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Procycling 02.19

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TONY MARTIN<br />

Fährt er bei Jumbo-Visma<br />

zurück zu alter Stärke?<br />

NICO DENZ<br />

Nur noch ein paar Zentimeter<br />

vom großen Erfolg entfernt.<br />

LISA BRENNAUER<br />

„Ich möchte ein großes<br />

Eintagesrennen gewinnen.“<br />

FEBRUAR 2019<br />

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MIT GAST-REDAKTEUR<br />

MARK CAVENDISH<br />

AUF DEM RAD<br />

MIT CAV<br />

MAILAND–<br />

SAN REMO<br />

MARIANNE<br />

VOS<br />

EXKLUSIV-INTERVIEW<br />

„ICH BIN SÜCHTIG<br />

NACH SIEGEN.<br />

ICH BRAUCHE DAS.“<br />

DER SPRINTSTAR VON DIMENSION DATA<br />

ÜBER SEINE MOTIVATION FÜR 2019<br />

WISSEN<br />

IST MACHT<br />

Wie WorldTour-<br />

Teams Daten nutzen,<br />

um Rennen zu<br />

gewinnen<br />

SPRINTER-<br />

GEHEIMNISSE<br />

OLYMPIA 1992


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PERISCOPE


EDITORIAL<br />

PROMINENTER ZUGANG<br />

Als unsere britischen Kollegen Mark Cavendish fragten, ob er Lust habe, an dieser Ausgabe mitzuwirken,<br />

sagte der Topsprinter ohne zu Zögern zu – allerdings unter der Bedingung, dass er seine<br />

eigenen Ideen umsetzen könne und nicht nur werbewirksam auf dem Cover abgebildet sei. Als<br />

Erstes verwarf er einige der angedachten Artikel und stellte eine eigene Liste zusammen. Er wollte<br />

über die Rennen, Fahrer und Themen sprechen, die ihn ganz besonders interessieren. Hoch oben<br />

auf seiner Agenda stand Marianne Vos, die Cav als „Inbegriff der Emanzipation außerhalb aller<br />

Grenzen“ in den höchsten Tönen lobt. Seine nächste Idee war ein Feature über Mailand–San Remo,<br />

das er von einigen Fans ebenso missverstanden sieht wie sich selbst. Und auch ein prägendes<br />

Rennen für den jungen Mark Cavendish haben wir in dieser Ausgabe aufgegriffen: Chris Boardmans<br />

Olympiasieg 1992 in Barcelona, der der heutigen Radsportgroßmacht England die erste<br />

Goldmedaille seit 72 Jahren (!) bescherte. Gekrönt wurde Marks Mitarbeit von einer gemeinsamen<br />

Ausfahrt, bei der uns auch Toursieger Cadel Evans begleitete. Was uns angeht, können wir diese<br />

Kooperation gerne eines Tages wiederholen.<br />

Auch drei deutsche Athleten haben uns für dieses Heft Frage und Antwort gestanden – sie alle<br />

starten, jeder auf seine Weise, mit großen Hoffnungen in das neue Jahr. Tony Martin fährt 2019 für<br />

Jumbo-Visma und will dort an alte Erfolge anknüpfen – und einen ganz neuen in seinen Palmàres<br />

aufnehmen. Der 24-jährige Nico Denz aus Waldshut-Tiengen könnte nach einem starken Jahr 2018<br />

vor seinem großen Durchbruch stehen. Und auch bei den Damen gibt es größere Umwälzungen:<br />

Nach dem Ende ihres britischen Teams Wiggle High5 kehrt die Allgäuerin Lisa Brennauer in die<br />

Heimat zurück und zählt bei WNT-Rotor fortan zu den Leaderinnen. Was genau sie dort vorhat,<br />

können Sie ab Seite 30 nachlesen.<br />

Auch wenn es angesichts der derzeitigen Schneemassen etwas unpassend und weit entfernt<br />

erscheint, wünsche ich Ihnen einen guten Start in die neue Saison – und viel Spaß bei unserer<br />

aktuellen Ausgabe mit ihrem weltmeisterlichen Anstrich.<br />

Chris Hauke<br />

Redaktion


INHALT<br />

AUSGABE 180 / FEBRUAR 2019<br />

32<br />

MARK CAVENDISH<br />

Wir sprachen mit unserem Gast-Redakteur über seine Planungen<br />

für die Saison 2019 – und so einiges mehr.<br />

RUBRIKEN<br />

© Wayne Reiche<br />

6<br />

SCHNAPP-<br />

SCHUSS<br />

Rennen im Bild<br />

12<br />

PROLOG<br />

Aus dem Herzen<br />

des Pelotons<br />

14<br />

INSIDER<br />

Rick Zabel<br />

& Ralph Denk<br />

18<br />

STRAVA<br />

Die Daten<br />

der Profis<br />

88<br />

WUNSCH-<br />

LISTE<br />

Produkt-Highlights<br />

96<br />

JENS VOIGT<br />

Das letzte<br />

Wort<br />

98<br />

VORSCHAU<br />

Themen der<br />

nächsten Ausgabe<br />

4 PROCYCLING | FEBRUAR 2019


20<br />

TONY MARTIN<br />

Nach zwei mageren Jahren bei Katusha-Alpecin fährt der Cottbuser<br />

nun für Jumbo-Visma – und will sich dort auf alte Stärken besinnen.<br />

24<br />

NICO DENZ<br />

Vor dem Durchbruch? Der 24-Jährige von AG2R La Mondiale schickt<br />

sich an, eine neue deutsche Hoffnung bei Eintagesrennen zu werden.<br />

30<br />

LISA BRENNAUER<br />

2018 fuhr die Allgäuerin große Erfolge auf Bahn und Straße ein –<br />

bei ihrem neuen Team WNT-Rotor will sie daran anknüpfen.<br />

40<br />

AUSFAHRT MIT ZWEI WELTMEISTERN<br />

Cavendish unterwegs auf den besten Straßen Südafrikas mit anschließendem<br />

Coffee Stop. Mit dabei: Toursieger Cadel Evans.<br />

48<br />

SPRINTER-GEHEIMNISSE<br />

Das Who is Who der aktuellen Sprintszene hat uns die taktischen<br />

Hintergründe einer Massenankunft erklärt – Schritt für Schritt.<br />

54<br />

MAILAND–SAN REMO<br />

Historie, Wetterkapriolen, Überraschungsmomente – das macht<br />

La Classicissima, das erste Monument der Saison, so einzigartig.<br />

62<br />

MARIANNE VOS<br />

Die Niederländerin über den Umgang mit frühem Erfolg, ihre<br />

Siegermentalität und ein Leben nach dem Radsport.<br />

68<br />

RISIKO GEHIRNERSCHÜTTERUNG<br />

Stürze gehören zum Radsport. Wie gewissenhaft gehen die Fahrer<br />

mit dieser verbreiteten Kopfverletzung um?<br />

74<br />

WISSEN IST MACHT<br />

Route, Strategien, Optionen – wie WorldTour-Teams Daten nutzen,<br />

um Rennen zu gewinnen.<br />

80<br />

RETRO<br />

Mensch und Maschine – so fuhr Chris Boardman bei Olympia 1992<br />

in Barcelona zum Sieg in der Einerverfolgung.<br />

© Justin Setterfield/Getty Images, Gruber Images, Velofocus<br />

FEBRUAR 2019 | PROCYCLING 5


SCHNAPPSCHUSS<br />

IMPRESSIONEN DES RADSPORT-JAHRES<br />

6 PROCYCLING | FEBRUAR 2019


GENT SIX DAYS<br />

Belgien, 17. November 2018<br />

Iljo Keisse fixiert seinen Blick<br />

auf das Geschehen vor ihm,<br />

während Elia Viviani jede Faser<br />

spannt, um ihn beim Madison<br />

am vorletzten Tag optimal auf<br />

die Bahn zu bringen. Das<br />

Quick-Step-Duo wechselt im<br />

Winter regelmäßig von der<br />

Straße aufs Parkett und war die<br />

Toppaarung im historischen<br />

Velodrom ’t Kuipke. Sie wurden<br />

ihrer Favoritenrolle gerecht<br />

und gewannen den 2018er-Titel<br />

im letzten Rennen des Events.<br />

Es war Keisses siebter Sieg in<br />

seiner Heimatstadt und der<br />

erste Erfolg für Olympiasieger<br />

Viviani.<br />

© Kristof Ramon<br />

FEBRUAR 2019 | PROCYCLING 7


SCHNAPPSCHUSS<br />

8 PROCYCLING | FEBRUAR 2019


SCHNAPPSCHUSS<br />

CROSS WORLD<br />

CUP KOKSIJDE<br />

Belgien, 25. November 2018<br />

Achtung Stau! Mehr als<br />

60 Fahrerinnen treten sich fast<br />

auf die Füße, als sie ihre Räder<br />

den Anstieg herauftragen.<br />

Beobachtet werden sie von<br />

zahlreichen Fans, die das kalte<br />

Novemberwetter wenig beein -<br />

druckt. An der Spitze des Feldes<br />

ist Weltmeisterin Sanne Cant zu<br />

erkennen, doch es sollte nicht ihr<br />

Tag werden. Nach einer frühen<br />

Attacke fiel sie gesundheitlich<br />

angeschlagen zurück und kam<br />

als Siebte ins Ziel. Nutznießerin<br />

war die Niederländerin Denise<br />

Betsema. Die Auf steigerin der<br />

Saison beschleunigte auf der<br />

letzten Runde und holte sich<br />

ihren ersten großen Sieg.<br />

© Kristof Ramon<br />

FEBRUAR 2019 | PROCYCLING 9


SCHNAPPSCHUSS<br />

JAARMARKT-<br />

CROSS NIEL<br />

Belgien, 10. November 2018<br />

Von Matsch bedeckt, spült Tom<br />

Pidcock den Frust am Ende des<br />

Rennens herunter. Herbstregen<br />

machte den Parcours schlammig<br />

und rutschig, und obwohl<br />

der junge Brite – amtierender<br />

U23-Cross-Europameister –<br />

einen guten Start erwischte,<br />

konnte nichts und niemand<br />

Mathieu van der Poel stoppen.<br />

In Abwesenheit seines Erz -<br />

rivalen Wout Van Aert fuhr der<br />

Europa-Champion der Elite<br />

einen nie gefährdeten Sieg ein<br />

– seinen achten im Jahr 2018.<br />

© Kristof Ramon<br />

10 PROCYCLING | FEBRUAR 2019


SCHNAPPSCHUSS<br />

FEBRUAR 2019 | PROCYCLING 11


PROLOG<br />

AUS DEM HERZEN DES PELOTONS<br />

DI-DATA: UNFALLBERICHT<br />

Nach zahlreichen Verletzungen 2018 benötigt Dimension Data<br />

eine Schicksalswende, um in der WorldTour zu bleiben.<br />

© BettiniPhoto<br />

Das Verletzungspech von Dimension Data<br />

2018 setzte sich auch nach der Rennsaison<br />

fort, als sich Mark Renshaw Anfang<br />

Dezember im Training bei einer Kollision mit einem<br />

Auto das Becken brach. Eines der prägenden<br />

Themen des Jahres war die Reihe von Verletzungen,<br />

die Fahrer wie Mark Cavendish, Steve Cummings,<br />

Ben O’Connor und Bernhard Eisel heimsuchten.<br />

In der ersten Jahreshälfte musste das<br />

Team auch auf eine weitere wichtige Stütze, Reinardt<br />

Janse van Rensburg, verzichten, der sich von<br />

den Folgen einer Leistenoperation erholte.<br />

Leider verfolgte das Pech auch den 36-jährigen<br />

Renshaw, als er mit seinen Vorbereitungen für<br />

2019 begann. „Ich bin mir nicht sicher, ob der<br />

Aufprall mit dem Auto oder dem Boden meine<br />

Verletzungen verursacht hat, aber es war definitiv<br />

ein beängstigender Moment, da<br />

im Nachhinein herauskam, dass es<br />

viel schlimmer hätte kommen können“,<br />

sagte er in der Pressemitteilung<br />

des Teams über den Unfall.<br />

3<br />

MONATE<br />

FÄLLT RENSHAW<br />

VERLETZT AUS<br />

„Es ist großer Mist“, sagte der<br />

Australier <strong>Procycling</strong>, als er sich<br />

ein paar Tage später zu Hause erholte.<br />

Renshaw hatte im vergangenen<br />

Jahr bereits zwei Operationen durchgemacht,<br />

um die chronische Nebenhöhlenentzündung<br />

zu bekämpfen, die Ende der Saison<br />

2017 begann und von der er schätzte, dass sie<br />

seine Leistung um „zehn bis 15 Prozent“ reduziert<br />

hatte. Nach seinem Unfall sagte<br />

er: „Es wird etwa drei Monate dauern,<br />

bis ich zurückkomme und wieder in<br />

der Lage bin, richtig zu trainieren.“<br />

Dieses Jahr sollte es eine leichte<br />

Veränderung für den Fahrer geben,<br />

der Cavendish bei 17 seiner<br />

30 Tour-Siege als Teamkollege unterstützt<br />

hat. 2019 sollte Renshaw<br />

seine Anfahrerqualitäten weiter nutzen<br />

– für den jungen südafrikanischen Sprinter<br />

12 PROCYCLING | FEBRUAR 2019


Ryan Gibbons bei der Tour Down Under und für<br />

Giacomo Nizzolo bei den Rennen im Nahen Osten<br />

sowie beim Giro d’Italia. „Ich wollte wirklich<br />

einen guten Start ins Jahr hinlegen, denn im letzten<br />

Jahr hatte ich einige Operationen an meinen<br />

Nebenhöhlen und wollte jetzt von der Tour Down<br />

Under bis zum Giro Vollgas geben. Alles zielte auf<br />

das erste Halbjahr ab; nun wird es ein wenig nach<br />

hinten geschoben.“<br />

Er fügte hinzu: „Es war ziemlich motivierend<br />

für mich, mich nach so vielen Jahren zu verändern.<br />

Nicht, dass ich zusätzliche Motivation<br />

bräuchte – aber es ist wirklich sehr motivierend,<br />

wenn neue Leute ins Team kommen.“<br />

Renshaws Pech wirft einen Schatten auf den<br />

Saisonstart des Teams. Im vergangenen Jahr lag<br />

das in Südafrika registrierte Team im Ranking der<br />

WorldTour am Ende. Ben King holte die einzigen<br />

WorldTour-Siege des Teams: zwei Etappen bei der<br />

Vuelta, die ersten Siege seit der Tour 2017 auf<br />

WorldTour-Level.<br />

Bislang war der Kampf um Ergebnisse vor allem<br />

für die Moral der Mannschaft belastend, doch es<br />

könnte fatal sein, wenn diese Phase auch 2019<br />

andauern sollte. Mit der Reform der WorldTour im<br />

Jahr 2020, bei der Teams zwischen WorldTour<br />

und ProConti-Level auf- und absteigen, sieht sich<br />

Teamchef Douglas Ryder vor die Aufgabe gestellt,<br />

das Team in der Rangliste nach oben zu führen.<br />

„Ich will nicht sagen, dass wir 2019 um unser<br />

Überleben kämpfen, aber Tatsache ist, dass wir<br />

um unser Überleben kämpfen müssen“, sagte Ryder<br />

im Vorbereitungscamp in Südafrika.<br />

Das Team hat Schritte unternommen, um die<br />

Mannschaft breiter aufzustellen. Giacomo Nizzolo,<br />

der im Jahr 2018 elf Top-Drei-Platzierungen,<br />

aber nur einen Sieg einfuhr, soll den Druck auf<br />

Cavendish mindern. Enrico Gasparotto (36) und<br />

Roman Kreuziger (32) stoßen zum Team, um<br />

Grand-Tour-Erfahrung und Stärke am Berg zu<br />

bringen. Und der größte Erfolg des Teams war die<br />

Verpflichtung von Michael Valgren, Sieger von<br />

Omloop Het Nieuwsblad und Amstel Gold, der<br />

die Chancen des Teams bei den Klassikern erhöht.<br />

Ryder will mit voller Kraft angreifen. „Wir wollen<br />

wirklich gut mit der Tour Down Under beginnen<br />

und planen, ein wirklich starkes Team dorthin<br />

zu schicken, denn wenn wir das Ding dort<br />

zum Rollen kriegen, dann läuft es hoffentlich das<br />

ganze Jahr über.“<br />

Natürlich sollte Renshaw ein wichtiger Teil dieses<br />

Plans sein. „Der Saisonstart ist jetzt einfach<br />

sehr wichtig“, sagte er. „Wenn du gut in Down<br />

Under startest, kannst du die WorldTour anführen,<br />

also sind die Punkte definitiv sehr wichtig.“<br />

Ein Silberstreif am Horizont, sagt Renshaw,<br />

ist, dass seine Verletzung recht unkompliziert<br />

ist. „Es wird harte Arbeit sein, versteht mich<br />

nicht falsch, aber was die Ärzte mir gesagt haben,<br />

ist, dass, wenn ich mich um mich selbst<br />

kümmere und alles richtig mache, die Verletzung<br />

keine langfristigen Probleme bereiten wird. Ich<br />

sollte ziemlich schnell wieder in Form kommen,<br />

also werde ich den Giro im Moment weiter als<br />

Ziel behalten.“<br />

Renshaw und das gesamte Team hoffen, dass<br />

das Pech der Mannschaft mit seinem Sturz endete,<br />

sonst könnte das Team Schwierigkeiten haben,<br />

2020 in der Spitzengruppe zu bleiben.<br />

Sprinter Giacomo Nizzolo kommt<br />

von Trek-Segafredo dazu, um Siege<br />

für das Team einzufahren.<br />

Renshaws Saisonvorbereitung<br />

startete denkbar schlecht, als er sich<br />

bei einem Unfall das Becken brach.<br />

DIMENSION DATA: DER ARZTBERICHT 2018<br />

Die Fahrer von Dimension Data hatten im vergangenen Jahr ungewöhnlich viel Verletzungspech.<br />

FAHRER VERLETZUNG AUSFALLZEIT RÜCKKEHR<br />

Mark Cavendish Rippenbruch, Mailand–San Remo 7 Wochen Tour de Yorkshire<br />

Bernhard Eisel Hirnblutung, Tirreno–Adriatico 4 Monate RideLondon Classic<br />

Ben O’Connor Schlüsselbeinbruch, Giro d’Italia 2 Monate Tour de Wallonie<br />

Reinardt van Rensburg Leistenbruch-OP, Saisonpause 6 Monate Tour of Norway<br />

Mekseb Debesay Beckenbruch, Tour de Langkawi 3 Monate Eritreische Meisterschaft<br />

Scott Thwaites Wirbelbruch, Training im März 4 Monate Österreich-Rundfahrt<br />

Steve Cummings Gebrochenes Wadenbein, Tour of Austria 3 Wochen Clásica San Sebastián<br />

Julien Vermote Gebrochenes Handgelenk, BinckBank Tour 4 Wochen Tour de l’Eurométropole<br />

Mark Renshaw Beckenbruch, Training im Dezember 3–4 Monate Giro d’Italia (geplant)<br />

© BettiniPhoto<br />

FEBRUAR 2019 | PROCYCLING 13


INSIDER<br />

RICK ZABEL<br />

WIR SIND ALLE TOP MOTIVIERT!<br />

Der Katusha-Alpecin-Profi berichtet von der Teampräsentation und seinem Wintertraining.<br />

Aufgezeichnet von Werner Müller-Schell, © Jojo Harper/Team Katusha-Alpecin (Porträt), Kathrin Schafbauer<br />

Nur noch wenige Tage, dann<br />

fällt der erste Startschuss.<br />

Nach den ruhigen Monaten<br />

der Offseason jucken nicht nur bei<br />

mir, sondern bei jedem Profi im Peloton<br />

die Beine. Endlich wieder Rennluft<br />

schnuppern, endlich das zeigen,<br />

woran man über den Winter gearbeitet<br />

hat. In dieser Kolumne will ich<br />

mit euch gemeinsam auf meinen<br />

Radwinter zurück- und gleichzeitig<br />

auf mein Rennprogramm für das<br />

Frühjahr vorausschauen.<br />

Das Wintertraining 2018/19<br />

begann für mich direkt mit einem<br />

Rückschlag. Allerdings einem, der<br />

nicht so schwerwiegend war, wie<br />

anfangs gedacht: Denn nachdem ich<br />

Anfang November beim Training<br />

gestürzt war und mir einen Schlüsselbeinbruch<br />

zugezogen hatte, saß<br />

ich bereits drei Wochen später wieder<br />

auf dem Rad – genau richtig für<br />

einen enorm trainingsintensiven<br />

Dezember. Dank zweier perfekter<br />

Wochen auf Mallorca und zwei weiterer<br />

guter Wochen in der Heimat<br />

sammelte ich bis zum Jahresende<br />

noch einmal knapp 3.000 Kilometer<br />

– und legte dabei die Basis für eine<br />

hoffentlich erfolgreiche Saison 2019.<br />

2019 soll schließlich wesentlich<br />

besser laufen als das enttäuschende<br />

Jahr 2018 – das geht nicht nur<br />

mir, sondern uns allen im Team<br />

Katu sha-Alpecin so. Letztes Jahr<br />

war sicher nicht das, was wir von<br />

uns allen erwartet haben. Entsprechend<br />

viel Druck macht sich nun<br />

jeder Fahrer, es in den kommenden<br />

zwölf Monaten besser zu machen.<br />

Das konnte man nicht nur bei der<br />

Teampräsentation am 7. Dezember<br />

in Koblenz, sondern auch im Teamtrainingslager<br />

direkt im Anschluss<br />

spüren: Viele Fahrer kamen wesentlich<br />

fitter ins Camp als noch im letzten<br />

Jahr – und auch unsere Neuverpflichtungen<br />

haben sich bereits gut<br />

„LETZTES JAHR WAR SICHER NICHT DAS,<br />

WAS WIR VON UNS ALLEN ERWARTET HABEN.<br />

ENTSPRECHEND VIEL DRUCK MACHT SICH<br />

NUN JEDER FAHRER, ES 2019<br />

BESSER ZU MACHEN.“<br />

eingefügt: Unter anderem sind der<br />

belgische Klassiker-Spezialist Jens<br />

Debusschere, der spanische Bergfahrer<br />

Daniel Navarro und das portugiesische<br />

Talent Ruben Guerreiro<br />

neu im Team. Mit 24 Fahrern ist<br />

unser Kader zwar etwas kleiner als<br />

im vergangenen Jahr – dafür stimmt<br />

aber die Qualität.<br />

Das liegt nicht zuletzt daran, dass<br />

auch im Management bei Katusha-<br />

Alpecin über den Winter einiges verändert<br />

wurde. So stieß unter anderem<br />

der Belgier Dirk Demol neu zur<br />

Sportlichen Leitung hinzu und mein<br />

Vater ergänzt die Sportliche Leitung<br />

als Performance Manager. Letzteres<br />

wird dabei gerade für mich spannend<br />

werden: Auf diesem Level haben<br />

mein Vater und ich im Laufe<br />

meiner Karriere als Radprofi noch<br />

Am 7. Dezember fand die Teampräsentation<br />

von Katusha-Alpecin<br />

statt. Auch 2019 wird Rick Zabel<br />

(Mitte) wieder oft gemeinsam mit<br />

Marcel Kittel (2. v. li. mit Mikrofon)<br />

ins Rennen gehen.<br />

nie zusammengearbeitet und ich<br />

kann sicherlich von seiner sportlichen<br />

Expertise sehr profitieren.<br />

Nichtsdestotrotz weiß ich aber auch<br />

jetzt schon, dass wir nicht immer<br />

einer Meinung sein werden – wie das<br />

eben bei Vater und Sohn so ist.<br />

Mein persönlicher Startschuss<br />

für die Rennsaison 2019 wird am<br />

31. Januar bei der Mallorca Challenge<br />

fallen. Danach werde ich im Februar<br />

mehrere Rennen in Spanien<br />

bestreiten, ehe mit der Abu Dhabi<br />

Tour Ende Februar die WorldTour<br />

für mich beginnt. Im Anschluss<br />

werde ich Paris–Nizza und dann die<br />

gesamten Klassiker – von Mailand–<br />

San Remo bis Paris–Roubaix – fahren.<br />

Es geht also direkt mit Vollgas<br />

los – nach der langen Winterpause<br />

bin ich für den ersten Rennblock<br />

aber hoch motiviert.<br />

Geboren am 7. Dezember 1993,<br />

zog es den Sohn von Erik Zabel<br />

schon früh zum Radsport. Nach<br />

guten Platzierungen bei den<br />

Junioren wechselte er 2012 zum<br />

Rabobank Development Team.<br />

2014 wurde Rick Zabel Profi<br />

bei BMC und fuhr drei Jahre bei<br />

der US-amerikanischen Equipe.<br />

2017 wechselte er zu Katusha-<br />

Alpecin und bestritt erstmals<br />

die Tour de France und die Straßen-WM.<br />

14 PROCYCLING | FEBRUAR 2019


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INSIDER<br />

RALPH DENK<br />

WIE IN EINEM GROSSUNTERNEHMEN<br />

Der Teamchef gibt Einblicke in die Vorbereitungen und Ziele der Saison 2019.<br />

Aufgezeichnet von Werner Müller-Schell, © Bora–hansgrohe/VeloImages<br />

Von wegen stille Zeit. Unter<br />

diesem Motto habe ich im<br />

vergangenen Jahr in dieser<br />

Kolumne darüber geschrieben, warum<br />

November und Dezember für<br />

das Teammanagement die stressigsten<br />

Monate sind. In diesem Winter<br />

war es nicht anders: Für 2019 gibt<br />

es neue Fahrzeuge, neue Bekleidung,<br />

neues Material und viele weitere<br />

Neuigkeiten. Diese organisatorischen<br />

Arbeiten gehen entsprechend<br />

ins Detail, denn sogar Kleinigkeiten<br />

wie das Design der neuen Trinkflaschen<br />

sind zu erledigen. Dazu kommen<br />

Fotoshootings, medizinische<br />

Tests und vieles mehr. Und natürlich<br />

muss auch die neue Saison geplant<br />

werden: Der Rennkalender und die<br />

Trainingslager müssen fixiert und<br />

mit den Fahrern muss ein individueller<br />

Plan ausgearbeitet werden,<br />

damit wir am Ende der Saison unsere<br />

Ziele erreichen.<br />

Gerade die Rennplanung muss<br />

man sich dabei wie die klassischen<br />

Zielvereinbarungen in einem Großunternehmen<br />

vorstellen. Zum Saisonende<br />

gibt es mit jedem Fahrer<br />

und der Sportlichen Leitung ein Gespräch,<br />

in dem das vergangene Jahr<br />

analysiert wird. Die zentralen Fragen:<br />

Was ist gut gelaufen? Und was<br />

ist nicht so gut gelaufen? Gleichzeitig<br />

wird aber auch bereits das<br />

nächste Jahr angesprochen – etwa<br />

wo sich ein Sportler am wertvollsten<br />

für die Mannschaft sieht und wel -<br />

che Rennen er gerne fahren möchte.<br />

Natürlich bekommt man von allen<br />

27 Fahrern die Antwort, dass jeder<br />

zur Tour de France will, im Großen<br />

und Ganzen versuchen wir diese<br />

Wünsche aber zu berücksichtigen.<br />

Mir als Teamchef ist es extrem<br />

wichtig, die Rennfahrer miteinzubeziehen.<br />

Ich glaube nicht, dass es<br />

„WIR HABEN MIT PETER DEN BESTEN<br />

KLASSIKER-FAHRER DER WELT UND WOLLEN<br />

MIT IHM IM FRÜHJAHR MINDESTENS EIN<br />

MONUMENT GEWINNEN.“<br />

aus motivationstechnischer Sicht<br />

sinnvoll ist, nur Vorgaben zu geben.<br />

Teammanager Ralph Denk<br />

beim Mannschaftstrainingslager<br />

auf Mallorca.<br />

Unsere Ziele für 2019 sind dabei<br />

klar gesteckt: Wir haben mit Peter<br />

[Sagan; Anm. d. Red.] den besten<br />

Klassiker-Fahrer der Welt und wollen<br />

mit ihm im Frühjahr mindestens<br />

ein Monument gewinnen. Chancen<br />

hat er bei so gut wie jedem Klassiker<br />

– auch bei einem schwereren Rennen<br />

wie Lüttich–Bastogne–Lüttich,<br />

das er in diesem Jahr zum ersten<br />

Mal auf Sieg fahren wird. Dazu wollen<br />

wir bei allen drei großen Rundfahrten<br />

mindestens eine Etappe gewinnen<br />

und bei der Tour de France<br />

auch wieder das Grüne Trikot holen.<br />

Ein weiteres Ziel ist zudem, unsere<br />

Gesamtwertungsbilanz in Frankreich<br />

aufzubessern. 2019 soll es<br />

mindestens ein Fahrer von Bora–<br />

hansgrohe in die Top Ten schaffen<br />

– und mit unseren beiden Kapitänen<br />

Emanuel Buchmann und Patrick<br />

Konrad sehen wir große Chancen,<br />

das zu schaffen.<br />

Die großen Rennen nähern sich<br />

nun mit großen Schritten, denn<br />

wenn diese Ausgabe erscheint, ist<br />

mit der Tour Down Under bereits<br />

das erste WorldTour-Rennen Geschichte.<br />

Wir hatten dort eine star -<br />

ke Truppe mit Gregor Mühlberger,<br />

Jay McCarthy und Peter am Start<br />

– entsprechend hoffe ich nach den<br />

organisationsreichen Wintermonaten,<br />

dass wir sportlich an die vergangene<br />

Saison angeknüpft und direkt<br />

erfolgreich in das Jahr gestartet<br />

sind. Wenn ich beim nächsten Mal<br />

bereits über unseren ersten Saisonsieg<br />

berichten könnte – es wäre ein<br />

gutes Omen für die Saison 2019.<br />

Ralph Denk ist Teammanager der<br />

deutschen WorldTour-Mannschaft<br />

Bora–hansgrohe. Nach jahrelanger<br />

Aufbauarbeit ist die Equipe mit Sitz<br />

im oberbayerischen Raubling seit<br />

2017 in der höchsten Radsportliga<br />

aktiv. In <strong>Procycling</strong> berichtet Denk,<br />

in früheren Jahren selbst aktiver<br />

Rennfahrer, jeden Monat über seinen<br />

Alltag als Teamchef.<br />

16 PROCYCLING | FEBRUAR 2019


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PROLOG<br />

DAS SIND DIE<br />

KILOMETERFRESSER 2018<br />

Welcher Profi hat 2018 die meisten Jahreskilometer auf Strava gesammelt?<br />

Text Werner Müller-Schell<br />

© Photo Pool NV by Luc Claessen/Getty Images<br />

Stolze 35.492 Kilometer. Diese<br />

Strecke legte der Däne Michael<br />

Valgren in der Saison 2018<br />

auf seinem Arbeitsgerät zurück. Der<br />

26-Jäh rige aus dem Astana-Team,<br />

der im abgelaufenen Jahr unter anderem<br />

das Amstel Gold Race gewinnen<br />

konnte, ist damit der fleißigste Radprofi<br />

2018 – zumindest, wenn es<br />

nach Strava geht. Da inzwischen über<br />

150 Radprofis auf der Online-Platt -<br />

form registriert sind und regelmäßig<br />

ihre Einheiten und GPS-Tracks hochladen,<br />

haben wir, wie in den Vorjahren,<br />

eine Rangliste der fleißigsten<br />

Online-Kilometerfresser erstellt und<br />

deren Fahrten zugleich analysiert.<br />

Hinter Valgren, der bereits 2017<br />

unser Ranking gewonnen hatte (damals<br />

noch mit 33.908 Kilometern),<br />

landeten der Italiener Marco Frapporti<br />

(35.265 Kilometer, Team<br />

Androni Giocattoli) und der Belgier<br />

Oliver Naesen (33.984,8 Kilometer,<br />

AG2R) auf den Rängen zwei und<br />

drei. Auch Naesen hatte sich im<br />

Vorjahr mit 33.687 Kilometern bereits<br />

als Kilometerfresser präsentiert.<br />

Die deutschen Fahrer hatten<br />

in dieser Saison dagegen nichts mit<br />

der Vergabe der Topplätze zu tun.<br />

Marcus Burghardt brachte es als<br />

„Fleißigster“ auf 28.648 Strava-<br />

Kilometer, landete damit aber nicht<br />

einmal unter den besten 15 der internationalen<br />

Elite.<br />

Der Däne Michael Valgren<br />

legte laut Strava 2018 mit<br />

knapp 35.500 Kilometern<br />

die meisten Jahreskilometer<br />

im Peloton zurück.<br />

18 PROCYCLING | FEBRUAR 2019


PROLOG<br />

DISTANZ VS. HÖHENMETER<br />

Aus sportlicher Sicht sind allerdings<br />

nicht nur die Trainingskilometer<br />

der Profis interessant. Die weiteren<br />

Kenngrößen Trainingsdauer, Höhenmeter<br />

und Anzahl der Einheiten<br />

zeigen, auf welchem Terrain und wie<br />

intensiv die jeweiligen Fahrer unterwegs<br />

waren. So ist der Australier<br />

Jack Haig (Mitchelton-Scott) zwar<br />

nur Zwölfter in Sachen Kilometern<br />

(32.230), aber mit 522.500 Höhenmetern<br />

der Profi, der am meisten<br />

in den Bergen unterwegs war. Der<br />

einzige weitere Topprofi mit über<br />

500.000 Höhenmetern war Astana-Fahrer<br />

Davide Villella (Italien),<br />

der es auf 501.123 Meter brachte.<br />

Villella brauchte dafür aber bereits<br />

33.791 Kilometer. Der „König der<br />

Ebene“ war 2018 der Belgier Iljo<br />

Keisse (Quick-Step). Bei 33.121 Kilometern<br />

kam er gerade einmal auf<br />

220.367 Höhenmeter.<br />

Die mit Abstand meisten Einheiten<br />

fuhr Marco Frapporti, dessen<br />

Kilometer sich auf 430 Radfahrten<br />

aufteilen – ein Schnitt von 82 Kilometern<br />

pro Ausfahrt. Sieger hier ist<br />

der Belgier Thomas De Gendt (Lotto<br />

Soudal): Mit 32.028 Kilometern ist<br />

er zwar nur 14. im Kilometer-Ranking,<br />

allerdings brauchte er dafür<br />

auch nur 279 Einheiten. Damit legt<br />

De Gendt jedes Mal, wenn er sich auf<br />

den Sattel schwingt, durchschnittlich<br />

115 Kilometer zurück.<br />

Der Deutsche Marcus<br />

Burghardt brachte es 2018 auf<br />

rund 28.600 Kilometer.<br />

FAHRER KILOMETER TRAININGSZEIT HÖHENMETER RADFAHRTEN<br />

1 Michael Valgren (Den, Astana) 35.492 km 1.109 h 44 min 480.976 m 377<br />

2 Marco Frapporti (Ita, Androni) 35.265 km 1.116 h 27 min 424.913 m 430<br />

3 Oliver Naesen (Bel, AG2R) 33.984,8 km 974 h 20 min 317.904 m 340<br />

4 Davide Villella (Ita, Astana) 33.791,8 km 1.039 h 48 min 501.123 m 330<br />

5 Niki Terpstra (Ned, Direct Énergie) 33.653,9 km 997 h 42 min 227.694 m 351<br />

6 Iljo Keisse (Bel, Quick-Step) 33.121,2 km 950 h 26 min 220.367 m 366<br />

7 Michal Kwiatkowski (Pol, Sky) 33.068,3 km 1.032 h 36 min 471.662 m 337<br />

8 Michael Woods (Can, EF Education) 32.518,0 km 1.040 h 14 min 447.567 m 320<br />

9 Damiano Caruso (Ita, CCC) 32.508,2 km 1.010h 54min 437.860 m 325<br />

10 Robert Gesink (Ned, LottoNL) 32.489,7 km 1.037 h 37 min 448.655 m 350<br />

11 Marco Marcato (Ita, UAE) 32.321,1 km 982 h 29 min 402.861 m 328<br />

12 Jack Haig (Aus, Mitchelton-Scott) 32.230,2 km 1.034 h 48 min 522.500 m 330<br />

13 Silvan Dillier (Swi, AG2R) 32.209,9 km 1.010 h 1 min 425.741 m 295<br />

14 Thomas De Gendt (Bel, Lotto Soudal) 32.028,3 km 980 h 42 min 407.463 m 279<br />

15 Laurens Ten Dam (Ned, Sunweb) 31.951,8 km 993 h 45 min 293.298 m 330<br />

16 Marcus Burghardt (Ger, Bora) 28.648,7 km 885 h 45 min 350.167 m 276<br />

Unser Strava-Jahreskilometer-Ranking 2018. Gewertet wurden alle Einheiten vom 1. Januar bis 31. Dezember. Zudem zählen nur<br />

GPS-Fahrten. Das Ranking kann unvollständig sein, da viele Profis ihre Schlüsseleinheiten sowie wichtige Rennen oft nicht auf das<br />

Portal hochladen. Hinzu kommt, dass zahlreiche Athleten nur mit Spitznamen auf der Online-Plattform registriert sind und so nicht<br />

aufgefunden werden können. Gewertet wurden nur Sportler aus WorldTour- und ProfessionalContinental-Teams.<br />

