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Procycling 05.2019

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DEUTSCHLAND TOUR<br />

Vier Tage durch das<br />

Herz der Republik<br />

RALPH DENK<br />

Alles in Richtung Giro –<br />

das sind Boras Ziele in Italien<br />

RADTEST<br />

Sechs Aerorenner von<br />

Cannondale bis Trek<br />

MAI 2019<br />

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GIRO<br />

D’ITALIA<br />

SPEZIAL<br />

70% K<br />

DAS<br />

BESTE<br />

RENNEN<br />

DER WELT<br />

Wir fragen Fahrer, Manager<br />

und Experten, warum sie<br />

den Giro lieben<br />

90% K<br />

DIE<br />

ANSTIEGE<br />

DES GIRO<br />

Diese Berge muss das<br />

Peloton 2019 erklimmen<br />

PASCAL<br />

ACKERMANN<br />

Neues Jahr, neue Höhen?<br />

Der deutsche Meister<br />

im Gespräch<br />

SIMON YATES<br />

RÜCKKEHR NACH ITALIEN –<br />

DER VUELTA-SIEGER WILL DAS ROSA TRIKOT


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PERISCOPE


EDITORIAL<br />

NACH DEN KLASSIKERN IST VOR DEM GIRO<br />

Was waren das für Rennen! Emotional, spannend, unberechenbar – die Frühjahrsklassiker<br />

hatten es in diesem Jahr definitiv in sich. Zuerst zeigte der Franzose Julian Alaphilippe bei<br />

Mailand–San Remo, dass er nicht umsonst zu den stärksten Fahrern der Welt zählt. Dann<br />

überraschte der Italiener Alberto Bettiol bei der Flandern-Rundfahrt alle Favoriten. Und<br />

bei Paris–Roubaix sorgte zur Freude vieler unserer Leser der Deutsche Nils Politt dafür,<br />

dass das Finale an Nervenkitzel nicht zu überbieten war. Auch wenn er sich knapp dem<br />

belgischen Ex-Weltmeister Philippe Gilbert geschlagen geben musste: Politt war für uns<br />

der Held des Tages!<br />

Doch so spannend die Frühjahrsklassiker auch waren – das Radsportkarussell dreht sich<br />

bereits mit riesigen Schritten weiter. In rund zwei Wochen beginnt mit dem Giro d’Italia<br />

schließlich bereits die erste große Landesrundfahrt des Jahres. Statt Pavé-Spezialisten<br />

sind nun die Kletterer gefragt. In dieser Ausgabe von <strong>Procycling</strong> schauen wir deshalb<br />

unter anderem umfangreich auf den kommenden Giro voraus. In unserem großen Special<br />

finden Sie nicht nur alles Wissenswerte zu den Etappen und Teams, sondern auch allerlei<br />

Hintergrundinformationen zur Italien-Rundfahrt 2019. Das Feld der Favoriten verspricht<br />

jedenfalls schon jetzt Spannung pur. Und wer weiß: Vielleicht gibt es ja auch bei der Jagd<br />

auf das Rosa Trikot die ein oder andere Überraschung – ähnlich wie bei den gerade zu<br />

Ende gegangenen Frühjahrsklassikern.<br />

In diesem Sinne: Auf einen spannenden Giro – und Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, viel<br />

Spaß beim Schmökern in der neuen <strong>Procycling</strong>!<br />

Werner Müller-Schell<br />

Redaktion


INHALT<br />

AUSGABE 183 / MAI 2019<br />

30<br />

SIMON YATES<br />

Der Gewinner der Vuelta a España über die Rückkehr<br />

zum Giro d’Italia und seine Pläne in Italien.<br />

40<br />

SO WIRD DER GIRO 2019<br />

<strong>Procycling</strong> untersucht, warum die Corsa Rosa ein<br />

derart großes Feld von Sieganwärtern anzieht.<br />

RUBRIKEN<br />

© BettiniPhoto<br />

6<br />

SCHNAPP-<br />

SCHUSS<br />

Rennen im Bild<br />

12<br />

PROLOG<br />

Aus dem Herzen<br />

des Pelotons<br />

24<br />

INSIDER<br />

Rick Zabel<br />

& Ralph Denk<br />

28<br />

STRAVA<br />

Die Daten<br />

der Profis<br />

78<br />

NACHLESE<br />

Analysen, Daten,<br />

Erkenntnisse<br />

104<br />

WUNSCH-<br />

LISTE<br />

Produkt-Highlights<br />

112<br />

VORSCHAU<br />

Themen der<br />

nächsten Ausgabe<br />

114<br />

JENS VOIGT<br />

Das letzte<br />

Wort<br />

4 PROCYCLING | MAI 2019


44<br />

PASCAL ACKERMANN<br />

Der deutsche Meister schaffte 2018 den Durchbruch und steht vor<br />

seinem ersten Start beim Giro. <strong>Procycling</strong> hat ihn getroffen.<br />

52<br />

DAS BESTE RENNEN DER WELT<br />

Wir fragten Fahrer, Manager und Experten, warum sie die Italien-<br />

Rundfahrt lieben – dies sind ihre Anekdoten.<br />

60<br />

DIE BERGE DES GIRO<br />

San Marino, Mortirolo, Gavia und Co. – diese schweren Anstiege<br />

muss das Peloton im Mai erklimmen.<br />

72<br />

GIRONA<br />

Haben Radprofis die katalonische Stadt von einem versteckten Juwel<br />

zu einer Touristenattraktion gemacht? Wir recherchierten vor Ort.<br />

88<br />

RADTEST<br />

Edel und schnell – sechs High-End-Aerorenner von Cannondale,<br />

Canyon, Fuji, Storck, Specialized und Trek.<br />

96<br />

RETRO: GOODWOOD<br />

<strong>Procycling</strong> schaut vor der Weltmeisterschaft in Yorkshire zurück auf<br />

die letzte Austragung in England – Goodwood 1982.<br />

© Ian Walton, Dinu Vatamaniuc/EyeEm/Getty Images, Andreas Meyer<br />

MAI 2019 | PROCYCLING 5


SCHNAPPSCHUSS<br />

IMPRESSIONEN DES RADSPORT-MONATS<br />

6 PROCYCLING | MAI 2019


STRADE<br />

BIANCHE<br />

Italien, 9. März 2019<br />

Das Peloton wirbelt den weißen<br />

Staub der strada sterrata auf, die<br />

die prachtvolle Landschaft der<br />

Toskana mit ihren zahllosen<br />

Hügeln durchzieht. Kann es ein<br />

besseres Bild der berauschenden<br />

Faszination der Strade Bianche<br />

geben? Auch wenn das Rennen<br />

nur wenige steile Anstiege<br />

aufweist, hatten die Fahrer auf<br />

der 184 Kilometer langen Route<br />

mit elf Abschnitten auf unbefestigten<br />

Straßen kaum eine<br />

Atempause. Obwohl er das<br />

Rennen zuvor nie gefahren war,<br />

passte sich Julian Alaphilippe<br />

den Herausforderungen des<br />

Kurses sofort an und stürmte<br />

auf der finalen Schotterpassage<br />

an die Spitze. Ein Dreikampf<br />

zwischen Alaphilippe, Wout Van<br />

Aert und Jakob Fuglsang fand<br />

seine Bühne auf der Via Santa<br />

Catarina, der steilen Straße auf<br />

dem letzten Kilometer. Der<br />

Franzose behielt die Kontrolle,<br />

distanzierte Fuglsang und siegte<br />

auf der Piazza del Campo.<br />

© Chris Auld<br />

MAI 2019 | PROCYCLING 7


SCHNAPPSCHUSS<br />

MAILAND–<br />

SAN REMO<br />

Italien, 23. März 2019<br />

Die Fahrer hassen sie, die<br />

Organisatoren schütteln die<br />

Köpfe – rein optisch hingegen<br />

sorgen bengalische Fackeln für<br />

ein Spektakel. Sie sind zu einem<br />

festen Ritual bei Mailand–San<br />

Remos Passage über den Capo<br />

Berta geworden, dem letzten<br />

von drei kleinen Hügeln, die der<br />

Cipressa vorangehen. Bei der<br />

2019er-Auflage kamen die Fahrer<br />

zudem in den zweifelhaften<br />

Genuss eines brennenden<br />

Busches, der Feuer fing, als das<br />

Rennen eintraf. Mirco Maestri<br />

(rechts) und Luca Raggio waren<br />

Teil der zehn Mann starken<br />

Fluchtgruppe des Tages und<br />

versuchten, sich auf dem zwei<br />

Kilometer langen Anstieg abzu -<br />

setzen, wurden jedoch bald vom<br />

Peloton geschluckt. Auf der Via<br />

Roma holte sich Julian Alaphilippe<br />

seinen nächsten Saisonsieg,<br />

als er den Sprint einer kleinen<br />

Spitzengruppe gewann.<br />

© Kristof Ramon<br />

8 PROCYCLING | MAI 2019


SCHNAPPSCHUSS<br />

MAI 2019 | PROCYCLING 9


SCHNAPPSCHUSS<br />

PARIS –<br />

ROUBAIX<br />

Frankreich, 14. April 2019<br />

In der Weltelite angekommen –<br />

nach seinem fünften Platz bei der<br />

Flandern-Rundfahrt eine Woche<br />

zuvor setzte Nils Politt in der Hölle<br />

des Nordens ein weiteres dickes<br />

Ausrufezeichen. Den ganzen Tag<br />

über zeigte sich der Kölner an der<br />

Spitze des Rennens und setzte sich<br />

schließlich in einer Gruppe mit<br />

Topfavoriten wie Peter Sagan oder<br />

Sep Vanmarcke ab. Seiner Attacke<br />

auf dem vorletzten Pavé-Sektor<br />

konnte nur Philippe Gilbert folgen,<br />

mit dem Politt das Velodrom in<br />

Roubaix erreichte. In Sprint knapp<br />

vom Belgier geschlagen, fuhr der<br />

25-Jährige an diesem Tag seinen<br />

größten Erfolg als Profi ein und<br />

konnte sich zurecht über einen<br />

Pflasterstein freuen.<br />

© Tim de Waele/Getty Images (klein)<br />

© Stephane Mantey-Pool/Getty Images (groß)<br />

10 PROCYCLING | MAI 2019


SCHNAPPSCHUSS<br />

MAI 2019 | PROCYCLING 11


Ab Anfang Mai ändert<br />

sich der Name des Teams<br />

Sky in Team Ineos.<br />

PROLOG<br />

AUS DEM HERZEN DES PELOTONS<br />

STIMMT DIE CHEMIE<br />

BEI JIM UND DAVE ?<br />

Der neue Sponsor des Teams Sky.<br />

© Getty Images<br />

Es hat also dann doch nicht allzu lange gedauert.<br />

Weniger als hundert Tage, nachdem<br />

Sky angekündigt hatte, dass es seine<br />

40 Millionen Euro Unterstützung pro Jahr für<br />

David Brailsfords Tour-de-France-beherrschendes<br />

Team einsparen werde, bestätigte ein weiterer<br />

Konzernriese, das Petrochemieunternehmen<br />

Ineos, dass es als Sponsor einspringen werde.<br />

In einem Sport, in dem der übliche Tenor von Finanznachrichten<br />

darin besteht, dass Sponsorengelder<br />

schwer zu beschaffen sind, war die Ankündigung,<br />

dass Großbritanniens reichster Mann,<br />

Ineos’ Vorstandsvorsitzender und Geschäftsführer<br />

Jim Ratcliffe, am 1. Mai das erfolgreichste<br />

Team der Welt übernehmen würde, eine Überraschung.<br />

Die meisten Teammanager begrüßten die<br />

Nachricht. Patrick Lefevere von Deceuninck–<br />

Quick-Step und Matt White von Mitchelton-Scott<br />

äußerten sich optimistisch, dass die Fortsetzung<br />

eines so erfolgreichen Teams zu begrüßen sei.<br />

Auch Jumbo–Vismas General Manager, Richard<br />

Plugge, sagte: „Es ist wirklich gut für den Radsport,<br />

dass ein so großer Sponsor wie Ineos einsteigt.“<br />

Sogar Marc Madiot, der Chef von Groupama-FDJ,<br />

auf den man sich normalerweise<br />

verlassen kann, Seitenhiebe gegen das Team Sky<br />

auszuteilen, war untypisch zurückhaltend und<br />

sagte Reuters nur, dass „sie weiter ihr Ding machen<br />

werden und wir unser Ding durchziehen“.<br />

Laut der Handelsregisterbehörde investierte Sky<br />

zwischen 2010 und 2017 rund 220 Millionen<br />

Euro in das Team. Verschiedene Quellen munkeln,<br />

dass Ratcliffe bereit sei, diesen Betrag weiter<br />

zu erhöhen – ein Anlass zur frühen Eröffnung der<br />

Debatte darüber, dass Sky bzw. Ineos genug Talente<br />

aufkaufen kann, um die Tour weiter zu kontrollieren.<br />

UCI-Präsident David Lappartient sagte:<br />

„Ich verstehe, dass es Bedenken gibt, dass das<br />

Team mit dem größten Budget die besten Fahrer<br />

haben kann und dass es die Unsicherheit im Sport<br />

beeinflusst.“ Jonathan Vaughters von EF Education<br />

First ging weiter und sagte der BBC: „Du<br />

siehst eine fast undurchdringliche Wand aus<br />

Geld. Du kannst im Grunde genommen die besten<br />

Fahrer kaufen. Die Frage für den Sport ist, ob,<br />

wenn sie alle in einem Team sind, es den Zuschauern<br />

noch Spaß macht, zuzusehen?“ Aber es<br />

ist auch klar, dass es ein schlechtes Licht auf den<br />

Radsport geworfen hätte, wenn das Team, das<br />

sechs der letzten sieben Touren gewonnen hat,<br />

das wichtigste Ereignis des Radsports, aufgelöst<br />

worden wäre. Der Verlust von Sky hätte das Radfahren<br />

zurück ins „Mittelalter“ geschickt, so<br />

Ex-Profi David Millar. Während Sky kontroverse<br />

Debatten nicht fremd sind und das Team von einem<br />

parlamentarischen Ausschuss beschuldigt<br />

wurde, „eine ethische Grenze“ überschritten zu<br />

12 PROCYCLING | MAI 2019


DIE FRAGE FÜR DEN SPORT<br />

IST, OB, WENN SIE ALLE IN<br />

EINEM TEAM SIND, ES DEN<br />

ZUSCHAUERN NOCH SPASS<br />

MACHT, ZUZUSEHEN?<br />

haben, als es beschloss, Bradley Wiggins im Vorfeld<br />

von drei großen Touren mit einem starken<br />

Kortikosteroiden zu behandeln, hat die Verbindung<br />

mit Ineos den Zorn von Umweltorganisationen<br />

auf sich gezogen. Sie protestieren seit Langem<br />

gegen die Kernaktivitäten von Ineos, die Raffination<br />

von Rohöl, die Herstellung der Rohstoffe von<br />

Kunststoffen und die in jüngster Zeit umstrittene<br />

Ausweitung von Fracking in Nordengland. Tony<br />

Bosworth von Friend’s of the Earth sagte: „Die<br />

Übernahme des Teams Sky ist der neueste eklatante<br />

Greenwash-Versuch von Ineos.“ Die ehemalige<br />

Vorsitzende der englischen Grünen, Natalie<br />

Bennett, twitterte: „Extreme Diskrepanz: eine<br />

kohlenstoffarme, energieeffiziente Transportmethode<br />

durch Räder und die Befürworter von Fracking,<br />

Verschmutzung mit Plastik und Klimaschädigung<br />

durch Ineos.“ Umweltschützer haben<br />

bereits angedroht, bei der Tour de Yorkshire zu<br />

protestieren, wo das neue Ineos-Trikot präsentiert<br />

wird und wo das Unternehmen derzeit mit umstrittenen<br />

Fracking-Plänen fortfährt. Die Ironie<br />

der Anti-Plastik-Kampagne von Sky für die Tour-<br />

Trikots 2018, die nun durch Ineos ersetzt werden,<br />

fällt jedem auf. Aber angesichts der angespannten<br />

Lage, in der sich Brailsford befand, ist es kaum<br />

verwunderlich, dass er das Sponsorangebot des<br />

Großunternehmers annahm. Tatsächlich ist es<br />

wahrscheinlich, dass beide Bosse viele Gemeinsamkeiten<br />

finden werden, wenn sie sich besser<br />

kennenlernen. Beide haben eine erstaunliche Arbeitsmoral,<br />

beide haben den Aufbau sehr erfolgreicher<br />

Organisationen fast von Grund auf neu<br />

gestaltet und beide funktionieren am besten innerhalb<br />

einer engen Gruppe von Vertrauenspersonen.<br />

Außerdem wissen beide, wie es ist, unter<br />

Druck zu agieren. Der Mai könnte der Beginn<br />

einer blühenden Beziehung sein. Die anderen<br />

Teams müssen aber möglicherweise etwas<br />

schneller fahren, um mit dem neuen Team Ineos<br />

Schritt zu halten.<br />

Jim Ratcliffe: der sportbegeisterte Milliardär,<br />

der die Zukunft des Teams Sky rettete.<br />

SKY-FAHRER<br />

KNEES HILFT<br />

NACHWUCHSTEAM<br />

Rheinbacher wollen an die großen<br />

Zeiten ihres Vereins anknüpfen.<br />

Team Dr. Joseph Billigmann p/b Christian<br />

Knees“ ist der Name eines neuen U19-<br />

Bundesligateams, mit dem sich der Rheinbacher<br />

Sky-Profi in die Nachwuchsförderung einbringen<br />

will. Das aus einer Kooperation seines<br />

Heimatvereins mit dem VfR Büttgen hervorgegangene<br />

Team wird mit neun Fahrern – Peter Billigmann,<br />

Jan-Philipp Vickus, Philipp-Alexander<br />

Dreis, Carlo Verwiebe, Yannik Schmidt, Jan-Marc<br />

Temmen, Campo Schmitz, Moussa-Erich Geringswald<br />

und Oskar Moryson – in der Bundesliga sowie<br />

bei großen nationalen und internationalen<br />

Rennen starten. Dazu peile die Truppe auch die<br />

U23 an, erzählt der 38-jährige Knees: „Das Projekt<br />

soll langfristig Bestand haben und an die Zeiten<br />

Ende der 90er anknüpfen, als Rheinbach der<br />

Sky-Profi Knees freut sich über das<br />

Team, das (auch) seinen Namen trägt.<br />

Topverein in den deutschen Ranglisten war.“ Sich<br />

selbst sieht Knees, mit acht Tour-Teilnahmen einer<br />

der erfahrensten Teamfahrer des Pelotons, in<br />

einer unterstützenden Funktion: „Ich versuche,<br />

bei der Sponsorensuche zu helfen, und möchte<br />

den Jungs ein Vorbild sein, was man im Sport erreichen<br />

kann. Und hoffentlich schaffe ich es dieses<br />

Jahr auch mal, mir ein Rennen anzuschauen<br />

und mit ihnen zu trainieren.“ Ob der Routinier,<br />

der sich Anfang Februar das Bergtrikot der Herald<br />

Sun Tour sicherte, irgendwann eine offizielle<br />

Funktion im Team annehmen wird, steht freilich<br />

auf einem anderen Blatt ...<br />

© Getty Images (Ratcliffe), Edith Billigmann<br />

MAI 2019 | PROCYCLING 13


PROLOG<br />

DEUTSCHLAND TOUR<br />

Das erwartet Fahrer und Fans bei der 2019er-Auflage.<br />

Interview Chris Hauke<br />

Die Deutschland Tour führt in diesem<br />

Jahr über 721 Kilometer durch das Herz<br />

Deutschlands. Vom 29. August bis zum<br />

1. September ist Deutschlands einziges Etappenrennen<br />

der Männerelite zu Gast in Niedersachsen,<br />

Sachsen-Anhalt, Hessen und Thüringen. Im Jahr<br />

des 30-jährigen Jubiläums des Mauerfalls wird<br />

die Strecke zur Hommage an die Öffnung der<br />

innerdeutschen Grenze. Das Erste und das ZDF<br />

übertragen alle vier Etappen der Deutschland<br />

Tour live. Neben einer historischen und landschaftlich<br />

sehenswerten Strecke können sich<br />

Fans, Zuschauer und Profis auf vier Etappen freuen,<br />

die jeden Fahrertyp ansprechen. Von Sprintetappen<br />

bis zu anspruchsvolleren Tagen wird das<br />

abwechslungsreiche Terrain in der Mitte<br />

Deutschlands bestens ausgenutzt.<br />

Der erste Abschnitt führt von der niedersächsischen<br />

Landeshauptstadt Hannover in die Region<br />

Harz in Sachsen-Anhalt, wo das Etappenziel in<br />

einer gemeinsamen Aktion mit dem Ministerium<br />

für Inneres und Sport des Landes Sachsen-Anhalt<br />

von den Fans bestimmt wird. Das profilierte Teilstück<br />

über rund 185 Kilometer bietet trotz kurzer<br />

Anstiege im und um den Harz den Sprintern im<br />

Peloton eine gute Gelegenheit. Die zweite Etappe<br />

verläuft zwischen Marburg in Hessen und der niedersächsischen<br />

Universitätsstadt Göttingen. Mit<br />

199 Kilometern ist es der längste Tag der diesjährigen<br />

Rundfahrt. Nach einer Fahrt durch die wellige<br />

Mitte Deutschlands steht eine anspruchsvolle<br />

Zielrunde an, die späte Attacken belohnt. Von<br />

Göttingen führt der dritte Abschnitt über 177<br />

Kilometer nach Eisenach. Hier wird das Finale mit<br />

drei Anstiegen auf den letzten 40 Kilometern die<br />

Puncheure anlocken. In Eisenach, Partnerstadt<br />

des Etappenortes Marburg, startet die Schlussetappe.<br />

Der Weg in die thüringische Landeshauptstadt<br />

Erfurt wird zum finalen Duell zwischen den<br />

Klassikerspezialisten und Sprintern. Zwar nur<br />

160 Kilometer lang, aber mit den Anstiegen des<br />

Thüringer Waldes und einer ansteigenden Zielgeraden<br />

gespickt, bleiben die Etappe und die Rundfahrt<br />

bis zum Zielstrich spannend.<br />

In diesem Jahr ist die gesamte Deutschland<br />

Tour im Hauptprogramm von ARD und ZDF zu<br />

sehen. Beide Sender wechseln sich in der täglichen<br />

Live-Berichterstattung ab. Das Erste überträgt<br />

am Donnerstag den Auftakt mit Start in<br />

Hannover und die dritte Etappe, das ZDF von der<br />

zweiten Etappe und dem großen Finale in Thüringen<br />

am Sonntag.<br />

14 PROCYCLING | MAI 2019


PROLOG<br />

FÜNF FRAGEN AN<br />

FABIAN WEGMANN, SPORTLICHER LEITER<br />

DER DEUTSCHLAND TOUR<br />

Niedersachsen<br />

HANNOVER<br />

Fabian, ihr beschreibt die Route als „vier<br />

Klassikeretappen, die sowohl Sprinter als auch<br />

angriffslustige Puncheure ansprechen“. Wie<br />

wichtig ist dabei der Termin Ende August/<br />

Anfang September?<br />

Wir haben die Deutschland Tour ganz bewusst<br />

zwischen die Tour de France und die Weltmeisterschaften<br />

gelegt. Die Fahrer, die aus der Tour<br />

herauskommen, haben dann vier Wochen Zeit<br />

gehabt, sich zu erholen, und fangen zu dem Zeit -<br />

punkt wieder an, Rennen zu fahren. Die Deutsch -<br />

land Tour ist für sie eine optimale Gelegenheit,<br />

um sich auf die Weltmeisterschaft vorzubereiten.<br />

Auch die Fahrer, die nicht auf Gesamtwertung<br />

fahren, kommen dabei gut mit – und wenn<br />

sie sich richtig belasten wollen, können sie im<br />

Finale einen raushauen.<br />

MARBURG<br />

Hessen<br />

Sachsen-<br />

Anhalt<br />

REGION HARZ /<br />

SACHSEN-ANHALT<br />

GÖTTINGEN<br />

EISENACH<br />

ERFURT<br />

Thüringen<br />

Wie ist die Resonanz von internationalen<br />

Fahrern und Teams?<br />

Wir haben ja gesehen, wen wir letztes Jahr am<br />

Start hatten: Wir hatten Platz eins, zwei und vier<br />

der Tour dabei. Das hat schon gezeigt, was das<br />

Rennen für einen Stellenwert hat und dass den<br />

Fahrern das Profil gepasst hat. In diesem Jahr<br />

wird die Anzahl der UCI WorldTeams noch mal<br />

ordentlich steigen. Das Interesse ist also groß.<br />

Das zeigt, dass wir alles richtig gemacht haben.<br />

Wie sieht es mit Wildcards aus?<br />

Die beste Mannschaft der Bundesliga kann sich<br />

automatisch qualifizieren, der Stichtag dafür ist<br />

die Deutsche Meisterschaft. Das Gleiche gilt für<br />

die beste [deutsche] Mannschaft der Europe-<br />

Tour-Wertung. Allein dadurch hat die Bundesliga<br />

einiges an Aufwind bekommen. Und das soll<br />

auch der Anreiz sein. Das ist das Ziel, das wir<br />

haben. Es geht uns ja auch darum, den deutschen<br />

Radsport voranzubringen und ihm eine<br />

Plattform zu bieten. Wir brauchen den Nachwuchs,<br />

und wir brauchen mehr Rennen. Die<br />

Rennen sind in den letzten Jahren weniger<br />

geworden. Neben den beiden direkt qualifizierten<br />

Teams werden wir zwei weitere auswählen.<br />

Dabei liegt unser Fokus darauf, welche Arbeit<br />

sie machen und ob sie junge Fahrer haben,<br />

denn wir wollen natürlich auch junge deutsche<br />

Talente an den Start bringen, damit sie sich vor<br />

heimischem Publikum zeigen und beweisen<br />

können. Ein Rennen wie die Deutschland Tour ist<br />

eine Riesenbühne für so ein Team. Wann kommt<br />

ein Conti-Team sonst vier Tage ins Fernsehen?<br />

Ihre Rennen werden ja häufig nicht übertragen.<br />

Das ist dann natürlich auch für deren Sponsoren<br />

interessant, und so können sie dann wachsen.<br />

So hat es die Tour de France damals im Grunde<br />

genommen auch mit Bora–hansgrohe gemacht,<br />

als das Team noch NetApp[-Endura] hieß. Es hat<br />

eine Wildcard gekriegt, sich dann bei der Tour<br />

gut verkauft und dadurch wieder Sponsoren<br />

gewonnen. So ist es gewachsen.<br />

2018 war für den deutschen Radsport – abgesehen<br />

von John Degenkolbs Etappensieg bei der<br />

Tour de France – sehr durchwachsen. Viele<br />

prominente Fahrer wie Marcel Kittel, André<br />

Greipel oder Tony Martin hatten nicht die Form<br />

früherer Jahre.<br />

Ex-Profi Fabian Wegmann erwartet eine bis<br />

zuletzt spannende Rundfahrt.<br />

Dafür hatte ein Pascal Ackermann ein Wahnsinnsjahr.<br />

Der ist in Topform. Oder Maximilian<br />

Schachmann. Wir haben letztes Jahr gedacht,<br />

dass wir nur deutsche Sprinter haben und das<br />

Rennen möglichst flach machen müssen, damit<br />

sie eine Etappe gewinnen. Und im Endeffekt<br />

hatten wir mit Schachmann und Nils Politt zwei<br />

deutsche Etappensieger, die nicht unbedingt auf<br />

unserer Liste standen. Nils fährt auch jetzt gerade<br />

wieder grandios. So dramatisch sehe ich das also<br />

nicht. Erst letzte Woche hat Jonas Rutsch die<br />

U23-Ausführung von Gent–Wevelgem gewonnen.<br />

Wenn du da siegst, dann hast du schon ein<br />

richtiges Pfund drauf. Das ist schon ein echter<br />

Fingerzeig. Da kommt auch wieder was nach.<br />

Welche der einheimischen Fahrer können es auf<br />

das Podium der Deutschland Tour schaffen?<br />

Wenn wir sehen, wie Max [Maximilian Schachmann]<br />

drauf ist – der hat letztes Jahr eine Etappe<br />

gewonnen und ist super motiviert –, dann würde<br />

ich sagen, er ist im Moment einer der prädestinierten<br />

Fahrer für so eine Rundfahrt. Es kommt<br />

natürlich darauf an, was er für Rennen fährt und<br />

wie er dann bei der Deutschland Tour drauf ist.<br />

Aber ich gehe mal stark davon aus, dass er<br />

hochmotiviert an den Start geht. Das Gleiche<br />

gilt für Nils Politt, und auch ein John Degenkolb<br />

kann das Rennen gewinnen. Dadurch, dass wir<br />

kein ewig langes Zeitfahren oder eine extrem<br />

schwere Bergankunft haben, ist der Kreis relativ<br />

groß. Und so soll es auch sein. Es gibt ja eigent -<br />

lich nichts Schlimmeres, als wenn man vorher<br />

schon weiß, wer gewinnt.<br />

© Marcel Hilger<br />

MAI 2019 | PROCYCLING 15


PROLOG<br />

IN ALLER KÜRZE<br />

„Die Richtung<br />

des Teams, die<br />

Idee, die Welt zu<br />

erkunden - das<br />

alles passt wirklich<br />

gut zu dem, woran<br />

ich glaube.“<br />

Michael Woods, nachdem EF<br />

Education First bestätigte, dass<br />

der Kanadier eine „mehrjährige“<br />

Vertragsverlängerung mit der<br />

Mannschaft unterzeichnet hat.<br />

„Ich habe Gänsehaut<br />

während ich darüber<br />

spreche, aber als das<br />

Problem der Beckenarterie<br />

diagnostiziert wurde,<br />

weinte ich.“<br />

Fabio Aru beschreibt in einem<br />

Interview mit La Gazetta dello<br />

Sport seine Emotionen, als<br />

Ärzte herausfanden, warum<br />

er Schwierigkeiten hatte, auf<br />

höchstem Niveau zu fahren.<br />

85<br />

km/h<br />

Die Geschwindigkeit, mit der<br />

Niccolò Bonifazio die Cipressa<br />

bei Mailand–San Remo herunterfuhr.<br />

Der Italiener warnte später<br />

Amateurfahrer auf Social Media<br />

– sie sollten nicht versuchen, ihn<br />

nach zuahmen.<br />

2Die Tour nimmt sich ein Beispiel<br />

an der Vuelta und bestätigt, dass<br />

das Rennen 2020 bereits am<br />

zweiten Tag Kletterpassagen im<br />

Département Alpes-Maritimes in<br />

Angriff nehmen werde, wo das<br />

Peloton den Col de Colmiane und<br />

den Turini zu besteigen hat.<br />

Als wäre ein Sturz<br />

während eines Ren -<br />

nens nicht schon schlimm<br />

genug, waren Dan Martin<br />

und Romain Bardet<br />

wahrscheinlich Opfer eines<br />

Diebstahls während der<br />

Katalonien-Rundfahrt.<br />

Die Fahrer waren auf der<br />

7. Etappe in einen Sturz<br />

verwickelt und twitterten<br />

später, dass die Garmins<br />

von ihren Rädern weggenommen<br />

wurden.<br />

„Es ist nicht das<br />

erste Mal, dass wir<br />

uns gegenseitig<br />

aufgelesen haben,<br />

und es wird nicht<br />

das letzte Mal<br />

sein.“<br />

Zak Dempster dankt seinem<br />

Freund Michael Hepburn, nach -<br />

dem der Mitchelton-Scott Fahrer<br />

bei Driedaagse Brugge–De Panne<br />

anhielt, um dem gestürzten<br />

Dempster zu helfen.<br />

VERITY TRITT<br />

ZURÜCK<br />

Sir Gary Verity, der die Kampagnen<br />

zur Vergebung des Tour-de-France-<br />

Grand-Départs und der Straßenweltmeisterschaft<br />

2019 nach<br />

Yorkshire leitete, trat nach einer<br />

Untersuchung seiner Ausgaben<br />

und seines Verhaltens gegenüber<br />

dem Personal von seinem Posten<br />

als Chief Executive bei Welcome to<br />

Yorkshire zurück. Eine Erklärung<br />

des Tourismusverbandes besagt,<br />

dass der Rücktritt von Verity nicht<br />

direkt mit den Vorwürfen<br />

zusammenhängen würde.<br />

© BettiniPhoto, Yuzuru Sunada (unten)<br />

„Es ist eine<br />

schwierige<br />

Situation.“<br />

Dimension Datas Teammanager<br />

Doug Ryder über den Zustand<br />

von Mark Cavendish, nachdem<br />

der Sprinter in diesem Frühjahr<br />

nur eine Nebenrolle spielte. Der<br />

33-Jährige hoffte, in diesem Jahr<br />

wieder in Form zu kommen, um<br />

sich bei der Tour de France in<br />

Szene zu setzen … nach zwei<br />

Jahren, in denen er unter dem<br />

Epstein-Barr-Virus litt.<br />

1 MIO. €<br />

Diese Summe wurde Lance<br />

Armstrong für die Teilnahme an<br />

der Tour Down Under 2009 bei<br />

seinem Renn-Comeback bezahlt.<br />

Die südaustralische Regierung,<br />

die das Rennen teilweise finanziert,<br />

bestätigte die Summe, nachdem<br />

die zehnjährige Vertraulichkeitsklausel<br />

in ihrem Vertrag mit dem<br />

Ex-Profi abgelaufen war.<br />

Egan Bernal war 2019 so stark, dass Ineos nicht drum herum<br />

kommen wird, ihn zur Tour zu schicken. Der 22-Jährige gewann<br />

Paris–Nizza und wurde in Katalonien Dritter. Er wird Ineos beim<br />

Giro anführen, könnte aber im Juli eine Helferrolle für Chris Froome<br />

und Geraint Thomas spielen. „Die Idee ist, dass er den Giro macht,<br />

mit Volldampf als Kapitän, und dann sehen wir, wie es ihm geht“,<br />

sagte Sportdirektor Nicolas Portal.<br />

16 PROCYCLING | MAI 2019


PROLOG<br />

„Die Idee ist,<br />

2020 keine<br />

Kortikosteroide<br />

mehr in unserem<br />

Sport zu haben.“<br />

UCI-Präsident David Lappartient<br />

sagt Reuters, dass er Kortikosteroide<br />

aus „Gesundheitsgründen“<br />

verbieten wolle – so<br />

wie das Schmerzmittel Tramadol<br />

ebenfalls verboten wurde.<br />

PROBLEME<br />

MIT DEM<br />

MOTOR<br />

Vasil Kiryienka vom Team Sky steht<br />

vor einer ungewissen Zukunft,<br />

nachdem bei einer routinemäßigen<br />

Herzuntersuchung eine Herzanomalie<br />

diagnostiziert wurde. Der<br />

37-jährige ehemalige Weltmeister<br />

im Zeitfahren ist seit der Weltmeister<br />

schaft im September nicht<br />

mehr im Einsatz und befindet sich<br />

in Behandlung, bevor die Ärzte<br />

eine Entscheidung treffen, wann er<br />

wieder Rennen fahren kann.<br />

„Ich weiß wirklich nicht, was in dieser<br />

Saison los ist, aber bisher fühlt es sich<br />

an, als sei sie verflucht. Ich bin am<br />

Boden zerstört.“<br />

Nachdem Simon Geschke sich bei der Vuelta a Murcia den<br />

Ellbogen gebrochen hatte und sechs Wochen pausieren musste,<br />

landete er bei seiner Rennrückkehr wieder im Krankenhaus –<br />

diesmal mit gebrochenem Schlüsselbein und gebrochenen Rippen<br />

nach einem Sturz auf der 7. Etappe der Katalonien-Rundfahrt.<br />

1.513<br />

Die Anzahl der Höhenmeter bei der<br />

vierten Etappe der diesjährigen<br />

Ovo Energy Women's Tour. Die<br />

Etappe in Warwickshire am 13. Juni<br />

endet mit drei Runden auf einem<br />

12,6 Kilometer langen Kurs und<br />

finisht auf dem Gipfel des Edge Hill,<br />

der ersten Bergankunft in der<br />

sechsjährigen Geschichte des<br />

Rennens.<br />

Die Vuelta San Juan<br />

wurde von einem<br />

weiteren positiven Dopingtest<br />

getroffen. Der diesjährige<br />

Bergsieger Daniel Zamora<br />

wurde von der UCI wegen<br />

eines positiven Befundes auf<br />

EPO vorläufig suspendiert. Der<br />

Gewinner von 2018, Gonzalo<br />

Najar, erhielt zuvor nach einem<br />

positiven Test auf CERA eine<br />

vierjährige Sperre. Zamoras<br />

Teamkollege Gaston Javier<br />

wurde im Januar 2018 positiv<br />

auf anabole Steroide getestet.<br />

8So oft hat Sizilien die Auftaktetappe<br />

des Giro d’Italia<br />

beherbergt. Das Rennen soll 2021<br />

wieder auf der Insel beginnen. Die<br />

drei Etappen dort werden mit einer<br />

Bergankunft auf dem Ätna enden.<br />

2021<br />

Das Jahr, in dem Alejandro<br />

Valverde „wahrscheinlich“ in<br />

den Ruhestand gehen wird,<br />

nachdem er die Olympischen<br />

Spiele in Tokio 2020<br />

bestritten hat und<br />

eine letzte<br />

Straßen saison<br />

fahren will. Der<br />

amtierende<br />

Weltmeister,<br />

wurde im<br />

April 39<br />

Jahre alt<br />

und ist seit<br />

2002 Profi.<br />

„Es ist eine große<br />

Enttäuschung …<br />

es ist immer noch<br />

nicht richtig<br />

angekommen.“<br />

Bryan Coquard,<br />

nachdem er von<br />

seinem Vital<br />

Concept-B&B-Team<br />

erfahren hatte,<br />

wieder keine<br />

Wildcard für die<br />

Tour de France<br />

bekommen<br />

zu haben.<br />

Trotz der bevorstehenden<br />

Schließung<br />

wird das Continental-Team<br />

Mitchelton-BikeExchange<br />

auch 2019 mit einer<br />

reduzierten Zahl von acht<br />

Fahrern weiterfahren. Die<br />

in China registrierte Mannschaft,<br />

die mit den World -<br />

T our-Teams der Herren<br />

und Damen verbunden<br />

ist, wird sich vor allem auf<br />

den Rennsport in Asien<br />

konzentrieren.<br />

MAI 2019 | PROCYCLING 17


PROLOG<br />

GREG VAN AVERMAETS<br />

GIANT TCR<br />

ADVANCED SL<br />

Die goldene<br />

Rennmaschine des<br />

belgischen Kraftpakets.<br />

Über den Winter wechselte Greg Van Avermaet<br />

von BMC-Bikes, für die er seit 2012<br />

gefahren war, zu Giant. Der Belgier hätte<br />

sich eigentlich zwischen dem aerodynamischen<br />

Propel oder dem Kopfsteinpflaster-spezifischen<br />

Defy entscheiden sollen, wählte dann aber den<br />

Allrounder TCR Advanced SL. Das Rad bietet<br />

durch die groß dimensionierten Kettenstreben<br />

in Verbindung mit dem solide gebauten Tretlagerbereich<br />

– PowerCore genannt – eine optimale<br />

Kraftübertragung. Gabel und Rahmen sorgen in<br />

Kombination für genug Komfort plus ausreichend<br />

Steifigkeit, um präzise zu lenken.<br />

Abgesehen von der Shimano-Dura-Ace-Gruppe<br />

und den Vittoria Corsa-Reifen, die Van Avermaet<br />

bereits bei BMC fuhr, sind die meisten anderen<br />

Komponenten von Giant. Lenker, Vorbau, Sattel,<br />

Laufräder und sogar der Computer sind alle aus<br />

eigenem Hause. Die 42 Millimeter hohen Felgen<br />

sind mit Giants #Overachieve-Hashtag und damit<br />

als Prototypen gekennzeichnet. Das Team hatte<br />

mehrere Zeitfahrscheiben und Standard-Straßenlaufräder<br />

bei der Tour of Oman dabei, was darauf<br />

hindeutet, dass Giant eine Reihe neuer High-End-<br />

Räder entwickelt.<br />

AUSSTATTUNG<br />

© Chris Auld<br />

Rahmen Giant TCR Advanced SL mit integrierter<br />

Sattelstütze Gabel Giant TCR Advanced SL<br />

Carbon mit OverDrive-2-Steuerrohr Anbauteile<br />

Giant-Contact-SLR-Aero-Lenker und -Vorbau,<br />

Giant-Contact-SLR-Neutral-Sattel; Shimano-<br />

Dura-Ace-Pedale Gruppe Shimano-Dura-Ace-<br />

Di2-Schalthebel und -Schaltung, Shimano-Dura-<br />

Ace-Bremsen Kurbel Shimano-Dura-Ace 53x39<br />

in 172,5 mm mit Giant-Power-Pro-Leistungsmessung<br />

Laufradsatz Giant 42 mm #Overachieve<br />

Reifen Vittoria-Corsa-G+-Schlauchreifen<br />

GI(G)ANTISCHE KOMPONENTEN<br />

Die Teile der Eigenmarke überzeugen.<br />

Vorbau und Lenker sind aus<br />

der Contact-SLR-Aero-Serie, der<br />

Radcomputer ist ein NeosTrack.<br />

DATENMESSUNG<br />

Der RideSense-2.0-Sensor<br />

zeichnet Trittfrequenz und Geschwindigkeit<br />

auf und ist ANT+und<br />

Bluetooth-kompatibel.<br />

18 PROCYCLING | MAI 2019


PROLOG<br />

DIE MAGISCHEN DREI<br />

Das Rad ehrt Van Avermaets<br />

drei wichtigste Rennsiege:<br />

Olympia, Tirreno–Adriatico<br />

und Paris–Roubaix.<br />

CONTACT-FLÄCHE<br />

Nach Jahren auf Fizik-Sätteln<br />

sitzt Van Avermaets Hinterteil<br />

nun auf Giants Topmodell,<br />

dem Contact SLR Neutral.<br />

SHIMANOS KONSTANZ<br />

Für GVA stellten die Shimano-<br />

Dura-Ace-Brems- und -Schaltkomponenten<br />

bereits bei BMC eine<br />

Konstante der letzten Jahre dar.<br />

HASHTAG OVERACHIEVE<br />

Anstatt die Arbeit an Prototypen zu<br />

verstecken, nutzt Giant mit dem<br />

#Overachieve-Hashtag seine Entwicklungsphase<br />

fürs Marketing.<br />

© Chris Auld<br />

MAI 2019 | PROCYCLING 19


PROLOG<br />

NEUE RUBRIK<br />

SCHAUFENSTER<br />

PRODUKTEMPFEHLUNGEN FÜR DEN MONAT MAI<br />

PRODUKT-TALK AUS DEM PELOTON<br />

Im Schaufenster präsentieren wir regelmäßig die neuesten Produkte aus der Radsportwelt.<br />

