttournee, und nimmt dabei auch Rücksicht auf die Ohren seiner Fans.

Welt Online: Herr Graf, bei Ihrer Tournee "Lichter der Stadt" werden Ohrstöpsel verteilt. Ist das nicht uncool?

Der Graf: Nee, das ist total cool. Und wichtig. Unheilig-Konzerte sind für die ganze Familie. Gerade für die Kleinsten ist es wichtig, dass in Sachen Hörschutz eine Prävention stattfindet.

Welt Online: Bei den kommenden Unheilig-Auftritten wird die Musik leiser gedreht?

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Der Graf: Nicht direkt. Es gibt ja extra einen eigenen Familienbereich, in dem es beispielsweise wegen der Kinder auch nicht so laut ist. Und bei mir oben auf der Bühne genau wie unten im Zuschauerraum läuft jemand mit dem Pegelmessgerät rum und checkt, dass es nicht so laut ist – da gibt es ja auch Vorschriften.

Wichtig ist aber auch die Größe der Anlage. Wenn bei uns 20.000 Menschen kommen, dann haben wir auch eine Anlage, die für 20.000 Zuhörer ausgelegt ist. Oft wird aus Kostengründen eine kleinere Anlage gebaut, und wenn die richtig losdröhnt, geht es auf die Ohren.

Welt Online: Sie sind neuer Botschafter für die Initiative "Hear the World" – warum?

Der Graf: Ich bin jemand, der in der Öffentlichkeit steht, und hoffe deshalb, dass man mir bei einem so wichtigen Thema wie Gehörschutz einfach mehr zuhört. Konzerte sind einfach ein guter Ort für eine Beratung. Bei unseren Auftritten wird es auch einen Infostand der Phonak geben. Also noch mal: Ohrstöpsel sind cool!

Welt Online: Ist Hörverlust so ein großes Thema?

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Der Graf: Definitiv. Es gibt in Deutschland viel zu viele Menschen, die ein Hörproblem haben. Und die Hemmschwelle, dann ein Hörgerät zu tragen, ist bei vielen da. Das weiß ich als gelernter Hörgeräteakustiker, der in diesem Beruf auch sieben Jahre gearbeitet hat, nur zu gut. Dabei ist ein Hörgerät ja keine Prothese. Eine Brille trägt ja auch jeder, der sie braucht.

Welt Online: Was rät der Hörgeräteakustiker?

Der Graf: Selbst bei einem leichten Hörverlust sofort aktiv werden. Ein Ohr funktioniert ja wie ein Muskel. Und wenn der jahrelang nicht mehr trainiert wird, weil nichts mehr ankommt, dann wird dieser Muskel immer kleiner. Wer erst zum Ohrenarzt geht, weil er gar nichts mehr hört, der muss extremen Aufwand treiben, um das Gehör wieder zu aktivieren.

Welt Online: Haben Sie selbst schon mal Probleme mit dem Hören gehabt? Viele Musiker klagen ja über einen Tinnitus?

Der Graf: Ich gehe alle zwei Jahre zum HNO-Arzt und lasse meine Ohren gründlich checken. Ich möchte ein Hörproblem gleich erkennen, vom Fachmann, gerade weil man selbst es ja zuerst oft nicht bemerkt. Einmal, als sehr laute Musik lief, habe ich danach einen Pfeifton gehört und Panik gehabt, dass das nicht mehr weggeht. Glücklicherweise war das nicht der Fall. Aber das hat mich alarmiert, ja.

Welt Online: Warum sind Sie denn überhaupt Hörgeräteakustiker geworden?

Der Graf: Ich bin ein Mensch, der handwerklich begabt ist. Zuvor habe ich schon eine Zahntechnikerlehre begonnen, aber schnell bemerkt, dass mir da etwas Wichtiges fehlt: Der Kontakt mit Menschen. Ich habe die Lehre dann abgebrochen und bin zur Bundeswehr gegangen, vier Jahre lang.

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Dort war ich auch Praktikant auf einer HNO-Station im Krankenhaus und habe die ersten Menschen mit Hörgeräten kennengelernt und wie man mit ihnen arbeitet. So entstand die Idee, Hörgeräteakustiker zu werden. Das ist ein super Beruf – ich habe immerhin sieben Jahre darin gearbeitet. Aber wenn das Herz voller Musik ist, dann kann der Beruf noch so schön sein ...