© Bora–hansgrohe/VeloImages<br />

FEBRUAR 2019 | PROCYCLING 19


„GENAU SO WILL<br />

ICH ARBEITEN“<br />

Nach zwei mageren Jahren bei Katusha-Alpecin fährt Tony Martin ab<br />

2019 für die niederländische Equipe Jumbo-Visma – und will sich dort<br />

auf alte Stärken besinnen, um große Ziele zu erreichen. Wir sprachen<br />

den mehrfachen Zeitfahrweltmeister kurz vor dem Jahreswechsel,<br />

als er mit seinem neuen Team im spanischen Girona trainierte.<br />

Interview Chris Hauke<br />

Tony, lass uns zu Beginn kurz auf 2018<br />

zurückschauen. Wie würdest du das<br />

Jahr für dich beschreiben? Gab es spezielle<br />

Wende- oder Knackpunkte?<br />

Tony Martin: Ich bin mit sehr viel Motivation gestartet<br />

und hatte gehofft, dass die Fehler aus<br />

2017 erkannt und entsprechend ausgebessert<br />

wurden und dass 2018 besser laufen würde. Aber<br />

der Stein ist nicht wirklich ins Rollen gekommen.<br />

Es gab ein paar Baustellen – meinerseits und auch<br />

seitens des Teams –, die wir einfach nicht beheben<br />

konnten. Das Paket hat am Ende einfach<br />

nicht mehr gestimmt. Irgendwo war der Wurm<br />

drin – ohne jetzt explizit sagen zu können, warum.<br />

Der einzige wirkliche Lichtblick war der<br />

zweite Platz beim langen Giro-Zeitfahren, wo ich<br />

nach längerer Zeit mal wieder in die Weltspitze<br />

reinfahren konnte. Aber der Rest ist ausgeblieben.<br />

Ich denke, dass ich bei der Tour richtig gut in<br />

Form war und sicherlich hinten raus ein bisschen<br />

was hätte zeigen können, aber dort kam dann der<br />

Sturz dazwischen [Tony musste das Rennen nach<br />

der 8. Etappe aufgrund einer Wirbelkörperkompressionsfraktur<br />

aufgeben und fiel danach lange<br />

aus], dementsprechend war die Saison nach hinten<br />

raus ein bisschen zäh. Aber das soll keine<br />

Ausrede sein. Ich habe mir vorher auf jeden Fall<br />

wesentlich mehr erwartet.<br />

Das ist richtig. Das Schöne dabei war, dass Robert<br />

auf mich zugekommen ist. Und nicht andersrum.<br />

Das Team hatte ihm mitgeteilt,<br />

dass es dich gerne verpflichten würde.<br />

Robert ist ein ganz feiner Kerl, wir kennen uns<br />

schon seit Jahren und sind bereits in der U23 zusammen<br />

gefahren. Er hat gehört, dass das Team<br />

an mir Interesse hat, und mich absolut uneigennützig<br />

kontaktiert, als ich nach dem Tour-Sturz<br />

in der Reha war. Ohne im Namen des Teams zu<br />

sprechen oder mich zu irgendwas zu drängen, hat<br />

er mir zu Jumbo geraten, da er mich als Fahrertyp<br />

kennt und weiß, was ich will – und natürlich<br />

auch, wie das Team arbeitet und was es mir bieten<br />

kann. Wir haben ein sehr langes Gespräch gehabt,<br />

für das ich ihm sehr dankbar bin. Das war wirklich<br />

das Zünglein an der Waage.<br />

Stand Lotto zu diesem Zeitpunkt auf<br />

deiner Liste möglicher Arbeitgeber?<br />

Ich sage es mal so: Ich war immer ein heimlicher<br />

Bewunderer ihrer Performance. Es ist ja bekannt,<br />

dass sie nicht das Team mit dem größten Bud-­<br />

get waren oder sind, aber sie haben einfach das<br />

Beste aus den Möglichkeiten gemacht. Und eigentlich<br />

sogar noch mehr. Ja, sie standen auf<br />

meiner Liste – ohne dass der Kontakt direkt von<br />

mir ausging.<br />

Was hat dich abgehalten?<br />

Ich dachte, die Mannschaft ist so gut aufgestellt,<br />

dass vielleicht gar kein Interesse besteht und ich<br />

nicht unbedingt das fehlende Glied bin. Doch das<br />

Team hat mir genau das mitgeteilt – vor allen Dingen<br />

in Richtung Mannschaftszeitfahren, wo die<br />

Klassementfahrer immer wieder Zeit liegen lassen,<br />

die sie dann auch teilweise in den Bergen nicht<br />

mehr einholen können, etwa bei der Tour 2018<br />

[Lotto verlor auf der 3. Etappe eine Minute und<br />

elf Sekunden auf Sky, Primož Roglic fehlte am<br />

Ende knapp eine Minute auf Chris Froome und<br />

damit zum Podium]. Ich habe mich natürlich sehr<br />

gefreut, dass das Team nach einem nicht gerade<br />

optimalen Jahr Interesse an mir zeigt, und war da<br />

sehr schnell auch Feuer und Flamme. Wir sind<br />

uns auch ziemlich schnell einig geworden.<br />

Wann war denn klar, dass du nicht bei<br />

Katusha bleiben wirst? Schon vor der Tour?<br />

[Pause] Nein. Ich wollte die Tour auf jeden Fall<br />

noch abwarten und schauen, wo die Entwicklung<br />

2019 gehst du für Jumbo-Visma, das ehemalige<br />

Team LottoNL–Jumbo, an den Start.<br />

Ausgangspunkt war ein Gespräch mit Robert<br />

Wagner, der sechs Jahre dort gefahren ist.<br />

„ICH HABE MICH SEHR GEFREUT, DASS DAS TEAM NACH<br />

EINEM NICHT GERADE OPTIMALEN JAHR INTERESSE AN MIR<br />

ZEIGTE, UND WAR SEHR SCHNELL FEUER UND FLAMME.“<br />

20 PROCYCLING | FEBRUAR 2019


© Roth-Foto<br />

FEBRUAR 2019 | PROCYCLING 21


TONY MARTIN<br />

© Luc Claessen/Getty Images<br />

von Katusha während des Rennens hingeht. Die<br />

Story mit Marcel [Sportdirektor Dimitri Konyshew<br />

warf Kittel öffentlich Egoismus vor] hat dann<br />

nicht gerade fürs Team gesprochen.<br />

Und damit stand für dich fest, dass ihr<br />

nicht weiter miteinander arbeiten würdet?<br />

Ich sage es mal so: Die Gespräche sind nie so weit<br />

gekommen, dass mir das Team einen Vertrag hätte<br />

vorlegen können. Das Interesse auf beiden Seiten<br />

war nicht mehr gegeben. So würde ich es mal<br />

beschreiben, ohne eine Wertung zu geben. Ich<br />

denke, das Team hat erkannt, dass ich nicht ins<br />

Team passe. Und auch ich habe erkannt, dass ich<br />

nicht ins Team passe. Es war ein bisschen wie<br />

eine einvernehmliche Trennung.<br />

Schauen wir nach vorne. Jumbo-Visma hat<br />

in den vergangenen Jahren einen großen<br />

Schritt gemacht und mit Steven Kruijswijk,<br />

Dylan Groenewegen oder Primož Roglic echte<br />

Hochkaräter in seinen Reihen. Auch wenn<br />

es hierzulande bislang etwas unter dem Radar<br />

der breiten Öffentlichkeit geblieben ist,<br />

handelt es sich um ein absolutes Topteam.<br />

Das ist richtig. Der Ansatz passt auch ganz gut zu<br />

meiner Persönlichkeit. Ich finde es einfach cool,<br />

wenn man liefert, ohne immer die große Welle zu<br />

machen. Das erlebe ich auch jetzt, wo ich das<br />

Team ein bisschen näher kennenlerne: Es wird<br />

sehr ruhig und konzentriert gearbeitet, ohne dass<br />

man jede Kleinigkeit und Innovation in den Medien<br />

rausbläst. Das kommt mir absolut entgegen. Ich<br />

bin auch eher ein ruhiger Typ, der in sich gekehrt<br />

ist und gerne fokussiert arbeitet, ohne das unbedingt<br />

mit allen teilen zu müssen. Du hast völlig<br />

recht: Das Team ist unauffällig, aber extrem erfolgreich.<br />

Genau so will ich auch arbeiten.<br />

Mit Paul Martens, der seit 2008 dabei ist,<br />

hast du einen weiteren Ansprechpartner. Ihr<br />

kennt euch auch schon ein bisschen länger …<br />

Wir sind bei den Junioren erst gegeneinander gefahren,<br />

dann in der U23-Nationalmannschaft<br />

miteinander und haben uns schließlich gegenseitig<br />

auf dem Weg ins Profilager begleitet. Das hat<br />

natürlich zusammengeschweißt. Dass ich mal<br />

mit ihm zusammen in einem Profiteam fahre, ist<br />

eine sehr coole Wende. Und klar, er ist für mich<br />

auf jeden Fall ein wichtiger Ansprechpartner,<br />

wenn es darum geht, ein bisschen hinter die Kulissen<br />

zu schauen oder Dinge zu verstehen, die<br />

für mich im Moment vielleicht noch ein bisschen<br />

befremdlich sind.<br />

Neben der ruhigen und konzentrierten<br />

Arbeitsweise – was ist dir bei Jumbo-Visma<br />

sonst bislang aufgefallen?<br />

Das klingt jetzt ein bisschen pathetisch, aber es<br />

ist wirklich eine Gruppe. Es gibt natürlich einen<br />

sehr hohen Anteil an Holländern, aber nicht diese<br />

Grüppchenbildung, die ich teilweise aus anderen<br />

Teams gewohnt bin. Teil einer großen Gruppe zu<br />

werden, ist sehr viel einfacher, als sich mit tausend<br />

kleinen Gruppen beschäftigen zu müssen.<br />

Wenn du etwa eine spanische Abteilung hast,<br />

eine italienische und dazu eine deutsche, ist es<br />

natürlich immer schwer, daraus ein Team zu formen.<br />

Das ist ein extremer Unterschied. Ansonsten<br />

muss ich extrem wenig Medien- und Commercial-Arbeit<br />

machen, was für ein Dezember-<br />

Trainingscamp echt unüblich ist. Ich habe immer<br />

ein bisschen Grauen vor diesen Camps gehabt,<br />

weil du das Training dort häufig radikal der ganzen<br />

Medienarbeit unterordnen musst. Hier hingegen<br />

haben wir viel Zeit für Training, die Medienarbeit<br />

wird deutlich reduziert. Ich kann mich<br />

also auf das Sportliche konzentrieren, was mir<br />

wiederum sehr weiterhilft. Ein weiterer großer<br />

Unterschied ist auf jeden Fall der Plan, der hinter<br />

dem Team steht – und das in allen Bereichen,<br />

vom Material über die Ernährung bis hin zur<br />

Rennplanung. Ich war in noch keinem Team,<br />

wo in allen Bereichen so optimiert wird und das<br />

Ganze am Ende dann in einen Plan mündet. Das<br />

ist schon extrem stark. Da ich ebenfalls ein kleiner<br />

Perfektionist bin, gefällt mir das sehr gut.<br />

Und da sieht man wieder, dass man auch in meinem<br />

Alter, nach über zehn Jahren im Profiradsport,<br />

nicht auslernt.<br />

Nachdem du bereits für große Teams wie<br />

HTC oder Quick-Step gefahren bist, ist das<br />

ein ziemlich dickes Kompliment für deine<br />

neuen Kollegen.<br />

Auf jeden Fall, aber ich kann das auch wirklich so<br />

sagen. Ich glaube, hier wird so gearbeitet, wie viele<br />

denken, dass es beim Team Sky abläuft. Allerdings<br />

vielleicht nicht ganz so unter Zwang, wie man es<br />

sich vorstellen mag. Es wird viel zur Verfügung gestellt,<br />

aber es ist jedem selber überlassen, ob er es<br />

annimmt oder nicht. Was ich vom aktuellen Stand<br />

sagen kann, ist: Es ist für mich das optimale Team.<br />

Wie sehen denn deine konkreten Pläne<br />

für die Saison 2019 aus?<br />

Ich werde mich von den Klassikern abwenden und<br />

zu meinem Rennprogramm aus der Zeit vor 2016<br />

zurückgehen, also die WorldTour-Rundfahrten<br />

im Frühjahr mitnehmen, von der Valencia-Rundfahrt<br />

Anfang Februar bis zur Tour de Romandie<br />

im Mai. Dort werde ich mich vor allem bei den<br />

Mannschaftszeitfahren als stützende Kraft für<br />

Primoz zur Verfügung stellen und dazu schauen,<br />

dass ich bei den Einzelzeitfahren vorne mit dabei<br />

bin. Ansonsten habe ich überwiegend eine helfende<br />

Rolle – was mir aber sehr gut gefällt, weil ich<br />

weiß, dass ich trotzdem eine extrem wichtige<br />

Pavé-Klassiker stehen vorerst nicht<br />

mehr auf Tony Martins Rennkalender.<br />

22 PROCYCLING | FEBRUAR 2019


TONY MARTIN<br />

Kraft bin, vor allem was das Mannschaftszeitfahren<br />

angeht.<br />

Welche deiner Fähigkeiten ist dabei<br />

die wichtigste?<br />

Ich war dreimal Weltmeister in dieser Disziplin,<br />

habe also sehr viel Erfahrung. Dazu merke ich,<br />

dass der Punch immer noch da ist. Aber man<br />

kann so stark sein, wie man will – wenn man<br />

niemanden hat, der die Zügel in die Hand nimmt<br />

und der ganzen Sache einen gewissen roten Faden<br />

gibt, dann nimmt man das Team eher auseinander,<br />

als dass man eine schnelle Zeit abliefert. Das<br />

Team ist in dieser Hinsicht extrem von mir überzeugt,<br />

was mich natürlich sehr freut. Es ist auf<br />

jeden Fall ein großes Ziel von mir, die Mannschaft<br />

dabei nach vorne zu bringen.<br />

Der Cottbuser auf dem<br />

Weg zum vorerst letzten<br />

WM-Titel im Zeitfahren<br />

2016. An solche Erfolge<br />

will Martin anknüpfen<br />

– im Einzel- und im Mannschaftswettkampf.<br />

Gibt es schon erste Resultate oder<br />

Erkenntnisse in dieser Richtung?<br />

Wir haben im Windkanal getestet und sind dabei<br />

zu sehr erfreulichen Ergebnissen gekommen –<br />

jetzt gar nicht mal, was das Material an sich angeht,<br />

sondern vor allem meine Position. Allerdings<br />

bin ich da immer ein bisschen verhalten positiv<br />

gestimmt, weil ich in dieser Hinsicht schon sehr<br />

viel mitgemacht habe. Scherzhaft gesagt: Nach<br />

den ganzen Verbesserungen brauche ich fast gar<br />

nicht mehr zu treten, um 50 Kilometer pro Stunde<br />

zu halten. Ich hoffe natürlich, dass sich diese<br />

Zahlen auf der Straße in guten Ergebnissen widerspiegeln.<br />

Aber die Voraussetzungen erst mal<br />

sind sehr gut.<br />

Du hast zwischen 2011 und 2016 vier<br />

WM-Titel im Einzelzeitfahren gewonnen<br />

– danach lief es allerdings nicht mehr so<br />

gut in dieser Disziplin.<br />

Die Entscheidung, in Belgien [bei den Klassikern]<br />

anzugreifen, kam ja auch aus dieser Dominanzstellung<br />

im Zeitfahren. Bis 2015 habe ich im Zeitfahren<br />

so ziemlich alles gewonnen, was es zu gewinnen<br />

gab. Selbst WorldTour-Etappensiege im<br />

Zeitfahren haben mich, bis vielleicht auf die Tour<br />

de France oder andere Grand Tours, damals nicht<br />

mehr sonderlich motivieren können. Deswegen gab<br />

es die Suche nach einer Alternative. Wenn man<br />

jedoch gar keine Siege mehr einfährt, sehnt man<br />

sich natürlich nach den alten Erfolgen. Ich würde<br />

mich freuen, daran wieder anknüpfen zu können.<br />

Sind die Klassiker für dich damit ein für<br />

alle Mal abgehakt?<br />

Wenn sich alles andere gut entwickelt, können wir<br />

vielleicht schauen, ob Paris–Roubaix nicht doch<br />

noch mal interessant ist. Die anderen Klassiker<br />

sind nicht unbedingt was für mich, höchstens<br />

vielleicht an einem richtig guten Tag und in einer<br />

perfekten Ausgangsposition, aber das ist eher ein<br />

Lotteriespiel. Bei Roubaix denke ich nach wie vor,<br />

dass es auf jeden Fall passt und dass man es vielleicht<br />

doch noch mal irgendwann ins Programm<br />

integrieren könnte. Aber zunächst einmal will ich<br />

den sicheren Weg gehen und versuche, mich wieder<br />

auf altbewährte Weise aufzubauen.<br />

Die Option, deinen Kapitän mit einer guten<br />

Leistung beim Zeitfahren auf das Podium<br />

einer Grand Tour bringen zu können, muss<br />

dabei doch zusätzlich motivieren.<br />

Das ist auch das erklärte Ziel des Teams: Wir wollen<br />

in Frankreich das Gelbe Trikot angreifen. Das<br />

war für mich ein weiterer Grund, zuzusagen – um<br />

an diesem Projekt teilhaben zu können. Ich war<br />

noch nie Teil einer Tour-Mannschaft mit Klassementfahrer.<br />

Das motiviert mich auf jeden Fall und<br />

ich denke, dass es ungeahnte Kräfte freimachen<br />

kann, wenn man für einen Tour-Kapitän fährt, der<br />

eventuell um das Gelbe Trikot mitkämpft.<br />

Hinzu kommt, dass die Karten nach dem<br />

Rückzug von Sky Ende 2019 vielleicht noch<br />

mal komplett neu gemischt werden. Das<br />

könnte mittelfristig eine ganz andere Perspektive<br />

eröffnen.<br />

Warten wir erst mal ab, ob nicht noch ein Nachfolgesponsor<br />

gefunden wird. Viele werden vielleicht<br />

jubeln, aber ich finde es immer traurig, dass<br />

im Radsport solche erfolgreichen Teams eventuell<br />

einfach dicht machen müssen. Auch Quick-Step<br />

musste sehr lange kämpfen, um überhaupt einen<br />

neuen Sponsor zu bekommen. Es ist schon sehr,<br />

sehr traurig, wenn im Sport nicht mehr die Erfolge<br />

zählen. Ich habe das damals bei HTC-Highroad<br />

selber mitgemacht: Wir waren mit das erfolgreichste<br />

Team und mussten [Ende 2011] trotzdem<br />

schließen. Es ist schon ein trauriges Zeugnis<br />

für den Radsport, dass du nicht mehr sagen<br />

kannst: Wir bringen die Erfolge, und dann kommen<br />

die Sponsoren. Das scheint ja nicht mehr in<br />

Relation zu sein, und das ist auf jeden Fall ein<br />

bedenklicher Trend.<br />

Da gebe ich dir völlig recht. Es geht eher<br />

um mögliche Optionen für andere Teams.<br />

Wir wollen nicht die Tour gewinnen, weil Sky<br />

dicht macht. Ich messe mich lieber mit den<br />

Stärksten, als mir im Nachhinein sagen zu<br />

müssen: Du warst ja nur die drittstärkste Kraft.<br />

Das wollte ich damit sagen. Ich liebe unseren<br />

Sport und kann keine Jubelhymnen anstimmen,<br />

wenn Sponsoren aussteigen. Ich wünsche Sky<br />

auf jeden Fall, dass da eine Nachfolgelösung gefunden<br />

wird.<br />

Zum Abschluss noch mal zurück zu deinen<br />

neuen, meist niederländischen Kollegen.<br />

Robert Gesink wohnt unweit der Grenze und<br />

spricht sehr gut deutsch. Wie sieht es mit<br />

dem Rest aus?<br />

Ich spreche mit einigen Fahrern deutsch. Robert<br />

ist darin perfekt, dazu gibt es noch drei, vier<br />

andere, die das sehr gut können. Aber wenn<br />

25 Sportler am Tisch sitzen, wird auf jeden Fall<br />

holländisch gesprochen und nicht permanent<br />

englisch. Das ist dann doch ein Unterschied. Bis<br />

jetzt war ich mehr in internationalen Teams.<br />

Jumbo-Visma hingegen ist stolz auf seine holländische<br />

DNA. Da werde ich mich anpassen müssen<br />

– und auch wollen, denn ich sehe das als<br />

Chance, noch mal eine neue Sprache zu lernen.<br />

Ich werde es sicherlich nicht perfekt lernen, aber<br />

ich möchte schon irgendwann so weit sein, den<br />

Gesprächen folgen zu können.<br />

© Tim De Waele/Getty Images<br />

FEBRUAR 2019 | PROCYCLING 23


VOR DEM<br />

DURCHBRUCH?<br />

2019 startet Nico Denz in seine fünfte Profisaison –<br />

und schickt sich dabei an, eine neue deutsche Hoffnung bei den<br />

Eintagesrennen zu werden. Dass der 24-Jährige aus den Reihen von<br />

AG2R La Mondiale trotz seines Talents bisher nur selten im Rampenlicht stand,<br />

liegt an seinem besonderen Karriereweg.<br />

Text Werner Müller-Schell<br />

24 PROCYCLING | FEBRUAR 2019


© Luc Claessen/Getty Images<br />

FEBRUAR 2019 | PROCYCLING 25


NICO DENZ<br />

Nur haarscharf schrammt Denz auf der<br />

zehnten Etappe des Giro 2018 an seinem<br />

ersten Grand-Tour-Tagessieg vorbei.<br />

© Tim de Waele/Getty Images (oben), Kei Tsuji/Getty Images<br />

Es sind noch rund 30 Kilometer bis ins Ziel,<br />

als das Finale der zehnten Etappe des Giro<br />

d’Italia 2018 eingeläutet wird. Auf dem<br />

Weg in das kleine Städtchen Gualdo Tadino folgt<br />

eine Attacke auf die nächste, und als wären die<br />

244 Kilometer Gesamtdistanz und die zahlreichen<br />

giftigen, kurzen Anstiege durch die umbrische<br />

Hügellandschaft nicht genug gewesen, hat<br />

es wenige Minuten zuvor stark zu regnen begonnen.<br />

In Führung liegen der Italiener Davide Villella<br />

(Astana) und der Slowene Matej Mohoric, als<br />

sich ein junger Profi aus den Reihen von AG2R La<br />

Mondiale ein Herz fasst und in der kurvigen, regennassen<br />

Abfahrt von Annifo hinunter in Richtung<br />

Tagesziel aus dem Feld heraus attackiert.<br />

Es sind nur 200 Höhenmeter hinab ins Tal, doch<br />

für den erst 24-jährigen Nico Denz werden sie zu<br />

einer Startrampe seiner noch jungen Karriere.<br />

Schnell legt er einige Meter zwischen sich und<br />

das Peloton – und stellt wenige Kilometer später<br />

den Anschluss an die Spitze her. 25 Sekunden<br />

befindet sich das Trio nun vor dem Feld – und das<br />

20 Kilometer vor dem Ziel. Das Tempo ist hoch,<br />

besonders Mohoric, immerhin bereits dekorierter<br />

Vuelta-Etappensieger, attackiert immer wieder.<br />

Villella, Gewinner der Bergwertung der Spanien-<br />

Rundfahrt des Vorjahres, kann den Angriffen des<br />

Slowenen bald nicht mehr folgen – Denz kontert<br />

allerdings jede Attacke. „Ich wollte unbedingt am<br />

Hinterrad bleiben – so nah an einem großen Sieg<br />

war ich schließlich noch nie“, wird er später sagen.<br />

Und tatsächlich: Weder Villella noch das Peloton<br />

können das Duo bis auf die Zielgerade noch einfangen<br />

– es kommt zum Sprint. Denz zieht aus<br />

dem Windschatten von Mohoric, als die Regentropfen<br />

den beiden Profis ins Gesicht und die<br />

Jubelschreie der Zuschauer sie frenetisch nach<br />

vorne peitschen. Ein paar Sekunden spurten sie<br />

direkt nebeneinander – doch am Ende ringt der<br />

Slowene seinen Begleiter nieder. Etappensieg für<br />

Mohoric, Denz bleibt Rang zwei.<br />

„Ich habe auf den letzten Kilometern schon<br />

geahnt, dass er stärker als ich ist. Ich wollte trotzdem<br />

alles versuchen“, erklärt Denz direkt nach<br />

dem Rennen geknickt den Reportern. Für den<br />

jungen Deutschen aus dem unmittelbar an der<br />

Schweizer Grenze liegenden Städtchen Waldshut-Tiengen<br />

ist der zweite Etappenplatz beim Giro<br />

dennoch ein Achtungserfolg, der ihn erstmals in<br />

seiner Profikarriere ins Rampenlicht der internationalen<br />

Radsportpresse befördert. „Man hat gesehen,<br />

dass ich auch auf Sieg fahren kann, wenn ich<br />

die Gelegenheit dazu bekomme. Das war für mich<br />

extrem wichtig“, erzählt er im <strong>Procycling</strong>-Interview<br />

und spielt damit auch auf seine erfolgreiche<br />

zweite Saisonhälfte 2018 an: Bei der Europameisterschaft<br />

in Glasgow im August verpasst er<br />

im ebenfalls verregneten Straßenrennen eine Medaille<br />

nur aufgrund eines unglücklichen Sturzes<br />

im Finale und beim französischen Halbklassiker<br />

Tour de Vendée im Oktober feiert er seinen ersten<br />

Profisieg. „2018 war für mich ein richtig gutes<br />

Jahr“, freut sich Denz.<br />

KARRIERESTART IN FRANKREICH<br />

Seit Sommer 2015 ist Denz Radprofi im Trikot<br />

der französischen Equipe AG2R La Mondiale –<br />

und geht damit in diesem Jahr trotz seines verhältnismäßig<br />

jungen Alters von 24 Jahren bereits<br />

in seine fünfte WorldTour-Saison. Dass vor seinem<br />

Auftritt beim Giro d’Italia dennoch nur ausgewiesene<br />

Radsportexperten sein Potenzial<br />

kannten, liegt an seinem besonderen Karriere -<br />

weg: Während die meisten Profis aus Deutschland<br />

sich über heimische Nachwuchsmannschaften<br />

für größere Aufgaben empfehlen, steht der<br />

Südschwarzwälder seit der U23-Kategorie ausschließlich<br />

in Frankreich, abseits der deutschen<br />

Öffentlichkeit, unter Vertrag: zuerst für die<br />

U23-Division Chambéry Cyclisme Formation,<br />

welche das Nachwuchsteam des Profirennstalls<br />

Nico Denz im Trikot der AG2R-Equipe.<br />

Vor dem Saisonstart blickt der 24-Jährige<br />

auf sein bis dato bestes Profijahr zurück.<br />

AG2R verkörpert, später für die AG2R-Equipe<br />

der Elite. „Frankreich hat mir einfach die besten<br />

Chancen geboten. In meinem Jahrgang versammeln<br />

sich Fahrer wie Pascal Ackermann, Phil<br />

Bauhaus, Maximilian Schachmann oder Max<br />

Walscheid – entsprechend war ich damals in der<br />

U19 kein Überflieger, sondern eher einer aus der<br />

zweiten Reihe. Als ich dann Ende 2012 das An-<br />

26 PROCYCLING | FEBRUAR 2019


NICO DENZ<br />

BEIM GIRO D’ITALIA IM<br />

LETZTEN JAHR HAT MAN<br />

GESEHEN, DASS ICH AUCH<br />

AUF SIEG FAHREN KANN,<br />

WENN ICH DAZU DIE<br />

GELEGENHEIT BEKOMME.<br />

gebot bekam, nach Chambéry zu wechseln, habe<br />

ich keine Sekunde gezögert, mein Auto vollgeladen<br />

und bin losgefahren“, erinnert sich Denz, der<br />

in den Nachwuchsklassen dennoch zahlreiche<br />

baden-württembergische Meistertitel sowie mehrere<br />

Medaillen bei deutschen Titelkämpfen sammeln<br />

konnte.<br />

Dass er die vielen Erfolge seiner U17- und<br />

U19-Zeiten nur in einem Nebensatz erwähnt,<br />

liegt daran, dass Denz eher ein ruhiger Typ ist,<br />

bodenständig und bescheiden – das fällt im Interview<br />

direkt auf. In seinen ersten Jahren in Frankreich<br />

kommt eine weitere Qualität hinzu, die ihn<br />

auszeichnet: Zielstrebigkeit. Als er 2013, gerade<br />

einmal 19 Jahre jung, in Chambéry sein erstes<br />

Trainingslager absolviert, trifft er auf eine Gruppe<br />

hoch motivierter und bereits am Ende des Winters<br />

austrainierter französischer Nachwuchshoffnungen<br />

wie etwa seinen heutigen Teamkollegen<br />

Pierre Latour. Denz hat Respekt, lässt sich aber<br />

dennoch nicht beirren. Er schreibt sich für ein<br />

Sprachstudium ein, um schnell Anschluss zu<br />

finden, und lernt – auch auf der Rennstrecke. In<br />

Frankreich, schildert Denz, liefen die Rennen auf<br />

einem anderen Niveau als in Deutschland ab. „Die<br />

fahren schon im Februar wie die Irren, 200 Kilometer<br />

Attacke“, lacht er. „Insgesamt ist die Leistungsdichte<br />

deutlich höher und auch die Struktur<br />

ist deutlich breiter aufgestellt als bei uns.“<br />

Der junge Deutsche geht dennoch seinen Weg<br />

– und er steigert sich. Gegen Ende des ersten<br />

U23-Jahres gewinnt er seine ersten Rennen und<br />

in der zweiten Saison in Chambéry folgen auch<br />

die erhofften größeren Siege. Sogar bei einem der<br />

begehrten Coupe-de-France-Rennen darf er jubeln<br />

und mit der Tour de l’Ardèche Méridionale<br />

gewinnt er seine erste Rundfahrt. Denz, der bereits<br />

zu diesem Zeitpunkt fließend französisch<br />

spricht, ist in Frankreich angekommen – und hat<br />

mit seinem Ehrgeiz und seiner zielstrebigen Arbeitsweise<br />

auch das Teammanagement überzeugt:<br />

Ende 2014 bieten ihm die Verantwortlichen<br />

um Vincent Lavenu einen Vorvertrag für die<br />

kommende Saison an. 2015 bestreitet Denz im<br />

Frühjahr noch die Amateurrennen in Frankreich,<br />

im Sommer wechselt er mit gerade einmal 21 Jahren<br />

schließlich endgültig ins Profilager.<br />

START IN DIE HELFERROLLE<br />

Geschenkt wird ihm bei den Profis dennoch<br />

nichts. Während deutsche Jahrgangskollegen wie<br />

Maximilian Schachmann bereits in ihrem ersten<br />

Profijahr als kommende Siegfahrer gelten und von<br />

ihren Teams früh auf ihre heutigen Leaderrollen<br />

vorbereitet werden, muss sich Denz bei AG2R La<br />

Mondiale seine Sporen als Helfer verdienen – eine<br />

Rolle, in der er sich allerdings durchaus wohlfühlt.<br />

„Seit ich Rad fahre, war es mir immer wichtig,<br />

dass der Spaß beim Sport an erster Stelle steht.<br />

Und das kann auch durchaus der Fall sein, wenn<br />

ich ein Rennen vorzeitig beenden muss, zuvor<br />

aber meinen Teil zu einem guten Mannschaftsergebnis<br />

beigetragen habe. Für Kapitäne wie Romain<br />

Bardet oder Oliver Naesen stecke ich gerne<br />

zurück“, meint er. Bei AG2R weiß man diese zuverlässige<br />

Einstellung zu schätzen: Denz, der „am<br />

liebsten lange, harte Rennen mag“, wird bald fester<br />

Bestandteil der Klassiker-Equipe der Franzosen<br />

und steht bereits 2016 unter anderem bei der<br />

Flandern-Rundfahrt und Paris–Roubaix am Start.<br />

Doch gerade als er sich als Helfer zu etablieren<br />

scheint, erlebt Denz 2017 ein „Jahr zum Vergessen“,<br />

wie er rückblickend sagt. Nach einem guten<br />

Start beim französischen Etappenrennen Étoile<br />

de Bessèges wird er krank. Da sein Team allerdings<br />

seine Helferdienste benötigt, unterdrückt er<br />

die Erkältung mit Antibiotika und fährt trotzdem<br />

weiter - ein schwerwiegender Fehler, wie er bald<br />

feststellen muss. „Ich habe die Klassiker zwar bis<br />

zum Ende durchgezogen, aber besser ging es mir<br />

davon natürlich nicht. Es war eher so, dass mich<br />

die Krankheit so zermürbt hat, dass ich das ganze<br />

restliche Jahr nicht mehr in Schwung gekommen<br />

bin.“ Den größten Rückschlag der Saison erlebt<br />

er letztlich bei der Spanien-Rundfahrt: Auf der<br />

15. Etappe wird er dabei erwischt, wie er sich an<br />

einem Begleitfahrzeug festhält und einen An-<br />

Eine Stärke von Denz sind unter anderem<br />

technisch schwierige Abfahrten – das<br />

beweist er beispielsweise beim Giro 2018.<br />

© Tim de Waele/Getty Images<br />

FEBRUAR 2019 | PROCYCLING 27


NICO DENZ<br />

© Vincent Curutchet<br />

28 PROCYCLING | FEBRUAR 2019


NICO DENZ<br />

Die AG2R-Equipe beim Training. In Frankreich<br />

fühlt sich Denz so wohl, dass er seit<br />

seiner U23-Zeit dort unter Vertrag steht.<br />

Bei der Straßen-EM 2018 in Glasgow<br />

zählt der Deutsche zu den Stärksten im<br />

Feld. Ein Sturz im Finale macht aber alle<br />

Podiumshoffnungen zunichte.<br />

stieg hinaufziehen lässt. Die Folge: Disqualifikation.<br />

„Ein absoluter Tiefpunkt und ein Fehler, der<br />

mir nicht noch mal passiert“, gibt Denz, der sich<br />

von vielen Seiten großer Kritik ausgesetzt sieht,<br />

heute zu. „Es gibt dafür keine Entschuldigung, es<br />

war falsch und völlig unnötig. Am Ende der Etappe,<br />

nach zwei harten Vuelta-Wochen, durch die<br />

ich mich trotz Bronchitis gekämpft habe, habe ich<br />

mich dazu hinreißen lassen. Es war ein Fehler<br />

und ich bereue es.“<br />

WIEDERGUTMACHUNG & TALENTPROBE<br />

Das Team vertraut ihm in dieser schwierigen Zeit<br />

dennoch weiter – und stattet ihn mit einem neuen<br />

Zwei-Jahres-Vertrag aus. 2018 steht für den<br />

AG2R-Profi deshalb vor allem unter einem Stern:<br />

die zweite Chance nutzen und Wiedergutmachung<br />

leisten. „Ich möchte wieder zurückkommen,<br />

um zu zeigen, dass dieses Verhalten nicht<br />

meinen Werten entspricht und ich sportlich fair<br />

meine Leistung bringen kann – so wie ich es zuvor<br />

auch immer getan habe“, erklärt er vor dem Saisonstart.<br />

Und Denz hält Wort: Nach einem frühen<br />

Saisonstart bei der Tour Down Under fährt er<br />

bis Paris–Roubaix alle wichtigen belgischen und<br />

französischen Klassiker – und nimmt seine gute<br />

Form mit in den Giro d’Italia. Dort beweist er sein<br />

Talent nicht nur mit seinem zweiten Tagesrang<br />

auf jener zehnten Etappe von Penne nach Gualdo<br />

Tadino, sondern mit einer rundum starken Vorstellung.<br />

Mehrfach zeigt sich Denz in der Offensive,<br />

auch auf der letzten Etappe nach Rom sieht<br />

man ihn in der Spitzengruppe.<br />

Denz lässt aufhorchen – auch weil seine Leistungen<br />

auf dem Stiefel keine Eintagsfliege sind.<br />

Nach einer langen Sommerpause knüpft er an<br />

die Leistungen beim Giro an und schrammt bei<br />

der Europameisterschaft in Glasgow nur haarscharf<br />

an einer Sensation vorbei: In einem extrem<br />

schweren, von Regen und Kälte gezeichneten<br />

Straßenrennen ist er einer der Initiatoren der finalen<br />

Spitzengruppe: zehn Mann, die um die<br />

Medaillen kämpfen. Doch zehn Kilometer vor<br />

dem Ziel stürzt der vor Denz fahrende Niederländer<br />

Maurits Lammertink auf der rutschigen Fahrbahn<br />

in die Absperrungsgitter – er selbst kann<br />

nicht mehr ausweichen und stürzt ebenfalls. Zwar<br />

steht er schnell wieder auf, doch die anderen Fahrer<br />

warten nicht mehr – am Ende wird Denz nur<br />

Neunter und ist unter Wert geschlagen. „Meine<br />

erste Reaktion war natürlich blanke Enttäuschung.<br />

Ich fühlte mich richtig gut und muss wohl<br />

immer noch ein bisschen auf das ganz große Ding<br />

warten. Dennoch möchte ich auch das Positive<br />

hervorheben: Ich bin endlich dort angekommen,<br />

wo ich immer hin wollte. Ich kann im Finale eines<br />

richtig schweren Rennens mittlerweile auch ein<br />

Wörtchen mitreden und es ist nur noch eine Fra -<br />

ge der Zeit, bis es dann endlich mal klappt“, hofft<br />

er. Ein wahres Wort: Nur sechs Wochen später<br />

gelingt Denz nämlich zumindest ein „kleines<br />

großes Ding“: Beim französischen Halbklassiker<br />

Tour de Vendée prägt er weite Teile des Rennens<br />

und holt am Ende im Sprint aus einer Spitzengruppe<br />

heraus seinen ersten Saisonsieg – es ist<br />

der goldene Abschluss eines Jahres, in dem der<br />

24-Jährige nicht nur Wiedergutmachung für seinen<br />

Fehler bei der Spanien-Rundfahrt betrieben<br />

hat, sondern auch mehr als nur einmal sein Talent<br />

hat aufblitzen lassen.<br />

Die Formkurve zeigt bei Nico Denz also deutlich<br />

nach oben und nicht wenige Experten trauen<br />

dem in Frankreich fahrenden Deutschen aus<br />

Waldshut-Tiengen, der bis dato nur selten im<br />

Rampenlicht der internationalen Radsportszene<br />

gestanden ist, 2019 eine weitere Leistungssteigerung<br />

zu. Denz selbst geht jedenfalls motivierter in<br />

die Saison denn je: Im Vorfeld der Tour Down Under<br />

sammelte er in Spanien und Australien zahlreiche<br />

Grundlagenkilometer. Und nach weiteren<br />

IN DIESEM JAHR WILL ICH<br />

ZUERST BEI DEN KLASSIKERN<br />

EINEN GUTEN JOB FÜR<br />

OLIVER NAESEN MACHEN –<br />

DANN SCHAUEN WIR,<br />

WIE ES WEITERGEHT.<br />

Renneinsätzen sollen in den kommenden Wochen<br />

erneut die Frühjahrsklassiker und, wie im Vorjahr<br />

auch, wieder der Giro d’Italia auf dem Programm<br />

stehen. Nach seiner starken vergangenen Saison<br />

wird AG2R seinem deutschen Nachwuchsfahrer<br />

dabei sicherlich deutlich mehr Gelegenheiten bieten,<br />

auf eigene Kappe zu fahren, als bisher – auch<br />

wenn der sich gewohnt zurückhaltend zeigt: „Zuerst<br />

will ich bei den Klassikern einen guten Job<br />

für meinen Kapitän Oliver Naesen machen – dann<br />

schauen wir, wie es weitergeht“, wiegelt er bescheiden<br />

ab. Dass 2019 die nächsten Siege kommen<br />

werden, ist dem jungen Nico Denz dennoch<br />

durchaus zuzutrauen. Denn dass die großen Erfolge<br />

nur noch ein paar Zentimeter entfernt sind,<br />

hat er im vergangenen Jahr nicht nur auf der verregneten<br />

zehnten Etappe des Giro d’Italia bewiesen<br />

– auf jenem 244 Kilometer langen Teilstück<br />

durch die umbrische Hügellandschaft, als er sich<br />

ein Herz gefasst und trotz seiner angestammten<br />

Helferrolle die Gunst der Stunde für eine Attacke<br />

im Finale genutzt hat.<br />

© Dan Istitene/Getty Images<br />

FEBRUAR 2019 | PROCYCLING 29


ALLESKÖNNERIN<br />

Hinter der Allgäuerin Lisa Brennauer liegt ein turbulentes Jahr: Sowohl auf der<br />