Text Werner Müller-Schell Fotografie Hersteller<br />

Abus<br />

FABIAN CANCELLARA<br />

WIRD NEUER<br />

BOTSCHAFTER<br />

Olympiasieger, Monumentgewinner, Weltmeister. Fabian<br />

Cancellara war ohne Zweifel einer der erfolgreichsten<br />

Radprofis der jüngsten Vergangenheit. Doch auch nach<br />

seinem Karriereende vor drei Jahren ist der Schweizer<br />

im Radsport äußerst aktiv. Mit seiner Rennserie „Chasing<br />

Cancellara“ begeistert er zahlreiche Jedermannrennfahrer,<br />

zudem engagiert er sich für mehrere Marken im<br />

Rad- und Triathlonbereich. Mit Abus hat „Spartakus“,<br />

wie er zu seiner Profizeit oft genannt wurde, nun einen<br />

neuen Partner und soll hier besonders die Helmmodelle<br />

GameChanger und AirBreaker präsentieren. „Ich bin<br />

Perfektionist. Wer mich kennt, weiß, dass ich mein<br />

Material ausgiebig teste und meine Ansprüche sehr hoch<br />

sind“, sagt der 38-Jährige. Beim GameChanger hätten ihn<br />

vor allem die sehr guten Aero-Eigenschaften überzeugt,<br />

wie Cancellara weiter erklärt. „Die Strömung fühlt sich<br />

nahezu perfekt an – egal, in welcher Position auf dem<br />

Rad. Da waren Profis am Werk. Mit dem AirBreaker gibt<br />

es sogar eine top belüftete und extrem leichte Variante.“<br />

www.abus.com<br />

Specialized<br />

NEUES ROUBAIX-RAD PRÄSENTIERT<br />

Pünktlich zu Paris–Roubaix präsentierte Specialized ein Update seines berühmten<br />

Roubaix-Modells. Das Motto: leichter als das Aero-Modell Venge, aerodynamischer<br />

als das Straßenrad Tarmac. Das Bike ist mit dem Know-how aus 15 Jahren und sechs<br />

Roubaix-Erfolgen gespickt und verfügt unter anderem über das Future-Shock-Dämpfungssystem,<br />

das Stöße auf ruppigen Kopfsteinpflasterpassagen erheblich abdämpfen<br />

soll. Das neue, verstellbare Federelement Future Shock 2.0 kommt dabei mit 20 Millimeter<br />

vertikaler Nachgiebigkeit. Es sitzt über dem Steuerrohr und unter dem Vorbau.<br />

Die zweite Feder im oberen Teil des Future Shock wurde durch ein hydraulisches<br />

System mit individueller Einstellbarkeit während der Fahrt ersetzt. Hinzu kommt die<br />

neue Pavé-Sattelstütze, die ebenfalls für mehr Komfort sorgen soll. Auch für breite<br />

Reifen mit einem Durchmesser von bis zu 33 Millimetern ist genügend Platz. Trotzdem<br />

bleibt der Rahmen unter der 900-Gramm-Marke (bei Rahmengröße 56). Von der<br />

Einsteigerausstattung für 2.299 Euro bis zur Sagan-Spezial-Kollektion für 11.199 Euro<br />

gibt es zahlreiche Varianten.<br />

www.specialized.com<br />

20 PROCYCLING | MAI 2019


PROLOG<br />

Ekoi<br />

GORILLA-TRIKOT FÜR EINEN GUTEN ZWECK<br />

Sprintstar André Greipel<br />

im persönlich designten<br />

Gorilla-Outfit. Ein Teil<br />

des Erlöses kommt der<br />

ALS-Forschung zugute.<br />

Gemeinsam mit dem Ausrüster Ekoi<br />

hat Sprintstar André Greipel eine<br />

eigens designte Trikot-Hose-Kombi<br />

auf den Markt gebracht. Mit dem Set<br />

im „Gorilla-Design“ setzt der Rostocker<br />

sein starkes Engagement um<br />

Fortschritte im Kampf gegen die<br />

Charcot-Krankheit (auch als Amyotrophe<br />

Lateralsklerose, kurz ALS,<br />

bekannt) fort. Im Interview sprachen<br />

wir mit dem 36-Jährigen aus den<br />

Reihen des Teams Arkéa-Samsic<br />

über das Projekt und seinen bisherigen<br />

Saisonverlauf.<br />

André, die Frühjahrsklassiker<br />

sind Geschichte. Welches Zwischenfazit<br />

ziehst du bisher?<br />

Ehrlich gesagt ein sehr bescheidenes.<br />

Positiver kann ich es leider nicht<br />

formulieren. Mein Saisonstart beim<br />

Tropicale Amissa Bongo in Gabun<br />

war trotz eines Sieges alles andere<br />

als einfach. Wir hatten bei dem<br />

Rennen leider mehr Transfers als<br />

Rennkilometer, sodass es für alle<br />

anstrengender war als zuvor gedacht.<br />

Danach bin ich krank geworden,<br />

sodass auch die weitere Vorbereitungsphase<br />

nicht ideal verlaufen<br />

ist. Entsprechend habe ich erst etwas<br />

Zeit gebraucht, um in Form zu<br />

kommen. Ab Paris–Nizza lief es<br />

dann richtig gut – leider waren die<br />

Rennen aber meist zu schwer, um<br />

im Sprint etwas zu bewegen.<br />

Du hast im Winter das Team<br />

gewechselt und fährst jetzt in<br />

Frankreich für Arkéa-Samsic.<br />

Spielt auch der Wechsel eine<br />

Rolle, dass der ganz große Erfolg<br />

noch ausgeblieben ist?<br />

Sicherlich befinden wir uns noch in<br />

der Kennenlernphase. Auch Wagi<br />

[Greipels Teamkollege Robert Wagner;<br />

Anm. d. Red.] ist nach seinem<br />

Kreuzbandriss im letzten Herbst<br />

noch nicht wieder auf seinem gewohnten<br />

Level, was sich natürlich<br />

auf unseren Sprintzug auswirkt. Ich<br />

bin aber guter Dinge, dass wir uns<br />

auch hier bald besser einspielen werden.<br />

Das Klima in der Mannschaft<br />

ist jedenfalls sehr gut. Da ich schon<br />

zur Schulzeit Französisch gelernt<br />

hatte, gibt es auch kein Verständigungsproblem.<br />

Nun zu deiner Aktion mit dem<br />

Bekleidungshersteller Ekoi. Was<br />

ist die Hintergrundgeschichte<br />

des Gorilla-Trikot-Sets?<br />

Ich habe meine Mutter durch ALS<br />

verloren, seitdem engagiere ich mich<br />

für die Erforschung der Krankheit,<br />

damit langfristig Fortschritte bei ihrer<br />

Heilung erzielt werden können.<br />

Mit verschiedenen Aktionen sammle<br />

ich also schon regelmäßig Geld für<br />

die ALS-Forschung. Ekoi ist unser<br />

Teamausrüster und hatte die Idee<br />

eines Spezialtrikots. Ich habe dann<br />

beim kompletten Prozess bis hin<br />

zum Design mitgewirkt und freue<br />

mich sehr über das Ergebnis – ein<br />

reinrassiges Renntrikot, mit dem<br />

viele Fans eine Freude haben werden.<br />

Besonders schön ist, dass ein<br />

Teil des Erlöses der ALS-Forschung<br />

zugutekommt.<br />

Wie sieht dein weiterer Saisonverlauf<br />

aus?<br />

Nach den Klassikern lege ich nun<br />

eine kleine Pause ein, ehe es mit<br />

Eschborn–Frankfurt, den Vier Tagen<br />

von Dünkirchen und der Norwegen-<br />

Rundfahrt weitergeht. Über die<br />

Dauphiné bereite ich mich dann<br />

konkret auf die Tour de France vor.<br />

Ich hoffe, ich kann bald wieder um<br />

Siege mitreden!<br />

André, vielen Dank für das Gespräch<br />

und viel Glück bei den<br />

kommenden Rennen!<br />

Preis Trikot: 89,99 Euro (5 Euro<br />

gehen an die Forschungseinrichtung<br />

DZNE)<br />

Preis Hose: 109,99 Euro (5 Euro<br />

gehen an die Forschungseinrichtung<br />

DZNE)<br />

Preis Set: 149,99 Euro (10 Euro<br />

gehen an die Forschungseinrichtung<br />

DZNE)<br />

www.ekoi.com<br />

MAI 2019 | PROCYCLING 21


PROLOG<br />

CYCLINGWORLD DÜSSELDORF<br />

Am 23. und 24. März fand zum dritten Mal die Cyclingworld in<br />

Düsseldorf statt. Die Trendmesse präsentierte dabei nicht nur Urban Bikes,<br />

sondern auch allerlei Rennradequipment. <strong>Procycling</strong> war vor Ort.<br />

Titici<br />

WELTMEISTERLICHER<br />

AERO-RENNER<br />

Seit mittlerweile zehn Jahren befindet sich Ex-Weltmeister Paolo Bettini<br />

im Radsport-Ruhestand. Doch mit seinem Sport ist er nach wie vor aktiv<br />

verbunden: So arbeitet er unter anderem mit dem italienischen Hersteller<br />

Titici zusammen. Ein Ergebnis: das Flexy Road Integrated – ein reinrassiger<br />

Aero-Renner mit Scheibenbremsen. Herzstück und Hingucker<br />

zugleich ist die patentierte Plate Absorber Technology – kurz PAT: Das<br />

Oberrohr läuft bei dieser vor dem Übergang zum Sattelrohr zu einer<br />

Platte zusammen, wodurch Vibrationen im Vergleich zur traditionellen<br />

Bauweise um 18 Prozent reduziert werden sollen. Die Wirksamkeit der<br />

Technologie wurde von der Universität Parma wissenschaftlich bestätigt.<br />

www.titici.com<br />

Ridley<br />

DAS WERKZEUG DES<br />

SPRINTERS<br />

Caleb Ewan ist seit diesem Jahr der Sprintkapitän bei Lotto Soudal und<br />

folgte damit André Greipel nach. Sein Werkzeug: das Noah Fast – ein<br />

Aero-Renner, der auch im Sprint steif genug ist, um den enormen Kräften<br />

der Profis standzuhalten. Für Endverbraucher ist eine Lotto-Soudal-<br />

Noah-Fast-Replica erhältlich. Das Motto: „Ride like your favourite<br />

professional cyclist of the Lotto Soudal Pro Cycling Team.“ Erhältlich<br />

ist es unter anderem mit Ultegra- bzw. Ultegra-Di2-Gruppe sowie<br />

wahlweise mit Scheiben- oder klassischen Felgenbremsen. Der Preis<br />

beginnt ab 5.999 Euro (Ultegra-Ausstattung und Rim Brakes).<br />

www.ridley-bikes.com<br />

Assos<br />

RADHOSE FÜR RENNFAHRER<br />

„Fast gets faster.“ Unter dieser Überschrift schickt Assos die Equipe Bib Short S9 ins Rennen. Sie ist der<br />

Nachfolger der klassischen S7-Hose, entsprechend stecken in dem neuen Modell stolze sechs Jahre<br />

Entwicklungszeit. Das Ergebnis ist unter anderem ein spezielles Sitzpolster, das auch lange Ausfahrten<br />

komfortabler werden lassen soll. Eines der besonderen Features: Durch ihre spezielle Konstruktion<br />

funktionieren die Träger als Stabilisatoren und sollen Gewichtsverlagerungen – etwa in den Kurven –<br />

kompensieren.<br />

www.assos.com<br />

22 PROCYCLING | MAI 2019


PROLOG<br />

Argon 18<br />

IN DEN<br />

KASACHISCHEN<br />

FARBEN<br />

Der Kolumbianer Miguel Ángel López<br />

und seine Astana-Teamkollegen sind<br />

auch 2019 im typisch hellblau-gelben<br />

Kasachstan-Design unterwegs. Der<br />

Mannschaftsausrüster Argon 18 hat<br />

deshalb für Endverbraucher eine<br />

Replika-Version des offiziellen<br />

Teambikes gelauncht. Diese basiert<br />

auf dem Gallium-Pro-Rim-Rahmen<br />

von Argon 18 und ist mit Shimanos<br />

Ultegra-Di2-Gruppe, Team-25-Laufrädern<br />

von Vision, FSA-K-Force-Parts und<br />

einem Prologo-Sattel im Astana-Look<br />

aufgebaut. Die Preise beginnen ab<br />

3.000 Euro (mit klassischer Ultegra-<br />

Gruppe).<br />

www.argon18bike.com<br />

Rovelo.cc<br />

TOUR DE FRANCE IM<br />

MINIATURFORMAT<br />

Eine Tour de France im Miniaturformat – und das mitten im Wohnzimmer.<br />

Der Brite Rowley Haverly macht das möglich. Er kreiert und bemalt<br />

per Hand kleine Rennfahrerfiguren, mit denen sich klassische Rennsituationen<br />

nachstellen lassen. Von Peter Sagan bis Bradley Wiggins reicht die<br />

Palette des Künstlers, die Liebe zum Detail ist dabei beeindruckend. Ein<br />

absolutes Muss für jeden Profiradsportfan.<br />

www.rovelo.cc<br />

100%<br />

DURCHBLICK WIE DIE<br />

PROFIS<br />

Die Speedtrap von 100% ist die Brille des dreifachen Straßenweltmeisters<br />

Peter Sagan und auch die Wahl zahlreicher anderer Radprofis bei Bora–<br />

hansgrohe. Der Rahmen der Profibrille besteht aus festem, aber trotzdem<br />

flexiblem Grimalid-TR90-Material; außerdem verfügt er über verstellbare<br />

Bügel. Die Scheibe mit erweitertem Sichtfeld ist einfach und schnell<br />

wechselbar und bietet 100 Prozent UV-Schutz. Erhältlich sind zahlreiche<br />

Varianten, abgebildet ist die Version in Matte White.<br />

www.ride100percent.com<br />

MAI 2019 | PROCYCLING 23


PROLOG<br />

INSIDER<br />

RICK ZABEL<br />

UNVERHOFFT KOMMT OFT<br />

Nach der Verletzungspause kehrte der Katusha-Alpecin-Profi bei den Klassikern zurück.<br />

Aufgezeichnet von Werner Müller-Schell, © Jojo Harper/Team Katusha-Alpecin (Porträt), Tim de Waele/Getty Images<br />

Keine Rennen, stattdessen<br />

Pause. Fünf Wochen lang.<br />

Im März musste ich zum<br />

ersten Mal in meiner Karriere aufgrund<br />

einer Verletzung während der<br />

Saison pausieren. Eine Zeit, die alles<br />

andere als einfach war – die aber<br />

glücklicherweise ein gutes Ende<br />

nahm: Mit Flandern-Rundfahrt und<br />

Paris–Roubaix konnte ich nämlich<br />

trotzdem die größten Klassiker bestreiten<br />

– und bin nun entsprechend<br />

optimistisch, was die kommenden<br />

Monate angeht.<br />

Ihren Anfang hatte die Misere im<br />

Februar genommen, als ich bei der<br />

Valencia-Rundfahrt gestürzt war.<br />

Die Folge: eine Gehirnerschütterung,<br />

die mich letztlich die direkte<br />

Vorbereitungsphase für die Klassiker<br />

kostete. Während sich der Rest<br />

des Pelotons bei Paris–Nizza und<br />

Tirreno–Adriatico für Mailand–San<br />

Remo und Co. einrollte, musste ich<br />

zu Hause sitzen und zuschauen.<br />

Auch wenn das mental schwierig<br />

war – ich habe mich trotzdem<br />

durchgebissen und stur mein Training<br />

durchgezogen. Dreierblock.<br />

Ruhetag. Dreierblock. Ruhetag. Fast<br />

einen Monat lang.<br />

Entsprechend happy war ich,<br />

als ich bei Dwars Door Vlaanderen<br />

Anfang April wieder ins Renngeschehen<br />

zurückkehren konnte. Ein<br />

Comeback bei einem belgischen<br />

Eintagesrennen ist natürlich alles<br />

andere als locker – trotzdem konnte<br />

ich in den ersten 130 Kilometern<br />

gut mithalten, meine Aufgaben<br />

für die Mannschaft erfüllen<br />

und am Ende auch das Rennen beenden.<br />

Für mich eine gute Leistung<br />

– das sah auch das Team so: Das<br />

teilte mir nämlich im Anschluss an<br />

„ALS ES NACH 150 KILOMETERN AUF DEN<br />

KOPFSTEINPFLASTERABSCHNITT HAAGHOEK<br />

GING, FUHR ICH AN DRITTER POSITION AUF<br />

AUGENHÖHE MIT DEM ZUG VON<br />

DECEUNINCK–QUICK-STEP.“<br />

diesen Test mit, dass ich Flandern<br />

und Roubaix fahren dürfe. Damit<br />

war die lange Auszeit fast schon<br />

wieder vergessen.<br />

Rick Zabel (rechts) mit seinem<br />

Teamkollegen Jens Debusschere<br />

bei der Flandern-Rundfahrt.<br />

Das gilt umso mehr, als dass meine<br />

Form im Folgenden überraschend<br />

gut war. Bei der Ronde musste ich<br />

zwar nach 220 Kilometern aussteigen,<br />

aber bis dahin konnte ich alle<br />

Aufgaben für unseren Kapitän Nils<br />

[Politt; Anm. d. Red.] vollends erfüllen.<br />

Ein Highlight: Als es nach<br />

150 Kilometern auf den Kopfsteinpflasterabschnitt<br />

Haaghoek ging,<br />

fuhr ich an dritter Position auf Augenhöhe<br />

mit dem Zug von Deceuninck–Quick-Step.<br />

Letztes Jahr hätte<br />

ich mich darüber nicht gefreut,<br />

doch nach der unfreiwilligen Auszeit<br />

in der direkten Vorbereitungsphase<br />

war das definitiv ein kleiner persönlicher<br />

Erfolg. Auch das Team war<br />

mit meiner Leistung zufrieden und<br />

nominierte mich entsprechend auch<br />

für die weiteren Frühjahrsklassiker.<br />

Mit dem unerwartet guten Wiedereinstieg<br />

in den Rennbetrieb bin<br />

ich auch meinem nächsten Saisonziel<br />

ein kleines Stück näher gekommen:<br />

der Tour de France. Mein jetziger<br />

Formaufbau ist ganz klar darauf<br />

ausgerichtet, dass ich bei der Großen<br />

Schleife im Juli in Topform bin. Aus<br />

diesem Grund werde ich auch die<br />

ansonsten übliche Pause nach den<br />

Klassikern auslassen und direkt<br />

weiter Rennen fahren – unter anderem<br />

bei der Tour of Yorkshire und<br />

der Tour of California. Und anstatt<br />

die Beine hochzulegen, werde ich<br />

die Zeiträume dazwischen mit harten<br />

Trainingsblöcken füllen. Pause<br />

hatte ich in den letzten Wochen ja<br />

schließlich genug.<br />

Geboren am 7. Dezember 1993,<br />

zog es den Sohn von Erik Zabel<br />

schon früh zum Radsport. Nach<br />

guten Platzierungen bei den Junioren<br />

wechselte er 2012 zum Rabobank<br />

Development Team. 2014<br />

wurde Rick Zabel Profi bei BMC und<br />

fuhr drei Jahre bei der US-amerikanischen<br />

Equipe. 2017 wechselte er<br />

zu Katusha-Alpecin und bestritt<br />

erstmals die Tour de France und<br />

die Straßen-WM.<br />

24 PROCYCLING | MAI 2019


04/18<br />

Testsieger<br />

TESTSIEGER<br />

DER NAME IST PROGRAMM. Schwalbe Pro One Tubeless und One Clincher<br />

überzeugen die kritischsten Tester und bestimmt auch dich. NEU: beide Reifen<br />

auch in 30 mm extra-breit erhältlich. schwalbe.com


PROLOG<br />

INSIDER<br />

RALPH DENK<br />

STARK BEI DEN RUNDFAHRTEN<br />

Der Teamchef schreibt über den Auftritt seines Teams bei den Frühjahrsrennen.<br />

Aufgezeichnet von Werner Müller-Schell, © Bora–hansgrohe/BettiniPhoto<br />

Vier von sechs Etappen einer<br />

Rundfahrt zu gewinnen,<br />

dazu fünf Tage lang das<br />

Führungstrikot zu tragen – so eine<br />

Dominanz erlebt man als Teamchef<br />

bei Etappenrennen nicht oft. Umso<br />

stolzer sind wir auf unseren Auftritt<br />

bei der Baskenland-Rundfahrt Anfang<br />

April. Auch wenn es am Ende<br />

leider nicht zum Gesamtsieg gereicht<br />

hat – unsere Performance war<br />

sicherlich eines der Highlights des<br />

bisherigen Frühjahrs.<br />

Besonders herausragend im Baskenland<br />

präsentierten sich Ema -<br />

nuel Buchmann und Maximilian<br />

Schachmann. Bereits in meinen<br />

letzten Kolumnen hatte ich mehrfach<br />

über das große Talent der beiden<br />

geschrieben. Dies kann ich an<br />

dieser Stelle nun nur wiederholen.<br />

Die gesamte Saison über präsentieren<br />

sie sich bereits in einer beeindruckenden<br />

Form. Wir sind uns sogar<br />

sicher, dass es noch Potenzial nach<br />

oben gibt und wir uns im weiteren<br />

Jahresverlauf noch steigern können.<br />

Das gilt auch taktisch: Im Baskenland<br />

war Maximilian zum Beispiel<br />

zeitweise etwas übermotiviert unterwegs<br />

und hat etwa auf der zweiten<br />

Etappe eine bessere Tagesplatzierung<br />

verschenkt – aber auch das<br />

muss man einem jungen Fahrer zugestehen.<br />

Mit der entsprechenden<br />

Erfahrung hat er langfristig auf jeden<br />

Fall das Zeug dazu, ein absoluter<br />

Weltklassefahrer zu werden,<br />

„DERZEIT HAT WOHL KAUM EINE ANDERE<br />

MANNSCHAFT IN DER WORLDTOUR SO EINE<br />

BREITE SPITZE FÜR ETAPPENRENNEN.“<br />

Sehr gut läuft es auch für unsere<br />

restliche Rundfahrerfraktion. Egal<br />

ob bei der Vuelta a Catalunya Ende<br />

März oder der Baskenland-Rundfahrt<br />

kurze Zeit später: Wir waren<br />

immer mit drei Fahrern in der Spitze<br />

vertreten – das können nur wenige<br />

Teams von sich behaupten. In Katalonien<br />

waren es neben Maximilian<br />

(Etappensieger) besonders Rafał<br />

Majka (Gesamt-Siebter) und Davide<br />

Formolo (Etappensieger), die für Furore<br />

sorgten. Im Baskenland zeigte<br />

sich neben Maximilian (drei Etappensiege<br />

und Emanuel (ein Etappensieg)<br />

auch Patrick Konrad (Gesamt-<br />

Neunter) stark in Form. Derzeit hat<br />

wohl kaum eine andere Mannschaft<br />

in der WorldTour so eine breite Spitze<br />

für Etappenrennen.<br />

Maximilian Schachmann gewann<br />

bei der Baskenland-Rundfahrt drei<br />

Etappen und trug zeitweise das Gelbe<br />

Trikot.<br />

Ein positives Fazit über die Klassiker<br />

kann ich zum jetzigen Zeitpunkt<br />

dagegen noch nicht ziehen. Während<br />

ich diese Zeilen schreibe, stehen<br />

noch die kompletten Ardennenklassiker<br />

aus. Fest steht, dass wir bei<br />

Mailand–San Remo, der Flandern-<br />

Rundfahrt und Paris–Roubaix unseren<br />

Ansprüchen trotz guter Leistungen<br />

noch etwas hinterhergefahren<br />

sind. Unser Ziel vor der Saison war<br />

ganz klar ein Sieg bei einem Moment.<br />

Sollte also Peter zum Zeitpunkt<br />

des Erscheinens dieser<br />

Kolumne Amstel oder Lüttich gewonnen<br />

haben oder sollten sogar<br />

Maximilian oder Patrick einen goldenen<br />

Tag beim Amstel Gold Race<br />

erwischt haben, zeigt der Daumen<br />

klar nach oben. Sollten wir allerdings<br />

leer ausgegangen sein, können<br />

wir nicht zufrieden sein und müssen<br />

analysieren, woran es gelegen hat.<br />

Nach den Klassikern gilt unsere<br />

volle Konzentration nun dem Giro<br />

d’Italia. Mit Davide Formolo, Rafał<br />

Majka und Pascal Ackermann schicken<br />

wir ein schlagkräftiges Team<br />

nach Italien, wovon wir uns einiges<br />

versprechen. Unser Ziel ist so zum<br />

einen eine Top-Fünf-Platzierung in<br />

der Gesamtwertung, zum anderen<br />

wollen wir aber auch einen Etappensieg<br />

einfahren. Sowohl Davide als<br />

auch Rafał haben ihre Form ja bereits<br />

in Katalonien unter Beweis gestellt<br />

und auch Pascal hat dieses<br />

Jahr schon gezeigt, dass man mit<br />

ihm rechnen kann. Entsprechend<br />

optimistisch bin ich, was unseren<br />

Auftritt auf dem Stiefel angeht.<br />

Ralph Denk ist Teammanager der<br />

deutschen WorldTour-Mannschaft<br />

Bora–hansgrohe. Nach jahrelanger<br />

Aufbauarbeit ist die Equipe mit Sitz<br />

im oberbayerischen Raubling seit<br />

2017 in der höchsten Radsportliga<br />

aktiv. In <strong>Procycling</strong> berichtet Denk,<br />

in früheren Jahren selbst aktiver<br />

Rennfahrer, jeden Monat über seinen<br />

Alltag als Teamchef.<br />

26 PROCYCLING | MAI 2019


LIGHTWEIGHT<br />

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AERODYNAMIC.<br />

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PROLOG<br />

DIE ENTSCHEIDUNG<br />

AM POGGIO<br />

Ein Blick auf die Bergleistungen bei Mailand–San Remo.<br />

Text Werner Müller-Schell<br />

© Strava (Screenshot)<br />

Kurz, knackig, aber dennoch<br />

rennentscheidend. Knapp<br />

vier Kilometer ist der Poggio<br />

di San Remo lang und mit<br />

150 Höhenmetern nicht einmal<br />

wirklich steil – und dennoch ist der<br />

kleine Hügel an der italienischen<br />

Mittelmeerküste einer der berühmtesten<br />

Anstiege des Profiradsports.<br />

Nach fast 300 Kilometer Renndistanz<br />

ist der Poggio die letzte Erhebung<br />

des Frühjahrsklassikers Mailand–San<br />

Remo – und damit der<br />

Scharfrichter beim ersten großen<br />

Klassiker des Jahres. Regelmäßig<br />

fällt hier die Entscheidung um den<br />

Sieg. Die spannende Frage, die sich<br />

dabei bei jeder Auflage von „La<br />

Primavera“ stellt: Schaffen es die<br />

Bergfahrer, sich am Poggio abzusetzen?<br />

Oder kommen die Sprinter<br />

mit über den Hügel und machen<br />

so im Finale in San Remo den Sieg<br />

unter sich aus?<br />

Auch in diesem Jahr war der Poggio<br />

der rennentscheidende Anstieg<br />

– auch wenn das Endergebnis mit<br />

dem Sieger Julian Alaphilippe eine<br />

Mischung aus Ausreißversuch und<br />

Sprint war. So machten die bergfesten<br />

Klassiker-Spezialisten um Alaphilippe<br />

am Poggio zwar mächtig<br />

Dampf – am Ende schafften es aber<br />

dennoch auch einige endschnelle<br />

Profis wie Peter Sagan oder Michael<br />

Matthews mit der Spitze über den<br />

Berg. Dass nach 300 Kilometern<br />

allerdings nicht mehr die reine Spritzigkeit<br />

im Sprint zählt, zeigte das<br />

Ergebnis: Sagan war eingeklemmt<br />

und hatte als Vierter nichts mit<br />

dem Ausgang des Rennens zu tun.<br />

Hinter dem Franzosen Alpahilippe<br />

belegten so Oliver Naesen (Belgien)<br />

und Michal Kwiatkowski (Polen) die<br />

nächsten Plätze.<br />

FAST 40 KM/H BERGAUF<br />

Wie hart das Rennen am Poggio<br />

ausfällt, zeigt die Strava-Aufzeichnung<br />

von Kwiatowski. Der Sky-Profi<br />

fuhr gemeinsam mit Alejandro Valverde<br />

von allen auf der Online-Trainingsplattform<br />

registrierten Profis<br />

die schnellste Zeit am Poggio: Für<br />

das 3,6 Kilometer lange Segment<br />

benötigte er gerade einmal 5:41 Minuten.<br />

Das bedeutet eine irrwitzige<br />

Durchschnittsgeschwindigkeit von<br />

fast 40 Kilometern pro Stunde –<br />

wohlgemerkt bei im Schnitt vier<br />

Prozent Steigung. Wie schnell das<br />

28 PROCYCLING | MAI 2019


PROLOG<br />

Peloton bei der diesjährigen Auf -<br />

lage von „MSR“ fuhr, offenbart die<br />

Gesamtrangliste auf dem Poggio-<br />

Segment: Die ersten sieben Plätze<br />

werden ausschließlich von 2019er-<br />

Leistungen belegt. Erst auf Rang<br />

acht folgt die Zeit von Tim Wellens<br />

aus dem Jahr 2017, als er in der<br />

Spitzengruppe 5:51 Minuten benötigte<br />

– immerhin zehn Sekunden<br />

langsamer als Kwiatowski.<br />

Kwiatkowski gab leider seine<br />

Berg leistung nicht frei, allerdings<br />

lud der zeitgleiche Valverde seine<br />

Powermeter-Daten auf Strava. Der<br />

amtierende Straßenweltmeister und<br />

diesjährige Siebte von Mailand–San<br />

Remo trat so im Schnitt stolze 414<br />

Watt. Beim aussagekräftigen Wert<br />

Watt/Kilogramm kam der 61 Kilogramm<br />

leichte Spanier auf rund<br />

6,8 – auch das ist eine stolze Nummer<br />

in Anbetracht dessen, dass zu<br />

jenem Zeitpunkt bereits mehr als<br />

280 Kilometer zurückgelegt waren.<br />

Der Zweite, Oliver Naesen, trat hier<br />

sogar mit 501 Watt in die Pedale.<br />

Bei 71 Kilogramm Körpergewicht lag<br />

er somit bei 7,1 Watt/Kilogramm.<br />

Michał Kwiatkowski hatte<br />

am Poggio die schnellsten<br />

Beine. Am Ende landete der<br />

Pole bei Mailand–San Remo<br />

als Dritter auf dem Podest.<br />

Seinen Strava-Ride gibt es<br />

unter www.strava.com/<br />

activities/2235000611<br />

Das Strava-Ranking<br />

Poggio di San Remo<br />

(3,6 Kilometer /<br />

146 Höhenmeter)<br />

1. Alejandro Valverde<br />

Movistar<br />

5:41 Minuten*<br />

1. Michał Kwiatkowski<br />

Sky<br />

5:41<br />

3. Oliver Naesen<br />

AG2R<br />

5:42<br />

3. Wout Van Aert<br />

Team Jumbo<br />

5:42<br />

5. Julien Simon<br />

Cofidis<br />

5:48<br />

6. Simon Clarke<br />

EF Education<br />

5:51<br />

6. Daniel Oss<br />

Bora–hansgrohe<br />

5:51<br />

8. Vincenzo Nibali<br />

Bahrain-Merida<br />

5:54<br />

9. Lilian Calmejane<br />

Direct Energie<br />

5:55<br />

9. Alessandro De Marchi<br />

CCC Team<br />

5:55<br />

* Gewertet wurden nur aktive Radprofis<br />

und ihre persönliche Bestzeit<br />

im Rahmen von Mailand–San Remo<br />

2019.<br />

© Tim de Waele/Getty Images, Strava (Screenshot)<br />

MAI 2019 | PROCYCLING 29


SIMON YATES<br />

ERWACHSEN<br />

WERDEN<br />

Simon Yates galt lange als Grand-Tour-Anwärter und bewies dieses<br />

Potenzial, als er 2018 die Vuelta a España gewann. Doch es war<br />

seine Angriffslust beim Giro, die ihm wirklich Bewunderer einbrachte.<br />

Mit <strong>Procycling</strong> spricht er über Rennsport mit Instinkt,<br />

gelernte Lektionen und seine Rückkehr nach Italien im Mai.<br />

Text Sophie Hurcom<br />

Fotografie Getty Images<br />

30 PROCYCLING | MAI 2019


SIMON YATES<br />

© Kramon<br />

MAI 2019 | PROCYCLING 31


DAS GROSSE INTERVIEW<br />

imon Yates war erst 21, als er<br />

SDoch Nairo Quintana<br />

der Simon Yates von 2019 scheint, zumindest<br />

oberflächlich, ganz entspannt zu sein. Die<br />

und Bradley Wiggins schachmatt setzte und die<br />

6. Etappe der Großbritannien-Rundfahrt 2013 Länge seiner Antworten und die offene Art, mit<br />

gewann. Im Anstieg nach Haytor in der Grafschaft<br />

Devon löste sich der junge Fahrer aus einer In den letzten fünf Jahren ist Yates vor unse -<br />

der er spricht, sind ein wenig überraschend.<br />

erlesenen Gruppe von WorldTour-Fahrern, und ren Augen erwachsen geworden. Der 26 Jahre<br />

als er die Ziellinie überquerte, blickte er cool über alte Mann, der seine körperliche Reife erreicht<br />

die Schulter und hatte genug Zeit, beide Arme in hat, sieht ganz anders aus als der seiner Jugend<br />

die Luft zu strecken. Der Sieg hatte so viel Klasse, gerade erst entwachsene Fahrer, der in Devon<br />

dass man leicht vergessen konnte, dass Yates gewann. Yates strahlt, wenn er spricht, eine<br />

noch kein Profi war.<br />

Auto rität aus, die zeigt, dass er gereift ist, und<br />

Fast auf den Tag genau fünf Jahre nach jenem nahe legt, dass er sich viel sicherer fühlt. Das<br />

Sieg sicherte sich Yates den Gesamtsieg bei der Selbstbewusstsein, das er schon lange auf dem<br />

Vuelta a España 2018, sein erster Grand-Tour-Titel. Rad ausstrahlte, scheint er jetzt auch als<br />

Viel hat sich geändert in der Zeit, nicht zuletzt Mensch entwickelt zu haben.<br />

Simon Yates selbst.<br />

Im vergangenen Jahr löste Yates die Versprechen<br />

ein, die er über mehrere Jahre gegeben hatte.<br />

Wir sind die Einzigen im Restaurant des<br />

Mannschaftshotels von Mitchelton-Scott in Roquetas<br />

de Mar. Es ist Yates’ Zuhause für ein paar Etappen und trug 13 Tage lang das Rosa Trikot,<br />

Er belebte erst den Giro d’Italia, gewann drei<br />

Tage, während er sich darauf vorbereitet, bei der bevor er es zwei Tage vor dem Finale in Mailand<br />

Ruta del Sol in die Saison 2019 einzusteigen. Er erschöpft verlor. Er gab im Spätsommer ein<br />

kommt pünktlich zu unserem Interview, spaziert Come back, erfrischt, und gewann die Vuelta. Er<br />

mit einer frisch nachgefüllten Kaffeetasse in den ist einer von nur sieben nicht mehr als 26 Jahre<br />

Raum. Er schüttelt uns die Hand und setzt sich. alten Fahrern, die in den letzten 20 Jahren eine<br />