Welt Online: Als Musiker lief es zuletzt hervorragend für Sie, ein millionenfach verkauftes Album, zahlreiche Musikpreise. Wie motiviert man sich als Künstler, wenn so viel erreicht ist?

Der Graf: Ich mache einfach gerne Musik. Die ganzen Preise, der ganze Erfolg – das ist toll und eine Bestätigung dafür, dass das, was man macht, gut war. Klar, das Musikmachen ist jetzt leichter, weil die Exstenzängste nicht mehr da sind. Toll ist aber auch, dass es so viele Menschen gibt, die sich auf jedes meiner neuen Alben freuen. Das ist Motivation genug.

Welt Online: Seit Ihren Anfängen in der Gothic-Szene begleitet Sie der Vorwurf des künstlerischen Ausverkaufs, Unheilig, das sei Mainstream, banaler Bombast-Pop, Schlager gar. Welcher Vorwurf würde Sie wirklich treffen?

Der Graf: Also schlimm wäre der Vorwurf, dass ich mir untreu geworden bin. Wenn ich etwa plötzlich im rosa Anzug rumlaufen würde und mich nicht mehr Der Graf oder Unheilig nennen würde. Damit würde nämlich einiges einfacher werden, weil dieser polarisierende Effekt mit der Gothic-Szene wegfallen würde.

Welt Online: Das ist nach so vielen Jahren Unheilig immer noch Thema?

Der Graf: In Interviews muss ich mich oft rechtfertigen. Dazu immer Fragen nach Friedhof, Tod, der Farbe Schwarz, Glaube, Religion und so weiter. Um meine Musik geht es leider nur am Rande. Es erstaunt mich, dass diese Vorurteile so langlebig sind. Aber ich habe mich dem immer gestellt. Und deshalb gilt: keine Namensänderung, kein rosa Anzug!

Welt Online: Apropos rosa Anzug. Dieter Bohlen trägt auch gerne Bunt. Gerade hat er für "Das Supertalent" neue Jurymitstreiter gefunden, für "DSDS" sucht er noch. Wäre das ein Job für Sie?

Der Graf: Nee, gar nicht. Solange da keine Künstler unterstützt werden, die selber ihre Lieder schreiben, mache ich da nicht mit.

Welt Online: Gab’s denn konkrete Anfragen?

Der Graf: Ja, viele. Aber ich sage immer ab, weil ich mich damit nicht identifizieren kann. Einzige Ausnahme war die Castingshow "Dein Song", bei der ich mitgemacht habe. Die Teilnehmer dort haben ihre Songs selbst geschrieben, die dann professionell produziert wurden.

Da ging es nicht um Skandale oder Persönliches, sondern nur um die Musik. Ich finde es ganz wichtig, dass man als Künstler selber Lieder machen kann. Jeder Musiker sollte zeigen, was er selbst fühlt. Den Traum eines anderen kann man nicht als den eigenen präsentieren.

Welt Online: Bleiben Sie denn beim Zappen mal bei solchen TV-Castings hängen?

Der Graf: Früher, mittlerweile nicht mehr. Am Anfang waren diese Formate noch spannend, mittlerweile langweilt es mich.

Welt Online: Momentan ist ja Fußball-EM – ist Der Graf eigentlich Fußballfan?

Der Graf: Also ich gucke mit, ja. Aber ich habe so viel Ahnung vom Fußball wie vom Föhnen – nämlich keine.

Welt Online: Sie tragen seit Jahren Glatze ...

Der Graf: Also meine Fußball-Turniererfahrung hört mit der WM 1990 auf. Da kannte ich die Spieler noch und wusste, wer bei welchem Verein spielt. Das kann ich heute nicht mehr sagen. Und insofern lässt mich das kalt. Gut, die WM in Deutschland 2006, da habe ich mich noch mal reingefuchst. Aber jetzt kenne ich die ganzen Spieler gar nicht mehr.

Welt Online: Da stehen Sie recht alleine da ...