Bahn als auch auf der Straße fuhr sie große Erfolge ein, dennoch stand<br />

die 30-Jährige am Ende fast mit leeren Hände da, als ihr Team Wiggle High5<br />

den Betrieb einstellte. <strong>Procycling</strong> gegenüber hat sie erzählt, was sie dort gelernt<br />

hat und in ihre neue Equipe WNT-Rotor einbringen will.<br />

Interview Chris Hauke<br />

© Luc Claessen/Getty Images<br />

Lisa, bevor wir uns deinem neuen Team<br />

WNT-Rotor widmen, kurz ein Blick<br />

zurück: Du bist 2018 von Canyon-<br />

Sram zu Wiggle High5 gewechselt. Was war<br />

der Auslöser?<br />

Lisa Brennauer: Ich wollte was ändern. Das war<br />

eigentlich der einzige Grund. Mir ging es ja gut,<br />

ich war sechs Jahre lang in den gleichen Strukturen<br />

und bin total dankbar für die Zeit. Aber es ist<br />

auch kein Geheimnis, dass 2016 nicht so lief, wie<br />

ich es mir erträumt hatte. Und dann hinterfragt<br />

man halt vieles. Ich glaubte, mir würde eine Veränderung<br />

guttun. Ich habe den Trainer gewechselt<br />

und alles ein bisschen umgeschmissen. Es<br />

ging mir auch direkt gut. Ich habe schon in der<br />

Pause gespürt, dass ich wieder für die Sache brenne.<br />

Mein Bauchgefühl hat mir gesagt: Da geht was<br />

in die richtige Richtung.<br />

Das Team war in England angesiedelt,<br />

du warst die einzige Deutsche.<br />

Das war für mich natürlich neu und sehr spannend<br />

– mal wieder in einem Team zu sein, wo ich<br />

mit fast niemandem vorher zusammengearbeitet<br />

hatte. Es war ein wichtiger Schritt, um etwas zu<br />

ändern. Bei Wiggle wurde mir einiges an Verantwortung<br />

übertragen. Meine Kolleginnen haben viel<br />

von mir erwartet, wenn es darum ging, die Renntaktik<br />

zu bestimmen und meine Erfahrungen weiterzugeben.<br />

Ich habe schnell gemerkt, wie ich in<br />

dieser Rolle aufblühe, etwa bei der Thüringen<br />

Rundfahrt. Dort waren wir mit vielen jungen Fahrerinnen<br />

am Start, die sich gefreut haben, dass<br />

ihnen mal jemand eine Anleitung gibt, und die<br />

daran gewachsen sind. Wir hatten dort eine ganz<br />

tolle Woche. Am Ende habe ich sogar die Rundfahrt<br />

gewonnen, aber das war am Anfang gar nicht<br />

abzusehen. Ich konnte bei Wiggle andere, neue<br />

Aufgaben übernehmen. Das hat mir gutgetan.<br />

Daneben hast du auch auf der Bahn einige<br />

Akzente gesetzt. Wie kam es dazu?<br />

Ich hatte mich im Sommer 2017 mit den Verantwortlichen<br />

beim BDR zusammengesetzt und mit<br />

ihnen darüber gesprochen, ob ein Weg zurück auf<br />

die Bahn für mich denkbar wäre. Wir haben beschlossen,<br />

dass ich es mal versuche, und zwar bei<br />

den Europameisterschaften in Berlin Ende 2017.<br />

Das hat dann mehr oder weniger gut geklappt,<br />

denn wir sind zwar superschnell gefahren, haben<br />

aber gleich mal einen Sturz zustande gebracht, bei<br />

dem ich mir den Oberarm gebrochen habe. Damit<br />

war das mit der Bahn auch gleich mal wieder vorbei.<br />

Trotzdem hat mir die Zeit viel Spaß gemacht.<br />

Ich bin ja bis 2012 sehr viel Bahn gefahren. Bei<br />

den Olympischen Spielen in London bin ich als<br />

Bahnradsportlerin angetreten und erst dann mehr<br />

oder minder komplett auf die Straße gewechselt.<br />

Es war ja kein Neuanfang. Nach dem Unfall habe<br />

ich den Bundestrainer angerufen und ihm gesagt:<br />

Der erste Versuch ist zwar nach hinten losgegangen,<br />

aber könntet ihr euch vorstellen, dass wir die<br />

WM in Apeldoorn [Februar/März 2018] in Angriff<br />

nehmen? Als wir dort dann so schnell gefahren<br />

sind, gab es weitere Gespräche, ob ich mir vorstellen<br />

könnte, das irgendwie in die Straßensaison<br />

einzubauen. Bei den European Games in Glasgow<br />

bin ich dann tatsächlich Straße und Bahn gefahren<br />

[sie holte sich dort den Sieg in der Einerverfolgung<br />

sowie zwei Bronzemedaillen; Anm. d. Red.].<br />

30 PROCYCLING | FEBRUAR 2019


„ICH MÖCHTE EIN<br />

GROSSES EINTAGESRENNEN<br />

GEWINNEN. ICH STAND BEI<br />

DEN KLASSIKERN SCHON<br />

MEHRFACH AUF DEM<br />

TREPPCHEN, ABER NOCH<br />

NIE GANZ OBEN.“<br />

und denen mein Wissen weitergeben, darf Teil eines<br />

Prozesses sein, das Team weiterzuentwickeln,<br />

habe aber im gleichen Maße die Freiheit, meine<br />

eigenen Ziele zu verfolgen – dieses Komplettpaket<br />

an Möglichkeiten, und dazu die Nähe zu meinem<br />

Zuhause, spricht mich sehr an. Dort sehe ich meine<br />

Zukunft und das Umfeld, in dem ich mich sportlich<br />

bestmöglich weiterentwickeln kann.<br />

Mit welchen Zielen startest du in die Saison?<br />

Für mich war 2018 ein Jahr, wo ich ganz viele<br />

Treppenstufen wieder nach oben geklettert bin.<br />

Es war wieder ein Schritt dahin, wo ich sein<br />

möchte. Daran möchte ich anknüpfen. Ein ganz<br />

großes Ziel, das ich immer noch habe: Ich möchte<br />

ein großes Eintagesrennen gewinnen. Ich stand<br />

bei den ganzen Frühjahrsklassikern schon mehrfach<br />

auf dem Treppchen, aber noch nie ganz oben.<br />

Eintagesrennen fallen mir ein bisschen schwerer<br />

als Rundfahrten, von denen habe ich schon mehrere<br />

gewonnen. Ich weiß nicht, ob ich mir da<br />

manchmal selber ein bisschen im Weg stehe oder<br />

was es ist, aber auf jeden Fall hat es noch nie geklappt.<br />

Das wäre ein ganz großes Ziel von mir.<br />

Und dann natürlich wie immer die WM.<br />

Bei WNT-Rotor sieht Lisa Brennauer das<br />

Umfeld für eine optimale Entwicklung.<br />

Mittlerweile sehe ich mich wieder in beidem zu<br />

Hause, so wie es früher auch war. Es macht mir<br />

wahnsinnig viel Spaß, und ich werde diesen Weg<br />

jetzt auch erst mal weitergehen.<br />

Mit einem nächsten Halt bei Olympia<br />

2020 in Tokio?<br />

Auf jeden Fall ist Tokio ein Ziel, klar möchte ich<br />

da antreten – am liebsten sowohl auf der Straße<br />

als auch auf der Bahn. Aber man muss erst mal<br />

sehen, wie sich alles entwickelt. Ich denke, dass<br />

2019 ein sehr interessantes Jahr sein wird. Wir<br />

haben superstarke neue junge Leute, zum Beispiel<br />

Liane Lippert [sie ist 2018 mit 20 Jahren deutsche<br />

Meisterin auf der Straße geworden, siehe<br />

<strong>Procycling</strong> 01/2019]. Es ist toll zu sehen, dass da<br />

eine Entwicklung stattfindet. Es werden mit<br />

Sicherheit spannende anderthalb Jahre.<br />

Nach dem Aus von Wiggle bist du bei<br />

WNT-Rotor untergekommen – für dich<br />

quasi ein Heimspiel.<br />

Die Firma WNT hat ihren Sitz in Kempten [Lisas<br />

Heimatstadt; Anm. d. Red.]. Als feststand, dass es<br />

mit Wiggle nicht weitergehen wird, hatten wir öfter<br />

mal Gespräche. Das Team gefiel mir, die Leute, ihre<br />

Einstellung. Dann habe ich erfahren, dass sie in die<br />

Weltspitze wollen, und mir überlegt: Wäre das was,<br />

wo ich mich sehen kann? Ist das eine Struktur, in<br />

der ich meine Ziele erreichen kann und in der ich<br />

mich wohl fühle? Ich bin keine 23 mehr und stehe<br />

wahrscheinlich in den wichtigsten Jahren meiner<br />

Karriere. Bei Wiggle habe ich gelernt, dass es mir<br />

liegt und dass ich sehr aufblühe, wenn es darum<br />

geht, mein Wissen und meine Erfahrung weiterzugeben.<br />

Bei WNT sehe ich viele Dinge, die mir sehr<br />

gefallen: Ich kann mit jungen Fahrerinnen arbeiten<br />

Wirst du wie bei Wiggle wieder<br />

als eine Art Leitfigur fungieren?<br />

Ich bin gespannt, wie meine Rolle innerhalb des<br />

Teams ganz genau aussehen wird – und wie wir<br />

das dann auch zusammen umsetzen können. Auf<br />

jeden Fall sind sehr viele junge Talente dabei. Ich<br />

weiß auch noch nicht genau, wie wir es anpacken<br />

werden und wie sie sich entwickeln. Mit Sicherheit<br />

wird es viele Fragen geben, aber auch viel cooles<br />

Zusammenarbeiten. Ich denke, dass wir da<br />

richtig Schritte nach vorne machen können. Daneben<br />

erhoffe ich mir, dass ich mir von der einen<br />

oder anderen vielleicht auch was abgucken kann<br />

– etwa von Kirsten Wild [36-jährige Niederländerin<br />

mit langer Erfolgsliste, kommt wie Brennauer<br />

von Wiggle; Anm. d. Red.]. Wir sind ein eingespieltes<br />

Team, wenn es um die Massensprints<br />

geht. Mit ihr haben wir ein großes Ass im Ärmel.<br />

Ich hoffe, dass ich viele Einsätze mit ihr zusammen<br />

habe, denn das ist etwas, das man auf jeden<br />

Fall noch perfektionieren kann. Und dann würde<br />

ich mich freuen, wenn es für mich im Zeitfahren<br />

noch mal einen Schritt nach vorne geht. Das ist ja<br />

immer noch meine große Leidenschaft. Und daran<br />

möchte ich auf jeden Fall weiterhin arbeiten.<br />

© WNT-Rotor Pro Cycling<br />

FEBRUAR 2019 | PROCYCLING 31


MARK CAVENDISH<br />

NUR EINE<br />

ZAHL<br />

„Ich habe Ed in unserem Hotel in Kapstadt bei unserem<br />

Teamtreffen im November getroffen und mich ausführlich<br />

mit ihm unterhalten. Und das hier kam dabei heraus.“<br />

Text Edward Pickering<br />

Fotografie Wayne Reiche<br />

32 PROCYCLING | FEBRUAR 2019


FEBRUAR 2019 | PROCYCLING 33


DAS GROSSE INTERVIEW<br />

er 21. Mai 2019 ist Mark<br />

DTour Cavendishs 34. Geburtstag.<br />

Die Zahl 34 hängt 2019 in großen chen, den Rekord einzustellen oder zu brechen,<br />

de France gewinnen konnte, und zu versu­<br />

Lettern über seinem Leben und seiner Karriere. ist die letzte große Herausforderung in Cavendishs<br />

Karriere.<br />

Vor ein oder zwei Jahrzehnten hätte sie das Karriere<br />

ende bedeutet, aber 34 ist heute für einen Für ihn spricht das Wissen, dass einige der größten<br />

Sprinter der jüngeren Geschichte ihre besten<br />

Rennfahrer nur das Ende seiner Lebensmitte.<br />

Alejan dro Valverde, der amtierende Weltmeister, Ergebnisse jenseits der 30 erzielten. Ma rio Cipollini<br />

ist 38, der Giro-Sieger Chris Froome ist einen Tag gewann als Twen 16 Giro-Etappen, aber 26 mit<br />

älter als Cavendish, und der amtierende Toursieger<br />

Geraint Thomas wird 33 sein, wenn er sein tag). Alessandro Petacchi war bei 16 seiner 22 Gi­<br />

über 30 (darunter zwölf nach seinem 34. Geburts­<br />

Gelbes Trikot von 2018 verteidigt.<br />

ro-Etappensiege über 30 (wobei ihm fünf weitere<br />

Doch 34 ist auch eine Zahl, die Leben und nach einem positiven Test ab erkannt wurden). Robbie<br />

McEwen gewann drei Grand-Tour-Etappen mit<br />

Laufbahn von Cavendish bestimmt – von heute<br />

bis zu ihrem Ende und weit darüber hin aus. Es über 20 Jahren und 21 mit über 30, darunter vier<br />

ist die Zahl der Etappen, die Eddy Merckx bei der Tour-Etappen mit über 34. Wie André Greipel un­<br />

längst bewiesen hat, ist es überhaupt nicht ungewöhnlich,<br />

dass Sprinter jenseits der 30 Etappen bei<br />

großen Rundfahrten gewinnen.<br />

Außerdem werden Cavendishs Ambitionen<br />

nicht von anderen Zielen verwässert. Er hat ein<br />

Regenbogentrikot und ein Mailand–San Remo in<br />

seinem Palmarès. Mehr wäre schön gewesen, und<br />

er schlief wochenlang nicht richtig, nachdem Peter<br />

Sagan ihn bei der Weltmeisterschaft 2016 in<br />

Katar auf der Linie abgefangen hatte, aber seine<br />

Saison wird nicht mehr auf diese Ziele ausgerichtet<br />

sein. Gent–Wevelgem und Paris–Tours, wo<br />

Cavendish früher beste Karten hatte, sind keine<br />

Rennen mehr für Sprinter.<br />

Gegen ihn spricht: Der Zählerstand der Tour-<br />

Etappensiege hängt seit zwei Jahren, in denen<br />

Erkrankungen und Verletzungen seine Chancen<br />

ruinierten, bei 30 fest. Der Trend sieht nicht gut<br />

aus. Cavendish weiß das natürlich. Er ist nicht<br />

blind. Aber ebenso wenig wird sein Ehrgeiz durch<br />

die Enttäuschungen der letzten zwei Jahre getrübt.<br />

„Ich habe in den letzten zwei Jahren zwei<br />

Rennen gewonnen“, sagt er. „Ich kann nicht sagen,<br />

dass ich im Moment der Topsprinter bin,<br />

was Resultate angeht. Ob es mein Fehler ist oder<br />

nicht – ich habe die Resultate nicht.“<br />

So weit, so realistisch. Aber dann das: „Ich<br />

glaube, ich bin der Schnellste. Das glaube ich<br />

wirklich. Ich weiß, dass jeder Sprinter das sagt,<br />

aber ich glaube, ich bin der Schnellste.“<br />

An diesem Punkt verdrehen Cavendish-<br />

Kri tiker normalerweise die Augen und denken:<br />

„Typisch Cav!“ Seine ungefilterte Direktheit und<br />

die Weigerung, beim Äußern seiner Meinung jemals<br />

Kompromisse einzugehen, scheinen angeboren,<br />

und er wird sich nicht ändern. Doch hinter<br />

dieser letzten Äußerung steckt mehr. Als wir darüber<br />

sprachen, wie Cavendish wahrgenommen<br />

wird – im Unterschied zu seiner Selbstwahrneh­<br />

KARRIERE-HÖHEPUNKTE MARK CAVENDISHS 12 TOUR-JAHRE<br />

© Yuzuru Sunada<br />

2007<br />

Etappensiege: 0<br />

Cavendish gibt mit 22 Jahren sein<br />

Tour-Debüt für T-Mobile. Er tut sich<br />

schwer, und frühe Stürze durchkreuzen<br />

seine Ambitionen. Er steigt<br />

auf der 8. Etappe aus, mit einem<br />

neunten Platz als bester Platzierung.<br />

2008<br />

Etappensiege: 4<br />

Braucht ein paar Tage, um in Tritt zu<br />

kommen, aber holt vier Etappensiege,<br />

angefangen mit der 5. Etappe. Er kommt<br />

durch die Pyrenäen, steigt jedoch vor<br />

den Alpen aus, um sich auf die Olympischen<br />

Spiele in Peking vorzubereiten.<br />

2009<br />

Etappensiege: 6<br />

Seine beste Tour überhaupt. Fängt auf<br />

der 2. Etappe an zu gewinnen und holt<br />

dann fünf weitere Siege. Das Highlight ist<br />

die Mittelgebirgsetappe nach Aubenas,<br />

das i-Tüpfelchen ein erster und zweiter<br />

Platz mit Mark Renshaw in Paris.<br />

2010<br />

Etappensiege: 5<br />

Nach einem langsamen Start<br />

in die Tour feiert er am<br />

sechsten Tag einen emotionalen<br />

Sieg. Er gewinnt an -<br />

schließend jedes Mal, wenn er<br />

um den ersten Platz sprintet.<br />

34 PROCYCLING | FEBRUAR 2019


MARK CAVENDISH<br />

„WENN ES ERST<br />

16 RENNEN UND DANN ZEHN<br />

GEWESEN WÄREN, KÖNNTE<br />

MAN SAGEN: ER WIRD<br />

LANGSAMER. ABER EIN SIEG,<br />

DAS HEISST, DASS ETWAS<br />

NICHT STIMMT.“<br />

mung –, war seine Aussage nuancierter, als sie auf<br />

den ersten Blick erscheint. „Auf dem Papier sieht<br />

es arrogant aus. Aber wenn du auf den Ton dessen<br />

achtest, was ich sage, ist es ganz anders. Die Leute<br />

bekommen den Ton nicht mit“, erklärt er. Und<br />

das stimmt. Als er sagte: „Ich bin der Schnellste“,<br />

lachte er, weil er weiß, wie absurd es ist zu behaupten,<br />

der schnellste Sprinter der Welt zu sein,<br />

wenn er zwei Jahre lang ein einziges Rennen pro<br />

Jahr gewonnen hat.<br />

2019 tröstet sich Cavendish sogar mit dem Mangel<br />

an Siegen. Während des Fotoshootings erklärte<br />

er, 2017 und 2018 seien Ausnahmen gewesen,<br />

kein Trend. „Man gewinnt nicht in einem Jahr<br />

16 Rennen und im nächsten Jahr eines“, sagt er.<br />

„Wenn es erst 16 und dann zehn gewesen wären,<br />

könnte man sagen: Er wird langsamer. Aber ein<br />

Sieg, das heißt, dass etwas nicht stimmt.“<br />

Dieses Etwas war Epstein-Barr, auch Mononukleose<br />

oder Drüsenfieber genannt. Die Krankheit<br />

brach Anfang 2017 aus und schwächte ihn<br />

2018 immer noch – und ruinierte damit praktisch<br />

beide Jahre.<br />

Der Ausbruch 2017 kam nach einem glänzenden<br />

Jahr 2016, bei dem nicht viel fehlte, um als<br />

beste Saison zu gelten, die ein Rennfahrer je hatte.<br />

Cav hatte sich Ziele von beispielloser Bandbreite<br />

gesteckt: Weltmeisterschaften auf der Bahn und<br />

der Straße, ein Tag im Gelben Trikot der Tour und<br />

olympisches Gold auf der Bahn. Und er war nahe<br />

dran – mit Bradley Wiggins gewann er das Madison<br />

bei der Bahn-Weltmeisterschaft, holte dann<br />

bei der Tour vier Etappen und schlüpfte ins Gelbe<br />

Trikot. Diese letzte Leistung war historisch – Cavendish<br />

ist einer von nur 22 Fahrern, die die Spitzenreitertrikots<br />

aller drei großen Rundfahrten getragen<br />

haben, und er gehört zu einem Trio von<br />

Fahrern, die das geschafft haben und außerdem<br />

die Punktewertung in Frankreich, Italien und<br />

Spanien gewinnen konnten (Eddy Merckx und<br />

Laurent Jalabert sind die anderen beiden).<br />

Er wurde Zweiter bei seinen zwei anderen Zielen<br />

– er musste sich im Omnium bei den Olympischen<br />

Spielen nur Elia Viviani und bei der Straßen-Weltmeisterschaft<br />

in Katar nur Peter Sagan<br />

geschlagen geben. Dann fuhr er den Winter über<br />

Sechstagerennen, und als die Abu Dhabi Tour<br />

Anfang 2017 losging, war er krank, obwohl er<br />

dort eine Etappe gewann.<br />

2011<br />

Etappensiege: 5<br />

Ein weiteres Quintett von Siegen plus<br />

das Grüne Trikot in Paris. Zum ersten<br />

Mal zieht er bei einem Kopf-an-Kopf-<br />

Sprint um den ersten Platz den Kürzeren<br />

– gegen André Greipel in Carmaux –,<br />

doch ansonsten ist er unschlagbar.<br />

2012<br />

Etappensiege: 3<br />

Fährt im Regenbogentrikot für das<br />

Team Sky, aber aufgrund der Gesamtwertungs-Ambitionen<br />

des Teams haben<br />

seine Sprints keine Priorität. Holt<br />

trotzdem drei Etappensiege, darunter<br />

zwei an den letzten drei Tagen.<br />

2013<br />

Etappensiege: 2<br />

In Gestalt von Marcel Kittel taucht<br />

ein ernsthafter Rivale auf, der vier<br />

Etappen gewinnt. Cavendish<br />

gewinnt zwei – eine bei einem<br />

spektakulären Angriff im Seitenwind<br />

in Saint-Amand-Montrond.<br />

2014<br />

Etappensiege: 0<br />

Geht bei der Tour zum ersten<br />

Mal seit 2007 leer aus. Kein<br />

Wunder, denn er ist nach einem<br />

Sturz auf der 1. Etappe aus dem<br />

Rennen. In seiner Abwesenheit<br />

holt Kittel erneut vier Siege.<br />

© Yuzuru Sunada (Zeitleiste)<br />

FEBRUAR 2019 | PROCYCLING 35


Bei der Tour 2018 litt Cavendish<br />

in den Alpen, doch er weigerte<br />

sich auszusteigen und fuhr die<br />

Etappe zu Ende.<br />

Cavendish war körperlich nicht in Form bei Tir-­<br />

reno–Adriatico und fiel bei Mailand–San Remo<br />

an der Cipressa zurück. Da wusste er, dass etwas<br />

nicht stimmte, und eine Blutuntersuchung bestätigte,<br />

dass er Epstein-Barr hatte. Er war rechtzeitig<br />

zur Tour wieder fit, stieß aber zu Beginn des<br />

Rennens mit Sagan zusammen, brach sich die<br />

Schulter und kam dann bis Ende der Saison nicht<br />

mehr richtig in Tritt.<br />

„Die letzten zwei Jahre waren für die Katz“,<br />

erinnert er sich. „Das Schlimmste, was man bei<br />

Epstein-Barr machen kann, ist, sich körperlich<br />

anzustrengen. Das Einzige, was hilft, ist Ruhe.<br />

Ich habe mich selbst fertiggemacht und angetrieben.<br />

Es sieht jetzt aus, als hätte ich kein akutes<br />

Epstein-Barr mehr, aber bei anderen Symptomen<br />

dauert es länger, bis sie abklingen; es muss gemanagt<br />

werden, und das ist das Schwerste.<br />

Ich hatte es als Kind, und es ist nicht ungewöhnlich,<br />

dass es bei Ausdauerathleten wieder<br />

ausbricht, wenn du an deine Grenzen gehst. Er<br />

ist ein Feigling, Epstein-Barr – er fällt dich nur an,<br />

wenn du schwach bist, nie, wenn du stark bist“,<br />

fährt er fort.<br />

„DAS SCHLIMMSTE, WAS MAN<br />

BEI EPSTEIN-BARR MACHEN<br />

KANN, IST, SICH KÖRPERLICH<br />

ANZU STRENGEN. DAS<br />

EINZIGE, WAS HILFT, IST<br />

RUHE. ICH HABE MICH<br />

SELBST FERTIGGEMACHT<br />

UND MICH ANGETRIEBEN.“<br />

„Vor 2016 sagte Rolf Aldag [Performance-Direktor<br />

bei Dimension Data] zu mir: Das alles zu machen,<br />

wird dich ruinieren. Ich sagte: Scheiß drauf.<br />

Weltmeisterschaften auf der Straße und auf der<br />

Bahn. Niemand hat das im selben Jahr geschafft.<br />

Nicht mal Eddy Merckx hat das geschafft. Nicht<br />

viele Leute verstehen, wie unterschiedlich Stra­<br />

© Yuzuru Sunada (Zeitleiste), Chris Auld<br />

2015<br />

Etappensiege: 1<br />

Ein weiteres Jahr, ein weiterer<br />

dominanter Deutscher. Dieses<br />

Mal ist Greipel der Beste der Tour<br />

und holt vier Siege. Cavendish<br />

gewinnt einmal, in Fougères am<br />

Ende der ersten Woche.<br />

2016<br />

Etappensiege: 4<br />

Cavendish meldet sich stark zurück,<br />

gewinnt die 1. Etappe und streift sich<br />

zum ersten Mal das Gelbe Trikot<br />

über, bevor er weitere drei Etappen<br />

vor den Alpen gewinnt. Steigt aus,<br />

um sich auf Olympia vorzubereiten.<br />

2017<br />

Etappensiege: 0<br />

Mit Trainingsrückstand wegen<br />

Epstein-Barr hofft Cavendish, sich<br />

während der Tour in Form zu fahren.<br />

Aber er ist auf der 4. Etappe in Vittel<br />

in eine Kollision mit Peter Sagan<br />

verwickelt und aus dem Rennen.<br />

2018<br />

Etappensiege: 0<br />

Cavendish ist nach einem weiteren<br />

von Epstein-Barr beeinträchtigten<br />

Frühjahr nicht in Bestform. Sein<br />

bester Platz ist ein achter auf der<br />

8. Etappe, bevor er wie viele Sprin -<br />

ter in den Alpen eliminiert wird.<br />

36 PROCYCLING | FEBRUAR 2019


MARK CAVENDISH<br />

ßen- und Bahnradsport sind. Zweieinhalb Wochen<br />

vor Olympia fuhr ich den Mont Ventoux<br />

hoch. Ich habe Glück – ich kann mich umstellen,<br />

aber es verlangt dem Körper viel ab.<br />

Ich habe doppelte Sessions auf der Bahn gemacht<br />

– die anderen Jungs haben sich zwischen<br />

den Sessions erholt, aber ich bin zwischendurch<br />

drei Stunden draußen locker Rad gefahren, dann<br />

war ich wieder drin und wir sind sofort in die hohen<br />

Intensitäten gegangen.<br />

Als ich es bekam, sagte meine Frau zu mir:<br />

‚Wenn jemand dir gesagt hätte, dass du schaffen<br />

würdest, was du 2016 geschafft hast, aber krank<br />

werden und eine ganze Saison verlieren würdest,<br />

hättest du es dann gemacht?‘ Und ich sagte:<br />

Weißt du was? Wahrscheinlich schon.“<br />

Cavendish hält inne und fügt dann hinzu:<br />

„Aber zwei Jahre verlieren und vielleicht mein<br />

Vermächtnis? Wahrscheinlich nicht.“<br />

Mein Eindruck, als ich mir die Tour 2018<br />

anschaute, war, dass sich bei Cavendish<br />

etwas geändert hatte. Nicht nur das<br />

Sprinten, obwohl klar war, dass er nicht annähernd<br />

das Niveau von Fernando Gaviria, Dylan<br />

Groenewegen und den anderen Sprintern hatte.<br />

In seinen täglichen Interviews mit ITV war er<br />

meistens komplett gleichgültig angesichts der<br />

Niederlage. Er war mehr als gedämpft – es sah<br />

aus, als sei das Feuer erloschen.<br />

Cavendish war von 2008 bis 2012 der beste<br />

Sprinter der Welt und erneut 2016. Es ist sehr<br />

plausibel zu argumentieren, dass er der beste<br />

Sprinter aller Zeiten ist. Er war aus einer Reihe<br />

von Gründen besser als die anderen – sein Tempo<br />

und die Fähigkeit, es zu halten, die einmalige Aerodynamik<br />

und die Teamleistung waren Weltspitze<br />

oder nicht weit davon entfernt. Doch seine wichtigsten<br />

Waffen waren seine Hingabe und sein<br />

Wettbewerbstrieb. Das zeichnete ihn in der Vergangenheit<br />

wirklich aus. Ohne sie, dachte ich,<br />

bekommt man den Cavendish der Tour 2018 –<br />

vorne mit dabei, aber unfähig, der allerletzten<br />

Schlussbeschleunigung der jüngeren, frischeren<br />

Beine etwas entgegenzusetzen.<br />

„Nein“, meint Cavendish, als ich ihm das sage.<br />

„Ich wusste, dass etwas nicht stimmte. Es war<br />

nicht so, dass ich einen Fehler gemacht hätte. Ich<br />

war bei dem Interview nach einer der Etappen ein<br />

bisschen stinkig, nach Groenewegens erstem<br />

Sieg, wo mir das Pedal von Kristoff in die Quere<br />

gekommen ist und ich es verbockt habe. Aber da<br />

konnte ich nichts machen.“<br />

Ich erwähne auch, dass der Cavendish von 2008<br />

oder 2009 nach solchen Niederlagen Feuer gespien<br />

und Helme geworfen hätte, doch auch das sieht er<br />

anders. „Das ist, weil ich damals – außer wenn ich<br />

einen Fehler gemacht habe – nie verloren habe. Damals<br />

habe ich nur verloren, wenn ich einen Fehler<br />

gemacht habe. Nie, weil ich nicht gut genug war.“<br />

Cavendish kann ein sehr plausibles Argument<br />

vorbringen. Seine Siegesquote bei der Tour von<br />

2013 bis 2018 ist nicht ganz das, was sie von<br />

2008 bis 2012 war, aber dafür gibt es gute Gründe.<br />

Er holte in der ersten Hälfte seiner Karriere<br />

im Schnitt über vier im Jahr, und als er das Team<br />

Sky Ende 2012 mit 27 Jahren verließ, hatte er<br />

23 Etappensiege zu Buche stehen. Zu dem Zeitpunkt<br />

schienen 34 eine reine Formalität zu sein.<br />

Aber dann wurde es schwerer. 2013 kam er nur<br />

auf zwei Etappensiege, nachdem er auf einen<br />

Marcel Kittel in Bestform getroffen war, und im<br />

folgenden Jahr war Kittel ebenso dominant, doch<br />

Cavendish hatte keine Chance, ihn herauszufordern,<br />

weil er auf der 1. Etappe in Harrogate nach<br />

einem Sturz ausschied. 2015 war enttäuschend<br />

– er gewann eine Etappe, während Greipel vier abräumte.<br />

Im folgenden Jahr nahm er die Tour das<br />

letzte Mal gesund in Angriff und gewann viermal.<br />

Null bei den letzten beiden Rennen ist eine besorg-­<br />

nis erregende Zahl, doch Cavendish glaubt, dass<br />

noch etwas drin ist. Und wenn er noch eine Etappe<br />

gewinnen kann, kann er auch zwei gewinnen …<br />

„Das ist alles, was mir bleibt“, sagt er. „Ich hatte<br />

andere Ziele, aber die Rennen haben sich geändert.<br />

Gent–Wevelgem ist nicht mehr das Rennen,<br />

das Cipollini gewann. Es ist nicht mal ein bisschen<br />

anders – es ist ein anderes Rennen.<br />

Ich habe keine Anzahl von Tour-Etappen, die<br />

ich gewinnen will. Wenn ich nur gut genug bin,<br />

um noch eine weitere zu gewinnen, ist es halt so.<br />

Wenn ich in den nächsten fünf Jahren fünf im<br />

Jahr gewinnen kann, versuche ich das. Ich werde<br />

sehen, was passiert, aber ohne Frage ist meine<br />

ganze Saison auf die Tour ausgerichtet.“<br />

Cavendishs Rivalen bei seinem Streben nach<br />

weiteren Tour-Etappensiegen sind offensichtlich.<br />

Viviani war der erfolgreichste<br />

Sprinter 2018, obwohl Cavendish betont, dass er<br />

den Italiener auf einer Etappe der Dubai Tour zu<br />

Beginn des Jahres schlug. Dann kommen Gaviria<br />

und Groenewegen, die Besten der Tour 2018; auch<br />

ein gut aufgelegter Kittel ist eine Gefahr (obwohl<br />

er seit über einem Jahr nicht gut aufgelegt war).<br />

Das ist eine starke Besetzung, und die Aufgabe<br />

FEBRUAR 2019 | PROCYCLING 37


DAS GROSSE INTERVIEW<br />

„DIE LEUTE HABEN KEINE<br />

AHNUNG, WIE DU DIR ALS<br />

SPRINTER DIE MUSKELN<br />

SCHÄDIGST. WENN DU DIESE<br />

POWER IM ROTEN BEREICH<br />

PRODUZIERST, KOMMST DU<br />

AM NÄCHSTEN TAG NICHT<br />

AUS DEM BETT.“<br />

© Gruber Images<br />

wird nicht leichter dadurch, dass Tour-Organisator<br />

A.S.O. die Anzahl der reinen Sprintetappen in<br />

den letzten zwei Jahren leicht reduziert hat und<br />

die Sprints selbst jedes Jahr härter umkämpft und<br />

komplexer zu sein scheinen.<br />

Das Sprinten hat sich allein in den letzten zehn<br />

Jahren sehr geändert, eine Entwicklung, die erst<br />

von Cavendish eingeführt wurde und dann von<br />

seinen Rivalen, als mehr Fahrer in die Sprintzüge<br />

eingespannt wurden. Cavendish zufolge können<br />

es sich die Sprinter nicht leisten, bis eine Stunde<br />

vor dem eigentlichen Sprint weiter hinten im Feld<br />

zu fahren. Sie müssen hart arbeiten, um ihre Position<br />

zu verteidigen, dann auf den letzten zehn<br />

Kilometern ihren Anfahrern folgen, und wenn der<br />

Sprint dann eröffnet wird, sind die endschnellen<br />

Fahrer bereits im roten Bereich. Das alleine heißt,<br />

dass die Fähigkeit, hohe Wattzahlen zu treten, nur<br />

ein kleiner Teil einer sehr komplexen Rechnung ist.<br />

Es gab einige Jahre, in denen Cavendish es<br />

leicht aussehen ließ – sein Sprintzug, besonders<br />

bei HTC-Highroad, funktionierte wie eine gut geölte<br />

Maschine und eskortierte ihn an die Spitze,<br />

und er war so schnell, dass er seine Rivalen um<br />

Längen schlug. Aber wenn etwas leicht aussieht,<br />

ist die Wahrheit oft komplizierter.<br />

„Es ist nie einfach. Nur weil es leicht aussieht,<br />

heißt das nicht, dass es leicht ist. Das ist das Problem,<br />

das ich hatte. Weil es einfach aussah, nahm<br />

man an, es wäre einfach, aber das war es nicht.<br />

Die Leute haben das Training vorher nicht gesehen<br />

und wie ich in den Anstiegen kotzen musste.<br />

Und die Leute haben keine Ahnung, wie du dir als<br />

Sprinter die Muskeln schädigst. Wenn du diese<br />

Power im roten Bereich produzierst, kommst du<br />

am nächsten Tag nicht aus dem Bett. Die Muskeln<br />

der Kletterer mit langen Fasern werden nie so geschädigt.<br />

Andererseits werde ich mich nie so kaputtfahren<br />

können wie Chris Hoy im 1.000-Meter-Zeitfahren.“<br />

Fürs Erste managt Cavendish die Regeneration<br />

von Epstein-Barr und peilt die Tour 2019 an, welche<br />

den Sprintern sieben echte Chancen bietet.<br />

38 PROCYCLING | FEBRUAR 2019


MARK CAVENDISH<br />

Besonders interessant ist, dass vier davon in der<br />

Auftaktwoche kommen – bevor es in die ersten<br />

Berge geht, dürfte klar geworden sein, ob Merckx’<br />

Bestmarke sicher ist oder ob Cavendish das Undenkbare<br />

schafft und den Rekord einstellt. Und<br />

wenn seine Form und seine Gesundheit gut sind,<br />

wird es ihm nicht an jenem Wettbewerbstrieb<br />

fehlen, der ihn zur Unsterblichkeit treibt. „Ich bin<br />

süchtig nach Siegen, ich brauche das“, sagt er. „Es<br />

ist alles, was zählt. Ich will nicht nur so gut wie<br />

möglich sein, sondern der Beste von allen.“ Sogar<br />

einschließlich Eddy Merckx.<br />

Im letzten Februar bewies<br />

Cavendish in Dubai, dass er seine<br />

großen Rivalen noch schlagen konnte.<br />

© Getty Images<br />

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40 PROCYCLING | FEBRUAR 2019