Auf dem Rad zumindest wirkt Yates immer große Rundfahrt gewonnen haben.<br />

selbstsicher. Kein Wunder – er war immer gut und Yates’ Aufstieg ist keine Verwandlung über<br />

hatte das Talent, es weit zu bringen. Teamkapitän Nacht. Der Vuelta-Sieg war das Ergebnis von fünf<br />

zu sein, ist eine Position, wie er sagt, in der er sich Jahren sorgfältig gemanagter Entwicklung, seit er<br />

wohl fühlt. „Wenn wir Rennen fahren, bin ich sehr 2014 bei Orica-GreenEdge Profi wurde. Das große<br />

selbstsicher, wenn ich jemandem sagen muss, was Potenzial, das viele junge Fahrer haben, Realität<br />

er tun soll“, meint er. Wenn er nicht auf dem Rad werden zu lassen, ist ein Kunststück, an dem sich<br />

sitzt, ist es anders – Yates und sein Zwillingsbruder<br />

Adam haben den Ruf, keine leichten Interviewlich.<br />

Auf jeden Fahrer, der eine große Rundfahrt<br />

viele versuchen, aber nur wenige erreichen es wirkpartner<br />

zu sein. Schüchtern und ruhig, war ihr natürliches<br />

Habitat nie, mit Journalisten zu sprechen gehandelt werden, aber nie einen Fuß auf das Po-<br />

gewinnt, kommen viele, die als künftige Sieger<br />

oder im Rampenlicht zu stehen.<br />

dest einer Grand Tour setzen. Trotzdem versichert<br />

Yates, dass er nie den Druck spürte, den Erwartungen<br />

gerecht zu werden, die ihn seit Langem umgeben.<br />

„Nein, weil ich es selbst wollte. Wenn jemand<br />

es dir sagt, aber du nicht daran glaubst, du es<br />

nicht willst, dann ist der Druck groß. Aber ich war<br />

derjenige, der gesagt hat: Ich will Rundfahrer sein,<br />

ich will große Rundfahrten gewinnen, ich will<br />

das, und so will ich das schaffen. Das ist der größte<br />

Unterschied“, sagt er.<br />

„Wir arbeiten seit langer Zeit langsam darauf<br />

hin, es ist nicht nur etwas aus diesem Jahr. Ich<br />

war von Anfang an in der Kapitänsrolle in diesem<br />

Team – es kommt alles langsam zum Tragen und<br />

ich denke, man sieht das jetzt.“<br />

Yates ging als Außenseiter in den letztjährigen<br />

Giro. Er erinnert sich, dass die Leute ihm einen<br />

Top-Ten-Platz, vielleicht die Top Fünf zutrauten.<br />

„Niemand hat wirklich geglaubt, dass ich dort<br />

antrete und gewinne.“ Er war zuvor Sechster der<br />

Vuelta 2016 und Siebter der Tour 2017 gewesen,<br />

doch er hatte nie auf dem Podest einer großen<br />

Rundfahrt gestanden. Vor 2018 hatte er nur zwei<br />

Tage im Spitzenreitertrikot eines Rennens verbracht:<br />

je einen Tag bei Paris–Nizza und der Tour<br />

de Romandie.<br />

Ein siebter Platz beim Auftaktzeitfahren in<br />

Jerusalem deutete die Form an, in der Yates war,<br />

bevor er auf der 6. Etappe bei der ersten Bergankunft<br />

des Rennens am Ätna überzeugend die Gesamtführung<br />

übernahm. Drei Etappensiege folgten,<br />

darunter einer in Sappada 40 Sekunden vor<br />

dem Peloton, der seinen Platz als bei Weitem<br />

stärkster Kletterer des Rennens zementierte. Bei<br />

jeder Chance, die sich bot, griff er an und fuhr<br />

Zeit heraus. Doch obwohl er Tom Dumoulin im<br />

Zeitfahren auf der 16. Etappe abwehrte und das<br />

Rosa Trikot verteidigte, zahlte er für die Anstrengungen<br />

einen Preis. Auf einer außergewöhnlichen<br />

19. Etappe brach er ein und rutschte auf den<br />

21. Platz in Mailand ab.<br />

Yates nennt die Tatsache, dass er 2017 einen<br />

neuen Trainer bekam, nachdem er bei der Tour in<br />

dem Jahr das Weiße Trikot gewonnen hatte, als<br />

eine der Umstellungen, die sich in der letzten Saison<br />

ausgewirkt haben. Bis dahin hatte Yates weitgehend<br />

in Eigenregie trainiert, doch als er anfing,<br />

mit Alex Camier bei Mitchelton zu arbeiten, wurde<br />

sein Training spezifischer und er bemerkte<br />

kleine, aber signifikante Steigerungen.<br />

„Das eigentliche Training hat sich nicht sehr<br />

verändert. Aber wir haben hier und da ein paar<br />

zusätzliche Dinge gemacht, die das Training ein<br />

bisschen verändert haben“, erklärt Yates. „Ich<br />

war nie so weit entfernt. Ich hatte keine 20 Minuten<br />

Rückstand. Ich weiß nicht, was ich bei der<br />

Tour oder der Vuelta hatte, als ich zuletzt in den<br />

Top Ten war, aber ich hatte keine zehn Minuten<br />

Rückstand. Ich war nahe dran, also erfordert es<br />

nicht viel, diese Kleinigkeiten zu ändern. Das ist<br />

eigentlich alles. Ich fahre noch genau so Rennen,<br />

32 PROCYCLING | MAI 2019


SIMON YATES<br />

Beim Giro 2018 verlor Yates drei Tage<br />

vor dem Ende all seine Spritzigkeit.<br />

ich habe denselben Lebensstil, es ist vielleicht<br />

einfach nur eine wissenschaftlichere Herangehensweise.“<br />

Es gab klare Lektionen, die Yates aus dem<br />

Giro mit in die Vuelta nahm. Während er in Italien<br />

in der dritten Woche physisch abbaute, schien<br />

er Monate später in Spanien stärker zu werden, je<br />

länger das Rennen dauerte. Der letzte Vorstoß begann,<br />

als er die 14. Etappe gewann.<br />

„Ich fühlte mich immer noch sehr gut, und<br />

dadurch bin ich immer selbstbewusster geworden.<br />

An dem Punkt war ich beim Giro schon<br />

sehr erschöpft, aber da war es das Gegenteil.<br />

Ich wuchs irgendwie, ich fühlte mich von Tag<br />

zu Tag besser.“<br />

Wie beim Giro übernahm Yates bei der Vuelta<br />

früh die Führung des Rennens – fast zufällig,<br />

auf der 9. Etappe. Er machte sich Sorgen, dass<br />

die Geschichte sich wiederholen würde, daher<br />

entschied das Team, die Verantwortung auf der<br />

12. Etappe abzugeben, in der Überzeugung, dass<br />

er das Trikot später zurückgewinnen konnte.<br />

„Beim Giro habe ich es darauf angelegt [die Führung].<br />

Ich wollte es wirklich. Während es bei der<br />

Vuelta eigentlich – das wird jetzt falsch rüberkommen,<br />

und wenn es gedruckt wird, wird es schlecht<br />

aussehen – aber ich wollte es nicht. Ich wollte das<br />

Trikot zu dem Zeitpunkt nicht. Ich wollte am Ende<br />

des Rennens gewinnen“, sagt Yates.<br />

„Ich wollte nicht mit den Journalisten sprechen<br />

müssen, ich wollte die Presseverpflichtungen<br />

nicht, ich wollte die Siegerehrungen nicht<br />

und ich wollte nicht zwei Stunden später als alle<br />

anderen ins Hotel kommen. Beim Giro bin ich<br />

kaum zum Essen gekommen. Ich hatte so viel zu<br />

tun und die Etappen gingen so spät zu Ende und<br />

ich kam erst sehr spät zurück und aß erst sehr<br />

spät, und dann gehst du mit vollem Magen ins<br />

Bett und wachst auf und fühlst dich besch…“,<br />

sagt er und legt die Hand auf den Mund, um<br />

nicht zu fluchen, „… schlecht, und so geht es<br />

weiter. Es war zu Beginn des Rennens, es war<br />

auch zu Beginn des Giro, und ich sah es kommen,<br />

dass es wieder passiert. Und ich dachte<br />

nur: Ich will das jetzt nicht.“<br />

Eine weitere wichtige Taktik bei der Vuelta war,<br />

sicherzustellen, dass Yates sich nicht wieder zu<br />

früh verausgabte. Statt von Anfang an offensiv zu<br />

fahren, versuchte sein Team, ihn zu zügeln und in<br />

der ersten Woche konservativer fahren zu lassen.<br />

Er gibt zu, dass es manchmal schwer war, sich an<br />

die Order des Teams zu halten.<br />

„Wenn du schon sehr, sehr früh die Beine hattest,<br />

um etwas auszurichten – ich meine, mit<br />

zwölf, 13, 14 Jahren – wenn du gute Beine hast<br />

und dich gut fühlst, greifst du an, du versuchst,<br />

die Etappe zu gewinnen, du versuchst, das Rennen<br />

zu gewinnen. Das machst du, indem du angreifst“,<br />

sagt er. „Seit ich Profi bin, konnte ich<br />

das nicht mehr, bis zu diesem Zeitpunkt.<br />

KARRIERE-HÖHEPUNKTE SIMON YATES’ BISHER GRÖSSTE MOMENTE<br />

2013<br />

TOUR OF BRITAIN<br />

Im Team GB unterwegs, über -<br />

rascht der 21-Jährige die Konkur -<br />

renz bei der Bergankunft in<br />

Haytor bei der Tour of Britain. Auf<br />

dem drei Kilometer langen An -<br />

stieg haben Quintana, Dan Martin<br />

und Wiggins das Nachsehen.<br />

2016 VILLAFRANCA–<br />

ORDIZIAKO<br />

Yates siegt erstmals als<br />

WorldTour-Profi beim Eintagesrennen<br />

Prueba Villafranca–Ordiziako<br />

Klasika im Baskenland. Er<br />

attackiert am letzten Anstieg aus<br />

einer Fünfergruppe und fährt mit<br />

34 Sekunden Vorsprung ins Ziel.<br />

2016<br />

VUELTA A ESPAÑA<br />

Erster Grand-Tour-Etappensieg<br />

bei der Vuelta. Yates<br />

folgt Dani Morenos Attacke<br />

fünf Kilometer vor dem<br />

Ziel, hängt ihn ab, fängt den<br />

Ausreißer Matthias Frank<br />

ein und siegt als Solist.<br />

2017<br />

PARIS–NIZZA<br />

Yates gewinnt die 6. Etappe,<br />

indem er 19 Kilometer vor dem<br />

Ziel nahe des Col de Bourigaille<br />

beschleunigt und davonfährt. In<br />

der Abfahrt vergrößert er seinen<br />

Vorsprung, sodass er mit genug<br />

Zeit in den Schlussanstieg geht.<br />

© Offside Sports Photography (2013)<br />

MAI 2019 | PROCYCLING 33


34 PROCYCLING | MAI 2019<br />

DAS GROSSE INTERVIEW


SIMON YATES<br />

Yates in der Verfolgung<br />

des späteren Etappensiegers<br />

Chris Froome am<br />

Monte Zoncolan auf der<br />

14. Etappe des Giro 2018.<br />

© Kramon<br />

MAI 2019 | PROCYCLING 35


DAS GROSSE INTERVIEW<br />

Und dann sagte man mir plötzlich: ‚Du sollst das<br />

jetzt nicht mehr.‘“ Er erzählt weiter: „Sie haben<br />

mich vier, fünf Jahre lang einfach nur fertiggemacht,<br />

all diese Typen, die super aggressiv sind und die<br />

ganze Zeit angreifen. Und in dem Moment, wo ich<br />

dazu fähig bin, wo ich physisch gereift bin, da sagt<br />

man mir: ‚Du sollst das nicht, du musst Energie<br />

sparen.‘ Es war mental schwer, dazu in der Lage zu<br />

sein, zumal ich so gute Beine hatte.“<br />

Am Ende, sagt er, waren es nur zwei Tage, an<br />

denen er und sein Team sich zurückhielten. Aber<br />

im Peloton mitzurollen, war auf jeden Fall eine<br />

Strategie, die er schwer fand. Auf der 4. Etappe<br />

griff er vier Kilometer vor dem Ziel an und gab<br />

später zu, dass er sich dazu hatte hinreißen lassen.<br />

Doch die riskante Taktik ging auf und er fuhr<br />

fast 20 Sekunden auf seine Rivalen heraus. „Ich<br />

konnte sehen, dass zu dem Zeitpunkt alle wirklich<br />

litten. Wir hatten einen wirklich harten Tag<br />

und es ist schwer, das nicht auszunutzen, weißt<br />

du? Ich fühlte mich wirklich gut. Das Problem ist,<br />

wenn ich da nichts gemacht hätte und das Rennen<br />

um 20 Sekunden verloren hätte, hätte ich<br />

mich richtig geärgert, denn ich hatte die Beine,<br />

um etwas auszurichten. Manchmal greife ich<br />

einfach lieber an, wenn ich die Beine habe.“<br />

Das einzige Mal, dass Yates bei der Vuelta tatsächlich<br />

Zeit auf seine Rivalen verlor, war auf der<br />

12. Etappe, wo er das Trikot absichtlich abgab.<br />

Eine Etappe, von der er wusste, dass er sie nicht<br />

nutzen wollte. „Ich habe dort Zeit verloren, aber<br />

das lag nicht an meinen Beinen. Es war meine<br />

Einstellung“, erinnert er sich. „Ich warte, weil ich<br />

nicht vorhabe, anzugreifen, also fahre ich weiter<br />

hinten mit, dann greift jemand an, die Lücke geht<br />

auf und dann gerate ich ins Hintertreffen. Ich<br />

nehme die Verfolgung auf, es ist mental schwerer,<br />

ich muss die Lücke zu diesem Typ zufahren.“<br />

„ICH GREIFE NICHT AN DEN<br />

NORMALEN PUNKTEN AN, AN<br />

DENEN DIE LEUTE ANGREIFEN.<br />

ICH GREIFE ZUM BEISPIEL 20<br />

KILOMETER VOR DEM ZIEL AN.“<br />

Yates greift den führenden Michał<br />

Kwiatkowski (in Rot) auf der 4. Etappe<br />

der Vuelta 2018 an.<br />

Yates’ Fahrstil passt nicht zur heutigen<br />

Ära bei den großen Rundfahrten, die von<br />

Rouleuren und Dieseln dominiert werden,<br />

die bergauf Tempo fahren können. Mit Elan und<br />

Instinkt und nach Gefühl zu fahren, wie Yates<br />

es tut, geht zurück auf eine andere Zeit, als die<br />

großen Rundfahrten von Profis gewonnen wurden,<br />

die jederzeit Sekunden herausfahren konnten.<br />

Yates konnte den Giro im letzten Jahr zwar<br />

nicht gewinnen, doch er war der Hauptanimateur<br />

des Rennens und fand damit viele neue Fans<br />

und Bewunderer.<br />

„Ich greife nicht an den normalen Punkten an,<br />

an denen die Leute angreifen. Ich greife zum Beispiel<br />

20 Kilometer vor dem Ziel an. Damit rechnen<br />

die Leute nicht. Ich denke, an dem Punkt,<br />

wenn ich das weiter tun kann und weiter versuchen<br />

kann zu überraschen, ist das die Art, wie ich<br />

es anpacken will“, sagt Yates.<br />

Es ist verständlich, warum der freiere Rennstil<br />

in Italien Yates liegt und warum er sich entschieden<br />

hat, in diesem Jahr erneut den Giro zu fahren,<br />

statt an der Tour teilzunehmen. Er hat geäußert,<br />

wenig Interesse daran zu haben, bei der Tour auf<br />

Sieg zu fahren, wo der hohe Druck und eine viel<br />

kontrolliertere Taktik einfach nicht dieselbe Leidenschaft<br />

in ihm entfachen.<br />

„Ich weiß nicht, was mit der breiteren Öffentlichkeit<br />

ist, aber als ich in Italien war, wurde ich<br />

gut aufgenommen, einfach die Art, wie ich am<br />

Straßenrand begrüßt wurde. Das ist einer der<br />

Gründe, warum ich mich freue, wieder dort zu<br />

starten, ich habe es dort wirklich genossen. Ich<br />

hatte viel Spaß“, sagt er.<br />

„Die Attacken mögen ein bisschen draufgängerisch<br />

wirken, aber ich denke mir tatsächlich etwas<br />

bei dem, was ich mache. Ich mache es, weil dieser<br />

Typ aussieht, als würde er ein bisschen leiden, das<br />

und das bevorsteht, Rückenwind herrscht, sodass<br />

es schwer wird, mich einzuholen, dieses Team<br />

nur noch einen Fahrer hat, sodass die Nachführarbeit<br />

schwer wird, weil es ein Kopf-an-Kopf-Rennen<br />

wird, ich gegen ihn. Es ist durchdachter, als<br />

es aussieht.“<br />

Es ist eine hochriskante Strategie, mit einer Attacke<br />

alles auf eine Karte zu setzen. Mit dem Lohn<br />

sind Risiken verbunden. Der einzige andere<br />

2017<br />

GP MIGUEL INDURAIN<br />

Yates und zwei Teamkollegen<br />

schaffen es 20 km vor dem Ziel<br />

in eine neunköpfige Fluchtgruppe<br />

bei dem hügeligen<br />

Eintagesrennen. Zehn km vor<br />

der Linie springt er weg und hält<br />

Woods und Henao auf Distanz.<br />

2017<br />

TOUR DE ROMANDIE<br />

Mit dem Sieg in Leysin auf der<br />

bergigen 4. Etappe der<br />

Romandie übernimmt er die<br />

Führung. Yates folgt Richie<br />

Portes Attacke drei Kilometer<br />

vor dem Ziel und schlägt den<br />

Australier im Sprint.<br />

2018<br />

PARIS–NIZZA<br />

Zweiter Etappensieg bei Paris–<br />

Nizza auf dem Colmiane am<br />

schwersten Tag der Rundfahrt bei<br />

nasskaltem Wetter. Mitchelton bereitet<br />

Yates’ Attacke vier Kilometer<br />

vor dem Ziel vor; er hält Jon<br />

Izagirre in Schach und gewinnt.<br />

2018<br />

KATALONIEN-<br />

RUNDFAHRT<br />

Auf der hügeligen Schlussetappe<br />

schließt Yates zu seinem Kollegen<br />

Daryl Impey in einer neunköpfigen<br />

Gruppe auf. Als das Peloton<br />

kommt, greift er mit drei anderen<br />

an und fährt dann alleine zum Sieg.<br />

36 PROCYCLING | MAI 2019


SIMON YATES<br />

2018 GIRO D’ITALIA,<br />

9. ETAPPE<br />

Am Gran Sasso d’Italia feiert<br />

Yates den ersten seiner drei<br />

Tagessiege. Unter dem<br />

Teufelslappen folgt er<br />

Pozzovivos Attacke, fährt einen<br />

perfekten Sprint und schlägt<br />

den Italiener sowie Pinot.<br />

2018 GIRO D’ITALIA,<br />

11. ETAPPE<br />

Die schwere 11. Etappe nach<br />

Osimo ist Yates’ nächstes Ziel,<br />

wo er auf dem kurzen, steilen<br />

gepflasterten Schlussanstieg<br />

glänzt. Er fährt zu Wellens und<br />

Štybar auf und distanziert<br />

Dumoulin.<br />

2018 GIRO D’ITALIA,<br />

15. ETAPPE<br />

Yates zeigt seine Stärken als Kletterer,<br />

indem er die Gesamtwertungsrivalen<br />

17 Kilometer vor dem Ziel stehen lässt<br />

und in Sappada mit 41 Sekunden<br />

Vorsprung gewinnt. Damit wird er der<br />

erste Fahrer seit Simoni 2003, der in<br />

Pink drei Giro-Etappen gewinnt.<br />

2018<br />

POLEN-RUNDFAHRT<br />

Am letzten Tag greift Yates als<br />

Gesamt-Zweiter an und zwingt<br />

Leader Kwiatkowski zur Verteidigung<br />

seines 39-Sekunden-<br />

Vorsprungs. Im strömenden Regen<br />

gewinnt Yates die Etappe, verpasst<br />

aber den Gesamtsieg.<br />

© Kramon (groß)<br />

MAI 2019 | PROCYCLING 37


DAS GROSSE INTERVIEW<br />

Rundfahrtsieger in jüngerer Zeit, der auf ähnliche<br />

Weise fuhr, war wohl Alberto Contador.<br />

„Es gibt viele Jungs, die sehr angriffslustig sind,<br />

wahrscheinlich Jungs, die viel angriffslustiger sind<br />

als ich, aber ihre Namen siehst du nie, weil sie es<br />

aufgrund bestimmter Umstände nie durchziehen“,<br />

sagt Yates. „Es hängt vielleicht auch von der<br />

Art des Rennens und der Jahreszeit ab, was sich<br />

darauf auswirkt, wie schnell die Jungs fahren. Es<br />

ist schwer zu sagen, warum meine Angriffe funktionieren<br />

– vielleicht sind es die Kleinigkeiten, an<br />

die ich denke.“<br />

Yates kehrt in diesem Jahr mit einer offenen<br />

Rechnung zum Giro zurück. Wenn das Rennen<br />

am 11. Mai in Bologna startet, kann er nicht mehr<br />

unter dem Radarschirm durchfliegen, und das<br />

weiß er.<br />

Ihm wäre ein schwereres Auftaktwochenende<br />

lieber gewesen, sagt er, um Ruhe ins Rennen zu<br />

bringen, aber davon abgesehen, bringt ihn die<br />

Route nicht aus der Fassung. Die einzigen Etappen,<br />

die er sich genauer ansehen möchte, sind<br />

die drei Zeitfahren, die hügeliger sind als die letztjährigen<br />

und ihm daher besser liegen. Trotz der<br />

Annahme, dass beide Yates-Brüder keine guten<br />

Zeitfahrer sind, haben sie sich stetig verbessert;<br />

Simon konnte bei Paris–Nizza im März sein erstes<br />

Zeitfahren gewinnen. „Ich glaube, ich bin ein<br />

guter Zeitfahrer dafür, dass ich so klein bin“, sagt<br />

er. „Ich produziere nicht so viel Watt wie diese<br />

Jungs; das kann ich physisch gar nicht, aber wenn<br />

du nicht auf die Zahlen schaust, sondern auf die<br />

Platzierung, bin ich ziemlich gut.“<br />

Er nahm bei den Zeitfahren des Giro im letzten<br />

Jahr eine „super unbequeme, super verkrampfte“<br />

Haltung ein, um konkurrenzfähig<br />

zu sein. Das trug vielleicht dazu bei, dass er in<br />

den letzten Tagen so erschöpft war, mutmaßt er.<br />

Doch das Team hat vor der Vuelta ein paar kleine<br />

Umstellungen vorgenommen, um dem entgegenzuwirken.<br />

„Beim Zeitfahren der Vuelta hatte ich ein ähnliches<br />

Gefühl, aber ich bin nicht müde aus dem<br />

Zeitfahren hervorgegangen, ich war nicht sehr erschöpft.<br />

Ich frage mich, ob das [beim Giro] eine<br />

Rolle spielte. Ich habe meinen Körper dort zu sehr<br />

geschädigt und konnte mich nicht erholen wegen<br />

dieser extremen Position.“<br />

Yates gibt zu, dass er noch viel lernen muss. Er<br />

war knapper Zweiter bei Paris–Nizza und der Polen-Rundfahrt<br />

sowie Vierter bei der Katalonien-<br />

Rundfahrt 2018, während er bei Paris–Nizza in<br />

diesem Frühjahr bei Seitenwind den Moment verpasste,<br />

als die Post abging, und seine Hoffnungen<br />

Bei Paris–Nizza lief es für Yates, der auf<br />

der 2. Etappe vom Seitenwind überrascht<br />

wurde, nicht rund.<br />

auf den Gesamtsieg begraben musste. Aber mit<br />

erst 26 hat Yates viel Zeit auf seiner Seite.<br />

„Jedes Rennen, in das ich gehe und wo ich<br />

Teamkapitän bin, versuche ich zu gewinnen. So<br />

gehe ich da rein. Es hat viele Male nicht geklappt,<br />

ich habe vor der Vuelta nie eine Rundfahrt gewonnen<br />

– aber ich versuche einfach immer wieder,<br />

weißt du, diese Einstellung zu behalten, weil ich<br />

glaube, dass es hilft“, sagt er.<br />

„Du weißt nie, wann deine besten Jahre sind,<br />

aber ich hoffe, mich weiter zu steigern.“<br />

2018 VUELTA A ESPAÑA,<br />

14. ETAPPE<br />

Auf dem steilen Wirtschaftsweg<br />

zum Alto les Praeres greift Yates<br />

eine starke Gruppe an. 700 Meter<br />

vor dem Ziel schüttelt er Quin -<br />

tana, Valverde, Pinot und Kruijs -<br />

wijk ab, gewinnt die Etappe und<br />

übernimmt die Führung.<br />

2018<br />

VUELTA A ESPAÑA<br />

Erster großer Rundfahrtsieg bei<br />

der Vuelta nach einer selbstsicheren<br />

Vorstellung. Auf der<br />

9. Etappe übernimmt er die<br />

Führung, gibt sie kurz wieder ab<br />

und trägt dann das Rote Trikot<br />

ab Etappe 14 bis nach Madrid.<br />

2019<br />

RUTA DEL SOL<br />

Yates geht mit einem Etappensieg<br />

bei der Ruta del Sol in die Saison. Er<br />

fährt den 16 Kilometer langen Alto<br />

de Hazallanas, den schwersten<br />

Anstieg des Rennens, alleine hoch<br />

und vergrößert seinen Vorsprung<br />

noch auf der Abfahrt nach Granada.<br />

2019<br />

PARIS–NIZZA<br />

Allererster Zeitfahrsieg. Als<br />

schlanker Kletterer nicht gerade<br />

als Rouleur bekannt, verlässt<br />

sich Yates auf sein spezifisches<br />

Training und nimmt Nils Politt<br />

auf dem 25,5 Kilometer langen<br />

Kurs sieben Sekunden ab.<br />

38 PROCYCLING | MAI 2019


DAS GROSSE INTERVIEW<br />

KONTRAPUNKT<br />

DIE GRÖSSTE SHOW<br />

<strong>Procycling</strong> schaut sich die Gründe dafür an, dass der Giro<br />

regelmäßig die spannendste große Landesrundfahrt ist.<br />

Text Sam Dansie<br />

Fotografie Yuzuru Sunada<br />

Es ist ein Vierteljahrhundert her, dass der<br />

Giro in Bologna begann. Der Flickenteppich<br />

aus Terrakotta-Dächern und Säulengängen<br />

hat ein zeitloses Flair, aber das Rennen,<br />

das dieses Mal zu Gast war, hatte einen ganz anderen<br />

Charakter. 1994 waren elf der 17 Teams<br />

italienisch, und ein zwölftes, Mercatone Uno, war<br />

in San Marino registriert. Das italienische Peloton<br />

war reich und tief. In Bologna freuten sich die<br />

Fans auf eine Fortsetzung der Rivalität zwischen<br />

Gianni Bugno und Claudio Chiapucci. Und an<br />

zwei funkelnden Tagen in den Ostalpen und Dolomiten<br />

sollten diese zwei Gesellschaft bekommen<br />

von der Supernova, die sie alle überschatten<br />

und auslöschen sollte: Marco Pantani. Der Giro<br />

war eine autarke Einheit, aber das konnte er sich<br />

auch leisten, zumal fast sechs Millionen Italiener<br />

den Husarenritt von „Il Pirata“ über den Mortirolo<br />

und Valico di Santa Cristina nach Aprica im Fernsehen<br />

sahen. Heute dagegen orientiert sich der<br />

Giro nach außen und hängt von der Gunst internationaler<br />

Fahrer ab.<br />

Nach der letzten Zählung wird das Feld, wenn<br />

das diesjährige Rennen mit einem 8,2 Kilometer<br />

langen Zeitfahren beginnt, acht Fahrer mit mindestens<br />

einem Podiumsplatz im Palmarès umfassen.<br />

Sie stammen aus sieben verschiedenen<br />

Ländern; nur einer ist Italiener. Im Winter und<br />

Frühjahr war zu hören, dass Rennorganisator<br />

Mauro Vegni ein so gut besetztes Starterfeld angelockt<br />

hatte, wie er sich erhofft hatte. In Abwesenheit<br />

von Vorjahressieger Chris Froome, der einen<br />

fünften Sieg bei der Tour de France anstrebt,<br />

mit dem er den Rekord einstellen würde, wird die<br />

Liste der internationalen Favoriten angeführt vom<br />

Rouleur-Kletterer Tom Dumoulin. Der Holländer<br />

war Zweitplatzierter hinter dem Briten und Sieger<br />

im Jahr davor. Ihm folgt der 26 Jahre alte Simon<br />

Yates aus dem englischen Lancaster. Als er seinen<br />

Start verkündete, sagte der amtierende Vuelta-Sieger,<br />

er wolle „den Job zu Ende bringen“, womit er<br />

sich auf seine knappe Niederlage im letzten Jahr<br />

40 PROCYCLING | MAI 2019


SIMON YATES<br />

DIE SUCHE<br />

NACH NIBALIS<br />

NACHFOLGER<br />

Könnte sich beim Giro d’Italia im Mai ein<br />

Nachfolger für Vincenzo Nibali zu<br />

erkennen geben? „Es gibt nichts, worauf<br />

man hoffen könnte“, sagte Maurizio<br />

Evangelista gegenüber <strong>Procycling</strong>.<br />

„Vielleicht taucht in zwei oder drei<br />

Jahren jemand auf, aber im Moment auf<br />

keinen Fall.“ Vorbehaltlich eines letzten<br />

Worts zu Fabio Arus Versuch, die Form<br />

wiederzufinden, die ihn zum zweiten<br />

Platz beim Giro und ersten bei der<br />

Vuelta 2015 getragen hat, dürfte der<br />

künftige Ineos-Fahrer Gianni Moscon<br />

derjenige sein, der Nibalis Grand-Tour-<br />

Posten am ehesten übernehmen könnte,<br />

obwohl er sich derzeit noch auf<br />

Eintagesrennen konzentriert. Aber zwei<br />

Jahre Flegelhaftigkeit – ein rassistischer<br />

Ausfall, Betrug und eine mutmaßliche<br />

Handgreiflichkeit –, gekrönt von einer<br />

sehr flachen Saison vor den Frühjahrsklassikern,<br />

haben seinem singulären<br />

Talent den Glanz genommen. Wenn er<br />

fährt, gibt der 25 Jahre alte Moscon sein<br />

Giro-Debüt und wird von den einheimischen<br />

Medien, die sich nach einem<br />

Toptalent sehnen, bestimmt viel TV-Zeit<br />

und Aufmerksamkeit bekommen,<br />

zumal sie ihre Stars gerne verhätscheln<br />

– egal, welche Fehltritte sich diese<br />

geleistet haben.<br />

bezog. Er machte auch deutlich, dass er den<br />

Giro bevorzugt. „Im Moment bringt mir die Tour<br />

nichts“, sagte er zu Cyclingnews. Hinter ihnen stehen<br />

Alejandro Valverde, Mikel Landa, Ilnur Zakarin,<br />

Miguel Ángel López und Esteban Chaves.<br />

Dieser Giro könnte der Durchbruch<br />

für zwei Youngster sein:<br />

Sky-Profi Egan Bernal fährt die<br />

Corsa Rosa zum ersten Mal, aber<br />

die Gewandtheit, mit der er sein<br />

Grand-Tour-Debüt bei der Tour<br />

2018 angepackt hat, kombiniert mit<br />

seiner bestechenden Siegesrate bei<br />

großen Rennen – zuletzt Paris–<br />

Nizza – legen nahe, dass Italien das<br />

Land sein könnte, in dem sich der<br />

22-Jährige einem exklusiven Club<br />

im Radsport anschließt: der achtköpfigen<br />

Gruppe von aktiven Grand-<br />

Tour-Siegern. Der andere mögliche<br />

Kandidat ist Primož Roglic. Platz<br />

vier bei der Tour und ein Solo-Etappensieg<br />

in Laruns im letzten Jahr<br />

weisen den Tirreno–Adriatico-Sieger<br />

als potente Gefahr auf einem an<br />

Zeitfahren reichen Kurs aus.<br />

Aber während das internationale Aufgebot fast<br />

makellos ist, kann man das vom einheimischen<br />

Kontingent nicht behaupten. Es ist das dritte Jahr<br />

in Folge, in dem der Giro ohne ein einziges identifizierbares<br />

italienisches Team in der WorldTour<br />

startet. Erschwerend kommt hinzu, dass Fabio<br />

Aru nach seiner Aufgabe bei Paris–Nizza seine<br />

Teilnahme am Giro abgesagt hat, da er sich einer<br />

Operation an einer geknickten Beckenarterie unterziehen<br />

muss. Das Fehlen des 28-Jährigen bedeutet,<br />

dass die einheimischen Hoffnungen in der<br />

4<br />

Grand-Tour-<br />

Sieger am<br />

Start 2019<br />

8<br />

Giro-Teilnehmer<br />

mit einem<br />

GT-Podestplatz<br />

Gesamtwertung ganz auf Vincenzo Nibali ruhen,<br />

dem Giro-Sieger von 2013 und 2016.<br />

Maurizio Evangelista, der Cheforganisator der<br />

Tour of the Alps, sagte: „Alle in Italien sind überzeugt,<br />

dass Nibali ein Topfavorit ist, aber ohne ihn<br />

wäre es schwierig, die italienischen<br />

Fans zu begeistern.“<br />

Zumindest haben die Tifosi<br />

mit dem Bahrain-Merida-Fahrer<br />

einen extrem robusten Anwärter,<br />

an dessen Grand-Tour-Bilanz von<br />

vier Siegen und sechs weiteren<br />

Podiumsplatzierungen es nichts<br />

zu rütteln gibt. Mit seiner Fähigkeit,<br />

den Wechselfällen des späten<br />

italienischen Frühjahrs zu<br />

trotzen, kombiniert mit einer außerordentlichen<br />

Gabe, seine beste<br />

Arbeit spät in einem dreiwöchigen<br />

Rennen abzuliefern, passt er gut<br />

zu Vegnis Kurs, der gegen Ende<br />

sehr berglastig wird. „Ohne Zweifel<br />

wird er zu Beginn jedes einzelnen<br />

Rennens aktiv sein, ob es ein<br />

großes Rennen oder ein kleines<br />

ist. Er ist die Art von Fahrer, der<br />

es liebt, in Aktion zu sein“, sagte Evangelista.<br />

Aber mit 34 hat Nibali es mit der näherrückenden<br />

Gewissheit zu tun, dass die Anzahl von Giri,<br />

für die er noch gut ist, an einer Hand abzuzählen<br />

ist – wobei noch Finger übrig bleiben. Der Vertrag<br />

des Sizilianers läuft noch ein Jahr, und laut La<br />

Gazzetta dello Sport hat er zwei Angebote auf<br />

dem Tisch: eines von Bahrain-Merida und eines<br />

vom rivalisierenden Bewerber Trek-Segafredo.<br />

Beide haben zweijährige Verträge angeboten. Egal,<br />

welchen er annimmt, es könnte sein letzter sein.<br />

Dumoulin hatte geplant, sich in diesem Jahr auf<br />

die Tour zu konzentrieren, bis er die Vorzüge dieses<br />

Giro-Kurses erkannte. „Zu gut, um es sausen<br />

zu lassen“, begründete Dumoulins Sportdirektor<br />

Luke Roberts den Sinneswandel gegenüber Velonews.<br />

Nach 2018, als die Zeitfahrkilometer auf<br />

insgesamt 43,9 Kilometer fielen, stellen die auf<br />

drei Prüfungen verteilten 58,5 Kilometer eine<br />

Rückkehr auf das zuletzt übliche Giro-Niveau dar.<br />

Die Anzahl von Zeitfahrkilometern hochzuhalten<br />

– auf jeden Fall im Vergleich zur Tour –, hat sich<br />

als nützlicher Hebel erwiesen, um das Interesse<br />

der besten Rouleur-Kletterer-Hybriden aufrechtzuerhalten.<br />

Beim Giro haben die Zeitfahren nicht<br />

den erdrückenden Einfluss, den sie bei der Tour<br />

haben. Bei zwei der letzten drei Giri hat der Sieger<br />

einen Rückstand von mehr als drei Minuten spät<br />

wettgemacht und den Gesamtsieg geholt. 2016<br />

holte Nibali die Maglia Rosa zum ersten Mal auf<br />

der 20. Etappe. Im letzten Jahr fuhr Froome erst<br />

auf der 19. Etappe ins Spitzenreitertrikot.<br />

In den Dolomiten kann man den<br />

Giro d’Italia vielleicht am besten genießen.<br />

© Gruber Images<br />

MAI 2019 | PROCYCLING 41


© Getty Images (Nibali, Dumoulin)<br />

Tom Dumoulin schaute sich die Strecke an<br />

und beschloss dann, wieder den Giro zu fahren.<br />

2017 hatte Dumoulin das Trikot neun Tage lang<br />

getragen, es aber auf der 19. Etappe verloren. Er<br />

eroberte es erst im abschließenden Zeitfahren zurück.<br />

Dagegen holte Geraint Thomas bei der letzten<br />

Tour das Trikot auf der 11. Etappe und trug es<br />

bis Paris. Froome verbrachte 2017 ganze 15 Tage<br />

und im Jahr davor 14 Tage in Gelb. Anders gesagt:<br />

Der Giro leidet nicht unter dem Sperrmodus, für<br />

den die Tour anfällig ist. Die übergroße Bedeutung<br />

der Tour für den Sport bedeutet, dass Erfolg in<br />

Frankreich wertvoll wie Sauerstoff ist. Daher stecken<br />

die Teams alle ihre Ressourcen in die Rundfahrt<br />

im Juli, und es führt zu einem Rennen mit<br />

weniger Hierarchisierung in der Form. Alle sind bei<br />

100 Prozent ihrer Fähigkeiten oder nahe dran. Der<br />

Platz des Giro im späten Frühjahr und das unzuverlässigere<br />

Wetter bedeuten, dass die Form unvorhersehbarer<br />

ist. Und weil ein Resultat beim<br />

Giro nicht dasselbe Gewicht hat, sind die Fahrer<br />

eher bereit zu zocken – siehe Froomes Vabanquespiel<br />

am Finestre im letzten Jahr. Es ist eine häufige<br />

Klage auf den späteren Etappen der Tour, dass<br />

die Fahrer ihre Top-Ten-Plätze verteidigen. Der<br />

Giro ist weniger anfällig für dieses Phänomen.<br />

Kraft ihrer jeweiligen Geografie hat sich die<br />

Giro-Route als geeigneter für Überraschungsangriffe<br />

erwiesen. Die Eröffnungssalven der Corsa<br />

Rosa werden meist auf den großzügigen Mittelgebirgsetappen<br />

im Apennin und den Voralpen<br />

abgefeuert. Dank seiner etwas bescheideneren<br />

Größe kann der Giro zudem schwerere und irregulärere<br />

Anstiege ausfindig machen wie den Zoncolan<br />

oder den diesjährigen Mortirolo, während<br />

die Tour an breitere und kontrollierbarere Anstiege<br />

gebunden ist, die für ihre enorme logistische<br />

Maschinerie geeignet sind. Und diese Anstiege<br />

spielen einem Team besonders in die Karten: Sky.<br />

Der stärkste Fahrer plus das stärkste Team sorgen<br />

selten für das beste Rennen.<br />

Bisher sind dem Giro der Fokus von Sky – bald<br />

Ineos – und ihre beispiellosen Ressourcen erspart<br />

geblieben. Obwohl das Rennen nicht so italienisch<br />

ist wie 1994, bleibt es ein intimeres Theater, und<br />

die besten Fahrer der Welt reagieren darauf, indem<br />

sie selten weniger als ihr Bestes geben.<br />

DAS GROSSE INTERVIEW<br />

GIRO<br />

2019<br />

D’ITALIA<br />

Die Strecke des diesjährigen Giro d’Italia beginnt und endet mit einem Zeitfahren und weist fünf<br />

Bergankünfte auf.<br />

ETAPPE DATUM ROUTE DISTANZ TYP<br />

1 11. Mai Bologna > Santurio di San Luca 8,2 km Einzelzeitfahren<br />

2 12. Mai Bologna > Fucecchio 200 km flach<br />

3 13. Mai Vinci > Orbetello 219 km flach<br />

4 14. Mai Orbetello > Frascati 228 km Bergankunft<br />

5 15. Mai Frascati > Terracina 140 km flach<br />

6 16. Mai Cassino > San Giovanni Rotondo 233 km Mittelgebirge<br />

7 17. Mai Vasto > L’Aquila 180 km Mittelgebirge<br />

8 18. Mai Tortoreto Lido > Pesaro 235 km flach<br />

9 19. Mai Riccione > San Marino 34,7 km Einzelzeitfahren<br />

20. Mai Ruhetag<br />

10 21. Mai Ravenna > Modena 147 km flach<br />

11 22. Mai Carpi > Novi Ligure 206 km flach<br />

12 23. Mai Cuneo > Pinerolo 146 km hügelig, Finale flach<br />

13 24. Mai Pinerolo > Ceresole Reale 188 km Hochgebirge<br />

14 25. Mai Saint-Vincent > Courmayeur 131 km Hochgebirge<br />

15 26. Mai Ivrea > Como 237 km Mittelgebirge<br />

27. Mai Ruhetag<br />

16 28. Mai Lovere > Ponte di Legno 226 km Hochgebirge<br />

17 29. Mai Commezzadura > Anterselva/Antholz 180 km Hochgebirge<br />

18 30. Mai Valdaora/Olang > Santa Maria di Sala 220 km flach<br />

19 31. Mai Treviso > San Martino di Castrozza 151 km Hochgebirge<br />

20 1. Juni Feltre > Croce d’Aune 193 km Hochgebirge<br />

21 2. Juni Verona > Verona 15,6 km Einzelzeitfahren<br />

DIE GIRO-ANWÄRTER<br />

KOPF AN KOPF<br />

Wir vergleichen die drei Anwärter auf den Giro-Sieg anhand ihrer Rundfahrt-Ergebnisse.<br />