Der Graf: Ja, stimmt. Ich glaube, ich war der Einzige nach dem Spiel Deutschland gegen Holland, der das nicht im TV gesehen hat ...

Welt Online: Trotzdem einen Tipp übrig? Wer wird Europameister?

Der Graf: Deutschland! Aus meinem wahnsinnig großen Fachwissen heraus sage ich, dass Deutschland Weltmeister wird. (lacht)

Welt Online: Viele Musiker können über ein anderes Thema gar nicht lachen: die Kostenloskultur im Internet.

Der Graf: Grundsätzlich sage ich: Illegaler Download ist Diebstahl. Für mich ist da kein Unterschied zu einem Einbruch, bei dem ich irgendwo einsteige und was klaue. Das ist einfach so. Es gibt da Gesetze, die man befolgen muss. Und nur weil’s vielleicht jeder macht, heißt das nicht, dass man es auch darf.

Wenn ich ein Album produziere, dann arbeite ich zwei Jahre daran und stecke all mein Herzblut hinein. In meinen Augen ist es dann eine Frage des Respekts, dass man, wenn man die Musik gut findet, auch dafür zwölf oder 13 Euro auszugeben bereit ist.

Welt Online: Ihr Tipp an junge Musiker?

Der Graf: Also ich kann meinen Weg nur empfehlen: Leute, lernt was, macht einfach mal eine Ausbildung! Einen vernünftigen Beruf in der Hinterhand zu haben, ist wichtig. Man sollte immer etwas haben, das einen auffängt. Wer sich sicher fühlt, hat auch Mut, alles auf eine Karte zu setzen.

Welt Online: Auf Ihrem neuen Album "Lichter der Stadt" ist auch ein Duett mit Xavier Naidoo. Wie kam das zustande?

Der Graf: Wir haben uns 2010 bei der TV-Show "The Dome" kennengelernt. Er war total nett und freundlich, das fand ich gut. Als wir uns dann später noch bei einer anderen Veranstaltung trafen, habe ich einfach gefragt, ob er Lust auf ein Duett hat. Und er hat Gott sei Dank Ja gesagt.

Welt Online: Sie sind ein Harmoniemensch, oder?

Der Graf: Total. Mir ist immer wichtig, dass man einen guten Draht hat und gerne zusammen ist. Ich könnte niemals mit jemandem Musik machen, den ich nicht mag.

Welt Online: Xavier Naidoos Songs sind ja sehr religiös inspiriert, und auch Ihre Bilderwelten sind sehr spirituell ...

Der Graf: Ich bin ein sehr gläubiger Mensch, ja. Aber ich brauche keine Religion.

Welt Online: Erzogen wurden Sie aber katholisch ...

Der Graf: Ich komm aus Aachen, hallo?! Da sind alle katholisch. Aber ich habe schon als Jugendlicher gemerkt, dass ich keine Religion brauche. Aber ich bete jeden Tag. Ein kleines, stilles Gespräch. Und ich glaube auch, dass wir uns mal wiedersehen. Aber ich brauche niemanden, der mir sagt, wie ich zu beten oder was ich zu tun habe. Das sagt mir mein Herz.

Welt Online: Ihr Hit "Geboren um zu leben" wird oft bei Bestattungen gespielt, Sie selbst schaffen ein gottesdienstähnliches Ambiente auf der Bühne. Erfüllen Sie die Sehnsucht nach Kirchlichem in einem säkularisierten Land?

Der Graf: Nein, ich hatte keinen Masterplan à la "Lass uns das so aufziehen, und dann funktioniert das". Das sind Konstrukte von Betrachtern, die Erklärungen suchen. Unheilig ist kein Nischenprodukt. Ich beschreibe das Leben mit allen Höhen und Tiefen. Meine Fans spüren das. Bei ihren Trauungen wird mein Song "Unter deiner Flagge" gespielt, andere lassen im Kreißsaal "Mein Stern" laufen.

Welt Online: Dennoch haben Sie sich auch viel mit dem Tod auseinandergesetzt.

Der Graf: Ja, ich bin oft in Hospize gegangen, weil die Leute dort mich noch einmal treffen wollten und meine Songs ihnen geholfen haben. Der Tod hat mir das Leben näher gebracht, und das spiegelt sich auch in meiner Musik.

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