A U S F A H R T D E R<br />

C H A M P I O N S<br />

„Als wir zum Training fuhren, liefen wir Cadel Evans<br />

über den Weg. Er arbeitet bei BMC, die uns ein paar<br />

schnelle Räder gebaut haben. Ed sollte mich beim<br />

Kaffee-Stopp interviewen – nicht über Radrennen,<br />

sondern übers Radfahren. Und ich habe Cadel<br />

eingeladen, sich zu uns zu setzen.“<br />

Text Edward Pickering<br />

Fotografie Wayne Reiche<br />

FEBRUAR 2019 | PROCYCLING 41


AUSFAHRT DER CHAMPIONS<br />

WAS GEFÄLLT DIR<br />

AM RADFAHREN?<br />

Mark Cavendish: Ich glaube, es ist die Freiheit.<br />

Du kannst hinfahren, wo du willst, von deiner<br />

Haustür aus, mit wem du willst, so schnell du<br />

willst, so weit du willst und so lange du willst.<br />

Cadel Evans: Ist Radfahren heute anders für dich<br />

als mit fünf Jahren?<br />

MC: Nicht das Radfahren, aber alles drum herum.<br />

Hast du das Buch von André Agassi gelesen?<br />

Darin schreibt er, dass er Tennis am Ende gehasst<br />

hat. Manchmal denke ich, dass es mir reicht, aber<br />

es ist nicht der Radsport, der mir reicht. Es ist das<br />

ganze Drumherum, das mit dem Erfolg einhergeht.<br />

Das kann zu viel werden. Aber der Radsport,<br />

wenn du ihn auf das Wesentliche reduzierst … Ich<br />

glaube, wenn du es darauf beschränken könntest,<br />

würde Agassi Tennis noch lieben, aber es ist das<br />

ganze Drumherum.<br />

CE: Wenn alle Erwartungen an dich wegen dem,<br />

was du bist und was du erreicht hast, nicht da wären,<br />

würde es dir dann mehr Spaß machen?<br />

MC: Es würde mir wahrscheinlich mehr Spaß machen.<br />

Es wäre anders, aber es ist schwer zu sagen.<br />

CE: Die Leute fragen mich immer, ob mir der<br />

Radsport fehlt. Mir fehlen die Radrennen schon,<br />

aber es gab Erwartungen, denen ich gerecht werden<br />

musste. Ob mir das Radfahren jetzt Spaß<br />

macht? Es macht mir mehr Spaß. Ich muss keine<br />

Erwartungen erfüllen. Ich habe kein Wattmessgerät,<br />

das Daten an meinen Trainer mailt, die sagen,<br />

dass ich keine sechs-Komma-noch-was Watt<br />

pro Kilo trete. Cav kann bei keinem Rennen auftauchen,<br />

ohne dass alle wissen, dass er 30 Etappen<br />

der Tour gewonnen hat.<br />

FÄHRST DU VIEL,<br />

CADEL?<br />

CE: Ich versuche es.<br />

MC: Schau ihn dir an!<br />

CE: Ich fahre einfach genug, um auszusehen, als<br />

wäre ich fit. Ich bin nicht so fit, wie ich aussehe!<br />

Aber ich liebe es. Cav und ich sind unterschiedliche<br />

Fahrertypen und wir sind auch ziemlich unterschiedliche<br />

Persönlichkeiten. Aber angefangen<br />

mit dem Radsport haben wir aus Liebe zu dieser<br />

Freiheit, die wir spüren. Wenn die Zeit für Cav<br />

kommt, seine aktive Laufbahn zu beenden, wird<br />

er eine neue Motivation haben, wieder Rad zu<br />

fahren. Deswegen habe ich nach Erwartungen<br />

gefragt, denn wenn du es so nimmst, ist es befreiend.<br />

Es ist die Befreiung vom Stress, denn wenn<br />

du mit Erwartungen fährst, kann es belastend<br />

sein, aber plötzlich musst du keine Erwartungen<br />

mehr erfüllen, wenn du einen durchschnittlichen<br />

Tag hast. Du bist nicht mehr jeden Tag die Nummer<br />

eins in der Welt.<br />

42 PROCYCLING | FEBRUAR 2019


AUSFAHRT DER CHAMPIONS<br />

WORAN DENKST DU,<br />

WENN DU RAD FÄHRST?<br />

MC: Ich fahre gerne mit anderen Leuten und unterhalte<br />

mich gern. Wenn ich allein bin, hängt es<br />

von meinem Fokus ab. Gerade in der Vorbereitung<br />

auf die Tour de France verändert es meine Einstellung,<br />

und alles dreht sich wirklich nur um die<br />

Leistung. Aber meistens … weiß ich nicht. Alles.<br />

Es ist viel los. Vielleicht denke ich auch gar nicht.<br />

Es ist so viel los, dass ich von allem Abstand gewinne,<br />

wenn ich nur rauskomme und fahren kann.<br />

FINDEST DU DAS<br />

AUCH, CADEL?<br />

CE: Total. Ich sage meiner Freundin: Ich gehe mal<br />

raus zu einer therapeutischen Fahrt. Ich verstehe,<br />

was Mark sagt – dass in seinem Leben so viel los<br />

ist. Wenn du ein Favorit für die Tour de France<br />

bist, für das Grüne Trikot oder das Gelbe Trikot,<br />

wollen praktisch alle Journalisten mit dir sprechen.<br />

Ein Fahrer, 1.500 Journalisten. Die Tour<br />

de France zu fahren ist physisch oder mental oder<br />

emotional nicht leicht. Wir haben viel im Kopf,<br />

und ich habe in schweren Phasen bei der Tour<br />

festgestellt, dass ich einen Seufzer der Erleichterung<br />

ausgestoßen habe, wenn die Etappe losging.<br />

In diesen stressigen Momenten kannst du leicht<br />

den Spaß daran verlieren.<br />

WIE FINDEST DU<br />

DEN WIEDER?<br />

CE: Da muss man den Leuten helfen, mit der Belastung<br />

umzugehen. Er ist der einzige Typ, der<br />

fahren kann, Cav ist der einzige Typ im Team, der<br />

das Grüne Trikot gewinnen kann, ich war der einzige,<br />

der das Gelbe anpeilen konnte. Das können<br />

wir nicht outsourcen. Aber alles andere, was outgesourct<br />

oder gemanagt werden kann, um die Belastung<br />

zu verringern … Verglichen mit den Belastungen,<br />

die ich in meinem Leben erlebt habe, ist<br />

die Tour weit oben angesiedelt.<br />

MC: Mir fällt es schwer, das zu tun. Ich bin ein<br />

Kontrollfreak. Ich will alles wissen und es nicht<br />

outsourcen. Dann weiß ich, dass ich alles gemacht<br />

habe. Ich will niemandem die Schuld für<br />

etwas geben müssen, was ich hätte kontrollieren<br />

können. Wenn ich es mache, ist es meine Verantwortung<br />

und es geht auf meine Kappe, wenn es<br />

nicht funktioniert.<br />

CE: Ich musste die Belastung reduzieren. Ich hatte<br />

jemanden, der meine Medienanfragen managte.<br />

„IN SCHWEREN PHASEN<br />

BEI DER TOUR HABE ICH<br />

EINEN SEUFZER DER<br />

ERLEICHTERUNG AUS-<br />

GESTOSSEN, WENN DIE<br />

ETAPPE LOSGING.“<br />

CADEL EVANS<br />

Bei den Rennen hatte ich George Hincapie, der auf<br />

mich aufpasste, und ich konnte ihm komplett vertrauen<br />

und meine Tour de France in seine Hände<br />

legen. Er war so gut und erfahren.<br />

MC: Er ist der beste Teamkollege in der Geschichte.<br />

CE: So musste ich nicht ständig auf alles achten<br />

– welche Teams wo angreifen, wo Seitenwind sein<br />

würde. Ich hatte jemanden, der das tat, sodass ich<br />

mental weniger Stress hatte.<br />

MC: Du brauchst Leute, für die Radsport nicht<br />

nur ein Job ist, sondern die wirklich füreinander<br />

fahren. Das spürst du. Du kannst es nicht erklären,<br />

aber es ist mehr, als du mit den Augen sehen<br />

kannst, wenn es eine solche Verbindung gibt.<br />

HAST DU EINE<br />

LIEBLINGSSTRECKE?<br />

MC: Ich liebe es, auf der Isle of Man zu fahren. Es<br />

ist verdammt hart. Es ist windig und regnerisch.<br />

Schwere Straßen. Nie flach.<br />

IST DAS DER REIZ?<br />

MC: Nicht auf diese Art, wo es „dich hart macht“.<br />

Es härtet dich zwar ab, aber das ist nicht der<br />

Punkt. Da sind gute Leute dort. Es gibt einen<br />

Treffpunkt um 9:15 Uhr. Und egal, welches Wetter,<br />

was für ein Tag – sogar an Weihnachten ist<br />

dort eine Gruppe Fahrer. Es können Junioren,<br />

Veteranen, Frauen, Profis sein, ganz egal – es ist<br />

immer eine Gruppe da. Es leben eine Handvoll<br />

Profis da – ich, Pete Kennaugh, Stannard ist da,<br />

Ben Swift, Mark Christian. Eine gute alte Gruppe,<br />

und wir fahren einfach raus und los.<br />

CE: Das ist das Schöne am Radsport. Er bringt<br />

Fahrer zusammen, die das Grüne Trikot gewonnen<br />

haben, Sky-Profis, Veteranen, Frauen und Junioren,<br />

und sie können kommen und zusammen<br />

sein. Als ich aktiver Fahrer war, habe ich mich da-­<br />

r auf konzentriert, mich auf Rennen vorzuberei­<br />

FEBRUAR 2019 | PROCYCLING 43


AUSFAHRT DER CHAMPIONS<br />

ten, aber jetzt, wo ich mehr Abstand vom Renngeschehen<br />

habe, sehe ich den Reichtum des<br />

Radsports. Als Tour-Fahrer wusste ich, dass Leute<br />

am Straßenrand stehen, aber ich habe nie erkannt,<br />

wie viel Spaß die Leute dort haben. Jetzt<br />

genieße ich es, am Straßenrand in einem Weingarten<br />

zu sitzen und Champagner zu trinken und<br />

ein Picknick mit Freunden zu machen.<br />

MC: Ich schaue nicht viel Radsport. Ich schaue<br />

mir lieber die Junioren, U23-Fahrer oder Frauen<br />

bei der Weltmeisterschaft an. Es gibt im Peloton<br />

viele Leute, die ich nicht mag, und viele Leute,<br />

die mich nicht mögen. Ich will es mir nicht anschauen.<br />

Es wäre, wie die Videoüberwachung<br />

deines Büros anzuschauen. Frauenrennen sind<br />

unvorhersehbarer. Es macht Spaß, sie anzuschauen.<br />

Bei Junioren und U23 ist es dasselbe und ich<br />

schaue mir lieber das an als mir anzuschauen, wie<br />

… irgendein Idiot gewinnt.<br />

CE: Hast du ein Rennen, das du jedes Jahr auf<br />

jeden Fall anschaust? Es gibt eins, das ich immer<br />

schauen muss.<br />

MC: Welches?<br />

CE: Roubaix. Das muss ich schauen, komme, was<br />

da wolle. Ich bin es nie gefahren, aber ich liebe es.<br />

MC: Du bist Roubaix nie gefahren?<br />

CE: Nie.<br />

MC: Ich bin es zu Ende gefahren und habe gesagt:<br />

Das ist verdammt noch mal das Krasseste, was<br />

ich je gemacht habe. Ich mache es nie wieder.<br />

CE: Darum liebe ich es. Ich habe viele Lieblingsstrecken<br />

– weil es für mich etwas Besonderes ist,<br />

die Great Ocean Road; es hat mich gereizt, weil es<br />

eine so schöne Strecke ist. Außerdem ist mein<br />

Rennen dort. Die Dolomiten sind die landschaftlich<br />

schönsten und spektakulärsten Berge zum<br />

Radfahren. Die Schweizer Alpen gehören zu meinen<br />

Lieblingsbergen. Colorado ebenfalls.<br />

ACHTET IHR AUF<br />

DIE LANDSCHAFT,<br />

WENN IHR FAHRT?<br />

MC:Du siehst nicht viel davon, wenn du Rennen<br />

fährst. Du nimmt es wahr, schaust es dir aber<br />

nicht an.<br />

CE: Ich habe die Strecken der Tour und des Giro<br />

vorher inspiziert, und ehrlich gesagt habe ich es<br />

genossen. Du bist in diesen schönen Bergen, und<br />

da konnte ich die Landschaft genießen und in<br />

mich aufnehmen und darüber nachdenken. Das<br />

war die therapeutische Seite. Ich habe trainiert<br />

und meinen Job gemacht, aber ich habe es wirklich<br />

genossen.<br />

MC: Warst du je auf Elba? Verdammt, es war eine<br />

der schönsten Fahrten, die ich je gemacht habe.<br />

Ich war da, nachdem Sagan mich aus der Tour<br />

[2017] befördert hat. Es ist nicht weit von mir –<br />

du kannst fahren und mit der Fähre übersetzen.<br />

Ich und Steve Cummings reden seit Jahren da-­<br />

r über, mit der Lambretta rüberzufahren. Es ist<br />

verdammt schön. Du hast Küsten und ziemlich<br />

hohe Berge. Ich liebe Inseln. Ich bin ein Inseljunge.<br />

WENN IHR RAUSFAHRT,<br />

LEGT IHR VORHER EINE<br />

ROUTE FEST ODER<br />

IMPROVISIERT IHR?<br />

MC: Ich lege fast nie eine Route fest. Wenn ich<br />

mich nicht gut fühle, versuche ich eine kleeblattförmige<br />

Strecke zu fahren, dann bin ich nie weit<br />

von zu Hause entfernt. Aber normalerweise entscheide<br />

ich einfach spontan.<br />

CE: Wenn ich spezielles Training machen musste,<br />

habe ich entsprechend geplant. Aber abgesehen<br />

von strukturiertem Training war meine Streckenplanung<br />

sehr aus dem Stegreif, wie bei Mark. Ich<br />

schaue mir manchmal Landkarten an, um mich<br />

inspirieren zu lassen, aber nicht, um zu planen.<br />

MC: Steve Cummings hat einen Wochenplan. Er<br />

macht jeden Tag eine andere Fahrt oder Session<br />

und fährt an jedem einzelnen Tag eine bestimmte<br />

Strecke. Wir leben im selben Ort, aber wir trainieren<br />

nie zusammen. Nie.<br />

MACHT EUCH DAS<br />

FAHREN AUCH MAL<br />

KEINEN SPASS?<br />

MC: Ich würde lügen, wenn ich nein sagen würde.<br />

Es gibt Phasen, wo es dir keinen Spaß macht, aber<br />

es ging nie nur ums Fahren. Ich liebe das Fahren.<br />

Ich liebe es, verdammt noch mal. Die Leute sagen<br />

manchmal, dass ich Glück habe zu tun, was ich<br />

tue. Wir haben kein verdammtes Glück – was wir<br />

alles opfern und wie viel Schufterei das ist, die<br />

Leute werden es nie verstehen. Ich habe das<br />

Glück, tun zu können, was ich liebe, aber was ich<br />

geleistet habe, ist kein Glück.<br />

CE: Es ist nie so, dass mir das Fahren keinen<br />

44 PROCYCLING | FEBRUAR 2019


AUSFAHRT DER CHAMPIONS<br />

Spaß macht, aber es gab Augenblicke in meiner<br />

Karriere, wo ich dachte: Warum zum Teufel mache<br />

ich das? Wenn es schneit, du fährst den Gavia<br />

runter und deine Hände sind so kalt, dass<br />

du nicht mal bremsen kannst. Ob ich morgens<br />

wach werde und nicht fahren will? Nun ja, ich<br />

werde morgens wach und will meine Shorts nicht<br />

anziehen oder mein Rad nicht putzen. Ich will<br />

das Rad nicht einpacken und zum Flughafen fahren.<br />

Aber wenn ich einmal unterwegs bin, habe<br />

ich selten ein Problem.<br />

WELCHES IST DER<br />

HÄRTESTE RITT, DEN<br />

DU JE AUSSERHALB<br />

EINES RENNENS<br />

ABSOLVIERT HAST?<br />

MC: Ich war Ende 2015 auf dem Teide. Ich hatte<br />

mir bei der Tour of Britain die Schulter verletzt<br />

und war sechs oder sieben Wochen ausgefallen<br />

und mit der Nationalmannschaft da. Das war<br />

hart. Aber das ist eine gute Frage, das bin ich noch<br />

nie gefragt worden.<br />

CE: Ich bin viele harte Strecken gefahren, aber<br />

das wird gewesen sein, wenn ich irgendwo unterwegs<br />

war und drei Stunden mit einem Hungerast<br />

gefahren bin.<br />

WIE ARBEITET IHR<br />

MIT DEM TEAM<br />

ZUSAMMEN?<br />

MC: Cadel versteht es. Er versteht mich. Und<br />

er drückt sich klar aus. Es ist nicht leicht, mit<br />

mir zu arbeiten. Wenn du mich verstehst, ist<br />

es leicht, mit mir zu arbeiten. Ich bin geradlinig.<br />

Ich erzähle dir keinen Mist und ich will nicht,<br />

dass du mir Mist erzählst. Das versteht er, und<br />

wir arbeiten gut zusammen. Er versteht, was<br />

ich sage.<br />

CE: Als Cav vor zwei Jahren zu meinem Rennen<br />

kam, habe ich ihn außerhalb des Radsports<br />

kennengelernt. Ich kannte den „Boy Racer“,<br />

aber wir sind zusammen ausgegangen, waren<br />

mit Andy Murray unterwegs. Ich habe seine<br />

Wurzeln gesehen und Ähnlichkeiten mit meiner<br />

eigenen Erfahrung und Karriere. Es gab<br />

Momente in meiner Karriere, wo die Leute den<br />

Glauben an mich verloren haben. Ich habe an<br />

einem Tag in meiner Karriere mit einem Teamchef<br />

gesprochen, der mir in die Augen schaute<br />

und sagte: ‚Alles, was du brauchst, sind ein<br />

paar Leute, die an dich glauben.‘ Und ich sagte:<br />

‚Genau das will ich.‘ Das war der Tag vor der<br />

Weltmeisterschaft 2009. Und da BMC Partner<br />

von Dimension Data ist, wollen wir Mark<br />

nach Kräften unterstützen, damit er wieder<br />

der Alte ist.