VINCENZO NIBALI<br />

Alter: 34<br />

Profijahre: 15<br />

Siege: 51<br />

Grand-Tour-Siege: 4<br />

2./3. Grand Tour: 5<br />

Paris–Nizza: 21.<br />

Tirreno–Adriatico: 1.<br />

Katalonien-Rundf.: 56.<br />

Baskenland-Rundf.: 9.<br />

Tour de Romandie: 5.<br />

Dauphiné: 7.<br />

Tour de Suisse: DNF<br />

TOM DUMOULIN<br />

Alter: 28<br />

Profijahre: 8<br />

Siege: 21<br />

Grand-Tour-Siege: 1<br />

2./3. Grand Tour: 2<br />

Paris–Nizza: 12.<br />

Tirreno–Adriatico: 4.<br />

Katalonien-Rundf.: DNF<br />

Baskenland-Rundf.: 29.<br />

Tour de Romandie: 5.<br />

Dauphiné: N/A<br />

Tour de Suisse: 3.<br />

SIMON YATES<br />

Alter: 26<br />

Profijahre: 7<br />

Siege: 16<br />

Grand-Tour-Siege: 1<br />

2./3. Grand Tour: 0<br />

Paris–Nizza: 2.<br />

Tirreno–Adriatico: N/A<br />

Katalonien-Rundf.: 4.<br />

Baskenland-Rundf.: 5.<br />

Tour de Romandie: 2.<br />

Dauphiné: 5.<br />

Tour de Suisse: k. A.<br />

IN FÜH-<br />

RUNG<br />

Vor seiner Phase im Rosa Trikot<br />

beim Giro 2018 und seinem<br />

Vuelta-Sieg hatte Simon Yates<br />

erst zwei Tage Erfahrung im<br />

Führungstrikot einer Rundfahrt.<br />

13<br />

12<br />

11<br />

10<br />

9<br />

8<br />

7<br />

6<br />

5<br />

4<br />

3<br />

2<br />

1<br />

TOUR DE ROMANDIE 2017<br />

PARIS–NIZZA 2018<br />

GIRO D’ITALIA<br />

VUELTA A ESPAÑA<br />

42 PROCYCLING | MAI 2019


I I<br />

PRÄSENTIERT<br />

DAS EINZIGE OFFIZIELLE<br />

PROGRAMM ZUR<br />

TOUR DE FRANCE<br />

DIE ETAPPEN<br />

OFFIZIELLES PROGRAMM<br />

TOUR DE FRANCE 2019<br />

Alle Infos zu jedem Renntag – mit<br />

Karten, Marschtabellen & Höhenprofilen<br />

DIE TEAMS<br />

Die Analyse von Thomas Voeckler –<br />

ihre Fahrer, ihre Stärken, ihre Ziele<br />

DIE FAVORITEN<br />

Thomas, Froome, Dumoulin, Quintana –<br />

welcher Topstar holt sich den Toursieg?<br />

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44 PROCYCLING | MAI 2019


ABFLUG<br />

In sechs Monaten des letzten Jahres hat<br />

Pascal Ackermanns Sprinterkarriere spektakuläre<br />

neue Höhen erreicht, und nun ist er bei Bora<br />

der schnelle Mann für den Giro d’Italia.<br />

Kann Deutschlands jüngster Sprintstar<br />

seinen unaufhaltsamen Aufstieg fortsetzen?<br />

Text Alasdair Fotheringham<br />

Fotografie Ian Walton<br />

MAI 2019 | PROCYCLING 45


PASCAL ACKERMANN<br />

© BettiniPhoto<br />

ren ist, geschweige denn gewonnen hat. Und es<br />

ist auch nicht so, dass die deutsche Öffentlichkeit<br />

keine Zeit gehabt hätte, sich an Erfolg zu gewöhnen:<br />

In letzterer Kategorie haben die drei Topsprinter<br />

Marcel Kittel, John Degenkolb und André Greipel<br />

in den letzten rund zehn Jahren zusammen<br />

53 Etappensiege eingefahren.<br />

Warum also die ganze Aufregung im Flughafen<br />

von Frankfurt? Ganz einfach: Pascal Ackermanns<br />

sehr erfolgreiches zweites Jahr als Fahrer auf Topniveau.<br />

Er holte 2018 sechs Siege in der World-<br />

Tour, darunter zwei Etappen in Polen, eine Etappe<br />

der Tour de Romandie, eine der Dauphiné, eine<br />

Etappe der Tour of Guangxi und das RideLondon-<br />

Surrey Classic – Letzteres, obwohl er mitten im<br />

Rennen gestürzt war und die zweite Hälfte des<br />

Rennens auf dem Rad eines Teamkollegen fuhr.<br />

Ebenso eindrucksvoll, wenn auch auf HC-Ebene,<br />

waren Ackermanns zwei Siege bei schweren Eintagesrennen<br />

an einem einzigen Wochenende: das<br />

Brussels Cycling Classic (früher Paris–Brüssel)<br />

und der GP Fourmies.<br />

Es ist eine Weile her, seit der Bürgermeister seines<br />

Heimatorts Minfeld beschloss, Ackermann<br />

habe es verdient, dass eine Straße nach ihm benannt<br />

werde, selbst wenn Ackermann sich zu<br />

betonen beeilte, dass es eigentlich nur ein Weg<br />

gegenüber dem Haus seiner Eltern sei. Aber für<br />

as erste Mal, dass ich feststellte, welch großen<br />

Einfluss Pascal Ackermann auf den deutschen<br />

Radsport hat, befand sich keiner von uns auch nur<br />

annähernd im Bereich seiner Lieblingsjagdgründe:<br />

den Massensprints. Wir waren nicht einmal in der<br />

Nähe eines Radrennens. Auf dem Weg zur Polen-<br />

Rundfahrt im letzten Jahr hatte ich einen Anschlussflug<br />

in Frankfurt. Während ich wartete,<br />

tauchte ein mittelgroßer blonder Typ Mitte zwanzig<br />

in einem Bora-Trainingsanzug auf, dem eine<br />

Gruppe etwas beschwipster männlicher deutscher<br />

Fans mittleren Alters folgte, die alle aus vollem<br />

Halse „Ack-er-mann! Ack-er-mann!“ brüllten.<br />

Die spontane Bruderschaft versammelte sich<br />

dann um ihren Helden (der einfach höflich lächelte<br />

und sie gewähren ließ), als er inmitten einer<br />

Woge von herzhaftem teutonischen Gelächter,<br />

Schulterklopfen, geschrienen Unterhaltungen,<br />

Gruppenfotos und Selfies wartete.<br />

‚Wenn sie doch nur die Klappe halten würden‘,<br />

dachte ich damals. Aber 48 Stunden später wurde<br />

mir klar, warum diese Fans so enthusiastisch waren.<br />

Ackermann fuhr nicht nur auf der ersten<br />

Etappe der Polen-Rundfahrt, sondern auch auf<br />

der zweiten souverän zum Sieg.<br />

Noch verblüffender an seiner wachsenden Popularität<br />

ist, dass Ackermann noch kein einziges Monument<br />

und noch keine Grand-Tour-Etappe gefahdas<br />

breitere deutsche Publikum war Ackermanns<br />

Durchbruch die deutsche Meisterschaft 2018, als<br />

er Degenkolb im Sprint einer 20-köpfigen Gruppe<br />

schlug. André Greipel, der selbst dreimal deutscher<br />

Meister war, und Marcel Kittel ließ er ebenfalls<br />

hinter sich.<br />

Es stimmt, dass die letztjährigen deutschen<br />

Meisterschaften auf einem komplett flachen Kurs<br />

für einen Massensprint prädestiniert waren. Aber<br />

wie Ackermann <strong>Procycling</strong> erzählt, kam der Moment,<br />

wo es 2018 bei ihm „Klick“ machte, als<br />

seine Siegchancen viel geringer waren.<br />

„Es war die Etappe der Dauphiné, die ich gewonnen<br />

habe, die eigentlich keine Etappe war, wo<br />

ich dachte, dass sie mir liegt, weil sie so viele Anstiege<br />

hatte“, sagt er. „Aber ich hatte wirklich hart<br />

trainiert und im Winter ein paar Kilo abgenommen,<br />

weil ich beschlossen hatte, dass ein Etappensieg<br />

bei der Dauphiné das ideale Ziel für 2018<br />

für mich war. Aber das war, bevor ich das Profil<br />

des Rennens gesehen und erkannt hatte, dass es<br />

keine Etappen für einen Massensprint gibt.“<br />

Ackermanns Serie von Siegen im Sommer war<br />

auch der Tatsache zu verdanken, dass Bora–hansgrohe<br />

ihm nach und nach eine solide Gruppe von<br />

Arbeitern an die Seite gestellt hat. Dieser Prozess<br />

begann im Frühjahr 2018, als er anfing, viele<br />

zweite und dritte Plätze einzufahren, darunter vor<br />

allem ein zweiter Platz beim Scheldeprijs im April<br />

hinter einem anderen jungen Sprinter, Fabio Jakobsen<br />

von Deceuninck–Quick-Step.<br />

„Es war, als hätten wir ein Team um mich mit<br />

Rudy [Rüdiger Selig], Schilly [Andreas Schillinger]<br />

und [Michael] Schwarzmann geschaffen, all die<br />

Deutschen“, sagt er. „Sie haben mir gezeigt, wie<br />

man Energie spart, sich aus dem Wind hält und<br />

im Feld nach vorne fährt. Das war mein größter<br />

Schritt nach vorn im Frühjahr.“<br />

Er fügt hinzu: „Es war wie ein kleines Team<br />

und wir hatten viel Spaß. Dann haben wir bei der<br />

Romandie den ersten Sieg gefeiert und dachten,<br />

jetzt geht es los. Wir waren immer motivierter,<br />

und dann ging es einfach immer weiter. Aber erst<br />

gegen Ende der Saison, als ich ohne Mobiltelefon<br />

und ohne Ablenkungen im Wohnmobil durch Ka-<br />

Ackermann sagt, dass sein Bora-Team<br />

großen Anteil an seinen Erfolgen hat,<br />

darunter sein Sieg beim RideLondon 2018.<br />

46 PROCYCLING | MAI 2019


PASCAL ACKERMANN<br />

„ALLE SCHAUEN, WAS PETER<br />

MACHT. ICH BIN GAR NICHT<br />

AUF DEM RADARSCHIRM.<br />

ABER SO IST ES MIR LIEBER.“<br />

ALLES IN DER FAMILIE<br />

191<br />

DEUTSCHE ETAPPENSIEGE<br />

VUELTA<br />

A<br />

ESPAÑA<br />

68<br />

GIRO<br />

D’ITALIA<br />

35<br />

TOUR<br />

DE<br />

FRANCE<br />

88<br />

lifornien fuhr, wurde mir wirklich bewusst, was<br />

es für eine Saison gewesen war.“<br />

Wenn die Anzahl und Qualität der Siege beeindruckend<br />

war, so war es auch ihre Vielseitigkeit.<br />

Der wohl komplizierteste und spektakulärste war,<br />

als Ackermann bei der Polen-Rundfahrt in der Industriestadt<br />

Kattowitz auf der zwei Kilometer langen,<br />

schnurgeraden Abfahrt, die einer geneigten<br />

Landebahn ähnelte, im Zickzack zu einem zweiten<br />

Sieg im Massensprint fuhr. Im Gelben Trikot des<br />

Spitzenreiters überflügelte er mit Alvaro Hodeg einen<br />

weiteren vielversprechenden Youngster.<br />

„Das Witzige ist, dass Christian [Pömer], unser<br />

Sportlicher Leiter, vorher sagte, dass es nicht<br />

möglich sei, dass ein Topsprinter gewinne, weil es<br />

nur aus einer normalerweise wirklich schlechten<br />

Position heraus gehe“, sagt Ackermann. „Als wir<br />

auf das abschüssige Stück kamen, war ich an<br />

zweiter Stelle und dachte: ‚Shit, ich habe eine zu<br />

gute Position.‘ Also wartete ich, und glücklicherweise<br />

attackierten diese vier Jungs und ich dachte:<br />

‚Okay, jetzt ist es besser, jetzt muss ich gehen.’<br />

Aber als ich beschleunigte, führte kein Weg durch<br />

die Linie vor mir. Ich sah nur eine kleine Lücke,<br />

und da musste ich durch.“ Das passierte alles bei<br />

rund 90 km/h, erzählt er. „Es ist zu gefährlich“,<br />

schlussfolgerte Ackermann sehr sachlich – nicht,<br />

dass es ihn vom Gewinnen abgehalten hätte …<br />

Ackermanns Fähigkeiten könnten teils an seiner<br />

Familiengeschichte liegen: Sie ist vom Radsport<br />

durchdrungen. „Sie waren alle Amateurradsportler“,<br />

sagt er. „Meine Mutter, meine Schwestern,<br />

mein Vater, mein Bruder, meine beiden Großväter<br />

… Deswegen musste ich es machen. Ich habe<br />

versucht, gut im Fußball zu sein, aber ich hatte<br />

zwei linke Füße, also habe ich mit Radsport weitergemacht.“<br />

Er erinnert sich: „Mein erstes Rennen war ein<br />

kleines. Ich war erst fünf oder sechs und meine<br />

Eltern hatten eine Überraschung für mich und<br />

sagten mir, dass ich starten könne. Ich habe angefangen<br />

zu weinen, weil der Druck zu groß war,<br />

um wirklich ein Rennen zu fahren. Nachher habe<br />

ich eine Trophäe bekommen, eine kleine, und von<br />

da an wollte ich Rennen gewinnen.“<br />

In Rheinland-Pfalz groß zu werden, war ideal<br />

für einen Sprinter wie Ackermann. Ohne viele<br />

Berge in der Gegend, waren die örtlichen Juniorenrennen<br />

fast alle Kriterien. Aber trotz des weitgehend<br />

flachen Terrains bevorzugte Ackermann<br />

immer Massensprints, denen ein paar Anstiege<br />

oder Kopfsteinpflaster vorausgingen, sagt er – eine<br />

Vorliebe, dank der er ein Jahrzehnt später bereits<br />

einige Beinahe-Erfolge bei Halbklassikern und<br />

eben diese Siege beim GP Fourmies und dem neuen<br />

Paris–Brüssel errungen hat.<br />

Was es in den frühen Jahren an Rückschlägen<br />

gab, wurde ausgeglichen durch viele Quellen der<br />

Inspiration für den jungen Ackermann, um weiter<br />

Rennen zu fahren. Jeden Sommer sah er die Profis<br />

vorbeirollen bei der (mittlerweile eingegangenen)<br />

Rheinland-Pfalz-Rundfahrt. „Ich habe immer<br />

noch einen riesigen Sack von Trinkflaschen und<br />

Kappen von dem Rennen zu Hause“, sagt er. Und<br />

seine Familie fuhr auch eine Woche Zelten zur<br />

Tour de France, um die deutschen Helden der Ära,<br />

Erik Zabel und Jan Ullrich, anzufeuern. Aber der<br />

Youngster jubelte vor allem dem Kletterer der<br />

1990er zu, Udo Bölts, der wie Ackermann aus<br />

Rheinland-Pfalz stammt.<br />

Rheinland-Pfalz mag gut für Sprinter gewesen<br />

sein, aber selbst 20 Jahre nach dem Mauerfall<br />

zahlte Ackermann einen Preis für die lange Teilung<br />

zwischen Westdeutschland, wo die Radsportinfrastruktur<br />

schwach war … und ist, wie er<br />

sagt –, und Ostdeutschland, traditionell die Radsporthochburg<br />

der Nation.<br />

„Vor ein paar Jahren kamen alle deutschen Profis<br />

aus dem Osten, und jetzt sind sie alle aus dem<br />

Westen, wie ich. Wir denken meistens, dass der<br />

Osten ein bisschen von der alten Schule ist und<br />

MAI 2019 | PROCYCLING 47


PASCAL ACKERMANN<br />

PASCAL ACKERMANN:<br />

DIE GRÖSSTEN RESULTATE<br />

1.<br />

2.<br />

© Yuzuru Sunada<br />

1. PLATZ<br />

Etappe Tour de Romandie<br />

2018<br />

Etappe Critérium du Dauphiné<br />

2018<br />

Deutsche Straßenmeisterschaft<br />

2018<br />

RideLondon-Surrey Classic<br />

2018<br />

Etappe Tour de Pologne 2018 (2)<br />

Brussels Cycling Classic 2018<br />

GP de Fourmies 2018<br />

Etappe Tour of Guangxi 2018<br />

Clásica de Almería 2019<br />

2. PLATZ<br />

Etappe Tour of Estonia 2015,<br />

2016<br />

Drei Tage von De Panne<br />

Koksijde 2018<br />

Scheldeprijs 2018<br />

Etappe Deutschland Tour 2018<br />

Etappe Tour of Guangxi 2018 (3)<br />

Nokere Koerse 2019<br />

3. PLATZ<br />

Münsterland Giro 2016<br />

Etappe Tour of Guangxi 2017<br />

Etappe Abu Dhabi Tour<br />

2018 (2)<br />

Handzame Classic 2018<br />

Etappe Critérium du Dauphiné<br />

2018<br />

Etappe Volta ao Algarve 2019<br />

4. PLATZ<br />

Tour of Estonia 2016<br />

Deutsche Straßenmeisterschaft<br />

2016<br />

Drei Tage von De Panne 2017<br />

Europäische Straßenmeisterschaft<br />

2017<br />

Etappe Vuelta a San Juan 2018<br />

Etappe Tour de Pologne 2018<br />

Etappe Tour of Guangxi 2018<br />

Etappe Volta ao Algarve 2019<br />

5. PLATZ<br />

Scheldeprijs 2017<br />

Etappe Czech Cycling Tour 2017<br />

Münsterland Giro 2018<br />

3.<br />

4.<br />

5.<br />

Eintagesrennen<br />

Etappen<br />

48 PROCYCLING | MAI 2019


PASCAL ACKERMANN<br />

Ackermann siegte 2018 bei<br />

sechs WorldTour-Rennen, darunter<br />

bei dieser Dauphiné-Etappe.<br />

sie ihre jungen Fahrer übertrainierten, sodass sie<br />

verschlissen waren, als sie die U23 erreichten.<br />

Du kannst keine 100-Kilometer-Trainingsfahrten<br />

machen, wenn du 15 bist“, sagt Ackermann.<br />

„Aber im Osten haben sie tatsächlich immer noch<br />

ein besseres System für Radsport. Sie haben viele<br />

Radsportschulen und viele überdachte Bahnen.<br />

Im Westen gibt es nur eine wirkliche Radsportschule<br />

in Kaiserslautern – ich war da – und überhaupt<br />

keine überdachten Bahnen. Als Kind musste<br />

ich sechs Stunden fahren, um ins Velodrom zu<br />

kommen. Und es ist immer noch sehr schwer.“<br />

Man kann sich fragen, wie viele Talente einfach<br />

unentdeckt blieben aufgrund dieser chronischen<br />

Ungleichheit der Ressourcen, aber es gibt einen<br />

Hoffnungsschimmer am Ende des Tunnels, sagt<br />

Ackermann.<br />

„Die Deutschland Tour neu aufzulegen, hilft,<br />

und es wächst eine neue Generation von Fahrern<br />

wie Max Schachmann und Nils Politt nach. Außerdem<br />

kannst du spüren, dass die jüngeren Fahrer<br />

motivierter sind, Rennen zu fahren.“<br />

In Ackermanns Fall wurde seine Sprinterkarriere<br />

durch eine lange Zeit als Bahnfahrer vorangebracht:<br />

Er gewann Gold im Teamsprint bei der<br />

Junioren-Weltmeisterschaft 2011, wurde Omnium-Europameister<br />

der Junioren 2012 und hält<br />

diverse deutsche Titel.<br />

„Weil du keine Bremsen hast, brauchst du einen<br />

guten Blick für Manöver, und du übst permanent<br />

Sprinten im Scratch-Rennen“, sagt er, „Aber zu<br />

lernen, wie du dich gut positionierst, ist das<br />

Wichtigste von allem.“<br />

Ackermann verletzte sich 2011 am Knie und<br />

hatte das Gefühl, mit seinen Bahnkollegen nicht<br />

mehr mithalten zu können. Nach zwei schweren<br />

Jahren wechselte er daher zurück auf die Straße.<br />

Im Sommer 2016, als er den deutschen U23-Titel<br />

frisch auf seinen Palmarès gesetzt hatte und noch<br />

bevor er Silber bei der U23-Weltmeisterschaft in<br />

Katar holte, klopften die führenden Profiteams an<br />

seine Tür. Aber Ackermann hatte sich für 2017<br />

auf Bora festgelegt. Bei der Tour 2016 war sein<br />

Platz gesichert. „Es gab keinen weiteren Druck,<br />

Resultate zu holen“, sagt er. „Das Schwerste war,<br />

es geheim zu halten.“<br />

„VOR EIN PAAR JAHREN<br />

KAMEN ALLE DEUTSCHEN<br />

PROFIS AUS DEM OSTEN, UND<br />

JETZT SIND SIE ALLE AUS<br />

DEM WESTEN, WIE ICH.“<br />

Aber Sagan als Teamkollegen zu haben, hat tatsächlich<br />

Vorteile. „Er sucht dich vor oder nach<br />

einem Rennen immer auf, um mit dir zu besprechen,<br />

was man besser machen könnte“, sagt<br />

Ackermann. „In Hamburg im letzten Jahr, als ich<br />

stürzte, war er direkt hinter mir, und ich war<br />

wirklich enttäuscht, weil er an dem Tag für mich<br />

fahren wollte. Anschließend haben wir darüber<br />

geredet, wie ich im Finale entspannter bin und<br />

trotzdem meine Augen offen halte. Er war nicht<br />

sauer, weil ich gestürzt war, sagte mir sogar, dass<br />

er früher dieselben Fehler gemacht habe. Es war<br />

einfach seine Art, mich dazu zu bringen, aus meinen<br />

Fehlern zu lernen.“<br />

Einige mögen Nachteile sehen. Ackermann<br />

fährt ein weniger hochkarätiges Programm als<br />

Sagan. So stand beispielsweise Mailand–San<br />

Remo, ein Rennen, das ihm liegen sollte, nicht auf<br />

seinem Kalender. „Peter will es gewinnen“, erklärt<br />

Ackermann. „Aber ich fahre den Giro d’Italia, und<br />

das ist schon ein großer Schritt. Ich will nicht zu<br />

viele große Rennen hintereinander fahren – es ist<br />

besser, viele kleine zu fahren, als zu viel zu machen<br />

und zu riskieren, dass man für die ganze<br />

Saison erledigt ist.“<br />

Das leitet elegant über zu dem heiklen Thema,<br />

dass Bora–hansgrohe nicht zwei Spitzensprinter,<br />

sondern drei in seinen Reihen hat: Ackermann,<br />

Sa gan und Sam Bennett. Es ist nur logisch, dass<br />

weder Ackermann noch Bennett infrage stellen, dass<br />

Sagan bei der Tour de France Priorität hat. Doch der<br />

Ire äußerte öffentlich seine Enttäuschung darüber,<br />

von Bora nicht wieder mit zum Giro genommen zu<br />

werden, nachdem er dort 2018 drei Etappen gewonnen<br />

hatte. Stattdessen startet Ackermann.<br />

Man muss Ackermann zugutehalten, dass er<br />

nicht den abgedroschenen Spruch wiederholt, so<br />

viele Topnamen zu haben, sei ein Luxus, kein<br />

Problem. Stattdessen liefert er eine stichhaltige<br />

Analyse einer komplexen Situation.<br />

„Sam hat gesagt: ‚Ich will dies, das und jenes<br />

fahren‘, und ich habe gesagt: ‚Ich will dies, das<br />

und jenes fahren.‘ Natürlich war es die Entscheidung<br />

des Teams, wer was fährt. Und niemand war<br />

Der junge Pfälzer ist einer von<br />

drei Topsprintern im Bora-Stall.<br />

EIN TRIO VON SPRINTTALENTEN<br />

Einer der naheliegenden Vorzüge von Bora–hansgrohe,<br />

so Ackermann, ist der relativ geringe Druck.<br />

Das Interesse ruht größtenteils auf den breiten<br />

Schultern von Peter Sagan, sodass die anderen<br />

Fahrer weniger im Rampenlicht stehen. „Alle<br />

schauen, was Peter macht. Ich bin gar nicht auf<br />

dem Radarschirm“, sagt er. „Aber so ist es mir lieber,<br />

weil ich kein Typ bin, der gerne im Mittelpunkt<br />

steht – ich mache das, weil es mir Spaß macht.“<br />

MAI 2019 | PROCYCLING 49


PASCAL ACKERMANN<br />

© Getty Images<br />

50 PROCYCLING | MAI 2019


PASCAL ACKERMANN<br />

DIE DEUTSCHEN<br />

SPRINTER<br />

Pascal Ackermann ist der jüngste in einer langen Reihe deutscher<br />

Sprinter. Wir schauen uns seine Vorfahren an.<br />

RUDI ALTIG<br />

Profilaufbahn: 1960–1971<br />

Tour-Etappensiege: 8 Giro-Etappensiege: 4<br />

Vuelta-Etappensiege: 6<br />

Altig war mehr als nur ein Sprinter, auch bei Klassikern und im Zeitfahren<br />

war er stark: Abgesehen von acht Tour-Etappen entschied er<br />

Mailand–San Remo, Flandern, die WM und sogar die Vuelta für sich.<br />

MARCEL WÜST<br />

Profilaufbahn: 1988–2001<br />

Tour-Etappensiege: 1 Giro-Etappensiege: 1<br />

Vuelta-Etappensiege: 12<br />

Als deutscher Rekordhalter bei Vuelta-Tagessiegen gelang Wüst<br />

auch das seltene Kunststück, im Bergtrikot einen Tour-Massensprint<br />

zu gewinnen.<br />

OLAF LUDWIG<br />

Profilaufbahn: 1990–1996<br />

Tour-Etappensiege: 3 Giro-Etappensiege: 0<br />

Vuelta-Etappensiege: 0<br />

Ludwig konnte erst Profi werden, nachdem die Mauer gefallen war.<br />

Bei seiner ersten Tour holte er sich das Grüne Trikot, außerdem<br />

gewann er Amstel Gold und E3 Harelbeke.<br />

zufrieden damit“, sagt er. „Ich würde<br />

gerne dieses Rennen fahren, Bennett<br />

würde gerne dieses Rennen fahren,<br />

wir mussten alle Kompromisse machen.<br />

Es ist nicht leicht mit drei<br />

Jungs, aber man kann es schaffen.“<br />

Später weist er darauf hin, dass<br />

Bennett wahrscheinlich die Vuelta<br />

a España bestreiten wird und man<br />

sich so die großen Rundfahrten teilt,<br />

obwohl man sich fragen muss, was<br />

passiert, wenn Sagan sich entscheidet,<br />

dort wieder anzutreten wie<br />

2018. Ackermann gibt zu: Dass<br />

Bora so viele Spitzensprinter hat,<br />

dürfte langfristig nicht funktionieren.<br />

„Eines Tages wird es ein Problem<br />

geben. Einer wird sagen: ‚Okay,<br />

ich verlasse das Team, weil ich dieses<br />

Rennen fahren will.‘“<br />

Aber er hat unmittelbarere Sorgen<br />

wie, beim Giro gut zu fahren, wo<br />

seine Ziele zumindest auf dem Papier<br />

bescheiden wirken: „Ein Etappensieg<br />

und das Rennen zu Ende<br />

zu fahren. Ich glaube, für die Rennen,<br />

die danach kommen, und um<br />

insgesamt auf ein höheres Niveau<br />

zu kommen, ist es wirklich wichtig,<br />

meine erste große Rundfahrt zu<br />

Ende zu fahren.“<br />

Ackermann würde bei seinem<br />

Grand-Tour-Debüt gerne eine<br />

Giro-Etappe gewinnen.<br />

Im deutschen Meistertrikot<br />

startete Ackermann mit einem<br />

Sieg in Almería in die Saison 2019.<br />

In technischer Hinsicht könnten<br />

die hügeligeren Sprintetappen des<br />

Giro, verglichen mit den konventionelleren<br />

der Tour, Ackermann zugutekommen.<br />

Tatsächlich gibt es viele Gründe<br />

zu glauben, dass der Giro Deutschland<br />

– und dem Radsport – mit<br />

Ackermann einen neuen Sprintstar<br />

liefern könnte. Und der Bora-Fahrer<br />

kommt an einem Punkt, wo die Fragezeichen<br />

hinter Kittels, Degenkolbs<br />

und Greipels Fähigkeit, weiter Siege<br />

wie am Fließband zu produzieren,<br />

größer denn je sind. Aber obwohl die<br />

Vorzeichen gut sind für den 25-Jährigen<br />

– ob Ackermann sich in der<br />

größten Sprintarena behaupten<br />

kann, bleibt abzuwarten. Die Italien-<br />

Rundfahrt im Mai sollte erste Antworten<br />

liefern.<br />

ERIK ZABEL<br />

Profilaufbahn: 1993–-2008<br />

Tour-Etappensiege: 12 Giro-Etappensiege: 0<br />

Vuelta-Etappensiege: 8<br />

Der schnelle und elegante Sprinter Zabel siegte viermal in San Remo,<br />

gewann Paris–Tours und Amstel Gold. Konstant gute Ergebnisse<br />

brachten ihm sechs Grüne Trikots bei der Tour ein – Rekord.<br />

ANDRÉ GREIPEL<br />

Profilaufbahn: 2005–heute<br />

Tour-Etappensiege: 11 Giro-Etappensiege: 7<br />

Vuelta-Etappensiege: 4<br />

Greipel gehört zu den erfolgreichsten und konstantesten Sprintern<br />

der Gegenwart. Nach seiner ersten Tour-Etappe 2011 gewann er bis<br />

2016 mindestens eine pro Jahr.<br />

MARCEL KITTEL<br />

Profilaufbahn: 2011–heute<br />

Tour-Etappensiege: 14 Giro-Etappensiege: 4<br />

Vuelta-Etappensiege: 1<br />

Kittel hält den modernen Rekord von Siegen in seiner Debüt-Saison<br />

mit ganzen 17, darunter fünf auf WorldTour-Level. Bei der Tour war er<br />

mit fünf Tagessiegen 2017 und vier 2013 sowie 2014 sehr erfolgreich.<br />

JOHN DEGENKOLB<br />

Profilaufbahn: 2011–heute<br />

Tour-Etappensiege: 1 Giro-Etappensiege: 1<br />

Vuelta-Etappensiege: 10<br />

Degenkolb ist ein Sprinter mit Stärken bei den Klassikern und als Allrounder.<br />

Er hält Titel bei San Remo und Roubaix und gewann 2018 die<br />

schwere Tour-Etappe dort. Besonders erfolgreich war er bei der Vuelta.<br />

© Getty Images (Sprinter), Graham Watson (Ludwig), Pete Goding (Greipel)<br />

MAI 2019 | PROCYCLING 51


Der Giro d’Italia weckt Emotionen wie kein<br />

anderes Rennen. Um seinen tieferen Gehalt<br />

zu verstehen, hat <strong>Procycling</strong> mit Fahrern,<br />

Mitarbeitern und Journalisten gesprochen,<br />

die die Corsa Rosa besonders gut kennen.<br />

Text Sam Dansie<br />

© Kramon<br />

52 PROCYCLING | MAI 2019


„NINO DEFILIPPIS TRINK-<br />

FLASCHE VOM GIRO WAR<br />

MEINE WERTVOLLSTE HABE“<br />

„DER GIRO<br />

WAR EINE<br />

UNERWIDER-<br />

TE LIEBE“<br />

BRUNO<br />

REVERBERI<br />

Eigentümer von<br />

Bardiani-CSF<br />

Brett Lancaster<br />

holt für Ceramica<br />

Panaria (heute Bardiani-CSF)<br />

2005<br />

eine Giro-Etappe.<br />

Der Giro, der mir Tränen in die Augen getrieben hat, war,<br />

als Brett Lancaster für uns den Prolog in Kalabrien 2005<br />

gewonnen hat. Es war der erste Giro der ProTour-World-<br />

Tour-Ära, und alle haben vorhergesagt, dass er der Tod des Teams<br />

sein würde. Man darf nicht vergessen, dass ich 1982 bei meinem<br />

ersten Giro war, und keiner meiner Fahrer hatte je die Maglia Rosa<br />

getragen. Die Leute hatten Carmine Castellano, den Renndirektor,<br />

dafür kritisiert, dass er uns eingeladen hatte. Sie sagten, wir<br />

seien nicht konkurrenzfähig, aber das waren wir. Dann haben wir<br />

später mit Luca Mazzanti eine weitere Etappe gewonnen, und<br />

seitdem gewinnen wir – wir haben 28 Etappen des Giro d’Italia<br />

gewonnen, und das ist, wenn man darüber nachdenkt, eine ganz<br />

schöne Leistung.<br />

Der andere war der Giro 1959, als ich 16 war. Ich hatte den<br />

Radsport immer geliebt, aber ich hatte gerade begonnen, Rennen<br />

zu fahren, und war hingerissen. Die 3. Etappe ging von Salsomaggiore<br />

Terme nach Abetone und sie führte durch Reggio Emilia,<br />

meine Heimatstadt. In der Nähe war eine Verpflegungsstation,<br />

und ich weiß noch, wie ich dachte, dass ich ein paar Souvenirs<br />

abstauben kann, wenn ich dort hingehe.<br />

Ich hatte mich dort hingestellt in der Hoffnung, dass einer der<br />

Betreuer mir etwas geben würde oder dass einer der Champions<br />

etwas wegwerfen würde und ich Glück hätte. Nino Defilippis, der<br />

ein sehr großer Champion war, warf seine Trinkflasche weg, und<br />

ich schnappte sie mir und bin nach Hause und freute mich wie<br />

ein Schneekönig. Ich bin nach Hause und habe es allen erzählt,<br />

egal, ob sie es hören wollten oder nicht. Es war nur eine Trinkflasche,<br />

aber es war meine wertvollste Habe, weil sie mich mit Defilippis<br />

und dem Giro verband. Ich benutzte sie jedes Mal, wenn ich<br />

ein Rennen fuhr.<br />

CARMINE<br />

CASTELLANO<br />

Ehemaliger Giro-Direktor<br />

Meine bleibende Erinnerung an<br />

den Giro – und wahrscheinlich<br />

meine schönste Erinnerung – ist<br />

wohl 1949. Ich zwar zwölf Jahre alt und<br />

wuchs in Sorrent [an der Bucht von Neapel]<br />

auf, und wie alle anderen war ich verrückt<br />

nach Radsport. Wir hatten Coppi<br />

und Bartali, aber es gab keinen Fernseher,<br />

und das Rennen fand größtenteils im Norden<br />

statt. Bestenfalls konnte man hoffen,<br />

sie in der Wochenschau im Kino zu sehen,<br />

aber das dauerte nur zwei Minuten. Wie<br />

alle Kinder in der Schule wollte ich sie unbedingt<br />

in natura sehen, und ich träumte<br />

davon, dass sie eines Tages nach Sorrent<br />

kommen würden.<br />

Ich erinnere mich, wie ich darauf wartete,<br />

dass die Giro-Route vorgestellt wurde<br />

in der Hoffnung, sie sehen zu können,<br />

aber es war aussichtslos. Es gab eine<br />

Etappe von Salerno nach Neapel, aber das<br />

war an einem Donnerstag. Wir waren in<br />

der Schule.<br />

Es war diese unerwiderte Liebe, und je<br />

unmöglicher es schien, desto mehr schien<br />

die Liebe zu wachsen. Während des Giro<br />

stand ich morgens auf, rannte die Straße<br />

runter, um die Zeitungen zu kaufen. Ich<br />

las, so viel ich konnte, vor der Schule und<br />

ging dann los. In Wirklichkeit warteten<br />

meine Freunde und ich nur darauf, dass<br />

die Schule aus war. Um ein Uhr läutete<br />

die Glocke und ich rannte nach Hause,<br />

so schnell ich konnte. Die Radioübertragung<br />

begann nach den Nachrichten … Ich<br />

hörte zu, während ich zu Mittag saß, und<br />

hörte weiter bis zum Ende. Dann kamen<br />

die Abendzeitungen raus, und die verschlang<br />

ich genauso.<br />

© BettiniPhoto (Reverberi), Yuzuru Sunada (Castellano), Sirotti<br />

MAI 2019 | PROCYCLING 53


GIRO D’ITALIA<br />

© Yuzuru Sunada (Dupont), Gruber Images (Gruber), Tim de Waele/Getty Images<br />

HUBERT<br />

DUPONT<br />

Der AG2R-La<br />

Mondiale-Fahrer<br />

kam siebenmal<br />

in die Top 20<br />

Der Franzose<br />

ist ein erfahrener<br />

Giro-Teilnehmer<br />

und<br />

zieht das Rennen<br />

der Tour<br />

de France vor.<br />

„DIE STEILEREN<br />

ANSTIEGE DES GIRO<br />

LIEGEN MIR MEHR“<br />

Meine erste Begegnung mit den italienischen Rennen waren<br />

der Giro della Valle d’Aosta und der U23-Giro. Tatsächlich<br />

gab mir der „Baby Giro“ die Möglichkeit, Profi<br />

zu werden – ich gewann dort 2004 eine Etappe. Da habe ich mich<br />

in Italien verliebt – es fing an, als ich Amateur war, und ging weiter,<br />

als ich Profi war. Auch war der Giro d’Italia meine erste große<br />

Rundfahrt, die ich 2006 als Profi fuhr. Ich habe in dem Jahr auf<br />

einer Etappe den vierten Platz belegt, was eine meiner schönsten<br />

Erinnerungen an das Rennen ist.<br />

Ich ziehe den Giro anderen großen Rundfahrten vor, weil er<br />

besser zu meinen physischen Qualitäten passt. Bei der Tour hast<br />

du sehr lange Power-Anstiege, aber ich bin besser auf steilerem<br />

Terrain. Ich bin gut über drei Wochen, was heißt, dass ich einen<br />

guten Platz in der Gesamtwertung belegen kann, und ich bin einer<br />

der Letzten, der auf Bergetappen zurückfällt.<br />

Meine anderen Eindrücke und Erinnerungen an das Rennen<br />

haben weniger mit Resultaten zu tun. Ich erinnere mich, dass ich<br />

bei dem Rennen 2014 im Schnee über das Stilfser Joch geklettert<br />

bin. Für mich war es ein echtes Bild des Giro: ein gewaltiger Berg<br />

und kapriziöses Wetter. Ich erinnere mich auch, dass ich einen<br />

Reifenschaden hatte und im Mannschaftswagen auf ein neues<br />

Laufrad wartete, mich umschaute und feststellte, dass wir in einer<br />

wunderschönen Landschaft waren, in einem Nationalpark.<br />

Es ist das einzige Rennen, wo du Transfers per Boot hast oder auf<br />

einem anderen Kontinent startest. Du fährst bei einem langen<br />

Transfer durch einen Tunnel, und wenn du auf der anderen Seite<br />

rauskommst, sind die Landschaft und das Wetter ganz anders als<br />

da, wo du reingefahren bist. Es ist ein Rennen wie kein anderes.<br />

„DER GIRO<br />

ZEIGT DIE<br />

UREIGENE<br />

WÄRME DER<br />

ITALIENER“<br />

JERED GRUBER<br />

Fotograf<br />

Es war die 4. Etappe des Giro d’Italia<br />

2013. Wir waren weit im Süden, in<br />

Kalabrien. Meine Frau – und Fotografin<br />

– Ashley blieb in Soriano Calabro,<br />

um Aufnahmen zu machen. Ich war den<br />

Berg ein Stück mit dem Rad hochgefahren<br />

und hatte eine Stelle ausgesucht. Es war<br />

ein vermeintlich tolles Bild an einer fotogenen<br />

Haarnadelkurve, aber es wurde alles<br />

ruiniert von zwei lächerlichen Fans,<br />

die mit dem immer noch sehr großen Feld<br />

mitrannten. Ich war wütend. Ich bin aufgewühlt<br />

in die Stadt zurückgekehrt –<br />

überzeugt, dass das Ende der Welt nahe<br />

war und das verpasste Foto unser Untergang<br />

wäre oder so ähnlich. Dann sah ich<br />

Ashley lächeln und mir zuwinken. Sie<br />

nahm mich am Arm, und wir liefen durch<br />

ein Gewirr von Straßen, begleitet von einer<br />

lächelnden Familie. Wir kamen an eine<br />

Ecke. Ein Schlüssel gleitet ins Schloss und<br />

wir stehen in einem Frisiersalon. Der Barbier<br />

lässt mich Platz nehmen und seift<br />

mein Gesicht ein. An diesem Tag bekam<br />

ich nach einem frustrierenden Arbeitstag<br />

die erste und einzige richtige Messerrasur<br />

meines Lebens. Ich hatte jahrelang da -<br />

r über geredet und hätte wahrscheinlich<br />

noch jahrelang darüber geredet, dass ich<br />

eine haben will, aber Ashley hatte sich mit<br />

dieser Familie angefreundet und sie gebeten,<br />

den Salon nach dem Rennen für fünf<br />

Minuten aufzumachen. Ich fand mich mit<br />

dem Foto ab. Die Fans hatten es nicht ruiniert,<br />

nur die Erwartung, die ich davon in<br />

meinem Kopf hatte. Bis heute ist es eine<br />

meiner Lieblingserinnerungen daran,<br />

dass Ashley Ashley ist und die Italiener<br />

Italiener sind.<br />

54 PROCYCLING | MAI 2019


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GIRO D’ITALIA<br />

„DER GIRO WAR EIN ERLEBNIS,<br />

DAS MEINEN KÖRPER VERÄNDERTE“<br />

TAYLOR<br />

PHINNEY<br />

EF Education<br />

First, Giro-<br />

Etappensieger<br />

und Träger des<br />

Rosa Trikots 2012<br />

Für einen großen Fahrer wie mich ist der Giro einfach ein<br />

Fest des Leidens, aber auf eine gute Weise. Es gibt nicht<br />

viel, was man in drei Wochen machen kann, das einen physisch<br />

so sehr verändert wie der Giro. Der Giro 2012 war meine<br />

erste große Rundfahrt, die ich zu Ende gefahren bin, und er hat<br />

meinen Körper verändert. Er ist nie wieder in den Zustand zurückgekehrt,<br />

in dem er vorher war.<br />

Als ich bei Processo alla Tappa [die Analyse-Sendung des italienischen<br />

Fernsehens nach den Etappen] war, waren sie überrascht,<br />

dass ich Italienisch sprach, und das ohne diesen schrecklichen<br />

Akzent. Ich konnte den venezianischen Dialekt ein bisschen<br />

sprechen, und das hat sie beeindruckt, glaube ich. Es hat mir<br />

Spaß gemacht. Ich glaube, wenn man Italienisch versteht und<br />

versteht, wie es in Italien läuft, hat man mehr Geduld mit der Organisation<br />

und mehr Kontakt mit dem Publikum. Ich war nicht<br />

nur irgendein Fahrer, irgendein Renntier, das in den Ring geworfen<br />

wurde.<br />

Ich wollte meine erste große Rundfahrt unbedingt zu Ende<br />

fahren. Ich habe fünf Kilo verloren. Ich hatte diese radikale Transformation<br />

meines Körpers. Sie tischen dir diese megalangen Etappen<br />

auf, das Wetter ist unvorhersehbar, und auch, wie das Rennen<br />

gefahren wird … Die Tour ist so viel organisierter und für<br />

einen groß gewachsenen Fahrer generell leichter zu überleben als<br />

der Giro. Ich bin 60 Prozent des ersten Giro hinterhergefahren.<br />

Der Giro ist am härtesten.<br />

Phinney in Pink<br />

beim Giro 2012<br />

nach dem Sieg des<br />

Eröffnungszeitfahrens<br />

in Dänemark.<br />

© Gruber Images (Phinney), Tim de Waele/Getty Images<br />

56 PROCYCLING | MAI 2019


GIRO D’ITALIA<br />

„NACH EINER<br />

WOCHE WAR<br />

ICH AUF DEN<br />

GESCHMACK<br />

GEKOMMEN“<br />

ALBERTO CONTADOR<br />

Giro-Sieger 2008, 2015<br />

Beim Giro d’Italia war es Liebe auf<br />

den ersten Blick, als ich ihn 2008<br />

fuhr – zu dem Rennen und zum<br />

italienischen Radsport. Und das, obwohl<br />

Johan Bruyneel mich gezwungen hatte,<br />

ihn zu fahren. Ich war als Profi kaum in<br />

Italien gefahren, daher war der Giro ein<br />

Rennen, das ich kaum kannte. Innerhalb<br />

einer Woche war ich auf den Geschmack<br />

gekommen, was gut war, denn ich hatte<br />

meinem Team gesagt, dass ich nach einer<br />

Woche abreisen würde. Ich blieb, und<br />

dann blieb ich noch ein bisschen – bis<br />

Mailand. Das war auch wegen der Art, wie<br />

der Giro gefahren wurde und immer noch<br />

gefahren wird – sehr unstrukturiert, sehr<br />

intuitiv und sehr schwer zu kontrollieren.<br />

Das passte zu meinem Fahrstil, der genauso<br />

spontan ist. Außerdem ist der<br />

Druck von den Sponsoren beim Giro geringer<br />

als bei der Tour, was ein enormes<br />

Plus für die Fahrer ist. Das heißt, dass du<br />

es mehr genießen kannst. Und obendrein<br />

mag ich die Anstiege in den Dolomiten,<br />

besonders die Marmolata mit ihrer fantastischen<br />

Landschaft. Aber was mir am<br />

meisten gefallen hat, war, dass die Leute<br />

sehr warmherzig sind. Die Italiener leben<br />

das Rennen auf eine Weise, die ich bei den<br />

Franzosen und der Tour nicht festgestellt<br />

habe. Die Italiener reden immer darüber,<br />

und sie haben mich unglaublich unterstützt.<br />

Das hat mich 2008 angetrieben.<br />

Am Ende fand ich, dass sie mich mehr<br />

unterstützten als meine größten Rivalen<br />

– und einige ihrer einheimischen Fahrer.<br />

Contador siegte beim Giro<br />

2011 auf dem Ätna, doch das<br />

Ergebnis wurde später anulliert.<br />

© Tim de Waele/Getty Images, BettiniPhoto (Contador)<br />

MAI 2019 | PROCYCLING 57


GIRO D’ITALIA<br />

© BettiniPhoto (Farrand), Yuzuru Sunada (Konyshev), Tim de Waele/Getty Images<br />

„DER GIRO IST EINE<br />

METAPHER FÜR DAS LEBEN“<br />

STEPHEN<br />

FARRAND<br />

Journalist<br />

Beim Giro d’Italia<br />

ist das italienische<br />

Leben drei Wochen<br />

lang in seiner ganzen<br />

Fülle zu sehen.<br />

Ich liebe den Giro d’Italia, weil er viel mehr ist als nur ein<br />

Radrennen: Er ist eine sportliche Metapher für die unfehlbare<br />

Liebe der Italiener zum Leben in einem oft chaotischen Land.<br />

Niemand ist so enthusiastisch wie die italienischen Tifosi, die den<br />

Fahrern am Straßenrand in den Bergen mit den Armen zuwinken<br />

und sie anfeuern; niemand brennt so darauf, die Fahrer zu sehen,<br />

wie die Kinder im Süden.<br />

Das Frühjahr geht während des Giro in den Sommer über und<br />

bringt jeden Tag das Beste aus dem Land hervor. Wenn das Interesse<br />

an dem Rennen steigt, steigt auch die Zahl der Leute, die<br />

Rosa tragen.<br />

Der Giro ist ein dreiwöchiger Crashkurs in italienischer Kultur,<br />

Soziologie und natürlich Gastronomie. Ich habe schnell gelernt, es<br />

den italienischen Journalisten nachzumachen, die dem Giro mit<br />

einem Restaurantführer im Handschuhfach folgen, weil ein gutes<br />

Abendessen der einzige Moment ist, wo man nach einem langen<br />

Tag auf der Straße abschalten kann.<br />

Ich habe den Giro d’Italia 1994 das erste Mal als Journalist<br />

begleitet, wo er wie dieses Mal in Bologna startete. Marco Pantani<br />

hatte in jenem Jahr seinen Durchbruch und inspirierte eine ganze<br />

Generation von Tifosi vor seinem ikarusgleichen Sturz und tragischen<br />

Tod. Die Italiener warten auf den nächsten großen campione,<br />

aber werden jeden anfeuern, der in Bologna startet und in Verona<br />

ankommt. Das haben sie bei Froome im letzten Jahr<br />

gemacht, und sie werden es wieder tun.<br />

Ich kann es kaum abwarten, in diesem Jahr wieder dabei zu<br />

sein und die Kombination aus Corsa Rosa, La Dolce Vita, Mortadella,<br />

Maglia Rosa, Parmigiano, Lambrusco und großem Radsport<br />

zu genießen.<br />

„BEI MEINEM<br />

ERSTEN GIRO<br />

HATTE ICH<br />

NULL DRUCK“<br />

DIMITRI KONYSHEV<br />

Sportlicher Leiter Katusha Alpecin<br />

Ich bin den Giro in meinem ersten Jahr<br />

als Profi gefahren, 1989 für das Team<br />

Alfa Lum. Ich war Teil der ersten Welle<br />

von ehemaligen Sowjetfahrern im Profi-<br />

Peloton. Es war meine erste große Rundfahrt,<br />

deswegen habe ich immer versucht,<br />

in die Ausreißergruppe zu gehen, die<br />

Sprints zu bestreiten, alles zu machen. Ich<br />

fuhr wie ein Amateur in der Welt der Profis.<br />

Wenn du Profi wirst, lernst du normalerweise<br />

das Handwerk von jemandem, der<br />

erfahrener ist. Aber als ehemalige Sowjetfahrer<br />

hatten wir niemanden, der uns das<br />

beibrachte. Wir brachen schließlich alle<br />

ungeschriebenen Gesetze des Giro.<br />

Was waren das für Gesetze? Höchstens<br />

drei Fahrer in der ersten Ausreißergruppe.<br />

Keine Angriffe bei Kilometer null, weil das<br />

Peloton voller alter Leute ist und sie ihre<br />

Motoren erst aufwärmen müssen. Dann<br />

waren die letzten zwei Stunden das genaue<br />

Gegenteil: Da wurde am Anschlag<br />

gefahren und ich litt immer. Ich stürzte<br />

schließlich und musste das Rennen verlassen.<br />

Irgendein Zuschauer wollte ein<br />

Foto machen und ich fuhr in seine Kamera.<br />

Wir hatten einen italienischen Direktor,<br />

Primo Franchini, aber ... Die Sprachbarriere<br />

war eine große Hürde. Wir<br />

brauchten Jahre, bis wir uns verstanden.<br />

Wir hatten keinen Funk, keinen Fahrer,<br />

der für uns zuständig war, niemanden,<br />

der uns sagte, was zu tun war. Wladimir<br />

Pulnikow wurde Gesamt-Elfter und gewann<br />

das Trikot des besten Jungprofis,<br />

aber wir fuhren einfach, wie wir wollten.<br />

Es hat Spaß gemacht – null Druck und<br />

null Verantwortung.<br />

58 PROCYCLING | MAI 2019


GIRO D’ITALIA<br />

„ALLEINE DIE ERWÄHNUNG DES MORTIROLO<br />

VERURSACHT BEI MIR GÄNSEHAUT“<br />

DAVIDE<br />

FORMOLO<br />

Bora–hansgrohe,<br />

Etappensieger<br />

beim Giro 2015<br />

Meine erste Erinnerung an den<br />

Giro war, Ivan Basso 2010 den<br />

Zoncolan hochfahren zu sehen<br />

– der Blick in seinen Augen, als er dort<br />

hochfuhr, auf der Jagd nach dem Sieg. Das<br />

war eine Inspiration für mich als junger<br />

Fahrer. Selbst heute noch bekomme ich<br />

eine Gänsehaut, wenn jemand beiläufig<br />

den Gavia oder den Mortirolo erwähnt.<br />

Aber wenn du bei der Giro-d’Italia-Präsentation<br />

auf der Bühne stehst und der<br />

Sprecher deinen Namen ruft, das ist für<br />

mich der Moment, in dem es dir wirklich<br />

bewusst wird, was du zu tun im Begriff<br />

bist, wo du stehst. Alles führt auf diesen<br />

Punkt hin, das ganze Training, all die<br />

Rennen und der Gedanke: Ich habe so<br />

hart dafür gearbeitet. Dann denkst du nur:<br />

Jetzt wollen wir es wissen.<br />

Ich war der Erste in meiner Familie, der<br />

den Giro im Fernsehen verfolgt hat. Das ist<br />

ungewöhnlich, denn die Italiener sind eigentlich<br />

sehr patriotisch bei ihren Rennen<br />

und schauen sie sich alle im Fernsehen an.<br />

Sie stellen den Giro, San Remo und Il Lombardia<br />

über die größten Rennen wie die<br />

Tour. Das Erste, was Italiener einen italienischen<br />

Profi fragen, ist, ob er am Giro teilgenommen<br />

hat, nicht an der Tour. Auch<br />

deswegen war mein Etappensieg in La Spezia<br />

2015 so besonders. Es war der Höhepunkt<br />

meiner bisherigen Karriere. Es war<br />

die typische schwere Übergangsetappe des<br />

Giro – kurvenreiche, technisch anspruchsvolle<br />

Straßen, bergauf, bergab, links, rechts<br />

den ganzen Tag. Alle waren erschöpft.<br />

Ich bin seitdem oft auf Gesamtwertung<br />

gefahren, was es schwerer macht, aus<br />

Ausreißergruppen heraus den Etappensieg<br />

zu holen. Und um ehrlich zu sein,<br />

hatte ich in der letzten Woche immer zu<br />

kämpfen, weil ich da sehr erschöpft war.<br />

Die Unterstützung aller Leute in meinem<br />

Ort zu haben – einem sehr kleinen Ort,<br />

aus dem vorher nie ein Profi hervorgegangen<br />

ist –, war gut. Aber manchmal war ich<br />

in dieser letzten Woche enttäuscht, als<br />

hätte ich sie hängenlassen. Das Einzige,<br />

was ich denken kann, ist, dass ich jung<br />

bin und den größten Teil meiner Karriere<br />

noch vor mir habe.<br />

© Gruber Images, Josep Lago/Getty Images (Formolo)<br />

MAI 2019 | PROCYCLING 59


© Gruber Images<br />

60 PROCYCLING | MAI 2019


DIE BERGE<br />

DES GIRO<br />

Der Giro ist eine Symphonie, deren Musik<br />

an den schönen Berghängen Italiens aufgeführt<br />

wird. <strong>Procycling</strong> analysiert die entscheidenden<br />

Schauplätze des Rennens 2019.<br />

Text Barry Ryan<br />

Fotografie Getty Images<br />

MAI 2019 | PROCYCLING 61


DIE BERGE DES GIRO<br />

ETAPPE<br />

MADONNA DI SAN LUCA<br />

1<br />

LÄNGE: 2,1 KM /<br />

Ø -STEIGUNG: 9,7 %<br />

Bolognas rot getöntes mittelalterliches<br />

Herz beinhaltet rund<br />

40 Kilometer Säulengänge, aber<br />

die berühmteste Arkade von allen ist<br />

die, die von der Stadt aus die bewaldeten<br />

Hänge des Colle della Guardia hochführt.<br />

666 Bögen säumen die Strecke von der<br />

Porta Saragozza zur Basilica della Madonna<br />

di San Luca, die 1723 errichtet<br />

wurde, obwohl es mindestens seit<br />

1.000 Jahren irgendeine Art von Kapelle<br />

an diesem Ort gibt. Der Bau des Säulengangs<br />

– des längsten der Welt – begann<br />

im 17. Jahrhundert, um Pilger beim Anstieg<br />

vor den Elementen zu schützen.<br />

Der Hügel ist auch untrennbar mit dem<br />

Radsport verbunden. Rundstreckenrennen<br />

mit einer Hügelankunft sind ein durch<br />

und durch italienisches Thema, und der<br />

Giro dell’Emilia ist vielleicht der schönste<br />

Vertreter dieser Gattung. Das Finale umfasst<br />

fünf Runden über den Anstieg und<br />

läuft auf einen besonders eleganten Schlag ­<br />

abtausch hinaus, bei dem der in die<br />

Herbstsonne getauchte rosafarbene Portikus<br />

eine beeindruckende Kulisse bildet.<br />

Als die Grande Partenza in Bologna<br />

letztes Jahr angekündigt wurde, war sofort<br />

klar, dass der Anstieg nach San Luca<br />

eine wichtige Rolle spielen würde. Die<br />

Anhöhe hat beim Giro d’Italia schon dreimal<br />

als Etappenziel gedient: 1956, 1984<br />

und 2009. Dieses Mal stellt die Via di<br />

San Luca die Schwierigkeit am Ende des<br />

8,2 Kilometer langen Auftaktzeitfahrens<br />

des Giro dar.<br />

62 PROCYCLING | MAI 2019


DIE BERGE DES GIRO<br />

ETAPPE<br />

13<br />

ETAPPE<br />

9<br />

S A N<br />

MARINO<br />

LÄNGE: 12,5 KM /<br />

Ø-STEIGUNG: 3,9 %<br />

San Marino – Fläche 61 Quadratkilometer,<br />

Bevölkerung 33.000 –<br />

ist berühmt für seine kunstvollen<br />

Briefmarken und sein Bankgeheimnis,<br />

aber die bevorzugte Visitenkarte des<br />

Zwergstaats sind 1.700 Jahre ununterbrochene<br />

Unabhängigkeit. „Willkommen<br />

im alten Land der Freiheit“, heißt es auf<br />

dem Wegweiser an der Straße von Rimini.<br />

Auf einer Anhöhe im Apennin zwischen<br />

der Emilia-Romagna und den Marken<br />

gelegen, ist San Marino ausgesprochen<br />

italienisch in seinem Flair, aber formal<br />

Ausland. Es hatte bereit regelmäßig Giro-<br />

Etappen zu Gast, doch als die Grande<br />

Partenza 1965 in dem Bergstaat begann,<br />

ging es als erstes Rennen auf ausländischem<br />

Boden in die Geschichtsbücher ein.<br />

Der diesjährige Besuch, der erste seit<br />

1998, ist auch vertraut, weil es das neunte<br />

Mal sein wird, dass San Marino ein<br />

Bergzeitfahren ausrichtet. Frühere Sieger<br />

auf solchen Etappen sind Charly Gaul,<br />

Felice Gimondi, Eddy Merckx, Giuseppe<br />

Saronni, Roberto Visentini und Pawel<br />

Tonkow. Wie diese früheren cronoscalate<br />

führt der Kurs der 9. Etappe vom Meer<br />

in die Berge; er beginnt in Riccione an der<br />

Adria und führt via Faetano nach San<br />

Marino auf 648 Meter Höhe. Der Anstieg<br />

kann kaum als gnadenlos bezeichnet<br />

werden und liegt den starken Fahrern<br />

eher als den reinen Kletterern. 1998<br />

konnte Marco Pantani trotz zahlloser<br />

Fans aus dem nahe gelegenen Cesenatico<br />

Alex Zülle an diesen Hängen auf einer<br />

Straßenetappe (die Andrea Noè gewann)<br />

nur drei Sekunden abnehmen.<br />

COLLE DEL<br />

NIVOLET/<br />

CERESOLE<br />

REALE<br />

LÄNGE: 20,3 KM /<br />

Ø-STEIGUNG: 5,9 %<br />

Moment mal, Jungs – Mauro<br />

Vegni hat eine tolle Idee. Der<br />

Colle del Nivolet wurde 1969<br />

auf der Kinoleinwand unsterblich in der<br />

Schlussszene von The Italian Job, wo<br />

der Bus mit Michael Caine und Co. bei<br />

deren Versuch, ihr gestohlenes Gold<br />

in Sicherheit zu bringen, über dem Abgrund<br />

hängt. Die beeindruckenden<br />

Haarnadelkurven am Lago Serrù schienen<br />

immer ein natürliches Amphitheater<br />

für ein Radrennen zu sein, aber der<br />

Nivolet ist noch nie für ein Profirennen<br />

genutzt worden. 2019 gibt der Anstieg<br />

nun endlich sein Debüt bei der Corsa<br />

Rosa als großes Finale der 13. Etappe.<br />

Der Nivolet beginnt in Noasca und zieht<br />

sich 20 Kilometer hin, führt auf dem Weg<br />

nach oben durch den Ort Ceresole Reale,<br />

zu Zeiten der Römer ein Zentrum des<br />

Berg baus. Die Straße wird am Lago di<br />

Ceresole flacher, bevor sie auf den letzten<br />

sechs Kilometern wieder deutlich aufsteilt;<br />

hier erreichen die Steigungsgrade im<br />

Schnitt fast neun Prozent und könnten<br />

einigen Fahrern um die Ohren fliegen. Der<br />

Nivolet ist einer der höchsten asphaltierten<br />

Bergpässe Europas, aber Vegni hat die<br />

Ziellinie ein Stückchen vor dem Gipfel gezogen,<br />

auf 2.247 Meter Höhe. Angesichts<br />

des Schneefallrisikos im späten Frühjahr<br />

weiß der Giro-Direktor, dass der Abstecher<br />

in dünne Luft am Nivolet ein filmreifer Balanceakt<br />

werden könnte.<br />

MAI 2019 | PROCYCLING 63


DIE BERGE DES GIRO<br />

64 PROCYCLING | MAI 2019


DIE BERGE DES GIRO<br />

ETAPPE<br />

14<br />

COURMAYEUR<br />

LÄNGE: 8,2 KM / Ø-STEIGUNG: 3,3 %<br />

Das Aostatal, wo der Courmayeur<br />

liegt, ist ein Ort im Dreiländereck.<br />

Die autonome Region Italiens hat<br />

das moderne Französisch 1536 selbst zur<br />

Landessprache erklärt – drei Jahre vor<br />

Frankreich. Italienisch ist inzwischen die<br />

Muttersprache von mehr als drei Vierteln<br />

ihrer Bevölkerung, doch der frankophone<br />

Einfluss lebt im Bildungssystem und den<br />

Namen vieler Orte und Sehenswürdigkeiten<br />

der Gegend weiter.<br />

Im Faschismus trug Courmayeur vorübergehend<br />

den italienisierten Namen<br />

„Cormaiore“, wurde nach dem Zweiten<br />

Weltkrieg aber wieder umbenannt. Als<br />

Italien in den 1950ern und 60ern sein<br />

Wirtschaftswunder erlebte, entstand in<br />

Courmayeur ein Skigebiet.<br />

Der Besuch des Giro in Courmayeur<br />

auf der 14. Etappe schließt eine 60-jährige<br />

Lücke zu Charly Gauls außergewöhnlichem<br />

Sieg auf der vorletzten Etappe der<br />

Rundfahrt 1959. Er stellte das Rennen<br />

mit einer bissigen Beschleunigung am<br />

Kleinen Sankt Bernhard auf den Kopf.<br />

Während Spitzenreiter Anquetil schwächelte,<br />

baute Gaul seinen Vorsprung aus,<br />

fuhr zehn Minuten heraus und holte das<br />

Rosa Trikot. Wie 1959 wird der Schlussanstieg<br />

nach Courmayeur als kräftezehrender<br />

Epilog eines gnadenlosen Nachmittags<br />

unter dem stillen und ehrwürdigen<br />

Mont Blanc sorgen. Die Steigung der<br />

Straße geht zwar kaum über fünf Pro ­<br />

zent, aber die Geschichte und insgesamt<br />

4.000 Klettermeter werden den Favoriten<br />

ordentlich in die Beine gehen.<br />

MAI 2019 | PROCYCLING 65


DIE BERGE DES GIRO<br />

ETAPPE<br />

15<br />

ETAPPE<br />

15<br />

MADONNA<br />

D E L<br />

GHISALLO<br />

LÄNGE: 10,8 KM /<br />

Ø-STEIGUNG: 5,2 %<br />

Die Verbindung zwischen dem<br />

ita lienischen Radsport und der<br />

Religion, insbesondere dem Katholizismus,<br />

könnte Gegenstand einer<br />

Doktorarbeit sein, aber eine ihrer offensichtlichen<br />

Parallelen liegt in den Bergen.<br />

Ein Rennfahrer kann sich mit dem Symbol<br />

des Bergs als Ort des Leidens und der Erlösung<br />

identifizieren – Golgatha in den<br />

Evangelien zum Beispiel oder der Fegefeuerberg<br />

in Dantes Göttlicher Komödie –,<br />

während praktisch gesehen Italien mit Kirchen<br />

auf Hügelkuppen gespickt ist, sodass<br />

ein Kirchturm oft als De-facto-Banner für<br />

den „Gran Premio della Montagna“ dient.<br />

Diese Symbiose zwischen Radsport<br />

und Religion ist natürlich nicht nur gedanklich,<br />

und der Giro 2019 besucht mit<br />

der Madonna del Ghisallo erneut die bekannteste<br />

dem Radsport gewidmete Kapelle.<br />

Das Kirchlein auf dem Hügel oberhalb<br />

von Magreglio wurde ursprünglich<br />

im Mittelalter gebaut, nachdem von einer<br />

Marienerscheinung berichtet wurde, und<br />

die Madonna wurde die Patronin der Reisenden<br />

in der Gegend.<br />

1919 führte die Lombardei-Rundfahrt<br />

auf den Ghisallo und der Anstieg wurde<br />

sofort ein Fixpunkt auf einer Strecke, die<br />

um die Arme des Comer Sees herumführt.<br />

Bei einer Auflage der Lombardei-Rundfahrt<br />

nach dem Zweiten Weltkrieg bemerkte<br />

der Gemeindepfarrer Ermelindo<br />

Viganò, dass die Fahrer sich bekreuzigten,<br />

als sie den Gipfel überquerten, was<br />

ihn veranlasste, Papst Pius XII. zu bitten,<br />

die Madonna zur Schutzpatronin der<br />

Radrennfahrer zu erklären, und die Kapelle<br />

wurde entsprechend umgeweiht.<br />

Der Anstieg hat den Giro seit den<br />

1930ern immer wieder geziert und war<br />

1967 eine Hügelankunft. Dieses Mal<br />

ist der Ghisallo auf der 15. Etappe als<br />

Teil einer Hommage an die Lombardei-<br />

Rundfahrt eingebaut, wobei die Colma<br />

di Sormano, Civiglio und San Fermo della<br />

Battaglia ebenfalls auf der Strecke liegen,<br />

bevor es bergab nach Como geht. Der<br />

Ghisallo kommt fast 70 Kilometer vor<br />

dem Ziel – zu weit weg, um entscheidend<br />

zu sein, aber trotzdem das emotionale<br />

Herzstück der Etappe. Radsport dreht<br />

sich wie Religion genauso um Rituale<br />

wie um Resultate.<br />

S A N<br />

F E R M O<br />

DELLA<br />

BATTAGLIA<br />

LÄNGE: 2,7 KM /<br />

Ø-STEIGUNG: 8,2 %<br />

Im zweiten italienischen Unabhängigkeitskrieg<br />

1859 besiegten Giuseppe<br />

Garibaldi und sein Freiwilligen-Korps<br />

der „Cacciatori delle Alpi“ – Alpenjäger<br />

– die Österreicher in Como, indem sie auf<br />

dem Hügel von San Fermo ihre Flanke<br />

umfassten. Als Garibaldi und seine<br />

Männer in die unterhalb gelegene Stadt<br />

vor drangen, waren die österreichischen<br />

Kräfte komplett geflüchtet, womit eine<br />

lange Geschichte der Fremdherrschaft<br />

beendet war. Ein halbes Jahrhundert später<br />

beschloss die Stadt, sich zu Ehren des<br />

schicksalhaften Kampfes in San Fermo<br />

della Battaglia umzubenennen.<br />

Die verschlafene Atmosphäre in dem<br />

Städtchen ist weit entfernt von den Tumulten<br />

bei Garibaldis Angriff, aber in den<br />

meisten Jahren erwacht sie an einem<br />

Samstagnachmittag im Oktober als<br />

Schluss anstieg der Lombardei-Rundfahrt<br />

zum Leben. Das 2,7 Kilometer lange<br />

Steilstück hat Vorstellungen von Merckx,<br />

Gimondi, Hinault und zuletzt Nibali gesehen.<br />

Wegen der Gefahr von Erdrutschen<br />

wurde der Anstieg letztes Jahr aus der<br />

Route gestrichen, aber ein erster Giro-Auf ­<br />

tritt seit Beginn der frühen 1990er bei der<br />

Mini-Lombardei-Rundfahrt der 15. Etappe<br />

ist eine reichliche Entschädigung.<br />

DAS 2,7 KILOMETER<br />

LANGE STEILSTÜCK HAT<br />

VORSTELLUNGEN VON<br />

MERCKX, GIMONDI,<br />

HINAULT UND ZULETZT<br />

NIBALI GESEHEN.<br />

66 PROCYCLING | MAI 2019


DIE BERGE DES GIRO<br />

ETAPPE<br />

16<br />

MORTIROLO<br />

LÄNGE: 12,8 KM /<br />

Ø-STEIGUNG: 10,1 %<br />

ETAPPE<br />

P A S S O D I<br />

GAVIA<br />

LÄNGE: 16,7 KM /<br />

Ø-STEIGUNG: 8 %<br />

16<br />

Egal, wie oft der Giro hier war – der<br />

Passo di Gavia wird immer mit<br />

dem Jahr 1988 verbunden bleiben.<br />

Am 5. Juni holte Andy Hampsten das<br />

Rosa Trikot in Bormio nach einem Ritt im<br />

Schneesturm über den Gavia, der in die<br />

Legenden des Giro einging. Erik Breukink<br />

gewann die Etappe, aber es ist Hampstens<br />

Großtat, die in Erinnerung bleibt.<br />

Das bleibende Bild des Tages ist das des<br />

Amerikaners, Trikot und Skimütze mit<br />

Schnee bedeckt, wie er den Gipfel mit<br />

Neoprenhandschuhen und großer Brille<br />

erklimmt. Seine Kluft hatte ebenso viel<br />

mit Edmund Hillary gemein wie mit<br />

Fausto Coppi. Ein unvergesslicher Tag …<br />

Der Gavia ist 2.618 Meter hoch, und<br />

während diese extreme Höhe ihn meistens<br />

zur Cima Coppi macht, zum höchsten<br />

Punkt des Giro, bedeutet das<br />

manchmal auch, dass er gar nicht vorkommt.<br />

2013 wurde eine Etappe über<br />

den Gavia und das Stilfser Joch ins Martelltal<br />

wegen Schneefalls abgesagt, obwohl<br />

die Bedingungen kaum besser waren,<br />

als die Route zwölf Monate später<br />

in Angriff genommen wurde und für<br />

viel Polemik sorgte. Jetzt kehrt der Giro<br />

zurück zum Gavia auf einer respekteinflößenden<br />

Etappe. Es ist ein latentes<br />

Risiko, mit einem Radrennen zu dieser<br />

Jahreszeit auf diese Höhe zu gehen, aber<br />

der Giro ist immer schon auf einem<br />

Drahtseil zwischen Märchen und Machbarkeit<br />

spaziert. Die Anziehungskraft<br />

des Gavia hat weiter Bestand, egal, wie<br />

das Wetter ist.<br />

Der verstorbene Alfredo Martini, der<br />

1988 am Gavia im Auto hinterherfuhr,<br />

fing das Drama des Tages besser ein als<br />

die meisten. „In dem heftigen Schneesturm<br />

haben einige Fans ihre Jacke ausgezogen,<br />

um sie den Fahrern zu geben,<br />

einige haben sogar ihren Pullover ausgezogen“,<br />

erinnerte sich Martini 2007.<br />

„Solche Dinge passieren nur im Radsport,<br />

ein Sport, der immer ein großer Kampf<br />

gegen dich selbst ist.“<br />

773, als Karl der Große die Lombardei<br />

annektiert hatte, schlug<br />

seine Armee auf dem bewaldeten<br />

Pass, der Valtellina und Val Camonica<br />

miteinander verbindet, einen Aufstand<br />

von heidnischen Stämmen nieder, doch<br />

der Platz des Berges in der Geschichte<br />

war ein unbedeutender. Aber die Ankunft<br />

des Giro in den 1990ern warf plötzlich<br />

ein Licht auf diese unscheinbare Ecke der<br />

Alpen: Der Mortirolo wurde schnell zum<br />

gefürchtetsten Namen im Radsport.<br />

Andere Anstiege waren furchteinflößend<br />

aufgrund ihrer Höhe oder ihrer Länge;<br />

die atemberaubenden Steigungsgrade<br />

des Mortirolo bedeuteten, dass er wegen<br />

seiner schwindelerregenden Steilheit gefürchtet<br />

wurde. Nachdem man ihn 1990<br />

über die moderatere Seite via Edolo in<br />

Angriff genommen hatte, ließen die Giro-Organisatoren<br />

ein Jahr später die volle<br />

Kraft des Mortirolo auf die Fahrer los, als<br />

Franco Chioccioli sich auf der verschärften<br />

Strecke via Mazzo di Valtellina absetzte:<br />

12,8 Kilometer mit durchschnittlich<br />

10,1 Prozent Steigung und längeren<br />

Rampen mit 18 Prozent.<br />

Die schmale, baumgesäumte Straße<br />

verleiht dem Anstieg ein klaustrophobisches<br />

Gefühl, wo Nahaufnahmen von<br />

schmerzverzerrten Fahrergesichtern<br />

reichlich vorhanden sind. Niemand hat<br />

diese Maske des Schmerzes so getragen<br />

wie Marco Pantani, und der Ruf des Mortirolo<br />

als Feuerprobe des Leidens wurde<br />

zementiert, als der Italiener hier 1994<br />

Indurain abschüttelte.<br />

Der Steilhang löste auch die moderne<br />

Besessenheit des Sports von extremen<br />

Anstiegen aus. Der Mortirolo zeugte den<br />

Angliru, der den Weg für den Zoncolan<br />

ebnete. Aber während diese Anstiege<br />

mitunter fast zu schwer sind, um entscheidend<br />

zu sein, stellt der Mortirolo<br />

eine andere Herausforderung dar. Gerade<br />

steil genug, um eine Selektion zu erzwingen,<br />

aber nicht so extrem, um an Sadismus<br />

zu grenzen, ist es ein Anstieg, der<br />

für Angriffe genutzt werden kann, statt<br />

nur ertragen zu werden.<br />

MAI 2019 | PROCYCLING 67


DIE BERGE DES GIRO<br />

ETAPPE<br />

17<br />

ANTERSELVA/<br />

ANTHOLZ<br />

LÄNGE: 9,6 KM /<br />

Ø-STEIGUNG: 5,5 %<br />

Die Schnittstelle zwischen Radund<br />

Wintersport hat in den letzten<br />

Monaten zu einigen deprimierenden<br />

Schlagzeilen geführt, doch die<br />

Bergankunft des Giro auf der 17. Etappe<br />

ist Resultat eines freundlicheren Zusammenspiels<br />

zwischen den Disziplinen.<br />

Anterselva – oder Antholz für die meis ­<br />

ten Einheimischen – ist bekannt für die<br />

Biathlonstadion Südtirol Arena, eine<br />

regelmäßige Station des Biathlon-Weltcups,<br />

und die Ankunft des Giro auf dem<br />

Berg ist verpackt in Werbung für die<br />

Biathlon-Weltmeisterschaft 2020 in<br />

Anterselva.<br />

Die 17. Etappe des Giro findet ganz in<br />

der autonomen Region Trentino-Südtirol<br />

statt und erstreckt sich auf ihre beiden<br />

Bestandteile. Die Etappe beginnt in Commezzadura<br />

in der weitgehend italienischsprachigen<br />

Provinz Trient, aber nach der<br />

Überquerung des Passo della Mendola<br />

führt das Rennen in die Provinz Bozen,<br />

besser bekannt als Südtirol, wo Deutsch<br />

die vorherrschende Sprache ist. Südtirol<br />

ging nach dem Ersten Weltkrieg<br />

von Österreich-Ungarn an Italien über,<br />

aber der Streit um die Region flammte<br />

im 20. Jahrhundert immer wieder auf.<br />

Das Problem wurde 2017 wieder<br />

akut, als die österreichische Regierung<br />

den Einwohnern Südtirols die Staatsbürgerschaft<br />

anbot.<br />

Der Giro ist natürlich fast jährlich<br />

zu Gast in Südtirol, das vom mächtigen<br />

Stilfser Joch gesäumt wird. Nennenswerte<br />

Exkursionen in jüngerer<br />

Zeit umfassen Nairo Quintanas umstrittenen<br />

Triumph im Martelltal<br />

2014 und Tejay van Garderens Sieg<br />

in St. Ulrich vor zwei Jahren, aber dies<br />

ist die erste Bergankunft der Corsa<br />

Rosa in Anterselva. Der Anstieg ist<br />

9,6 Kilometer lang und wird zum<br />

1.635 Meter hohen Gipfel hin steiler,<br />

wo er Rampen mit zwölf Prozent aufweist.<br />

In jeder Sprache bedeutet dies<br />

eine große Herausforderung.<br />

DIES IST DIE ERSTE BERGANKUFT<br />

DER CORSA ROSA IN ANTERSELVA.<br />

DER ANSTEIG IST 9,6 KILOMETER<br />

LANG MIT RAMPEN VON<br />

ZWÖLF PROZENT.<br />

68 PROCYCLING | MAI 2019


DIE BERGE DES GIRO<br />

MAI 2019 | PROCYCLING 69


DIE BERGE DES GIRO<br />

ETAPPE<br />

19<br />

S A N<br />

M A R T I N O<br />

D I<br />

CASTROZZA<br />

LÄNGE: 12,8 KM /<br />

Ø-STEIGUNG: 10,1 %<br />

Das Primiero-Tal zieht Kletterer<br />

seit dem 19. Jahrhundert an, als<br />

Bergsteigen als Sport in Mode<br />

kam. Der Ire John Ball, erster Vorsitzender<br />

des Alpenvereins, baute 1873 das<br />

erste Hotel in San Martino di Castrozza,<br />

und es etablierte sich bald als renommierter<br />

Urlaubsort für alle, die in den<br />

letzten Tagen des österreichisch-ungarischen<br />

Reichs Rang und Namen hatten.<br />

Der Anstieg war Schauplatz eines packenden<br />

Finales beim letzten Gastspiel<br />

des Giro 2009, obwohl das Ende ungeschrieben<br />

bleibt, nachdem Danilo Di<br />

Luca die Linie als Etappensieger überquert<br />

hatte. Der Sprint einer kleinen<br />

Gruppe am Gipfel bot sich perfekt an für<br />

den selbst ernannten „Killer“, der eine<br />

bissige Endschnelligkeit entwickelte.<br />

Aber ein positiver Test auf CERA bedeutete<br />

später, dass ihm der Sieg aberkannt<br />

wurde. Bei der Gelegenheit ermöglichte<br />

es eine Grande Partenza in Venedig, dass<br />

der Giro den Urlaubsort in den Dolomiten<br />

in der ersten Woche besuchte. Die Favoriten<br />

sollten sich dieses Mal in Acht nehmen,<br />

wenn der 13,6 Kilometer lange Anstieg<br />

zwei Tage vor dem Ziel in Verona zu<br />

bewältigen ist und die Erschöpfung für<br />

eine weit erlesenere Spitzengruppe sorgen<br />

sollte als die, die Di Luca vor zehn<br />

Jahren schlug. Da noch zwei entscheidende<br />

Tage anstehen, ist die endgültige<br />

Destination des Rosa Trikots oben in<br />

San Martino di Castrozza vielleicht<br />

noch nicht sichtbar, obwohl man die sogenannte<br />

enrosadira wird beobachten<br />

können, den Prozess, bei dem die exponierten<br />

Felsen der nahe gelegenen Dolomitengipfel<br />

sich rosa und violett färben,<br />

wenn die Sonne zu sinken beginnt. Eine<br />

passende Kulisse und Landschaft für<br />

den Schlussakt des Giro 2019.<br />

ETAPPE<br />

Der Croce d’Aune hat einen Ruf,<br />

der seine eher flüchtige Beziehung<br />

zum Giro Lügen straft. Der<br />

Anstieg stand bisher erst zweimal auf der<br />

Route – 1964, als Franco Balmamion das<br />

Rennen am Gipfel anführte, und 2009,<br />

als Manuel Belletti als Erster oben war.<br />

Aber sein Name ist ein klangvoller wegen<br />

der Ereignisse bei einem ansonsten in<br />

Vergessenheit geratenen GP della Vittoria<br />

im November 1927.<br />

Ein junger Fahrer namens Tullio Campagnolo<br />

führte das Rennen am Croce<br />

d’Aune an, aber aufgrund der steiler werdenden<br />

Steigung musste er den Gang<br />

wechseln – was seinerzeit bewerkstelligt<br />

wurde, indem man das Hinterrad umdrehte.<br />

Doch die Hände des in Vicenza<br />

geborenen Fahrers waren taub durch die<br />

20<br />

CROCE D’AUNE<br />

LÄNGE: 13,5 KM /<br />

Ø-STEIGUNG: 3,1 %<br />

bittere Kälte am Tag des Waffenstillstands.<br />

Als er sich abmühte, so die Legende,<br />

kam er auf die Idee, den Schnellspanner<br />

zu entwickeln. Selbst in einem<br />

Sport, der so von Mythen umrankt ist,<br />

haben wenige Firmen eine solche Entstehungsgeschichte<br />

wie Campagnolo.<br />

Die vorletzte Etappe der Corsa Rosa ist<br />

die brutale Dolomiten-tappone mit über<br />

5.000 Klettermetern dank Cima Campo,<br />

Passo Manghen und Passo Rolle vor dem<br />

Ziel am Croce d’Aune, obwohl das Rennen<br />

durch Ponte Oltra führt statt über<br />

die bekanntere Strecke durch die Brauerei-Stadt<br />

Pedavena. So wie die meisten<br />

schweren Etappen dieses Giro für die<br />

letzte Woche aufgespart werden, kommen<br />

die steilsten Abschnitte zum Gipfel<br />

hin, wo Rampen mit 16 Prozent warten.<br />

70 PROCYCLING | MAI 2019


DIE BERGE DES GIRO<br />

ETAPPE<br />

21<br />

TORRICELLE<br />

LÄNGE: 12,8 KM /<br />

Ø-STEIGUNG: 10,1 %<br />

Die letzte Etappe des Giro 2019<br />

ist praktisch eine Neuauflage der<br />

letzten Runde des Rennens von<br />

2010, aber bei den meisten beschwört<br />

die Erwähnung des Torricelle-Anstiegs<br />

Erinnerungen daran herauf, dass Verona<br />

die Weltmeisterschaften 1999 und<br />

2004 ausrichtete, weniger an das Zeitfahren,<br />

mit dem sich Ivan Basso seinen<br />

zweiten Giro-Sieg sicherte. Für die größten<br />

Wonneschauer in dem Anstieg sorgte<br />

1999 Frank Vandenbroucke, der in der<br />

letzten Passage über den Torricelle trotz<br />

Frakturen in beiden Handgelenken als<br />

Solist anzugreifen versuchte. Óscar Freire<br />

sicherte sich seinen ersten Weltmeistertitel<br />

in Verona und holte 2004 in der<br />

Messestadt seinen dritten.<br />

Im heutigen Peloton ist Domenico<br />

Pozzovivo der Fahrer mit den meisten<br />

öffentlichen Verbindungen zu dem Anstieg.<br />

Bei der Weltmeisterschaft 2004<br />

war er in der entscheidenden U23-Straßengruppe<br />

mit Kanstantsin Siutsou, nur<br />

um in der letzten Passage des Torricelle<br />

einen fürchterlichen Hungerast zu erleiden<br />

und Vierter zu werden. „Bei mir gingen<br />

die Lichter aus und es endete mit der<br />

Holzmedaille“, sagte er in jenem Jahr bedauernd<br />

zu <strong>Procycling</strong>.<br />

Die Via Torricelle führt bergauf durch<br />

eine der vornehmsten Gegenden von Verona<br />

im Norden der Etsch, ihr Gipfel ist<br />

gekennzeichnet durch die vier gedrungenen<br />

runden Türme, nach denen sie benannt<br />

ist. Die Torri Massimiliane wurden<br />

1837 von den Österreichern als Befestigung<br />

gebaut. Mit 4,5 Kilometer Länge<br />

und einer durchschnittlichen Steigung<br />

von 4,6 Prozent verblasst die reine Statistik<br />

der Via Torricelle gegenüber den meisten<br />

Anstiegen, die ihr auf dieser Giro-<br />

Route vorausgegangen sind, aber sie hat<br />

eine große Bedeutung, weil sie auf den<br />

letzten 15,6 Kilometern des abschließenden<br />

Zeitfahrens, das im beeindruckenden<br />

römischen Amphitheater von<br />

Verona endet, viel Raum einnimmt.<br />

DIE VIA TORRICELLE<br />

FÜHRT DURCH EINE DER<br />

VORNEHMSTEN GEGEN-<br />

DEN VON VERONA.<br />

MAI 2019 | PROCYCLING 71


MEIN<br />

GIRONA<br />

72 PROCYCLING | MAI 2019


Seit seiner „Entdeckung“<br />

durch Lance Armstrong<br />

haben unzählige Profis das<br />

einst verschlafene Girona<br />

zu ihrem Zuhause in der<br />

Fremde gemacht.<br />

<strong>Procycling</strong> streift durch<br />

seine mittelalterlichen<br />

Straßen, um herauszufinden,<br />

wie sich die Stadt durch<br />

den Zustrom von umherreisenden<br />

Athleten und<br />

Touristen verändert hat.<br />

Text Ricardo Montero<br />

Fotografie Ian Walton<br />

MAI 2019 | PROCYCLING 73


GIRONA<br />

Die Spanier haben ihr eigenes Wort für ausländische<br />

Touristen: guiri. Sie kennen den<br />

Typ. Mit einem großen Faltplan aus dem<br />

Touristenbüro, auf den mit blauem Kugelschreiber<br />

große Kreise aufgemalt sind, einer Sonnenbrille,<br />

die an einer Schnur um den Hals baumelt, kurzer<br />

Hose, Sandalen und Socken, laut schreiend, oft in<br />

Englisch. Oder sie starren auf ein Smartphone, als<br />

würde es gleich die Antwort auf das Leben, das<br />

Universum und alles liefern, ohne Rücksicht auf<br />

Verkehrsschilder, fahrende Autos und andere Formen<br />

nicht künstlicher Intelligenz. Guir ist ein<br />

freundlicher, nicht verächtlich gemeinter Ausdruck,<br />

aber er drückt doch aus, dass das Leben<br />

besser war, bevor sie kamen.<br />

Die Stadt Girona hat ihre eigene Art von guiri.<br />

Die gepflasterten Straßen des Barri Vell, des mittelalterlichen<br />

Stadtkerns, sind voller Trainingsjacken<br />

und Poloshirts – die Art, die heute niemand<br />

tragen würde, der nicht vertraglich dazu<br />

verpflichtet ist. Es gibt auch Steppjacken. Die teuren,<br />

nicht die billigen. Den Typ kennen Sie auch.<br />

Statt gezielt von Sehenswürdigkeit zu Sehenswürdigkeit<br />

zu marschieren, schlendern diese guiri<br />

halbwegs ziellos von einem Platz zum nächsten,<br />

um sich die müden Beine in den kühlen Gassen<br />

der kleinen katalanischen Stadt zu vertreten, die<br />

zu einem Epizentrum des Radsports in Europa<br />

geworden ist.<br />

Sie sind nicht wegen eines Rennens hier: Die<br />

Tour de France kam einmal 2009 und die Volta<br />

a Catalunya kommt von Zeit zu Zeit, aber die<br />

Stadt liegt nicht regelmäßig auf der Route. Der<br />

Grund, warum sie hier sind, ist aber sehr einfach<br />