AUSFAHRT DER CHAMPIONS<br />

Diagnose gefahren. Ich war Siebter der Tour<br />

2012, aber habe es erst zwei Wochen nach Olympia<br />

in London festgestellt. Der Arzt rief mich an<br />

und verordnete mir, nach Hause zu gehen und<br />

mich zwei Monate auf die Couch zu setzen.<br />

WAS IST DEINE JOB­<br />

BEZEICHNUNG, CADEL?<br />

CE: Ich bin globaler Botschafter für BMC. Wir<br />

sind ein Partner von Dimension Data und innerhalb<br />

des Teams bin ich eine Art Mentor – wir legen<br />

noch fest, wie das genau aussieht. Ich kann<br />

eingreifen und dies und jenes sagen, und ich kann<br />

die Dinge auf vielen verschiedenen Ebenen sehen<br />

und helfen. Wir wollen, dass Cav das bestmögliche<br />

Material hat. Wir haben ein neues Aero­<br />

Rennrad entwickelt, von dem ich glaube, dass es<br />

fantastisch für ihn sein wird. Wir können einige<br />

Feinjustierungen für ihn und seine Bedürfnisse<br />

vornehmen. Kleine Dinge, die einen großen Effekt<br />

haben können.<br />

MC: Ich sehe nicht wie ein Rennfahrer aus. Und<br />

Cadel sah nicht wie ein Rundfahrtsieger aus. Er<br />

fährt anders. Ich bin kein großer, starker Sprinter.<br />

Rennräder sind darauf ausgelegt, Kraft zu übertragen<br />

und auf die Straße zu bringen, aber so fahre<br />

ich nicht.<br />

CE: So, wie er sprintet, wird der Lenker, den wir<br />

für ihn konstruieren müssen, uns vor eine Herausforderung<br />

stellen. Wir müssen die Art, wie wir ihn<br />

gebaut haben, umkehren, weil er anders fährt.<br />

MC: Es sind nicht die Rennräder, die falsch für<br />

mich sind – ich bin es, der falsch für die Rennräder<br />

ist.<br />

WAS LERNST DU<br />

VON MARK, CADEL?<br />

CE: Vieles. Vor allem, dass Hunger dich sehr weit<br />

bringen kann. Wir sind unterschiedliche Fahrer<br />

„NIEMAND VERSTEHT<br />

DIESEN VIRUS. ICH WÜRDE<br />

MIR LIEBER JEDEN KNOCHEN<br />

IM LEIB BRECHEN, ALS<br />

DIESEN VERDAMMTEN<br />

VIRUS ZU HABEN.“<br />

MARK CAVENDISH<br />

– er ist Sprinter und er ist so gut in dem, was er<br />

macht, dass ich ihn nie infrage stellen werde. Es<br />

ist faszinierend, wie viele verschiedene Herangehensweisen<br />

zu Erfolg führen können. Er ist kein<br />

normaler Rennfahrer. Schau dir seine Schuhgröße,<br />

Beinlänge, seine Größe, seinen Körperbau an.<br />

Aber schau dir die Resultate an!<br />

UND WAS BEKOMMST<br />

DU VON CADEL, MARK?<br />

MC: Wir haben viel darüber gesprochen, wie man<br />

Leute managt. In meiner ganzen Karriere war ich<br />

Teamkapitän. Das war immer mein Job. Er erklärt<br />

mir, wie ich das Beste aus dem Team heraushole.<br />

Das habe ich gemacht, und es ist mir leichtgefallen.<br />

Er hat es mir aus psychologischer Sicht erklärt.<br />

Und Epstein-Barr hatten wir beide.<br />

CE: Das war der Auslöser für den Anfang vom<br />

Ende meiner Karriere. Ich bin sieben Monate ohne<br />

DU WURDEST MIT<br />

EPSTEIN-BARR SIEBTER<br />

DER TOUR 2012?<br />

CE: Ich bin dort angetreten, ohne zu wissen, dass<br />

ich es hatte. Es gab in meiner ganzen Karriere keinen<br />

so harten Ritt wie diesen, glaub’ mir.<br />

MC: Niemand versteht diesen Virus. Ich würde<br />

mir lieber jeden Knochen im Leib brechen, als<br />

diesen verdammten Virus zu haben.<br />

CE: Als Ausdauerathlet oder Rennfahrer lernst<br />

du als Erstes: Zu sagen, dass du erschöpft bist, ist<br />

die schwächste Ausrede, also benutze sie nicht.<br />

Und was ist das Hauptsymptom dieses Virus’?<br />

Du bist erschöpft. Okay, das kannst du nicht sagen<br />

und dich nicht darüber beschweren. Also weitermachen.<br />

Du nimmst dir vielleicht zwei Tage<br />

frei. Aber damit brauchst du zwei Monate frei.<br />

MC: Deine natürliche Reaktion, wenn du erschöpft<br />

bist, ist, dass du härter trainierst, weil<br />

du glaubst, dass du nicht gut unterwegs bist. In<br />

diesem Jahr war ich in so guter Form, aber es sah<br />

aus, als wäre ich total schlecht drauf. Die Mentalität<br />

ist, dass du dich härter antreibst, wenn du<br />

dich nicht gut fühlst. Cadel hat mich letztes Jahr<br />

überraschend angerufen und gesagt: ‚Überstürze<br />

es nicht.‘<br />

CE: Ich erinnere mich, dass ich in der schlimmsten<br />

Phase wach wurde. Ich schlafe nicht viel, aber<br />

ich wurde nach zehn oder elf Stunden wach,<br />

schaute in den Spiegel und sah aus, als wäre ich<br />

zehn Jahre gealtert. Vier oder fünf Kaffee zum<br />

Frühstück, ich fuhr drei Kilometer die Straße runter.<br />

Es war früh in der Saison, ich sah ein bisschen<br />

Gras im Schnee und hätte mich am liebsten dort<br />

schlafen gelegt. Trotzdem habe ich das Training<br />

absolviert, vier Stunden in den Bergen.<br />

MC: Es ist fürchterlich. Du kannst nichts machen.<br />

Wenn du die Treppen hochläufst, musst du dich<br />

ins Bett legen. Du kannst echt nichts machen. Du<br />

kannst keine Zeit mit deinen Kindern verbringen.<br />

CE: Du wirst reizbar und frustriert. Die Erschöpfung<br />

war schwer genug, aber dann verliert auch<br />

noch dein Team den Glauben an dich.<br />

MC: Das ist, weil die Leute es nicht verstehen. Ich<br />

habe mich bei Mark Renshaw entschuldigt, weil er<br />

es hatte. Erst dachte ich, das ist schwach, Renshaw.<br />

Jetzt erkenne ich, dass die meisten Leute so denken;<br />

also musste ich mich entschuldigen.<br />

46 PROCYCLING | FEBRUAR 2019


AUSFAHRT DER CHAMPIONS<br />

FEBRUAR 2019 | PROCYCLING 47


DAS<br />

WETTRÜSTEN<br />

DER SPRINTER<br />

48 PROCYCLING | FEBRUAR 2019


„Das Sprinten hat sich in den letzten Jahren sehr<br />

geändert. Du hast es jetzt nicht nur mit Sprintern<br />

zu tun, sondern mit einer Menge Sprintzüge.<br />

Sie sind schwer vorherzusagen und die<br />

Variablen sind größer geworden.“<br />

Text Sam Dansie & Sophie Hurcom<br />

Fotografie Jared Gruber<br />

FEBRUAR 2019 | PROCYCLING 49


DAS WETTRÜSTEN DER SPRINTER<br />

DER SIEG<br />

0 METER<br />

DER SPRINT<br />

200 METER<br />

© Getty Images (oben)<br />

ELIA VIVIANI: Wenn auf den letzten zehn<br />

Metern niemand neben dir ist oder die Geschwindigkeit<br />

so hoch ist, dass niemand an dir vorbeikommt,<br />

ist das der beste Moment. Es ist ein<br />

Sekundenbruchteil, aber du genießt es. Und dann<br />

kommt das Adrenalin. Du hast während des ganzen<br />

Sprints einen sehr hohen Adrenalinspiegel,<br />

aber wenn du es über die Ziellinie schaffst, explodieren<br />

all diese Emotionen.<br />

Ein euphorischer Schrei, als Cavendish<br />

einen weiteren Sieg holt.<br />

SPRINTZUG<br />

1 KM–250 M<br />

CAVENDISH: Vorher hattest du einen Fahrer, der<br />

dein Pilotfisch war. Daher kommt der Sprintzug.<br />

In den Jahren 2007 und 2008 habe ich neun von<br />

zehn Sprints gewonnen, die ich gefahren bin. Ich<br />

dachte, wenn ich einen Sprintzug habe, kann ich<br />

zehn von zehn Sprints gewinnen. Das haben wir<br />

einfach gemacht, und das hat die Siege garantiert.<br />

KITTEL: Die Zeit der großen Sprintzüge endete<br />

2013/14. Wenn ich an die Tour in diesen Jahren<br />

zurückdenke, so hatte mein Team immer einen<br />

Kampf mit Lotto Soudal, und es kamen mehr<br />

Sprinter mit starken Teams.<br />

BENNETT: Wenn nicht so viele Topfahrer bei einem<br />

Rennen sind, spielt der Sprintzug eine größere<br />

MARK CAVENDISH: Die Leute glauben, beim<br />

Sprinten legt man 150 Meter vor dem Ziel los.<br />

Aber 150 Meter sind kurz. Es sind eher 200 Meter<br />

oder 250 Meter, und du warst vorher schon<br />

fünf Minuten im roten Bereich. Jeder kann eine<br />

hohe Wattzahl treten. Es geht darum, wie hart<br />

du sprinten kannst, wenn du schon im roten Bereich<br />

bist.<br />

ANDRÉ GREIPEL: Es gibt immer noch ein bisschen<br />

Power, die du aus den Beinen holen kannst.<br />

Manchmal bist du, bevor du<br />

den Sprint eröffnest, tot – wirklich<br />

tot –, aber du hast noch<br />

eine Leistungsspitze. Manchmal<br />

überraschst du dich selbst,<br />

was du aus dir herausquetschen<br />

kannst. Es ist das Ziellinienfieber.<br />

MARCEL KITTEL: Die Ziellinie<br />

ist meine rote Linie. Wenn ich<br />

in guter Form bin und die Ziellinie<br />

überquere und gewinne,<br />

erinnere ich mich nicht, wie sehr<br />

ich mich auf den letzten fünf<br />

Kilometern verausgabt habe.<br />

SAM BENNETT: Es ist schwer,<br />

in diese Blase der Topsprinter<br />

einzudringen, denn niemand<br />

will, dass du mit um den Sieg<br />

sprintest.<br />

Rolle, weil du sonst einfach weggeschwemmt wirst.<br />

So viele Leute wollen Sprintzüge. Ich glaube fast, es<br />

sind zu viele und du musst es alleine machen.<br />

VIVIANI: Die beste Position ist immer, wenn deine<br />

Anfahrer einen Kilometer vor der Linie loslegen<br />

und du zwei Leute hast und weißt, dass sie dich<br />

200 Meter vor die Linie bringen. Wenn dir niemand<br />

den Sprint anfährt, ist die beste Position<br />

am Hinterrad des Sprinters, der Anfahrer hat. Du<br />

musst wissen, wer am besten organisiert ist.<br />

GREIPEL: Es gibt keinen vollen Sprintzug mehr.<br />

Der Platz auf der Straße ist begrenzt. Es läuft darauf<br />

hinaus, dass die letzten zwei Fahrer vor dem<br />

Sprinter alles richtig machen. Heutzutage versuchen<br />

viele Teams, den perfekten Sprintzug aufzubauen,<br />

deswegen ist es wie ein Beschleunigungsrennen.<br />

Um zu gewinnen, musst du förm-­<br />

lich fliegen, aber das ist schwer, weil viele andere<br />

Teams viel Betonung und Aufmerksamkeit auf<br />

einen Sprintzug legen.<br />

Die letzten Phasen eines Sprintfinales<br />

sind immer chaotisch.<br />

CHAOS<br />

3 KM–1 KM<br />

BENNETT: Sprints fühlen sich unbarmherziger<br />

an. Es gibt heute so viele gute Sprinter und es gibt<br />

eigentlich keinen, der herausragt. Jeder ist schlagbar.<br />

Ich glaube, das macht es chaotischer: Jeder<br />

weiß, dass er gewinnen kann.<br />

CAVENDISH: Bei Highroad wollten andere<br />

Teams bei uns dazwischenfunken wie Liquigas<br />

und Lotto, aber das haben sie nicht geschafft.<br />

Selbst 2011 kamen mal ein oder zwei an uns<br />

vorbei – Greipel, Tyler Farrar –, aber wir haben<br />

es geschnallt und waren immer noch ziemlich<br />

dominant.<br />

GREIPEL: Sprintgeschwindigkeiten und das<br />

Chaos sind größer denn je, glaube ich. Das sind<br />

Radrennen. Jeder muss selber wissen, welches<br />

Risiko er eingehen will.<br />

VIVIANI: Der chaotischste Moment ist zwischen<br />

zwei Kilometern und einem Kilometer vor dem<br />

Ziel. In dem Moment weißt du, ob du in einer guten<br />

Position bist, um zu gewinnen, oder nicht –<br />

das ist der chaotischste Moment, weil jeder in der<br />

Position sein will, um zu gewinnen.<br />

TOM STEELS: Für Fahrer wie Viviani, die von der<br />

Bahn kommen, ist das Chaos ihre zweite Natur.<br />

Es ist die natürliche Herangehensweise an den<br />

Sprint. Du kannst so stark sein wie ein Pferd, aber<br />

wenn du nicht das Gespür hast, die Position zu<br />

finden, kannst du nicht schnell sein – und in dieser<br />

Phase kommt es auf Erfahrung an.<br />

KITTEL: Letztendlich wird es immer ein dominantes<br />

Team geben, das sich in dem Chaos behauptet<br />

und einen Sprintzug bildet. In diesem<br />

Jahr war es Quick-Step. Es kommt auf Erfahrung<br />

und Kraft an, und es kann sich von Rennen zu<br />

Rennen ändern.<br />

50 PROCYCLING | FEBRUAR 2019


DAS WETTRÜSTEN DER SPRINTER<br />

STURZ-<br />

BOMBER<br />

5 KM–1 KM<br />

CAVENDISH: Anders als man glaubt, kann es<br />

sein, dass ich gelegentlich ein Risiko eingehe, aber<br />

ich gefährde nicht absichtlich einen anderen Fahrer.<br />

Dich selbst einem Risiko auszusetzen, ist eine<br />

Sache, einen anderen einem Risiko auszusetzen,<br />

ist etwas anderes, aber das ist heute ein Problem<br />

geworden.<br />

BENNETT: Wenn du genug Sprints gefahren bist,<br />

kannst du Muster erkennen, zum Beispiel, wer<br />

wem folgt. Deswegen trage ich keine Brille mit<br />

Fassung unten, weil ich unter dem Arm durchschaue.<br />

Die letzten fünf Kilometer … muss ich<br />

sehen, was los ist, und am Funk sein oder dem<br />

ersten Typ zuschreien, dass er die Straße dichtmachen<br />

soll. Wenn du spürst, dass du auf einer<br />

Seite bist, und spürst, dass sie auf der linken Seite<br />

nach vorne drängen … da würden wir schon das<br />

ganze Peloton auf die andere Seite der Straße<br />

bringen. Nicht mit Gewalt, aber wir kontrollieren<br />

die Spitze und können fahren, wo wir wollen.<br />

DIE VORBEREITUNG<br />

80 KM–5 KM<br />

CAVENDISH: Die Tour ist verdammtes Chaos.<br />

Du musst auf den letzten 50 Kilometern unter<br />

den ersten 30 Fahrern sein.<br />

BENNETT: Nach dem,<br />

was ich gesehen habe,<br />

beginnt das<br />

Tour-de-France-<br />

Finale 80 bis<br />

50 Kilometer vor<br />

dem Ziel. Bei<br />

kleineren Rennen<br />

kannst du<br />

zehn bis fünf<br />

Kilometer vorher<br />

anfangen.<br />

Beim Giro sind<br />

es vielleicht 20 bis<br />

15 Kilometer vor der<br />

Linie. Wenn wir sagen,<br />

wir wollen an einem<br />

bestimmten<br />

Punkt zusammen<br />

sein, müssen wir zusammen<br />

sein.<br />

VIVIANI: Jeder Angriff auf den letzten zwei, drei<br />

Kilometern kommt, weil die Geschwindigkeit der<br />

Gruppe nicht super hoch ist und jemand versucht,<br />

im letzten Moment zu entwischen. Aber wenn<br />

vorne ein richtiger Sprintzug unterwegs ist, ist<br />

eine solche Aktion nicht leicht.<br />

KITTEL: Ich glaube, dass gefährliche Vorstöße in<br />

der letzten Minute zum Spiel gehören, und ich<br />

glaube nicht, dass die Leute es absichtlich machen.<br />

Sie sind vielleicht nervös, sie wollen nach<br />

vorne kommen und vielleicht haben sie manchmal<br />

eine gefährliche Fahrweise. Aber es gibt Respekt<br />

zwischen den Sprintern.<br />

„WENN DU GENUG<br />

SPRINTS GEFAHREN BIST,<br />

ERKENNST DU MUSTER, ZUM<br />

BEISPIEL, WER WEM FOLGT.<br />

DESWEGEN TRAGE ICH KEINE<br />

BRILLE MIT FASSUNG UNTEN,<br />

WEIL ICH UNTERM ARM<br />

DURCHSCHAUE.“<br />

SAM BENNETT<br />

GREIPEL: Bei der Tour ist es in der letzten Stunde<br />

unmöglich, Positionen gutzumachen. Wenn<br />

du die ganze Unterstützung des Teams willst,<br />

musst du unter den ersten 30 sein.<br />

STEELS: Du schaust dir immer den Start an –<br />

die gefährlichen Stellen, eine Chance, wo sich<br />

die Ausreißer absetzen können. Dann schaust<br />

du dir die letzten 50 Kilometer ganz genau an –<br />

ob es die Gefahr einer Windstaffel gibt oder ob<br />

es die Möglichkeit einer Windstaffel gibt, das<br />

kann man so oder so sehen. Dann schaust du dir<br />

die letzten zehn Kilometer besonders genau an,<br />

dann die letzten fünf Kilometer supergenau. Wir<br />

versuchen, die Funkinformationen an die Fahrer<br />

in Grenzen zu halten, aber je nach Strecke oder<br />

vo rausfahrendem Wagen gibst du ihnen zusätzliche<br />

Informationen. Du musst fähig sein, die<br />

Informationen an Fahrer zu geben, die einen Puls<br />

von 170 haben.<br />

Viviani passt immer genau<br />

darauf auf, wo seine Rivalen sind.<br />

KENNE<br />

DEINE<br />

RIVALEN<br />

BENNETT: Ich schaue mir Sprints an. Es sind<br />

nicht mal Hausaufgaben, es macht mir Spaß,<br />

glaube ich. Jeder hat seinen eigenen Sprintstil<br />

und seine eigene Persönlichkeit auf den letzten<br />

Metern und du musst das Ganze im Griff behalten,<br />

ohne zu besessen davon zu sein. Du musst<br />

dich auf dich selbst konzentrieren – es geht einfach<br />

darum, deine Gegner zu kennen.<br />

VIVIANI: Wenn wir bei einem Rennen starten,<br />

analysieren wir, wer daran teilnimmt: welche anderen<br />

Sprinter; welche Teams sind so organisiert<br />

wie wir; wer kann letzter Mann sein oder mit uns<br />

konkurrieren. Einfach um zu verstehen, wer unsere<br />

Rivalen in dem Moment sind. Wir planen die<br />

ersten Sprints so gut wie möglich. Wenn wirklich<br />

gefährliche Konkurrenten auftauchen wie Bennett<br />

beim Giro, versuchen wir zu verstehen, wie er uns<br />

schlug. So haben wir zum Beispiel in Praia a Mare<br />

verloren und verstanden, dass er an mir vorbeikommt,<br />

wenn er die letzten 50 Meter an meinem<br />

Hinterrad ist, daher müssen wir etwas ändern.<br />

Wenn Kittel bei einem Rennen ist, wissen wir,<br />

dass er wahrscheinlich stärker ist als ich. Es ist<br />

schwer für mich, an ihm vorbeizukommen, weil<br />

er 300 Watt mehr hat.<br />

CAVENDISH: Du schaust dir an, welche Fahrer<br />

von welchen Teams dabei sind. Wo sie sich normalerweise<br />

positionieren. Und du weißt, wo sie<br />

den Sprint eröffnen, wie lang ihr Sprint ist und ob<br />

sie nervös sind und sich einschüchtern lassen.<br />

KITTEL: Ich konzentriere mich nur auf mich<br />

selbst und mein Team und unseren Plan – das<br />

ist immer das Wichtigste und wird es auch in<br />

Zukunft bleiben.<br />

© Getty Images, Yuzuru Sunada (Viviani)<br />

FEBRUAR 2019 | PROCYCLING 51


DAS WETTRÜSTEN DER SPRINTER<br />

MARK CAVENDISH<br />

Siege: 146<br />

Dimension Data<br />

Der dominanteste Sprinter seiner Generation mit<br />

30 Tour-Etappensiegen, einem Sieg bei Mailand–San<br />

Remo und einem Weltmeistertitel auf der Straße.<br />

ELIA VIVIANI<br />

Siege: 67<br />

Deceuninck–Quick-Step Floors<br />

Der Italiener fährt auf Bahn und Straße, holte Gold im<br />

Omnium bei den Olympischen Spielen in Rio und<br />

gewann 2018 sieben Etappen bei großen Rundfahrten.<br />

SAM BENNETT<br />

Siege: 29<br />

Bora–hansgrohe<br />

Der Ire war 2018 erstmals bei einer großen Rundfahrt<br />

erfolgreich und gewann drei Giro-Etappen.<br />

MARCEL KITTEL<br />

Siege: 88<br />

Katusha-Alpecin<br />

Als Neuprofi sorgte er 2011 mit 17 Siegen für Aufsehen.<br />

Er hat 14 Tour-Etappen gewonnen, dazu vier Etappen<br />

beim Giro und eine bei der Vuelta.<br />

EINSATZ FÜR DIE<br />

SACHE<br />

STEELS: Wenn wir aus dem Bus steigen,<br />

haben wir zu 80 Prozent einen Plan, wie<br />

wir an das Finale herangehen. Wenn wir<br />

einen Sprinter an Bord haben, kontrollieren<br />

wir immer das Rennen, und das gibt den<br />

Fahrern einen psychologischen Vorteil. Es<br />

ist gut für diese Generation – sie wollen,<br />

dass wir das Rennen kontrollieren, daher<br />

ist es kein zusätzlicher Druck. Sie sagen<br />

einfach: Okay, lass es uns versuchen.<br />

CAVENDISH: Bei Highroad war es mehr<br />

als ein Job. Es war eine Gruppe von Fahrern.<br />

Wir trainierten zwar nicht zusammen,<br />

wir trainierten nie den Sprintzug,<br />

aber wir standen füreinander ein. Jeder<br />

fühlte sich als ein Teil des Sieges. Und du<br />

hattest niemanden, der versuchte, in die<br />

Top 20 zu kommen und sich zu schonen.<br />

In diesem Jahr, 2019, wird unser Team<br />

nach Persönlichkeit und Talent zusammengestellt.<br />

GREIPEL: Das Team hat mir immer mit<br />

einem perfekten Sprintzug geholfen, und<br />

deswegen war ich ziemlich erfolgreich.<br />

Wenn etwas schief ging, haben wir an­<br />

schließend das Rennen analysiert. Als<br />

Sprintzug haben wir versucht, uns aufeinander<br />

einzustellen, weil wir zusammen<br />

gewinnen und zusammen verlieren.<br />

BENNETT: Das Wichtigste ist, dass du bei<br />

einem Rennen dieselben Leute vor dir hast.<br />

Mein letzter Mann lernt, was ich brauche,<br />

und ich weiß schon, was er denkt – aber er<br />

muss dieselbe Beziehung zu dem Mann vor<br />

ihm haben. Das sind Entscheidungen in<br />

Sekundenbruchteilen, und du musst die<br />

anderen sehr gut kennen.<br />

VIVIANI: Wenn du in die Saison startest,<br />

willst du, dass die letzten zwei Fahrer im<br />

Sprintzug immer dieselben sind, denn das<br />

Gefühl in diesem Augenblick des Rennens<br />

ist wirklich entscheidend. Du musst alles<br />

über den Sprinter wissen, und je mehr Rennen<br />

sie mit dir fahren, umso besser.<br />

Ein starker Zusammenhalt im Team zahlt<br />

sich aus, soll der Sprintzug funktionieren.<br />

ANDRÉ GREIPEL<br />

Siege: 155<br />

Arkea-Samsic<br />

Mit seinem muskulösen Körperbau als „Gorilla“ bekannt,<br />

ist Greipel einer der beständigsten Sprinter seiner Zeit.<br />

Er gewann elf Tour-Etappen, sieben beim<br />

Giro und vier bei der Vuelta.<br />

TOM STEELS<br />

Tour-Etappensiege: 9<br />

Deceuninck–Quick-Step Floors<br />

© Getty Images, Yuzuru Sunada (Steels)<br />

Der erfolgreiche Sprinter und Klassiker-Jäger aus<br />

Belgien arbeitet seit dem Ende seiner Karriere als<br />

Sportlicher Leiter bei Quick-Step.<br />

SEBASTIAN WEBER<br />

Sportwissenschaftler<br />

Der frühere HTC-Trainer arbeitete bei Lotto mit<br />

André Greipel. Derzeit berät er Sportler aus<br />

unterschiedlichen Disziplinen.<br />

52 PROCYCLING | FEBRUAR 2019


DAS WETTRÜSTEN DER SPRINTER<br />

In dem Maße, wie<br />

sich die Rennen<br />

geändert haben,<br />

hat sich auch das<br />

Training für die<br />

Sprints entwickelt.<br />

FEINSCHLIFF FÜR TRAINING<br />

UND PRAXIS<br />

SEBASTIAN WEBER: Sprinter sind spezialisiertere<br />

Sprinter geworden und haben etwas von<br />

ihrer Ausdauer geopfert. Zum Beispiel haben<br />

Andrés Wattzahlen in den letzten zehn Jahren<br />

um 15 Prozent zugenommen – so viel brauchst<br />

du, um mitzuhalten. Als er zu Lotto kam, haben<br />

wir zwei Gruppen aufgemacht, die bei Trainingslagern<br />

gegeneinander fuhren. Eine war der Sprintzug<br />

und die andere war dazu da, ihre Taktik<br />

durcheinanderzubringen und dazwischenzufunken.<br />

Die Maßgabe war: Je weniger Energie André<br />

bis zu diesem Punkt aufwendet, umso besser.<br />

Es war ein extrem gutes Training.<br />

KITTEL: Ich glaube, ein Fahrer muss generell im<br />

Laufe der Jahre herausfinden, was gut für ihn ist.<br />

Ich habe immer spezielles Sprinttraining gemacht,<br />

aber keine hoch geheimen Sachen. Ich<br />

habe einfach Sprints in meine Fahrten eingebaut,<br />

bin ins Fitnessstudio gegangen … Am Ende geht<br />

es einfach darum, in Bestform zu sein, sodass du<br />

deine Kraft und Power zeigen kannst. Ich habe<br />

die Trainer gewechselt und verschiedene Trai­<br />

ningsmethoden ausprobiert, aber das Ergebnis ist<br />

immer dasselbe. Wenn ich gut trainiere, gut<br />

schlafe und gut esse, bin ich sehr schnell.<br />

BENNETT: Sprinter müssen heutzutage einen<br />

viel größeren Motor haben. So viele Sprinter können<br />

auch klettern, daher musst du nicht nur den<br />

Sprint lesen können und schnell und clever, sondern<br />

auch wirklich stark sein.<br />

VIVIANI: Ich baue immer die Bahn in meine<br />

Vorbereitung ein – es ist kurz, aber es ist sehr<br />

effektive Arbeit. Ich mache viele stehende Starts.<br />

Es ist leichter, Motorpacing ohne einen supergroßen<br />

Gang zu machen. Du fährst 100, 110 Umdrehungen,<br />

machst dann alle fünf Minuten einen<br />

guten Sprint, gehst in einer Runde von 100 Umdrehungen<br />

wirklich voll auf 130, dann wieder zurück<br />

zum Motorpacing. Es ist wie ein richtiges<br />

Motorpacing auf der Straße, aber … Der starre<br />

Gang ist die Hauptsache, denn wenn du 100 Umdrehungen<br />

fährst, fährst du eine Stunde lang<br />

100 Umdrehungen, du kannst nicht von 50, 60,<br />

80 auf 100 wechseln; du fährst mit dieser Geschwin<br />

digkeit und diesen Umdrehungen. Wenn<br />

ich auf der Straße auf den letzten Kilometer komme,<br />

muss ich alles in einem Moment analysieren:<br />

Wer fährt vor mir den Sprint an, bin ich in einer<br />

guten Position; die Kurve, die gleich kommt; von<br />

wo der Wind weht; ob ein Sprinter von hinten<br />

kommt, den ich als Anfahrer benutzen könnte.<br />

Diese Dinge musst du in zwei Sekunden analysieren<br />

und reagieren. Die Bahn hat mir mental dabei<br />

geholfen, immer bereit zu sein, die Entscheidung<br />

im richtigen Moment zu treffen.<br />

DIE BAHN HAT MIR MENTAL<br />

DABEI GEHOLFEN, BEREIT<br />

ZU SEIN, DIE ENTSCHEIDUNG<br />

IM RICHTIGEN MOMENT<br />

ZU TREFFEN.<br />

ELIA VIVIANI<br />

© Getty Images<br />

FEBRUAR 2019 | PROCYCLING 53


54 PROCYCLING | FEBRUAR 2019


DAS<br />

DRAMA<br />

VON SAN<br />

REMO<br />

„Dieses Rennen ist wie eine Oper.<br />

Du startest in Mailand und es ist kalt und<br />

grau, dann kommst du an die Küste und die<br />

Sonne scheint. Du weißt nicht, was passieren<br />

wird. Es gibt so viele Szenarien – es ist episch.“<br />

Text Daniel Friebe Fotografie Jered Gruber<br />

FEBRUAR 2019 | PROCYCLING 55


SAN REMO<br />

© Yuzuru Sunada<br />

Dass Mark Cavendish sich noch darauf<br />

konzentriert, neues Material zu schreiben,<br />

statt seine größten Hits zusammenzustellen<br />

und zu bewundern, kann man seinem<br />

Vorschlag entnehmen, dass diese <strong>Procycling</strong>-<br />

Ausgabe, in der er als Gastredakteur mitwirkte,<br />

eine Hommage an Mailand–San Remo beinhalten<br />

sollte. Oder vielmehr kann man es aus der Einschränkung<br />

folgern, die Cavendish sofort vorbrachte:<br />

„Es soll nur nicht über mein San Remo<br />

sein. Ich möchte nicht, dass alles über mich ist.“<br />

Einige Leser mag eine solche Zurückhaltung<br />

verblüffen. Immerhin ist dies ein Fahrer, dem zu<br />

Beginn seiner Karriere immer vorgeworfen wurde,<br />

arrogant zu sein, die Agressivität eines Boxers<br />

in einen Sport zu tragen, dessen Protagonisten<br />

traditionell für ihre Bescheidenheit gelobt würden.<br />

„Ich nenne Ihnen nur die Fakten: Ich bin der<br />

beste Sprinter der Welt“, argumentierte Cavendish<br />

üblicherweise, nicht bereit, sich den prüden<br />

Traditionen des Radsports zu unterwerfen. Dann<br />

hatte er seine Freude daran, seine Kritiker zum<br />

Schweigen zu bringen – vor seiner nächsten großen<br />

Absichtserklärung, der nächsten Runde zungenschnalzender<br />

Missbilligung und dem sich<br />

wiederholenden Zyklus.<br />

Dieses Problem beim Übertünchen seines Debütsiegs<br />

2009 bei der Classicissima ist nicht – wie wir<br />

ihm erklären werden –, dass es diese Facette seiner<br />

frühen Karriere illustrierte. Tatsächlich war<br />

San Remo 2009 ungewöhnlich insofern, als Cavendish<br />

Experten und Rivalen aktiv davon abgehalten<br />

hatte, ihn als potenziellen Sieger zu sehen,<br />

und sich freute, als sie seinem Rat weitgehend<br />

folgten. „Das hat mir sehr geholfen“, gibt er jetzt<br />

zu. „Niemand hatte einen Plan oder fuhr nach<br />

einem Plan, um mich loszuwerden. Ich habe vorher<br />

gesagt, dass ich nicht gewinnen kann, und alle<br />

sind darauf reingefallen.“<br />

Es mag untypisch gewesen sein, aber Cavendishs<br />

San Remo ist unmöglich zu ignorieren, weil<br />

es auf den Umschlag oder eine Doppelseite seines<br />

persönlichen Kanons, aber auch des Rennens<br />

selbst gehört – ein Band, der sich über 111 Jahre<br />

erstreckt. Weit davon entfernt, „ein weiterer<br />

Massensprint zu sein“, verkörperten die atemberaubenden<br />

Momente, in denen er von hinten<br />

ange stie felt kam, sich an Heinrich Haussler heransaugte<br />

und schließlich an ihm vorbeizog, die<br />

mittlerweile zentrale These des ersten Monuments<br />

des Jahres: „Es ist ein Rennen, wo alles,<br />

aber auch alles, was du von der Sekunde an<br />

machst, wo du Mailand verlässt, zählt. Über einen<br />

Gullideckel auf der linken Seite zu fahren<br />

statt auf dem glatten Asphalt in der Mitte der<br />

Straße, kann über Sieg oder Niederlage entscheiden“,<br />

bemerkt Cavendish.<br />

Heute von den Ketzern als „langweiligster<br />

Klassiker“ verschrien, vereinte San Remo einst<br />

alle Kommentatoren zumindest in der Wertschätzung<br />

der Brutalität des Rennens. Bei der vierten<br />

Auflage anno 1910 brauchte der Sieger Eugène<br />

Christophe zwölf Stunden, um das Rennen zu<br />

beenden – und nur fünf weitere der 63 Starter sahen<br />

überhaupt die Ziellinie. Zwölf Monate zuvor<br />

als erster italienischer Meister gefeiert – und auch<br />

als erster Sieger des Giro d’Italia 1909 –, wurde<br />

Luigi Ganna Zweiter hinter Christophe und erzählte<br />

den Reportern, nachdem er sich durch<br />

Schneestürme am Turchino und einen Wolkenbruch<br />

an der Riviera del Ponente gekämpft hatte,<br />

prompt, dass er nie wieder an einem Radrennen<br />

Denkbar knapp gewinnt Cavendish<br />

vor Haussler bei San Remo 2009.<br />

56 PROCYCLING | FEBRUAR 2019


SAN REMO<br />

„ES IST SO ITALIENISCH. ES<br />

GIBT KEINEN GUTEN GRUND,<br />

DIESE DISTANZ ZU FAHREN,<br />

AUSSER DASS ES NICHT SAN<br />

REMO WÄRE, WENN DU SIE<br />

NICHT FAHREN WÜRDEST.“<br />

teilnehmen würde. Aber eine Stunde später war<br />

er aus der Ergebnisliste gestrichen. Der Grund:<br />

Gannas eigenes Team hatte ihn angezeigt, weil er<br />

einen großen Teil der Strecke in ihrem Auto zurückgelegt<br />

hatte.<br />

In diesen frühen Jahren und sogar noch in den<br />

ersten Jahrzehnten der Existenz des Rennens<br />

zeichneten sich verschiedene Themen ab. Einige<br />

sind heute noch zentral für das Narrativ von San<br />

Remo, wie die Besessenheit der Italiener von „einheimischen“<br />

Siegern, veranschaulicht etwa dadurch,<br />

dass Vittorio Varale, der erste große italienische<br />

Radsportjournalist, schrieb, seine „traurige<br />

Vorahnung“ sei, dass 1910 schon wieder „einer<br />

von denen“, also ein Franzose, gewinnen würde.<br />

Heutzutage bleibt immer noch ein gewisser Chauvinismus,<br />

aber er wird – glücklicherweise – etwas<br />

leichter genommen. Die Telegramme von diesen<br />

Auflagen der Classicissima vor dem Ersten Weltkrieg,<br />

abgesetzt von Korrespondenten, die an verschiedenen<br />

Stellen der Strecke postiert waren, und<br />

verteilt an die bis zu 3.000 Menschen, die sich<br />

vor den Redaktionsräumen der Gazzetta dello<br />

Sport in Mailand versammelt hatten, zeigen ein<br />

anderes Muster, das bleiben sollte: eine seltsam<br />

befangene Fixierung auf den inhärenten Wert<br />

des Rennens als Spektakel. Die Analyse anderer<br />

großer Rennen beinhaltet eine Besprechung der<br />

Taktik und der Protagonisten. Bei San Remo gibt<br />

es, aus welchen Gründen auch immer, einen neurotischen<br />

Zwang, der immer wieder Fragen nach<br />

der eigentlichen Essenz des Rennens aufwirft,<br />

seinem Grundrecht auf Existenz. Und das, obwohl<br />

es unter allen Monumenten vielleicht dasjenige<br />

ist, dessen Seele am reinsten geblieben ist,<br />

das, das sich radikalen Reformen besonders<br />

stoisch widersetzt hat.<br />

Was dennoch nicht heißt, dass San Remo im<br />

21. Jahrhundert von allen geliebt wird, wie wir<br />

festgestellt haben. Im Zeitalter von komplett<br />

übertragenden Tour-de-France-Etappen und Anstiegen<br />

wie Skihängen klingt eine siebenstündige<br />

Prozession auf dem großen Kettenblatt wie ein<br />

unzulässiger Anachronismus. Aber wie unser<br />

Gastredakteur uns erinnert, wohnt der Unausweichlichkeit<br />

von San Remo seine böse Lüge, sein<br />

essenzielles Paradox inne: das Vorhersehbarste<br />

an der Classicissima ist, dass ihre Bestimmung,<br />

ihr Urteil und ihr Sieger unsicher bleiben, bis zu<br />

ihren letzten Sekunden, seinen letzten Atemzügen,<br />

unserem letzten Schrei.<br />

„Es ist das einzige Rennen, das immer durch<br />

Sekundenbruchteile entschieden wird – nicht,<br />

weil das der Vorsprung des Siegers ist, obwohl das<br />

oft der Fall ist, sondern nur, weil jedes Zeitfragment,<br />

jede winzige Bewegung eine Auswirkung<br />

hat“, erklärt Cavendish. „Du hast keine Zeit, um<br />

Fehler zu korrigieren. Vielleicht ist es eine Illusion,<br />

aber ich glaube nicht, dass es bei anderen Rennen<br />

auch so ist. Es ist, als ob das Bild von jedem anderen<br />

Rennen 100 Pixel hätte und das von San<br />

Remo 10 Millionen.“ Er sagt weiter: „Es ist so italienisch.<br />

Ich meine, es gibt keinen guten Grund,<br />

diese Distanz zu fahren, außer dass es nicht San<br />

Remo wäre, wenn du sie nicht fahren würdest. Es<br />

entwickelt sich wie eine Oper, was nahelegt, dass<br />

es eine Logik hat, aber es gibt auch Dinge, die keinen<br />

Grund haben außer Tradition. Zum Beispiel:<br />

Warum geben wir am Turchino jedes Jahr so viel<br />

Gas? Es ist auch ein Rennen, das du auf den ersten<br />

100 Kilometern verlieren kannst. Es scheint<br />

zu Beginn so leicht zu sein, dass du vergisst, dass<br />

du Energie sparen musst; viele Fahrer sind im<br />

Wind und denken, es macht nichts aus, weil das<br />

Rennen zu dem Zeitpunkt so unkompliziert zu<br />

sein scheint. Sie vergessen, dass im Finale jedes<br />

einzelne Watt wichtig ist.“<br />

Es liegt auch an der konzentrierten Natur des<br />

Dramas, der Entscheidungen und der entscheidenden<br />

Angriffe, dass – wie Cavendish oft gesagt<br />

hat – Mailand–San Remo von allen Klassikern am<br />

leichtesten zu Ende zu fahren und am schwersten<br />

zu gewinnen ist. Als er bei seinem ersten Anlauf<br />

2009 gewann und die Gazzetta dello Sport es als<br />

„Sieg, der eine Ära prägen würde“ pries, schien es<br />

praktisch unvorstellbar oder zumindest sehr unwahrscheinlich,<br />

dass ein Jahrzehnt vergehen wür­<br />

Der siebenmalige Sieger Merckx gehört<br />

zu den wenigen, die sich der Dramaturgie<br />

von San Remo widersetzt haben.<br />

Am Poggio haben Puncheure noch<br />

eine Chance, den Sprint auf der Via Roma<br />

abzuwenden.<br />

© Offside Sports Photography (s/w)<br />

FEBRUAR 2019 | PROCYCLING 57


SAN REMO<br />

© Getty Images<br />

BEI DIESEM RENNEN,<br />

WIE FREIRE UND ZABEL<br />

VERAN SCHAULICHTEN,<br />

IST WIRTSCHAFTLICHKEIT<br />

EIN EBENSO WERTVOLLES<br />

GUT WIE TALENT.<br />

de, ohne dass Cavendish einen zweiten Klauenabdruck<br />

hinterlassen würde. Er weiß nicht genau,<br />

warum es keine Wiederholung und keine Dynastie<br />

gab wie die, die Erik Zabel, der ihn 2009 vom<br />

Highroad-Mannschaftswagen aus führte, in den<br />

späten 1990ern aufbauen konnte. „Ich dachte<br />

definitiv, dass ich es nach 2009 noch einmal gewinnen<br />

würde. Es hätte ein paar Mal nicht viel<br />

gefehlt, aber aus unterschiedlichen Gründen hat<br />

es nicht geklappt …“<br />

Darin sehen wir einen weiteren Widerspruch<br />

der Classicissima – dass auf jeden Merckx oder<br />

Zabel oder Freire, der eine funktionierende Formel<br />

entwickelte, ein großer Fahrer kommt, der den<br />

Code nicht knacken konnte. Michele Bartoli versuchte<br />

es ein paar Jahre am Poggio, ein paar Jahre<br />

an der Cipressa. Er kam in Massensprints in die<br />

Top Five, doch er beendete seine Karriere mit einem<br />

San-Remo-förmigen Loch in seinem ansonsten<br />

makellosen Klassikerjäger-Palmarès. Tom<br />

Boonen erging es ähnlich. In der heutigen Generation<br />

ist Peter Sagan das beste Beispiel für einen<br />

Athleten mit allen erforderlichen Qualitäten, aber<br />

bisher keinem Siegerstrauß – vielleicht, weil der<br />

Slowake noch nicht ganz begriffen hat, dass bei<br />

diesem Rennen, wie Cavendish uns sagte und<br />

Freire und Zabel veranschaulichten, Wirtschaftlichkeit<br />

ein ebenso wertvolles Gut ist wie Talent.<br />

Während es für einen Fahrer eine Karriere definieren<br />

kann, schätzt das normale Volk von San<br />

Remo sein Rennen als eine der Konstanten des Lebens<br />

und das zweitwichtigste Ereignis des Jahres<br />

nach dem Musikfestival im Februar – in Wirklichkeit<br />

nur ein kitschiger Song-Wettbewerb. Letzterer<br />

ist auch das Einzige, was die meisten Radsportler,<br />

außer vielleicht die Italiener, mit San Remo verbinden.<br />

Bei Cavendish ist es nicht anders. „Da gibt es<br />

doch dieses Musikfestival, oder? Nach dem Rennen<br />

packen wir unsere Sachen und reisen ab. Ich<br />

habe dort einmal nach dem Rennen zu Abend gegessen,<br />

und es war nicht besonders gut. Das war<br />

buchstäblich das einzige Mal, dass ich überhaupt<br />

ein paar Stunden dort verbracht habe.“<br />

Wie viele Hafenstädte zwischen der französischen<br />

Grenze und Genua, wird die Stadt selbst oft<br />

als „verblichen“ bezeichnet – wobei viele Besucher<br />

immer noch die „gut situierte Kolonie der nouvelle<br />

richesse“ erkennen würden, die in Guido Piovenes<br />

berühmtem Reisetagebuch Viaggio in Italia vor<br />

einem halben Jahrhundert beschrieben wurde.<br />

Konkurrenz insbesondere aus den Niederlanden<br />

mag den Blumenanbau beeinträchtigt haben, dem<br />

San Remo den stolzen Beinamen „Stadt der Blumen”<br />

verdankt, aber die großen Gewächshäuser,<br />

die wie gigantische Klaviertasten auf den terrassierten<br />

Hängen des Poggio liegen, sorgen immer<br />

noch für einen unverwechselbaren Hintergrund.<br />

Unterdessen wurde die Strandpromenade aufgewertet<br />

durch den Bau eines Radweges, der 2011<br />

zum schönsten in Europa gewählt wurde – und<br />

der vier Jahr später Schauplatz der 1. Etappe des<br />

Giro war, einem Mannschaftszeitfahren. Wenn<br />

er von Osten in den Hafen von San Remo hineinführt,<br />

führt der Weg an der Villa vorbei, in die<br />

Alfred Nobel Ende des 19. Jahrhundert aus Paris<br />

floh, nachdem er beschuldigt worden war, den<br />

Hochverrat begangen zu haben, das explosive<br />

Ballistit, das auch seine Erfindung war, nach<br />

Italien zu verkaufen. Nach seinem Tod in San<br />

Remo 1896 floss Nobels Nachlass in die Schaffung<br />

von Preisen für Chemie, Literatur, Frieden,<br />

Physik und Medizin, wie er es in seinem Testament<br />

festgelegt hatte.<br />

Ein Preis für herausragende Errungenschaften<br />

im Radsport sollte erst 1907 nach San Remo<br />

kommen. 109 Mal ist in den Jahren seitdem dieselbe<br />

unaufhaltsame Welle am Turchino angeschwollen<br />

und dann auf die Küste in Frankreich<br />

geschwappt, ihre Gezeiten gewaltig und unlesbar,<br />

ihre Spannung spürbar und unwiderstehlich.<br />

Mark Cavendish sieht es vielleicht anders, aber<br />

für mich war und ist sein Sieg immer das Rennen<br />

seiner Karriere, der Ritt seines Lebens. An dem<br />

Tag selbst war er froh, dass bis gegen halb fünf<br />

nachmittags niemand seinen Namen erwähnt<br />

hatte. Ob es ihm gefällt oder nicht: Jetzt wird er<br />

einfach akzeptieren müssen, dass wir so lange<br />

über Mark Cavendish und jenes Rennen reden, wie<br />

die erhabene und archaische Anomalie, die wir als<br />

Mailand–San Remo kennen, existieren darf.<br />

2010 gewann Freire zum dritten Mal<br />

auf der Lungomare Italo Calvino – sechs<br />

Jahre nach seinem ersten Sieg 2004.<br />

58 PROCYCLING | FEBRUAR 2019


SAN REMO<br />

Ins winterliche<br />

Tal des Po bringt<br />

das Peloton einen<br />

frühlingshaften<br />

Farbklecks.<br />

FEBRUAR 2019 | PROCYCLING 59


SAN REMO<br />

ZEHNMAL VON MAILAND<br />

NACH SAN REMO<br />

Mark Cavendish gab 2009 ein sensationelles Debüt bei Mailand–San Remo. Es ist<br />

eine Eigentümlichkeit seiner Karriere, dass seine Loyalität zu dem Rennen nie zu<br />

einem zweiten Sieg führte. Hier erzählt er von seinen San-Remo-Teilnahmen.<br />

12009<br />

SIEGER: MARK CAVENDISH<br />

CAV: 1. MIT 6:42:31 STD.<br />

Am Fuß der Cipressa brillant an die Spitze des<br />

Pelotons eskortiert, erreichte Cavendish die Kuppe<br />

mit nur wenigen Sekunden Rückstand, schloss<br />

die Lücke und wirkte am Poggio nie gefährdet.<br />

Sein Sprint hat seinen Platz in den Jahrbüchern –<br />

eine atemberaubende Aufholjagd, um Haussler<br />

abzufangen und mit dem kleinsten Vorsprung in<br />

der Geschichte des Rennens zu gewinnen: elf<br />

Zentimeter oder „die Länge eines Mobiltelefons“<br />

wie Luca Gialanella in der Gazzetta dello Sport<br />

schrieb.<br />

Cavendish sagt: Wenn ich einen entscheidenden<br />

Faktor herauspicken müsste, nur einen, wäre es<br />

George Hincapie. Niemand lässt sich in der Abfahrt<br />

vom Poggio zurückfallen, um einen Teamkollegen<br />

zu finden und in Position zu bringen,<br />

aber das hat er gemacht. Dann hat er mir den<br />

Sprint perfekt angefahren. Aber das ganze Team<br />

hat an dem Tag fehlerfrei gearbeitet. Jeder hatte<br />

eine Aufgabe und sie perfekt umgesetzt – ob es<br />

darum ging, mich zum Fuß von La Manie zu bringen,<br />

oder mich über die Cipressa zu bekommen.<br />

22010<br />

SIEGER: ÓSCAR FREIRE<br />

CAV: 89. MIT + 6:12 MIN.<br />

Aufgrund einer Zahnentzündung im Januar war<br />

Cavendish im Vorfeld des Rennens nicht in Form.<br />

Dass er überhaupt in San Remo am Start stand,<br />

war eine Leistung. Aber jede Hoffnung, dass er<br />

seinen Titel verteidigten könnte, zerschellte, als<br />

ein Sturz in der Abfahrt von Le Manie das Feld<br />

teilte und er zurückfiel.<br />

Cavendish sagt: Ich hatte nach den Zahnproblemen<br />

nicht die nötige Form, um zu gewinnen. Ich<br />

bin trotzdem gestartet, weil es das eine Rennen<br />

ist, bei dem du durchkommen kannst, selbst<br />

wenn du nicht in Form bist, gerade wenn du älter<br />

wirst und eine gute Ausdauergrundlage hast. Du<br />

kannst improvisieren und das Rennen zu Ende<br />

fahren oder sogar im Finale mitmischen, aber leider<br />

kannst du das Ding nicht mit Improvisation<br />

gewinnen.<br />

3<br />

2011<br />

SIEGER: MATT GOSS<br />

CAV: 52. MIT + 5:23 MIN.<br />

Körper purzelten und mit ihnen die Chancen einiger<br />

Favoriten, darunter Cavendish, in der hektischen<br />

Anfahrt nach Le Manie. Ein Pluspunkt zumindest<br />

war der Teamkollege der „Manx Missile“,<br />

Matt Goss, der später einer prominent besetzten<br />

Spitzengruppe ein Schnippchen schlug und den<br />

Sprint vor Fabian Cancellara gewann.<br />

PASSO DEL<br />

TURCHINO<br />

5<br />

Cavendish sagt: Es gab einen Sturz im Tunnel<br />

oben auf dem Turchino, und Acqua e Sapone attackierte.<br />

Ich war auf der falschen Seite des zerlegten<br />

Feldes, aber wir hatten Gossy vorn, sodass<br />

es ein perfektes Szenario war. Ich hatte mir am<br />

Fuß des Anstiegs ein Laufrad gebrochen, war mit<br />

einer Aufholjagd wieder rangekommen, aber<br />

dann passierte der Sturz genau in der Einfahrt<br />

zum Tunnel, der unbeleuchtet war. Glücklicherweise<br />

konnte Gossy es durchziehen. Ich habe<br />

mich so für ihn gefreut!<br />

42012<br />

SIEGER: SIMON GERRANS<br />

CAV: DNF<br />

Nach einer anscheinend perfekten Vorbereitung<br />

wirkte Cavendish absolut fit und selbstbewusst.<br />

Niemand hätte vorhergesagt, dass er vor Le Manie<br />

zurückfallen würde, aber das war ein San Remo<br />

der vielen Überraschungen, darunter Simon Gerrans’<br />

Sieg vor Fabian Cancellara.<br />

Cavendish sagt: Absolut schockierend. Ich war<br />

Weltmeister und hatte diesen Traum, dass ich<br />

San Remo im Regenbogentrikot gewinnen würde.<br />

Ich hatte vorher diese spezielle Diät gehalten, um<br />

Gewicht zu verlieren, war in guter Form, hatte bei<br />

der Katar-Rundfahrt und Tirreno–Adriatico gewonnen,<br />

aber an dem Tag war ich unterirdisch.<br />

Ich hatte keine Kraft.<br />

100 110 120 130 140 150 160 170 180<br />

60 PROCYCLING | FEBRUAR 2019


SAN REMO<br />

52013<br />

SIEGER: GERALD CIOLEK<br />

CAV: 9. MIT + 0:14 MIN.<br />

Eine von zwei Niederlagen in seiner Zeit bei<br />

Quick-Step, die ihn noch schmerzen. Die Temperaturen<br />

waren so eisig, als sich das Peloton der<br />

Riviera näherte, dass die Fahrer in die Busse gewinkt<br />

und die Küste runtergefahren wurden und<br />

das Rennen zwei Stunden später auf der anderen<br />

Seite des Turchino wieder aufnahmen. Vier Quick-<br />

Step-Fahrer, unter ihnen Tom Boonen, stiegen<br />

nicht mehr aus dem Bus aus. Die Entscheidung<br />

von Sportdirektor Wilfried Peeters, in der Gruppe,<br />

die das Rennen später entscheiden sollte, auf Sylvain<br />

Chavanel zu setzen, vergrößerte Cavendishs<br />

Mangel an Manpower bei den Verfolgern.<br />

Cavendish sagt: Das halbe Team hat das Rennen<br />

wegen der Kälte nicht fortgesetzt … Der Plan war,<br />

dass Chavanel bei den Angriffen in der Cipressa<br />

mitgeht und kein Tempo macht, aber dann höre<br />

ich Wilfried Peeters und Brama [Davide Bramati]<br />

über Funk rufen: „Geh, Chava, geh!“ Er fing an,<br />

Tempo zu machen, und ich saß in der Gruppe<br />

fest, obwohl ich mich super fühlte. Chava wurde<br />

schließlich Vierter und ich Zweiter im Massensprint.<br />

62014<br />

SIEGER: ALEXANDER KRISTOFF<br />

CAV: 5. ZEITGLEICH<br />

In den Monaten vor dem Rennen schien selbst<br />

dieses letztlich frustrierende Ergebnis außer Cavendishs<br />

Reichweite, als die Organisatorin RCS<br />

einen Kurs mit dem steilen Pompeiana-Anstieg<br />

zwischen der Cipressa und dem Poggio präsentierte.<br />

Erdrutsche vereitelten den Plan, und nachdem<br />

sie versichert hatte, den Anstieg 2015 einzuweihen,<br />

änderte die RCS ihre Meinung und hält<br />

seitdem am traditionellen Finale fest.<br />

Cavendish sagt: Ich bekam Krämpfe. Ich dachte,<br />

ich würde gewinnen. Ich habe meinen Sprint früh<br />

eröffnet und es war das erste Mal überhaupt, dass<br />

ich Krämpfe bekam. Ich musste mich hinsetzen.<br />

Vorher hatte ich Leute, die sagten, sie hätten einen<br />

Krampf bekommen, immer ausgelacht, weil<br />

ich es für eine Ausrede hielt. Es war frustrierend.<br />

Ich dachte, ich hätte es.<br />

72015<br />

SIEGER: JOHN DEGENKOLB<br />

CAV: 46. MIT + 0:23 MIN.<br />

Das Rennen wurde nicht auf der Via Roma oder<br />

weiter oben an der Riviera verloren, sondern für Cavendish<br />

zwei Wochen vor der Classicissima bei einer<br />

Reise nach Südafrika, um einen Teamsponsor<br />

zu besuchen. Nachdem er das Management des<br />

Teams gewarnt hatte, dass eine Reise in die südliche<br />

Hemisphäre und zurück nicht die ideale Vorbereitung<br />

sei, erkrankte Cavendish bei seiner Rückkehr<br />

und verlor wichtige Trainingstage. Ein Defekt<br />

an der Cipressa, dann weitere Probleme am Poggio<br />

machten seine aufopferungsvolle Arbeit zunichte.<br />

Cavendish sagt: Tom Boonen hätte nach Südafrika<br />

fliegen sollen, aber für ihn war es zu kurz vor Roubaix.<br />

Mein großes Ziel war San Remo; ich habe<br />

Patrick Lefevere nur gesagt, dass ich hoffe, dass er<br />

das berücksichtigt, als wir über meinen Vertrag<br />

sprachen, falls die Reise nach Südafrika mein San<br />

Remo beeinträchtigt. Und natürlich wurde ich<br />

richtig krank. Das Rennen lief unter diesen Umständen<br />

besser als erwartet. Leider musste Reiney<br />

[Reinardt Janse van Rensburg] in der letzten Haarnadelkurve<br />

am Poggio abreißen lassen, ich steckte<br />

hinter ihm und das war es für mich.<br />

82016<br />

SIEGER: ARNAUD DÉMARE<br />

CAV: 110. MIT + 4:25 MIN.<br />

Nachdem er sich im Winter und frühen Frühjahr auf<br />

die Bahn konzentriert hatte und zwei Wochen vor<br />

San Remo mit einer Goldmedaille in der Madison-<br />

Weltmeisterschaft belohnt worden war, war Cavendish<br />

fit, aber nicht unbedingt für einen 300-Kilometer-Gewaltmarsch.<br />

Sein Pessimismus bei Interviews<br />

vor dem Rennen wirkte gerechtfertigt, als das Peloton<br />

an der Cipressa am Horizont verschwand.<br />

Cavendish sagt: Ich hatte zwei Reifenschäden und<br />

habe zu viel Zeit und Energie verschwendet, mich<br />

zum Mannschaftswagen zurückfallen zu lassen.<br />

Es geht darum, Energie zu sparen, und ich habe<br />

zu viel verloren. Es hätte alles richtig laufen müssen,<br />

und das tat es nicht.<br />

92017<br />

SIEGER: MICHAŁ KWIATKOWSKI<br />

CAV: 101. MIT + 5:24 MIN.<br />

Krankheit und ein mysteriöser Schmerz im Fußknöchel<br />

hatten eine Woche zuvor bei Tirreno–Adriatico<br />

zugeschlagen und Cavendish den Schwung<br />

geraubt, den er mit einem Etappensieg bei der Abu<br />

Dhabi Tour Ende Februar aufzunehmen schien.<br />

Später wurde bekannt, dass es Cavendish eine<br />

Weile nicht gut ging und nicht gut gehen würde,<br />

weil er unter dem Epstein-Barr-Virus litt.<br />

Cavendish sagt: Ich bin in der Rechtskurve nach<br />

zwei Dritteln des Anstiegs zur Cipressa zurückgefallen.<br />

Abends im Bus war ich so verwirrt, dass<br />

ich beschloss, einen Bluttest machen zu lassen.<br />

Am nächsten Tag bin ich hin und habe die Diagnose<br />

Epstein-Barr bekommen.<br />

10<br />

2018<br />

SIEGER: VINCENZO NIBALI<br />

CAV: DNF<br />

Auf eine Aufgabe nach einem Sturz bei der Abu Dhabi<br />

Tour folgten ein weiterer Sturz und eine Rippenfraktur<br />

bei Tirreno–Adriatico. Es war daher ein kleines<br />

Wunder, dass Cavendish überhaupt bei San Remo<br />

starten konnte – ein großes, dass er „schwerelos rollte“,<br />

als das Glück ihn hinter der Cipressa abermals<br />

verließ. Die Kollision mit einem Verkehrspoller und<br />

den Purzelbaum in der Luft überstand der Protagonist<br />

glücklicherweise ohne ernsthafte Verletzungen.<br />

Cavendish sagt: Ich weiß jetzt, dass ich wieder mit<br />

Epstein-Barr fuhr. Nach zwei Stürzen und zwei<br />

Gehirnerschütterungen zu Beginn des Jahres und<br />

mit dem Virus war es ein Wunder, dass ich so gut<br />

fuhr. Glücklicherweise war der Sturz nicht so<br />

schlimm, wie er im Fernsehen ausgesehen hatte.<br />

LE MANIE<br />

2 3 4<br />

CAPO MELE<br />

CAPO CERVO<br />

CAPO BERTA<br />

CIPRESSA<br />

8 9 10<br />

POGGIO DI<br />

SAN REMO<br />

1 6 7<br />

210 220 230 240 250 260 270 280 290<br />

© Yuzuru Sunada<br />

FEBRUAR 2019 | PROCYCLING 61


RENN-<br />

INSTINKT<br />

„Als Marianne Vos anfing zu radeln, brachte das noch kein Geld ein.<br />

Sie fuhr aus ihrer Begeisterung heraus und gewann alles,<br />

egal ob Cross, Bahn oder auf der Straße. Doch finanziell entlohnt<br />

wurde sie nicht. Sie ging nur an den Start, um zu gewinnen.<br />

Was war dabei ihr Antrieb? Lag es daran, dass sie einfach<br />

eine leidenschaftliche Rennfahrerin ist? Das ist es,<br />

was ich herausfinden will.“<br />

Text Sophie Hurcom<br />

Fotografie Getty Images<br />

62 PROCYCLING | FEBRUAR 2019


© Kramon<br />

FEBRUAR 2019 | PROCYCLING 63


3<br />

MARIANNE VOS<br />

Marianne Vos braucht nicht lange zu überlegen.<br />

„Es war nur aus Liebe zum Sport“,<br />

antwortet sie sofort, als <strong>Procycling</strong> anruft<br />

und nach ihrer Motivation fragt, bei Rennen<br />

an den Start zu gehen, wie unser Gastredakteur<br />

Cav bereits schrieb. „Als Kind fing ich an zu radeln;<br />

mein Vater war aktiv im Radsport, und mein<br />

großer Bruder und ich führten das fort. Als Juniorenfahrerin<br />

stellte sich heraus, dass ich ziemlich<br />

talentiert war, wahrscheinlich sogar überdurchschnittlich<br />

talentiert – also wollte ich das Beste<br />

daraus machen. Ich wollte einfach Spaß bei den<br />

Rennen haben und Gas geben. Es gab nie die Motivation<br />

oder das Ziel, es zu meinem Beruf zu machen<br />

oder Geld damit zu verdienen. Natürlich kam<br />

das später und war auch ein großer Bonus.<br />

Die Herausforderung hab’ ich immer gemocht“,<br />

fährt sie fort. „Ich habe immer versucht, mich<br />

selbst mehr zu fordern und verschiedene Dinge<br />

auszuprobieren.<br />

Ich probierte auch Mountainbiking aus. Aber<br />

meistens ging es mir darum ... ja, Spaß auf dem<br />

Fahrrad zu haben. Ich denke, das ist auch der<br />

Grund, warum die Leute fragen, warum ich mit<br />

31 Jahren noch fahre. Ich halte mich nicht für alt,<br />

Juniorinnen-WM 2004 in Verona:<br />

Die 17-jährige Marianne greift an und<br />

wird Weltmeisterin.<br />

und wenn sie fragen, ist meine Antwort, dass es<br />

mir einfach gefällt.“<br />

Vos könnte sagen, dass diese Frage einfach<br />

zu beantworten ist. Man bedenke nur die end -<br />

lose Liste ihrer Leistungen: sieben Cyclocross-<br />

Weltmeisterschaften, drei Regenbogen-Trikots<br />

auf der Straße, Olympische Goldmedaillen auf<br />

Straße und Bahn, drei Giro-Rosa-Titel und über<br />

200 UCI-Rankingsiege. Dazu kommt ihr seit<br />

Langem gefestigter Status als die größte und vielseitigste<br />

Persönlichkeit im Radsport seit Merckx<br />

und die damit verbundene Verantwortung, eine<br />

Botschafterin für den Frauenradsport zu sein. Bei<br />

all dem vergisst man leicht, dass Vos einfach gerne<br />

Fahrrad fährt. Trotz der Auszeichnungen und<br />

Ergebnisse hat sich dieser Teil von ihr nicht verändert<br />

– und wird sich auch nie ändern.<br />

Sie hatte die gleiche Einstellung, als sie mit<br />

dem Radsport begann. Bereits bei den Juniorinnen<br />

erfolgreich, war sie erstmals 2006 in Zedam auf<br />

der großen Bühne des Radsports erfolgreich, wo<br />

die weitgehend unbekannte 18-Jährige die Titelver<br />

teidigerin Hanka Kupfernagel schlug und Querfeldein-Weltmeisterin<br />

wurde. Dieser erste große<br />

WM-Titel, der alles für Vos veränderte, kam, als<br />

sie noch auf dem Gymnasium war. Vos stand ein<br />

paar Wochen vor ihrer Abiturprüfung, nutzte aber<br />

immer noch ihren 15 Kilometer langen Schulweg<br />

vom Zuhause im Dorf Babyloniënbroek, um zusätzlich<br />

zu den abendlichen Sessions zu trainie-<br />

2<br />

4<br />

2<br />

GROSSE<br />

SIEGE AUF DER<br />

STRASSE<br />

3<br />

2<br />

1<br />

3<br />

RENNEN<br />

SIEGE<br />

Straßenweltmeisterschaft 3<br />

Olympisches Straßenrennen 1<br />

Niederländische Straßenmeisterschaft 4<br />

Europäische Straßenmeisterschaft 1<br />

Flandern-Rundfahrt 1<br />

Flèche Wallonne 5<br />

Giro Rosa 3<br />

Trofeo Alfredo Binda 3<br />

Ronde van Drenthe 4<br />

Emakumeen Bira 2<br />

GP Plouay 2<br />

Ladies Tour of Norway 2<br />

Women’s Tour 1<br />

Crescent Vårgårda 3<br />

3<br />

1<br />

5<br />

4<br />

1<br />

1<br />

ren. Jeder in der Schule wusste, dass sie Rennrad<br />

fährt. Während ihre Freunde und Mitschüler am<br />

Samstag arbeiteten, um etwas Geld zu verdienen,<br />

fuhr Vos oft zu Rennen. Die Lehrer zeigten sich<br />

nach sichtig, wenn sie freitags früher gehen musste<br />

oder aufgrund von Reisen montags zu spät kam –<br />

ein Privileg, das sie nie ausnutzte. Aber dieses erste<br />

Regenbogentrikot verwandelte Vos vom einfachen<br />

Schulmädchen, das Rennrad fuhr, in einen Radstar.<br />

Plötzlich war sie im Fernsehen, ihr Gesicht war<br />

in den Zeitungen. Der schüchterne Teenager, der nur<br />

gerne mit seinem Fahrrad unterwegs war, stand<br />

im Rampenlicht und fühlte sich fehl am Platz.<br />

„Ich habe nicht wirklich viel über das Radfahren<br />

gesprochen, weil ich es wirklich mochte, einfach<br />

nur so zu sein wie alle anderen“, erinnert sich<br />

Vos. „Es wurde in der Schule irgendwie bekannt,<br />

und im Gymnasium ist das nicht cool. Es ist nicht<br />

cool, anders zu sein als die anderen, und es gefiel<br />

mir nicht wirklich. Aber ja, natürlich war es auch<br />

toll, Champion zu sein.“<br />

64 PROCYCLING | FEBRUAR 2019


MARIANNE VOS<br />

Bei den Olympischen<br />

Spielen in London<br />

2012 konnte Vos<br />

auch der strömende<br />

Regen nicht von<br />

Gold abhalten.<br />

Sechs Monate später, mit dem Abitur und dem<br />

Titel der niederländischen Straßenmeisterin in<br />

der Tasche, gewann Vos in Salzburg ihren ersten<br />

Straßenweltmeister-Titel der Elite. Die Schlagzeilen<br />

über das niederländische Wunderkind<br />

häuften sich.<br />

„Ich wurde in Holland bekannter und die Leute<br />

hatten ihre Meinung über mich und teilten sie. Ich<br />

wurde irgendwie ein wenig berühmt, und das hat<br />

mir eigentlich nicht wirklich gefallen“, sagt Vos<br />

über diese Zeit ihrer frühen Karriere.<br />

„Es gab eine Seite, die erfolgreich sein wollte<br />

und mit den Resultaten sehr zufrieden war, und<br />

es gab einen Teil, der meinte: Okay, ich habe nie<br />

darum gebeten, berühmt zu werden, ich will einfach<br />

nur Rennen fahren. Diese Zeit war ein wichtiger<br />

Lernprozess, und ich denke, ja, es … eigentlich<br />

habe ich viel daraus mitgenommen. In nur<br />

wenigen Jahren hatte ich persönlich einen großen<br />

Schritt gemacht, der sonst vielleicht 20 Jahre gedauert<br />

hätte.“<br />

Die meisten Gewinner, die meisten Siegertypen<br />

wie Vos hassen es zu verlieren. Der zweite Platz<br />

liegt nicht in ihrer Natur und bedeutet ihnen normalerweise<br />

nichts – man frage nur Mark Caven-<br />

dish. Als sechsjähriges Kind, als Vos zum ersten<br />

Mal auf einem Fahrrad saß, war sie genauso. Und<br />

2018 war dieser Siegeswillen so stark wie nie zuvor.<br />

Als sie auf der 2. Etappe der Women’s Tour<br />

einen Sprint an Coryn Rivera verlor, war der Anblick<br />

der weinenden Vos, auf dem Bürgersteig vor<br />

ihrem WaowDeals-Teambus neben einem Mülleimer<br />

sitzend, die Knie am Kinn und das Gesicht<br />

in den Händen vergraben, wirklich herzzerreißend.<br />

Ist ein weiterer Sieg inmitten all der anderen<br />

Auszeichnungen und Erfolge wirklich so wichtig?<br />

„Ich war schon immer sehr ehrgeizig bei allem,<br />

was ich tue, besonders im Sport, sobald es um ein<br />

Rennen ging“, gibt sie zu. „Ich musste lernen zu<br />

verlieren und das als Motivation für das nächste<br />

Mal zu sehen. Besonders als Kind konnte ich nach<br />

einem enttäuschenden Rennen sehr wütend sein.“<br />

Ihre Liebe zum Rennenfahren ist eine Sache,<br />

doch woher kommt dieser Antrieb, siegen zu müssen?<br />

„Es ist wahrscheinlich eine Kombination<br />

meiner Eltern“, sagt Vos. „Meine Mutter ist eine<br />

Perfektionistin. Sie will immer alles gut machen<br />

und erträgt es nicht, wenn etwas nicht klappt,<br />

und mein Vater ist immer auf der Suche nach Herausforderungen.<br />

Er sah noch nie die Probleme,<br />

ES GAB EINE SEITE, DIE<br />

ERFOLGREICH SEIN WOLLTE,<br />

UND ES GAB EINEN TEIL, DER<br />

MEINTE: OKAY, ICH HABE NIE<br />

DARUM GEBETEN, BERÜHMT ZU<br />

WERDEN, ICH WILL EINFACH<br />

NUR RENNEN FAHREN.<br />

sondern suchte immer nach den Möglichkeiten<br />

– wahrscheinlich treibt mich die Kombination aus<br />

beidem dazu, immer das Bestmögliche zu geben.<br />

Dann gibt es da noch die Region, in der ich aufgewachsen<br />

bin. Die Leute reden nicht darüber: Sie<br />

tun es einfach und arbeiten sich den Arsch ab. Ich<br />

glaube, das hat mich so weit gebracht.“<br />

FEBRUAR 2019 | PROCYCLING 65


MARIANNE VOS<br />

Vos’ langer Sprint beim<br />

Crescent Vårgårda<br />

zeigte, warum sie<br />

immer noch zu den<br />

Besten gehört.<br />

© Velofocus<br />

Vos’ größter Vorteil war schon immer ihre<br />

Fähigkeit, schnell zu beschleunigen und<br />

anzugreifen. So hat sie im Laufe der Jahre<br />

einige ihrer größten Titel eingefahren wie etwa den<br />

besagten Cyclocross-Weltmeistertitel 2006. Es half<br />

ihr, Lizzie Armitstead auf der Mall in London zu<br />

schlagen, als sie 2012 Olympiasiegerin wurde, und<br />

sie hängte ihre Konkurrenten ab, um die Straßenweltmeistertitel<br />

2012 und 2013 zu gewinnen.<br />

Sprinten, sagt sie, war für sie immer selbstverständlich.<br />

Als sie jung war und zu Hause auf den<br />

flachen, windigen Straßen trainierte, lag ihr Talent<br />

in ihrer Fähigkeit zu sprinten.<br />

„Wo ich herkomme, sind wir Christen und Protestanten,<br />

und jeder, der ein Talent hat, sieht das<br />

als Geschenk an. Man versucht einfach, es so gut<br />

wie möglich zu nutzen“, sagt sie. „Wenn man sich<br />

das Training ansieht und was mir von der Natur<br />

mitgegeben wurde, war ich eher ruhig … meine<br />

Explosivität ist ganz okay, mein Sprint … Das<br />

braucht man immer, auf der Straße, aber auch im<br />

Cyclocross. Es ist einfacher, Rennen zu gewinnen,<br />

wenn man sprinten kann. Was ich nicht hatte, war<br />

die Kraft, und was mir fehlte, war der große Motor.<br />

Das war schon immer mein größtes Problem,<br />

also musste ich im Laufe der Jahre an Leistung<br />

zulegen. Natürlich hat es sich verbessert, aber mir<br />

liegen eher die kurzen und intensiven Intervalle.“<br />

Nach 2015 kehrte Vos zu dem zurück, was sie<br />

am besten kann. Diese schwierige Saison beendete<br />

fast die Karriere der Niederländerin. Sie fuhr<br />

in jenem Jahr nur zwei Straßenrennen durch; einziger<br />

Sieg war die niederländische Cross-Meisterschaft.<br />

Burnout und Übertraining von den vielen<br />

Wettkämpfen, verbunden mit Knie- und Kniesehnenverletzungen,<br />

holten sie komplett vom<br />

Rad. Viele Leute dachten, Vos sei erledigt, und<br />

es gab Zeiten, da dachte sie das Gleiche.<br />

Die größte Herausforderung ihrer Karriere sei<br />

gewesen, sagt sie, in den letzten drei Jahren zu<br />

dem zurückzukehren, was Vos „ihr Bestes“<br />

nennt. Aber 2018 bestätigte, dass sie sich noch<br />

nicht verabschieden wird. Sie gewann acht Rennen<br />

und war damit nicht mehr so dominierend<br />

wie in ihren unbesiegbaren Jahren von 2011 bis<br />

2014, als sie durchschnittlich 23 Siege pro Saison<br />

erzielte. Doch ihre sechs WorldTour-Siege<br />

in diesem Jahr enthielten eine Etappe beim Giro<br />

Rosa und einen lupenreinen Sieg bei der Ladies<br />

Tour of Norway Mitte August.<br />

Wenn es eine Vorstellung gab, die zeigte, dass<br />

Vos immer noch die beste Sprinterin im Feld ist,<br />

war es ihr Sieg beim Crescent Vårgårda im August<br />

dieses Jahres. Als das Feld auf einen Massensprint<br />

zusteuerte, flog Vos in der letzten Rechtskurve<br />

außen an der Gruppe vorbei, 300 Meter vor<br />

dem Ziel, und beschleunigte. Sie riss eine Lücke<br />

66 PROCYCLING | FEBRUAR 2019


MARIANNE VOS<br />

auf und sprintete durch bis zur Ziellinie. Niemand<br />

sonst konnte ihr folgen.<br />

„Das war eines der Rennen, bei denen ich dachte:<br />

Okay, so will ich fahren. Rennen fahren nach<br />

Intuition. Wenn ich darüber nachgedacht hätte,<br />

hätte ich gesagt: Nein, du bist verrückt, du startest<br />

keinen Sprint 300 Meter vor der Linie, mit<br />

den besten Sprintern der Welt am Hinterrad. Es<br />

kam aus dem Bauch heraus“, sagt Vos.<br />

„Das war der größte Sieg; nicht der Sieg selbst,<br />

sondern mehr das Gefühl, im Rennen wieder ich<br />

selbst zu sein.“<br />

Die Stärke im Peloton der Frauen hat während<br />

der Ära Vos im Radsport zugenommen. Es ist<br />

nicht so einfach für eine Fahrerin, alles zu dominieren,<br />

von Sprints über Kopfstein-Klassiker bis<br />

hin zu bergigen Etappenrennen, wie sie es früher<br />

tat. Aber Vos hat aufgehört zu versuchen, jedes<br />

Rennen zu fahren und alles zu gewinnen. Etappenrennen<br />

sind nicht unbedingt ihr Ziel, da sie<br />

nicht genug Regenerationszeit bieten, die sie<br />

braucht, auch wenn der Siegertyp in Vos immer<br />

noch alles fahren und gewinnen will, was geht.<br />

„Ich konzentrierte mich auf die Eintagesrennen<br />

und versuchte, darin gut zu sein. Wie ich bereits<br />

sagte, bin ich natürlich eher ein Sprintertyp, sodass<br />

ich bei den Klassikern gut abschneiden kann,<br />

aber nicht bei den spezifischen Kletterrennen.<br />

Also haben mein Team und mein Trainer beschlossen,<br />

uns zuerst auf das zu konzentrieren,<br />

SIEGE<br />

9<br />

’06<br />

’08<br />

23<br />

’10<br />

18<br />

’11<br />

31<br />

was mir liegt, darauf zu trainieren und von dort<br />

aus weiter aufzubauen“, sagt sie.<br />

„Es gibt auch einen Teil von mir, der in allen<br />

Bereichen besser werden will, also musste ich von<br />

dem Punkt an, an dem ich war, sagen: Okay, ich<br />

muss mich zuerst auf die Sprints oder auf die hügeligen<br />

Klassiker konzentrieren, anstatt auf die<br />

Berge. Aber es gibt immer einen Teil von mir, der<br />

mehr will. Doch ich habe in den letzten Jahren<br />

gelernt, wie man sich besser ausbalanciert.“<br />

SIEGE PRO JAHR<br />

Marianne Vos’ 209 UCI-Rennsiege während der 13 Jahre ihrer bisherigen Karriere,<br />