und hat etwas damit zu tun: Girona ist ein großartiger<br />

Ort, um Fahrrad zu fahren.<br />

Es ist derselbe Grund, der auch viele Dutzende<br />

Radprofis nach Girona gelockt hat, das einen Eckpfeiler<br />

einer umherreisenden Gemeinschaft von<br />

Athleten und Mitarbeitern bildet, die mit dem<br />

Sport verbunden sind („angestellt“ ist ein zu starkes<br />

Wort für etwas so Unstetes und Flüchtiges<br />

wie den Profiradsport). Wie jede Gruppe von Immigranten<br />

in globalen Städten in aller Welt ist<br />

Girona eine Landezone. Fahrer aus Nord- und<br />

Südamerika, Australien, Asien und Nordeuropa<br />

wählen Girona als ihr erstes Zuhause auf dem<br />

europäischen Kontinent, bevor viele woanders<br />

hinziehen, insbesondere nach Andorra. Die häufigsten<br />

Auswanderersprachen sind Englisch,<br />

Holländisch und Skandinavisch. EF Education<br />

First, Mitchelton-Scott, Jumbo-Visma, Canyon-<br />

Sram, Sunweb, Katusha Alpecin und Israel<br />

Cycling Academy sind hier mit nennenswerten<br />

Zahlen vertreten, und es kommen versprengte<br />

Fahrer anderer Teams hinzu.<br />

Innerhalb von 15 Jahren sind sie von einer<br />

Handvoll Fahrern auf gut über 100 angewachsen.<br />

Bei allem Kommen und Gehen sind genaue Zahlen<br />

schwer zu bekommen. Es gab vorher schon<br />

Radsportler hier, aber einen Teil der Schuld für<br />

den Radsport-Boom in Girona kann man Lance<br />

Armstrong zuschreiben. Er zog im neuen Jahrtausend<br />

her, um den französischen Anti-Doping-<br />

Gesetzen nach dem Festina-Skandal zu entgehen,<br />

kaufte sich eine protzige Wohnung im Herzen der<br />

Altstadt, nahm seine Kabale von USPS-Kumpels<br />

mit, und damit fing es an. Eine beliebte Trainingsstrecke<br />

wird im Volksmund immer noch Hincapie-<br />

Schleife genannt.<br />

Doch wie immer hat es damit mehr auf sich als<br />

Lance – nicht zuletzt mit dem katalanischen Drang,<br />

im Nirgendwo endende Bergstraßen mit einem<br />

so seidenglatten Asphalt zu überziehen, dass er<br />

zwölf Jahre lang in einem Keller hätte reifen können,<br />

anscheinend zum alleinigen Nutzen ein paar<br />

alter Einheimischer, die mit ihrem klapprigen<br />

Suzuki Vitara durch die Gegend fahren, und zur<br />

unbeabsichtigten Freude von Radsportlern. Man<br />

könnte argumentieren, dass das Auftauchen von<br />

Profis hier Hand in Hand ging mit der Umstellung<br />

auf hochstrukturierte, auf Wattmessgeräte gestützte<br />

Trainingspläne im gesamten Sport. Ein<br />

Anstieg in das kleine Dorf Sant Martí Sacalm,<br />

typisch für die gleichmäßigen Bergstraßen in den<br />

östlichen Vorpyrenäen, ist die Strecke schlechthin,<br />

um sich auszupowern. Ein früherer Fahrer, der dort<br />

während seiner Karriere mehrmals die Woche fuhr,<br />

gab zu, es nur ein paarmal bis oben geschafft zu<br />

haben. Er trainierte einfach weiter unten am Berg,<br />

fuhr rauf und runter und dann nach Hause.<br />

Profi zu sein bedeutet auch nicht mehr, sich<br />

an der belgischen Schule des Radsports einzuschreiben,<br />

die junge Fahrer an die Wand wirft in<br />

der vagen Hoffnung, dass einige von ihnen kleben<br />

bleiben. Aufstrebende Profis finden das sehr attraktiv:<br />

Man kann zu einer sonnigen Fahrt aufbrechen<br />

und dann in einem Café herumhängen<br />

wie ein Student. Wer wollte ihnen das verübeln?<br />

Wir reden nicht über Zehntausende Teenager,<br />

und es gibt keine Jack-Wills-Kapuzenshirts, fettige<br />

Döner oder Wodka-Dienstage. Aber es gibt<br />

auf jeden Fall genug Cafés, wo man hingehen<br />

kann, um übereinander zu lästern und zu versuchen,<br />

nicht in seinem Cappuccino zu versinken,<br />

während man am seichten Ende der wirklichen<br />

Welt herumpaddelt.<br />

Es sind genug Radsportleute, damit es sich wie<br />

eine kleine Gemeinschaft anfühlt, mit einem anheimelnden<br />

Gefühl von Vertrautheit und Gebor­<br />

ES GIBT GENUG CAFÉS, WO MAN HINGEHEN KANN, UM<br />

ÜBEREINANDER ZU LÄSTERN UND ZU VERSUCHEN, NICHT IN<br />

SEINEM CAPPUCCINO ZU VERSINKEN, WÄHREND MAN AM<br />

SEICHTEN ENDE DER WIRKLICHEN WELT HERUMPADDELT.<br />

Das Trikot von Jumbo-Visma ist ein typischer<br />

Anblick auf den Straßen rund um die Stadt.<br />

74 PROCYCLING | MAI 2019


GIRONA<br />

UAE-Fahrer Rory<br />

Sutherland eröffnete<br />

2016 in Gironas Altstadt<br />

das Federal Cafe.<br />

genheit in der großen und erschreckenden Welt<br />

des Profiradsports. Diese Cliquenwirtschaft kann<br />

einige abschrecken. Ein Fahrer, der nicht in Girona<br />

lebt, gab zu, dass er genau aus dem Grund,<br />

dass jeder jeden kennt und sich die Radsportblase<br />

nie wirklich in den Rest der Gemeinde integriert,<br />

nie dort hinziehen würde. Ein anderer sprach von<br />

einem potenziellen Szenario von Feindseligkeiten<br />

an der Supermarktkasse, wenn man einen Rivalen<br />

ausspioniert, der eine großartige Saison hat, wenn<br />

man selber keine hat – wobei der Punkt ist, dass<br />

Nähe leicht Neid, Querelen und Unbehagen hervorbringt.<br />

Wie erkennt man in Girona<br />

Radsportler/-innen? Auffällige<br />

Bräunungslinien verraten sie.<br />

„Es sind viele hier, und es ist eine richtige Clique,<br />

nicht wahr?“, sagte ein Tätowierer, der vor Kurzem<br />

einen Radprofi gestochen hatte. „Aber in den<br />

Tattoo-Studios ist es dasselbe. Wir haben alle unseren<br />

kleinen Raum und machen unser kleines<br />

Ding, aber schlussendlich kommen wir klar.“<br />

Die Einheimischen beschreiben Girona als<br />

großes Dorf mit bekannten Gesichtern und bekannten<br />

Familiennamen. Sie mögen die Feste –<br />

meistens mit Feuer und lauter Musik und fast<br />

immer mit Sachen, die anderswo vom Ordnungsamt<br />

verboten oder für moralische Entrüstung<br />

sorgen würden – und das lebendige Gefühl, dazuzugehören.<br />

Girona kann sich sehr schnell wie<br />

zu Hause anfühlen.<br />

HOBBYFAHRER UND PROFIS<br />

TUN SICH ZUSAMMEN<br />

Eine Gruppe von ein paar Hundert hat wenig Einfluss<br />

in einer Stadt mit über 100.000 Einwohnern.<br />

Sie bewahrt trotzdem ihren alten Charme,<br />

ihren katalanischen Charakter, ihre ruhigen<br />

Ecken. Aber diese Fahrer haben einen Boom im<br />

Sporttourismus ausgelöst, der Hobbyfahrer ins<br />

Sonnensystem hineinzieht wie weit entfernte Kometen,<br />

deren unregelmäßige Umlaufbahnen sie<br />

im Frühjahr und Sommer wegen seines Rufs für<br />

exzellentes Radfahren sichtbar werden lässt. Sie<br />

lockt auch die kleinstädtische Kultur, gute Restaurants<br />

und Hotels – und natürlich die Aussicht,<br />

Marcel Kittel beim Brötchenholen über den Weg<br />

zu laufen. Immer wieder müssen Fußgänger aufpassen,<br />

wenn jemand auf einem Fahrrad vorbeifliegt.<br />

Es ist wahrscheinlich ein Hobbyfahrer, weil<br />

die Hobbyfahrer, die nach Girona kommen, meistens<br />

so Rad fahren wollen, wie sie denken, dass<br />

Profis fahren, und sich selbst viel zu ernst nehmen.<br />

Die Profis hingegen wollen meistens lieber<br />

wie Hobbyfahrer fahren und neigen meist überhaupt<br />

nicht dazu, sich selbst allzu ernst zu nehmen.<br />

Es hat immer Touristen in Girona gegeben, und<br />

in den letzten Jahren hat es einen Boom an Besucherzahlen<br />

gegeben – unabhängig vom Radsport.<br />

Eine Weile hat Ryanair potenzielle Urlauber überzeugt,<br />

dass der Flughafen von Girona in der Nähe<br />

von Barcelona sei – was es auch ist, und zwar so,<br />

wie der Flughafen Frankfurt-Hahn in der Nähe<br />

von Frankfurt ist. Die Gesamtbesucherzahl hat<br />

sich seit 2010 verdoppelt. In der Folge ist Girona<br />

MAI 2019 | PROCYCLING 75


GIRONA<br />

nicht unberührt geblieben von der schleichenden,<br />

unkontrollierten und unumkehrbaren Verwandlung<br />

Barcelonas von einer trendigen Stadt in einen<br />

Touristenthemenpark, wo das einzig Echte, was<br />

Touristen heute sehen, andere Touristen sind.<br />

Dass mehrere Szenen von Game of Thrones in<br />

Girona gedreht wurden, bedeutet, dass viele der<br />

alten architektonischen Juwelen der Stadt einen<br />

neuen Verwendungszweck als Kulisse für das<br />

perfekte Instagram-Selfie finden.<br />

Diese Mengen der Tagesausflügler schwollen<br />

weiter an durch die Eröffnung der schnellen direkten<br />

Zugverbindung zwischen Paris und Barcelona.<br />

Hinzu kommen katalanische Pendler, die<br />

in weniger als 45 Minuten in Barcelona sind, die<br />

Golftouristen, die auf einigen der besten Plätze<br />

Europas spielen wollen, und die Gourmets, die<br />

sich von einer Küche anlocken lassen, die zu den<br />

feinsten Europas gehört (eines der weltbesten<br />

Restaurants, El Celler de Can Roca, ist nicht weit<br />

von hier). Es ist eine gute Zeit, um Vermieter in<br />

Girona zu sein.<br />

„Es ist nicht die Art von Tourismus, die man<br />

sonst in Spanien sieht, und die Touristen, die<br />

RADSPORTLER UND DIE RESTLICHEN REISENDEN ESSEN<br />

MEISTENS GERNE GUT UND SIND RUHIGE GENIESSER;<br />

ELEKTRONISCHE TANZMUSIK UND DAS MITSINGEN VON<br />

FUSSBALLSONGS GEBEN IHNEN NICHTS.<br />

kommen, haben viel mehr Geld“, erklärte ein Geschäftsinhaber.<br />

„Aber das heißt, dass die Lebenshaltungskosten<br />

für die Leute hier steigen.“<br />

Ein anderer, der einen Frisörsalon in der Innenstadt<br />

hat, erklärte die Vor- und Nachteile der<br />

Gentrifizierung. Vor fünf Jahren schmiss ihn sein<br />

Vermieter aus dem Laden, den er 20 Jahre lang<br />

gemietet hatte, also suchte er sich ein neues Lokal<br />

um die Ecke und zog dort ein. Einerseits hat seine<br />

neue Straße jetzt eine der höchsten Dichten an<br />

Touristenapartments in der Altstadt und die Mieten<br />

sind hoch. Andererseits ist die Ecke nicht<br />

mehr voller Bordelle.<br />

INTEGRATIONSPROBLEME<br />

Girona zieht einen bestimmten Typ des gehobenen<br />

Mittelklassebesuchers an. Radsportler und<br />

die restlichen Reisenden essen meistens gerne gut<br />

und sind ruhige Genießer; elektronische Tanzmusik<br />

und das Mitsingen von Fußballsongs geben<br />

ihnen nichts. Wie überall gibt es natürlich einen<br />

irischen Pub, doch der ist ziemlich diskret. Sonst<br />

wird das Bier überall in kleinen Gläsern serviert.<br />

Man muss schon sehr genau hinschauen – und<br />

sehr lang laufen –, um irgendeine globale Restaurantkette<br />

zu finden.<br />

76 PROCYCLING | MAI 2019


GIRONA<br />

Aber Radsportler integrieren sich selten ganz.<br />

Sie leben ein nomadisches Leben, und ihre Karrieren<br />

sind verbunden mit einem Zeitlimit für ihren<br />

Anlass, in Girona zu leben. Die Mehrheit hat keine<br />

Familie, wenige schlagen dauerhafte Wurzeln<br />

und noch weniger sprechen Katalanisch. Radprofis<br />

können nicht bis tief in die Nacht in der Bar<br />

sitzen, cañas schlürfen und an patatas bravas<br />

knabbern, und die Einheimischen gehen nicht<br />

morgens um halb zehn Rad fahren. Man könnte<br />

wahrscheinlich sein ganzes Erwachsenenleben<br />

hier verbringen und trotzdem noch als Außenseiter<br />

gelten. Die katalanischen Traditionen sind sehr<br />

eigen und wie die Sprache mit Jahrhunderten Geschichte<br />

und einer umstrittenen Identitätspolitik<br />

verbunden. Sie werden stolz gefeiert und vehement<br />

verteidigt.<br />

Das ist alles gut und es herrscht ein angenehmes<br />

Gefühl von leben und leben lassen. Vieles,<br />

was die Radsportler mitgebracht haben, kommt<br />

bei den Einheimischen gut an: Wenn Sie ins La<br />

Fabrica gehen, das berühmte Café, das dem früheren<br />

Profi Christian Meier und seiner Frau Amber<br />

gehört, werden Sie ebenso wahrscheinlich<br />

Geschäftsleute aus der Gegend sehen, die sich<br />

Kaffee und Gebäck schmecken lassen, wie Profis,<br />

Breitensportler, die einen auf Profi machen, und<br />

weltumreisende Tripadvisor-Junkies. Aber zwischen<br />

all den prokatalanischen Unabhängigkeitsflaggen<br />

und den katalanischen Esteladas, die im<br />

Wind flattern, sind Schilder zu sehen, auf denen<br />

steht: „Barri – Pisos Turístics“ und „Jedes Touristenapartment<br />

ist eine Wohnung, die den Einheimischen<br />

weggenommen wurde!“<br />

Nach Angaben der Gruppe „Més Barri Girona“,<br />

die sich für eine Begrenzung der Touristenapartments<br />

einsetzt, ist die Anzahl von Wohnungen,<br />

die kurzzeitig an Urlauber vermietet werden –<br />

über Airbnb und andere Anbieter –, in den drei<br />

Jahren vor 2018 von 179 auf 614 gestiegen, wobei<br />

sich die meisten davon auf das Barri Vell konzentrieren<br />

und in der gleichen Zeit um 25 Prozent<br />

zugenommen haben. Gleichzeitig sind die Immobilienpreise<br />

allein 2018 in Girona um 27 Prozent<br />

gestiegen, was eine der wohlhabendsten Ecken<br />

Spaniens zu einer der teuersten macht.<br />

Das ist nicht die Schuld der Radsportler. Es<br />

ist Teil des natürlichen Zyklus der (spanischen)<br />

Immobilienpreise, ein fremder Begriff für alle, die<br />

aus einem Land kommen, wo Vermögen in Immobilien<br />

angelegt wird und die Regierungen (vernünftigerweise)<br />

versuchen, es so stabil wie möglich<br />

zu halten. Es hat auch viel mit dem Brexit zu<br />

tun, da viele neue Käufer spanische Wohnungen<br />

in Anbetracht der drohenden Krise als sicherere<br />

Anlage betrachtet haben als britischen Beton.<br />

Die Stadtverwaltung ist im Begriff, einen Dialog<br />

mit den Einwohnen und Geschäftsleuten zu beginnen,<br />

wie mit der ansteigenden Welle umgegangen<br />

werden soll. Aber Girona ist Teil einer sich<br />

globalisierenden Welt, und seine mittelalterlichen<br />

Steine liegen im hellen Sonnenlicht des 21. Jahrhundert,<br />

ob es ihnen gefällt oder nicht.<br />

Radsport ist Teil dieser modernen Welt. Einige<br />

Leute denken, dass das moderne Leben Mist ist,<br />

doch für die große Mehrheit ist Girona immer<br />

noch ein wunderbarer Ort, um dort zu leben oder<br />

hinzureisen. Haben die Radsportler Girona also<br />

ruiniert? Nein. Jedenfalls noch nicht.<br />

Nathan Haas von Katusha Alpecin<br />

gehört zu den Profis, die in Girona leben.<br />

Der Tourismus bedeutet für Girona auch<br />

Wohnungsmangel und steigende Mieten.<br />

MAI 2019 | PROCYCLING 77


NACHLESE<br />

ANALYSE • ERKENNTNISSE • DATEN<br />

© Gruber Images<br />

MAILAND–SAN REMO / 23.03.2019<br />

DER LANG ERWARTETE SIEG<br />

BEI EINEM MONUMENT<br />

Julian Alaphilippe fuhr auf der Via<br />

Roma, der Zielgeraden von Mailand–<br />

San Remo, an einem Ende als Favorit<br />

hinein und am anderen Ende als Cham pion<br />

heraus. Indem er eine Handvoll der besten<br />

Klassiker-Fahrer in einem Sprint ohne<br />

Nerven abservierte, hatte Alaphilippe endlich<br />

ein Monument gewonnen. Die Pech-<br />

ERGEBNIS<br />

strähne des französischen Fahrers bei Monumenten<br />

war zwar keine psychologische<br />

Bürde für ihn, doch eine Reihe von hohen<br />

Resultaten – Zweiter bei Lüttich 2015,<br />

Dritter bei San Remo 2017, Zweiter bei der<br />

Lombardei-Rundfahrt 2017 und Vierter<br />

bei Lüttich 2018 – hätten Fragezeichen<br />

aufwerfen können, wäre er sonst nicht so<br />

FAHRER TEAM ZEIT<br />

1 Julian Alaphilippe Deceuninck–Quick-Step 6:40:14<br />

2 Oliver Naesen AG2R La Mondiale 0:00<br />

3 Michał Kwiatkowski Sky 0:00<br />

4 Peter Sagan Bora–hansgrohe 0:00<br />

5 Matej Mohorič Bahrain-Merida 0:00<br />

Alaphilippe gewinnt<br />

auf der Via<br />

Roma sein erstes<br />

Monument, nachdem<br />

er hier vor<br />

zwei Jahren Dritter<br />

wurde.<br />

14<br />

französische<br />

Siege unter 110<br />

Austragungen<br />

von Mailand–<br />

San Remo<br />

erfolgreich gewesen, bei Etappenrennen<br />

wie bei großen Rundfahrten.<br />

Tatsächlich fiel es Alaphilippe schwerer,<br />

im Laufe seiner Karriere Eintagesrennen<br />

zu gewinnen, als seine Stärke und sein<br />

fahrerisches Können vermuten lassen. Er<br />

brauchte fünf Jahre als Profi, um eines zu<br />

gewinnen – Flèche Wallonne 2018 –, und<br />

Mailand–San Remo war erst sein vierter<br />

Sieg bei einem Eintagesrennen nach der<br />

Clásica San Sebastián im letzten Jahr und<br />

Strade Bianche in diesem Frühjahr.<br />

Vielleicht war der Druck dieses Mal<br />

nicht da. Schließlich hatte er es bei Mailand–San<br />

Remo mit besseren Sprintern zu<br />

tun. Vor zwei Jahren hatten Michał Kwiatkowski<br />

und Peter Sagan ihn auf dieser<br />

Ziellinie geschlagen. Matteo Trentin hat<br />

Massensprints bei großen Rundfahrten<br />

ge wonnen. Alejandro Valverde und Michael<br />

Matthews, die beide endschnell<br />

sind, waren ebenfalls da. Wenn dies<br />

Flèche Wallonne oder Lüttich gewesen<br />

wäre, hätte man darauf gewettet, dass<br />

Bergaufsprinter Alaphilippe Erster oder<br />

Zweiter wird, aber bei einem flachen Sprint<br />

in dieser Gesellschaft hat wohl selbst ein<br />

Podiumsplatz optimistisch gewirkt.<br />

78 PROCYCLING | MAI 2019


Edward Pickering<br />

Herausgeber<br />

Ed denkt, dass die Verkleinerung<br />

der Teams 2018 zu besseren Ein -<br />

ta ges rennen geführt hat, bei denen<br />

die Ausreißer mehr Erfolg haben.<br />

Sam Dansie<br />

Redakteur<br />

Paris–Nizza war genial, doch Sam<br />

fand den Turini etwas zu lang im<br />

Stil von Tirreno–Adriatico und nicht<br />

knackig à la Rennen zur Sonne.<br />

Sophie Hurcom<br />

<strong>Procycling</strong>-Autorin<br />

Bob Jungels wollte die Kopfstein-<br />

Klassiker also fahren, um<br />

Erfahrungen zu sammeln?<br />

Unerfahren wirkte er dabei nie …<br />

Sadhbh O’Shea<br />

<strong>Procycling</strong>-Autorin<br />

Von ihrem Team als Power-Paar<br />

bezeichnet, scheinen Kristoff und<br />

Gaviria wirklich zu einem furcht -<br />

erregenden Gespann zu werden.<br />

Dieses Wissen mag den besseren Sprintern<br />

mehr auf der Seele gelegen haben<br />

als Alaphilippe. Alles lief, wie es sich der<br />

Franzose wohl gewünscht hätte: Auf den<br />

letzten 500 Metern hatte sich die Gruppe<br />

aufgefächert und war ein bisschen langsamer<br />

geworden, wobei Sagan vorne im<br />

Wind war. Matej Mohoric, eher ein Diesel<br />

als ein endschneller Fahrer, beschleunigte<br />

links, und Alaphilippe nahm dankbar sein<br />

Hinterrad, gefolgt von Oliver Naesen, Kwiatkowski<br />

und Sagan. Dass diese vier in<br />

der Reihenfolge über die Linie fuhren,<br />

war Zeugnis von Alaphilippes Stärke und<br />

Rennübersicht; auch von der Effektivität<br />

von Mohorics Sprinteröffnung, selbst<br />

wenn es für den Slowenen selbst eine taktische<br />

Sackgasse war.<br />

Im dritten Jahr in Folge wurde San<br />

Remo von einem Ausreißer gewonnen,<br />

und die Auflage von 2019 zeigte mehr<br />

denn je, welche winzigen Dinge über Sieg<br />

und Niederlage entscheiden und warum<br />

der Erfolg hier ebenso von taktischem Geschick<br />

und Energiemanagement abhängt<br />

wie von den physischen Fähigkeiten, sei es<br />

Klettern oder Sprintern.<br />

Vor dem Finale passierte lange Zeit<br />

nichts: eine frühe Ausreißergruppe, die<br />

Naesen wurde Zweiter in<br />

San Remo – sein bislang bestes<br />

Ergebnis bei einem Monument.<br />

lange vorne war, wie immer, aber praktisch<br />

keine Bewegung im Peloton an den<br />

capi an der Küste und der Cipressa. Niccolò<br />

Bonifazio startete in der Abfahrt von<br />

der Cipressa einen telegenen Angriff, fuhr<br />

aber nicht mehr als 20 Sekunden heraus.<br />

Doch es war ein ungewöhnlich schnelles<br />

Rennen, und während es die ersten sechseinhalb<br />

Stunden der Übertragung nicht<br />

besonders interessant machte außer dem<br />

unbeabsichtigten Waldbrand, den übereifrige<br />

Fans mit Leuchtsignalen an der Capo<br />

Berta ausgelöst hatten, zermürbte es das<br />

Peloton. So sehr, dass, als Alaphilippe<br />

schließlich am Poggio für ein Feuerwerk<br />

sorgte, als noch weniger als zehn Minuten<br />

zu fahren waren und sich die stärksten<br />

Fahrer absetzten – eine Gruppe von sieben,<br />

die im Tal auf 13 anwuchs –, niemand<br />

mehr da war, der die Verfolgung<br />

hätte aufnehmen können. Das führende<br />

Septett waren Alaphilippe, Naesen, Kwiatkowski,<br />

Sagan, Wout Van Aert, Valverde<br />

und Trentin. Sie bekamen Gesellschaft<br />

von Tom Dumoulin, Vincenzo Nibali, Mohoric,<br />

Matthews, Daniel Oss und Simon<br />

Clarke. 13 Fahrer, vor allem aber zehn<br />

Teams. Von den Equipes in der nächsten<br />

Gruppe, die so gefährliche Sprinter wie<br />

Alexander Kristoff, Fernando Gaviria und<br />

Magnus Cort umfasste, hatten wenige, die<br />

ganz vorne nicht vertreten waren, noch<br />

genug Manpower. Die Gruppe war mit 44<br />

Fahrern größer, aber in der Spitzengruppe<br />

arbeiteten mehr Fahrer mit als im restlichen<br />

Peloton.<br />

Und dann lief es auf ein Spiel des<br />

Bluffens und die Umstände hinaus. Naesen<br />

griff in der Abfahrt vom Poggio an,<br />

wurde jedoch abgefangen. Trentins Angriff<br />

in San Remo war eine Art von Attacke,<br />

die als couragiert gefeiert worden<br />

wäre, hätte sie Erfolg gehabt. Sie wirkte<br />

waghalsig, als Van Aert ihn abfing und<br />

Trentin um seine Chancen brachte, aber<br />

auch sich um seine eigenen. Mohoric attackierte<br />

unter dem Ein-Kilometer-Banner,<br />

und dieses Mal nahm Alaphilippe die<br />

Verfolgung auf. Er hing am Hinterrad des<br />

Slowenen, sprang an das von Sagan und<br />

dann zurück zu Mohoric, als er seinen<br />

letzten Vorstoß unternahm. Alaphilippe<br />

hatte seinen ersten Sieg bei einem Monument,<br />

aber sicher nicht den letzten.<br />

DAS ITALIENISCHE<br />

FRÜHJAHRS-DOUBLE<br />

Julian Alaphilippe war der dritte Mailand–San-Remo-<br />

Sieger, der im selben Jahr bereits die Strade Bianche<br />

gewonnen hatte. Er gesellte sich zu Fabian Cancellara,<br />

der die zweite Austragung der Strade Bianche 2008<br />

gewann, und Michał Kwiatkowski, der das italienische<br />

Frühjahrs-Double 2017 perfekt machte. Diese beiden<br />

Rennen mögen sehr verschieden sein in ihrem Terrain,<br />

aber sie sind Teil eines zusammenhängenden Blocks<br />

von Rennen, die den Wettbewerb auf Schotterstraßen<br />

zu einer guten Vorbereitung auf die „Primavera“<br />

machen. Zwischen den Rennen liegen zwei Wochen, in<br />

die Tirreno–Adriatico fällt. Alaphilippe, Cancellara und<br />

Kwiatkowski sind auch nicht die einzigen Fahrer, die<br />

beide Eintagesrennen angepeilt haben; Philippe Gilbert<br />

gewann die Strade Bianche 2011 und wurde dann<br />

Dritter bei San Remo.<br />

Alaphilippes Strade-Bianche-Sieg beruhte auf der<br />

überlegenen Stärke in der Tiefe seines Deceuninck-<br />

Teams. Als die letzte Selektion 14 Fahrer nach vorne<br />

spülte, waren drei aus der belgischen Mannschaft<br />

dabei: Alaphilippe, Yves Lampaert und Štybar.<br />

Lampaert hielt den Laden zusammen, und als Jakob<br />

Fuglsang attackierte und Alaphilippe mitzog, war<br />

dem Franzosen der Sieg praktisch sicher. Mit seinem<br />

überlegenen Bergaufsprint servierte er den Dänen in<br />

Siena ab, bevor er zwei Wochen später einen noch<br />

größeren Sieg feierte.<br />

STRADE BIANCHE<br />

NACH SAN REMO<br />

JAHR SIEGER STRADE BIANCHE PLATZ SAN REMO<br />

2008 Fabian Cancellara 1.<br />

2009 Thomas Löfkvist 107.<br />

2010 Maxim Iglinskiy 8.<br />

2011 Philippe Gilbert 3.<br />

2012 Fabian Cancellara 2.<br />

2013 Moreno Moser 45.<br />

2014 Michał Kwiatkowski DNF<br />

2015 Zdeněk Štybar 56.<br />

2016 Fabian Cancellara 31.<br />

2017 Michał Kwiatkowski 1.<br />

2018 Tiesj Benoot DNS<br />

2019 Julian Alaphilippe 1.<br />

© Kramon<br />

MAI 2019 | PROCYCLING 79


NACHLESE<br />

GENT–WEVELGEM / 31.03.2019<br />

KRISTOFF ZU SCHNELL<br />

FÜR EIN ZERMÜRBTES<br />

PELOTON<br />

© Kramon, Gruber Images (groß)<br />

Die gute Nachricht für den Rest des<br />

Fahrerfelds ist, dass bei Gent–<br />

Wevelgem endlich eine Möglichkeit<br />

gefunden wurde, den Würgegriff von<br />

Deceuninck–Quick-Step um die belgischen<br />

Eintagesrennen zu lockern. Die<br />

schlechte Nachricht ist, dass die verwendete<br />

Methode war, das gesamte Rennen<br />

viel härter als sonst zu fahren.<br />

Plan A des belgischen Teams lautete,<br />

das Rennen zu kontrollieren, damit es zu<br />

einem Sprint kommen und ihr Vorjahres-<br />

Zweiter Elia Viviani punkten würde. Doch<br />

der Italiener war im Finale des Rennens<br />

zermürbt und nicht fähig, seine normalerweise<br />

atemberaubende Endgeschwindigkeit<br />

auch nur annähernd zu erreichen.<br />

Nutznießer war Alexander Kristoff, der<br />

nicht der schnellste Massensprinter der<br />

Welt ist, aber bei langen und schweren<br />

Rennen in seinem Element ist. Ex-Sprinter<br />

Robbie McEwen bemerkte, dass Kristoffs<br />

Teamkollege Fernando Gaviria im Sprint<br />

einen sehr guten Job als „Ausputzer“ des<br />

Norwegers gemacht hatte – sich an sein<br />

ERGEBNIS<br />

Hinterrad gehängt hatte, um zu verhindern,<br />

dass irgendjemand von seinem<br />

Windschatten profitieren konnte. Aber<br />

Kristoffs Beschleunigung und Spitzengeschwindigkeit<br />

war der aller anderen so<br />

überlegen, dass ohnehin niemand an ihm<br />

vorbeigekommen wäre.<br />

Velon, das Kollektiv einiger World-<br />

Tour-Teams, veröffentlichte die Wattzahlen<br />

des Siegers Kristoff, aus denen hervorging,<br />

dass der Norweger fünfeinhalb<br />

Stunden lang im Schnitt 345 Watt getreten<br />

hatte. Das entspricht der Leistung,<br />

die es erfordert, um bei einer schweren<br />

Ausgabe der Flandern-Rundfahrt konkurrenzfähig<br />

zu sein. George Hincapie veröffentlichte<br />

seine normalisierte Wattzahl<br />

für die Austragung der Ronde 2011, die<br />

339 Watt betrug. (Kristoff verbrannte in<br />

der Zeit auch 7.350 Kalorien, was 16 Portionen<br />

belgischen Pommes und 16 belgischen<br />

Bier entspricht – plus ein Energie-Gel.)<br />

Doch bevor Kristoff gewinnen konnte,<br />

mussten er und der Rest des Pelotons dafür<br />

sorgen, dass Deceuninck verlor. Ausnahmsweise<br />

einmal geriet das belgische<br />

Team früh ins Hintertreffen – Seitenwind<br />

zerlegte das Peloton, als noch 200 Kilometer<br />

zu fahren waren, und während einige<br />

Teams wie Jumbo-Visma und Trek-<br />

Segafredo viele Fahrer in die 20-köpfige<br />

Gruppe bekamen, die sich absetzte, war<br />

Deceuninck nur mit Tim Declercq vertreten.<br />

Das belgische Team hat viele starke<br />

Fahrer und Declercq ist ein zuverlässiges<br />

Arbeitspferd, aber es war klar, dass er aus<br />

einer Gruppe heraus, in der sich Peter Sagan,<br />

John Degenkolb, Wout Van Aert,<br />

Matteo Trentin und Niki Terpstra befanden,<br />

niemals würde gewinnen können.<br />

FAHRER TEAM ZEIT<br />

1 Alexander Kristoff UAE Team Emirates 5:26:08<br />

2 John Degenkolb Trek-Segafredo 0:00<br />

3 Oliver Naesen AG2R La Mondiale 0:00<br />

4 Mathieu Van Der Poel Corendon-Circus 0:00<br />

5 Danny Van Poppel Jumbo–Visma 0:00<br />

Ausgepumpt<br />

liegt Degenkolb am<br />

Boden, nachdem er<br />

Zweiter hinter Kristoff<br />

geworden ist.<br />

74<br />

Siege in<br />

Kristoffs<br />

Karriere<br />

Die Aufholjagd unter Führung von Lotto-<br />

Soudal und CCC dauerte fast den Rest<br />

des Rennens. Einige wenige Überlebende,<br />

darunter Trentin und Sagan, waren bei<br />

der letzten Passage des Kemmelbergs<br />

noch vorn; einige wenige fleißige andere<br />

wie Luke Rowe und Kristoff schafften den<br />

Anschluss. Als auf den letzten 20 Kilometern<br />

alles zusammenlief, war das Peloton<br />

auf 35 Fahrer geschrumpft, wovon die<br />

meisten erledigt waren, nachdem sie entweder<br />

den ganzen Tag in der Ausreißergruppe<br />

verbracht oder den ganzen Tag<br />

Nachführarbeit geleistet hatten.<br />

Deceunincks Plan A stand, gerade so<br />

eben. Trek begann sich zu formieren. Mit<br />

Degenkolb, Jasper Stuyven und Mads Pedersen<br />

hatten sie wohl die besten Op tionen<br />

für das Finale: einen Sprinter (Degenkolb),<br />

einen Klassiker-Spezialisten (Pe dersen)<br />

und einen Fahrer, der beides konnte (Stuy-<br />

80 PROCYCLING | MAI 2019


NACHLESE<br />

E3 BINCKBANK CLASSIC / 29.03.2019<br />

VERBESSERUNGEN<br />

IN DER TONART<br />

VON E3<br />

ven), wobei Pedersen im Finale<br />

besonders ag gressiv war.<br />

Während Trek sich behauptete,<br />

war De ceuninck<br />

defensiv; aber Vi viani<br />

muss gewusst haben, dass<br />

seine Chancen im Sprint<br />

nach einem so harten<br />

Rennen nicht glänzend<br />

waren.<br />

Treks Leistung<br />

wurde belohnt<br />

mit Degenkolbs<br />

zweitem Platz<br />

hinter Kristoff,<br />

aber letztlich konnte<br />

die ganze Teamarbeit<br />

nichts ausrichten<br />

gegen den<br />

brachialen Endspurt<br />

des Norwegers.<br />

Im Seitenwind<br />

riss das Rennen<br />

auseinander, was<br />

für ein brutales<br />

Tempo sorgte.<br />

Niemand beim E3<br />

BinckBank Classic<br />

kann behaupten, er<br />

sei nicht gewarnt worden.<br />

Indem es das Rennen in<br />

Flandern gewann, bot das<br />

Team Deceuninck–Quick-<br />

Step der Radsportwelt ein<br />

Potpourri ihrer bisher größten<br />

belgischen Frühjahrshits.<br />

Der Sieg war eine Kombination<br />

aus dem Fahrer und<br />

der Taktik, mit der sie Kuurne–Brüssel–Kuurne<br />

gewonnen<br />

hatten, und dem Fahrer<br />

und der Taktik, mit der sie Omloop Het<br />

Nieuwsblad gewonnen hatten.<br />

Bob Jungels, der bei Kuurne als Solist<br />

gesiegt hatte, unternahm beim E3 wieder<br />

eine lange Alleinfahrt vor dem Peloton.<br />

Er attackierte 60 Kilometer vor der Linie,<br />

schloss sich den Überbleibseln der Ausreißergruppe<br />

an, die sich darauf neu sortierte,<br />

bevor er 40 Kilometer vor der Linie<br />

wieder alleine losstiefelte. So weit, so gut.<br />

Aber dieses Mal gaben seine Rivalen nicht<br />

auf, und eine erlesene Gruppe, die sich am<br />

Oude Kwaremont abgesetzt hatte und<br />

Greg Van Avermaet, Wout Van Aert, Peter<br />

Sagan, Alberto Bettiol, Matteo Trentin,<br />

Jens Keukeleire und Oliver Naesen umfasste,<br />

nahm die Verfolgung auf. Es<br />

herrschte große Harmonie in der Gruppe,<br />

weil alle dasselbe Interesse hatten, Jungels<br />

abzufangen; einziger Missklang war die<br />

Anwesenheit von Jungels’ Teamkollegen<br />

Zdenek Štybar.<br />

Hier wechselte Deceuninck die Tonart<br />

und verlegte sich auf die Taktik des Omloop.<br />

Die Gruppe verringerte das Defizit und<br />

ERGEBNIS<br />

holte den Luxemburger schließlich sieben<br />

Kilometer vor der Linie ein; zu diesem<br />

Zeitpunkt waren Bettiol, Van Avermaet,<br />

Van Aert und Štybar übrig. Jungels hatte<br />

viel Pulver verschossen, doch die Nachführarbeit<br />

hatte auch die drei Nicht-<br />

Deceu ninck-Fahrer zermürbt.<br />

Auf dem Papier hätte sich Štybar normalerweise<br />

Sorgen um Van Avermaet<br />

machen müssen, aber er hatte viel frischere<br />

Beine im Finale, was jegliche Ungleichheit<br />

in ihrer Sprintgeschwindigkeit mehr<br />

als ausglich. Das hielt Štybar und Jungels<br />

nicht davon ab, zu versuchen, auf dem<br />

letzten Kilometer anzugreifen, aber es<br />

lief auf einen Sprint hinaus, den der<br />

Tscheche sehr einfach aussehen ließ.<br />

Der Kuurne-Sieger hatte den Boden bereitet,<br />

damit der Omloop-Sieger das E3<br />

BinckBank Classic gewann.<br />

Štybar holt seinen zweiten Frühjahrssieg<br />

für Deceuninck beim E3.<br />

FAHRER TEAM ZEIT<br />

1 Zdeněk Štybar Deceuninck–Quick-Step 4:46:05<br />

2 Wout Van Aert Jumbo–Visma 0:00<br />

3 Greg Van Avermaet CCC Team 0:00<br />

4 Alberto Bettiol EF Education First 0:00<br />

5 Bob Jungels Deceuninck–Quick-Step + 0:03<br />

© Getty Images<br />

MAI 2019 | PROCYCLING 81


NACHLESE<br />

Astana<br />

Deceuninck–Quick-Step<br />

Mitchelton-Scott<br />

Bora–hansgrohe<br />

UAE Emirates<br />

Jumbo–Visma<br />

21<br />

20<br />

16<br />

11<br />

11<br />

9<br />

SIEGE<br />

PRO<br />

TEAM<br />

Direct Energie .................................. 7<br />

EF Education First ..............................6<br />

Lotto Soudal ...................................6<br />

Movistar .......................................6<br />

Team Sky. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5<br />

SIEGE<br />

PRO LAND<br />

22<br />

ITALIEN<br />

16<br />

KOLUMBIEN<br />

22<br />

FRANKREICH<br />

10<br />

SPANIEN<br />

Groupama-FDJ ................................. 5<br />

Cofidis .........................................4<br />

Team Sunweb .................................. 3<br />

Trek-Segafredo. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3<br />

Team CCC ...................................... 3<br />

5<br />

ALEXEY<br />

LUTSENKO<br />

ASTANA<br />

SIEGE<br />

PRO FAHRER<br />

7<br />

JULIAN<br />

ALAPHILIPPE<br />

DECEUNINCK–<br />

QUICK-STEP<br />

5<br />

DYLAN<br />

GROENEWEGEN<br />

JUMBO–VISMA<br />

Elia Viviani Deceuninck–Quick-Step 4<br />

Niccolò Bonifazio Direct Energie 4<br />

Daryl Impey Mitchelton-Scott 4<br />

Sam Bennett Bora–hansgrohe 4<br />

Miguel Á. López Astana 3<br />

Fernando Gaviria UAE Emirates 3<br />

Primož Roglič Jumbo–Visma 3<br />

Matteo Trentin Mitchelton-Scott 3<br />

Tim Wellens Lotto Soudal 3<br />

Christophe Laporte Cofidis 3<br />

Merhawi Kudus Astana 3<br />

Zdeněk Štybar Deceuninck–Quick-Step 3<br />

© Getty Images (Lutsenko), BettiniPhoto (Alaphilippe), Yuzuru Sunada (Groenewegen); Stand: 13. 04.2019<br />