Saison für Saison. 2011 ragt mit ganzen 31 Erfolgen heraus.<br />

’07<br />

21<br />

’09<br />

18<br />

’12<br />

20<br />

’13<br />

22<br />

’14<br />

21<br />

0<br />

’15<br />

’16<br />

9<br />

’17<br />

9<br />

’18<br />

8<br />

ES IST MIR WICHTIG, AUF DEM<br />

BODEN ZU BLEIBEN. JEDER HAT<br />

EIN TALENT UND ALLE WOLLEN<br />

ES IM LEBEN GUT MACHEN,<br />

ABER ICH GLAUBE NICHT, DASS<br />

ES MEDAILLEN ODER<br />

ERGEBNISSE SIND, DIE IM LEBEN<br />

SO SEHR ZÄHLEN.<br />

Es wäre bei ihrem Palmarès für Vos ein<br />

Leichtes, eingebildet, arrogant oder unnahbar<br />

zu sein. Aber das ist einfach nicht ihr<br />

Stil. Selbst auf dem Höhepunkt ihres Erfolgs<br />

wirkte Vos immer geerdet. Das ist sie immer<br />

noch. Sie mag eine Weltklasse-Athletin sein, aber<br />

sie wirkt ein wenig wie alle anderen. Bekannterweise<br />

reist sie im Wohnmobil samt Familie und<br />

Katze zu Rennen. Wenn sie nicht gerade an einem<br />

der 200 Tage des Jahres arbeitet, teilt sie ihre Zeit<br />

zwischen ihrem Elternhaus und ihrem Freund<br />

auf. Selbst als wir sprechen, fragt sie, ob wir das<br />

Interview auf den Mittag verschieben könnten,<br />

damit sie früher zu Bett komme, da es ihr nicht<br />

gut ginge. Fast so, als würden wir nicht erwarten,<br />

dass Vos jemals krank wird.<br />

Ihre wenige Freizeit verbringt sie damit, die<br />

einfachen Dinge des Lebens zu genießen: lesen,<br />

Musik hören, mit ihrer kleinen, aber engen Gruppe<br />

von Freunden zu Abend essen. Draußen zu<br />

sein ist ihr wichtig, sei es auf dem Fahrrad oder<br />

bei einer Wanderung im Wald oder den Bergen.<br />

„Es ist mir sehr wichtig, auf dem Boden zu<br />

bleiben. Jeder hat ein Talent und alle wollen es im<br />

Leben gut machen, aber ich glaube nicht, dass es<br />

Medaillen und Goldmedaillen oder Ergebnisse<br />

sind, die im Leben so sehr zählen. Es geht darum,<br />

wer man ist und was man tut. Für mich ist das<br />

also wichtiger als die Resultate im Radrennsport,<br />

obwohl ich gut sein will; und ja, meine Familie<br />

war wirklich wichtig“, sagt sie.<br />

Was ihre alternative Art des Reisens betrifft:<br />

„Die Leute sagen immer: ‚Du bleibst so normal,<br />

du reist mit deiner Katze.‘ Aber für mich ist es<br />

eben einfach nichts Besonderes. Es ist nicht seltsam,<br />

normal zu sein, so ist mein Leben. So mag<br />

ich es. Ich denke, es wirkt manchmal ein bisschen<br />

komisch für die Leute. Ja natürlich, ich hätte in<br />

Monaco leben können und wahrscheinlich zu den<br />

Galas und so weiter gehen können, aber das gefällt<br />

mir nicht. Ich liebe es, wo ich herkomme, und<br />

ich mag die Menschen um mich herum. Für mich<br />

zählt das mehr als Glitzer und Glamour.“<br />

Die Saison 2015 zwang Vos auch, über die<br />

Zukunft nachzudenken, das „Jenseits“. Sie hat<br />

sich in der Kommentatoren- und Medienarbeit<br />

versucht, aber vor allem will sie einen Weg finden,<br />

ihre Erfahrungen aus dem Radsport in irgendeiner<br />

Weise weiterzugeben, sei es im Sport oder in einem<br />

anderen Bereich. Letztlich liebt Marianne<br />

Vos es aber einfach, Fahrrad zu fahren, und das<br />

wird sich wahrscheinlich nie ändern.<br />

„Es ist keine Wahl, es ist eine Lebensweise,<br />

du bist kein Athlet von neun bis fünf, du bist ein<br />

Athlet rund um die Uhr. Aber ich habe es noch<br />

nie als großes Opfer gesehen, denn es gibt mir<br />

auch viel“, sagt sie. „Wenn ich zu meiner inneren<br />

Motivation zurückkehre, auf meinem Fahrrad an<br />

einigen schönen Orten durch die ganze Welt fahre<br />

und dann das tue, was ich am meisten liebe –<br />

dann ist das eigentlich kein großes Opfer.“<br />

FEBRUAR 2019 | PROCYCLING 67


NICHT OHNE<br />

FOLGEN<br />

„Ich habe Gehirnerschütterungen nicht ernstgenommen,<br />

bis ich im vergangenen Februar eine schwere hatte.<br />

Es ist ein Thema, dessen sich alle Sportarten bewusst<br />

sein sollten. Unser Mannschaftsarzt hat ein Verfahren<br />

entwickelt, das mithilfe von virtueller Realität erkennt,<br />

ob ein gestürzter Fahrer gefährdet ist.“<br />

Text Richard Abraham<br />

Illustration Tim Marrs<br />

68 PROCYCLING | FEBRUAR 2019


FEBRUAR 2019 | PROCYCLING 69


GEHIRNERSCHÜTTERUNGEN<br />

Fußballprofi Christoph Kramer kann sich<br />

an 14 Minuten des größten Spiels seines<br />

Lebens nicht erinnern. Er bekam einen<br />

Schlag gegen den Kopf, als er zu Beginn des<br />

WM-Endspiels 2014 mit einem argentinischen<br />

Gegner zusammenprallte, durfte aber weiterspielen.<br />

Dann wandte er sich an den Schiedsrichter<br />

und fragte: „Schiri, ist das das Finale? Der verblüffte<br />

Offizielle informierte den deutschen Kapitän,<br />

aber Kramer durfte 14 weitere Minuten spielen,<br />

an die er keine Erinnerung hat. Dann brach er<br />

zusammen und wurde vom Platz geführt.<br />

So etwas wird jedem bekannt vorkommen, der<br />

den Profiradsport verfolgt. Man erinnere sich, wie<br />

Chris Horner die Ziellinie der 7. Etappe der Tour<br />

de France 2011 überquerte und unzusammenhängend<br />

brabbelte oder wie Toms Skujinš bei der<br />

Kalifornien-Rundfahrt 2017 benommen dem<br />

näher kommenden Peloton auswich, als er seinen<br />

Fahrradcomputer von der Straßenmitte aufheben<br />

wollte, bevor er mit gebrochenem Schlüsselbein<br />

wieder aufs Rad stieg.<br />

Mit einer Gehirnerschütterung weiterzuspielen,<br />

ist offensichtlich nicht gut. Im Fußball,<br />

Boxen, Rugby, American Football – nach einer<br />

großen Sammelklage ehemaliger Spieler, die argumentierten,<br />

dass die NFL sie absichtlich über<br />

die Gesundheitsrisiken wiederholter Gehirnerschütterungen<br />

im Unklaren gelassen habe – und<br />

im Eishockey will man dieses grundlegende Problem<br />

jetzt in Angriff nehmen. Aber laut dem<br />

Hamburger Sportarzt Helge Riepenhof, der sich<br />

auf Traumatologie spezialisiert und für eine Reihe<br />

von Fußballclubs und Radsportteams, darunter<br />

Dimension Data, gearbeitet hat, tut der Radsport<br />

nichts.<br />

„Es ist wirklich schlecht, wie es immer noch<br />

gehandhabt wird“, stellt er fest. „Sie tun nichts,<br />

um bei einem Sturz eines Fahrers direkt eine objektive<br />

Entscheidung zu treffen, ob er das Rennen<br />

fortsetzen kann oder nicht. Und aus meiner Sicht<br />

ist das eine unhaltbare Situation.“<br />

Er fügt hinzu: „Wir wissen, dass er [Christoph<br />

Kramer] bei einem zweiten Zusammenprall hätte<br />

sterben können. In England und im englischen<br />

Fußball entwickelt es sich sehr gut, ebenso im<br />

Boxen, aber in Sportarten wie dem Radsport ist<br />

nicht viel passiert.“<br />

Hintern“, sagt Cavendish zu <strong>Procycling</strong>. „Ich weiß<br />

nicht, was da vorne passierte, aber mein Laufrad<br />

hatte sich in seinem Schnellspanner verhakt. Ich<br />

bin irgendwie gefallen und wir fuhren total langsam.<br />

Aber ich landete auf dem Laufrad des Typen<br />

neben mir, bums. Und ich habe mir nicht einmal<br />

den Kopf gestoßen. Ich bin mit dem Hals auf dem<br />

Laufrad aufgekommen.“<br />

Er sagt weiter: „Ich hatte keinen Kratzer. Ich<br />

stand auf und war … war … aus dem Spiel. Als<br />

wäre ich betrunken. Wie wenn man so betrunken<br />

ist, dass alles ein Dunstschleier ist. Ich konnte<br />

alles sehen, aber … es war jenseitig. Als wäre ich<br />

gar nicht da.“<br />

Cavendish stieg sofort wieder aufs Rad und<br />

setzte das Rennen fort, eine Situation, die im<br />

Radsport so verbreitet ist, dass sie fast nie infrage<br />

gestellt wird. „Setzt mich wieder aufs Rad“, heißt<br />

es, und wieder aufs Rad zu steigen ist absolut<br />

üblich.<br />

„Ich dachte, auweia, ich fühle mich gar nicht<br />

gut, Mann. Ich kam zurück, das Rennen ging los<br />

und ich erinnere mich, dass die Leute mit mir redeten.<br />

Ich erinnere mich an alles, aber es war seltsam.<br />

Du weißt, was sie sagen, aber … Ich konnte<br />

nicht auf sie reagieren. Ich habe mich nach einem<br />

Kilometer zum Teamarzt zurückfallen lassen und<br />

gesagt: Mit mir stimmt etwas nicht, Mann. Er war<br />

ein guter Teamarzt und hat sofort gesagt: ‚Steig’<br />

vom Rad.‘“<br />

Es gibt Tausende von Gründen, warum es im<br />

Radsport immer noch diese selbstzerstörerische<br />

Durchhaltemoral gibt. Der Sport bleibt chronisch<br />

unsicher – die Fahrer brauchen Resultate und<br />

scheuen Ausfallzeiten –, und die Unterschiede<br />

sind geringer denn je. Vor allem aber wird das Leiden<br />

im Radsport glorifiziert. Seine Struktur ermutigt<br />

dazu. Bei den großen Rundfahrten hören die<br />

Fahrer, sie müssten weiterkämpfen und am zweiten<br />

Ruhetag werde es besser, das Team könne<br />

nicht noch einen Fahrer verlieren und außerdem<br />

sei dies die Tour de France! Bei Eintagesrennen<br />

heißt es: Beiß’ die Zähne zusammen und mach’<br />

weiter, du musst ein Jahr auf die nächste Chance<br />

warten, es ist Paris–Roubaix, es muss schwer sein!<br />

Aber bei dieser Gelegenheit und vielleicht bei<br />

Dutzenden anderen zuvor hätte Cavendish nicht<br />

wieder aufs Rad steigen sollen. Er hatte Glück,<br />

dass er und sein Arzt die Symptome bemerkten,<br />

bevor es zu spät war.<br />

Eines ist klar: Ein benommener Fahrer ist eine<br />

Gefahr für sich selbst und den Rest des Pelotons.<br />

In anderen Fällen können die Symptome lange<br />

Bei der Tour 2011 zog sich Chris<br />

Horner eine Gehirnerschütterung<br />

zu und konnte sich kaum erinnern,<br />

wie er ins Ziel gekommen war.<br />

© Getty Images<br />

Mark Cavendish ist einer der Fahrer, der<br />

die Folgen einer Gehirnerschütterung<br />

sehr gut kennt. Nachdem er bei T-Mobile,<br />

Highroad und Quick-Step immer wieder mit<br />

Riepenhof zu tun hatte, holte sich Cavendish nach<br />

einer Reihe von Stürzen 2018 bei ihm Hilfe. Es<br />

begann mit einem harmlosen Sturz auf der Auftaktetappe<br />

der Abu Dhabi Tour am 21. Februar.<br />

„Ich war in der zweiten oder dritten Reihe in<br />

der neutralisierten Zone hinter dem Wagen. Da<br />

bremst der Typ vor mir und ich sitze ihm auf dem<br />

70 PROCYCLING | FEBRUAR 2019


GEHIRNERSCHÜTTERUNGEN<br />

Bei der Tour of California<br />

stürzte Toms Skujinš<br />

schwer, doch er fuhr<br />

weiter.<br />

nach dem eigentlichen Trauma auftreten. „Aus<br />

meiner Sicht passieren Dinge bei den Rennen, und<br />

du kannst sie nicht erklären“, sagt Riepenhof.<br />

„Wenn etwas [wie ein Sturz] ohne Grund passiert,<br />

würde ich mich fragen, ob vorher etwas passiert<br />

ist, einen Tag vorher, und ob es das Resultat einer<br />

Gehirnerschütterung sein könnte. Und deswegen<br />

müssen wir es ernster nehmen.“<br />

Nachdem er vom Rad gestiegen war, ging Cavendish<br />

in Abu Dhabi ins Krankenhaus, um sich<br />

auf Schädelfrakturen und Blutungen untersuchen<br />

zu lassen. Dann verbrachte er sechs Tage in einem<br />

dunklen Raum – die beste Behandlung einer Gehirnerschütterung<br />

ist, dem Denkorgan Ruhe zu<br />

gönnen, so wie man einen gebrochenen Knochen<br />

oder einen Bänderriss ruhig stellt –, bevor er anfing<br />

sich zu langweilen, nach Hause flog und auf<br />

der Rolle trainierte. Zwei Wochen nach seinem<br />

Sturz stürzte er beim Mannschaftszeitfahren bei<br />

Tirreno–Adriatico wieder, dieses Mal, weil sein<br />

Sattel brach. Er landete auf dem Gesicht und<br />

brach sich eine Rippe, hatte aber nicht dieselben<br />

Symptome wie in Abu Dhabi. Er stieg wieder auf,<br />

verpasste das Zeitlimit und flog nach Hause. Zehn<br />

Tage später startete er bei Mailand–San Remo<br />

und stürzte wieder – er flog bei hoher Geschwindigkeit<br />

durch die Luft, nachdem er kurz vor dem<br />

Poggio gegen einen Poller geprallt war.<br />

„SETZT MICH WIEDER AUFS<br />

RAD“, HEISST ES, UND WIE-<br />

DER AUFS RAD ZU STEIGEN<br />

IST ABSOLUT ÜBLICH.<br />

„Ich bin bei San Remo angetreten und meine Frau<br />

sagt heute noch, dass ich das nicht hätte tun sollen“,<br />

sagt Cavendish. „Sie glaubt, dass das [die<br />

Gehirnerschütterung] der Grund war, warum ich<br />

bei San Remo gestürzt bin, aber ich sage nein.“<br />

Athleten, die eine Gehirnerschütterung<br />

erlitten hatten, berichten von Stimmungsschwankungen,<br />

Erschöpfung, Konzentrationsschwierigkeiten<br />

und anhaltenden Kopfschmer<br />

zen. Die Genesungszeiten können zwischen<br />

Tagen und Monaten schwanken. Wiederholte Gehirnerschütterungen<br />

bringen tiefere und schwerwiegendere<br />

Veränderungen mit sich. Der frühere<br />

englische Nationalspieler Alan Shearer ging dem<br />

Zusammenhang zwischen Kopfbällen und langfristigen<br />

Hirnschäden in seiner Dokumentation<br />

Dementia, Football and Me nach.<br />

„Niemand hat das ernst genommen, aber ich sage,<br />

es gibt viele Depressionen, die von wiederholten Gehirnerschütterungen<br />

stammen“, meint Cavendish.<br />

Zur Verteidigung des Sports: Die Diagnose fällt<br />

nicht so einfach wie bei einem Knochenbruch.<br />

Es ist schwer, jedes Kopftrauma in einem großen<br />

Peloton zu bemerken, und es ist fast unmöglich,<br />

bestimmte Symptome einem Zwischenfall zuzuordnen.<br />

Einige Verletzungen zeigen keine unmittel<br />

baren Symptome. Später in der Saison 2018<br />

ließ Cavendish einen Gehirnscan machen; er<br />

zeigte kleine weißen Flecken im Gehirn, die jeweils<br />

eine kleine Narbe darstellten.<br />

„Ich habe Gehirnerschütterungen nicht ernstgenommen.<br />

Es hat sich herausgestellt, dass ich massenweise<br />

davon hatte“, sagt er. „Ich habe mich untersuchen<br />

lassen, und es sind jede Menge Flecken<br />

in meinem Kopf. Massive Zeichen für viele Schläge<br />

gegen den Kopf, und es macht dich verrückt.“<br />

„Wir wissen, dass sie wahrscheinlich mit Gehirnerschütterungen<br />

zusammenhängen, aber es<br />

kann auch andere Gründe geben, warum sie da<br />

sind“, erklärt Mediziner Riepenhof. „Deswegen<br />

kann man nicht einfach Ex-Radsportler durchleuchten<br />

und sehen, wie viele weiße Flecken da<br />

sind, weil es an Dingen wie Blutdruck oder einfach<br />

Veränderungen an den Proteinen im Körper<br />

liegen könnte, was genau so aussieht. Es wird<br />

© Getty Images<br />

FEBRUAR 2019 | PROCYCLING 71


GEHIRNERSCHÜTTERUNGEN<br />

Bei Mailand–San<br />

Remo fuhr Cavendish<br />

gegen einen Poller,<br />

flog durch die Luft<br />

und schlug hart auf.<br />

© BettiniPhoto<br />

könnte. Er schlägt auch vor, dass sich ein in einen<br />

Sturz verwickelter Fahrer in einem dem Peloton<br />

folgenden Wagen untersuchen lassen könnte –<br />

eine mobile Variante der „concussion bins“, die in<br />

der Premier League gefordert werden; eine zehnminütige<br />

Auszeit, in der Spieler an der Seitenlinie<br />

auf Kopfverletzungen untersucht werden können.<br />

„Ein Arzt entscheidet, ob er das Rennen fortsetzen<br />

darf oder nicht. Wenn er sich nicht sofort<br />

sicher ist, muss es etwas geben, um zu sagen:<br />

‚Okay, er ist für heute draußen, hat wahrscheinlich<br />

nichts mehr mit der Gesamtwertung zu tun,<br />

aber wir brauchen 24 Stunden, um eine Entdefinitiv<br />

auch Fälle von langfristigen Erkrankungen<br />

geben, aber auch das ist schwer und kompliziert<br />

zu beweisen.“<br />

Cavendishs Team Dimension Data hat jetzt<br />

ein Regelwerk bei Gehirnerschütterung. Zu Beginn<br />

der Saison machen die Fahrer einen 30- bis<br />

40-minütigen Test der kognitiven Funktion; wenn<br />

sie eine Kopfverletzung erleiden, müssen sie diesen<br />

Test wiederholen und die Ergebnisse vergleichen.<br />

Jedes Nachlassen der Leistung gilt als Hinweis<br />

auf eine Gehirnerschütterung.<br />

Es ist ein Anfang, aber bei Weitem nicht unfehlbar.<br />

Es hängt davon ab, dass der Fahrer sich<br />

selbst meldet oder jemand anders die Symptome<br />

wahrnimmt. Profiathleten, so Riepenhof, haben<br />

wahrscheinlich auch eine höhere kognitive Funktion<br />

als die Durchschnittsperson, für die der Test<br />

gemacht wurde, was ihnen praktisch hilft, ihn<br />

auszutricksen. „Für einen Fußball- oder Rugbyspieler,<br />

der viele Gehirnerschütterungen hatte, ist<br />

der Test ein Witz“, sagt er. „Sogar wenn sie mehr<br />

als eine leichte traumatische Hirnverletzung hatten,<br />

können sie die Aufgaben bewältigen.“<br />

Es wurde auch berichtet, dass Athleten in der<br />

NFL, die ein ähnliches Regelwerk hat, bei ihrem<br />

Ausgangstest absichtlich schwach abschnitten,<br />

um zu bestehen und weiterspielen zu dürfen,<br />

wenn sie Anzeichen einer Gehirnerschütterung<br />

aufweisen. Wenn es um die Gesundheit geht,<br />

kann ein Sportler manchmal selbst sein ärgster<br />

Feind sein.<br />

Vor allem bietet der Test keine Lösung für den<br />

unmittelbaren Drang, Fahrer wieder aufs Rad zu<br />

setzen, aber Riepenhof glaubt, eine Antwort zu<br />

haben. Während seiner Arbeit beim Brighton &<br />

Hove Albion FC entwickelte er – aufgrund von<br />

Forschungsergebnissen der Stanford University<br />

und in Zusammenarbeit mit einer deutschen Firma<br />

– eine Virtual-Reality-Brille, die die Augenbewegung<br />

erfasst. Der Träger muss VR-Aufgaben<br />

mit den Augen lösen – einen Ball verfolgen oder<br />

einen Gegenstand finden –, und die Brille zeichnet<br />

die Reaktion der Augen auf.<br />

„Bei Patienten mit einem Kopftrauma sehen<br />

wir, dass alles davon beeinträchtigt wird. Die Anzahl<br />

von Sakkaden [schnelle Augenbewegungen,<br />

wenn die Augen zwischen Punkten hin und her<br />

springen] nimmt zunächst deutlich zu und lässt<br />

dann stark nach. Die Reaktion auf Licht – also wie<br />

weit sich die Linse öffnet und schließt – ist ganz<br />

anders.“<br />

Riepenhof glaubt, dass dies ein objektiver Test<br />

auf Gehirnerschütterung sein könnte, der mitten<br />

im Rennen viel schneller durchgeführt werden<br />

BEI DIESER GELEGENHEIT<br />

HÄTTE CAVENDISH NICHT<br />

WIEDER AUFS RAD STEIGEN<br />

SOLLEN. ER HATTE GLÜCK,<br />

DASS ER UND SEIN ARZT DIE<br />

SYMPTOME BEMERKTEN.<br />

72 PROCYCLING | FEBRUAR 2019


GEHIRNERSCHÜTTERUNGEN<br />

scheidung zu treffen.‘ Es ist so einfach im Radsport,<br />

aber wir müssen offener oder flexibler mit<br />

unseren Regeln sein. Bei jeder Regel gibt es die<br />

Chance, sie zu missbrauchen oder auf eine Art<br />

anzuwenden, die nicht richtig ist für den Sport,<br />

aber in einer solchen Situation hat die Gesundheit<br />

der Fahrer Priorität.“<br />

Die Fahrer sind nicht mehr das Hindernis,<br />

wenn es um die Reform des Radsports geht; mit<br />

einem stärkeren Bewusstsein ist ein stärkerer<br />

Wille im Peloton entstanden, den Radsport sicherer<br />

zu machen. Vielmehr stehen die Struktur und<br />

die Kultur des Radsports im Wege. „Was ist die<br />

Kultur im Radsport nach einem Sturz? Setz’ ihn<br />

wieder aufs Rad und schau, wie es ihm geht“, sagt<br />

Cavendish. „Bei Tirreno bin ich aufs Gesicht gefallen,<br />

weil mein Rad brach. Roger Hammond<br />

hielt im Mannschaftswagen an und wollte mich<br />

Die NFL untersucht, ob Virtual-Reality-<br />

Brillen bei der Erkennnung von Gehirnerschütterungen<br />

helfen können.<br />

erst wieder aufs Rad lassen, als ich alles spüren<br />

konnte. Ich stand auf und er schaute nach, ob mit<br />

mir alles in Ordnung war. Ich fahre ins Ziel und<br />

verpasse das Zeitlimit. Das ist ein fundamentales<br />

Problem“, sagt er weiter.<br />

Es wird nicht leicht, die Kultur der harten Kerle<br />

zu bekämpfen. Aber Riepenhof, der in der nächsten<br />

Saison als Arzt bei Dimension Data anfängt,<br />

ist optimistisch. „Vor Jahren hätte ich gelacht und<br />

gesagt, es ist unmöglich. Heute glaube ich, dass<br />

es realistisch ist. Sie begreifen es langsam.“<br />

Drei böse Stürze machten<br />

Cavendish das Leben im<br />

letzten Frühjahr schwer,<br />

dar unter einer bei Tirreno.<br />

© Bettini.Photo (groß), Getty Images<br />

FEBRUAR 2019 | PROCYCLING 73


W I S S E N<br />

IST MACHT<br />

In der Vergangenheit drehte sich alles um Rennräder<br />

und Zubehör, aber heute versuchen Radsportteams,<br />

mit Technologie, Daten und Kommunikation zu punkten.<br />

Es ist Teil der Stärke von Dimension Data.<br />

Text Fran Reyes<br />

Fotografie Gruber Images<br />

Salamanca. An der Startlinie einer Etappe<br />

der Vuelta a España rutscht Cristián Rodríguez<br />

hin und her, während er den Computer<br />

an seinem Rad einzustellen versucht. „Oh Mann,<br />

ich kann auf diesem Display nichts sehen“, murmelt<br />

der Fahrer von Caja Rural-Seguros RGA. Rodríguez<br />

ist ein hoch gehandelter junger Fahrer aus<br />

Spanien, ein vielversprechender Allrounder, den<br />

manche für einen künftigen Rundfahrtsieger halten.<br />

Er trainiert seit seiner Zeit als Junior nach<br />

Wattzahlen, dem Rat des Ex-Profis Michele Bartoli<br />

folgend.<br />

Verwenden Fahrer Wattmessgeräte im Training<br />

so häufig, dass sie bei den Rennen davon abhängig<br />

sind? „Es geht nicht nur um Wattzahlen“, sagt<br />

Rodríguez. „Ich schaue während der Etappe gerne<br />

auf das Profil, um zu sehen, wann die Anstiege<br />

kommen. Und außerdem: Weißt du, was für Vorteile<br />

es hat, wenn du in der Abfahrt die Strecke auf<br />

einer Landkarte sehen kannst? Wer sein Rad gut<br />

beherrscht, kann so viel schneller fahren.“ Was<br />

für eine Leistung: mit 70 km/h den Berg runter<br />

mit einem Auge auf der Straße und dem anderem<br />

auf einem winzigen Bildschirm am Lenker. Was<br />

für eine Zeit, um Rennfahrer zu sein!<br />

Fangen wir mit dem Einmaleins der Radsportplanung<br />

an, einem Stück Information, das normalerweise<br />

in der ersten Klasse jedes Teammanagement-Kurses<br />

ausgegeben wird: dem Unterschied<br />

zwischen Strategie und Taktik. Die Strategie ist<br />

der breitere Plan: die Ressourcen, die bei einem<br />

Rennen verwendet werden, und wie sie eingesetzt<br />

werden, um das gewünschte Ergebnis zu erzielen.<br />

Die Taktik sind die notwendigen Entscheidungen,<br />

um die Mission zu erfüllen. Es sind große Entscheidungen<br />

– wer angreift und wo – und kleine<br />

wie etwa, welche Straßenseite an einem bestimmten<br />

Punkt vorzuziehen ist. Die Taktik wird<br />

in der Hitze des Gefechts oft improvisiert; die<br />

Strategie wird vorher im Bus festgelegt.<br />

„SELBST WENN SIE MINUTEN<br />

VOR DEM START KOMMU­<br />

NIZIERT WIRD, WIRD DIE<br />

STRATEGIE WOCHEN<br />

VORHER AUSGEARBEITET.“<br />

LUCA GUERCILENA, MANAGER<br />

TREK-SEGAFREDO<br />

„Selbst wenn sie Minuten vor dem Start kommuniziert<br />

wird, wird die Strategie Wochen vorher<br />

ausgearbeitet“, sagt Luca Guercilena, der Trek-<br />

Segafredo-Manager.<br />

Wie und wann diese Vorbereitung stattfindet,<br />

variiert von Team zu Team, obwohl es einen Maßstab<br />

gibt, den uns Bingen Fernández, Sportdirektor<br />

von Dimension Data, erklärt: „Erst legen wir<br />

eine GPX-Datei von der Strecke an, was das Kartenformat<br />

ist, was von den meisten Geräten und<br />

Apps gelesen wird. Wenn wir uns das anschauen,<br />

können wir uns vorstellen, wie das Rennen verlaufen<br />

wird. Dann telefonieren wir mit den Fahrern,<br />

die wir aufbieten wollen, und ihrem jeweiligen<br />

Trainer, um zu hören, in welcher Form sie<br />

sind und um ein Feedback von ihnen zu bekommen,<br />

wie sie an das Rennen herangehen wollen.“<br />

Diese Telefonate sind besonders wichtig im<br />

Radsport, der eine der wenigen Mannschaftssportarten<br />

ist, wo die Athleten zu weit in der Welt<br />

verteilt sind, um sich regelmäßig zu treffen, und<br />

deswegen allein zu Hause trainieren. Aber sie berichten<br />

immer ihrem Trainer, sowohl telefonisch<br />

als auch über Apps wie Training Peaks. Damit<br />

können Trainer ihren Athleten die geplanten Trainingssessions<br />

bis ins kleinste Detail präsentieren.<br />

Später signalisiert die App mit einem sehr ein-<br />

74 PROCYCLING | FEBRUAR 2019


179BPM<br />

HRV 73<br />

179BPM<br />

22kph<br />

HRV 73<br />

22kp<br />

11%<br />

11%<br />

87RPM<br />

87RPM<br />

574 WATTS<br />

574 WATT<br />

FEBRUAR 2019 | PROCYCLING 75


WISSEN IST MACHT<br />

Teamchef Doug Ryder bei einer<br />

Besprechung im Dimension-Data-Bus.<br />

DAS ANALYSTEN-TEAM<br />

IM RADSPORT<br />

Team Dimension Data hat vielleicht deswegen einen Vorteil gegenüber anderen<br />

WorldTour-Teams, als ihr Titelsponsor in Bereich Datenanalyse und digitale Technologie<br />

arbeitet. Doug Scott, der bei Dimension Data den Bereich digitale Business-Lösungen<br />

verantwortet und im Vorstand des Radsportteams sitzt, sagte <strong>Procycling</strong>, dass sie sich<br />

als Sponsoren nicht nur Publicity wünschen, sondern dem Team gerne dabei helfen<br />

würden, besser zu fahren. Das wiederum diene dem Marketing des Unternehmens,<br />

was schließlich Hauptzweck des Sponsorings sei.<br />

„Es ist noch früh, aber wir sagen: Wir wollen herausbekommen, wie wir Technologie<br />

für das Team anwenden können“, sagte er. „Wir fügen nach und nach neue Dinge hinzu.“<br />

Ein erster Nutzen ist, dass eine App für die Fahrer entwickelt wurde, in die die Fahrer<br />

unterschiedliches Feedback über ihre körperliche Verfassung eingeben können. Als das<br />

Ärzteteam sich Bernhard Eisels Angaben für 2018 angeschaut hatte, wurde erkannt, dass<br />

möglicherweise etwas nicht stimmt. „Er klagte über Unwohlsein und Kopfschmerzen. Das<br />

hat die Ärzte alarmiert, die eine Untersuchung veranlassten, bei der dann festgestellt<br />

wurde, dass er ein Hämatom im Gehirn hatte und dringend operiert werden musste.“<br />

Das Team nutzt heute schon Datenanalyse, um seine Personalentscheidungen zu treffen.<br />

Nachdem es 18. der WorldTour 2018 wurde, stellte man neun neue Fahrer ein. „Wir haben<br />

eine Analyse für unser Team durchgeführt. Mit dem aktuellen Punktesystem ist unsere<br />

Mannschaft 2018 auf dem 18. Platz der WorldTour gelandet. Wenn du dir die Ergebnisse<br />

unserer Equipe von 2018 für 2019 anschaust und die Punkte addierst, wären wir 13. der<br />

WorldTour geworden. Wenn du den Durchschnitt der Resultate unserer Fahrer für 2019<br />

anschaust, wären wir Sechster der WorldTour. Und wenn jeder Fahrer sein bestesResultat<br />

der letzten fünf Jahre bei diesen Rennen 2018 erzielt hätte, wären wir Erste.“<br />

Doug Scott weiter: „Die Jungs sind keine Maschinen, und es kann alles Mögliche passieren,<br />

die Fahrer stürzen usw. Du kannst es nicht genau quantifizieren, aber wir sind überzeugt,<br />

dass man bessere Personalentscheidungen treffen kann. Und dann arbeiten wir noch<br />

an einem Untersystem, wo wir den Wert eines Domestiken bestimmen können – dafür<br />

gibt es keine Punkte, aber es ist wie eine Torvorlage im Fußball. Wenn wir Fahrer für<br />

2020 einstellen, verfeinern wir diese Methode, um zu sehen,<br />

welche Fahrer Punkte für das Team bringen.“<br />

fachen Farbsystem, inwieweit sich der Fahrer an<br />

den Plan gehalten hat.<br />

„Das ist das einzige Feedback, das wir bekommen“,<br />

sagt Fernández. „In anderen Sportarten ist<br />

es wahrscheinlich leichter, wo die Mitarbeiter täglich<br />

beim Training der Athleten anwesend sind.<br />

Aber es ist trotzdem besser als früher, wo wir alleine<br />

trainierten und zu den Rennen fuhren, ohne<br />

unseren Sportlichen Leitern Informationen über<br />

unsere Form geben zu können, abgesehen von unserem<br />

groben Gefühl.“<br />

Wie die Rennen analysiert und die Aufstellungen<br />

entschieden werden, kann ein sehr komplexer<br />

Prozess sein. „Wir quantifizieren und berücksichtigen<br />

alles“, erklärt Xabier Artetxe, Coach für das<br />

Team Sky. „Bei einem Etappenrennen sortieren<br />

wir erst die Etappen nach Typ des Rennens, das<br />

auf uns zukommt: wie viele Sprintetappen, ob es<br />

Bergankünfte gibt oder nicht, wie viele Höhenmeter<br />

es insgesamt gibt …“<br />

Er sagt weiter: „Wenn wir die Charakteristika<br />

des Rennens aufgeschlüsselt haben, wählen wir<br />

die Fahrer, die daran teilnehmen können, entsprechend<br />

ihren Qualitäten, ihrer Form und ihren<br />

Zielen in der Saison aus. Einen Sprinter zu einem<br />

hügeligen Etappenrennen wie der Baskenland-<br />

Rundfahrt zu schicken, um Resultate zu holen,<br />

wäre zum Beispiel sinnlos, aber ein solches Rennen<br />

kann ein guter Trainingsblock für seine<br />

nächsten Ziele sein. Dann besprechen Trainer<br />

und Sportliche Leiter zusammen alle anderen Aspekte,<br />

um eine Mannschaft zusammenzustellen,<br />

die zu den Zielen bei den Rennen und den allgemeinen<br />

Zielen des Teams passt.“<br />

Wenn das Aufgebot feststeht, ist es Zeit, es zu<br />

kommunizieren und anzufangen, das Rennen mit<br />

den Fahrern selbst vorzubereiten. „Wenn wir die<br />

Fahrer ausgesucht haben, sprechen wir mindestens<br />

eine Woche vor dem Rennen mit ihnen“, erklärt<br />

Artetxe die Methoden von Sky. „Die Sportlichen<br />

Leiter schicken ihnen Briefings, in denen<br />

jede Etappe bis ins Detail aufgeschlüsselt ist, Ziele<br />

für jeden Fahrer an jedem Tag definiert werden<br />

und der Gesamtplan für das Team dargelegt wird:<br />

Wer ist der Kapitän, wer hat welche Rolle.“<br />

Diese gründliche Definition der Rollen mag<br />

überflüssig erscheinen, aber die Fahrer legen viel<br />

Wert darauf. Sie empfanden es als eine der größten<br />

Verbesserungen, die Merijn Zeeman einführte,<br />

als er 2013 von Giant-Alpecin zu LottoNL–<br />

Jumbo kam.<br />

„Merijn leitet das Team im Training“, sagt<br />

Steven Kruijswijk, der 2018 Fünfter der Tour de<br />

France für das niederländische Team wurde. „Jeder<br />

Fahrer hat bei jedem Rennen ein Ziel – nicht<br />

76 PROCYCLING | FEBRUAR 2019


WISSEN IST MACHT<br />

nur die Kapitäne. Merijn beherrscht den Prozess,<br />

das Team zusammenzusetzen, ein gemeinsames<br />

Ziel zu setzen und allen das Gefühl zu geben,<br />

dass seine Aufgabe wichtig ist.“<br />

„WIR SKIZZIEREN DEN KURS,<br />

DAS WETTER, DIE STRATEGIE<br />

UND MÖGLICHE SZENARIOS<br />

IM RENNEN, DIE ANDERE<br />

TEAMS HERBEIFÜHREN<br />

KÖNNEN.“<br />

LUCA GUERCILENA, MANAGER<br />

TREK-SEGAFREDO<br />

Artetxe erklärt, dass man bei Sky die Fahrer<br />

mit Informationen über die wichtigsten Abschnitte<br />

des Rennens versorge und die Trainingssessions<br />

darauf einstelle. „Wir bauen Herausforderungen<br />

in die Trainingsfahrten ein, die<br />

denen im Rennen ähneln.“<br />

Das Team schickt auch Videos von der Strecke.<br />

„Wenn die Straßen noch nie in einem Rennen genutzt<br />

wurden, nimmt einer der Mitarbeiter sie auf.<br />

Und wenn sie schon einmal vorkamen, können<br />

wir auf YouTube und andere Quellen zurückgreifen,<br />

um ein Video zu produzieren, das zeigt, wie<br />

der Kurs beschaffen ist und wie sich das Rennen<br />

entwickeln könnte.“ Aber schauen sich die Fahrer<br />

diese Videos auch wirklich an? „Natürlich. Auch<br />

wenn es jeder macht, wann es ihm passt. Egan<br />

Bernal zum Beispiel kam bei der Tour de France<br />

an, ohne den Kurs zu kennen oder sich vorher irgendein<br />

Video angeschaut zu haben, weil er dachte,<br />

er könne sich die vielen Details bis zum Tag<br />

des Rennens nicht merken. Daher schaute er sich<br />

die Videos der nächsten Etappe am Abend vorher<br />

an, nachdem er seine Massage bekommen hatte.“<br />

Wie die Fahrer all diese Informationen erhalten,<br />

ist unterschiedlich. Direkte Kommunikation<br />

mit den Trainern und Sportlichen Leitern ist der<br />

bevorzugte Kanal. Teams wie UAE Emirates haben<br />

private Apps entwickelt, diese liefern für jedes<br />

Rennen relevante Videos, Links zum Herunterladen<br />

von GPX-Dateien über die Strecken, Wettervorhersagen<br />

und Tools wie MyWindSock (um die<br />

Windrichtung und -stärke an jedem Punkt des<br />

Rennens zu signalisieren) oder Wikiloc (um so<br />

viele Details wie möglich über die Strecke zu bekommen).<br />

Andere wie Movistar gründen Telegram-Gruppen<br />

für jedes Rennen, in denen sie<br />

Links zum Download von Informationen zur Verfügung<br />

stellen. Kleinere Teams begnügen sich<br />

mit einer E-Mail mit der Strecke auf Strava und<br />

einem PDF des Roadbooks.<br />

Sky musste sich<br />

oft anhören, dass<br />

das Fahren nach<br />

Wattzahlen zu<br />

lang weiligen Rennverläufen<br />

führt.<br />

© Getty Images<br />

FEBRUAR 2019 | PROCYCLING 77


WISSEN IST MACHT<br />

© Getty Images<br />

„Ich für meinen Teil finde, dass es nicht nötig ist,<br />

die Fahrer an den Tagen vor dem Rennen mit Informationen<br />

zu überladen“, sagt Fernández, von dem<br />

sein früherer Fahrer Igor Antón sagt, er sei „einer,<br />

der bei der Rennplanung zur Avantgarde gehört<br />

und weiß, welche Hilfe wir Fahrer brauchen. Ich<br />

ziehe es vor, mir am Abend vor dem Rennen die<br />

Details genauer anzuschauen oder auch noch<br />

bei der Teambesprechung im Bus am Morgen.<br />

Bei der Teambesprechung im Bus gibt es normalerweise<br />

eine PowerPoint-Präsentation“, so<br />

Fer nán dez weiter. „Wir skizzieren den Kurs, das<br />

Wetter, die Strategie und mögliche Szenarios im<br />

Rennen, die andere Teams herbeiführen können“,<br />

sagt Guercilena.<br />

„Wir versuchen, so viele Informationen wie<br />

möglich in eine Besprechung zu packen, die maximal<br />

15 Minuten dauern sollte“, sagt Groupama-<br />

FDJ-Coach Julien Pinot. „Wir besprechen auch die<br />

Straßenbreite in wichtigen Abschnitten und wie<br />

die darauf zuführenden Straßen aussehen – mit<br />

Videos oder zumindest mit Screenshots von Google<br />

Street View.“<br />

Außerdem, so Fernández, gibt es spezielle Vorgaben<br />

für Flachetappen für Sprinter: „Bei Sprintern<br />

geht es darum, dass sie sich die Straßenkarte<br />

ansehen und sich Kurven und Kreisverkehre einprägen“,<br />

sagt er. „Die meisten haben eine beneidenswerte<br />

Fähigkeit, die letzten Kilometer zu<br />

visua lisieren und im Kopf abzuspeichern. Und<br />

dann ist da der Wind. Die Geschwindigkeit des<br />

Sprints schwankt stark, je nach Windrichtung.<br />

Daher ist die Taktik des Sprintzugs sehr stark darauf<br />

ausgerichtet.“<br />

Nach all dieser Strategie kommt die Taktik. Obwohl<br />

die Taktik oft improvisiert wird, wollen die<br />

Fahrer das Gefühl haben, dass ein kühler Kopf auf<br />

dem Fahrersitz ist, der nicht von einer Herzfrequenz<br />

von 170 Schlägen pro Minute beeinflusst<br />

wird – sie wollen eine Stimme, auf die sie sich verlassen<br />

können.<br />

„Ich mag Patxi Vila, weil er im Mannschaftswagen<br />

alles ausrechnet“, sagt Bora–hansgrohe-<br />

Fahrer Lukas Pöstlberger. „Sich darauf verlassen<br />

zu können, dass der Sportdirektor alles unter<br />

„ICH FÜR MEINEN TEIL<br />

FINDE, DASS ES NICHT NÖTIG<br />

IST, DIE FAHRER AN DEN<br />

TAGEN VOR DEM RENNEN<br />

MIT INFORMATIONEN ZU<br />

ÜBERLADEN.“<br />

BINGEN FERNÁNDEZ, SPORT-<br />

DIREKTOR DIMENSION DATA<br />

Pinot nutzte sein Wattmessgerät<br />

sehr effektiv<br />

auf der 15. Etappe der<br />

Vuelta, wo er am<br />

Covadonga siegte.<br />

Kontrolle und für alles eine Lösung hat, ist ein<br />

gutes Gefühl.“<br />

Fahrer und Sportliche Leiter müssen während<br />

des Rennens über das aktuelle Geschehen auf<br />

dem Laufenden gehalten werden, um ihre Taktik<br />

darauf einzustellen. „Während des Rennens folgen<br />

zwei Sportdirektoren dem Rennen, während<br />

ein Coach ein paar Minuten vor der Karawane den<br />

Kurs abfährt“, sagt Pinot. „Der Coach hat die Aufgabe,<br />

jedes relevante Detail zu entdecken, das in<br />

der Vorbereitung übersehen wurde, wie etwa<br />

Kreisverkehre, die nur auf einer Seite befahrbar<br />

sind, oder große Zuschauermengen an einem bestimmten<br />

Abschnitt der Straße oder nasses Kopfsteinpflaster<br />

in einem Ortskern. Er sammelt diese<br />

Infos und gibt sie an den Sportlichen Leiter weiter,<br />

der sie an die Fahrer weitergibt.“<br />

Die Teams müssen auch auf das reagieren, was<br />

ihre Rivalen machen, obwohl Allan Peiper, der<br />

2019 als Sportlicher Leiter von BMC zu UAE<br />

Emirates wechselt, sagt: „Deine eigene Taktik zu<br />

definieren ist wichtiger als versuchen zu raten,<br />

was deine Rivalen zu tun versuchen könnten.“<br />

„Um die Ausreißer in Schach zu halten, musst<br />

du wissen, wer stark ist und wer nicht“, sagt<br />

CCC-Kletterer Simon Geschke. „Bei großen Rundfahrten<br />

fährst du drei Wochen lang gegen dasselbe<br />

Peloton, sodass du jeden Fahrer kennst. Bei kleineren<br />

Rennen musst du ein paar Hausaufgaben<br />

machen. Es gibt Fahrer – wie Vasil Kiryienka oder<br />

Alexis Gougeard –, wo du niemals zulassen darfst,<br />

dass sie es in eine Ausreißergruppe schaffen,<br />

wenn du willst, dass es zu einem Sprint kommt.“<br />

„Die starken Fahrer zu kennen, ist bei großen<br />

Rennen natürlich leichter, da wir lange im Voraus<br />

wissen, gegen wen wir fahren“, sagt Guercilena.<br />

„Aber bei kleineren Rennen bekommst du am<br />

Vorabend die Startliste, und sie könnte voller<br />

Conti- und ProConti-Teams sein, auf die du nicht<br />

so häufig triffst. Wir hatten Situationen, in denen<br />

einer unserer Fahrer in einer Ausreißergruppe mit<br />

fünf anderen Fahrern war, die er noch nie in seinem<br />

Leben gesehen hatte. Deswegen stellen die<br />

Mitarbeiter am Vorabend des Rennens einige Recherchen<br />

an, um jeden Fahrer im Rennen einschätzen<br />

zu können.“<br />

Strategie und Taktik basieren oft auf der Verwendung<br />

von Wattmessgeräten. Figuren wie Alberto<br />

Contador und Nairo Quintana haben sich<br />

gegen die Geräte ausgesprochen – nach Wattzahlen<br />

zu fahren, habe das Team Sky in die Lage<br />

versetzt, einige Rennen völlig unter Kontrolle zu<br />

haben, insbesondere Bergetappen bei großen<br />

Rundfahrten, argumentierten sie.<br />

„Ja, wir sagen einigen Fahrern, wie viel Watt<br />

sie in jedem Abschnitt eines entscheidenden Anstiegs<br />

schätzungsweise treten können und müssen“,<br />

gibt Artetxe zu.<br />

Aber es ist nicht unbedingt so einfach, dass ein<br />

Fahrer einfach seinem Wattmessgerät folgt. Der<br />

78 PROCYCLING | FEBRUAR 2019


WISSEN IST MACHT<br />

Apps sind heute beim Training<br />

und der taktischen Planung nicht<br />

mehr wegzudenken.<br />

„ES GIBT ETWAS ANDERES<br />

IM RADSPORT, DAS NICHT<br />

WISSENSCHAFTLICH IST“,<br />

SAGT PEIPER. „ES GEHT<br />

UM GEFÜHL, WILLENSKRAFT,<br />

INTELLIGENZ UND<br />

INTUITION … ALL DIESE<br />

DINGE SIND VERÄNDERLICH<br />

UND SCHWER ZU MESSEN.“<br />

ALLAN PEIPER,<br />

SPORT-DIREKTOR<br />

TEAM UAE EMIRATES<br />

ehemalige Sky-Fahrer Leopold König sagt: „Du<br />

kannst vorhersagen, wie viel Watt du im Schnitt<br />

treten willst. Aber wenn sich die Temperatur ändert,<br />

kannst du dich nicht darauf verlassen, weil<br />

es sich auf deinen Körper auswirkt. Es gibt viele<br />

Faktoren, die einen Einfluss darauf haben, wie viel<br />

Watt du produzierst: gut geschlafen zu haben, gut<br />

im Windschatten fahren zu können …“<br />

Auch die Charakteristika der Strecke kommen<br />

ins Spiel. Julien Pinot erklärt das anhand der Leistung<br />

seines Bruders Thibaut bei der Bergankunft<br />

in Lagos de Covadonga bei der Vuelta 2018 – eine<br />

Etappe, die der Franzose als Solist gewann. „Das<br />

Wattmessgerät war zu Beginn des Anstiegs nützlich<br />

für ihn, weil das Tempo zu hoch war und er<br />

sich entschied, die Favoriten ein bisschen ziehen<br />

zu lassen, weil er wusste, dass er einbrechen würde,<br />

wenn er so früh in den roten Bereich gehen<br />

würde. Später kam er zu der Gruppe zurück, griff<br />

an und setzte sich als Solist ab. An dem Punkt<br />

konnte er dem Wattmessgerät wirklich trauen,<br />

weil die Steigung sehr unregelmäßig war. Aber an<br />

einem regelmäßigen Anstieg ist das leichter.“<br />

„So sehr ich an Daten und Zahlen glaube, es<br />

gibt etwas anderes im Radsport, das nicht wissenschaftlich<br />

ist“, sagt Peiper. „Es geht um Gefühl,<br />

Willenskraft, Intelligenz und Intuition …<br />

All diese Dinge sind veränderlich und schwer oder<br />

unmöglich zu messen. Wenn du einen beeindruckenden<br />

VO2 max hast und dein Rad nicht beherrscht,<br />

kommst du nicht weit. Andererseits haben<br />

Fahrer mit normalen Parametern Klassiker<br />

gewonnen, weil sie clever sind. Je mehr Daten wir<br />

haben und analysieren, umso besser werden wir<br />

Radrennen verstehen. Aber in diesem Sport läuft<br />

es nicht komplett auf Daten hinaus. Seine Taktik<br />

ist unvorhersehbar.“<br />

Zurück nach Salamanca und zur Vuelta. Josemi<br />

Fernández, Sportdirektor bei Caja Rural, spricht<br />

mit Cristian Rodríguez und hört sich seine Klagen<br />

über sein ausgeschaltetes Wattmessgerät an. „Du<br />

denkst nur an die Zahlen und konzentrierst dich<br />

so sehr auf die Details, dass du manchmal vergisst,<br />

dass es bei Radrennen um Leidenschaft<br />

geht“, ermahnt er seinen Fahrer.<br />

Und Bingen Fernández sagt: „Wir können einem<br />

Fahrer so viele Informationen geben, wie wir<br />

wollen, aber er muss das Rennen fühlen und an<br />

Ort und Stelle selbst Entscheidungen treffen. Das<br />

ist kein Videospiel. Ich kann die Fahrer nicht mit<br />

einem Joystick bewegen. Gott sei Dank!“<br />

© fotopress (Peiper)<br />

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80 PROCYCLING | FEBRUAR 2019