PARIS–NIZZA / 10.–17.03.2019<br />

SKY GEWINNT<br />

SECHSTES PARIS–<br />

NIZZA<br />

Sky hat mit Egan Bernal sein sechstes Paris–<br />

Nizza der letzten acht Jahre gewonnen.<br />

Der Kolumbianer war der fünfte Fahrer des<br />

britischen Teams, der das Rennen seit 2012 gewann.<br />

Der Sieg war der größte in der bisherigen<br />

Karriere des 22-Jährigen, der jüngster Sieger des<br />

Rennens seit Stephen Roche 1981 wurde. Der<br />

Erfolg unterstrich auch Bernals Potenzial als Allrounder.<br />

Er und sein Sky-Team nutzten den Seitenwind<br />

auf den ersten Etappen, um einige seiner<br />

Rivalen früh zu distanzieren. Ein starkes Zeitfahren<br />

und eine gute Vorstellung bei der Bergankunft<br />

am Col de Turini brachten ihm das Leadertrikot;<br />

auch einen Angriff von Nairo Quintana in Nizza<br />

am letzten Tag wehrte Bernal ab.<br />

FAHRER<br />

TEAM<br />

1 Egan Bernal Team Sky<br />

2 Nairo Quintana Movistar<br />

3 Michał Kwiatkowski Team Sky<br />

TIRRENO–ADRIATICO / 13.–19.03.2019<br />

EINE SEKUNDE<br />

FÜR ROGLIČ<br />

Primož Roglic ging als einer der beständigsten<br />

Rundfahrer des Pelotons in die Saison<br />

2019 und gewann mit Tirreno–Adriatico<br />

seine zweite Gesamtwertung bei zwei Starts.<br />

Aber anders als bei der UAE Tour, wo Roglic vom<br />

ersten Tag an führte, musste er bis zur siebten<br />

und letzten Etappe warten, bis er das Spitzenreitertrikot<br />

gewann – und das mit dem denkbar<br />

knappsten Vorsprung. Obwohl er im Mannschaftszeitfahren<br />

zum Auftakt Zeit auf Adam<br />

Yates verlor und in den Anstiegen der 4. Etappe<br />

distanziert wurde, spielte Roglic seine Überlegenheit<br />

gegen die Uhr auf der 7. Etappe in San<br />

Benedetto del Tronto aus und schlug den Briten<br />

um eine Sekunde.<br />

FAHRER<br />

TEAM<br />

1 Primož Roglič Jumbo–Visma<br />

2 Adam Yates Mitchelton-Scott<br />

3 Jakob Fuglsang Astana<br />

RONDE VAN DRENTHE / 17.03.2019<br />

BASTIANELLIS<br />

STARKER START<br />

GEHT WEITER<br />

Das Team zu wechseln und zu Virtu Cycling<br />

zu gehen, ist eine Veränderung, die<br />

sich auszuzahlen scheint für Marta Bastianelli,<br />

die sich bei der Ronde van Drenthe ihren<br />

zweiten Saisonsieg gesichert hat. Er gehörte in<br />

eine Reihe von beständigen Resultaten der Italienerin,<br />

die sich in dieser Saison immer in den Top<br />

Ten platzieren konnte. Mit 165,7 Kilometern ist<br />

die Ronde van Drenthe zum längsten Rennen<br />

auf dem Kalender der Women’s WorldTour geworden.<br />

Die Europameisterin folgte einem Angriff<br />

von Ellen van Dijk auf den letzten neun Kilometern,<br />

bevor sie das holländische Duo van Dijk<br />

und Chantal Blaak im Sprint schlug.<br />

FAHRERIN<br />

TEAM<br />

1 Marta Bastianelli Team Virtu Cycling<br />

2 Chantal Blaak Boels-Dolmans<br />

3 Ellen van Dijk Trek-Segafredo<br />

82 PROCYCLING | MAI 2019


NACHLESE<br />

SIEGE<br />

PRO<br />

TEAM –<br />

FRAUEN<br />

Mitchelton-Scott<br />

Trek-Segafredo<br />

WNT-Rotor Pro Cycling<br />

Team Virtu Cycling<br />

Boels-Dolmans<br />

8<br />

AUSTRALIEN<br />

SIEGE PRO<br />

FAHRERIN<br />

Kirsten Wild WNT Pro Cycling 2<br />

Clara Koppenburg WNT-Rotor 2<br />

Marta Bastianelli Team Virtu Cycling 2<br />

Chloe Hosking Alé Cipollini 2<br />

Lotta Lepistö Trek-Segafredo 2<br />

SIEGE PRO LAND – FRAUEN<br />

TROFEO ALFREDO BINDA / 24.03.2019<br />

GESCHICHTS-<br />

SCHREIBERIN VOS<br />

STELLT REKORD EIN<br />

Mitte März stellte Marianne Vos Maria<br />

Canins’ Rekord von vier Siegen bei der<br />

Trofeo Alfredo Binda ein. Zuletzt hatte<br />

Vos den italienischen Klassiker in ihrem Zenit<br />

in der Saison 2012 gewonnen, doch obwohl sieben<br />

Jahre vergangen sind, erinnerte die Art ihres<br />

Sieges an einige ihrer besten Vorstellungen aller<br />

Zeiten. Nachdem sie es im Schlussanstieg des Tages<br />

mit ihrer Teamkollegin Ashleigh Moolman in<br />

die entscheidende Gruppe geschafft hatte, lieferte<br />

Vos den Sprint ab, der sie in der Vergangenheit zu<br />

zahllosen Siegen befördert hatte. Sie katapultierte<br />

sich auf der Zielgeraden vom sechsten auf den ersten<br />

Platz und hatte noch genug Zeit, um sich aufzurichten<br />

und zu jubeln.<br />

FAHRERIN<br />

2<br />

TEAM<br />

1 Marianne Vos CCC Liv<br />

2 Amanda Spratt Mitchelton-Scott<br />

3 Cecilie Uttrup Ludwig Bigla Pro Cycling<br />

2<br />

7<br />

8<br />

4<br />

NIEDERLANDE<br />

5<br />

2 2 2<br />

LUCY<br />

KENNEDY<br />

MITCHELTON-<br />

SCOTT<br />

3<br />

ITALIEN<br />

2<br />

DEUTSCHLAND<br />

KATALONIEN-RUNDFAHRT / 25.–31.03.2019<br />

LÓPEZ FÜHRT DIE<br />

NÄCHSTE RUNDFAHRER-<br />

GENERATION AN<br />

Miguel Ángel López hat die Serie von<br />

As tana fortgesetzt und bei der Volta a<br />

Catalunya für den 21. Sieg des Teams<br />

in diesem Jahr sowie seinen zweiten Gesamtsieg<br />

2019 gesorgt. In einem Kampf der Rundfahrer-<br />

Asse der nächsten Generation wehrte der 25 Jahre<br />

alte Kolumbianer einen Angriff der Yates-Brüder<br />

und Egan Bernal ab, um nach seinem Sieg<br />

beim Colombia 2.1 noch einen draufzusetzen.<br />

López fuhr bei der Bergankunft der 4. Etappe in<br />

La Molina ins Spitzenreitertrikot, aber obwohl die<br />

Mitchelton-Scott-Zwillinge am letzten Tag in die<br />

Offensive gingen, konnten sie Adams 14-Sekunden-Vorsprung<br />

nicht mehr wettmachen.<br />

FAHRER<br />

AMANDA<br />

SPRATT<br />

MITCHELTON-<br />

SCOTT<br />

TEAM<br />

1 Miguel Á. López Astana<br />

2 Adam Yates Mitchelton-Scott<br />

3 Egan Bernal Team Sky<br />

GRACE<br />

BROWN<br />

MITCHELTON-<br />

SCOTT<br />

WORLDTOUR-<br />

RANGLISTE<br />

1<br />

2<br />

3<br />

4<br />

5<br />

6<br />

7<br />

8<br />

9<br />

10<br />

JULIAN ALAPHILIPPE<br />

Punkte: 3.665,95<br />

Deceuninck–Quick-Step, 26<br />

920 Punkte für San Remo,<br />

Strade Bianche und<br />

Etappensiege bei Tirreno<br />

ALEJANDRO VALVERDE<br />

Punkte: 3.482<br />

Movistar, Alter: 38<br />

Top-Ten-Plätze in San Remo<br />

und Katalonien zahlen sich<br />

aus für Valverde<br />

TOM DUMOULIN<br />

Punkte: 3.145,43<br />

Sunweb, Alter: 28<br />

275 Punkte als Vierter<br />

in Tirreno, 70 Zähler für<br />

Platz 11 in San Remo<br />

THIBAUT PINOT<br />

Punkte: 2.712<br />

Groupama-FDJ, Alter: 28<br />

5. bei Tirreno, 11. in Katalo nien<br />

bringen Pinot nach vorne<br />

PRIMOŽ ROGLIČ<br />

Punkte: 2.665,28<br />

Jumbo–Visma, Alter: 29<br />

Tirreno-Sieg bringt Roglič<br />

500 Punkte und eine solide<br />

Platzierung<br />

MICHAEL MATTHEWS<br />

Punkte: 2.611,86<br />

Team Sunweb, Alter: 28<br />

Zwei Tagessiege in Katalonien<br />

und Platz 6 in Flandern<br />

bringen ihn nach vorne<br />

ELIA VIVIANI<br />

Punkte: 2.574<br />

Deceuninck–Quick-Step, 30<br />

Dritter bei De Panne und ein<br />

Sieg bei Tirreno lassen das<br />

Punktekonto steigen<br />

GREG VAN AVERMAET<br />

Punkte: 2.570,9<br />

CCC Team, Alter: 33<br />

Top-Ten-Plätze bei den Klas -<br />

sikern bringen dem Belgier<br />

Punkte, trotzdem fällt er<br />

SIMON YATES<br />

Punkte: 2.537<br />

Mitchelton-Scott, Alter: 26<br />

Fällt in den Top Ten, doch<br />

für den Zeitfahrsieg bei<br />

Paris–Nizza gibt es Punkte<br />

MIGUEL ÁNGEL LÓPEZ<br />

Punkte: 2.522<br />

Astana, Alter: 25<br />

Fette 474 Punkte für den<br />

Gesamt- und einen Tagessieg<br />

in Katalonien<br />

11 Oliver Naesen AG2R La Mondiale 2.404<br />

12 Romain Bardet AG2R La Mondiale 2.373<br />

13 Tim Wellens Lotto Soudal 2.331<br />

14 Geraint Thomas Team Sky 2.285,82<br />

15 Alexander Kristoff UAE Emirates 2.246<br />

© Velofocus (Fahrerinnen), BettiniPhoto (Valverde), Yuzuru Sunada (Yates, Sagan, Viviani, López), Kramon (Avermaet), Getty Images (Dumoulin, Roglic, Pinot, Matthews); Stand: 13.04.2019<br />

MAI 2019 | PROCYCLING 83


NACHLESE<br />

Fahrer im Fokus<br />

TOM DUMOULIN<br />

WAS WIR<br />

DIESEN MONAT<br />

GELERNT HABEN<br />

Deceuninck ist<br />

nicht unschlagbar<br />

© Getty Images<br />

Tom Dumoulin ist gut unterwegs. Er hat<br />

den Giro d’Italia 2017 gewonnen und war<br />

Zweiter des Giro und der Tour im letzten<br />

Jahr. Er ist wohl der größte Favorit für den diesjährigen<br />

Giro in einem gut besetzten Feld, und er<br />

hat verlauten lassen, dass er anschließend die<br />

Tour de France bestreiten will. Mit einem Regenbogentrikot<br />

im Zeitfahren liegt er voll auf Kurs<br />

und könnte seine Karriere sogar mit einem Gelben<br />

Trikot krönen.<br />

Doch Dumoulin ist mehr als ein starker Zeitfahrer,<br />

der in den Bergen mit den Besten mithalten<br />

kann. Er ist ein Rundfahrer und hat 20 seiner<br />

letzten 25 Etappenrennen in den Top Ten beendet.<br />

Aber er entwickelt auch Ambitionen bei Eintagesrennen.<br />

Er war Elfter bei Mailand–San Remo<br />

in diesem Frühjahr und Vierter des WM-Straßenrennens<br />

Ende 2018. Beide Male erreichte er das<br />

Finale in derselben Gruppe wie der Sieger.<br />

Dumoulin hat einiges zu tun, wenn er ein<br />

Eintagesrennen gewinnen will. Bei Mailand–<br />

San Remo und der Weltmeisterschaft musste er<br />

aus dem Peloton zur Spitzengruppe aufschließen.<br />

Die gute Nachricht ist, dass er am Ende extrem<br />

langer Rennen zu Weltklasseleistungen fähig ist;<br />

die schlechte ist: Wäre sein Timing besser gewesen<br />

oder wäre er aktiver gewesen, hätte er den<br />

Ausreißern sofort folgen oder den Angriff selbst<br />

anzetteln und sich damit in eine bessere Lage<br />

bringen können.<br />

Diese Rennen haben uns daran erinnert, dass<br />

er kein Sprinter ist. Nichtsprinter können Ein-<br />

tagesrennen gewinnen – sie müssen nur dafür<br />

sorgen, dass sie das Finale in einer einköpfigen<br />

Gruppe erreichen. Dumoulin ist fähig, am Ende<br />

eines Monuments – besonders eines hügeligen<br />

– oder eines langen Klassikers eine höhere Geschwindigkeit<br />

aufrechtzuerhalten als fast jeder<br />

andere. Er wird sich wahrscheinlich in den nächsten<br />

Jahren auf sein Hauptziel, die großen Rundfahrten,<br />

konzentrieren, aber seien Sie nicht überrascht,<br />

wenn er gelegentlich mit einem Resultat<br />

bei einem Eintagesrennen auftaucht.<br />

DUMOULINS<br />

EIN TAGES-TOP-15<br />

Mailand–San Remo 2019 11.<br />

Straßenweltmeisterschaft 2018 4.<br />

Lüttich–Bastogne–Lüttich 2018 15.<br />

Clásica San Sebastián 2017 4.<br />

Strade Bianche 2017 5.<br />

Straßenweltmeisterschaft 2015 11.<br />

GP de Montréal 2014 6.<br />

GP de Québec 2014 2.<br />

Strade Bianche 2014 12.<br />

GP de Wallonie 2013 6.<br />

Rund um Köln 2012 5.<br />

Deceuninck startete genau so in die Saison<br />

2019, wie das Team das ganze 2018 verbracht<br />

hatte: mit dem Gewinn von Eintagesrennen.<br />

Es hielt sich dran: Omloop, Kuurne,<br />

Samyn, Strade Bianche, San Remo, E3 …<br />

Aber es gab Risse in der Rüstung. De Panne,<br />

Gent–Wevelgem und Dwars door Vlaanderen entglitten<br />

der Mannschaft, und Zdenek Štybar war<br />

sich beim E3 seines Sprints nicht sicher genug,<br />

um nicht zuerst zu versuchen, die Spitzengruppe<br />

anzugreifen (er hätte sich keine Sorgen machen<br />

müssen – die Körner, die seine Rivalen bei der<br />

Verfolgung des Solo-Angriffs durch Deceuninck-<br />

Fahrer Bob Jungels verschossen hatten, hatten sie<br />

genügend geschwächt, damit sein Sprintsieg eine<br />

Formalität war).<br />

Die Rivalen von Deceuninck wird ermutigt<br />

haben, dass Elia Viviani bei De Panne und Gent–<br />

Wevelgem den Sprint verlor. Dylan Groenewegen<br />

war bei De Panne einfach schneller, während Viviani<br />

bei Gent–Wevelgem nach einem schnellen,<br />

aggressiven Rennen, das ständig eine neue Form<br />

annahm, im Finale ebenfalls ausgepowert war.<br />

Der Italiener mag in einem kürzeren, flacheren<br />

Rennen sehr schnell sein, doch in einer verzweifelt<br />

erschöpften Gruppe am Ende eines windigen<br />

Kopfsteinpflaster-Klassikers konnte er der Härte<br />

eines Alexander Kristoffs nichts entgegensetzen.<br />

Beim Dwars door Vlaanderen wurde der Fahrer,<br />

der in diesem Jahr einer von Deceunincks stärksten<br />

Kopfsteinpflaster-Fahrern war, Bob Jungels,<br />

im Sprint einer Fünfergruppe geschlagen.<br />

Die wirkungsvollsten Waffen von Deceuninck<br />

sind – in dieser Reihenfolge – Julian Alaphilippe<br />

und Stärke in der Tiefe. Alaphilippe hat bei Mailand–San<br />

Remo gezeigt, dass er in den kommenden<br />

Jahren eine Klassiker-Macht sein wird. Aber<br />

außer ihm sind ihre jetzigen Fahrer schlagbar,<br />

selbst wenn sie zusammen eine formidable Einheit<br />

bilden. Ihre Rivalen finden gerade heraus, wie<br />

man das ausnutzen kann.<br />

84 PROCYCLING | MAI 2019


NACHLESE<br />

TAKTIK-TIPPS: MOVISTARS PLAN<br />

BEI PARIS–NIZZA GEHT NICHT AUF<br />

Vor der letzten Etappe von Paris–<br />

Nizza war Nairo Quintana Gesamt-Dritter<br />

mit 46 Sekunden<br />

Rückstand auf seinen Landsmann Egan<br />

Bernal (Sky). Die Route des Tages in den<br />

Hügeln bei Nizza war nicht ganz das<br />

Hochgebirgsterrain, in dem Quintana am<br />

meisten zu Hause ist, aber es gab genug,<br />

womit er arbeiten konnte, um zu versuchen,<br />

den Spitzenreiter zu entthronen.<br />

Quintana und sein Movistar-Team<br />

machten alles richtig. Sie schickten Hector<br />

Carretero, Winner Anacona und Titelverteidiger<br />

Marc Soler in eine große Gruppe,<br />

die sich früh absetzte. Dann griff<br />

Quintana an der Côte de Peille 50 Kilometer<br />

vor dem Ziel aus dem Feld heraus<br />

an. Carretero ließ sich aus der Ausreißergruppe<br />

zurückfallen, um sich vor Quintana<br />

zu spannen, und dann legte das Movistar-Quartett<br />

vorne ein<br />

Mannschaftszeitfahren hin. Carretero<br />

und Anacona hielten nicht lange durch,<br />

aber Soler fuhr eine gewaltige Ablösung,<br />

um Quintana ins virtuelle Spitzenreitertrikot<br />

zu befördern. Aber Sky hatte ein so<br />

starkes Klettererteam, dass sogar, als sie<br />

den Col d’Èze 30 Kilometer vor dem Ziel<br />

Movistar gab<br />

alles, um Bernal<br />

und Sky am letzten<br />

Tag von Paris–<br />

Nizza unter Druck<br />

zu setzen.<br />

erreichten, noch fünf Sky-Fahrer als Leutnants<br />

von Bernal das Peloton anführten.<br />

Als Soler einbrach, war Quintana alleine<br />

an der Spitze einer zehnköpfigen Gruppe.<br />

Wenn er irgendwelche Verbündeten gehabt<br />

hätte, hätte er vielleicht eine Chance<br />

gehabt, aber die anderen Fahrer waren<br />

entweder nicht in der Lage oder nicht willens,<br />

ihm zu helfen, und die meisten hatten<br />

mehr Interesse am Etappensieg.<br />

Quintana rettete sich vor Bernal ins Ziel<br />

in Nizza, hatte aber nur eine Handvoll Sekunden<br />

gewonnen. Sein couragierter Versuch,<br />

Sky zu schlagen, war gescheitert.<br />

© Getty Images<br />

MAI 2019 | PROCYCLING 85


NACHLESE<br />

DIE BESTEN<br />

RUNDFAHRER<br />

GRAND-TOUR-TOP-TEN<br />

Ein Rekord ist für Alejandro Valverde zum Greifen nah: Er<br />

hat zurzeit 17 Top-Ten-Plätze bei großen Rundfahrten.<br />

Die Bestmarke von 18 wurde von Gino Bartali, Pedro Delgado<br />

und Felice Gimondi erreicht. Wer wollte dagegen wetten,<br />

dass er mit einem guten Giro und einer guten Vuelta am Ende des<br />

Jahres alleiniger Rekordhalter ist?<br />

GIRO TOUR VUELTA TOTAL<br />

1 Gino Bartali 13 5 0 18<br />

1 Pedro Delgado 1 8 9 18<br />

1 Felice Gimondi 12 5 1 18<br />

4 Alejandro Valverde 1 6 10 17<br />

5 Eddy Merckx 7 7 1 15<br />

5 Raymond Poulidor 0 11 4 15<br />

5 Carlos Sastre 2 6 7 15<br />

8 Joop Zoetemelk 0 12 2 14<br />

8 Lucien Van Impe 3 10 1 14<br />

10 Jacques Anquetil 6 6 1 13<br />

© Getty Images, Offside/L’Equipe (Bartali); Stand: 13.04.2019<br />

Vor dem Giro ist es Zeit zu sehen, welche Fahrer unter den aktuellen World-<br />

Tour-Teams die beste Bilanz bei den großen Rundfahrten haben. Es ist keine<br />

Überraschung, dass Chris Froome die Liste anführt, hat er doch sechs Grand-<br />

Tour-Siege und vier zweite Plätze zu Buche stehen.<br />

FAHRER 1. 2. 3. 4.–5. 6.–10.<br />

1 Chris Froome 6 4 1 1 0<br />

2 Vincenzo Nibali 4 3 3 1 2<br />

3 Nairo Quintana 2 3 1 1 2<br />

4 Alejandro Valverde 1 2 5 5 4<br />

5 Tom Dumoulin 1 2 0 0 1<br />

6 Fabio Aru 1 1 1 2 0<br />

7 Simon Yates 1 0 0 0 2<br />

8 Geraint Thomas 1 0 0 0 0<br />

9 Rigoberto Urán 0 3 0 0 3<br />

10 Esteban Chaves 0 1 1 1 0<br />

11 Romain Bardet 0 1 1 0 3<br />

12 Enric Mas 0 1 0 0 0<br />

13 Miguel Ángel López 0 0 2 0 1<br />

14 Thibaut Pinot 0 0 1 1 2<br />

15 Mikel Landa 0 0 1 1 1<br />

16 Rafał Majka 0 0 1 1 2<br />

17 Ilnur Zakarin 0 0 1 1 1<br />

18 Thomas De Gendt 0 0 1 0 0<br />

19 Steven Kruijswijk 0 0 0 3 3<br />

20 Bauke Mollema 0 0 0 1 4<br />

BESTÄNDIGKEIT<br />

BEI GROSSEN<br />

RUNDFAHRTEN<br />

Wir haben uns angeschaut, welche heutigen Fahrer den<br />

besten Durchschnittsplatz bei großen Rundfahrten<br />

haben, wobei wir die nicht zu Ende gefahrenen ausgeklammert<br />

haben. Chris Froome hat zwar die meisten Siege, aber<br />

der beständigste Fahrer ist Miguel Ángel López. Wenn man die<br />

Gesamtwertungsplätze des Kolumbianers addiert – dritte Plätze<br />

beim Giro und der Vuelta plus ein achter bei der Vuelta 2017 –,<br />

ist er jedes Mal im Schnitt in die Top Five gefahren. Der überaus<br />

beständige Valverde kommt im Schnitt auf den sechsten Platz.<br />

FAHRER<br />

1 Miguel Ángel López 4,67<br />

2 Alejandro Valverde 6<br />

3 Nairo Quintana 7,36<br />

4 Thibaut Pinot 7,67<br />

5 Romain Bardet 8,29<br />

6 Vincenzo Nibali 9,72<br />

7 Chris Froome 10<br />

8 Fabio Aru 11,89<br />

9 Tom Dumoulin 14,17<br />

10 Egan Bernal 15<br />

POSITION<br />

86 PROCYCLING | MAI 2019


NACHLESE<br />

Froome im Anstieg<br />

zum Colle Delle Fi -<br />

nestre. Sein 80 Kilo -<br />

meter langer Soloritt<br />

sicherte ihm im letzten<br />

Jahr den Sieg.<br />

© Tim de Waele/Getty Images<br />

MAI 2019 | PROCYCLING 87


GESCHMEIDIG<br />

IM FAHRTWIND<br />

„Road Aero“ ist längst zu einer eigenen Kategorie im<br />

Rennradsegment geworden – eine, die heute wichtiger<br />

ist als die der auf Diät gesetzten Superleichtbauräder.<br />

Denn wenn es darum geht, schneller zu sein, hat der<br />

Luftwiderstand einen deutlich größeren Einfluss als<br />

Trägheit und Hangabtriebskraft. Sechs aktuelle Rennmaschinen<br />

zeigen Aerodynamik von dezent bis extrem.<br />

Text Caspar Gebel<br />

Fotografie Andreas Meyer<br />

88 PROCYCLING | MAI 2019


MAI 2019 | PROCYCLING 89


RADTEST<br />

CANNONDALE SYSTEMSIX HI-MOD DURA-ACE DI2<br />

10.499 € // www.cannondale.com<br />

Das SystemSix markiert den derzeitigen<br />

Stand der Technik in Sachen<br />

Aerodynamik und erweitert bewährte<br />

Modelle wie das CAAD12 und das<br />

SuperSix, deren Geometrie es teilt, um<br />

eine weitere Dimension. Das windschnittige<br />

Geschoss nimmt sofort Fahrt auf; zur<br />

handlichen Lenkung gesellt sich eine Laufruhe,<br />

die ihresgleichen sucht. Die tiefen<br />

Felgen stabilisieren das Rad; der Fahrtwind<br />

FAZIT<br />

Die Amerikaner<br />

gehen im Wind -<br />

kanal an die Grenzen<br />

des Machbaren<br />

und stellen eine<br />

Rennmaschine hin,<br />

wie sie schneller<br />

kaum sein kann.<br />

Leitungen und<br />

Di2-Komponenten<br />

sind perfekt inte -<br />

griert, Geometrie<br />

und Sitzhaltung<br />

bewährt.<br />

umströmt sanft die im Windkanal optimierten<br />

Formen. Zu diesen gehören die<br />

Abrisskanten im Bereich von Steuerkopf/<br />

Unterrohr und Sitzstreben/Sitzrohr, die<br />

man ähnlich auch an anderen Bikes sieht<br />

– ein Zeichen dafür, dass inzwischen nicht<br />

mehr viele unterschiedliche Wege zum<br />

Ziel minimalen Luftwiderstands führen.<br />

Für die innen verlegten Leitungen hat<br />

sich Cannondale etwas ganz Besonderes<br />

ausgedacht: Vor dem eigentlichen Steuerrohr<br />

befindet sich ein Tunnel, dessen Eingang<br />

von den speziellen Spacern verdeckt<br />

wird. Damit das funktionieren kann, ist<br />

der Lenk einschlag auf 50 Grad nach jeder<br />

Seite begrenzt. Der aus zwei Teilen bestehende<br />

Vorbau führt die Leitungen nach<br />

innen, die neuartige Verschraubung des<br />

flächigen Lenkers am Vorbau erlaubt eine<br />

Winkelverstellung um acht Grad, was<br />

deutlich flexibler ist als eine fixe Lenker-<br />

Vorbau-Einheit.<br />

Verbaut ist hier die Dura-Ace Di2 in der<br />

zeitgemäßen Disc-Version, kombiniert mit<br />

der hauseigenen SISL2-Kurbel, deren integriertes<br />

Powermeter nur noch darauf wartet,<br />

für 490 Euro freigeschaltet zu werden.<br />

Das 52er-FSA-Blatt sieht am stromlinienförmigen<br />

Renner etwas rustikal aus; mit<br />

Aero-Stütze und 23er-Reifen ist das SystemSix<br />

außerdem kein Komfortwunder.<br />

SPECS<br />

Rahmen BallisTec<br />

Hi-MOD Carbon<br />

Gabel<br />

BallisTec<br />

Hi-MOD Carbon<br />

Schaltung<br />

Shimano<br />

Dura-Ace Di2<br />

Kurbelsatz<br />

Cannondale<br />

HollowGram SiSL2<br />

Laufradsatz<br />

Cannondale Hollow-<br />

Gram KNØT64<br />

Bereifung<br />

Vittoria Rubino Pro<br />

Speed 23 mm<br />

Vorbau/Lenker<br />

Cannondale KNØT<br />

SystemBar<br />

Sattel Prologo<br />

Dimension NACK<br />

Stütze Cannondale<br />

KNØT Carbon<br />

Gewicht<br />

7,78/1,26/1,56 kg<br />

(kpl. o. P./VR/HR)<br />

90 PROCYCLING | MAI 2019


RADTEST<br />

CANYON AEROAD CF SL DISC 8.0 DI2<br />

4.699 € // www.canyon.com<br />

SPECS<br />

Rahmen<br />

Canyon Aeroad<br />

CF SL Disc<br />

Gabel Canyon<br />

FK0041 CF SLX Disc<br />

Schaltung<br />

Shimano<br />

Ultegra Di2<br />

Kurbelsatz<br />

Shimano Ultegra<br />

Laufradsatz DT<br />

Swiss ARC 1400 DB<br />

Bereifung<br />

Continental Grand<br />

Prix Force/Attack<br />

23/25 mm<br />

Vorbau/Lenker<br />

Canyon H36<br />

Aerocockpit C<br />

Sattel Fizik<br />

Arione R5<br />

Stütze Canyon<br />

S27 Aero VCLS CF<br />

Gewicht<br />

7,67/1,22/1,64 kg<br />

(kpl. o. P./VR/HR)<br />

Canyon bietet mit dem Aeroad bewährt<br />

windschnittige Performance<br />

zum attraktiven Preis. Was die<br />

Performance angeht, lässt sich die Ultegra<br />

Di2 nicht wirklich von der edlen Dura-Ace<br />

unterscheiden; der Rahmen ist ohnehin<br />

identisch mit dem der teureren Aeroad-<br />

Modelle: leicht und steif, dabei auf Handlichkeit<br />

getrimmt und sehr komfortabel.<br />

Letzteres ist vor allem der Stütze zu verdanken,<br />

die weniger flächig ausfällt als an<br />

manch anderem Aero-Renner. Ebenfalls<br />

sehr angenehm ist die Lenker-Vorbau-Einheit,<br />

deren Proportionen gut aufeinander<br />

abgestimmt sind. Eine komplette Innenverlegung<br />

der Bremsleitungen spart sich<br />

der Hersteller bislang, was man als Zeichen<br />

dafür deuten kann, dass das Aeroad<br />

nicht mehr den allerletzten Stand der<br />

Aero-Technik repräsentiert. Auch die eleganten<br />

flächigen Formen des Rahmens<br />

unterscheiden sich von den markanteren<br />

Konturen mancher Mitbewerber – wie sich<br />

das gegen den Wind auswirkt, ist jedoch<br />

in der Praxis kaum zu beantworten. Auf<br />

der Straße jedenfalls erweist sich das Aeroad<br />

als antrittsstark, agil und schnell. Zur<br />

flächig-eleganten Optik des Canyon tragen<br />

auch die 62 Millimeter tiefen DT-Felgen<br />

bei. Der hochwertige Carboradsatz ist mit<br />

Continentals Force/Attack-Reifenkombi<br />

ausgestattet, die sehr leicht ist, wobei der<br />

Vorderreifen mit 23 Millimetern für heutige<br />

Verhält nisse schmal wirkt.Canyon sieht<br />

für jedes seiner drei Straßenmodelle eine<br />

eigene Sitzgeometrie vor; bei gleicher Rahmengröße<br />

wird der Fahrer auf dem Aeroad<br />

mit deutlich mehr Überhöhung und etwas<br />

gestreckter positioniert als auf Endurace<br />

und Ultimate. Wer die Spacer demontiert,<br />

gelangt zu einer sehr sportlichen Haltung.<br />

FAZIT<br />

Das glattflächige<br />

Canyon begeistert<br />

mit viel Vortrieb<br />

und hochwertiger<br />

Ausstattung. Di2<br />

und Hydraulikbremsen<br />

lassen<br />

keinen Unterschied<br />

zu teurerem<br />

Material erkennen.<br />

Zur Perfektion<br />

fehlen bestenfalls<br />

durchs Cockpit<br />

laufende Leitungen.<br />

MAI 2019 | PROCYCLING 91


RADTEST<br />

FUJI TRANSONIC 2.1<br />

4.499 € // www.fujibikes.com<br />

Die US-Firma fing früh mit der Entwicklung<br />

von Aero-Roadbikes an<br />

und hat mit dem aktuellen Transonic<br />

einen weiten Weg zurückgelegt. Im<br />

Vergleich zur alten Version präsentiert<br />

sich das 2019er-Modell deutlich kantiger<br />

und filigraner; mit breit bauenden Sitzstreben<br />

und der charakteristischen Abrisskante<br />

im oberen Bereich des Unterrohrs<br />

ist es aerodynamisch auf aktuellem Stand.<br />

FAZIT<br />

Aerodynamisch ist<br />

das Fuji weit vorne,<br />

doch die klassischen<br />

Komponenten<br />

verhindern den<br />

letzten Schritt. Auf<br />

der Straße gefällt<br />

das Rad als klas -<br />

sische Rennmaschine<br />

im Aero-<br />

Trimm – handlich,<br />

schnell und<br />

ziemlich leicht.<br />

Auch der flächige Vorbau mit tropfenförmigen<br />

Spacern (und integriertem Garmin-<br />

Halter) ist zeitgemäß. Allerdings geht Fuji<br />

mit dieser Version des Transonic nicht<br />

aufs Ganze: Felgenbremsen und mechanische<br />

Schaltung vertragen sich nun mal<br />

nicht mit optimierter Aerodynamik. Gerade<br />

die ins Unterrohr laufenden Schaltzüge<br />

fallen aus dem Rahmen, wo extrem ausgefeilte<br />

Disc/Di2-Renner der Maßstab sind.<br />

Windschlüpfiger als Standardmaterial<br />

dürfte das Transonic dennoch sein, nicht<br />

zuletzt wegen der interessanten Laufräder:<br />

Beim leichten Oval 950F wird eine Tubeless-kompatible<br />

Alufelge mit einer Carbonverkleidung<br />

versehen. Gebremst wird<br />

per Direct-Mount mit ordentlich Platz unter<br />

Gabel und Hinterbausteg – ein breiterer<br />

Reifen als der nicht unbedingt rollwiderstandsarme<br />

Vittoria Rubino Pro kann also<br />

durchaus montiert werden.<br />

Angesichts des moderaten Preises freut<br />

man sich ob der kompletten Dura-Ace, die<br />

in der mechanischen Variante einen spürbaren<br />

Unterschied zur entsprechenden<br />

Ultegra ergibt. So bewahrt sich das handliche,<br />

vergleichsweise leichte Rad den Charme<br />

eines klassischen Renners. Deutlich moderner<br />

und 500 Euro teurer ist die Ultegra-<br />

Di2/Disc-Version mit Vollcarbonlaufrädern<br />

und komplett integrierten Leitungen.<br />

SPECS<br />

Rahmen C10<br />

High-modulus<br />

Carbon<br />

Gabel<br />

FC-440 Carbon<br />

monocoque<br />

Schaltung<br />

Shimano<br />

Dura-Ace<br />

Kurbelsatz<br />

Shimano<br />

Dura-Ace<br />

Laufradsatz Oval<br />

Concepts 950F<br />

Bereifung<br />

Vittoria Rubino<br />

Pro 25 mm<br />

Vorbau/Lenker<br />

Oval Concepts 790<br />

Sattel Oval<br />

Concepts X38<br />

Stütze Oval<br />

Transonic Aero<br />

Gewicht<br />

7,62/1,16/1,56 kg<br />

(kpl. o. P./VR/HR)<br />

92 PROCYCLING | MAI 2019


RADTEST<br />

SPECIALIZED S-WORKS VENGE DI2<br />

11.299 € // www.specialized.com<br />

SPECS<br />

Rahmen S-Works<br />

FACT 11r Carbon<br />

Gabel S-Works<br />

FACT 11r Carbon<br />

Schaltung<br />

Shimano<br />

Dura-Ace Di2<br />

Kurbelsatz<br />

S-Works<br />

Power Cranks<br />

Laufradsatz Roval<br />

CLX 64 Disc<br />

Bereifung<br />

Specialized Turbo<br />

Cotton 26 mm<br />

Vorbau/Lenker<br />

S-Works Aerofly II<br />

Sattel S-Works<br />

Power 143 mm<br />

Stütze<br />

Specialized Venge<br />

Gewicht<br />

7,24/1,22/1,53 kg<br />

(kpl. o. P./VR/HR)<br />

Als „schnellstes Rennrad auf dem<br />

Planeten“ bezeichnet Specialized<br />

das Venge. In der Tat fühlt man sich<br />

förmlich mitgerissen von diesem Renn gerät.<br />

Ähnlich positioniert wie auf dem Cannondale<br />

oder Canyon, nimmt der Fahrer angesichts<br />

hoher Steifigkeit und sehr geringen<br />

Gewichts sofort Fahrt auf. Die angenehmen,<br />

26 Millimeter breiten Baumwollreifen mit<br />

fein gesponnener 320-TPI-Karkasse rollen<br />

extrem geschmeidig ab, wozu sich ein erwiesenermaßen<br />

geringer Rollwiderstand<br />

gesellt – laut Hersteller lassen sich bis zu<br />

32 Millimeter breite Pneus montieren. Die<br />

64 Millimeter tiefen Felgen des Roval-Rad -<br />

satzes fallen mit knapp 21 Millimeter Innenweite<br />

extrem breit aus, was den Rollund<br />

Luftwiderstand reduziert – so passt<br />

sich der Reifen der extremen, 30 Millimeter<br />

breiten Felge optimal an. Das Vorderrad ist<br />

im Verhältnis 2:1 eingespeicht; so können<br />

die Bremskräfte optimal vom linken Nabenflansch<br />

an die Felge weitergeleitet werden.<br />

Der im firmeneigenen Windkanal entwickelte<br />

Rahmen weist alle aktuellen Merkmale<br />

der Gattung auf: die breit anliegenden,<br />

flachen Sitzstreben und natürlich komplett<br />

innen verlegte Leitungen. Diese laufen durch<br />

den Gabelschaft, was praktisch in Sachen<br />

Lenkeinschlag ist. Auf ein einteiliges Cockpit<br />

wird verzichtet, sodass sich die Lenker-<br />

stellung individuell anpassen lässt. Und natürlich<br />

werden dem flächigen Carbonbügel<br />

beste aerodynamische Werte bescheinigt.<br />

Shimano steuert zum mattschwarzen<br />

Boliden mit „Silver Holo“-Dekor nur Schaltung<br />

und Bremsen bei; der Antriebsstrang<br />

besteht dazu aus S-Works-Kurbeln mit<br />

beidseitiger Leistungsmessung. So kann<br />

man sofort feststellen, wie viel Power man<br />

mit dem leichten Aero-Bike spart.<br />

FAZIT<br />

Das fahrfertig nur<br />

7,5 Kilo leichte Rad<br />

beschleunigt furios<br />

und bietet ein fühl -<br />

bares Geschwindigkeitsplus<br />

dank<br />

optimierter Aero -<br />

dynamik und leicht<br />

rollender Bereifung.<br />

Ein schönes<br />

Extra ist die integ -<br />

rierte Leistungsmessung.<br />

MAI 2019 | PROCYCLING 93


RADTEST<br />

STORCK AERFAST PRO G2 ULTEGRA DI2<br />

6.398 € // www.storckworld.com<br />

Bei seiner Vorstellung vor vier Jahren<br />

war das Road-Aero-Modell der Hessen<br />

mit glatten Flächen und speziell<br />

ausgeformten Sitzstreben zukunftsweisend;<br />

inzwischen wirkt das Aerfast beinahe klassisch<br />

mit konventionellem Vorbau und Felgenbremsen.<br />

Dies ist der Allrounder unter<br />

den Aero-Rennmaschinen, ein Rad, das<br />

dank geringen Gewichts und sportlicher<br />

Geometrie leichtfüßig beschleunigt und<br />

FAZIT<br />

Das Storck vereint<br />

die Vorzüge einer<br />

klassischen Renn -<br />

maschine mit<br />

zeitgemäßen<br />

Aero-Merkmalen.<br />

Angenehm leicht,<br />

agil und hübsch<br />

anzuschauen, ist<br />

dies die richtige<br />

Wahl für Touren<br />

in Gegenden mit<br />

vielen Anstiegen<br />

und mäßigem Wind.<br />

überaus handlich ist, dabei aber aufgrund<br />

der eher kompakten Bauweise eine angenehme,<br />

weniger gestreckte Sitzhaltung bietet.<br />

Schnell fühlt sich das Aerfast ohnehin<br />

an; auf hügeligem Terrain spielen die nur<br />

zweieinhalb Kilo leichten DT-Carbonlaufräder<br />

ihre Stärken aus und erfreuen mit großer<br />

Agilität. Das Trockenbremsverhalten ist top,<br />

wobei die Tretlagerbremse gegenüber dem<br />

normalen Ultegra-Stopper etwas abfällt.<br />

Die breit bauende Gabel soll Interferenzen<br />

mit dem Laufrad vermeiden und dazu<br />

etwas stärker stoßdämpfend wirken; sie<br />

baut außerdem recht hoch, sodass viel<br />

Platz für breitere Reifen ist – ein wichtiger<br />

Punkt bei einem echten Allrounder. Der<br />

leicht zum Fahrer hin orientierte Carbonlenker<br />

lässt sich angenehm greifen; ein<br />

typischer Kritikpunkt ist dagegen die<br />

Festlegung auf die Monolink-Sättel von<br />

Selle Italia – etwas anderes lässt sich auf<br />

die Aero-Stütze nicht montieren.<br />

Wie bei Storck üblich, sind die Rahmen<br />

in mehreren Qualitätsstufen und damit<br />

Gewichtsklassen verfügbar. Das superleichte<br />

Topmodell mit einem Rahmengewicht<br />

unter 1.000 Gramm treibt den Preis<br />

nach oben; wer mit einem rund 200 Gramm<br />

schwereren Rahmenset leben kann, bekommt<br />

das Aerfast Comp G2 in exakt<br />

gleicher Ausstattung für 4.000 Euro.<br />

SPECS<br />

Rahmen Storck<br />

Aerfast Pro<br />

Gabel<br />

Storck Aerfast<br />

F.3 Pro<br />

Schaltung<br />

Shimano<br />

Ultegra Di2<br />

Kurbelsatz<br />

Shimano<br />

Ultegra<br />

Laufradsatz DT<br />

Swiss PRC 1400<br />

Bereifung<br />

Schwalbe One<br />

25 mm<br />

Vorbau/Lenker<br />

Storck ST 115/<br />

RBC 220 Carbon<br />

Sattel Selle Italia<br />

Monolink SLS<br />

Stütze Aerfast<br />

Monolink Post<br />

Gewicht<br />

7,22/1,04/1,47 kg<br />

(kpl. o. P./VR/HR)<br />

94 PROCYCLING | MAI 2019


RADTEST<br />

TREK MADONE SLR 9 DISC<br />

11.499 € // www.trekbikes.com<br />

SPECS<br />

Rahmen<br />

700 Series<br />

OCLV Carbon<br />

Gabel Madone<br />

Disc Vollcarbon<br />

Schaltung<br />

Shimano<br />

Dura-Ace Di2<br />

Kurbelsatz<br />

Shimano Dura-Ace<br />

Laufradsatz<br />

Bontrager<br />

Aeolus XXX 6<br />

Bereifung<br />

Bontrager<br />

R4 320 25 mm<br />

Vorbau/Lenker<br />

Trek Madone<br />

Sattel Bontrager<br />

Montrose Pro<br />

Stütze Trek<br />

Madone<br />

Gewicht<br />

k. A.<br />

Tests im Windkanal werden bei einer<br />

simulierten Geschwindigkeit von<br />

45 km/h durchgeführt, was einem<br />

hoch vorkommen mag. Schaut man sich jedoch<br />

die heutigen Durchschnittsgeschwindigkeiten<br />

bei Eintagesrennen an, stellt man<br />

fest: Die Profis, für die Maschinen wie das<br />

Trek Madone SLR 9 Disc gemacht sind, sind<br />

permanent mit solchem Tempo unterwegs.<br />

Aerodynamik ist also längst nicht mehr nur<br />

beim Zeitfahren relevant. Ein Rennrad muss<br />

heute windschnittig sein, aber auch komfortabel,<br />

damit der Fahrer etwa bei den Klassikern<br />

lange ein hohes Tempo halten kann.<br />

Beim Madone gelingt dies durch die Integration<br />

der Iso-Speed-Technik in den Aerorahmen<br />

mit seinen glatten Kammtail-Rohrprofilen.<br />

Durch das Gelenk im Übergang von<br />

den schmalen Sitzstreben zum Oberrohr<br />

kann das Sitzrohr auf ganzer Länge sichtund<br />

spürbar flexen, was freilich nicht nur<br />

bei groben Stößen hilft: Auch ermüdende<br />

Dauervibrationen werden so gedämpft. Am<br />

Cockpit hat das dick gepolsterte Lenkerband<br />

eine ähnliche Funktion, wobei das Highlight<br />

an dieser Stelle etwas anderes ist: Kabel und<br />

Leitungen sind perfekt integriert, der flächige<br />

Lenker ist neigungsverstellbar.<br />

Mit tiefen Tubeless-Carbonfelgen optimal<br />

ergänzt, steht das Trek seinen Konkurrenten<br />

in nichts nach, wenn es Fahrt aufnimmt,<br />

zumal es ebenfalls mit geschmeidigen, rollwiderstandsarmen<br />

Baumwollreifen ausgestattet<br />

ist. Das Handling ist ausgewogen,<br />

die Sitzposition auf dem Testrad nicht zu<br />

extrem. Ohnehin fällt auf, dass das Trek in<br />

den vier Größen von 56 bis 62 zwar um fast<br />

sechs Zentimeter in der Bauhöhe wächst<br />

(„Stack“), aber nur zwölf Millimeter in der<br />

Länge („Reach“). Große Fahrer sitzen also<br />

vergleichsweise kompakt.<br />

FAZIT<br />

Bei Trek hat<br />

moderne Aerodynamik<br />

ein<br />

glatteres Gesicht;<br />

dazu kommt<br />

die innovative<br />

IsoSpeed-Federung,<br />

die Komfort<br />

und Vibrationsdämpfung<br />

bringt.<br />

Ein edles Rad für<br />

hohes Tempo auch<br />

auf rauem Belag.<br />

MAI 2019 | PROCYCLING 95


96 PROCYCLING | MAI 2019


RETRO<br />

1982<br />

GOODWOOD:<br />

WO ALLES ANFING<br />

Bevor Yorkshire im kommenden September Gastgeber<br />

der Weltmeisterschaften sein wird, wurde das Ereignis<br />

zuletzt 1982 in Großbritannien ausgerichtet: in Goodwood.<br />

Und die Landschaft für den britischen Radsport hätte sich<br />

in den letzten 37 Jahren nicht stärker ändern können.<br />

Text William Fotheringham Fotografie John Pierce<br />

Am 5. September 1982 fuhr ich mit dem<br />

Fahrrad von North Devon zu einem<br />

Freund südlich von Exeter, um mir die<br />

Straßenweltmeisterschaft der Profis am Fernseher<br />

seiner Eltern anzuschauen. Wir hatten keinen<br />

Fernseher zu Hause, außerdem brauchte ich das<br />

Training. Dann radelte ich wieder nach Hause.<br />

Wenn ich mich richtig erinnere, drehten mein<br />

Schulfreund und ich eine kleine Runde, bevor wir<br />

uns das Rennen in der BBC-Sendung Grandstand<br />

anschauten, weil wir die 100 Meilen für den Tag<br />

abspulen wollen. Wenn man den Kids das heute<br />

erzählt, würden sie es nicht glauben.<br />

37 Jahre später richtet Großbritannien wieder<br />

die Straßen-Weltmeisterschaft aus: in Harrogate,<br />

Yorkshire, in einer Radsportumgebung, die sich<br />

radikal geändert hat. Man vergisst leicht, wie abgeschnitten<br />

vom europäischen Radsport Großbritannien<br />

einst war; inzwischen leben wir in einer<br />

Ära, in der Giro d’Italia und Tour de France England<br />

und Nordirland dreimal in sieben Jahren besucht<br />

haben, ganz zu schweigen von Rennen wie<br />

der Tour de Yorkshire und dem Surrey Classic, die<br />

daraus erwuchsen. Doch damals, in den frühen<br />

1980ern, war alles ganz anders.<br />

Ein paar Wochen, bevor die Elite des internationalen<br />

Radsports 1982 in Sussex auftauchte,<br />

hielt einer der Organisatoren der Weltmeisterschaft<br />

das britische Vereinsvolk zum Zuschauen<br />

an. „Wir wollen, dass die Leute ausnahmsweise<br />

einmal ihre Local 10-Nachrichten sausen lassen<br />

und Straßenarbeiter, die über die Preise meckern,<br />

ihre Fish and Chips vergessen“, sagte Ian Emmerson,<br />

der später Vorsitzende des britischen Radsportverbands<br />

wurde. Sein Totschlagargument<br />

folgte: „Es ist die letzte Chance in diesem Jahrzehnt,<br />

dass sie ihre Helden vom Kontinent leibhaftig<br />

in diesem Land sehen können.“<br />

Emmerson irrte sich, denn fünf Jahre später<br />

gründete Alan Rushton, der Mann, der die Weltmeisterschaft<br />

1982 organisierte, die Kellogg’s<br />

Tour of Britain für Profis. Aber in einem hatte er<br />

recht: Die Prominenz des Straßenradsports kam<br />

seinerzeit selten nach Großbritannien. Vor der<br />

Weltmeisterschaft 1982 hatte die Tour de France<br />

1974 einen kurzen, fast verstohlenen Besuch in<br />

Plymouth gemacht, und Leicester hatte die Weltmeisterschaft<br />

1970 ausgerichtet. Eddy Merckx<br />

und ein paar andere waren 1977 über den Eastway<br />

Cycle Circuit in London gesaust, und das war<br />

es so ungefähr.<br />

Das fast völlig fehlende Profil des Radsports auf<br />

nationaler Ebene erklärt, warum die Weltmeisterschaft<br />

1982 in sportlicher Hinsicht ein Erfolg,<br />

aber in finanzieller Hinsicht ein Mühlstein war.<br />

Die Zeitungen handelten die US-Brauerei Michelob<br />

im Januar 1982 als Titelsponsor, doch der Vertrag<br />

kam nicht zustande. Der britische Radsportverband<br />

trennte sich im März vom Promoter John Burns,<br />

fünf Monate, bevor die Bahnrennen auf der nicht<br />

überdachten Radrennbahn von Leicester stattfinden<br />

sollten.<br />

Es wurde noch schlimmer, als der Verband<br />

und Burns ein juristisches Gezerre darüber anfingen,<br />

wie viel Geld man dem ehemaligen Chef<br />

der Titelkämpfe schuldete. Ein neuer Promoter<br />

musste von heute auf morgen gefunden werden;<br />

der Mann, der einsprang, war Rushton – relativ<br />

unerfahren, aber früherer PR-Mann für Viking<br />

Cycles. Klugerweise spielte er die Erwartungen<br />

herunter, machte klar, dass in der Zeit kein Titelsponsor<br />

gewonnen werden konnte, und konzentrierte<br />

sich auf kleinere Verträge.<br />

Schließlich zählten zu den Sponsoren Campagnolo,<br />

das verstaatlichte Fährunternehmen Sealink,<br />

Longines und Le Coq Sportif, während die<br />

Universität Leicester ihre Studentenwohnheime<br />

als Unterkunft für die Fahrer bereitstellte. Die<br />

Stadt Leicester ließ 78.000 Pfund springen, aber<br />

der größte Beitrag kam vom Sportministerium mit<br />

120.000 Pfund. Der offizielle Begleitwagen war<br />

der unsägliche Austin Allegro; die Materialwagen<br />

waren Ladas in klassischer Kastenform.<br />

Der Kurs des Straßenrennens von 1970 im<br />

Mallory Park war heftig dafür kritisiert worden, zu<br />

leicht gewesen zu sein; 1982 entschied sich der<br />

britische Verband für einen Rundkurs, der auf<br />

MAI 2019 | PROCYCLING 97


RETRO<br />

1982<br />

EIN ITALIENISCHER FAN<br />

WURDE FESTGENOMMEN,<br />

WEIL ER DIE STRASSE VOR<br />

DEM RENNEN ANGEMALT<br />

HATTE; ER WOLLTE ZWEI<br />

AMERIKANER<br />

UNTERSTÜTZEN.<br />

einer Autorennstrecke in Goodwood in Suffolk<br />

basierte. Die Acht, die der Kurs in Goodwood<br />

beschrieb, sollte von den Profis 17-mal, von den<br />

Amateuren zwölfmal und von den Frauen nur<br />

viermal absolviert werden, während das 100-Kilometer-Mannschaftszeitfahren<br />

der Amateure<br />

weitgehend auf dem Straßenrundkurs beruhte.<br />

Wie sich später herausstellte, hätte es, wenn<br />

das Profirennen sieben Minuten länger gedauert<br />

hätte, keine Bilder aus der Luft gegeben, weil der<br />

Hubschrauber alle 45 Minute auftanken musste<br />

und ihm gerade der Sprit auszugehen drohte –<br />

eine passende Metapher für eine Weltmeisterschaft,<br />

die mitunter auf gut Glück zu laufen<br />

schien. Zwei Geschichten illustrieren das Aufeinanderprallen<br />

der Kulturen: Ein italienischer Fan<br />

wurde von der Polizei festgenommen, weil er die<br />

Straße vor dem Rennen angemalt hatte; er hatte<br />

versucht, zwei Amerikanern zu unterstützen,<br />

„LeMond“ zu schreiben, und kam nicht dazu, das<br />

letzte „d“ zu malen. Er wurde wegen Sachbeschädigung<br />

zwei Tage und Nächte eingesperrt und<br />

musste 99 Pfund Strafe zahlen. Die andere Geschichte<br />

handelt von einem Vereinsfahrer, der mit<br />

dem Rad aus dem Norden gekommen war. Man<br />

sagte ihm, er müsse drei Pfund Eintritt für die<br />

Rundstrecke bezahlen; da drehte er sich auf dem<br />

Absatz um und fuhr nach Hause.<br />

DAS WETTER SPIELTE NICHT MIT<br />

Amateurfunktionäre arbeiteten Tag und Nacht,<br />

um die Weltmeisterschaft 1982 auf die Beine<br />

zu stellen, was den Radsportjournalisten Martin<br />

Ayres dazu veranlasste, zu schreiben: „Es gab<br />

einflussreiche Leute im britischen Verband, die<br />

glaubten, dass es sich einfach nicht lohnt, die<br />

Weltmeisterschaften auszurichten, so hoch war<br />

der menschliche Preis.“ Damals war der Sport noch<br />

relativ klein und große internationale Radrennen<br />

waren eine Seltenheit in Großbritannien. Das sehr<br />

erfolgreiche Milk Race war die Ausnahme, aber<br />

der Verband war unwillig oder unfähig, sich diese<br />

offenkundige Expertise zunutze zu machen.<br />

Als die Titelkämpfe losgegangen waren, war die<br />

erste Sorge das Wetter. Es hatte in den 1970ern<br />

vergebliche Versuche gegeben, ein dauerhaft überdachtes<br />

Velodrom in Großbritannien zu bauen –<br />

in Leeds und Birmingham waren die Pläne am<br />

weitesten fortgeschritten –, und die Organisatoren<br />

mussten die offene Bahn in Leicester nutzen und<br />

teuer dafür bezahlen: Zwei Renntage gingen<br />

durch den Augustregen verloren, 850 Pfund Eintrittsgelder<br />

wurden erstattet und 500 Pfund für<br />

Plastikplanen ausgegeben, damit die Bahn sich<br />

nicht vollsaugte.<br />

Natürlich kam in dem Moment, als die Planen<br />

verlegt waren, die Sonne raus. Das Gute war, dass<br />

es keinen Druck durch Liveübertragungen gab,<br />

da die Berichterstattung auf die Highlights beschränkt<br />

war, welche die BBC spät abends zeigte;<br />

nur die Straßenrennen am Wochenende liefen live<br />

in Grandstand. Schließlich reichten die insgesamt<br />

25.000 Zuschauer in Leicester an den sechs Tagen,<br />

darunter 6.000 am Sonntag, um die Organisatoren<br />

zufriedenzustellen.<br />

Das Highlight in Leicester sollte der „Verfolgungskampf<br />

des Jahrhunderts“ sein – der frühere<br />

britische Meister Sean Yates gegen den Weltmeister<br />

von 1980, Tony Doyle, den Franzosen Alain<br />

Bondue und den Dänen Hans-Henrik Ørsted. Die<br />

Enttäuschung war groß, als sich Bondue vor Ørsted<br />

durchsetzte, während der Italiener Maurizio Bidinost<br />

Doyle die Bronzemedaille wegschnappte.<br />

Der Japaner Koichi Nakano gewann seinen<br />

sechsten Profititel im Sprint, während der Kanadier<br />

Gordon Singleton auf der letzten Runde einen<br />

spektakulären Crash hinlegte; die Ostdeutschen<br />

dominierten das Amateurgeschehen, und die<br />

Russen gewannen die Mannschaftsverfolgung<br />

Mandy Jones gewann als<br />

einzige Britin eine Goldmedaille.<br />

Tony Doyle verpasste in der Verfolgung<br />

knapp eine Bronzemedaille.<br />

98 PROCYCLING | MAI 2019


RETRO<br />

1982<br />

MAI 2019 | PROCYCLING 99


mit 4:23 Minuten, nur 33 Sekunden langsamer<br />

als der heutige Weltrekord. Der britische Profi Phil<br />

Thomas musste 750 Pfund Strafe zahlen, weil er<br />

zwei Zeilen Werbung auf der Shorts hatte, während<br />

der russische Goldmedaillengewinner im<br />

Sprint, Sergej Kopylow, vom amerikanischen<br />

Team aus dem Hotel geschmuggelt und in eine<br />

Disco mitgenommen wurde, wo er sich amüsierte<br />

und den Abend auf der Tanzfläche verbrachte, bis<br />

ihn seine KGB-Aufpasser abholten.<br />

In Goodwood hatte es die unvermeidliche Panik<br />

unter den Anwohnern gegeben, die anfangs<br />

nicht wussten, in welchem Umfang die Straßen<br />

gesperrt werden sollten. Als sie es begriffen, fingen<br />

die Einwohner an, Geschäfte zu machen, indem<br />

sie Tee und Erfrischungsgetränke verkauften.<br />

Einer verlangte 100 Pfund, damit die Ordner bei<br />

ihm auf die Toilette gehen konnten, und versuchte,<br />

Werbefläche auf seinem Haus für mehrere<br />

Tausend Pfund zu vermieten. Das Finale entsprach<br />

nicht dem Reglement, das vorsah, dass<br />

es einen geraden Kilometer geben musste, also<br />

wurde es ein paar Tage vor dem Rennen noch einmal<br />

umgebaut – für 1.000 Pfund.<br />

Es gab jedoch dieses Mal keine Beschwerden,<br />

dass der Kurs zu leicht sei. Das Mannschaftszeitfahren<br />

am Dienstag, dem 1. September, wurde<br />

zum Glücksspiel, als starker Regen Steinchen auf<br />

die Straße spülte und jede Menge Reifenschäden<br />

und Stürze verursachte. Die Polen hatten sechs<br />

Plattfüße, die Briten sieben, die USA fünf. Zu den<br />

Teams, die immun waren, gehörte das holländische<br />

Quartett, von denen zwei Fahrer – Gerrit<br />

Solleveld und Maarten Ducrot – später die Hauptrollen<br />

im Superconfex-Team unter Jan Raas spielten.<br />

Zu dem Schweizer Quartett, das Silbermedaillen<br />

gewann, gehörte der spätere Tour-Star<br />

Urs Zimmermann, während das ostdeutsche<br />

Team, das Vierter wurde, das spätere Grüne Trikot<br />

der Tour, Olaf Ludwig, umfasste.<br />

Am Samstag wurde das Straßenrennen der<br />

Amateure von einem erschöpften Bernd Drogan<br />

aus Ostdeutschland gewonnen, während der britische<br />

Held Pete Sanders sich in der entscheidenden<br />

Ausreißergruppe hervortat, sein blaurotes<br />

Trikot schweißnass an einem glühend heißen Tag<br />

in Sussex. Der Vormittag war der Höhepunkt für<br />

die heimischen Fans, als Mandy Jones aus Lancashire<br />

das Straßenrennen der Frauen gewann.<br />

Es war ein vorausgesagter Titel für Jones, die erst<br />

20 Jahre alt war und zwei Jahre zuvor auf dem<br />

schweren alpinen Rundkurs von Sallanches Bronze<br />

geholt hatte. In jener Saison gewann sie den<br />

Circuit du Loiret, aber aus britischer Sicht hatte<br />

sie vor allem Beryl Burton endlich menschlich<br />

erscheinen lassen, nachdem sie ein Vierteljahrhundert<br />

lang alle Zeitfahren in Großbritannien<br />

dominiert hatte.<br />

Burton, die einzige Britin, die vor Jones einen<br />

Weltmeistertitel gewonnen hatte, wurde von der<br />

BBC während einer regenbedingten Pause in<br />

Leicester interviewt und brachte ihre Enttäuschung<br />

über ihre Nichtnominierung zum Ausdruck,<br />

obwohl sie 45 Jahre alt war. Doch in jenem<br />

Im Finale waren Boyer, Zoetemelk, Kelly,<br />

LeMond und der spätere Sieger Saronni vorne.<br />

Sommer brachte Jones der Frau aus Yorkshire<br />

beim Zeitfahren sowohl über zehn als auch über<br />

50 Meilen Niederlagen bei – das erste Mal in<br />

20 Jahren, dass Burton bei einer Meisterschaft<br />

in einem direkten Duell geschlagen wurde.<br />

Am großen Tag gewann Jones im Burton-Stil,<br />

indem sie sich auf der 38 Meilen kurzen Strecke<br />

acht Meilen vor dem Ziel als Solistin absetzte. Sie<br />

startete eine erste Attacke in der Abfahrt in der<br />

zweiten von vier Runden und fuhr 30 Sekunden<br />

heraus, bevor sie von einem Verfolgerinnentrio<br />

um Maria Canins, Gerda Sierens aus Belgien und<br />

der Deutschen Sandra Schumacher eingeholt<br />

wurde. Darauf folgte eine letzte Attacke an der<br />

Kuppe des Anstiegs vor dem Ziel, als noch eine<br />

Runde zu fahren war.<br />

Das Straßenrennen der Profis wurde von Jimmy<br />

Kain gestartet, einem der Gründerväter der British<br />

League of Racing Cyclists, 98 Jahre alt, der im folgenden<br />

Frühjahr starb. Es war brutal – „ein Abbrand<br />

von einer Wildheit, die nie zuvor in Britannien<br />

gesehen wurde“, berichtete Cycling – mit<br />

einer auf 26 Fahrer geschrumpften Spitzengruppe,<br />

die das Finale bestritt. Den ersten Angriff lancierte<br />

Bernard Vallet, vermeintlich, um den Boden<br />

für Bernard Hinault zu bereiten, aber der vierfache<br />

Toursieger war im Finale von der Rolle, nachdem<br />

100 PROCYCLING | MAI 2019


RETRO<br />

1982<br />

Der Franzose Vallet sollte<br />

mit einer frühen Attacke<br />

Bernard Hinault den Boden bereiten.<br />

er das Giro-Tour-Double perfekt gemacht hatte.<br />

Er gab auf, zusammen mit dem Titelverteidiger<br />

Freddy Maertens, der eine seiner vielen Form- und<br />

Vertrauenskrisen durchlitt.<br />

„Die bleibende Erinnerung wird die an sich<br />

plagende Fahrer sein, die alles geben mussten,<br />

um den Kontakt zu den Männern an der Spitze<br />

zu halten: Saronni, Kelly, Raas und Co., die mit<br />

erstaunlicher Geschwindigkeit auf dem großen<br />

Kettenblatt kletterten“, hieß es in einem Bericht.<br />

„Sie fuhren mit hohem Tempo von der Autorennstrecke<br />

weg, um als Erste den Anstieg zu<br />

erreichen. Wenn man nicht als Erster in dem<br />

Anstieg war, fiel man hinten gnadenlos heraus;<br />

auf der Autorennstrecke eröffneten sie das Rennen<br />

und nahmen den Hügel in Angriff“, sagte<br />

der britische Profi Phil Bayton.<br />

Der damalige britische Meister John Herety<br />

blies in dasselbe Horn: „Ich erinnere mich nur,<br />

dass es wirklich hart war. Es gab die Geschichte,<br />

dass alle auf den ersten Runden locker fuhren und<br />

es schneller und schneller wurde, aber es war von<br />

der ersten Runde an zu schnell, um angenehm zu<br />

sein. Der Rundkurs war nicht schwer, aber es war<br />

windig auf der Autorennstrecke, und es tat weh.“<br />

Wie bei Jones war der Sieger bei den Profis,<br />

Giuseppe Saronni, vorher als Favorit gehandelt<br />

worden. Der „Buster Keaton des Radsports“ war<br />

mit 24 auf dem Höhepunkt seiner Kräfte, hatte in<br />

der Saison bereits Tirreno–Adriatico, den Giro del<br />

Trentino und die Tour de Suisse sowie drei Etappen<br />

des Giro gewonnen. Seine Rivalität mit Francesco<br />

Moser war auf ihrem Höhepunkt, während<br />

die Kräfte des „Sheriffs“ langsam nachließen. An<br />

jenem Tag schob Moser die Rivalität beiseite und<br />

spannte sich als Zugpferd vor Saronni, was zu dem<br />

Sprint führte, der als la fucilata di Goodwood – der<br />

Gewehrschuss von Goodwood – bekannt wurde.<br />

In der letzten Runde kamen die Hauptangriffe<br />

von Kelly, der gerade die erste Punktewertung der<br />

Tour seiner Karriere gewonnen hatte. Der Ire<br />

DIE AUSRICHTER DER RAD-WM<br />

INKLUSIVE YORKSHIRE 2019<br />

AUSTRAGUNGEN<br />

12<br />

10<br />

8<br />

6<br />

4<br />

2<br />

Italien<br />

LAND<br />

Belgien<br />

Schweiz<br />

Frankreich<br />

Deutschland *<br />

Niederlande<br />

Spanien<br />

Dänemark<br />

Österreich<br />

Großbritannien<br />

Kanada<br />

Norwegen<br />

USA<br />

Australien,<br />

Kolumbien,<br />

Tschechische<br />

Republik **,<br />

Ungarn, Japan<br />

Luxemburg,<br />

Portugal, Katar,<br />

Venezuela<br />

* West- und Ostdeutschland 1945–1989, ** Tschechoslowakei 1981<br />

MAI 2019 | PROCYCLING 101


102 PROCYCLING | MAI 2019


RETRO<br />

1982<br />

Für den jungen Greg LeMond<br />

markierte Goodwood den Anfang<br />

seiner großen Karriere.<br />

Roche und Kelly waren die einzigen<br />

Iren im Feld und kämpften gegen<br />

große Teams.<br />

AM ENDE BLIEB DER<br />

VERBAND AUF DEN KOSTEN<br />

SITZEN. DIE VERLUSTE<br />

WURDEN MIT 26.000<br />

PFUND BEZIFFERT.<br />

attackierte zweimal, einmal mit Hennie Kuiper<br />

und ein weiteres Mal mit René Martens, Anderson<br />

und Moreno Argentin. Dahinter taten die<br />

Holländer und die Italiener alles, um Fahrer wie<br />

Kelly zu eliminieren, der vier Runden vor Schluss<br />

einen Plattfuß hatte und später klagte, dass er<br />

und sein einziger Teamkollege Stephen Roche es<br />

mit Zwölf-Mann-Teams aus Holland und Italien<br />

zu tun hatten.<br />

Saronni behielt Kelly in der letzten Runde im<br />

Auge, aber er verdankte seinen Sieg auch LeMond,<br />

der im Anstieg eine furiose und umstrittene Verfolgungsjagd<br />

hinlegte, um seinen Landsmann<br />

Jonathan Boyer abzufangen, der vor dem letzten<br />

Kilometer angegriffen hatte. Rund 500 Meter vor<br />

der Linie ging LeMond: „Ich attackierte und holte<br />

Boyer einfach so ein. Es war ein Kinderspiel, was<br />

zeigte, wie stark ich war und wie viel schwächer<br />

er wurde.“ Aber Saronni hatte sich an LeMonds<br />

Hinterrad geheftet, und der Amerikaner war der<br />

perfekte Anfahrer für ihn, daher der furiose Sprint<br />

des Italieners und sein dramatischer Vorsprung<br />

im Ziel. Es war ein perfektes Beispiel für die alte<br />

Trainingshandbuch-Maxime für einen Bergaufsprint:<br />

Gehe spät, gewinne in großer Manier.<br />

LeMond hatte die Kraft, sich an Saronnis Hinterrad<br />

zu heften, als er an ihm vorbeizog, aber<br />

musste sich nachher scharfe Kritik anhören –<br />

Boyer warf ihm unfaires Verhalten vor, obwohl<br />

die beiden vor dem Rennen vereinbart hatten,<br />

jeder solle auf eigene Rechnung fahren. Damals<br />

sagte LeMond: „Wir sind nicht im selben Team<br />

und wir sind keine Freunde; ich möchte ihn nicht<br />

als Weltmeister sehen.“<br />

Die Zuschauer beim Rennen der Profis wurden<br />

auf 60.000 geschätzt, was auf 20.000 korrigiert<br />

wurde. Es hieß, die Hälfte sei umsonst<br />

reingekommen. „Wir verkauften die Idee mit<br />

Goodwood auf der Grundlage, dass es sicher<br />

war, und das stellte sich als falsch heraus“, sagte<br />

der Finanzchef der Weltmeisterschaften, Norman<br />

Shelmerdine.<br />

Ein Kontingent aus Lincolnshire gehörte zu<br />

den vielen, die am Vorabend im Zelt übernachteten,<br />

unter ihnen ein junger Bursche namens Rod<br />

Ellingworth.<br />

Saronni erwies sich als würdiger Weltmeister:<br />

In den folgenden neun Monaten gewann er die<br />

Lombardei-Rundfahrt, Mailand–San Remo und<br />

den Giro. Ellingworth, der vor der Tribüne mit<br />

einer Sean-Kelly-Kappe fotografiert wurde, wurde<br />

später Trainer bei der britischen U23-Akademie<br />

und gilt als maßgeblich für den Auf -<br />

stieg Großbritanniens zur Radsportnation im<br />

21. Jahrhundert. Auch ein weiterer späterer britischer<br />

und Team-Sky-Coach war anwesend:<br />

Shane Sutton aus Australien kam als Letzter ins<br />

Ziel, 12:20 Minuten hinter Saronni. Für LeMond<br />

wie für Kelly markierte Goodwood den Beginn<br />

ihrer besten Jahre.<br />

Maertens’ Karriere auf höchstem Niveau endete<br />

am 5. September 1982. Jones beendete ihre<br />

Karriere Ende 1983, nachdem sie bei der Verteidigung<br />

ihres Regenbogentrikots Vierte geworden<br />

war, und gab dann zwei Jahre später ein Comeback.<br />

Die Silbermedaillengewinnerin Canins, eine<br />

Novizin mit erst zwei Monaten Rennerfahrung,<br />

sollte in den 1990ern weiter von sich reden machen;<br />

sie gewann sowohl den Giro als auch die<br />

Tour de France der Frauen. Zudem kombinierte<br />

sie weitere drei Jahre Radsport und Skilanglauf<br />

auf höchstem Niveau.<br />

Die finanziellen Nachwirkungen waren beträchtlich.<br />

Der britische Verband stritt sich noch<br />

zwei Jahre später mit der UCI ums Geld, aber am<br />

Ende blieb der Verband auf den Kosten sitzen. Die<br />

Verluste wurden schließlich mit 26.000 Pfund<br />

beziffert; die Rücklagen des Verbands mussten<br />

herhalten, um die Schulden teilweise zu begleichen,<br />

und bei der Jahresvollversammlung Ende<br />

1983 war die Wut auf die Direktoren groß. Ende<br />

des Jahres wurde vereinbart, sich um die Weltmeisterschaft<br />

1988 zu bewerben.<br />

Der große Gewinner war Rushton, der Promoter,<br />

der in letzter Minute eingesprungen war, um<br />

sich um die kommerzielle Seite des Rennens zu<br />

kümmern. Nachdem er sich mit der Weltmeisterschaft<br />

international einen Namen gemacht hatte,<br />

legte Rushton ein Jahr später die erste Serie der<br />

von Kelloggs gesponserten Rundstreckenrennen<br />

auf, die 1987 zur ersten voll professionellen Großbritannien-Rundfahrt<br />

führen sollte. 1985 war er<br />

der Promoter des ersten Nissan Classic in Irland.<br />

Die Wurzeln des heutigen britischen Radsportbooms<br />

liegen in diesen Veranstaltungen – und es<br />

war Goodwood, wo alles begann.<br />

MAI 2019 | PROCYCLING 103


WUNSCHLISTE<br />

DIE PRODUKT-HIGHLIGHTS DES MONATS<br />

104 PROCYCLING | MAI 2019


FUJI<br />

TRAN SONIC 1.1<br />

7.499 €<br />

www.fujibikes.com<br />

Am Topmodell der Baureihe Tran -<br />

sonic zeigt Fuji, dass die Sram eTap<br />

auch mit elf Ritzeln nicht zum alten<br />

Eisen gehört, sondern mit klaren<br />

Linien und bewährter Funktion zu<br />

überzeugen weiß. An einen aero -<br />

dynamisch hochaktuellen Rahmen<br />

mit komplett integrierten Bremsleitungen<br />

montiert, passt die Gruppe<br />

optisch perfekt und erleichtert<br />

dank Funkschaltung zudem die<br />

Montage. Tiefe Felgen und leicht<br />

laufende Reifen holen in Sachen<br />

Luft- und Rollwiderstand alles he -<br />

raus; auch bergauf ist das fahrfertig<br />

knapp acht Kilo wiegende Rad in<br />

seinem Element – das perfekte<br />

Upgrade zum weiter vorn im Heft<br />

präsentierten Transonic mit<br />

Felgenbremsen.<br />

MAI 2019 | PROCYCLING 105


WUNSCHLISTE<br />

OAKLEY FLIGHT<br />

JACKET<br />

212 €<br />

www.oakley.com<br />

Das neue Modell der US-Amerikaner ist<br />

voll auf Aerodynamik abgestimmt. Der<br />

Verzicht auf einen oberen Rand bedeutet,<br />

dass der Fahrer den Kopf stärker gesenkt<br />

halten kann; der „Advancer“-Nasensteg<br />

lässt Frischluft ein. Diverse Gestellfarben<br />

und Scheibenvarianten stehen zur<br />

Auswahl, und mit zwei unterschiedlichen<br />

Bügellängen kann die Brille optimal<br />

an den Helm angepasst werden.<br />

OAKLEY ARO3<br />

180 €<br />

www.oakley.com<br />

Hier im Look des Teams Dimension<br />

Data gezeigt, wurde der Aro3 für<br />

besonders heiße Tage auf dem Rad<br />

entwickelt. Trotz großflächiger<br />

Belüftungsöffnungen ist er glatt<br />

und windschnittig; mit MIPS-Innenschale<br />

bietet er hohen Schutz und<br />

ein BOA-Verstellsystem erleichtert<br />

die Anpassung. Oakley bietet den<br />

Helm in drei Größen an.<br />

106 PROCYCLING | MAI 2019


WUNSCHLISTE<br />

BONTRAGER<br />

XXX WAVECEL<br />

249,99 €<br />

www.trekbikes.com<br />

Das Risiko einer Gehirnerschütterung<br />

ist im Radsport in letzter Zeit<br />

stärker in den Fokus gerückt. Mit<br />

der WaveCel-Technologie integriert<br />

Bontrager nun ein Material in seine<br />

Helme, das Rotationsbeschleunigungen<br />

beim Aufprall entgegenwirkt.<br />

Die Schicht zwischen Kopf<br />

und Außenschale ist in sich<br />

beweglich und reduziert damit die<br />

schädigende Wirkung von<br />

Drehbewegungen. Das Material,<br />

das zudem die Belüftung verbessert,<br />

kommt unter anderem im<br />

Teamhelm von Trek-Segafredo mit<br />

BOA-Kopfring zum Einsatz, der in<br />

Größe L freilich 399 Gramm wiegt.<br />

JULBO<br />

AEROSPEED<br />

175 €<br />

www.julbo.com<br />

Das französische Unternehmen bietet<br />

Rennradfahrern und Mountainbikern mit<br />

dieser photochromen Brille beste Sicht und<br />

guten Augenschutz dank großflächiger<br />

Abdeckung. Mit rahmenloser Konstruktion<br />

ist das Gesichtsfeld der leichten Brille<br />

riesig; andere Gestellfarben und Scheibenvarianten<br />

sind zu teils deutlich günstigeren<br />

Preisen verfügbar.<br />

MAI 2019 | PROCYCLING 107


WUNSCHLISTE<br />

MICHAEL<br />

OSTERMANN:<br />

DOMINIK NERZ<br />

– GESTÜRZT<br />

16,80 €<br />

www.covadonga.de<br />

„Was hätte sein können?“, werden sich<br />

nicht nur Protagonist und Autor dieses<br />

Radsportbuchs fragen. Auch dem Leser<br />

will das Pech des jungen Rennfahrers Nerz<br />

nicht so schnell aus dem Kopf gehen.<br />

Radsportkenner Ostermann kontaktierte<br />

zahlreiche Insider, um ein umfassendes<br />

Bild der kurzen und schmerzhaften<br />

Karriere des Allgäuers zu zeichnen – und<br />

Nerz selbst muss man Anerkennung dafür<br />

zollen, dass er hinter diesem in Teilen<br />

keineswegs schmeichelhaften Buch steht.<br />

Sicher gehört es zu seinem Weg, all die<br />

Härten und Enttäuschungen des Radsports<br />

zu verarbeiten, die ihm in den Weg gelegt<br />

wurden, und seinen eigenen Anteil daran,<br />

sein Potenzial wohl nicht genutzt zu haben.<br />

PHIL GAIMON:<br />

ZUGTIERE IN<br />

TRÄGERHOSEN<br />

16,80 €<br />

www.covadonga.de<br />

Spätestens seit der Sache mit Fabian<br />

Cancellaras angeblichem Motordoping<br />

hat Exprofi Gaimon den Ruf der Nervensäge<br />

weg. Doch eines muss man ihm<br />

mindestens lassen: Er schreibt interessant,<br />

geistreich und kein bisschen eingebildet<br />

über seine Karriere als Berufsfahrer,<br />

erzählt von den Höhen und Tiefen des<br />

Rennfahrerlebens, von Freundschaften,<br />

Beziehungen und familiären Problemen.<br />

Und nicht zuletzt geht es um Kekse. Dies<br />

ist sicher eines der intelligenteren<br />

Radsportbücher der letzten Jahre.<br />

108 PROCYCLING | MAI 2019


WUNSCHLISTE<br />

TUNE<br />

DC 100/130<br />

105 €<br />

www.tune.de<br />

Mit Titanachse und Carbonhebelchen<br />

holen die Spann -<br />

achsen von Tune alles aus<br />

dem wichtigen Bauteil heraus:<br />

Nur 18 bzw. 19 Gramm wiegen<br />

die filigranen Teile. Wer sein<br />

Rad auf Diät setzen will,<br />

kommt nicht um sie herum.<br />

CITEC<br />

ULTRA 8000 / 63<br />

2.999 €<br />

www.citec.de<br />

Die Laufradmanufaktur verabschiedet<br />

sich mit diesem Radsatz vom klassischen<br />

Aufbau, stattdessen werden Felge und<br />

Nabe mit flächigen Speichen (vorne 16,<br />

hinten 21) zusammenlaminiert. Was<br />

bleibt, ist die bekannte Verbundfelge, die<br />

gutes Bremsverhalten und lange Halt -<br />

barkeit bietet. Mit seinem 63 Millimeter<br />

tiefen Felgen ist der Clincher-Radsatz<br />

dennoch erstaunlich leicht: 697 Gramm<br />

brachte das Vorderrad auf die Redaktionswaage,<br />

830 Gramm das Hinterrad.<br />

MAI 2019 | PROCYCLING 109


-AUSLAGE<br />

PLZ 20000 PLZ 10000<br />

PLZ 00000<br />

Max-Brauer-Allee 36<br />

PLZ 20000<br />

PLZ 30000<br />

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Werther Straße 44, 46395 Bocholt<br />

Tel.: 0 28 71/27 55-55<br />

Fax: 0 28 71/27 55-50<br />

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1984<br />

2014<br />

DIANA<br />

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1984<br />

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AUSGABE<br />

24.05.19<br />

-Impressum<br />

<strong>Procycling</strong> erscheint monatlich bei<br />

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94469 Deggendorf<br />

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Redaktionsleitung Dieter Steiner<br />

Textchef Caspar Gebel<br />

E-Mail info@procycling.de<br />

Ständige redaktionelle Mitarbeiter<br />

Chris Hauke, Dominik Ruiz Morales,<br />

Peter Cossins, Sam Dansie, Alasdair<br />

Fotheringham, Daniel Friebe, Werner<br />

Müller-Schell, Sadhbh O’Shea, Herbie<br />

Sykes, John Whitney, Jamie Wilkins,<br />

Cam Winstanley<br />

Layout Saskia Funke<br />

Übersetzungen Esther Kriegel<br />

Lektorat Helga Peterz<br />

Fotos Andreas Meyer, Getty Images,<br />

Kristof Ramon (Cover)<br />

Objekt- und Anzeigenleitung<br />

Maximilian Seidl<br />

m.seidl@wom-medien.de<br />

Druck Mayr Miesbach GmbH<br />

Pressevertrieb<br />

stella distribution GmbH<br />

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© 2019 WOM Medien GmbH<br />

16. Jahrgang<br />

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Gerichtsstand ist Deggendorf.<br />

<strong>Procycling</strong> erscheint in Lizenz der<br />

englischen Originalausgabe von<br />

Immediate Media Co., London, UK.<br />

112 PROCYCLING | MAI 2019


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DAS LETZTE WORT<br />

JENS VOIGT<br />

Die Frühjahrsklassiker sind in vollem Gange und Jens gibt sein erstes Feedback.<br />

© Getty Images<br />

Auch in diesem Frühjahr<br />

konnte das Quick-Step-<br />

Team sich wieder dominat<br />

präsentieren. (Seid nachsichtig, ich<br />

gewöhne mich immer noch daran,<br />

dass sie eigentlich Deceuninck–<br />

Quick-Step heißen!) Der Name mag<br />

neu sein, aber die Art und Weise,<br />

wie sie Rennen fahren, ist es nicht.<br />

Fast jedes Jahr beginnt das Team die<br />

Saison mit einer Reihe von Siegen.<br />

Diese Liste wird bisher von Julian<br />

Alaphilippe bei Mailand–San Remo<br />

angeführt. Wir alle sollten ihm etwas<br />

Respekt zollen – seit Jahren<br />

ist es im Frühjahr eines der besten<br />

Teams. Außerdem wäre es einfach<br />

unwahr zu sagen, dass das Team<br />

nach den Klassikern von der Bildfläche<br />

verschwindet. Es strebt nach wie<br />

vor Etappensiege bei der Tour de<br />

France an und tritt das ganze Jahr<br />

über auf höchstem Niveau an. Man<br />

kann mit Sicherheit sagen, dass Fahrer<br />

wie Alaphilippe oder Bob Jungels<br />

auch bei den kommenden großen<br />

Rennen ein Wort mitzure den haben.<br />

Und mit Elia Viviani hat Deceuninck<br />

einen der erfolgreichsten Sprinter der<br />

letzten zwei Jahre. Daher führt in<br />

keinem Rennen der Weg an diesen<br />

Fahrern vorbei.<br />

Auch wenn sie bisher ein tolles<br />

Jahr hatten, war ein weiteres großes<br />

Team, Sky (bzw. ab Mai Ineos), bei<br />

den Klassikern bisher weniger sichtbar.<br />

Es setzte nicht zu viel aufs Spiel<br />

bei den Eintagesrennen, und es ist<br />

schwer zu erkennen, dass sich das<br />

bei den gepflasterten Veranstaltungen<br />

ändern wird.<br />

Es ist lustig, dass Deceuninck,<br />

kurz, nachdem ich darüber geschrieben<br />

hatte, wie dominant das Team<br />

war, im letzten Test vor Flandern –<br />

Gent–Wevelgem, keinen einzigen<br />

Fahrer in den Top Ten hatte. Es gab<br />

wirklich starke Leistungen von anderen<br />

Teams wie Jumbo-Visma und<br />

Trek-Segafredo. Das ist ein gutes<br />

Zeichen, denn es zeigt, dass sie<br />

nicht geschlagen sind und erkannt<br />

haben, dass sie nicht warten dürfen,<br />

bis Deceuninck seinen eigenen Plan<br />

für das Rennen durchsetzt, sondern<br />

versuchen, früh zu gehen und ihr<br />

eigenes Glück zu suchen. Wir stehen<br />

vor offeneren und unberechenbareren<br />

Rennen – sobald jeder merkt,<br />

dass ein Team oder Fahrer besiegbar<br />

ist, wollen sie es alle versuchen.<br />

Wir hatten die Gelegenheit, auch<br />

bei den Klassikern einige ziemlich<br />

spannende und fantastische Frauenrennen<br />

zu erleben, zum Beispiel<br />

Dwars door Vlaanderen, wo Ellen<br />

van Dijk nach einem 15-Kilometer-Solo<br />

gewann. Fabian Cancellara<br />

hätte es nicht besser machen können.<br />

Chapeau, Ellen!<br />

„ES GAB WIRKLICH STARKE LEISTUNGEN VON<br />

ANDEREN TEAMS WIE JUMBO-VISMA UND<br />

TREK-SEGAFREDO. DAS IST EIN GUTES<br />

ZEICHEN, DENN ES ZEIGT, DASS SIE NICHT<br />

GESCHLAGEN SIND UND ERKANNT HABEN,<br />

DASS SIE NICHT WARTEN DÜRFEN.“<br />

Ein weiterer Fahrer, der mich in<br />

diesem Frühjahr fasziniert hat, ist<br />

Mathieu van der Poel. Am 5. Januar<br />

holte er sich seinen 100. Karrieresieg<br />

beim Gullegem-Cyclo-Cross,<br />

blieb aber nicht stehen – er wurde<br />

Vierter in Gent–Wevelgem und<br />

krönte dies mit einem spektakulären<br />

Sieg bei der Dwars door Vlaanderen.<br />

Auf diesen Jungen muss man in Zukunft<br />

achten – er könnte Weltmeister<br />

im Cyclo-Cross, Mountainbike<br />

oder Straßenrennen werden, weil er<br />

in allem richtig gut ist.<br />

Auch ihm habe ich die Daumen<br />

gedrückt, aber Weltmeister Alejandro<br />

Valverde hat es bei seinem ersten<br />

Auftritt bei der Flandern-Rundfahrt<br />

nicht geschafft. Dafür konnten<br />

Mathieu van der Poels Allround-<br />

Talent zieht Jens’ Aufmerksamkeit<br />

auf sich.<br />

wir den sagenhaften Ritt und ersten<br />

Profisieg von Alberto Bettiol bestaunen.<br />

Wir sind gespannt, was der<br />

25-jährige Fahrer von EF Education<br />

First–Drapac noch zu seinem Palmares<br />

zufügen wird.<br />

Jens Voigt beendete seine Profi -<br />

karriere 2014 nach 18 Jahren.<br />

Der Berliner war einer der angriffslustigsten<br />

und beliebtesten Fahrer<br />

im Peloton. Unter anderem hielt er<br />

für 42 Tage den Stundenweltrekord.<br />

114 PROCYCLING | MAI 2019


TERMINE<br />

28.04.2019 Mörbisch (B)<br />

Neusiedler See Radmarathon<br />

ÖSTERREICHS<br />

GRÖSSTE<br />

RADMARATHON-<br />

SERIE<br />

02.06.2019 St. Pölten (NÖ)<br />

St. Pöltner Radmarathon<br />

09.06.2019 Lienz (T)<br />

Dolomitenrundfahrt und SuperGiroDolomiti<br />

30.06.2019 Mondsee (OÖ)<br />

Mondsee 5-Seen-Radmarathon<br />

13.07.2019 Bad Goisern (OÖ)<br />

Salzkammergut Trophy<br />

19./20.07.2019 Kaindorf (ST)<br />

Ultra Rad Challenge<br />

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