RETRO<br />

1992<br />

MENSCH UND<br />

SUPERMASCHINE<br />

„Dass Chris Boardman 1992 die olympische Verfolgung<br />

gewann, ist die erste Erinnerung, die ich an den Radsport<br />

habe. Ich hatte noch gar nichts damit zu tun, aber ich<br />

wusste, dass ich Rad fahren und so einen Helm tragen<br />

wollte. Ich ging mit meinen Freunden in den Park und wir<br />

fuhren eine Verfolgung auf dem Fußweg – wir sind<br />

gefahren, bis wir die anderen hatten.“<br />

Text Edward Pickering Fotografie Shutterstock<br />

Die Geschichte begann und endete im<br />

Velòdrom d’Horta in Barcelona in dem<br />

Moment eines frühen Mittsommerabends,<br />

an dem das Licht weicher wird und alles<br />

nach dem harten, hellen Licht des Tages in ein<br />

warmes Glühen taucht. Die Hitze strahlte von<br />

allen Oberflächen ab, sodass die ganze Nacht<br />

T-Shirt- und Shorts-Wetter war.<br />

Auf der Bahn: zwei Männer, einer auf jeder Seite.<br />

Der Brite Chris Boardman gegen den Deutschen<br />

Jens Lehmann im Finale der Einerverfolgung<br />

der Olympischen Spiele 1992. Boardman<br />

strebte – haltet euch fest, jüngere Fans mit wenig<br />

Wissen über den Radsport vor den 2000ern – die<br />

erste Radsport-Goldmedaille für Großbritannien<br />

seit 72 Jahren an, Lehmann war amtierender<br />

Weltmeister. Am Tag des Finales, dem 29. Juli,<br />

musste Großbritannien erst noch eine Goldmedaille<br />

gewinnen. Das öffentliche und mediale<br />

Interesse war enorm.<br />

Auch die britische Öffentlichkeit versprach<br />

sich viel von Boardman. Die Fans auf der Insel, in<br />

Sachen olympische Erfolge nicht verwöhnt, hatten<br />

mitbekommen, dass es ein arbeitsloser Möbelschreiner<br />

aus der Nähe von Liverpool ins Finale<br />

der Verfolgung geschafft hatte. Aber noch mehr<br />

interessierte sie, womit er fuhr.<br />

Jedes Olympia hat seinen Star oder seine prägende<br />

Geschichte. In Rio de Janeiro 2016 war es<br />

die Turnerin Simone Biles. Vier Jahre zuvor in<br />

London war es Bradley Wiggins. Peking: Usain<br />

Bolt. Aber 1992 war der größte Star – zumindest<br />

für die britischen Sportfans – ein Rad. Oder besser<br />

DAS Rad. Das Lotus Sport 108, auf dem<br />

Boardman auf der Gegengeraden des Velodroms<br />

saß, sah futuristisch aus und wirkt selbst aus der<br />

Perspektive von 2018 modern. 1992 hatten die<br />

wenigsten Radsportfans je so etwas gesehen. Es<br />

war ein geschwungener Carbonrahmen aus einem<br />

Guss mit einem einzigen Gabelbein und einem<br />

ebenfalls nur an einer Seite befestigten Hinterrad.<br />

Es war schön, stilvoll und stromlinienförmig, lackiert<br />

im legendären Schwarz und Gelb des Lotus-F1-Teams<br />

und mit organischen, schnell aussehenden<br />

Formen gesegnet.<br />

Wenn man einen Moment auswählen müsste,<br />

in dem Rennräder aufhörten, traditionell auszusehen,<br />

und anfingen, modern zu sein, könnte es<br />

der frühe Abend des 28. Juli 1992 sein. Boardman<br />

vervollständigte den futuristischen Look mit<br />

einer flachen und gestreckten Haltung und einem<br />

tropfenförmigen Helm, dessen spitzes Ende bis<br />

zwischen die Schultern reichte. Ebenso viel Aufmerksamkeit<br />

wie dem Mann, der es fuhr, wurde<br />

dem Rad geschenkt.<br />

Boardman, der einige Wochen später 24 wurde,<br />

war der Favorit, obwohl chronische Nervosität,<br />

geringes Selbstwertgefühl, einige schlechte Erfahrungen<br />

bei vorausgegangenen Weltmeisterschaften<br />

und eine trübselig-pessimistische Weltanschauung<br />

dazu führten, dass er einen Teil der<br />

Vorbereitung auf das Finale damit verbrachte, sich<br />

in die Position des Underdogs hineinzureden. Er<br />

war im Halbfinale in einer langsameren Zeit zu<br />

einem lockeren Sieg gefahren als Lehmann in seinem,<br />

sodass er auf der hinteren Geraden startete<br />

und der Deutsche auf der vorderen.<br />

Während die Augen der Sportöffentlichkeit<br />

auf Boardman gerichtet waren, hatte der Fahrer<br />

selbst versucht, alle äußeren Reize und Ablenkungen<br />

aus der Stille vor dem Rennen auszuschließen.<br />

Nur das mechanische Ticken und<br />

Klappen der Zahlen an der Countdown-Uhr vor<br />

ihm auf dem Innenfeld der Radrennbahn drang in<br />

sein Bewusstsein.<br />

FEBRUAR 2019 | PROCYCLING 81


RETRO<br />

1992<br />

© Offside Sports Photography<br />

Vordergründig war das Finale in der Einerverfolgung<br />

der olympischen Spiele 1992 ein Kampf<br />

Mann gegen Mann. Viel einzelsportlicher als bei<br />

der Verfolgung geht es nicht – zwei Fahrer allein<br />

auf der Bahn. Aber Boardmans Vormarsch ins<br />

Finale war das Ergebnis einer bemerkenswerten<br />

Mannschaftsleistung gewesen. Ein Aspekt war<br />

seine Zusammenarbeit mit Lotus, die eine perfekt<br />

getimte einmalige Sache war; ein anderer die ungewöhnlich<br />

enge Beziehung zu seinem Trainer<br />

Peter Keen, einem innovativen und kreativen<br />

Wissenschaftler, der nur ein paar Jahre älter als<br />

Boardman war. Es heißt, Radsport ist ein Mannschaftssport<br />

für Einzelgänger. Aber die olympische<br />

Verfolgung 1992 war eine Einzelsportart für<br />

ein Team.<br />

SELBSTVERBESSERUNG<br />

Das Berühmteste, was Chris Boardman je sagte,<br />

war in einem Interview Anfang 1992 der Satz:<br />

„Radfahren macht mir keinen besonderen Spaß.“<br />

Die britische Radsport-Öffentlichkeit brauchte<br />

Jahre, um ihm zu vergeben oder vielmehr zu verstehen,<br />

was er eigentlich gesagt hatte.<br />

Boardman war in seiner Karriere ein von Natur<br />

aus ernster Mensch, äußerlich emotionslos,<br />

nüchtern und lakonisch, mit einem knochentrockenen<br />

Sinn für Humor. Auch heute ist er immer<br />

noch ein bisschen so, als Fernsehpersönlichkeit<br />

und Lobby ist für Radsport-Infrastruktur, obwohl<br />

er versichert, inzwischen viel entspannter zu<br />

sein. Als Teenager nannten ihn seine Vereinskameraden<br />

„Onkel Chris“, weil er für sein Alter sehr<br />

ernst wirkte.<br />

ALS TEENAGER NANNTEN IHN<br />

SEINE VEREINSKAMERADEN<br />

„ONKEL CHRIS“, WEIL ER FÜR<br />

SEIN ALTER SEHR ERNST<br />

WIRKTE.<br />

Sein Weg nach Barcelona und weiter zum Stundenweltrekord<br />

und ins Gelben Trikot verlief auf<br />

Umwegen, die auf den windumtosten Schnellstraßen<br />

der britischen Zeitfahrszene begannen.<br />

Er hatte sich seine Eltern gut ausgesucht – er<br />

wurde als Kind eines Zeitfahrer-Vaters (der in die<br />

engere Auswahl für die britischen Mannschaftsverfolger<br />

für Olympia in Tokio 1964 kam) und<br />

einer radfahrbegeisterten Mutter geboren. Da sie<br />

ihren Sohn anfangs nicht zu ihrer Leidenschaft<br />

drängen wollten, zögerten sie, den jungen Chris<br />

auf ein Rad zu setzen, und ließen ihn den Sport<br />

selbst entdecken.<br />

Boardman mag das Radfahren keinen besonderen<br />

Spaß gemacht haben, wie er später zugab.<br />

Doch er war extrem gut darin und es war ein Ventil<br />

für seine größte Liebe, das, was ihn wirklich<br />

motivierte: Verbesserung. Mit 13 Jahren nötigte<br />

er seine Eltern, ihn an seinem ersten Zehn-Meilen-Zeitfahren<br />

teilnehmen zu lassen, und fuhr<br />

29:43 Minuten. Eine Woche später trat er wieder<br />

an, nachdem er ein bisschen über Krafteinteilung<br />

und Effizienz nachgedacht hatte, und fuhr 28<br />

und ein paar Zerquetschte. Jetzt hatte es ihn gepackt.<br />

Bis zum Jahresende hatte er sich um vier<br />

Minuten verbessert. Bis zum Ende des folgenden<br />

Jahres, 1983, war er runter auf 21 Minuten und<br />

unter einer Stunde für 25 Meilen (ohne Zeitfahrlenker).<br />

1984 stellte er noch in der Jugend-Kategorie<br />

mit 52:09 Minuten einen nationalen Juniorenrekord<br />

über 25 Meilen auf.<br />

Es klingt, als wäre Boardman immer zum Großem<br />

bestimmt gewesen, doch obwohl er klar der<br />

beste junge Fahrer des Landes war, verbrachte er<br />

viel Zeit damit, nationale Meisterschaften nicht zu<br />

gewinnen. Zwei Wochen, nachdem er den britischen<br />

25-Meilen-Rekord der Junioren aufgestellt<br />

hatte, wurde er nur Fünfter der nationalen 25-Mei -<br />

len-Meisterschaft seiner Altersklasse, da er sich<br />

vor Nervosität nicht konzentrieren konnte. Auch<br />

seine Ambitionen auf der Bahn wurden vereitelt<br />

– gerade als er sich als bester Junioren-Verfolger<br />

Großbritanniens hervorzutun schien, tauchte Colin<br />

Sturgess aus Südafrika auf, ein noch frühreiferes<br />

Talent, und schlug Boardman von 1985 bis<br />

1987 locker. Erst 1988 gewann Boardman einen<br />

wichtigen nationalen Einzeltitel, den National Hill<br />

Climb, und als Sturgess 1989 Profi wurde, war<br />

der Weg für Boardman etwas freier.<br />

ZWEI SCHLAUE KÖPFE<br />

Als Peter Keen Chris Boardman das erste Mal<br />

traf, war er enttäuscht. Der Fahrer war im Winter<br />

1986/87 unfit zu einem physiologischen Test in<br />

seinem Labor am University College Chichester<br />

erschienen und lieferte vergleichsweise mittelmäßige<br />

Zahlen ab.<br />

Keen machte sich damals gerade einen Namen<br />

– erst Anfang 20, war er Dozent in Sportphysiologie<br />

geworden und hatte einschlägige Erfahrung als<br />

Trainer, da er mit dem zweifachen Profi-Weltmeister<br />

in der Verfolgung, Tony Doyle, gearbeitet hatte.<br />

Der frühere Zeitfahr-Champion der Schüler war<br />

Anfang der 1980er ins nationale Radsportprogramm<br />

gekommen und erkrankt, übertrainiert<br />

und ausgebrannt daraus hervorgegangen. Nachdem<br />

er mittelmäßige Abiturnoten (ausreichend in<br />

Mathe, mangelhaft in Physik und ungenügend in<br />

Biologie) bekommen hatte, schrieb er sich für ein<br />

Sportstudium in Chichester ein, wo er das Glück<br />

hatte, einen der innovativsten Sportwissenschaftler<br />

des Landes, Professor Tudor Hale, als Lehrer zu<br />

haben. „Als ich mit einem hervorragenden Lehrer<br />

Boardman hat’s geschafft und kassiert<br />

Lehmann im Finale der Einerverfolgung.<br />

82 PROCYCLING | FEBRUAR 2019


ins Labor ging, war ich ein ganz anderer Mensch“,<br />

sagt er über sein Grundstudium. Ein Jahr später<br />

gewann er die vom Sports Council vergebene Auszeichnung<br />

„Dissertation des Jahres“. Er verbrachte<br />

lange Abende in der Universitätsbibliothek und las<br />

die Werke des Wissenschaftsphilosophen Karl<br />

Popper – der erhellende Moment kam, als er erkannte,<br />

dass es bei der Wissenschaft in ihrer<br />

reinsten Form nicht darum geht, im Klassenzimmer<br />

zu sitzen und Fakten aufzusaugen, sondern<br />

vielmehr um Wahrscheinlichkeit und Methode.<br />

„Es ging darum, Fragen zu stellen“, sagte er.<br />

Keen testete Boardman und entließ ihn mit einem<br />

Trainingsplan, den er in den folgenden drei<br />

Monaten befolgen sollte. Als er zurückkam, beschrieb<br />

Keen die Verbesserung als „verblüffend“:<br />

Der Fahrer war vier Kilo leichter und trat 50 Watt<br />

mehr. Auch da war er noch nicht überzeugt, dass<br />

Boardman ein künftiger Champion war, aber er<br />

hielt sich nur an die Zahlen (an sich damals eine<br />

revolutionäre Methode). Keen maß Puls und<br />

Wattzahlen und stellte die Werte neben die subjektive<br />

Wahrnehmung der Anstrengung, was<br />

Boardman das gab, was ihn motivierte – die Möglichkeit,<br />

seine Fortschritte aufzuzeichnen.<br />

Das Timing ihres Zusammentreffens war<br />

glücklich. Boardmans früherer Coach, Eddie<br />

Soens, war der typische feurige Motivator gewesen.<br />

Er hatte Boardmans Klasse erkannt und der<br />

zwanghaften Natur des Fahrers einen kämpferischen<br />

Antrieb hinzugefügt. Aber Keen brachte<br />

etwas anderes. Er versuchte, mit den wissenschaftlichen<br />

Methoden an das Coaching heranzugehen,<br />

die er an der Universität gelernt hatte, und<br />

fing lieber mit einem unbeschriebenen Blatt an,<br />

statt sich auf überliefertes Wissen zu verlassen.<br />

Und mit Boardman hatte er das perfekte Versuchskaninchen.<br />

Dank Boardmans angeborener Ehrlichkeit<br />

und Geradlinigkeit war die Qualität seines<br />

Feedbacks hoch. „Ich habe mit ihm schneller gelernt<br />

als mit jedem anderem, mit dem ich gearbeitet<br />

habe, weil er ein so außergewöhnlich guter<br />

und ehrlicher Kommunikator war“, sagte Keen.<br />

Keen hatte aber immer noch nicht begriffen,<br />

dass Boardman ein künftiger Champion war. Die<br />

Zahlen bei diesem zweiten Test waren beeindruckend,<br />

aber Boardmans Power war nie seine<br />

stärkste Waffe. Was ihn außergewöhnlich machte,<br />

war seine Steigerungsrate, seine Lungenfunktion,<br />

die ungewöhnlich effizient war, und die Tatsache,<br />

dass er auf dem Rad eine sehr kleine Stirnfläche<br />

hatte – er konnte effizient fahren, während<br />

er eine aerodynamische Position beibehalten<br />

konnte, die deutlich über dem Durchschnitt lag.<br />

1989 begann Boardman auf nationaler Ebene<br />

zu dominieren – er gewann die britische 25-Meilen-Meisterschaft<br />

mit einer Minute Vorsprung.<br />

Aber er und Keen hatten auch einen möglichen<br />

Weg zur ultimativen Ambition gefunden: eine<br />

Goldmedaille in der Verfolgung bei Olympia<br />

1992. 1989 war Boardman Zehnter der Weltmeisterschaft<br />

geworden. Die grob gesteckten Ziele<br />

waren: 1990 Top Sechs, 1991 Top Drei und im<br />

folgenden Jahr in Barcelona Gold.<br />

Mit niedriger Sitzhaltung und kleiner Stirnfläche<br />

war Boardman sehr aerodynamisch.<br />

Boardman fuhr bei der WM 1990 in der Qualifikation<br />

die siebtschnellste Zeit, und obwohl<br />

er im Viertelfinale ausschied, war er auf gutem<br />

Wege. Aber 1991 kam das böse Erwachen: Er<br />

fuhr in der Qualifikation der Verfolgungs-Weltmeisterschaft<br />

4:31, war aber trotzdem nur Fünfter,<br />

und seine finale Position war Neunter, obwohl<br />

er schneller als je zuvor gefahren war. Auch<br />

die Lücke zur Goldmedaille war größer geworden<br />

– er lag neun Sekunden hinter dem neuen Weltrekord<br />

von 4:22 von Jens Lehmann, der die Goldmedaille<br />

gewann.<br />

Lehmanns Leistung war atemberaubend. Er<br />

war über 4.000 Meter schneller gefahren als das<br />

Team der britischen Mannschaftsverfolger und<br />

hatte sich binnen eines Jahres um ganze 14 Sekunden<br />

gesteigert. Kein Wunder, dass Boardmans<br />

Moral am Boden war. Keen wusste, dass<br />

sein Fahrer kein Mitgefühl brauchte, sondern<br />

Beweise, dass er sich noch ausreichend steigern<br />

konnte, um in Barcelona Gold zu gewinnen. Er<br />

schaute sich Lehmanns Zeit sowie seine Größe,<br />

sein Gewicht und seine Stirnfläche an, rechnete<br />

aus, wie viel Watt Boardman würde treten müssen,<br />

um ihn zu schlagen, und arbeitete aus, was<br />

sie in den verbleibenden zwölf Monaten tun<br />

mussten.<br />

© Getty Images<br />

FEBRUAR 2019 | PROCYCLING 83


Zwischen den Läufen<br />

war Boardman nervös,<br />

unso mehr genoss er<br />

seinen Titel.<br />

© Hennes Roth (D) PhotoSport<br />

ZURÜCK IN DIE ZUKUNFT<br />

Wie Chris Boardman selbst wurde das Lotus<br />

Sport 108 auf den Schnellstraßen und Rundkursen<br />

der britischen Zeitfahrszene geboren. Mike<br />

Burrows, ein Ingenieur aus East Anglia, der hauptberuflich<br />

Verpackungsmaschinen entwickelte und<br />

herstellte, sich aber nebenher in der Fahrradkonstruktion<br />

betätigte, hatte Anfang der 1980er ein<br />

originelles Aero-Rad mit einem aus einem Stück<br />

gefertigten Carbonrahmen entworfen, dass er<br />

WindCheetah nannte. Burrows, der dem Klischee<br />

des exzentrischen Erfinders entsprach, wollte<br />

nicht trainieren müssen, um bei Zeitfahren schnell<br />

zu sein, und er erkannte genau, dass er dasselbe<br />

Ergebnis erzielen konnte, wenn er sein Rad aerodynamischer<br />

machte. Durch seine Erfahrung im<br />

Modellflugzeugbau und in der Fliegerei verstand er<br />

mehr von Aerodynamik als jeder Radhersteller zu<br />

der Zeit, und dies fiel damit zusammen, dass er<br />

begann, mit Carbon zu arbeiten. Jahre, nachdem<br />

er das neue Material in der Hand gehabt hatte, war<br />

seine Erinnerung ein fröhliches: „Oh, was für ein<br />

Zeug! Was können wir damit machen?“<br />

RESULTATE AUF DER BAHN<br />

Chris Boardmans größte Erfolge im Velodrom<br />

1.<br />

Landesmeisterschaft Einerverfolgung<br />

1989, 1991, 1992<br />

Olympische Einerverfolgung 1992<br />

Stundenweltrekord 1993, 1996, 2000<br />

Weltmeisterschaft Einerverfolgung 1994, 1996<br />

2.<br />

Landesmeisterschaft Einerverfolgung<br />

1987, 1988, 1990<br />

Weltmeisterschaft Einerverfolgung 1993<br />

3.<br />

Landesmeisterschaft Einerverfolgung 1987<br />

1.<br />

2.<br />

3.<br />

RESULTATE<br />

PRO JAHR<br />

84 PROCYCLING | FEBRUAR 2019


RETRO<br />

1992<br />

DAS RAD FING AN, DIE<br />

AUFMERKSAMKEIT<br />

RIVALISIERENDER TEAMS<br />

ZU ERREGEN, UND DIE BCF-<br />

MITARBEITER MUSSTEN ES<br />

MIT DECKEN VERHÜLLEN.<br />

Burrows’ Inspiration für den einteiligen Monocoque-Rahmen<br />

war nicht nur Raumfahrt-Technologie<br />

und moderne Aerodynamik. Er kannte<br />

ein Rad namens Invincible, das in den 1890ern<br />

von der Surrey Machinist Company hergestellt<br />

worden war und von dem er ein Modell im Verkehrsmuseum<br />

in Coventry gesehen hatte. Das<br />

Invincible hatte nur eine Gabelscheide, und wie<br />

Burrows später sagen sollte, „ist nichts aerodynamischer<br />

als keine Gabel“.<br />

Burrows klapperte mit dem WindCheetah,<br />

das ein eckigeres Profil als das LotusSport hatte,<br />

aber erkennbar ähnlich war, die Radhersteller<br />

Großbritanniens ab, doch die waren verwirrt.<br />

Sie fragten ihn, warum er den Rahmen abdecken<br />

würde, und Burrows’ ungläubige Erwiderung<br />

war, dass dies nicht der Fall sei – die Abdeckung<br />

WAR der Rahmen. Es wurde nicht besser dadurch,<br />

dass die UCI Rahmen aus einem Stück<br />

Mitte der 1980er verbot (obwohl sie bei Zeitfahren<br />

in Großbritan nien genutzt werden konnten).<br />

Das hätte das Ende der Geschichte sein können,<br />

doch dann sah Rudy Thomann, ein ehemaliger<br />

Formel-2-Pilot und Testfahrer für den örtlichen<br />

Lotus-Autohersteller, das WindCheetah<br />

in Burrows’ Büro hängen und fragte ihn, ob er es<br />

mitnehmen und den Lotus-Konstrukteuren zeigen<br />

dürfe. Der Vorstand bei Lotus sah eine Möglichkeit,<br />

seinen Ruf als High-End-Hersteller zu<br />

nutzen und exklusive handgefertigte Räder zu<br />

bauen und zu verkaufen, und das WindCheetah<br />

war innovativ und revolutionär genug, um damit<br />

zu arbeiten.<br />

Lotus besaß das Know-how, um das Wind-<br />

Cheetah noch aerodynamischer zu machen, da<br />

man Zugang zum Windtunnel des Motoring Institute<br />

Research Association (MIRA) bei Birmingham<br />

hatte. Das Projekt fiel damit zusammen,<br />

dass die UCI ihre Vorschriften zu Monocoque-<br />

Rahmen lockerte. Jetzt fehlte nur noch eine Marketingstrategie.<br />

Thomann, ein begeisterter Radfahrer und kreativer<br />

Denker, setzte sich mit Boardman in Verbindung,<br />

wobei er die Idee bereits im Kopf hatte.<br />

Gab es ein besseres Marketing als einen britischen<br />

Fahrer, der auf einem britischen Rad zu<br />

olympischem Gold fährt? Er lud Boardman zur<br />

MIRA ein und sie verbrachten einen Tag damit,<br />

herauszufinden, wie viel aerodynamischer das<br />

WindCheetah ihn machen konnte.<br />

Anfangs lautete die Antwort: überhaupt nicht.<br />

Aber beim ersten Test hatte Boardman auf einem<br />

Rad gesessen, das für Burrows, einen viel größeren<br />

Mann, gebaut war. Man band Boardmans<br />

Arme mit Klebeband an der Unterseite des Lenkers<br />

fest und bekamen bessere Ergebnisse. Der<br />

Lotus-Aerodynamiker Richard Hill bat ihn, noch<br />

etwas tiefer zu gehen, und Boardman wurde in<br />

eine extreme Position bugsiert. Es war ein sehr<br />

strapaziöser Tag. Da im Februar im nicht beheizten<br />

Windkanal getestet wurde, war es so kalt,<br />

dass die Luftwiderstandsprofile zeigten, wie<br />

Boardman zitterte, aber die Resultate waren so<br />

gut, dass Boardman überzeugt war.<br />

Lotus kaufte die Rechte an dem Entwurf<br />

von Burrows und arbeitete 1992 an einer Rei -<br />

he von Modellen. Die neuen UCI-Regeln sahen<br />

vor, dass Räder vor Olympia bei internationalen<br />

Wettbewerben eingesetzt werden mussten, also<br />

schickte der britische Radsportverband (BCF)<br />

schlauerweise Bryan Steel, einen guten, aber<br />

nicht großartigen Verfolger, zu einem Weltcup-<br />

Durchgang ins französische Hyères, um mit<br />

dem Lotus Sport anzutreten. Die Offiziellen<br />

warfen einen Blick auf das Rad, aber es war<br />

ziemlich schwer und Steels Resultate waren<br />

nicht brillant, und so bekam der BCF es durch.<br />

Das Lotus Sport war zugelassen.<br />

Das Rad fing an, die Aufmerksamkeit rivalisierender<br />

Teams zu erregen, und die BCF-Mitarbeiter<br />

mussten es mit Decken verhüllen. Es gab einige<br />

komische Momente, als die F1-geschulten<br />

Inge nieure von Lotus zwischen den Rennen unablässig<br />

an dem Rad herumfriemelten – durchaus<br />

üblich im Motorsport, wo das Auto nach jedem<br />

Rennen auseinandergenommen wird, aber weniger<br />

verbreitet im Radsport. Der britische Mechaniker<br />

stolperte nach einer Wiederzusammenbauaktion<br />

über das Lotus Sport und stellte fest, dass<br />

die Kurbeln im 90-Grad-Winkel zueinander<br />

standen, nachdem Lotus für jede Seite einen anderen<br />

Techniker eingesetzt hatte. Doch die BCF-<br />

Mitarbeiter bekamen einen Einblick in eine andere<br />

Welt, als Hill eine Version in einem nagelneuen Lotus<br />

S4-Sportwagen nach Südfrankreich lieferte.<br />

Die finale Version, Prototyp vier, war von Fertigungsproblemen<br />

heimgesucht. Aufgrund einer Hitzewelle<br />

in Südengland härtete das Epoxidharz nicht<br />

aus, und die Ingenieure mussten nachts arbeiten,<br />

damit der Rahmen fest wurde. Aber er wurde fertig.<br />

Genau wie Boardman. Sechs Wochen vor<br />

Olympia machte er die letzten Tests auf einem<br />

Kingcycle vor einem Amstrad-Computer im Haus<br />

des Nationaltrainers Doug Dailey. Dailey war in<br />

der Küche und kochte Tee, als Keen in die Küche<br />

kam. Dieses Mal waren Boardmans Zahlen alles<br />

andere als enttäuschend. „Die Goldmedaille<br />

kommt“, sagte Keen zu Dailey.<br />

Der Juliabend im Velodròm d’Horta<br />

von Barcelona war hell und warm.<br />

FEBRUAR 2019 | PROCYCLING 85


86 PROCYCLING | FEBRUAR 2019


RETRO<br />

1992<br />

DIE LOTUS-POSITION<br />

Boardmans Form war hervorragend und er hatte<br />

den mentalen Vorteil, das neue Rad zu fahren.<br />

Lotus’ Behauptung, es spare zwölf Sekunden, war<br />

eine Marketing-Übertreibung, und einige Experten<br />

vermuteten, dass Boardmans neue geduckte<br />

Haltung, nicht das Rad selbst, das meiste brachte.<br />

Aber die Kombination war furchteinflößend.<br />

Bei einer Trainingssession im Velòdrom d’Horta<br />

fuhr Boardman drei Kilometer in 3:18 Minuten.<br />

Sollte er diese Geschwindigkeit einen weiteren<br />

Kilometer lang halten, wäre er im niedrigen<br />

4:20er-Bereich, vergleichbar mit Lehmann bei der<br />

Weltmeisterschaft im Vorjahr, aber auf einer Outdoor-Bahn<br />

gegenüber Lehmanns Indoor-Zeit.<br />

Es gab vier Rennen: Qualifikation, Viertelfinale,<br />

Halbfinale und Finale. Boardman gewann in der<br />

Qualifikation. Mit 4:27 war er langsamer, als er<br />

und Keen gehofft hatten, aber das waren bei der<br />

großen Hitze auch alle anderen. Er war drei Sekunden<br />

schneller als der nächste Fahrer, ein riesiger<br />

Vorsprung auf einer so kurzen Distanz. Im<br />

Viertelfinale holte Boardman den dänischen Fahrer<br />

Jan Bo Petersen ein und legte eine Zeit von<br />

4:24 hin, richtete sich in der letzten Runde aber<br />

auch sichtbar auf, um seinen Rivalen zu zeigen,<br />

dass er schneller fahren konnte.<br />

Die britische Presse hatte Wind von den Leistungen<br />

bekommen und spürte, dass sich die Geschichte<br />

der Spiele entfaltete. Boardman für seinen<br />

Teil bekam Panikattacken, und er schrieb<br />

seine Leistung später dem BCF-Psychologen John<br />

Syer zu. Abseits der Bahn fühlte sich Boardman<br />

nervös, doch im Rennen war er meisterhaft, fuhr<br />

im Halbfinale gegen den Mann statt gegen die<br />

Uhr, um frisch ins Finale zu gehen. Keen und<br />

Boardman hatten sich für das Finale 4:26 vorgenommen,<br />

um gegen Ende noch zulegen zu können,<br />

sollte Lehmann auch nur annähernd herankommen.<br />

Als die Uhr zum Start heruntertickte,<br />

war Boardman bereit.<br />

Es war nach einer Runde vorbei – Keen sagte<br />

später, dass er nach einer Runde im Velodrom<br />

wusste, dass Boardman gewinnen würde. Er war<br />

nach einem Viertel der Distanz eine Sekunde<br />

schneller und lag nach 2.000 Metern drei Sekunden<br />

vorne. Als die volle Distanz fast zurückgelegt<br />

war, näherte sich Boardman dem Deutschen und<br />

holte ihn dann ein. Die deutschen Zeitungen titelten<br />

am nächsten Tag: „Ihr F1 hat unseren Trabant<br />

geschlagen.“<br />

Die Geschichte, der Lotus überhaupt nicht widersprach,<br />

war, dass das Rad die Goldmedaille<br />

gewonnen hatte, dabei war es natürlich nicht ganz<br />

so einfach. Das Rad hatte einen klaren aerodyna-<br />

Boardman freut sich mit Gattin Sally-Anne<br />

über die soeben gewonnene Goldmedaille.<br />

mischen Vorteil, aber Lehmann<br />

fuhr ein FES-Rad aus<br />

Carbon, daher war der relative<br />

Vorteil nicht überragend.<br />

Shaun Wallace, als Radsportler<br />

ein Zeitgenosse von<br />

Boardman, der bei der Weltmeisterschaft<br />

1991 in der<br />

Verfolgung auf seinem normalen<br />

Rennrad Silber holte,<br />

fuhr bei den Titelkämpfen<br />

1992 auf dem Lotus. Das<br />

Ergebnis: noch eine Silbermedaille.<br />

Vielleicht machte<br />

das Rad gar nicht so viel<br />

aus. Das Lotus war auch<br />

schwer, und interessanterweise<br />

bildeten die Laufräder<br />

keine Linie – sie waren versetzt,<br />

weil die Bauweise es<br />

so erforderte.<br />

Man könnte argumentieren,<br />

dass eine direkte Linie<br />

von Boardmans Goldmedaille<br />

zu dem Erfolg führt,<br />

den der britische Radsport<br />

in den 2000ern genossen hat. Keens Meinung<br />

war, dass die Methode, mit der er bei Boardman<br />

arbeitete, auf jeden anwendbar sei, und das bewies<br />

er, indem er Yvonne MacGregor bei der Weltmeisterschaft<br />

2000 zu einer Goldmedaille in der<br />

Verfolgung führte. Als das Lotterie-Geld in den<br />

späten 1990ern in den Radsport floss, gründete<br />

er das World Class Performance Programme, das<br />

die Leistungen auf der Bahn bei Olympia von<br />

SIEGE<br />

Etappensiege<br />

Klassementsiege / Eintagesrennen<br />

JAHR<br />

Rad, Sitzposition und Zubehör<br />

machten Boardman 1992 schneller.<br />

SIEGE AUF DER STRASSE PRO JAHR<br />

In den Jahren nach den Olympischen Spielen war Chris Boardman auch auf der Straße erfolgreich.<br />

1<br />

0<br />

2000 an stetig verbesserte. Dave Brailsford löste<br />

ihn 2003 als Performance Director ab, und es<br />

folgten Olympiasiege, das Team Sky und sechs<br />

Tour-de-France-Titel. Die Geschichte, die 1992<br />

endete, war der Beginn einer anderen.<br />

8<br />

1 1 1 1<br />

1989 1991 1993 1995<br />

1997<br />

1999<br />

0<br />

2<br />

4<br />

5<br />

3<br />

© Hennes Roth (D) PhotoSport<br />

FEBRUAR 2019 | PROCYCLING 87


WUNSCHLISTE<br />

DIE PRODUKT-HIGHLIGHTS DES MONATS<br />

88 PROCYCLING | FEBRUAR 2019


ROSE<br />

BACKROAD<br />

ULTEGRA DI2<br />

3.199 €<br />

www.rosebikes.de<br />

Wer sich so viele Möglichkeiten<br />

offen halten wollte, wie sie das<br />

Backroad bietet, musste sich noch<br />

vor ein paar Jahren mindestens<br />

zwei Räder kaufen. Nun jedoch<br />

genügt der Bocholter Alleskönner<br />

mit dem großen Durchlauf den<br />

Ansprüchen an einen Straßenrenner<br />

wie an ein Offroad-Bike: Die<br />

Geometrie ist ausgewogen-sportlich,<br />

die Front nicht zu hoch;<br />

dennoch lassen sich 42er-Reifen<br />

montieren, Schutzbleche natürlich<br />

auch. Komfort bieten Flex-Stütze<br />

und Flare-Lenker, und bei einem<br />

Gewicht von 8,73 Kilo ist das Rose<br />

auch keineswegs schwerfällig.<br />

FEBRUAR 2019 | PROCYCLING 89


WUNSCHLISTE<br />

DIE REGELN<br />

14,80 €<br />

www.covadonga.de<br />

Schon mal kollektiv mit Minipumpen<br />

verdroschen worden? Dies scheint allen<br />

zu drohen, die eine der zahlreichen<br />

Regeln der „Velominati“ gebrochen<br />

haben. Und das ist nicht schwer, denn<br />

den REGELN zufolge darf der Eingeweihte<br />

beim Radfahren weder nichtweiße Socken<br />

tragen noch eine Radmütze, wenn er nicht<br />

Rad fährt; auf die richtige Position des<br />

Sattels ist ebenso zu achten wie auf die<br />

Ausrichtung der Schnellspanner. Dazu<br />

kommen zahlreiche sinnvolle Benimmregeln<br />

(kein Half-wheeling, sich am<br />

Treffpunkt vorstellen), sodass man, wenn<br />

man das ganze Buch durch hat, auch als<br />

Einsteiger eine recht klare Vorstellung<br />

davon hat, wie der Hase läuft. Und<br />

irgenwann kann man dann stolz sagen:<br />

„Wir sind Radsportler. Der Rest der Welt<br />

fährt einfach bloß Rad.“<br />

90 PROCYCLING | FEBRUAR 2019


WUNSCHLISTE<br />

CONTI<br />

SCHLAUCH­<br />

TASCHE RACE<br />

9,90 €<br />

www.continental-reifen.de<br />

Die Conti-Tasche ist so klassisch,<br />

dass selbst die Velominati nichts<br />

dagegen einwenden können.<br />

Drinnen stecken ein Race-28-<br />

Schlauch sowie zwei flache, etwas<br />

elastische Reifenheber, die auch<br />

einer Carbonfelge nichts anhaben<br />

dürften. Also sehr praktisch, das<br />

Ganze – aber bitte so montieren,<br />

dass das Logo gut lesbar ist.<br />

ACROS ROAD<br />

DISC RACE<br />

CARBON<br />

1.350 €<br />

www.acros.de<br />

Genau 1,006 Euro pro Gramm kostet<br />

der Acros-Radsatz mit hochwertigen,<br />

in Deutschland gefertigten Naben und<br />

45 Millimeter tiefen Felgen, eingespeicht<br />

mit jeweils 24 Sapin CX-Ray.<br />

19 Millimeter Maul weite sorgen dafür,<br />

dass Cross- wie Gravel-Reifen optimale<br />

Bedingungen vorfinden. Natürlich<br />

sind diverse Achsoptionen möglich,<br />

und wer’s genau wissen will:<br />

Das Vorderrad wiegt 619,2 Gramm,<br />

das Hinderrad 724,9 Gramm.<br />

FEBRUAR 2019 | PROCYCLING 91


WUNSCHLISTE<br />

ACROS<br />

GRAVEL BAR<br />

74,95 €<br />

www.acros.de<br />

Bikepacker freuen sich über Lenker wie<br />

diesen: Acros’ Alumodell (283 Gramm)<br />

ist optimal auf große Lenkertaschen<br />

zugeschnitten und mit 25 Grad „Flare“<br />

unten rund zehn Zentimeter breiter als<br />

am Oberlenker. Die Lenkerenden sind<br />

zusätzlich leicht nach außen abgewinkelt.<br />

Eine passende Umhüllung stellt<br />

das „Silicone Wrap“-Lenkerband aus,<br />

– natürlich – Silikon dar. Das geschmeidige,<br />

drei Millimeter starke Band kommt<br />

ohne Klebeschicht aus, kann also<br />

mehrmals gewickelt werden; außerdem<br />

ist es abwaschbar. Neben Schwarz und<br />

Weiß werden noch fünf weitere Farben<br />

angeboten. Zwei Rollen mit Stopfen<br />

wiegen 164 Gramm.<br />

92 PROCYCLING | FEBRUAR 2019


WUNSCHLISTE<br />

TUNE<br />

LEICHTES STÜCK /<br />

KOMM VOR<br />

217 / 239 €<br />

www.tune.de<br />

Viel Komfort verspricht die Kombination<br />

aus superleichter Alustütze (176 Gramm<br />

bei 420 Millimeter Länge) mit Flex-fördernder<br />

Fachwerkstruktur und dem mi -<br />

ni malistischen Carbonsattel (94 Gramm),<br />

der auch auf langen Strecken „tauben<br />

Gliedern“ vorbeugen soll. Hört, hört!<br />

TUNE<br />

SPEEDNEEDLE<br />

20 TWENTY<br />

299 €<br />

www.tune.de<br />

Zum 20. Geburtstag des Leichtbausattels<br />

(112 Gramm) hat Tune<br />

diesem 130 Millimeter breiten<br />

Modell eine neue Schale und eine<br />

neue Polsterung gegönnt. Das<br />

Komfortwunder mit der Längsrille<br />

kann mit Leder- oder Alcantarabezügen<br />

in unterschiedlichen Farben<br />

geordert werden und dürfte die<br />

Rennmaschine lange Jahre leichter,<br />

schöner und bequemer machen.<br />

FEBRUAR 2019 | PROCYCLING 93


-Schaufenster<br />

PLZ 20000 PLZ 10000<br />

PLZ 00000<br />

Max-Brauer-Allee 36<br />

PLZ 20000<br />

PLZ 30000<br />

Händlerverzeichnis <strong>Procycling</strong>:Layout 1<br />

Rose biketown<br />

Werther Straße 44, 46395 Bocholt<br />

Tel.: 0 28 71/27 55-55<br />

Fax: 0 28 71/27 55-50<br />

Email: rosemail@rose.de, Internet: www.rose.de<br />

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S P O R T R E I S E N<br />

1984<br />

2014<br />

DIANA<br />

S P O JAHRE R T R E I S E N<br />

PLZ 50000<br />

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1984<br />

2014<br />

DIANA<br />

S P OJAHRE<br />

R T R E I S E N<br />

1984<br />

2014<br />

JAHRE<br />

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DAS LETZTE WORT<br />

JENS VOIGT<br />

Wie sich Mark Cavendish während der Tour 2010 Jens gegenüber einmal sehr kameradschaftlich verhielt.<br />

„SIE HOLTEN MICH ZIEMLICH GENAU ZU<br />

BEGINN DER ABFAHRT EIN, UND HIER<br />

BEGINNT DIE SCHÖNE GESCHICHTE:<br />

SIE WURDEN SOFORT LANGSAMER UND<br />

WARTETEN NACH JEDER KEHRE AUF MICH,<br />

UM ZU SEHEN, OB ES MIR NOCH GUT GING.“<br />

Vielleicht erinnern sich einige<br />

von euch an die alte Geschichte<br />

von mir auf dem<br />

kleinen gelben Rennrad während der<br />

Tour 2010 auf der wirklich harten<br />

Bergprüfung in den Pyrenäen. Ich<br />

hatte einen ziemlich heftigen Crash,<br />

mein Fahrrad war kaputt, Ich war<br />

schwer angeschlagen und es gab<br />

keinen Teamsupport. Also lieh ich<br />

mir ein kleines gelbes Fahrrad, um<br />

einen Teil des Anstiegs zu fahren,<br />

bis mir der Teamwagen ein Ersatzrad<br />

brachte. Wenn ihr denkt, dass<br />

das eine gute Geschichte ist, dann<br />

lasst mich weitererzählen, denn eine<br />

noch viel bessere Geschichte entwickelte<br />

sich direkt danach.<br />

Während ich versuchte, noch<br />

innerhalb des Zeitlimits ins Ziel<br />

zu kommen, holte ich Mark Cavendish<br />

ein. Es gibt zwei Dinge an<br />

Mark. Er ist super-, superschnell,<br />

und er hasst die Berge. Damals fuhr<br />

er für HTC und wurde von seinen<br />

Teamkollegen Mark Renshaw, Bernie<br />

Eisel und Bert Grabsch begleitet.<br />

Bernie sah mich zuerst, und ich<br />

werde nie vergessen, was er sagte.<br />

„Heiliger Strohsack, du siehst beschissen<br />

aus, Jens!"<br />

Bernie sagte mir, ich solle im Aufstieg<br />

weiter vorfahren und dass sie<br />

mich in der Abfahrt einholen würden.<br />

Das ist es, was Sprinter in den<br />

Bergen tun. Sie geben in den Anstiegen<br />

nicht alles, sondern fahren ihr<br />

eigenes Tempo. Aber auf der anderen<br />

Seite gibt es kein Zurückhalten – sie<br />

geben in der Abfahrt Vollgas, um<br />

wieder Zeit auf das Gruppetto wettzumachen.<br />

Bernie sagte, dass ich<br />

ihnen in der Abfahrt wahrscheinlich<br />

nicht folgen könne, also war der<br />

Plan, dass sie mich im Anstieg gehen<br />

lassen, die Zeit beim Runterfahren<br />

aufholen und wir gemeinsam im<br />

Tal fahren würden.<br />

Das Problem war, dass ich ziemlich<br />

fertig war, und ich hatte nur<br />

etwa zwei Kehren Vorsprung am<br />

Gipfel des Anstiegs. Sie holten mich<br />

ziemlich genau zu Beginn der Abfahrt<br />

ein, und hier beginnt die schöne<br />

Geschichte: Sie wurden sofort<br />

langsamer und warteten nach jeder<br />

Kehre auf mich, um zu sehen, ob es<br />

mir noch gut ging.<br />

Da kommt ein Millionen-Euro-<br />

Fahrer wie Mark Cavendish, der in<br />

diesem Jahr bereits einige Etappen<br />

gewonnen hatte, vier Tage vor Paris,<br />

wo er wieder gewinnen wollte, mit<br />

drei seiner Teamkollegen, deren einziger<br />

Grund für ihre Anwesenheit<br />

darin bestand, dafür zu sorgen, dass<br />

Mark das Etappenziel sicher und<br />

gesund erreicht und so wenig Energie<br />

wie möglich verbraucht. Und alle<br />

wurden für mich langsamer, obwohl<br />

sie wussten, dass jede Sekunde, die<br />

sie warteten, bedeutete, dass sie im<br />

Tal härter arbeiten mussten, um das<br />

Gruppetto wieder einzuholen. Stellen<br />

Sie sich ihren Teammanager vor<br />

– er würde ihnen durch den Kopfhörer<br />

sagen, sie sollen weitermachen<br />

und nicht wegen mir, einem Fahrer<br />

aus einem anderen Team, ein Risiko<br />

eingehen. Aber ohne zu zögern zeigten<br />

sie Solidarität und Loyalität mit<br />

diesem alten und geschundenen<br />

Fahrer und retteten mir den Tag.<br />

Sie haben mich im Tal nie gebeten,<br />

durchzuziehen, und haben die ganze<br />

Arbeit selbst gemacht. Sie taten<br />

es aus den richtigen Gründen: weil<br />

sie dachten, es sei das Richtige.<br />

Manchmal ist Karma großartig,<br />

weil Mark am Ende einige Tage später<br />

diese prestigeträchtige Etappe in<br />

Paris gewann. Er hat mir den Tag in<br />

den Bergen gerettet und ich stehe in<br />

seiner Schuld dafür. Seit diesem Tag<br />

liebe und respektiere ich Mark - er<br />

ist ein harter Kerl und sein Herz ist<br />

am rechten Fleck. Bis heute war es<br />

eines der größten Beispiele für Fairness<br />

und Sportlichkeit, die ich je gesehen<br />

habe.<br />

Jens Voigt beendete seine Profi -<br />

karriere 2014 nach 18 Jahren.<br />

Der Berliner war einer der angriffslustigsten<br />

und beliebtesten Fahrer<br />

im Peloton. Unter anderem hielt er<br />

für 42 Tage den Stundenweltrekord.<br />

Jens und Cavendish wurden<br />

Freunde, als sie gemeinsam<br />

versuchten, es durch die<br />

Berge zu schaffen.<br />

96 PROCYCLING | FEBRUAR 2019


© Getty Images<br />

FEBRUAR 2019 | PROCYCLING 97


NÄCHSTE<br />

AUSGABE<br />

22.<strong>02.19</strong><br />

-Impressum<br />

<strong>Procycling</strong> erscheint monatlich bei<br />

WOM Medien GmbH<br />

Auwiesenstraße 1<br />

94469 Deggendorf<br />

info@wom-medien.de<br />

Ihr <strong>Procycling</strong>-Team<br />

Redaktionsleitung Dieter Steiner<br />

Textchef Caspar Gebel<br />

E-Mail info@procycling.de<br />

Ständige redaktionelle Mitarbeiter<br />

Chris Hauke, Dominik Ruiz Morales,<br />

Peter Cossins, Sam Dansie, Alasdair<br />

Fotheringham, Daniel Friebe, Werner<br />

Müller-Schell, Sadhbh O’Shea, Herbie<br />

Sykes, John Whitney, Jamie Wilkins,<br />

Cam Winstanley<br />

Layout Saskia Funke<br />

Übersetzungen Esther Kriegel<br />

Lektorat Helga Peterz<br />

Fotos Andreas Meyer, Getty Images,<br />

Wayne Reiche (Cover)<br />

Objekt- und Anzeigenleitung<br />

Stefan Baumgartner<br />

s.baumgartner@procycling.de<br />

Druck Mayr Miesbach GmbH<br />

Pressevertrieb<br />

stella distribution GmbH<br />

20097 Hamburg<br />

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SAISON-<br />

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2019<br />

Hotline Michaela von Sturm,<br />

0 99 1-99 13 80 19<br />

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Der Preis für ein Einzelheft beträgt<br />

5,90 Euro (D). Nachbestellungen<br />

älterer Ausgaben sind zzgl. Versandkosten<br />

möglich. Der Preis für ein<br />

Jahresabo beträgt 59,90 Euro (D)<br />

bzw. 79,90 Euro (Ausland).<br />

© 2019 WOM Medien GmbH<br />

16. Jahrgang<br />

Geschäftsführer Dieter Steiner<br />

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+ VINCENZO NIBALI<br />

+ MICHAEL WOODS<br />

70% K<br />

90% K<br />

Das Magazin <strong>Procycling</strong> und die<br />

Internetseite procycling.de sowie<br />

deren Inhalte sind urheberrechtlich<br />

geschützt.<br />

Die Inhalte dürfen weder in Teilen<br />

noch im Ganzen ohne schriftliche<br />

Genehmigung durch den Verlag<br />

reproduziert oder anderweitig<br />

au ßer halb der Grenzen des Ur he ber -<br />

rechts verwendet werden.<br />

Für unverlangt eingesandte Fotos<br />

und Manuskripte kann keine Haftung<br />

übernommen werden.<br />

Gerichtsstand ist Deggendorf.<br />

<strong>Procycling</strong> erscheint in Lizenz der<br />

englischen Originalausgabe von<br />

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98 PROCYCLING | FEBRUAR 2019


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